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German Pages 290 Year 2015
Joachim Baur (Hg.) Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes
Joachim Baur (Hg.)
Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes
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I N H A LT Joachim Baur Museumsanalyse: Zur Einführung ................................................
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Joachim Baur Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstands ................ 15 Sharon Macdonald Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung ........................ 49
M ETHODEN Thomas Thiemeyer Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle .......................... 73 Eric Gable Ethnographie: Das Museum als Feld ............................................. 95 Jana Scholze Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen .............................. 121 Heike Buschmann Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse ............. 149 Volker Kirchberg Besucherforschung in Museen: Evaluation von Ausstellungen ........ 171
P ERSPEKTIVEN Katrin Pieper Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur ........................ 187 Anke te Heesen Objekte der Wissenschaft. Eine wissenschaftshistorische Perspektive auf das Museum .......... 213
Volker Kirchberg Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt ............................. 231 Hanna Murauskaya, Giovanni Pinna, Maria Bolaños Internationale Perspektiven der Museumsforschung ..................... 267 Autorinnen und Autoren .............................................................. 285
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M U S E U M S A N A LY S E : Z U R E I N F Ü H R U N G
Joachim Baur Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Institution Museum erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Während sich das Interesse bis vor nicht allzu langer Zeit auf die in Museen gesammelten und ausgestellten Objekte anderer Zeiten und Kulturen konzentrierte, ist das Museum nun selbst zum Forschungsgegenstand geworden: als Artefakt unserer eigenen Gesellschaft (Ames 1992: 44; Haas 1996: 7). Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre entstand eine kaum mehr zu überblickende Fülle von Studien, die sich kritisch mit verschiedenen Facetten der Institution und einzelner ihrer Typen, etwa dem Kunst-, Geschichts- oder Völkerkundemuseum, auseinandersetzen. Neben Beiträgen zur Geschichte sowie zu Wesen und Funktion des Museums im Allgemeinen widmeten sich mehr und mehr Arbeiten der Untersuchung einzelner Einrichtungen, ihrer Sammlungs-, Forschungs- und nicht zuletzt Ausstellungsaktivitäten. Die Gründe für diesen Boom der Museumsforschung sind vielfältig. Er basiert zum einen auf dem allgemeinen Museumsboom, der seit den 1970er Jahren stetig steigende Museums- und Besucherzahlen produziert und so die gesellschaftliche Relevanz der lange für tot erklärten Institution von Neuem ins Bewusstsein hob. Zum anderen resultiert er aus der Vielgestaltigkeit des Untersuchungsphänomens selbst, das Anschlüsse für zahlreiche, unterschiedlich konturierte Fragestellungen bietet: Museen sind Orte der Repräsentation und Performanz, der sozialen und kulturellen Distinktion, der Inklusion und Exklusion. Es sind Schauplätze der Wissenschaftsgeschichte und Wissenspopularisierung, der Inszenierung von Identität und Alterität, der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik – allesamt Felder, die in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung gerückt sind. Sharon Macdonald (1996: 2) beschreibt Museen vor diesem Hintergrund als »key cultural loci of our times«, an denen sich, wie durch ein Brennglas, gesellschaftliche Verhältnisse und Formationen von Wissen und Macht in den Blick nehmen lassen. Als wäre dies nicht genug, wirkt der Forschungsgegenstand Museum schließlich auch deshalb attraktiv, weil er sich keiner einzelnen akademischen Disziplin zuordnen lässt. Er liegt mit seinem Facettenreichtum an der Schnittstelle einer ganzen Bandbreite von Fächern und quer zu klassischen Forschungspfaden. Er zieht damit Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen an und wird im besten Fall zum Experimentierfeld interdisziplinärer Betrachtung. Nicht zuletzt deshalb ist das Untersuchungsfeld jedoch nach wie vor – und vielleicht in zunehmendem Maße – ein recht unübersichtliches Terrain. Dieses Terrain zu sondieren, ist das Anliegen des vorliegenden Bandes.
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Joachim Baur Museumsanalyse
Dabei herrscht kein Mangel an programmatischen Bezeichnungen in der Museumsforschung: Museumskunde, theoretische und angewandte Museologie, Museographie, Museumswissenschaft, Museum Studies etc. Und nun als weiterer Begriff: »Museumsanalyse«. Was soll das bedeuten? Eine knappe Erläuterung des Konzepts und seiner Stoßrichtung umreißt zugleich den Fokus dieses Bandes. »Museumsanalyse« meint in erster Linie Fallanalyse von Museen. Das Erkenntnisinteresse der Museumsanalyse richtet sich zum einen auf einzelne Museen als untersuchenswerte kulturelle Phänome aus eigenem Recht, deren unterschiedlichen Dimensionen, Implikationen und Bedeutungen sie in hoher Detailschärfe nahezukommen sucht. Zugleich verspricht sie sich durch die Beleuchtung von Einzelfällen bzw. einer Anzahl von Einzelfällen wissenschaftliche Erkenntnisse über – allgemein gesprochen – übergreifende gesellschaftliche, politische und kulturelle Verhältnisse. Mit diesem Zuschnitt grenzt sich Museumsanalyse gegen andere Arten der reflektierenden Beschäftigung mit der Institution Museum ab, und zwar vor allem nach zwei Seiten: Zum einen unterscheidet sie sich grundlegend von Richtungen, die sich – wie die Museumskunde oder angewandte Museologie – überwiegend museumspraktischen Fragen widmen. Statt von innen richtet sich ihr Blick von außen auf das Museum, und ihr Ziel ist nicht praktisches Verbessern, sondern kritisches Verstehen der Institution. Zum anderen hebt sich die Museumsanalyse von philosophisch-totalisierenden Herangehensweisen ab, die es sich – wie die theoretische Museologie – zur Aufgabe machen, das Wesen des Museums zu ergründen oder, mehr noch, einer »Musealität« genannten »besondere[n] erkennende[n] und wertende[n] Beziehung des Menschen zur Wirklichkeit« (Waidacher 1993: 39) nachzuspüren. Statt für das Museum interessiert sich die Museumsanalyse für Museen, statt der abstrakten Idee nimmt sie konkrete Ausprägungen in den Blick, ohne gleichwohl die Traditionen und Formationen zu verkennen, in die jene eingeschrieben sind. Ziel dieses Bandes ist es, vor diesem Hintergrund einige relevante und aktuell praktizierte Ansätze zur Untersuchung von Museen vorzustellen sowie in deren theoretische Grundlagen und forschungspraktische Herangehensweisen einzuführen. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diverser Disziplinen Museen in den letzten Jahrzehnten als ergiebige Forschungsfelder entdeckt und jeweils von der Warte ihres Faches aus analysiert haben. In diesen Studien wurde oft wertvolle Grundlagenarbeit geleistet, indem methodische Instrumentarien, die sich aus den verschiedenen »Mutterdisziplinen« herleiten, teils implizit, vermehrt aber auch explizit für die Analyse von Museen fruchtbar gemacht wurden. Wenn einzelne Fächer so das Museum als Forschungsgegenstand für sich entdeckten, so profitierte die junge und noch immer nur lose institutionalisierte Museumswissenschaft im Gegenzug enorm von den »methodischen und theoretischen
Joachim Baur £Museumsanalyse: Zur Einführung
Beutezügen durch deren Gefilde« (vgl. Macdonald in diesem Band). Der vorliegende Band stellt nun den Versuch dar, das Feld der Museumsforschung aus methodischer Perspektive zu ordnen und einen analytischen »Werkzeugkasten« bereitzustellen, mit dem weitere Untersuchungen durchgeführt werden können. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass er einerseits als Orientierung für zukünftige Forschungen von unmittelbarem Nutzen sein kann und dass er andererseits dazu beiträgt, eine Diskussion um Ansätze der Museumsanalyse anzustoßen und die Methodenreflexion in der Museumswissenschaft voranzutreiben. Gegliedert ist der Band in drei Abschnitte. Der erste widmet sich einführenden Fragen und umreißt anhand von zwei Artikeln den Untersuchungsgegenstand Museum sowie das Feld der neueren Museumsforschung. Mein eigener Beitrag, der den Reigen eröffnet, versucht sich an der Beantwortung der ebenso schlichten wie komplexen Frage »Was ist ein Museum?«. In vier Umkreisungen werden die unterschiedlichen Spielarten der Institution, die Etymologie ihres Zentralbegriffs, die Eckdaten einer Institutionengeschichte sowie einschlägige Definitionen des Museums vor- und zur Diskussion gestellt. Sharon Macdonald schließt sich mit einer Skizze des Forschungsstandes an. Ausgehend von den Grundzügen der Neuen Museologie, die seit den 1980er Jahren einen Paradigmenwechsel in Theorie und Praxis des Museums einläutete, konstatiert sie eine nachhaltige Verbreiterung und Vertiefung museumswissenschaftlicher Forschung. Als Felder, die in besonderem Maße in den Fokus rückten, identifiziert sie unter anderem Repräsentationskritik und Identitätspolitik, Kontroversen um Museums- und Ausstellungsprojekte, die wechselnden Bedeutungen und das »soziale Leben der Dinge« (Appadurai 1986), gewisse Tendenzen der Kommerzialisierung und Eventisierung des kulturellen Erbes, neue Formen der Besucherforschung sowie das Wechselspiel von akademischer Theorie und musealer Praxis. Der zweite Abschnitt zu »Methoden« der Museumsanalyse bildet das eigentliche Kernstück des Bandes. Der Historiker Thomas Thiemeyer wendet im ersten Beitrag das klassische Instrumentarium der Geschichtswissenschaft, die Quellenkritik, auf den Untersuchungsgegenstand Museum an. Nach einer Klärung des grundsätzlichen Verhältnisses von Geschichte und Museum, insbesondere den Funktionen der Repräsentation von Vergangenheit und der Neuproduktion von Geschichtsbildern, behandelt er »Quellen im Museum« und das »Museum als Quelle«. Aus der Übersetzung von Leitfragen der Quellenkritik gewinnt er einen prägnanten Fragenkatalog zur Durchführung historischkritischer Museumsanalysen. Zugleich vergisst er nicht, mögliche Schwächen seines Ansatzes zu benennen, etwa das Grundproblem der Überlieferung und des Zugangs zum Quellenmaterial sowie die Schwierigkeiten einer hermeneutischen Analyse, das sinnliche Potenzial musealer Präsentation zu erfassen.
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Der amerikanische Kulturanthropologe Eric Gable nähert sich dem Museum anschließend von der Warte der Ethnologie. Gestützt auf eine konzise Darstellung ihrer Fachtradition und zentralen Methodik, der teilnehmenden Beobachtung, schlägt er vor, Museen zum Gegenstand ethnographischer Feldforschung zu machen. Er verortet diesen Zugang in einer allgemeinen Trendwende seiner Disziplin, die sich seit langem nicht mehr ausschließlich den »Dörfern« von »Eingeborenen« an »entlegenen Orten« widmet, sondern verstärkt »zu Hause« und – einem Konzept Laura Naders folgend – »nach oben« forscht. Das Museum als Ikone westlicher Hochkultur kommt damit fast zwangsläufig in den Blick. Unter Verweis auf gelungene Beispiele ethnographischer Museumsforschung stellt Gable anschaulich den Nutzen dieses Zugangs heraus, den er insbesondere in der hohen analytischen Detailschärfe und der Möglichkeit, implizite Annahmen der Macher und nicht-intendierte Effekte ihrer Planungen zu entdecken, sieht. Um wirklich zu überzeugen, so mahnt Gable abschließend mit Rekurs auf eigene Erfahrungen, erfordere die ethnographische Museumsanalyse allerdings ein hohes Maß an Sensibilität und Selbstreflexion des Forschers, der sich nicht zuletzt seiner eigenen gesellschaftlichen Position und den Grenzen seines Zugangs zum Feld bewusst werden müsse. Mit der Kultursemiotik stellt Jana Scholze einen weiteren gewinnbringenden Ansatz der Museumsanalyse vor. In knappe Zügen führt sie, an Roland Barthes und Umberto Eco geschult, in die zentralen Begrifflichkeiten und Erkenntnisinteressen der Disziplin ein und macht sich sodann an deren Übersetzung für die Untersuchung von Museen. Unter Einbeziehung der Arbeiten Mieke Bals und ihrer selbst zeigt sie, wie Signifikations- und Kommunikationsprozesse in Ausstellungen durch close reading dechiffriert werden können. Dabei betont sie, dass die komplexen Zeichensysteme zwischen Visuellem und Verbalem, als die sie museale Präsentationen begreift, in Bezug auf die zu vermittelnden Inhalte immer arbiträr und fragmentarisch bleiben und sich deren spezifische Lektüre durch Besucher so weder von Ausstellungsmachern noch Museumsanalytikern je eindeutig fixieren lässt. Heike Buschmann geht mit dem Blick der versierten Literaturwissenschaftlerin ins Museums und sieht darin vor allem »Geschichten im Raum«. Um diese adäquat zu fassen, plädiert sie für einen kombinierten Zugang aus Erzähltheorie, Rezeptionsästhetik und Neuer Kulturgeographie. Der Rückgriff auf erprobte und etablierte Modelle der Erzähltheorie ermöglicht, wie sie an Beispielen aus Deutschland und Schottland illustriert, die Übertragung einer konsistenten Terminologie auf die Analyse von Ausstellungen und birgt das Potenzial, die Verständigung über museale Texte über alltagssprachliche Beschreibungen hinauszuheben. Der Rezeptionsästhetik und Neuen Kulturgeographie kommt in Buschmanns innovativem Ansatz sodann die Rolle zu, die Aufmerksamkeit auf die Dynamik des musealen Wahrnehmungsprozesses zu
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lenken und die aktive Beteiligung des Lesers/Besuchers in der Entfaltung von Bedeutung zu erkennen. Der letzte Beitrag des »Methoden«-Abschnitts liegt gleichsam quer zu den anderen. Er stellt keine disziplinäre Methode, sondern einen spezifischen Bereich der Museumsanalyse in den Mittelpunkt: die Besucherforschung. Volker Kirchberg skizziert die Entwicklung des Feldes von den behavioristischen Beobachtungsstudien der 1920er Jahren bis zur konstruktivistischen Wende der 1990er Jahre und darüber hinaus. Vor dem Hintergrund seines Überblicks, der vor allem soziologische Arbeiten einbezieht, registriert er eine Tendenz zur Abkehr von quantitativ-deskriptiven Datenerfassungen und eine Hinwendung zu qualitativen bzw. quantitativ-analytischen Instrumenten. Kirchbergs Text unterscheidet sich darüber hinaus in einem weiteren Punkt von den übrigen Beiträgen: Er ist als einziger aus einem anderen Band übernommen (Michelsen/Godemann 2005). Den Herausgebern und dem Verlag sei für die Genehmigung zum Wiederabdruck herzlich gedankt. Der dritte Abschnitt, »Perspektiven« betitelt, soll reflektieren und dafür sensibilisieren, dass Museumsanalysen, welche Methodik sie auch anwenden mögen, in ganz unterschiedliche Fragehorizonte und thematische Zusammenhänge gestellt werden können. Die Stoßrichtung der Untersuchung wird durch eine solche ›Rahmung‹ wesentlich beeinflusst. Die hier versammelten Artikel sollen entsprechend zur Verortung von Museumsanalysen in übergreifenden Forschungskontexten und zur Entwicklung spezifischer Fragestellungen beitragen, also Perspektiven verdeutlichen und Perspektiven eröffnen. Katrin Pieper beginnt in diesem Sinne mit der Ausleuchtung eines der populärsten Untersuchungsfelder der Museumsforschung: des Verhältnisses von Museum und Erinnerungskultur. Nach einer kritischen Einführung in die vieldiskutierten Konzepte des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses und ihrer Abgrenzung zu anderen Begriffen wie Geschichtspolitik arbeitet sie den Doppelcharakter von Museen als Indikatoren und Generatoren von Erinnerungskultur heraus. Auf Grundlage einer Durchsicht anregender museumsanalytischer Arbeiten fächert sie zudem mögliche Herangehensweisen auf und hebt dabei insbesondere die Bedeutung von Museumskontroversen sowie von synchronen und diachronen Vergleichen hervor. Aus wissenschaftshistorischer Perspektive blickt Anke te Heesen auf das Museum. Sie skizziert die Möglichkeiten der Untersuchung epistemischer Ordnungen durch die Analyse von Systematiken des Sammelns und Ausstellens. Des Weiteren verfolgt sie die Konjunkturen präsentationsleitender Paradigmata, etwa des seit den 1990er Jahren wiederentdeckten Prinzips der Kunst- und Wunderkammer, und deutet sie vor dem Hintergrund von Medienwechseln und Medienbrüchen. Mit dem Beispiel des Universitätsmuseums nimmt sie schließlich ein Exemplar der Institution unter die Lupe, in dem die komplexe
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Verbindung von Museum und Wissen/Wissenschaft in besonderer Zuspitzung zutage tritt und studiert werden kann. Volker Kirchbergs Beitrag taxiert das Museum im Anschluss aus ganz anderem Blickwinkel, nämlich als öffentlichen Raum in der Stadt. Ausgehend von dem Befund, dass neue Museen in den letzen Jahrzehnten zu den Stars einer erfolgreichen Stadtentwicklung avancierten, geht er den Funktionen und Funktionalisierungen der Projekte auf verschiedenen Ebenen städtischer Politik und Gesellschaft nach. Gestützt auf ein Modell des amerikanischen Stadtgeographen Edward W. Soja fokussiert er – gleichsam durch die Linse des Museums – Phänomene wie Stadtimagepolitik, Strategien städtebaulicher Ordnung, Gentrifizierung oder Inklusion und Exklusion städtischer Gruppen, skizziert einschlägige Forschungen und weist Richtungen für zukünftige Museumsanalysen in diesem Feld. Der letzte Beitrag des Bandes schließlich interpretiert den Begriff »Perspektive« etwas anders, unternimmt also einen Blickwechsel ganz eigener Art. Vorgestellt werden »Internationale Perspektiven der Museumsforschung«, und zwar mit Stellungnahmen aus Frankreich (Hanna Murauskaya), Italien (Giovanni Pinna), Russland (Hanna Murauskaya) und Spanien (Maria Bolaños). In Form einer knappen Bestandsaufnahme diskutieren sie die wichtigsten Publikationen und Charakteristika der Museumsforschung in diesen Ländern. Das Anliegen des Sammelbeitrags ist dabei ein dreifaches: Zunächst soll er – zumindest im Sinne einer Geste – darauf hinweisen, dass auch jenseits des deutschen und angelsächsischen Kontexts, auf den sich die übrigen Artikel konzentrieren, wichtige Beiträge zur museumswissenschaftlichen Forschung geleistet werden. Zum zweiten ist er als Angebot an polyglotte Leser gedacht, denen so der Einstieg in die jeweilige landessprachliche Diskussion erleichtert werden soll. Drittens schließlich verweist er auf die Notwendigkeit einer weiteren Internationalisierung der museumswissenschaftlichen Debatte und das Projekt einer international vergleichenden Museumswissenschaft, das als Desiderat für zukünftige Darstellungen bleibt. Es versteht sich von selbst, dass ein Band wie dieser eine vollständige Darstellung relevanter Zugänge weder anstreben noch einlösen kann. Einen genaueren Blick verdient hätten beispielsweise Bella Dicks’ (2000) inspirierende Übertragung von Stuart Halls Encoding/Decoding-Methode auf das Museum oder der kombinierte Ansatz aus Semiotik, Semantik und Ethnographie von Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch (2006). Bei den Perspektiven hätten zusätzlich die Verbindungen von Museum und Tourismus (Kirshenblatt-Gimblett 1998) oder Museum und Disziplinargesellschaft (Bennett 1995) einbezogen werden können. Aus verschiedenen, nicht zuletzt pragmatischen Gründen bleiben sie – wie manche andere – außen vor. Nuancierter zu diskutieren wäre des Weiteren die Reichweite der einzelnen Ansätze: Lassen sie
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sich in gleichem Maße auf verschiedene Museumstypen anwenden, wie hier zunächst angenommen wird (wenngleich in manchen Beiträgen exemplarische Einschränkungen vorgenommen werden)? Oder legen bestimmte Museumsarten auch bestimmte Methoden der Untersuchung nahe? Und wie verhält es sich mit der Erfassung der unterschiedlichen Facetten des Museums? Prinzipiell wird auch hier von einer übergreifenden Anschauung ausgegangen, doch rückt in der Darstellung mancher Herangehensweise die Analyse von Ausstellungen gegenüber Sammlungen oder anderen Aspekten der Institution ganz in den Vordergrund. Spricht diese Beobachtung mithin für einen Methoden-Mix oder verweist sie vielmehr auf die notwendige Verfeinerung einzelner Zugänge? Diese kursorischen Punkte deuten nur darauf hin, dass eine Methodologie der Museumsanalyse bislang allenfalls in Ansätzen zu erkennen ist und dass ihre Konturen noch wesentlich geschärft werden müssen. Die Diskussion ist gerade erst eröffnet. Die Unterstützung einer Reihe von Personen hat die Verwirklichung dieses Projekts erst möglich gemacht. Herzlich gedankt sei Gottfried Korff, ohne dessen Ermutigung das Vorhaben über eine erste Idee wohl nicht hinausgekommen wäre; Andrea Meza Torres für die Übersetzung des Textes von Maria Bolaños aus dem Spanischen; Susanne Hagemann, Eva Kudrass, Katja Röckner, Eva Fuchslocher und Christina Schumacher für die fachkundige Diskussion einzelner Beiträge. Mein besonderer Dank gilt schließlich allen Autorinnen und Autoren, die sich trotz zahlreicher anderer Verpflichtungen bereitwillig auf das Projekt und die mitunter spitzfindigen Kommentare des Herausgebers eingelassen haben, sowie dem transcript-Verlag für die professionelle Betreuung und nicht zuletzt die wohlwollende Geduld bis das Manuskript endlich auf dem Weg nach Bielefeld war.
L I T E R AT U R Ames, Michael M. (1992): Cannibal Tours and Glass Boxes, The Anthropology of Museums. Vancouver: University of British Columbia Press. Appadurai, Arjun (Hg.) (1986): The Social Life of Things. Commodities in CrossCultural Perspective, Cambridge: Cambridge University Press. Bennett, Tony (1995): The Birth of the Museum. History, Politics, Theory, London/New York: Routledge. Dicks, Bella (2000): »Encoding and Decoding the People. Circuits of Communication at a Local Heritage Museum«. European Journal of Communication 15/1, S. 61-78. Haas, Jonathan (1996): »Power, Objects, and a Voice for Anthropology«. Current Anthropology 37/1 (Supplement), S. 1-22.
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Kirshenblatt-Gimblett, Barbara (1998): Destination Culture. Tourism, Museums, and Heritage, Berkeley u.a.: University of California Press. Macdonald, Sharon (1996): »Introduction«. In: dies./Gordon Fyfe (Hg.), Theorizing Museums. Representing Identity and Diversity in a Changing World, Oxford/Cambridge, Mass.: Blackwell, S. 1-18. Michelsen, Gerd/Godemann, Jasmin (Hg.) (2005): Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation. Grundlagen und Praxis, München: Oekom. Muttenthaler, Roswitha/Wonisch, Regina (2006): Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld: transcript. Waidacher, Friedrich (1993): Handbuch der Allgemeinen Museologie, Wien u.a.: Böhlau.
IST EIN MUSEUM? EINES WIDERSPENSTIGEN Joachim Baur £
WAS
VIER UMKREISUNGEN G E G E N S TA N D S
»Museum – das ist ein Begriff, der in seiner Alltäglichkeit auch selbstverständlich ist. Was ein Museum ist, weiß ich nicht, verkündet dagegen der Museologe Tomislav Sola und zollt so der Paradoxie Tribut, daß das Museum einerseits ein erfolgreich expandierendes Unternehmen ist und andererseits dessen Status und Funktion immer fragwürdiger wird.« (Gottfried Fliedl/Herbert Posch 2002: 7)
Die Diagnose, mit der die Museologen Gottfried Fliedl und Herbert Posch einen kleinen Band zur Genealogie des Museumsbegriffs einleiten, markiert treffend auch den Ausgangspunkt dieses Beitrags. Was ist ein Museum? In dieser Frage, die so alt ist wie die intellektuelle Beschäftigung mit der Institution selbst1, treffen Welten aufeinander: Der Selbstverständlichkeit, Eindeutigkeit, Fraglosigkeit des Begriffs wie des Konzepts ›Museum‹ im Alltagsdiskurs steht die Betonung seiner Ambivalenz, Vielgestaltigkeit und Unbestimmtheit in der Fachdiskussion gegenüber – eine Spannung, die umso deutlicher zu Tage tritt im Rahmen einer Konjunktur, die seit geraumer Zeit die Institution und ihre wissenschaftliche Deutung gleichermaßen erfasst hat. Hier soll nun der Versuch unternommen werden, etwas Ordnung und Orientierung zu schaffen, nicht zuletzt als Grundlage für die folgenden Beiträge. Um den ausufernden und widerspenstigen Gegenstand, den sich dieser Band zum Mittelpunkt nimmt, hinreichend dingfest zu machen, nähere ich mich ihm im Folgenden in vier Umkreisungen: phänomenologisch, etymologisch, historiographisch und definitorisch.
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Verwiesen sei hier nur auf die erste museologische Abhandlung in Deutschland, Samuel Quicchebergs Traktat »Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi« von 1565 (Roth 2000).
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I. »A hospital is a hospital. A library is a library. A rose is a rose. But a museum is Colonial Williamsburg, Mrs. Wilkerson’s Figure Bottle Museum, the Museum of Modern Art, the Sea Lion Caves, the American Museum of Natural History, the Barton Museum of Whiskey History, The Cloisters, and Noell’s Ark and Chimpanzee Farm and Gorilla Show.« (Richard Grove 1968: 79) »Das erste Problem ist der Begriff Museum an sich. Können wir ihn sinnvoll im Singular verwenden oder müssen wir im Sinne der Klarheit zwischen verschiedenen Museumstypen nach Größe, Lage, Status, Trägerschaft und Funktion differenzieren?« (Krzysztof Pomian 2007: 16)
Richard Grove und Krzysztof Pomian deuten eine grundlegende Einsicht an: Das Museum gibt es nicht, es gibt nur Museen. Schlaglichtartig seien deshalb einige reale Ausprägungen genannt, um das Spektrum aufzuspannen und eine erste Sortierung vorzunehmen. Ordnen lässt sich das Phänomen dabei nach unterschiedlichsten Kriterien und so entsteht unwillkürlich eine kleine Taxonomie des Museums. Die Museumswelt unserer Tage umfasst etwa: a) sehr große und sehr kleine Museen. Größe lässt sich dabei wahlweise nach Fläche, Budget, Sammlung, Zahl der Mitarbeiter oder Besucher bemessen. Am einen Ende des Spektrums finden wir etwa den Louvre mit über 60.000 qm Ausstellungsfläche, einer Sammlung von fast 400.000 Kunstwerken der Spitzenklasse, einem Jahresbudget von über 200 Mio. Euro, 2000 Mitarbeitern und über 8 Millionen Besuchern pro Jahr2, am anderen das Museo Salinas in Mexiko-City, das bequem in einer Abstellkammer Platz findet und von seinem Gründer allein betrieben wird (Karp u.a. 2006: 253-56). b) sehr alte und sehr junge Museen. Als ältestes, noch existierendes Museum wird zumeist das 1683 eröffnete Ashmolean Museum der Universität Oxford genannt (Findlen 2004: 40). Das jüngste lässt sich kaum bestimmen, denn jeden einzelnen Tag dürfte irgendwo auf der Welt mindestens eine neue Einrichtung entstehen. Statistisch gesehen wurden jedenfalls 90-95 Prozent der Museen weltweit nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet (Kreps 2003: 20f.; Hoelscher 2006: 201) und die Dynamik der letzten Jahrzehnte scheint ungebrochen. 2
Die Zahlen sind dem Rechenschaftsbericht des Museums für das Jahr 2007 entnommen (vgl. www.louvre.fr (letzter Zugriff: 25.6.2009)).
Joachim Baur £Was ist ein Museum?
c) nach wissenschaftlichen Disziplinen ausgerichtete und auf spezifische Themen fokussierte Museen. Auf der einen Seite finden sich Museen der Kunst, Geschichte, Ethnologie, Naturkunde oder Technik, wie die Eremitage in Sankt Petersburg, das South African Cultural History Museum in Kapstadt, das Ethnologische Museum Berlin, das American Museum of Natural History in New York City oder das Národní Technické Muzeum in Prag. Auf der anderen stehen Museen zu Migration, Krieg, Religion oder Schokolade, wie das Museo Nacional de la Inmigración in Buenos Aires, das Canadian Museum of War in Ottawa, das St. Mungo Museum of Religious Life and Art in Glasgow oder das Schokoladenmuseum Köln. Spezialmuseen wie das Mausefallenmuseum in Güntersberge/Harz oder das Phallusmuseum im isländischen Húsavig3 lassen dabei keinen noch so obskuren Gegenstand außen vor. d) Museen mit lokalem, regionalem, nationalem oder supranationalem Bezugsrahmen. Museen lassen sich auch nach ihren räumlichen Bezügen unterscheiden. Neben Stadt-, Stadtteil- und Heimatmuseen, die vom Museum of London über das Anacostia Neighborhood Museum bis zur Heimatstube Assel reichen, stehen solche mit regionalem Fokus wie das Landesmuseum Württemberg oder das Museo Regional de Guadalajara in Mexiko. Nationalmuseen, die sich in der einen oder anderen Form in nahezu allen Ländern der Welt finden, werden neuerdings ergänzt und herausgefordert von Museen mit trans- oder supranationalem Zugriff, wie das geplante Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel oder das Asian Civilisations Museum in Singapur. e) Universalmuseen wie das British Museum, das Melbourne Museum oder das Joanneum Graz repräsentieren einen Sonderfall in diesem Spektrum und historisch zugleich eine Urform der Institution. In ihnen sollen spezifische geographische, disziplinäre und thematische Bezüge in einem großen Ganzen aufgehoben erscheinen. f) Museen in staatlicher, privater oder sonstiger Trägerschaft. Neben der Vielzahl an staatlichen Museen auf nationaler und kommunaler Ebene stehen öffentlich zugängliche Sammlungen von Privatpersonen, wie die Fondation Maeght in Saint-Paul de Vence oder das Museum Frieder Burda in Baden-Baden, Museen von Vereinen und Verbänden, wie das Museo Del Real Madrid oder das Deutsche Freimaurer Museum Bayreuth, und Unternehmensmuseen, wie das Wella Museum Darmstadt oder The World of Coca-Cola in Atlanta. g) Museen, die sich »Museum« nennen, und andere, die alternative Titel führen. Im Hinblick auf letztere stößt man auf Bezeichnungen wie Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, U’mista Cultural Centre, Historial de la Grande Guerre oder Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration.4 3
www.phallus.is (letzter Zugriff: 26.6.2009).
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Namen sind hier natürlich mehr als Schall und Rauch. In der Regel drückt sich in der
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Dazwischen finden sich mehr oder weniger originelle Hybridformen. So nennt sich das 2008 eröffnete Museum zur Geschichte von Medien und Journalismus in Washington D.C. »Newseum«, das Südtiroler Landesmuseum für Tourismus bei Meran »Touriseum«, und ein in Graz geplantes Museum zum Werk des Künstlers Günter Brus wurde der Öffentlichkeit unter dem naheliegenden Titel »Bruseum« vorgestellt (Die Presse (Wien), 7.1.2008). h) Museen mit und ohne Sammlung. In der traditionellen Sicht ist die Sammlung von Objekten ein entscheidendes Charakteristikum des Museums und eine Einrichtung ohne Sammlung mithin kein Museum. Doch zeigen sich neuerdings alternative Auffassungen: Das Manhyia Palace Museum im ghanaischen Kumasi etwa wendet sich, der Memorialkultur der Ashanti entsprechend, gegen die permanente Sammlung von Dingen (McLeod 2004) und auch andernorts, so im Deutschen Hygiene Museum Dresden, rücken anstelle von Sammlungsgegenständen zunehmend Ideen, Geschichten und das Immaterielle ins Zentrum musealer Aufmerksamkeit (Beier/Jungblut 2007). i) auf Forschung ausgerichtete und auf Ausstellung, Vermittlung oder Unterhaltung orientierte Museen. Einerseits finden sich Museen, wie das Berliner Naturkundemuseum oder das mexikanische Museo Nacional de Antropología, die ihrem Selbstverständnis, ihren Arbeitsfeldern und ihrer Ressourcenverteilung nach Einrichtungen hochspezialisierter Spitzenforschung sind. Eine große und wachsende Zahl von Museen sieht sich heute dagegen ausschließlich als Popularisierungsagenturen, die ihren Schwerpunkt auf die pädagogische Aufbereitung und expositorische Vermittlung andernorts entwickelter Wissensbestände legen. j) Museen, bei denen »Museum« zugleich das bauliche Gehäuse bezeichnet, und solche mit anderer Struktur. In der klassischen Form des Museums fallen Institution und Gebäude in eins. Dies kann sich in Prachtbauten wie dem Metropolitan Museum of Art, doch gleichermaßen in ganz unscheinbaren Häusern ausdrücken. Andere Einrichtungen gehen andere Wege. Freilichtmuseen kommen etwa ganz ohne überwölbende Architektur aus und das in seinem Namen zunächst monolithisch scheinende Rheinische Industriemuseum ist tatsächlich an sechs einzelne Standorte verteilt. k) »standardisierte« und »rührende« Museen. Mehr und mehr Museen sind bestrebt, ihre Arbeit an professionellen Normen auszurichten, die meist von den Großen ihrer Art geprägt sind. Daneben entdeckt Ralph Rugoff (1998: Entscheidung gegen den Begriff Museum ein Selbstverständnis aus, das sich von traditionellen Konnotationen der Institution abzusetzen versucht, etwa durch starke Betonung der Vermittlung (statt Sammlung und Forschung), der Interaktivität (statt andächtiger Betrachtung), der Lebendigkeit (statt antiquierter Verstaubtheit) oder des kulturellen Dialogs (statt autoritativer Setzung von Weltsichten).
Joachim Baur £Was ist ein Museum?
325) mit einiger Sympathie die »rührenden Museen«. Er versteht darunter »Orte, an denen die übliche Rhetorik der Präsentation auf leicht verstümmelte – man könnte auch sagen: kreative – Art und Weise artikuliert ist«. Indem sie »hoffnungslos hinter der Idealnorm« zurückblieben, zeigten uns solche Museen »die offiziellen Repräsentationsmodelle in einem unabgeschlossenen Zustand«, wodurch die Möglichkeit entstehe, »diese Modelle als Konstrukte zu verstehen« und »die Willkürlichkeit unserer offiziellen Standards« zu reflektieren. Gewiss ließe sich eine Vielzahl weiterer Kriterien finden, die zu jeweils anderen Ordnungen der Museumslandschaft führten. Doch wie ausgefeilt diese auch sein mögen, das Phänomen an sich lässt sich damit kaum vollständig in den Griff bekommen. Wenn eine Betrachtung der real existierenden Museumswelt – bei allen noch so ehrgeizigen Versuchen der kategorisierenden Einfassung – eine ganz unüberschaubare Heterogenität vorfindet, so empfiehlt sich alternativ ein Zugang, der von der zentrifugalen Drift des Phänomens absieht und stattdessen sein Gravitationszentrum in den Blick nimmt: den Begriff »Museum«.
II. »MVSEVM, heisset sowol ein Tempel, darinnen die Musen verehret wurden, als auch eine Kunst-Kammer, ein Müntz-Cabinet, Rarität- und Antiquitäten-Kammer, wovon unter besondern Artickeln nachzusehen ist. Ins besondere aber ein Gebäude, darinnen die Gelehrten beysammen wohnten, mit einander aßen, und ihr Studieren abwarteten […] Woher ihre Benennung entstanden, darüber sind die Gelehrten nicht einerley Meynung.« (Johann Heinrich Zedler, Großes Vollständiges Universal-Lexikon, 1739) »Museum [lat. »Ort für gelehrte Beschäftigung«, von griech. mouseĩon »Musensitz«, zu moũsa »Muse«] das, -s/…’se|en, seit dem 18. Jh. öffentl. Sammlung von künstler. und wiss. Gegenständen und deren Gebäude.« (Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl., 2006)
Endgültige Klarheit, so viel vorweg, ist jedoch auch durch einen etymologischen und begriffsgeschichtlichen Ansatz nicht zu gewinnen, denn der Terminus changiert in seinem Gebrauch über die Zeit gewaltig. Gerade darin liegt jedoch eine Stärke des Zugangs: Er kann die Kontinuitäten und Diskontinuitäten dessen veranschaulichen, was zu verschiedenen Zeiten als »Museum« begriffen wurde und so die Ausprägung von Eigenheiten oder die Absonderung
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anderer Merkmale sichtbar machen, durch die sich – stets instabil und wandelbar – Gestalt und Gehalt des Museums in unserem heutigen Verständnis herausbildeten. Anhand zweier einschlägiger Texte – Paula Findlens (2004) klassischer Studie »The Museum: Its Classical Etymology and Renaissance Genealogy« und einer lexikalischen Analyse von Melanie Blank und Julia Debelts (2002) – sei dieser Entwicklung im Folgenden nachgegangen. Paula Findlen nimmt das Wort in seiner historischen Dynamik unter die Lupe, um die Museen der späten Renaissance, ihren eigentlichen Gegenstand, zu erschließen. Wie wurde der Begriff seinerzeit gebraucht? Auf welche intellektuellen, institutionellen oder anderen Ordnungen nahm er Bezug? Welche Diskurse und Praktiken versammelte er um sich, setzte er in Gang? Ursprünglich, so stellt sie heraus, hatte der lateinische Begriff musaeum zwei Bedeutungen: Zum einen (und als älteste Tradition) meinte er den mythischen Ort, an dem die Musen wohnen, das Refugium der Schutzgöttinnen der Künste, den Versammlungsplatz der Töchter von Zeus und Mnemosyne. In dieser Dimension des antiken Wortgebrauchs war »Museum« weder zeitlich noch räumlich festgelegt. Bei Plinius etwa galt die Natur als die bevorzugte Sphäre der Musen und damit als ein »Museum« im ganz wörtlichen Sinn. Spezieller bezeichnete musaeum, zum zweiten, die berühmte Bibliothek von Alexandria, das Museion, das als Forschungszentrum und Treffpunkt der Wissenschaftler der antiken Welt diente (Findlen 2004: 25). Im Verlauf des Mittelalters verlor das Konzept zusehends an Verbreitung, nur um im Zuge der Rückbesinnung auf die Antike zur Zeit der Renaissance seine Karriere neu zu beginnen. Als eine Kategorie, die eine Vielzahl aus heutiger Perspektive scheinbar disparater Aktivitäten beinhaltete, avancierte das Museum bis zum späten 16. Jahrhundert zu einem zentralen Organisationsprinzip kultureller Aktivität. In ihm verbanden sich philosophische Konzepte wie bibliotheca, thesaurus und pandechion mit metaphorischen Bildern wie cornucopia oder gazophylacium und Räumen wie studio, casino, gabinetto, galleria und theatro: »Thus the museum, as the nexus of all disciplines, became an attempt to preserve, if not fully reconstitute, the encyclopaedic programme of the classical and medieval world, translated into humanistic projects of the sixteenth century, and later the pansophic vision of universal wisdom that was a leitmotif of seventeenth- and early eighteenth-century culture.« (Ebd.: 26) Dabei meinte der Begriff »Museum« im Renaissance-Verständnis zuallererst einen imaginären Raum (ebd.: 29). Jenseits eines konkreten Ortes bezeichnete es eine epistemologische Struktur, die eine Vielzahl von Ideen, Bildern und Institutionen umfasste. Durch die charakteristische Idee und Praxis der Sammlung konnte das Konzept die enzyklopädischen Tendenzen der Epoche zum Ausdruck bringen, wobei sich Sammlung keineswegs auf materielle Dinge beschränkte. Musaeum wurde vielmehr in umfassenderem Sinne als Prinzip
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der Kumulation, Klassifikation und Ordnung von Wissen verstanden und in dieser Form auf verschiedene Felder angewandt. So führten zahlreiche Bücher – von Gedichtsammlungen wie Lorenzo Legatis Musei Poetriarum (1668) über Reiseführer wie Mabillon und Germains Museum Italicum (1687-89) bis hin zu Michael Bernhard Valentinis Sammlungsübersicht Museum Museorum (1714) – den Begriff im Titel, um ihr Anliegen der strukturierten Aufbereitung größerer Wissensbestände anzuzeigen (ebd.: 30). Zugleich konnte musaeum auch ganze Bibliotheken bezeichnen, etwa wenn Diderot noch 1751 in seiner Encyclopédie vermerkt, dass die Bibliothek der Medici in Florenz so reichhaltig sei, dass nur der Begriff Musaeum Florentinum ihren Charakter adäquat fassen könne (ebd.: 35). In dieser weiten und abstrakten Fassung vermittelte das Konzept zwischen privatem und öffentlichem Raum, zwischen monastischer Vorstellung des Studiums als Kontemplation, der humanistischen Vorstellung des Sammelns als enzyklopädisch-textueller Strategie und den sozialen Prestigebedürfnissen, die sich mit einer realen Sammlung verbanden. Dabei lassen sich bereits im Verlauf der frühen Neuzeit signifikante Verschiebungen registrieren. Der Sprachgebrauch der Humanisten des 16. und 17. Jahrhunderts zeigt eine enge Korrespondenz zwischen den Begriffen musaeum und studio (ebd.: 28). »Museum« als konkreter Ort bezeichnete mithin ein Studierzimmer, einen Raum der konzentrierten Kontemplation, der nicht selten mit Darstellungen der Musen ausgeschmückt war. So schreibt Johann Comenius 1659: »Museum is a place where the Scholar sits alone, apart from other men, addicted to his Studies, while reading books« (zit.n. ebd.: 39). Entgegen unserer heutigen Vorstellung, in der das Museum vollständig mit Öffentlichkeit assoziiert wird, betonte der damalige Wortgebrauch also gerade die private und exklusive Funktion des »Museums« (ebd.: 24). Dies änderte sich indes noch im 17. Jahrhundert, wie Findlen abschließend herausstellt: »The advent of printing and the development of an expanding literate culture outside of the courts, universities and the church signalled the decline of the notion of intellectual privacy presupposed by the medieval and, to a lesser extent, Renaissance notion of collecting. By the seventeenth century the museum had become more of a galleria than a studio: a space through which one passed, in contrast to the static principle of the spatially closed studio. […] The civic notion of museum placed it in motion; forever opening its doors to visitors.« (Ebd.: 39f.)5 Wo Paula Findlen mit Ihrer Untersuchung endet, am Ausgang des 17. Jahrhunderts, setzen Melanie Blank und Julia Debelts ein. Ihre Analyse deutsch5
Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass diese bereits einem breiten Publikum, sondern ausschließlich gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten zugänglich waren (Findlen 2004: 40).
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sprachiger Lexika ergründet die wechselvolle historische Semantik des Begriffs »Museum« vom Anfang des 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und fragt nach »den argumentativen Zusammenhängen, die für die Lexikonautoren bei ihrer Begriffsbestimmung besonders zentral waren« (Blank/Debelts 2002: 15). Sie zeigen, dass »im Zuge der Konstituierung des Museums als Institution in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts […] verschiedene Bedeutungsschichten und Argumentationslinien verloren [gehen]; daß ›Museum‹ zunächst durchaus politisch subversive Bedeutungselemente besessen hat, ›verschwindet‹ seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem kollektiven Gedächtnis« (ebd.: 16). Kennzeichnend für die Einträge des frühen 18. Jahrhunderts sei, dass der Begriff »Museum« »vorrangig für antike Museen, Kultstätten oder Gelehrtenakademien, also in Bezug auf historische Orte gebraucht« (ebd.: 175) werde. Jenseits dieser historischen Referenz stellten die deutschen Lexikographen – abweichend von Findlens Befund, die die entscheidenden Begriffsverschiebungen vor dem Hintergrund des italienischen Kontexts bereits im 17. Jahrhundert ansetzt – noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Semantik des Studierzimmers ins Zentrum ihrer Erläuterung des Begriffs »Museum«. Von der Büchersammlung des antiken Mouseion abgesehen, verbänden die Experten des 18. Jahrhunderts »den Museumsbegriff – wenn überhaupt – nur nebensächlich mit der Bedeutungsschicht ›Museum ist ein Sammlung beherbergender Ort‹. Um Sammelpraktiken und Aspekte des Dinggebrauchs zu erörtern, griffen die Lexikographen zu diesem Zeitpunkt auf Bezeichnungen zurück, wie sie Wortbildungen aus Objektbezeichnungen und Raumformen ermöglichen, z.B. Naturalienkammer, Münzkabinett usw. Einige solcher Sammlungen werden, vor allem in der sogenannten Gelehrtensprache, zwar mit ›museum‹, bezeichnet, aber einen Oberbegriff ›Museum‹ als Bezeichnung für dingliche Sammlungen gibt es nicht.« (Ebd.)6 6
Diese Uneindeutigkeit des Wortes »Museum« führte noch im Jahr 1827 zu einem erbitterten Streit um die korrekte Benennung einer Einrichtung zur Aufbewahrung und Präsentation des königlich-preußischen Kunstbesitzes. Der mit der Ausarbeitung einer Inschrift betraute Aloys Hirt legte folgenden Entwurf vor: »FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII – »Friedrich Wilhelm III. stiftete zum Studium der Altertümer jeder Art sowie der freien Künste 1828 dieses Museum.« Staatsrat Johann Wilhelm Süvern brachte die ablehnende Position eines großen Teils der preußischen Gelehrtenschaft zum Ausdruck, wenn er gegen Hirts Vorschlag des Begriffs »Museum« einwandte: »Während des gesamten Alterthums wurden nur Orte mit diesem Ausdruck bezeichnet, wo man sich der Wissenschaft und dem Studium der Wissenschaften widmete und niemals Orte, welche als Verwahrungsstellen für ar-
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Um 1800 seien mit dem Begriff noch weitere, ganz andere Facetten verbunden: »Museum bezeichnete einen Ort der Geselligkeit der – sinngemäß – folgendes umfassen konnte: einen Verkaufsort mit wechselnden Ausstellungen, ein Kaffeehaus, eine Akademie, eine Leihbibliothek, ein selbstverwaltetes Kulturzentrum, ein Konzert- und Ballhaus und nicht zuletzt einen Ort, an dem sich Politikverständnis ebenso wie Kunst- und Wissenschaftsvorstellungen bilden und festigen konnten, ein Ort des Diskurses, des Umgangs mit Menschen, meist unter Männern.« (Ebd.: 176) Diese Bedeutungsvielfalt zeige der Museumsbegriff einhundert Jahre später nicht mehr: Seit den Museumsgründungen der Franzosischen Revolution schiebe sich »nicht nur die Bedeutungsschicht des Museums als Sammlungen beherbergender Ort ins Zentrum, vielmehr stehe der Museumsbegriff nun für das Abgrenzen gegenüber ›alten‹ Sammel- und Veröffentlichungspraktiken, meint das Neue der öffentlichen Zugänglichkeit zu Sammlungen, und impliziert neue, nämlich öffentliche Verfügungs- und veränderte Präsentationsformen« (ebd.: 176). Blank/Debelts (2002: 177) resümieren: »Unter dem Anliegen, das Wissen von Fachleuten an Laien vermitteln zu wollen, werden die Lexika zum Sprachrohr einer fachwissenschaftlich und/ oder bürokratisch orientierten Museumselite und popularisieren jenen verengten Museumsbegriff, der das Museum – zugespitzt formuliert – zu einer Anstalt des Sammelns, Bewahrens und Ausstellens des 20. Jahrhunderts macht.«
III. »[T]he museum, as a general category or as a specific site, is in effect a palimpsest: when we remove the latest and most visible layer of its existence we find traces of earlier institutions, aesthetics, hierarchies of value, and ideologies.« (Bettina Messias Carbonell 2004: 2)
Bettina Messias Carbonell verweist auf die historische Tiefe und Viel-Schichtigkeit des Phänomens Museum. Markiert sei mit dem Zitat der Übergang von der begriffs- zur institutionengeschichtlichen Betrachtung. Statt den Blick auf die unterschiedlichen institutionellen Formationen zu richten, die zu verschiedenen Zeiten mit dem Begriff »Museum« belegt wurden, geht diese Sicht von der modernen Gestalt des Museums als Institution des Sammelns,
chäologische und Kunstgegenstände dienten.« Der Disput wurde schließlich mangels zündender Alternativen pragmatisch entschieden, und die Hirtsche Inschrift ist noch heute über dem Eingang zum Alten Museum in Berlin zu lesen (vgl. Crimp 1996: 296ff.).
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Bewahrens und Ausstellens von Dingen aus und identifiziert in der Rückschau dessen Vorläufer, Wurzeln und Karriere. Die gewöhnliche Erzählung der Geschichte des Museum entfaltet zumeist eine institutionelle Genealogie, die in nuce folgende Etappen vorweist: »Von Tempelsammlungen über das Museion in Alexandria zu Reliquienschatzkammern des Mittelalters, den ›Kunst- und Wunderkammern‹ in Renaissance und im Absolutismus bis zum verwissenschaftlichten und ausdifferenzierten Museumswesen des 19. Jahrhunderts« (Blank/Debelts 2002: 12).7 Zahlreiche Autoren haben diese Erzählung in den letzten Jahrzehnten mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung ausbuchstabiert (Bazin 1967; Alexander 1979; HooperGreenhill 1992; Bennett 1995; Gerchow 2002; Vedder 2005). Die eigentliche Geschichte des Museums beginnt nach Krzysztof Pomian am Ende des 15. Jahrhunderts in Rom. Am 15. Dezember 1471 übergab Papst Sixtus IV. dem römischen Volk eine Sammlung von Antiquitäten, die die Größe der römischen Vergangenheit bezeugen sollten. Von der päpstlichen Residenz im Lateran, wo sie jahrhundertelang verwahrt worden waren, wurden diese auf den Kapitol, den Sitz der Stadtverwaltung, überführt: »Ohne sich dessen bewusst zu sein, gründete Sixtus IV. mit jener Entscheidung das erste Museum der Welt – so zumindest interpretieren es alle Museumshistoriker seit Ende des 19. Jahrhunderts« (Pomian 2007: 16). Denn mit der Verlagerung der antiken Schätze auf den Kapitol verband sich eine Reihe von Maßnahmen, die in Keimform die moderne Institution des Museums vorwegnahmen: Im Gegensatz zu früheren Zeiten war die Sammlung hier im doppelten Sinne öffentlich. Sie war öffentlicher Besitz und sie war öffentlich zugänglich – wenn auch nur für die begrenzte Teilöffentlichkeit der politischen, wirtschaftlichen und akademischen Elite. Sie sollte nun auf unbestimmte Zeit erhalten und somit auch zukünftigen Generationen präsentiert werden. Im Zuge dessen wandelte sich auch die Funktion der Dingsammlung und -präsentation. Sie zielte nicht mehr, wie die mirabilia mittelalterlicher Schatzkammern, auf den Austausch zwischen einer diesseitigen und einer jenseitigen Welt, sondern auf die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und gewann hieraus ihre gesellschaftliche Rele7
Blank/Debelts (2002: 12) erwähnen die zitierte Abfolge in kritischer Absicht. Eine derartige Darstellung lehnen sie ab, da der Institution auf diese Weise eine »bruchlose und harmonische Geschichte« eingeschrieben werde. Unterbelichtet sei darin etwa, dass fast alle Kunst- und Wunderkammern im Formierungsprozess des Museums im 19. Jh. aufgelöst und zerstört worden seien. Weniger Bedenken gegenüber solcher Traditionsbildung zeigt Hans Belting der etwa vermerkt, dass der Hofmann Lausos schon Ende des 4. Jahrhunderts, nachdem der christliche Kaiser alle Tempel hatte schließen lassen, in Konstantinopel ein privates Museum einrichtete, in dem er die nun obsoleten Kultbilder als Kunstwerke sammelte (Belting 2001: 30).
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vanz: »Sie galt als sichtbarer Beweis für die Kontinuität zwischen dem alten und dem modernen Rom und war in diesem Sinne Träger der römischen Identität« (Pomian 2007: 17). Das Museum entwickelte sich von hier aus zunächst zu einem italienischen, dann zu einem europäischen und schließlich einem weltweiten Phänomen. Martin Prösler (2000: 328) skizziert diesen Prozess als Dynamik aufeinander folgender Expansionswellen. In einer ersten Welle im 15. und 16. Jahrhundert gründeten sich Kunst- und Wunderkammern als frühe Formen des Museums in den Zentren des frühneuzeitlichen Europas, etwa in Florenz, Madrid, Paris, London und Prag. Objekte unterschiedlichster Herkunft und Zweckbestimmung – Kunstwerke, Antiquitäten, Bücher, Naturalien, technische Geräte sowie Kuriositäten und Exotika – wurden hier gemeinsam präsentiert und sollten im Sinne eines theatrum mundi den universalen Zusammenhang der Welt darstellen (Impey/MacGregor 1985; Grote 1994; Arnold 2006). Die Kunst- und Wunderkammer von Ferdinand II. von Tirol (1529-1595) auf Schloss Ambras zählt zu den bedeutendsten noch erhaltenen Sammlungen dieser Art. Ein zweiter Museumsboom beginnt in Europa Mitte des 18. Jahrhunderts. Seinen Ursprung hat dieser in einer sukzessiven Öffnung privater, zumeist fürstlicher Sammlungen. Hier liegen die Wurzeln jener Einrichtungen, die wir als die ältesten existierenden Museen der Welt, als die Großen ihrer Art, kennen: Das British Museum entstand 1753, als Sir Hans Sloane seine umfangreiche Sammlung von Kunst und wissenschaftlichen Objekten dem britischen Staat übereignete. 1765 wurden die Uffizien in Florenz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die dort nun erstmals die seit dem 16. Jahrhundert eingerichtete Kunstsammlung der Medici bewundern konnte. Im deutschen Sprachraum entstanden ebenfalls bedeutende »Tempel der Kunst« (Savoy 2006): 1754 etwa das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig, basierend auf dem Kunst- und Naturalienkabinett des Braunschweigischen Herzogs Karl, 1779 das Museum Fridericianum in Kassel mit dem ältesten eigens für diesen Zweck errichteten Museumsbau Europas oder das Obere Belvedere in Wien, wo die »Kaiserliche Gemäldegalerie« ab 1781 in begrenztem Maße für das Publikum geöffnet wurde. Am Ende des 18. Jahrhunderts steht schließlich jenes Museum, das wie kein zweites die Umwandlung fürstlicher Sammlungen und die geschichtliche Entwicklung zum modernen, öffentlichen Museum repräsentiert: der Louvre. Auf Dekret der Nationalversammlung, im Zeichen der Revolution, öffnete der ehemalige Stadtpalast der französischen Könige am 10. August 1793 seine Pforten und zeigte deren Sammlung erstmals einem größeren Publikum. In der Folge wurde das erste öffentliche Museum Frankreichs mit weiteren verstaatlichten Sammlungen und den Beutestücken der napoleonischen Eroberungen angereichert. Aufgrund der paradigmatischen Stellung, die der Fall des Louvre in der Museumsgeschichte einnimmt, kommt Georges
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Bataille (2005: 64) zu dem prägnanten Schluss, dass der Ursprung des modernen Museums untrennbar mit der Entwicklung der Guillotine verbunden sei.8 Im Gefolge der Öffnung hielt auch die Idee der Nation im Museum Einzug. Ehemals dynastische Sammlungen wurden in Inventare der Nation umgedeutet. Was einst die Macht und Sammelleidenschaft von Fürsten dokumentiert hatte, wurde nun zum Beleg der ›inneren Tiefe‹ der Nation. Gleichsam national gewendet, konnten die Sammlungen und ihre Arrangements die ersehnte ›eigene Kultur‹ oder die privilegierte Stellung im Zivilisationsprozess repräsentieren und so Nationalbewusstsein und -stolz befördern. Daneben erlaubte der Besitz von Artefakten anderer Kulturen insbesondere Kolonialnationen, sich ihrer Fähigkeit zu rühmen, jenseits nationaler Grenzen zu sammeln und Kontrolle auszuüben, was zugleich den weltpolitischen Rang und Anspruch der Nation bezeugen sollte. Über separierende Darstellungen ließen sich schließlich Vorstellungen von der eindeutigen Abgrenzbarkeit verschiedener Kulturen kommunizieren und mittels evolutionistischer Reihungen die kulturelle, technologische und moralische Überlegenheit der ›eigenen Kultur‹ proklamieren (Macdonald 2000; Bennett 1995: 36f.). Mit Beginn des 19. Jahrhunderts gingen die Initiativen zur Gründung von Museen in Europa dabei zunehmend von einem erstarkenden Bürgertum aus (vgl. etwa Kretschmann 2006), was als maßgebliches Charakteristikum für die Entwicklung der Institution vom 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägend wurde. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert setzte eine erste globale Ausbreitungswelle ein, die zuerst die weißen Siedlerkolonien erreichte. Mit dem Museum in Charleston (South Carolina) wurde 1773 das erste Museum Nordamerikas gegründet. 1786 folgte das American Museum von Charles Willson Peale in Philadelphia, für das bei seinem Umzug nach Baltimore 1814 das erste Museumsgebäude der westlichen Hemisphäre errichtet wurde. Das erste Museum Lateinamerikas entstand 1815 in Rio de Janeiro, das erste Australiens 1821 in Sydney, das erste Afrikas 1825 in Kapstadt. Im asiatischen Raum wurden in Batavia (heute Jakarta) 1778 und in Kalkutta (Kolkata) 1796/1814 Museen eröffnet (vgl. auch Nair 2007). Eine neuerliche Gründungswelle ab den 1870er Jahren führte zur starken Zunahme der Zahl der Museen in Europa und Amerika und fundiert die Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts als »Museum Age« (Bazin 1967). Zunehmend professionalisierte Museen avancierten zu Schaufenstern wissenschaftlichen Fortschritts, industrieller Leistungsfähigkeit und kolonialer Mission. »Zeit8
Dem steht auch nicht entgegen, dass Edouard Pommier (2006) das Wiener Obere Belvedere im Vergleich mit dem Louvre zum »revolutionäreren« Museum erklärt. Denn als entscheidendes Kriterium gilt ihm nicht Öffentlichkeit, sondern die Hängung nach kunsthistorischen Prinzipien.
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gleich füllt eine zweite globale Ausbreitungswelle die weißen Flecken der Museumskarte« (Prösler 2000: 328): An der Wende zum 20. Jahrhundert hielt das Museum als westliches Exportmodell – teils im Gepäck der Kolonisatoren, teils als Ausweis von Modernität durch einheimische Eliten gefördert – auch in Thailand, Japan, China und Korea, in Ägypten, Tunesien, Simbabwe und Kenia sowie in weiteren Ländern Asiens und Afrikas Einzug. Im Zuge der Dekolonisation und Staatsgründung in den südlichen Kontinenten erhielt diese Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg einen weiteren Schub. Seit den 1970er Jahren schließlich lässt sich der jüngste globale Museumsboom registrieren, der bis heute anhält und für einen solch sprunghaften Anstieg der Museumszahlen sorgte, dass nun 90-95 Prozent der Museen weltweit nicht älter als 50 Jahre sind (Kreps 2003: 20f.; Hoelscher 2006: 201). Die Geschichte des Museums ist indes nicht allein durch geographische, sondern auch durch thematische und disziplinären Verästelung charakterisiert. Es ist eine Geschichte von zeitgleich fortschreitender Expansion und Ausdifferenzierung. »Während der ersten drei Jahrhunderte seines Bestehens war das Museum entweder eine Gemälde- und/oder Skulpturengalerie oder ein Kabinett für Naturgeschichte«, schreibt Pomian (2007: 17). Die in der Spätrenaissance entstandenen und im Barock in voller Blüte stehenden Wunderkammern spalteten sich im Angesicht des zunehmenden Bemühens um rationale Klassifizierung, das sich im Zuge der Aufklärung durchzusetzen begann, nach und nach in diese beiden Haupttypen auf. »Übrig blieb ein Rest aus historischen Monumenten, exotischen Objekten und diversen Kuriositäten, die im 19. Jahrhundert ihren Platz in neuartigen Museumstypen fanden.« (Ebd.: 18) In Frankreich bildeten sich neben dem Louvre, der sich im Windschatten der napoleonischen Eroberungen zum bedeutendsten Kunstmuseum Europas entwickelt hatte, neuartige Institutionen, wie die Werkzeug- und Maschinensammlung des Conservatoire national des arts et métiers, Lenoirs nationalgeschichtliches Musée des Monuments Français9 oder das Musée d’Artillerie, das später im Invalidendom untergebracht und zum Musée de l’Armée ausgebaut wurde. In England entstand im Gefolge der Londoner Weltausstellung von 1851 mit dem South Kensington Museum (seit 1899 Victoria and Albert Museum) der äußerst einflussreiche Typus des Kunstgewerbemuseums. Hier wurden künstlerische Objekte nicht mehr als reine Kunstwerke, die ehrfürchtiges Staunen oder eine Ahnung von der Größe ihrer Sammler hervorrufen sollten, präsentiert, sondern als Mittel zur Bildung der Massen. Die Gründung 9
Verwiesen sei hierzu aus der Fülle der Literatur nur auf die Studie von Stephen Bann (1988), der Lenoirs Museum dem späteren Musée de Cluny von Alexandre du Sommerard gegenüberstellt, um so (im Anschluss an Michel Foucault) bedeutende epistemologische Verschiebungen am Übergang zur Romantik freizulegen.
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markierte damit, wie Tony Bennett (1995: 70-72) darstellt, einen Umschwung in der britischen Museumspolitik, insofern das neue Museum explizit als Instrument zur Erziehung einer breiten Öffentlichkeit (inklusive proletarischer Schichten) entworfen wurde. Zum Ende des 19. Jahrhunderts nahmen sich Neugründungen, speziell in Deutschland, den entstehenden Disziplinen der Volks- und Völkerkunde an und das Berliner Museum für Völkerkunde wuchs unter Gründungsdirektor Adolf Bastian schnell zum weltweit bedeutendsten seiner Art (Penny 2002). Daneben entstanden als weiterer Großtypus, nicht zuletzt angestoßen durch den Erfolg von Welt- und Industrieausstellungen, Technikmuseen wie das 1903 gegründete Deutsche Museum in München (Füßl/Trischler 2003). Mit dem Stockholmer Skansen begründete Artur Hazelius 1891 die Tradition der Freilichtmuseen und das Heimatmuseum widmete sich in Deutschland, wie in Frankreich die musées cantonaux oder in Italien die musei di storia patria, schließlich seit Beginn des 20. Jahrhunderts lokaler Kultur und Geschichte und führte die Institution Museum über die Großstädte hinaus in bis dato kulturell unterversorgte Gegenden (Roth 1990). Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts gewann der Prozess der Ausdifferenzierung schließlich in einer Weise an Dynamik, dass jene verzweigte Museumslandschaft entstand, die eingangs skizziert wurde. Vier Anmerkungen mögen diese knappe Standarderzählung der Geschichte des Museums ergänzen und in einigen ausgewählten Bereichen komplexer fassen: (1.) Die erste Anmerkung betrifft das Verhältnis des Museums zu seinem Publikum und das Narrativ der sukzessiven Öffnung. Impliziert ist darin nicht einfach der Zugang für ein breiteres Publikum, sondern eine fundamentale Transformation des Museums, sowohl in seiner Erscheinung als auch seiner gesellschaftlichen Funktion. Bis weit ins 19. Jahrhundert war das Museum eine Einrichtung von Kennern für Kenner, was auch bedeutet: von Angehörigen einer gesellschaftlichen Elite für eben jene Elite. Objekte hatten wertvoll, spektakulär, schön und gut erhalten zu sein, die Präsentationen wohl ausgeleuchtet und sinnvoll gegliedert, jedoch sparsam oder gar nicht betextet und erläutert. Ausstellungen boten Gelegenheit für intellektuelles Vergnügen und gelehrtes Gespräch im Rahmen eines relativ homogenen Kreises von Machern und Publikum (Pomian 2007: 18). Im 19. Jahrhundert begann diese Situation unübersichtlicher zu werden. Weitere Kreise forderten, im Einklang mit den Plädoyers von Reformern, Einlass, was sich symptomatisch im Streit um die Verlängerung der Öffnungszeiten zugunsten der arbeitenden Bevölkerung ausdrückte. Begleitet wurde die Entwicklung vielerorts von erbitterten Debatten, in der regelmäßig das Szena-
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rio einer Stürmung der Musentempel durch unzivilisierte Massen beschworen wurde (Bennett 1995: 70ff., auch 55-58).10 Dessen ungeachtet begann sich das Gesicht des Museums langsam zu wandeln: »Um Museen auch den ›niedrigeren Klassen‹ der Gesellschaft zugänglich zu machen, mussten der Anspruch auf ›ordentliche‹, d.h. formale Kleidung gelockert werden; außerdem mussten die Museen ihre Eintrittsgelder verringern oder der Eintritt sogar umsonst sein« (Pomian 2007: 19). In den Präsentationen wurde nun weit mehr Wert auf Vermittlung und Erklärung der Objekte gelegt. Dies begann bei einer besseren Lesbarkeit der Exponatbeschriftungen, setze sich fort in der Einführung zusätzlicher erläuternder Texttafeln und fand seine Ausdruck schließlich in einer Aufteilung vieler Museen in Schau- und Studiensammlungen, um die Bedürfnisse eines zunehmend heterogenen Publikums aus Laien und Experten zu bedienen.11 Der Trend zu einer Öffnung des Museums und der Versuch einer Erschließung immer weiterer »museumsferner Schichten« setzte sich im 20. Jahrhundert in beschleunigter Weise fort. Beim Ausbau museumspädagogischer Programme und populärer Hands-On-Ausstellungen übernahmen insbesondere amerikanische Museen eine Vorreiterrolle.12 Hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Funktion transformierten sich Museen so von Einrichtungen der Selbstverständigung und In-Group-Bildung einer Elite zu Institutionen der Bildung und Erziehung einer Masse der Bevölkerung.13 Insbesondere Tony Bennett (1995) betont dabei – an Michel Foucaults Studien zur Gouvernementalität geschult – die Zweischneidigkeit dieses Prozesses. Zum einen wirkte die Öffnung des Museums als Demokratisierung, indem sie 10 Für die tatsächliche Besetzung eines Museums, namentlich der Walker Art Gallery in Liverpool im Kontext von Protesten gegen Arbeitslosigkeit im Jahr 1921 vgl. MacLeod 2007. 11 Vgl. etwa die Bemühungen von Franz Boas als Kurator am American Museum of Natural History um 1900 (Jacknis 1985: 86ff.). 12 Für ein dezidiert amerikanisches Plädoyer zum Ausbau der Museumspädagogik aus dem Jahr 1942 vgl. Low 2004; für Hintergründe zu Hands-On-Museen am Beispiel des ersten Science Centers, dem 1969 gegründeten Exploratorium in San Francisco, vgl. Hein 1993. In diesen Kontext der populären Öffnung lässt sich auch die amerikanische Erfindung der Kindermuseen stellen (vgl. Alexander 1979: 169-183). 13 Kirchberg weist in seinem zweiten Beitrag in diesem Band gleichwohl daraufhin, dass die Funktion der elitären Gruppenbildung dem Museum nicht gänzlich abhanden kam, sondern als eine Facette eingeschrieben bleibt. Dabei ist sicher auch auf Ungleichzeitigkeiten zwischen verschiedenen Museumstypen hinzuweisen. Das Kunstmuseum hat etwa im Vergleich zu Science Centers nach wie vor einen elitären Nimbus.
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bislang ausgegrenzten Gruppen Zugang und Teilhabe ermöglichte. Zum anderen gliederten sich Museen damit in die Reihe moderner Agenturen der Selbstund Sozialdisziplinierung ein. Indem das Museum bestimmte Verhaltensweisen forderte und abweichende sanktionierte, einen bestimmten Geschmack und Wissenskanon als erstrebenswert vorstellte und überdies die Mechanismen permanenter Sichtbarkeit, des Sehens und Gesehen-Werdens, einüben und verinnerlichen ließ, wirkte es ›zivilisierend‹, d.h. bürgerlich normierend, auf sein Publikum ein. Es entwickelte sich damit auch zu einem Instrument des Regierens und der Herrschaft durch Kultur. (2.) Zweitens stellt sich auch das Verhältnis zwischen Museen und akademischen Disziplinen komplexer dar, als es zunächst scheinen mag. Denn lineare Narrative, die die Diversifizierung der Museumslandschaft als reines Epiphänomen der Ausdifferenzierung akademischer Disziplinen darstellen, werden dem Zusammenhang nicht gerecht. Vielmehr ist von einem Wechselund Zusammenspiel auszugehen, in dem das Museum als eine institutionelle Plattform für die Herausbildung und Konturierung neuer Wissensbestände figurierte, wie Tony Bennett (1995: 96) argumentiert: »The birth of the museum is coincident with, and supplied a primary institutional condition for, the emergence of a new set of knowledges – geology, biology, archaeology, anthropology, history and art history – each of which, in its museological deployment, arranged objects as parts of evolutionary sequences (the history of the earth, of life, of man, and of civilization).« Bennetts Pointe lautet, dass erst die Möglichkeiten der räumlichen Ordnung, die das öffentliche Museum wie keine andere Institution bereitstellte, Historizität und Sequentialität als entscheidende Charakteristika der neuen Disziplinen – und damit die Disziplinen selbst – sicht- und erfahrbar machte. Im performativen Nachvollzug der so konstruierten Objektserien im Rahmen des »organized walking« der Ausstellungsrundgänge schrieben sich diese disziplinären Ordnungen in Kopf und Körper der Museumsbesucher ein (ebd.: 178ff.).14 14 Die Bedeutung musealer Ordnungen als Katalysatoren für die Entstehung akademischer Disziplinen (oder zumindest disziplinärer Schulen) illustriert Ira Jacknis (1985) sinnfällig anhand einer Fallstudie über Franz Boas’ Aktivitäten als Kurator am American Museum of Natural History in New York um 1900. Boas formulierte seine ersten Einsichten zu den Grundlagen ethnologischer Forschung im Kontext einer Debatte um die richtige Ordnung völkerkundlicher Ausstellungen. Gegen eine typologische Sichtweise, die sich an äußeren Merkmalen materieller Kultur orientierte und anhand dessen universalmenschliche Erfindungen zu illustrieren suchte, argumentierte Boas für eine holistische Perspektive, die nach der jeweiligen Bedeutung der Dinge innerhalb für sich zu betrachtender Kulturen fragt. Dieser Umschlag von
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Was Bennett insbesondere für die Natur- und Kulturwissenschaften zeigt, gilt gleichermaßen für das Wechselverhältnis von akademischer Kunstgeschichte und Kunstmuseum. Donald Preziosi (2006: 50f.) spricht in dieser Hinsicht von einer komplexen und gespannten Beziehung: »Never entirely distinct institutionally, professionally, or personally, their similarities and differences are not easily articulated: art history is not satisfactorily reduced to being the ›theory‹ to the museum’s ›practice‹, nor the ghost in the museum’s machinery. Nor is the museum simply – if at all – the exemplification or application of art history, or merely the staging or stagecraft of the dramaturgies of art historical analysis and synthesis. If anything, their relations are anamorphic – each transforming the other – rather than direct or transitive.«
Im Anschluss an Preziosi argumentiert Chris Whitehead (2007) in seiner Studie über Kunstmuseen im viktorianischen England etwa, dass diese alles andere als nur Bühne für die Visualisierung andernorts entwickelter Kunstgeschichten waren. Vielmehr dienten sie als Foren für die Entwicklung disziplinärer Praxen und wirkten somit konstitutiv für die Entwicklung der akademischen Disziplin Kunstgeschichte selbst. Am Beispiel der Debatte um die Zukunft des British Museum und der National Gallery um 1850 stellt er drei alternative Konzepte der musealen Ordnung von Kunstwerken und damit von Kunstgeschichte gegenüber. Whitehead kann zeigen, dass sich gegen die Vorschläge einer Ordnung nach Ikonographie oder sozialem Kontext eine institutionellen Gliederung nach stilistischen Gesichtspunkten durchsetzte, die eine folgenreiche Abgrenzung der Malerei als kunsthistorischem Leitgenre nach sich zog.15 Indem er das Museum so als einen zentralen Schauplatz des »boundary work« (ebd.: 55), der Aushandlung disziplinärer Charakteristika und Demarkationen, beschreibt, gelingt ihm eine Dynamisierung konventioneller museumsgeschichtlicher Narrative. (3.) Christina Kreps formuliert – und dies führt zur dritten Anmerkung – einen wichtigen Einspruch gegen die weit verbreitete (und hier ausgebreitete) Anschauung des Museums als einer Institution, die ihren Ausgang von Europa Form zu Bedeutung markiert einen entscheidenden Moment in der Entwicklung des Fachs, stellte sich zunächst allerdings auf dem Terrain des Museums. Erst als Boas hier scheiterte (an spezifischen institutionellen Widerstände ebenso wie an den charakteristischen Erfordernissen musealer Präsentation), zog er sich an die Universität zurück und wurde dort zum Begründer der amerikanischen Kulturanthropologie. 15 Als anderes Beispiel ließe sich Alfred H. Barrs Konzeption des Museum of Modern Art in New York City heranziehen, in dem die Geschichte moderner Kunst nicht gespiegelt, sondern erst erfunden wurde (Kantor 2002).
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nimmt und ideen- wie institutionengeschichtlich fest in der europäischen Moderne verankert ist. Wenngleich mit Blick auf die historischen Fakten einiges für eine solche Interpretation spreche, sei es notwendig zu hinterfragen, wie solche Narrative der Museumsgeschichte ihrerseits dazu beigetragen hätten, eine eurozentrische Museumsideologie zu konsolidieren und ein westliches Modell des Museums weltweit zu reproduzieren (Kreps 2003: 20). Kreps diskutiert dies anhand eines indonesischen Fallbeispiels, um Kenneth Hudsons (1987: 3) Befund zu illustrieren, wonach Museen sich zum einen überall als Museen von anderen Institutionen unterscheiden, zum anderen aber abhängig von der Gesellschaft, in der sie ihre Aktivitäten entfalten, jeweils eine spezifische Färbung annehmen. So entdeckt Kreps in dem indonesischen Museum, dass die Grundlage ihrer Untersuchung bildet, eine andere Haltung gegenüber Objekten, als sie in westlicher museologischer Praxis zu erwarten wäre. Die Trennung zwischen Museum und Lebenswelt, das Herauslösen von Objekten aus ihrem ursprünglichen Kontext und die dauerhafte Einbindung in den neuen Kontext der musealen Sammlung und Ausstellung – eine Praxis, die Museumsdinge nach westlicher Lesart erst als solche konstituiert (vgl. Kirshenblatt-Gimblett 1998: 18ff. zur poetics of detachment bzw. die Ausführungen von Flügel 2005 zur Musealität) – wurde dort weit weniger strikt praktiziert. Objekte wanderten vielmehr zu verschiedenen Anlässen zwischen dem Museum und dem alltäglichen Gebrauch außerhalb dessen Mauern. Des weiteren sträubten sich Museumsmitarbeiter gegen die in europäischen Museen ganz übliche Praxis, einzelne Objekte metonymisch für Objektklassen oder gesellschaftliche Sachverhalte stehen zu lassen. Das individuelle Objekte sollte stets nur sich und seine individuelle Geschichte repräsentieren (Kreps 2003: 30-33). Kreps (2003: 46-78; auch Simpson 2007) beschreibt eine Reihe nicht-westlicher Modelle des Museums und der kuratorischen Praxis. Sie legt dar, dass indigene Museen oder Cultural Centers in vielen Fällen als Fortsetzung und Erweiterung älterer Traditionen, etwa des meeting house bei den Maori (ebd.: 44), gesehen werden können, was darauf verweist, dass museumsartige Strukturen und Haltungen in vielen indigenen Gesellschaften nichts fundamental Neues darstellen.16 Zugleich ergäben sich daraus hybride Modelle und Praxen, die sich nicht vollständig einer europäischen, kolonialen Museumstradition 16 Ein solcher Perspektivwechsel hat weitreichende Implikationen. Eine Korrektur der Vorstellung, dass nicht-westliche Gesellschaften der Pflege und Bewahrung ihrer materiellen Kultur in aller Regel keine große Bedeutung beimessen, relativiert nicht zuletzt das in legitimatorischer Absicht und häufig im Angesicht von Rückgabeforderungen vorgebrachte Argument, westliche Museen müssten notwendigerweise die Aufgabe übernehmen, Erzeugnisse indigener Kulturen zu sammeln und zu bewahren.
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einschreiben und anverwandeln lassen und sich einer – häufig staatlicherseits unter dem Label der »Modernisierung« und »Professionalisierung« geforderten – Angleichung an europäische Herangehensweisen widersetzen. (4.) Barbara Kirshenblatt-Gimblett (2004: 187) schließlich schlägt eine fundamental andere Perspektive auf die Geschichte des Museums vor, eine Erzählung nämlich, die der Institution eine Genealogie des Utopischen einschreibt. Sie erklärt: »Man könnte eine Geschichte des Museums schreiben, die dieses als Aneinanderreihung utopischer Projekte offenbart.« Denn: »Sowohl in literarischen Utopien als auch in Museen geht es um Welterzeugung. Um die phantasievolle Beschäftigung mit der Möglichkeit eines vollkommenen Universums.« Das Museum sei damit von jeher durch seine charakteristische Doppeldeutigkeit gekennzeichnet. Es sei »zugleich eine architektonische Form, eine konkrete Umgebung zur Reflexion, ein Reservoir an Greifbarkeiten, eine Schule für die Sinne, ein Raum für Geselligkeit, ein autopoietisches System und ein Entwurf der idealen Gesellschaft, trotz der zahlreich dokumentierten Spannungen zwischen dem utopischen Ideal des Museum und seinen Instrumentalisierungen.« Kirshenblatt-Gimblett belegt ihre Anschauung mit Verweis auf einige historische Ausprägungen dieser Facette des Museums, etwa der Renaissance-Vorstellung eines Idealmuseums, das – abgelegen, rund und geordnet wie Thomas Morus’ Inselstaat Utopia – als gewölbte Rotunde auf der Spitze eines Berges konzipiert war und einer Arche Noah gleich mit einem kompletten Satz von Exemplaren das Material für eine vollendete Neuerschaffung der Welt bereithielt. Sie verfolgt die Spuren dieser Auffassung durch die Zeit und kommt zu dem weitreichenden Schluss: »Das Museum ist also nicht einfach ein Ort, der für die Utopie steht, sondern vielmehr einer, an der sie als Vorstellungsweise praktiziert wird.« (Ebd.: 189)17 Kirshenblatt-Gimblett legt im Anschluss daran nahe, dass ebenso wie diese utopische Genealogie des Museums auch sein utopisches Potenzial verschüttet sei, das in der Fähigkeit liege, »Spekulation, Reflexion, Retrospektion und Prospektion hervorzurufen und in Gang zu halten, seien sie durchdacht oder erträumt« (ebd.: 194). Mit dem Aufruf zur Rettung dieses Potenzials verschiebt sich ihr Gestus schließlich von der Rekonstruktion zur Vorwärtsprojektion, von der De- zu Präskription, wenn sie fragt: »Wie könnte eine frühere Konstellation aus Staunen, Neugier und gespannter Aufmerksamkeit das Museum als uto17 Vgl. ergänzend und kontrastierend Michel Foucaults Einschreibung des Museums in die Reihe der Heterotopien, jene »tatsächlich realisierte[n] Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb einer Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können« (Foucault 1997: 265).
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pisches Labor von heute beleben?« (Ebd.) Mit der Vorstellung des Museums als »utopisches Labor« verfolgt Kirshenblatt-Gimblett eine spezifische Ansicht der Institution, die, wiewohl historisch fundiert, weit über eine Rekonstruktion ihrer Geschichte hinausgeht. Vielmehr führt sie damit eine spezifische konzeptionelle Fassung des Museums ein und eröffnet so die Debatte um Definitionen und Entwürfe, der die vierte Umkreisung nachgehen soll.
IV. »[…] the museum is a whorehouse is a mausoleum is a department store is a secular cathedral is a disease is a glory […]« (Barbara J. Black 2000: 19)
Der US-amerikanische Aktionskünstler Allan Kaprow gab 1967 in einem frühen Dokument der Institutionenkritik zu Protokoll: »Museen im Allgemeinen widern mich an; ihr Geruch nach einem heiligen Tod verletzt meinen Realitätssinn.« Für die Ermöglichung, Präsentation und Verbreitung zeitgenössischer Kunst, um die es ihm ging, sei das Museum denkbar ungeeignet, mehr noch: »Das Museum tut mehr, als solche Arbeiten vom Leben abzutrennen, es verleiht ihnen eine leicht sakrale Aura und tötet sie damit.« Abschließend schränkt Kaprow seinen bilder- und museumsstürmerischen Furor jedoch ein und endet auf einer optimistischen Note. Anders als Filippo Tommaso Marinetti, der in seinem Futuristischen Manifest von 1909 eine möglichst restlose Zerstörung der Institution gefordert hatte, sieht Kaprow Möglichkeiten der Erneuerung: »Es geht nicht so sehr um die Abschaffung aller Museen – sie sind genau das richtige für die Kunst der Vergangenheit –; es geht eher um die Erweiterung der Museumsfunktion auf den Bereich gegenwärtiger Anforderungen, wo sie als Kraft für Erneuerungen, die außerhalb ihrer physischen Grenzen liegen, wirken kann. Vielleicht wird dann das Museum irgendwann die ekelhafte Assoziation mit der Heiligkeit los, die ihm noch von einer anderen Zeit als Erbe anhaftet. Dann wird es hoffentlich eine Erziehungseinrichtung werden, eine computerisierte Datenbank der Kulturgeschichte und ein Träger für Aktionen« (zit.n. Esche 2007: 21; vgl. auch Kravagna 2001). Stätte eines heiligen Todes, streng der Gegenwart abgewandt, ein Trennkeil zwischen Kunst und Leben – oder aber: eine Erziehungseinrichtung, eine Datenbank der Kultur, ein Träger für Aktionen: Kaprow entwirft in seiner engagierten Tirade en passant Definitionen des Museums – und um solcherart Definitionen, um alternative konzeptionelle Fassungen des Museums soll es nun in dieser vierten und letzten Umkreisung gehen. Kaprows Text eignet sich hierbei als Einstieg, da er in nuce einige Motive der lang anhaltenden Debatte um das Museum, in der immer auch dessen Funktionen postuliert und Kon-
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turen formuliert wurden, vorführt: die museale Metaphorik der Lebensferne und des Todes; die ungeachtet dessen ansehnliche und anhaltende kulturelle Bedeutung der Institution in der modernen Gesellschaft; die Hassliebe, mit der kritische Künstler und Wissenschaftler dem Museum von jeher begegneten; und schließlich die Hoffnung auf seine Reformierbarkeit, auf Entwendung seiner ideologischen Autorität und Nutzung als Plattform progressiver gesellschaftlicher Veränderung. Doch bevor diese Stränge vertieft werden, sei zunächst die Position des internationalen Museumsbundes ICOM, der institutionalisierten Vertretung der Branche also, angeführt. In den Statuten des Verbandes (in der Fassung vom 24.8.2007) ist folgende Definition niedergelegt: »A museum is a nonprofit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment.«18 Die maßgeblichen äußeren Bestimmungsfaktoren sind demnach ein nicht-kommerzielle Charakter, Dauerhaftigkeit, Öffentlichkeit und die Orientierung auf ein – nicht näher bestimmtes – gesellschaftliches Wohl. Als Aufgabenfelder nennt die Definition das Sammeln, Bewahren, Erforschen, Vermitteln und Ausstellen des materiellen und immateriellen Kulturerbes der Menschheit und ihrer Umwelt sowie als Zwecke Bildung, Forschung und Vergnügen. In ganz ähnlicher Weise zieht auch der Deutsche Museumsbund die Grenzen dessen, was als Museum verstanden werden soll. Die letzte eigenständige Definition stammt aus dem Jahr 1978 und legt die Aufgaben und das Selbstverständnis des Museums dar: »(1.) Ein Museum ist eine von öffentlichen Einrichtungen oder von privater Seite getragene, aus erhaltenswerten kultur- und naturhistorischen Objekten bestehende Sammlung, die zumindest teilweise regelmäßig als Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich ist, gemeinnützigen Zwecken dient und keine kommerzielle Struktur oder Funktion hat. (2.) Ein Museum muß eine fachbezogene (etwa kulturhistorische, historische, naturkundliche, geographische) Konzeption aufweisen. (3.) Ein Museum muß fachlich geleitet, seine Objektsammlung muß fachmännisch betreut werden und wissenschaftlich ausgewertet werden können. (4.) Die Schausammlung des Museums muß eine eindeutige Bildungsfunktion besitzen.«19 18 Vgl. http://icom.museum/statutes.html (letzter Zugriff: 3.12.2008). Für einen Einblick in die Diskussionen um die zeitgemäße Veränderung der Definition vgl. ICOM News 57 (2004) 2. Systematisch analysiert ist die Entwicklung alternativer Definitionen von »Museum« bei van Mensch 1992: Kap. 24. 19 Museumskunde 43 (1978) 2, o.S; vgl. auch www.museumsbund.de/cms/fileadmin/
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Nicht als Museum gelten demnach konzeptionslose Ansammlungen von Objekten ohne fachbezogenen Hintergrund, Sammlungen ohne Bildungsfunktion, fachbezogene, doch nicht zuletzt kommerziellen Zwecken dienende Verkaufsschauen, rein didaktisch und informativ ausgerichtete Ausstellungen ohne zugrunde liegende Sammlung sowie, umgekehrt, rein wissenschaftliche Sammlungen, die nicht regelmäßig für die Öffentlichkeit zugänglich sind (vgl. auch Vieregg 2007: 39). In Stein gemeißelt sind diese Definitionen gewiss nicht, mögen sie auch noch so umfassende Gültigkeit beanspruchen. Insofern die begriffliche Bestimmung der Institution Museum stets Zeitströmungen, politische Positionen und gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt, unterliegt sie ihrerseits stetigem Wandel sowie stetiger Diskussion und Kritik. Überdies sind die nationalen und internationalen Museumsverbände beileibe nicht die einzigen Akteure, die sich daran versuchen, Gestalt, Funktion und Wesen des Museums zu bestimmen. Nicht zuletzt haben sich Forscher zahlreicher Disziplinen der Herausforderung angenommen, und so hält die weit verzweigte museumswissenschaftliche Literatur inzwischen etliche, verschieden akzentuierte Deutungsangebote bereit. Einige seien abschließend skizziert, auch als Andeutung der vielstimmigen Diskussion, in die sich der vorliegende Band einfügt und die in seinen Beiträgen fortgeführt wird. (1.) Zunächst sei, anknüpfend an Kaprows Bemerkungen, noch einmal auf die lange Tradition der metaphorischen Assoziation des Museums mit Sterben und Tod verwiesen. Als Stammvater dieser Deutungslinie lässt sich Quatremère de Quincy, der große Kunsthistoriker des postrevolutionären Frankreich, bezeichnen. Vor dem Hintergrund der napoleonischen Beutezüge durch Europa kritisierte er das Herausbrechen von Kunst und Kulturgütern aus ihren angestammten Kontexten und ihre Anhäufung in Museen, wo sie, ihrer lebensweltlichen Bezüge und Funktionen entkleidet, notwendigerweise zu toten Anschauungsobjekten absinken würden (Sherman 1994). Ihren prominentesten Vertreter fand die Interpretation, dass das Museum der Kunst ihre Vitalität entziehe, in Theodor W. Adorno. Dessen Definition von Musealität, wenngleich nur beiläufig notiert und nicht weiter ausgearbeitet, ist wohl bekannt: »Der Ausdruck ›museal‹ hat im Deutschen unfreundliche Farbe. Er bezeichnet Gegenstände, zu denen der Betrachter nicht mehr lebendig sich verhält und die selber absterben. Sie werden mehr aus historischer Rücksicht geschaefts/dokumente/varia/Definition_Museum_Klausewitz_in_MuKu_1978.pdf (letzter Zugriff: 3.12.2008). Der bedeutendste Unterschied dieser im Vergleich mit der neueren ICOM-Definition liegt in der dortigen Einbeziehung des immateriellen Kulturerbes und der stärkeren Betonung der Unterhaltungsfunktion von Museen.
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aufbewahrt als aus gegenwärtigem Bedürfnis. Museum und Mausoleum verbindet nicht bloß die phonetische Assoziation. Museen sind wie Erbbegräbnisse von Kunstwerken. Sie bezeugen die Neutralisierung der Kultur.« (Adorno 1977: 181) Adornos viel zitiertes Diktum, das in der Folge über das Kunstmuseum hinaus auf die Institution an sich übertragen wurde, hallt in etlichen neueren Arbeiten nach. Als Beispiele genannt seien nur Barbara Kirshenblatt-Gimbletts (1998: 57) Deutung des Museums als »tomb with a view«, Boris Groys’ (1997: 9) Kennzeichnung kulturhistorischer Museen als »Friedhöfe der Dinge« oder KarlJosef Pazzinis (2003) in immer neuen Variationen durchgespielte Nekrologie des Museums. (2.) Neben die Metapher des Museums als Mausoleum tritt prominent die Rede vom Museum als Spiegel (vgl. exemplarisch die Dualität von mirror und tomb bei Lionnet 2004). So preist etwa Georges Bataille das Museum nicht nur als »Lunge einer großen Stadt«, aus der jede Menschenmenge »gereinigt und frisch« wieder herauskomme, sondern eben auch als »riesenhafte[n] Spiegel, in dem der Mensch sich endlich von allen Seiten anschaut« (Bataille 2005 [zuerst 1929]: 65f.). In verschiedenen anderen Darstellungen erscheinen Museen wahlweise als »Spiegel der Nation« (Raffler 2008) oder »Spiegel des Universums« (Pommier 2006: 63), als »Spiegel der Vergangenheit« (Baragwanath 1973) oder »Europas Spiegel« (Sporn 2005). Aus Sicht einer konstruktivistischen Repräsentationskritik ist diese Metaphorisierung gleichwohl zu hinterfragen. Was Regina Bendix und Gisela Welz vor dem Hintergrund der wegweisenden Writing Culture-Debatte in der US-amerikanischen Kulturanthropologie (Clifford/Marcus 1986) für den Bereich der Herstellung volkskundlichen wissenschaftlichen Wissens skizzieren, lässt sich auf den gesamten Komplex der Repräsentation – und mithin auch auf museale Inszenierungen – übertragen: »Der Begriff der Repräsentation signalisiert die Abkehr von jeglicher unproblematischen Auffassung vom spiegelbildlichen Reproduzieren sozialer Realität und kultureller Handlungen durch die Wissenschaft. Die Politik der Repräsentation: das bedeutet ein kritisches Bewusstsein bei jeglicher Darstellung von volkskulturellen Äußerungen, gerade da, wo bisher darauf bestanden wurde, dass wir Kultur doch nur in einen neuen Rahmen oder performativen Kontext transponieren und das Transponierte dabei unverändert bleibt« (Bendix/Welz 2002: 28; auch Lidchi 1997). Repräsentationen sind demnach Darstellungen von Vorstellungen und stets spezifisch positioniert, kontextualisiert und gefärbt. Folgt man dieser Perspektive so stehen Museen, museale Sammlungen und Ausstellungen, in keinem Abbild-Verhältnis zur Welt außerhalb ihrer Mauern, sondern entwerfen in aktiver Weise Anschauungen der Welt. Aus dem Spiegel des Museums wird
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ein »Zerrspiegel« (Arnoldi 1992; auch Crane 1997), der nur bestimmte Bilder zurückwirft, je nachdem wie er geformt ist und wer ihn in Händen hält. Will man im Lichte dieser Überlegungen die Rede vom Museum als Spiegel retten, so nur, wie Patricia Davison (1999: 145f.) vorschlägt, im Sinne von »museums as mirrors of power«.20 Machtverhältnisse spiegeln sich in musealen Sammlungen, die – in ihrem Bestand wie in ihren Leerstellen – vielfach von kolonialer Eroberung oder kriegerischer Auseinandersetzung, von Geschmack und Einfluss herrschender Schichten, von patriarchaler Dominanz sowie allgemein von vergangenen und gegenwärtigen Interessenkonstellationen zeugen. Sie spiegeln sich in der Aufspaltung und Hierarchisierung in Definierende und Definierte, in Sprechende und Besprochene, die den Kategorisierungen und Inszenierungen des Museums zugrunde liegt. Sie spiegeln sich in der Beachtung bestimmter Themen und Ereignisse und im Ignorieren anderer, im Bewahren bestimmter Geschichten und dem Vergessen anderer, in der Einnahme bestimmter Perspektiven und der Ausblendung anderer. (3.) Das Museum wird in der Literatur indes nicht nur als Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse gedeutet, sondern auch als Ort ihrer Produktion und Reproduktion. So verweist die eingangs zitierte Polemik Allan Kaprows, wie viele andere institutionenkritische Schriften, ex negativo auf die Bedeutung der Institution als »zentraler Machtfaktor in der kulturellen Ökonomie der Moderne« (Kravagna 2001: 7). Es ist gerade diese Feststellung der gesellschaftlichen Autorität des Museums, die es seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder zur Zielscheibe künstlerischer und wissenschaftlicher Kritik werden ließ. In ihrem klassisch gewordenen Essay The Universal Survey Museum von 1980 beschreiben Carol Duncan und Alan Wallach das Museum – insbesondere das Kunstmuseum – in diesem Sinne als »soziale Institution«, deren Funktion in erster Linie ideologisch sei: »It is meant to impress upon those who use or pass through it society’s most revered beliefs and values« (Wallach/Duncan 2004: 52). Denkmalen gleich verkörperten und veranschaulichten Museen durch ihre architektonische Rhetorik, die sich in Gebäuden wie Ausstellungen niederschlage, die Idee des Staates. Museen seien nachgerade Symbole des Staates und Museumsbesuche staatsbürgerliche Rituale, in deren Verlauf zivilisatorische Errungenschaften und staatliche Autorität in eins gesetzt würden (vgl. auch Duncan 1995). Wiewohl sich die Wahrnehmung des Gezeigten durch individuelle Besucher je nach deren kulturellem oder klassenspezifischem Hintergrund unterscheide, werde ihnen letzten Endes stets ein und dieselbe ideologisch aufgeladene Grundstruktur übergestülpt: »By performing the 20 In diesem spezifischen Sinne gebraucht auch Macdonald (1997) die Metapher vom Museum als Spiegel ethnologischer Wissenschaftspraxis.
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ritual of walking through the museum, the visitor is prompted to enact and thereby internalize the values and beliefs written into the architectural script« (Wallach/Duncan 2004: 53).21 Tony Bennett erweitert und nuanciert diesen Befund von der repräsentationalen und performativen Prägekraft des Museums durch Verweis auf die Verwandtschaft und Abgrenzung zu anderen Agenturen des Zeigens und Erzählens. Im Rahmen seines vielbeachteten Konzepts des »exhibitionary complex« argumentiert er, dass die ideologische Funktion und epistemologische Spezifik des modernen Museums nur relational zu bestimmen sei. Zu verstehen sei es als Bestandteil einer »wider range of institutions – history and natural science museums, dioramas and panoramas, national and, later, international exhibitions, arcades and departments stores – which served as linked sites for the development and circulation of new disciplines (history, biology, art history, anthropology) and their discursive formations (the past, evolution, aesthetics, man) as well as for the development of new technologies of vision« (Bennett 1995: 59). Signifikant sei dieses Geflecht von Institutionen, dieser »exhibitionary complex«, insofern darin ältere Arten des Zeigens und Ausstellens wesentlich neu ausgerichtet und auf die Entwicklung moderner Formen (staats-)bürgerlicher Selbstinszenierung abgestimmt wurden. Die spezifische Machtförmigkeit dieser Institutionen sieht er dabei – in einer Reihe mit anderen Formen moderner Sozialdisziplinierung – in ihrem Potenzial zu geschmeidiger Konsenserzeugung und Devianzreduktion: »To identify with power, to see it as […] a force regulated and channeled by society’s ruling groups but for the good of all: this was the rhetoric of power embodied in the exhibitionary complex – a power made manifest not in its ability to inflict pain but by its ability to organize and co-ordinate an order of things and to produce a place for the people in relation to that order.« (Ebd.: 67) Mit dieser Ordnung und Domestizierung abweichenden Verhaltens und Wissens firmiere das Museum als »context for the permanent display of power/knowledge« (ebd.: 66). (4.) Wenn das Museum bei Wallach/Duncan und Bennett überwiegend als Instrument bürgerlicher Ideologie- und Performanzproduktion erscheint, so betonen andere den Charakter der Institution als Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Kämpfe. Die Vorstellung des Museums als Spiegel und Instrument hegemonialer Herrschaft wird so ergänzt und partiell revidiert durch dessen Definition als Arena der konfliktträchtigen Aushandlung gesellschaftlicher Werte und Wissensbestände sowie sozialer und kultureller Zugehörigkeiten. 21 Flora Kaplan (1994: 3) kommt gleichlautend zu dem Urteil, Museen seien »purveyors of ideology and of a downward spread of knowledge to the public«.
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Verschiedene Autoren beschreiben das Museum in diesem Sinne – insbesondere mit Blick auf die gegenwärtige Situation – als »umkämpftes Terrain« (Lavine/Karp 1991: 1) oder gar »battlegrounds for the disputation of various individual agendas and state ideologies« (Message 2005: 472f.). Den Fokus richten solche Deutungen auf den Umstand, dass an musealen Inszenierungen in der Regel eine Vielzahl von Akteuren mit zum Teil konträren Vorstellungen beteiligt ist und die Rezeption durch das Publikum nicht willfährig und passiv erfolgt. Zugleich ist darin die Anschauung infrage gestellt, dass auf der Bühne des Museums22 ausschließlich unwidersprochene, gar obrigkeitlich verordnete Darstellungen zur Aufführung kämen und dass Eliten gleichsam top-down bestimmte Deutungen durchsetzen könnten. Zu korrigieren wäre vor diesem Hintergrund auch das populäre, doch mechanistische Bild des Museums als Identitätsfabrik (so etwa bei Korff/Roth 1990). Denn so sehr das Museum eine Institution der Anerkennung und Verhandlung von Identität par excellence darstellt, wie Sharon Macdonald in ihrem Beitrag zu diesem Band richtig argumentiert, so sehr ist es – anders als im Bild der Fabrik nahegelegt – stets auch ein Austragungsort für Deutungskämpfe und konfligierende Identitätspolitiken. (5.) Noch einmal zurück zu Allan Kaprow: Seine Streitschrift gegen das Museum schließt mit der Aussicht, dass die Institution – bei all ihren möglichen Mängeln – zumindest der Potenz nach ein Ausgangspunkt für gesellschaftliche Veränderung sein könnte, nämlich als »Träger für Aktionen«. Dieser Argumentationsstrang, der von der ideologischen Autorität und Machtförmigkeit der Institution nicht absieht, doch diese progressiv wandeln will, zieht sich in wechselnden Begrifflichkeiten als weiterer roter Faden durch die Diskussion um Wesen und Begriff des Museums. Paradigmatisch formuliert ist die Janusköpfigkeit der Institution und zugleich die Hoffnung auf ihre Reform in Duncan Camerons Essay The Museum – A Temple or the Forum von 1971. Vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der 1960er Jahre skizziert er eine Identitätskrise des Museums zwischen elitärem Beharren auf überkommenen Strukturen einerseits und völliger Auflösung musealer Merkmale in neuen Institutionen, wie erlebnisorientierten Science Centers oder kunterbunten Kulturzentren, andererseits. Ohne ihr etabliertes Standbein, das Sammeln und Bewahren von Objekten und ihr Ausstellen auf Grundlage wissenschaftlicher Expertise, aufzugeben, müssten Museen sich in ihrer Thematik und ihrem Erscheinungsbild 22 Zum Museum als »Bühne« vgl. Korff 2002: 174. Korff verweist dort auf die (vor allem in süddeutschen Idiomen bekannte) Doppelbedeutung von Bühne als Podium/ Schaubühne einerseits und als Speicher/Abstellkammer andererseits und fasst damit sinnfällig die expositorische und depositorische Dimension des Museums.
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öffnen, um ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Diese Stoßrichtung fasst er im Bild des Museums als Forum: »[T]here is something missing in the world of museums and art galleries. What is missing cannot be found through the reform of the museum as temple. In my view, it is clear that that there is a real and urgent need for the reestablishment of the forum as an institution in society […], forums for confrontation, experimentation and debate« (Cameron 2004: 68). Im Konzept des Museums als Forum erscheint die altehrwürdige Institution mithin als Ort des Dialogs und der Debatte, der Innovation und des Experiments, der Partizipation und Demokratie.23 Die Beiträge, die das Museum auf diese Weise – deskriptiv und normativ – als Plattform gesellschaftlichen Wandels entwerfen, sind inzwischen Legion (vgl. nur Spickernagel/Walbe 1976; Sandell 2002, 2007; Janes 2005; Düspohl 2007).24 Der prominenteste und ambitionierteste Vorschlag zur Beschreibung der möglichen Veränderungen im und durch das Museum stammt von James Clifford (1997). Clifford skizziert unter dem Begriff Museums as Contact Zones25 die Vision eines Museums, das diejenigen, dessen Kultur und Geschichte es ausstellt, umfassend und dauerhaft in seine Operationen einbezieht: »When museums are seen as contact zones, their organizing structure as a collection becomes an ongoing historical, political, moral relationship – a power-charged set of exchanges, of push and pull.« (Ebd.: 192) Statt die Öffentlichkeit von gesicherter Warte aus zu erziehen oder zu erbauen, öffnen sie sich alternativen Perspektiven, Interpretationen und politischen Ansprüchen. 23 Es gilt zu ergänzen, dass Cameron – anders als häufig suggeriert – keinen Übergang von »Tempel« zu »Forum« fordert, sondern beide Dimensionen als wichtige und, wenn auch klar getrennt, erhaltenswerte Facetten des Museums betrachtet. 24 Populär ist in den Schriften über das sozial bewusste und dynamisch gewendete Museum neben dem Begriff des »Forums« auch der des »Labors«, etwa wenn Jan Nederveen Pieterse (1997: 140) Museen als »laboratories for experimenting with new cultural combinations and encounters« beschreibt. Die Auffassung vom Museum als Plattform gesellschaftlichen Wandels steht, nebenbei gesagt, diametral gegen eine Definition, die es im deutschen Diskurs der letzten Jahrzehnte zu einiger Prominenz gebracht hat: Hermann Lübbes (1982) Deutung des Museums als Kompensationsanstalt für die belastenden Erfahrungen eines änderungstempobedingten kulturellen Vertrautheitsschwundes. Diese Divergenz ist weiter ausgeführt bei Baur 2008. 25 Den Begriff selbst und das damit verknüpfte Konzept entlehnt Clifford von Mary Louise Pratt. Diese definiert »contact zone« im Rahmen einer Untersuchung kolonialer Verhältnisse als »the space of colonial encounters, the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and establish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict« (zit.n. Clifford 1997: 192).
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Insbesondere gehen sie ergebnisoffene, verbindliche und wechselseitige Beziehungen mit denen ein, die sie repräsentieren, gewähren umfassende Mitsprache und Kontrolle, ohne gleichwohl die Asymmetrien von Ressourcen und gesellschaftlicher Macht zu überspielen. Objekte und Geschichten gelangen so, wenn sie dem Museum auch rechtmäßig überlassen werden, nie in dessen alleinige Verfügungsgewalt, sondern bilden vielmehr die Schnittstellen dieser komplexen Kooperation – »sites of a historical negotiation, occasions for an ongoing contact« (ebd.: 194).26 In dieser Prozesshaftigkeit und Anbindung an gesellschaftliche Dynamiken ist Cliffords Museum als Kontaktzone – um den Bogen zu schließen – maximal entfernt von Adornos Museum als Mausoleum. Die Vielzahl verschiedener Fassungen verdeutlicht den Facettenreichtum des Museums und das vielschichtige Feld seiner Erforschung. Statt diese Vielfalt auf einen Nenner zu bringen, schließe ich mit einer weiteren Öffnung: Barbara Kirshenblatt-Gimbletts (1998: 138f.) in unnachahmlicher Weise hingeworfene Aufzählung zur Beantwortung der Frage »What is today’s museum?« »A vault, in the tradition of the royal treasure room, the Schatzkammer A cathedral of culture, where citizens enact civic rituals at shrines to art and civilization A school dedicated to the creation of an informed citizenry, which serves organized school groups as well as adults embarked on a course of lifelong learning A laboratory for creating new knowledge A cultural center for the keeping and transmission of patrimony A forum for public debate, where controversial topics can be subjected to informed discussion A tribunal on the bombing of Hiroshima, Freud’s theories, or Holocaust denial A theater, a memory palace, a stage for the enactment of other times and places, a space of transport, fantasy, dreams A party, where great achievements and historical moments can be celebrated An advocate for preservation, conservation, repatriation, sovereignty, tolerance A place to mourn An artifact to be displayed in its own right, along with its history, operations, understandings, and practices An attraction in a tourist economy, complete with cafes, shops, films, performances, and exhibitions«
Die letzte Umkreisung endet im Schwindel. Als Erkenntnis bleibt vielleicht nur eins: Wie man ins Museum hineinfragt, so schallt es heraus. 26 Die Hoffnung auf Reform, die bei James Clifford wie beim weniger optimistischen Tony Bennett stets mitschwingt, ist luzide kritisiert bei Dibley 2005.
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MUSEEN ERFORSCHEN. FÜR EINE MUSEUMSWISSENSCHAFT IN DER ERWEITERUNG1
Sharon Macdonald Die Museumswissenschaft ist erwachsen geworden. Insbesondere im Lauf der letzten Dekade ist die Zahl der Bücher, Zeitschriften, Seminare und Veranstaltungen zur Museumswissenschaft enorm angewachsen. Sie hat sich von einem ungewöhnlichen und minoritären Thema in den Mainstream hinein entwickelt. Disziplinen, die sich zuvor relativ wenig um Museen gekümmert hatten, begannen das Museum als Schauplatz zu begreifen, an dem einige ihrer interessantesten und wichtigsten Debatten und Fragen in neuartiger, häufig erstaunlich anwendungsbezogener Weise ergründet werden konnten. Sie erkannten zudem, dass es für ein Verständnis des Museums erforderlich ist, über innerdisziplinäre Probleme hinaus in stärkeren Dialog mit anderen zu treten und Fragen, Techniken und Ansätze aus anderen disziplinären Wissensfeldern zu übernehmen oder zu übertragen. All dies trug dazu bei, dass sich die Museumswissenschaft bis heute, wie kaum eine anderes Fach, zu einem genuin multi- und in zunehmendem Maße interdisziplinären akademischen Feld entwickelte. Das, was man ›kritische Museumswissenschaft‹ nennen könnte, basiert und reagiert auf Entwicklungen, die häufig als »Neue Museologie« beschrieben werden (dazu unten mehr). Eine ›zweite Welle‹ kritischer Museumsanalyse geht über diese, man könnte sagen, ›erste Welle‹ neu-museologischer Arbeiten hinaus, indem es deren Bandbreite ausdehnt, methodische Zugänge erweitert und empirische Grundlagen vertieft. Sie hinterfragt auch einige der neuen Orthodoxien, darunter das Primat des Besuchers, die in vielen Ländern Eingang in die zeitgenössische Museumspraxis gefunden haben, und formuliert Vorschläge für mögliche neue Richtungen zukünftiger Museumsarbeit und Museumsforschung. Die erweiterte und sich erweiternde Museumswissenschaft verfolgt jedoch keine einheitliche Linie. Symptomatisch ist hier die englische Terminologie, wo der Pluralbegriff »Museum Studies« den Singular »New Museology« ersetzt. Vielleicht mehr als alles andere erkennt die Museumswissenschaft heute die Vielfalt und Komplexität von Museen an und fordert ein entsprechend breites
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Dieser Beitrag ist eine überarbeitete, erweiterte und von Joachim Baur übersetzte Fassung von »Expanding Museum Studies: An Introduction«. In: Sharon Macdonald (Hg.): A Companion to Museum Studies, Oxford 2006. Ich danke Blackwell Publishers für die Genehmigung.
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und facettenreiches Spektrum an Perspektiven und Zugängen, um Museen zu verstehen und herauszufordern.
DIE NEUE MUSEOLOGIE Peter van Mensch (1995: 136) hat die neu-museologische Position als eine charakterisiert, in der »gegenwärtige Museumspraxen als obsolet betrachtet werden und der ganze Habitus des Professionellen kritisiert wird. Die Zunft wird gedrängt, sich vom Fluchtpunkt einer neuen gesellschaftlichen Verpflichtung her zu erneuern.« Er verweist auf drei Momente, in denen der Begriff »Neue Museologie« in diesem Sinne eingesetzt wurde. Der erste war »in den USA am Ende der 1950er Jahre«, als ein edukatives Modell propagiert wurde, allerdings, nach van Mensch, »ohne großen Erfolg« (ebd.). Der zweite nahm seinen Ausgang im Frankreich der späten 1970er Jahre, als »die soziale Rolle des Museums von einer Generation progressiver Museologen neu definiert wurde« (ebd.), und zwar in besonderem Maße in Verbindung mit der Entwicklung der eco-musées. In Frankreich firmierte diese Tendenz mitunter auch als »aktive Museologie, populäre Museologie, experimentelle Museologie und anthropologische oder ethnographische Museologie« (Poulot 1994: 67). Die amerikanische wie die französische Neue Museologie waren nicht nur mit Veränderungen oder gewünschten Veränderungen museologischer Praxis verbunden, sondern auch mit spezifischen Forschungssträngen. In den USA entwickelte sich eine starke und anspruchsvolle Tradition der Bildungsforschung im Hinblick auf das Museum (vgl. Hein 1998, 2006; Falk/Dierking 2000). In Frankreich zeigte die Betonung von patrimoine (Kulturerbe), die die Bewegung der eco-musées kennzeichnet, ihre Nähe zur Ethnologie/Volkskunde und den Forschungen zum sozialen Gedächtnis. Pierre Noras Les Lieux de Mémoire – selbst eine Art musealer Sammlung von Erinnerungsorten – wurde seit 1985 veröffentlicht und kann in vielerlei Hinsicht als wissenschaftliches Gegenstück zum eco-musée gesehen werden. Die dritte, von van Mensch identifizierte Neue Museologie ist diejenige, die von Peter Vergos Sammelband The New Museology aus dem Jahr 1989 repräsentiert wird. Diese ist ebenfalls mit Veränderungen oder gewünschten Veränderungen in der Museumspraxis und mit spezifischen Forschungssträngen verknüpft. In mancherlei Hinsicht ist ihr Bezugsrahmen jedoch weiter als jener ihrer beiden Vorläufer. Peter Vergo charakterisiert den Wandel von dem, was er »die alte Museologie« nennt, zur »neuen« folgendermaßen: Die alte, schreibt er, beschäftigte sich »zu sehr mit Methoden des Museums und zu wenig mit dem Sinn und Zweck von Museen« (Vergo 1989a: 3). Die alte war vornehmlich mit Fragen der praktischen Umsetzung (etwa in Verwaltung, Pädagogik oder Konservierung) befasst statt zu versuchen, die konzeptionellen
Sharon Macdonald £Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung
Grundlagen und Annahmen zu ergründen, die diesen Fragen überhaupt erst Bedeutung zukommen ließen oder die Art und Weise prägten, wie sie angegangen wurden. Die Neue Museologie war im Gegensatz dazu theoretischer und humanistischer (ebd.). In Anbetracht des Spektrums und Einflusses des Bandes ist es lohnend, einige der Perspektiven, die in The New Museology artikuliert wurden, sowie seine Themenfelder in aller Kürze näher zu betrachten, um einige der zentralen Abgrenzungen gegenüber der ›Alten Museologie‹ zu entdecken. Dies ist auch eine gute Gelegenheit, um kurz einige der Hauptrichtungen der Museumsforschung in den beiden Jahrzehnte um 1989, insbesondere im angelsächsischen Sprachraum, zu beleuchten. Drei Ausgangspunkte scheinen mir besonders bezeichnend: Zum einen ist da der Aufruf, die Bedeutung von Museumsobjekten als orts- und kontextabhängig statt immanent zu begreifen. Vergos (1989b) eigener Aufsatz mit seinem eleganten Konzept des »schweigsamen Objekts« argumentiert in diese Richtung. Gleiches unternehmen andere Beiträge des Bandes, unter anderem jener von Charles Saumarez Smith (1989). Dessen Geschichte von der Art und Weise, wie ein Portal des 17. Jahrhunderts zum Logo von V&A Enterprises, des neuen Vermarktungsunternehmens des Victoria & Albert Museum, wurde, stellt inzwischen ein klassisches Beispiel sich wandelnder Objektbedeutungen dar. Das Beispiel des Portals illustriert auch den zweiten Bereich, auf den die Neue Museologie aufmerksam machte, namentlich Fragen, die früher außerhalb der eigentlichen Zuständigkeit der Museologie verortet wurden, insbesondere Kommerzialisierung und Entertainment. Kapitel über Großausstellungen und Vergnügungsparks betonen genauso wie Stephen Banns (1989: 100) Betrachtungen dessen, was er »fragmentarische oder unvollständige Ausdrucksformen der museologischen Funktion« nennt (z.B. das individuelle Bestreben, Geschichten zu sammeln und zusammenzufügen), die Kontinuitäten zwischen Museen und anderen Orten und Praxen. Dies hinterfragt die Alleinstellung des Museums oder die Vorstellung, dass es über profanen Dingen oder der Logik des Markts stehe. Im Zusammenhang mit dem ersten wie dem zweiten Punkt steht der dritte: die Frage, wie das Museum und seine Ausstellungen verschiedenartig wahrgenommen werden, insbesondere von den Besuchern. Darüber wird in vielen der Beiträge spekuliert und Nick Merriman (1989) bietet einige nützliche empirische Daten. In ihrer Gesamtheit demonstrieren diese drei Schwerpunkte also einen Perspektivwechsel, der das Museum und seine Inhalte nicht mehr als statisch und klar umgrenzt, sondern als kontextbedingt und kontingent betrachtet.
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R E P R Ä S E N TAT I O N S K R I T I K
UND
I D E N T I TÄT S P O L I T I K
Der Perspektivwechsel, der sich in The New Museology manifestierte, war Teil einer größeren Entwicklung in vielen kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die in den 1980er Jahren an Dynamik gewann. Mit sich brachte sie eine spezielle Aufmerksamkeit gegenüber Fragen der Repräsentation – Fragen also, wie Bedeutungen eingeschrieben werden und von wem und wie es dazu kommt, dass manche als ›richtig‹ angesehen oder als gegeben genommen werden (Hall 1997). Akademische Disziplinen und ihre Wissensproduktion waren ebenfalls Gegenstand dieser ›Repräsentationskritik‹. Statt sie als Tätigkeit im Dienste einer wertfreien Entdeckung immer genaueren Wissens zu sehen, gab es eine Bewegung dahin, dieses Wissen, sein Verfolgen, Verstehen und Anwenden, nun in zunehmendem Maße als inhärent politisch zu betrachten. Diese Idee wurde bisweilen an Michel Foucault angelehnt, einen besonders einflussreichen Theoretiker der entstehenden Museumsforschung, ungeachtet der Tatsache, dass er nur wenig direkt über Museen geschrieben hat. Die Frage, was erforscht wurde, wie und warum, und – ebenso wichtig – was ignoriert oder für gegeben genommen und nicht hinterfragt wurde, wurde nun als Problem begriffen, das nicht nur im Hinblick auf innerdisziplinäre Fundierungen bearbeitet und durchdrungen werden musste, sondern auch im Hinblick auf darüber hinausgehende soziale und politische Verhältnisse. Insbesondere die Formen, in denen Differenzen, und speziell Ungleichheiten hinsichtlich Ethnizität, Geschlecht, sexueller Orientierung und Klasse von Disziplinen reproduziert werden konnten, etwa durch Ausschlüsse aus dem ›Kanon‹, der ›Norm‹, des ›Objektiven‹ oder ›Bedeutsamen‹, rückten nun in den Fokus. Dies war nicht zuletzt deshalb wichtig, so wurde argumentiert, da diese Repräsentationen auf die Welt jenseits der Akademie rückwirkten und spezifische Machtverhältnisse stützten, in aller Regel den Status Quo. In Reaktion auf diese Kritik wurde mehr ›Reflexivität‹ eingefordert – Reflexivität im Sinne von größerer Aufmerksamkeit gegenüber den Prozessen der Produktion und Verbreitung von Wissen und gegenüber dem partiellen, parteilichen und spezifisch positionierten Charakter von Wissen überhaupt. Dies zog eine reichhaltige Forschung nach sich, die, auf poststrukturalistische Theorien gestützt, danach strebte, kulturelle Produkte, wie Texte oder Ausstellungen, zu ›dekonstruieren‹. Ziel war es, deren politische Verfasstheit deutlich zu machen, die Strategien hervorzuheben, durch die sie als ›objektiv‹ oder ›wahr‹ dargestellt wurden, sowie die historischen, sozialen und politischen Kontexte auszuleuchten, in denen bestimmte Arten des Wissens vorherrschten und andere marginalisiert oder ignoriert wurden. Museumskritik war stark beeinflusst von Textkritik, wie sie insbesondere in den Cultural Studies oder der Literaturtheorie entwickelt worden war. Sie behandelte Ausstellungen implizit
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oder explizit als Texte und versuchte, ihren Inhalt mit Hilfe von Konzepten aus diesen Disziplinen zu analysieren (Mason 2006). Die Kritik der Repräsentation auf der Ebene von kulturellen Produkten und Disziplinen war selbst Teil einer breiteren Kritik der Art und Weise, wie die ›Stimmen‹ bestimmter Gruppen aus der Öffentlichkeit verdrängt oder in ihr marginalisiert wurden. Diese Herausforderung kam speziell von postkolonialen und feministischen AktivistInnen und WissenschaftlerInnen, die argumentierten, dass die existierenden, im weitesten Sinne liberaldemokratischen Politikmodelle ungeeignet seien, die fundamentalen Ungleichheiten der Repräsentation wirkungsvoll anzugehen. Vonnöten sei dagegen eine Politik der Anerkennung, die sich nicht auf Fragen des Wahlrechts oder anderer Formen der Partizipation von Bürgern beschränkte, sondern potenziell fundamentalere Probleme in den Blick nahm, etwa ob die Belange marginalisierter Gruppen überhaupt eine Chance hatten, auf die Agenda zu gelangen. Besonders in den zunehmend multikulturellen Großstädten Nordamerikas und Europas wurden politische Positionen und Forderungen nun vermehrt als Bedürfnisse und Rechte ›unter-‹ oder ›missrepräsentierter‹ Identitäten artikuliert. Verschiedene Gruppen protestierten gegen die Art und Weise, wie sie in Ausstellungen repräsentiert oder von musealer Aufmerksamkeit im Ganzen ausgegrenzt wurden. Verstärkt kamen des Weiteren Forderungen nach Rückgabe von Objekten an indigene Gruppen auf (vgl. etwa Shelton 2006; Gerstenblith 2006). In diesem Kontext der ›Identitätspolitik‹ entwickelten sich Museen insbesondere in den 1980er Jahren zum Gegenstand einer neuen kritischen Aufmerksamkeit. Zwei zusammengehörige Bände scheinen dieses Interesse an neu-museologischer Forschung in besonderem Maße anzuzeigen: Exhibiting Cultures (Karp/Lavine 1991) und Museums and Communities (Karp/Kreamer/ Lavine 1992), die beide aus einer großen Konferenz an der Smithsonian Institution in Washington D.C. hervorgingen. Wie die Herausgeber erklären, sind Museen in vielerlei Hinsicht Institutionen der Anerkennung und Identität par excellence. Sie wählen bestimmte kulturelle Produkte für die offizielle Bewahrung, für die Nachwelt und die öffentliche Zurschaustellung aus – ein Vorgang, der einige Identitäten anerkennt und stützt und andere übergeht. Typischerweise wird dies dann in einer durch Architektur, räumliche Anordnung und Inszenierung sowie diskursive Kommentare geformten Sprache der Faktizität und Objektivität, des gehobenen Geschmacks und autoritativen Wissens dargeboten. Aus diesem Grund stellt der Zugang zu Museen für Minderheiten ein entscheidendes Mittel dar, um Anerkennung zu gewinnen. Wie dieser etablierte Identitätsraum zu öffnen und in Unruhe zu versetzen sei, wurde entsprechend zu einer entscheidenden Frage. Sie wird in den Bänden der Smithsonian Institution durch eine Dokumentation von Forschungen zur traditionellen Funktionsweise von Museen und zahlreiche weitere Kapitel über neue Arten
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der Herausforderung und Praxis auf diesem zunehmend »umkämpften Terrain« (Lavine/Karp 1991: 1) adressiert. Die Herausforderung musealer Repräsentation entsprang also nicht allein theoretischen Erwägungen und akademischen Kreisen. Sie basierte auch auf einem umfassenderen soziopolitischen Wandel und dem Druck verschiedener Minderheiten, im öffentlichen Raum des Museums anerkannt zu werden. Hinzu kam der Schritt einiger Museumsmitarbeiter, existierende, speziell nationalistische Darstellungen zu hinterfragen und sowohl die Bandbreite als auch die Formen der Repräsentation im Museum auszuweiten. In einigen Fällen führte dies zu prominenten Kontroversen über Ausstellungen. In ihrer Gesamtheit warfen diese die Frage auf, wie Entscheidungen darüber zustande kamen, was öffentlich ausgestellt werden sollte, und wer an diesem Prozess beteiligt sein sollte. Eine der berühmtesten Kontroversen war 1995 jene um die Ausstellung der Enola Gay – des Flugzeugs, das im Zweiten Weltkrieg die Atombombe über Japan abgeworfen hatte – im National Air and Space Museum in Washington D.C. Nach Protesten von Kriegsveteranen, die gegen eine Beschreibung des durch die Bombardierung erzeugten Leids intervenierten, wurde die Ausstellung letztlich nur in deutlich reduzierter Form realisiert (vgl. etwa Zolberg 1996; Gieryn 1998). Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944, eine zur gleichen Zeit in Deutschland gezeigte Wanderausstellung, stellte schwierige Fragen hinsichtlich der Störung etablierter öffentlicher Erzählungen über den Krieg, in diesem Fall über die Rolle ›gewöhnlicher‹ Soldaten (Hartmann/ Hürter/Jureit 2005; vgl. auch Macdonald 2007a für eine Diskussion in Bezug zum Fall der Enola Gay). Infolge angeblicher wissenschaftlicher Fehler brachte diese Ausstellung auch strittige Fragen nach der ›Wahrheit‹ zum Vorschein, die – ungeachtet der postmodernen akademischen Spekulation über das Ende von ›Wahrheit‹ als grundlegender Kategorie in Überlegungen zur Repräsentation – offenbar noch immer als entscheidend für das öffentliche Leben gesehen wurden. Eine dritte ikonisch Kontroverse, die das Museum als umkämpftes Terrain und die Dilemmas der Repräsentation sichtbar werden ließ, war Into the Heart of Africa am Royal Ontario Museum in Toronto in den Jahren 1989/90. Die Ausstellung versuchte, die Praxis kolonialen Sammelns in Afrika zu beleuchten und bezog dabei auch das eigene Museum ein. Dabei setzte es unter anderem auf postmoderne Repräsentationsstrategien wie ironische Gegenüberstellungen und Objektbeschreibungen, um die Besucher zu motivieren, koloniale Sichtweisen zu hinterfragen. Der Ansatz wurde jedoch vielfach missverstanden und die Darstellung als beleidigend gesehen, was Proteste, insbesondere der schwarzen Community, nach sich zog (Riegel 1996; Butler 2008). Auch dieser Fall warf die heikle Frage auf, wie Museen den Status Quo kritisieren könnten oder sollten. Er veranschaulichte überdies, wie etablierte
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Erwartungen an Konventionen des Zeigens mitunter gegen die Versuche arbeiteten, die eigene museale Praxis kritisch infrage zu stellen. Neben den Versuchen, mit Hilfe akademischer und anderer Ideen museale Konventionen zu kritisieren, argumentierten manche indes – lautstark etwa im Fall der Enola Gay – auch gegen das, was sie als unnötige political correctness und postmodernen Relativismus sahen. Diese führten Museen weg von ihrem eigentlichen Mandat, die Mehrheit, Hochkultur und Wahrheit zu repräsentierten und als Speicher kollektiver Schätze für die Zukunft zu fungieren. Museen standen im Zentrum größerer Kulturkämpfe um die Frage, ob es möglich oder erlaubt sei, manche kulturellen Produkte und Wissensbestände als in irgendeiner Weise wertvoller oder gültiger anzusehen als andere (Dubin 2006a). Museen entwickelten sich, kurz gesagt, zu Schauplätzen, an denen einige der strittigsten und schwierigsten Fragen des späten 20. Jahrhunderts ausgefochten wurden.
DA S MUSEUMSPHÄNOMEN Dies waren allerdings nicht die einzigen Gründe, warum Museen ein neues Maß an Interesse bei Feuilletonisten, Politikern und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen auszulösen begannen. Die empirische Tatsache, die viele faszinierte, war, was Gordon Fyfe (2006) als museum phenomenon beschreibt: das außergewöhnliche Anwachsen der Zahl an Museen weltweit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und insbesondere seit den siebziger Jahren. 95 Prozent der heute bestehenden Museen sollen nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden sein (Hoelscher 2006). Dieses ›Phänomen‹ zeigte, dass das Museum nicht einfach als alte Institution oder Relikt einer früheren Zeit abgetan werden konnte, und es zeigte auch, dass die Repräsentationskritik das Vertrauen in das Museum als kulturelle Form nicht ausgehöhlt hatte. Das Museum wurde nun sogar just von denen in Dienst genommen, die guten Grund zu Skepsis gegenüber Aspekten seiner früheren Identitätsarbeit hatten. Das ›Museumsphänomen‹ kann jedoch nicht vollständig durch den Anstieg an Museen, die sich der Repräsentation vormals marginalisierter Gruppen verschrieben hatten, erklärt werden. Ebenso signifikant wie das zahlenmäßige Wachstum von Museen war eine Ausdehnung ihrer Bandbreite und Vielfalt, die auch die Grenzen zu andersartigen Institutionen und Ereignissen verwischte. Am einen Ende des Spektrums entstand so eine Vielzahl kleiner, finanziell schwach ausgestatteter Museen, die sich oftmals auf lokale Geschichte (neighborhood museums), Alltagskultur oder einzelne, teils sehr spezielle Spielarten materieller Kultur, wie Bleistifte, Rasenmäher oder Kuckucksuhren, konzentrierten. Am anderen Ende florierten zur gleichen Zeit Firmenmuseen,
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Franchise-Unternehmungen großer Museen, Blockbuster-Ausstellungen, ikonische Architekturen mit hohem Wiedererkennungswert, »Superstar-Museen« (Frey/Meier 2006) und »Meta-Museen« (Rectanus 2002). Diese konnten zweifellos ebenfalls mit Repräsentationen von Identität verknüpft sein – insbesondere im Hinblick auf Großstädte, die im Kontext globaler Konkurrenz um Prestige und Anteile am Tourismusgeschäft ihre Einmaligkeit annoncierten, oder hinsichtlich Unternehmen, die Museen als Teil ihres Image-Marketing einsetzen. Um sie zu verstehen, galt es jedoch auch Überlegungen zum Spektakel, zur Kultur der Werbung, zum globalen Verkehr von Symbolen und den Strömen des Kapitals anzustellen. Das ›Museumsphänomen‹ lässt sich am besten aus einer dynamischen Mischung zum Teil verknüpfter Motivationen und Probleme erklären. Einer dieser Stränge umfasst die Sorge um »soziale Amnesie« und Geschichtsvergessenheit sowie die Suche nach Authentizität, »dem Echten« und einem »Gegengift« gegen die Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Einige dieser Punkte werden seit Kurzem im Rahmen einer Ausweitung von Forschungen zur materiellen Kultur – den new material culture studies – bearbeitet (vgl. etwa Miller 2005). Auch wenn die meisten dieser Arbeiten sich nicht im engeren Sinne mit Museen beschäftigen, bietet ihr Interesse an Themen wie dem Sammeln und an Objektbiographien nicht nur wichtige methodologische Ansätze, die auch in Museen angewandt werden können. Sie akzentuieren auch den Ort des Museums in einer übergreifenden moralischen Ökonomie der Objekte und im sozialen Leben der Dinge (Appadurai 1986; Kopytoff 1986; Macdonald 2002). Ein anderer Faktor, der mitunter zur Erklärung des ›Museumsphänomens‹ herangezogen wird, ist der Versuch, die Fragmentierung von Identität und die Individualisierung zu verarbeiten. In diese Richtung argumentieren etwa einige soziologisch orientierte Arbeiten, die sich insbesondere auf die Thesen von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim sowie die Argumente des Philosophen Hermann Lübbe stützen (Beck 1986; Beck/Beck-Gernsheim 2002; Lübbe 1992; Beierde Haan 2000, 2005). Des Weiteren wird das vermeintliche Bedürfnis nach lebenslangem und erfahrungsgestütztem Lernen angeführt, das seinerseits mit einer veränderten Demographie zu tun hat (Falk/Dierking/Adams 2006). Welche Faktoren konkret eine Rolle spielen, dürfte im Hinblick auf verschiedene Museumsarten und verschiedene Standorte – insbesondere unter Berücksichtigung verschiedener nationaler und regionaler Kontexte – variieren. All diese Fragen bedürfen der weiteren Erforschung. Eine der zentralen Fragen, die sich aus dem starken zahlenmäßigen Anstieg von Museen ergibt, ist, ob sich dieser nachhaltig gestalten lässt. Wird die Öffentlichkeit von einer kollektiven ›Museumsmüdigkeit‹ befallen werden angesichts häufiger Wiederholung des Gleichen, wie gut (wie ausgefeilt) es auch sein mag? Die derzeitigen Anzeichen sind unklar: Nach wie vor werden
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neue Museen eröffnet, obwohl auch einige schließen und (einige öffentlichkeitswirksame) Planungen ad acta gelegt werden mussten. Zusätzlich kompliziert wird die Frage durch den Umstand, dass nicht immer klar ist, was als Museum zählen soll. Die Entwicklung von ›Museen‹ die keine dauerhaften oder nur ›Alibi‹-Sammlungen besitzen, darunter einige Firmenmuseen und die meisten Science Centers, sowie das Auftauchen des virtuellen Museums tragen zu einem definitorischen Durcheinander bei. Damit einher geht die anhaltende Selbstbefragung, was ein Museum ausmacht oder was es sein kann oder soll. Statt diese Entwicklungen und Schwierigkeiten jedoch als Gefahr für die Validität des Museums als Forschungsfeld zu betrachten, begrüßt die neuere Museumswissenschaft sie als Teil der fortdauernden und zunehmenden Faszination des Museums.
MUSEUMSWISSENSCHAFT
IN DER
ERWEITERUNG
Die erweiterte und pluralisierte Museumswissenschaft baut auf Erkenntnissen der Neuen Museologie und der Repräsentationskritik auf, um die Felder, die jene ins Blickfeld brachten, weiterzuentwickeln und die Bandbreite der Forschungen auszuweiten. Zusätzlich zu dieser Verbreiterung des Spektrums gibt es eine wachsende Sensibilität für die Komplexität – und oftmals ambivalente Natur – von Museen, wodurch ausgefeiltere theoretische und methodologische Konzepte erforderlich werden. Was sich in der expandierenden kritischen Museumswissenschaft beobachten lässt, ist der Einsatz eines breiteren Repertoires an Methoden und die Entwicklung von Zugängen, die speziell auf die Untersuchung von Museen zugeschnitten sind. Charakteristisch ist auch das erneuerte Anliegen, die Erkenntnisse akademischer Forschungen mit der praktischen Arbeit von Museen zusammenzubringen – also von einer neuen, stärker theoretisch und empirisch geschulten Warte zu einigen der »Wie«-Fragen der Alten Museologie zurückzukehren. Im Folgenden seien einige der Richtungen skizziert, mit denen die neuere Museumswissenschaft an die drei Bereiche, die oben als besonders charakteristisch für die Neue Museologie beschrieben wurden, anknüpft und diese weiterentwickelt. Changierende Bedeutungen der Museumsdinge
Zum einen wird der neu-museologische Gedanke, dass Objektbedeutungen sich in unterschiedlichen Kontexten verändern können, durch eine Fülle von Arbeiten über die Art und Weise, wie Objekte spezifische Bedeutungen und Werte annehmen, ausgeführt. Beispielsweise finden sich Untersuchungen, die unter anderem Techniken zur Entschlüsselung der Sprache oder Grammatik von Ausstellungen (Hillier/Tzortzi 2006; Bal 2006; Macdonald 2007b; vgl.
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auch Scholze in diesem Band) oder zur Unterscheidung verschiedener Arten von visuellen – oder multisensorischen – Regimes zu entwickeln versuchen (Bennett 2006; Prior 2006). Einige der neueren Arbeiten versuchen auch, über vornehmlich textbasierte Modelle hinauszugehen, um die Bedeutung der Materialität von Objekten und, mehr noch, von Formen des Ausstellens selbst zu verstehen und um auszuloten, wie diese mit Vorstellungen von ›kulturellem Erbe‹, ›Authentizität‹, ›Erzählung‹ und ›Erinnerung‹ zusammenspielen. Weitere Untersuchungen befassen sich damit, wie sich dies in verschiedenen kulturellen oder politischen Kontexten auswirkt und adressieren Fragen nach dem legalen Status und den ethischen Implikationen des Umgangs mit Objekten (Gerstenblith 2006). Unter Rückgriff auf Igor Kopytoffs inzwischen klassisches Konzept der »Objektbiographie« und Arjun Appadurais Vorstellung vom »sozialen Leben der Dinge« versucht sich ein ganzer Forschungsstrang daran, Objekte durch ihre verschiedenen Kontexte zu ›verfolgen‹, um so die Prozesse der Kommodifizierung und Wertzuweisung zu erhellen. Dies beinhaltet Forschungen zu den Biographien von Museumsobjekten – Forschungen, die einige der verschlungenen Pfade zum Vorschein brachten, auf denen Objekte ins Museum gelangen, und einige der entangled histories, um Nicholas Thomas’ (1991) Begriff zu benutzen, die diese Biographien mitunter enthalten. Arbeiten, wie jene von Thomas, präsentieren häufig komplexere und nuanciertere Darstellungen von Prozessen, die pauschaler als »Kolonialismus« oder »Imperialismus« firmieren (vgl. Henare 2005; Edwards u.a. 2006; McCarthy 2007). Verzeichnen lässt sich des Weiteren eine Tendenz, die Bedeutung von Museumsobjekten nicht nur als Widerschein sich wandelnder Kontexte oder der Wahrnehmung verschiedener Gruppen zu begreifen. In den Blick kommt stattdessen die aktive Rolle der Dinge bei der Bestimmung der Art und Weise, wie andere Objekte – und, mehr noch, ein ganzer Komplex von Kategorien wie Subjektivität, Wissen und Kunst – aufgefasst und gewürdigt werden (etwa Preziosi 2003). Einige dieser Ausführungen beziehen sich auf die Theoretisierung von Objekten als Akteure, mithin als selbsttätige Protagonisten in sozialen und kulturellen Welten statt einfach als verschiedentlich von menschlichen Akteuren ›geformt‹. Solche Ansätze sind insbesondere charakteristisch für die Akteur-Netzwerk-Theorie, die sich innerhalb der Wissenschaftsgeschichte entwickelte und sich vor allem mit den Arbeiten von Bruno Latour (1995, 2007) verbindet. Eine weitere einflussreiche Rekonfigurierung von Handlungsmacht (agency) ist jene von Alfred Gell in Art and Agency (1998). Seine Argumentation richtet sich im Wesentlichen gegen Theorien inhärenter Ästhetik (und damit die Kategorie ›Kunst‹ selbst) und spricht sich stattdessen für die Beobachtung der Handlungsmacht von Objekten im gesellschaftlichen Leben aus (vgl. auch Miller 2005). Ein damit in Verbindung stehender Komplex von Arbeiten widmet
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sich der Körperlichkeit oder Materialität von Objekten, und zwar teils in Bezug zum Virtuellen. Sie untersuchen deren multisensorisches Potenzial und argumentieren zum Teil, dass dieses alternativ zum Fokus auf ›Bedeutung‹ in Betracht gezogen werden sollte (vgl. etwa Edwards u.a. 2006; Henare/Holbraad/ Wastell 2007; Chatterjee 2008). Verbreiterung und Vertiefung
Die neu-museologische Ausweitung des Gegenstandsbereichs und insbesondere die Aufmerksamkeit gegenüber Fragen von Kommerz, Kommodifizierung und Entertainment wurden in der expandierenden Museumswissenschaft fortgeführt und weiterentwickelt. Ein Teil dieser Arbeiten entspringt der Erkenntnis, dass ›museologische‹ Praxen – z.B. das Sammeln, das Erfassen von kulturellem Erbe, die Inszenierung von Identitäten durch materielle Kultur – nicht notwendigerweise auf das Museum beschränkt sind und dass das Museum Sehweisen jenseits seiner Mauern prägen kann. Dies führte auch zu verstärkter wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gegenüber historischen Vorstellungen, was ein Museum ausmacht, und seiner Verbindung zu anderen Institutionen wie Weltausstellungen (vgl. etwa Abt 2006; Rydell 2006; Baur in diesem Band). Zugleich entstanden empirische und theoretische Arbeiten, die sich dem Versuch widmeten, die (mitunter subtilen) Implikationen verschiedener und wechselnder finanzieller und gouvernementaler Kontexte, in denen Museen agieren, zu verstehen. Tony Bennetts Forschungen zur ›Gouvernementalität‹ verdienen hier besondere Beachtung. Sein 1988 veröffentlichter Aufsatz The Exhibitionary Complex (in Bennett 1995) ist wahrscheinlich der am häufigsten wiederveröffentlichte Artikel der zweiten museologischen Welle. Bennett betrachtet das Museum, insbesondere unter Rückgriff auf Foucault, als Teil eines Staatsapparats, durch den Bürger produziert und reguliert werden. In zahlreichen Veröffentlichungen hat er seine anspruchsvolle Theorie seither anhand sorgfältiger historischer Untersuchungen stetig weiterentwickelt und den Foucault’schen Argumentationsstrang zuletzt durch Ideen der Akteur-NetzwerkTheorie ergänzt, speziell jener der Assemblage, wie er sie auch bei Deleuze findet (Bennett 2004, 2007). Im Fokus von Forschungen der zweiten museologischen Welle können daneben auch unmittelbarere Belange von Museen stehen: etwa der Aufwand, der betrieben wird, um kommerzielle Sponsoren zu gewinnen oder Besucherzahlen zu maximieren; das Verhältnis der Fläche, die für Ausstellungen oder für den Museumsshop genutzt wird; die Anzahl an Mitarbeitern für verschiedene Aufgabenbereiche des Museums und ihr erwartetes Maß an Fachkenntnis; das vorherrschende Bild, das sich ein Museum von seinem Publikum macht (z.B.
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Kinder oder Erwachsene, Kunden oder Bürger); die Arten des Sehens und Lernens, die es fördert und die Wahrscheinlichkeit provokativer oder kontroverser Ausstellungen. All diese Punkte liefern Ausgangsperspektiven für weitergehende Überlegungen zu den Vorstellungen von Personen/Bürgern/Konsumenten, die das Museum zu fördern hilft, sowie zu Erwartungen des Museums selbst. Indem die neuere Museumswissenschaft eine größere Bandbreite an Studien zu den Verhältnissen in Museen an verschiedenen Orten bereithält, ist sie auch in der Lage einige der zur Verfügung stehenden Alternativen hervorzuheben. Die Kulturökonomen Bruno Frey und Stephan Meier (2006) haben etwa die verschiedenen Finanzierungsoptionen, aus denen Museen wählen können, herausgearbeitet. Sie argumentierten, dass der Markt bei weitem kein so determinierender Faktor ist, wie zum Teil innerhalb von Museen behauptet wird, und dass Museumsdirektoren im Gegenteil einen ganz gehörigen Gestaltungsspielraum haben. Zu nennen wären weiterhin die Arbeiten von Christina Kreps (2003), die ein neues Interesse an der Untersuchung alternativer kultureller Ausprägungen ›museumsartiger‹ Aktivitäten, wie dem Pflegen, Bewahren oder Ausstellen von Objekten, entfacht haben. Kreps betont nicht nur die transkulturellen Varianten in der Art und Weise, wie solche Angelegenheiten geregelt werden, sondern zeigt auch alternative Modelle, die – vielleicht zum Teil – von westlichen Museen übernommen werden könnten. Auch die Forschungen zur Politik der Repräsentation in Museen sind in hohem Tempo fortgesetzt worden und vielfach auf neue Felder vorgestoßen. Einige dieser Arbeiten befassen sich nun etwa mit postkolonialen, postsozialistischen und post-Apartheid-Kontexten (etwa Erjavec 2003; Dubin 2006b; Karp u.a. 2006; Kazeem u.a. 2009). Was sich vor dem Hintergrund dieser Verbreiterung des Spektrums und der Anerkennung der Schnittmengen zwischen dem Museum und anderen Institutionen ebenfalls abzeichnet und zunächst vielleicht paradox erscheinen mag, ist die Feststellung der relativen Besonderheit und Eigenart des Museums. Wie in der Überwindung des Ansatzes, Museen ausschließlich als Texte zu betrachten, erkennt die neuere Museumswissenschaft in zunehmendem Maße die Notwendigkeit, Ansätze, die in erster Linie zur Untersuchung anderer Institutionen oder Praxen entwickelt wurden, zu erweitern, umzugestalten oder gar hinter sich zu lassen. Das Anliegen ist, Wege zu finden, jene Facetten des Museums ins Blickfeld zu rücken, die andernfalls übersehen würden. Frey und Meier (2006) argumentieren etwa, um beispielhaft noch einmal die Ökonomie des Museums aufzugreifen, dass zahlreiche konventionelle wirtschaftswissenschaftliche Konzepte in Anschlag gebracht werden können, um Erkenntnisse über die ökonomische Situation von Museen zu gewinnen, dass jedoch der »kulturelle Wert« des Museums, der in der Regel vernachlässigt wird, gleichfalls in die Analyse einbezogen werden sollte. Ähnliche Argumente ließen sich auch in Bezug auf eine Reihe anderer museologischer Bereiche, etwa die Mu-
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seumspädagogik, den Berufsstand an sich oder den Einsatz von Technologie, vorbringen. Solche Argumente zielen nicht darauf, das Museum zu essentialisieren oder die einen und einzigen Aspekte von Bedeutung zu identifizieren. Es gilt vielmehr gewisse Eigenschaften zu anderen in Bezug zu setzen, um den komplexen und oftmals vielschichtigen Charakter von Museen selbst besser zu verstehen. Welche familiären Ähnlichkeiten Museen auch immer mit anderen Institutionen oder Praxen teilen – sie verkörpern doch eine ganz eigene Mischung von Bestandteilen aus einem teils gemeinsamen Repertoire von Zielen, Geschichten, Strukturen, Dilemmas und Handlungsweisen. Aus genau diesem Grund kann die Museumswissenschaft nicht etwa in der Medienwissenschaft oder der Kulturwissenschaft aufgehen, wie sehr sie auch von den methodischen und theoretischen Beutezügen durch deren Gefilde profitieren mag. Plurale Öf fentlichkeit und Ethnographien der Produktion
Als dritten Bereich, der aus meiner Sicht die New Museology kennzeichnet, habe ich die Museumsöffentlichkeit, das Publikum, die Besucher genannt. Der Umfang an Arbeiten, die sich dem Versuch widmen herauszufinden, wie Museen und Ausstellungen von denen, die sie besuchen – und auch, wenngleich dies noch unterbestimmt bleibt, von denen, die es nicht tun – wahrgenommen werden, hat sich seit dem Erscheinen von The New Museology wesentlich erweitert. Dabei kam es nicht nur zur quantitativen Ausweitung der Besucherforschung, sondern auch zum Einsatz einer größeren Bandbreite an methodischen – insbesondere qualitativen – Zugängen (Hooper-Greenhill 2006; Kirchberg in diesem Band). Einige der vorherrschenden methodologischen Entwicklungen hängen mit Veränderungen der Art und Weise zusammen, wie ›das Publikum‹ oder ›die Öffentlichkeit‹ verstanden wird, und zwar sowohl seitens der Forschung als auch seitens der Museen selbst. Feststellen lässt sich ein bereits seit längerem anklingender, jedoch bis heute nur zum Teil gelungener Wechsel hin zu einem Verständnis der Öffentlichkeit als vielfältig, plural und aktiv statt als relativ homogene und passive Masse. Augenscheinlich ist dies nicht nur in Forschungsdesigns, die in zunehmendem Maße Methoden einbeziehen, die Variationen und Sichtweisen jenseits vordefinierter Untersuchungsrahmen ans Licht zu bringen erlauben, sondern auch in den Ansätzen einiger Museen selbst. Von besonderer Bedeutung sind hier laut Hooper Greenhill (2006) ethnographische Ansätze, die es ermöglichen, über vorgeformte Fragen hinauszugehen und die jeweiligen Annahmen, die im Spiel sein mögen, eingehender zu untersuchen (etwa Katriel 1997; Macdonald 2002; vgl. auch Gable in diesem Band). Was sich in diesen Arbeiten auch zeigt, ist ein kritischerer Blick auf einige der Formen, wie Aspekte der neuen Orthodoxie der Besucher-
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souveränität – und zahlreiche verwandte Ideen wie Zugänglichkeit, kulturelle Vielfalt, community, Interaktivität, Partizipation – verstanden oder praktisch umgesetzt werden. Hier kommt auch die Ausstellungsproduktion wieder ins Bild, und zwar in neuer Verbindung zu Problemen der Rezeption. Bemerkenswert ist, dass die Untersuchungen, die Hooper-Greenhill mit Blick auf die Besucheranalyse als besonders innovativ hervorhebt, nicht als gesonderte Besucherforschungen konzipiert, sondern in innovative ethnographische Untersuchungen von Museums- oder Ausstellungsproduktionen eingebettet sind. Tamar Katriels Untersuchung israelischer Siedlermuseen liegen etwa in situ-ethnographische Forschungen von Besucherbegleitern und anderen Mitarbeitern dieser Museen zugrunde, und meine eigene Forschung im Londoner Science Museum war eine detaillierte Ethnographie einer Ausstellungsproduktion im Kontext der Analyse übergreifender soziopolitischer Veränderungen in Museen und öffentlicher Kultur, in deren Rahmen Besucherforschung nur einen Teil ausmachte. Andere beachtliche ethnographische Forschungen zur Produktion von Museen und Ausstellungen wären etwa jene von Richard Handler und Eric Gable über Colonial Williamsburg und Monticello (Handler/Gable 1997; Gable 2006 und Gable in diesem Band). Solche vertieften Arbeiten über museale Produktionsprozesse entfernen sich von vorwiegend textbasierten Modellen früherer, literaturtheoretisch beeinflusster Museumsforschung. Sie zeigen, wie die öffentliche Kultur, die schließlich zur Ausstellung kommt, mit Aspekten des Produktionsprozesses zusammenhängt, und richten ihre Aufmerksamkeit nicht zuletzt auf Gegebenheiten, die sich gegen die Intentionen der Ausstellungsmacher sträuben, etwa die unhinterfragten Annahmen der Akteure, politische Interventionen und Zufälle.
P O L I T I K , P R A X I S , P R O V O K AT I O N Sämtliche hier skizzierten Entwicklungen der Museumswissenschaft haben bedeutende Implikationen für die Strategie und Praxis von Museen. Sie liefern nicht nur differenziertere theoretische Werkzeuge, sondern auch methodische Techniken sowie eine wachsende und solidere empirische Grundlage an Forschungen und kritischen Betrachtungen existierender Museumspraxis. In der Summe führt dies, so meine ich, zu einer neuerlichen Verbindung der kritischen Erforschung von Museen mit einigen der »Wie«-Fragen, welche die New Museology überwunden zu haben glaubte. Diese Verbindung zeigt sich nicht nur auf dem Papier, sondern auch in vielen Museen, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß an verschiedenen Orten und in verschiedenen Museumstypen. Sie beinhaltet eine größere Offenheit vonseiten der Museen und Museumsmitarbeiter, sich mit jenen auseinander-
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zusetzen, die Museen erforschen, aber nicht notwendigerweise in ihnen arbeiten. Direktoren und Kuratoren mit Pioniergeist wollen wissen, wie einige der anregenden kritischen disziplinären und transdisziplinären Ideen ihnen dabei helfen können, innovative Ausstellungen zu entwerfen. Mein Eindruck ist, dass dies die im letzten Jahrzehnt – in verschiedenen Ländern und Museumstypen mehr oder weniger – übliche Vorstellung zu ersetzen beginnt, wonach Marktforschung im Hinblick auf Besucher das Allheilmittel für die Schwierigkeiten des Museums sei. Wenngleich es für jedes erfolgreiche Museumsvorhaben von entscheidender Bedeutung ist, zu verstehen, was Besucher – und NichtBesucher – wünschen könnten, tendiert das einfache Zurückspielen dessen, was Besucher sehen zu wollen glauben mögen, zur Produktion uninspirierter und schnell veraltender Ausstellungen. Zum Nachdenken anregende, bewegende, beunruhigende, inspirierende, provokative und denkwürdige Ausstellungen bauen dagegen eher auf die umfassende Kenntnis vielfältiger Fallbeispiele, von Fragen der Repräsentation, der Wahrnehmung und museologischen Syntax sowie auf die Befunde einer differenzierten und innovativen Besucherforschung. Diejenigen, die über Museen arbeiten – die Praktiker der Museumswissenschaft –, sehen sich in neuer Weise gefordert, die zunehmend benötigten weiten Perspektiven und umfänglichen Kenntnisse einzubringen. Der Umstand, dass Mieke Bal (2006, 2007) – eine der bedeutendsten, vielleicht aber auch ›schwierigsten‹ Museumstheoretikerinnen – selbst Ausstellungen macht, ist nicht nur ein Hinweis auf die skizzierte Entwicklung, sondern auch darauf, was diese für Museen selbst wie für ihr Verständnis leisten kann. Andere Beispiele wären die Beteiligung von Bruno Latour oder des Ethnologietheoretikers George Marcus an Ausstellungsprojekten des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe bzw. der Rice University Houston (Weibel/Latour 2007; Calzadilla/Marcus 2007). Gemeint ist dabei allerdings nicht allein der Rückgriff auf die Forschung zur Fundierung des Ausstellungsmachens. Vielmehr geht es um den beid- (oder gar mehr-)seitigen Austausch zwischen Theorie und Praxis, in dem die performativen Aspekte der Entwicklung und Wahrnehmung von Ausstellungen selbst als eine Form der Forschung oder gar Theorieentwicklung genutzt werden (vgl. Basu/Macdonald 2007).
M U S E U M S W I S S E N S C H A F T I N T E R N AT I O N A L Als interdisziplinäres Feld ist die Museumswissenschaft zugleich international und, zumindest bis zu einem gewissen Grad, national spezifisch. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass das Museum selbst eine internationale Form darstellt bzw. das, was Stephen Collier und Aihwa Ong als »globale Assemblage« bezeichnen: eine Reihe heterogener Praxen und Elemente, die mehr ist
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als die Summe ihrer Teile und überdies »abstractable, mobile, and dynamic, moving across and reconstituting ›society‹, ›culture‹, and ›economy‹« (Collier/Ong 2005: 4). Insofern zeigt sich das Museum nicht an all seinen Standorten gleich, sondern vielmehr in verschiedenen Ausprägungen realisiert und in vielfältige Netze von Beziehungen, Erwartungen und Möglichkeiten eingebunden. Dasselbe gilt für die Museumswissenschaft. Auf der einen Seite gibt es ein dominantes Modell der Museumswissenschaft, das in erster Linie von Europa (besonders Großbritannien) und Nordamerika ausgeht und hier im Fokus meiner Betrachtung stand. Daneben gibt es jedoch auch bedeutende alternative Traditionen, Konzeptionen und Einsichten. Einige davon sind in anderen Teilen dieses Bandes dargestellt (vgl. insbesondere die Beiträge von Bolaños, Murauskaya und Pinna). Innerhalb dessen, was man als ›Anglo Museum Studies‹ bezeichnen könnte, scheint der ursprüngliche Impetus der Neuen Museologie sich im Wesentlichen aus der Beziehung zur Kunstgeschichte gespeist zu haben. Diese Bindung wurde jedoch schnell durch andere Disziplinen, wie Cultural Studies, Soziologie und Ethnologie, ersetzt. Das Ausgreifen in Disziplinen der Gesellschaftsanalyse ist selbst eine Anerkennung der gesellschaftlichen Implikationen von Museen und einiger der sozialen Komplexitäten (Identitätspolitik und dergleichen), die in zunehmendem Maße als Teil der Herausforderungen des etablierten Museums sichtbar wurden. Wie ich in diesem kurzen und unvollständigen Überblick zu zeigen versucht habe, war und ist auch an der sich entwickelnden und expandierenden Museumswissenschaft eine Vielzahl von Disziplinen beteiligt. Dies scheint sich in Zukunft fortzusetzen. Parallel dazu beginnt sich die Museumswissenschaft als eine ›interdisziplinäre Disziplin‹ aus eigenem Recht und mit einem eigenen institutionellen Apparat an Kursen, Zeitschriften und Verlagen zu etablieren. Bislang ist dies nicht in allen Ländern in gleichem Maße fortgeschritten, doch die entsprechende Tendenz ist vielerorts klar zu erkennen. Wenn die Museumswissenschaft erwachsen geworden ist, wie ich zu Beginn dieses Artikels behauptet habe, so bedeutet dies nicht, dass sie sich in einen festen Bestand an Forschungen und Richtungen gefügt hat. Vielmehr steht sie am Anfang, aus eigenem Recht institutionalisiert und anerkannt zu werden. Dies ist erst der Beginn der Reise. Es gibt zahlreiche Hinweise auf mögliche Richtungen zukünftiger Forschung, von denen einige in diesem Artikel angedeutet wurden und einige in anderen Beiträgen dieses Bandes detaillierter ausgeführt werden. Doch es bleibt eine faszinierende Unbestimmtheit, wie sie zu einem gewissen Grad in jedem Forschungsfeld stets bestehen bleibt. In Bezug auf die Museumswissenschaft gilt dies jedoch in besonderem Maße – aufgrund ihrer Beschäftigung mit Museen und der Beschäftigung von Museen wiederum mit größeren gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Entwicklungen
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£ Metho de n
£
GESCHICHTSWISSENSCHAFT: DAS MUSEUM ALS QUELLE
Thomas Thiemeyer Das kulturhistorische Museum und die Geschichtswissenschaft verbindet das Interesse an Dingen und Ereignissen, die vergangen sind. Beide versuchen, Relikte der Vergangenheit zu nutzen, um die Gegenwart besser zu verstehen und sind gemeinsam durch Höhen und Tiefen gegangen: Dem Aufstieg der Geschichte zur Leitwissenschaft im Zeitalter des Historismus entsprachen im Deutschen Reich zahlreiche Museumsgründungen im 19. Jahrhundert, bevor auf diese Hochphase hierzulande nach dem Zweiten Weltkrieg eine Bedeutungskrise des Museums und der Geschichtswissenschaft folgte. Erst als sich eine des Fortschrittsglaubens überdrüssige Gesellschaft in den siebziger Jahren wieder verstärkt für Historisches zu interessieren begann, kam es zu jenem Museumsboom, der bis heute anhält (Korff 2007: 24-31; Nolte 2005: 891f.; Vedder 2005: 165-180; Fest 1977). Ausgestellte und wissenschaftlich erforschte Geschichte sind also eng miteinander verbunden, zumal viele Museen genuine Forschungsarbeit leisten und damit der Historiographie entscheidende Impulse geben und neues Wissen über die Vergangenheit generieren. Doch das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer Darstellung im Raum ist spannungsvoll, wie zuletzt die Diskussionen zeigten, die sich Mitte der achtziger Jahre an der Gründung des Deutschen Historischen Museums in Berlin und des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn entzündeten. Über Chancen und Grenzen der Geschichtsdarstellung im Museum ist seitdem viel diskutiert worden (vgl. u.a. Stölzl 1988; Rüsen/Ernst/Grütter 1988; Fehr/Grohé 1989; Korff/Roth 1990a; Beier-de Haan 2005). Weit weniger intensiv war die Debatte darüber, welche methodischen Hilfen die Geschichtswissenschaft für die Analyse von Ausstellungen zur Verfügung stellen kann.1 Dabei ist die Quellenkunde, also die Beschäftigung mit potenziellen Musealien, Kernkompetenz der Historiker (vgl. zur Bedeutung der Quellen für die Geschichtswissenschaft Zimmermann 1997), die mit den Methoden der Quellenkritik und den quellenkundlichen Fachbegriffen »Tradition«, »Denkmal« und »Überrest« Instrumente und Kategorien zur Hand haben, die für die Ausstellungsanalyse hilfreich sind. Sie stehen im Zentrum des folgenden Beitrags. Er definiert zunächst einige zentrale Begriffe, bevor er sich den Quellen im Museum widmet.
1
Beispielhaft wird dieser Ansatz im Folgenden an kulturhistorischen Museen und Ausstellungen durchgespielt. Er lässt sich prinzipiell aber auf alle Museen anwenden.
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Joachim Baur Museumsanalyse
Im dritten Teil versucht er schließlich, das Museums als Quelle mit den Fragen der historischen Quellenkritik zu erschließen.
1 . K O O R D I N AT E N : G E S C H I C H T E
UND
MUSEUM
»Geschichte ist Sinnbildung über Zeiterfahrung.« (Rüsen 2003: 110). Sie ist eine kulturelle Praxis, mit der Menschen ihre Vergangenheit deuten, um ihre Gegenwart zu verstehen und ihre Zukunft zu planen. Die Sinnstiftung der Geschichte folgt dabei dem Ziel, vergangene Ereignisse so zu interpretieren, dass heutiges Handeln sich auf sie beziehen kann, anschlussfähig wird (Rüsen 1997). Geschichte ist also immer ein Produkt der Gegenwart, eine aktuelle Deutung von Vergangenheit und von dieser zu unterscheiden. Vergangenheit ist unwiederbringlich verloren und allenfalls als individuelle Erinnerung im Geist des Zeitzeugen lebendig. Sie ist – außer für den Zeitzeugen – nur als »Kunde von fremder Erfahrung« (Koselleck 1989: 354), nicht als eigene Erfahrung oder eigenes Erlebnis zu haben. Diese Kunde von fremder Erfahrung vollzieht sich im Museum und besteht aus zwei unterschiedlichen Kategorien: Vergangenheit als Inhalt und Geschichte als Ausdruck. Geschichtsdarstellungen vermitteln vergangene Ereignisse in bestimmten Narrativen (beispielsweise in Form einer Ausstellung). Das heißt, sie kommunizieren Ereignisse aus der Vergangenheit mit Hilfe von Relikten, Texten, Gemälden oder Fotographien. Nicht das Ereignis und die damalige Situation können sie einfangen, sondern diese nur mit Abbildungen, Worten und Relikten nachbilden (repräsentieren). Kurz: Geschichte ist nicht gleich Vergangenheit, sondern Vergangenheit als Geschichte (Munslow 2007; Rüsen 2003; White 1991; Droysen 1958: 26f.). Insofern kann das Museum weder durch Rekurs auf die Aussagen der Zeitzeugen, noch durch realistische Nachbildung historischer Milieus oder Situationen in Form von Kulissen oder Inszenierungen Vergangenheit lebendig machen. Es kann Geschichtserlebnisse und Geschichtserfahrungen nur neu erzeugen (Korff 2007: XIIIf.). Geschichte im Museum ist also stets Repräsentation von Vergangenheit oder Neuproduktion von Geschichtsbildern. Sie ist kein bloßes Rückrufen vergangener Erfahrungen, sondern ein Prozess ständigen Verlierens und Kreierens (Assmann 2006: 106). Eine Analyse des Mediums Museum interessiert sich folglich für die Tradierung von Geschichte, für Konventionen des Zeigens und die vergessenen und neu produzierten Bilder. Um diese Tradierung von Geschichte kritisch zu analysieren, ist eine zweite Unterscheidung wesentlich: die Differenzierung zwischen Geschichte und Tradition (bzw. zwischen History und Heritage). Im Unterschied zur Geschichte ist Tradition2 ein politischer Akt 2
Hier verstanden als normativer Traditionsbegriff, nicht als Begriff der Quellenkunde in Abgrenzung zum »Überrest«.
Thomas Thiemeyer £Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle
der Auswahl, der traditionswürdige Vergangenheit von anderer Vergangenheit scheidet. Tradition vermittelt Werte, aus denen sich Handlungsnormen und Identität ableiten lassen. Sie schafft emotionale Nähe zur Vergangenheit, verwebt diese mit Gegenwart und Zukunft. Der Geschichte hingegen geht es nicht um Werte, sondern um Wahrheit, nicht um Existenz, sondern um Erkenntnis. Sie trennt Vergangenheit von Gegenwart und Zukunft, markiert die Entfernung zwischen beiden deutlich, wenngleich sie weiß, dass der Blick auf die Vergangenheit immer von der Gegenwart bestimmt ist und die Leitfragen, die sie an die Vergangenheit richtet, aktuellen (Erkenntnis-)Interessen folgen (Nora 1990: 11-13; Assmann 2006: 131-142; Lowenthal 2000). Museen, die Traditionspflege betreiben – etwa Firmenmuseen oder Armeemuseen, die das Andenken an bestimmte Truppenteile bewahren wollen – geraten ins Spannungsfeld zwischen kritischer Geschichte und historischer »Rosinenpickerei« (Manfred Görtemaker, zit.n. Meteling 2008: 177). Das heißt nicht zwingend, dass sie Geschichte verfälschen. Gleichwohl richten sie ein besonderes Augenmerk auf jene Teile der Geschichte, die traditionswürdig sind. Geschichte ist also nicht Tradition und nicht Vergangenheit. Was aber kennzeichnet Geschichte, und zwar insbesondere Geschichte im Museum? Auf diese Frage ließen sich viele Antworten geben. Einflussreich war im deutschen Sprachraum, vor allem in der Geschichtsdidaktik, das Konzept der Geschichtskultur des Historikers Jörn Rüsen (vgl. Hartung 2006; Mütter/Schönemann/Uffelmann 2000). Rüsen versteht darunter die »praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft«, also ihren Einfluss auf aktuelle Handlungen und Überzeugungen (Rüsen 1994: 5). Drei Komponenten bestimmen die Geschichtskultur: Ästhetik, Politik und Wissenschaft. Ästhetik ist Voraussetzung jeder Geschichtsvermittlung, da Geschichte nur ins Bewusstsein vordringen kann, wenn sie erzählt wird (ob in Form des Textes, des Films oder der Ausstellungsinszenierung). Nur ästhetisch aufbereitet erzeugt Geschichte Imagination und kann ihren Sinn vermitteln. Politisch ist Geschichtskultur, weil sie bestehende Ordnungen stützen oder unterminieren kann, Traditionslinien zulässt oder Anknüpfungspunkte verweigert. Sie erzeugt historisches Bewusstsein und kollektive Identität und beeinflusst so das aktuelle Handeln in einer Gesellschaft. Die Wissenschaft schließlich generiert Geschichte. Sie ermittelt auf Quellenbasis, was sich einst zutrug und interpretiert die Vergangenheit. Ihre Methoden und die Nachvollziehbarkeit ihrer Argumente macht Geschichte glaubwürdig und gibt ihr so überhaupt erst die Möglichkeit, Teil der Identität von Gruppen zu werden (Rüsen 1994). Der Rüsenschen Unterscheidung folgt der dritte Teil dieses Beitrags, der das Museum als Quelle begreift. Bevor der Blick aber auf das große Ganze fällt, gilt er zunächst den Quellen im Museum, den Exponaten.
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2. QUELLEN
IM
M U S E U M : TR A D I T I O N , D E N K M A L , Ü B E R R E S T
Objekte historischer Provenienz lassen sich mit dem Historiker Gustav Droysen (1808-1884) in absichtlich angefertigte und in unabsichtliche Zeugnisse aus der Vergangenheit unterscheiden (Droysen 1958: 37-83). 1889 hat Ernst Bernheim diese Trennung auf die quellenkundlichen Fachbegriffe Tradition und Überrest festgelegt. Quellen, die absichtlich zum Zweck der Überlieferung angefertigt wurden, galten ihm als Tradition, unabsichtliche und unbewusste Zeugnisse aus der Vergangenheit als Überrest. Zur Tradition zählen literarische Quellen, Chroniken, Memoiren, Annalen oder Geschichtsdarstellungen. Überreste sind Dokumente oder Gegenstände, die für begrenzte Dauer gedacht waren: amtliche Dokumente, Briefe, Alltagsgegenstände, Tagebücher, Werkzeuge etc. (Brandt 1996: 52-60). Für das Museum hat der Historiker Gerd Krumeich die Begriffe Tradition und Überrest als Objets souvenirs und Objets laissés adaptiert, was soviel wie Erinnerungsstücke bzw. zurückgelassene Sachen bedeutet (Krumeich 2001). Wie die beiden quellenkundlichen Begriffe der Historiker ist diese Trennung nicht immer scharf, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist der Begriff Souvenir doppeldeutig. Er bezeichnet einerseits schlicht das Andenken, also die Memorialfunktion als erste Aufgabe des Objekts. Andererseits muss das Museum zwischen Objekten als Souvenir und Fetisch, die allein im privaten Gebrauch Sinn erzeugen, und Objekten als Museumsdingen, die als öffentliche Erinnerungsträger fungieren, unterscheiden (Pearce 1994). Zweitens wandeln sich viele Objekte mit der Zeit von Objets laissés zu Objets souvenirs. Sie werden von nützlichen Sachen aus dem Alltag früherer Zeiten, die nicht zum Zweck der Überlieferung entstanden, zu rein symbolischen Erinnerungsstücken oder Zeichenträgern für die Nachgeborenen. Im Zuge ihrer Musealisierung erhalten die Alltagsobjekte einen anderen medialen Rahmen, wechseln vom privaten kommunikativen in das öffentliche kollektive Gedächtnis. Nicht ihr ursprünglicher Kontext, sondern ihr Quellenwert für die Historiker macht sie interessant. Als Quellen und Exponate sind sie nicht länger biographisch gestützt, sondern ethnographisch definiert. »Im Museum ist es nicht mehr ein lebensweltlichbiographischer Kontext, der das Kriterium für Authentizität ist, sondern die Nähe zu einer Kollektiverfahrung, die situativ, zeitlich und regional bestimmt ist.« (Korff 2002: 10). Die Museumsdinge emanzipieren sich von ihrer Gedächtnisgemeinschaft (Milieu de Mémoire), um sich als Erinnerungsort (Lieu de Mémoire) zu erheben. Alle Objekte einer Ausstellung sind Objets souvenirs, weil sie Bedeutungsträger sind, die zur historischen Unterrichtung dienen. Wenn von Objets laissés die Rede ist, bezieht sich diese Kategorie auf den Entstehungskontext der Objekte. Objets laissés sind Objekte wie die Tasse, Brille und die Tonscherben,
Thomas Thiemeyer £Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle
die das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst als Relikte der Gefangenen des Todeslagers Maly Trostenez ausstellt, wo sie zunächst von der Lagerverwaltung weggeworfen und 1991 bei Ausgrabungen zufällig entdeckt wurden. Es sind Objekte wie die Holzplanken, auf denen die Soldaten des Ersten Weltkriegs die Namen ihrer Schützengräben aufmalten, selbst gebastelte Dinge oder Briefe. Objets laissés können also entweder seriell gefertigte Industrieprodukte oder individuell hergestellte Artefakte sein. Sie sind verlässlichere Quellen als Objets souvenirs, weil niemand bei ihrer Produktion daran dachte, mit ihnen eine bestimmte Sicht der Dinge für folgende Generationen festzuschreiben. Sie sind besonders authentisch, weil sie einen vermeintlich unmittelbaren Einblick in fremde Lebenswelten geben und der Erfahrung der Erlebnisgeneration nahe stehen. Allerdings ist jedes Objet laissé (resp. jeder Überrest) »nur auf seinen bestimmten Gegenwartszweck zugeschnitten, er bezieht sich nur auf diesen Fall und lässt sich nur, soweit es der Zweck erfordert, über ihn aus. Er ist nicht dazu qualifiziert, alle Zusammenhänge aufzuzeigen […]« (Brandt 1996: 58). Sind Objets laissés für das Museum interessant, weil sie der Erfahrung der Zeitgenossen räumlich und zeitlich nah und frei von Überlieferungsfunktionen sind, so lassen sich an Objets souvenirs kollektive Mentalitäten und zeitbedingte Interpretationen eines historischen Geschehens ablesen. Reine Objets souvenirs wie Spielfilme, Romane oder Ausstellungen sind keine privaten Andenken (im Sinne von Souvenirs), sondern dienten der öffentlichen und politischen Sinnstiftung. Das Museum belässt sie in jenem Rahmen, für den sie geschaffen wurden: das kollektive öffentliche Gedächtnis. »Quellenzweck und Quellennutzung decken sich, während bei den Überresten beide in der Regel auseinanderklaffen« (Brandt 1996: 61). Form und ursprünglichen Inhalt der Objets souvenirs definiert die Ausstellung aber neu, sofern diese nicht dem aktuellen Geschichtsbild entsprechen. Nicht was sie von der Vergangenheit erzählen, sondern wie und warum sie es erzählen ist entscheidend. Objets souvenirs sind keine verlässlichen Quellen, sondern nur als »Funktion ihres Kontextes« (Rother 1994: 9) von Wert. In Bezug auf die museale Nutzung von Objekten militärischer Tradition erklärt Rainer Rother (1994: 9): »Sie mögen falsche Bilder präsentieren, doch vermitteln sie damit eine Vorstellung davon, wie der Krieg erscheinen sollte.« In ihren politischen Zielen, rhetorischen Funktionen und ikonologischen Traditionen bloßgestellt, stehen die Objets souvenirs dann nackt als Träger einer längst unbedeutenden Bedeutung vor dem Betrachter, der sie neue einkleidet. So verpufft zum Beispiel das Heldenpathos der Memorabilien der beiden Weltkriege in den Ausstellungen der postheorischen Gesellschaft. Diese Dekonstruktion funktioniert, wenn das Objet souvenir in seiner ursprünglichen Botschaft dem heutigen Verständnis klar widerspricht (wie beim Heldenkult). Wo
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es dem Geschichtsbild der Gegenwart entspricht, behält das Erinnerungsstück seine ursprüngliche Botschaft. Es ergänzt den herrschenden Diskurs als vermeintlich authentisches Zeugnis aus der Zeit. Häufig dienen Objets souvenirs zum Zweck der kritischen Dekonstruktion der Rezeptionsgeschichte, um die Zeitgebundenheit jeglicher Sicht der Dinge deutlich zu machen. Die rezeptionsgeschichtliche Kritik ist Stilmittel des diskursiven oder konstruktivistischen Museums, das der historischen Wahrheit generell misstraut und zu sich selbst auf Distanz gehen will (Beier-de Haan 2005). Es will den kritischen Blick des Betrachters schulen, indem es ihm klarmacht, dass Geschichte und die öffentliche Meinung zu Sinn und Zweck bestimmter Ereignisse stets gelenkt und manipuliert waren. Um das zu demonstrieren, eignen sich Objets souvenirs. Sie sind Sollbruchstellen der Geschichte, wenn ihre für die Ewigkeit gedachte Botschaft obsolet geworden ist. Bis dahin bestimmen sie das Gedenken und können auch danach noch (etwa als Stereotype) im kollektiven Gedächtnis weiterwirken. Zwischen den beiden Kategorien Objets laissés (Überrest) und Objets souvenirs (Tradition) bewegen sich Objekte wie Plakate, Bildpostkarten, Grabsteine, Friedhofskreuze oder Erinnerungsschreine. Sie entsprechen der Droysenschen Kategorie Denkmal: »Sie wollen aus der Zeit, aus den Vorgängen oder Geschäften, von denen sie Überreste sind, etwas bezeugen oder für die Erinnerung fixieren, und zwar in einer bestimmten Form der Auffassung des Geschehenen und seines Zusammenhangs […]« (Droysen 1956: 50f.). All diese Objekte entstanden, um ein Ereignis wie beispielsweise den Ersten Weltkrieg zu bewältigen (praktisch und symbolisch) oder um die Deutungshoheit über das Geschehen während des Krieges (also für eine begrenzte Zeit) zu behalten. Sie prägten das Kriegsbild der Zeitgenossen. Zugleich entstanden mit den Postkarten, Plakaten, Gemälden und Trench-Art-Objekten Dinge, die als sichtbare Erinnerungszeichen des Geschehens fungieren sollten. Insbesondere bei der Volkskunst aus den Schützengräben (Trench Art) sind »[…] die Grenzen zwischen unmittelbarer Ausdrucksform im Graben und absichtsvoller Erinnerungsform fließend« (Korff 2002: 8). Bereits im Ersten Weltkrieg entstanden allerorten Kriegssammlungen, die Objekte zusammentrugen, um die »Wahrheit« des Krieges für die Geschichtsbücher zu dokumentieren. Die Einteilung der musealen Quellen in die Kategorien Tradition, Denkmal und Überrest kann ein methodische Grundproblem nicht verdecken: Ausstellungen arbeiten fragmentarisch und sind – sofern nicht in objektfreier Szenographie gestaltet – abhängig von Überlieferungschance und Überlieferungszufall, worauf der Historiker Arnold Esch als methodische Herausforderung an die Geschichtsschreibung aufmerksam gemacht hat. Zwei Faktoren bestimmen Esch zufolge den Inhalt historischen Wissens, das aus Quellen gewonnen wird: der Zufall, ob etwas einen materiellen Abdruck hinterließ und so die Zeit
Thomas Thiemeyer £Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle
jenseits der mündlichen Überlieferung überdauert hat, und die Chance, dass die Zeitgenossen bestimmte Ereignisse für überliefernswert hielten und Dokumente anfertigten, die heute als Quellen dienen können (Esch 1985). Was Esch für die Geschichtsschreibung konstatiert, gilt ebenso für das Museum und seine Sammlungen. »Collecting is usually a positive intellectual act designed to demonstrate a point.« (Pearce 1994: 202). Depotbestände beinhalten, was Sammlungsleiter zu bestimmten Zeiten als wichtig erachteten. Das heißt, dass das heutige Bild von historischen Ereignissen in Ausstellungen auf den Zwecken, (Un-)Glücks- und Zufällen der Vergangenheit basiert. Dies zu bedenken ist grundlegend für die Analyse von Museen und Ausstellungen als Quellen.
3. DA S MUSEUM
ALS
Q U ELLE: WERK ZEU G E
DES
HISTORIKERS
3.1 Wissenschaft: Methodische Überlegungen
Vor der Ausstellungsanalyse steht die Festlegung des Forschungsdesigns. Der Forscher muss seine Vorgehensweise und seine Analysegruppe festlegen. Die Analysegruppe besteht aus allen Museen oder Ausstellungen, auf deren Grundlage er seine Ergebnisse gewinnt. Dabei kann er sich auf einen oder wenige Einzelfälle konzentrieren oder eine größere Anzahl von Museen in seine Analysegruppe aufnehmen. Einzelfallstudien nehmen besonders interessante Museen über einen längeren Zeitraum in den Blick und analysieren möglichst viele Facetten des Museums (vgl. etwa Pieper 2006). Ihre Analyse zielt auf Tiefe statt auf Breite und hat zum Ziel »[…] ein ganzheitliches und damit realistisches Bild einer sozialen Welt zu zeichnen« (Lamnek 2005: 299). Totalität und Methodenvielfalt sind dabei zentrale Schlagworte: Totalität bezeichnet die Erfassung möglichst vieler relevanter Daten, Methodenvielfalt die Anwendung verschiedener Methoden, um alle Ebenen auswerten zu können und blinde Flecken zu erkennen. Fallstudien laufen Gefahr, eine zu starke Binnensicht auf ihren Gegenstand zu haben und deshalb systemimmanente Fehler und Ausnahmen von der Regel nicht erkennen zu können. Der Vergleich mit anderen Ausstellungen kann dieser Gefahr vorbeugen, selbst wenn er nur punktuell und nicht systematisch erfolgt. Die Befunde aus Fallstudien sind nur schwer verallgemeinerbar, weil ihre Analyseeinheit klein ist. Dafür können sie dank intensivstem Studiums zu tieferen Einsichten gelangen und so neue Hypothesen formulieren, die später bei breiter angelegten Untersuchungen überprüft werden können (Lamnek 2005: 299-302). Umfasst die Analysegruppe nicht nur wenige Fälle, sondern eine größere Zahl an Museen, ist wichtig, welche Auswahlkriterien zugrunde liegen, wo Vergleichsmöglichkeiten und wo Unterschiede bestehen. Insbesondere die
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Unterscheidung zwischen Museum (bzw. Dauerausstellung) und Ausstellung (bzw. Wechselausstellung) ist dabei wesentlich. Museen bestehen dauerhaft und sind nicht zuletzt durch ihre Sammlung bestimmt. Ausstellungen existieren nur für kurze Zeit. »Dass die Inszenierungsversuche in Ausstellungen eher als in Museen zu beobachten sind, liegt daran, dass Ausstellungen als Museen auf Zeit in ihrer Präsentationstechnik beherzter und kühner sein können. Sie müssen den Mut zur These und den Mut zum Bild haben, damit sie mit ihren Botschaften der öffentlichen Diskussion Stoff und Richtung geben können. Sie sind Ausgangspunkte für Trends und weitreichende Verständigungs- und Deutungsprozesse, die nachdrücklich jene diskursive Unruhe bewirken können, die für eine lebendige Geschichtskultur Voraussetzung ist.« (Korff/Roth 1990b: 21f.) Anders als bei der Fallstudie geht es bei der Analyse mehrerer Museen um Querschnittsvergleiche. Sie kontrastiert Fälle, bildet Typologien oder folgt der kasuistischen Komparatistik, vergleicht also mehrere Einzelfälle entlang bestimmter Kategorien (Lamnek 2005: 184f.). Die Museen dienen als empirische Basis, auf deren Grundlage übergreifende Fragen beantwortet werden sollen. Nicht das einzelne Museum in all seinen Facetten ist relevant, sondern einzelne Aspekte der Museumspolitik, Ausstellungsästhetik oder bestimmte Inhalte der Schauen (vgl. etwa Raffler 2007; Thiemeyer 2010). Der Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass seine Erkenntnisse leichter zu verallgemeinern sind, weil sie auf einer größeren, vielleicht sogar repräsentativen empirischen Basis beruhen. Der Nachteil ist, dass die Breite des Ansatzes zulasten der Tiefe geht und das einzelne Museum als gewachsene Einheit mit seiner Geschichte und seinen Zielen aus dem Blick geraten kann. Neben der Unterscheidung in Fallstudien und Querschnittsanalysen ist für den Historiker die zeitliche Distanz zu den Ausstellungen zentral: Vergangene Ausstellungen, die nicht mehr existieren und nur noch aus Textquellen, Abbildungen oder der mündlichen Überlieferung der Ausstellungsmacher rekonstruiert werden können, behandelt er anders als aktuelle Ausstellungen, die er im Raum besichtigen kann. Einen Sonderfall bilden Ausstellungen, die noch nicht existieren, sondern gerade erst konzipiert werden. Vergangene Ausstellungen kommen dem klassischen Forschungsfeld des Historikers besonders nahe, weil er in Archiven Quellen und Sekundärliteratur recherchieren muss, um einen Eindruck von der nicht mehr existenten Schau zu bekommen. Inzwischen versucht die Museumswissenschaft unter dem Schlagwort »Historische Museologie« mit einer Vielzahl von Parametern ein umfassendes Bild von Theorie (Geschichte der Museologie) und Praxis (Geschichte der Musealisierung) des Museums über die Zeit zu entwerfen (vgl. Raffler 2007).
Thomas Thiemeyer £Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle
Wer Ausstellung aus historischer Perspektive untersucht, ist abhängig von der Überlieferungslage, muss aus Fragmenten ein neues Gesamtbild zusammensetzen. Er ist in hohem Maße auf die Sicht der Produzenten und Rezipienten der Ausstellungen, also Kuratoren und Besucher bzw. Rezensenten, angewiesen, weil er das eigentliche Produkt, die Ausstellung, höchstens ausschnitthaft auf Fotographien oder anderen Abbildungen betrachten kann. Das sinnliche Potenzial der Schau, etwa die Aura der Dinge oder die Wirkung des Raums, entzieht sich seiner Analyse weitgehend. Die Kulturwissenschaftlerin Christine Beil bemerkt dazu im Vorwort ihrer Studie zu Weltkriegsausstellungen zwischen 1914 und 1939, »[…] dass es unmöglich ist, eine vergangene Ausstellung samt ihrer spezifischen Atmosphäre zu rekonstruieren. Ihre Kurzlebigkeit […] erschwert ihre retrospektive Erfassung. Denn nur selten sind Ausstellungen über ihre Dauer hinaus im sozialen Gedächtnis präsent und abrufbar. Für eine bestimmte Zeit eingerichtet, werden nach ihrem Ende alle Spuren beseitigt.« (Beil 2004: 26). Die noch vorhandenen fragmentarischen Spuren aufzufinden und zu deuten ist das Metier der historischen Museumsanalyse. Das klassische Untersuchungsfeld vergangener Ausstellungen ist die Institutionen- und Sammlungsgeschichte. Wer sie betreibt, versucht zu verstehen, warum Ausstellungen zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Ästhetik besaßen, bestimmte Sichtweisen auf die Welt verbreiteten, wie sie sich durch die Jahrzehnte veränderten und wie ihre Sammlungen sich entwickelten (vgl. Sheehan 2002; Hochreiter 1994; Bredekamp 1993). Mit dem wachsenden öffentlichen Interesse an Wissenschaftsgeschichte widmen sich darüber hinaus neuere Studien dem Museum als Wissensgenerator (vgl. te Heesen in diesem Band). Gut ablesbar ist diese Perspektive an der Untersuchung naturhistorischer Museen im Deutschland des 19. Jahrhunderts, die der Historiker Carsten Kretschmann veröffentlicht hat (Kretschmann 2006). Kretschmann legt den Schwerpunkt auf Fragen der Wissenspopularisierung, interessiert sich für die Rolle der Museen bei der Generierung und Verbreitung neuen Wissens. Dafür ist die historische Rückschau Voraussetzung, denn erst aus der Perspektive der longue durée, also der Beobachtung eines längeren Zeitraums, lässt sich sagen, ob und wie sich kollektive Mentalitäten verändert haben und welche Medien daran maßgeblich beteiligt waren. Diese Fähigkeit, aus der zeitlichen Distanz die großen Konturen einer Epoche ganzheitlich zu Überblicken, ist der große Vorteil historisch arbeitender Museumsanalysen: »Die Pointe einer guten historischen Arbeit besteht nicht zum geringen Teil darin, dass sie es nicht mit den Intentionen der Akteure bewenden lässt, sondern auch in den Blick nimmt, was dabei herausgekommen ist. Der Historiker ist ja insofern bekanntlich klüger als die Zeitgenossen, als er den Fortgang der Dinge kennt und Entwicklungszusammenhänge überschaut […]« (Rohlfes 2006: 14). Neben institutionen-, sammlungs- und wissenschaftsgeschichtlichen Zugän-
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gen sind die Leitfragen einer von der Politikwissenschaft inspirierten Erinnerungsforschung, wie sie Claus Leggewie und Eric Meyer in ihrer Arbeit über das Holocaust-Mahnmal in Berlin vorschlagen, für die Analyse vergangener Ausstellungen anregend. Leggewie und Meyer interessieren sich für die politischen Entscheidungsprozesse, für die Frage, »wie öffentliche Diskussion (oder Deliberation) in politisch-administrative Entscheidung (Dezision) umgemünzt wurde« (Leggewie/Meyer 2005: 12). Auf dieser Grundlage entwerfen sie eine Diskussionsgeschichte des Holocaust-Mahnmals, die das Hin und Her der einzelnen Positionen nachzeichnet sowie erinnerungspolitische und verwaltungstechnische Zwänge bei Konzeption und Bau des Mahnmals berücksichtigt. So wollen sie ergründen, wie Geschichtspolitik ganz praktisch funktioniert. Im Gegensatz zu vergangenen Ausstellungen, die sich allein aus Quellen (vorhandenen wie selbst generierten Quellen, etwa Interviews mit Zeitzeugen) und Sekundärliteratur rekonstruieren lassen, ruht die Analyse aktueller Ausstellungen auf zwei Säulen: Quellenstudium (Dokumente und Interviews) und Feldforschung. Da letztere an anderer Stelle in diesem Band behandelt wird (vgl. den Beitrag von Eric Gable) und zudem kein genuines Feld der Geschichtswissenschaft ist, seien hier nur einige Anmerkungen zum Umgang mit den Quellen der Museumsanalyse gemacht. Ausstellungen lassen sich in drei Agenturen differenzieren, die jeweils als Quelle dienen können: Produzent (Ausstellungsmacher), Produkt (Ausstellung) und Rezipient (Besucher). Die Ideen der Produzenten lassen sich aus Konzeptpapieren, Vorträgen, Ausstellungskatalogen und Artikeln erschließen. Zudem existieren in einigen Museen Protokolle, Briefe oder Statusberichte aus der Konzeptionsphase, die Hinweise auf kontroverse Punkte geben. Die Wirkung der Ausstellung auf Besucher ist besonders prägnant in Rezensionen bezeugt. Neben diesen vorhandenen Quellen können selbst generierte Quellen als Analysegrundlage dienen, etwa Expertengespräche mit Projektmitarbeitern, Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats oder Interviews mit Besuchern. Die Art der Interviewführung verändert die Resultate maßgeblich und ist ein umfangreiches Thema der qualitativen Sozialforschung (vgl. Lamnek 2005: 329-407). Die Erkenntnisse aus den Gesprächen mit Produzenten und/oder Rezipienten und aus den Dokumenten beeinflussen die Auswertung der dritten Quelle, des Produkts. Der Blick auf die Ausstellungen ändert sich, wenn der Analysierende die Argumente und Überlegungen der Ausstellungsmacher kennt und mit diesem Vorwissen die Schau durchläuft (vgl. Theorie des Hermeneutischen Zirkels u.a. in Lamnek 2005: 63f.). Um Betriebsblindheit zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Ausstellungen vor dem Studium der Schriftquellen und den Expertengesprächen zu besuchen, sie zu fotographieren, nach Maßgabe eines Fragenkatalogs auszuwerten und die Ergebnisse dieser Analyse schriftlich festzuhalten. Später können diese Befunde, die die persönliche und ursprüng-
Thomas Thiemeyer £Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle
liche Sicht des Forschers widerspiegeln, mit den Erkenntnissen aus anderen Quellen für jedes Museum in einem Dossier entlang bestimmter Leitfragen oder Kategorien systematisiert werden (vgl. Thiemeyer 2010). Allerdings, und das ist die Kehrseite, erkennt man meist erst durch das Studium der Quellen, welche Punkte kritisch, umkämpft und relevant sind. Deshalb kennt die Sozialforschung die offene Methode. Sie bleibt neben den Ausgangsfragen offen für weitere Fragestellungen, die sich im Laufe der Recherchen und Gespräche ergeben. Damit diese Offenheit bei Querschnittsanalysen nicht zulasten jener Museen geht, die zuerst analysiert wurden, ist es hilfreich, die Ausstellungen der Analysegruppe gegen Ende der Recherche erneut zu besuchen (zirkuläre Strategie) (Lamnek 2005: 193-198). Neben den erkenntnistheoretischen Hürden ist die ungleiche Quellenlage das größte methodische Problem. Oft ist es purer Zufall, ob Museen noch Unterlagen zu ihren Ausstellungen besitzen und diese auch finden. Einige Ausstellungen sind gut dokumentiert, andere gar nicht (vgl. Fink 2006). Auch die Auskunftswilligkeit, Fähigkeit zur Selbstkritik und Vertrautheit der Gesprächspartner mit den Details der Darstellung variiert. Hinzu kommt bei der Analyse aktueller Ausstellungen, dass diese unstete Quellen sind. Die flexible Ausstellungsarchitektur der letzten Jahre gestattet es immer mehr Dauerausstellungen, kurzfristig einzelne Vitrinen, Sektionen und Beschriftungen zu ändern. Die Darstellungen bleiben nicht mehr zehn oder fünfzehn Jahre unverändert, sondern passen sich neuen Tendenzen an, revidieren Schieflagen, wechseln regelmäßig Objekte oder integrieren Teile einstiger Wechselausstellungen in ihre permanenten Ausstellungen. Für die Analyse heißt das: Jede Betrachtung ist eine Momentaufnahme. Sie kann nicht davon ausgehen, dass die Ausstellung in allen Teilen dem ursprünglichen Konzept folgt. Oft bestimmen zudem Sachzwänge, Tunnelblick, Zeitdruck oder Kompromisslösungen, was letztlich zu sehen ist. Es ist also Vorsicht angebracht, aus der Analyse der Schau auf die Absichten der Kuratoren zu schließen. Schließlich hat sich durch den Einsatz von audiovisuellen Medien die Themenvielfalt in den Ausstellungen potenziert und ist oftmals nicht mehr zu überblicken. Ob Themen fehlen, lässt sich kaum mehr sagen, da sie in Datenbanken oder Filmen versteckt sein können. 3.2 Politik und Ästhetik: Das Museum als Quelle
Als Politik und Poetik sind zwei Begriffe seit einiger Zeit in der Museumswissenschaft gebräuchlich (Karp/Lavine 1991), die den Rüsenschen Kategorien Politik und Ästhetik entsprechen. Dabei handelt es sich einerseits um Fragen nach dem institutionellen Umfeld, dem Entstehungsprozess und den Zielen, mit denen ein Museum oder eine Ausstellung geplant wurden, andererseits um die Art und Weise, wie, das heißt mit welchen Mitteln Museen ihr The-
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ma aufbereiten. Doch welche Fragen muss man stellen, um die Politik und Poetik/Ästhetik des Museums zu analysieren? Die quellenkritische Methode der Historiker kann hierfür Anhaltspunkte liefern. Sie anzuwenden heißt, das Museum als Quelle zu begreifen. Als Quelle gelten nach der Definition von Paul Kirn »alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann« (Brandt 1996: 48). Zwar ist eine Ausstellung per se Darstellung, die auf der Grundlage von Primärquellen arbeitet und sich dadurch von diesen unterscheidet. Als Gegenstand einer Medienanalyse sind Ausstellungen aber selbst Grundlage neuen Wissens, also Quellen, und zwar eine bestimmte Sorte: Sie sind Traditionsquellen, die mit der Absicht erstellt wurden, ausgewählte Erkenntnisse zu vermitteln, also etwa eine bestimmte Version der Geschichte zu überliefern. Eine Ausstellung als Analysegegenstand kann somit zu einem Fall für die historische Quellenkritik werden. Diese Methode, die bereits im 19. Jahrhundert für die kritische Interpretation von Texten entwickelt wurde (u.a. als historisch-kritische Methode), formuliert eine Reihe von Fragen, die der Historiker beantworten sollte, wenn er eine Quelle interpretiert (vgl. Droysen 1958; Maurer 2002). Sie liefert gewissermaßen eine Checkliste, mit deren Hilfe der Forscher Standards wissenschaftlicher Kritik einhält. Denn »Geschichte gibt nur Antworten auf gestellte Fragen, sie spricht nicht an sich« (Pohl 2006: 278), »Fragestellung und Qualität der Antwort bedingen einander« (Brandt 1996: 55). Die Leitfragen der Quellenkritik lassen sich indes nicht eins zu eins übertragen, sondern dienen vielmehr als Orientierungshilfen, die für die Ausstellungsanalyse modifiziert werden müssen. Einige Fragen, etwa nach der Echtheit, sind für die Analyse von Ausstellungen als Quelle (nicht für die Analyse von Quellen in Ausstellungen) nachrangig, andere sind zentral. Welche Fragen sollte man also stellen? 1. Wer ist der Autor der Quelle? Der Autor einer Quelle ist ihr Urheber. Er ist dafür verantwortlich, welche Darstellung einer Geschichte die Öffentlichkeit erfährt. Es ist deshalb interessant zu wissen, welche Biographie der Autor (Kurator) hat. Welcher Generation gehört er an? Mit welchen wissenschaftlichen Ansichten ist er sozialisiert worden? Aus welcher »Schule« kommt er? Ist er ein Fachfremder, der aus einer anderen Disziplin kommt und einen neuen Blick auf alte Themen wirft, oder besitzt er »Stallgeruch« und teilt die Perspektiven und Ansichten seiner Fachkollegen? Ausstellungen besitzen in der Regel nicht nur einen Autor, sondern mehrere. Wissenschaftler, Ausstellungsgestalter, wissenschaftliche Beiräte und Museumspädagogen erarbeiten zusammen, was der Besucher später zu Gesicht bekommt. Eine Ausstellung basiert auf dem Ausgleich zwischen unterschiedlichen Absichten.
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Welche unterschiedlichen Agenturen sind an diesem Kompromiss beteiligt? Und welche Argumente setzen sich warum durch? 2. Was ist die Position des Autors? Die Autorschaft einer Ausstellung ist eine politische Funktion, weil der Autor (Kurator) bzw. die Autoren mit ihrer Darstellung stets bestimmte Absichten verfolgen. Diese Absichten muss kennen, wer politische Botschaften in Ausstellungen aufspüren will. Allerdings sind die Absichten der Autoren nicht allein entscheidend für das Resultat der Schau. Ausstellungen sind in einem institutionellen Rahmen verortet, das heißt sie sind von Instituten (Vereinen, Forschungszentren, Firmen) oder politischen Trägern abhängig, die mit der Schau eigene Ziele verfolgen. Wollen sie kritische Geschichtsschreibung oder Traditionspflege, Dokumentation der neuesten Forschung oder Durchsetzung eines Geschichtsbildes, eine Stärkung der regionalen Identität oder verengte nationale Perspektiven überwinden? Ebenso entscheidend wie die bewussten Richtungsentscheidungen sind strukturelle Zwänge. Eine Ausstellung zu machen ist stets ein Kompromiss zwischen Gewünschtem und Machbarem. Die Sammlung, die Kosten, die Vorbereitungszeit und der Raum sind dabei wichtige Faktoren. Was kann mit den vorhandenen Objekten gezeigt werden? Welche Inszenierungsideen sind finanzierbar? Wie viel Zeit blieb zur Vorbereitung? Was gestattet der Ausstellungsraum? Die Dimensionen der Räume und Vitrinen oder die Belastbarkeit des Gebäudes entscheiden beispielsweise, welche Exponate wo gezeigt werden können und welche nicht. 3. Wer ist Adressat der Quelle? Neben den Produzenten entscheiden die Rezipienten einer Ausstellung, was in dieser zu sehen ist und wie. Zwar sind sie nicht selbst an der Konzeption beteiligt, aber die Ausstellungsmacher haben im Auge, welche Zielgruppen sie erreichen wollen. Welche mutmaßlichen Erwartungen der Zielgruppen legen sie ihrem Konzept zugrunde? Gibt es spezifische Teilgruppen, die den Museumsmachern besonders wichtig sind, etwa Veteranen im Kriegsmuseum oder Technikbegeisterte im Automobilmuseum? Und, falls ja, welche Themen interessieren diese Besucher, was wollen sie sehen und – oft noch wichtiger – was wollen sie nicht sehen? Bei Geschichtsmuseen kommt dem Zeitzeugen dabei entscheidende Bedeutung zu. Geschichte, die von Teilen der Museumsbesucher noch selbst erlebt wurde, ist ungleich problematischer auszustellen als Ereignisse aus Zeiten, die niemand mehr selbst erlebt hat. Die sogenannte Wehrmachtsausstellung oder die Enola-Gay-Ausstellung im National Air and Space Museum, Washington D.C. haben gezeigt, was passiert, wenn Ausstellungen das Geschichtsbild der Erlebnisgeneration infrage stellen (vgl. Thiele 1997; Harwitt 1997). Der Historiker Norbert Frei hat den Abschied von den Zeitzeugen als »Übergang vom
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Erinnerungskampf zur Erinnerungskultur« bezeichnet (Frei 2005: 26). Bilden die Erwartungen der Erlebnisgeneration nicht mehr den Ausgangspunkt der Ausstellungskonzepte, nehmen Chronistenpflicht und Berührungsängste mit sensiblen Themen ab und die Möglichkeiten, Themen wie die Shoah, die Vertreibungen des Zweiten Weltkriegs oder die Apartheid in Südafrika vollkommen anders darzustellen, zu. Das kann dazu führen, dass das Spekulative, Beliebige und wenig Relevante überrepräsentiert wird, weil »das Korrektiv der kontrollierenden Kennerschaft der Zeitgenossen« fehlt (ebd.: 56). 4. Was ist das Entstehungsdatum, wo der Entstehungs- und Wirkungs-Ort (bzw. die Orte) und wie die Entstehungssituation der Quelle? Diese Frage erschließt den erinnerungspolitischen Kontext, in dem ein Museum oder eine Ausstellung entstanden sind und – darüber hinaus – wo und wie sie wirkten. Wichtig ist, wann das Museum oder die Ausstellung entstanden sind. Was wussten die Ausstellungsmacher zu dieser Zeit über ihren Gegenstand? Welche öffentlichen Debatten bestimmten das Konzept oder veränderten die Wahrnehmung der Ausstellung nachträglich? Bei der ersten Wehrmachtsausstellung (1995-1999) war die veränderte deutsche Erinnerungskultur Mitte der neunziger Jahre, die sich zunehmend dafür interessierte, wie bereitwillig sich die deutsche Bevölkerung am Vernichtungskrieg beteiligt hatte, eine entscheidende Voraussetzung für die Skandalwirkung. Bereits 1991, vier Jahre vor der Wehrmachtsausstellung, hatte die Stiftung Topographie des Terrors in Berlin ihre Ausstellung »Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945« gezeigt und eindeutig die Mittäterschaft der Wehrmacht an den Massenverbrechen im Osten dokumentiert – allerdings ohne schrille Thesen und verführerische Fotocollagen (Rürup 1995). Dass diese Schau kein Skandal wurde, führt der Historiker Thomas Kühne darauf zurück, dass der Opfermythos der deutschen Soldaten erst seit dem 60. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad 1993 verblasste. Steven Spielbergs Film »Schindlers Liste« (1993), die Deutschlandtournee des Historikers Daniel Goldhagen (1996) und die neu verlegten Tagebücher Victor Klemperers (1996) beschleunigten den Verfallsprozess des kollektiven Mythos von der weitgehenden Unschuld der deutschen Volksgemeinschaft und bildeten einen neuen erinnerungspolitischen Rahmen, in dem die Schau zum Skandal taugte (Kühne 1999). Ebenso wichtig wie der Entstehungs- und Verbreitungszeitraum ist die Frage, wo die Ausstellung zu sehen war, weil ihr Standort bestimmte Zielgruppen nahe legt, die gemeinsame Vorstellungen von Geschichte, Identität oder Moral teilen. So verursachte die provokative Skulptur »La nona ora« des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan, in der ein Meteorit Papst Johannes Paul II. erschlägt, ausgerechnet im Heimatland des Papstes einen Skandal, als zwei Parlamentsmitglieder
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das in einer Warschauer Galerie ausgestellte Kunstwerk veränderten, indem sie den Meteoriten vom Körper Johannes Pauls entfernten. 5. Was ist der Zweck der Quelle? Diese Frage lässt sich zum Teil schon mit der Analyse der Position des Autors beantworten. Sie zielt jedoch auf mehr, will wissen, was die Motivation war, eine Ausstellung ins Werk zu setzen? Hinter jeder Ausstellung steht eine politische Absicht. Die Kriegsausstellungen der Gegenwart sollen beispielsweise zum Frieden erziehen und/oder Touristen anlocken und/oder Traditionspflege betreiben und/oder die jüngsten und jüngeren Konflikte ins kollektive Gedächtnis einspeisen und damit gleichsam die Deutungshoheit über sie erlangen (Thiemeyer 2010). Allerdings können Ausstellungen bei dem Versuch, ihre theoretisch formulierten Ziele praktisch umzusetzen, scheitern. Wichtig ist deshalb, zwischen Konzeptidee und Ausstellungswirklichkeit zu unterscheiden. Werden die Ideen, die hinter einer Ausstellung stehen, in der beabsichtigten Form sichtbar? Zeigt die Schau, was die Autoren darstellen wollten? 6. Was sind die zentralen Begriffe der Quelle? An den zentralen Begriffen lässt sich ablesen, welche Themen im Zentrum der Schau stehen und den Ausstellungsmachern als besonders wichtig gelten. Darüber hinaus zeigt sich in den Begriffen mitunter, wie Themen konzeptionell gefasst sind, ob zum Beispiel eine Ausstellung den 8. Mai 1945 als »Tag der Niederlage« oder als »Tag der Befreiung« Deutschlands wertet. »Keine historische Forschung kann umhin, die sprachliche Aussage und Selbstauslegung vergangener oder gegenwärtiger Zeiten als Durchgangsphase ihrer Untersuchung zu thematisieren. In gewisser Weise ist die gesamte Quellensprache der jeweils behandelten Zeiträume eine einzige Metapher für die Geschichte, um deren Erkenntnis es geht.« (Koselleck 2004: XIII). Bei Ausstellungen muss diese textzentrierte Lesart (Zentralbegriff ) um die Kategorien Zentralobjekte und wichtige Inszenierungen ergänzt werden. Denn Museen, kulturhistorische zumal, sind Orte, die zwei Diskurstypen nutzen, um synästhetische Erfahrung herzustellen. Sie bedienen sich des Diskurses der Wissenschaft, der die Schrift benötigt, weil er Eindeutigkeit will, und ergänzen ihn um den Diskurs der Kunst. Er arbeitet mit Metaphern, bedient sich mehrdeutiger Raumbilder aus inszenierten Objekten und Kulissen (Heinisch 1988). Zentral ist die Deutungsoffenheit der Museumsbilder und Exponate. Dinge und Bilder sind »Zeichenkonglomerate« und deshalb prinzipiell unterschiedlich verstehbar (Fayet 2007: 12). Museen geben als sinnliche Medien wissenschaftliche Erkenntnis kaum in Reinform weiter, sondern lassen einen mehr oder weniger großen Interpretationsspielraum. Sie revidieren den Prozess der Verwissenschaftlichung, der Formen in Gesetze transformiert und den Verlust an Sinnlichkeit zugunsten der Exakt-
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heit in Kauf nimmt. Der Zwang der Wissenschaft zur Unterordnung aller Teile in ein System kollidiert mit dem Autonomieanspruch der Kunst (Frey 1976: 236-242). 7. Welche Form hat die Quelle? Bei Textquellen untersucht die Formkritik, welche Textgattung vorliegt (wissenschaftlicher Bericht, Prosa, Poesie o.Ä.). Bei Ausstellungen zielt Formkritik primär auf Fragen nach der Aisthetik der Schau, verstanden als sinnliche Erfahrung (im Unterschied zur Schönheit), die über die rein kognitive Vermittlung von Geschichte hinausgeht. »Denn gerade Visuelles und Sinnliches vermag auch da zu wirken, wo das rationale Argument gar nicht erst hinkommt.« (Korff 1999: 323). Wie präsentiert das Museum seine Geschichte? Geht es dokumentarisch vor, vertraut also vor allem auf die Wirkung seiner Objekte und hält sich mit auffälligen Kulissenbauten zurück wie es viele KZ-Gedenkstätten aus Respekt vor dem authentischen Ort einstiger Massenvernichtungen machen? Oder handelt es sich um eine stark inszenierte oder szenographische Ausstellung, die weniger die Beweiskraft der Objekte im Sinn hat als vielmehr auf ein Geschichtserlebnis zielt? Warum wurde welche Form gewählt? Verzichtet ein Museum weitgehend auf Objekte und vertraut aufwändiger Szenographie, weil es sich davon eine höhere Anziehungskraft für junge Besucher verspricht oder weil der Sammlungsbestand zu spärlich ist? Und was für ein Geschichtsverständnis liegt dem zugrunde? Schließlich: Von welchem pädagogischen Programm wird die Schau begleitet (Führungen, Vorträge, Veranstaltungen), und wie sieht dieses inhaltlich aus? 8. Wie ist die Quelle formal aufgebaut? Der formale Aufbau einer Ausstellung bestimmt sich aus ihrer Sortierung und ihrem analytischen Zuschnitt. Sie kann chronologisch, systematisch (nach Themen sortiert), biographisch bzw. in naturhistorischen und ethnologischen Museen auch geographisch oder taxonomisch aufgebaut sein oder verschiedene Sortierungen in einen Parcours integrieren. Die Form der Präsentation bestimmt nicht nur, wie gut sich der Besucher in einer Ausstellung zurecht findet und wie verständlich sie ist, sondern sie strukturiert die Darstellung, schließt bestimmte Deutungen aus und begünstigt andere. Chronologische Ausstellungen benötigen beispielsweise ein Mindestmaß an Vollständigkeit. Sie takten Geschichte entlang eines zeitlichen Rasters und sind unfähig, ein Thema aus verschiedenen Epochen nebeneinander zu präsentieren. Anders als die zeitlich synchrone Chronologie betrachtet der Themenparcours ein Thema systematisch über verschiedene Epochen mit dem Effekt, dass Objekte und Themen aus fernen Zeiten einen engen Bezug zur Gegenwart des Betrachters bekommen können. Der Panzer neben der Feldkanone, das Maschinen- neben dem Zünd-
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nadelgewehr, die Pickelhaube neben dem Stahlhelm: stets kann der Zugang zu den zeitlichen fernen Exponaten über Objekte erfolgen, die der Betrachter kennt. Der analytische Zuschnitt einer Schau lässt sich an ihren Leitfragen und Kategorien erkennen, nach denen ihre Geschichte geordnet ist. Chronologische Präsentationen gliedern sich entlang einer Zeitachse, thematische entlang zentraler Begriffe oder markanter Ereignisse. Wo klare Leitfragen und Orientierungspunkte fehlen, wird eine Ausstellung schnell unübersichtlich, weil kein roter Faden zu finden ist. Es gilt die heuristische Regel, dass die Antwort nur entdecken kann, wer die Frage kennt. Wer also klärt, nach was die Ausstellung fragt, versteht, welche Antworten sie dem Besucher nahe legen will. Für den Historiker ist es dabei wichtig, nach dem Repräsentationscharakter der Darstellung zu fragen, der Geschichte von Vergangenheit unterscheidet: Folgt die Darstellung einem geschlossenen oder offenen Geschichtsbild, das heißt präsentiert sie Geschichte als zwangsläufiges Geschehen mit eindeutiger Botschaft oder verweist sie auf die Zufälligkeit des Verlaufs? Legt sie den Konstruktionscharakter ihrer Geschichte offen, zeigt, dass jede Darstellung eine zeitbedingte Sicht auf die Dinge und wandelbar ist, indem sie zum Beispiel eine abstrakte Ausstellungsgestaltung wählt, die darauf verzichtet, Leerstellen in der Überlieferung durch Nachbauten zu schließen? Ist sie multiperspektivisch angelegt, beleuchtet Ereignisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln? Und zeigt sie, dass Geschichte stets kontrovers, also nicht eindeutig, sondern umstritten ist? Verlangt sie vom Besucher mitzudenken, statt nur zu konsumieren? (Pohl 2006). 3.3 Kritik einer Lesart des Museums als Quelle
Der Versuch, zentrale Fragen der historischen Quellenkritik für die Analyse von Ausstellungen zu nutzen, legt eine bestimmte Lesart ihrer Präsentation zugrunde. Das Museum als Quelle ist Gegenstand hermeneutischer Analyse, die kaum geeignet ist, das sinnliche Potenzial einer Präsentation zu erkennen. Wie der Raum wirkt, welche Ausstrahlung die Dinge haben und wie sie zusammenwirken, lässt sich mit ihr nicht ergründen (vgl. Korff 1999). Diese Leerstelle versuchen andere Disziplinen zu schließen. So richtet sich die Aufmerksamkeit der kulturwissenschaftlichen Performanztheorie auf die Materialität der Dinge, ihre Wirkung im Raum und die Inszenierung des Museumsraums (vgl. Fischer-Lichte 2004; Siepmann 2003). Dieser Fokus findet sich auch im Programm einer »neuen Ästhetik«, wie es der Philosoph Gernot Böhme formuliert und deren Zentrum die Atmosphären, also Kontexte, die Gefühle auslösen, bilden (Böhme 1995). Auch die volkskundliche Sachkulturforschung bzw. die Material Culture Studies angelsächsischer Prägung waren hier einflussreich (vgl. König 2005). Was die geschichtswissenschaftliche
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Quellenkritik bieten kann, ist ein Merkzettel, der zentrale Fragen enthält, die es zu stellen lohnt. Wer das Museum als Quelle analysiert, wird bald merken, dass die Rekonstruktion von Ausstellungen, ihrer Geschichte und politischen Wirkung nur in Teilen gelingt. So können Analysen vergangener Schauen nur äußerst lückenhaft erfassen, wie sich die Ideen der Konzepte hinterher in den Schauen niederschlugen, ob sie umgesetzt wurden oder nicht, da empirisches Anschauungsmaterial fehlt. Das Grundproblem reicht aber tiefer: Quellen sagen nie, wie etwas war – dazu sind sie oft viel zu unvollständig, tendenziös (Tradition) und interpretationsbedürftig (Überrest) –, dafür aber, was man nicht sagen darf. Sie haben eine »Vetorecht« (Koselleck 1989: 206). Dennoch prägen die vorhandenen Dinge die Vorstellung von dem, was war. »Denn täuschen wir uns nicht: das Vorhandene hat bei uns größere Rechte, les absents ont tort.« (Esch 1985: 550). Besondere Sensibilität ist deshalb vom Forscher gefragt, um die tabuisierten und unterdrückten oder nicht überlieferten Geschichten zu finden und zu fragen, warum sie fehlen. »Der Historiker widerstehe darum der Versuchung, sich seine Erkenntnis von der Überlieferung zuteilen zu lassen, oder: in jenen unbeleuchteten Zeitaltern nur dort finden zu wollen, wo es hell ist […]« (Ebd.: 570)
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ETHNOGRAPHIE: DAS MUSEUM
ALS
FELD
Eric Gable Für Ethnologen1 bezeichnet Ethnographie zugleich eine Forschungsmethode und das schriftliche Produkt ihrer Forschung. Ethnologen betreiben Ethnographie, wenn sie im Feld sind; sie lesen und schreiben Ethnographien sowohl im Feld wie danach (Clifford/Marcus 1986; Geertz 1987, 1988, 1995; Metcalf 2005; Lassiter 2006). Gerade die Ethnographie sei, so erklären Ethnologen häufig, der einzigartige Beitrag ihrer Disziplin zu dem größeren Unterfangen der Sozial- und Kulturwissenschaften im weiteren Sinn. Ethnographische Forschung war und ist jedoch seit langem durchaus auch in anderen Disziplinen üblich – speziell in der Soziologie (Goffman 1963, 1997; Becker 2007), in Cultural Studies und Literaturwissenschaft (etwa Willis 1981; Radway 1984; Grossberg u.a. 1992; Grossberg 1992; 1997) und in gewissem Sinne gar in der Geschichtswissenschaft (Darnton 1989). Auch in der Marktforschung kommen ethnographische Ansätze verbreitet zum Einsatz. So ist es nicht verwunderlich, dass sich Ethnographen seit rund einem Jahrzehnt mit einer Außenperspektive ins Museum begeben haben, interessiert am Museum als kulturelles Phänomen und soziale Arena, und dass mehr und mehr Museumswissenschaftler ethnographische Zugänge nutzen, wenn sie zu verstehen versuchen, was passiert, wenn Museumsbesucher mit den Präsentationen in Kontakt kommen, die ein Museum produziert. Was also ist Ethnographie im allgemeinen ethnologischen Sinne? Und in welchem Verhältnis steht diese Art der Ethnographie zu derjenigen in und über Museen?
1 . ETHNOLOG IE
UND
ETHNOG R APHIE
Die Standard-Methoden ethnographischer Forschung in der Ethnologie sind beinahe so alt wie das Fach selbst und haben sich im Grunde seit den 1920er Jahren nicht wesentlich verändert (vgl. Ortner 1984; Sahlins 1999; Gable and Handler 2008).2 Ethnologen forschen im Großen und Ganzen – um ein Wort 1
Anmerkung zur Übersetzung (Joachim Baur): Aufgrund der unterschiedlichen Fachtraditionen im deutschen und britischen bzw. US-amerikanischen Kontext fällt die Übersetzung der Disziplinenbezeichnung nicht leicht. Wo Gable »(cultural/social) anthropology/anthropologist« schreibt, wird hier durchgängig »Ethnologie/Ethnologe« verwendet.
2
Der Leser/die Leserin wird zweifellos die Grenzen dieses Abrisses erkennen: Er tendiert zu einem Geertz’schen Ansatz ethnographischer Analyse, ein Ansatz der sich auf signifikante Weise mit dem symbolischen Interaktionismus der Chicago School in der Soziologie verzahnen lässt (vg. etwa Goffman 1997; Becker 2007). Zudem legt
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von Clifford Geertz (1987: 32) zu g ebrauchen – »in Dörfern«, selbst wenn es nicht ihr Ziel war, lediglich »Dörfer zu erforschen«. Denn »in Dörfern« zu forschen bedeutete nicht, dass sich Ethnologen auf eine ländliche Soziologie beschränkten. Vielmehr nutzten sie stets das, was sie an »entlegenen Orten« lernten, um sich zu den großen philosophischen und wissenschaftlichen Fragen zu äußern, die Westler im Versuch die conditio humana zu ergründen stellten – Fragen wie: Gibt es ein universales ästhetisches Urteil? Was sind die Grenzen von Rationalität und Instrumentalismus? – und zwar insofern sich diese Fragen im Rahmen des Alltäglichen, des sozialen Mikro-Kosmos, betrachten ließen. In der Behandlung dieser Fragen plädierten Ethnologen, die »in Dörfern« forschten, für die Notwendigkeit eines holistischen Ansatzes, wie sie es nannten. Sie wollten zeigen, dass der »politische Geschmack« und die Art, wie jemand aß oder Kinder erzog, Teile ein und desselben strukturierten Ganzen waren und dass zugleich Handlungen in einer sozialen Arena solche in allen anderen beeinflussten. Um ein Dorf zu begreifen, musste man alles in ihm als Bestandteil einer gesellschaftlichen Totalität sehen, als Teil eines weit verzweigten Bedeutungsnetzes.3
er sein Gewicht maßgeblich auf englischsprachige Literatur und, mehr noch, auf Arbeiten in der amerikanischen Tradition der cultural anthropology im Gegensatz zu Arbeiten der europäischen social anthropology. Sahlins (1999) und Ortner (1984, 1999) stellen diese Ansätze einander gegenüber; gleiches unternehmen ich selbst und Handler (2008) in einer Zusammenfassung des Beitrags der Ethnologie zur Kulturtheorie. Für eine gute Kritik »kulturalistischer« Theorien in der Ethnologie von einem Meister der europäischen social anthropology vgl. Kuper 1999. Vgl. weiterhin Kuper 1996 für eine lesbare Geschichte der britischen social anthropology und ihrer ethnographischen Traditionen. 3
Ihr Holismus ließ Ethnologen gelegentlich jene Art totalisierender Zugänge zur Gesellschaft entlehnen oder unabhängig selbst entdecken, die auch den Klassikern der Soziologie zugrunde liegen – Durkheim, Weber und, ja, Marx, den viele Ethnologen als Ethnographen des Europas des 19. Jahrhunderts bzw. der kapitalistischen Gesellschaft bezeichnen würden. Während sich die Soziologie jedoch spezialisierte und innerhalb ihrer disziplinären Grenzen eine Art Arbeitsteilung hervorbrachte, die selbst durkheimianisch ist, steht die Ethnologie zumindest mit Lippenbekenntnissen in Treue zum Holismus, selbst lange nachdem Ethnologen die Dörfer zugunsten größerer Schauplätze verlassen und die Prämisse in Zweifel gezogen haben, dass Ethnographie zwangsläufig mit einem Ort zu tun haben muss, an dem Menschen leben, die ein System an Vorstellungen teilen, wie die Welt um sie herum funktionert. Für eine gute Einführung zur Methode der Ethnographie vgl. Agar 1996 und Spradley 1979.
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»In einem Dorf« zu forschen, um Muster und Verbindungen analytisch zu beschreiben, hieß, dass ethnographische Forschung aus intensiven Kontakten bestand, und zwar im Rahmen einer ziemlich kleinen Gruppe von Personen – eines sozialen Universums, dessen Verständnis keine Umfragen oder Statistiken, sondern die Intersubjektivität des Gesprächs und des Dialogs erforderte und vor allem nach »Teilnahme« verlangte. Um ein Dorf und die Dorfbewohner zu verstehen, musste man mit ihnen leben, ihr tägliches Leben teilen, üblicherweise für längere Zeit, wenigstens ein Jahr, vielfach zwei oder mehr. So beschrieb es in den 1920er Jahren einer der Pioniere der Ethnologie, Bronislaw Malinowski, in seinem Buch Argonauts of the Western Pacific, das auf einem langen Aufenthalt auf den Trobriand-Inseln basierte und bald zu einem der kanonischen Werke der Kulturanthropologie wurde. Malinowski behauptete, die »wunderbare Kraft des Ethnographen« bestünde in einer Verbindung von guter Theorie mit einem Leben »ohne andere Weiße direkt unter den Eingeborenen« (Malinowski 1979: 28). Das Ziel solcher Feldforschung war es, »ein eigenartiges, manchmal unliebsames, manchmal höchst interessantes Abenteuer« (ebd.: 29) in das Porträt einer Gesellschaft zu verwandeln. Um dies zu bewerkstelligen, hatte der Ethnologe nicht nur die vor Ort gesprochene Sprache zu erlernen und statt auf fest vereinbarte Interviews auf spontane Gespräche zu setzen, sondern er musste auch glückliche Zufälle zu nutzen wissen: »Es muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß es, wenn etwas Dramatisches oder Bedeutsames vorfällt, darauf ankommt, dies unmittelbar in der Zeit des Geschehens zu untersuchen.« (Ebd.: 30) Auf diese Weise würde der Ethnologe lernen, die Welt – in Malinowskis Worten – »from the native’s point of view«, »aus der Perspektive des Eingeborenen« zu sehen. Seit Malinowski haben wir erkannt, dass gute Ethnographie immer einen Akt der Übersetzung beinhaltet – nämlich die »Perspektive des Eingeborenen« zu beschreiben und zu analysieren – und dass sie dabei vieles glücklichen Zufällen verdankt. Man geht mit einer bestimmten Reihe von Fragen im Kopf ins Feld. Man entwickelt – im Zuge zahlreicher Finanzierungsanträge – die Konturen der Untersuchung. Wenn man dort ankommt, sind die Dinge anders als erwartet: die zu Untersuchenden haben ihre eigenen Vorstellungen oder sind wenig interessiert an dem, was man erforschen wollte, oder man ist mit einem dramatischen Ereignis konfrontiert, das verstanden werden will. Ethnologie von diesem Schlag ist, wie Geertz (1973, 1987) in einer Reihe ethnographisch fundierter Essays, die die Methode exemplifizieren, bemerkt hat, eher ein interpretatives Unterfangen, denn eine erklärende Wissenschaft. Der Ethnograph »sucht Komplexität und ordnet sie« (Geertz 1973: 34). Ein Ereignis wird in diesem Sinne einem Text oder einer theatralischen Performance gleich und »der Eingeborene« oder vielmehr »die Eingeborenen« sind zugleich Autoren, Darsteller und Zuschauer des Ereignisses. Jedes Ereignis wiederum
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kann als nur ein Teil in den Kontext eines größeren Musters an Ereignissen gestellt werden, wobei jenes Muster – wie andere Pioniere der Ethnologie formulierten – nichts geringeres als die Kultur selbst ist. Über weite Strecken der Geschichte der Ethnologie beinhaltete der Akt der Interpretation im Zuge des ethnographischen Kontakts eine implizite, doch offensichtliche Kluft zwischen der Subjektposition des Ethnographen/der Ethnographin und seines oder ihres »Eingeborenen«. Um die derzeit ubiquitär verbreitete Formulierung zu benutzen: Ziel der Ethnographie war und ist es, das Fremde vertraut und (in verstärktem Maße) das Vertraute fremd zu machen.4 So befassen sich die meisten kanonischen Werke der Ethnologie mit Vorstellungen von »Eingeborenen«, die auf den ersten Blick wenig Sinn zu machen scheinen – etwa einen verbreiteten Glauben an Hexerei oder an den Einfluss der Vorfahren auf das Leben der Lebenden. Ethnographie als eine Form des Schreibens interpretiert solche Vorstellungen üblicherweise in Bezug auf gesellschaftliche Funktionen – Was bewirken Hexerei-Vorwürfe im Hinblick auf die Beförderung sozialer Integration oder die Sicherung gesellschaftlicher Privilegien? – oder in Bezug auf ihre Bedeutung als Allegorien, Kritiken oder Kommentare zur conditio humana oder zu aktuellen historischen Transformationen. Insofern mögen etwa Ethnologen, die zu afrikanischen Gesellschaften arbeiten, heute nach wie vor die Verbreitung absonderlicher und eindeutig fantastischer Glaubensvorstellungen studieren, doch interessieren sie sich dabei im Gegensatz zu einer früheren Generation weniger für Fragen der Rationalität, sondern für die Kopplung solcher Vorstellungen mit gegenwärtigen ökonomischen oder politischen Katastrophen (vgl. etwa Comaroff and Comaroff 1993). Gleichwohl macht der Gedanke, dass die Perspektive der Eingeborenen fremdartig, ja surreal, ist und der Interpretation – einer Art Dekodierung – bedarf, den Kern praktisch der gesamten ethnographisch fundierten Ethnologie aus, selbst wenn solche Ethnographien (wie im Folgenden zu sehen sein wird) zunehmend in vertrauten Räumen verortet werden – im Labor, im Klassenzimmer, im Museum. Ein weiteres Charakteristikum der Ethnographie »from the native’s point of view« ist, dass wir nicht nur Glaubensvorstellungen, die ans Absonderliche 4
Die Formulierung wird den russischen Formalisten zugeschrieben; Versionen davon haben jedoch eine weiter zurückreichende Stammtafel in der Ethnologie (wie das obige Zitat von Malinowski zeigt) und unter anthropologisch gebildeten Wissenschaftlern anderer Disziplinen. Inzwischen ist es die gängige Losung in den meisten einführenden Lehrbüchern, zumindest in den USA. So ist das Vertraut-Machen von Fremdem ein stetiger Refrain in Pierre Bourdieus Die feinen Unterschiede und das Befremden ist dort speziell auf die Intellektuellen gerichtet, die (nach Bourdieu) »Geschmack« nicht als gesellschaftliches Produkt beleuchten können, weil sie ihn als natürlich verinnerlicht haben.
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grenzen, in den Blick nehmen, sondern auch jene profanen Praxen und Kommentare, die unseren Informanten so selbstverständlich erscheinen, dass sie ihnen kaum bewusst sind. Doch nochmals: Da sie dem Wissenschaftler merkwürdig erscheinen, erheischen sie eine Deutung. In diesem Sinne stellte etwa Ruth Benedict (2006 [zuerst 1946]) in einem weiteren klassischen Werk der Disziplin die Art und Weise heraus, wie Japaner in der Diskussion über führende Politiker den Begriff »Lauterkeit« benutzten. Ein Politiker, der eine Auslandreise abbrach, um durch seine Rückkehr zu Hause nachlassende Unterstützung wieder aufzubauen, und dabei vorgab, er tue dies, weil er Frau und Kinder vermisse, wurde in Presse und Öffentlichkeit für seine fehlende »Lauterkeit« scharf angegriffen. Benedict nahm nun an, dass ihre Leser annehmen würden, die Japaner kritisierten den Politiker wegen seiner Lüge hinsichtlich der Gründe seiner abrupten Rückkehr. Dies taten sie jedoch nicht. Stattdessen seien sie, wie Benedict deutlich macht, von dem irritiert gewesen, was sie als unangemessene Thematisierung des Privaten ansahen. Indem der Politiker – nach Ansicht seines japanischen Publikums – im falschen Kontext freimütig über seine persönlichen Belange sprach, handelte er »unlauter«. Benedict benutzte diese und andere Alltagsbegebenheiten dazu, eine »Perspektive der Eingeborenen« zu enthüllen, die in scharfem Gegensatz zur Eingeborenen-Perspektive ihrer Leser, Amerikanern der Mittelschicht, stand. Auf diese Weise machte sie das Fremde vertraut, indem sie zugleich die unbewussten Annahmen ihrer Gesprächspartner wie die selbstverständlichen Annahmen ihrer Leser aufdeckte. Nicht jede Gesellschaft erwartet von ihren Politikern, »authentisch« zu sein, indem sie ihre persönlichen Stimmungen und Gefühle offenbaren – eine Annahme, die Amerikaner typischerweise treffen, als sei dies eine natürliche menschliche Neigung. Benedicts Arbeiten über Japan waren kaum ethnographisch im engeren Sinne des Begriffs. Sie führte ihre Forschungen während des Zweiten Weltkriegs durch, hatte somit keinen Zugang zu wirklichen japanischen Dörfern. Sie stützte sich maßgeblich auf die Medienberichterstattung der Japaner im und vor dem Krieg sowie auf Interviews mit japanischstämmigen Amerikanern. Überdies beabsichtigte ihr Buch die Kultur eines ganzen Nationalstaats zu enthüllen. Gleichwohl war ihr Ansatz im Allgemeinen nicht gar so verschieden von dem ihrer Kollegen und Peers – Malinowski, Mead, anderer, die in Dörfern forschten – und ihre Arbeiten deuteten die Richtung an, die später zu einem Paradigmenwechsel in der Ethnologie führte: hin zu einer Forschung »zu Hause« statt in der Ferne an »entlegenen Orten«. Dieser Umschwung ist in den letzten zwanzig Jahren in der Ethnologie verbreiteter geworden, was zu einem gewissen Grad globale und gesellschaftliche Transformationen widerspiegelt, aber auch den Anstieg dessen, was man Transdisziplinarität in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften
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nennen könnte. Immer mehr Ethnologen gehen ins Feld, um etwa NGOs oder Werbeagenturen oder Genforschungszentren oder Nationalparks und Naturschutzgebiete zu erforschen – Felder, die sehr verschieden sind von den kleinen Dörfern in entlegenen Gegenden, die Ethnologen früherer Zeiten zu untersuchen pflegten. Ein Teil der Ursache hierfür ist, dass ehedem abseitige Orte nun Schauplätze transnationaler Einmischungen sind. Staat und Nicht-Staat sind heutzutage überall. Man kann kein Dorf erforschen, ohne potenziell auch Missionare oder Touristen oder Entwicklungshelfer oder, wenn wir schon dabei sind, Soldaten, Revolutionäre, Parteifunktionäre, transnationale Konzerne, ganz zu schweigen von zurückgekehrten Migranten und den Medienströmen via Internet oder Satellitenschüssel zu berücksichtigen. Aufgrund dessen, was häufig euphemistisch als »Globalisierung« bezeichnet wird, umfassen die »neuen Eingeborenen« der Ethnographen einen komplexeren und multilokaleren Mix an Akteuren, doch die Techniken ihrer Erforschung bleiben die gleichen: Beobachtungen über einen langen Zeitraum, gepaart mit informellen Interviews, wenn auch üblicherweise ergänzt um jene Art textlicher und diskursiver Information, die unausbleiblicher Teil einer jeden Umgebung sind. Die Ethnographie wird jedoch nicht allein von der Globalisierung verändert. Ethnologen haben in zunehmendem Maße auch aus praktischen, politischen oder moralischen Gründen die Entscheidung getroffen, zu Hause statt im Ausland zu forschen. Manche dieser Studien spiegeln eine vorhersehbare Verschiebung: Wenn »Eingeborene« sich durch die Landstriche der Welt bewegen, folgen ihnen die Ethnologen. So ist es nicht verwunderlich, dass etwa eine Studie über Eritreer eine genaue Untersuchung der von Exilanten betriebenen Websites mit ethnischem Fokus erforderlich machen kann (Bernal 2005) oder dass man, um West-Afrikaner zu verstehen, seine Zeit in Amsterdam oder Lissabon oder New York City unter Prostituierten, Straßenverkäufern, Arbeitern, ganz zu schweigen von Studierenden und Taxifahrern verbringt. Der Verlagerung ethnographischer Forschung von »auswärts« nach »zu Hause« ist jedoch in gleichem Maße wie von der Bewegung der traditionellen Untersuchungsobjekte der Ethnographie auch von theoretischen und moralischen Belangen motiviert. Die Ethnologie widmet sich (im Widerschein größerer transdisziplinärer Verschiebungen) mehr denn je einem Verständnis dessen, was man die Kultur des Kapitalismus und des Staates nennen könnte. In den Vereinigten Staaten bedeutete und bedeutet dies, dass immer mehr Ethnologen dem Ruf gefolgt sind, das in Angriff zu nehmen, was mitunter als »cultural criticism« oder »repatriated anthropology« bezeichnet wird – oder »to study up«, um Laura Naders (1972) gelungene, subtil aggressive Formulierung aufzugreifen.5 5
Als Nader den Aufsatz schrieb, war eine gängige, derbe Beleidigung »up yours«,
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Zu Naders Zeiten tendierten Ethnologen, die in ihrem eigenen Hinterhof forschten, dazu, Personengruppen zu studieren, die marginalisiert waren – Arme, Stammes- und Subkulturen. Auf diese Weise machten Ethnologen ihre moralische Vision deutlich. Im Versuch, Beziehungen zu den gesellschaftlich Marginalisierten aufzubauen und für diese zu einem Mainstream-Publikum zu sprechen, zeigten sie ihre Solidarität mit diesen Leuten. Sie liefen indes auch Gefahr, diese zu erotisieren, sie in lokale Versionen »primitiver Stämme« mit merkwürdigen, aber aufregenden Gebräuchen zu verwandeln. Und sie waren vor allem paternalistisch. Naders Ansicht nach hatte sich die Ethnologie viel zu viel dem »studying down« verschrieben. Tatsächlich zeigt die gesamte Geschichte der Ethnologie als ethnographische Begegnung die Neigung zu einem gewissen sozialen und kulturellen »Slumming«. Die politische Agenda der Ethnologie wurde dabei vom schieren Kick, den sie versprach, in den Schatten gestellt. Nader wollte die Ethnologie unmittelbarer politisch relevant machen. »To study up« bedeutete, hochrangige Manager, die angesehene Institutionen führen, Wirtschaftseliten, Wissenschaftler oder Regierungsbeamte als »natives«, als »Eingeborene« zu behandeln. Sie wollte die Fähigkeiten der Ethnographin, Beziehungen aufzubauen und Fremdartiges zu durchschauen, dazu nutzen, den Vorhang, der die Handlungen der heutzutage Mächtigen verbirgt, zurückzuziehen, um Elitenakteure dem öffentlichen Blick auszusetzen. Sie vertrat eine kritische Ethnographie, eine Art Enthüllungsliteratur, jedoch innerhalb des Genres ethnographischer Analyse Heute nehmen viele Ethnologen an, dass unsere Disziplin Naders Aufruf gefolgt ist und »nach oben forscht«.6 »Studying up« ist allerdings problemaeine euphemistische Version von »fuck you«. »To study up the establishment« bedeutet mit Fakten und Analysen das zu tun, was »up yours« implizierte. Naders Plädoyer wurde von ihren Lesern fraglos als Aufruf erkannt, die Ethnologie als Waffe im Kampf gegen das Establishment zu benutzen – gegen Konzerne, den Staat, die Mächtigen Insofern antizipierte sie ein inzwischen nahezu ungeteiltes Bedürfnis unter Ethnologen, eine »engagierte« Ethnologie zu betreiben, also in der Regel eine Ethnologie, die den Interessen oder Agendas der Entrechteten oder anderweitig Subalternen hilft, oder eine Ethnologie, die zumindest die Munition für deren Kampf liefert. Engagierte Ethnologie ist immer für etwas und zugleich gegen etwas. Engagement ist eine Frage der »Subjektposition«. 6
Als Beispiele anführen ließen sich die Bemühungen, internationale Entwicklungsorganisationen, Gentechnikunternehmen, Krankenhäuser und Ärzte, transnational agierende Chinesen aus der Oberschicht, Hedge Fund-Manager, Werbeagenturen und ähnliches zu verstehen (vgl. etwa Ferguson 1994 oder für kürzere Artikel jede beliebige Ausgabe der Zeitschrift Cultural Anthropology).
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tisch, denn es erfordert zugleich Zugang zu den Schalthebeln der Macht und eine ehrliche Beurteilung der eigenen Subjektposition. Was ist »oben« und wer ist »oben« für einen Ethnologen, der selbst zumindest potenziell der wissensproduzierenden Elite angehört? Und kann der Ethnologe tatsächlich am Leben von Eliten teilhaben, die offensichtlich überlegen sind? Es war für Ethnologen immer vergleichsweise einfach, sich im kolonialen oder postkolonialen Kontext unter Eliten zu bewegen. Könige an abgelegenen Orten sind aus der Perspektive des Ethnologen in gewisser Weise noch wie Gangleader im Barrio. Um wirklich in Naders Sinn »nach oben zu forschen« müssten Ethnologen jene als »natives« behandeln, die ihnen im Hinblick auf Bildung, Einkommen, Prestige und Durchsetzungsvermögen zumindest ebenbürtig bzw. eigentlich klassenmäßig und kulturell überlegen sind. Ein solches Vorgehen würde nicht nur das politische Anliegen von Ethnologen widerspiegeln, sondern wäre ein logischer Schluss. In einer Disziplin, die seit langem mit der Erforschung von Ideen und Glaubensvorstellungen als totalem sozialen und kulturellen Phänomen befasst war, lag es nahe, mit der ethnographischen Untersuchung von Institutionen innerhalb des Staates zu beginnen, die an der Produktion und Verbreitung von Wissen beteiligt waren.
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Museen sind ein Beispiel für jene Art von Feldern, die Ethnologen derzeit unter dieser allgemeinen Rubrik erkunden. In ihrem Zugang zu diesen Gebieten sahen sich Ethnologen verstärkt von der Arbeit ihrer Kollegen in verwandten Disziplinen beeinflusst, speziell den Cultural Studies mit ihrer langen Tradition des politisch engagierten Hinterfragens hegemonialer Institutionen im Bereich der Wissensproduktion – den Medien, der Erziehung oder der Kunst (vgl. Mason 2006).7 Die Cultural Studies widmen sich beharrlich der Untersuchung von Repräsentation in modernen Medien im weiten Sinn. Als solches kennt das Fach eine Vielzahl methodischer Zugänge zu Text, Bild und Film und kann zugleich dafür kritisiert werden, einen zu engen Fokus auf Repräsentation zu wählen. Wenngleich Ethnologen des Museums die multidisziplinäre Welt der Cultural Studies bei ihrer Lektüre zur Kenntnis nehmen, auf sie reagieren und Anleihen bei ihr machen, tendieren sie zugleich dazu, 7
Rhiannon Masons Übersicht über die Grundlagen der Kulturtheorie im Verhältnis zur Museumsforschung ist die konziseste und zugänglichste Zusammenschau, die ich kenne. Sie erschien in einem von Sharon Macdonald (2006) herausgegebenen Band, der zahlreiche nützliche Aufsätze enthält, darunter eine gekonnte Darstellung von Gordon Fyfe zum Verhältnis des Museums als Untersuchungsgegenstand und soziologisches Phänomen und dem Aufstieg der Soziologie als Disziplin.
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sich stärker für Prozesse, denn Repräsentationen zu interessieren. Wie Geertz sind wir davon fasziniert, wie Texte produziert und von ihren Gesprächspartnern gelesen werden. Wie Malinowski wollen wir diesen Prozess »from the native’s point of view« verstehen. Wie Nader nehmen wir an, dass wir, wenn wir Museen erforschen, »nach oben forschen«. Im Allgemeinen beginnen Ethnologen, wie ihre Kollegen in anderen Disziplinen, ihre Forschung mit der Prämisse, das Museen Teil dessen sind, was Tony Bennett (1995) so treffend als »exhibitionary complex« bezeichnet hat, und dass sie als solche ein wesentlicher Schauplatz der Produktion und Konsumtion von Repräsentationen in der Moderne sind. Das zentrale Leitmotiv der Cultural Studies ist, dass Gesellschaften Repräsentationen produzieren, die politische Implikationen haben. Repräsentation – eine Ausstellung zu machen, einen Film, ein Buch – schadet einigen und hilft anderen, indem sie bestimmte Vorstellungen der Welt naturalisiert und bestimmte Stimmen privilegiert. Die Cultural Studies engagieren sich in der Regel erklärtermaßen nicht nur als Beobachter, sondern als Akteure einer »politics of culture«. Häufig ist es nicht nur ihr Ziel, das Ausmaß bestehender Missrepräsentation klar ins Bewusstsein zu bringen, sondern einen Raum der Repräsentation zu schaffen, in dem sich unterdrückte Stimmen Gehör verschaffen können, und die Analyse so als eine Form von »Intervention« einzusetzen, wie der zunehmend übliche Begriff lautet. Damit zielen die Cultural Studies selbst-bewußt auf Demokratisierung. Sie entlarven Repräsentationen als elitär oder ausschließend oder beides zugleich. Indem sie die Übertreibungen und Auslöschungen in dominanten kulturellen Diskursen und Bildern hervorheben, versuchen sie, die Stimmen der zum Schweigen Gebrachten, besonders der verstummten Subalternen – »rassische« oder ethnische Minderheiten, Angehörige marginalisierter indigener Gruppen etc. – zu ermutigen und (einem Bauchredner gleich) zur Sprache zu bringen. Mit ihren Kollegen in den Cultural Studies teilen Ethnologen, die über Museen forschen, das Anliegen, still gestellten Subalternen eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Tatsächlich liegt dieses Ziel einem Gutteil jener ethnographischen Analysen zugrunde, die untersuchen, wie Museen, die »primitive« oder »eingeborene« Völker zum Fokus haben, diesen eine »Stimme in der gegenwärtigen Gesellschaft« ermöglichen bzw. ermöglichen können oder sollen (vgl. etwa Ames 1992; Kaplan 1994; Simpson 2001; Kreps 2003). Ein typisches Beispiel ist das ethnographisch gefärbte Buch des Ethnologen Richard Kurin (1997), der zur Zeit auch Direktor des Center for Folklife Programs and Cultural Studies der Smithsonian Institution ist. Es behandelt, wie kulturelle Repräsentationen der Smithsonian Institution verhandelt und vermittelt werden, wenn Experten wie er sich bei der Produktion von Ausstellungen mit Subalternen zusammenschließen, oder wenn »die Leute« den Raum, den Kuratoren zur
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Verfügung stellen, nutzen, um sich selbst zu vermitteln (ebd.: 270). In einem Kapitel über »The Festival of India« beschreibt Kurin, wie sich indische Straßenkünstler das Foyer des Museum of Natural History aneigneten, um einen temporären Tempel zu bauen. Für ihre Zwecke entnahmen sie der Sammlung des Museums mehrere Meteoriten, bei denen sie entfernte Ähnlichkeiten mit ihrer Gottheit erkannten (ebd.: 155). Kurin argumentiert, dass diese Art der vermittelten Aneignung mehr war als eine unterhaltsame Theateraufführung. In Indien wurden die Straßendarsteller zu jener Zeit diffamiert und schikaniert. Sie wurden in der Regel als Bettler betrachtet, die kitschige Imitate klassischer Kunst herstellten oder nur vordergründig künstlerische Vorführungen darboten, die letztlich nichts als Schwindel waren, nur eine Masche zum Sammeln von Spenden (ebd.: 146). Im Zuge des Aufschwungs der Dalit-Bewegung in Indien hatten sich manche dieser Darsteller indes politisch organisiert. Indem man ihnen nun eine prestigeträchtige Bühne zur Selbstdarstellung geboten habe, so Kurin weiter, habe die Smithsonian Institution den Straßenkünstlern entscheidendes kulturelles Kapital verschafft, das sie zur politischen Werbung für ihre Rechte in Indien einsetzen könnten (ebd.: 166). Darüber hinaus brachte das Festival die Künstler in Kontakt mit Hunderten Ehrenamtlichen des Museums aus der amerikanisch-indischen Mittel- oder oberen Mittelschicht. Kurin bemerkt, dass »some of the older volunteers who in India might have refused to eat or drink [with the artists] were now serving food to them, eating next to them« (ebd.: 150). Kurz: Das Festival war ein Schritt in Richtung eines Wandels zu mehr kultureller Demokratie (ebd.: 167). Kurins Arbeit weist auf frühere Traditionen kulturanthropologischer Ethnographie zurück, in denen indigene Lebensweisen und Ideen gefeiert wurden, und zwar in der Regel im Bemühen, populären Vorurteilen entgegenzutreten. Sein Ansatz ist auch ein Beispiel für jene affirmativen Erzählungen, wie sie üblicherweise von Museumsinsidern produziert werden, die mitunter ihre eigenen politischen Wunschvorstellungen mit empirischen Realitäten vermischen. Auf diese Weise agieren sie mindestens so sehr als optimistische Lobbyisten des Museums als demokratisierender Institution wie als Analytiker dessen, was das Museum tatsächlich leistet. Ethnologische Outsider dagegen neigen dazu, kritischer und weniger enthusiastisch zu sein, selbst wenn sie gewisse Sympathien für die Agenda eines demokratischeren Museums hegen. Ihr Ziel war und ist es, als Kulturkritiker zu fungieren und die Kluft zwischen den Intentionen wohlmeinender Kuratoren und den Wirkungen ihrer Ausstellungen auf das Bewusstsein des Publikums zu analysieren. Dabei ist ein entscheidendes Charakteristikum der Museumsethnographie als Kulturkritik, dass der Ethnologe die Absichten von Kuratoren ernst nimmt und zu einem gewissen Grad von der Annahme ausgeht, dass diese kuratorischen Absichten, abstrakt betrachtet, Anerkennung verdienen.
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In diesem Sinne setzt beispielsweise Shelley Butler (1999) ethnographische Forschung ein, um die Bemühungen einer reflexiven Museologie, »Museen zu dekolonisieren«, zu untersuchen – ein Bemühen, das mit einem allgemeinen Verlangen in der Ethnologie parallel geht, die objektivierende Arroganz des kolonialen Blicks und die kolonialistische Tendenz, die Subjekte zum Schweigen zu bringen, zu enthüllen. Kritische Museologie dreht sich um »Sicht« und »Stimme«. Reflexive Museologie ersetzt Objektivierung mit visueller Ironie (Ausstellungen über das Sehen, die den Blick der Kritik aussetzen) und erzwungenes Schweigen mit Dialog (verschiedene Medien, die entweder die Partizipation von Besuchern in der andauernden Produktion der Ausstellung-als-Forum unterstützen oder die das bislang ausgeschlossene »Andere« als Stimme in die Ausstellung-als-Podium einbeziehen). Butler betrachtet die Bestrebungen einer reflexiven kuratorischen Praxis zugunsten einer »ausstellungsspezifischen Dekolonisierung« (am Beispiel der Ausstellung »Into the Heart of Africa« am Royal Ontario Museum in Toronto) im Lichte der Absichten der Ausstellungsmacher wie der Rezeption durch verschiedene Teile der Öffentlichkeit und macht auf dieser Grundlage einige vorläufige und nützliche Vorschläge, wie postkoloniale Kuratoren effektiver sein könnten als bisher. Nach Butler war die betreffende Ausstellung weniger erfolgreich als sie hätte sein können, da die Kuratoren es versäumten, die Rezeption des Publikums in Betracht zu ziehen. In erster Linie ist Ironie in der Kommunikation eine heikle Sache, was nicht selten dazu führt, dass Besucher die Ironie nicht verstehen und genau das Gegenteil von dem sehen, was Ausstellungsmacher sie sehen und verstehen lassen wollen. Butler argumentiert, dass dies zum Teil in der Natur der Sache liegt. Man kann nicht jede weiße ältere Dame, die »Into the Heart of Africa« besucht, davon abhalten, »imperialistische Nostalgie« auf die Objekte zu projizieren, die dort (mit ironischem Gestus) ausgestellt waren. Doch Butler macht auch die Arroganz der Kuratoren für manche Fehlinterpretation verantwortlich. Wenn die zeitgenössischen Pendants der ausgestellten Kolonisierten beanstanden, dass ironisierende Ausstellungen Degradierungen und Verletzungen fortschreiben, dann dürften auch sie, wie die weißen älteren Damen, die kuratorischen Messages, die scheinbar in den Objekten und der Art ihrer Rahmung kommuniziert werden, falsch gelesen haben. Doch ihre (Fehl-)Interpretation hat nach Butlers Dafürhalten größere moralische Signifikanz. Wenn Kuratoren, so ihr Fazit, mehr als nur Lippenbekenntnisse in Sachen »Stimme« abgäben und größere Anstrengungen unternähmen, diesen tatsächlich zuzuhören, bevor sie ihre Ausstellungen aufbauten, dann wären reflexive Ausstellungen weit weniger »entfremdend«, als sie es heute sind. Mit ähnlichem Ansatz untersucht Williams (2005) das neuseeländische Nationalmuseum Te Papa, was auf Maori soviel wie »Unser Ort« bedeutet, in Wellington. Erklärtes Ziel dieses Museums ist es, die Wertschätzung einer na-
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tionalen Identität, die die Siedler- (bzw. weiße oder Pakeha-)Identität und die Maori-Identität als zwei getrennte, aber gleichwertige Kulturen vereinigt, zu manifestieren und einzuimpfen.8 Er betont, dass beide dieser Identitäten in den Repräsentationen des Museums erschienen, als seien sie dem gemeinsamen Nutzen und dem Schutz einer paradiesischen Umwelt verpflichtet, die zugleich die wildeste und wunderbarste »Natur« darstelle, die sich eine Nation nur wünschen könne. Wie Butler nutzt Williams ethnographische Detailbetrachtungen, um die museologische Praxis zu kritisieren, und dies nicht, weil er den Einsatz von Museen zur Beeinflussung der nationalen politischen Landschaft ablehnt, sondern weil er Te Papas Programm für kontraproduktiv hält. Te Papa, so sein Argument, bringe Menschen dazu, sich mit der Nation zu identifizieren, ohne sich ernsthaft als Bürger des Staates zu verstehen. Was ihnen nahe gebracht werde, sei ein Gefühl, nicht jedoch ein Verständnis davon, wie komplex die Probleme des Staates sind. Williams hält fest, dass ökonomische Gerechtigkeit entscheidender sein sollte als kulturelle Anerkennung. Er betont zudem, dass die Entscheidung von Gerechtigkeitsfragen die weit schwierigere und notwendigere Arbeit für Regierungen sei. Te Papas Sache ist jedoch, wie Williams zeigt, die kulturelle Problemverarbeitung, und da eine solche immanent paradox ist, nimmt das Museum eine surrealen Charakter an. Ein Beispiel: »The acts of exploring Te Marae and rubbing the pouamana, entering one’s personal details in the whakapapa desk, or reading the Treaty in Signs of a Nation strongly suggests that Te Papa encourages a kind of ›performative civics‹ based around being bicultural.« Diese kulturelle Staatsbürgerkunde bedeutet, dass Besucher im Museum ganz überwiegend politische Entscheidungen zugunsten der Maori befürworten. In den Wahlen, die in der realen Welt der Politik da draußen wirklich von Bedeutung sind, haben Pakeha (weiße Neuseeländer) hingegen zumeist eine Politik unterstützt, die Maori-Interessen, wie sie von extremen (historisch jedoch wohl wahrheitsgetreuen) Lesarten des Vertrags von Waitangi definiert werden, beschneidet. Im Ergebnis bringt Te Papa Besucher dazu, sich wohlzufühlen – sich im Einklang zu fühlen mit der Natur und für einen Augenblick miteinander – während es ein sehr beschränkendes bikulturelles Identitätssystem erzeugt. Es etabliert einen kulturellen Dualismus, der Maori materiell wenig bringt (selbst wenn er durchaus deren Sorge um kulturelle Anerkennung widerspiegelt), zugleich aber auch sehr wenig zu einer PakehaIdentität beiträgt in einem Nationalstaat, in dem über drei Viertel der Bürger
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Die Online-Zeitschrift Museums and Society, wo Williams’ Artikel erschienen ist, ist generell ein ausgezeichneter Ort, um einen Einblick in die Art ethnographisch fundierter Arbeit zu gewinnen, der sich Museumswissenschaftler derzeit widmen.
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in Städten und städtischen Gegenden leben und nicht auf Schaffarmen oder in Wäldern rings um die tosende Brandung Williams und Butler sind nur zwei aus einer großen Zahl von Ethnologen, die zeigen, wie die besten kuratorischen Absichten häufig daneben gehen, wenn Kuratoren versuchen, sich mit kulturell Subalternen zu verbünden und »das Museum zu demokratisieren«. Die meisten Arbeiten von Ethnologen haben sich auf Museen konzentriert, die selbst anthropologisch oder ethnologisch ausgerichtet sind – Museen die »primitive« Völker oder »primitive« Kunst repräsentieren, selbst wenn diese inzwischen pejorativen Begriffe nicht mehr gebraucht werden. Die besten dieser Studien verfolgen so genau wie möglich die Art und Weise, wie die tägliche Arbeit in den Museen dazu führt und das formt, was ausgestellt wird, und wie solche Ausstellungen interpretiert werden.9 In zunehmendem Maße werden solche Ethnographien auch über Museen geschrieben, die sich außerhalb der herkömmlichen Sphäre des traditionellen ethnologischen Territoriums des Primitiven und Exotischen befinden – Geschichtsmuseen, Wissenschaftsmuseen und (noch immer in geringerem Umfang) Kunstmuseen.10 Sharon Macdonalds (2002) Untersuchung des Science Museum in London ist vorbildlich, insofern sie über die Politik der Repräsentation hinausgeht und die unbeabsichtigten Konsequenzen aller möglichen Annahmen der »natives« in den Blick nimmt – Annahmen über Wissen und 9
Für repräsentative Beispiele vgl. die Artikel in Museum Anthropology sowie Fjellman 1992, Brear 1995 und Davis 1997.
10 Sally Prices (2007) Essay über das Musée du Quai Branly ist gewiss der Versuch einer Ethnologin, die Kunstwelt ethnographisch zu erforschen. Es gibt jedoch, soviel ich weiß, keine ethnographisch fundierten Untersuchungen von high art-Museen und dies, obwohl das Kunstmuseum paradigmatisch für Museen im Allgemeinen und zweifellos das kulturell bedeutendste aller Museumsarten ist. Dies spiegelt, so meine ich, die Grenzen des Potenzials der Ethnologie, »nach oben zu forschen«, in diesem Fall die Leiter des kulturellen Kapitals hinauf. Es gibt jedoch zahlreiche facettenreiche Beschreibungen der Kunstwelt von Kuratoren und Direktoren von Kunstmuseen, die als »eingeborene Ethnographie« gelten könnten. Es gilt jedoch daran zu erinnern, dass der »native’s point of view« für die »natives« manchmal nur schwer vollständig zu artikulieren ist, da sie dazu neigen, das ihnen Selbstverständliche, fast Unbewusste zu ignorieren oder zu übersehen. In jedem Fall ist das Kunstmuseum ein lange noch nicht so gut beackertes ethnographisches Feld wie das Naturkunde-, Völkerkunde-, Geschichts- oder Wissenschaftsmuseum, selbst wenn Soziologen überaus wichtige Pionierarbeiten geleistet haben (vgl. etwa Becker 1982; Halle 1993), die den Weg in Richtung einer eingehenderen ethnographischen Analyse weisen sollten.
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Pädagogik, über das Wesen des Publikums, über das Wesen von Fakten. So kann sie zeigen, wie schwierig es für Museen ist, die Öffentlichkeit tatsächlich darüber aufzuklären, was »Wissenschaft« ist und tut. Sowohl ihre als auch Butlers Ethnographie hat ihren Dreh- und Angelpunkt in entscheidenden Ereignissen, ganz zu schweigen von sorgfältigen Interpretationen der »Perspektive der Eingeborenen« – kuratorischen Absichten, Kompromissen, Missverständnissen – und verkörpert so genau, was gute Ethnographie sein sollte. Sie entdecken auch, dass das Drängen auf Demokratisierung in Museen ein Konzept und Ziel der »natives« ist. Als solches muss es analysiert, nicht einfach abgefeiert werden. Macdonalds Arbeit ist darüber hinaus vorbildlich als Paradigma ethnographischer Methode. Um zu verstehen, was in einem Wissenschaftsmuseum vor sich geht, entschied sich Macdonald, ein kleines Team von Kuratoren, das mitten in der Planung einer Ausstellung über Essen und Ernährungswissenschaft steckte, aus nächster Nähe zu beobachten. Sie ließ sich bei ihren eigenen Streifzügen von deren Vorlieben und Arbeitsrhythmen leiten. Macdonald folgte den Kuratoren zu anderen Museen und zu Konferenzen, etwa als diese versuchten, Kenntnisse über die Kommunikation mit ihrem Publikum zu gewinnen. Sie schaute ihnen über die Schultern, wenn diese versuchten die Besucher zu verstehen und wenn sie sich – oft mit beträchtlicher Frustration – Gedanken über die andauernden Transformationen im Museum als öffentliche Arena machten. Wie die ethnographische Studie, die ich mit Richard Handler in Colonial Williamsburg durchführte (Handler und Gable 1997), in der wir das Museum als totales soziales Faktum behandelten und unsere ethnographische Agenda von dem Schauplatz und den Interessen der dortigen Angestellten bestimmen ließen, beruht Macdonalds Untersuchung der Vorgänge hinter den Kulissen des Science Museum auf intensiver Beschäftigung mit Gewährsleuten vor Ort. Ereignisse in dem Sinne, wie Malinowski sie definiert hat, ergeben sich aus den glücklichen Zufällen dieser Art Auseinandersetzung »on the ground«. Ein Großteil aktueller Museumsethnographien konzentriert sich jedoch weniger auf die Beobachtung sich entwickelnder Ereignisse und Praxen, sondern auf Interviews, die ein Ereignis nach sich zieht. In dieser Hinsicht ist Butlers Arbeit ein gutes Beispiel für aktuelle Trends. In ihrem Fall lag der entscheidende Moment bzw. das entscheidende Ereignis bereits in der Vergangenheit, als sie auf der Bildfläche erschien. Die Ausstellung war aufgebaut worden, die Öffentlichkeit hatte sie – vielfach wütend und frustriert – kommentiert und über die Kontroversen und Konflikte, die die Ausstellung erregt hatte, war bereits in den Medien berichtet worden. Butler nutzte die Kontroverse als einen Gegenstand von Interviews mit verschiedenen Teilnehmern, darunter solchen, die Proteste gegen die Ausstellung organisiert hatten, über deren Einstellungen und Überzeugungen. Oberflächlich betrachtet unterscheidet sich ihre Metho-
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de nur wenig von Oral History oder, was das betrifft, einem journalistischen Ansatz. Allerdings war ihr Zugang zu den Interviews selbst ethnographisch, insofern sie von der Annahme ausging, dass alle Gespräche in gewisser Weise performativ sind. Ihr ging es nicht um eine Rekonstruktion der Ereignisse, sondern vielmehr um die Nutzung dessen, was ihre Gewährsleute berichteten, für eine Entschlüsselung jener unbewussten kulturellen Strukturen, die das Denken formen und die Art und Weise motivierten, wie Personen sich in den Gesprächen mit ihr präsentierten.
3 . SCHWÄCHEN Die Ethnographie hat der Museumswissenschaft viel zu bieten. Doch eine Einschätzung dessen, was Ethnologen in Museen bislang gemacht haben, offenbart auch die potenziellen Schwächen des ethnographischen Ansatzes, die aus dem resultieren, was man abstrakt als Bezugsrahmen bezeichnen könnte. Ethnographie funktioniert am besten in einem engen Bezugsrahmen. Ihr bester Ort ist, wie oben betont, das Dorf, und ihr ideales Produkt ist, zumindest nach Geertz’ Dafürhalten, der Essay. Überzeugende Ethnographien neigen dazu, rhetorisch mit dem Einsatz vielsagender Vignetten, mit eindringlichen und evokativen O-Tönen zu arbeiten, die in einem Großteil der Fälle explizit von der Ethnologin selbst gesehen, gehört oder »zufällig mitgehört« wurden. »I witnessing« ist ein üblicher narrativer Kniff in der Ethnographie und sie schlägt den Leser in ihren Bann, wenn dieser dem Augenzeugen wohlwollend gegenübersteht und sich von der Vignette einnehmen lässt. Ethnographie beruht also, wie fiktionale Genres, auf Erzählungen und auf demjenigen, der die Geschichte erzählt. Wie verlässlich ist der Erzähler? Wie typisch oder charakteristisch ist die Erzählung? Hinsichtlich der Reichweite von Aussagen – ein Problem, das sich zum Teil aus dem Bezugsrahmen ergibt – lassen sich Museen, selbst ziemlich große, plausibel mit Dörfern vergleichen. Und wenn man ausreichend Zeit hätte – sagen wir ein Jahr oder mehr –, wäre es nicht undenkbar, Dutzende von Angestellten eines Museums auf allen Ebenen – vom Wachschutz bis zum Kurator oder Direktor – kennenzulernen und damit eine Bandbreite abzudecken, die es erlaubt, Interaktionen, formelle wie informelle, mitzubekommen. Wenn man dann ein ehrlicher Vermittler ist, könnten die Anekdoten, Vignetten und O-Töne, in ein analytisch fokussiertes Narrativ verwoben, die Realität des Museums vor Ort reflektieren. Museen sind allerdings, anders zumindest als die Dörfer kanonischer Ethnographien, Orte des Massenbesuchs.11 11 Dies im Gegensatz zu aktuellen Ethnographien etwa von Massai- oder balinesischen Dörfern, die zugleich Heimatorte und Touristenziele sind (vgl. Bruner 2005).
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Aufgrund der schieren Menge der Besucher scheint es nur logisch, dass diese über Fragebögen und die strengen Methoden statistischer Analyse verstanden werden müssen. Dennoch erkennen selbst Meister des Einsatzes von Fragebögen (z.B. Bourdieu 1982) an, dass ethnographische Arbeiten ihren Platz haben bei der Überlegung, was zu fragen, was auszusondern und was zu unterscheiden ist. Wenn die Abhängigkeit der Ethnographie vom Anekdotischen also eine Schwäche ist, was sie zweifellos sein kann, dann kann diese Schwäche durch die Kombination von Forschungsmethoden ausgeglichen werden: genaue Beobachtungen von Besuchern vor Ort, offene Interviews verbunden mit Fragebögen, die auf Interferenzen abzielen, und darauf aufbauende Nachfragen.12 Eine diffizilere, der Ethnographie inhärente Schwäche betrifft die Subjektposition des Ethnographen. Wenn man davon ausgeht, dass Ethnographie in einem erheblichen Maße auf Intersubjektivität beruht – oder auf Beziehungen, wie es einst prosaischer genannt wurde –, ist diese Schwäche von weitreichender Bedeutung. In der Tat ist es inzwischen zu einer langjährigen Tradition in der Ethnologie selbst geworden, den Einfluss der Subjektposition auf den ethnologischen Text hervorzuheben. In ihrer härtesten Form kommt ethnologische Selbstkritik einer vernichtenden Kritik durchweg aller Klassi12 Ich habe in diesem Beitrag davon abgesehen, die Rolle ethnographischer Forschung auf einem entscheidenden Gebiet der Museumswissenschaft zu skizzieren: der Besucherforschung. Es erübrigt sich festzustellen, dass die Ethnographie einiges zu dem beizutragen hat, was für Museumsleute ein Hauptinteresse ist. In einem Feld, das lange Zeit von Fragebogen-basierter Forschung dominiert war, werden nun verstärkt ethnographische Methoden eingesetzt. Eilean Hooper-Greenhill (2006), eine der maßgeblichen Vertreterinnen und Praktikerinnen eines solchen Ansatzes, hat kürzlich die äußerst umfangreiche Literatur zur Frage, wer Museen besucht und was Besucher darin lernen, rezensiert und findet sie nicht sonderlich hilfreich. Zum Teil liegt das daran, dass diese Untersuchungen vom Zählen besessen sind und in der Regel weniger eingesetzt werden, um die Wirksamkeit eines Museums zu erschließen, sondern um geeignete Daten zur Argumentation für die Bedeutung des Museums als Bildungsinstitution zur Verfügung zu stellen. Allerdings sind selbst grundlegende Fragen, etwa wie viele Menschen Museen besuchen, noch immer nur schwer mit einiger Gewissheit zu beantworten. Hooper-Greenhill argumentiert, dass ethnographische Zugänge, die darauf fokussieren, was Besucher im Museum tatsächlich tun, gegenüber dem reinen Augenmerk darauf, wie viele von ihnen durch die Tür kommen oder ob sie auf einem Fragebogen korrekt angeben können, was sie gesehen oder gelernt haben, oder – schlimmer noch – ob sie Spaß hatten oder nicht, eine deutliche Verbesserung wären (vgl. Gable 1997 für eine Analyse des politischen Einsatzes von Besucherbefragungen in einem US-amerikanischen Geschichtsmuseum).
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ker der Disziplin und der Arbeiten ihrer Begründer gleich. Es lässt sich zeigen, dass diese in ihren Analysen sogenannter primitiver Gesellschaften allesamt standardisierte Tropen vom Gegensatz zwischen dem Primitiven und dem Modernen benutzten, die gleichermaßen ein Auswuchs westlicher Vorurteile und Neigungen wie eine Reflektion der vorhandenen Belege waren. Solche Kritiken gehen häufig zu weit, doch haben sie der Ethnologie die Augen über ihre eigene Verstrickung in die Produktion kultureller Klischees geöffnet. Wir müssen uns also stets fragen, welche Vorurteile wir an unsere Forschung in und über Museen herantragen, und vertieft darüber nachdenken, wie unsere Wünsche und Vorurteile unsere Analysen beeinflussen. Geertz, der eine zentrale Referenz für mich wie für viele Ethnologen meiner Generation ist (vgl. etwa Ortner 1999), hat uns vor langer Zeit daran erinnert, dass Ethnologie von jeher teils Philosophie, teils Geständnis ist. Der Geständnis-Teil beinhaltet, dass man zu den erwähnten Vorurteilen steht oder es zumindest versucht. Um also die Art und Weise zu illustrieren, wie sich Vorurteile in die ethnographische Analyse von Museen einschleichen, möchte ich selbst gerne ein Geständnis ablegen und als Illustration meine eigene Arbeit verwenden. Das Geständnis bringt uns zu den Schwierigkeiten zurück, die Naders Aufruf, »nach oben zu forschen«, aufwirft. Es dreht sich um die Frage, wer oben ist und was oben ist, wenn der Ethnograph einem Museum und denen, die dort arbeiten, begegnet. Ich würde den Leser/die Leserin ermutigen, von hier auf andere Arbeiten oder Gebiete zu schließen. Ich begann mit der Forschung über Museen nach längeren Phasen intensiver ethnographischer Feldforschung an typischen ethnologischen, entlegenen Orten – im Hochland von Sulawesi, Indonesien, und im ländlichen Guinea-Bissau. An beiden Orten hatte ich nach und nach gelernt, sowohl Zugang als auch das Entstehen von Beziehungen zu erwarten. Meine Erfahrung, Zugang und Beziehungen zu erreichen, war jedoch, insbesondere in Guinea-Bissau, beunruhigend und provozierte Schuldgefühle. Dies war der Katalysator für meine folgende Arbeit über Museen – eine Arbeit, die ich mit einer aggressiven Einstellung anging. In Guinea-Bissau hatte ich versucht, die Untiefen lokaler politischer Manöver zu verstehen, die entstanden, wenn Mitglieder der Aristokraten-Klasse miteinander um politische Ämter konkurrierten, die ihnen Rechte über wertvolle Reisfelder garantierten. Die Umstände, wie verschiedene Aristokraten ihre politischen Titel bekamen und behielten, umfassten in vielen Fällen HinterzimmerDeals, Korruption und Betrügerei. Dies, verknüpft mit dem Fakt, dass Aristokraten ihre Titel weiter trugen, selbst wenn diese in den Augen der postkolonialen Regierung offiziell illegal waren, hatte zur Folge, dass viele meine Forschungen bedrohlich fanden. Eine dieser Personen bemerkte im Zusammenhang mit dem Versuch, mich vom Besuch eines wichtigen Treffens abzuhalten, zu dem mich
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andere der Aristokraten eingeladen hatten, dass er seine Zweifel hätte, dass – wenn er mein Weißes Haus besuchen würde – die dort jene Art von Fragen beantworten würden, deren Beantwortung ich von ihm erwartete. Mein Gesprächspartner hatte natürlich recht. Weder er noch ich konnten das Weiße Haus besuchen. In der Tat wusste ich, dass mir vieles von dem, was ich über die internen Mechanismen seiner Gesellschaft herausfinden zu können annahm, in meiner eigenen verborgen bleiben würde – einer Gesellschaft, wohlgemerkt, die von ihren Angehörigen voller Stolz für ihre Offenheit gepriesen wurde. In den Vereinigten Staaten gehen wir davon aus, eine offene Gesellschaft zu sein, weil wir in gewisser Weise von so etwas wie einem offenen Wesen des Wissens in der Gesellschaft ausgehen. Ich spürte den Stich seiner Kritik, denn er führte mir plötzlich ein tiefsitzendes Gefühl meines eigenen kulturellen Ausgeschlossen-Seins wieder vor Augen. Wahrscheinlich ist es ein Klischee, dass Ethnologen in ihrer eigenen Gesellschaft marginal sind, aber in meinen Augen traf es zu, dass ich eine irgendwie periphere Position in der Welt der Intelligenz innehatte und, umgekehrt, dass unser kollektives Forschen und Schreiben über marginale Dinge häufig wegen des Stichs dieses Ausgeschlossen-Seins die Form von Kultur- oder Klassenkritik annahm. Wegen der Bemerkung meines afrikanischen Gastgebers und der Schuldgefühle und Wut, die sie provozierte, beschloss ich entsprechend, die Idee von Wissen und Zugang in den Vereinigten Staaten selbst zu untersuchen. Als Untersuchungsobjekt wählte ich zunächst Monticello, den restaurierten Wohnsitz von Thomas Jefferson, dem Autor der Unabhängigkeitserklärung, denn es war typisch für jene Museen oder Geschichtsorte, die Amerikaner besuchen, um Wissen über sich selbst zu gewinnen – es war ein Ort der Produktion nationaler Identität durch Partizipation und Repräsentation. Ich begann die Studie mit einer gewissen Feindseligkeit gegenüber Monticello und was es für mich bedeutete. Es war ein schönes Haus, gelegen auf einem schönen Hügel und voll der schönen Dinge des guten Lebens. Es war ein verkörpertes Zeugnis des geruhsamen, aber produktiven Lebens eines einzigen großen Mannes und seiner bewundernswerten Geschmäcker und Talente: seiner Liebe zu Wein, Musik und Kunst, seiner Meisterschaft als Universalgelehrter der Naturwissenschaft, Literatur und Philosophie. Es war ein Haus, das an die Freuden geschmackvollen Konsums erinnerte, doch es deutete zugleich an – auch wenn diese Implikation nie recht offengelegt wurde –, dass Hunderte von Leben vernutzt worden waren, um diese Art von Konsum zu ermöglichen. Ich begann meine Forschung in Monticello aufgebracht von dieser Tatsache und vielleicht doppelt aufgebracht von der Tatsache, dass die meisten Besucher des Ortes sich überhaupt nicht an der Ungerechtigkeit störten, dass Hunderte Sklaven dafür arbeiten mussten, die Muße eines Herren sicherzustellen. Die Landschaft Monticellos und Jeffersons Prominenz als zu feiernde Figur schloss solche Belange aus. Mein Ge-
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ständnis ist, kurz gesagt, dass ich meine Erkundung Monticellos im Gegensatz zu meiner Forschung in Westafrika und Indonesien mit dem Bedürfnis anging, zu entlarven und anzuprangern. Um ein Insider-Gefühl für den Ort zu bekommen, nahm ich einen Job in den unteren Rängen des dortigen Besucherdienstes an.13 In dieser Funktion konnte ich mich mit Besuchern, aber auch mit Kollegen auf allen Ebenen des kleinen Museums unterhalten, und ich hatte ziemlich vollständigen Zugang zu Befragungen, die Monticello durchgeführt hatte, zu Unterlagen für Fortbildungen, Berichten der Kuratoren, Jahresberichten und anderen Schriftstücken, die im Zusammenhang mit der Verwaltung der Einrichtung standen, ganz zu schweigen von den Materialien – Broschüren, Faltblätter und so weiter –, die die Einrichtung der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Was meine Neugier mehr als alles andere entfachte, waren die gespannten Begegnungen von Besucherbegleitern mit Besuchern und die Art, wie die Begleiter hinterher im Pausenraum – einer Küche im Keller, wohin sie sich nach ihren Führungen zurückzogen – über die Besucher sprachen. Zu jener Zeit nahmen viele Besucher an, dass Thomas Jefferson eine lange Affäre mit einer Sklavin, Sally Hemings, gehabt hatte und dass diese in der Folge Kinder zur Welt gebracht habe. Während der Führungen durch das Haus stellten sie gezielt Frage in diese Richtung. So kam es etwa vor, dass jemand, nachdem der Begleiter von Jeffersons beiden Töchtern berichtet hatte, in ironie-triefendem Ton fragte: »Was ist mit seinen anderen Kindern?« Diese Annahme der Besucher war auch Thema eines biographischen Bestsellers, eines Romans und eines Filmes, der kurz vor der Produktion stand, doch wurde sie von den meisten Mitgliedern der Gemeinschaft der »Jefferson-Forscher«, wie von Monticello selbst, als bösartiger Mythos behandelt. Das Personal, das die Führungen machte, sah sich somit andauernd genötigt, Situationen, die häufig einer Art Verhör gleichkamen, abzuwehren. Im Allgemeinen sprachen die Begleiter im Privaten abschätzig von den Besuchern. Dass diese einen solchen Mythos glaubten, offenbarte nur wie unkultiviert und krude ihr Geschmack und wie fehlgeleitet und ungebildet sie selbst waren. Die Museumsführer machten sich einen Spaß daraus, Witze über Besucher zu erzählen – Witze, die jene ausnahmslos als Trottel darstellten, als dumm und in jeder erdenklichen Weise unter der Würde der Guides. Doch die Guides ereiferten sich auch über die Arbeit, die sie zu leisten hatten, wenn sogenannte VIPs oder »Personen von Rang« Monticello besuchten. Würdenträger, Film13 Ich erläuterte meinen Wunsch, die Einrichtung ethnographisch zu untersuchen, auch dem damaligen Direktor der Stiftung – ein Mann, den ich später noch formeller interviewte, als ich verschiedene ethnographische Abhandlungen des Ortes entwickelte (vgl. z.B. Gable 2005; Gable and Handler 2006).
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und Fernsehstars, reiche Geldgeber und andere Mitglieder einer amorphen Elite kamen in den Genuss spezieller Führungen und erhielten privilegierten Zugang zu Stockwerken und Räumen, die der Öffentlichkeit verschlossen waren – Zugang also, den Monticello diesen bereitwillig gewährte, und zugleich vor dem allgemeinen Publikum verborgen zu halten suchte, vor der Masse der Besucher, die in internen Dokumenten manchmal als »passing parade« bezeichnet wurde. Personen von Rang erhielten eine spezielle, geheime oder zumindest verdeckte Behandlung vor Ort, doch scherten sie sich meist wenig um die Besucherbegleiter und schienen so, den Respekt, der ihnen entgegengebracht wurde, nicht zu erwidern. VIPs hörten den Guides, wenn überhaupt, nur oberflächlich zu. Dies war zumindest eine gängige Beschwerde, die die Guides führten, wenn sie zusammensaßen, ihr ausgiebig mitgebrachtes Mittagessen zu sich nahmen und sich gegenseitig wegen ihrer Arbeit bemitleideten. Von diesen und anderen Daten ausgehend, begann ich eine ethnographische Skizze von Monticello als eines Ortes zu zeichnen, der etwas aufwarf, was ich »egalitäre Dilemmas« zu nennen begann – Dilemmas, die, wie ich später durch die Lektüre von Bennett und anderen entdeckte, in Museen moderner Demokratien omnipräsent waren. Monticello wollte für alle Angehörigen der Öffentlichkeit zugänglich sein. Es nahm sogar an, dass ein Besuch in Monticello eine Art staatsbürgerlicher Pflicht war und dass es, umgekehrt, ihre Pflicht als Wächter des Ortes sei, diesen Besuch zu einer möglichst positiven Erfahrung zu machen. Die Besucherschaft verlangte oder erforderte es allerdings, dass Unterschiede gemacht wurden, die Monticello wiederum dazu zwangen, seinem Publikum gegenüber heuchlerisch zu handeln – in seinen Aktivitäten intransparent zu sein. Ich hielt einen ersten Vortrag, in dem ich die Diskussionen der Guides analysierte – und sah mich der Gunst des Museumsdirektors und eines Großteils der leitenden Mitarbeiter entzogen. Der Direktor tat meine Arbeit, wie ich später erfuhr, als »Küchentratsch« ab. In der Zwischenzeit hatte ich mit dem Kulturanthropologen Richard Handler, einem Pionier des »studying up«14 , ein gemeinsames Forschungsprojekt zu Gedenkstätten und Museen begonnen. Wir hatten ein großes Projekt finanziert bekommen, das eine im weiteren Sinne vergleichende Untersuchung von Monticello und Colonial Williamsburg vorsah – eines restaurierten Hauses, das dem Leben eines großen Mannes, und einer restaurierten Stadt, die einer ganzen Gemeinschaft gewidmet war, eines patrizischen und eines popularen Ortes (Handler/Gable 1997). Es erwies sich jedoch schwieriger, als erhofft, die Erlaubnis für unsere Arbeit zu bekommen. Monticello versagte uns die Geneh-
14 Handler (1988) hatte zuvor ethnographische Untersuchungen zum Nationalismus in Quebec aus der Perspektive der dortigen Intelligenz gemacht.
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migung, unsere Forschungen dort fortzusetzen, mit der Behauptung, sie seien bereits »überbegutachtet«. Später zeigte sich, dass in Colonial Williamsburg dieselben Probleme im Spiel waren, ganz zu schweigen von den großen Schwierigkeiten, die Museumsverantwortliche mit dem hatten, was wir dann als »impression management« bezeichneten (vgl. Gable/Handler 1993, 1996). Wir argumentierten unter anderem, dass Geschichtsmuseen, die sich wie Colonial Williamsburg häufig dem Vorwurf von Intellektuellen ausgesetzt sahen, sie produzierten letztlich nur »Kitsch« oder bedienten den Geschmack der Masse, dazu neigten, gegenüber Kritik defensiv zu reagieren und diese Reaktionen in ihre Ausstellungen und Narrative einzubauen. Wir zeigten, dass die Sorge um Klassendistinktion ein weit verbreitetes Charakteristikum solcher Stätten ist und dass diese Sorge im Großen und Ganzen die Tendenz hat, die eigentlichen Ziele des Museums in den Hintergrund zu drängen oder gar zu durchkreuzen.15 Als wir unsere Befunde auf Konferenzen vorstellten, stießen wir auf Reaktionen, die wir problematisch, obgleich vorhersehbar, fanden. Wenn wir etwa unsere Punkte mit vielsagenden Vignetten von Besucherbegleitern oder einfachem Verwaltungspersonal illustrierten, lachten unsere Zuhörer häufig über die Geschichten, die wir erzählten. Wie die intellektuellen Kritiker der fraglichen Geschichtsorte bereitete es ihnen Vergnügen, auf die teils peinlichen, teils skurrilen Versuche dieser Stätten, anspruchsvoll zu wirken, herabzuschauen. Als wir später begannen, unsere Arbeiten zu veröffentlichen, wurden wir selbst der gleichen Arroganz beschuldigt. Ein anonymer Leser unseres Buchmanuskripts verwies auf ein interessantes Paradox in der Art und Weise, wie wir über Colonial Williamsburg schrieben. Wir schrieben, so vermerkte der Leser, als ob wir »wüssten, was richtig ist, und die Museumsleute […] begriffsstutzig und verbohrt« seien. Zugleich, so der Leser weiter, behaupteten wir, einem »Relativismus in der Tradition von Franz Boas« verpflichtet zu sein und »mein Eindruck ist, dass Boas’scher Relativismus bedeutete, dass man versucht, in die Köpfe derer, die man untersucht, hineinzukommen statt Urteile über sie zu fällen«. Weil wir Urteile – scharfe Urteile – über unsere »natives« fällten, machte der anonyme Leser diese vielsagende Bemerkung: »Das scheint mir mehr im Stil der Reiseberichte des 19. Jahrhunderts geschrieben, die die merkwürdigen Gebräuche der Eingeborenen verspotteten, als im Stil einer Ethnologie des 20. Jahrhunderts, die versucht, verschiedene Weltsichten zu verstehen.« Die Kommentare des anonymen Lesers wiederholten und verstärkten, was 15 Im Fall von Williamsburg war dies (damals) das Anliegen, kritische Geschichten von Klassengegensätzen in der kolonialen Ära zu erzählen und diese Geschichten dazu nutzen, Besucher zum Nachdenken über historische Kontinuitäten in die Gegenwart – zum Beispiel im Hinblick auf »Rassen-« und Geschlechterdifferenz – zu bringen.
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auch die Leitung von Williamsburg über das sagte, was wir machten. So formulierte Cary Carson, der für Forschungsfragen zuständige Direktor, wir würden zu viel Zeit damit verbringen, den sonderbaren, übellaunigen Angestellten zuzuhören, und zu wenig damit, positiv herauszustreichen, wie frei diese ihre Geschichten erzählen und so ein wirklich demokratisches Bild der Vergangenheit entwerfen konnten (vgl. Handler and Gable 1997: 220-235). Wenn es in der Ethnologie also darum geht, eine andere Weltsicht zu würdigen – oder gar zu feiern –, dann kann nach Carson und dem anonymen Leser die Art von »studying up«, die wir betrieben, tatsächlich keine Ethnologie sein. Es ist etwas Wahres an diesem Argument. Es ist schwerer echte Forschungsbeziehungen zu knüpfen, wenn man als Kritiker beginnt. Darüber hinaus lässt sich eine weitergehende Lektion lernen – eine, die, wie ich meine, für alle ethnographischen Studien der modernen Gesellschaft gilt, speziell aber für solche, die die Komplexitäten von Klasse berühren. Die Subjektposition des Forschers beeinflusst stets die Ergebnisse dieser Forschung. In meiner Forschung in Monticello und meiner späteren Forschung mit Handler in Williamsburg fanden wir es recht einfach, das Leben von Besucherbegleitern und mittlerem Verwaltungspersonal zu teilen. Diese Leute neigten im Großen und Ganzen dazu, uns zu akzeptieren. Manche sahen uns als Enthüllungsreporter und beschwerten sich über ihre Jobs oder die Besucher oder ihre Chefs. Oder sie sahen uns zumindest als Wissenschaftler und gewährten uns so aus Respekt vor unserer kulturellen Autorität Zugang zu ihrer Arbeit. Im gleichen Zug fühlten wir uns tendenziell weniger wohl, weniger kompetent im Umgang mit leitendem Personal. In Guinea-Bissau und Indonesien war ich an Gespräche mit und unter den Mächtigen – dem lokalen Chief, dem religiösen Experten – gewöhnt. In diesen Museen hatte ich keinen derartigen Zugang, außer wenn ich ein formelles Interview vereinbarte und größtenteils formelle und entsprechend wenig erhellende Antworten bekam. Museen sind, wie wir aus der wachsenden Literatur über Museen inzwischen hinlänglich wissen, Maschinen zur Produktion und Aufrechterhaltung von Klassenunterschieden. Es kann somit kaum überraschen, dass eine Ethnographie von Museen durch »Eingeborene« der Gesellschaft, in der sich die Museen befinden, jene Unterschiede widerspiegelt und zu einem gewissen Grad reproduziert. Das ist die Grenze und Schwäche der Ethnographie. Wir, die wir solcherart Ethnographie praktizieren, sind entsprechend gefordert, größere Sorgfalt walten zu lassen, um unser Publikum nicht dazu zu verleiten, sich über diejenigen »lustig zu machen«, die sie so leicht als unter ihrer Würde abtun können. Zugleich sind wir aufgefordert, größere Anstrengungen zu unternehmen, wirklich »nach oben zu forschen« – in das Büro des Direktors zu kommen, Beziehungen zu Mitgliedern des Kuratoriums, zu Geldgebern und leitenden Regierungsbeamten zu entwickeln – und schließlich anzufangen,
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Stätten und Orte zu erforschen, die – wie vielleicht das Kunstmuseum – nach wie vor das nötige Befremden hervorrufen.
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K U LT U R S E M I O T I K : ZEICHENLESEN IN AUSSTELLUNGEN
Jana Scholze In der theoretischen und angewandten Museologie ist die Anwendung semiotischer Theorie zwar anerkannt, doch in konkreter Form eher unüblich. Als Lehre von den Zeichen und Zeichenprozessen scheint die Nutzung von Semiotik und speziell Kultursemiotik für Museumsanalysen dort sinnvoll zu sein, wo Fragen der Bedeutungsbildung und Kommunikation im Vordergrund stehen und beantwortet werden sollen. Eine semiotische Analyse, welche die »Bedingungen der Mitteilbarkeit und Verstehbarkeit der Botschaft (der Codierung und Decodierung) untersuchen soll« (Eco 1994: 72)1, kann auf der Ebene der Kommunikation2 und Signifikation3 Codes finden, die zu Aussagen über vermittelte Zusammenhänge, Kenntnisse und Erfahrungen, die Ästhetik, Didaktik und Poetik von Ausstellungen führen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass das Museum als soziale Institution auf interdisziplinäre Analysen, einschließlich Debatten zur Ästhetik, angewiesen ist. Bei diesen Analysen richtet sich der Fokus vordergründig nicht auf das Museum als Objekt, sondern auf die Diskurse, welche von und in dieser Institution geschaffen und öffentlich zur Präsentation gestellt werden. Eine frühe Arbeit von Maria Horta (1992) führt den Begriff Museumssemiotik im Titel. In ihren Ausführungen versucht Horta, die Möglichkeit einer Anwendung von Semiotik im Museumsbereich zu begründen. Es zeigt sich jedoch, dass allein der Gebrauch semiotischer Terminologie in den verschiedenen Bereichen der theoretischen Museologie noch zu wenig sinnvollen Ergebnissen führt. Erst die konkrete Anwendung in der Analyse eines spezifischen 1
Die Semiotik untersucht alle Kommunikationsprozesse. Jeder Kommunikationsakt setzt als notwendige Bedingung ein Zeichensystem voraus und entsteht, wenn ein Zeichen im Empfänger eine Interpretationsreaktion hervorruft. Diese wird durch die Existenz eines Codes ermöglicht.
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Nach Eco (1994: 442) umfasst Kommunikation »alle Akte der Praxis, in dem Sinne, dass die Praxis selbst globale Kommunikation, Begründung von Kultur und folglich von gesellschaftlichen Beziehungen ist. Sie ist der Mensch, der sich die Welt aneignet und der bewirkt, dass sich die Natur ständig in Kultur verwandelt. Nur dass die Handlungssysteme als Zeichensysteme interpretiert werden können, wenn nur die einzelnen Zeichensysteme sich in den globalen Kontext der Handlungssysteme einfügen.«
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Die Unterscheidung zwischen Signifikation und Kommunikation beruht auf der Unterscheidung von Nichtintentionalität und Intentionalität der in Ausstellungen auszumachenden Zeichenbeziehungen (vgl. Mounin 1970).
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museologischen Bereiches führt zu anderen Sehweisen, Lesarten und schließlich zu neuen Resultaten. Die Anwendung von Semiotik ist jedoch nicht unkompliziert, da sie sich auf eine schwierige, uneinheitliche Terminologie stützt. Eine Ursache liegt in der Geschichte der Semiotik, da die Semiotik als Wissenschaft postuliert wurde, bevor sie überhaupt existierte. Aufgrund dieser Tatsache sind Begriffe a priori gesetzt und entstammen keiner empirischen Notwendigkeit. Die Elaboriertheit der semiotischen Terminologie bringt mit sich, dass als Voraussetzung für analytische Präzision viele semiotische Analysen eigene Termini einführen. Diese Tendenz bewirkt nicht nur eine terminologische Dichte, sondern erzeugt auch eine Uneinigkeit und Uneinheitlichkeit im Definieren und Anwenden von Termini innerhalb der theoretischen Disziplin. Der italienische Semiotiker Umberto Eco hat mit seiner Einführung in die Semiotik (1994) einen ernsthaften Versuch gestartet, eine einheitliche Methode vorzuschlagen und die Grenzen der zukünftigen semiotischen Forschung zu ziehen. Im Folgenden wird zunächst in die wichtigsten Ansätze theoretischer Positionen ausgewählter Semiotiker des 20. Jahrhunderts kurz eingeführt, bevor zwei konkrete Anwendungen einer semiotischen Museumsanalyse vorgestellt werden.
1. ZEICHENLESEN
IN DER
K U LT U R
Roland Barthes hat als wahrscheinlich erster mit seinen 1957 erschienenen Mythologies (dt. Mythen des Alltags) – ohne dies direkt intendiert zu haben – eine Kultursemiotik 4 definiert. Diese zwischen 1954 und 1956 monatlich meist in der Zeitschrift Combat publizierten Texte analysieren jeweils einzelne Mythen des französischen Alltagslebens. »Der Anlaß für eine solche Reflexion war meistens ein Gefühl der Ungeduld angesichts der ›Natürlichkeit‹, die der Wirklichkeit von der Presse oder der Kunst unaufhörlich verliehen wurde, einer Wirklichkeit, die, wenn sie auch die von uns gelebte ist, doch nicht minder geschichtlich ist. Ich litt also darunter, sehen zu müssen, wie ›Natur‹ und ›Geschichte‹ ständig miteinander verwechselt werden, und ich wollte in der dekorativen Darlegung dessen, ›was sich von selbst versteht‹, den ideologischen Missbrauch aufspüren, der sich meiner Meinung nach darin verbirgt.« (Barthes 1964a: 7) Die Verwechslung von Natur und Geschichte bzw. von Natur und Kultur empfindet Barthes als einen der größten Fehler der modernen Gesellschaft und widmet sich der Aufdeckung dieses Widerspruchs in den meisten seiner Werke. Wie bereits bemerkt, sind Barthes’ Mythologies aus verschiedenen Gründen ein wichtiger Beitrag zur Kultursemiotik. Ausgehend davon, dass der My4
Siehe auch Bystrina 1989; Koch 1990; Grzybek 1991 und Silverman 1998.
Jana Scholze £Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen
thos »eine Aussage […] ein Mitteilungssystem, eine Botschaft ist« und »kein Objekt, kein Begriff, oder eine Idee sein kann«, sondern »eine Weise des Bedeutens, eine Form« (Barthes 1964a: 85), betrachtet Barthes Mythologie und Mythos nicht vom Inhalt her, sondern als sprachliches bzw. semiotisches System. Dieses ist durch hohe Komplexität in Bezug auf Sinnstiftung ausgezeichnet. Zunächst scheint einmal alles seine Bedeutung zu haben, doch bekommt das Zeichen5 in einem sekundären semiotischen System eine symbolische Bedeutung zugesprochen. Es wird zu einem kulturellen Konstrukt. Diesen Prozess beschreibt Barthes als charakteristisch für das mythische System. Als Anhänger der französischen theoretischen Avantgarde der 1960er Jahre, die sich politisch vornehmlich an der Neuen Linken orientierte, können die Mythologien als Analysen der Semiotik der bürgerlichen Welt, als Form einer kulturellen Selbstwahrnehmung mit allgemeiner Bedeutung gelesen werden. Barthes präsentiert sich als aktiver Zeichenleser, der die Kultur, die er vorgeblich nur beschreibt, selbst in ihrer Bedeutung herstellt und konstruiert. Ausgehend davon, dass Sprache kein natürliches Phänomen, sondern eine Sammlung konventioneller Zeichen ist, basiert er seine Analysen auf linguistische und im speziellen semiotische Theorien ausgehend von den Ansätzen Ferdinand de Saussures. In Folge beschreibt Barthes kulturelle Phänomene als Zeichensysteme, welche sich besonders in seinen Texten der sechziger Jahre auf den arbiträren Charakter des Zeichens berufen. In den späteren Arbeiten wendet er sich von seiner streng strukturalistischen Position ab und nähert sich poststrukturalistischen Theorien, wie jenen von Jacques Derrida, an. Die grundsätzliche Veränderung ist, dass Barthes Zeichen nun in ihrem sozialen Kontext untersucht, um zu erklären, wie und warum sie funktionieren. Die Beziehung des Zeichens zum Bezeichneten beschreibt er als eher motiviert denn arbiträr, was auf der Erkenntnis basiert, dass es beim Lesen, Analysieren und Verstehen von Zeichen weder eine eindeutige und letzte Bedeutung des Zeichens gibt noch eine Autorität, welche über diese Bedeutung entscheidet. Die Wirkung von Konnotationen anerkennend, kann es keine schlussendliche Bedeutung geben, da sich diese entsprechend des Kontextes permanent verändert. Dem Beispiel Roland Barthes folgend können die kulturkritischen Schriften Umberto Ecos seit der Publikation von Einführung in die Semiotik als »Anwendungsmodelle auf dem Weg zu einer Semiotik des Alltags« (Mersch 1993: 7) gelesen werden.6 Eco formuliert: »In der Kultur kann jede Größe zu einem semiotischen Phänomen werden. Die Gesetze der Kommunikation sind die 5
Nach Eco (1994: 30) sind Zeichen »eine physikalische Form, die für den Empfänger auf etwas verweist, was diese physikalische Form denotiert, bezeichnet, nennt, aufzeigt und was nicht die physikalische Form selber ist«.
6
Auch die sowjetische Semiotik der Moskauer und Tartuer Schule von Forschern wie
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Gesetze der Kultur. Die Kultur kann vollständig unter einem semiotischen Gesichtspunkt untersucht werden. Die Semiotik ist eine Disziplin, die sich mit der ganzen Kultur beschäftigen kann und muß.« (Eco 1994: 38) Wenn der Mensch sich durch Zeichen die Welt aneignet, bewertet, vermittelt und auf diese Weise ›Natur ständig in Kultur verwandelt‹, dann machen die Zeichen den Menschen zu dem, was er ist. Eco versteht Semiotik als Fundamentalphilosophie der Zeichen, denn sie stellt ›alles‹ unter den Begriff des Zeichens (Eco 1977: 15).7 Als solche impliziert sie zugleich die Grundlegung einer Theorie der Kultur, da Zeichen immer nur im Kontext von Kultur erscheinen und Kultur sich in der Hervorbringung von Zeichen ausdrückt. Die Semiotik wird damit zur universalen Kulturwissenschaft erklärt. Alle Lebensbereiche werden so als Systeme abstrakter Beziehungen gedacht, welche die Wirklichkeit beurteilen helfen. Die Bedingung für diese Orientierung ist die Bekanntheit und Vertrautheit mit den Traditionen und Konventionen der entsprechenden Kultur. Denn Kultur ist die Voraussetzung, um Zeichen zu verstehen und zu verwenden (ebd.). Zeichen sind kulturvermittelt, jedoch existiert auch Kultur nur auf der Grundlage von Signifikationen (Eco 1986: 49). Keine Kultur kommt ohne Zeichen aus, denn jede Erzeugung von etwas ist immer zunächst eine Manifestation von Bedeutungen. Schon die Unterscheidung von Zeichen und Nicht-Zeichen beruht auf kulturellen Konventionen, welche auf Setzungen zurückgehen und in nichts außer sich selbst zu rechtfertigen sind. Denn Zeichen existieren nur, wenn sie als solche von einer Gemeinschaft ›anerkannt‹ sind (Barthes 1988: 21). Das Objekt der Semiotik ist folglich nicht die Realität, sondern sind Beziehungen, die Sinn erzeugen oder Sinn vermitteln. Wie bereits oben angedeutet, ist diese Sichtweise eine Errungenschaft der modernen Semiotik, denn lange stand die Suche nach dem realen korrespondierenden Gegenstand des Zeichens im Mittelpunkt der Forschung. Die verschiedenen Definitionen des 20. Jahrhunderts8 versuchen den Übergang zu schaffen vom Vorrang der Bezeichnung zu dem der Bedeutung. Ihre Intention ist, das Zeichen von seiner realen Gegenständlichkeit zu lösen und das Realitätsprinzip als verifizierende Größe aufzugeben. Der Übergang zur freien Interpretierbarkeit ist das Ziel. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Zeichen sich nicht auf ›etwas‹ – ob Ding, Sachverhalt oder Idee – beziehen, sondern dass sie selbst Verweise sind, die wiederum auf andere Zeichen verweisen. Der Bedeutungsprozess wird damit für den V.V. Ivanov, J.M. Lotman, V.N. Toporov und B.A. Uspenskij haben sich besonders in den 1960er und 70er Jahren um die Kultursemiotik bemüht. 7
Ecos Ansatz steht im Gegensatz zu beispielsweise C.S. Peirce, welcher Semiotik als erkenntnistheoretische Grundlagendisziplin versteht.
8
Dies sind beispielsweise jene von F. de Saussure, C.S. Peirce, G. Frege, B. Russell, R. Carnap oder C.K. Odgen und I.A. Richards.
Jana Scholze £Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen
Zeichenprozess konstitutiv, da die Bedeutung das vom Zeichen Bezeichnete hervortreten lässt. Bedeutung entsteht also, indem sie sich auf bereits existente Bedeutung stützt. Jedoch ist diese Bedeutung niemals eindeutig, da der Charakter des Zeichenprozesses grundsätzlich offen und unerschöpflich ist (Eco 1994: 437). Ein Zeichen kann somit nie definitiv interpretiert werden, denn der Zeichenprozess ist eine fortlaufende Bewegung. Da die semiotische Analyse bei der Untersuchung des Einzelzeichens als elementarer semiotischer Einheit beginnt, muss das singuläre Zeichen in seinem Kontext isolierbar sein. Allerdings existiert das Zeichen nicht als vorfindbare Entität, denn es ist – wie oben bemerkt – kein reales Objekt. Es ist immer in erster Linie eine kulturelle Erfindung. Das Zeichen existiert lediglich in seiner Funktion, Zeigendes oder Verweisendes zu sein. Eco formuliert noch deutlicher, indem er feststellt, dass der Terminus ›Zeichen‹ eigentlich eine Fiktion ist, denn »genau genommen gibt es nicht Zeichen, sondern nur Zeichenfunktion« (Eco 1986: 76). Demzufolge kann die Fragestellung der Semiotik sich nicht darauf beziehen, was ein Zeichen in der Realität ist, sondern auf die Möglichkeit seiner Relation und ihre Begründung. Die Frage würde dann lauten, wie es sein kann, dass ein Zeichen auf etwas verweist oder etwas darstellt, das es selbst nicht ist.
2. MODERNE ZEICHENTHEORIEN Die oben formulierte Fragestellung hat Auswirkungen auf die theoretische Repräsentation des Zeichens. Wenn sich das Zeichen nicht mehr unmittelbar und konkret auf einen Gegenstand bezieht, sondern in irgendeiner Weise vermittelt wird, kann das Zeichen nur in einem triadischen statt dyadischen Modell dargestellt werden. Den Ausgangspunkt für diese Haltung bildet die Suche nach den Kriterien, welche die Repräsentation des Zeichens verifizieren. In Folge wird die Wahrheitsfrage in ein Bedeutungsproblem überführt und der Sinn der Repräsentation und seine Deutung in den Fokus gerückt. Das Zeichen wird als komplexer Prozess der Symbolisierung verstanden. Seit dem 20. Jahrhundert, wie bereits in Antike und Mittelalter, geht die Semiotik in Bezug auf die Darstellung des Zeichens überwiegend von der Dreistelligkeit und nicht mehr der Zweistelligkeit des Zeichens aus. Jedoch durchläuft das sogenannte ›semiotische Dreieck‹ im modernen Zeichendenken die unterschiedlichsten Phasen und Präzisionsgrade. Im Folgenden sollen allein zwei Zeichentheorien vorgestellt werden, die in den Sprach- und Humanwissenschaften die prominenteste Rolle spielen. Dies ist zum einen die vor allem im französischen und osteuropäischen Strukturalismus fortgeschriebene Semiologie in der Tradition von Ferdinand de Saussure und zum anderen die vorwiegend angelsächsische Tradition nach Charles
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Sanders Peirce.9 Beide Traditionen entstanden um die Wende zum 20. Jahrhunderts. Ihnen ist gemeinsam, dass weder Peirce noch Saussure ein Hauptwerk hinterlassen haben, welches die wichtigsten Thesen zusammenfassend vorstellt.10 Von Saussure war schon relativ früh (1916), jedoch auch erst nach seinem Tod, eine allgemeine Darstellung seiner Theorie aus Vorlesungsmitschriften und Nachlass-Notizen unter dem Titel Cours de linguistique générale von Charles Bally und Albert Sechehaye erschienen. Peirce Werk existiert allein als verstreute Aufsatzsammlung.11 Die Unterscheidung beider Ansätze beruht zunächst auf unterschiedlichen Diskursen: Saussures Schema Signifikant/Signifikat entstammt der strukturalen Linguistik, Peirce Begriff des Interpretanten der pragmatischen Wissenschaftslehre.12 Unterhalb ihres Diskurses arbeiten beide jedoch an einem vergleichbaren Sinn. Das Zeichen bei Saussure (1931/1967) geht von der Beziehung zwischen den beiden Elementen signifié (Signifikat) und signifiant (Signifikant) aus. Das triadische Zeichenmodell von Peirce13 besteht aus sign, object und interpretant. Saussure (1931/1967: 13ff.) bestimmt das System der Sprache als seinen Untersuchungsgegenstand und fasst Sprache (langue) als Ordnung auf, die als solche der Rede (parole) ihr Gesetz aufzwingt. Jedes Zeichen markiert eine arbiträre Stelle im System, die als zweiseitiges Schema aus Signifikant und Signifikat funktioniert. Damit ist bei jeder Positionierung immer schon beides gegeben: Lautbild und Vorstellung, Ausdruck und Inhalt. Die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat beruht bei Saussure auf Arbitrarität und entspricht nicht der Freiheit einer Wahl. Sie ergibt sich aus dem Ort innerhalb der Ordnung, die sie definiert. Denn Zeich en finden sich immer nur im Kontext 9
Die Terminologie von Semiotik und Semiologie richtet sich meist nach der jeweils angewandten Tradition. Zur Diskussion der Terminologie siehe Eco: 1986: 21, Anm. 1. Den Begriff ›Semiotik‹ hat John Locke (1968: Kap. 29) in die Philosophie eingeführt.
10 Die schwierige Situation des Fehlens genereller primärer Quellen hat in beiden Fällen dazu geführt, dass die Theorien auf statische Systeme reduziert wurden. Zudem scheint dieses Fehlen zu dem Desiderat zu führen, beide Theorien aufeinander zu beziehen und die teils übereinstimmenden, teils rivalisierenden Ideen miteinander zu messen. Für eine detaillierte Auseinandersetzung, siehe Franz u.a. 2007: XVIff. 11 Diese Aufsatzsammlung wird ab 1931 um seine Collected Papers ergänzt und seit 1981 in bislang sechs Bänden unter der Leitung von Max H. Frisch und zuletzt Nathan Houser in Writings of Charles S. Peirce. A Chronological Edition publiziert. 12 Weitere Diskurse mit vergleichbaren Begriffpaaren, jedoch unterschiedlicher Nuancierung, sind beispielsweise die Theorie der Interpretation mit Denotation/Konnotation, die Sprachphilosophie mit Ausdruck/Darstellung und die analytische Wahrheitswerttheorie mit Extension/Intension. 13 Siehe C.S.Peirce, Schriften II, S. 324ff., 470f, CP, 5.73ff., 5.472.
Jana Scholze £Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen
mit anderen Zeichen und kein Zeichen kann aus diesem Verband herausgelöst werden. Doch nicht die Zeichen erzeugen das System, sondern das System bietet die Möglichkeit für deren Verbindung. Sprache enthüllt nicht ein wie auch immer geartetes Objekt, sondern ein System von Oppositionen, welche ausschließlich auf sich selbst verweisen. Damit entledigt sich Saussure der Illusion einer ›unabhängigen Wirklichkeit‹, auf welche sich die Zeichen beziehen. Nur die Struktur besitzt die einzig legitime Realität. Im Gegensatz zu Saussure und aufgrund des Bezugs zu Erkenntnistheorie und Logik zielt Peirces Lesart des Begriffs für Zeichenprozess, semiosis, nicht auf einen integralen Zeichenbegriff. Vielmehr basiert er seinen semiotischen Ansatz auf Fragen nach Bereichen und Prozessen, in denen Zeichen generiert werden. In der Definition von semiosis (Semiose) heißt es: »action, or influence, which is, or involves, a cooperation of three subjects, such as a sign, its object, and its interpretant, this tri-relative influence not being in any way resolvable into actions between pairs«.14 Ausgehend von diesem, auf der triadischen Beziehung von Zeichen, Objekt und Interpretant basierenden Zeichenkonzept entwickelt Pierce drei Zeichentypologien. Diese beruhen auf der Unterscheidung von dem Zeichen selbst, der Beziehung des Zeichens zu dem denotierten Objekt und der Zeichenbeziehung zum Interpretanten. Ein isoliertes Zeichen existiert für Peirce nicht, denn jedes Zeichen ist vielmehr Komponente in einer Folge von Zeichen. Dementsprechend reichern sich die Bedeutungen eines vorangehenden Zeichens durch alle nachfolgenden Zeichen an. Zwar definiert Peirce das Zeichen als ›Repräsentamen‹, das ›für etwas‹ steht, jedoch fügt er hinzu, dass es als solches ›für jemanden in dieser Hinsicht‹ interpretiert wird. Zeichen stimulieren mithin gewisse Interpretationen, welche Realitäten ausdrücken. Damit markiert Peirce den Übergang von der Präsenz des Wirklichen zur Herrschaft des Symbolischen und hat in seiner Theorie die oben beschriebene Wende bereits angelegt. Der Zeichenprozess wird bei Peirce schon als grundsätzlich offen definiert, wobei sich allerdings die Bedeutung nicht beständig verschiebt, sondern eher einer dauernden Revision unterliegt. Unvereinbar bleibt noch, dass zwar der Zeichenprozess durch den Prozess der Interpretation bestimmt wird, jedoch Objekte ›außerhalb‹ der Zeichen mit einem ›unabhängigen Sein‹ existieren. An die Entkopplung von Signifikat und Signifikant bei Saussure anknüpfend und den Vorrang des Signifikanten begründend, erscheinen Zeichen bei Roland Barthes später als willkürliche Setzungen innerhalb eines Systems. Dieses bietet ein Netzwerk von Relationen und Leerstellen, welche beliebig besetzbar sind. Die Suche nach Bedeutung wird dabei sekundär. Als Ergebnis 14 Siehe Peirce 1907, CP 5.484, reprinted in Peirce 1998, EP 2, 411 in »Pragmatism,« 398-433.
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einer arbiträren Verkoppelung entspringt sie der Lücke zwischen den Signifikanten. Das ›Spiel‹ der Signifikanten wird zum Fokus der Untersuchung, da sich die Signifikate unablässig wieder aufzulösen scheinen. Wenn die Freiheit der Interpretation jedoch zur Anarchie der Zeichen wird, scheint das Bedeutungsproblem als Grundfrage der Semiotik aufgegeben. Eco sieht dies als inhärentes Problem des Strukturalismus, dessen Konsequenz seine Selbstauflösung ist. Um dieses Problem zu überwinden, versucht Eco eine Synthese aus strukturalistischer Semiologie und analytischer Semiotik, gewissermaßen eine Verbindung von Saussure und Peirce. Diese beruht auf einer Dialektik von Struktur und Prozess, womit die Semiotik zur Theorie sowohl der Ordnung wie auch des Vollzugs von Codes wird (Eco 1994: 417ff.). Codes bestimmen die Konventionen der Kommunikation und sind somit die Verbindungsstücke zwischen Zeichen und Gesellschaft. Da Codes als hypothetische Modelle dienen, basiert der Zeichenprozess auf Regeln, welche Codes ermöglichen. Die Setzungen können jedoch immer wieder neu modifiziert werden. Damit repräsentieren Codes eine soziale Dimension, denn ihre Konventionalität bedingt die gesellschaftliche Akzeptanz, Gewöhnung und Erlernung bei der Einführung neuer Codes. Entsprechend setzt die Löschung von Codes das Einverständnis der Gesellschaft oder Gruppe voraus, in welcher der Code konventionalisiert ist. Codes können jedoch auch ihre Gültigkeit verlieren, wenn sich die gesellschaftlichen Bedingungen verändern oder sie schlicht durch Nichtgebrauch in Vergessenheit geraten. Somit ist der Zeichenprozess sowohl durch Offenheit, Bewegung und Dynamik als auch Statik, System und Geschlossenheit charakterisiert. Eco verweist auf die Notwendigkeit und den Wert von Freiheit, welche Phantasie ermöglicht, jedoch an die Grenzen gebunden ist, die der Code bestimmt. Die Struktur fungiert als hypothetisches Instrument, welches erst durch die konkreten Zeichenprozesse seine Erfüllung findet (Mersch 1993: 101ff.).15 »Als Fundamentalphilosophie des Zeichens entwirft sie [Ecos Semiotik, J.S.] dann keine universelle Theorie, sondern sucht durch eine Reihe heuristischer Modelle der Offenheit der Semiose und der Unendlichkeit der Interpretation zu genügen. Entsprechend endet sie auch mit keinem übergreifenden ›System‹, sondern mündet in eine sich ständig fortsetzende und weiterentwickelnde Forschung. Als solche versteht sie sich wiederum nicht als ›objektive‹ Wissenschaft, sondern als eine historische und perspektivische Praxis, die wesentlich ›eine therapeutische Funktion‹ übernimmt.« (Eco 1994: 43)
15 Mersch (1993: 103) fasst zusammen: »Jenseits von Saussure verzichtet Eco damit insbesondere auf die Rekonstruktion einer invarianten Ordnung und besteht auf einer Pluralität möglicher Formen; und jenseits von Peirce schneidet Eco die regulative Idee eines ›finalen Interpretanten‹ ab und behauptet die Kontingenz der Semiose.«
Jana Scholze £Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen
3. ZEICHENPROZESSE
IM
MUSEUM
Zeichenprozesse finden im Museum insbesondere in Ausstellungen statt, wenn mittels konkreter Objekte, Texte und anderer Elemente Inhalte vermittelt werden sollen.16 Ausstellungen können somit als Orte beschrieben werden, wo Signifikations- und Kommunikationsprozesse stattfinden. Verkürzt und in gewisser Weise idealisiert könnte man diese Prozesse folgendermaßen beschreiben: Ausstellungskuratoren formulieren Inhalte, Absichten und Erwartungen, welche sie mit ausgewählten Objekten ihrer oder fremder Sammlungen verbinden; von Gestaltern werden diese Ideen in räumliche Arrangements übertragen, wo Ausstellungsbesucher Erfahrungen machen und Erkenntnisse sammeln, die idealerweise mit den zu vermittelnden Inhalten übereinstimmen. Dieser Vorgang des Verschlüsselns und Entschlüsselns von Informationen – des Codierens und Decodierens – ist ein Zeichenprozess. Denn der Raum, die Ausstellungsobjekte und die Gestaltungsmittel werden zu Zeichen, die auf konkrete Inhalte und auch weniger bestimmte Bedeutungen verweisen. Um diese Prozesse der Kommunikation und Signifikation in Ausstellungen zu untersuchen, kann die Semiotik als theoretisches Fundament der Analyse gewählt werden. Sie erlaubt eine Differenzierung der komplexen Beziehungen zwischen den konkreten Objekten, dem räumlichen Arrangement, beschreibenden Texten und nicht zuletzt dem Besucher. All diese Beziehungen können Codes hervorrufen, unterstützen, hierarchisieren, aber auch verdecken. Davon ausgehend, dass die Konzipierung und Realisierung einer Ausstellung auf der Konstruktion von Codierungen beruht, können in einem Vorgang deskriptiven Decodierens Zuschreibungen und Wertungen rekonstruiert sowie mögliche Interpretationen gefunden werden. Dies betrifft nicht allein die offensichtlich oder annehmbar intendierten Codierungen, sondern auch jene, die unbeabsichtigt, zufällig oder ungewollt entstehen. Die Komplexität des Mediums Ausstellung, welches individuelle und subjektive Wahrnehmungen und Erfahrungen des Präsentierten eher provoziert als unterdrückt, lässt Zuschreibungen und Bedeutungen allerdings nur schwer fassen und eindeutig benennen. Bezugnehmend auf Museumsobjekte stellt Susan Pearce (1992: 219) fest: »The object activates our own faculties, and the product of this creative activity is the virtual dimension of the object, which endows it with present reality. The message or meaning which the object offers is always incomplete and we all fill the gaps in our own ways, thereby excluding other possibilities: as the viewer looks he makes his own story«. Die 16 Zeichenprozesse finden auch in musealen Sammlungen statt, speziell im Prozess der Musealisierung von Objekten, was hier aber nicht näher diskutiert werden kann (vgl. hierzu Pearce 1992 und 1994).
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Vielzahl und Komplexität von Bedeutungen bilden die Herausforderung jeder Ausstellung, denen sich Kuratoren wie Gestalter im Prozess der Ausstellungsvorbereitung stellen müssen. Ausstellungsanalysen präsentieren Beispiele unterschiedlichsten Umgangs mit dieser Herausforderung: von Versuchen der Begrenzung und Reduktion der Polysemie von Ausstellungsobjekten durch streng definierte und definierende Arrangements bis hin zum Experimentieren mit der Vielzahl bekannter, offensichtlicher, aber auch ungewohnter Bedeutungen in einem Präsentationskontext.
4 . DOPPELBELICHTUNGEN Eine der wenigen semiotischen Museumsanalysen liefert Mieke Bal, vornehmlich in ihrem Buch Double Exposures. In ihrer Untersuchung intendiert sie jedoch keine rein semiotische Analyse, sondern stützt sich auf eine Kombination von semiotischen, ideologiekritischen und dekonstruktivistischen Ansätzen. Dieses eher als interdisziplinäres Verfahren mit semiotischer Tendenz zu bezeichnende Arbeiten charakterisiert sie selbst mit Formulierungen wie »wandernde Begriffe, sich kreuzende Theorien«. Bals französische und amerikanische Orientierung lässt Einflüsse von Theoretikern wie Charles Sanders Peirce, Roland Barthes, Jacques Derrida und Michel Foucault aufscheinen. Ihre enge Bindung zu den Kulturwissenschaften, im Speziellen zur Kulturanalyse, zieht eine Offenheit zu anderen Disziplinen wie den Filmwissenschaften, feministischen Ansätzen, gender und postcolonial studies nach sich. Ihr literaturwissenschaftlicher Hintergrund bietet daneben Grundlagen für die Auswahl einer spezifischen Terminologie – verbunden mit einer deutlichen Sensibilität für Begriffe – sowie für theoretische Konzepte. Adäquat beginnt Mieke Bals Ausstellungsanalyse in Double Exposures mit einer terminologischen Auseinandersetzung. Um ihre Intention zu beschreiben, untersucht sie die Etymologie des griechischen Wortes apo-deiknumei: »[T]his verb refers to the action of ›making a public presentation‹ or ›publicly demonstrating‹. It can be combined with a noun meaning opinions or judgements and refer to the public presentation of someone’s views; or it can refer to the performing of those deeds that deserve to be made public.« (Bal 1996: 2) Bals Fokus liegt auf der Museums- bzw. Ausstellungsarbeit als spezifischer Form diskursiven Verhaltens: »Während dabei [in Ausstellungen, J.S.] das Sehen und der Blick stets eingebettet bleiben in eine kulturell – und das bedeutet nicht zuletzt geschlechtsspezifisch – kodierte ›Rahmen‹-Erzählung des Zeigens, umfasst das performative In-Szene-Setzen, neben dem ZurSchau-Stellen der Objekte, stets auch ein Ausstellen von Argumenten und ein Sich-Exponieren, also einen ›Sprechakt‹.« (Fechner-Smarsly/Neef 2006: 349) Analog zu spezifischen Sprechakten versteht Bal die Gesten des Zeigens – der
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Präsentation – als diskursive Akte. Ihren Fokus spezifizierend stellt sie fest: »The possible discrepancy between the object that is present and the statement about it creates the ambiguities that I examine here.« (Bal 1996: 2) Die im Museum vorfindbaren Diskurse setzen eine Reihe semiotischer und epistemologischer Gewohnheiten voraus, welche Kommunikation und Denken ermöglichen, wie auch in gewissem Sinne vorschreiben. Folglich schließen diese Diskurse epistemologische Haltungen ebenso ein wie ungeprüfte Thesen zu Bedeutungen sowie über die Welt. Konkret heißt dies: Für eine Ausstellung werden analysierte wie hypothetische Inhalte zur Präsentation ausgewählt, welche mittels Objekten zur Schau gestellt werden. Dabei beabsichtigt – in der Terminologie Bals – eine ›erste Person‹ (der Ausstellende) einer ›zweiten Person‹ (dem Besucher) etwas über eine ›dritte Person‹ (das ausgestellte Objekt) mitzuteilen. In diesem Vorgang entsteht eine Subjekt-Objekt Dichotomie, welche einem Subjekt ermöglicht, über das oder die präsentierten Objekte eine Aussage zu kommunizieren, wobei das Objekt die Aussage in irgendeiner Weise belegt. An der Konversation zwischen ›erster‹ und ›zweiter‹ Person nimmt allerdings die ›dritte‹ Person nicht teil. Denn im Gegensatz zu anderen konstativen, d.h. informativen wie affirmativen, Sprechakten ist das Objekt zwar präsent, bleibt jedoch selbst stumm (und wird von der diskursiven Situation stumm gestellt). Als Besonderheit kommt hinzu, dass die ›erste Person‹ konkret nicht in Erscheinung tritt. Sie äußert sich in der Auswahl der Objekte und der Art und Weise der Präsentation. Bal weist darauf hin, dass dieser sogenannte ›expositorische Akteur‹ weder ein einzelner Kurator noch ein anderer Museumsangestellter ist, sondern eine Reihe von Subjekten, die in unterschiedlichster Weise auf die Präsentation Einfluss nehmen. Die vermittelte Aussage des ›expositorischen Akteurs‹ besitzt – so wird behauptet – im Sinne einer ›realistischen Erzählung‹ immer Wahrheitswert, denn sie ist entweder wahr oder falsch, d.h. in der vorliegenden Form und Auseinandersetzung endgültig und unwiderlegbar: »Exposition is always also an argument. Therefore, in publicizing these views the subject objectifies, exposes himself as much as the object; this makes the exposition an exposure of the self. Such exposure is an act of producing meaning, a performance.« (Ebd.) Das Präsentieren bzw. die Geste des Zeigens wird somit sowohl als Aufforderung zum Schauen verstanden, jedoch immer auch als Empfehlung eines ›So ist es!‹ und ›Dies ist die Wahrheit!‹. Der Besucher oder Betrachter einer Ausstellung als Adressat entscheidet jedoch darüber, ob die Präsentation als solche und besonders als diskursiver Akt überhaupt wahrgenommen wird. Das ›dritte Element‹ ist als einzig Konkretes und Wahrnehmbares wichtig, denn Sichtbarkeit und Präsenz ermöglichen Aussagen über das Objekt, welche nicht auf es selbst zutreffen, sondern auf ein Anderes Bezug nehmen. Hier kommt die Semiotik ins Spiel. Denn die Diskrepanz zwischen konkretem Objekt und
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seinem Zeichencharakter machen es zu einem sinnvollen Zeichen: »[T]he discrepancy in case of exposition is blatant and emphatic, because the presence of a ›thing‹ that recedes before the statement about it brings the discrepancy to the fore. The thing on display comes to stand for something else, the statement about it. It comes to mean. The thing recedes into invisibility as its sign status takes precedence to make the statement. A sign stands for a thing (or idea) in some capacity, for someone.« (Ebd.: 4) Dieser allgemeinen Definition eines Zeichens folgend, analysiert Bal Ausstellungen als Zeichensysteme im Rahmen von Visuellem und Verbalem, von informieren und überzeugen (wenn nicht gar überreden). Diese Dichotomie bezieht sich auf die Verbindung zwischen dem bereits erwähnten Eindruck und Anschein einer sich auf Wahrheit berufenden Präsentation und dem Wissen um den individuellen, repräsentativen Charakter einer Ausstellung. Diese zwei Aspekte werden in einer Gegenüberstellung dreier, üblicherweise getrennt behandelter Ebenen von Ausstellungen untersucht: der musealen Ausstellung, der Darstellung von Körpern in kulturellen Artefakten und der Präsentation von Argumenten. Weil die Rhetorik der Überzeugung innerhalb einer diskursiven Situation immer auch als Erzählung funktioniert, schlägt Bal eine Kombination von Rhetorik und Narratologie als analytisches Werkzeug vor:17 »Rhetoric helps to ›read‹ not just the artefacts in a museum, but also the museum and its exhibitions themselves. The narratological perspective provides meaning to the otherwise loose elements of such a reading.« (Ebd.: 7) Die Analysen beabsichtigen zweierlei offen zu legen: die vom expositorischen Akteur angewandten diskursiven Strategien sowie den dem Besucher empfohlenen konkreten Prozess der Bedeutungserstellung. Das Lesen selbst wird somit Teil der Bedeutung, die es hervorbringt. Close reading ist die Methode, derer sich Bal vornehmlich in ihrem einführenden Museumsbeispiel in Double Exposures bedient (ebd.: 9). Dort intendiert sie zu zeigen, wie konstative Sprechakte gebildet werden und welche Kompromisse dabei eingegangen werden. Bal bezieht ihr Lesen in dieser ersten Analyse auf die Beziehung der ausgestellten Objekte zu den zugehörenden Objektbeschriftungen. Diese Beziehung von Mitteilen und Zeigen sollte sich theoretisch gegenseitig stützen, doch zeigt die konkrete Präsentation hier oft Diskrepanzen, welche den intendierten Diskurs beeinträchtigen. Somit begründet die Analyse die Nützlichkeit einer diskursorientierten Perspektive für Reflexionen über das Museum und seine Ausstellungen. Denn es wird behauptet, dass Museen im Allgemeinen in ihren Präsentationen apodiktisch, affirmativ und doktrinär informieren und Fragen oder anderen dialogischen Formen 17 Siehe Bal 1996: 4f für eine Auseinandersetzung mit dem Narrativen im Ausstellungskontext; vgl. auch Buschmann in diesem Band.
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des Diskurses keinen Raum lassen. In einer weiteren Analyse bezieht sich Bal auf die Diskurse der Museumsmitarbeiter, im Speziellen auf deren akademische Publikationen. Die konkrete museale Ausstellung wird hier als Untersuchungsort nur zum Teil verlassen, denn Publikationen werden als erweiterte Form der Darstellung und Präsentation des musealen Diskurses verstanden. In ihren abschließenden Analysen zeigt Bal, wie fragil und labil die Beziehung zwischen dem Ausstellenden, dem Besucher/Betrachter und dem ausgestellten Objekt ist. Indem sie ›überinterpretierte‹ Meisterwerke der Kunstgeschichte als Untersuchungsgegenstand wählt, kann sie zeigen, wie diese Objekte in gewisser Weise antworten und gewohnten Behauptungen widersprechen. Somit entwickeln diese Objekte neue Argumente über das Ausstellen. Im Folgenden soll an kurzen Beispielen Mieke Bals Vorgehen in den Analysen expliziert werden. In einer Gegenüberstellung untersucht sie zwei an entgegengesetzten Seiten des Central Parks in New York befindlichen Museen: das American Museum of Natural History (im Folgenden AMNH) und das Metropolitan Museum of Art (im Folgenden Met). Mit folgender Einschränkung führt sie ihre Auseinandersetzung mit den Präsentationen im AMNH ein: »Die Analyse lässt sich auf den jetzigen Museumsdiskurs ein und sondiert, was er heute zu leisten vermag. Im Brennpunkt steht nicht das koloniale Projekt des neunzehnten Jahrhunderts, sondern das pädagogische Unterfangen des zwanzigsten.« (Bal 2006: 79) Bal folgt der Frage, wie sich eine museale Präsentation zum Besucher verhält, was sie in ihm auslöst, wozu sie motiviert. Dafür untersucht sie Formen von konstativen Sprechakten der Präsentation und konzentriert sich im Speziellen auf die Erstellung solcher Konstative, die damit verbundenen Verluste in Bezug auf die intendierten und möglichen Mitteilungen sowie alternative Strategien. Der Fokus liegt dabei auf dem »Überschussdiskurs« (ebd.), all jenem, was über das rein Informierende hinausgeht. Ihr Ziel ist eine Auseinandersetzung mit den performativen Resultaten und Folgen, welche aus der Negierung oder Unterdrückung diskursiver Aspekte der Präsentation resultieren. Wie oben erwähnt, konzentriert sich die Analyse auf die Beziehung zwischen den ausgestellten Objekten und Objektbeschreibungen. Der Ansatz soll an einem Beispiel wiedergegeben werden, wo die sprachlichen und visuellen Mitteilungen in auffallendem Widerspruch stehen. Im Saal der afrikanischen Völker im AMNH wird in einem Text behauptet, dass sich der Islam erfolgreicher durchgesetzt hat als das Christentum. Es heißt: »Das Christentum ist sehr viel weniger geeint und steht viel stärker in Widerspruch zu den traditionellen afrikanischen Werten. Daher hat es in sozialer und politischer Hinsicht vor allem zersetzend gewirkt. Im Gegenzug hat der Afrikaner aus diesen neuen Religionen etwas Eigenes gemacht, und seine Begabung für selektive Anpassung lässt jetzt in Afrika charakteristische, neue und lebendige Glaubensformen
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entstehen.« (Ebd.: 107) Bal stellt zunächst fest, dass dieser Text den Kolonialismus und den negativen Einfluss des Christentums kritisiert sowie ein positives Bild der Afrikaner zeichnet. Diese Botschaften werden auf der visuellen Ebene jedoch negiert, wenn nicht gar widerlegt. Ein Rosenkranz steht weniger als Zeichen für den Islam als – zumindest für Westeuropäer – das Christentum. Im Mittelpunkt der Präsentation steht eine kleine Figur der Jungfrau Maria, hinter der ein Weiser mit einem Ritualgefäß und einem afrikanischen Symbolvogel steht. Das Arrangement aus Maria zentral im Vordergrund und dem Weisen seitlich dahinter lässt den Weisen eher in einer Opferpose als dominant und selbstbewusst auftreten. Bal konstatiert: »Das ist der Effekt der visuellen Syntax. Die Botschaft dieser Verknüpfung bezieht sich eher auf die Unterwerfung unter das Christentum als auf die Begabung zur Anpassung. Die Madonna steht im Mittelpunkt, und das Ensemble ist das größte visuelle Element in dieser Vitrine. Außerdem ist es als einziges unmittelbar figurativ und folglich das einzige erkennbare visuelle Element, dessen unverkennbare Botschaft daher ›Primat des Christentums‹ lautet. Das afrikanische Element wird zwar gezeigt, mit syntaktischen Mitteln aber unsichtbar gemacht.« (Ebd.: 109) Der Vergleich von verbaler und visueller Botschaft bringt den Widerspruch zum Vorschein. Bal belässt es aber nicht dabei, sondern untersucht die einzelnen visuellen Elemente, welche diesen Widerspruch erzeugen. Wenn sie einschränkend darauf hinweist, dass der Rosenkranz für einen Westeuropäer das Christentum konnotiert, jedoch von einem Kenner der religiösen Kultur Afrikas anders gelesen werden könnte, erweitert sie den Bezugsrahmen. Für den untersuchten Kontext muss sie jedoch feststellen, dass die Orientierung deutlich westlich, wenn nicht gar eurozentrisch ist. Im Folgenden bietet sie noch eine weitere mögliche Lesart des gleichen räumlichen Arrangements an, womit sie den polysemen Charakter von Präsentationen bestätigen kann. Wie bereits an anderer Stelle festgestellt, ist die ›Wahrheitsrede‹ bzw. der mit Hilfe von Rhetorik erzeugte Realismus nach Bal vor allem in Ausstellungstexten eine der charakteristischen Formen der musealen Wissensproduktion und immer auch eine Art von epistemologischer Verführung. Dies wird an verschiedenen Beispielen gezeigt. Eine Grundvoraussetzung ist, dass die Texte grundsätzlich als etwas Abgeschlossenes und Vollkommenes erscheinen. Mittels verbaler Rhetorik werden die Texte »im doppelten Sinn realistisch gelesen […] als erläuternde Darstellung, die einem zeitgenössischen Angehörigen der dargestellten Kultur vollständig vorkommen« (ebd.: 97). Diese beiden Komponenten – ›erläuternde Darstellung‹ und ›Vollständigkeit‹ – erzeugen eine Ästhetik des Realismus. Des Weiteren wird durch eine hohe Dichte der ›metarepräsentationalen Zeichen‹ der Wunsch beim Leser erzeugt, »die Darstellung möge sich mit ihrem Objekt decken« (ebd.). Bal belegt diese Behauptung anhand einer Auswahl des verwendeten Vokabulars in einem Beispieltext aus
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der Ausstellung: »›deutlich‹ lässt dem Zweifel keinen Raum; ›spiegelt‹ ist geradezu eine Entlehnung aus der Terminologie des Realismus, ›wohlbekannten‹ disqualifiziert den überraschten Betrachter, der zögert, den Zweifel bereitwillig außer Kraft zu setzen, als Ignoranten; ›täglich‹ betont das Normale, Anonyme, das Gegenteil der individuellen Vortrefflichkeit oder der bemerkenswerten Ereignisse und ebenfalls den Effekt des Realen« (ebd.). Sie schlussfolgert, dass der somit erzeugte Realismus es schafft, Aussparungen und Leerstellen unbemerkt zu machen und zu unterdrücken. Ebenso wird dem Wunsch nach alternativen Lesarten die Kraft genommen, wenn solche nicht schon als Idee stumm gestellt werden. Allerdings räumt sie auch ein, dass sich Museen zunehmend bemühen, differenzierte Sichtweisen zu präsentieren, auf Kontexte ausgewählter Lesarten hinzuweisen und Alternativen mit zu benennen. Allerdings bleibt trotz all dieser Bemühungen die Tendenz vorherrschend, »an die Wahrheit des durch Fiktion dargestellten Wissens zu glauben« (ebd.: 116). Für die Untersuchung der beiden Museen, AMNH und Met, nutzt Bal den Vergleich, um die Analyse nicht auf eine spezifische typologische Form von Museum zu beschränken. Denn einerseits werden Artefakte, andererseits Kunst als ausgestellte Objekte betrachtet. Entscheidend wird die Gegenüberstellung der beiden Museen dort, wo die – zugegebenermaßen sehr unterschiedliche – Präsentation ähnlicher Artefakte in beiden Häusern analysiert wird. Die vergleichende Auseinandersetzung lässt Bal diagnostizieren, dass Kunstwerke im AMNH so ausgestellt werden, dass die künstlerischen und ästhetischen Merkmale verdeckt werden und ausgewählte, akzentuierte Verweise nur eine Interpretation als Natur- oder zur Natur gehörendes Objekt zulassen. Umgekehrt präsentiert das Met Artefakte als ästhetische Konstruktionen, die kaum mehr Hinweise auf ihren ursprünglichen Kontext zulassen. Die Unterscheidung dieser zwei Objektkategorien, Artefakt und Kunstwerk, begründet Bal mit deren Ausrichtung und Funktion, wobei Artefakte genau jenes voraussetzen, was Kunst zu unterdrücken versucht: die Möglichkeit kultureller Unterschiede. Da Kunstwerke zuerst und vornehmlich als ästhetische Objekte Beachtung finden, werden sie als Metaphern gelesen, d.h. als Konzepte der Bedeutung von Kunst. Worauf sie neben diesem Bezug noch verweisen, wird nebensächlich. Artefakte dagegen werden in erster Linie als Repräsentationen im Kontext einer spezifischen Kultur wahrgenommen. Als solche erscheinen sie nicht als Metaphern, sondern werden vornehmlich synekdochisch als Teil dieser Kultur gelesen. Beobachtung und genaue Beschreibung sowie eine textnahe Lektüre führen Bal zu Bestätigung und Widerlegung ihrer Thesen in Bezug auf ausgewählte konkrete Präsentationen, museale Konventionen sowie die Institution Museum im Allgemeinen. »[E]xposition is here considered as an arch-cultural practice, if not a keystone of how a culture functions. Meaning seems slip-
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pery and variable, both smaller and endlessly greater than what the speaking subject would like to convey.« (Bal 1996: 8) Mit dieser abschließenden Bemerkung hat sie zugleich das Problem benannt, dem sie sich in ihren Analysen annimmt. Polysemie, Überlagerung von Mitteilungen und Bedeutungen sowie verschiedenartige ›Teilnehmer‹ des Diskurses erzeugen eine komplexe, nicht unkomplizierte Situation, welche das Lesen und Verstehen von musealen Diskursen vielschichtig macht. Daneben stattet diese Situation den musealen Diskurs mit spezifischen Merkmalen, wie beispielsweise dem ›Wahrheitsdiskurs‹ aus. Bals »Reise durch die Semiotik des Ausstellens« (Bal 2006: 102) legt die verschiedenen Schichten möglicher Diskurse der Präsentation frei. Dabei setzt sie sich nicht allein mit den Zeichenrelationen innerhalb des spezifischen räumlichen Arrangements auseinander, sondern erweitert dies um signifikante, außerhalb der konkreten Präsentation existierende Diskurse. Ihr theoretischer und methodologischer Ansatz befähigt sie, unterschiedliche Ebenen von Mitteilungen verschiedenster Akteure zu isolieren und zu deuten. Damit kann sie nicht nur eine kritische Sicht auf konkrete Ausstellungen, sondern das Museum als öffentliche Institution in seinem spezifischen gesellschaftlichen Kontext entwickeln. Der semiotische Fokus gestattet Bal, sich auf die Vorgänge der Zeichennutzung sowie die Elemente des Zeigens, Verweisens, Offenlegens und Kombinierens in den musealen Diskursen zu konzentrieren. Ihre Methode führt sie zu differenzierten Aussagen und Empfehlungen für effektivere Strategien in Bezug auf ideologische, epistemologische und repräsentative Implikationen. So formuliert sie bereits als Absicht: »Und während die Texttafeln tatsächlich ein Bewusstsein von den brennenden Fragen der Gegenwartsgesellschaft erkennen lassen, möchte ich im Rahmen dieser Analyse nicht nur den Erfolg zur Kenntnis nehmen, sondern auch das Misslingen – das Fehlen der Einbeziehung einer schärferen und expliziteren Selbstkritik und das statt dessen gegebene Vorhandensein eines apologetischen Diskurses.« (Ebd.: 80) Folglich beschränkt sich Bals Analyse nicht allein auf die Lektüre der verschiedenen Diskurse und ihrer theoretischen Explikation, sondern beabsichtigt kritische Einschätzungen. Diese befähigen sie beispielsweise, konkrete Alternativen der Präsentation zu benennen, um den musealen Diskurs offener und zeitnah kritischer zu gestalten.18 18 Für das AMNH – und dies gilt für andere Museen in gleicher Weise – empfiehlt Bal (2006: 113) etwa: »Die Geschichte, die das Museum erzählen könnte und deren Erzählung seine derzeitige Funktion soviel überzeugender machen würde, ist die Geschichte der in diesem Museum – ja eigentlich in den meisten Museen dieser Art – geübten Darstellungspraxis: die Geschichte des sich verändernden, aber immer noch lebendigen Einverständnisses zwischen Privileg und Wissen, Besitz und Ausstellungskapazität, Stereotypisierung und Realismus, Zurschaustellung und Unter-
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5. MEDIUM AUSSTELLUNG Eine weitere Arbeit, welche sich der Semiotik für die Ausstellungsanalyse bedient, ist Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin von der Autorin. Vergleichbar mit Mieke Bals Ansatz untersucht diese Arbeit museale Ausstellungen als Kommunikationsphänomene. In deskriptiven Analysen werden die durch die Objekte und ihre Arrangements vermittelten Botschaften freigelegt und gelesen, um Aussagen zu möglichen Ausstellungserfahrungen und -inhalten19 zu treffen. Im Fokus stehen Ausstellungen als das Medium der öffentlichen Präsenz von Museen, welche sich wiederum selbst verschiedenster Medien für die Präsentation ausgewählter Ausstellungsinhalte bedienen. Diese mediale Verdichtung führt zu einer Vielzahl von Bedeutungen. »Bedeutung (signification) meint hier jeweils nicht – wie sonst üblich – das Signifikat, sondern im aktiven Sinne den Prozess des Bedeutens: Sinngebung« (Barthes 1985: 321). Es wird davon ausgegangen, dass jede spezifische Präsentationsform diese Sinngebungen in einem begrenzten Deutungsrahmen bindet, womit die Polysemie der unterschiedlichsten Bedeutungsträger einer Ausstellung durch Auswahl, Strukturierung, Hierarchisierung und Akzentuierung eingeschränkt wird. Hinter diesen Bemühungen um Begrenzung steht die Absicht, so die Autorin, Einfluss und Kontrolle auf die möglichen Zuschreibungen zu nehmen sowie bestimmte Inhalte zu vermitteln. Sie behauptet: »Grundsätzlich ist jede Ausstellungskonzeption ein Versuch der Begrenzung und Ordnung von Bedeutungen mittels mehr oder weniger konkreten Codierungen; und jede Ausstellungsgestaltung ist die Konkretisierung dieser Codierungen im Raum« (Scholze 2004: 267). Für die Analysen wird die Frage gestellt, ob und in welcher Weise dieser Prozess von Sinngebungen, Zuschreibungen und Wertungen gesteuert werden kann, welche oder ob alle sichtbaren Merkmale eines Objekts am Zeichenprozess beteiligt werden und welchen Einfluss sie auf die, wie Pomian (1998: 95) beschreibt, »inneren Zustände der Individuen« nehmen. Ausgehend von einem Verständnis der Museumsobjekte als Zeichen und der Ausstellungspräsentation als Komplex codierter Zeichenrelationen, werden Präsentationen und selbst Ausstellungskonzepte in Analysen decodierdrückung von Geschichte. Es gibt Hinweise darauf, dass der expositorische Akteur daran interessiert ist, dieses schwierige Projekt zu verfolgen.« 19 Mit Ausstellungsinhalten sind nur bedingt Informationen mündlicher oder schriftlicher Art gemeint. Ausstellungen werden vielmehr als Medien verstanden, die in erster Linie durch räumliche und visuelle Erfahrungen mitteilen und bedeuten. Somit bilden jegliche Formen von Mitteilungen und Bedeutungen die Ausstellungsinhalte.
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bar. Diese stützen sich hier im Bereich der angewandten Semiotik vornehmlich auf Theorien und Methoden Umberto Ecos (1994, 1995) und Roland Barthes’ (1964b, 1985, 1988). Entgegen den Vorstellungen eines ontologischen Strukturalismus wird die Auffassung vertreten, dass die Semiotik Operations- bzw. Erklärungsmodelle20 liefert, mittels derer Beschreibungen und Bewertungen vorgenommen werden können. Die Analysen beschränken sich auf das Feststellen von Codes, auf deren Grundlage Signifikations- und Kommunikationsprozesse in Ausstellungen entstehen können. Dabei wird den gefundenen Codes eine auch nur temporär gültige Charakterisierung zugestanden. Dieser Prämisse wird die Definition Ecos (1994: 417) von Codes als »intersubjektive[n] Erscheinungen, […] die auf der Gesellschaftlichkeit und der Geschichte basieren«, zugrunde gelegt. Demnach können Codes nicht als statische Komponenten aufgefasst werden, da sie sowohl neu gebildet oder umdefiniert werden als auch ihre Bedeutung verlieren können. Ihre Interpretation bedarf des angemessenen Sets an Konventionen21, welches den Benutzern oder Beteiligten eines kulturellen Mediums bekannt sein muss. Die Veränderung von Codes je nach aktuellem Werte- und Bezugssystem schließt demnach die Modifikation des Zeichens bzw. Zeichensystems auf der Grundlage unterschiedlicher Decodierungserfahrungen ein. Damit wird ein offener Kommunikationsprozess, eine ›Semiose in progress‹ behauptet (vgl. auch Eco 1994: 437). Dies ist für die Untersuchung von Ausstellungen insofern von grundlegender Bedeutung, weil Ausstellungen sich meist auf historische Codierungen der Objekte berufen und diese zu vermitteln suchen. In Medium Ausstellung werden ausgewählte Präsentationsformen als Vermittler historischer, kultureller und/oder museumsspezifischer Phänomene beschrieben und ihre bedeutungsvollen – im Sinne von deuten und bedeuten – Elemente des Ausstellungskontextes analysiert. Letztere sind sowohl die Ausstellungsobjekte, deren Beziehungen zueinander im Raum sowie im Ausstellungsverlauf, wie auch alle Mittel der Gestaltung des räumlichen Kontextes. Diese Aufzählung verweist bereits auf den Fokus der Analysen, denn den Medien wird als aktiven Teilnehmern an den Bedeutungsprozessen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei wird vorausgesetzt, dass die ausgestellten Museumsobjekte22 eine besondere Rolle spielen. Diese zeichnen 20 Modelle sind provisorisch, müssen aber Rechenschaft über eine synchronische Struktur und über eine diachronische Prozesshaftigkeit der untersuchten Objekte ablegen. 21 Als ›Konventionen‹ werden gesellschaftliche Praktiken verstanden im Gegensatz zu ›Traditionen‹, welche immer auch rituelle oder symbolische Funktionen zu erfüllen haben (vgl. dazu Hobsbawm 1984). 22 Kunstwerke wurden aus der Analyse ausgeschlossen, da sie zuallererst sinnlich
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sich durch die Eigenschaft des Verweisens auf abstrakte oder ferne Realitäten aus, welche gegenüber der Gebrauchsfunktion – die im Musealisierungsprozess ihre Bedeutung weitgehend verliert – dominiert.23 Somit werden bei Objekten grundsätzlich zwei Bedeutungsrelationen unterschieden. Nach Barthes (1985: 35) bilden Funktion(en) die eine Seite, Wertbehauptungen die andere. In ähnlicher Weise unterscheidet Krzysztof Pomian (1998) in seiner Definition von Museumsobjekten als ›Semiophoren‹ eine materielle, sichtbare und eine semiotische, unsichtbare Seite.24 Museumsobjekte charakterisiert damit nicht allein ein – wie auch immer begrenztes – Artikulationsvermögen abstrakter Sachverhalte und Prozesse, sondern sie zeichnen sich ebenfalls durch sinnliche Glaubwürdigkeit, Überzeugungsfähigkeit und Faszinationskraft aus. Dieser Charakter wird in den Analysen als Zeichencharakter untersucht. Gerade als ausgestellte Objekte repräsentieren sie nicht allein ihre eigene Geschichte, sondern verweisen auf Diskurse inner- wie außerhalb des Arrangements. So wird in den Analysen zudem die Absicht verfolgt, die Formierung verschiedener Diskurse in Ausstellungen als Resultat der Existenz vielfältiger Codes nachzuweisen. Da Pluralität aber immer auch die Gefahr der Unverständlichkeit mit sich bringt, wird angenommen, dass es einer gewissen Ordnung, wenn nicht gar Hierarchisierung der Codes bedarf. Diese Ordnung wird zunächst mit der Bestimmung von Objektarrangements und Raumgestaltungen angelegt. Dabei werden bestimmte Lesarten protegiert, andere verdeckt, untergeordnet oder sogar unterdrückt. Die Gestaltung von Arrangements wie des gesamten Raumes übernimmt eine emphatische Funktion, denn sie nimmt explizierte Codiegegeben und nur durch sich selbst präsent sind. Natürlich lassen sie sich als kulturelle Zeichen interpretieren, doch werden sie als solche nur im Rahmen eines ästhetischen Codes verständlich. Denn ein Kunstwerk besitzt eine Realität, die nicht darin besteht, dass es auf etwas anderes verweist, noch etwas anderes darstellt. Ein Kunstwerk ausschließlich als Zeichen zu lesen würde bedeuten, diese Realität zu ignorieren und es auf eine ›Bedeutung‹ oder einen ›Sinn‹ zu reduzieren. 23 Musealisierung ist nicht als Kommunikation im engeren Sinne zu verstehen, sondern als semiotische Erscheinung oder Symbolisierungsprozess, wo der Gebrauchswert eines materiellen Objekts in einen kulturellen symbolischen Wert umgewandelt wird. 24 Susan Pearce (1986: 79) charakterisiert diese zwei Seiten von Museumsobjekten als »objektimmanentes Paradox«: »On the one hand, objects are specific, nothing more so; they have places in time and space, they are made of materials which have weights, colours, and so on. On the other hand, objects are fantasies, products of human imagination like religion, literature or chosen social order, but frozen into tangible form.«
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rungen vor bzw. exponiert bestimmte gegenüber anderen. Sie ist somit Mittel der Strukturierung und Ordnungshilfe im Prozess von Wahrnehmung und Vermittlung. Wenn bei der Erstellung einer Ausstellung mit Bezug auf bekannte Codes Zeichen ausgewählt und kombiniert werden, kann die diskursive Pluralität eingeschränkt werden, ohne aufgehoben zu werden. Für die Analysen wird geschlussfolgert, dass demnach auch das Anschauen oder Lesen einer Ausstellung ein permanentes In-Beziehung-Setzen mit bekannten Codes verlangt, wobei vom Betrachter jene ausgewählt werden, die am angemessensten erscheinen. Meist ist dieser angemessene Code offensichtlich oder es wird auf ihn durch eine Reihe kontextueller Verweise hingewiesen. Dieser Vorgang des Decodierens, so wird behauptet, verläuft überwiegend unbewusst, zumindest was eine erste Ebene des Verstehens einer Präsentation angeht. Bei komplexeren Codierungen kann dieser Prozess zur Herausforderung werden, Codes entsprechend der angenommenen Intentionen des Autors, der Art und Weise der Darbietung oder entsprechend der Codierungen benachbarter Zeichen oder des Kontextes auszuwählen. Für die konkrete Anwendung der Semiotik im Ausstellungszusammenhang wird in Medium Ausstellung ein spezifischer Begriffsapparat definiert, der ein wenig komplexes methodisches Vorgehen erlaubt. Mittels dieses Instrumentariums kann eine eindringliche und distanzierte Lesart entwickelt werden, die sich im Sinne von Clifford Geertz’ (1993) »dichter Beschreibung« auf das Präsentierte tatsächlich konzentriert. Den Untersuchungen wird als eine Hypothese vorangestellt, dass Ausstellungen grundsätzlich auf drei Arten von Mitteilungen aufbauen und zwar jene, die sich auf das einzelne Ausstellungsobjekt, auf Objekt- und Raumarrangements und auf den allgemeinen Präsentationszusammenhang beziehen. In diesem Kontext werden die intendierten Ausstellungsinhalte und mögliche weitere Bedeutungen vermittelt, wobei die Ausstellungsobjekte zunächst wahrscheinlich auf eine oder mehrere vormuseale Funktionen verweisen. Die Art und Weise der Präsentation gibt Auskunft über die Intention, Philosophie und Ethik der Ausstellungsmacher bzw. des Museums als sich in Ort und Zeit definierender Institution. Diese drei Arten der Mitteilung oder Richtungen von Kommunikation werden als Denotation, Konnotation und Metakommunikation unterschieden und beschrieben. Den Ausgangspunkt dieser Unterscheidung bildet die Konvention beim Betrachten materieller Objekte, welche Roland Barthes als Theorie des fonction signe beschreibt. Er formuliert, und dies scheint für den Ausstellungskontext bedeutsam: »Das Objekt erscheint immer funktionell, und zwar unmittelbar in dem Augenblick, in dem wir es als ein Zeichen lesen.« (Barthes 1988: 197) Wenn davon ausgegangen werden kann, dass auch für Museumsobjekte eine erste Deutung hinsichtlich ihrer Funktionalität wahrscheinlich ist, werden sie somit zunächst immer erst als Dienendes für einen Verwendungszusammen-
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hang verstanden. Die Decodierung dieser Funktion, welche meist auch zur Objektbezeichnung führt, wird als Denotation bezeichnet. Es wird darauf verwiesen, dass Formen mehrdeutiger Denotation auftreten können (bei multifunktionalen und mehrfach umfunktionierten Objekten) und keiner Denotation (bei völlig unbekannten und unerklärlichen Objekten). Das Paradox der Decodierung der Objektfunktion wird durch den Ausstellungskontext geschaffen, der im Allgemeinen keinen Zusammenhang für eine Nutzung der Gebrauchseigenschaften liefert. Damit könnte allerdings ein Bedarf und Wunsch nach Konkretisierung der Bedeutungen eines Objekts hervorgerufen werden, womit folglich die paradoxe Situation die wesentlichste Motivation für ein Suchen und Lesen weiterer Ausstellungscodes liefern würde. Die Funktion bildet jedoch nur selten den wesentlichen Faktor zum Sammeln eines Objektes, welche vielmehr meist mit der Vermutung oder gar dem Wissen um Konnotationen gesammelt werden: »Konnotationen betreffen das Eingebundensein des Objekts in kulturelle Vorgänge, Norm- und Wertsysteme bis hin zu individuellen Lebensgeschichten. Die vielfältigen Zusammenhänge nehmen Einfluss auf die Erscheinung des Objekts, aber mehr noch auf die mit ihm verbundenen Zuschreibungen und Wertungen.« (Scholze 2004: 32) Konnotationen können nicht einmalig festgestellt werden, sondern bedürfen aufgrund neuer akademischer Auffassungen, Theorien und Interessen kontinuierlicher Überarbeitung. Die Komplexität und Vielfalt möglicher Konnotationen erschwert den Umgang mit Objekten in Kommunikationssituationen, wo, wie in Ausstellungen, zumindest ein gewisses Maß beabsichtigter Inhalte übermittelt werden soll. Zudem ist jedes Ausstellungsprojekt Quelle neuer Konnotationen, da die Museumsobjekte unter jeweils differierenden Fragestellungen zusammengestellt und präsentiert werden. So kann der Umfang möglicher konnotativer Bedeutungen eines Museumsobjekts nie vollständig erfasst werden, denn jede Objektgeschichte ist geprägt durch verschiedene Gebrauchskontexte und Benutzer, die vielfältige Konnotationen erzeugen. Die Rolle des allgemeinen Museums- bzw. Ausstellungskontextes sowie der Einfluss der intentionalen Handlung der Ausstellungsmacher auf die Wahrnehmung einer Ausstellung sowie mögliche Deutungen und Wertungen wird als metakommunikative Ebene untersucht.25 Denn Ausstellungen als räumliche Konstruktionen von Auseinandersetzungen mit Geschichte, Kultur und Gesellschaft geben immer auch Hinweise auf akademische und politische Überzeugungen, institutionelle und persönliche Intentionen und nicht zuletzt auf Kuratoreninteressen und -vorlieben: »Dass Ausstellungen dabei an die Traditionen und Konditionen der Institution Museum einerseits sowie die aktuellen 25 Die theoretische Grundlage der Ausführungen zur Metakommunikation bilden die Ausführungen von Barthes (1985: Kapitel 3.1 und 20.13).
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Überzeugungen, Haltungen und Interessen der Mitarbeiter andererseits gebunden sind, verleiht diesen Versuchen der Welterzeugung einen spezifischen Charakter.« (Scholze 2004: 35) Einflussreich, wie bei jeder Art von Äußerung, ist die Art und Weise des Vorbringens einer Überzeugung oder des Vermittelns einer Haltung. Für den Ausstellungszusammenhang haben sich, so wird behauptet, »aus der Rhetorik der Ausstellung Erwartungs- und Verhaltensmuster entwickelt« (Scholze 2004: 36). Beispielsweise werden Neutralität und Objektivität von vielen Besuchern vorausgesetzt, was zu kritikloser Glaubwürdigkeit der Ausstellungsinhalte führen kann und die Gefahr von Mythosbildung und ideologischer Beeinflussung birgt.26 Ausstellungen sind aber – und dies wird in den Analysen der Metakommunikation begründet – weder in Bezug auf ihre Inhalte noch auf ihre gesellschaftliche Position neutrale Präsentationen. Als Ort der gesellschaftlichen Erinnerung intendieren sie, Annäherungen an Vergangenes, Fremdes, Unbekanntes zu gestalten und Sensibilisierungen gegenüber dem Eigenen und Gegenwärtigen auszulösen. Diese Annäherungen tragen immer fragmentarischen, konstruierten und einen grundsätzlich gegenwartsbezogenen Charakter. Zudem stehen Ausstellungen immer auch in der Tradition vorangegangener Präsentationen, die sie bewusst oder unbewusst weiterentwickeln und modifizieren. Es wird von der Autorin darauf verwiesen, dass ein entschiedenes Abgrenzen von Denotation, Konnotation und Metakommunikation des Ausstellungsdiskurses außerhalb der theoretischen Analysesituation selten sinnvoll ist. In Ausstellungen dominiert meist die konnotative Ebene die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem Präsentierten, wobei die beiden übrigen Signifikationen teilweise in ihr aufgehen können, ohne allerdings verloren zu gehen.27 Die Unterscheidung von Denotation, Konnotation und Metakommunikation als Instrument der Analyse soll helfen, die komplexen Potenziale von Verweisen und Bezugnahmen einer Ausstellung zu erkennen, unterscheiden und lesbar zu machen. Für die deskriptiven Analysen in Medium Ausstellung werden permanente Präsentationen in vier verschiedenen, europäischen Museen analysiert. Diese Beschreibungen geben keine vollständige Darstellung des Ausstellungsablaufs im Sinne eines Nacherlebens des Rundgangs; vielmehr liefern ausgewählte Fragmente dieser Ausstellungen das Material für die semiotische Untersuchung. Die unterschiedlichen Präsentationsformen dieser Ausstellungen bieten für Gegenüberstellung und Vergleich eine Vielfalt räumlicher Situa-
26 Siehe vergleichbar Bals (2006: 83, 101ff.) Diskussion des ›Wahrheitsdiskurses‹. 27 Siehe Roland Barthes’ Theorie einer ›Architektur der Mitteilungen‹ (Barthes 1988: 183).
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tionen, die auf anschauliche oder abstrakte Weise mehr oder weniger komplexe historische Situationen darstellen und vermitteln. Im Folgenden soll am Beispiel der Analyse eines Raums der Ausstellung »Niemals echt. Die Kunststoffsammlung im Werkbundarchiv« die angewandte Methode demonstriert werden. Die Ausstellung war von September 1997 bis Januar 1998 im Martin-Gropius-Bau in den damaligen Räumen des Werkbundarchivs in Berlin zu sehen und zeigte einen Überblick über fünfzig Jahre vornehmlich deutscher Plastikkultur.28 Fünf Räume zeigten unterschiedliche Kunststoffobjekte der Sammlung, wobei in zwei Räumen Installationen aus meist am Strand gefundenen Kunststoffobjekten der Künstlerin Ursula Stalder gezeigt wurden. Der im Folgenden vorgestellte Raum lag zwischen diesen beiden Installationen. Zunächst wird der erschwerte Durchgang wie die mühsame Orientierung im Raum beschrieben, was eng nebeneinander stehenden, ca. 2 m hohen Glasvitrinen sowie einer minimalen Beleuchtung geschuldet war. »Der Kontrast von Dunkelheit und gezielt gesetztem Licht löste eine fast geheimnisvolle, andächtige Atmosphäre aus, die eine Erwartung auf etwas Besonderes, Wertvolles, Seltenes erzeugte. Die spärliche Beleuchtung erforderte intensive, längere Beschäftigung mit den Museumsobjekten, welche als ›Edelsteinschmuck‹ und ›Behältnisse aus kostbarem Material‹ wie Kristall, Gold, Silber, Emaille oder Elfenbein decodiert und denotiert werden konnten.« (Scholze 2004: 247) Die hervorgerufenen Erwartungen unterstützte auch der Gegensatz zur Präsentation in den davor liegenden Räumen, wo die Ausstellungsobjekte frei, ohne Abgrenzung und Schutz, einfach auf den Boden gestellt oder gelegt präsentiert wurden. Dort handelte es sich vorwiegend um aktuelle, teils neue, teils benutzte Alltagsobjekte aus Kunststoff. In ähnlicher Weise hatte Ursula Stalder ihre Fundstücke auf weißen Tüchern ausgelegt. Die Präsentation von Einzelstücken in Vitrinen mit Objektbeschriftungen entsprach dagegen vielmehr den Konventionen der Präsentation in Museen, im Speziellen Kunstgewerbemuseen. Der Objektcharakter unterstützte zudem eine solche Assoziation. Dieser Kontext führte scheinbar unweigerlich zum Decodieren von Materialien wie Kristall oder Gold und zu spezifischen Denotationen wie Kristallschale oder Elfenbeinlöffel. »Wertzuweisungen, die sie [die ausgestellten Objekte, J.S.] durch die konventionelle Form der Vitrinen- und Einzelpräsentation sowie die effektvolle Beleuchtung erhielten und von den materialen Oberflächen und Dekoren bestätigt wurden, riefen Konnotationen wie ›Rarität‹, ›Wertgegenstand‹, ›Kostbarkeit‹, ›Kunstwerk‹, ›Schatz‹ hervor […] Die Codierung des Ausstellungs28 Der Begriff ›permanente Ausstellung‹ trifft hier insofern zu, da das Ausstellungskonzept des Werkbundarchivs – heute Museum der Dinge. Werkbundarchiv – ›unbeständige Ausstellungen der Bestände‹ vorsieht (vgl. Scholze 2004: 228ff.).
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raums stützte sich somit in erster Linie auf Konventionen musealer Präsentationsformen sowie auch auf Konventionen des Sammelns und Zuschreibens von Wert und Bedeutung im Museum.« (Scholze 2004: 248f.) Irritation und eine Überprüfung dieser Konnotationen konnten jedoch entweder von der Objektbeschriftung, der Erinnerung an das Ausstellungsthema oder dem Wissen um intendierte Irritation und Ironie – zumindest für die mit den Ausstellungstechniken des Werkbundarchivs Vertrauten – hervorgerufen werden: »[D]urch genaues Betrachten und oft nur durch das Lesen der Objekttexte erfolgen die Annullierung der Konnotationen des ersten Blicks und deren Ersetzung durch solche wie ›Imitation‹, ›Kopie‹, ›Reproduktion‹, ›Plagiat‹, ›Surrogate‹, ›Faksimile‹ u.ä. Die Gemeinsamkeit dieser Konnotationen sind Codes des Unechten, nicht Authentischen, Nachgemachten.« (Scholze 2004: 250) Die Feststellung, dass hier als kostbar bewertete Materialien imitiert wurden, veränderte somit die Bewertung gravierend. Mit Imitaten sind eher abwertende Konnotationen verbunden: Billigprodukt statt Preziose, Massenware statt Einzelstück, Kitsch statt Kostbarkeit. Wenn im Anschluss der Charakter der ausgestellten Objekte als inzwischen seltene Massenware der Jahrhundertwende untersucht wird, erfolgt eine ausführliche Deskription der Veränderung der Bewertung von alltäglichem Massenprodukt zum begehrten Einzelstück. So kann abschließend geschlussfolgert werden: »Die Wirkung der Präsentation dieses Raumes könnte wieder mit der Erzeugung eines Schwebezustands verglichen werden. Dieser weist den Objekten zwei disparate Zeichencharaktere zu, ohne einen zu bevorzugen oder favorisieren. Einmal sind sie Einzelstücke (unabhängig von ihrem Charakter als Exemplare einer Massenproduktion), die auf eine Mode, auf spezifische ästhetische, formale und materiale Vorlieben Anfang des 20. Jahrhunderts verweisen; zum anderen sind sie massenhaft produzierte Reproduktionen, welche die Identität eines anderen Objekts vortäuschen.« (Scholze 2004: 250) Auf metakommunikativer Ebene wird als Absicht der Ausstellungsmacher festgestellt: »Die Gestaltung eines sogenannten Musentempels soll konventionelles Verhalten im Museum auslösen, um dieses dann durch Irritationen zu ironisieren bzw. in Frage zu stellen.« (Scholze 2004: 250) Im Weiteren wird festgestellt, dass die spezifisch gewählte Präsentation einen aktiven Besucher voraussetzt, der sich verführen lassen will und sich kritisch mit dem Gezeigten auseinandersetzt. Der ›Schwebezustand‹ wird als intendierte, ideale Form der Vermittlung angenommen, doch kritisch bemerkt, dass weder die Geschichte der Massenproduktion der Ausstellungsobjekte konkret erzählt, noch in text- oder bildlichen Verweisen das Thema ›Surrogate‹ erläutert wird. Die Ironie der Präsentation, so wird vermutet, führte nicht allein zu der Erfahrung einer Verwechslung von Imitationen mit authentischen Objekten doch auch zu Fragen »nach Wertmaßstäben und Bewertungskriterien, nach dem Beurteilen und Verurteilen, nicht zuletzt nach
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den Kriterien für die Museumswürdigkeit materieller Objekte« (Scholze 2004: 250). Gemäß dieser Lesart verweist die Präsentationsform in gewisser Weise selbstironisch auf Musealisierungsprozesse, deren Beteiligte und damit verbundene Haltungen. Denn Kuratoren und Gestalter treffen die Zuschreibungen und Wertungen, welche in den Präsentationen eingeübt und konventionalisiert werden. Die Annahme dieser Bewertungen vom Publikum erfolgt im Allgemeinen meist ohne Widerspruch und wird hier herausgefordert. Die Analysen in Medium Ausstellung bestätigen, dass trotz mehr oder weniger spezifischer Codierungen museale Ausstellungen in Bezug auf die zu vermittelnden Inhalte immer arbiträr und fragmentarisch bleiben. Objektarrangements in gestalteten Räumen sind, vergleichbar sprachlichen Texten, immer Ausdruck einer Wahl, die eine mehr oder weniger bestimmte, relativ begrenzte Lektüre oder Interpretation fixiert. Doch neben der Auswahl von Bedeutungen erweitert der völlig neue Kontext die Interpretationsmöglichkeiten des Ausstellungsobjekts sowie des Arrangements in gleichem Maße wie er sie beschränkt. Somit ist das Präsentierte immer reicher an Bedeutungen sein als jede Interpretation der Rezipienten.
6. V O M N U T Z E N
UND
NACHTEIL
Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass semiotische Museumsanalysen eine Möglichkeit bieten, sich konkret und detailliert mit dem Präsentierten und seinen spezifischen Kommunikationsprozessen auseinanderzusetzen. Dies kann nicht nur zu Aussagen über vermittelte Zusammenhänge und Erfahrungen, die Ästhetik, Didaktik und Poetik einer Ausstellung führen, sondern auch zu kritischen Einschätzungen über die institutionelle Praxis. Wie oben bereits bemerkt, erschwert die uneinheitliche Terminologie oft den Zugang zu einer Anwendung der Semiotik. Die beiden Museumsbeispiele belegen den Gebrauch unterschiedlicher Terminologie, trotzdem beide Zeichenprozesse und nicht konkrete Zeichen an sich untersuchen. Jedoch führt die unterschiedliche Terminologie in den Analysen nicht notwendigerweise zu unterschiedlichen Ergebnissen; diese sind vielmehr dort vergleichbar, wo sich die Fragestellungen ähneln. Abschließend sollen die Grenzen des semiotischen Ansatzes nicht unerwähnt bleiben. Diese zeigen sich im Bereich der Kultursemiotik vornehmlich dort, wo die Semiotik nicht als Methode, sondern als wissenschaftliche Theorie fungiert.29 Als solche widmet sie die Zeichenprozesse in symbolische Kategorien um und entzieht sie dem Bereich der kulturellen Erfahrung. Als solche widersetzen sie sich weitgehend dem Verständnis eines unbegrenzten 29 Zu den Grenzen von kulturellen Zeichenprozessen vgl. Silverman 1998: 181-264.
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Zeichenprozesses, wonach Zeichenprozesse nie abgeschlossen und vollständig erscheinen und vom Empfänger der Kommunikation jeweils nur soweit entschlüsselt werden, wie sie für jenen relevant sind. Die Wahrheitsfrage bzw. die Frage nach der Realität des Repräsentierten liegt gemäß dieser Auffassung außerhalb des Untersuchungsbereiches der Semiotik. Diese beschränkt sich vielmehr, wie Eco einst feststellte, auf die Analyse der »Bedingungen der Mitteilbarkeit und Verstehbarkeit einer Botschaft« (Eco 1994: 72). Vereinzelt haben sich auch Museumstheoretiker kritisch zum semiotischen Ansatz bei Museumsanalysen geäußert. Sharon Macdonald (1996: 5) beispielsweise schätzt den Status der Interpretation in jenen Analysen als problematisch ein, wo die analytische Deskription sich nicht als Akt der Interpretation auszeichnet. Wenn in solchen Analysen ein uneingeschränktes Lesen und Verstehen der Botschaften vom Besucher gemäß den Intentionen der Kuratoren für möglich gehalten wird, ist dies meist einer synchronen Lesart geschuldet.30 Im Gegensatz dazu stehen die oben gewählten Beispiele, welche die vielfältigen, unterschiedlichsten Zeiten entstammenden Vorstellungen und Absichten der verschiedenen Protagonisten einer Ausstellung und damit eine Polysemie von intendierten wie auch interpretierbaren Botschaften zum Ausgangspunkt nehmen.
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30 Vorbildlich umgeht Susan Pearce (1994: 19-29) dieses Problem in ihrer semiotischen Analyse einer Leutnantsjacke. Zunächst geht sie von Saussures Ansatz aus, erweitert diesen jedoch später durch Bezug auf Theorien Wolfgang Isers, womit sie das Objekt aus einem passiven in einen aktiven Status versetzen kann.
Jana Scholze £Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen
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Joachim Baur Museumsanalyse
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G E S C H I C H T E N I M R AU M . E R Z Ä H LT H E O R I E A L S M U S E U M S A N A LY S E 1
Heike Buschmann Sowohl historische Ereignisse als auch solche in fiktionalen Texten sind aus der Realität des ›Lesers‹ unerreichbar. Dieses Merkmal beider Phänomene soll als Grundlage des hier vorgestellten Ansatzes dienen. Der fiktionale Text entwirft eine Konkurrenzwelt zur Gegenwart, welche dieser zwar ähnelt, jedoch keine greifbaren gegenständlichen Merkmale aufweisen kann (Iser 1994: 282). Die Vergangenheit scheint im Vergleich zwar zugänglicher, da sie konkrete Spuren hinterlassen hat. Diese können aber weder ein vollständiges Bild ihrer früheren Welt geben, noch selbständig eine Verbindung dazu herstellen, da sie sich uns nicht mitteilen können (Lowenthal 1985: 243). In beiden Fällen bedarf es einer Vermittlung, die dem Leser erlaubt, sich in die fremde Welt hineinzuversetzen. Der fiktionale Text, insbesondere der Roman, ist als Tor zu einer anderen Wirklichkeit bereits eine feste Größe. Gleichzeitig ist das Erzählen von Geschichten zur Überlieferung von Erfahrungen und Ereignissen wahrscheinlich ebenso alt wie die Menschheit selbst. Umberto Eco schreibt heutigen Lesern sogar »romanhafte Instinkte« zu, wenn es darum geht, sich eine Vorstellung vom Leben zu machen (zit.n. Iser 1994: 203). Es liegt also nahe, diese Textform auch für die Vermittlung von Vergangenheit im Museum zu nutzen. Viele Museen und Museumsforscher berücksichtigen diesen Zusammenhang und sprechen von Ausstellungen als Geschichten oder Erzählungen.2 Zur Analyse dieser Geschichten bietet sich somit die breit gefächerte literaturwissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Erzähltheorie an. Wie im Folgenden gezeigt wird, können die dort etablierten Begriffe und Modelle 1
Dieser Beitrag ergibt sich aus einem Dissertations-Projekt zum Thema The Museum as a Narrative Space an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn.
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Ein Beispiel für die wissenschaftliche Perspektive ist hier Richard Humphreys Text »Museumizing the Museum«, der davon ausgeht, dass Objekte im Museum zu einer Erzählung zusammengestellt werden (Humphrey 2003: 109). In der Werbekampagne für das 1998 eröffnete National Museum of Scotland (im Folgenden: Museum of Scotland) wurde das Museum als »the story [of Scotland] so far« vorgestellt (Bryden 2000: 36) und auch in der Begleitbroschüre wird dies wieder aufgegriffen: »The Museum of Scotland begins with the story of Scotland’s landscape and wildlife.« (Calder 1998: 3). In seiner Reflexion zur Inszenierung von Dingen im Museum stellt Gottfried Korff dagegen das Arrangement der Objekte in den Vordergrund und sieht dies als »begehbares Bild« mit durchaus fiktionalem Charakter (Korff 2002: 171).
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ohne weitreichende Modifikationen auf museales Erzählen übertragen werden. Damit ist eine terminologische Konsistenz in der Untersuchung von Erzählungen musealer und literarischer Form gewährleistet, so dass ein interdisziplinärer Austausch unter Wissenschaftlern erfolgen kann. Diese Parallele gilt allerdings in erster Linie für historische Museen und Erzähltexte. Kunstmuseen hingegen arbeiten mit einer anderen Form des Aufbaus, indem sie z.B. nicht durchgängig Charaktere, Ereignisse, Plotzusammenhänge oder Spannungsbögen verwenden.3 Hier werden zwar auch Zusammenhänge hergestellt, diese ergeben sich aber auf einer anderen Ebene als in Erzähltexten. In der literaturwissenschaftlichen Analogie sind Kunstmuseen damit einem anderen ›Genre‹ zugeordnet, welches einer Modifizierung der Analysemethoden bedarf. Der hier eingeführte Ansatz ist also besonders auf das Geschichtenerzählen in historischen Museen zugeschnitten. Im ersten Teil werden die Grundelemente literarischer und musealer Erzählung vorgestellt und anhand von Beispielen zur Anwendung in Literatur und Museum illustriert. In allen Erzählungen wird der Kontakt zwischen dem Inhalt und den Lesern durch einen Erzähler hergestellt, der das Geschehene vermittelt. Personen der erzählten Welt können diese Rolle ebenso übernehmen wie ein Außenstehender. Eine in das Geschehen involvierte Erzählerfigur ist durch ihre Positionierung innerhalb ihrer Welt bereits auf einen bestimmten Blickwinkel festgelegt. Von außerhalb kann ein Erzähler zwischen verschiedenen Blickwinkeln wählen und sich auf eine oder mehrere Optionen festlegen. Da jeder Erzähler eine Geschichte anders vermittelt, ist eine klare Einordnung dieser Figur auf der Basis ihrer Position und ihres Blickwinkels für die Analyse eines Textes von zentraler Bedeutung. Die Erzählung selbst tritt nicht als geschlossener Block in Erscheinung, sondern lässt sich in verschiedene Ereignisse aufteilen. Die Beziehungen zwischen diesen Ereignissen spielen eine wichtige Rolle für das Erfassen der Erzählung als Ganzes. In der Erzählreihenfolge sind die Ereignisse jedoch nicht immer streng chronologisch angeordnet. Auch die Zeitstruktur der Erzählung ist also für die Vermittlung und Wahrnehmung eines Geschehens bedeutend. Nach der Betrachtung der literarischen und musealen Erzählung wird der dem Text gegenübertretende zweite Pol im Leseprozess – der Leser – beleuchtet. Die Untersuchung geht hier auf Basis der Rezeptionsästhetik davon aus, dass ein Text ohne die Aktivität des Lesers nicht als bedeutungsvolle Erzählung existieren kann. Die Tätigkeit des Lesens erschöpft sich dabei nicht in einem bloßen Wahrnehmen des Dargestellten. Sie manifestiert sich als aktives Ein3
Für eine Analyse der narrativen Elemente in Kunstausstellungen und Reaktionen auf diese Ausstellungen siehe Mieke Bal (1996). Vgl. dazu auch der Beitrag von Jana Scholze in diesem Band.
Heike Buschmann £Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse
wirken auf die Textvorgabe, welche wiederum bewusst Freiräume lässt. Diese werden von jedem Leser individuell besetzt, so dass in jedem Lesevorgang ein neuer mit Bedeutung versehener Text entsteht. Im Anschluss an die Darstellung des Leseprozesses wird der entscheidende Unterschied zwischen literarischer und musealer Erzählung untersucht: die äußere Form. Es wird gezeigt, wie diese Diskrepanz mit Hilfe der neuen Kulturgeographie (New Cultural Geography), insbesondere Michel de Certeaus Modell der Raumtheorie, überbrückt werden kann, so dass in Verbindung mit der Erzähltheorie und der Rezeptionsästhetik ein konsistentes Modell zur Analyse des Erzählens und Lesens im Museum entsteht. Abschließend werden museale Texte traditioneller Form, wie z.B. Beschilderungen oder Begleittexte, auf Basis von Gérard Genettes Modell der Transtextualität in Beziehung zur zentralen musealen Erzählung in räumlicher Gestalt gesetzt.
1. LITER ARISCHE
UND MUSEALE
ERZÄHLUNG
Erzählungen sind für uns alle etwas Alltägliches. Sie sind nicht nur in Büchern zu finden, sondern begegnen uns z.B. auch als Geschichten über Kollegen oder Nachbarn. Auch Museen werden heute weniger als Institutionen des Lernens und der Informationsvermittlung verstanden, sondern als Orte, an denen Geschichten erzählt werden und Besucher als Leser an der Bedeutungsfindung beteiligt sind (Roberts 1997: 3). In beiden Fällen erfolgt die Informationsaufnahme also gewissermaßen durch die Hintertür, während die unterhaltende Funktion der Erzählung im Vordergrund steht. Literarische und museale Erzählung scheinen hier nur auf den ersten Blick unvereinbar – die Gegensätze der äußeren Form lassen die Vielfalt der gemeinsamen Elemente nicht sofort sichtbar werden. Dieses Kapitel greift solche Merkmale auf und zeigt ihre Relevanz als Analysekriterien anhand von Beispielen aus beiden Bereichen der Erzählung. 1.1 Erzähler, Stimme und Perspektive
In jeder Form der Erzählung – sei es ein gedruckter Roman oder erzählte Geschichte(n) im Museum – geht der Leser eine Beziehung zu verschiedenen ›Personen‹ ein. Die primäre Beziehung ist die zum Erzähler des Geschehens, denn sie bildet die Voraussetzung dafür, dass die Erzählung zum Leser gelangen kann. Eine wichtige Konsequenz aus dieser Beziehung ist, dass der Leser das Geschehen nie unvermittelt, gewissermaßen mit eigenen Augen, wahrnehmen kann, sondern nur Zugang zu der vom Beobachtungs- und Wiedergabevermögen des Erzählers vorgeprägten Version bekommt. Dies gilt auch für das Erzählen im Museum: Obwohl die Besucher hier durch die Präsenz
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der Exponate scheinbar direkten Zugriff auf das Geschehen haben, ist dies nur selektiv verfügbar, da die Exponate immer nur metonymische Repräsentanten der Vergangenheit sein können und zudem durch ihre Anordnung im Kontext des Museums bereits eine gewisse Bedeutungsfestlegung erfahren haben. In der Analyse einer Erzählsituation sind zwei Einordnungen zu treffen. Zunächst muss die Frage nach der ›Stimme‹, d.h. ›wer spricht‹, beantwortet werden. Zur Veranschaulichung der möglichen Positionen der Stimme eines Erzählers ist das von Susan Sniader Lanser vorgestellte Modell hilfreich. Es stellt dar, in welchen Formen bzw. zu welchem Grad ein Erzähler im erzählten Geschehen involviert ist und verbindet dazu Gérard Genettes Modell des hetero- und homodiegetischen Erzählens mit Franz K. Stanzels Differenzierungen zwischen dem Erzählen in der 1. und in der 3. Person. Homodiegetisch (1. Person/Figur der erzählten Welt)
Heterodiegetisch (3. Person/keine Figur der erzählten Welt) 1 1: 2: 3: 4: 5: 6:
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Unbeteiligter Erzähler Unbeteiligter Beobachter Beteiligter Beobachter Nebenfigur Eine der Hauptfiguren Die Hauptfigur (= autodiegetisch)
(zit.n. Martinez/Scheffel 1999: 82) Im Museum ist häufig der heterodiegetische Erzähler (1) in Form des Wissenschaftlers anzutreffen, der zwangsläufig nicht Teil der erzählten Welt sein kann, da diese in vielen Fällen bereits weit in der Vergangenheit liegt. Deutliche Erkennungszeichen dieses Erzählers sind Spuren wissenschaftlicher Arbeit und abstrakte Formen der Vermittlung wie z.B. Vitrinen, Typisierungen4 sowie wissenschaftliche Instrumente (Grabungswerkzeug, Mikroskop etc.) im Zusammenhang mit Funden und (Teil-)Erkenntnissen. Der homodiegetische Ich-Erzähler kann ebenfalls vertreten sein. Dies ist 4
Beispielsweise die Darstellung der Evolution anhand verschiedener – vom Kontext zunächst losgelöster – Hominiden, wie sie im Neanderthal Museum Mettmann zu sehen ist.
Heike Buschmann £Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse
z.B. in Museen der Fall, die zur Veranschaulichung von historischen Ereignissen eine Figur wählen, die an dem Geschehen beteiligt war bzw. gewesen sein könnte,5 oder die ihr Hauptaugenmerk auf die Erforschung von Vergangenem richten und so einen Wissenschaftler als Erzähler einsetzen. Da jede Geschichte von Anfang an einen Erzähler braucht, treffen Besucher diese Figur meist schon am Eingang und werden von ihr ›durch die Ausstellung geführt‹, d.h. sie erscheint an verschiedenen Stellen des Geschehens im Zusammenhang mit Exponaten, zu denen sie in einer bestimmten Beziehung steht. Selbstverständlich kann diese Figur alle im vorgestellten Modell enthaltenen Positionen innerhalb der Geschichte einnehmen. Der unbeteiligte Beobachter könnte hier ein anonymer Bürger sein, der eine politische Entwicklung (z.B. im Königshaus oder der Regierung) mitverfolgt und davon berichtet, ohne selbst beteiligt zu sein. Am anderen Ende der Skala liegen etwa Museen, die einer Person (z.B. einem Autor) gewidmet sind und deren Narrativ auch von dieser Person selbst ›erzählt‹ wird. Im Falle eines heterodiegetischen Erzählers wird das erzählte Geschehen vom Leser eher objektiv wahrgenommen, so dass der Grad der Identifikation mit den Charakteren hier meist gering ist. Je mehr man sich andererseits einer homodiegetischen Erzählung durch die Hauptfigur nähert, desto subjektiver wird die Wahrnehmung des Erzählten. Die zweite Frage im Bezug auf die Erzählung muss klären, wer das Geschehen ›sieht‹, d.h. aus welcher Perspektive erzählt wird. Hierzu kann man nach Gérard Genette drei Typen der ›Fokalisierung‹ unterscheiden: Nullfokalisierung, verschiedene Formen der internen Fokalisierung und externe Fokalisierung (Genette 1994: 134-135). Im ersten Fall überschreitet der Erzähler den Wahrnehmungshorizont der Charaktere und sieht mehr als jede Figur in der Geschichte. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Erzähler eine Entwicklung außerhalb der Umgebung der Charaktere kennt, die sich auf die Situation in der Geschichte auswirkt, ohne dass eine der Figuren in der Lage wäre, die Ursache zu erkennen. Wird in einem Museum etwa die Geschichte von Bewohnern einer mittelalterlichen Stadt geschildert, wo das Brot aufgrund schlechter Ernten knapp wird, könnte der Erzähler von diesen Ernteausfällen berichten (z.B. räumlich getrennt in einer speziellen Vitrine), während die Bewohner selbst mit den Folgen konfrontiert wären, nicht aber in Kontakt mit der Ursache kämen. Will man also bewusst das Augenmerk auf größere (historisch-politische) Zusammenhänge lenken, ist diese Form der ›Sicht‹ besonders gut geeignet. Wird ein Geschehen aus der Sicht einer beteiligten Figur erzählt, überblickt und berichtet der Erzähler nicht mehr, als auch der Figur bekannt ist. Dabei 5
Die vom Neanderthal Museum als Audioführung für Kinder angebotene Lesart arbeitet mit einem solchen Beispiel. Hier erzählt Kwakiuk (Fuchs), der Enkel des am Eingang zu sehenden Neanderthalers, die Geschichte seines Volks.
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handelt es sich um ›interne Fokalisierung‹. Diese ›Mitsicht‹ kann im Verlauf der Geschichte auf eine Figur fixiert sein, im zeitlichen Verlauf wechseln (variable interne Fokalisierung) oder ein Ereignis aus verschiedenen Perspektiven beleuchten (multiple interne Fokalisierung). Ein Beispiel für diese Form der Erzählung findet sich in dem Abschnitt »Early People« des Museum of Scotland (Edinburgh): Die hier erzählte Geschichte der frühen Schotten beginnt in der Behausung der Charaktere und verfolgt dann deren Entwicklung. Es gibt lange weder andere Figuren (also keinen Perspektivenwechsel) noch im Rahmen der Geschichte nennenswerte Interventionen von außen (z.B. von einem Wissenschaftler als Erzähler), so dass wir im Bericht des Erzählers die Perspektive der Hauptfiguren teilen. Wechselt die Sicht im Laufe der Erzählung zu anderen Charakteren, variiert die interne Fokalisierung und kann so ein vielfältigeres Bild des Geschehens darstellen, das sich z.B. an wechselnde Bedingungen oder Orte anpassen kann. Bleibt ein Ereignis im Mittelpunkt und wird aus der Sicht verschiedener Beteiligter berichtet – denkbar wäre im Museum eine Darstellung der Folgen und Wahrnehmungen eines Phänomens wie der Pest oder einer Revolution im Bezug auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen – liegt multiple Fokalisierung vor. Gibt es keinerlei Einsicht in die Gedanken und Gefühle der Charaktere, spricht man von ›externer Fokalisierung‹. Diese Form der Fokalisierung wird oft in Abenteuer- oder Kriminalgeschichten verwendet (Genette 1994: 135), wo im Leser eine gewisse Spannung erzeugt wird, eben weil er keinen Zugang zur Gefühlswelt der Charaktere hat. Ein Museum kann dieses enigmatische Moment nutzen, um die Situation des Archäologen oder Historikers zu verdeutlichen, der in seiner Arbeit nur selten Einblicke in die Gedanken von Menschen aus der Vergangenheit bekommt. Sowohl Stimme als auch Fokalisierung können im Verlauf einer Erzählung wechseln, um neue Eindrücke zugänglich zu machen und andere Wahrnehmungshintergründe zu integrieren. So ist es in einer Ausstellung möglich, dass die externe Fokalisierung in eine interne umschlägt und so nach einem distanzierten Beginn eine größere Nähe zu den Charakteren möglich wird (z.B. ausgelöst durch eine Quelle, in der historische Figuren Gedanken äußern). 1.2 Vom Ereignis zum Plot
Nach E. M. Forster lässt sich die Struktur eines Romans in drei aufeinander aufbauende Ebenen einteilen. Diese Einteilung ist auf Erzähltexte generell übertragbar. Die Basis bilden ›Ereignisse‹ (events), wie in Forsters Beispiel der Tod eines Königs und einer Königin. Im Museum ist das Äquivalent zum literarischen Ereignis ebenfalls auf der kleinteiligen Ebene der Darstellung zu suchen und wird meist durch einzelne Objekte oder aus wenigen Objekten
Heike Buschmann £Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse
bestehende Exponatensembles repräsentiert. Das königliche Beispiel ist hier durchaus übertragbar – als Objekte kommen hier Dinge in Frage, die den Tod der betroffenen Personen darstellen (z.B. eine Totenmaske, ein Grabstein etc.). Auf der nächsten Stufe der Untersuchung steht die ›Geschichte‹ (story), das »Erzählen von Begebenheiten [events] in zeitlicher Folge« (Forster 1962: 92). In Forsters Beispiel lautet die aus den bereits genannten Ereignissen folgende Geschichte: »Der König starb, und dann starb die Königin.« (Ebd.: 92-93). Diese zeitliche Folge lässt sich in der dreidimensionalen Form des Museums durch eine räumliche Abfolge der einzelnen Objekte entlang des zurückgelegten Weges andeuten.6 Im letzten Schritt erreicht die Analyse den plot7, der das Augenmerk nicht auf die zeitliche Abfolge der Ereignisse, sondern auf deren Kausalzusammenhang richtet. Als Plot könnte sich der Tod der beiden königlichen Häupter also wie folgt darstellen: »Der König starb, und dann starb die Königin aus Kummer.« (Ebd.: 93) Dieser dritte Schritt differenziert narrativ vermittelte Geschichten von reinen Chroniken oder Aufzählungen, die eine Geschichte (Folge von Ereignissen) ohne Kausalzusammenhang festhalten (Keen 2003: 3). Während die zeitliche Abfolge im Museum meist durch die Reihenfolge des Betrachtens organisiert wird, ist der Kausalzusammenhang oft schwerer herzustellen. Die Verbindung zwischen Ereignissen wird häufig offen gelassen oder nur angedeutet, so dass der Leser selbst einen Zusammenhang bilden muss.8 Wird die Kausalverbindung in der Erzählung hergestellt, kann dies durch Einfügen zusätzlicher Exponate geschehen. Beide Möglichkeiten werden zu Beginn des Plots im Neanderthal Museum deutlich: In zeitlicher Abfolge ist das erste Ereignis das Vorhandensein eines bewaldeten Tals, das Maler und Naturliebhaber anzieht (dargestellt durch scherenschnittartige Abbildungen des Tals und seiner Besucher in einem Tunnel, durch den wir die Ausstellung betreten). Das zweite Ereignis umfasst die industrielle Nutzung des Tals zur Gewinnung von Rohstoffen durch (Kalk-)Arbeiter, welche dann zum dritten Ereignis, dem 6
Selbstverständlich entspricht die Lesereihenfolge nicht immer dem chronologischen Ablauf der Geschichte. Dennoch ist die Anordnung der Objekte im Museum ein wichtiges Mittel, um diese Ordnung zu markieren. Auf die Umsetzung dieser Markierung und Methoden der Unterstützung räumlicher Merkmale wird weiter unten eingegangen.
7
Hier wird der ursprüngliche Begriff aus der englischen Originalausgabe von 1927 übernommen, um Begriffsunsicherheiten zu vermeiden. Angesichts der großen Begriffsfülle auf diesem Gebiet ist die Angabe der englischen Termini auch im Fall von event und story ratsam.
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Für eine nähere Beschreibung dieses Phänomens siehe den folgenden Abschnitt zu »Leerstellen und Anschließbarkeiten«.
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Fund der Neandertalerknochen führt. Die zeitliche Abfolge wird durch die Reihenfolge der Wahrnehmung vermittelt – zunächst sehen wir das Neandertal mit den Malern (verstärkt durch ein Bild des Tals aus der Düsseldorfer Malerschule am Ende des Tunnels), dann folgen die Arbeiter und im Anschluss daran der Fund. Der Kausalzusammenhang der ersten beiden Ereignisse wird nicht in der Erzählung hergestellt, sondern muss vom Leser selbst gebildet werden. Man kann sich an dieser Stelle etwa vorstellen, wie die Entdeckung des Kalks Arbeiter anzog und die einsetzenden Bergbauarbeiten die Naturliebhaber vertrieben, so dass vom ursprünglichen Zustand nur noch Bilder (z.B. die der Düsseldorfer Malerschule) geblieben sind. Die Verbindung zwischen dem zweiten und dritten Ereignis wird hingegen durch zusätzliche Objekte hergestellt. Auf unserem Weg vom ersten Erscheinen der Arbeiter zum ›Fundort‹ fällt der Blick auf die Ursache des Fundes: einen Sprengkondensator und einen Pressluftbohrer. Der Plot lautet also an dieser Stelle: Die Arbeiter bearbeiteten das Gestein mit Sprengwerkzeugen und entdeckten dabei die (Neandertaler-)Knochen. 1.3 Zeitstruktur und Ereignisfolge
Die zeitliche Folge der ›Geschichte‹ (story) wird im Erzähl- und Wahrnehmungsprozess nicht immer streng chronologisch vom ersten bis zum letzten Ereignis durchlaufen. Folgt eine Erzählung einer linearen Plotstruktur ohne Abweichung von der Ereignisfolge, kann durch diese Gradlinigkeit z.B. ein mit dem Erzählen fast zeitgleiches Verfolgen der Handlung – vergleichbar mit einem Tagebucheintrag – suggeriert werden. Häufiger jedoch gibt es zumindest kleinere Abweichungen von der Chronologie. Generell unterscheidet man hier zwischen zwei Formen: die Rückwendung zu vergangenen Ereignissen (Analepse) und die Vorausdeutung auf zukünftige Ereignisse (Prolepse). Auch in der generellen Richtung der Chronologie kann die Erzählweise differieren. Es ist nicht nur möglich, in der Ereignisfolge mit dem zeitlich gesehen ersten Glied der Ereigniskette zu beginnen, sondern die Erzählung kann ebenfalls rückwärts verlaufen und mit dem letzten Ereignis beginnen. Diese verschiedenen Formen der Ereignisanordnung werden im Folgenden anhand von Beispielen vorgestellt. Über das Jetzt hinaus: Rückwendung und Vorausdeutung Jeder Erzähltext besteht aus einer Zahl von Ereignissen, die sich unabhängig von der Reihenfolge, in der sie erzählt werden, chronologisch anordnen lassen. Nimmt man beispielsweise fünf Ereignisse A-E an, so lautet die chronologische Erzählreihenfolge ›A B C D E‹ in Entsprechung zur Geschichte (story). Nun ist es aber auch möglich, eines oder mehrere Ereignisse in der Reihenfolge des Erzählens vorwegzunehmen (Vorausdeutung/Prolepse) oder rück-
Heike Buschmann £Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse
blickend zu erwähnen (Rückwendung/Analepse). Wird die Geschichte unter Verwendung einer Prolepse erzählt, könnte sie also ›A B E C D‹ lauten. Verwendet der Erzähler eine Analepse und verweist auf ein in der Geschichte weiter zurück liegendes Ereignis, wäre eine mögliche Variante der Geschichte ›B C D A E‹. Diese Anordnungen können die Wirkung der Erzählung deutlich verändern. Erfahren wir z.B. schon vorher, dass der Hauptcharakter später König wird, spekulieren wir während des Lesens nicht mehr, ob das Ereignis eintreten wird, sondern achten darauf, wie es dazu kommt. Ebenso können Ereignisse aus der Vergangenheit unsere Lesart eines Textes ändern. Wird erst durch eine Analepse und nicht im chronologischen Verlauf bekannt, dass der Held in der Vergangenheit eine Haftstrafe verbüßen musste, ändert dies unsere Wahrnehmung der Figur viel stärker, als wenn wir diese Tatsache vor dem Hintergrund ihrer zeitlichen Einordnung erfahren. Ähnlich wie beim Lesen eines Buches entstehen Analepse und Prolepse im Museum durch die Reihenfolge der Wahrnehmung. Soll ein Ereignis also erzählt werden, bevor oder nachdem es in der chronologischen Reihenfolge der Geschichte erscheint, muss es in seiner räumlichen Anordnung entsprechend platziert werden. Möchte man z.B. in einer Ausstellung über einen König das Augenmerk auf dessen Werdegang richten und seine spätere Rolle vorwegnehmen, so kann man ein Bildnis oder eine Figur des Monarchen in Verbindung mit einem Symbol königlicher Macht am Anfang der musealen Erzählung positionieren. In einer Variante der Prolepse oder Analepse kann ein Ereignis im Verlauf der Geschichte an der ihm chronologisch zugedachten Position erscheinen und in der Vorausschau oder Rückwendung noch einmal zusätzlich aufgegriffen werden. Für eine solche wiederholende Prolepse wäre die Erzählreihenfolge ›A B E C D E‹ ein Beispiel. Damit erhält der Leser im Laufe der Erzählung eine Vorabinformation (E), welche die Spannung in Bezug auf weitere Ereignisse teilweise auflöst. Auf diese Weise wird ebenfalls die Entwicklung betont, ohne jedoch an der chronologisch korrekten Position des Ereignisses eine Lücke entstehen zu lassen. Im Falle einer entsprechenden Analepse ließe sich die Form ›A B C D E C‹ wählen. Hier wird der Leser an ein bereits bekanntes, weiter zurückliegendes Ereignis (C) erinnert, so dass es in einen direkten Bezug zum zeitgleich wahrgenommenen, jedoch später in der Geschichte folgenden Moment gesetzt wird. Im Museum sind Analepse und Prolepse als Blick in die Vergangenheit oder Zukunft der Geschichte durchaus wörtlich zu nehmen. Beide entstehen dadurch, dass für den Besucher der Blick auf spätere oder frühere Ereignisse der Erzählung frei wird. Dies kann z.B. durch bewusst gesetzte Öffnungen in der Wand geschehen, welche die Sicht in einen Nachbarraum freigeben, so dass man die dort platzierten Objekte (Ereignisse) in der Wahrnehmungsfolge entweder schon zu einem früheren Zeitpunkt oder später nochmals sehen
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kann. Ist das Museumsgebäude architektonisch so angelegt, dass einzelne Bereiche nicht streng räumlich getrennt sind, gibt es besonders viele Möglichkeiten der Analepse oder Prolepse. Für einen solchen Fall ist das Neandertal Museum ein sehr gutes Beispiel, denn es ist nicht als Folge von Räumen, sondern als ein stetig ansteigender Aufgang in ovaler Form organisiert. Da es nicht durchgehend trennende Wände zwischen den gegenüberliegenden Seiten des Ovals gibt, eröffnet sich häufig eine Sicht auf Ereignisse, die weiter oben oder unten im Verlauf des Wegs angeordnet sind. Beispielsweise ist am oben beschriebenen Anfang bereits ein Blick auf eine überdimensionale Sanduhr als Zeichen der großen Zeitspanne menschlicher Evolution sowie eine an die Museumswand projizierte Abbildung des Homo Erectus als frühen Repräsentanten dieser Kette möglich. Im Leser wird so eine Spannung bezüglich der Frage erzeugt, welche Rolle das Neandertal für die Evolution spielt. Ebenso erlauben die architektonischen Gegebenheiten natürlich die Konstruktion von Rückwendungen. So können wir z.B. im Anschluss an das Kapitel »Leben und Überleben« nochmals zurück auf die Evolution des Menschen blicken. In diesem Kapitel messen Neandertaler und moderner Mensch ihre Kräfte, dargestellt mit Hilfe von lebensgroßen Figuren, die sich im Gewichtheben üben. Schließlich gelingt es dem heutigen Menschen, seine Schwächen durch medizinische ›Ersatzteile‹ auszugleichen. Nutzt der Leser diese visuelle Möglichkeit der Rückwendung, können Verbindungen zwischen diesem Kräftemessen und der Evolution hergestellt werden, die im Nachhinein dabei helfen, die dargestellte Entwicklung besser zu verstehen und Verbindungen zwischen den einzelnen Stufen der Entwicklung zu ziehen. Synthetische und analytische Erzählung Um Plotstrukturen mit unterschiedlicher Erzählrichtung zu unterscheiden, sprechen wir nach Dietrich Weber von synthetischen und analytischen Erzählformen (Weber 1975: 9). In der synthetischen Erzählung entwickelt sich der Plot generell in Richtung der chronologischen Folge. Das heißt, von einigen Rückwendungen oder Vorausblicken abgesehen, entsteht die Erzählung auf Basis des ersten Ereignisses. Im weiteren Verlauf bauen die folgenden Ereignisse sowohl auf das erste als auch aufeinander auf. Eine solche Erzählung könnte damit beginnen, dass ein Charakter beschließt, einen Mord zu begehen. Anschließend plant er die Tat und führt sie aus. Um das Verbrechen aufzuklären, beauftragen die Verwandten des Opfers einen Detektiv. In einer analytischen Erzählung verläuft der Plot konträr zum chronologischen Ablauf, wie es besonders für Detektivromane typisch ist. Hier beginnt die Erzählung mit dem Verbrechen und verfolgt dann alle weiteren Schritte zurück, bis sie schließlich mit dem Schluss des Plots am zeitlichen Anfang der Geschichte steht und alle Entwicklungen aufgedeckt sind. In diesem zweiten
Heike Buschmann £Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse
Fall besteht die Handlung also hauptsächlich darin, die Geschichte zu rekonstruieren. Im Museum ist ein solcher analytischer Plot denkbar, wenn die Erzählerrolle mit einem Archäologen besetzt wird, der einen bedeutenden Fund gemacht hat. Wird nicht die Geschichte des Fundes, sondern die seiner Enträtselung erzählt, liegt eine analytische Erzählung vor.
2. DER LESER Die hier beschriebenen Strukturen und Elemente einer Erzählung sind zunächst immer nur Verwirklichungspotenzial bzw. repräsentieren ausschließlich den Textpol (Iser 1994: 7). Dieser Pol kann alleine jedoch keine Wirkung entfalten. Wolfgang Iser hält bereits am Anfang seiner Untersuchung zum Akt des Lesens fest, dass »ein literarischer Text seine Wirkung erst dann zu entfalten vermag, wenn er gelesen wird« (ebd.) und formuliert damit eine der Grundlagen der Rezeptionsästhetik. Nach dieser Annahme wird ein Text – und dies ist auch auf das Lesen einer Museumsausstellung übertragbar – erst durch das Zusammenwirken von Textstruktur und Aktstruktur (ebd.: 61), d.h. durch die Aktualisierung des Textes im Lesevorgang realisiert. Diese Annahme beinhaltet auch, dass ein Leser die Erzählung nicht einfach passiv aufnimmt, sondern eine aktive Rolle in der jeweils individuellen Konstitution des Textes spielt.9 Isers Modell folgend sieht auch Gottfried Korff Museumsbesucher als »Sinnproduzenten«, die im Rezeptionsprozess den Arrangements der Exponate eine individuell geprägte »sinnliche Qualität« geben (Korff 2002: 173). 2.1 Leser im Museum
Das Zusammenspiel von Text- und Aktstruktur lässt sich auch auf Museen übertragen, denn hier sind die Exponate ebenfalls kaum mehr als eine statische Ansammlung von Gegenständen, solange ihnen die Aktualisierung 9
In seinen Studien populärer Texte beschreibt John Fiske (auf der Basis von Roland Barthes’ Konzepten der readerly and writerly texts) einen ähnlichen aktiven Konstitutionsprozess durch die Leser. Laut Fiske sind diese Texte produzierbar (producerly), d.h. sie sind nicht nur leicht erfassbar, sondern lassen bewusst Lücken, die im Rezeptionsvorgang individuell geschlossen werden können (wie z.B. Personalpronomen in Liedtexten, die durch Namen aus dem persönlichen Umfeld der Hörer ersetzbar sind). Entscheidend ist hier die Freiwilligkeit der kreativen Vervollständigung. Die Leerstellen im producerly Text müssen nicht zwingend geschlossen werden, sondern erlauben es den Lesern, eine beschriebene Situation auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen zu ergänzen (Fiske 1989: 103-104).
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durch Besucher fehlt. Sobald die Besucher die Ausstellungsräume betreten, werden sie zu Lesern der musealen Erzählung und realisieren einen Teil des in der Textstruktur enthaltenen Erzähl- und Bedeutungspotenzials. Jede dieser Lesarten ist individuell, denn sie hängt von den persönlichen Hintergründen der Leser sowie von deren momentaner Verfassung und Kontakten zu anderen Lesern im Museum ab. Hier unterscheidet sich das Lesen eines Museums von dem eines Buches, denn das Buch wird meistens allein gelesen, so dass die gleichzeitigen Handlungen anderer den Leseakt nicht (oder nur selten) beeinflussen. Im Museum ist die Präsenz anderer hingegen ein wichtiger Faktor, der z.B. dazu führen kann, dass Teile des Museums nicht gelesen werden, um anderen Lesern dieses Bereichs auszuweichen, oder dazu, dass die Wahrnehmung direkt von der Reaktion anderer beeinflusst wird. Die Lesarten einer Erzählung sind nicht nur personenabhängig, sondern auch stark situationsgebunden, so dass auch die Zweitlektüre durch denselben Leser zu einem unterschiedlichen Ergebnis führt. Iser begründet dies damit, dass die Erstlektüre einen zusätzlichen Erfahrungshorizont für das erneute Lesen bildet (Iser 1994: 241). Beim Lesen eines Museums wird dieser Effekt durch das variable Umfeld sogar noch verstärkt. Diese Umfeldveränderung kann sogar sehr bewusst hervorgerufen werden, wenn ein Besucher sich entschließt, zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukehren, um eine Passage ohne Einwirkung anderer erneut zu lesen oder um nach einer Führung (bei der die Wahrnehmung stark vom vorgegebenen Thema und Weg abhängt) einen zweiten, eigenständigen Eindruck zu bekommen. 2.2 Leerstellen und ›Anschließbarkeiten‹
Die aktive Beteiligung des Lesers kommt in Form einer Kommunikation zwischen Leser und Text zustande. Dieser Kommunikationsprozess wird durch Unbestimmtheiten im Text ermöglicht, die bei erfolgreicher Verständigung im Laufe des Dialogs abgebaut werden (ebd.: 45, 97). Der Leser wird durch die Aussparung von Verbindungen zwischen einzelnen Textsegmenten dazu animiert, die fehlenden Verknüpfungen selbst herzustellen, und geht so eine enge Beziehung zum Text ein (ebd.: 265). Ohne diese kreative Tätigkeit könnte eine Erzählung nicht existieren. Da die hergestellten Verbindungen im Detail leserabhängig sind, kann diese spezifische Form des Textes nicht von anderen reproduziert werden. Aussparungen einer Anschließbarkeit können beispielsweise dort vorkommen, wo sonst Kausalzusammenhänge den Zusammenhalt von Plotelementen garantieren. Hier fungieren die Leerstellen als eine Art Platzhalter, die eine Beziehbarkeit von Textsegmenten signalisieren, ohne sie jedoch auszuüben (ebd.: 302). Folgen in einer Erzählung zwei Ereignisse unvermittelt aufeinan-
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der, ohne dass zwischen ihnen ein Zusammenhang hergestellt wird, kann der Leser eine mögliche Relation zwischen den Elementen erkennen, stellt und beantwortet für sich persönlich die Frage, wie die Leerstelle zu besetzen ist, und wird so in den Text involviert. Je nachdem, wie weit der Lesevorgang fortgeschritten ist, spielen bereits durch die Erzählung gewonnene Erkenntnisse hierfür eine wichtige Rolle. Im Verlauf des Lesens bildet der Leser eine stetig wachsende Zahl von ›Vorstellungsgegenständen‹, die sich auf einer Zeitachse nach der Reihenfolge ihrer Wahrnehmung anordnen lassen. Auf der Basis eines so entstehenden Nacheinanders kann der Leser dann z.B. Unterschiede oder Gegensätze zwischen einzelnen Perspektiven oder Ereignissen erkennen und so Anschlüsse herstellen und einen Sinn konstruieren (ebd. 239-240). Ein anschaulicher Fall von Leerstellen auf der Ebene der Kausalzusammenhänge im Museum ist im Kapitel »Werkzeug und Wissen« des Neandertal Museums zu sehen. Dort geht es um die Nutzung von Werkzeugen und deren Entwicklung von der Steinzeit bis heute. Die einzelnen Exponate sind um eine große Werkbank angeordnet. Einige sind in Vitrinen in die Werkbank eingelassen und andere mit Stahlseilen über diesen Vitrinen senkrecht an der Decke befestigt. In den meisten Fällen findet man die moderneren (größeren) Werkzeuge an dem Stahlseil und die ursprünglichen in der Vitrine. Es wird nicht erläutert, wie die Entwicklung genau erfolgt ist, aber die Leerstelle in der Entwicklung wird von dem Stahlseil als Platzhalter markiert. Der Leser kann nun auf der Basis seines Vorwissens die Verbindungen herstellen und zusätzlich das im Verlauf der Erzählung bereits Gelernte einfließen lassen. Im Verlauf der Ausstellung zeigt z.B. das direkt vorangehende Exponat die Herstellung von Feuersteinklingen, so dass der Leser die Entwicklungsrichtung sowie Gründe für die Weiterentwicklung (z.B. den langwierigen Herstellungsprozess der Klingen) ableiten kann. Obwohl die Leser bei der Besetzung der Leerstellen einen gewissen Spielraum haben und es viele verschiedene Möglichkeiten der Anschließbarkeit gibt, schreibt der Text eine gewisse Struktur bzw. einen Bezugsrahmen vor, welche die subjektiven Reaktionen der Leser kontrollieren. Iser beschreibt die zu besetzenden Stellen im Text als ›Hohlform‹, die von den Vorstellungen des Lesers gefüllt werden soll (ebd.: 233, 329). Somit bietet sich zwar Freiraum zur individuellen Gestaltung, durch die Grenzen der Hohlform wird diese jedoch in ihre Schranken gewiesen. Nach Roman Ingarden gibt es in Erzählungen auch eine andere Form von Leerstellen. Sein Modell baut auf der Annahme auf, dass die Gegenstände eines fiktionalen Texts im Gegensatz zu Objekten, die in der realen Umwelt des Lesers angesiedelt sind und dort z.B. visuell vollständig erfasst werden können, intentional sind. Sie können also lediglich die Vorstellungstätigkeit des Lesers auslösen, nicht aber eine vollständige Darstellung bieten. Gut er-
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kennbar ist dies an den vorgestellten Charakteren einer Erzählung. Im Text können immer nur einzelne Aspekte ihres äußeren Erscheinungsbilds und Wesens skizziert werden, die dann durch den Leser zu einem umfassenden Bild ergänzt werden (Simon 2003: 92). Im ›intentionalen Gegenstand‹ des Textes gibt es folglich immer ›Unbestimmtheitsstellen‹, also Bestimmungslücken, die durch die kreative Beteiligung des Lesers gefüllt werden müssen (vgl. Iser 1997: 268-284; Simon 2003: 92). Im Falle musealer Gegenstände ist diese Lückenhaftigkeit oft schon durch den Zustand der Exponate gegeben. Soll z.B. eine antike Vase ausgestellt werden, die nicht mehr vollständig erhalten ist, entscheiden Kurator oder Restaurator in Kenntnis des Objekts, zu welchem Grad der ursprüngliche Zustand der Vase wieder hergestellt werden soll bzw. kann. Werden fehlende Teile beispielsweise durch Milchglas ersetzt, wie dies im Museum of Scotland der Fall ist, wird auch hier die Unbestimmtheitsstelle als solche markiert. Sie muss vom Leser besetzt werden, damit ein vollständiges Bild entsteht. Selbst wenn ein Exponat in seinem Ursprungszustand präsentiert werden kann und so scheinbar ein vollständig bestimmtes ›reales‹ Objekt ist, gibt es Unbestimmtheitsbeträge. In diesem Fall kann der Leser etwa die Anwendungsformen und Kontexte der Verwendung ergänzen.
3. LESER
IM
R AUM
Um das Fortschreiten des Lesers durch eine Erzählung zu beschreiben, nutzt Iser Henry Fieldings Metapher der Postkutsche, in welcher der Leser durch den Text reist. Dabei nimmt der Leser im Text einen »wandernden Blickpunkt« ein, von dem aus gesehen im Verlauf des Lesevorgangs immer größere Teile des Gelesenen in die Vergangenheit entrücken (Iser 1997: 33). Von diesem Punkt aus ist ein Werk nie vollständig verfügbar, sondern im Bewusstsein des Lesers immer nur als unmittelbare Umgebung des Blickpunkts sowie in Form von fragmentarischen Erinnerungen an weiter zurückliegende Textpassagen präsent. Diese Verwendung räumlicher Metaphern des Reisens oder Wanderns durch eine Erzählung ist im musealen ›Text‹ wörtlich zu nehmen. Hier ereignet sich der Rezeptionsvorgang tatsächlich als Zurücklegen eines Weges durch den dreidimensional angelegten Text, wobei der Leser die Postkutsche allerdings meist selbst steuert und nicht nur durch das Fenster die vorbeiziehende Geschichte betrachtet. Die neue Kulturgeographie nutzt zur Analyse der Beziehung zwischen Räumen und ihren Nutzern eine ähnliche Zweiteilung, wie Iser sie bei der Trennung zwischen Text- und Aktstruktur einer Erzählung verwendet. Nach Michel de Certeau kann man im Bezug auf Räume unterscheiden zwischen place, einer statischen Anordnung, welche durch die Platzierung dreidimensionaler
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Elemente definiert ist, und space, dem Resultat der Interaktion einer Person mit dieser strukturellen Vorgabe (De Certeau 1984: 117).10 Ähnlich wie Isers Textstruktur muss place von den Lesern umgesetzt, d.h. begangen werden, damit eine Wirkung entfaltet werden kann. Ebenfalls analog zur Umsetzung der Textstruktur handeln die Nutzer auf Basis ihres persönlichen Erfahrungshintergrunds und der individuell hergestellten Beziehung zu den Bereichen des Raums, die in einem spezifischen Nutzungsvorgang bereits begangen wurden. Auch hier ist space personen- und situationsbezogen, kann aber nicht beliebig variiert werden, da die dreidimensionale Struktur gewisse Nutzungsvorgaben macht. Wege und Blickrichtungen können im Museum vorgeschrieben werden, wodurch die Freiheit des Lesers eingegrenzt wird (z.B. durch enge Gänge oder Tunnel).11 Durch eine solche dominante Architektur ist die Wahrnehmungsrichtung ähnlich wie bei einem Buch, das Seite für Seite gelesen wird, stark fixiert. Meist wird diese klare Richtungsgebung aber nur für Teile des Museums angewendet oder als Richtlinie angedeutet, so dass die tatsächliche Bewegungsfreiheit der Leser größer ist. Fungieren Wände, Säulen oder Vitrinen also lediglich als Leitlinien entlang eines Weges, können aber dennoch umgangen werden, steht den Lesern eine Vielzahl individueller Richtungsentscheidungen offen, so dass die Erzählreihenfolge zu einem gewissen Grad selbst bestimmt werden kann. Teilweise ergeben sich daraus sogar Variationen von story und plot: Eine bewusst eingesetzte Vielfalt von Möglichkeiten ohne Bevorzugung einer Lesart könnte die Festlegung auf eine bestimmte Chronologie verhindern. Damit lässt sich z.B. zeigen, dass die Ereignisfolge nicht fixiert werden kann, etwa wenn nicht klar ist, welches Volk einen Ort zuerst besiedelt hat oder welcher von zwei Erfindern als erster die zündende Idee hatte. Durch Lenkung der Blickrichtung können räumliche Vorgaben auch Zeitsprünge in der Erzählung erlauben. Auf der Ebene von place kann man sich hier einen Wanddurchbruch oder eine generell offene Bauweise vorstellen. Die Wahrnehmung und Umsetzung dieser Möglichkeit liegt beim Leser, so dass die Voraussetzung einer Analepse oder Prolepse zwar in der statischen Raumvor10 Auch hier werden die Begriffe aus der englischen Fassung verwendet, um eine klare Verständigung zu ermöglichen. In der deutschen Ausgabe wird place (frz. lieu) als Ort und space (frz. espace) als Raum übersetzt (De Certeau 1988: 186). Für die Anwendung des Modells im Museum wird hier auch die Beleuchtung als Element der räumlichen Anordnung gesehen. 11 So, wie die Textstruktur einer Erzählung (bestehend aus Wörtern, Satzgefügen und deren Anordnung) von einem Autor festgelegt wird, geht auch die Auswahl und Anordnung der Elemente im musealen place auf Kuratoren, Gestalter etc. zurück, die hier die Autorschaft übernehmen. Zur Rolle der Kuratoren und der Inszenierung von Ausstellungen siehe auch Korff 2002: 170f.
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gabe zu finden ist, die tatsächliche Vorausschau oder Rückwendung aber erst in Folge der Realisierung durch den Leser zustande kommt. Beschließt dieser, die Möglichkeit nicht wahrzunehmen und z.B. nicht durch einen Durchbruch zu blicken, wird der architektonische Vorschlag nicht umgesetzt und somit nicht Teil des individualisierten Raumes (space) bzw. der persönlich entwickelten Erzählung. Ähnliche Entscheidungen können den Inhalt einer Erzählung beeinflussen, wenn Leser auf ihrem Weg durch die museale Erzählung einige Abschnitte nicht begehen. Ein Beispiel für die verschiedenen Realisationsmöglichkeiten einer solchen architektonischen Offenheit findet sich im Museum of Scotland. Hier ist es im bereits erwähnten Bereich Early People möglich, nicht dem dominanten (also architektonisch hervorgehobenen) Weg zu folgen, der erst die Entwicklung der frühen Schotten erzählt und dann das Zusammentreffen von Schotten und Römern schildert, sondern die beiden Ereignisse zu überspringen und nach den Schotten sofort die Römer zu ›treffen‹. In der resultierenden Erzählung wirken die Schotten im Vergleich unvorbereitet, da der Leser sie bis zu diesem Punkt der Erzählung als Bauern und Jäger kennenlernt, während die Römer kriegerisch und prunkvoll erscheinen. Folgt der Leser der dominanten Erzählung, kann die räumlich mögliche Verbindung zu den Römern auch als visuelle Prolepse auf ein späteres Erscheinen der Römer in der Erzählung fungieren. Auch für die Konstruktion des Erzählers und der Fokalisierung spielt die räumliche Gestaltung eines Museums eine zentrale Rolle. Die dominante Erzählung im Abschnitt Early People wird von einem heterodiegetischen Erzähler (3. Person) mit interner Fokalisierung vorgetragen. Die Erzählung beginnt in der Behausung der frühen Schotten und verfolgt von dort aus die weitere Entwicklung dieser Hauptfiguren, wobei ihnen, abgesehen von zwei möglichen Prolepsen auf das Erscheinen der Römer, immer das Hauptaugenmerk gilt. Nach der bereits geschilderten ersten Prolepse lenkt der Raum den Leser so, dass dieser dem ersten Ausblick in die Zukunft der Erzählung den Rücken zudreht und sich ausschließlich auf die Schotten als Hauptfiguren im Fokus des Erzählens richtet. Im Verlauf der Geschichte entfernen diese sich immer weiter von ihrem Ausgangsort, bis sie schließlich Boote oder Ochsenkarren zur Hilfe nehmen. An dem Punkt, wo diese Fortbewegungsmittel eingesetzt werden, wird die interne Fokalisierung besonders deutlich: Kurz bevor wir die Boote erreichen, gibt es eine zweite Prolepse, in der die Römer sichtbar werden. Doch sobald diese Stelle passiert ist, verdecken Wände die Sicht auf die Ereignisse, die auf das Besteigen der Boote folgen. Übertragen auf die Vermittlung des Geschehens heißt dies, dass der Erzähler genau das sieht und schildert, was die Hauptfiguren auch erkennen können. Die Fokalisierung ist also auf diese Charaktere gerichtet. Läge hier Nullfokalisierung vor, wäre der Erzähler in der
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Lage zu berichten, was die Reisenden erwartet. Im Falle einer externen Fokalisierung hätten wir die Figuren auf ihrem Weg nicht so genau kennenlernen können. Genau wie einzelne Aspekte kann auch die allgemeine Erzählrichtung, also die Festlegung auf synthetisches oder analytisches Erzählen, räumlich angedeutet werden. Durch Treppen, Fahrstühle oder Gänge können die Leser an den intendierten Anfangspunkt gelenkt werden, so dass es eine räumlich bevorzugte Leserichtung gibt.12 Je offener die Raumgestaltung, desto größer ist der Einfluss der Leser auf die Reihenfolge, so dass sie im Extremfall die dominante Richtung umkehren können. Grundsätzlich ist also eine als synthetische Erzählung aufgebaute Ausstellung häufig auch als analytische Variante lesbar, wenn der Leser mit dem Schluss anfängt und sich dann in Richtung des Anfangs bewegt. Für einen Leser des beschriebenen Abschnitts des Museum of Scotland ist es denkbar, an dem Punkt zu beginnen, wo die Schotten bereits reisen, und von dort aus ihre Entwicklung zu den Anfängen zurückzuverfolgen. Abschließend muss jedes Museum mindestens einen Weg zum Ausgang räumlich festlegen. In strikter Analogie zum Roman müsste man das Gebäude durch den Hinterausgang verlassen, um sozusagen das Buch von hinten zu schließen. In der Praxis sind Ein- und Ausgang jedoch oft nebeneinander platziert oder sogar identisch, so dass die räumliche Struktur des Gebäudes dem Leser auf dem Rückweg eine Zweitlektüre der Erzählung anbietet. Diese verläuft dann in der Lektürereihenfolge nicht nur umgekehrt, sondern hat, nach Iser, auch eine völlig neue Lesart zur Folge, da sich im Verlauf der Erstlektüre die Disposition der Leser verändert hat. Auch für dieses Phänomen bietet das Neandertal Museum ein geeignetes Beispiel. Während der Verlauf der chronologischen Geschichte über die nach oben führende ovale Rampe erschlossen wird, führt der architektonisch suggerierte Rückweg über eine Treppe in der Mitte des Ovals, von wo aus ein rekapitulierendes Lesen vieler Szenen möglich ist.
12 Nachdrücklich und symbolträchtig realisiert ist dies etwa im Museum of Jewish Heritage in New York City. Auf drei Stockwerken wird zunächst die Kultur der jüdischen Diaspora vor dem Zweiten Weltkrieg, dann die Geschichte des Holocaust und schließlich die Erneuerung jüdischen Lebens in Israel und den USA thematisiert. Von einer Ebene zur anderen, und damit von einem Kapitel zum nächsten, gelangen Besucher ausschließlich über Rolltreppen, die nur in eine Richtung verlaufen und so eine Umkehr der Leserichtung oder eine Rückkehr zu vorherigen Kapiteln unmöglich machen (vgl. Pieper 2006: 175).
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4 . BEGEGNUNG
DER
T E X T F O R M E N – T R A N S T E X T U A L I TÄT
Der hier vorgestellte Ansatz konzentriert sich auf die räumliche Anordnung und Inszenierung von Exponaten und architektonischen Elementen als Haupttext der musealen Erzählung. In dessen Umgebung sind viele andere Texte in schriftlicher und visueller Form angesiedelt, die in einer mehr oder weniger deutlichen Beziehung zum räumlichen Text stehen. Diese Art der Verbindung zwischen Texten nennt man nach Gérard Genette ›Transtextualität‹ (Genette 1993: 9). Die folgende kurze Analyse bezieht sich auf drei der insgesamt fünf von Genette identifizierten Formen dieser Verknüpfung zwischen Texten: Paratexte, Hypertexte und Metatexte. Paratexte wie Titel, Anmerkungen oder Illustrationen sind in der Umgebung eines Textes angesiedelt und können somit einen Einfluss auf dessen Wahrnehmung ausüben. Es besteht keine direkte inhaltliche Verbindung zwischen Haupttext und Paratexten, sondern ihr Verhältnis ist über räumliche Nähe definiert (ebd.: 11-12). Es gibt zahlreiche Paratexte im Umfeld der musealen Erzählung, die den Lesern Anhaltspunkte zu deren Erschließung geben und somit die Rezeptionsaktivität in bestimmte Bahnen lenken. Hinweisschilder deuten auf den Anfang der Erzählung hin, ein neues Kapitel lässt sich wie im Buch durch Überschriften hervorheben, und eine Nummerierung der Exponate kann ihre räumliche Folge durch eine explizite chronologische Reihenfolge unterstützen. Grundsätzlich können Paratexte also helfen, die im Text gegebene ›Hohlform‹ klarer zu umreißen, so dass die Leser weniger Freiräume in der persönlichen Gestaltung einer Erzählung haben. Dies kann einerseits dazu genutzt werden, eine dominante Lesart einer historischen Gegebenheit zu vermitteln, ohne dass sich in der Phantasie der Leser wichtige Aspekte anders darstellen. Auf der anderen Seite sind solche Hinweise seitens der Leser sicherlich durchaus erwünscht, da sie Sicherheit im Umgang mit einem Text bieten, der im Gegensatz zum Roman meist unter Beobachtung rezipiert wird. Hypertexte sind »Texte zweiten Grades«, die durch Transformation eines anderen Textes (des Hypotextes) entstanden sind, diesen aber nicht kommentieren (ebd.: 14-15). Im Museum können Begleitbücher, Audioführungen und Texttafeln in der Ausstellung Beispiele für Hypertexte sein, solange sie keinen Kommentar zu Exponaten darstellen. Sie sind entweder von der räumlichen Erzählung abgeleitet oder in sie integriert und geben deren Inhalt in einer anderen Form wieder. Im Museum of Scotland wird beispielsweise die dominante Erzählung im Bereich Early People durch eine auf Texttafeln festgehaltene homodiegetische Erzählung begleitet. Die Hauptfiguren (frühe Schotten) erzählen hier selbst von ihrer Entwicklung, so dass die Bindung zwischen Text und Lesern im Vergleich zur heterodiegetischen Erzählung mit interner Fokalisierung, wie sie in der durch den Raum allein erzählten Variante zu finden ist,
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deutlich verstärkt wird. Im Gegensatz zur Erzählung in der dritten Person bekommen wir hier auch einen Einblick in die Gedanken der Charaktere. Besonders deutlich wird dies anhand ihres Eindrucks von den Römern: »They were alien, the Romans. We had seen nothing like them. Three times they came and left again and we didn’t know why they came at all.«13 Ebenso wie die räumliche Narration betont diese Erzählung in der ersten Person (Plural) die Abgrenzung von einer anderen Kultur, die für die Bildung nationaler Identität von zentraler Bedeutung ist. Räumlich geschieht dies durch eine klare Grenzziehung und durch eine Anordnung der Exponate, die Unterschiede betont. Die textbasierte Erzählung arbeitet mit den Personalpronomen we und them, welche eine konventionelle Ausdrucksform für Identitätsabgrenzungen darstellen. Betrachtet man die Anordnung dieser Erzählung im Museum, wird deutlich, dass sich Genettes Formen der Transtextualität nicht klar voneinander trennen lassen, wie er auch selbst anmerkt (ebd.: 18). Konzentriert man sich ausschließlich auf die geschriebene Erzählung, bleibt diese ein Hypertext, der die räumliche Erzählung mit ihren Objekten transformiert. Sobald sich jedoch die Wahrnehmung des räumlichen Textes unter dem Einfluss der homodiegetischen Erzählung ändert, wirkt diese wie ein Hinweisschild, also ein Paratext. Auch die Grenze vom Hyper- zum Metatext ist schnell überschritten, denn sobald der zugrunde liegende Hypotext kommentiert wird, liegt ein Metatext vor (ebd.: 13). Im Bereich der Literatur ist diese Beziehung oft kritisch, bei musealen Erzählungen dominiert der erklärende und beschreibende Kommentar. Das Begleitheft zum Museum of Scotland ist hierfür ein deutliches Beispiel. Der Beginn von Early People wird wie folgt beschrieben: »The first thing you see as you enter this gallery is a tenth-century Pictish carved stone from Bullion in Angus, showing a warrior on horseback enjoying a tipple from his drinking horn. This introduces the themes of food and drink and also agriculture, hunting and gathering.«14 (Calder 1998: 11). Dieser Metatext erklärt nicht nur ein Element der räumlichen Erzählung, indem er den Stein zeitlich einordnet und das Motiv erläutert, auch die Anordnung der einzelnen Ereignisse bzw. Themen, die im Verlauf des räumlichen Textes folgen, wird kommentiert. Des Weiteren greift der Kommentar die Aktivität des Lesers auf, indem er den 13 »Sie waren fremd, die Römer. Jemanden wie sie hatten wir noch nie gesehen. Dreimal kamen und gingen sie, und wir wussten nicht, warum sie überhaupt kamen.« (Übersetzung, H.B.) 14 »Beim Betreten dieses Ausstellungsraums sehen sie zuerst einen gemeißelten piktischen Stein aus Bullion in Angus aus dem zehnten Jahrhundert, welcher einen reitenden Krieger zeigt, der sich gerade einen Schluck aus seinem Trinkhorn genehmigt. Diese Darstellung leitet die Themen Essen und Trinken sowie Landwirtschaft, Jagen und Sammeln ein.« (Übersetzung, H.B.)
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Beginn der Erzählung sowie die Art der Rezeption (»sehen« und »betreten«) spezifiziert. Auch Objektbeschriftungen und Führungen sind Beispiele von häufig genutzten Metatexten im Museum. Schilder in unmittelbarer Nähe zu Exponaten kommentieren diese, indem sie z.B. eine historische Einordnung vornehmen oder den Kontext der früheren Nutzung angeben. Bei Führungen werden Objekte nicht nur direkt kommentiert, so dass sich der unmittelbare Rahmen ihrer Wahrnehmung ändert. Sie werden auch durch die Vorgabe einer physischen Route durch die Ausstellung und begleitende Erklärungen in Beziehung zueinander gesetzt, so dass sich der Metatext auf das Erfassen der Plotstruktur auswirkt.
5 . FA Z I T Erzählungen im Museum bestehen aus einer Mischung verschiedener Ausdrucksformen und erfordern auch eine entsprechend vielseitige Wahrnehmung. Der Rezeptionsprozess ist vornehmlich durch eine Bewegung im Raum und das Betrachten von Objekten in ihrer dreidimensionalen Anordnung bestimmt, beinhaltet jedoch zusätzlich auch das Lesen und Hören von Texten. Eine derartig heterogene Kombination von Erzähl- und Wahrnehmungsprozessen stellt eine große Herausforderung an die Rezeption und Analyse dar und birgt die Gefahr einer Zerfaserung durch die Konzentration auf einzelne Elemente. Der hier eingeführte Ansatz reagiert auf dieses Problem dadurch, dass auf Basis der neuen Kulturgeographie dreidimensionale Strukturen als Texte verstanden werden. Führt man diese Annahme mit der Rezeptionsästhetik zusammen, lässt sich eine Brücke zwischen den scheinbar völlig unterschiedlichen Interaktionen eines Lesers mit Texten und Räumen schlagen. Beide Forschungsrichtungen gehen davon aus, dass der Text lediglich eine Grundlage darstellt und nur gewisse Vorgaben zu seiner Nutzung machen kann (z.B. können Leerstellen nicht beliebig besetzt werden und im Raum sind einige Wege durch Wände versperrt). Er bedarf dann der aktiven Beteiligung des Lesers, um eine Bedeutung entfalten zu können. Somit realisieren beide Textformen erst dann ihr Potenzial, wenn sie von einem Leser rezipiert, d.h. gelesen bzw. begangen und betrachtet werden. Da museale Texte oft in Form einer Erzählung angeordnet sind und als solche gelesen werden, lassen sich zur detaillierten Betrachtung des im Leseprozess aktualisierten Texts außerdem Begriffe und Modelle aus der Erzähltheorie heranziehen. So lässt sich der komplexe Forschungsgegenstand des historischen Museums als Erzählung von Geschichte(n) auf Basis bereits etablierter Modelle interdisziplinär erschließen.
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BESUCHERFORSCHUNG IN MUSEEN: E VA L U AT I O N V O N A U S S T E L L U N G E N
Volker Kirchberg
1. ÜBERSICHT
ZUR
E V A L U AT I O N S F O R S C H U N G
Die Geschichte der Evaluationsstudien von Ausstellungen beginnt gemeinhin mit E.S. Robinsons Beobachtungsstudien in Kunstmuseen 1928 (NoschkaRoos 1994). Robinson maß Besucherreaktionen vor Exponaten (Stoppzahlen und Verweildauer) und ordnete diese Reaktionen verschiedenen Hängungen und Beschriftungstypen zu. In Folge davon errechnete Murray den Value Factor einer Ausstellung aus notwendiger Aufenthaltszeit in einer Ausstellung (um alles ausreichend aufnehmen zu können) und der gemessenen tatsächlichen Verweilzeit. Schon 1940 wurde durch Cummings diese behavoristische Herangehensweise kritisiert und stattdessen das Instrument des Interviews als Evaluationsmaßstab gefordert. Ab Ende der 1950er Jahre wurden dann aus einer Kombination behavioristischer und lernpsychologischer Ansätze komplexe Evaluationsstudien für Ausstellungen entwickelt. Die ›Väter‹ dieser Evaluationsstudien sind die Amerikaner Harris Shettel, der 1968 die lernpsychologischen Grundlagen liefert, und Chandler Screven, der in der gleichen Zeit die praktische Umsetzung vorantreibt. Nach Shettel und Screven sollen Ausstellungsevaluationen Ausstellungsziele, Methoden der Zielrealisierung und Ausmaß der Zielerreichung messen. Das zentrales Ziel ist dabei die Erhöhung der Lerneffizienz von Ausstellungen. Screven (1990) gibt einen Überblick über die verschiedenen Evaluationstypen. Der wichtigste deutsche Ausstellungsevaluationsforscher Hans-Joachim Klein (1998) bewertet und ergänzt diese Typen. 1. In der Planungsstufe benötigt man die Vorab- oder front-end-Evaluation. Durch qualitative Interviews und focus-group-Diskussionen erhält man Wissen über die Vorkenntnisse und Erwartungen späterer Besuche und kann dies bei der Festlegung von Ausstellungszielen verwenden. Klein (1998) bevorzugt diese Evaluationsform, weil sie vor einer neuen Ausstellung schon Fehler vermeiden hilft. Mit ihr sei es möglich, »Grundlageninformationen einzuholen über verbreitetes Wissen oder Unwissen, Interesse am Thema, Voraussetzungen für eventuelle Besuche, Wünsche oder Bedürfnisse hinsichtlich des zu gestaltenden Objekts« (Klein 1998: 28). 2. In der Entwicklungsstufe benötigt man die formative Evaluation. Die Vermittlungsleistung von Ausstellungen (Design, Text, Bilder) wird durch die Erstellung provisorischer experimenteller Ausstellungseinheiten (mockups) und durch das Durchleiten vorbereiteter (cued) und unvorbereiteter (uncued) Besucher durch diese Einheiten ermittelt. Nach Shettel (1968)
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müssen dabei die Besucher beobachtet werden; reagieren Besucher nicht mit Aufmerksamkeit, dann muss die Ausstellung so lange verändert werden, bis sie sich wie gewünscht verhalten. Ausstellungselemente müssen so gestaltet werden, dass sie Besucher zum Lernen motivieren. Hier betont Klein (1998) das Selbstverständnis des Evaluators in seiner Funktion als kooperierender Berater der Ausstellungsdesigner auch bei kleinen Schritten der Gestaltung. Zur formativen Evaluationsphase gehören nach Klein auch analog-komparative Evaluationen mehrerer parallel gestalteter, vorläufiger Ausstellungen, bei denen Elemente der späteren Hauptausstellung mit Besuchern getestet werden. 3. In der Nachbesserungsstufe benötigt man eine Nachbesserungs- oder remedial-Evaluation. Zumeist verwendet man eine verdeckte Beobachtung der Besucher, um die motivierende Wirkung einer Ausstellung zu überprüfen. Hier nennt Klein (1998) auch Status-quo-Evaluationen, die an Hauptausstellungen zum Ende des Lebenszyklus einer (Dauer-)Ausstellung durchgeführt werden, um sie zu verbessern. Die Verbesserung von Dauerausstellungen, d.h. die Modernisierung und erneute Vermarktung dieser älteren Ausstellungen, wird nach Klein noch viel zu selten durchgeführt. 4. In der Abschlussphase einer Ausstellung benötigt man eine summative Evaluation, um grundsätzliche Stärken und Schwächen einer Ausstellung für die Erstellung zukünftiger Ausstellungskonzeptionen, aber auch für die wissenschaftliche Besucherforschung zu erfassen. Klein (1998) kritisiert diese Form der Evaluation, weil sie nicht mehr zu Verbesserung existierender Ausstellungen eingesetzt werden kann. Shettel, Screven und Klein sind alle drei pragmatisch orientierte, angewandte Besucherforscher, für die Evaluationen explizite Planungshilfen sein sollen. Klein stimmt ausdrücklich Harris Shettel zu, der postuliert, dass »ein Körnchen frühen hilfreichen Wissens wertvoller sein kann als ein ganzer ›Sandhaufen‹ (zu) später Einsichten« (Klein 1998: 28). Ähnlich drückt es Screven aus: Evaluationen »are tools for helping plan or improve what you need today while you wait for the results of research tomorrow« (Screven 1990: 62). Pragmatische Erhebungsweisen, praktische Umsetzung und die Anwendung der Resultate zur Zielerreichung von Ausstellungen charakterisieren die Herangehensweise dieser Sozialwissenschaftler. Das Ziel ist dabei immer die Erhöhung des Lernerfolges, jede Evaluation bezieht sich auf diesen Maßstab. Deshalb stellen sich jetzt zwei Fragen: Wie weit tragen Ausstellungen wirklich zum Lernen bei? Und: Wie misst man den Lernerfolg?
Volker Kirchberg £Besucherforschung in Museen
2 . E V A L U AT I O N E N D E S L E R N E R F O L G E S : ÜBERSICHT UND BEISPIELE 1968 entwarf Shettel die ›Drei-Faktoren-Theorie‹. Ausstellungen müssen demnach nach ihrer attracting power (Stoppzahl), ihrer holding power (Verweilzeit) und ihrer learning power (Lernertrag) bewertet werden (NoschkaRoos 1998). Mittel- und langfristig ist aber die learning power am wichtigsten (Janßen 1998). Das Hauptkriterium der Evaluation ist nach dieser Ansicht der Lernerfolg, und in der Tat wird das Messen des Lernerfolgs zum Hauptgegenstand der Untersuchung von Ausstellungen, wie etwa ein Kompendium zu »Umweltausstellungen und ihre Wirkungen« (Scher 1998) aufzeigt. Dieser Tagungsband des Museums für Naturkunde und Vorgeschichte in Oldenburg dokumentiert den Einsatz von Evaluationen, die eher dem Typ der summativen als der formativen Evaluation zuzuordnen sind, da sie zwar alle die Ergebnisse von Evaluationen vorstellen, aber keine Aufschlüsse über resultierende unmittelbare Ausstellungsverbesserungen geben. Scher (1998) stellt eine Studie zu Umweltausstellungen über Zukunftsängste vor, bei der zum einen ein Interviewleitfaden mit Fragen zu Erwartungen und zur generellen Beurteilung der Ausstellung sowie zu einzelnen Ausstellungsteilen benutzt wurde. Zweitens wurde eine, wie sie es nennt, pädagogisch-therapeutische Methode als Erhebungsinstrument mit Schulklassen eingesetzt mit dem Ziel, Rationalität und Intuition, Verstandeswissen und gegenwärtige Befindlichkeit zum Thema Stadtökologie und nachhaltige Entwicklung gemeinsam zu erfassen. Während einer ›Phantasiereise‹ wurden die Schüler aufgefordert, nach einer Zeit der Kontemplation eine ›Stadt der Zukunft‹ zu beschreiben und dabei angenehme und unangenehme, optimistische oder pessimistische Zukunftsaussichten, generelle Eindrücke und notwendige Verhaltensänderungen zu benennen. Die Schüler wurden gebeten, Bilder zu malen; weitere Kommentare wurden auf Band aufgenommen. Die wichtigste bedrohte Kategorie dieser ›Phantasiestädte‹ ist die Natur, gefolgt von der als Bedrohung wahrgenommenen Technik, den Menschen und dem Wohnumfeld. Als notwendige eigene Verhaltensänderungen wurden Energieund Wassersparen sowie Änderungen in Mobilitäts-, Konsum- und Lebensstilmustern genannt. Angestoßen durch den Besuch der Ausstellung wurden als konkrete Verhaltensänderung v.a. eine bewusstere Lebensmittelauswahl genannt. Ähnliches führt auch Siegmund (1998) im gleichen Band aus. Janßen (1998) nutzt zur Lernevaluation einen Fragebogen mit MultipleChoice-Fragen, in dem nach dem Besuch einer Seehundstation Kinder und Erwachsene gefragt werden, was, unterschieden nach Form, Inhalten und generellen Eindrücken, vom Besuch haften geblieben ist. Kinder sind demnach genauso, manchmal sogar aufmerksamere Besucher als Erwachsene. Eine
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Ausstellungseinheit (zum Thema »Heuler«) ist besonders erfolgreich, d.h. wird häufiger richtig erinnert, weil sie emotional belegt ist. Ebenso wird ein MeerDiorama häufiger erinnert, weil es attraktiv gestaltet ist. Dagegen hat das Thema »Vom Land zum Meer« keine learning power weil es nicht emotional belegt sei. Kinder sind aber nicht unbedingt bessere Lernende als Erwachsene. Seidensticker (1997) zeigt anhand einer Ausstellungsevaluation zum Thema Gesundheit und Schönheit, dass die Mehrheit befragter Schüler dort jeden Lernerfolg negieren: 61 % der von ihr befragten Schüler meinen kaum oder gar nichts Neues gelernt zu haben. Im Rahmen einer Ausstellung zum »Lebensraum Osnabrück« evaluieren Scher, Effinger und Siegmund (1998) das Artenlernen, also die Erhöhung der Kenntnis von Tieren und Pflanzen in dieser Stadt. Dafür werden den Besuchern nach dem Besuch Fotos von Tieren und Pflanzen vorgelegt und nach dem Ort in der Ausstellung gefragt, an dem man dieses Lebewesen gesehen hat. Ein bekanntes Tier wie der Maulwurf wird auch schnell erkannt und dem richtigen Ort zugewiesen, weil der Maulwurf in Alltagszusammenhängen vorkommt. Anders ist dies bei unbekannteren Pflanzen wie die »Gemeine Nachtkerze«, die von weitaus weniger Personen erkannt und dem richtigen Ausstellungsplatz zugeordnet wird. Die Autoren kritisieren hier den fehlenden schriftlichen Informationsgehalt des entsprechenden Kleindioramas. Die fehlende Attraktivität von Ausstellungskomponenten als Hauptbarriere des Lernens und der Erinnerung nennt auch Paatsch (1998) hinsichtlich einer Ausstellung zu »Vögel im Watt«. Allerdings verweist er auch auf die Notwendigkeit, Besucher mit ihren Alltagskenntnissen zu konfrontieren, um ihnen dadurch einen persönlichen Zugang zur Ausstellung zu erlauben.
3. GENERELLES PROBLEM
DES
LERNENS
IN
AUSSTELLUNGEN
Ist es aber valide, Lernerfolge durch Fragebögen, Multiple-Choice-Tests oder selbst qualitative Erhebungsinstrumenten wie der oben genannten ›Phantasiereise‹ zu erheben? Was heißt Lernen in Ausstellungen? Ist dies überhaupt möglich? Häufig werfen Besucher nämlich nur einen kurzen Blick auf Texte, um dann (vermeintlich) zu ›wissen‹, was dort geschieht (Scher u.a. 1998). Paatsch (1998) zitiert dazu den Psychologen Rolf Klein, der die oberflächliche perzeptuelle Neugier, also die schnelle Erfassung einer Ausstellungsinformation aufgrund der automatischen Zuordnung zum bekannten Wissen, von der ungleich tiefer gehenden epistemischen Neugier, die auf einer durch ›Seltsamkeit‹ provozierten Unruhe beruht und zur stärkeren Beschäftigung mit dem Ereignis führt, unterscheidet. Die meisten Besucher einer Ausstellung werden nur von perzeptueller Neugier geleitet, haben einen ›museumsgeschulten‹ Blick und wollen nur in dem Wesentlichen bestätigt werden, das
Volker Kirchberg £Besucherforschung in Museen
sie schon kennen. Provokationen seien notwendig, um perzeptuelle in epistemische Neugier zu wandeln. Ähnliches führt Treinen (1991) aus, wenn er didaktisch gemeinte Ausstellungen kritisiert, die abgelehnt werden, weil der Besucher nicht zum Lernen gezwungen werden will. Er nimmt den didaktischen Anspruch als Bildungsanmutung wahr und wehrt sich: »Die Folge ist […] weder Spielverhalten, aber auch kein Lernverhalten, sondern eine Handlungsweise, die der Befriedigung von [perzeptueller] Neugierde dient« (Treinen 1991: 12). Also »genügen vielleicht wenige Blicke, um einen Merkposten abzuhaken, Gedanken anzuregen, Wissen zu vervollständigen. Alles andere wird ›mitgenommen‹; das heißt: als blanke Abwechslung behandelt« (Treinen 1988: 33f). Im Museum kann es keine Lehr-Lern-Prozesse wie in der Schule geben (Noschka-Roos 1998). Diese Aussage hat wichtige Konsequenzen für eine Evaluationstradition, die die behavioristische Sicht auf die Ausstellungs-Besucher-Beziehung betont. Dieses pädagogische Instruktionsmodell ist obsolet, wenn es jemals funktionierte. Vielmehr, so Noschka-Roos (1998), muss eine erneuerte Evaluationsforschung eingesetzt werden, um Rahmenbedingungen einer Ausstellungsdidaktik zu klären, also auch um beispielsweise »bildungsideologische Überfrachtung zu vermeiden« (Noschka-Roos 1998: 186). Aufgrund dieser Erkenntnis fand in der Besucherforschung in den achtziger und neunziger Jahren eine paradigmatische Wende statt, die in Deutschland eng mit den museumssoziologischen Arbeiten Heiner Treinens verbunden ist. Aufgrund seiner für manche provokativen Aussagen zur Lern-Lehr-Ineffizienz von Ausstellungen möchte ich deshalb vom ›Treinen-Schock‹ sprechen.
4 . TR E I N E N S
MA SSENMEDIALES
K O M M U N I K AT I O N S M O D E L L
Viele empirischen Studien u.a. eine umfangreiche Rekapitulation vieler Besucherstudien in den neunziger Jahren an den Museen der Smithsonian Institution in Washington D.C., zeigen, dass Besucher im Museum nicht lernen wollen. Dortige Ausstellungen, die Einstellungen von Besuchern ändern wollen, erreichen dieses Ziel nur äußerst selten (Doering u.a. 1999). Ausstellungen können nur vorhandene Einstellungen bekräftigen und in die schon vom Besucher gewünschte Richtung erweitern (Doering 1999), was Treinens (1991: 11) Aussage bestätigt: »Museen als Lernorte sind eine irrige Annahme.« Museumsbesuche seien durch »aktives Dösen« gekennzeichnet und durch »eine freizeitorientierte, nichtzielgerichtete, der Aufnahme massenkommunikativer Inhalte entsprechende Haltung gegenüber Museumsinhalten, […] unabhängig von Vorbildung und Interessenlage« (Graf/Treinen 1983: 138f). Anders als die Lern- und Lehrsituation in Schulen ist der Ausstellungsbesuch in keiner Weise eine pädagogisch beeinflussbare Situation. Treinen zieht eher Verglei-
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che zum Zeitungslesen oder zum Bummeln durch eine Einkaufsstraße: »Der massenmedialen Motivationsbasis entspricht […] ein Neugierverhalten, das mit der ständigen Suche nach zusätzlichen Anreizen gekoppelt ist« (Treinen 1991: 13). Museen und Ausstellungen sind nach Treinen mit Massenmedien vergleichbar, denn dort wie hier bestimmt eine massenmediale Informationsauswahl ein kulturelles window-shopping. Die Auswahl der Informationen ist nicht-zielgerichtet, expressiv, emotional und noch am ehesten am Unterhaltungswert orientiert. Die massenmediale Sichtweise auf das Museum »steht in totaler Konkurrenz zu pädagogischen und didaktischen Ausrichtungen, die einen normativen Ausgangspunkt haben, also stärker das ›Sollen‹ gegenüber der tatsächlichen Befindlichkeit von Menschen hinsichtlich medialer Einflüsse betonen« (Treinen 1994: 35). Noschka-Roos (1998) bezeichnet in Anlehnung an Treinen jegliche Aufklärungsfunktion von Ausstellungen als unrealistisch, wenn nicht durch eine intensive Besucherstrukturforschung Kenntnisse und konkrete Planungsdaten zu den oben genannten expressiven und emotionalen Interessen geliefert werden, die dann in die Gestaltung der Ausstellungen einfließen müssen. Diese notwendige Weiterentwicklung weg von der rein behavioristischen Sicht des reaktiven Besuchers und hin zur konstruktivistischen Sicht des autonomen Besuchers findet sich in neueren Ausstellungsevaluationen: »Das Wissen über die Besucherstruktur, deren Interessenprofil und Kenntnisstand, ist […] eine hilfreiche Planungsgrundlage. Beispielsweise zeigt die Besucherprofilstudie und die Zielgruppenanalyse […] stark ausgeprägte Präferenzen zwischen den weiblichen und männlichen Besuchern.« (Noschka-Roos 1998: 190) Wie neuere Besucherstrukturanalysen zeigen gibt es unter Besuchern sehr unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Wahrnehmungsmuster, die auf soziodemographische und biographische Merkmale zurückzuführen sind, die in museumspädagogische Überlegungen mit einfließen müssen.
5 . HEINS KONSTRUK TIVISTISCHE S M USEUM: V O R W I S S E N I S T E L E M E N TA R Außerhalb Deutschlands hat insbesondere der Amerikaner George Hein (1998) zum Paradigmenwechsel beigetragen, indem er v.a. in den USA die konstruktivistische Wende in die ausstellungsdidaktische und museumspädagogische Diskussion brachte, auch wenn diese paradigmatische Wende nicht von allen geteilt wird (Bitgood 1997; Miles 1997). Heins Konstruktivismus geht ähnlich wie Treinen, Noschka-Roos oder Doering davon aus, dass Besucher allein vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen dem Gesehenen Sinn geben, Wirklichkeit also »konstruieren« (hier gibt es deutliche Bezüge zur ethnomethodologischen Soziologie eines Harold Garfinkels oder
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zur Phänomenologie von Schütz und Mead). Für Hein gibt es obsolete und lern-ineffiziente ›systematische‹ Museen, die auf behavioristischen Vorstellungen fußen, und ›konstruktivistische‹ Museen, die stattdessen entdeckendes Lernen provozieren können. Haller (2003) bestätigt Heins Ansatz durch eine Analyse von Lernprozessen in Science Centers. Sie beschreibt im Detail, wie Menschen dort ›lernen‹. Museumsbesucher haben einen selbst gesteuerten Zugang zu Exponaten. Deshalb müssen Museen nicht entsprechend der Fachsystematik der Kuratoren, sondern entsprechend der Aufmerksamkeitszugänge der Besucher gestaltet werden. Erst durch Letztere erhalten Exponate überhaupt einen Sinn: »Der Besucher soll angeregt werden, eigene Erklärungen zu konstruieren.« (Haller 2003: 146) Das Vorwissen ist elementar, um einen sinnstiftenden Lerneffekt in konstruktivistischen Museen zu erreichen. Lernen, wie jede Erfahrung, geht durch einen Filter, der aus vorhandenen Bedürfnissen, Interessen, Erinnerungen und Vorstellungen besteht (vgl. Piagets entwicklungspsychologische Lernpsychologie). Neue Informationen können nur über vorhandenes Wissen ›interpretationsfähig‹ werden. Haller bringt dazu Beispiele aus dem Franklin Institute in Philadelphia und aus dem Universum Science Center in Bremen. Erst wenn das Interesse an einer Sache geweckt wurde, kann es zu einem Lernerfolg kommen; Motivation ist die wichtigste Grundlage des Lernens: »Museen und Science Center sind unter dem Aspekt der Selbstbestimmtheit besonders geeignet, Interesse und Motivation zu provozieren. Ein wichtiger Unterschied zwischen Museen und Science Center ist aber, dass das Museen über das visuelle Arrangement und die Blickordnung in Distanz zu den Exponaten bleibt.« (Haller 2003: 151) Die Aura des Originals in (Kunst-)Museen provoziert ein Ehrfurchts- und Ohnmachtsgefühl beim Besucher. Demgegenüber sind Exponate in Science Center distanzlos, wodurch der Besucher zum Bestandteil der Ausstellung werden und zu lernen beginnen kann. Um aber vorhandene Bedürfnisse, Interessen, Erinnerungen und Vorstellungen in diesem Sinne nutzen zu können, benötigt man umfangreiche Vorab-Evaluationen vor der endgültigen Gestaltung der Ausstellung (Paatsch 1998). Zusätzlich muss man dafür zu sorgen, dass Evaluationsergebnisse dann auch bei der Ausstellungsentwicklung berücksichtigt werden. Es müsse ein integratives Evaluationskonzept geben, das finanziell ausreichend ausgestattet ist. Ähnliches fordert auch Treinen (1991), wenn er sinnvolle Techniken der massenmedialen Vermittlung verlangt, d.h. kommunikative Situationen, den Einsatz interaktiver Medien, eine Hervorhebung inhaltlich bedeutsamer Inhalte, Redundanz, und Abwechslung durch Inszenierungen und Erlebnisräume: »Erinnerung und Wiedererkennung sind für Lernprozesse zentral. Zu musealen Vermittlungsstrategien gehört darum die Streuung von Inhalten und Vermittlungszielen außerhalb der Ausstellung
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durch Öffentlichkeitsarbeit und durch die Nutzung komplementärer Medien.« (Treinen 1991: 13)
6. K O N S T R U K T I V I S M U S
UND
K O M M U N I K AT I O N
IM
MUSEUM
Zentral für neue Lernansätze im Museum ist aber nicht nur das Wiedererkennen, sondern auch Gespräche mit anderen im Museum und über den Ausstellungsbesuch. Im Konstruktivismus erzeugt erst Kommunikation Wirklichkeit. Soziales Lernen geschieht durch jede Art verbaler Kommunikation, z.B. durch Führungen, Workshops und den Besuch als Gruppenereignis. Dies gilt insbesondere für Science Center, die im Durchschnitt nur von 7 % der Besucher alleine besucht werden (Haller 2003). Auch nach dem Museumsbesuch ist Kommunikation wichtig; Falk und Dierking (2000) gehen davon aus, dass ein Lerneffekt sich daran erkennen lässt, wie viel über einen Museumsbesuch danach gesprochen wird. Die Objekte der Ausstellung sind dabei Kommunikationsvorlagen, und nur im Bezug auf kommunikative Vorerfahrungen, auf Erwartungen und auf die Antizipation von Kommunikationen bleiben sie wichtig. Bildwahrnehmung geschieht nie diskursiv, sondern immer assoziativ (Bourdieu 1970). Treinen (1994) hat die Wirkungen kommunikativer, sozial eingebundener Museumsbesuche auf den Wissensstand der Besucher überprüft. Eine umfangreiche Untersuchung des Lernerfolgs aufgrund des Besuches der Ausstellung »Geschichte und Kultur der Juden in Bayern« aus dem Jahr 1989 zeigt, dass Vermittlungsabsichten nur dann erfolgreich sind, wenn es vor dem Besuch eine Sensibilisierung für das Thema der Ausstellung gibt, die u.a. über Gespräche und einem Medienecho initialisiert wird. Vor, während und nach dem Besuch kommt es zu Rückkopplungen zwischen Besuchern, Vermittlern und Symbolen, inklusive einem leichten Lerndruck (durch andere Mitbesucher ausgeübt) und eine »didaktisch aufbereitete, sachlogisch klare Exponatstruktur«. Dabei ist insbesondere eine kommunikative Gruppensituation hilfreich.
7. O R G A N I S AT I O N S S T R U K T U R E L L E F O L G E N DE S KONS T RUK TIVISMUS Die Abhängigkeit des Ausstellungserfolges vom notwendigen Vorwissen und von der kommunikativen Aufgeschlossenheit der Besucher mag für Kuratoren wie auch für behavioristisch orientierte Museumsdidaktiker provokativ, wenn nicht unannehmbar sein, denn schließlich verstehen sie ihre Ausstellungen in erster Linie als Produkt ihres wissenschaftlichen Anspruches. Für sie sind Ausstellungen Symbole eines kodifizierten Selbstverständnisses, im Extremfall Objektpräsentationen, die nur über den Rückgriff auf Speziallite-
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ratur entschlüsselbar sind. »Für [Kuratoren] müssen Verhaltenssyndrome der beschriebenen Art geradezu kränkend wirken, weil scheinbar der fachwissenschaftliche Hintergrund und die eigene lehrorientierte Bemühungen nicht oder kaum ernst genommen werden.« (Treinen 1994: 12) Generell besteht bei dem üblicherweise stark objekt- und wenig besucherorientierten Museumspersonal die Einstellung, dass die Erwartungen und Wünsche der Besucher grundsätzlich weniger wert sind als ihre eigenen Ziele. Doering (1999) widerspricht dieser Einstellung, weil im Gegensatz zum Verständnis vieler Museumsfachleute die meisten Museumsbesucher heute gut gebildet und sehr wohl auch den intellektuellen Anforderungen einer Ausstellung gegenüber aufgeschlossen sind, wenn diese Informationen interessant und dem Vorverständnis der Besucher entsprechend und ohne jeglichen didaktischen Zeigefinger angeboten werden (Doering 1999: 82). Dies fällt v.a. Kunstmuseen aufgrund ihrer Geschichte, ihrer programmatischen und ästhetischen Vorstellungen und aufgrund der gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen der Gesellschaft ihnen gegenüber schwerer als z.B. Technik- und Naturkundemuseen. Zudem sind ältere Identitäts-Konstrukte schwer abzulegen, weil sie Stabilität geben und in jedem Wandel Unsicherheit und Instabilität liegt (Conforti 1995).
8. BESUCHERSTRUKTURFORSCHUNG N A C H D E M PA R A D I G M E N W E C H S E L Wie stellt sich nun die Besucherforschung heute auf den ›Treinen-Schock‹ und das konstruktivistische Museum ein? Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass ein Großteil der (deutschen) Besucheranalysen noch im deskriptiven wie im behavioristischen Ansatz verbleiben. Selten werden Besucheranalysen unmittelbar zur Gestaltung von Ausstellungen eingesetzt. Klein (1997) unterscheidet praxisorientierte und rein deskriptive Besucher-Fallstudien, theorie- und besucherorientierte Besucherstrukturforschung und theorie- und sachorientierte Evaluationsforschung. 85 % aller Studien sind deskriptive Besucher-Fallstudien ohne Einfluss auf die Ausstellungsgestaltung, ca. 10 % sind (repräsentative) Besucherstrukturstudien und weniger als 5 % sind Evaluationsstudien. Die Implementation von Evaluationsergebnissen ist in Deutschland immer noch relativ selten, da es – wie oben erläutert – eine deutliche Skepsis der Museumsprofessionellen gegenüber dem Verwertungsnutzen dieser Studien gibt. Man müsse in erster Linie bereit sein, eine besucherorientierte, auf Erkenntnisse über Rezeptionsvorgänge und Bedürfnisse der Besucher aufbauende Planung und Ausstellungskonzeption durchführen zu wollen, um diese Studien und die Ergebnisse zu nutzen, und das ist häufig nicht der Fall (Klein 1997: 47). Eine Anwendung der Ergebnisse
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ist immer abhängig von der Bereitschaft der Museumsleitung auch gegen den Widerstand traditionell mächtiger objektorientierter Mitarbeiter eine besucherorientierte Ausstellungsgestaltung zu unterstützen. Es gibt aber positive Ausnahmen. So haben die Museen der amerikanischen Smithsonian Institution mehrere Eingangs- und Ausgangsbefragungen zu spezifischen Ausstellungsplanungen und -gestaltungen (mit den Titeln »Mechanical Brides«, »The Power of Maps«, »Tropical Rainforests«) durchgeführt, die das Vorwissen und die kommunikative Situation als zentrale Sachverhalte des Museumsbesuchs ernst nehmen. Doering und Pekarik (1997) fanden dabei heraus, dass die vom Kurator erwünschte Haupt-Information einer Ausstellung von Besuchern nur akzeptiert wird, wenn sie vor dem Besuch schon antizipiert werden konnte, zum Beispiel aufgrund eines entsprechenden Medienechos. Die Bedeutung des durch Medien induzierten Vorwissens war bei der Ausstellung »Tropical Forests« insbesondere beim Aufzeigen der politischen Dimension der Entwaldung großer Gebiete der Fall. Zur Erfassung der so wichtigen individuellen Vorkenntnisse ist es nach Ansicht von Doering notwendig ein nicht zu strukturiertes, d.h. qualitativ orientiertes, sogenanntes entrance narrative- Interview zu erstellen. Das entrance narrative erfasst das grundlegende Weltbild hinsichtlich des Ausstellungsthemas, das vorhandene Wissen zum Thema und persönliche Erfahrungen, Gefühle und Erinnerungen, die von außen mit in die Ausstellung gebracht werden. Die besten Erfahrungen sammeln Besucher in Ausstellungen, in denen man das sieht, was dem Weltbild, dem Wissen und den persönlichen Erfahrungen entspricht (Pekarik u.a. 1999). Resonanz mit dem eigenen Wissen ist notwendiger Teil des Interpretierens von Ereignissen (Doering 1999). Dieses Modell des entrance interviews wurde auch vom Autor dieses Artikels im Rahmen einer Untersuchung für das Jüdische Museum Berlin angewandt (Kirchberg 2003). In vielerlei Hinsicht lässt sich das Instrument des entrance narrative der Erneuerung der Voraboder front-end-Evaluation zuordnen. Neben dem Evaluationsinstrument der entrance narratives, das sich aus der zunehmenden Bedeutung des Konstruktivismus entwickelt hat, gibt es noch ein weiteres neues Erhebungsinstrument, das nachfassende Telefoninterview. Begründet werden kann die Methodenerweiterung durch die zugenommene Wahrnehmung der Bedeutung von Kommunikationssituationen für den Lernprozess. Im Rahmen einer summativen Evaluation führte Seidensticker (1997) eine nachfassende Telefonbefragung durch. 50 Besucher einer Ausstellung zu Schönheit und Gesundheit, die auch an einer Eingangs-/Ausgangsbefragung teilgenommen hatten, wurden 6-8 Wochen nach Ausstellungsbesuch angerufen und nach der Erinnerbarkeit von Ausstellungselementen und -botschaften gefragte Schäfer (2003) beschreibt ebenfalls eine solche Untersuchung zu Langzeiteffekten des Besuches seines Museums, des Hauses der Geschichte
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der Bundesrepublik Deutschland. Für dieses Haus wurden 1.100 Telefon-Interviews durchgeführt u.a. mit 500 Personen, die schon im Museum waren. Bei vielen der nachträglich befragten Besucher stellte sich heraus, dass die besuchte Ausstellung sehr häufig Gesprächsanlass für Unterhaltungen gab und dies zum Erinnern (also zum Abrufen gelernter Materie) Anlass gab. Befragte Besucher mit großen Erinnerungslücken haben hingegen meistens keine geeigneten Gesprächspartner für Diskussionen über das Gesehene (Treinen 1999). Der Informations- oder (informelle) Lernwert einer Ausstellung ist somit der Erinnerungswert, welcher nur in seiner Langzeitwirkung erfasst werden kann, also nicht durch eine Ausgangsbefragung. Einwirkungen dieser Art »sind kommunikative Akte im nachhinein« (Treinen 1994). Lerneffekte (also Erinnerungen an das im Museum Erlebte) »werden nicht durch den Museumsbesuch allein hervorgerufen, sondern entwickeln sich vor allem im nachhinein, über den Gesprächsstoff mit ebenfalls interessierten Bezugspersonen« (Treinen 1999: 180). Haller (2003) sieht ebenfalls aufgrund nachträglicher Telefonbefragungen den Zusammenhang zwischen informellem Lernen und kommunikativer Aufbereitung des in der Ausstellung Erlebten – insbesondere in Science Centers. Abschließend lässt sich sagen, dass der Paradigmenwechsel von einer behavioristisch orientierten und eng didaktisch definierten (formativen) Evaluationsforschung zu einer massenkommunikations- und erlebnisorientierten (Vorab-)Evaluation einhergeht mit einer Abkehr von quantitativ-deskriptiven Datenerfassungen und entsprechenden Experimenten hin zu einer Zuwendung zu qualitativen bzw. quantitativ-analytischen Instrumenten wie den narrative interviews in Phasen vor dem Besuch und komplexen Befragungen zum Teil weit nach dem Besuch. Allerdings sollte man die Weiterentwicklung der Theoriediskussion und der Methoden (noch) nicht zu optimistisch sehen. Solange bei Museumsdirektoren und Ausstellungsgestaltern die Besucherorientierung nicht fester Bestand ihrer Arbeit ist, können die Fortschritte der Besucherforschung nicht an entsprechend gestalteten Ausstellungen reflektiert werden. Die Zukunft scheint aber den Weg hin zu einer stärkeren Besucherorientierung und damit zu einer Stärkung der Besucher- und Evaluationsforschung zu weisen.
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RESONANZRÄUME. DAS MUSEUM IM F O R S C H U N G S F E L D E R I N N E R U N G S K U LT U R
Katrin Pieper Erinnerungskultur ist allgegenwärtig.1 Im Feuilleton stößt die Leserin beinahe täglich auf Schlagzeilen über die Vergangenheitsdebatten zwischen der polnischen und der deutschen Regierung, kritische Kommentare zur geplanten Dauerausstellung über Flucht und Vertreibung und Berichte von einer Geschichtsvergessenheit im ostdeutschen Gedenkstättenstreit. Zuweilen scheinen erinnerungskulturelle Diskurse gar die historischen Ereignisse, auf die sie sich beziehen, vollständig zu überlagern. So bemerkt Heinz Dieter Kittsteiner, spätestens die Debatte um das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas habe gezeigt, dass man statt über die historischen Ereignisse nur noch über die Denkmäler diskutiere, die die Geschichte evozieren sollen (Kittsteiner 2004: 23, 252). Auch der französische Historiker Pierre Nora beschreibt wiederholt mit negativem Tenor die »Gedächtniskonjunktur« unserer Gegenwart, eine »Ära des leidenschaftlichen, konfliktbeladenen, fast zwanghaften Gedenkens«: »Das Wort ›Gedächtnis‹ hat eine so allgemeine, so übergreifende Bedeutung angenommen, dass es das Wort ›Geschichte‹ […] zu ersetzen und die praktizierte Geschichte in den Dienst der Erinnerung zu stellen droht« (Nora 2001/2002: 18, 24-25; vgl. auch Winter 2001). Die historisch-philosophische Beschäftigung mit den Komplexen Erinnern und Vergessen ist keine neue Erscheinung. Ende der 1980er Jahre wuchs allerdings die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit Gedächtnistheorien sprunghaft an. Gedächtnis und Erinnerung etablierten sich als neue Paradigmen der Kulturwissenschaften. Dabei ist diese Beschäftigung sowohl interdisziplinär als auch transnational ausgerichtet (Erll 2003: 156-158). Im Vordergrund stehen Studien zur kollektiven Dimension von Erinnerung, ihren Formen, Funktionen und Inhalten, sowie Fragen nach dem Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Gedächtnis einerseits und Gedächtnis und Kultur andererseits. Im deutschen Sprachraum dominiert in der wissenschaftlichen Wahrnehmung die Wiederentdeckung der Schriften des Soziologen Maurice
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Wenn ich wiederholt von Erinnerungskultur spreche, die Begrifflichkeiten aber erst später präzisiere, so sei darunter vorab die Gesamtheit aller Erinnerungsformen, die vergangene Ereignisse in der Gegenwart repräsentieren, gefasst. Der Begriff wird weiter unten in Abgrenzung bzw. Erweiterung zu den Begriffen »kulturelles Gedächtnis« und »Geschichtspolitik« definiert. »Gedächtniskultur« verstehe ich als ein Synonym von »Erinnerungskultur«.
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Halbwachs aus den 1920er Jahren, in denen er den Begriff der mémoire collective entwickelte (vgl. Halbwachs 1991, 1985).2 Eine Schlüsselfunktion bei der Wiederaneignung der Schriften von Halbwachs kommt zum einen den Kulturwissenschaftlern Aleida und Jan Assmann zu (Assmann 1999; Assmann 1992; Assmann/Hölscher 1988), zum anderen dem Großprojekt über französische Erinnungsorte von Pierre Nora (Nora 1990, 2005). Die von ihm ausgewählten Erinnerungsorte – lieux de mémoire – setzt Nora an die Stelle vergangener, erloschener Erinnerungsgemeinschaften – milieux de mémoire. Seine Thesen erzielten auch gerade deshalb eine breite, transnationale Rezeption, da sie sich mit den zeitgleichen Musealisierungsdebatten trafen. Hier wie dort wurden gesellschaftliche Bedürfnisse nach materiellen Vergegenwärtigungen und Bewahrung der Vergangenheit verhandelt (vgl. Korff/Roth 1990; Zacharias 1990; Pomian 1998). Im Folgenden werde ich das kulturwissenschaftliche Paradigma der Erinnerungskultur erstens in seiner theoretischen Konzeption beleuchten und definieren und zweitens als mögliche Untersuchungsperspektive für das Museum bzw. die Museumsanalyse fruchtbar machen. Als Einstieg in den Themenkomplex Erinnerungskultur und Museum beginne ich mit einigen ausgewählten Konstellationen der Erinnerungskonjunkturen, die gleichsam als Koinzidenzen auch Initialwirkungen für die Institution Museum und ihre Rolle hatten. Zur näheren Begriffsklärung im gedächtnistheoretischen Begriffswirrwarr werden in einem zweiten Schritt die Forschungen in ihrer Relevanz für den Untersuchungsgegenstand berücksichtigt. Das macht Anleihen bei den als gedächtnistheoretischer Kanon in die Kulturwissenschaften eingegangenen Konzepten von Halbwachs und Assmann notwendig, aber auch Abgrenzungen. Nach einer kritischen Erörterung der Begriffe »kollektives Gedächtnis« (Halbwachs) und »kommunikatives und kulturelles Gedächtnis« (Assmann) soll im dritten Abschnitt mit der Darlegung der Dimensionen und Analysekategorien von »Erinnerungskultur« dann eine Annäherung an die Frage stattfinden, welches Erkenntnisinteresse mit der Anwendung gedächtnistheoretischer Konzepte bezüglich des Museums verfolgt wird. Anschließend steht das Verhältnis von Erinnerungskultur und Museum im Mittelpunkt. Welche Funktionen hat und welche Rolle spielt das Museum in der Erinnerungskultur? Inwieweit eignet sich das Konzept Erinnerungskultur für die Museumsanalyse? Das Museum wird in diesem vierten Abschnitt als Indikator und Generator, als Resonanzraum der 2
Zeitgleich erfolgte die vor allem kunsthistorisch geprägte Entdeckung der Theorie kollektiver Bildgedächtnisse, die der Kunst- und Kulturhistoriker Aby Warburg ebenfalls in den 1920er Jahren anhand umfangreicher Sammlungen entwickelt hatte (vgl. Erll 2003: 161-163). Warburgs Ansatz wird hier allerdings nicht weiter berücksichtigt.
Katrin Pieper £Resonanzräume: Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur
Erinnerungskultur entworfen. Schlussendlich werden Operationalisierungsversuche für die Museumsanalyse unternommen, methodische Zugänge (Diskursanalyse, mikrohistorische Studien) angerissen, mögliche Fragestellungen aus dem Bereich Erinnerungskultur und Museum aufgeworfen und ein Überblick über den Forschungsbereich gegeben.
1 . A LL SEIT S KONJ U NK T U REN: E RINNERUNG
UND
MUSEUM
Warum manifestieren sich – wie bereits erwähnt – Erinnerung und Gedächtnis als ein neues Paradigma, das nicht nur die Wissenschaften, sondern den gesamten öffentlichen Bereich maßgeblich beeinflusst? Auf der Suche nach den Gründen für die Konjunktur möchte ich eingangs einige aufeinander bezogene Referenzpunkte vorstellen, anhand derer ich den Scheinwerfer auf Parallelen bzw. Reaktionen auf den Erinnerungstrend in der Museumswelt richte. Eine intensivierte Auseinandersetzung um Konzepte der Erinnerung erfolgte angesichts einer verstärkten und neu ausgerichteten Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Völkermorden, die sich seit Mitte der 1980er Jahre infolge der Spurensuche zur 50jährigen Wiederkehr des Novemberpogroms 1938 ankündigte. Im Mittelpunkt der Holocaust-Erinnerung als zentralem Thema der deutschen Erinnerungskultur stehen Fragen nach seiner ästhetischen und politischen Repräsentation und seinen pädagogischen Implikationen (vgl. Frei/Knigge 2002; Postone/Santner 2003; Gudehus 2006; Krankenhagen 2001). Die Erforschung der Bedingungen und Formen der Erinnerung und der Möglichkeiten der Erinnerungsbewahrung trotz eines Endes der Zeitzeugenschaft entwickelten sich anhand der Rezeptionsgeschichte des Holocaust zu einem eigenen Gebiet der Kulturwissenschaften. Die Umbruchsphase von einer individuellen und kollektiven Erfahrung und Erinnerung des Holocaust zur institutionalisierten Erinnerungskultur wird als Übergang vom »kommunikativen« zum »kulturellen« Gedächtnis in den theoretischen Gedächtniskonzepten von Jan und Aleida Assmann aufgegriffen (A. Assmann 1998: 110-111). Als eine Form der Erinnerungs(auf)bewahrung wurde seit den späten 1980er Jahren die Musealisierung des Jüdischen sowie des Nationalsozialismus entdeckt. Zahlreiche Gedenkstätten, Dokumentationszentren und Jüdische Museen entstanden. In den neuen »Memory Museums« wurde das Gedenken an den Holocaust und an die nationalsozialistischen Opfer nicht nur institutionalisiert, sondern mittels der Ausstellungen und Forschungsarchive öffentlich zugänglich gemacht. (Offe 2000; Pieper 2006).3 Auf der gesellschaftspolitischen Ebene wurden seit Ende der 1980er Jah3
Zum Begriff »Memory Museum«, das sowohl Gedenkstätte als auch Ausstellungsort ist, vgl. Pieper 2006: 22-31.
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re Weichen gestellt, die die Auseinandersetzung um historische Erinnerungen im Zuge von nationalen, ethnischen und kulturellen Identitätsaushandlungen begünstigen. Zum einen führten die politischen Umbrüche in Europa seit 1989 zu vielfältigen Deutungskontroversen der Vergangenheit, Auflösungen und Neuformationen öffentlicher Erinnerungskulturen (Troebst 2005). Zum zweiten – und hier verknüpfen sich Erinnerung und Identität zur einem explosiven Konglomerat – traten im Zuge der neuen sozialen Bewegungen und einer »politics of victimization and regret« (Olick/Robbins 1998: 107) neue geschichtspolitische Akteure hervor. So treten infolge verstärkter gruppenspezifischer Emanzipationsbestrebungen minoritäre, migrantische und postkoloniale Erinnerungsgemeinschaften in die Erinnerungsarena ein (vgl. Motte/Ohliger 2004). Den neuen Identitätsgemeinschaften geht es um die Anerkennung sozialen Unrechts in Vergangenheit und Gegenwart durch die »Mehrheitsgesellschaft«, um Eigenrepräsentation und Zugeständnis ihrer Diversität und – allgemein – pluraler Identitäten. Gleichzeitig befinden sich andere politische und gesellschaftliche Strukturen – z.B. das Konzept der Nation – tendenziell in Auflösung. Daniel Levy und Natan Sznaider charakterisieren in ihrem viel beachteten Buch zur Kosmopolitisierung des Holocaust-Gedächtnisses die Beschäftigung mit der kollektiven Erinnerung als einen nationalen »Reflex auf den Globalisierungsdiskurs und als Versuch, den zunehmend diskreditierten Begriff der Nation durch den der kollektiven Erinnerung zu ersetzen« (Levy/Sznaider 2001: 19).4 Mit der zunehmenden Pluralisierung von Erinnerung und Identitäten ist das Museum funktionell eng verwoben, denn es gilt als Identitätsort, in dem Einschluss- und Ausschlussverfahren seit jeher virulent sind. In Osteuropa entstanden in den neunziger Jahren zahlreiche museale Identitätsorte, die die Zeit der unterschiedlichen, aufoktroyierten Regime aus der Opferperspektive präsentieren. Weitere Neugründungen sind im Bereich der Migrationsmuseen zu verzeichnen, die einen multikulturalistischen Ansatz verfolgen (Baur 2009). Das Profil dieser Museen variiert sehr stark, und ihre gesellschaftspolitische Funktion wird kontrovers diskutiert. Schreiben die einen der Institution emanzipatorisches Potenzial für ein »Empowerment« bislang unterrepräsentierter Gruppen zu, verweisen andere darauf, dass nachträgliche Einschlüsse von bisher marginalisierten Erzählungen oft nur Entlastungs- und Alibifunktion haben (Muttenthaler/Wonisch 2006: 20). Als letzter Punkt sei hier ein wichtiger epistemischer Einschnitt angeführt: Hatte sich die Geschichte mit dem Anspruch auf Deutungshoheit der Historiker über die Vergangenheit durch wissenschaftliche, nachvollziehbare Verfahren im 19. Jahrhundert als Gegenstück zur Erinnerung etabliert, so wurden in den letzten Jahrzehnten die Objektivitäts- und Wahrheitsansprüche angezweifelt 4
Damit spielen sie vor allem auf das »nationale« Projekt Pierre Noras an.
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und nachhaltig erschüttert. Infolge des intensiven Diskurses über »Geschichte und/oder/als Gedächtnis« (siehe Erll 2003: 166) wird nun auch intern größtenteils anerkannt, dass die Geschichtswissenschaft sowie die Historiker in kollektive Deutungshorizonte eingebunden sind. Geschichte wird vermehrt als »integraler Bestandteil der Erinnerungskultur moderner Gesellschaften« (Cornelißen 2003: 555) verstanden, da sie – wie jede Repräsentation der Vergangenheit – eine interpretative Konstruktion vergangener Ereignisse ist. Einen Auslöser der Debatte stellte die Etablierung der Oral History als neuer Forschungszweig der Geschichtswissenschaft mit der Methode der mündlichen Befragung von sich erinnernden Zeitzeugen dar. Als Ort objektiven Wissens blieb das Museum lange Zeit von kritischen Fragen nach der Wissensproduktion verschont. Erst die Ansätze der New Museology seit den 1980er Jahren eröffneten neue Perspektiven und Zweifel an der Wissensautorität der Institution (vgl. Vergo 1989). Des Weiteren fanden unter Einfluss der Mikro- und Sozialgeschichte Elemente der Oral History Eingang in die (kultur-)historischen Museen. Ein prominentes Beispiel sind hier Gedenkstätten zur Geschichte des Nationalsozialismus, verknüpft mit archivarischen Großprojekten wie das der Shoah Foundation. Aber auch die Industrie-, Bezirks- und Stadtmuseen entdeckten den erzählenden Zeitzeugen als authentisches Schauobjekt. Die Parallelen und Interdependenzen zwischen der Manifestation von Erinnerung als leitendes Konzept kulturwissenschaftlicher Betrachtungen und dem Museum als Erinnerungs-, Repräsentations- und Konzeptionsraum bedingen eine gemeinsame analytische Betrachtung. Zwar wird der Institution in den gedächtnistheoretischen Darlegungen eine bedeutende Rolle als »kulturelle Objektivation«5 der Erinnerungskultur zugeschrieben und die enge Beziehung betont (vgl. Assmann 1992). Allerdings fehlen die methodischen Grundlagen, wie das Museum selbst im Kontext der Konzepte zu erforschen sei. Damit ist die Stoßrichtung dieses Beitrags benannt, nämlich die Beschreibung der kulturwissenschaftlichen Museumsanalyse im erinnerungskulturellen Kontext. Doch zunächst gilt es, die theoretischen Grundlagen zu skizzieren.
2 . KONZEP T E
DE S KOLLEK TIV EN
GEDÄCHTNISSES
2.1 Kollektives Gedächtnis (Maurice Halbwachs)
Mit dem Terminus des »kollektiven Gedächtnisses« führte der französische Soziologe Maurice Halbwachs in den 1920er Jahren an, dass jedes individu5
Der Begriff »kulturelle Objektivation« geht zurück auf die lebensphilosophischen Ausführungen Diltheys (1968).
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elle Gedächtnis kollektiv geprägt und gerahmt sei. Sein Ansatz der »kollektiven Psychologie« richtete sich vor allem gegen die psychoanalytischen, individualisierenden Strömungen seiner Zeit. Jede subjektive, individuelle Erfahrung sowie Erinnerung – so Halbwachs, der seine Thesen anhand von Eigenbeobachtungen entwickelte – sei sozial bedingt. Der Einzelne erinnere sich sozial eingebunden, d.h. mittels Kommunikation und Interaktion als Mitglied einer Gruppe.6 Erinnerung und Gedächtnis werden unterschieden: die sozialen Strukturen, denen der Mensch als zoon politikon angehöre, bilden ein Gedächtnis heraus, von Halbwachs »Bezugsrahmen« (cadres sociaux) genannt. Dieses kollektive Gedächtnis fungiert organisatorisch als eine Matrix, mittels derer einzelne Erinnerungen fi xiert und abgerufen werden können. Während also persönliche Erinnerungen nur durch kommunikative und interaktive Handlungen in sozialen Gruppen entstehen, wächst dem Menschen erst im Prozess seiner Sozialisation und Partizipation am gesellschaftlichen Leben ein Gedächtnis zu: »[E]s gibt kein mögliches Gedächtnis außerhalb derjenigen Bezugsrahmen, deren sich die in der Gesellschaft lebenden Menschen bedienen, um ihre Erinnerungen zu fixieren und wiederzufinden.« (Halbwachs 1985: 121) Ein typisches kollektives Gedächtnis, das Halbwachs im zweiten Teil der Cadres sociaux entwickelt, ist das Familiengedächtnis als Generationengedächtnis.7 Durch die Teilnahme an kommunikativen Prozessen in ganz verschiedenen sozialen Gruppen und die Vermittlung von kollektiven Erfahrungen und Vorstellungen von Raum und Zeit über schriftliche und visuelle Medien baut sich das individuelle Gedächtnis auf, werden persönliche Erfahrungen verortbar und bildet sich Identität. Erinnerung ist für Halbwachs demnach eine von gegenwärtigen Interessen und Perspektiven geleitete und von den Bezugsrahmen abhängige soziale Konstruktion der Vergangenheit. In Bezug auf die historische Erinnerung spricht Halbwachs von einem »entliehenen Gedächtnis« (Halbwachs 1991: 35). Das heißt: Historische Erinnerungen bleiben sekundär, denn sie beruhen nicht auf Erfahrungen, sondern werden tradiert und repräsentiert. Infolge dieser Rekonstruktivität verforme die Erinnerung die Vergangenheit oft bis zur Fiktion 6
Halbwachs verwendet stringent den Begriff der »Gruppe«. Jedes Mitglied der Gesellschaft gehört verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an. Variierend gemäß den verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten ist das sozial geprägte Gedächtnis wiederum individuell geprägt. Das individuelle Gedächtnis löst sich nicht im Kollektiven auf, sondern das Individuum »erinnert [sich], indem es sich auf den Standpunkt der Gruppe stellt, und das Gedächtnis der Gruppe […] verwirklicht und offenbart [sich] in den individuellen Gedächtnissen« (Halbwachs 1985: 23).
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Dieses wird als »kommunikatives Gedächtnis« von Jan Assmann übernommen.
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(vgl. Halbwachs 1991: 55). Gegenpol zu dieser selektiven und interessegeleiteten historischen Erinnerung ist im positivistischen Verständnis von Halbwachs die objektive Geschichtsschreibung (Halbwachs 1991: 66). Drei relevante Aspekte des Konzeptes eines kollektiven Gedächtnisses von Halbwachs seien hier festgehalten: erstens die grundlegende Feststellung der sozialen Bedingtheit des Erinnerns, zweitens die These von der Identitätsfundierung durch das Gedächtnis und drittens die Einsicht in die selektive und interessegeleitete Konstruktion der Vergangenheit durch die Erinnerung unter Einfluss fiktiver Elemente. Halbwachs berührt mit seiner Theorie aber noch kaum institutionalisierte Formen der Erinnerung. Erst mit seiner dritten Studie über das kollektive Gedächtnis, »Verkündigte Orte im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis« (2002, zuerst 1941) verließ Halbwachs die Ebene des kommunikativen Gruppengedächtnisses und nahm nun tradierte und stark – durch Orte und Bilder – geformte Kollektivgedächtnisse in den Blick. 2.2 Kulturelles Gedächtnis ( Jan und Aleida Assmann)
Hier knüpfen Aleida und Jan Assmann mit dem Konzept des »kulturellen Gedächtnisses« an, das sie Ende der 1980er Jahre im Rückgriff auf Halbwachs’ Überlegungen entwickelten. Ausgangspunkt ihrer Gedächtnistheorie ist die Aufschlüsselung in zwei verschiedene kollektive Gedächtnisformen: Sie differenzieren zwischen einem »kommunikativen« und einem »kulturellen Gedächtnis«. Die Gedächtnistypen sollen aber nicht als zwei selbständige Systeme, sondern als Extrempole auf einer Skala mit fließenden Übergängen verstanden werden (Assmann 1992: 55). Das »kommunikative Gedächtnis« ist unorganisiert. Es kennt keine Hierarchien und ist durch eine diffuse Partizipation gekennzeichnet. Sein Gegenstandsbereich ist die Oral History, also – vor allem familiäre – Alltagskommunikation. Es ist thematisch nicht auf bestimmte Fixpunkte festgelegt, sondern umfasst Erinnerungen, die Menschen mit ihren Zeitgenossen teilen, also das Generationen-Gedächtnis, und vergeht – wie die Träger – etwa nach 80 Jahren. Der dominante Modus des Erinnerns ist hier die biographische Erinnerung, die auf sozialer Interaktion beruht. Das »kulturelle Gedächtnis« hingegen wird von Assmann als ein epochenübergreifendes Konstrukt beschrieben, als die gestiftete und stark geformte Erinnerung einer Gruppe. Der Modus des Erinnerns ist die »fundierende Erinnerung«, d.h. es existieren vielfältige symbolhafte, kulturelle Objektivationen als Formen einer institutionalisierten Mnemotechnik. Das kulturelle Gedächtnis richtet sich auf »Fixpunkte« der Vergangenheit, vor allem auf schicksalhafte Ereignisse des Ursprungs: »Der Unterschied zwischen Mythos und Ge-
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schichte wird […] hinfällig. Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte« (Assmann 1992: 52). Im Gegensatz zum Familiengedächtnis wird der Zugang zum kulturellen Gedächtnis kontrolliert; das Partizipationsrecht muss erworben werden. Assmann fasst sechs Merkmale des kulturellen Gedächtnisses zusammen: 1. Es ist identitätskonkret: »Fundiert wird durch den Bezug auf die Vergangenheit die Identität der erinnernden Gruppe. In der Erinnerung an ihre Geschichte und in der Vergegenwärtigung der fundierenden Erinnerungsfiguren vergewissert sich eine Gruppe ihrer Identität« (Assmann 1992: 53). 2. Es verfährt rekonstruktiv: Durch die gegenwärtigen Bezugsrahmen der Gruppe werden bestimmte Aspekte der Vergangenheit mit Bedeutung aufgeladen und tradiert. Das kulturelle Gedächtnis ist eine Konstruktionsleistung. 3. Das kulturelle Gedächtnis weist einen hohen Grad an Formalisierung auf. Seine Inhalte werden erst durch Kodierungen in kulturellen Objektivationen – also in Texten, Riten und Monumenten – über raumzeitliche Grenzen hinweg gespeichert und tradiert. 4. Es ist organisiert, indem es institutionalisiert ist und seine Träger spezialisiert sind. 5. Verbindlich ergeben sich aus dem kulturellen Gedächtnis handlungsleitende Funktionen und eine Wertperspektive für die Gruppe. 6. Das kulturelle Gedächtnis ist reflexiv: Es reflektiert die Gruppe, ihr Selbstbild und sich selbst (Assmann 1988: 13-15). Zusammenfassend definieren Aleida und Jan Assmann den Begriff des »kulturellen Gedächtnisses« als einen gesellschafts- und zeitspezifischen »Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten«. Indem eine Gesellschaft diesen Bestand »pflegt« – ihn bewahrt, präsentiert, aktualisiert etc. – stabilisiert und vermittelt sie ihr eigenes Selbstbild. Das kulturelle Gedächtnis ist »ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart stützt« (Assmann 1988: 15). Wo gewinnt nun das Assmannsche Konzept des kulturellen Gedächtnisses Bedeutung für die Museumsanalyse? Im Gegensatz zu Halbwachs beschäftigen sich Assmann/Assmann überwiegend mit den institutionalisierten Formen der Erinnerung. Als »Erinnerungsfiguren« bezeichnen sie kulturell geformte, institutionalisierte und gesellschaftlich verbindliche bildhafte und narrative Formungen von Erinnerung. Die Figuren verfügen wiederum über einen spezifischen Raum- und Zeitbezug, sind identitätskonkret und verfahren rekonstruktiv: »Jede Gruppe, die sich als solche konsolidieren will, ist bestrebt, sich Orte
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zu schaffen und zu sichern, die nicht nur Schauplätze ihrer Interaktionsformen abgeben, sondern Symbole ihrer Identität und Anhaltspunkte ihrer Erinnerung. Das Gedächtnis braucht Orte« (Assmann 1992: 39). Soll das kulturelle Gedächtnis nicht bloß ein Metapherbegriff sein, so muss es durch bestimmte Phänomene – wie Gedächtnisorte – fassbar gemacht werden. Einer dieser Orte ist das Museum. Als Repräsentations- und Identitätsort ist es die kulturelle Objektivation des kulturellen Gedächtnisses par excellence und damit eine maßgebliche Erinnerungsfigur, an der das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft beobacht- und analysierbar ist. Abschließen möchte ich die Betrachtung des Assmannschen Konzeptes mit zwei kritischen Anmerkungen. Zunächst ist die Polarität und Differenzierung von einem »kommunikativen« und einem »kulturellen Gedächtnis« problematisch. Beide Gedächtnistypen bedingen einander und sind als unauflösbares Konglomerat zu verstehen. Ein kommunikatives Gedächtnis kommt kaum ohne Kulturalisierung aus, während das kulturelle Gedächtnis auch immer kommunikativ begründet ist. Weiterhin perpetuiert das Konzept des »kulturellen Gedächtnisses« die Vorstellung eines statischen, homogenen, in sich geschlossenen und einheitlichen Gruppengedächtnisses, das sich gesellschaftlicher Dynamik gegenüber resistent zeigt. Im Folgenden werde ich als Alternativbegriff zum »kulturellen Gedächtnis« das Konzept »Erinnerungskultur« vorstellen. Zwar benutzt Jan Assmann (1992) den Begriff synonym zum kulturellen Gedächtnis, doch knüpft der theoretische Entwurf von Erinnerungskulturen stärker an dynamische Vorstellungen an und nimmt disparate Erinnerungen innerhalb von Gemeinschaften in den Blick.
3 . O P E R AT I O N E R I N N E R U N G S K U LT U R Nach dem amerikanischen Soziologen Herbert Blumer existieren in den Sozial- und Geisteswissenschaften zum einen »operational«, zum anderen »sensitizing concepts«. Die Konzepte des kollektiven Gedächtnisses gehören nach Einschätzung der Erinnerungssoziologen Olick und Robbins zur letzteren Kategorie (Olick/Robbins 1998: 112). Da es hier um die praktische Anwendung der kollektiven Gedächtniskonzepte für die Museumsanalyse geht, macht die Operationalisierung eine begriffliche Differenzierung notwendig. Ich möchte an dieser Stelle von einem theoretischen Verständnis der Kollektivität von Erinnerung zu einem anwendungsorientierten Konzept der Erinnerungskultur übergehen. Denn schließlich »deutet der Begriff [Erinnerungskultur] darauf hin, daß das wissenschaftliche Konstrukt ›kollektives Gedächtnis‹ erst in seiner Aktualisierung durch einzelne kollektive Erinnerungsakte tatsächlich beobachtbar und kulturwissenschaftlich analysierbar wird« (Erll 2003: 176).
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3.1 Facetten von Erinnerungskultur
Den Begriff »Erinnerungskultur« kennzeichnet im öffentlichen Gebrauch eine extreme Elastizität. Christoph Cornelißen – und ihm möchte ich mich hier anschließen – versteht Erinnerungskultur als »einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse […], seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur. Der Begriff umschließt also neben Formen des ahistorischen oder sogar antihistorischen kollektiven Gedächtnisses alle anderen Repräsentationsmodi von Geschichte, darunter den geschichtswissenschaftlichen Diskurs sowie die nur ›privaten‹ Erinnerungen, jedenfalls soweit sie in der Öffentlichkeit Spuren hinterlassen haben. Als Träger dieser Kultur treten Individuen, soziale Gruppen oder sogar Nationen und Staaten in Erscheinung, teilweise in Übereinstimmung, teilweise aber auch in einem konfliktreichen Gegeneinander.« (Cornelißen 2003: 555)8 Vier Facetten von Erinnerungskultur sollen hier betont werden: Dynamik Im Gegensatz zum Konzept eines relativ fi xierten, auf Dauer angelegten kulturellen Gedächtnisses ist die Erinnerungskultur als ein prinzipiell offenes »Gewebe medialer, materieller und mentaler Phänomene« zu verstehen, das in permanenter Transformation begriffen ist (Erll 2003: 176). Gesellschaftliche Gruppen befinden sich im ständigen Gespräch über die Vergangenheit, über die sie wiederum sich selbst thematisieren. Insofern besitzen historische Ereignisse und Prozesse eine Stellvertreterfunktion für gegenwärtige Identitätskonzeptionen. Andauernd wird neu verhandelt, was »erinnerungswürdig« und in welchen Formen die Erinnerung angemessen sei. Die Ansprüche auf Gegenwartsbedeutung vergangener Ereignisse werden immer wieder verhandelt und erfahren Neubegründungen und Umdeutungen. Neben diese dynamische Offenheit der Themen und ihrer Bedeutungen tritt eine räum8
Durch diese weite Begriffsbestimmung ist der Terminus »Erinnerungskultur« weitgehend identisch mit dem von Jörn Rüsen maßgeblich geprägten Begriff »Geschichtskultur«, der ebenfalls die drei Dimensionen – Ästhetik, Politik und Wissenschaft – umfasst (Rüsen/Jäger 2001: 402). Mit Akzent auf den speziellen Interessen der Trägergruppen sowie durch den Unterbegriff der Geschichtspolitik liegt der Schwerpunkt der Erinnerungskultur aber stärker auf den Gebrauchsmomenten der Vergangenheit für die Gegenwart und der Formierung historisch begründeter Identitäten (Cornelißen 2003: 555). Rüsen hingegen fragt pointierter nach den lebenspraktischen Orientierungsfunktionen historischer und kultureller Erinnerungen im Zusammenhang historischer Sinnbildung.
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liche sowie Gruppendynamik. Wie in Cornelißens Definition schon deutlich wurde, können erinnerungskulturelle Träger sowohl Individuen als auch Kollektive sein. Der jeweilige Bezugsrahmen ist nicht generell festgesetzt: Es lassen sich nationale Erinnerungskulturen ausmachen, ebenso gibt es aber auch transnationale, soziokulturell geprägte und lokale Gemeinschaften. Konkurrenz Die dynamische Permanenz der Verhandlung impliziert bereits, dass in das Konzept Differenzen und konkurrierende Erinnerungen verschiedener Gruppen einfließen. Zumeist hängen Erinnerungskulturen an historischen Ereignissen, die sogenannte »heiße« Erinnerungen darstellen oder als solche entdeckt werden.9 Erinnerungskultur ist grundsätzlich heterogen und konfliktreich angelegt. Ein homogenes Erinnerungskollektiv existiert nicht. Jede Gesellschaft, jedes (z.B. nationale) Kollektiv weist eine Vielzahl nebeneinander stehender, partikularer, häufig konkurrierender kollektiver Gedächtnisse auf. So urteilt etwa Heidemarie Uhl (2005: 175) über das Thema »Flucht und Vertreibung« im Kontext der deutschen Gedächtniskultur: Zu beobachten sei derzeit »die Transformation der partikularen Erinnerungskultur einer gesellschaftlichen Teilgruppe zu einem Bezugspunkt von identitätsstiftender Relevanz für das Gedächtnis der gesamten Nation.« In gruppenspezifischen Rahmen werden verschiedene historische Ereignisse diskursiv verhandelt, in ihrer Bedeutung gegeneinander gestellt und verglichen. Die Bezugnahme auf Vergleiche wie z.B. »gestern und heute«, »wir und die anderen« ist ein Charakteristikum von Erinnerungskulturen. Historische Strukturen und Ereignisse, Handlungen und Prozesse sind hier bei der Frage um das Wie, Ob und Warum der Vergegenwärtigung ein Vehikel für die erinnerungskulturellen Debatten. Dabei besitzt Erinnerungskultur einen starken appellativen Charakter: Es geht immer auch um die (Streit-)Frage, wer, was und wie zu erinnern ist. Kommunikationsraum Anklingend bei den Merkmalen der Narrativität und Diskursivität kann Erinnerungskultur als eine soziale Praxis beschrieben werden, als ein »Netzwerk der sozialen Kommunikation zwischen konkreten Individuen und Gruppen, die öffentlich um Interpretationen, Bedeutungen und symbolisches Kapital miteinander konkurrieren« (Rüsen/Jäger 2001: 398). Die Erinnerungskultur wird 9
Gegenstand von Erinnerungskulturen ist aber nicht nur Zeithistorisches, wie z.B. die Auseinandersetzungen um Kolonialherrschaft belegen. Von Bedeutung ist die Entdeckung der Geschichte als identitätsstiftendes Ereignis. Zum Begriff »heiße Erinnerung« und seine Definition vgl. Maier 2001/2002: 154.
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zum Kommunikationsraum, zur kulturellen Praxis, wo mittels Kommunikation Bedeutungen, Interpretationen und Orientierungen produziert werden. Der Grad der Exklusivität und Organisiertheit ist hier niedriger anzusetzen, als Assmann/Assmann es für das »kulturelle Gedächtnis« entwerfen. Trotz der Dominanz von »Deutungseliten« im diskursiven Raum der Erinnerungskulturen funktioniert die Teilhabe prinzipiell durch aktive und passive Zugänge zur Medienöffentlichkeit. Die Erinnerungskultur umfasst sämtliche kulturelle Praxen, symbolische Handlungen, sprachliche Formen wie Texte, Begriffe, Konzeptionen, kulturell tradiertes Wissen etc. Sie basiert auf einem gemeinsamen Werthorizont, kollektiven Sprachformeln, gesellschaftlich verfügbaren Bildern und kulturellen Codierungen des öffentlichen Raumes. Sie ist ein Konstruktionsprozess der öffentlichen Geschichtsdeutung, selbst eine kulturelle Praxis, wird diskursiv erzeugt und ist untrennbar mit Identitätsdiskursen verbunden. Identitätskonkretheit Erinnerungskultur ist immer Identitätsarbeit. Erinnerungskulturelle Diskurse haben stets eine identitätsstiftende Relevanz, sei es als Zustimmung, Ablehnung, Integration oder Ausgrenzung. Insofern umfasst Erinnerungskultur weniger einen Gegenstand, als vielmehr ein Verhältnis. Die erinnerungskulturellen Akteure verhandeln, konstruieren, negieren, fundieren Identitäten, sie positionieren sich selbst und andere. Dabei wird »Identität« zunehmend als plurales, dynamisches und offenes Konstrukt verstanden. Stuart Hall charakterisiert Identitäten als temporäre, sich ständig transformierende Fixpunkte der Identifikation, die in gesellschaftlichen Diskursen erzeugt werden. Ein »Positioning« – als Identifikationsakt – vollzieht sich innerhalb von und durch Erzählungen über die Vergangenheit: »[The past] is always constructed through memory, fantasy, narrative and myth. Cultural identities are the points of identification or sature, which are made within the discourses of history and culture. Not an essence, but a positioning.« (Hall 1990: 226) 3.2 Fokus Geschichtspolitik
Als ein spezifischer Zweig der Erinnerungskultur auf Ebene der politischen bzw. staatlichen Funktionalisierungen der Vergangenheit für die Gegenwart gilt der Bereich der Geschichtspolitik. Richtungweisend für die Ausarbeitung des Konzeptes und seine Nutzung als Analysekategorie sind im deutschen Kontext die Arbeiten von Edgar Wolfrum. Wolfrum definiert Geschichtspolitik relativ eng gefasst als ein Handlungs- und Politikfeld verschiedener, interessegeleiteter und konkurrierender politischer Akteure, die mit erheblichen Verkürzungen Geschichte zu eigenen Zwecken instrumentalisieren. Konkur-
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rierende Deutungseliten betreiben eine offizielle Geschichtspolitik zur Eigenlegitimation und Betonung eines nationalen Wertesystems sowie aus internationalen Repräsentationszwecken. Durch eine gezielte geschichtspolitische Agenda wird langfristig die politische Kultur geprägt, nämlich stabilisiert bzw. verändert. Im Analysefeld Geschichtspolitik soll in den Blick genommen werden, wie politische Akteure unter Zuhilfenahme historischer Erinnerungen agieren. Dabei steht nicht die Frage nach der wissenschaftlichen Wahrheit des vermittelten Geschichtsbildes im Mittelpunkt, sondern wer wie und warum bestimmte Vergangenheitsbezüge thematisiert und politisch relevant macht. Geschichtspolitik als Analysekategorie soll dabei offen sein und nicht pejorativ aufgeladen (Wolfrum 1999: 25-28).10 Gegen diese Engfassung des Begriffes in Anwendung auf die Handlungsebene politischer Eliten wird hier Geschichtspolitik – ähnlich der Definition der Erinnerungskultur als ästhetisch-politisches Handlungsfeld (Reichel 1995) – als untrennbarer, inhärenter Teil der Erinnerungskultur verstanden. Jede erinnerungskulturelle Debatte besitzt eine geschichtspolitische Stoßrichtung. Die Einfügung historischer Ereignisse in bestimmte Deutungszusammenhänge, ihre Interpretation und öffentliche Darbietung dienen der politischen und gesellschaftlichen Mobilisierung und Selbstlegitimation verschiedener Erinnerungsgruppen. Sie konkurrieren um die Dominanz und Etablierung ihrer Geschichtsbilder und -narrative, woraus sich für sie politischer, gesellschaftlicher und sozialer Nutzen ergibt. Ziel ist die Produktion und Formierung von historischen, politischen und kulturellen Identitäten. Die Praxis der öffentlichen Kulturproduktion ist in einem geschichtspolitischen Vakuum nicht denkbar.
4 . DA S MUSEUM DEFINITIONEN
I N D I K AT O R U N D G E N E R AT O R . K O N T E X T D E R E R I N N E R U N G S K U LT U R
ALS IM
Welche Rolle spielen museale Produktionsprozesse als Aushandlungen und Codierungen von Erinnerung und wie verhält sich das Produkt Museum in erinnerungskulturellen Diskursen? Im Anschluss an konstruktivistische Theoriekonzepte ist das Museum ein repräsentierendes wie auch formierendes Medium der Gesellschaft (Macdonald 1996: 4). So erfolgt z.B. die Auswahl der Ausstellungsthemen und der Darstellungsmittel als Reaktion auf gesellschaftliche und politische Prozesse. Gleichzeitig finden sich diese in 10 Wolfrums Begriffsverständnis findet eine Parallele in dem Terminus »official memory« des amerikanischen Historikers John Bodnar. Dieser führt allerdings als Pendant die »vernacular memory« ein, quasi die authentische Gegenerinnerung sozialer Gruppen zur zumeist patriotisch und national ausgerichteten »official memory« (Bodnar 1992: 13-14).
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Ausstellungen widergespiegelt. Museen nehmen als soziale Orte eine Doppelfunktion wahr, die hier durch das Bild von Museen als Indikatoren und Generatoren von Erinnerungskultur erläutert werden soll.11 Das Museum ist einerseits ein Produkt erinnerungskultureller Diskurse und wird so z.B. initiiert, weil einem Thema, einem Ereignis, einer Gruppe Erinnerungsbedeutung zugeschrieben wird und sie/es repräsentiert werden soll. Das Museum ist andererseits aber auch ein Motor der Erinnerungskultur, ein energetisches Feld, das erinnerungskulturelle Debatten anheizt und zum Wandel von Erinnerungskulturen beiträgt. Museen resultieren als kulturelle Produktionen aus den sozialen, politischen und historischen Kontexten, in denen sie produziert werden. Sie entstehen nicht ›einfach so‹, sondern sind politisch, kulturell, historisch geprägt und aufgeladen: »museums are as cultural as the things they contain« (Fyfe 2006: 35). Ihre Gründung, der Produktionsprozess sowie ihre fortlaufende Arbeit sind direkt abhängig von den jeweiligen Kontexten und können als spezifische und analysierbare Codierungen der Erinnerungskultur gewertet werden. Sie sind das Ergebnis geschichtspolitischer Auseinandersetzungen (vgl. Wolfrum 1999: 50). Nicht nur haben erinnerungskulturelle Diskurse formgebenden Einfluss auf die Projekte, sondern wirken oft erst als dynamische Stoßkraft für das museale Unternehmen. So entstanden gerade in Bezug auf die erinnerungskulturellen »Großthemen« Holocaust, Migration und Kolonialismus viele Museen erst als Folge der Entdeckung dieser Geschichten und der Einforderung ihrer Repräsentation durch die Lobbygruppen der Erinnerungsakteure. Andere wiederum mussten auf das Eindringen neuer Narrative reagieren und ihre Ausstellungen umgestalten. Die verschiedenen erinnerungskulturellen Akteure sowie bereits vorhandene Codes der Erinnerungskultur – dazu gehören auch andere Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum wie z.B. Denkmäler – beeinflussen das Projekt maßgeblich in seiner Gestaltung. Die ihm zugeschriebene geschichtspolitische Relevanz entscheidet über seine Realisierung und Finanzierung und damit über zukünftige Arbeits- und Funktionsmöglichkeiten. Als Ort der Repräsentation erinnerungskultureller Tendenzen sind Museen Indikatoren der sie umgebenden Erinnerungskultur. Sie zeigen an, welche Ereignisse der Vergangenheit für die Gegenwart als relevant erachtet werden und wie – 11 Spätestens an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ich bewusst von »Museen« spreche, nicht von »Ausstellungen«. Sicherlich ist auch das Medium Ausstellung im Kontext erinnerungskultureller Auseinandersetzungen ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Es kennzeichnet aber nur einen Teilbereich. Hier geht es mir stärker um das Gesamtensemble Museum, das neben der Präsentation auch andere Funktionen wahrnimmt wie die des Sammelns, Forschens, der Lobbyarbeit, des gesellschaftspolitischen Engagements und sozialen Treffpunkts.
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mit welchen Schwerpunkten, Ausschlüssen, Begrenzungen etc. – die Themen erinnert werden. Aus der Perspektive der konstruktivistischen Kulturwissenschaften sind Museen andererseits aktive Produktionsstätten, die ihren Gegenstand nicht abbilden, sondern neu bilden. Sie entwerfen, produzieren und konstruieren Geschichtsbilder als Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie haben also – sind sie einmal da – ein Eigenleben, das sich letztlich auch den ursprünglichen Intentionen widersetzen kann. Das Produkt Museum gestaltet Erinnerung bzw. spezifische Versionen der Erinnerung. Es beeinflusst als ein selbständiger Motor die es als Metaebene umgebende erinnerungskulturelle Landschaft, deren Strukturen es vereinzelt durchbrechen und verändern kann. Diese Rolle von Museen impliziert der von Gottfried Korff in die Diskussion gebrachte Begriff des Museums als Generator (Korff 2007: 174). Die Funktion eines Bedeutungsgenerators schließt ein Verständnis des Museums als Arena ein. Hier geht es darum, was mit und an den Orten passiert und welche Auswirkungen dies wiederum auf die Erinnerungskultur hat. Als Ort des Diskurses und der Aushandlung generiert das Museum gesellschaftliche und historische Debatten. Außerdem begründen manche Museumsprojekte erst erinnerungskulturelle Auseinandersetzungen bzw. leiten sie, wie etwa jüngst die Planungen für ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin. Ein prominentes Beispiel ist die für 1995 im National Air and Space Museum in Washington D.C. konzipierte Enola Gay-Ausstellung. Um das Konzept, das u.a. die Auswirkungen des Atombombenabwurfs thematisierte, entbrannte eine große Debatte unter Beteiligung von Historikern, Politikern, Veteranenverbänden und Museumsmitarbeitern, in dessen Verlauf das Ausstellungskonzept verworfen wurde und der Leiter seinen Hut nehmen musste (vgl. Journal of American History 1995). Auch die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« des Hamburger Instituts für Sozialforschung sorgte für öffentlichen Aufruhr und tangierte vorhandene Erinnerungstabus bzw. brach erfolgreich mit bislang fest verankerten Erinnerungsmythen – hier von einer »sauberen« deutschen Wehrmacht – der deutschen Gesellschaft (vgl. Greven/ Wrochem 2000). Gordon Fyfe (2006: 35f.) spricht mit Verweis auf die Diskursfunktion von dem »conflicted space« des Museums. Mit der Generator-Funktion des Museums wird betont, dass das fertige Produkt, also z.B. eine eröffnete Dauerausstellung, den aktiven Erinnerungsprozessen kein Ende bereitet. Zwar ist die Setzung des Zeichens, der Prozess der Produktion ein Akt der Erinnerung, doch auch nach ihrer Eröffnung bleiben Museen erinnerungskulturell dynamisch. Mittels der Bereitstellung ungewohnter performativer Akte, neuer Sehgewohnheiten und Lesarten, durch Andockungen an die Präsentationen und Schausammlungen versuchen sie, ihr Publikum in aktive, kommunikative Erin-
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nerungsarbeit einzubinden. Ausstellungen werden ständig in Teilen überarbeitet, erweitert, erneuert und ergänzt. Mögen auch Debatten um Museumsneugründungen abklingen, so können diverse Ausstellungsinhalte und -narrative immer wieder Diskussionen entfachen. Die kritische Frage auf einer Texttafel im U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington D.C., warum die Alliierten nicht Auschwitz bombardiert hätten, löste so z.B. einen Historikerstreit in den USA aus (Wyman 1984; Medoff 1996). Warum hat das Museum – im Vergleich zu anderen Repräsentationsmedien wie Film und Literatur oder zur wissenschaftlichen Forschung – eine herausragende, resonanzreiche Bedeutung als Produkt und Motor von Erinnerungskultur? Zum einen ist dem ›Produkt Museum‹ ein zumeist langwieriger, manchmal jahrzehntelanger Produktionsprozess vorgelagert, an dem viele verschiedene Gruppen beteiligt sind. Das erzeugt fast immer – zumindest bei größeren Projekten – Öffentlichkeit. Verschiedene Akteure sind über die institutionelle, architektonische, gestalterische und inhaltliche Produktion unmittelbar als Trägergruppen involviert. Dabei führen oft schon die verschiedenen Perspektiven und Standpunkte politischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Trägergruppen zu Diskussionen und Auseinandersetzungen über das Konzept. Sind die Pläne transparent, werden sie in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Neue Akteure treten hinzu, weil sie z.B. bewusst von dem Kuratorenteam angesprochen und hinzugezogen werden oder sich aus den ersten Konzeptionen ausgeschlossen fühlen. Der Prozess ist Ausdruck einer besonderen erinnerungskulturellen Dynamik, die in den letzten 40 Jahren zunehmend von Heterogenität bestimmt wird. So sind bei den Produktionsprozessen von Museen nicht nur »Deutungseliten« beteiligt, sondern die Bandbreite der geschichtspolitischen Akteure ist zum einen größer geworden, zum anderen stärker diversifiziert. Seit den 1960er Jahren erfolgte eine Entdeckung des Museums als Vehikel zur Einforderung politischer, sozialer und kultureller Rechte. Die Forderung nach Repräsentation durch Präsentation führte im Ausstellungsbetrieb zu zahlreichen geschichtspolitischen Interventionen diverser Gruppen, denn Museen gelten als Identitätsorte und besitzen eine kulturpolitische Relevanz. Sie sind »Teil der kulturellen Praktiken, in denen sich Repräsentationsbedürfnisse, individuelle und kollektive Narrationen sowie gesellschaftliche Diskurse und Wissensformen manifestieren« (Muttenthaler/Wonisch 2006: 9). Museen sind geschichtspolitische Orte, an denen Geschichtsbilder und -deutungen virulent werden. Sie sind zentrale Schauplätze der Aushandlungsprozesse, in denen Identität über Repräsentation verhandelt wird. Folgt man dem zitierten Stuart Hall, der Identitätsfindung als »positioning« versteht, so kann der Repräsentationsraum Museum als prominenter Ort dieses »positioning« definiert werden.
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Zweitens besitzen Museen als materielle Einschreibungen und örtliche Einfügungen in eine Erinnerungslandschaft eine gewisse Langzeitwirkung. Dieses bedeutet aber nicht, dass sie nicht einem dynamischen Prozess der Wandlung unterliegen: »Even the most concrete presentations of the past are polysemic.« (Olick/Robbins 1998: 127) Jeder Ort also kann umgestaltet, sogar ganz anders codiert und von Gruppen verschieden gelesen/genutzt/mit neuen Bedeutungen gefüllt werden. Museen befinden sich auch nach ihrer Öffnung für das Publikum weiterhin in einem Status quo ständiger Innovation, auch wenn die Öffentlichkeit immer noch Museum und Mausoleum in einem Atemzug denken mag.
5. MUSEUM ALS RESONANZR AUM VON ERINNERUNGEN U N D V O R S T E L L U N G E N – TH E M E N F E L D E R U N D M E T H O D E N Abschließend möchte ich zur Operationalisierung des museumsanalytischen Ansatzes einige mögliche methodische Zugänge sowie Fragestellungen skizzieren und Forschungsarbeiten nennen, die einen erinnerungskulturellen Ansatz verfolgen. Welches Erkenntnisinteresse besteht bei der Forschungsperspektive »Museen im erinnerungskulturellen Kontext«? Zwei Vorgehensmuster lassen sich dabei unterscheiden: Erstens kann die Erinnerungskultur als Untersuchungskontext herangezogen werden mit dem Ziel, das Museum zu verstehen. Zweitens, und dieses Vorgehen wird im Folgenden weitergeführt, können Museen analysiert werden, um letztendlich Aussagen über die Erinnerungskultur oder erinnerungskulturelle Tendenzen zu treffen. Untersucht man Museen und/ oder Ausstellungen als Indikatoren und Generatoren von Erinnerungskultur, so lassen sich Einsichten darüber gewinnen, wie gesellschaftliche Gruppen einschließlich politischer Funktionsträger über bestimmte Themen kommunizieren und welchen Stellenwert diese in der Gesellschaft einnehmen. Museen sind – neben anderen Medien – Gradmesser für die Signifikanz bestimmter historischer Ereignisse und geben Auskunft über den aktuellen Zustand einer Gesellschaft, über ihre Vorstellungen, Wahrheiten, Tabus, ihre Agenda, ihr Erinnern und Vergessen. Museumsanalysen, die den erinnerungskulturellen Kontext in die Untersuchung einbeziehen, ermöglichen Blicke auf die aktuellen oder vergangenen Selbstbilder gesellschaftlicher Gruppen, sei es in Form einer Selbstreflexivität, eines Wunschbildes oder einer Wertsetzung. Als kulturelle Produktionen und Manifestationen der jeweiligen Erinnerungskultur reflektieren Museen exemplarisch die jeweiligen öffentlichen Diskurse über die Vergangenheit und werden infolge geschichtspolitischer, öffentlicher Bedeutungszuschreibungen in einem erinnerungskulturellen Bezugsrahmen verortet. Die Entstehung, die Ausgestaltung und die Funktionen der Museen passen
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sich in die öffentlichen Diskurse und die Manifestationen der Erinnerungskulturen ein und entwickeln eine kreative Eigendynamik. Insofern stellen Museen Resonanzräume dar, die gesellschaftliche und politische Geschichtsbilder und Selbstbilder offenbaren. Idealiter lassen sich durch die Analyse Aussagen treffen, wie die Erinnerungskultur Museen prägt und umgekehrt wie öffentliche Erinnerungen durch Museen beeinflusst werden. Diese Forschungsperspektive ermöglicht Antworten auf die Fragen, welche Themen zu einer gegebenen Zeit en vogue sind und welche Trends in der nationalen und globalen Museumswelt existieren. Als mögliche Zugänge zur Erforschung von Erinnerungskultur möchte ich näher auf drei thematische bzw. methodische Felder der Museumsanalyse eingehen und diese skizzieren: Dissonanzen/Kontroversen sowie synchroner und diachroner Vergleich. 5.1 Dissonanzen/Kontroversen
Erstens bieten sich als Untersuchungsfeld die öffentlichen Konflikte und Dissonanzen, die Museen und Ausstellungen hervorrufen, an. Als Ausdruck der spezifischen Erinnerungskulturen decken sie, indem sie Tabus und Verbote überschreiten, bewusst oder zufällig Erinnerungsbrüche und -grenzen sowie gesellschaftliche Verdrängungen auf. In ihnen kommen geschichtspolitische Agendas, spezifische Versuche der Funktionalisierung, Allianzen, Abgrenzungen und Umbrüche von Erinnerungsakteuren sichtbar zum Ausdruck bzw. werden kommuniziert. Die Ausstellung wird zum Ort der Aushandlung, wo sich Tabus und Dissonanzen in der Geschichtsrepräsentation auftun. Museen nehmen in dieser Perspektive die Stellung von »contested terrains« ein (Macdonald 1996: 9). Steven Dubin vergleicht die Debatten um Museumsausstellungen mit einem »tagged gene«. Sie seien »the marker for a certain hereditary trait but not the source of it, these cultural battles reveal tremendously important information about the body politic. They alert us to where the fault lines lie in our society« (Dubin 1999: 2). Dubin untersucht die sogenannten culture wars im erinnerungskulturellen Kontext der USA, darunter das bereits erwähnte Projekt »Enola Gay« sowie die Ausstellung »The West as America: Re-Interpreting Images of the Frontier, 1820-1920« im National Museum of American Art 1991. Die Kunstausstellung entfachte Diskussionen, da die Kuratoren in den Bildunterschriften auf die oft rassistischen und kolonialistischen Perspektiven der Arbeiten hinwiesen. Da der Fokus bisher deutlich auf (kultur-)historischen Museen und Ausstellungen lag, sei im Anschluss an die Erwähnung einer umstrittenen Kunstausstellung gefragt, ob man auch Kunstmuseen als Indikatoren und Generatoren von Erinnerungskultur untersuchen kann oder ob hier ein Defizit des Ansatzes vorliegt. Meines Erachtens lassen sich diese durchaus fruchtbar in erinne-
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rungskultureller Perspektive betrachten. Denn zum einen ist die Frage nach dem individuellen und kollektiven Gedächtnis Gegenstand der Kunst, zum anderen unterliegen Sammlungs- und Ordnungsstrategien sowie Kanonbildungen ebenso der gegenwärtigen Beurteilung der Vergangenheit wie in kulturhistorischen Museen. Kunstsammlungen unterscheiden sich zu verschiedenen Zeiten in ihren Objekten und Klassifikationssystemen. Douglas Crimp spricht von der Illusion der konfliktfreien Repräsentation der Kunstgeschichte, die einhergehe mit der Auslöschung aktueller gegenläufiger Kunstpraktiken. Immer noch wird Kunst als Ontologie gezeigt, weniger in ihrer historischen Abhängigkeit. (Crimp 1996: 76) In den letzten Jahren entfachten überdies zahlreiche Kunstausstellungen Aufruhr, weil sie »heiße Erinnerungen« tangierten, so im deutschen Kontext die Flick Collection im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, und die Ausstellung »Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF« in den Berliner KunstWerken (Baur 2005). 5.2 Synchrone Vergleiche
Die Methode des Vergleiches ist charakteristisch für die Untersuchung von Erinnerungskulturen. Indem im Länder- oder Gesellschaftsvergleich Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Eigenarten und transnationale Formen des Erinnerns herausgearbeitet werden, können spezifische Aussagen über die jeweilige Erinnerungskultur getroffen werden. Bezüglich der Museumsanalyse im Kontext Erinnerungskultur lautet eine Fragestellung des synchronen Vergleiches, wie ein thematischer Gegenstand in verschiedenen erinnerungskulturellen Kontexten aufgegriffen, geformt, präsentiert und mit welchen Besonderheiten akzentuiert wird. Neben vielfältigen Unterschieden interessieren auch Ähnlichkeiten oder Bezüge verschiedener Erinnerungskulturen aufeinander (vgl. Cornelißen u.a. 2003). Da das Forschungsfeld Erinnerungskultur vor allem bezüglich der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust transnational erforscht wurde und wird, existieren hier auch die meisten Studien, die sich mit Museen und Gedenkstätten als Indikatoren und Generatoren von Erinnerungskultur befassen. Hervorzuheben sind in diesem Bereich die Pionierarbeiten des Literaturwissenschaftlers James E. Young (1993). Er untersucht die kulturellen Biographien von Holocaust-Monumenten und -Museen in den USA, in Polen, Deutschland und Israel, worunter er hauptsächlich die einzelnen Entstehungsmotive, Produktionen und die jeweiligen Präsentationen der Gedenkstätten fasst. Obwohl sein Fokus auf den verschiedenen nationalen Erinnerungskulturen liegt, erwehrt er sich dem Begriff der kollektiven Erinnerung. Young zieht es vor, statt von »collective memory« von »collected memory« zu sprechen, und meint damit die vielen eigenständigen Erinnerungen, die in öffentlichen Erin-
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nerungsräumen wie Museen zusammentreffen. Dadurch legt er den Schwerpunkt auf die miteinander konkurrierenden Erinnerungen innerhalb einer nationalen Erinnerungskultur. Sein Forschungsinteresse gilt der Frage, wie der Holocaust in eine national spezifische »texture of memory« eingebunden wird (Young 1993: ix-xi). Im Anschluss an die Forschungsperspektive von Young untersuchen neuere Arbeiten nationale Holocaust-Museen und Gedenkstätten als Ausdruck nationaler Erinnerungskulturen ebenfalls in vergleichender Perspektive. (Hass 2002; Pieper 2006). Katrin Pieper richtet das Hauptaugenmerk auf die öffentlichen Diskurse während der Produktionsprozesse des Jüdischen Museums Berlin und des US Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. sowie auf das architektonische Setting, die Ausstellung und Funktionen der Museen. Anhand der Metaphern der »Integration« für den deutschen Erinnerungskontext und der Holocaust- »Americanization« als US-amerikanisches Äquivalent zeigt sie, inwieweit beide museale Repräsentationen exemplarisch für die jeweilige Erinnerungskultur und das nationale Narrativ sind. Transnational vergleichende Studien unterliegen immer gewissen Vereinfachungen und Verallgemeinerungen. Eine andere Untersuchungsperspektive des synchronen Vergleichs eröffnet die Möglichkeit, sich intensiver und ergiebiger der Erforschung nur einer nationalen Erinnerungskultur zu widmen. Behandelt und verglichen wird hier, wie eine Thematik in verschiedenen musealen Institutionen präsentiert wird. Der Ansatz ermöglicht, den jeweiligen Facettenreichtum der betreffenden Erinnerungskulturen stärker hervorzubringen. Beispielhaft zeigt Sabine Offe (2000) so anhand Jüdischer Museen in Österreich und Deutschland einen symptomatischen Umgang mit der Musealisierung des Jüdischen auf. Um Arbeiten jenseits der nationalen Ebene, nämlich zu regional- und gruppenspezifischen Erinnerungskulturen, nicht unerwähnt zu lassen, sei an dieser Stelle noch auf die Betrachtungen von James Clifford (1997: 107-145) über »Four Northwest Coast Museums« verwiesen. Anhand von vier in ihren Ansätzen sehr unterschiedlichen Museen in Kanada – den traditionsreichen Institutionen des anthropologischen Museums der University of British Columbia und des Royal British Columbia Museum sowie den neueren Häuser U’mista Cultural Centre und Kwagiulth Museum – macht Clifford den Umgang mit Objekten zur Geschichte der indigenen Bevölkerung im Kontext von Erinnerungskultur in postkolonialen Gesellschaften deutlich. 5.3 Diachrone Vergleiche
Ein weiterer Forschungsbereich beinhaltet den Blick auf die Geschichte und die Prozesse von Erinnerungskulturen: Wie wird eine Thematik über eine län-
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gere Zeitspanne museal behandelt? Von Interesse sind u.a. der Wandel der Formensprache in kulturhistorischen Ausstellungen, die Zeitgebundenheit und Phasenhaftigkeit des Ausstellens, der Einfluss politischer Ereignisse auf die Präsentationen, gesellschaftliche Umbrüche und neue Sehgewohnheiten. Ziel der Museumsanalysen ist das Aufzeigen von Paradigmenwechseln des Ausstellens einerseits und des Erinnerns andererseits. Christine Beil (2004) erarbeitet für den deutschen Kontext geschichtspolitische Implikationen von Ausstellungen zum Thema Krieg in den Jahren 1914 bis 1939. Offensichtlich werden die unterschiedlichen Propaganda-Funktionen der Präsentationen im Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. In den letzten beiden Jahrzehnten wurden die Interdependenzen zwischen Kolonialismus und Museum ein wichtiger Forschungsgegenstand. Zeitgleich veränderten viele ethnologische und naturhistorische Museen massiv ihre Ausstellungen und begannen, ihr kolonialistisches Erbe mal mehr, mal weniger intensiv zu reflektieren. Themen von Museumsanalysen sind dabei die Prozesse des ethnologischen Ausstellens im Kontext der kulturellen Praxis, darunter die Verlagerung der Repräsentation nichtwestlicher Kulturen von naturhistorischen und Völkerkundemuseen hin zu Cultural Centers und die Neugründungen von Museen wie das National Museum of the American Indian neben dem Kapitol in Washington D. C. verbunden mit Akten der Repatriation von Dingen (Karp/Kratz 2000). Die Untersuchung solcher Prozesse in der longue durée ist Gegenstand diachroner Museumsanalysen im Feld der Erinnerungskultur. 5.4 Forschungspraktische Zugänge
Wie kann das Museum im erinnerungskulturellen Kontext konkret erforscht werden? Eine Studie im Bereich der Erinnerungskultur bedarf der Berücksichtigung des historischen und politischen Kontexts der Erinnerungskultur sowie der öffentlichen Debatten, die die Realisierung der Museen begleiten und die einen gesellschaftlichen und politischen Erinnerungsprozess darstellen. Da erinnerungskulturelle Debatten zumeist öffentliche Resonanz erzielen und die Aushandlungsprozesse massenmedial ausgetragen werden, eignet sich die Diskursanalyse als Methode, um den Gehalt der Erinnerungsdiskurse zu benennen. Diskurse manifestieren sich »als Aussagenensembles, in denen auf gesellschaftlicher Ebene ein Thema verhandelt wird« (Fraas/ Klemm 2005: 4). Diese kann man in verschiedenen Medien intertextuell aufspüren, dominante Diskursinhalte benennen und Metaphern herausfiltern. Ebenso lassen sich dadurch Rückschlüsse auf die Erinnerungsakteure ziehen. Wolfgang Kaschuba bezieht in Anlehnung an Stuart Hall auch Praktiken des Redens und Handelns in den Diskursbegriff mit ein. So ist der Diskurs »eine Weise, Bedeutungen zu konstruieren, die sowohl unsere Handlungen
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als auch unsere Auffassungen von uns selbst beeinflusst und organisiert« (Stuart Hall, zit.n. Kaschuba 2001: 24). Die Diskursanalyse ist insbesondere dann ergiebig, wenn der Fokus der Museumsanalyse auf dem Produktionsprozess der Institution liegt. Nicht nur Massenmedien, auch Redemanuskripte, Denkschriften und Korrespondenzen – mal veröffentlicht, mal nicht – eröffnen eine mögliche Fassung der geschichtspolitischen Implikationen von Museumsprojekten. Doch erschöpft sich das erinnerungskulturelle Umfeld damit nicht. Zur Einbettung der Museen ist ein Blick auf Vorläuferinstitutionen und -ausstellungen interessant. Auch hier sind – da von Ausstellungen zumeist nur ein Katalog bleibt – Textmedien und Archivalien unerlässlich. Des Weiteren liegt die Beschäftigung mit den Konkretionen der Erinnerung in der Architektur und den Ausstellungen der Museen nahe. Große Einrichtungen besitzen oft Hausarchive, wo Konzepte, Sitzungsprotokolle, Korrespondenz etc. bewahrt werden und die auch externe Wissenschaftler benutzen können (vgl. Thiemeyer in diesem Band). Da Museen aber auch erhebliche erinnerungskulturelle Resonanz besitzen, weil sie öffentliche Ausstellungsorte und Besucherräume sind, kann ein Blick in die Gästebücher Erinnerungskonflikte zu Tage bringen. Gerade die Besucherkommentare sind ab und an ein aktuelles Stück Erinnerungskultur und zeigen, ob die Besucher die institutionellen Deutungsangebote der Geschichte annehmen oder abwehren (Macdonald 2005). Das Museum ist also – soviel dürfte deutlich geworden sein – ein fruchtbares Untersuchungsfeld für erinnerungskulturelle Kontexte. Es lässt sich als Indikator und als Generator von Erinnerungskultur verstehen. Damit können durch museumsanalytische Fallstudien gewisse Symptome, Probleme, Differenzen und Kongruenzen nationaler, gruppenspezifischer sowie globaler Erinnerungskulturen aufgedeckt werden.
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OBJEKTE DER WISSENSCHAFT. EINE WISSENSCHAFTSHISTORISCHE PERSPEKTIVE AU F D A S M U S E U M 1
Anke te Heesen Der Begriff ›Wissen‹ ist in aller Munde. Kein anderes Wort wird so prominent für Förderanträge eingesetzt oder als Etikett institutioneller Neugründungen bemüht. Wissenskulturen, eine lange Nacht der Wissenschaften, Wissensseiten der Zeitungen, Wissenschaftstage, Wissensforen oder ein Haus des Wissens. Darunter werden die verschiedensten Dinge verstanden: Frühkindliche Erziehung, Öffentlichkeitsarbeit, Vermittlung naturwissenschaftlicher Inhalte oder Begegnungsstätten. Gemeinsam ist diesen Aspekten der Anspruch, Wissen zu vermitteln, d.h. weitgehend gesicherte Erkenntnisse aufzubereiten und weiterzugeben. Die Beliebtheit des Begriffs rührt daher, dass ›Wissen‹ – anders als ›Wissenschaft‹ – von einer Unmittelbarkeit zeugt, von kanonisierten Einsichten, die weitergegeben werden können und den Adressaten bereichern. Im Begriff des ›Wissens‹ liegt das große Versprechen, die Trennung von Natur und Kultur, von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, wenn nicht aufzuheben, so doch deutlich zu mildern und die beiden Dimensionen gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Was im akademischen Diskurs bisher unter Trans- und Interdisziplinarität behandelt wurde, ist heute insofern Konsens, als ›Wissen‹ die Assoziation evoziert, gleichermaßen wissenschaftliche Erkenntnisse wie das ›Weltwissen der Kinder‹, Mathematik wie Kunst zu umfassen. Zugleich mit dieser Konjunktur einer begrifflichen Verdichtung, die die Grenzen der Wissenschaft durchlässiger macht, hat sich das Ausstellungsgeschehen im letzten Jahrzehnt vervielfacht und es liegt deshalb nahe, hier eine Verbindung zu vermuten. Zahlreiche Museumsneugründungen sorgen für einen nicht abreißenden Berichtsstrom in den Feuilletons und die Berufsbezeichnung ›Ausstellungsmacher‹ ist mittlerweile etabliert. Das Museum, vor allem das Kunstmuseum, hat sich zu einer schillernden Institution entwickelt, die Heerscharen von Besuchern anlockt. Noch immer wird mit dem Museum tendenziell etwas Verstaubtes assoziiert, doch Sonderausstellungen und wechselnde Veranstaltungen suggerieren ein breiteres Spektrum als jemals zuvor in der langen Institutionengeschichte des Museums. Für das Museum lautet die Devise heute nicht mehr ›Lernort contra Musentempel‹, um einen
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Ich danke Sara Bangert, die die Entstehung des Textes begleitet und durch Kommentare unterstützt hat, sowie Bernd-Jürgen Warneken und Christian Vogel für Lektüre und wertvolle Hinweise.
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bekannten Buchtitel von 1976 zu zitieren (Spickernagel/Walbe 1976), sondern ›Wissensort‹.2 Der folgende Beitrag wird einen Zusammenhang zwischen diesen beiden dargestellten Entwicklungen herstellen und zeigen, dass die Konjunktur des Begriffs ›Wissen‹ und die Konjunktur des Museums und Ausstellens eng zusammenhängen. Diesen Umstand könnte man mit der Frage pointieren, wie es kommt, dass Wissenschaftshistoriker sich heute lebhaft für Museumsdepots interessieren und wissenschaftliche Institutionen mehr und mehr Ausstellungen veranstalten. Ein Blick in die Literatur der letzten Jahre macht deutlich, dass die Verbindung zwischen Wissenschaft und Museum oder Ausstellungswesen immer bestanden hat.3 Heute ist aber nicht mehr die jeweils fachliche Zuordnung allein maßgebend (Biologen greifen auf die Sammlungen des Naturkundemuseums zurück, Empirische Kulturwissenschaftler pflegen eine besondere Beziehung zu Stadtmuseen), sondern Wissenschaft und Ausstellungswesen haben sich zu einer interdisziplinären Plattform verbunden, die eine disziplinäre Zuordnung von Objekten und Themen oft nur schwer ermöglicht. Um dieses reich facettierte Verhältnis genauer zu beleuchten, werden im Folgenden vor allem zwei Aspekte behandelt: Zum einen soll die Frage gestellt werden, wie sich Wissenschaftsgeschichte, verstanden als eine Interpretation historischer Wissenschaftsformationen, zu Sammlungen und Museen verhält und welche Studien und Fragestellungen in diesem thematischen Kontext entstanden sind. Zum anderen widmet sich der Text der aktuellen Beziehung zwischen Wissenschaft und Ausstellungswesen und ihren verschiedenen Ausprägungen. Welche Diskussionen wurden um das präsentierte Wissen geführt und welche gestaltungsleitenden Bilder für diese Form des Diskurses gefunden?
1. DIE DINGE
UND DIE
WI SSEN S C H A F T
Die heutige forschungspolitische Bedeutung von Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung rührt von der Erkenntnis her, dass unsere mo2
Verstand man unter Musentempel einen elitären Ort, der den Betrachter zur stillen Ergriffenheit nötigte und unter Lernort einen didaktisch aufbereiteten Zugang zur Geschichte durch Objekte, so stehen Wissensorte heute für eine gestaltete Architektur des musealen Innen- wie des Außenraumes als einem umfassenden Assoziationsfeld, durch das sich der Besuch des Museums zu einem sensorischen und intellektuellen Erlebnis entwickelt hat (vgl. dazu Hooper-Greenhill 2007).
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Vgl. etwa Penny 2002, der die Ethnologie und die Ethnographischen Museen betrachtet. Für die Frühe Neuzeit z.B. Grote 1994 in seiner richtungsweisenden Verschränkung von Wissenschafts- und Sammlungsgeschichte.
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derne Welt entscheidend durch naturwissenschaftliches Verständnis und naturwissenschaftliche Denkweise geprägt ist. Fakten, Objektivität, Beweis und Gewissheit sind nur einige Stichworte, die beschreiben, unter welchen Prämissen Welt wahrgenommen wird. Diese Begriffe und ihre Bestimmung wurden seit den 1960er Jahren nachhaltig von der Wissenschaftsphilosophie in Frage gestellt. Der Wissenschaftsphilosoph Thomas S. Kuhn (1962) widmete sich der Entwicklung und Herstellung von Wissenschaft und brach als einer der ersten mit der Vorstellung einer linearen, sich stetig akkumulierenden Wissenserweiterung. In der Folge entstanden zahlreiche Untersuchungen, die sich einerseits dem historischen, dem sozialen und kulturellen Kontext von (Natur-)Wissenschaft widmeten und andererseits versuchten, der dynamischen Entstehung von wissenschaftlichen Ergebnissen – insbesondere im Experiment – auf die Spur zu kommen. Als Wissenschaftsgeschichte galt nicht mehr die Höhenkammerzählung herausragender Männer, die ihre Entdeckung im abgeschiedenen Labor tätigten, sondern Wissenschaft wurde nun als ein unvorhersehbarer, oftmals kollektiver und diskursiver Prozess der Neugestaltung charakterisiert. Dass dabei Natur nicht einfach nur entdeckt wurde, sondern bereits während ihrer Erforschung eine kulturelle Überformung erfuhr, gehört zu den grundlegenden Einsichten (vgl. Lynch/ Woolgar 1990; Hagner 2001). Zur gleichen Zeit, in der die zentralen wissenschaftshistorischen und -philosophischen Schriften erschienen, entwickelte sich die Sammlungsgeschichte als ein eigenständiges Forschungsfeld. Beginnend mit der 1985 erschienenen Veröffentlichung The Origins of Museums (Impey/McGregor 1985), wurden die Geschichte einzelner Sammlungen und damit auch die sozialen, anthropologischen und philosophischen Beweggründe einer bis dahin nicht näher untersuchten Tätigkeit erfasst (Pomian 1988; Grote 1994; Muensterberger 1994; Sommer 1999). Die Institution Museum war nicht allein wegen ihrer Objekte interessant, sondern das gesamte institutionelle Gefüge selbst und seine Geschichte rückten in den Vordergrund. In den 1990er Jahren wurde die Perspektive auf Wissenschaft und Museum schließlich miteinander vereint. Es galt, die Beziehung zwischen sammelnder Tätigkeit und Generierung von Wissen in einen systematischen und historischen Zusammenhang zu stellen (Daston 1988; Findlen 1994; te Heesen/Spary 2001). Es bleibt eine zu beweisende These, inwiefern diese thematische Konstellation für die in den letzten zehn Jahren erfolgte kulturwissenschaftlich motivierte Konjunktur der Dinge grundlegend ist (vgl. zuletzt Böhme 2006). Vor diesem grob skizzierten Hintergrund einer Wissenschafts- und Sammlungsgeschichte haben sich in den letzten Jahren vor allem folgende, die beiden Bereiche miteinander verbindende Fragestellungen entwickelt, die sich allesamt auf dem Terrain des Museums untersuchen lassen:
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(1.) Dinge, insbesondere einer Sammlung oder eines Sammlungszusammenhanges, werden als historische Quellen betrachtet und ausgewertet. Nicht allein der gedruckte und handschriftliche Wissensbestand vermag Auskunft über eine vergangene Zeit zu geben, auch die erhaltenen Dinge, ihre Form und Bedeutungszuweisung, ihr Einsatz und ihre Gebrauchsspuren dienen dem Verständnis und der Interpretation von Geschichte. Dabei ist nicht allein der Umstand entscheidend, dass Dinge als Zeugen der Vergangenheit überhaupt befragt werden, sondern dass sie Einzug in Disziplinen hielten, die bisher nicht unbedingt mit Objektquellen arbeiteten und die sie nun gleichberechtigt neben den schriftlichen Zeugnissen anführen (vgl. etwa Mayer 2001). Der Begriff ›materielle Kultur‹, ursprünglich ein aus der Ethnologie und Volkskunde stammender Begriff und dort seit langem ein heuristisches Instrument, ist heute zur gängigen Vokabel geworden. (2.) Dinge werden als Akteure eines Wissenschaftsgeschehens begriffen. Zum einen ist das Objekt, mit dem der Mensch hantiert und sich Welt aneignet, als Instrument und Werkzeug zu bezeichnen. Nicht zuletzt formt das eingesetzte Werkzeug durch seine Gestalt und Anwendung den zu untersuchenden Gegenstand und ist deshalb von besonderer Bedeutung (vgl. Crary 1990; Dürbeck u.a. 2001; Schickore 2007: v.a. Kap. 9). Zum anderen sind es diese hier als Untersuchungsgegenstände bezeichneten Entitäten, die selbst zu Akteuren werden, auf den Menschen reagieren, von ihm verändert werden und auf ihn zurückwirken. Wissenschaftssoziologen und -historiker wie Bruno Latour (1992) haben zahlreiche Beispiele der wechselseitigen Reaktionen von wissenschaftlichen Objekten, ihrer Formung und dem sie untersuchenden und herstellenden Wissenschaftler beschrieben. (3.) Die Geschichte der Präsentation von wissenschaftlichen Objekten und Dingen hat eine besondere Bedeutung erhalten. Untersuchungen zu Wissenschaftsmuseen, die Geschichte der Weltausstellungen und die Unternehmungen einzelner Wissenschaftler, Forschungs- und Überzeugungskontexte mit Hilfe von Objekten aufzustellen, standen in den letzten Jahren im Fokus des Interesses oder der Formulierung forschungsrelevanter Desiderata (Haraway 1984/85; Brain 1993; Matyssek 2002; Kretschmann 2006; Voss 2007). (4.) Schließlich ist als besonderer Interessensschwerpunkt im Gefüge Wissenschaftsgeschichte und Museum/Sammlung die Untersuchung der Organisationsformen wissenschaftlicher Artefakte und deren Status als Objekt zu nennen. Zettelkästen, Archivmappen, Exzerpte und Notizbücher werden ebenfalls als eine materielle Kultur der Forschung verstanden, die Aussagen über die Generierung von Wissenschaft treffen kann (vgl. Ketelsen 1990; Be-
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cker/Clark 2001; Krajewski 2002; te Heesen 2002). Die Praxis des Sammelns, seine Strukturierung und theoretische Grundlegung sind eigenständiger Teil einer wissenschaftlichen Tätigkeit des Systematisierens, Speicherns und Katalogisierens. Blickt man auf diese vier Aspekte und neuere Veröffentlichungen dazu, so stellen sich das Museum und die Sammlung als weitere Handlungsorte von Wissenschaft dar. Sie treten als Gegenstand der historischen Analyse und als zeitgenössischer Ort der Wissensgenerierung gleichberechtigt neben Labor und Seminarraum und bilden ein Vermittlungs- und Untersuchungspotenzial für wissenschaftliche und gesellschaftliche Weltbilder.4 Für die gegenwärtige Situation soll konstatiert werden, dass Museen als Orte der Forschung aktueller sind denn je und wissenschaftshistorische Forschungsergebnisse wiederum vermehrt in Ausstellungen umgesetzt werden.5
2 . WI SSEN S C H A F T
UND
MUSEUM
Mit den beiden titelgebenden Schlagworten »Wissenschaft« und »Museum« verbindet der Betrachter und Leser zunächst große Wissenschafts- und Technikmuseen wie das Science Museum in London, das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden oder das Deutsche Museum in München (vgl. überblickend Butler 1992). Eine weitere naheliegende Assoziation betrifft die in den letzten 15 Jahren zahlreich neu gegründeten, im weitesten Sinne als Science Center zu bezeichnenden Orte, an denen naturwissenschaftliche Phänomene dargestellt und durch interaktive Module dem Besucher verständlich gemacht werden sollen: Dazu zählen das Universeum in Bremen, das Phaeno in Wolfsburg, die Phänomenta in Lüdenscheidt oder – Ursprung aller Science Centers – das Exploratorium in San Francisco (Hein 1993).6 Schließlich, und hierauf soll im Folgenden genauer eingegangen werden, sind die Universitätssammlungen zu nennen, die nicht ohne weiteres im Kontext eines Museums als vielmehr in enger Verbindung zu der zentralen Wissenschaftseinrichtung stehen und 4
Vgl. hierzu auch die intensive Diskussion von Seiten der Museumswissenschaften wie etwa Hooper-Greenhill 1992; Bennett 1995; te Heesen/Lutz 2005. Nicht historisches, sondern gegenwärtiges Präsentationsgeschehen betreffend siehe Schwan/ Trischler/Prenzel 2006.
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Vgl. jüngst die Tagung der Volkswagenstiftung und des Instituts für Museumsforschung in Berlin: »Was heißt und zu welchem Ende betreibt man Forschung im Museum?«, Dezember 2007. Als Beispiel für die Umsetzung wissenschaftshistorischer Ergebnisse siehe Dierig/Schnalke 2005.
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Insgesamt zu dem Komplex Museen und Einblick in die (natur-)wissenschaftliche Forschung vgl. Chittenden/Farmelo/Lewenstein 2004 und Pearce 1996.
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deren Untersuchung und Darstellung gegenwärtig intensiv diskutiert wird. Ein Blick auf die Universitätssammlungen lohnt sich deshalb besonders, weil die bisher beschriebenen thematischen Konstellationen von Wissenschaftsgeschichte und Sammlungsgeschichte einerseits und die theoretische wie praktische Beschäftigung mit Museum und Wissen andererseits vor allem durch diese Sammlungen zu einer besonderen Sensibilität gegenüber den Wissenschaftsartefakten geführt haben. 2.1 Universitätssammlungen
Unter einer Universitätssammlung versteht man im engeren Sinne die Sammlung oder permanente Ausstellung der Insignien eine Hochschule, also die Universitätszepter, die Rektorkette, Pokale, Talare, Doktorhüte, Matrikelbücher und andere wertvolle, institutionengebundene Objekte. Im weiteren und heute üblicheren Sinne wird damit der forschungs- und lehrrelevante Objektfundus der Geistes- und Naturwissenschaften einer Universität bezeichnet. Universitätssammlungen entstanden, weil ihre Objekte in der Lehre benötigt wurden (so der Fall bei mathematischen Gipsmodellen in der Zeit um 1900) oder weil sie eine für die Forschung relevante Rolle spielten (wie zum Beispiel die Graphiksammlung eines kunsthistorischen Instituts) oder weil sie schlicht der Selbstdarstellung eines Faches dienten (vgl. König 2007). Nicht wenige dieser Objekte, vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich, haben vor noch nicht allzu langer Zeit erstmals wieder das Tageslicht erblickt und rückten ins Zentrum der bereits erwähnten Dingkonjunktur. Eine universitätsübergreifende Organisation erfuhren diese Sammlungen um 2000, als erstmals miteinander vernetzte Institutionen zur Erschließung und Erfassung dieser bisher vernachlässigten Sammlungen gegründet wurden: Bei dem ›Universeum‹ zum einen handelt es sich um ein EU-Projekt, das »the academic heritage and universities«, »responsibility and public access« zum Thema hatte.7 ›UMAC – University Museums and Collection‹ zum anderen wurde als Zweig des International Council of Museums (ICOM) im Jahr 2001 gegründet und unternimmt es, alle Universitätssammlungen weltweit zu erfassen.8 Schließlich wurde mit Gründung des Helmholtz-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin das Projekt »Universitäre Sammlungen« ins Leben gerufen.9 Es handelt sich dabei um eine Erfassung aller universitären Samm7
www.universeum.de (letzter Zugriff: 15.4.2008; die letzte Aktualisierung der Web-
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http://publicus.culture.hu-berlin.de/umac/(letzter Zugriff: 15.4.2008).
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http://www2.hu-berlin.de/kulturtechnik/sammlungen.php?show=geschichte (letz-
page erfolgte jedoch 2005).
ter Zugriff: 15.4.2008).
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lungen Deutschlands in einer Datenbank sowie die in der Folgezeit unternommene Entwicklung einer Maske für die digitale Aufnahme, Speicherung und Vernetzung universitären Sammlungsgutes. Ausgehend von diesen jüngeren Aktivitäten ist danach zu fragen, wie sich das Interesse für die universitäre Sammlungsgeschichte und ihre Objekte entwickelte und welche historischen Hintergründe auch heute noch bei der Diskussion um das durchaus schwierig zu nennende Sachzeugenerbe (academic heritage) eine Rolle spielen. In den Universitätssammlungen – so die These – liegt das Potenzial einer zukünftigen und programmatischen Auseinandersetzung mit der materiellen Kultur der Wissenschaften und der möglichen Forschungsperspektiven, die Wissenschaft und Museum/Sammlung miteinander vereinen. 2.2 Neue Ausstellungen
Um zu verstehen, warum Forschungs- und Lehrartefakte in einen musealen Status überführt werden und erheblich an Attraktivität und Aufmerksamkeit gewonnen haben, muss man sich die großen Themenausstellungen seit dem Ende der 1980er Jahre vor Augen führen. Bei den Ausstellungen »Wunderblock« in Wien 1989 (kuratiert von Jean Clair, Catherin Pichler und Wolfgang Pircher), »Der Gläserne Mensch« in Dresden 1990 (kuratiert von Rosmarie Beier und Martin Roth) oder »L’âme au corps« in Paris 1993 (kuratiert von Jean Clair) handelte es sich um Konzeptionen, die natur- und kulturwissenschaftliche Ansätze vereinigten. Die Arbeitsteams setzten sie aus den verschiedensten fachlichen Bereichen zusammen. Sie erhoben den Anspruch, Natur und Kunst gleichsam am Objekt selbst zusammenzubringen; beispielsweise indem man Bewegungsstudien des Physiologen Etienne Jules Marey vom Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Gemälde Marcel Duchamps »Nude descendant un Escalier« (1912) nebeneinander präsentierte. Auf diese Weise wurde die zu jenem Zeitpunkt vielbeschworene wissenschaftliche Transdisziplinarität erstmals sowohl inhaltlich als auch dreidimensional eingelöst. Nicht zuletzt wurde damit deutlich, dass kuratorische Praxis jenseits von Provenienzbestimmung und Klassifizierung eine kultur- und wissenschaftshistorische Forschungsarbeit zu leisten vermag, die nur und gerade durch die Objektbestände der Sammlungsinstitution zustande kommen konnte. Es zeigte sich, wie das Ausstellungsgeschehen und die zu erforschenden Inhalte sich gegenseitig vorantrieben – ja, dass die ungewöhnlichen Dingarrangements wiederum neue Projektideen anregten. Diese und zahlreiche andere Ausstellungen haben die Ästhetik und Bedeutungsvielfalt wissenschaftlicher Objekte vor Augen geführt. Die Depots der Museen und der Universitäten erhielten neue Bedeutung, indem sie die einzigen Bewahrungsorte der materiellen Zeugen einer vergangenen Zeit darstellten und ihre Objekte
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als aussagefähige historische Quellen berücksichtigt werden konnten (vgl. Pravica 2007). Mit der Nobilitierung des musealen Objekts einerseits und seiner Öffnung hin zu interdisziplinären Zusammenhängen andererseits sahen diese Ausstellungen das Zusammenführen verschiedenster Genres und Traditionen als ihre wichtigste Aufgabe an, anstatt sich mit der Aufarbeitung eines bestimmten Museumsbestandes zu befassen.10 Dies war der Moment, in dem die Existenz von Universitätssammlungen mehr und mehr ins Bewusstsein sowohl der Ausstellungsmacher als auch der Ausstellungsbesucher trat. 2.3 Kunst- und Wunderkammer
Das Interesse an den wissenschaftlichen Sammlungen wurde im deutschsprachigen Raum vor allem mit der umfassenden, von Horst Bredekamp, Jochen Brüning und Cornelia Weber kuratierten Ausstellung »Theatrum Naturae et Artis. Theater der Natur und Kunst. Wunderkammern des Wissens« im Jahr 2000 in Berlin geweckt (Bredekamp/Brüning/Weber 2000). Die Forschung zur Sammlungsgeschichte hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Höhepunkt erreicht und war durch zahlreiche innovative Ansätze und Publikationen anerkannt. Vor allem das Modell der Kunst- und Wunderkammer konnte ausführlich in der Forschungsliteratur und im Feuilleton der Tageszeitungen verfolgt werden. Noch erhaltene Orte wurden restauriert und durch entsprechende Veröffentlichungen zugänglich gemacht (vgl. von Schlosser 1908; Bredekamp 1993).11 Dieses Modell wurde in Berlin programmatisch in den Raum umgesetzt: Die Ausstellung wusste die Schätze der Humboldt-Universität zu Berlin zu heben und zu inszenieren und vermochte die disparatesten Sammlungen wie die der Anatomie und der Archäologie mit Hilfe einer inhaltlich wie darstellenden Idee der gemeinsamen Herkunft zu verbinden. Die Sammlungen wurden hier als eine die Fakultäten vereinigende Zukunft gefeiert. Seitdem fanden an den verschiedensten Universitäten zahlreiche kleinere Ausstellun-
10 Gail Anderson (2004: 1) sieht eine der prominenten Veränderungen darin, dass die Museen sich von »collection-driven institutions to visitors-centered museums« wandeln, also ihre traditionelle Aufgabe des Sammlungserhaltes und der Sammlungserschließung mehr und mehr in den Hintergrund rückt. Diese Äußerung modifizierend, hat zugleich eine Transformation von der disziplinären zur multi-disziplinären Ausstellung stattgefunden. 11 Zu den originären Orten vgl. beispielhaft die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle (Müller-Bahlke 1998).
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gen statt, die dieses Potenzial einer unter dem Etikett ›Kunst und Wissenschaft‹ firmierenden Vereinigung zu nutzen verstanden.12 Das ältere und bis dahin traditionelle Modell der Jubiläumsausstellung, bei dem ein historisches Gründungsdatum den Anlass bot, die Errungenschaften und Verdienste der Universität, seine zum Teil jahrhundertealten Preziosen einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen, wurde damit programmatisch abgelöst. In neuerer Zeit herrschte das gestaltungsleitende Bild der Kunst- und Wunderkammer als einem die Geistes- und Naturwissenschaften sowie Technik vereinigenden Ort vor. Hier waren das Zusammenspiel der verschiedensten Objekte in direkter Nachbarschaft und die visuellen Brücken, die ein solches Arrangement bereithielt, maßgebend. Die beiden, von dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp (1994: 110) aufgeworfenen Begriffe dafür lauteten »Assoziation« und »Zufall«: »Assoziation« kennzeichnet das Verhältnis der verschiedenen Objekte zueinander und das Potenzial, das sie besitzen, wenn aus ihrer Zusammenstellung Neues entsteht. »Zufall« verdeutlicht das Ungerichtete des Arrangements von Bildern und Objekten. Die Kunstkammer, verstanden im Kontext der sich in den 1990er Jahren formierenden Bildwissenschaft, entwickelte sich zu einer leitenden Metapher, die durch eine disparate Zusammenstellung von Objekten, ihre bloße Häufung oder ihre serielle (An-)Ordnung umgesetzt wurde. Sie bildete nicht zuletzt den Hintergrund für die ebenfalls in den 1990er Jahren entwickelten und seitdem fortgeführten Schaudepots und Schaulager.13 Rückblickend auf diese Ausstellung ist festzuhalten, dass ihre inhaltliche und präsentationstechnische Metapher der Kunst- und Wunderkammer einen wichtigen Einstieg in die Universitätssammlungen bildete. Seitdem wurden diesen Sammlungen zahlreiche Studien gewidmet, die ein differenzierteres Sammlungsgeschehen zum Vorschein brachten. Was 2000 noch so neu war, dass man Sammlungen wie Kustoden selbst in einem gewaltigen Kraftakt bewunderungswürdig unter einen Hut zu bringen verstand, entspricht heute nicht unbedingt dem aktuellen Präsentationsmodell dieser besonderen Kategorie der Sammlung. Es gibt nicht ›die‹ Universitätssammlung, sind ihre 12 Dies zuletzt im Sommer 2007 an der Universität Erlangen-Nürnberg (Andraschke/ Ruisinger 2007). 13 Vgl. etwa das Schaudepot des Museums für Angewandte Kunst in Wien (www.mak. at/sammlung/f_schausammlung.htm (letzter Zugriff: 15.4.2008)) oder das 1999 eingerichtete Übermaxx im Überseemuseum Bremen (www.uebersee-museum.de/ Schaumagazin_Uebermaxx.html (letzter Zugriff: 15.4.2008)). Erste Beispiele für Schaudepots, etwa am Museum of Anthropology der University of British Columbia in Vancouver, reichen zurück bis in die 1970er Jahre. Eingeführt wurden sie damals als Versuche einer Demokratisierung musealer Präsentationen.
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Hintergründe, ihre Präsentationsgeschichte, ihre Inhalte und ihre Nutzungen doch so verschieden als irgend möglich. Dies aber macht sie so interessant für die Forschungsverbindung von Sammeln als wissensgenerierender Tätigkeit. Die in jüngster Zeit erfolgte Neudefinition des Museums/der Sammlung als Erkenntnisort – für zeitgenössisches wie für historisches Wissen – wäre ohne den Blick auf die Kunst- und Wunderkammer nicht so schnell erfolgt, doch ist gerade in diesen Sammlungen mehr zu entdecken als ein befruchtendes Nebeneinander disparatester Objekte.
3. MEDIENWECHSEL Blickt man auf die Beweggründe, die zu einer heutigen inner- wie außeruniversitären Aufmerksamkeit für die Relikte der Lehre und Forschung führen, so wird schnell deutlich, dass dabei die Möglichkeiten der Digitalisierung, also die Medienentwicklung, eine entscheidende Rolle spielen. Noch nie waren in so kurzer Zeit so viele Medienbrüche und -wechsel zu verzeichnen wie in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren. Diese Wechsel produzierten nicht nur immer mehr Instrumente und andere Objekte, sondern lassen die Räume der Universität geradezu in einer Objektschwemme versinken. Auch um 1900 füllten sich die Lehr- und Forschungsschränke sprunghaft. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war die Lehrmittelproduktion enorm angestiegen, neue Visualisierungs- und Materialverfahren (etwa die Herstellung von Wachsmodellen für die Anatomie) wurden umgesetzt und in Serie produziert (vgl. Hopwood 2002). Auch damals gab es mitunter Kapazitätsprobleme, doch über allem lag die Hoffnung einer aufstrebenden Wissenschaft, die immer besser zu visualisieren und damit zu ›vermehren‹ sei. Heute dagegen stehen der zeitliche Verfall und der mediale Wandel der Forschungs- wie Lehrobjekte und damit ihre Historisierung im Vordergrund. So gab es beispielsweise bis vor zwei, drei Jahren zahlreiche Kunsthistoriker, die das klassische Dia und seine Projektion der Powerpoint-Präsentation vorzogen. Nachvollziehbar begründet wurde diese Auffassung damit, dass die Powerpoint-Präsentation noch nicht das Niveau des Dias erreicht habe, das immer noch das exaktere Zeigemedium sei. Diese Meinung hat sich indes grundlegend geändert: Inzwischen greifen selbst hartnäckigste Fachvertreter auf die digitalen Möglichkeiten zurück. Was soll nun, so fragen sich nicht nur zahlreiche kunsthistorische Seminare, mit den Tausenden Dias und ihren Leuchtkästen und Leuchtschränken geschehen? Ein anderes Beispiel: Für die Pathologie spielt der Objektträger aus Glas eine bedeutsame Rolle. Feinste Gewebeschnitte werden angefertigt, auf den Objektträger aufgetragen, eingefärbt und dienen so der eingehenden Untersuchung mit Hilfe des Mikroskops. Heute werden die fertigen Schnitte anschließend digitalisiert und damit zur
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näheren Untersuchung auf dem Computer verfügbar gemacht. Der Objektträger selbst wird, wenn überhaupt, für eine kurze Zeit archiviert und danach entsorgt. Tausende alter, noch bestehender und bereits archivierter Objektträger, die bisher als notwendige materiale Referenz galten, wurden magaziniert, stehen heute aber zur Disposition. Die angeführten Medienwechsel in Forschung und Lehre haben dafür gesorgt, dass die Erinnerung an das, was noch vor fünf Jahren als Lehrmittel eingesetzt wurde, mehr und mehr verblasst. Ein Historisierungsprozess der materialen (Forschungs-)Welt hat eingesetzt, für dessen Behandlung es noch keine adäquate Lösung gibt. Wie können differenzierte Kriterien dafür gefunden werden, was archiviert werden soll und was nicht? Die Wissenschaftsgeschichte der letzten beiden Jahrzehnte hat uns gelehrt, dass kleine Notizbücher oder ein altes Reagenzglas im Nachhinein eine ungeheure Bedeutung erlangen können – nicht nur als Forschungsreliquie, sondern vor allem als aussagekräftige Quelle für eine zu rekonstruierende Forschungspraxis. Doch wie sollen wir heute entscheiden, ob zum Beispiel der E-Mail-Verkehr eines bestimmten Wissenschaftlers von Bedeutung sein wird? Während das Museum einen Rahmen des Bewahrens, des Deponierens und Exponierens vorgibt, ist die Aufgabe der Objekte in der Universität ursprünglich, bevor sie zugleich als museale Artefakte entdeckt werden, eine grundlegend andere: Auch hier werden Objekte archiviert und deponiert, doch sind sie in den Kreislauf der Lehre und Forschung, die beiden genuinen Aufgaben der Universität, eingebunden. Im Vordergrund stehen vor allem ihre Qualitäten als didaktisches Anschauungsmaterial und als Forschungsgrundlage. Das primäre Interesse an den Objekten ist ein aktuelles, gegenwärtiges und nicht, wie in den Museen, ein historisches. Hinzu kommt, dass es weniger um ein Sammlungskorpus geht, das man mit Hilfe von Erwerbungen zusammenzustellen oder zu ergänzen sucht, sondern vielfach um heterogene Sammlungen, die sich z.B. aus dem Ankauf einer fertigen Serie (z.B. Lehrmittel) oder aus dem Forschungsprozess oder Arbeitszusammenhang selbst ergeben haben: Wenn in einer universitären Augenklinik eine Sammlung von ›Fremdkörpern‹ um die Jahrhundertwende zusammengestellt wurde, dann geschah dies nicht um der Sammlung selbst willen, sondern weil die aus den Augen herausoperierten Kleinteile als Demonstrationsstücke für die Studenten beiseite gelegt wurden. Erst mit dem zeitlichen Abstand von nunmehr fast 100 Jahren sind die erst kürzlich wieder aufgefundenen Döschen mit den Holzsplittern, Eisenspänen und Kuhhornstücken in einen museumswürdigen Zustand eingetreten. Dieser zeitliche Abstand sowie der digitale Medienumbruch bringen Objekte zu Bewusstsein, die zuvor nicht als museal galten und auch nicht zu diesem Zweck angeschafft oder gepflegt wurden. Die Objekte universitärer Sammlungen unterliegen einer permanenten und in neuerer Zeit verstärkten
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Bedeutungsumwandlung, die sie von Lehr- und Forschungsmaterialien zu historischen Sachzeugen macht: Heute stehen sie für die Geschichte der jeweiligen Bildungseinrichtung, sind Zeugnis einer (vergangenen) handwerklichen Meisterschaft oder geben Auskunft über die Geschichte der Wissenschaften.14 Faszinierend daran ist, dass die Objekte (noch) gleichzeitige Bedeutungen besitzen können: Manche von ihnen sind nach wie vor in der Lehre eingebunden, während sie andernorts von Kulturhistorikern bereits als museumswürdig angesehen und in Vitrinen geschützt werden. Dieses Changieren in der gegenwärtigen Situation macht sie aufregend und wertvoll: aufregend, weil man an ihnen die Entstehung des Historischen in seinen Facetten beobachten kann; wertvoll, weil sie zu zahlreichen Forschungsmöglichkeiten Anlass geben, die durch die brüchigen und sich permanent wandelnden Bedeutungsebenen der Dinge erst zu Bewusstsein kommen.
4 . N E U E K O N S T E L L AT I O N E N – N E U E F R A G E N Die sich gegenwärtig vollziehende Entwicklung universitärer Objekte macht deutlich, welche besondere Verbindung zwischen Wissenschaft und Museum, Wissen und Ausstellungswesen besteht: (1.) Indem die Universität mehr denn je mit digitalen Optimierungsprozessen konfrontiert ist, werden in einem bisher nicht gekannten Ausmaß Dinge und Räume historisiert und musealisiert.15 Eine Dezentralisierung des Museumsgedankens setzt damit ein: Nicht alle Dinge, die bewahrenswert erscheinen, können in ein Museum außerhalb der Universität gegeben werden, und es müssen Möglichkeiten der Speicherung und Präsentation innerhalb der Institution, die kein Museum ist, gefunden werden. Dies entspricht der Entwicklung, dass immer mehr Teile unseres Alltags in museale und um jeden Preis zu erhaltende Stätten umgewandelt werden.16 Die typischen Wissensräume der Moderne, wie etwa das Labor, das sich vor allem durch seine Form, spezielle Einbauten und seinen Anspruch auf Reinheit auszeichnet, haben ihren besonderen Ort innerhalb eines architektonischen Komplexes und entfalten ihre authentische Wirkung vor allem durch den sie umgebenden Kontext. Wie aber 14 Zu Handwerkskunst und Kennerschaft vgl. jüngst Sennett 2008. 15 Vgl. zuletzt die Diskussion von Philipp Blom und Christoph Türcke in der ZEIT, Januar 2008; in Bezug auf Wissenschaftsmuseen vgl. Macdonald 1998: v.a. 14. 16 Vgl. dazu Karp u.a. (2006: 2), die argumentieren, dass außerhalb des Museums mehr und mehr musealisierende Tendenzen zu beobachten sind, »museological processes that can be multi-sited and ramify far beyond museum settings«; vgl. auch Korff (2002: 126-139) über die De-Institutionalisierung von Museen.
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lassen sich Spuren des Historischen in Räumen konservieren, die schlicht zeitgenössischen Bedürfnissen angepasst und deshalb umgebaut werden müssen? Klassische Fragestellungen der Institution Museum, wie die nach der Bewahrung, Katalogisierung und Speicherung, stellen sich heute für zahlreiche Lebens- und Arbeitsbereiche, ohne dass darauf eine befriedigende Antwort zu finden ist. (2.) Dadurch, dass es sich vielfach um Objekte aus der seriellen Fertigung (Lehrmittel, Möbel etc.) handelt oder aber die wissenschaftlichen Fertigungsverfahren im Laufe des 19. Jahrhunderts standardisiert wurden (vgl. das Beispiel der Objektträger), existieren an vielen Universitäten ähnliche, nahezu identische Objekte. Ihre Entdeckung als historisch bedeutsam setzte Ende des 1990er Jahre ein, und sie wurden als fremdartig, neu und faszinierend erfahren. Nach nunmehr 15 Jahren Rezeptionsgeschichte in Publikationen und Ausstellungen ist dies nicht mehr der Fall, und es stellt sich die Frage, welche Bestände aufbewahrt werden sollen. Neben Erhaltungszustand und Konservierungs- und Unterbringungsmöglichkeit spielt die Frage der Häufigkeit der Objekte eine große Rolle. Bezogen auf die Sammlungen hieße das, dass einerseits eine abgestimmt Profilbildung erfolgen muss, die ganze Objektkonvolute außer Acht lässt und andere dafür bis in die kleinsten Verzweigungen hinein dokumentiert und aufbewahrt, sowie andererseits die Objekte im Zentrum stehen, die im Kontext einer lokalen Wissenstradition generiert und weitergegeben wurden. (3.) Durch die Entdeckung besonderer, aber sich gleichender Objekte an vielen Orten universitären Arbeitens entstand der unhinterfragte Eindruck, diese Objekte hätten einen historischen und damit auch einen Darstellungswert, der sich unmittelbar in eine Ausstellung umsetzen ließe. Die Universität, die nicht zu einer der traditionell prominenten Ausstellungs- und Präsentationseinrichtungen zählen kann, versuchte und versucht diese Art der Zurschaustellung unter dem wissenschaftspolitischen Druck der Rechtfertigung ihres Tuns zu nutzen und veranstaltet Ausstellungen. In kleinerem Maßstab hat sie dies immer getan, doch musste sie sich nicht mit den klassischen Ausstellungs- und Museumsorten messen. Dies ist heute anders: Durch die zahlreichen thematischen Ausstellungen der letzen zwanzig Jahre, die in vielen Fällen losgelöst von einem Museum oder einer Sammlung unternommen wurden, haben sich hohe Anforderungen an die Präsentation und die Inszenierung der Objekte entwickelt (Schwarz/Teufel 2001). Anders aber als die thematischen Ausstellungen, die zumeist mit sehr hohen Budgets ausgestattet waren und sind, ist an einer Institution wie der Universität bisher für professionelle Ausstellungsprojekte kein Geld vorhanden (vgl. Krümmel 2004).
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Eine museale Kultur ist nicht mehr allein im Museum zu finden. Fachliche Expertisen, die ehedem vor allem dem Museum vorbehalten waren – ein kennerschaftliches Verhältnis zum bewahrten, historischen Objekt, die Inventarisierung und Katalogisierung von materieller Kultur, der Aufbau eines Depots sowie Präsentationen für ein breites Publikum – entwickeln sich auch im Rahmen anderer Institutionen. Diese Institutionen – hier wurde das Beispiel der Universität beschrieben – stehen zwischen den funktionalen Aufgaben einer thematischen Ausstellung und eines Museums. Damit müssen sie zwei einander nahezu ausschließende Anforderungsprofile des Bewahrens und des Präsentierens verbinden. Denn das Museum schließt nicht mehr ohne weiteres das Deponieren und das Exponieren in sich ein, zumindest dann nicht, wenn das gegenwärtige Ausstellen vor allem als ein thematisches Ausstellen im Sinne Harald Szeemanns (1981: 23) verstanden wird: Der junge Beruf des ›Ausstellungsorganisators‹ verselbständigt »sich vom Konservator, indem er eindeutig gegen die Wissenschaft für die Künstler Partei ergriff, und in letzter Zeit wird er immer mehr zum Verwalter der Idee des Gesamtkunstwerks«.17 Thematische Ausstellungen sind – wie bereits angeführt – insofern gegen den Konservator gerichtet, als sie in den wenigsten Fällen einen Sammlungsbestand aufarbeiten oder innerhalb eines disziplinär ausgerichteten Objektbestandes verbleiben. In diesem Dilemma befinden sich heute auch all jene Orte außerhalb des Museums, an denen eine materielle Kultur umdefiniert und aufbewahrt wird. Doch diese Orte benötigen die Kompetenz des Museums, nämlich die jahrhundertealte Erfahrung des Speicherns, Inventarisierens und Deponierens. Dies soll nicht heißen, dass die Institution Museum heute nicht vor dem gleichen unauflösbaren Dilemma der Objektvielfalt stünde, doch stellt sich hier die Frage des Aufbewahrens bereits seit längerem. Umgekehrt besitzen Universitätssammlungen und wissenschaftliche Objektbestände im weitesten Sinne das Potenzial zu einer ambivalenten Offenheit. Wenn wir uns die Definition einer Sammlung durch den Historiker Krzysztof Pomian (1988) vor Augen führen, dann handelt es sich bei ihr um jede Zusammenstellung natürlicher und künstlicher Gegenstände, die zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten werden. Für die Universitätssammlungen könnte man konstatieren, dass sie zeitweise oder ganz aus dem Zyklus der Wissensproduktion, mithin aus Forschung und Lehre herausgehalten werden. Universitätssammlungen wollen Wissen vermitteln, sie sind aber vor allem dazu geeignet, nach den Herstellungsweisen von Wissenschaft zu fragen. Und hier liegt ihr Potenzial in der Gleichzeitigkeit ihrer Zustände: Historisch zu 17 Vgl. zu diesem Komplex auch Krümmel 2004 sowie Korff (2002: 175) über die Autorität des Kurators.
Anke te Heesen £Objekte der Wissenschaft: Eine wissenschaftshistorische Perspektive
sein und aktuell eingebunden zu werden. Es ist deshalb keine bessere Schnittstelle für die Vermittlung und Sichtbarmachung einer sich rasant ändernden materialen Wissenschaftskultur denkbar. Die brisanteste aller Fragen ist dabei, welche zukünftige Wissenschaftsgeschichte mit der heutigen Auswahl der aufbewahrungswürdigen Objekte und Dokumente festgelegt wird. Will man der aktuellsten und wichtigsten Verbindung von Wissensproduktion und Wissensdarstellung nachgehen, muss man hier beginnen.
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DAS MUSEUM
ALS Ö F F E N T L I C H E R R AU M I N D E R Volker Kirchberg
S TA D T 1
In den letzten Jahrzehnten wurden die großen neuen Museen zu den Stars einer erfolgreichen Stadtentwicklung. Wo es einem Architekten in früheren Zeiten als die Krönung seines Schaffens galt, Kathedralen zu bauen, so werden heute Museen als Höhepunkt des architektonischen Oeuvres betrachtet. Warum werden Museen so sehr als Faktor der wirtschaftlichen, planerischen und kulturellen Entwicklung von Städten gesehen? Was sind die städtischen Funktionen, die hinter diesem Faktor stehen? Im Laufe der letzten Jahre wurden mögliche Funktionen mal hier, mal da in der sozial- und museumswissenschaftlichen Literatur erwähnt, eine Klassifizierung fiel aber schwer. Dies soll hier vorgenommen werden. Die Funktionen von Museen in der Stadt werden dabei nach dem dreigeteilten Raumkonzept Firstspace, Secondspace und Thirdspace und nach dem dichotomen Gesellschaftskonzept von manifesten und latenten Funktionen unterschieden. Durch diese multidimensionale, Raum und Gesellschaft zusammenführende Perspektive erhält man einen guten Einblick in die Komplexität der gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sich Museen in der Stadt befinden – und erforschen lassen. Der amerikanische Stadtgeograph Edward W. Soja betont die Explikation der Mesoebene als einen wichtigen, empirisch fassbaren Raum zwischen Makroprozessen und Mikrohandlungen (Soja 2000). Stadträume sind danach nicht nur Folgen gesellschaftlicher Bedingungen, sondern immer auch Ursachen dieser Strukturen. Stadtraum ist darum nicht nur passive Bühne, sondern auch Auslöser, Akteur gesellschaftlicher Strukturierung: »This inherent, contingent, and complexly constituted spatiality of social life (and of history) must be persistently and explicitly stressed.« (Soja 2000: 8). Das Museum ist ein solcher Stadtraum auf den drei Ebenen des First-, Second- und Thirdspace.
1 . Z U R K L A S S I F I K AT I O N
DER
FUNK TIONEN
1.1 Firstspace-, Secondspace- und Thirdspace-Funktionen
Die erste Ebene des Stadtraums nennt Soja Firstspace: Sie entspricht der traditionellen Deutungsweise von Stadträumen. Firstspace ist das materialisier-
1
Dieser Artikel beruht auf einer umfangreich editierten und aktualisierten Fassung der Kapitel 3 bis 5 (Kirchberg 2005) zur mesosoziologischen Perspektive gesellschaftlicher Museumsfunktionen.
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te Produkt geplanter und ungeplanter physischer und sozialer Praxis, das wir unmittelbar wahrnehmen und das uns durch den Raum lenkt. Die zweite Ebene, der Secondspace, betont die mentale Vorstellung, also das Image des Stadtraums in einem kognitiven, affektiven und emotionalen Sinne. Diese mentale Vorstellung von Stadt ist dabei nicht das genaue Abbild physischer Realität, sondern die Vorstellung von und die Erwartung an Stadträume. Die empirische Fassbarkeit dieser Stadtperspektive ist weitaus schwieriger, weil sie subjektiv und mangels physischer Evidenz kontingent ist. Trotzdem ist auch diese Perspektive Gegenstand empirischer Forschung. Soja fügt eine dritte Ebene, den Thirdspace, hinzu. Diese Ebene umfasst die Beschreibung und Analyse der politischen Arena der städtischen Gesellschaft, die Interpretation und Bewertung politischer Akteure und ihrer politischen Produkte. Hier wirken einerseits historische, politische, ökonomische, ökologische und ideologische Prozesse auf den Stadtraum und anderseits wirkt die Gestaltung des Stadtraumes auf die Gestaltung des politischen Lebens, auch auf die Unterscheidung von öffentlichen und privaten Räumen. Stadträume des Thirdspace sind als Ursachen und Folgen politischer Prozesse Bestandteil der Epistemologie der Stadt, auch wenn sie nicht direkt messbar sind. 1.2 Manifeste und latente Funktionen
Der zweite Weg zur Klassifizierung der Funktionen von Museen in der Stadt ist ein genuin soziologischer. Er beruht auf Robert K. Mertons Unterscheidung in manifeste und latente Funktionen in der Gesellschaft. Funktionen sind hier Konsequenzen, mit denen sich Gesellschaftssysteme fl exibel an Veränderungen der Umwelt anpassen, aber sich auch dagegen wehren können. Dabei unterscheidet Merton (1957: 51) manifeste Funktionen, die bewusst beschlossen und öffentlich dargelegt werden, und latente Funktionen, die nicht bewusst sind oder nicht öffentlich dargelegt werden. Latente Funktionen sind dabei nicht immer identisch mit nicht-antizipierten Konsequenzen des Handelns, sondern können auch zum Beispiel von einer Elite verdeckt als funktionale Konsequenzen gewollt werden. Als Beispiele für manifeste Funktionen nennt Merton die statusdistinktive Konsumweise der Reichen oder die Bestrafung abweichenden Verhaltens als Strategie, dieses Verhalten in Zukunft zu unterdrücken. In beiden Fällen besteht die latente Funktion in der inneren Festigung der Gruppenzusammengehörigkeit. Im Rahmen seiner Handlungstheorie sind latente Funktionen eher als manifeste Funktionen Handlung steuernd.
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
1.3 Ein erster Überblick: Funktionen von Kultur und Museen in der Stadt
Generell werden die Funktionen der Kultur in der Stadt bisher nach drei Kategorien unterschieden, »Wirtschaftsförderung« (direkte und indirekte ökonomische Wirkung, Standortstärkung), »Stadtplanung« (Raumordnung, Raumstrukturierung, räumlich-soziale Segregation) und »Statussymbolisierung« (Distinktion, Identitätsbildung, Urbanität) (Kirchberg 1992: 11-33). MayerDallach (1994: 87) beschreibt urbane Kulturen weiter nach den Funktionen Musealität und Bewahrung (für die hohe Kultur), Lebensraum und Teilöffentlichkeit (für die gemeinschaftsorientierte Kultur), Avantgarde und Alternative (für die alternative Kultur) sowie urban imagery (für die Ausprägungen der kommerziellen Kultur), wobei er zwischen allen Teilsystemen Widersprüche und Spannungen, d.h. soziale und politische Kämpfe um limitierte Ressourcen, postuliert. Klein (1996: 159-161) differenziert Stadtkultur nach unterschiedlichen Interessen sowie nach Mustern der Kulturpartizipation, wie der Kommerzialisierung, der Event-Orientierung und der kulturellen Virtualisierung des Stadtlebens. In den letzten zwanzig Jahren haben städtische Einrichtungen (kommunale und Landesbehörden, Tourismus- und Stadtmarketing-Stellen, unternehmerische Verbände, Immobilien-Unternehmen und lokalen Medien) und Einzelpersonen (Politiker, Geschäftsleute und Interessensvertreter der städtischen Kultur) zunehmend die Bedeutung der Kultur in der Stadt und für die Stadt betont. Dabei werden allerdings die Inhalte der Kultur nur noch selten in die Diskussion eingebracht, sondern es wird vor allem die Außenwirkung, also ein spezifischer externer Nutzen, für die Stadt manifestiert. Über die letzten Jahrzehnte ist die Zahl externer manifester Funktionen von Kultur trotz der großen Publizität relativ klein geblieben – von Dekade zu Dekade wurden allerdings andere Schwerpunkte gesetzt. Nachdem noch bis Anfang der 1980er Jahre die Funktion der Bildungspolitik an der Spitze der gesellschaftsbezogenen Thematik stand, wurden danach allein ökonomische Effekte herausgestellt. Selbst die in den achtziger Jahren begonnene gesellschaftliche Diskussion um den Museumsbesuch als elementaren Teil der Lebensstil-Gestaltung bezog ihre politische Relevanz vor allem aus volks- oder betriebswirtschaftlichen Erwägungen (Einführung des Marketings in Kultureinrichtungen). In dieser Zeit wurde die Legitimität staatlicher Kultursubventionen erstmals in Frage gestellt und neue Begründungen für staatliche Förderungen gesucht. Auch hier wurden wieder in erster Linie externe wirtschaftliche bzw. fiskalpolitische Legitimationen formuliert. Diese Konzentration der kommunalpolitischen Diskussion auf die Wirtschaft zeigt, wie eindimensional Kultur in der Stadt manifest instrumentalisiert wird.
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Aber viele Kultureinrichtungen, auch und gerade Museen, haben diese Instrumentalisierung nicht nur lange Zeit ohne Widerspruch geschehen lassen, sondern sie aus der Alltagsarbeit ausgeblendet. Die einzige Adaption an die neue gesellschaftliche Realität war, so Treinen (1990), eine zunehmend erlebnisorientierte Ausrichtung. Museen wurden aufgefordert, als pseudokommerzielle Unternehmen Bedürfnisse wirtschaftlich profitabler Zielgruppen zu befriedigen. Soziale oder bildungsbezogene Aufgaben traten hingegen im Deutschland der 1980er und 1990er Jahre in den Hintergrund. Dass Museen im städtischen Kontext aber auch andere als ökonomische Funktionen haben können, zeigt Großbritannien Anfang der 1990er Jahre. Exemplarisch dafür stehen die Funktionslisten von Dudbury und Forrester (1996) und Ambrose und Paine (1993). So zählen Dudbury und Forrester (1996) sechs manifeste Funktionen der städtebaulichen Instrumentalisierung neuer Museen in Liverpool auf, die man dem First-, Second- oder Thirdspace der Stadt zuordnen kann. Sie werden in der Tabelle 1 zusammengefasst. Tabelle 1: Funktionen von Museen in der Stadt nach Dudbury und Forrester (1996) Manifeste Primärfunktionen Erstens werden Museen zur konkreten Entwicklung vernachlässigter Stadtteile eingesetzt, als Katalysatoren zur Steigerung der Attraktivität für Büro-, Wohnungs- und Freizeitnutzungen in diesen Ortsteilen.
Diese Funktion kann dem Firstspace zugeordnet werden.
Zweitens werde durch (neue) Museen die lokale Ökonomie gefördert. Dies geschehe indirekt durch die Umwegrentabilitätserträge des Museumsbesuches für die Kommune durch Touristen, die einkaufen, reisen und Hotels buchen, und dadurch auch direkt die lokale Bauindustrie ankurbeln und Arbeitsplätze in den Museen und in den Zulieferbetrieben schaffen.
Die ökonomische Instrumentalisierung findet im und mit dem Firstspace statt.
Drittens müssen sich die Museen als Teil des Freizeitmarktes verstehen und entsprechend ihr Angebot auf die Konkurrenz einstellen.
Diese Einstellung bezieht sich auf den Firstspace.
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt Manifeste Sekundärfunktionen Viertens solle das nationale Erbe Liverpools durch den Aufbau dieser Museen bewahrt werden. Die großen Museen Liverpools seien als Leuchttürme Repräsentationsobjekte der Stadt und Wahrzeichen mit überregionaler Imagewirkung.
Hierbei handelt es sich um eine Funktion im Secondspace.
Fünftens solle das öffentliche Verständnis für Kultur und Geschichte durch Vermittlungsleistungen der Museen gefördert werden.
Diese politische Aufgabe im Rahmen der Identifikationsfunktion von Museen gehört in den Thirdspace.
Sechstens wird der Nutzen der Outreach-Programme für Bewohner betont, die noch nie ein Museum besucht haben, und nun durch die Attraktivität der neuen Museen dazu verleitet würden, diese Räume auch zu ihren öffentlichen Räumen zu machen
Das politische Ziel des sozialen Outreach und der Erschließung von Museen als öffentliche Räume lässt diese Funktion im Thirdspace verorten.
Dudbury und Forresters Museumsfunktionen können relativ eindeutig nach First-, Second- und Thirdspace geordnet werden; dagegen können Ambrose und Paines Museumsfunktionen besser nach manifesten und latenten Funktionen klassifiziert werden.2 Ambrose und Paine (1993: 9-11) stellen ihre Liste städtischer Funktionen von Museen in erster Linie als Argumentationsbasis für die Einforderung staatlicher Subventionen auf. Man müsse dabei verschiedene manifeste und latente Vorteile für verschiedene Gruppen unterscheiden. So erwarteten Museumsbenutzer aus multikulturellen Zusammenhängen, dass sie in Museumsausstellungen stärker repräsentiert würden bzw. bei Ausstellungsplanungen aktiv mitwirken könnten. Dazu gehöre auch, nicht passiv durch Ausstellungen geführt zu werden, sondern interaktiv daran beteiligt zu sein. Dagegen stehe aber u.a. das Interesse lokaler Eliten, Museen als hochkulturelle Repräsentationen zu verstehen. Diese unterschiedlichen Funktionen korrelieren also mit unterschiedlichen, manifesten oder latenten Vorteilen für unterschiedliche Gruppen der städtischen Bevölkerung. 2
Die Zuordnung nach First-, Second- und Thirdspace sowie nach manifesten und latenten Funktionen habe ich aufgrund von Dudbury und Forresters bzw. Ambrose und Paines Aussagen vorgenommen.
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Offensichtlich können diese Funktionen nicht alle gleichberechtigt erfüllt werden, sondern werden aufgrund der unterschiedlichen Macht der Interessensgruppen mal mehr, mal weniger eingelöst. Dabei lassen sich latente Interessen meistens als mächtiger einschätzen als manifeste. Museumskultur in der Stadt ist grundsätzlich nicht autonom. Museen können zum Beispiel nicht gleichzeitig die politischen und ökonomischen Wünsche lokaler Eliten und die Wünsche räumlich-kollektiver Identitätsbildung innerstädtischer Minderheiten erfüllen. Letztendlich bestimmt doch die politische Macht lokaler Eliten (in Form finanzieller Abhängigkeiten) Größe, Form und Inhalte und damit die städtischen Funktionen von Museen. Ambrose und Paine (1993: 17) meinen allerdings, die Antagonismen dieser Hegemonialstrukturen entschärfen zu können. Sie berufen sich dabei auf die demokratisierende Wirkung der ›unsichtbaren Hand‹ des Marktes. Ihrer Meinung nach könnten sozial bewusste Funktionsausrichtungen und ökonomische und stadtmarketing-orientierte Instrumentalisierungen auf dem diversifizierten Markt der Stadt friedlich koexistieren. Dieser optimistischen Prognose von Ambrose und Paine (»der Markt wird es richten«) wird sich hier nicht angeschlossen. Die friedliche Koexistenz sozial divergierender städtischer Funktionen (zum Beispiel im Rahmen einer auf gleichberechtigte Kooperation ausgelegten kommunalen Museumsstrategie) scheint mir angesichts gruppenspezifischer Erwartungen an Museen zweifelhaft. Das Dilemma städtischer Museen liegt darin, entweder ein breites öffentliches Programm für ein heterogenes Publikum mit heterogenen Erwartungen marktgerecht zu gestalten und dabei in die Gefahr der Beliebigkeit zu geraten oder ein spezifisches antihegemoniales soziokulturelles Programm für eng definierte innerstädtische (benachteiligte) Bevölkerungsgruppen anzubieten und dabei in die Gefahr zu geraten, mit dieser Zielgruppeneinengung ›private‹ Museen zu schaffen. Tabelle 2 fasst Ambrose und Paines Funktionen von Museen in der Stadt zusammen.
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
Tabelle 2: Funktionen von Museen in der Stadt nach Ambrose und Paine (1993) Soziale Vorteile Verbesserung lokaler Lebensqualität durch erweitertes kulturelles Angebot
Soziale Vorteile sind meistens manifeste Funktionen
Bestätigung und Versicherung des kulturellen und historischen Erbes Unterstützung von Bildungsorganisationen, insbesondere Schulen Fokus des lokalen Lebens, Zentrum kultureller Erfahrungen Ort eines aktiven kommunalen Lebens und ehrenamtlicher Gemeinwesenarbeit Ort kultureller Ereignisse und Erlebnisse (Stadtfeste, Stadtjubiläen) Ort der Konkretisierung lokaler Identität Ökonomische Vorteile Positive Imageschaffung in der Wirtschaftsregion Alternativen zu traditionellen Wirtschaftsbranchen aufweisen Ort der Aufklärung über lokalen wirtschaftlichen Wandel Direkte Wirtschaftsförderung durch direkte Erträge und Arbeitsplätze Indirekte Wirtschaftsförderung durch Kulturtourismus (Umwegrentabilität) Aufbau neuer Servicebranchen und des Tourismus am Ort Entwicklung neuer und Stärkung alter Stadtzentren
Diese ökonomischen Vorteile sind meistens manifeste Funktionen
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Stadterneuerung zum Zwecke ökonomischer Profite für die Stadtentwickler
Diese ökonomischen Vorteile sind meistens latente Funktionen
Investionsattraktor zugunsten überlokaler (aber nicht lokaler) Unternehmen, Agenturen und Partnerships Verbesserung der Arbeitslosenstatistik durch Teilzeitarbeit im Rahmen staatlicher Beschäftigungsprogramme Konsumankurbelung mittels attraktiver Kulturangebote (Urban Entertainment Center) Politische Vorteile Unterstützung lokaler Regierungen durch Schaffung lokaler Identität
Politische Vorteile sind meistens latente Funktionen
Schaffung und Ausbau von Museen symbolisieren ökonomischen und politischen Fortschritt Positive Repräsentation lokaler staatlicher und privater Macht
Die erste Strategie betont den ›Alltagsmenschen‹ als Zielgruppe und ignoriert damit – in einer notgedrungenen Standardisierung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner – das existente soziale Ungleichgewicht zwischen kulturellem Angebot und Nachfrage. Dieser standardisierte, breitenwirksame Museumstyp möchte möglichst viele Bewohner des städtischen Einzugsgebietes erreichen und muss deshalb spezifische Zielgruppen vernachlässigen. Die zweite Strategie eines von vornherein zielgruppenbezogenen Programms ist immer politisch konnotiert. Entweder versucht man, antihegemonialen Ansprüchen einer subkulturellen und/oder sozial schwachen Gruppe (zum Beispiel der Bevölkerung vernachlässigter Stadtteile) zu entsprechen oder man orientiert sich an einem Marketingkonzept, das in erster Linie private Finanzierungspotenziale (zum Beispiel wohlhabender Zielgruppen) ausschöpfen will und entspricht damit den hegemonialen Ansprüchen lokaler Eliten. Eine Ausrichtung von Museen gleichzeitig auf hegemoniale und auf antihegemoniale Leitbilder ist nicht möglich. Der Anspruch, öffentlicher Ort für alle Stadtbewohner zu sein, ist nicht vereinbar mit dem Anspruch, spezifische Erwartungen einzelner Gruppen zu befriedigen, seien diese sozial
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
unterprivilegierte Gruppen oder die lokale Elite. Um angesichts einer zunehmenden Segregation der städtischen Gesellschaft noch ein öffentlicher Ort zu sein, muss das Museum sich zielgruppenunscharf ausrichten. Damit setzt es sich der Gefahr aus, beliebig zu sein. Damit verliert das Museum im Sinne Mertons aber die Funktion, über ihre latenten städtischen (also gesellschaftspolitischen) Funktionen systemverändernd zu sein. Zumeist wird die Erörterung diese soziale Funktionalität städtischer Museen vermieden, sie verbleiben also im latenten Bereich; stattdessen erörtert man allein ›harmlosere‹ manifeste Funktionen, wie zum Beispiel bei der physischen Gestaltung (Stadtplanung) des Firstspace. Dazu folgen im nächsten Abschnitt mehr Einzelheiten.
2. MUSEEN
IM
F I R S T S PA C E
Die Instrumentalisierung von Museen im Firstspace zeigt sich unmittelbar in konkreten Veränderungen des physischen Stadtbildes. Die wahrnehmbare Direktheit des Ergebnisses der Stadtgestaltung macht die Einordnung als manifest offensichtlich. Allerdings können mit dieser manifesten Funktion auch latente Funktionen einhergehen. Obwohl in diesem Abschnitt die manifesten Funktionen einer Firstspace-Gestaltung im Mittelpunkt stehen, heißt dies nicht, dass Museen in der Gestaltung physischer Räume keine latente Wirkung haben. Dazu drei Beispiele. 2.1 Das Museumsufer in Frankfurt am Main
Die konkrete städtebauliche Instrumentalisierung von Museen im Firstspace lässt sich in Deutschland am besten an der Entwicklung des Museumsufers in Frankfurt am Main illustrieren. Brauerhoch (1993) zeigt für diese Stadt die Verdrängung des in den 1970er Jahren noch auf soziale Gerechtigkeit Wert legenden städtischen Museumswesens durch eine primär nach städtebaulichen Prämissen aufgebaute Kommunalpolitik. Die Konzeption des neu angelegten Museumsufers und die Museumsarchitektur werde allein von städtebaulichen Zwecken bestimmt – also von einer Gestaltung des Firstspace. Die kommunale Entwicklungsplanung für Museen in Frankfurt kann auf exakte, sehr unterschiedliche Leitbilder zurückblicken. Anfang der 1970er Jahre kam es in Frankfurt zu erster Kritik am affirmativen Charakter der Museen, der von den Besuchern unmittelbar als autoritäre Behandlung empfunden wurde: »Scharen von aus völliger Desorientierung der eigenen Interessen durch die Museen geschleiften Touristen mussten ein kulturelles Bombardement über sich ergehen lassen, wie bei einer Dressur« (Brauerhoch 1993: 37). Die Kommunikation zwischen Museum und Besucher war autoritär und belehrend;
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von einer demokratischen Kommunikation in den Frankfurter Museen konnte nicht gesprochen werden. Diese demokratischen Defizite wurden in den 1970er Jahren von der neuen sozialdemokratischen Kulturpolitik aufgegriffen, um ihnen eine »neue Kulturpolitik« gegenüberzustellen, mit der postuliert wurde, die Museen schichtübergreifend unterschiedlichsten Öffentlichkeiten zu öffnen. Zur Realisierung dieses politischen Postulats musste eine neue Bildungspolitik aktiviert werden. Das Museum wurde zu einem Dienstleistungsbetrieb öffentlicher Bildungsarbeit oder, noch deutlicher, zu einem Lernort »für die Beherrschten, um sich befreien zu können« (Brauerhoch 1993: 39). Dieses Leitbild der Bildungsorientierung der Museen wurde im Frankfurt der 1970er Jahre vor allem durch den Neubau des Historischen Museums nahe dem Römer verkörpert. Dieser Bau war aufgrund seines zentralen Standortes und seiner modernen Offenheit den Besuchern gegenüber ein Beispiel für eine »doppelte Demokratisierung« der Museen, d.h. eine Öffnung nach außen, zur lernwilligen Bevölkerung, und eine Demokratisierung nach innen, zur demokratischen Reorganisation des Museumsapparates. Der Frankfurter Museumsentwicklungsplan Ende der 1970er Jahre entsprach dem Leitbild dieses doppelt-demokratischen Museums. Anfang 1980 wurde dann aber im Auftrag des Frankfurter Magistrats ein Gesamtplan Museumsufer erstellt mit einer Kernstadtzone, die durch die Schwerpunkte Kultur und Freizeit definiert wurde. Museen wurden nun in Frankfurt primär nach ihrer architektonischen Prägnanz und ihrer städtebaulichen Funktion geplant und gebaut. Man wies ihnen Plätze im städtischen Achsensystem zu, damit sie vor allem als physische Ordnungs- und Orientierungshilfen bei der Neugestaltung der Stadt wirkten, insbesondere als städtebauliche Markierungen zur Überbrückung des Mains und als Verknüpfung von Sachsenhausen mit der Frankfurter City (Brauerhoch 1993: 87). Die frühere Idee der doppelten Demokratisierung wurde obsolet. So schreibt der ehemalige Kulturdezernent Frankfurts, Hilmar Hoffmann, 1984 über das Zusammenspiel von Museen und Stadtlandschaft: »[I]n einer Stadtlandschaft kann ein Museum zu einem Erlebnis werden. […] [D]as vielfältige optische Ereignis von Architektur, Ausstellung und genussreichem Environment können sich unverwechselbar mit dem Begriff ›Museumsufer‹ verbinden« (zit. bei Brauerhoch 1993: 92). Das soziale wurde durch das »kulinarische« Leitbild ersetzt. Das Museumsufer wurde zu einer exklusiven Kulturzone mit einer Leitvorstellung vom gehobenen innerstädtischen Wohnen in den am Mainufer angrenzenden Stadtvierteln, mit dem Ziel einer neuen Überschaubarkeit der Stadt und mit der Betonung einer Museumsarchitektur, die durch Star-Architekten entworfen wurde. Brauerhoch (1993) kann als Zeuge herangezogen werden für ein vor allem im Laufe der 1980er Jahre undemokratisch geplantes und gebautes Frankfurter Museumsufer, das in erster Linie über die Stadtkrone-Funktion legitimiert wird.
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In den 1990er Jahren erhalten diese Frankfurter Museen nun eine andere Funktion (im Secondspace, siehe Abschnitt 3.2). Im Zuge der neuen Planungen in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts, bei einer nun wieder besseren Haushaltslage, wird abermals die Funktion dieser Museen für die Gestaltung des Firstspace betont. Die aktuellen Überlegungen zur Umgestaltung des Firstspace können dabei als eine kritische Revision der vergangenen stadtplanerischen Legitimationen bewertet werden. Dies lässt sich am besten anhand von drei Sachverhalten des geplanten Neubaus des Historischen Museums illustrieren, dessen Eröffnung für 2013 vorgesehen ist. Erstens, während dieses Museum bei seinem letzten Neubau in den 1970er Jahren noch als Symbol der neuen Bildungsorientierung (und also auch der doppelten Demokratisierung) gefeiert wurde, gilt er heute vor allem als »unangemessen und ein Zeichen von Brutalismus«, so der der schwarz-grünen Regierungskoalition angehörende Frankfurter Kulturdezernent Semmelroth (nach Rösmann 2007). Einer Demokratisierung durch die Moderne (wie in den 70er Jahren) wird also deutlich widersprochen. Zweitens wird die Neugestaltung des Museum (nach dem Entwurf des Stuttgarter Büros Lederer Ragnarsdóttir Oei) heute stattdessen als physische Blaupause einer neu orientierten demokratischen Raumgestaltung gedeutet. Denn dieser Neubau kreiert einen öffentlichen Platz, von dem aus man durch große Schaufenster auch Exponate des Museums betrachten kann, ohne diesen Bau betreten zu müssen. Laut BDA Hessen (2008) werden damit »neue städtische Räume von hoher Qualität« geschaffen, und »[d]er neue Platz […] lasse zudem eine Sogwirkung […] entstehen, die Besucher geradezu magisch anziehen werde« (Historisches Museum 2008). Drittens fungiert dieser bis jetzt letzte Museumsneubau Frankfurts im Firstspace weitaus zurückhaltender als seine Vorgänger. Er ordnet sich bewusst seiner Umgebung unter, »bezeuge […] den historischen Bauten in seiner Umgebung Respekt […] und [nehme] zugleich die Umgebung am Römerberg ernst« (Alexander 2008). Damit dient der Neubau »der kleinteiligen Bebauung und den öffentlichen Räumen in seiner Umgebung als Rückgrat und Rahmen. […] Sensibel gesellt sich dieses Eingangsbauwerk zu den historischen Häusern« (BDA Hessen 2008). Das Museum als herausragende Ikone wird hier ersetzt durch das Museum als quartiersintegrierende Komponente – für Frankfurt eine deutliche andere Funktion als noch zu Zeiten der Museumsufergestaltung in den 1980er Jahren, aber nichtsdestotrotz wieder eine Funktion im Firstspace. 2.2 Die Museen an den Albert Docks in Liverpool
Der Einsatz von Museen bei der Stadtplanung Liverpools ist mit dem Einsatz bei der Stadtentwicklung Frankfurts vergleichbar. In Liverpool wurden Museen allerdings im Rahmen einer Revitalisierungsmaßnahme am Ufer des
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Flusses Mersey neu angesiedelt, damit sie sich positiv auf die Entwicklung der benachbarten Stadtquartiere auswirkten. Liverpool stellt ein interessantes Fallbeispiel dar, weil hier anders als in Frankfurt die Folgen einer wenig erfolgreichen Transformation einer ehemals im Zentrum einer Weltmacht liegenden und durch den Hafenhandel prosperierenden Stadt zu einem immer noch nach wirtschaftlichen Alternativen suchenden Ort an der europäischen Peripherie deutlich wird. Wie in Frankfurt wird aber auch hier der Einsatz von Museen in der Umgestaltung der ehemaligen Albert Docks als wichtiges Mittel zur städtischen Erneuerung angesehen. Zudem wird hier durch die lokale Presse, Politik und Wirtschaft die manifeste Verwandlung einer Industriebrache zur städtischen Erlebnislandschaft uneingeschränkt bejubelt. Lorente (1996) beschreibt am Beispiel Liverpools die Funktionen von Museen für die Wiederbelebung vernachlässigter Stadtgebiete als Katalysatoren für eine mittelbare Erneuerung umliegender Stadtgebiete. Der Gebrauch bisher ungenutzter Gebäude der industriellen Ära für Museen ist mittlerweile weltweit üblich. Dabei ist die Beteiligung von Immobilieninvestoren und Stadtentwicklungsgesellschaften wichtig. Die Gentrifizierung bisher verwahrloster Gebiete in zentraler Stadtlage – dazu gehören auch die Hafenanlagen ehemals blühender Handelsstädte – ist für diese Unternehmen langfristig rentabel. Aber es sei zu einfach, so Lorente, die Wirkung allein in diesem Sinne betriebswirtschaftlich zu betrachten. Die Ansiedlung der Tate Gallery führte nicht nur zu einer Belebung des hochkulturellen Lebens in Liverpool, sondern auch zu einem Erblühen der städtischen Kunst von Avantgarde bis Popkultur. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Tate Gallery gäbe es jetzt sogar einen Stadtteil mit dem Namen Creative Quarter. Hier bereiteten die Museen der Albert Docks (nicht manifest ökonomisch, sondern latent sozial) den Boden für nach Wohnund Arbeitsräumen suchende ärmere Künstler. Diese Verbesserung setzte unmittelbar nach Eröffnung der Tate Gallery in den Albert Docks ein und war somit nicht nur virtuell, sondern eine reale Verbesserung des urbanen Milieus (Lorente 1996: 49). Allerdings relativiert Lorente diese positive Aussage, wenn er zwischen einer positiv zu bewertenden ersten Aufwertungsphase (durch die Künstler als Pioniere) und der dann folgenden sozial nachteiligen Aufwertungsphase der Gentrifier unterscheidet. Der Trend zur Gentrifizierung mit überteuerten Mieten, die nur noch hochprofitable, homogene Nutzungen zulassen, verringerte auch die ehemals vielfältige urbane Atmosphäre gemischter Angebote aus Läden, Büros und unterschiedlichsten Freizeit- und Kulturangeboten inklusive den preiswerten Wohn- und Arbeitsräumen für Künstler im Umfeld der Albert Docks. Das »urbane Leben« ist außerhalb der Bürozeiten verschwunden: »Das gesamte Albert-Dock-Terrain ist schrecklich dunkel und leer nach 6 Uhr abends.« (Lorente 1996: 52) Somit stößt auch dieser Mitteleinsatz auf deutliche Kritik, denn der Bau der
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Liverpooler Museen erwies sich als räumliche Ausgrenzungsmaßnahme der zumeist armen und ethnisch heterogenen Liverpudlians. Der Einsatz der Museen zur Revitalisierung kann als manifeste Funktion und der Einsatz zur Exklusion der Bevölkerungsmehrheit bei gleichzeitiger Inklusion der lokalen Eliten kann als latente Funktion bezeichnet werden. So erkennt der Stadtforscher Evans (1996) in der Entscheidung für die großen Museen an den Albert Docks vor allem eine politische Instrumentalisierung dieser Museen. Nach der von London per Dekret vorgenommenen Ablösung der linken Liverpooler Stadträte durch die Thatcher-Regierung 1987 wollte die restaurative Stadtverwaltung vor allem die bisher schlechten Beziehungen zur privaten Wirtschaft verbessern. Als ein Symbol für diesen neuen konservativen Kurs wurden deshalb Mittel zur Verfügung gestellt, um die Tate Gallery und das National Maritime Museum mit Zweigstellen an die Albert Docks zu holen. Dieses politische Kalkül, also ein Argument des Thirdspace, war nach Evans’ Meinung das zentrale Argument für die Neuausrichtung des Liverpooler Museumsplans. So überrascht es nicht, dass eine Untersuchung des Liverpool City Council von 1994 herausfand, dass die städtische Öffentlichkeit durch diese neuen kulturellen Aktivitäten nicht angesprochen wurde; auch die Idee einer identitätssteigernden und imagefördernden Wahrzeichenschaffung gegenüber den meisten Bewohnern der Stadt erwies sich als unwirksam. Einen deutlich anderen Standpunkt als Lorente äußert der Kurator der Tate Galerie in Liverpool, der Kultur nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Zweck an sich betont. (Biggs 1996: 61) Das Kunstmuseum sei dabei eine Einrichtung, die der »Wohlfahrt« der Stadt helfe. Dies tue es weniger, indem es »unterprivilegierten Bürgern, die gewohnheitsmäßig Museen wegen der Wärme und der sozialen Teilhabe aufsuchen, einen Schutzraum gäbe« (Biggs 1996: 63-68, Übersetzung V. K.), sondern mehr, indem es dazu beitrage, den »übrigen Besuchern […] einen Zustand seelischer Gesundheit zu schaffen.« 2.3 Museen als Akteure der Stadtentwicklung in New York
Das dritte Beispiel zu den Funktionen von Museen auf der Firstspace-Ebene geht auf Zukins Arbeiten (1993) zu Museen in New York City zurück, wobei sie nicht zwischen städtebaulichen und ökonomischen Funktionen unterscheidet. Die von ihr erwähnten großen Museen sind alle Akteure einer allein ökonomisch bestimmten Stadtentwicklung. Museen spielen in der ökonomischen Entwicklung des städtischen Dienstleistungssektors eine immer wichtigere Rolle. Neben dem in den 1980er Jahren betonten Multiplikatoreffekt für die städtische Ökonomie hätten Museen immer mehr die Aufgabe, »zusammenhängende Konsumlandschaften mit Bereichen ›sauberer‹ Unterhaltung, wie sie Angehörige oberer Berufsgruppen und Angestellte bevorzugen, zu schaf-
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fen« (Kirchberg 1998: 89). Der Sozialstatus der den Raum nutzenden Besucherschaft könne sich auf den symbolischen Wert dieses Raumes übertragen, wenn hier für statushohe Stadtbewohner und ihre Gäste attraktive Museen angeboten würden. Diese Stadträume böten dann mit ihren besucherfreundlichen Museen konkrete Begegnungsräume, Kommunikationsbühnen und Ideenbörsen für die lokalen, aber global agierenden Geschäfts- und politischen Eliten. Denn auch in einer Welt zunehmend raumloser Kommunikation bedürfe es der realen Geographie des Ortes für soziale Netzwerke, um sich nicht nur virtuell, sondern konkret zu treffen (Zukin 1993: 265). Neben manifesten ökonomisch-politischen Funktionen haben Museen also auch eine latente soziale Funktion: Die Kommunikation am Kulturort ist öffentlich inszeniert, denn die global orientierten Professionellen bedürften neben der konkreten Arena der Kommunikation auch einen distinguierten Kulturkonsum (Besuch in und Förderung von Museen). Dabei sei dieser Museumsbesuch ein Instrument zur Selbstbestätigung der eigenen sozialen Position (Inklusion) und zur Abgrenzung gegenüber anderen (Exklusion) (Noller 1999). Diese latente Funktion wirkt aber auch über den relativ kleinen Kreis der Elite hinaus, weil diese Art exklusiver Museumsnutzung nun auch von anderen Schichten rezipiert wird. Wie von Weber als Prätention und von Veblen als demonstrativen Konsum beschrieben, kopiere die Mittelklasse den vermeintlichen Lebensstil der rich and famous, indem sie mit dem Museumsbesuch einen ästhetisch von der Oberschicht gutgeheißenen Geschmack zum Beispiel zeitgenössischer Kunst adaptiere. Durch dieses Image als ›Elite-Treffpunkt‹ erweisen sich Museen auch als Katalysatoren für Wertsteigerungen des benachbarten Grundbesitzes. Zukin spricht hier von einer »kreativen Spannung zwischen Hochkultur und spekulativer, teilweise unregulierter oder ›wilder‹ wirtschaftlicher Tätigkeit« der Museen (Zukin 1993: 267). So handelte das Museum of Modern Art (MoMA) in New York als Hauptakteur einer ökonomisch motivierten Stadtentwicklung. 1976 präsentierte das MoMA einen Plan für einen über 50-stöckigen Hochbau mit 250 Miet- und Eigentumswohnungen, wobei nur die unteren sechs Stockwerke später vom Museum genutzt wurden. In einer engen Kooperation von Museum, Investor und Stadtverwaltung wurden dann weitreichende Steuererlässe für das MoMA ermöglicht. Bei den Verhandlungen über die Grundstückskosten wurde argumentiert, dass das MoMA über den Einstieg in das Immobiliengeschäft seine Eigenfinanzierung kaufmännisch vermehren könne und so weniger auf staatliche Zuschüsse angewiesen sei. Es wäre außerdem nützlich für die Gemeinde, da durch das Engagement die Bodenpreise in der Nachbarschaft stiegen – was wiederum als zusätzliche Wertschöpfung der Stadt zugute komme. Profite aus der staatlichen Neuerschließung dieser Nachbargelände könnten dann an das MoMA als Verursacher der Bodenpreis-
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steigerung zurückgeleitet werden. Tatsächlich wurde dem MoMA in einem Treuhandverfahren erlaubt, einen Investor zu bestimmen, den Entwurf der städtebaulichen Umgestaltung zu überwachen, das Steueraufkommen für die neu erschlossenen Grundstücke einzuziehen und auch am Profit des Investors teilzuhaben. Der Apartmentturm wurde von Grundsteuern befreit, die Wohnungseigentümer mussten aber einen Zusatzpreis zahlen, der dem MoMA zufloss.
3. MUSEEN
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An zumeist exponierter Stelle im Stadtraum beeinflussen insbesondere zeitgenössische Museen über Architektur und Imageproduktion den Secondspace der Stadt. 3.1 Funktionen der Museumsarchitektur im Secondspace der Stadt
Einen schon älteren, aber wichtigen Überblicksartikel zur Entwicklung der Funktionen der Museumsarchitektur im Secondspace hat der englische Architekt Ian Ritchie (1994) verfasst. Zentral für seine Analyse ist dabei die Unterscheidung des Museums in die drei Wahrnehmungsstufen Inhalt, Behälter und Image. Auf der ersten, museumsnächsten Wahrnehmungsstufe stehe die Erfassung konkreter Inhalte, der Ausstellungen und Sammlungen während des Besuches des Museums. Auf zweiter, museumsentfernterer Wahrnehmungsstufe stehe die Rezeption der Außenhülle, des Behälters der Museumsarchitektur durch Passanten und Medien. Auf dritter, museumsfernster Wahrnehmungsstufe stehe der Eindruck des Vorstellungsbildes, des öffentlichen Images des Museums. Je intensiver die Wahrnehmung ist, desto kleiner sei der Kreis der Wahrnehmenden. Die Trichotomie von Inhalt, Behälter und Image wird auch von Crouwel (1989) herangezogen, wenn er die Dominanz des Inhaltes vor der Behälterform als Ausdruck der Moderne beschreibt (»form follows function«). Als prototypische Museumsbauten der Moderne können die Neue Nationalgalerie in Berlin (von Mies van der Rohe, obwohl die Funktionalität dieses Baus häufig in Frage gestellt wird) und das Museum of Modern Art in New York (zuerst Philip Johnson und dann Yoshio Taniguchi für den 2004 eröffneten Umbau) angeführt werden. Eine Umkehrung des Verhältnisses von Form und Inhalt wurde vor allem in den postmodernen Museumsneubauten der 1980er Jahre angestrebt, bei denen eine der Erlebnisgesellschaft angemessene, unterhaltende Museumsarchitektur sukzessiv gegenüber dem Museumsinhalt an Bedeutung gewinnt (»function follows fiction«, Klotz 1987). Die Entdeckung des Potenzials des Museums als Förderinstrument des Stadtimages hatte zur Folge, dass Mu-
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seumsgestaltung nun primär image- und nicht mehr inhaltsgesteuert war. Die Außenwahrnehmung von Museen als spektakulär gestaltete Container reduzierte das Museum zum Imageträger. Das Zurücktreten des Inhalts setzte sie Monumenten gleich.3 Als prototypische Museen dieses Stils lassen sich vor allem die Neue Staatsgalerie Stuttgart (James Stirling, eingeweiht 1984) und das Museum Abteiberg in Mönchengladbach (Hans Hollein, eingeweiht 1982) benennen. Die vermeintliche Dominanz der Funktion über die Form in der Moderne und der Form über die Funktion in der Postmoderne wird zum kritischen Thema der nächsten ›Architekturepoche‹ im Museumsbau, die seit den 1990er Jahren Einzug gehalten hat. Ein grundsätzliches Nachdenken über das instrumentalisierte Zusammenspiel von Funktion und Form respektive Fiktion im Museumsbau führte zum architektonischen Dekonstruktivismus. In dieser Phase wurden eindeutige Zuschreibungen der Form durch die Funktion oder auch durch die Fiktion vermieden. Das Entlarven harmonischer Weltbilder totalitär-funktionalistischer oder ekletizistisch-erlebnisorientierter Art als illusionär und manipulativ in der Philosophie zeigte sich auch im Verzicht auf ästhetische Harmonie und architektonische Ganzheit in den Außen- und Innen-Strukturen des Museumsbaus. Dekonstruktivistische Sichtweisen auf die Welt werden vielleicht am besten in den Architekturen eines Frank Gehry (zum Bespiel Guggenheim Bilbao), eines Daniel Libeskind (zum Beispiel Jüdisches Museum Berlin) oder eines Rem Koolhaas (zum Beispiel Seattle Public Library) abgebildet. Ihre Museumsbauten nehmen kaum Rücksicht auf inhaltliche Funktionen des Ausstellens, sondern sind fast ausschließlich darauf ausgerichtet, Signifikant eigener, museumsinhaltsunabhängiger Inhalte zu sein. Das heißt allerdings nicht, dass sie nicht auch als Imageträger anderer Außen-Funktionen fungieren, was insbesondere am ›Bilbao-Effekt‹ des baskischen Guggenheim-Museums augenfällig wurde. Noch in den 1990er Jahren folgten als Kritik an der Ornamentik der Postmoderne nicht nur die Gegenbewegung des Dekonstruktivismus, sondern auch die Baustile der Zweiten Moderne oder des Minimalismus, die museale Inhalte und den daran interessierten Besucher auch in architektonischen Strukturen wieder ernster nahmen. Dies war kein Paradigmenwechsel, aber doch eine inhaltliche Ergänzung, die sich auch auf die (Innen-)Architektur der neuen und umgebauten Museen dieser Zeit auswirkte. Mit dem Einzug des Marketings in das Museum und der Fähigkeit und Bereitschaft, auch größere 3
Giebelhausen (2006) führt zu Recht an, dass diese Funktionalisierung von Museen als Monument auch schon in der Vormoderne stattgefunden hat. Sie führt als Beispiele die aristokratisch verfügten Münchener und Berliner Museen an, die zumeist noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert entstanden.
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Besucherströme durch die Museen zu leiten, wurden auch neue Ansprüche an die Museumsarchitektur gestellt. Folgt hier die Form wieder der Funktion, ist das Containerprinzip somit obsolet? Man könnte Giebelhausen (2006) in Richtung auf das Motto der Moderne »form follows function« interpretieren, wenn sie die White Cube-Ästhetik der Galerien und der Turbinenhalle der Tate Modern in London als dem Industriezeitalter reminiszent beschreibt. Ritchie (1994) verneint diesen neu gefundenen Funktionalismus aber und sieht in der architektonischen Zweiten Moderne gerade auch bei der Verwendung alter Gebäude für Museumszwecke nur ein weiteres Element einer rationalen Außenvermarktung. Es stünden leere Behälter im Stadtzentrum zur Verfügung, die einer neuen Funktion zugeführt werden sollten. Häufig mangels Alternativen, aber auch wegen der allgemein anerkannten Zentrenfunktion verfalle man auf die Nutzung als Museum, ohne dass dies immer angemessen wäre. Angesichts dieser Bewertung der Museumsplanung als inhaltsleer fordert Ritchie von den Fachleuten im Museum und ihren Vertretern in der Politik eine den Inhalt stärkende Position. Das Museum wird ansonsten im Secondspace allein auf die Funktion des Imageträgers reduziert. Manifest wird also insbesondere durch die Außenarchitektur der Postmoderne (und auch durch die Architektur des Dekonstruktivismus) im Secondspace das Stadtimage durch den Schein des attraktiven Behälters gestärkt. Latent geht dies auf Kosten der inhaltlichen Funktionen dieser Museen. Mit den eingängigen Formeln »function follows form« oder »function follows fiction« wird diese Dominanz eindeutig beschrieben. 3.2 Funktionen der Stadtimagegestaltung im Secondspace der Stadt
Stadtmarketing ist eine staatliche Konkretisierung des Secondspace-Imageneerings. Es entstand in Deutschland in den 1990er Jahren als eigenständige Disziplin, als die Notwendigkeit postfordistischer Restrukturierungsprozesse immer offensichtlicher wurde. Kommunen erkannten die Polarisierung von Städtesysteme in Gewinner- und Verliererregionen und die Notwendigkeit, über eine staatliche Wirtschaftsförderung auf der Gewinnerseite zu stehen. Als unterstützende Strategie für dieses Ziel wurde das Stadtmarketing forciert (Helbrecht 1994: 83). Dabei muss das angepriesene Produkt nicht immer notgedrungen mit dem realen Produkt übereinstimmen. Heute haben imaginative Zeichensetzungen als Stadtrepräsentationen eine wachsende Bedeutung, wie die Literatur zu postmodernen Stadtlandschaften zeigt (Hannigan 1998; Soja 2000). Beispielhaft dafür steht wieder die Entwicklung des Frankfurter Museums-
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ufers, nun aber in den 1990er Jahren (vgl. Puhan-Schulz 20054). In diesem Jahrzehnt wurde das Museumsufer Bestandteil einer Stadtplanung, die im Rahmen der weltweiten Städtekonkurrenz vor allem die Gruppe globaler Akteure in die Stadt ziehen sollte, die zehn Jahre später als creative class umworben wurde. Das Problem dieser Jahre war allerdings die Haushaltskrise und die daraus resultierende Unfähigkeit, dieses ambitionierte Ziel der global city (auch) durch global museums zu erreichen. Neue Museumsattraktionen kamen (mit Ausnahme des Museum für Moderne Kunst 1991) nicht mehr dazu. Die bestehenden Museen mussten also ohne teuren Aufwand als Attraktionen wirken, was nun in erster Linie durch Spektakel für die Erlebnisgesellschaft, durch »lange Nächte der Museen«, Sonderausstellungen und Renovierungen des Vorhandenen, also durch »Perlen putzen« (Puhan-Schulz 2005: 206), bewerkstelligt wurde. Auf den Firstspace wird in dieser Zeit kaum mehr eingewirkt; er wird im Kleinen aber so weit aufpoliert, dass er in den Secondspace hineinwirkt. Das Museumsufer wird zur »SimCity«, um den im Folgenden zu beschreibenden Begriff Edward Sojas einzuführen. Ausgehend von seinen Analysen des aktuellen Zustandes vor allem der Stadtregion Los Angeles unterscheidet Soja (2000) die Stadt der Gegenwart und Zukunft in sechs Typen, von denen insbesondere der letzte Typ, »SimCity«, für die Positionierung der Kultur allgemein und der Museen speziell im Secondspace relevant ist.5 Soja beschreibt einen Stadtraum, der unabhängig 4
Puhan-Schulz hat ihr Buch zu Museen und Stadtimagebildung 2005 veröffentlicht, die Darlegungen zu Frankfurt beruhen aber auf zwei Erhebungsphasen in dieser Stadt in den Jahren 1994 und 1999. Als weitere Quelle für die Museumsentwicklungsplanung Frankfurts sei Giebelhausen (2003) herangezogen, die sich auf die 1980er bezieht.
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Folgende andere Typen nennt Soja (2000): Flexcity sei eine weiterhin auf Produktion beruhende industrialisierte Metropole, die aber flexibel und schnell – postfordistisch – auf notwendige Änderungen im Produktionsprozess reagieren könne. Cosmopolis sei eine von der Globalisierung des Kapitals, der Arbeit, der Kultur und der Hierarchisierung von Weltstädten profitierende Weltstadt, in der die FIRE-Branchen (Finanzwesen, Versicherungen und Immobilienwesen) dominierten. Exopolis habe nicht nur kein wichtiges Hauptzentrum mehr, sondern es komme zu einer Umkehrung urbaner Funktionen: Die Vorortszentren seien mit dem Attribut des New Urbanism urbaner als die ehemaligen Innenstadtzentren. In den Metropolarities sei die Segregation bis zur totalen sozialen und räumlichen Polarisierung in neue und alte Gesellschaftsgruppen fortgeschritten. Damit einhergehend bildeten sich Carceral Archipelagos, Einzelstädte und Stadtteile in der Region, die sich festungsmäßig von der Umgebung abgrenzten und deutlich eine Innengerichtetheit und Außenabweisung vorantrieben.
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von physischer Realität allein virtuell vermarktet wird. Stadt ist allein als Simulation, die »besser als die Wahrheit ist«, wichtig (Soja 2000). Mit »SimCity« ist eine Stadt gemeint, dessen Erfolg auf der medialen Verbreitung eines virtuellen Images beruht. »SimCity« sei die bisher letzte Stufe einer chronologischen Folge verschiedener Krisen der Städte aufgrund mehrerer Umstrukturierungsprozesse von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Realisierung des Urbanen beruhe allein auf der Simulation urbaner Merkmale. Die medialen Raumrepräsentationen hyperrealer Welten bestimmten unsere heutige Vorstellung einer Idealstadt. Der Erfolg von »SimCity« liege in der Möglichkeit, sich hier als Besucher und Nutzer aus der realen und immer risikoreicheren Welt in die materialisierte Simulation eines Secondspace zurückzuziehen. Die Attraktivität von »SimCity« und der Rückzug in das Private resultieren aus Angst vor dem Anderen. Diese Angst steigere die Spirale der Entleerung öffentlicher Räume weiter und mit der Entleerung öffentlicher Räume werde »SimCity« immer attraktiver. Hinter dieser soziologischen Erklärung liegt ein ökonomischer Grund: »SimCity« muss marketingeffizient Gesellschaftsgruppen voneinander trennen, um exklusiv den Erwartungen ausgewählter, ökonomisch rentabler Zielgruppen gerecht zu werden. Die Idee des Secondspace ist zwischen den Bevölkerungsgruppen, den Statusgruppen, den Ethnien, den demographischen Gruppen und den Lebensstilen sehr unterschiedlich. Vereinfacht gesagt: Mittelschicht-Ideen differieren sehr von Ober- oder Unterschicht-Ideen eines angenehmen Stadtaufenthaltes und in »SimCity« werden nur die kaufkräftigeren Segmente der Bevölkerung angesprochen. Kaufkraft und Umsatzerwartungen bestimmen nicht nur die Gestaltung der konkreten sondern auch der imaginativen Stadt. Welche Rolle spielen Museen bei der Entwicklung solcher hyperrealen Stadtlandschaften? Museen werden, wie beschrieben, konkret als Leuchttürme zur Entwicklung des Firstspace eingesetzt. Sie sind aber auch im Rahmen des Secondspace Teil einer virtuell ›kulturell pulsierenden‹ Stadtlandschaft. Als hochkulturelle Zugabe signalisieren Museen dabei Seriosität bei neuen Stadtentwicklungen, mit der man unsichere Investoren überzeugen und »SimCity« im Stadtmarketing zielgruppengerechter verankern kann (Hannigan 1998: 51). Synergieeffekte ergeben sich vor allem aus einer Kombination von Kulturkonsum und Unterhaltung, dem Edutainment.6 Damit verweist Hannigan auf die rentable Verknüpfung von bildend-kulturellen mit kommerziell-technologischen Aktivitäten. Nirgendwo finde man seiner Meinung nach diesen Trend heute stärker als in den postmodern gewandelten Museen, die neue Medien, 6
Hannigan (1998: 81) spricht zusätzlich noch von Shopertainment und Eatertainment.
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neue interaktive Techniken und neue Präsentationsstile ausprobieren. Postmoderne Museen seien jedoch keine wirklich öffentlichen Räume, sie bestünden nur aus virtuellen Versatzstücken simulierter Urbanität (Soja 1989: 246). Dabei seien diese Museen nicht nur passive Folge sondern Erschaffer virtueller Stadtgestaltung. Für den simulierten »new urbanism as a way of life« würden in der Gestaltung von Urban Entertainment Districts explizit Variationen von Museen eingesetzt – instrumentalisiert als Pseudo-Ikonen des alten Urbanismus räumlich zentralisierter Bildungsinstitutionen. Dabei hat das Museum schon eine wichtige imagebildende Funktion selbst dann, wenn es niemals Besucher aufnehmen muss. In der virtuellen Stadtlandschaft müssen Museen nur virtuell erfolgreich sein, und dies ist auch ohne hohe Besuchszahlen, soziodemographischen Besuchermix oder Bildungsfunktion möglich.
4 . MUSEEN
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Welche Funktionen haben Museen im Thirdspace, d.h. im Stadtraum der politischen Betätigung, im Rahmen normativer Regulationssysteme? Wie weit werden sie für politische Ziele eingesetzt? Wie weit tragen sie zur Integration von sozial ausgegrenzten Gruppen bei (Sandell 2002)? Die Forderung nach der (manifesten) integrativen Funktion von Museen in Abkehr von einer (latenten) segregierenden Funktion ist dabei ein Beitrag zur Chancengleichheit der kulturellen Betätigung der gesamten Stadtbevölkerung. Das Museum muss sich im Zuge dessen auch auf stärkere Einflüsse aus dem Gemeinwesen, der Community, bei der Entwicklung von Ausstellungen etc. einrichten. Diese Forderungen führen zu einer Politisierung von Museen und Ausstellungen. Heute äußerten sich Gruppen in der Öffentlichkeit zu Ausstellungen, von denen man vorher in Museen nie etwas gehört habe, konstatiert Harris (1990: 51): »museums suddenly become a community issue«. Indem Museen zu Bühnen politischer Diskussionen zwischen unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft würden, werde auch der Kommunikationston im Museum rauher. Es reiche den Besuchern nicht mehr, passiv das Museumserlebnis aufzunehmen, sie wollten weit mehr: eine aktive Mitarbeit bei der Museumsgestaltung (Weil 2002). Der Einsatz von Museen als Exklusions- und Inklusionsinstanz macht diese Einrichtung zu einem politischen Instrument. Auf der einen Seite wird die Öffnung der Museen für bisher museumsfremde Bevölkerungsgruppen durch sogenannte Outreach-Programme manifest verlangt, auf der anderen Seite gibt es Bestrebungen, das Museum als exklusive Zone für eine auch durch diesen Ort definierte Elite latent zu bewahren. Die erste Zielvorstellung findet sich eher in Naturkunde-, Technik- und auch zum Teil kulturhistorischen Museen, die zweite Zielvorstellung findet sich eher in Kunstmuseen. Beide Bestrebun-
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
gen sind aber genuin politisch und somit dem Thirdspace der Stadt zuzurechnen. Aus der Soziologie kommt die Diskussion um die Zuschreibung des Museums als öffentlicher oder privater Raum, aus der (Neuen) Museologie die Diskussion um einen neuen Museumstyp als Ort nicht nur des Gemeinwesens, sondern als Ort, der durch dieses Gemeinwesen gestaltet ist. Beide Diskurse sind Beispiele für den Einsatz von Museen im Thirdspace der Stadt. 4.1 Öf fentlichkeit und Privatheit des Museums im Thirdspace der Stadt
Die zeitgenössische Rolle von Museen in der Stadt bei der Bereitstellung öffentlicher und privater Räume kann aus einer sozialhistorischen Perspektive bewertet werden (Sennett 1998). Vor allem das Bürgertum betrachte das traditionelle Museum noch heute als privaten Ort sozialer Beziehungen, wobei der Fremde zwar räumlich nah, aber doch sozial fern gehalten werde. Sennett (1998: 45) sieht dabei feste Verhaltenskonventionen wie das Schweigen im Museum als grenzziehendes Symbol der Exklusion derjenigen, die diese Konventionen nicht einhalten können oder wollen. Dies gilt vor allem für größere Museen, die auch durch diese Konventionen ihre hochkulturelle Symbolik verteidigen. Dagegen fordert Sennett (1998: 48) vom Museum eine »öffentliche Geographie«: Museen müssten dem Besucher als tolerante Raumschablone die Möglichkeit geben, sich einen imaginären Charakter überzustülpen. Erst dann, so Sennett, könnten die Besucher sich gegenüber den anderen Fremden im öffentlichen Raum des Museums kommunikabel zeigen. Paradoxerweise schaffen dies eher kleinere Museen ohne festgelegte, symbolisch aufgeladene Verhaltenskonventionen. Sie wären die richtigen Orte für eine tolerante, nicht durch enge Konventionen konditionierte öffentliche Kommunikation. Das kleine Museum mag somit eher ein Raum der Ent-Fremdung sein, in dem Teil-Öffentlichkeiten zu Gemeinschaften werden. Ein Großteil der heutigen Museen wäre dazu aber nicht in der Lage. Etwas optimistischer als Sennett sehen die Bremer Kulturwissenschaftler Dröge und Müller (1998) die Funktion des Museums, im Inneren Öffentlichkeit zu schaffen. Dazu fordern sie allerdings das Zulassen einer weitergehenden Überschneidung von Kultur und Kommerz im Museum, denn nur so würde es zu einer Ausweitung von Teilöffentlichkeiten kommen. Das besucherorientierte Museum muss ausgeprägte Marketingstrategien für exakt definierte Teilöffentlichkeiten entwickeln. Notgedrungen erreicht man damit nicht ›die‹ Öffentlichkeit, sondern nur spezifische Teilöffentlichkeiten, und verliert damit eventuell das traditionelle Bildungsbürgertum als Trägerschicht. Die hier als notwendig erachtete Beschränkung auf wenige Teilöffentlichkeiten wird von Glaser (1996) nicht geteilt. Er preist das Museum grundsätzlich
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als Ort zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit, an dem die heterogenen Wünsche vieler Bevölkerungsgruppen erfüllt werden können. Für Glaser bedeutet die Demokratisierung der Museen vor allem die Öffnung für einen großen Kreis der Bevölkerung. Hier könne der Besucher – unabhängig von Stand und Klasse – Anregungen und Anstöße für sein eigenes Leben bekommen und über neue Sinneserfahrungen, zum Beispiel über spektakuläre Exponate, und über Verknüpfungen mit der eigenen Biographie lernen. Glaser begrüßt vor allem die neuen Heimatmuseen, bei denen dies ausgeprägt geschehe. Die Anpassung an die Wünsche, Erlebnishorizonte und Dekodierungskapazitäten der Besucher erschaffe hier ein neues Forum umfassender Öffentlichkeit: »Ansichten und Eindrücke der Alltäglichkeit und alltäglicher Menschlichkeit werden […] gesammelt und [im Museum] im ursprünglichen Lebenszusammenhang dargeboten.« (Glaser 1996: 46). Somit würde im Museumsraum die zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit realisiert.7 Meines Erachtens ist diese Erwartung einer umfassenden zivilgesellschaftlichen Funktion aber unrealistisch. Vielmehr wird sich das Museum in Zukunft auf wenige Teilöffentlichkeiten konzentrieren, um durch diese Auswahl politisch im Thirdspace tätig zu werden. 4.2 Funktionen der Museumsarchitektur im Thirdspace der Stadt
Museumsarchitektur spielt nicht nur im Second- sondern auch im Thirdspace eine politische Rolle, denn sie stellt städtische Öffentlichkeit her – oder auch nicht, wenn sie durch architektonische Gestaltung potenzielle Nutzer ausschließt. Der Kunsthistoriker Barthelemeß (1988) sieht die Postmoderne als zentralen Begriff der gesellschaftlichen Verbindung von Museum und Gesellschaft (Barthelemeß 1988: 6). Er betont, dass über die Museumsarchitektur Kommunikation und somit städtische Öffentlichkeit hergestellt werden könne. Die Postmoderne als Architekturstil sei der Baustil, der nach der ›schweigenden‹ Bauweise der Moderne wieder versucht, mit dem Betrachter und Benutzer unmittelbar zu kommunizieren, also Architektur nicht nur als abstrakte Repräsentation im Raum zu verstehen, sondern als verantwortliche städtische Form, die im Sinne der Benutzer zu gestalten sei (Barthelemeß 1988: 38). Die Innenarchitektur des postmodernen Museums müsse deshalb die Aufgabe der Kommunikation mit dem Außenraum sehr ernst nehmen. Eine in diesem 7
Ähnlich meint Zimmer (1997: 110), dass vor allem Heimatmuseen in kleineren Gemeinden weitaus eher als öffentliche Orte zu bezeichnen seien als große staatliche Museen, insbesondere große Kunstmuseen. Denn eine lokale Ausstrahlung auf die Umgebung würde vor allem von Heimatmuseen bewirkt. Ähnlich äußern sich auch Düspohl (2007) und Gößwald & Klages (1996).
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
Sinne demokratische Gestaltung drücke sich in einem transparenten Äußeren, allgemeiner Zugänglichkeit und beweglicher Innenstruktur aus. Das beginne bei einer offenen Gestaltung des Eingangsbereiches und wird ergänzt in einer Innengestaltung, die Elemente des (äußeren) Stadtraums berücksichtigt. Der Gedanke der Weiterführung der Fußgängerzone und des Kaufhausfoyers in das Museum hinein wird dabei immer wieder formuliert. Nach Noller (1999: 158) kann die Architektur dem Museum auf diese Weise den exkludierenden bürgerlichen Handlungsdruck des Bildungsereignisses nehmen. Der Besuch eines Museums solle sich hier architektonisch nicht vom Besuch eines Kaufhauses unterscheiden. Beide seien durch die Architektur vergleichbare »Archipele städtischen Erlebens« (Noller 1999: 155). Insgesamt vertritt Barthelemeß den optimistischen Standpunkt, dass durch Architektur eine Demokratisierung von und durch Museen möglich sei. Ganz anders bewertet die französische Soziologin Natalie Heinich diese Funktionalisierung von Museumsarchitektur (Heinich 1988: 199ff). Ihr Beispiel ist das Centre Pompidou in Paris, das seit seiner Gründung 1977 eine Verbindung von populärer Kultur und Hochkultur verfolgt. Architektonisch erscheine das Centre durch die Fassade zwar als eine inhaltliche Einheit. Tatsächlich gebe es aber drei Nutzungskomplexe: Auf dem Dach und über die Außenrolltreppen ist das Centre Touristenattraktion (Übersichtplattform über Paris), in den oberen Stockwerken ist es Kunstmuseum (international renommierte Ausstellungen) und in den unteren Stockwerken ist es wissenschaftliche Einrichtung (Bibliothek). Die innenarchitektonische Schachtelung der unterschiedlich genutzten Räume hätte zur Folge, dass die verschiedenen Öffentlichkeiten nicht miteinander kommunizieren. Statt gemeinsam voneinander zu lernen, seien die Besucher nur voneinander irritiert (Heinich 1988: 210). Dangschat (1996: 123) vertritt eine ähnliche Meinung, wenn er die »ent-öffentlichende« Rolle der heutigen Architektur kritisiert. Sie schaffe allein den ästhetischen Spiegel einer Bühne für Menschen mit spezifischen Lebensstilen: »Aufgrund ihres ästhetischen Codes wird Macht oder eben nur ›Stil‹ präsentiert […] Ganz nach den aktuellen Werbestrategien wird das Produkt ›Stadt‹ geprägt und im Marketing auf eine spezifische Nachfrager-Kulisse zugespitzt. Der symbolische Gehalt der Architektur wirkt ausgrenzend auf jene, die diesen Stil nicht goutieren (können oder wollen).«8 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Museumsarchitektur op8
Auch Noller sieht in der postmodernen Architektur in erster Linie ein exkludierendes Mittel: Diese Museumsarchitektur sei allein symbolisches Kapital, das als Werkzeug für spekulative Immobiliengewinne diene. Die öffentliche Aufmerksamkeit werde nur hervorgerufen, um den Marktwert des Gebäudes und seiner Umgebung zu erhöhen (Noller 1999: 146f).
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timistisch als manifeste Funktion demokratisierend urbane Öffentlichkeit schafft, aber pessimistisch als latente Funktion zur Segregation der Gesellschaft durch Imagezuweisungen und architektonische Semiotik beiträgt. 4.3 Stadtplanung – konkrete Stadtgestaltung als politisches Instrument
In Abschnitt 2.1 wurde schon der Neubau des Historischen Museums Frankfurt in den 1970er Jahren als Beispiel für die Bedeutung von Museen für die Gestaltung des Firstspace herangezogen. Das damalige Projekt illustriert aber auch die Bedeutung einer bewussten Museumsentwicklung für den politischen Thirdspace einer Stadt. Der Neubau war aufgrund seines zentralen Standortes und seiner modernen Offenheit den Besuchern gegenüber ein Beispiel für die manifeste politische Funktion von Museen in diesen Jahren, einer »doppelten Demokratisierung«, wie es in Frankfurt hieß, zu der auch eine neue sozialpolitische Inklusionsleistung von Museen durch Gestaltung und städtebauliche Verknüpfung gehörte. Über die politische Funktion der Einbindung von Museen in die konkrete Stadtplanung (im Rahmen der Thirdspace-Gestaltung) schreibt auch Zukin (1993) beispielhaft für die Erweiterungen des Museum of Modern Art und des Metropolitan Museum of Art in New York. 4.4 Neue Museologie – Die umfassende Demokratisierung des Museums
Für Museen ist es relativ einfach, eine passiv rezipierende Öffentlichkeit als Empfänger von Informationen in ihre Häuser einzuladen. Es ist allerdings weitaus schwieriger, dieser Öffentlichkeit Rechte der Museumsgestaltung zu übertragen. Zudem ist die Zusammensetzung und die Wunschliste fordernder Museumsöffentlichkeiten heterogen, konträr und unübersichtlich. Ein nicht unbedeutender Teil der neuen Museumsarbeit beschäftigt sich somit damit, Forderungen und Zuständigkeiten heterogener Öffentlichkeiten zu erkennen und zu bewerten. Museen werden als Orte wahrgenommen, an denen kollektive Identität definiert und ausgeübt werden kann. Diese kollektive Identität wird nun nicht mehr vom Museum vorgegeben, sondern diesem von neuen, im Museum aktiven und durch das Museum aktivierten zivilgesellschaftlichen Gruppen angetragen (Karp 1992). Erst dadurch wird das Museum zum öffentlichen Raum, an dem auch verschiedene kollektive Identitäten aufeinanderprallen dürfen. Durch diese Konfrontation entwickeln sich die persönlichen Identitäten der Museumsnutzer weiter und bilden an diesem Ort und auf den Stadtteil aus-
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
strahlend eine neue kollektive Identität (Karp 1992: 21). Diese Funktion des Museums, vor Ort für das Gemeinwesen identitätsbildend zu wirken, ist der Kernpunkt der Neuen Museologie. Sie beinhaltet die Erklärung und Umsetzung gesellschaftlicher Zusammenhänge inklusive alltagsweltlicher Bezüge gegenüber dem heterogenen Publikum des lokalen Einzugsgebietes eines Museums, das bisher z.B. von Massenmedien und Kultureinrichtungen nicht identitätsstärkend unterstützt wurde. Lavine (1992) beschreibt ausführlich, wie sich Museen, die sich der Neuen Museologie verpflichtet sehen, von anderen Museen unterscheiden. Es seien grundsätzlich Museen, die den Schritt auf das kommunale Gemeinwesen hin offensiv wagen. Museen der Neuen Museologie bewegten sich entlang dem »spectrum from curator-driven to community-driven institutions« (Lavine 1992: 149). Sie hätten nicht nur weitgehend überblickt, wer die potenziellen Besucher aus dem umgebenden Gemeinwesen sind, sondern auch durch politische Analyse herausgefunden, welche Bedürfnisse diese Öffentlichkeit in Bezug auf die Museen habe und wie diese Bedürfnisse am besten realisiert werden könnten. Die Hauptaufgabe dieser Museen liege dann auch darin, Wissen über potenzielle und bisher aufgetretene lokale Konflikte zu erwerben und dieses Wissen bei der Realisierung von Ausstellungen umzusetzen. Um die bisher unterrepräsentierte Öffentlichkeit stärker an das Museum zu binden, würden Vertreter dieser Gruppen für die mitbestimmenden Beiräte der Museen gewonnen, Menschen aus diesen Kreisen eingestellt, spezielle Festivals für dieses Publikum durchgeführt und gemeinsam über die Verbesserung der Repräsentation diskutiert (Lavine 1992: 137). Nach Lavine gibt es bisher nur drei Museumstypen, die sich der Herausforderung der Neuen Museologie ernsthaft angenommen haben: Kindermuseen, lokal und ethnisch orientierte kulturhistorische Museen und Stadtmuseen. Zumeist handele es sich um kleinere Museen, die noch Kontakt zu ihrer unmittelbaren Umgebung haben. Größere Museen und hier insbesondere Kunstmuseen reagierten dagegen auf die Regeln der Neuen Museologie ignorierend bis abweisend, weil sie am stärksten in eine hegemoniale Hierarchie eingebunden seien (Lavine 1992: 138f.). Diese Museen betrachteten zudem das innerstädtische Umfeld ihrer Standorte kaum als ihr Einzugsgebiet.9 Für große Museen bleibe der Gemeinwesenkontakt somit auf eine Verstärkung der Besucherforschung reduziert, wovon die traditionellen Strukturen der Innenorganisation allerdings nicht berührt werden. Dort gelte weiterhin die »›surface definitiveness‹ – that authoritative single voice« (Lavine 1992: 151). In traditionelle Museen kämen die meisten Besucher zudem mit passiven Erwartungen, wobei die aufgrund verschiedener Biographien individuell unterschiedlichen Erwartungen von den 9
Eine empirische Bestätigung dazu findet man bei Kirchberg (1992: 230, 248).
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Museen ignoriert würden. Die Betonung der wissenschaftlichen Aktivitäten (Sammeln, Bewahren, Forschen) in den traditionellen Museen sei dabei kontraproduktiv für eine Ausrichtung auf das lokale Gemeinwesen. Lavine (1992: 142) illustriert dies exemplarisch an der Kritik der afro-karibischen Bevölkerungsmehrheit an einer Kunstgalerie in ihrem Birminghamer Stadtteil. Die traditionelle Tätigkeit des Sammelns wurde dort als westliche und gegen die Interessen des lokalen Gemeinwesens gerichtete Aktivität an den Pranger gestellt. Grundsätzlich plädiert Lavine für kleinere Museen mit lokalen Einzugsgebieten, bei denen ohne Kompromisse der spezifischen Nachfrage entsprochen werden könne.10 Der Museumsfachmann Kenneth Hudson (1987: 174) meint, dass die Neuen Museen in Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen werden, denn nur sie können unter den Museen als Ort wirklich öffentlicher Diskussion dienen. Dieser Vision stellt Hauenschildt (1988: 484) eine eindeutig pessimistischere Bewertung gegenüber, die auf empirischer Feldarbeit, auf teilnehmender Beobachtung beruht. Insbesondere das Leitbild weitreichender Demokratisierung der Museumsarbeit sei selten erfolgreich umsetzbar, denn Alltagstätigkeiten, unzureichende Ressourcen, fehlende Partizipation der Bewohner, Herausforderungen gleichberechtigter Teamarbeit, komplexe Vermittlungsaufgaben und schwierige Kooperationen mit anderen Organisationen ließen für die größere Aufgabe der Demokratisierung weder Zeit noch Energie. Viele der in diesem Abschnitt 4.4 zitierten Autoren haben ihre Erkenntnisse vor zehn bis zwanzig Jahren gewonnen. Trotzdem kann man ihre Einschätzungen und ihre Kritik an der herkömmlichen Museologie nicht als veraltet betrachten, denn gerade in Deutschland ist die Neue Museologie noch immer nur von peripherer Bedeutung. Es gibt überzeugende Beispiele für kleinere Museen, die ihre manifeste Funktion im Thirdspace, etwa als Stadtteilressource und interkulturelle Bühne, erfolgreich ernst nehmen. Stellvertretend genannt seien hier das Kreuzberg Museum für Stadtentwicklung und Sozialgeschichte (Düspohl 2003, 2007) und das Museum Neukölln (Gößwald/Klages 1996, Gößwald 1997), beide in Berlin. Ungeachtet dessen spielt die emanzipative und 10 Beispielmuseen der Neuen Museologie sind in den entwickelnden Ländern z.B. das Costa-Rica-Nationalmuseum (San Roman 1992) oder das casa del museo Projekt in Mexiko mit der Museumsmission Tacubaya in einem Barrio, das in den 1970er Jahren von dem Nationalen Museum für Anthropologie in Mexiko-Stadt durchgeführt wurde (Hauenschildt 1988: 17, Hudson 1987). Prototypisch ist auch das Anacostia Community Museum in Washington, D.C. (Ruffins 1992: 580-582, Hauenschildt 1988: 16, Hudson 1987). Beispiele in Deutschland sind das »Museum der Arbeit« in Hamburg (Bornholdt u.a. 1988: 82), das Museum Neukölln (Gößwald 1997) oder das Kreuzberg Museum (Düspohl 2003), beide in Berlin.
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
aufklärerische Funktion der Neuen Museen in der deutschen Museumslandschaft eine marginale Rolle. Symptomatisch dafür ist das Schicksal der »doppelten Demokratisierung« der (Frankfurter) Museen (siehe Abschnitt 2.1), die mit der aufkommenden Secondspace-Funktion der 1980er Jahre obsolet wurde und seitdem nicht mehr als zentral zu diskutierende Aufgabe angesehen wird. Dies verhält sich in den USA anders. Dort hat nicht nur die American Association of Museums seit 1998 die Kooperation von Museums and Community als zentrale Initiative der Arbeit aller Museen konstituiert (AAM 2002, Kirchberg 2003), sondern die Kommunen behalten es sich regelmäßig vor, kommunale Zuschüsse von manifesten und sozialpolitisch erfolgreichen Outreach-Aktivitäten ihrer großen Museen abhängig zu machen (Kirchberg 2005). Funktionen von Museen im Rahmen der Neuen Museologie sind fast ausschließlich manifester Art, während die herkömmlichen statusbezogenen Funktionen der ›alten‹ Museologie (d.h. die Affirmation kultureller Hegemonien) latenter Art sind. Erst die Neue Museologie macht aber diese latente Funktion deutlich. Vertreter der Neuen Museologie fordern somit die Abschaffung alter Leitbilder: Aus dem Museum heraus müsse antihegemoniale Politik gemacht werden und durch eine radikale Diversifizierung des Publikums bis hin zur Umkehrung des bisherigen Exklusions-/Inklusionsprinzips solle das Museum über die Stärkung einer anderen kollektiven Identität neu definiert werden. Bis jetzt nur sinnvoll auf kleinere Museen angewandt, veranlasst die Neue Museologie aber auch die großen, ›alten‹ Museen dazu, sich zu fragen, ob nicht auch sie die Aufgaben einer Neuen Museologie erfüllen müssten.
5 . E I N E M AT R I X
DER
FUNK TIONEN
VON
MUSEEN
IN DER
S TA D T
In der abschließenden Tabelle 3 werden die manifesten und latenten städtischen Museumsfunktionen in den Spalten und die städtischen Funktionen im First-, Second- und Thirdspace in den Zeilen wiedergegeben. In der rechten Spalte wird der Bezug zum jeweiligen Abschnitt in diesem Artikel dokumentiert.11 Auf diese Weise resümiert die Zusammenstellung die zentralen hier diskutierten Punkte und gibt zugleich Stichworte für zukünftige Forschungen im Feld Museum und Stadt. Museen in der Stadt funktionieren manifest und latent auf Ebenen des physischen First-, kognitiven Second- und politischen Thirdspace. Auf jeder dieser Ebenen gibt es einige wiederkehrende Merkmale, die jeweils für diese Funktionen verantwortlich zeichnen. Diese Merkmale sind die konkrete und imaginati11 Einige Stichworte in der folgenden Matrix konnten aufgrund notwendiger Platzbeschränkungen in diesem Artikel nicht vollständig ausgeführt werden. Die interessierten Leser seien dafür auf Kirchberg (2005) verwiesen.
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ve Stadtgestaltung, die Zuschreibung als öffentlicher oder privater Raum und die Museumsarchitektur. Die Bedeutung dieser Merkmale ist allerdings von Ebene zu Ebene und auch von Dekade zu Dekade unterschiedlich. So spielt der Diskurs um die Neue Museologie nur im Thirdspace eine wesentliche Rolle und auch in erster Linie in den 1980er Jahren (wobei es in den letzten Jahren selbst in Deutschland zu einer Renaissance dieser Funktionseinforderung zu kommen scheint). Die Diskussion um die Funktion spektakulärer Museumsarchitekturen spielt sich ungebrochen nun schon über einen längeren Zeitraum vor allem im Secondspace, schwächer im Thirdspace ab, wobei man zuletzt eine gewisse Erschöpfung in diesem auch medial breit angelegten Diskurs ausmachen kann. Die Integration von Museumsbauten in die konkrete und imaginative Stadtgestaltung ist eine stark propagierte Funktion im First-, Second- und Thirdspace. Manifest werden (neue) Museen dabei zur Stadtkronen-Gestaltung, zum Stadt-Imageneering und zur politischen Profilierung (insbesondere bei Regierungswechseln) eingesetzt. Latent werden Museen stadtgestaltend zur räumlichen Umsetzung kultureller Hegemonie herangezogen, indem ihre Standorte und symbolischen Raumattribuierungen zur Exklusion statusniedriger Bevölkerung beitragen (Gentrifizierung). Schließlich ist die Diskussion um die Nutzung von Museen als öffentliche oder private Räume eine Diskussion vor allem im Thirdspace, dann auch im Firstspace. Im Thirdspace schaffen Museen manifest Räume der Ausübung von Zivilgesellschaft, latent aber Treffpunkte für exkludierende (politische) Netzwerke, weil hier Mitglieder exkludierender Teilöffentlichkeiten distanzlos miteinander kommunizieren können. Über Strategien der Stadtgestaltung simulieren Museen im Firstspace (manifest) zudem eine neue, ›kulinarische‹ Urbanität, die nichts mit einer für Fremde offenen Urbanität zu tun hat und diese somit (latent) ausschließt – was zurück zur problematischen Situation der Neuen Museologie im Rahmen der Stadtfunktionen führt. Grundsätzlich weisen alle hier aufgeführten Funktionen von Museen auf ihre Wirksamkeit zur sozialen Strukturierung über den städtischen Raum hin (vgl. auch Dangschat 1996). Dabei ist ein expliziter Bezug des Raumes auf die Strukturierung von Gesellschaft durch die manifesten Funktionen und ein impliziter Bezug des Raumes durch die latenten Funktionen von Museen in der Stadt gegeben.
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt
Tabelle 3: Matrix der Funktionen von Museen in der Stadt Raum
manifeste Funktion
Firstspace (physischer Raum und Raum sozialer Handlungsstrukturen)
Konkrete Stadtgestaltung: Städtebauliche Ordnung, Markierung, Skyline-Gestaltung, Stopp der Verwahrlosung von Stadtteilen, diverse ökonomische Vorteile
latente Funktion
Gentrifizierung, Exklusion statusniedriger Bevölkerung, Inklusion der lokalen Eliten, Bodenspekulation
Abschnitt
2.1, auch 1.3
Imaginative Stadtgestaltung: Museen als raumordnende und orientierende Wahrzeichen für postmoderne Innenstädte Ökonomische Vorteile durch Synergien von Kulturkonsum in Museen und anderer Unterhaltung, Einkaufen und Restaurants
Postmoderne Stadtlandschaften mit neotechnisierten Museen sind Repräsentationen im Raum. Exklusion findet statt über die Dechiffrierungsleistung des kulturellen Kapitals (Bildungsziel) über die Konsumtionsleistung des ökonomischen Kapitals (Erlebnisziel).
2.1, auch 1.3
Öffentlichkeit – Privatheit: Museum als Treffpunkt marktgerechter (profitabler) Zielgruppen (kulinarische Öffentlichkeit)
Angstfreie und distanzlose Kontakte mit gleichen Teilöffentlichkeiten. Museum = inkludierender und exkludierender Treffpunkt = Lebensstilmerkmal
2.2 und 2.3
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manifeste Funktion
Secondspace (mentaler Raum, Zeichen- und Symbolraum, Stadtimage)
Museumsarchitektur: Imageneering der Stadt, Stadtmarketing durch Aufmerksamkeit erregende BehälterArchitektur. Durch weltbekannte Architekten helfen neue Museumsbauten dem Stadtimage.
latente Funktion
Abschnitt
Attraktiver Behälter versteckt Mängel der Sammlung oder anderer interner MuseumsFunktionen, Rückzug desillusionierter Museumsarchitekten auf die Position des ›autonomen Künstlers‹
3.1
Konkrete Stadtgestaltung: Stadtmarketing (»Perlen putzen«), ›Face-Lifting‹ durch auffällige Bauten, Bewahrung des lokalen oder nationalen Erbes, Repräsentation als global city, Kulturimage als weicher Standortfaktor
›Phönix-Symbol‹: 3.2 Hoffnungsträger für den gewünschten Wiederaufstieg aus evtl. noch real anhaltendem wirtschaftlichen Niedergang, lokale Selbstbestätigung der Möglichkeit der Umkehrung des Prozesses
Imaginative Stadtgestaltung: Museen in der postmodernen Stadt als Symbol der Seriosität von Urban Entertainment District (UED)-Projekten für Investoren, politische Instanzen und Konsumenten. Museen als Simulation einer hochkulturbetonten Urbanität. Neotechnisierte Museen als Symbol der Öffnung dieser Kultur für ein neues Publikum
Simulierte neue Urbanität, 3.2 um das kommerzielle Leitbild der Stadtgestaltung zu verdecken (PseudoIkone der alten Urbanität). Neotechnisierte Museen in aus Simulationen aufgebauten Stadtlandschaften verdrängen die Forderung nach Authentizität durch den umfassenden Einsatz von Replikationen und Multimedia und weichen damit den AlleinAnspruch der traditionellen Museen auf.
Volker Kirchberg £Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt Raum
manifeste Funktion
Thirdspace (städtische Arena der politischen Institutionen, Regulationen und Aneignungen)
Öffentlichkeit – Privatheit Bereitstellung einer öffentlichen Bühne, die hilft, zivilgesellschaftliche Kompetenz einzuüben. Öffentliche Interaktionen mit dem Fremden v.a. in kleineren, statusoffenen Museen. Akzeptanz kommerzieller Aktivitäten.
latente Funktion
Abschnitt
Bereitstellung exklusiver (privater) Räume, die durch symbolische Zuschreibungen statusgenerierend sind, insbesondere auch durch kritische Distanz zu kommerziellen Aktivitäten.
4.1
Schwer zu dechiffrierende Außen- und Innenarchitektur führt zu sozialen Inklusionsund Exklusionsprozessen
4.2
Museumsarchitektur: Postmoderne Architektur stärkt Urbanität (mehr Öffentlichkeit in den Museen)
Konkrete Stadtgestaltung: »Doppelte Demokratisierung« durch Stadtraumgestaltung (Frankfurt, 1970er Jahre). In Liverpool Stärkung der neuen konservativen Stadtverwaltung. In New York Public-PrivatePartnerships z.B. am Times Square.
Lokaler Treffpunkt der 4.3 politischen Elite, räumlicher Kristallisationspunkt (alter und neuer) sozialer Netzwerke der Politik. Museen als Akteure und Produkte der lokalen Wachstumskoalition (Urban Political Economy).
Neue Museologie: Stärkung bisher vernachlässigter Öffentlichkeiten aus armen Stadtteilen, Vermitteln sozialer Probleme, Demokratieeinübung und Emanzipation, Stärkung lokaler Identität und des Selbstvertrauens bei den Machtlosen
Durch das Aufzeigen und Verfolgen einer alternativen Museologie wird ein Teil der traditionellen Museen zum Widerstand provoziert; letztere ›outen‹ sich damit als Instanzen affirmativer kultureller Hegemonie.
4.4
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I N T E R N AT I O N A L E P E R S P E K T I V E N DER MUSEUMSFORSCHUNG
F R A N K R E I C H ( S E I T 19 9 0) Hanna Murauskaya In Frankreich ist das Studium von Museen kein selbständiges Fach, sondern fügt sich vielmehr in ein breites Feld von Betrachtungen der Geschichte, Kunstgeschichte, Soziologie und Anthropologie ein. Das Fehlen einer autonomen Wissenschaft des Museums zeigt sich durch das Übergewicht an Publikationen in Sammelbänden, als ob das Kollektivwerk allein die Vielfalt der Positionen fassen und in ihrem Zusammenhang beleuchten könnte. Um mit der Forschung über Museen zu beginnen, gibt es derzeit drei unvermeidliche Hauptwerke. Diese drei Publikationen, allesamt Sammelbände, gehen aus einer Konferenz, einer Ausstellung und einem großen Projekt über die Geschichte Frankreichs hervor. Die Konferenz Les Musées en Europe à la veille de l’ouverture du Louvre (Die Museen in Europa am Vorabend der Eröffnung des Louvre), die 1993 im Louvre stattfand und deren Beiträge zwei Jahre später erschienen, lieferte einen Überblick über den Stand der europäischen Museen am Ende des 18. Jahrhunderts (Pommier 1995). Dieses Projekt der Erforschung eines Geschichtsphänomens in seiner räumlichen Vielfältigkeit hat insbesondere die Position des Louvre in seinem Kontext und in Bezug zu anderen, ähnlichen Anstalten der gleichen Epoche beleuchtet. Die Ausstellung La jeunesse des musées: Les musées de France au XIXe siècle (Die Jugend der Museen: Die Museen Frankreichs im 19. Jahrhundert) wurde 1994 vom Musée d’Orsay organisiert (Georgel 1994). Aus diesem Anlass erschien ein Sammelband mit 36 Beiträgen, welche die Geschichte der Institution in Frankreich im Jahrhundert ihres Aufblühens nachzeichnen. Diese Arbeit umfasst verschiedene Aspekte der Institution: von der Politik der Museumseröffnung bis zu einer Analyse der Sammlungszusammensetzung fehlt selbst eine »Kleine Geschichte der Museumsbroschüren« oder auch eine Studie zu den Lieferanten der Möbel nicht. Der Band ist getragen von dem Wunsch, die Gesamtheit der museologischen Realität dieser Epoche zu erfassen. Schließlich ist das von Pierre Nora zwischen 1984 und 1992 herausgegebene, siebenbändige Werk Les Lieux de mémoire (Erinnerungsorte) zu nennen, das nicht speziell Museen behandelt, aber dennoch für die Entwicklung der Museumswissenschaft in Frankreich wesentliche Impulse gab. Diese Arbeit hat die Repräsentation historischer Ereignisse zu relevanten Forschungsobjekten erhoben. Damit sind für die Historiker die Repräsentationen mindestens genauso attraktiv geworden wie die historischen Ereignisse an sich, viel-
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leicht sogar attraktiver. Das Museum als Ort der Repräsentationen schlechthin ist auf diese Weise in den Vordergrund des Forschungsinteresses gerückt (vgl. den Beitrag von Katrin Pieper in diesem Band). Die 1990er Jahre waren ein kleines goldenes Zeitalter für die Museumsstudien in Frankreich. Viele Arbeiten, die in der Folge der Zweihundertjahrfeier der Eröffnung des Louvre entstanden, haben dazu beigetragen, dieser vorher praktisch nicht existierenden Studienrichtung Schwung zu geben. Ursprünglich auf das Studium von Sammlungen begrenzt, hat sich die Geschichte der Museen gegenüber den Methoden und den theoretischen Betrachtungen der Sozialwissenschaften im Allgemeinen geöffnet. Weitestgehend ist dies der einflussreichen Arbeit von Dominique Poulot zu verdanken (Poulot 1992, 1994a, 1997, 2005). Diese neue Sozial- und Kulturgeschichte der Museen verfolgt das Studium »des Gebrauchs und der praktischen Erfahrung« (Poulot 1992: 127), indem sie sich der Methoden der Anthropologie bedient. Sie beobachtet und versucht, was die Vergangenheit betrifft, zu rekonstruieren, wie genau die »materielle Kultur [im Museum] verarbeitet, in Form gebracht, vermittelt und interpretiert wird« (ebd.: 128). Der Aspekt aus dem Universum des Museums, der die neue Disziplin am meisten beschäftigt, ist unbestritten das Museumspublikum. Die Tradition der Besucherforschung in Frankreich geht zurück auf die berühmte Studie von Pierre Bourdieu und Alain Darbel (1966) über die europäischen Kunstmuseen und ihre Besucher. Die Autoren dieser soziologischen Untersuchung haben demonstriert, wie entscheidend die Rolle des Bildungshintergrunds für die Beurteilung von Kunstwerken und die Erfahrung eines Museumsbesuches ist. Durch diese Studie beeinflusst, häufen sich seither viele statistische Arbeiten, die oft von den musealen Einrichtungen selbst in Auftrag gegeben werden. Neu ist in den 1990er Jahren das Bemühen, die soziologische Herangehensweise auf die Geschichte anzuwenden. Es ist der Versuch zu rekonstruieren, auf welche Art und Weise in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten die Museen besucht wurden. Durch die Unmöglichkeit der Durchführung soziologischer Umfragen in der Vergangenheit greift der Historiker auf andere Quellen zurück (vgl. den Beitrag von Thomas Thiemeyer in diesem Band). Dies können Karikaturen, Romane, Memoiren und Tagebücher der Zeit sein, die eine Institution aus der Perspektive ihrer realen oder fiktiven Besucher wieder aufleben lassen (Poulot 1994b). Das Museum findet sich an der Kreuzung zu den Sozialwissenschaften wieder, und so ist es ganz natürlich, dass der von den Wissenschaftlern am meisten untersuchte Museumstyp das »musée de société«, das Gesellschaftsmuseum, geworden ist. Dieses Konzept wurde 1991 vorgeschlagen, um Museen zu bezeichnen, die »die gleiche Zielvorstellung teilen: die Entwicklung der Menschheit in ihren sozialen und historischen Komponenten zu studie-
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ren und Elemente zu vermitteln, um die verschiedenen Kulturen und Gesellschaften zu verstehen« (Barroso/Vaillant 1993). Eine solche weite Definition erlaubt es, mehrere Kategorien von Museen zusammenzubringen, die zuvor gegeneinander abgegrenzt waren. Sie ermöglicht auch, die Arbeiten über die Beziehungen zwischen Museum und Gesellschaft oder, mehr noch, zwischen Museum und Kultur zu fokussieren. Das Interesse an der Analyse der musées de société ist ebenso theoretischer wie praktischer Art, denn viele Studien in diesem Bereich versuchen, einen Beitrag zum allgemeinen Wissen und zu der konkreten Ausarbeitung von neuen Museumsformen zu leisten (z.B. Desvallées 1992/1994; Davallon 1999; Gorgus 2003). Die Debatte zu den musées de société wurde einst durch die Konzeptualisierung und Errichtung des »écomusée« als einer der innovativsten Formen belebt und erfuhr einen neuen Aufschwung in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts mit der Debatte um das neue Projekt eines »musée des arts premiers«, dem Musée du quai Branly. Die Eröffnung des Museums im Juni 2006 hat Anthropologen dazu gebracht, die Rolle des Museums in der zeitgenössischen Gesellschaft zu befragen (vgl. etwa Price 2007), und den Museumsspezialisten dazu verholfen, anthropologische Methoden für ihre Studien zu entlehnen. Eine gewisse Anthropologisierung des Diskurses seit dem Beginn des Projekts des Musée du quai Branly hat eine neue Welle an museologischen Arbeiten hervorgebracht. Zu nennen ist insbesondere das 2007 erschienene Werk von Benoît de l’Estoile Le Goût des autres: de l’exposition coloniale aux arts premiers (Der Geschmack der Anderen: Von der Kolonialausstellung zu den arts premiers). Der Autor schlägt unter anderem vor, zum Objekt zurückzukommen und das Museum anhand der ausgestellten Werke zu analysieren, die er als »Knoten von sozialen Beziehungen« (de l’Estoile 2007: 424) sieht, die unterschiedliche Interpretationen ermöglichen. Die sorgfältige Analyse der »verschiedenartigen Geschichten« zum Thron des Sultans von Kamerun, Njoya, zeigt die Fruchtbarkeit und die Relevanz eines solchen Vorgehens (ebd.: 369ff.). Angefangen bei fast technischen Untersuchungen zu Sammlungen und Besuchern, hat die Museumsanalyse in Frankreich seit den 1990er Jahren die Dimension einer Sozial- und Kulturgeschichte erreicht. Es ist kennzeichnend, dass die erste französische Zeitschrift, die sich der Museumsforschung gewidmet hat, 1992 unter dem Titel Public & Musées (Besucher und Museen) erschien und im Jahr 2000 zu Culture & Musées (Kultur und Museen) umgetauft wurde. Das Museum an sich hat sich schnell als ein sehr enges Untersuchungsgebiet für die französischen Forscher herausgestellt und man musste es in größere Kontexte einordnen: in jene des Kulturerbes, der Kulturpolitik oder auch anderer Kulturinstitutionen. Die Neubewertung der Anthropologie durch die Schaffung eines neuen Museums hat der Disziplin einen neuen Sinn und eine neue Richtung gegeben, die das Interesse an den ›verschiedenen
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Leben‹ der Objekte und an ihrer Inszenierung und Ritualisierung im Museum beflügelt hat.
L I T E R AT U R Barroso, Eliane/Vaillant, Emilia (Hg.) (1993): Musées et sociétés. Actes du colloque de Mulhouse Ungersheim (Juni 1991), Paris: Direction des musées de France. Bourdieu, Pierre/Darbel, Alain (1966): L’amour de l’art. Les musées européens et leurs publics, Paris: Éditions de Minuit (dt.: Die Liebe zur Kunst. Europäische Kunstmuseen und ihre Besucher, Konstanz: UVK, 2006). Davallon, Jean (Hg.) (1999): L’exposition à l’œuvre.Stratégie de communication et médiation symbolique, Paris: L’Harmattan. Desvallées, André (Hg) (1992/1994): Vagues. Une anthologie de la nouvelle muséologie. Recueil de textes, 2 Bde., Mâcon: Editions W. de l’Estoile, Benoît (2007): Le Goût des autres. De l’exposition coloniale aux arts premiers, Paris: Flammarion. Georgel, Chantal (Hg.) (1994): La Jeunesse des musées. Les musées de France au XIXe siècle, Paris: Musée d’Orsay. Gorgus, Nina (2003): Le magicien des vitrines. Le muséologue Georges Henri Rivière, Paris: Maison des Sciences de l’Homme (dt.: Der Zauberer der Vitrinen. Zur Museologie Georges Henri Rivières, Münster: Waxmann, 1997). Nora, Pierre (Hg.) (1984-92), Les Lieux de mémoire, 7 Bde., Paris: Gallimard. Pommier, Edouard (Hg.) (1995): Les Musées en Europe à la veille de l’ouverture du Louvre, Paris: Klincksieck. Poulot, Dominique (1992): »Bilan et perspectives pour une histoire culturelle des musées«. Publics & Musées 2, S. 125-145. Poulot, Dominique (1994a): Bibliographie de l’histoire des musées de France, Paris: Éditions du C.T.H.S. Poulot, Dominique (1994b): »Le musée et ses visiteurs«. In: Chantal Georgel (Hg.), La Jeunesse des musées. Les musées de France au XIXe siècle, Paris: Musée d’Orsay, S. 332-350. Poulot, Dominique (1997): Musée, nation, patrimoine. 1789-1815, Paris: Gallimard. Poulot, Dominique (2005): Musée et muséologie, Paris: La Découverte. Price, Sally (2007): Paris Primitive. Jacques Chirac’s Museum on the Quay Branly, Chicago: University of Chicago Press.
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I TA L I E N Giovanni Pinna Die Veröffentlichungen auf dem Feld der Museologie in Italien sind durch einige spezifische Merkmale gekennzeichnet, die in engem Zusammenhang mit der Rolle stehen, die der Staat den Museen seit Mitte des 19. Jahrhunderts eingeräumt hat – eine Rolle, die ihre Struktur und ihre Aktivitäten geprägt hat und die heute sowohl die Erneuerung archaischer Museumsstrukturen als auch die Realisierung neuer Einrichtungen bremst. Die heutigen italienischen Museen sind das Produkt eines bürokratischen Staates, der von der Wirklichkeit des Landes losgelöst agiert und seine Kulturpolitik stets auf Zentralisierung der Entscheidungsgewalt und Kontrolle des Landes aufgebaut hat. Lokale kulturelle Aktivitäten wurden – entgegen der italienischen Tradition, die gerade in den lokalen künstlerischen und kulturellen Eigenheiten ihr höchstes Niveau erreicht hat – unterdrückt. Der Zentralisierung des Staates steht gleichwohl ein Netz von Museen entgegen, das aus historischen Gründen dem deutschen nicht unähnlich ist. Gekennzeichnet ist dieses durch eine geringe Anzahl großer Museen, eine gewisse Zahl von Museen mittlerer Größe und eine beträchtliche Menge von kleinen Museen, die über das gesamte Land verteilt sind. Traditionell konzentrieren sich diese Museen – mit wenigen Ausnahmen hinsichtlich der Naturkundemuseen – vorwiegend auf die Bewahrung und ästhetische Präsentation ihrer Objekte, während Tätigkeiten wie die Sicherung des kulturellen Erbes, die Forschung und die gesellschaftliche Vermittlung von Kultur als nachgeordnet angesehen werden. Dies gilt vor allem für die staatlichen Museen, die über keine Autonomie und keinen eigenen juristischen Status verfügen, sondern in hohem Maße von den Soprintendenze, den staatlichen Organen der Denkmalpflege, abhängig sind. Deren Organisation und Kompetenzen wurden im Prinzip bereits 1909 gesetzlich festgelegt und seither – von den Änderungen eines faschistischen Gesetzes aus dem Jahr 1939 abgesehen – nicht wesentlich modifiziert. Die Abhängigkeit von den Organen des Kulturministeriums hat zur Folge, dass die staatlichen italienischen Museen über kein Personal verfügen, das zur Ausübung museologischer Aufgaben qualifiziert ist. Ihre Verwaltung obliegt stattdessen Funktionären der Soprintendenze, die hauptsächlich für den Aufgabenbereich des Denkmalschutzes angestellt wurden. Für die nicht-staatlichen Museen, die vorwiegend von den Kommunen unterhalten werden, stellt sich die Situation vollkommen anders dar. Deren Aktivitäten liegen den üblicherweise dem Museum zugeordneten Aufgabenbereichen wesentlich näher, und zwar nicht zuletzt dank der engeren Kontakte, die sie mit der Bevölkerung vor Ort pflegen. Die einschlägigen Aufgaben werden hier größtenteils von Personal erledigt, das auf museologische Tätigkeiten spezialisiert ist. Zugleich verfügen
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diese Institutionen jedoch über geringe finanzielle Mittel und sind aufgrund einiger neuer Vorschriften gezwungen, ihr wissenschaftliches und technisches Personal drastisch zu reduzieren. Die schwache gesellschaftliche Rolle, die Museen zugestanden wird, die einseitige Ausbildung von Museumsmitarbeitern, die sich mehr an Einzeldisziplinen statt an museologischen Fragen orientiert, die geringe Anzahl des im Museumsbereich tätigen Personals und die Unfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, sich politisch für Erneuerungen und neue Projekte einzusetzen, hat dazu geführt, dass sich in Italien keine kritische Diskussion über das Museumswesen entwickelt hat. Denn das Museum ist das politische Produkt einer Gesellschaft. Um zu existieren, braucht es eine Gesellschaft im Rücken, die imstande ist, Ideen zu entwerfen und zu realisieren. In einer Gesellschaft ohne politisches Projekt sterben die Museen ab und die Museologie mit ihnen. Denn dies ist eine Wissenschaft, deren Sinn mehr in ihrer praktischen Anwendung als in ihren speziellen Theorien liegt: Jedes Museum ist ein Mikrokosmos für sich, der einen ganz eigenen modus operandi, eigene Kommunikationsformen und kulturelle Inhalte entwickelt. Daraus ergibt sich, dass eine Theorie, die für ein bestimmtes Museum gilt, für ein anderes völlig unangemessen sein kann und dass jedes Museum – ob es will oder nicht – dazu bestimmt ist, auf Grundlage seiner eigenen Erfahrungen und Beziehungen zur Gesellschaft seine eigene museologische Theorie und ein eigenes kulturelles Konzept zu entwickeln. Wenn die italienischen Museen nicht sozial und kulturell aktiv werden, wenn sie sich in ihrer Form, ihren Funktionen und ihrer Substanz nicht erneuern, dann wird jede museologische Debatte unmöglich, unproduktiv, theoretisch und vor allem unnütz. Es ist logisch, dass diejenigen, die sich mit Museen beschäftigen – sei es, weil sie dort arbeiten, weil sie zukünftig dort arbeiten wollen oder einfach weil sie diese besuchen –, in dieser Situation kulturpolitischer Beschränkung und Unbeweglichkeit wenig Interesse an einer Reflexion der eigenen Berufserfahrungen, am Entwurf neuer Methoden der Intervention und Entwicklung oder auch am Aufbau eines Kenntnisstandes, den sie dann in ihre Institutionen einfließen lassen könnten, zeigen. Die italienischen Museologen, darunter viele Verantwortliche der wichtigsten nationalen Museen, schauen nun stattdessen auf das, was im Ausland geschieht, und sind fasziniert von den expansionistischen Modellen der Guggenheim-Foundation und des Louvre, nachdem sie sich in der Vergangenheit der Illusion von den Wunderwirkungen kulturökonomischer Theorien hingegeben hatten. All dies wirkt sich auf den Forschungsstand aus. Die Mehrzahl der italienischen Publikationen, die sich kritisch mit dem Museumswesen und den damit zusammenhängenden Themen – kulturelles Erbe, kollektives Gedächtnis, nationale Identität – auseinandersetzen, sind Übersetzungen von Arbeiten vor
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allem angelsächsischer und französischer Autoren. Die neuesten Reihen im Bereich der Museumswissenschaft enthalten Übersetzungen von Texten von André Malraux, Karsten Schubert, Krzysztof Pomian, Eilean Hooper-Greenhill, Michel Laclotte, Hugues de Varine, Werner Szambien, Ivan Karp, Steven D. Lavine, Knud W. Jensen oder Robert Lumley – allesamt geschätzte Autoren, die dem italienischen Leser jedoch einen museologischen Ansatz vermitteln, der der Kultur des eigenen Landes fremd ist. Original italienische Arbeiten, die in den letzten 25 Jahren zu einer kritischen Diskussion auf dem Feld der Museumswissenschaft beigetragen haben, gibt es dagegen relativ wenige (darunter Binni/Pinna 1980; Russoli 1981; Mottola Molfino 1992; Basso Peressut 1997; Pinna 1997; Clemente/Rossi 1999; Pinna/Sutera 2000; Gregorio 2002; Balboni Brizza 2006; Pinna 2006). Die italienischen Museologen haben sich in ihren Publikationen mehrheitlich auf politisch-administrative Aspekte konzentriert (Morigi Govi/Mottola Molfino 1996; Settis 2002; Dell’Orso 2002; Cassanelli/Pinna 2005), auf Museumsgeschichte (Ruggieri Tricoli/Vacirca 1998; Ruggieri Tricoli 2000; Bonaretti 2002; Vercelloni 2007) und auf Fragen des Sammelns (Lugli 1983; Molfino/Mottola Molfino 1997). Weitere Felder sind das Bewahren und Konservieren der Dinge (D’Alconzo 1999) sowie Aspekte der Architektur mit besonderem Augenmerk auf Techniken des Ausstellens. Diesbezüglich von Interesse ist die museumswissenschaftliche Reihe des Verlages Lybra Immagine, Mailand, der auch die periodisch erscheinende Zeitschrift Exporre veröffentlicht. Dies alles findet statt, während neben wenigen ausgezeichneten Handbüchern (Tomea Gavazzoli 2003; Mottola Molfino/Morigi Govi 2004; Cataldo/Paraventi 2007) eine Vielzahl von Bändchen zirkuliert, die das Museumswesen in banaler Form durch die Wiederholung von Stereotypen, die wenig zur museologischen Diskussion beitragen, darstellen (Marini Clarelli 2005; Marani/Pavoni 2006; Fanizza 2006). Schließlich hat der Vorstoß der letzten Regierungen in Richtung einer Privatisierung der Verwaltung des kulturellen Erbes eine lebhafte Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern des Eintritts privatwirtschaftlicher Akteure in die Leitung von Museen angeregt (Zan 1999, 2003). Zugleich hat dies zum Nachdenken über die allgemeine Organisation der Museen und die Möglichkeit ihrer Modernisierung durch Anwendung von Prinzipien aus der freien Wirtschaft geführt (Bagdadli 1997; Eminente/Mari/Viggiani 2002; Montella 2003; Sibilio Parri 2004). An dieser Debatte haben sich auch die wichtigsten italienischen Universitäten beteiligt, wie die Mailänder Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi und die Scuola normale Superiore in Pisa. Zum Abschluss ein positive Note: In Italien erscheinen drei museologische Zeitschriften: Museologia Scientifica, das Organ der Associazione Nazionale Musei Scientifici, Nuova Museologia, das Hausorgan der Associazione Italiana di Studi Museologici, und Antropologia Museale, herausgegeben von der So-
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cietà Italiana per la museografia e i beni demoetnoantropologici. Diese berühren alle Felder der Museologie und zeigen, dass eine museumswissenschaftliche Debatte im Gang ist, die im Bereich der unabhängigen Vereinigungen der Museumsprofis und mithin außerhalb der politischen Entscheidungszentren geführt wird.
L I T E R AT U R Bagdadli, Silvia (1997): Il museo come azienda, Etas: Milano. Balboni Brizza, Maria Teresa (2006): Immaginare il museo, Jaca Book: Milano. Basso Peressut, Luca (1997) (Hg.): Stanze della meraviglia. I musei della natura tra storia e progetto, Clueb: Bologna. Binni, Lanfranco/Pinna, Giovanni (1980): Museum. Storia di una macchina culturale dal ›500 ad oggi, Garzanti: Milano. Bonaretti, Pellegrino (2002): La Città del Museo, Edifir: Firenze. Cassanelli, Roberto/Pinna, Giovanni (2005): Lo stato aculturale. Intorno al Codice dei beni Culturali, Jaca Book: Milano. Cataldo, Lucia/Paraventi, Marta (2007): Il museo oggi. Linee guida per una museologia contemporanea, Hoepli: Milano. Clemente, Pietro/Rossi, Emanuela (1999): Il terzo principio della museologia, Carocci: Roma. D’Alconzo, Paola (1999): L’anello del Re, Edifir: Firenze. Dell’Orso, Silvia (2002): Altro che musei, Laterza: Bari. Eminente, Giorgio/Mari, Carlo/Viggiani,Sergio (2002): La formazione manageriale nella gestione dei musei e delle istituzioni culturali, Franco Angeli: Milano. Fanizza, Franco (2006): I luoghi dell’arte, Cacucci: Bari. Gregorio, Maria (2002) (Hg.): Musei, saperi e culture, ICOM Italia: Milano. Lugli, Adalgisa (1983): Naturalia e mirabilia, Mazzotta: Milano. Marani, Pietro/Pavoni, Rosanna (2006): Musei, Marsilio: Venezia. Marini Clarelli, Maria Vittoria (2005): Che cos’è un museo, Carocci: Roma. Molfino, Francesca/Mottola Molfino, Alessandra (1997): Il possesso della bellezza, Allemandi: Torino. Montella, Massimo (2003): Musei e beni culturali. Verso un modello di governance, Electa: Milano. Morigi Govi, Cristiana/Mottola Molfino, Alessandra (1996) (Hg.): La gestione dei musei civici, Allemandi: Torino. Mottola Molfino, Alessandra (1992): Il libro dei musei, Allemandi: Torino. Mottola Molfino, Alessandra/Morigi Govi, Cristiana (2004) (Hg.): Lavorare nei musei, Allemandi: Torino.
Murauskaya, Pinna, Bolaños £Internationale Perspektiven der Museumsforschung
Pinna, Giovanni (1997): Fondamenti teorici per un museo di storia naturale, Jaca Book: Milano. Pinna, Giovanni (2006): Animali impagliati e altre memorie, Jaca: Milano. Pinna, Giovanni/Sutera, Salvatore (2000) (Hg.): Per una nuova museologia, ICOM Italia: Milano. Ruggieri Tricoli, Maria Clara (2000): I fantasmi e le cose, Lybra Immagine: Milano. Ruggieri Tricoli, Maria Clara/Vacirca, Maria Désirée (1998): L’idea di museo, Lybra Immagine: Milano. Russoli, Franco (1981): Il museo nella società. Analisi, proposte, interventi 1952-1977, Feltrinelli: Milano. Settis, Salvatore (2002): Italia S.p.A. L’assanto al patrimonio culturale, Einaudi: Torino. Sibilio Parri, Barbara (2004). L’azienda museo, Franco Angeli: Milano. Tomea Gavazzoli, Maria Laura (2003): Manuale di museologia, Etas: Milano. Vercelloni, Virgilio (2007): Cronologia del museo, Jaca Book: Milano. Zan, Luca (1999): Conservazione e innovazione nei musei italiani, Etas: Milano. Zan, Luca (2003): Economia dei musei e retorica del management, Electa: Milano.
RUSSLAND Hanna Murauskaya Das Museum wird in Russland im Rahmen der »Museologie« (muzeevedenie oder muzeologia) untersucht. Diese Disziplin interessiert sich für »die Besonderheiten der musealen Beziehung des Menschen gegenüber der Realität und dem Phänomen des Museums, das durch diese Beziehung hervorgebracht wird. Sie studiert auch die Vorgänge der Aufbewahrung und der Übertragung sozialer Informationen durch die Museumsobjekte sowie die Entwicklung des Museumswesens (muzejnoe delo) und die verschiedenen Richtungen des Museumsbetriebs (muzejnaja dejatel'nost')« (Rossijskaja muzejnaja ènciklopedija 2005: 386). Diese Disziplin, die aus der Schnittmenge der Geschichte, der Kunstwissenschaft (iskusstvovedenie), der Ethnographie und der Archäologie hervorging, wurde erst 1992 mit der Gründung der Fakultät für Museologie an der Moskauer Universität für Geisteswissenschaften (RGGU) wirklich selbständig 1. Die Geisteswissenschaften haben in Russland eine lange Tradition syste1
Der erste Unterricht mit dem Titel »Einführung in die Museologie« wurde am Institut für Archäologie in Moskau in den Jahren um 1900 gehalten. Gegenwärtig (2007)
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matischer und ganzheitlicher Studien. Der Anspruch, die Vielfalt der historischen, kulturellen und sozialen Wirklichkeit in ein kohärentes und vollständiges Schema zu integrieren und dieses als Paradigma für alle Disziplinen nutzbar zu machen, geht in seinen Anfängen bis auf die religiöse slawophile Philosophie des 19. Jahrhunderts zurück. Teilweise lässt sich dies durch die Bedeutung des Begriffs sobornost' (»Katholizität« oder »Versammlung«) in der russischen Kultur und im intellektuellen Diskurs erklären2. Der Philosoph und Utopist Nikolaj Fëdorov (1829-1903) hat als erster die Annäherung zwischen den beiden Wörtern des gleichen Stamms sobor (»Kathedrale«) und sobranie (»Sammlung«) verfolgt. Er hat eine Philosophie »der gemeinsamen Angelegenheit« aufgestellt, in der das Museum eine Hauptrolle als »ein Bewusstsein der Geschichte« spielt (Fëdorov 1995: 370-437). Während diese religiöse Philosophie der Versammlung erstickt und schließlich während der sowjetischen Zeit vergessen wurde, wurde sie durch eine andere, nicht weniger allgemeine Ideologie ersetzt. Die marxistisch-leninistische Weltanschauung beruhte hauptsächlich auf den Grundsätzen der Einheit und der Ganzheit des Universums, des Primats der Materie und des unweigerlichen Fortschritts der Menschheit. Die Theorie des Historischen Materialismus, ein wichtiger Bestandteil der sowjetischen Ideologie, dominierte das Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften. Sie interpretierte die historische Entwicklung als eine Abfolge von fünf Gesellschaftsformationen: der Stammesgesellschaft, der Sklavenhaltergesellschaft, der Feudalgesellschaft, der kapitalistischen Gesellschaft und dem Kommunismus. Auf das Feld der Museen angewandt, hat diese Theorie breite und sehr strukturierte historische Panoramen hervorgebracht. Die sieben grundlegenden Bände Očerki istorii muzejnogo dela [v Rossii i SSSR] (Grundriss der Geschichte des Museumswesens [in Russland und der UdSSR]), veröffentlicht zwischen 1957 und 1971, stellen daher den Höhepunkt der sowjetischen Museumsforschung dar. Die Gesamtheit der historischen Wirklichkeit ist darin in Zeitabschnitte gemäß der klassischen sowjetischen Periodisierung aufgeteilt: das leibeigene Russland (vor 1861), die Zeit nach der Aufhebung der Leibeigenschaft (1861-1917), die ersten Jahren der Sowjetmacht (1917-1941), die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die Gegenwart (nach 1945). Die zweite Abteilung bezieht sich auf die zehn gibt es 30 Universitätslehrstühle in Museologie in der gesamten Russischen Föderation. 2
Sobornost’ stammt von dem russischen Wort sobor ab und bedeutet »Kathedrale« oder »Konzil«. Es teilt den Wortstamm mit dem Verb sobirat’ »sammeln«. Dieser Begriff hat sich ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als das Wesen selbst oder die »Seele« der russischen Orthodoxie und im weiteren Sinne der russischen Kultur im Allgemeinen durchgesetzt.
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Hauptkategorien von Museen: Archäologie-, Geschichts-, Gewerbe-, Heimat-, Kunst-, Landwirtschafts-, Militär-, Schloss- und Völkerkundemuseen sowie Gedenkstätten. Außerdem werden einige führende Museen, wie das Historische Museum in Moskau, und spezielle Themen, wie Ausstellungen, private Sammlungen oder die Politik des Denkmalschutzes, getrennt behandelt. Die Očerki waren als periodisch erscheinende Publikation des Moskauer Instituts für Museologie konzipiert. Die Hauptmitglieder des Instituts, von denen insbesondere Avraam Razgon (1920-1989) als zentrale Persönlichkeit der Museumsforschung in der UdSSR zu nennen ist, arbeiteten vorab das Forschungsprojekt und die zu behandelnden Themen aus und gaben entsprechende Artikel bei sachkundigen Forschern in Auftrag. Im letzten Band kündigte Razgon eine Erweiterung um Themen, die andere Sowjetrepubliken betreffen, an, doch konnte dieses Vorhaben nicht verwirklicht werden. Ein solches »totales« System der Wissensorganisierung ließ natürlich viele Fragen unerforscht. Seit dem Fall der UdSSR, der einen Umbruch der wissenschaftlichen Praktiken und die Öffnung der Archive verursacht hat, haben sich russische Forscher in die Untersuchung neuer Gebiete ihrer eigenen Geschichte gestürzt und auch eine Vielzahl ignorierter Persönlichkeiten und Phänomene aus ihrem Schattendasein geführt. So wurden in den 1990er Jahren der Philosoph Nikolaj Fëdorov (1995) und der originelle Museumspraktiker Fëdor Šmit (1877-1937), der während der stalinistischen Säuberungen erschossen worden war (Čistinova 1994), wiederentdeckt. Die Anzweiflung der sowjetischen Grundsätze veranlasste einige zur Veröffentlichung von Quellen, persönlichen Erinnerungen und Archivzeugnissen (Piotrovskij 2000) und – in einer Situation des methodologischen Chaos’ zumindest für den Moment – zur Zurückhaltung gegenüber kritischer Analyse und Reflexion. Andere Forscher haben sich in die Bearbeitung neuer epistemologischer Regeln und in die Abfassung neuer allgemeiner Synthesen gestürzt (Frolov 1991; Kasparinskaja 1991; Grickevič 2001; Kaulen 2003). Diese neuen Werke streben danach, bisher fehlende Elemente zu erfassen. Zugleich wollen sie aus der Tradition des sobornost’ schöpfen, bleiben aber abhängig von dem sowjetischen systematischen Denken. Die neue Forschung nimmt so eine enzyklopädische Form an und drückt sich in dem gigantischen Projekt der 2001 veröffentlichten und 2005 nachgedruckten Rossijskaja muzejnaja ènciclopedia (Russische museale Enzyklopädie) aus. Diese Enzyklopädie folgt dem Konzept der muzejnyj mir (»museale Welt«) von Marija Kaulen und Annèta Sundieva. Dieses bezeichnet »den Abschnitt des Kulturbereichs, in dem die Geschichts-, Kultur- und Naturgegenstände funktionieren, deren Wert von der Gesellschaft anerkannt wird und die aufbewahrt und an künftige Generationen als eine verdinglichte kulturelle und historische Erfahrung weitergegeben werden müssen« (Kaulen/ Sundieva 2005: 5). Eintausend russische Museen werden in der Enzyklopädie
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einzeln behandelt; andere Artikel untersuchen so unterschiedliche Themen wie wichtige Persönlichkeiten, Zeitschriften und Regionen, die museologische Terminologie, verschiedene wissenschaftliche Gesellschaften und anderes. Das Ziel des Unternehmens besteht im Austausch des sowjetischen, nunmehr veralteten Paradigmas, das auf der Einteilung der historischen Realität in Perioden und Museumskategorien basierte, durch ein enzyklopädisches Modell, das sich der Vielfalt der Themen und zeitgenössischen Diskurse anpasst und zugleich das Ideal umfassender Vollständigkeit aufrechterhält. Die Website www.museum.ru beherbergt nicht nur eine elektronische (allerdings wenig vollständige) Version dieses Werks, sondern repräsentiert online auch die zeitgenössische russische Museumswelt selbst. Sie vernetzt die Gemeinschaft der Museumsfachleute, Wissenschaftler, Studenten und Besucher russischer Museen und fasst Bilder, Anzeigen und weitere relevante Websites zur Museumslandschaft und -forschung des Landes zusammen. Aus Skepsis gegenüber einer institutionalisierten Geschichte der Museen wollen zeitgenössische Forscher das Museum in den Kontext der Kultur im Allgemeinen einschreiben. Eine veritable »Kulturwissenschaft« (kulturologia), teilweise inspiriert von den Cultural Studies, hat sich ausgebreitet und wird aktiv gefördert als ein neues Paradigma, um kulturelle Phänomene zu verstehen. Dieses Paradigma setzt sich immer mehr in der Analyse der Museen durch. Das Buch Muzej v mirovoj kul’ture (Das Museum in der Weltkultur), 2003 veröffentlicht von Tamara Jureneva, ist hierfür ein gutes Beispiel. Wenig überraschend ist, dass von russischen Wissenschaftlern und Spezialisten heute vor allem das Freilichtmuseum in seinen verschiedene Ausprägungen (muzej-zapovednik bzw. muzej-usad’ba) geschätzt wird. Dieser Museumstyp gibt Anlass zu zahlreichen Debatten und Publikationen (vgl. etwa Frolov 2003). Er eignet sich besonders gut für das »milieumäßige Vorgehen« (sredovoj podhod), da er sich als in situ museologisiertes Ensemble darstellt und die natürliche Umgebung, architektonische Denkmäler und Sammlungen einbezieht. So verkörpert er die unerschütterliche Verbundenheit der russischen Geisteswissenschaften mit dem ganzheitlichen Denken und verwirklicht die Museologisierung der »verdinglichten kulturellen und historischen Erfahrung« par excellence.
L I T E R AT U R Čistinova, Svetlana (1994): Fëdor Ivanovič Šmit, Moskau: Delo. Fëdorov, Nikolaj (1995): Sobranie sočinenij v četyrëh tomah, 2 Bde., Moskau: Progress. Frolov, Alexandr (1991): Osnovateli rossijskih muzeev, Moskau: Ripol Klassik. Frolov, Alexandr (2003): Usad’by Podmoskov’ja, Moskau: Ripol Klassik.
Murauskaya, Pinna, Bolaños £Internationale Perspektiven der Museumsforschung
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S PA N I E N Maria Bolaños Es gibt wahrscheinlich wenige Länder, in denen der Erfolg der Museen und ihre theoretische Erforschung von einer solch tiefen Kluft getrennt sind wie in Spanien. Wer sich unserer jüngsten Geschichte – seit Begründung der Demokratie im Jahr 1975 – nähert, wird sich über die anhaltende ›Museumswelle‹ wundern, die unsere Städte überflutet hat: die Vergrößerung und Modernisierung klassischer Museen, die Neugründung naturkundlicher Museen, nationaler Zentren für moderne Kunst und monographischer Museen über Exilkünstler, der Bau neuer Museumsgebäude von renommierten Architekten, die Musealisierung des industriellen Erbes und schließlich ein regionales Labyrinth von Zentren für zeitgenössische Kunst. Wenn dieses Wachstum auch dem in anderen europäischen Ländern ähneln mag, so verleihen die traditionellen Mängel der kulturellen Infrastruktur und die enthusiastische Aufnahme der Entwicklung seitens der spanischen Gesellschaft dem Phänomen hier eine spezifische und beispiellose Dynamik. Auf dem Feld der intellektuellen und kritischen Reflexion finden wir indes nicht den gleichen Enthusiasmus. Hier zeigt sich ein auffälliges Vakuum und ein extremer ›Widerstand gegenüber Theorie‹, der im Kontrast steht zu den Erneuerungen in anderen Bereichen der Kulturgeschichte und, mehr noch, zur europäischen und US-amerikanischen Museumsforschung, die bei uns derart ignoriert wird, dass ihre Arbeiten kaum übersetzt werden. So wurden, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, bislang kaum methodische Forschungen über spanische Museen aus der Perspektive der Kulturanthropologie, der Ästhetik, der Mentalitätsgeschichte oder der Rezeptionstheorie vorgenommen.
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Dieses kritische Vakuum hat klare Ursachen, etwa das Fehlen eines universitären Studiengangs der Museologie, die Vernachlässigung akademischer Forschung seitens unserer Kulturhistoriker oder der Mangel an einer theoretischen oder epistemologischen Tradition in diesem Feld. Tatsächlich stammen die wenigen Publikationen über das Thema vor allem von Kunsthistorikern und Museumskuratoren mit archäologischem Hintergrund, während Soziologen, Ökonomen, Philosophen, Ethnologen und Sprachwissenschaftler kaum Interesse für das Forschungsgebiet gezeigt haben. Vor diesem generellen Hintergrund können wir für die Museumsforschung in Spanien drei Gruppen identifizieren. Eine erste Gruppe besteht aus museologischen Kompendien in unterschiedlichen Zweigen: Denkmalpflege, Pädagogik und Kommunikation, Ausstellungstechnik oder neue Technologien. Es handelt sich dabei um allgemeine Handbücher, die seit Beginn der neunziger Jahre versuchen, den spanischen Spezialisten das in anderen Ländern über die letzten Jahrzehnte entwickelte Wissen zur Verfügung zu stellen. Die zweite Gruppe bilden historische Monographien über bestimmte Museen mit eindeutig positivistischer und fortschrittsgeschichtlicher Herangehensweise. Diese Untersuchungen erklären die Geschichte des jeweiligen Museums üblicherweise aus einer teleologischen Perspektive, nach der sich eine private Sammlung über die Jahrhunderte hinweg auf ihre ›natürliche und unausbleibliche‹ Kulmination in einem öffentlichen Museum hin entwickelte. In diesem Feld sind folgende Werke hervorzuheben: die ambitionierte und materialreiche Studie von A. Martínez-Novillo über das Museo Español de Arte Contemporáneo; die Arbeit von Santiago Alcolea Blanch (1991) über den Prado; ein Sammelband über den Arqueológico Nacional oder Arbeiten über regionale Museen, wie jene von Granada oder das Museo de Arte Abstracto in Cuenca (Juliá u.a. 2006). Hinzu kommt eine Vielzahl kleinerer Artikel in neueren Zeitschriften (Museos.es, Museo, Mus-A, Revista de Museología) oder in Sammelbänden zu Ehren einzelner Institutionen. Geschrieben von deren Direktoren und Kuratoren strotzen sie meist vor Optimismus, Eigenlob und guten Absichten, lassen die notwendige kritische Distanz in der Regel jedoch vermissen. Es mangelt jedoch an historischen Studien, die aktuelle Perspektiven und den internationalen Forschungsstand einbeziehen. Eine breit angelegte Gesamtdarstellung zur Geschichte der spanischen Museen, die die sozialen Praktiken, politischen Interessen und Formen der Wissensproduktion, die in diesen zusammenfließen, behandelt und sowohl die institutionelle wie intellektuelle Geschichte berücksichtigt, liegt zwar bereits vor (Bolaños 1997/2008). Doch noch immer fehlt die Erforschung bestimmter historischer Perioden und thematischer Aspekte. Dank eines umfangreichen Textes von Pierre Géal (2005), der vor allem politische Gegebenheiten in den Blick nimmt, ist die Entstehung
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öffentlicher Museen im Zuge der liberalen Revolution in Umrissen bekannt. Dagegen steht die vertiefte Untersuchung anderer Epochen, wie der Renaissance, der Aufklärung oder der Zweiten Republik, oder anderer Komplexe, wie die Beziehungen des Museums zu Institutionen, die in seiner Entwicklung von Bedeutung waren (etwa die Weltausstellungen oder die pädagogischen Bewegung Institución Libre de Enseñanza), noch aus. Es gibt keine Werke über Themen wie die Entwicklung von Ausstellungsmodellen, die Förderung einiger Fachrichtungen zugunsten anderer oder die Verbindung von Museen und Wissensproduktion – mit Ausnahme vielleicht der Naturwissenschaften (Calatayud 1988). Es gibt nur wenige Biographien unserer bedeutenden Sammler und die intellektuellen Lebenswege der Kuratoren und Direktoren spanischer Museen sind auch nur oberflächlich bekannt. Ein so wichtiges Feld wie die gesellschaftliche Rezeption des Museums ist noch nicht gründlich erforscht: Weder die Soziologie der Besucher noch der Mikrokosmos der Kunstliebhaber ist wissenschaftlich durchdrungen und die Rolle des öffentlichen Museums in der Geschmacksbildung einer städtischen Bourgeoisie ist ebenfalls noch nicht hinreichend beleuchtet. Der Geschichte seines Einflusses auf zeitgenössische Künstler kam bislang nur punktuelle Aufmerksamkeit zu (Portús 1996) und seine Interaktion mit Kunst oder Literatur ist kaum untersucht. Schließlich gibt es ein vielsagendes Vakuum in der Ikonographie, denn wir verfügen kaum über Abbildungen, die uns ein ›bildliches Porträt‹ des Museums geben könnten – nicht einmal für die jüngste Zeit. Drittens gilt es, die Aufmerksamkeit auf eine zerstreute und erst im Entstehen begriffenen Gruppe zu richten, welche Lesarten aus unterschiedlichen methodologischen Perspektiven – der Soziologie, der Kulturanthropologie, der Stadtforschung oder der Semiologie – anbietet und die aus verschiedenen Gründen von besonderer Bedeutung ist: wegen ihrer Originalität, weil sie etwas frischen Wind in die herrschende Monotonie bringen und wegen ihrer kontroversen Rezeption. Eines ihrer populärsten Forschungsfelder – vielleicht wegen der Empfindlichkeit der spanischen Gesellschaft angesichts unseres Übergangs in die Demokratie – ist die Verbindungen von Museum und Macht. Als erstes Beispiel untersuchte Jiménez-Blanco (1989) entlang der Geschichte des Museo Español de Arte Contemporáneo in Madrid die künstlerische Moderne vor dem Hintergrund der demokratischen Modernisierung des Staates. Ihr folgte Selma Holo (2002), eine gut informierte US-amerikanische Hispanistin, die anhand einiger konkreter Fälle (des Museo Thyssen-Bornemisza, des Museo Sefardí und katalanischer Museen) nicht ohne Sympathie die Konstruktion einer demokratischen Identität Spaniens nach dem Ende der Franco-Diktatur und die Bekräftigung regionaler kultureller Vielfalt durch einige Museen skizziert hat, und dabei Debatten über politische und identitätsspezifische Probleme zum Vorschein brachte.
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Auf einem benachbarten methodischen Gebiet findet sich die Chronik der Genese des Guggenheim-Museums Bilbao aus der Feder des Anthropologen Joseba Zulaika (1997). Der Autor berichtet über die tagtäglichen Geheimverhandlungen zwischen der baskischen Verwaltung und der Guggenheim-Stiftung in New York (und fügt in ironischer Absicht Zitate von Warten auf Godot hinzu). Er beschreibt die Vorgänge als einen »Verführungsprozess«, hinter dem sich ein Spiel der Macht, des Geldes und der Eroberung abspielte und der – einem beunruhigenden Röntgenbild gleich – die asymmetrischen Beziehungen zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten sichtbar werden lässt. Die Einbindung des Museums in ein städtisches Umfeld ist das Thema eines Sammelbandes von J. P. Lorente (1997), der als Schüler von Eilean Hooper-Greenhill eine angelsächsische Perspektive vertritt. Der Band entstand im Rahmen eines europäischen Forschungsprojektes zur Rolle der Museen in der Aufwertung vernachlässigter Stadtteile und der Ansiedlung neuer Kultureinrichtung (wie im Fall der Errichtung des Museo de Arte Contemporáneo und des Centro de Cultura Contemporánea in Barcelonas Problemviertel El Raval). Zu nennen ist weiterhin eine kleine, aber lebhafte Gruppe von Experten auf dem verwandten Gebiet der Museumsarchitektur. Dabei sticht insbesondere Ángeles Layuno (2004) hervor, der die Museumsbauten in Verbindung mit den ästhetischer Diskursen zeitgenössischer Kunst und deren expositorischer Präsentation untersucht. Erwähnt sei darüber hinaus Yvette Sánchez’ (1999) Band Coleccionismo y literatura, der die Prinzipien des Sammelns auf den literarischen Diskurs überträgt und – wenngleich nicht immer mit Erfolg – versucht, eine »Poetik des Sammelns« entlang von Ideen wie dem Schreiben als Sammeln, dem Künstler als Sammler oder der postmodernen Literatur als Ansammlung von Zitaten zu begründen. Die Autorin richtet ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf spanische Quellen und spürt der Figur des Sammlers, die in der spanischen Literatur nie im Vordergrund stand, in den Werken von Naturforschern wie Blasco Ibáñez oder Pardo Bazán nach. Der jüngste Beitrag von Bedeutung ist schließlich die Studie der Institutionalisierungsprozesse einer kleinen Gruppe ethnologischer Museen in den Aragonesischen Pyrenäen. Die Autorin beschreibt diesen Prozess aus einer phänomenologischen und geschlechtergeschichtlichen Perspektiven, um die Rolle der Frau in der Entstehung dieser Zentren zu hervorzuheben (Martínez Latre, 2007).
Murauskaya, Pinna, Bolaños £Internationale Perspektiven der Museumsforschung
L I T E R AT U R Alcolea Blanch, Santiago (1991): Museo del Prado, Barcelona: Polígrafia. Bolaños, María (1997; 2. erw. Aufl. 2008): Historia de los museos en España, Gijón: Trea. Calatayud, Angeles (1988): »El Real Gabinete de Historia Natural de Madrid«. In: Manuel Sellés (Hg.), Carlos III y la ciencia de la Ilustración, Madrid: Alianza, S. 263-276. Géal, Pierre (2005): La naissance des musées d’Art en Espagne, Madrid: Casa de Velázquez. Holo, Selma R. (2002): Más allá del Prado. Museos e identidad en la España democrática, Madrid: Akal. Jiménez-Blanco, Dolores (1989): Arte y Estado en la España del siglo XX, Madrid: Alianza. Layuno, Ángeles (2004): Museos de arte contemporáneo en España. Del ›palacio de las artes‹ a la arquitectura como arte, Gijón: Trea. Lorente, Jesús Pedro (Hg.) (1997): Espacios de arte contemporáneo, generadores de revitalización urbana, Zaragoza: Universidad de Zaragoza. Martínez Latre, Concha (2007): Musealizar la vida cotidiana. Los museos etnológicos del Bajo Aragón, Zaragoza: Prensas Universitaria de Zaragoza. Portús, Javier (1996): »Un museo para los pintores«. In: Visiones del Prado, Madrid: Calcografía Nacional, S. 13-26. Sánchez, Yvette (1999): Coleccionismo y literatura, Madrid: Cátedra. Juliá, Santos u.a. (2006): La ciudad abstracta. 1966: El nacimiento del Museo de Arte Abstracto Español, Madrid: Fundación Juan March. Zulaika, Joseba (1997): Crónica de una seducción. El museo Guggenheim-Bilbao, Madrid: Nerea.
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AUTORINNEN
UND
AUTOREN
Joachim Baur ist Lehrbeauftragter am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen und entwickelt derzeit im Auftrag des Landes Niedersachsen ein Konzept für das »Museum Grenzdurchgangslager Friedland«. Nach dem Studium von Geschichte, Politologie und Museum Studies in Tübingen, Stuttgart und New York arbeitete er zuvor mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Haus der Geschichte BadenWürttemberg und am Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Seine Dissertation erschien 2009 unter dem Titel Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation. Maria Bolaños ist Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Valladolid und Direktorin des Museo Nacional Colegio de San Gregorio. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Museums- und Kunstgeschichte Spaniens, darunter Historia de los museos en España. Memoria, cultura, sociedad (2008), Interpretar el arte (2007), La memoria del mundo. Cien años de museología. 1900-2000 (hg., 2002) und zuletzt Modern Art Museums during the Franco Regime: Routine, Isolation and Some Exceptions, in: Eugenia Afinoguénova/ Jaume Martí-Olivella (Hg.), Spain is (Still) Different. Tourism and Discourse in Spanish Identity (2008). Heike Buschmann ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Paderborn. Von 2000 bis 2006 studierte sie Anglistik, Komparatistik und Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und der University of East Anglia (Norwich, Großbritannien). Ihr laufendes Dissertationsprojekt zum Thema The Museum as a Narrative Space erarbeitet ein Instrumentarium zur Analyse von räumlich vermittelten Erzählstrukturen und untersucht auf dieser Basis verschiedene britische Museen. Eric Gable ist Professor für Kulturanthropologie an der University of Mary Washington (Fredericksburg/Virginia). Seinen Ph.D. machte er an der University of Virginia und den B.A. an der University of California, San Diego. Mit Richard Handler veröffentlichte er The New History in an Old Museum: Creating the Past at Colonial Williamsburg (1997). Im Erscheinen ist sein Buch Culture by Contrast, or Anthropology and Egalitarianism, das auf der Basis von Feldforschungen in Guinea-Bissau, Sulawesi/Indonesien und in US-amerikanischen Geschichtsmuseen dem Problem der Konstruktion von Theorien und lokalen Konzepten kultureller Differenz in Zeiten der Globalisierung nachgeht. Derzeit ist er Chefredakteur und Herausgeber der Zeitschrift Museum and Society.
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Anke te Heesen lehrt und forscht seit 2008 am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Sie arbeitete von 1999 bis 2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin und war von 2006 bis 2008 Gründungsdirektorin des Museums der Universität Tübingen. Zahlreiche Publikationen zur Sammlungs- und Museumsgeschichte sowie zur Sachkultur der Wissenschaften, zuletzt Der Zeitungsausschnitt. Papierobjekt der Moderne (2006) und auf/zu. Der Schrank in den Wissenschaften (hg. mit Anette Michels, 2007). Volker Kirchberg ist Soziologe und seit Oktober 2004 Professor für Kulturvermittlung und Kulturorganisation in den Kulturwissenschaften der Leuphana Universität Lüneburg. Er arbeitete von 1985-1988 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Stadtforschung der Universität Hamburg. Nach Promotion und Post-Doc-Tätitgkeit an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, leitete er von 1995-2000 das Basica Forschungsinstitut in Hamburg und war von 2001 bis 2004 Assistant Professor für Soziologie an der William Paterson Universität in New Jersey. Er ist Vorstandsmitglied des Forschungsnetzwerkes Soziologie der Künste in der European Sociological Association. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Besucher- und Stadtforschung insbesondere im Schnittbereich von Kultur und Stadtentwicklung, darunter Gesellschaftliche Funktionen von Museen. Makro-, meso- und mikrosoziologische Perspektiven (2005). Sharon Macdonald ist Professorin für Sozialanthropologie an der Universität Manchester. Sie war Alexander von Humboldt Visiting Fellow am Institut für Soziologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und am Institut fuer Europaeische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin. Ihre jüngsten Veröffentlichungen umfassen u.a. A Companion to Museum Studies (hg., 2006), Exhibition Experiments (hg. mit Paul Basu, 2007) und Difficult Heritage: Negotiating the Nazi Past in Nuremberg and Beyond (2009). Webpage: www.sharonmacdonald.net. Hanna Murauskaya ist Doktorandin in Kultur- und Museumswissenschaft an der Fakultät für Kunstgeschichte und Architektur der Universität Paris Pantheon-Sorbonne 1. Ihre Dissertation widmet sich der Geschichte von Museen in Ostmitteleuropa im 19. Jahrhundert und untersucht die Verbreitung der Idee des Nationalmuseums im Habsburgerreich, insbesondere die museionartigen Formationen in den Städten Prag und Lemberg.
Joachim Baur £Autorinnen und Autoren
Katrin Pieper arbeitet als Museumspädagogin am Deutschen Technikmuseum Berlin und lehrt seit 2006 am Institut für Kulturwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie studierte Geschichte und Politologie in Hamburg und Marburg und promovierte 2005 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit einer Arbeit über die »Musealisierung des Holocaust«. Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Volontärin im Jüdischen Museum Franken. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Erinnerungskultur und der musealen Inszenierung jüdischer Geschichte, darunter Die Musealisierung des Holocaust. Das Jüdische Museum Berlin und das U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. – Ein Vergleich (2006). Giovanni Pinna ist Museologe und Professor für Paläontologie. Er war von 1964-1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1981-1996 Direktor des Naturkundemuseums Mailand. Neben seiner langjährigen Tätigkeit im Internationalen Museumsbund ICOM, unter anderem als Vorsitzender von ICOM Italien und Mitglied des Executive Council, arbeitete er als Berater für zahlreiche bedeutende Museen in China, Syrien, Iran, Brasilien und Ägypten. Sein Forschungsinteresse richtet sich insbesondere auf die gesellschaftliche Dimension von Museen und ihre Mechanismen der Produktion von Kultur. Er veröffentlichte über einhundert Aufsätze und etliche Bücher zur Museologie, darunter Museum. Storia di una macchina culturale dal ›500 ad oggi (mit Lanfranco Binni, 1980) und Fondamenti teorici per un museo di storia naturale (1997), und ist Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Nuova Museologia. Jana Scholze ist Kuratorin für moderne Möbel und Produktdesign am Victoria und Albert Museum in London. Sie arbeitete an den einflussreichen Ausstellungen »Modernism: Designing a New World. 1914-1938« (2006) und »Cold War Modern. Design 1945-1970« (2008). Ihre Forschungsschwerpunkte gelten der Architektur und dem Design des 20. und 21. Jahrhunderts sowie der Ausstellungstheorie. In beiden Themengebieten hat sie mehrfach publiziert, z.B. Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin (2004). Thomas Thiemeyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach und des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen als Koordinator des museumswissenschaftlichen Kooperationsprojekts wissen&museum. Von 2003-2006 war er Mitarbeiter des Museumsgestalters HG Merz für das Projekt Neues Mercedes-Benz-Museum, Stuttgart. In Kürze erscheint seine Dissertation unter dem Titel Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum (2010).
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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Patrick S. Föhl, Iken Neisener (Hg.) Regionale Kooperationen im Kulturbereich Theoretische Grundlagen und Praxisbeispiele Dezember 2009, 398 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1050-5
Hartmut John, Hans-Helmut Schild, Katrin Hieke (Hg.) Museen und Tourismus Wie man Tourismusmarketing wirkungsvoll in die Museumsarbeit integriert. Ein Handbuch Januar 2010, ca. 244 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1126-7
Peter Leimgruber, Hartmut John (Hg.) Museumsshop-Management Einnahmen, Marketing und kulturelle Vermittlung wirkungsvoll steuern. Ein Praxis-Guide April 2010, ca. 196 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, ca. 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1296-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Birgit Mandel PR für Kunst und Kultur Handbuch für Theorie und Praxis (2., komplett überarbeitete Auflage) Mai 2009, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1086-4
Hans Scheurer, Ralf Spiller (Hg.) Kultur 2.0 Neue Web-Strategien für das Kulturmanagement im Zeitalter von Social Media März 2010, ca. 260 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1352-0
Martin Tröndle (Hg.) Das Konzert Neue Aufführungskonzepte für eine klassische Form Juni 2009, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1087-1
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Joachim Baur Die Musealisierung der Migration Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation Oktober 2009, 408 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1264-6
Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John, Karin Maass (Hg.) Das barrierefreie Museum Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch 2007, 518 Seiten, kart., 46,80 €, ISBN 978-3-89942-576-5
Laura J Gerlach Der Schirnerfolg Die »Schirn Kunsthalle Frankfurt« als Modell innovativen Kunstmarketings. Konzepte – Strategien – Wirkungen 2007, 242 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-769-1
Herbert Grüner, Helene Kleine, Dieter Puchta, Klaus-P. Schulze (Hg.) Kreative gründen anders! Existenzgründungen in der Kulturwirtschaft. Ein Handbuch April 2009, 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-89942-981-7
Hartmut John, Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit
Hartmut John, Bernd Günter (Hg.) Das Museum als Marke Branding als strategisches Managementinstrument für Museen 2008, 192 Seiten, gebunden, durchgängig farbig mit zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-568-0
Thomas Knubben, Petra Schneidewind (Hg.) Zukunft für Musikschulen Herausforderungen und Perspektiven der Zukunftssicherung öffentlicher Musikschulen 2007, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-619-9
Hannelore Kunz-Ott, Susanne Kudorfer, Traudel Weber (Hg.) Kulturelle Bildung im Museum Aneignungsprozesse – Vermittlungsformen – Praxisbeispiele Oktober 2009, 206 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1084-0
Birgit Mandel Die neuen Kulturunternehmer Ihre Motive, Visionen und Erfolgsstrategien 2007, 146 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-653-3
Carmen Mörsch, Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen (Hg.) Schnittstelle Kunst – Vermittlung 2007, 390 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-732-5
2008, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-802-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de