201 69 22MB
German Pages 307 [312] Year 1971
Hans Wolfgang Schaffnit Mimesis als Problem
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Volker
Begründet von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Neue Folge Herausgegeben von
Hermann Kunisch Stefan Sonderegger und Thomas Finkenstaedt 36 (160)
w DE
G
Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Gösdien'sdie Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Berlin 1971
Mimesis als Problem Studien zu einem ästhetischen Begriff der Dichtung aus Anlaß Robert Musils
von
Hans "Wolfgang Schaffnit
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Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Berlin 1971
A r c h i v - N r . 43 30 706
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J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — K a r l J . Trübner — Veit Sc Comp.
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Wiedergabe,
der
M E I N E N ELTERN
Vorwort Die Abhandlung ist im Herbst 1967 abgeschlossen worden und hat im Frühjahr 1968 der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich als Dissertation vorgelegen. Ein Druckkostenzuschuß der „Gedächtnisstiftung Paul Schmitt" und das Entgegenkommen des Verlages ermöglichten die Drucklegung. Beiden möchte ich auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Besonders danke ich Herrn Prof. Dr. St. Sonderegger für die Aufnahme der Arbeit in die „Quellen und Forschungen zur Sprache und Kulturgeschichte der germanischen Völker". Thema der vorliegenden Abhandlung ist nicht eine bestimmte Sache, schon gar nicht eine historische, sondern die Sache selbst und zwar als Tendenz. Die Sache selbst als Tendenz wurde bemerkt in den Zeichen, die Musil gibt, deren inkommensurabler Charakter einen Anspruch offenbar gelten machen wollte, der dem Verfasser derselbe zu sein schien wie der, dem er zuerst in der Methode seines verehrten Lehrers Emil Staiger begegnet war. Wenn diese Methode, entwickelt aus Anlaß der im Wirkungsraum des deutschen Idealismus entstandenen Dichtung, nicht einem Begriff folgt und doch die Meinungen über den Menschen, und selbst die wissenschaftlichen Meinungen, evident und gültig zu kritisieren in der Lage ist, dann in dem Sinn, wie auch sie die Sache selber als Tendenz geltend macht und so das bloß Vermeinte zu kritisieren fähig ist. Der Leser, dem es um die im folgenden behandelte und also aufzufassende Sache geht, sollte die versuchten Aufweisungen nicht als Meinungen des Verfassers nehmen, sondern zu ihnen sidi verhalten, wie der Verfasser sich zu ihnen verhält und wie er sich zu den von ihm behandelten Autoren zu verhalten versuchte, sie nämlich als „Leiter" nehmen, die er „wegwerfen" kann, nachdem er „auf ihr" „über sie hinausgestiegen" ist. Und mancher wird ihrer gar nicht bedürfen. Oder mit den Worten des zitierten Autors, L. Wittgensteins, aus dem Vorwort der „Philosophischen Bemerkungen": „Ich möchte sagen, ,dieses Buch sei zur Ehre Gottes geschrieben', aber das wäre heute eine Schurkerei, d. h. es würde nicht richtig verstanden werden. Es heißt, es ist in gutem Willen geschrieben und soweit es nicht mit gutem Willen, also aus Eitelkeit usw., geschrieben, soweit möchte der Verfasser es verurteilt wissen." Am Schluß stehe der Dank an meine verehrten Lehrer, unter ihnen im besonderen: Emil Staiger und Rudolf Meyer, deren Arbeit und Vorbild diese Arbeit möglich machten. Meilen ZH, Schweiz, im Februar 1970
H.-W. S.
Inhaltsverzeichnis E I N L E I T U N G : Das Inkommensurable der Dichtung Musils als Problem
1
A.
8
Dichtung als negative Darstellung I. Der Begriff „moderner Literatur" bei W. Emrich II. Die Romantheorie von G. Lukacs III. Der Begriff „satirischer Stil" bei H. Arntzen
8 13 16
Das Problem: Kritische Bedeutsamkeit und Darstellung im Begriff der Dichtung
23
B.
27
Der Begriff der Darstellung in der Erzähltheorie von E. Lämmert
Das Problem: C.
D.
Wie kann Kunst als darstellende bedeutsam sein? . . . .
32
Musils paradoxer Begriff der Kunst — Empirischer Psychologismus in ontologischem Horizont
35
Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
48
I. Musils erkenntnistheoretische Bildung als Naturwissenschaftler und Schüler C. Stumpfs II. Die Dissertation über E. Mach
48 51
III. F. Brentano „Psychologie vom empirischen Standpunkt"
55
VI. Musils Zustandstheorie
63
V. Das Problem der reinen Zuständlichkeit und die Inkommensurabilität der Dichtung als Erkenntnis
79
a) Musils Kritik des abstrakten Denkens
79
b) Die Kritik an Klages
89
These: Die sachliche Anerkennung des Anspruchs reiner Zuständlichkeit ist nicht als Theorie, sondern nur als Kunstgestalt möglidi 106 c) Hofmannsthals Dichtungsbegriff
111
d) „Die Verwirrungen des Zöglings Törless"
123
These: Die absolute Subjektivität als reine Zuständlichkeit ist Thema der Dichtung als inkommensurabler Erkenntnis 136
X
Inhaltsverzeidinis VI. Die ontologisdie Ausweisung des Begriffs der absoluten Subjektivität als reiner Zuständlichkeit aus dem empiristischen Argument 149 a) Das Ich als Problem
149
b) Die Kritik des dogmatischen Ichbegriffs und das Problem von Form und Inhalt 152 c) Humes empiristisches Argument
163
1. Die absolute Subjektivität als philosophisches Problem (historische Einführung) 163 2. Das Verhältnis von „impression" und Momenten der „Vorstellungen überhaupt"
„idea"
als 166
3. Die Ausweisung der „impressions" als ursprünglich anfänglicher und die Bedeutung des Zweifels 171 4. Der „belief" und die ursprüngliche Einzelheit der Vorstellungen überhaupt 180 5. Einzelheit oder Einfachheit der „impressions" und ihr Charakter als ursprüngliche Totalitätsbestimmung . . . . 189 6. Die Kritik an Hume in E. Husserls „Logischen Untersuchungen" 198 aa) Das Problem des ursprünglichen Unterschieds als von absoluten Momenten 205 bb) Die Einzelheit der „impressions" als ursprüngliches Moment des Unterschieds 7. Die „impression" als reine Zuständlichkeit E. F.
228 238
Kunst und reine Zuständlichkeit: Das Z e i g e n von Totalität 242 Das Z e i g e n der Kunst und ihr Charakter als G e m a c h t e : Der Begriff der Mimesis 251
Exkurs:
Die Kantische Ästhetik im Blick auf diesen Begriff der Kunst 260
G.
Der rein problematische Begriff der Gestaltung
267
H.
Die Gestaltung in Musils „Die Affeninsel"
276
I.
Die Gestaltung in Lessings Fabel
284
Literatur
291
Sachregister
293
Namensregister
296
Einleitung D a s Inkommensurable der Dichtung Musils als Problem Übersieht man die Haltung von Literaturwissenschaft und Kritik und die Begriffe und Methoden, mit denen sie sich Musils Dichtung anzueignen versuchten,1 so ergibt sich ein eigentümliches Bild, das dem zur Zeit seines Lebens entspricht. Nach Musils eigenem Urteil machte ihn ein Mißverständnis berühmt und eröffnete ihm die zu dieser Zeit noch gar nicht gesuchte Möglichkeit schriftstellerischer Existenz.2 Musil hat sich der Tendenz seiner Entdecker nicht gefügt, und so festigte sich die charakteristische Haltung von Wissenschaft und Kritik zu einem bestimmten Gefühl vergleichsloser Hochachtung vor einem modernen Esoteriker, das mit der Befangenheit und Unsicherheit verbunden ist, den Grund dieser Hochschätzung sachlich und triftig zu artikulieren und zu belegen, so daß sie sich in irgendeiner Form objektivierte. Diese Einstellung des zeitgenössischen Publikums hat Musil selbst — und wenn man an seine äußere Existenz denkt — schmerzlich empfinden müssen. So schreibt Musil an seinen Freund Allesch, um dessen kritische Unterstützung er in diesem Brief vergeblich bittet: „Wenn ich die Kritik überblicke, sehe ich: Erstens die merkwürdige Erscheinung, daß man den MoE imstande ist, bis aufs höchste zu loben, beinahe ohne daß dabei für den Dichter davon etwas abfällt. Man sagt z. B. Unter den europäischen Romanen der bedeutendste, oder: Kein zweiter deutscher Roman erreicht diese Höhe: daß ich aber danach zumindest unter den deutschen Dichtern bisher unterschätzt worden
1
2
1
Vgl. hier den Literaturberidit von U. Karthaus „Musilforschung und Musildeutung" in D V 39. Jg. 1965 S. 441—483. Sofern die Musil-Literatur den hier thematischen Horizont des ästhetischen Begriffs der Dichtung berührt, kommen wir im sachlichen Zusammenhang auf einzelne Arbeiten kritisch zurück. D a ein ästhetischer Begriff der Dichtung Voraussetzung jeglicher Interpretation ist, ein möglicher Begriff aber als solcher in bezug auf Musil bisher noch nicht erörtert wurde, wird es sich im wesentlichen um die Kritik des allgemeinsten Horizontes der Musil-Interpretation handeln müssen, die wesentlich an exemplarischen Beispielen vorgeführt werden kann. „Abgesehen von dem Gewinn der Freundschaft einiger bedeutender Kritiker, schien dieser Erfolg [des ,Törless'] aus einer Reihe von Mißverständnissen zu bestehen. Man rühmte an mir die ,Psychologie', und den ,Realismus', und viele glaubten, ein ,Erlebnis-' wenn nicht gar ,Bekenntnisbuch' vor sich zu haben.. (Tgb. S. 808) Sdiaffnit
2
Einleitung
sei, davon spricht kein Mensch."3- 4 Will man diese Bemerkung Musils ebenso wie die bekannte polemische Einstellung Musils zu Thomas Mann, Broch, ja selbst Proust und Joyce nicht nur als Ausdruck persönlicher Monomanie und neurotischen Ressentiments deuten, so kann sie bei der sonst anerkannten Nüchternheit Musils einen Fingerzeig dafür geben, welcher Art der sachliche Begriff war, den Musil von seiner Dichtung hatte. Und es wäre möglich, daß die Hochachtung vor dieser Dichtung und die Unsicherheit, sie wissenschaftlich oder nach dem Maßstab kultureller Werte zu objektivieren, der Sache adäquat ist. So könnte Musils Werk der Anlaß sein, daß die .Wissenschaft' von der Dicht-Kunst und das kulturelle Bewußtsein sich das Maß ihrer Methode durch diese Dichtung erst geben lassen und dadurch der Arbeit Musils ihren vergleidislosen Rang zuerkennen, den Musil in ihrer ,Inkommensurabilität' sah.5 Doch dazu bedarf es eines Begriffes von dieser Sache, den eine be3
4
5
An v. Allesch am 15. 3. 31 in R. M. LWW S. 302. — Musil meinte ihm, der, wie er selbst zu Zeiten, der Gestaltpsychologie nahestand, ein gegründetes Urteil in der erkenntnistheoretischen Fundierung des Gestaltproblems auch in Hinsicht auf die Kunst zutrauen zu dürfen. Darum erbittet er wesentlich eine kritische Aufklärung des Publikums. Ob nicht v. Allesch zu Recht zögerte und die ästhetische Dimension von Musils Gestalt-Begriff in den Begriffen der Gestaltpsychologie zu fassen ist, wird sich erweisen müssen; s. a. Kap. G und Anm. 606. Ähnlich unsicher ist das Urteil über die geistige Persönlichkeit Musils, sofern sie sich in den Maßen objektiver kultureller Wertkategorien messen läßt. Man rühmt etwa „sein fast unmenschliches Wissen auf dem Gebiet der Philosophie, Religion und Mathematik, Physik und Psychologie . . . " (Karl Otten in „Eindrücke von R. M." s. LWW S. 359 f.). — Anders urteilen Ernst Kayser und Eithne Wilkins in ihrem Buch „R. M. Eine Einführung in das Werk" Stuttgart 1962: „Seine mathematische Begabung und seine Ausbildung in der Logik haben in seinem Werk kaum Spuren hinterlassen. Er besaß weder große Gelehrsamkeit noch vielseitiges Allgemeinwissen...". Vgl. Karthaus a.a.O. S. 450, der daselbst Musil mit Walter Jens einen ,poeta doctus' nennen möchte. Man wird bei der Beurteilung dessen, inwiefern Musil ,doctus' ist, nicht vernachlässigen dürfen, daß M. nach dem „Törless" im „Klassenaufsatz" bei der nachgeholten gymnasialen Matur „nur einen schwachen Mittelplatz erringen konnte" und daß er dabei „noch etwas besser abschnitt als in Logik und Psychologie, die an der Universität mein Spezialstudium gebildet hatten." (Tgb. S. 795). — Musil nennt sich selbst „äußerst... vielseitig ungebildet". „Ich bin von sehr vielseitiger Unwissenheit". (Tgb. S. 471). — Man sollte auch hier das Paradox nicht unter Vermeidung des Widerspruchs auflösen wollen. Er war beides, ,doctus' und unwissend. Seine Gelehrtheit war streng unvereinbar mit irgend scholastischer Sicherheit, was darin zum Ausdruck kommt, daß er notorisch vergeßlich ist für festgeprägt Meinbares, und in seiner Unfähigkeit, neben seiner dichterischen Arbeit, sich eine ausmünzbare Position im zeitgenössischen Geistesleben zu verschaffen. „Gegenstand des Gedichts ist das, was sich nur im Gedicht ausdrücken läßt." (Tgb. S. 199)
Das Inkommensurable der Dichtung Musils als Problem
3
stimmte theoretische Einstellung der Literaturwissenschaft — um der Inkommensurabilität der Sache willen — nicht zu geben vermag, der sich auch nicht an der Dichtung Musils ohne weiteres ablesen läßt, als ob ihre vorurteilsfreie Beschreibung ohne einen sie leitenden Begriff auskäme. Endlich wird sich dieser Begriff auch nicht unmittelbar aufstellen lassen, als ob schon seine Bewährung in einer Beschreibung des Kunstwerks ihn legitimieren könnte, denn um der unvergleichbar besonderen, inkommensurablen Bedeutung des Kunstwerks willen wird jeder bestimmte Begriff sich irgendwie an ihm bewähren können, ohne das Kunstwerk zu erschöpfen. Trotzdem bedarf die Interpretation eines Begriffes von dem Inkommensurablen dieser Kunst, sofern Musil selbst den Hinweis darauf gibt, daß sie nach einem solchen entworfen ist. Es wird also das Ungenügen bestimmter theoretischer Begriffe aus der Dichtung und Essayistik Musils selbst zu belegen sein, um in dem Verständnis dieses Ungenügens den Hinweis dafür zu finden, in welcher Richtung der inkommensurable Begriff dieser Dichtung zu suchen ist. Dieser wird in seiner Inkommensurabilität dann nur selbständigem ontologisdien Denken zugänglich werden können, weil jede notwendig bestimmt interpretierende Aussage über die Dichtung nicht als Beleg für diesen Begriff gelten kann, weil dieser über die mögliche Bestimmtheit dieser Dichtung gerade hinausgeht. D a ß aber diese Methode nicht auf ein phantastisch willkürliches Spekulieren hinausläuft, dafür sorgt in historischer Hinsicht der ausdrückliche Hinweis Musils und in sachlicher Hinsicht die transzendentale Logik des ontologischen Arguments. 6 Es gehört zum Begriff von Musils Dichtung, daß Musil wie K a f k a und anders als Thomas Mann und andere Dichter der Epoche, keine Orientierung an einem Publikum hatte, für das er schrieb.7 Musils Dichtung gehört nicht zu jenen Werken, „die gleichsam durch ihr Publikum ge• Zur historischen Legitimation dieses Vorgehens sei darauf hingewiesen, daß die Grundbegriffe neuerer Literaturwissenschaft geistesgeschichtlich selbst auf die Zeit zurückgehen, in der Musil seine Dichtung konzipierte. Es wäre möglich, daß die Literaturwissenschaft ihre strenge Orientierung an ihren geistesgeschichtlichen Quellen in der wissenschaftlichen Praxis verloren hat und daß sie der Strenge ihres ursprünglichen Anspruchs nicht mehr genügt. So gesehen, ist die Literaturwissenschaft, die ja nach einhelliger Beteuerung ihrer Vertreter heute ihren Gegenstand nicht nach vorgefaßter bestimmter Regel normativ kritisieren will, nicht nur kritische Wissenschaft, sondern muß freiwillig die methodischen Bedingungen dafür suchen, daß der behandelte Gegenstand in seiner Fülle sich zur Geltung bringe, notfalls so, daß die Wissenschaft angesichts dieses Gegenstandes sich selbst zu kritisieren gezwungen sieht. 7 Daraus ergibt sich, daß eine Deutung, die Musils Dichtung als Ausdruck bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse auffaßt, zumindest nicht dem Begriff entspricht, auf den hin sie entworfen ist.
l»
4
Einleitung
schaffen sind (sie erfüllen seine Erwartung, sind also von deren Kenntnis beinahe determiniert)". Vielmehr zu denen, die, nach den Worten Valérys, „ganz im Gegenteil die innere Tendenz haben, s i c h i h r P u b l i k u m z u s c h a f f e n". 8 Und Musil erfüllt bewußt diese mit dem eigentlichen Begriff des Kunstwerks verbundene Tendenz in so prinzipieller Weise, daß seine Dichtung der „Determinierung durch ein Publikum" grundsätzlich überlegen bleibt, daß es seine U n v e r s t ä n d l i c h k e i t bewahrt. Anders als Kafkas war aber Musils Einstellung zu diesem Sachverhalt, und dies hat Folgen für den Begriff seiner Dichtung. Er gab nicht den Auftrag, seine Dichtungen zu vernichten. Er sprach nicht von seiner Dichtung als einem ,Gekritzel', und er suchte für die Situation seiner selbst als Dichter nicht hermetische Symbole, in denen er diese Erfahrung der Ratlosigkeit für sich selbst angemessen ausdrückte. Musil hat sich zeitlebens nicht damit abgefunden, keine Leser zu haben. Er hatte einen durchdachten Begriff von der aus dem Wesen des Schönen resultierenden Unverständlichkeit von Dichtung, so daß er sie nicht als Ausdruck persönlicher oder existentieller Ratlosigkeit fassen mußte. Er war sich seiner eigenen Bedeutung und der Bedeutung seiner Arbeit sachlich bewußt, und jedenfalls das Verhalten des Publikums zu seiner Dichtung vermochte keinen Zweifel an der Bedeutung dieser Dichtung zu begründen. Musil spricht von der Aufgabe seines Romans als von einer „Sache, die allein schon künstlerisch fast über meine Kraft geht, und sicher über die jedes der heutigen Schriftsteller, soweit ich sie kenne." „Eine solche Aufgabe wird ja wohl lohnend sein, aber solange sie nicht gelöst ist, müßte man rein immer erzählen, daß man ein armer Narr ist."9 Diese Isolierung zugleich mit der Festigkeit im .Glauben an das Werk' ist, in Musils Voraussetzungen gedacht, nicht zufälliges Schicksal, sondern beides umschreibt im Sinne Musils die Bedingungen der Entstehung von Kunst. Diese Situation ist nicht die „Einsamkeit" des Dichters gegenüber einer Gesellschaft, deren künftige Normen er voraus denkt. Insofern ist sie nicht vergleichbar mit der Unabhängigkeit des Wissenschaftlers. Es ist vielmehr die Situation des schöpferisch arbeitenden Künstlers im Chaos, für den jede bestimmte, ihn bestimmende gesellschaftliche Orientierung ungültig ist, auch diejenige, der kritische Antipode dieser bestimmten Gesellschaft zu sein. Insofern ist Musils Situation ungleich exzentrischer als etwa die Kafkas in Prag. Sie ist aber auch weniger schmerzhaft, weil Musil diese Situation als die notwendige Bedingung der Möglichkeit für das Entstehen von Dichtung v e r s t e h e n kann. Die Einsamkeit des Künstlers und der einsame Glaube an sein Werk können, faßt man sie prinzipiell auf, und sieht in ihnen nicht nur konven8
S. Paul Valéry „Zur Theorie der Dichtkunst" Frankfurt 1962 S. 201 (in „Über den Unterricht in Poetik am Collège de France" — 1937). » An Wotruba am 3. 4. 40 PDB S. 773.
Das Inkommensurable der Dichtung Musils als Problem
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tionelle Epitheta des ,Dichter'-verständnisses, wiederum auf den Begriff dieser Dichtung hinweisen. Sie zeigen eine gewisse Verwandtschaft zum deutschen Idealismus und seiner Auffassung vom Wesen geistiger Arbeit, bevor sie im 19. Jh. zum leeren Rollen-Klischee vom Künstler in der Gesellschaft entartete. Und anders läßt sich auch nicht erklären, wie die persönliche Mühsal im Dasein Musils ertragen wurde, als daß diese Existenz von einem völlig unmodernen Anerkennen des Geistigen als des Absoluten getragen wurde. Es ist darum unmöglich, Musils Dichtung zu verstehen als Ausdruck seiner persönlichen Situation, weil seine Diditung gerade aus der Nichtachtung dieser Situation, sofern sie als eine bestimmte interpretierbar war, entstand. Musil schrieb für einen Leser, von dem er wußte, daß er erst zu erfinden sein würde und zwar in und mit dieser Dichtung selbst. Der Begriff dieser Diditung ist wesentlich identisch mit dem Begriff des Lesers, für den er schreibt. Musil ist darum kein hermetischer Dichter. Er ist darauf angewiesen, daß ein Leser sich einläßt auf das „absolute Abenteuer" 10 dieser Dichtung. Darum konzipiert er eine traditionelle Dichtungsform neu. Er schreibt bewußt einen Roman und ist sich der Bedeutung dessen bewußt, daß er dabei eine Form erfüllt. 11 Er spricht nicht sich selbst und seine Ansichten aus, er gibt nicht Bilder seines persönlichen Weltgefühles. „Proust und Joyce geben, so viel ich davon gesehen habe, einfach der Auflösung nach durch einen assoziierenden Stil mit verschwimmenden Grenzen. Dagegen wäre mein Versuch eher konstruktiv und synthetisch zu nennen." 12 Der Form des Romans bedient sich Musil also, um die Dichtung nicht als Meinung zu disqualifizieren, n i c h t um eines bestimmten Begriffes dieser Form willen, deren möglichen bestimmten Aussagewert zu erfüllen er bestrebt wäre. Die bestimmte Interpretation dieser Form, die die Dichtung in ihrer wesentlichen Bedeutung überflüssig machen würde, muß Musil aufzuheben versuchen. Die traditionelle Form ist nur ein Mittel den Leser in das „Abenteuer" von Dichtung hineinzulocken. Musil scheut sich darum, theoretische Begriffe für das zu geben, was seine Dichtung im 10
11
12
In diesem Sinn sagt Musil von Rilkes Gedicht, daß es sich „nicht gedeckten Rückens an die Mauern irgendeiner Ideologie, Humanität, Weltmeinung gelehnt" entfaltet, sondern „von keiner Seite festgehalten oder gestützt als ein der geistigen Bewegung frei und schwebend Überlassenes." (Tgb. S. 896) S. dazu etwa W. Rasch „Gespr. mit Musil" ( L W S. 370): „Obwohl man schließlich alles hineinschreiben könne . . . aber unabweisbar notwendig ordnen sich alle solche Bestandteile in die Romanform ein . . . idi kann, was ich sagen will, nur im Roman, durch ein Medium von Vorgängen und Figuren sagen." Doch charakteristisdierweise schränkt M. solche theoretisch-bestimmte Erwägung bald darauf ein, wenn er sagt: „Ich bin letzten Endes gar nicht imstande, die Form als solche wahrzunehmen." An von Allesch am 15. 3. 31 in LLW S. 302.
6
Einleitung
Ganzen charakterisieren könnte, obwohl er verständlichen Anlaß hat, seiner Dichtung von außen her erklärend auf den Weg zu helfen. Charakteristischerweise sind darum Musils „Selbstanzeigen" widersprüchlich und im Paradox formuliert, so daß sie den möglichen Leser zwingen, seine eigene Rolle als Leser wirklich anzunehmen. Sie geben einen Begriff der Sache, heben ihn gleich darauf wieder auf oder geben nur eine negative Bestimmung und weisen endlich auf die Lektüre selbst: „Es ist nicht der seit Menschengedenken erwartete große österreichische Roman, obwohl . . . Es ist keine Zeitschilderung in der sidi Herr . . . erkennt wie er leibt und lebt . . . Es ist ebensowenig eine Gesellschaftsschilderung. Es enthält nicht die P r o b l e m e , an denen wir leiden, sondern . . . Es ist kein Werk eines Dichters, sofern . . . Aufgabe hat (zu wiederholen, was . . .) sondern sofern . . . konstruktive Variation. (Man könnte noch hinzufügen: da dieser im Geist der Gesamtheit liegt, ist dieses Buch idealistisch, analytisch, eventuell synthetisch) Es ist keine Satire, sondern eine positive Konstruktion. Es ist kein Bekenntnis, sondern eine Satire. Es ist nicht das Buch eines Psychologen. Es ist nicht das Buch eines Denkers (da es die gedanklichen Elemente in einer Ordnung bringt, die) Es ist nicht das Buch eines Sängers, der . . . Es ist nicht das Buch eines Autors, der Erfolg hat, der keinen Erfolg hat. Es ist kein leichtes und kein schweres Buch, denn das kommt ganz auf den Leser an. Ich glaube, ohne weiteres fortfahren zu müssen, danach sagen zu können, daß jeder, der nun wissen will, was dieses Buch ist, am besten tut, es selbst zu lesen (sich nicht auf mein oder anderer Leute Urteil zu verlassen und es selbst zu lesen)." X3 > 14 13
,4
In Frises A u s g a b e im A n h a n g zum M o E S. 1642 (die Auslassungspunkte entsprechen dem Friseschen T e x t ) . A u f diese Stelle in ihrem p r ä g n a n t p a r a d o x e n Sinn bezieht sich schon H . H o n o l d in ihrer Arbeit ( H . H . „ D i e Funktion des P a r a d o x e n bei R . M . . . Diss. Tübingen 1963): „Wenn auf diese Weise jeder Begriff durch einen G e g e n begriff zuerst aufgehoben, d a n n jedoch, quasi unter neuem Vorzeichen, wieder in seine Rechte eingesetzt wird, so heißt das, das Buch i s t dieses alles ,wedernoch', sondern es ist das alles gleichzeitig, — sowohl-als auch, aber keine einzelne Bestimmung d a v o n in Ausschließlichkeit." (S. 141). D a ß H . H o n o l d nun allerdings den Begriff der Sache, wie sie ,weder-noch" ist, nicht in erkenntnistheoretischer Allgemeingültigkeit ausweist, das wird zu zeigen sein. Vgl. die ausführliche A n m e r k u n g 79 zu K a p . C .
Das Inkommensurable der Dichtung Musils als Problem
7
Die Absicht Musils ist deutlich und deutet auf den inkommensurablen Begriff seiner Kunst. Er möchte den Leser zwingen, Leser zu sein, und sich eines bestimmten Vorbegriffs der Form zu entäußern, ohne zugleich die Formlosigkeit dieser Dichtung zu erwarten. Denn so würde die Dichtung zu bloßer Meinung, und es würde ihre Bedeutung als absolute Form, als „Gestalt" wiederum aufgehoben. Trotzdem haben sich verständlicherweise in der Musilliteratur für fast jeden der abgewiesenen bestimmten Formbegriffe Apologeten gefunden, die in Entfaltung solch eines Begriffs den Roman interpretieren. „Der Mann ohne Eigenschaften" ist betrachtet worden als Zeitschilderung, als Gesellschaftsdarstellung, als Kulturphilosophie, als Satire und Kulturkritik, als Bekenntnis, als Buch eines Psychologen, als Buch eines Denkers, der seine moderne Weltanschauung darlegt. Es kann dem nicht widersprochen werden, als ob keine Zeitschilderung in dem Roman bemerkbar zu machen wäre, als ob er nicht als Satire interpretierbar wäre, als ob sich der Roman nicht auch als Bekenntnis lesen lasse.15-16>17 Nicht ihre Undurchführbarkeit spricht gegen die Gültigkeit dieser Interpretationen, sie wird sich schwer beweisen lassen. N u r einem Bewußtsein, das für den intendierten inkommensurablen ästhetischen Totalitätscharakter dieser Dichtung empfänglich und ihren Anspruch in dieser Tendenz zu verstehen in der Lage ist, nur einem solchen Bewußtsein müssen diese Deutungen ungenügend bleiben.
15
16 17
Dafür stehen schon die Namen, die sich auf die österreichische Geschichte vor 1918 beziehen, ebenso die Meinungsgehalte von Arnheim etwa und von anderen Figuren, die für bestimmte Zeitgenossen stehen können. Vgl. dazu auch R. v. Heydebrand u. d. Lasa „Die Reflexionen Ulrichs in R. M.s Roman der MoE. Ihr Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Denken" — (Diss. Münster 1962) Darauf hat Arntzen in seiner Arbeit hingewiesen — vgl. dazu Kap. A III Dafür können mannigfaltige biographische Entsprechungen angeführt werden, ja, es ist wahrscheinlich möglich, für fast jedes Motiv eine Entsprechung in Musils Lebensgeschichte zu finden, denn Musil entnahm den Stoff für seine Dichtung nie historischen Quellen.
A . Der Begriff „moderner Dichtung" in Beispielen neuerer Dichtungstheorie: Dichtung als negative Darstellung I. Der Begriff „Moderner Literatur" bei W. Emrich Dieses Ungenügen sei zuerst an Beispielen bestimmter Interpretationen gezeigt. Dabei beginnen wir mit einer Spielart von dogmatischen, im Dienst bestimmter Formbegriffe stehenden Interpretationen, die sich angesichts der neueren Literatur im allgemeinen und Musils im besonderen ausdrücklich zu empfehlen scheinen, weil sie ihr dogmatisches Ideal in negativen Bestimmungen artikulieren. Auch die bestimmten Formanspruch abweisenden Begriffe aus Musils Selbstanzeigen ließen sich dogmatisch mißverstehen. So der Satz Musils: „Die Geschichte dieses Romans kommt darauf hinaus, daß die Geschichte, die in ihm erzählt werden sollte, nicht erzählt wird". 18 Dieser Satz Musils ist wie der andere vom ,Verfall der erzählerischen Ordnung im zeitgenössischen Leben',19 einer der am häufigsten zitierten der Musilliteratur. Denn mit diesen Zitaten wird Musil unter der Gemeinvorstellung: ,Moderner Erzähler* mit Joyce, Proust, Thomas Mann und Broch und endlich auch Kafka in Zusammenhang gebracht.20 Musil selbst hat sich entschieden gegen eine solche Beziehbarkeit gewehrt. 21 ' 22 Die Vergleichbarkeit soll die Vorstellung von der Destruktion der Romanform als „Zerstörung der Wirklichkeit" vermitteln. „Die Welt 18
19 20
21
22
S. dazu im Anhang zum MoE unter Frises Titel „Aus einem Notizbuch (1932)" MoE S. 1640 Vgl. MoE S. 665 So von W . Emrich in seinem Aufsatz „Formen und Gehalte des zeitgenössischen Romans" in „Protest und Verheißung" Bonn 1960 S. 1 6 9 — 1 7 5 Vgl. das oben gegebene Zitat aus dem Brief an von Allesch (S. 1) — andernorts distanziert er sich von Joyce' Diditung, die er als einen „spiritualisierten Naturalismus" begreift, ein „Schritt, der schon 1900 fällig war". (Tgb. S. 584) — vgl. auch zum Urteil über Joyce und Proust die Essays (Tgb. S. 705), w o er beide in Zusammenhang bringt mit Naturalismus und Impressionismus und „der Neigung, das Leben ausfließen zu lassen, wie es will", ein Zustand, „der in seinen niederen Formen der subjektiven Erlebnisreportage des Impressionismus . . . außer acht gelassen hat, daß es keinen Tatsachenbericht gibt, der nicht ein System voraussetzt, mit dessen Hilfe der Bericht aus den Tatsachen geschöpft wird." Einzig im Falle Rilkes hat er eine Vergleidibarkeit zugestanden und diese in wesentliche Züge seines Dichtungsbegriffes erhellenden Gedanken in seiner Rilkerede dargestellt.
Der Begriff der „modernen Literatur" bei W. Emrich
9
ist in keinem Sinne mehr — im Gegensatz zur Welt des traditionellen Romans — vorkonstituiert. Vielmehr werden die Möglichkeiten ihrer Konstituierung unausgesetzt neu erfragt." 23 „Welt- und Ich-bewußtsein" verlören ihre Bedeutung als „konstituierende Voraussetzungen". Musil kritisiere „die Schreiber", die „noch erzählen", er kritisiere „die ästhetische Intention jeder Erzählung, Wirklichkeit zu fingieren." „Wir behaupten, daß Musil damit einen historischen Sachverhalt formuliert. Die Kategorien, mit denen heute die Menschheit Wirklichkeit und Ziele setzt, sind falsch, da sie den potentiellen Menschen, den Menschen als Inbegriff seiner Möglichkeiten ausschalten oder nicht kennen. Sie verendlichen den Menschen zu einer fixierbaren Wirklichkeit, die zudem selber Lüge, falsche Utopie ist, da sie auf chimärischen, trügerischen Allgemeinvorstellungen sich gründet." 24 Das gelte auch für alles Erzählen, das mit festen Charakteren, Eigenschaften, kausalen Handlungsverknüpfungen, psychologischen, soziologischen Gesetzmäßigkeiten arbeitet." 25 ' 26 Emrich deutet in diesen Bemerkungen einen Begriff moderner Dichtung an, der seine Bestimmung wesentlich in der Negation gewisser Bestimmungen eines traditionellen Dichtungsbegriffs findet. Die Negation dieser Bestimmungen aber vollzieht Emrich auf dem Boden eines vorausgesetzten Gemeinsamen. Doch ist das als gemeinsam Vorausgesetzte nicht leicht zu bemerken und wird wahrscheinlich von ihm selbst übersehen. 23
24 25
20
Emrich a.a.O. S. 169 — vgl. zum Folgenden auch Emrichs Aufsatz „Die Erzählkunst des 20. Jahrhunderts und ihr geschichtlicher Sinn" in „Protest und Verheißung" S. 176—192: dieser Aufsatz nimmt zum Ausgangspunkt den oben (vgl. Anm. 18) zitierten Satz Musils. Emridi a.a.O. S. 179 f. Diese Bestimmungen sind nicht ,falsch', sie lassen sich ohne Zweifel an Äußerungen Musils in seiner Dichtung belegen. Die jeweils aus Musil gegebenen Zitate erweisen das schon. Es kann also nidit die Absicht sein, diese Bestimmungen durch andere zu ersetzen, vielmehr wird diese Arbeit am Ende diese Bestimmungen wieder aufnehmen und in gewisser Weise sogar selbst wiederholen. Unzureichend ist vielmehr der Horizont ihres Verständnisses. Ungenügend sind sie, weil Emrich die Bestimmung des nicht fixierbaren Menschen als eine meinbare aufnimmt und zum Prädikat eines Bestimmten, der Dichtung, macht. Daraus folgt, daß E. mit dieser Bestimmung das Kriterium des Unterschieds von traditioneller und moderner Dichtung meint geben zu können. Würde E. die Nicht-Fixierbarkeit des Menschen wahrhaft ins Auge gefaßt haben, könnte er nicht die traditionelle Dichtung davon ausschließen. Daß er dies tut, darin, unter anderem, zeigt er, daß er die Nicht-Fixierbarkeit des Menschen m e i n e n zu können glaubt, daß er sie nicht a l s a b s o lute Bestimmung denkt. Es ist nun zu zeigen, daß diese Nicht-Fixierbarkeit des Menschen sich gar nicht meinen läßt, weil das Negative in ihr als Meinung nur das Negative eines an sich geglaubten bestimmten Positiven ist. Emrich a.a.O.
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Dichtung als negative Darstellung
Dieses Gemeinsame, das er in der Negation des Traditionellen voraussetzt, ist aber das, was den wesentlichen dichtungstheoretischen Gehalt seiner Bemerkungen ausmacht. Das Negative des modernen Romans ist ein bestimmtes Negatives, nicht Negatives schlechthin, denn seine Absolutheit müßte gedacht, könnte nicht vorausgesetzt werden. Didiung oder Roman sei M e i n u n g ü b e r d e n M e n s c h e n . Die traditionelle Dichtung meine oder glaube den Menschen mit bestimmter „fixierbarer Wirklichkeit". Die moderne Dichtung glaube den „potentiellen Menschen". Was ist der Mensch bestimmter Wirklichkeit, den die traditionelle Dichtung glaubt? Der Mensch als „fester Charakter", mit „Eigenschaften", der einbezogen sei in kausale Handlungsverknüpfungen, psychologische und soziologische Gesetzmäßigkeiten. Was ist der potentielle Mensch? Seine Bestimmung ergibt sich für Emrich wesentlich aus der Negation des „fixierbaren Menschen". Er sagt über ihn nichts weiteres aus. So ergibt sich, daß der Begriff der modernen Dichtung seinen wesentlichen Gehalt einzig in dem bleibenden Gemeinsamen hat, das in dem bestimmten Negativen als bestimmten noch vorausgesetzt bleibt, nämlich M e i n u n g zu sein, so daß also der Begriff moderner Dichtung wesentlich der ist, Meinung über den Menschen zu sein, wie er nicht ist, so daß sich also die Artikulierbarkeit dieser Dichtung daraus ergäbe, gewisse von anderswoher gegebene Meinung über den Menschen als ungültig zu erklären, als „falsch", wie Emrich sagt. Moderne Dichtung ist also zerstörend, sie ist Satire, die immer wieder das ,Falsche' der Menschen zeigt. Diese Bestimmung der ,modernen Dichtung' widerspricht sich aber insofern selbst, als sie in ihrer Bestimmtheit als Meinung nicht nur negativ ist und so den Menschen als Meinenden positiv voraussetzt, ohne ihn in dieser Positivität erklärt zu haben oder erklären zu können. Der Begriff der modernen Dichtung ist also dogmatisch, insofern er ein Negatives annimmt, das so nur gilt als Negatives eines bestimmt geglaubten Positiven. Auf die Dichtung bezogen gesprochen, erklärt dieser negative Begriff, — der leugnen will, die ästhetische Intention sei, Wirklichkeit zu fingieren, — nicht, welchen Charakter das hat, das die moderne Dichtung doch auch noch fingieren muß, wenn es auch ein ,Nicht-Wirkliches' genannt werden mag. 27
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Den dogmatischen Charakter seiner negativen Bestimmung enthüllt Emrich selbst, wenn er ein einheitliches Menschenbild, die N o r m einer humanitären Idee, als Voraussetzung für den Roman fordert. „Die Kritik an allen Kategorien, mit denen wir vergeblidi unser Dasein zu meistern und zu ordnen versuchen, kann nur sinnvoll sein, wenn sie bestimmt wird durch ein klares Bewußtsein von dem, was der Mensch i s t , bzw. sein könnte oder sollte, wenn er nach der Bestimmung seiner Existenz fragt." Dieses Menschenbild sei, so meint E. sagen zu können, „radikal unterschieden von dem Bewußtsein des in seine endliche empirische Welt verfangenen Menschen. Es erscheint als ein übergreifendes Bewußtsein, das ihn bestimmt, das er nicht selbst reflek-
Der Begriff der „modernen Literatur" bei W. Emrich
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Ebenso läßt sich dieser sich selbst widersprechende Begriff von seinem vorausgesetzten positiven Gegenbegriff her kritisieren, indem seine ausschließliche Positivität von seiner gleichzeitigen Bestimmtheit her in Frage gestellt wird. In diesem Fall sei auf die formale Argumentation verzichtet. Denn diese positive Bestimmung des traditionellen Dichtungsbegriffes scheint konkretere Fülle zu bieten. Die „ästhetische Intention" traditioneller Erzähler sei, „Wirklichkeit zu fingieren". Die Welt sei im traditionellen Roman vorkonstituiert. Der Mensch in dieser Dichtung sei fixierbar. Daß aber die traditionelle Dichtung diesen fixierbaren Menschen fingiert — wie auch immer der Charakter dieser Fiktion zu verstehen sei — daß also die Dichtung den Menschen als solchen in irgendeiner Weise m a c h t , herstellt, zeigt doch, daß diese Dichtung selbst in einen Grund eingeht, in dem der Mensch als diese Dichtung Hervorbringender und sich in ihr Darstellender mit der fixierten Wirklichkeit nicht mehr rechnet. Denn sonst könnte er sich nicht als solcher herstellen und bedürfte solcher Vergewisserung gar nicht. In dem Maße also, in dem der Mensch in die Lage gerät, sich selbst in der Kunst fingieren zu sollen oder sogar zu müssen, ruht er schon nicht mehr in der Meinung, im Glauben von sich als einem bestimmten. Gerade in der Geschichte des Romans wird das deutlich, und die Theorie des Romans hat diesen Sachverhalt, der, in Emrichs Begriffen gedacht, die „Modernität" des Romans seit seiner Entstehung beweist, wiederholt ausgesprochen. Und ohne ein gültiges Gegenargument haben wir keinen Grund, diese Einsicht in das Wesen der Dichtung am Beispiel des Romans als bloße Theorie des Interpreten und nicht als wirkliche Einsicht in das, was der Roman ist, zu beurteilen. 28 Schon die romantische Romantheorie hatte in den Begriffen des Idealismus den „Zerfall der Wirklichkeit" im Roman ausgesprochen und dies sogar am Beispiel des Don Quichote zeigen zu können geglaubt. So sagt F. Schlegel vom Don Quichote in den „Gesprächen über die Poesie": „Der Quichote ist nicht aus dem Verstand, er ist aus der poetischen Eingebungskraft geboren. Sein Aufbau ist daher auch kein logisch kausaler, sondern
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tierend hervorbringen kann, zu dem er aber durchzudringen vermag, wenn er den Mut hat, die utopische Existenz auf sich zu nehmen." (S. 183) Hier gibt E. selbst den Beleg, wie seine negative Bestimmung der modernen Dichtung die Kehrseite einer unmittelbar geglaubten positiven Bestimmtheit ist, Meinung über den Menschen zu sein. Die unmittelbare Gegebenheit solcher Bestimmtheit wird vorausgesetzt und gleichzeitig wird versichert, daß damit nicht die ,fixierbare Wirklichkeit' gemeint sei, die ja als ,anders' ausgeschlossenes Traditionelles sei. Die selbstverständliche Bereitschaft dazu kann nur ein positivistischer Historismus wagen, dem Denken nur als unverbindlicher je und je sich ändernder Meinungsgehalt gilt.
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Dichtung als negative Darstellung
entspricht der natürlich chaotischen Lebendigkeit der Phantasie. ,Wenn aber ein materieller Z u s a m m e n h a n g gefordert wird, der die V o r f ä l l e wie Ursache u n d Wirkung, wie Mittel u n d Zweck untereinander verknüpft, so d a ß alles d a r a u f abzielt irgendetwas zu S t a n d e zu bringen . . . so w ä r e a l s d a n n die C o m p o s i t i o n des ganzen D . Q . äußerst fehlerhaft. D e n n er besteht aus Begebenheiten, die z w a r aus einem gemeinschaftlichen G r u n d e herfließen, deren Folge aber, nach d e m bloßen Begriff betrachtet, z u f ä l l i g ist, die jede ihre Verwicklung und A u f l ö s u n g f ü r sich haben und zu weiter nichts führen.' " 2 9 Auch Schlegel hat nun allerdings den R o m a n als eine „ m o d e r n e " K u n s t f o r m einer „klassischen" F o r m gegenübergestellt, und er hat mit dieser Unterscheidung v o n „klassisch" und „ r o m a n t i s c h " nicht historische G r u p p i e r u n g e n benennen wollen, sondern auch er hatte dichtungstheoretische Interessen. 3 0 Sehen w i r d a v o n ab, wie bei ihm im einzelnen der Begriff v o n „ m o d e r n e r " u n d „klassischer" K u n s t g e f a ß t wird, beschränken wir uns d a r a u f , d a ß er, wie Emrich, meint, den Begriff einer „ m o d e r n e n " K u n s t b e s t i m m e n zu können, und z w a r negativ in B e z u g auf den Begriff der klassischen K u n s t , die allerdings zugleich das vollständige S y s t e m der K u n s t darstelle. Insofern er d a s N e g a t i v e , U n b e stimmte, das Unendliche der modernen E i n b i l d u n g s k r a f t dem bestimmten G a n z e n klassischer Dichtung gegenüberstellt, stellt auch er das N e g a t i v e und U n b e s t i m m t e als das P r ä d i k a t eines Bestimmten v o r , das er in seiner Bestimmtheit z w a r nicht ausweist, das er vielmehr nur historisch v o r a u s setzt, g l a u b t . Insofern w ä r e auch sein Begriff v o n Dichtung der v o n bestimmter Vorstellung, v o n Meinung, dessen Verhältnis zu seiner gleichzeitig behaupteten Unbestimmtheit im Begriff moderner Dichtung nicht durchdacht ist. D i e Unterscheidung v o n „klassischer" und „ m o d e r n e r " Dichtung verdeckt also in jedem F a l l das problematische Verhältnis v o n Bestimmtheit und Unbestimmtheit im Begriff der Dichtung als K u n s t . D i e Unterscheid u n g k a n n ein angemessenes Mittel ihrer Verhältnisbestimmung nur f ü r ein dogmatisches Bewußtsein sein, das das Geistige nur als Meinung verstehen k a n n . Wird die Bestimmtheit v o n Vorstellung geglaubt, w i r d sie nicht z u m philosophischen Problem, so w i r d das widersprüchliche N e b e n einander v o n Bestimmtheit und Unbestimmtheit im Begriff moderner Dichtung nicht a u f f ä l l i g . D e r Begriff des M o d e r n e n ist überhaupt nur in der Meinungssphäre sinnvoll. N u r w o etwas seine einzige Wirklichkeit und Wahrheit in seiner Gemeintheit hat, k a n n v o n einem Modernen 29
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Zit. nach Harri Meier „Zur Entwicklung der europäischen Quichotedeutung" in Romanische Forschungen 54 (1940) S. 249 Vgl. dazu schon seine frühe Schrift „Ober das Studium der griechischen Poesie" in F. Schlegel „Seine prosaischen Jugendschriften" hg. v. J . Minor 1. Band S. 85 ff.
Die Romantheorie von G. Lukdcs
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gesprochen werden, weil nur hier das ,Anders-als-bisher' irgendeinen Sinn haben kann, weil seine leere Negativität von der geglaubten unauffälligen Bestimmtheit als Meinung zehrt. Dichtung kann nicht modern sein, sofern sie in ihrem Charakter als Erkenntnis anerkannt wird. Die Dichtung ist kein Meinungsding, von dessen Modernität zu sprechen Sinn hätte. Dichtung ist Wahrheit.
II. Der Begriff des Romans in der Romantheorie von G. Lukacs Gehen wir also der Emrichschen Bestimmung der Dichtung als „Zerstörung der Wirklichkeit" weiter nach, aber nun mit dem Ziel, sie nicht als eine gesonderte negative Bestimmung der modernen Dichtung zu verstehen, sondern als eine mögliche Bestimmung von Dichtung überhaupt. Wollen wir diese Bestimmung differenzierter erfassen lernen, so bietet sich vor allem, wie bei Schlegel schon, die Romantheorie an. Innerhalb ihres Zusammenhangs hat G . Lukacs Aussagen über die Dichtung gemacht, die der Emrichschen in dem Sinn entsprechen, als er den R o m a n (nun allerdings nicht den modernen R o m a n des 20. J h . , sondern wieder den R o m a n seit dem D o n Quichote) aus dem Ungenügen an einer fixierbaren endlichen Wirklichkeit versteht, das heißt aus der Zerstörung einer gültigen „vorkonstituierten Wirklichkeit". Lukacs nennt die „Form des Romans . . . wie keine andere ein[en] Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit," 3 1 das heißt des Menschen, der zum Bewußtsein seiner selbst als Subjekt gekommen, die fraglose Einordnung in eine bestimmte Welt entbehrt, seine eigene „problematische" Innerlichkeit entdeckt, so daß „kontingente W e l t " und „problematisches Individuum" auseinandertreten. Die innere Form des Romans sei ein Prozeß, die Wanderung des problematischen Individuum zu sich selbst, in der zum Ziele hin ein „Maximum der Annäherung von Sein und Sollen" erreichbar sei und in verschiedenen Formen gestaltet werde. Sein Ursprung ist die unbefriedigte Sehnsucht des Subjekts. So sagt Lukacs etwa: „Die Seele des Humoristen dürstet nach einer echteren Substanzialität, als ihm das Leben bieten könnte; deshalb zerschlägt er alle Formen und Grenzen der zerbrechlichen Totalität des Lebens, um zur einzig wahren Quelle des Lebens, zum reinen weltbeherrschenden Ich zu gelangen. Aber mit dem Zusammenbrechen der Objektswelt, ist auch das Subjekt ein Fragment geworden, nur das Ich ist seiend geblieben, doch auch seine Existenz zerrinnt in der Substanzlosigkeit der selbstgeschaffenen Trümmerwelt. " 3 2 31 32
Georg Lukacs, Die Theorie des Romans — Berlin 1920 S. 23 f. Lukacs a.a.O. S. 40 f.
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Dichtung als negative Darstellung
Indem Lukacs die Bestimmtheit des Subjekts und seiner Ansprüche der Bestimmtheit vorfindlicher Welt gegenüberstellt, kann er den Roman als Darstellung der Disproportion in wesentlich zweifacher Hinsicht und in mannigfaltigen Graden verstehen. So kann er eine Geschichte des Romans theoretisch polar orientieren. Thema des Romans ist die „Unangemessenheit von Seele und Werk". Sie hat, „roh ausgedrückt, zwei Typen: die Seele ist entweder schmäler oder breiter als die Außenwelt, die ihr als Schauplatz und Substrat ihrer Taten aufgegeben ist."33 Am Anfang des Romans steht der Don Quichote: das Individuum ist des Ideals unproblematisch sicher und stellt seine Forderungen an eine Wirklichkeit, die sie nicht erfüllt, wodurch Heldentum und Glaube des Subjekts als Groteske und Wahnsinn erscheinen müssen. Die Sicherheit des Helden, seine reine Aktivität, das Fehlen innerer Problematik zeigen den D. Q. als die Frühform des Romans. Psychologie und ein differenzierteres Bild der Gesellschaft variieren diesen Typus des Romans, der die dämonische Enge der Seele in ihrem Versuch sich zu verwirklichen an der Wirklichkeit scheitern läßt. Der entgegengesetzte Typus des Romans läßt der Seele ihr unendliches Recht, gibt ihr ein konkretes, reiches und bewegtes Leben und die Selbstsicherheit, sich „für die einzig wahre Realität, für die Essenz der Welt zu halten. Die Außenwelt erscheint atomisiert, jedes Sinnes bar". Diese beiden grundsätzlichen Situationen des Romans zeigen, nach Lukacs, die charakteristische Gefährdung seiner künstlerischen Form. Im zuletzt geschilderten Typus droht der Verlust jeglicher Möglichkeit, das Ich in äußerem Stoff darzustellen. Im anderen Fall wird der Roman unmöglich, wenn im Zuge der Psychologisierung des Helden seine Erhabenheit verlorengeht: Ein „Wertbetontes . . . aber die Lebensimmanenz . . . Transzendierendes" läßt sich nicht mehr finden. Von Anfang also sei der Roman Ausdruck einer Situation, die die Krise der künstlerischen Form bedeutet, denn die Transzendenz der Subjektivität sei prinzipiell nicht darstellbar. Schließlich nennt Lukacs auch noch den Versuch einer gelungenen Synthese von Welt und Ich, der angewiesen sei auf eine menschliche Gemeinschaft, die sich mit dem Helden in einem Erziehungsprozeß zu einem bestimmten Ideal verstehe, „in den Gebilden der Gesellschaft Bindungen und Erfüllungen für das Innerlichste der Seele zu finden". Die Gefahr sei hier ein „Transzendieren zur Epopöe", sofern nämlich die objektive Substanzialität der Gemeinschaft problemjenseitig vorausgesetzt wird. Sehen wir zuerst einmal davon ab, daß auch Lukacs die Bestimmung einer dichterischen Form negativ gegen eine positive Bestimmung anderer 33
Lukacs a.a.O. S. 95
Die Romantheorie von G. Lukdcs
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dichterischer Form abhebt, deren Positivität ebenso wie bei Emrich in die negative Bestimmung mithineinspielt, so finden wir hier, gegenüber Emrichs Bestimmung, eine reflektierte Differenzierung der These, Dichtung habe es mit der Nichtfixierbarkeit der Wirklichkeit zu tun. Lukdcs nennt den Grund für die „Zerstörung der Wirklichkeit": die Entdeckung der Subjektivität. 34 Die bestimmte Welt verliert in dem Moment ihre fraglose Gültigkeit, als ein Subjekt sich seiner selbst im Unterschied zu dieser Welt bewußt wird. Im Roman, so ist Lukacs' These, artikuliert sich dieses Bewußtsein des Unterschiedes als Sehnsucht und Suche des Ich nach seiner Weltbestimmung, der Art, daß dem Roman zugrundeliegt die empfundene Ungültigkeit oder Zerstörtheit seiner Bestimmtheit, ob nun eine mögliche Bestimmung des Ich auf dieser Suche seiner selbst gefunden wird oder nicht. Diese Entdeckung der Subjektivität oder Innerlichkeit als Grund der Dichtung oder auch nur des Romans wird man nicht verlieren dürfen. Aber nun ist zu fragen, wie ist diese Subjektivität zu denken, die sich in ihrem Für-sich-sein der Welt gegenüber bewußt wird? Als was wird sie sich bewußt, wenn sie sich als Nicht-weit bewußt wird? Lukacs' eigene Ausführungen lassen keinen Zweifel, daß sie sich als ursprüngliche Unbestimmtheit bewußt wird, denn sie s u c h t die Welt als ihre eigene Bestimmung. Hier ist nun wieder, genau wie bei Emrich, die Frage, ob Lukacs dieser Unbestimmtheit als absoluter Bestimmung der Subjektivität gerecht wird, ob er sie zu d e n k e n vermag. Verhängnisvoll ist hier wieder, daß die negative Bestimmung von einem positiv Anderen abgehoben wird und so nur als Negatives dieses Anderen gedacht wird, so daß das Negative noch mit seinem Anderen eine gemeinsame Bestimmung mit sich trägt. Damit hängt zusammen, daß Lukacs das b e s t i m m t e Gegeneinander von Subjekt und Objekt, von Seele und Welt, v o r a u s s e t z t . Er setzt es voraus, obwohl er es, der Strenge seines Gedankens nach, nicht dürfte, denn das Ich ist seiner selbst ja grade nicht als eines bestimmten sicher, als einer metaphysischen, oder besser: dogmatisch metaphysischen, also geglaubten Substanz. Ebenso ist das Subjekt, nach Lukacs seines Anderen als eines bestimmten gewiß, auch wenn es ein für es Nicht-Passendes ist. Die Rede von der Seele, die „breiter" oder „schmäler" sei als die „Außenwelt" (!) ist verräterisch, nicht daß sie nach ihrer Buchstäblichkeit hin mißverstanden werden könnte, wohl aber so, daß sie ein Für-sich-bestimmtsein der Unterschiedenen deutlich macht. Die gleiche d o g m a t i s c h e Bestimmtheit zeigt die Gegenüberstellung von Innen und Außen. Diese Tatsache, daß die Subjektivität zwar als ursprüngliche Unbestimmtheit, aber in dieser Unbestimmtheit zugleich als irgendwie von 34
Sie entspricht dem, was Emrich im Anschluß an Musil das „potentielle Ich" nennt — vgl. das vorige K a p .
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Dichtung als negative Darstellung
einem bestimmten Anderen unterschieden g e g l a u b t wird, diese Tatsache bestimmt den ästhetischen Gehalt der Romantheorie von Lukacs. So wird der Roman nicht in der Fülle und Mannigfaltigkeit seines Fingierten gewürdigt, sondern allein in seiner abstrakten Bestimmtheit, d a ß eine Kongruenz von Ich und Welt zustande kommt, bzw. d a ß sie entbehrt wird. Von einer Kongruenz, von einem Zueinanderpassen könnte Lukacs aber gar nicht sprechen, wenn er die Subjektivität wirklich als ursprünglich unbestimmte dächte. Denn in dieser Unbestimmtheit „ p a ß t " zu ihr nichts. Das anerkennt Lukacs zwar und nennt es die Bedrohung der künstlerischen Form des Romans. Daß der Roman nun aber doch eine darstellende, Fülle fingierende Form ist, bleibt von dem Grundgedanken her unerklärt. Dazu hat er in seiner auf den Roman beschränkten Theorie wieder die Möglichkeit, weil er die eigentliche Bestimmung des Dichterischen als Fiktion, als Darstellung, voraussetzen zu können glaubt. Es ist aber für den Romanbegriff als eines poetisch und ästhetisch legitimierten Begriffs von ausschlaggebender Bedeutung, wie das Darstellende im Roman zu der gegebenen abstrakt negativen Bestimmung des Romans sich verhält. Erst wenn gedacht wird, was D a r s t e l l u n g ist als ästhetischer Fundamentalbegriff, kann die nähere Bestimmung dessen, was Romandarstellung ist, gefaßt werden. Es muß sich dann zeigen, daß die Roman-darstellung nicht durch einen Begriff von Subjektivität bestimmt werden kann, der gerade möglicher Darstellung unzugänglich ist. Das bedeutet aber nicht, daß Lukacs einen falschen' Romanbegriff hat, vielmehr ist ja das, was Darstellung und das, was Subjektivität sein kann, hier n o c h gar nicht gedacht. Und es wäre möglich, daß ein Denken, das in den Grund dieser Begriffe eingeht und ihre Beziehung zu denken vermag, auch Lukacs in gewisser Weise bestätigt, wenn man davon absieht, daß seine Bestimmungen in der Sphäre der Meinung sich bewegen, in der man der Bestimmtheit der Vorstellung als eines erkenntnistheoretischen Grundbegriffes immer schon dogmatisch sicher ist, so daß „Grundbegriffe" der Meinung wie Subjekt, Objekt oder Darstellung in ihrer Bedeutung nicht befragt werden und in ihrem Verhältnis nicht gedacht zu werden brauchen.
III.
Der Begriff
Satirischer
Stil' bei H.
Arntzen
Von Emrichs Begriff des modernen Romans ausgehend, hat sein Schüler Helmut Arntzen das Verhältnis von negativer Bestimmung und darstellender Funktion im Begriff des modernen Romans als ein Problem empfunden und in Bezug auf Musil selbst dargestellt. Er nennt darum seine Arbeit über Musil „Satirischer Stil — Zur Satire Robert Musils im
Der Begriff satirischer Stil' bei H. Arntzen
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Mann ohne Eigenschaften". 35 Im Begriff der Satire möchte A. das negativ Kritische, das Wirklichkeit Zerstörende also, im Begriff des Stils das Welt Aufbauende der dichterischen Fiktion fassen. Bevor wir uns also im folgenden mit der Frage nach dem poetologischen Begriff der Darstellung als solchem beschäftigen, sei auf diesen Versuch eingegangen. Arntzens Satirebegriff reflektiert das negativ Kritische von vornherein in dem weiten Horizont moderner „dialektischer Kulturkritik" und muß so von einer gewissen Unabhängigkeit der Satire als Kulturkritik gegenüber der Dichtung ausgehen. Die Kulturkritik antwortet als eine im weitesten Sinne moralische Disziplin auf die Frage: ,Was soll ich tun?'. Die Dichtung hat mit der Darstellung von Wirklichkeit zu tun. So muß Arntzen folgerichtig die Angewiesenheit der modernen Kulturkritik auf Dichtung und Sprache sehen. „Dichtung und Ethik sehen sich in der modernen Satire aufeinandergewiesen". 36 Der Kritisierende verfügt nicht innerhalb seiner Gesellschaft über eine f ü r sich geltende Ordnungsidee, in deren Rahmen das kritisch Benannte in seiner Unangemessenheit von selbst sich zeigt und so bestraft ist. Die Satire sei darum seit der Aufklärung auf die Dichtung angewiesen, sie sei nicht mehr Verspottung als solche. Die direkte Satire sei bei Jean Paul etwa überwunden. „Die Satire ist den Phänomenen nur gewachsen, wenn sie sich jedem von ihnen je auf besondere Weise nähert. Ihre Maßstäbe gewinnt sie mit dem Phänomen selbst. Sie wird also eine Weise des Darstellens und damit des Dichtens werden müssen." 37 Auf diese Weise meint Arntzen, auch das Dialektische moderner Kulturkritik, im Sinne Adornos etwa, auf den Begriff des satirischen Dichters übertragen zu können. Der satirische Dichter sei Kulturkritiker, und er sei wie dieser „Asozialer und doch Gewissen der Gesellschaft", 38 das heißt er sei für sie positiv und negativ verantwortlich. 39 Schon hier ist kritisch zu fragen, ob die Identifizierung der Begriffe „moderner, das heiße dialektischer Kulturkritik" und „moderner satirischer Dichtung" im Sinne Arntzens zu Recht erfolgt. Die doppelte Verantwortlichkeit des modernen Kulturkritikers, „Asozialer und Gewissen der Gesellschaft" zu sein, ergibt sich aus dem dialektisch gefaßten Begriff eines Geistes, der wesentlich in seiner Gesellschaftsbezogenheit verstanden wird. Darum könne die moderne Kulturkritik die moderne Gesellschaft nicht 35 38 37 38 39
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Bonn 1960 Arntzen a.a.O. S. 12 Arntzen a.a.O. S. 26 Arntzen a.a.O. S. 13 Schon Adorno und das unter seinem Einfluß stehende poetologische Denken der jüngeren deutschen Dichter vollziehen diese Identifizierung — vgl. dazu etwa Th. W. Adorno, „Form und Gehalt des zeitgenössischen Romans" in Akzente I, 1954, S. 412 Schaffnit
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Dichtung als negative Darstellung
negativ kritisieren, weil sie in dieser Negativität noch abhängig ist von dem, was sie kritisiert, so daß das Ziel dieser Kritik nicht die Herstellung eines an sich gültigen, geglaubten Idealzustandes sei, sie habe als K r i t i k vielmehr ihre Funktion in sich selbst, die die Versteinerung des lebendigen Menschen verhindere. O b diese Dialektik im Bewußtsein des modernen Kulturkritikers, diese Negativität, die sich selbst als Positives verstehen kann, ob sie auf das Verhältnis von Anklage und Darstellung in dem Begriffe satirischer Dichtung in Arntzens Sinn anwendbar ist, bleibt die Frage, jedenfalls ergibt es sich nicht von selbst. Auch der nur scheinbar dialektische Begriff der modernen Kulturkritik wird geleitet durch eine vermittelnde Bestimmung, nämlich durch die Idee des Geistes als „Leben", wenn auch diese Bestimmung im Begriff der Kulturkritik nicht ausdrücklich gedacht wird. 4 0 Es wird zu untersuchen sein, wie die Bestimmung des Lebens, rein als absolutes Moment gedacht, im Begriff der Kunst das negative und das darstellende Moment zu vermitteln vermag. Solange diese ,Vermittlung', die keine Vermittlung im bestimmten Begriff meinen kann, nicht als solche, in ihrer ontologischen Fundierung gedacht ist, muß die Verbindung äußerlich bleiben. Arntzen bemerkt wohl die wechselseitige Angewiesenheit von Gesellschaftskritik und Dichtung als Darstellung. Aber er unternimmt nicht den Versuch, beide als solche und in ihrem Verhältnis zueinander zu denken, vielmehr setzt er die Bestimmtheit von Gesellschaftskritik und Dichtung wieder voraus und kann gerade so die n o t w e n d i g e Angewiesenheit dieser beiden, ihre Selbigkeit von ihrem Begriff her nicht verstehen. Er muß sie wie ein faktisches, historisches Meinungsereignis annehmen und kann sie darum in seiner „strukturanalytischen" Beschreibung von Textbeispielen schon erwiesen und erklärt zu haben glauben, obwohl er ihren möglichen begrifflichen Zusammenhang nicht gedacht, ja ihn noch nicht einmal als Problem anerkannt hat. 4 1 So kann Arntzen nicht auf den tiefreichenden Widerspruch im Begriff des satirischen Stils stoßen und kann auch nicht die nur ontologisch ausweisbare Notwendigkeit dieses Widerspruchs bemerken. D a s wird die Folge haben müssen, daß er das z w a r vorausgesetzte darstellende Moment im Begriff des satirischen Stils faktisch unterschlägt zugunsten einer undialektisch verstandenen Satire, deren Angewiesenheit auf das Darstellende der Sprache nur äußerlich angenommen wird. 40
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Der Begriff des ,Lebens' ist auch bei Musil G r u n d l a g e seiner unbestreitbaren kulturkritischen Tendenzen. Beleg f ü r solche K u l t u r k r i t i k sind in erster Linie seine Essays einschlägiger Thematik. Vgl. Arntzen a.a.O. 3. K a p . „ D i e Entwicklung des satirischen Stils im R o m a n seit der A u f k l ä r u n g " S. 13—35
Der Begriff satirischer Stil' bei H . Arntzen
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Arntzen bemerkt, daß die Gesellschaftskritik nicht einfach Verspottung sein kann. Es müßte dann ein unmittelbares Bewußtsein einer ,Ordnungsidee', die dann natürlich als solche gar nicht bewußt würde, ,gegeben' sein, so daß vor ihrer Geltung der Hinweis auf irgendein gesellschaftliches Phänomen dieses von selbst in seiner Angemessenheit (als ,richtig' und ,gut') oder Nichtangemessenheit (als ,falsch' oder ,böse') zeigte. Solch ein unmittelbares Bewußtsein natürlich geltender Bestimmtheit darf nun aber nicht als ein archaischer Zustand vergangener historischer Zeiten angesehen werden, vielmehr ist es ständig gegenwärtiger Untergrund, als „natürliche Einstellung" die Basis unseres alltäglichen Verhaltens. Die positive Geltung dieser bestimmten Meinungswelt zu durchbrechen, ergibt sich im Denken und in der künstlerischen Arbeit für keine historische Epoche von selbst, denn jegliche Inhalte können als Meinung in diese Welt selbstverständlicher Positivität eingehen. Sie stellen dann den jeweilig geltenden common-sense dar, der in seiner Positivität gerade dann mächtig wird, wenn er sich negativ polemisch äußert. 42 Die Dichtung geht als Darstellung über solch unmittelbares Meinungsverhalten hinaus und ist gerade so Kritik am Geist bestimmter Positivität überhaupt. So ist sie, i n d e m sie „darstellt" gesellschaftskritisch.43 Die Dichtung braucht darum nicht eine besondere satirische Gesinnung oder Absicht, weil die Dichtung gar nicht in ihrer Bedeutung als Kunst verstanden werden kann ohne diese nun aber jegliche dogmatische Positivität, das Meinungsbewußtsein schlechthin, zerstörende Bedeutung. Aber es bedarf der Klärung des Begriffes der Kunst, um das Verhältnis von Darstellung und Negativität zu verstehen und überhaupt erst einen Begriff von künstlerischer Darstellung und die Möglichkeit einer Kritik des Meinungsbewußtseins schlechthin zu verstehen. Arntzen geht nicht in den ontologischen Grund der Kunst zurück, so kann er gar nicht den Horizont eines Meinungspositivismus verlieren. Wenn er in diesem Horizont trotzdem Kritik und darstellende Funktion der Dichtung vereinigen will, so vermag er das bei dem notwendigen Widerspruch dieser Begriffe im Meinungshorizont nur so, daß er die Geltung eines dieser Momente ausschaltet. Arntzen eliminiert den Widerspruch so, daß er glaubt, das Darstellende aus dem Begriff der modernen Dich42
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Arntzen gibt in seiner Interpretation des Romangeschehens ein Beispiel f ü r solche polemisch kritische Selbstdarstellung eines Meinungszustandes, der die „Gesinnungsgehalte" dialektischer K u l t u r k r i t i k nun selbst zu positiver Meinung verfälscht, und mit ihren Maßen eine bestimmte Welt als „falsch" ,entlarvt', nicht bedenkend, d a ß es eine gemachte Welt ist, die dieser K r i t i k nicht b e d a r f , die vielmehr in ihrer Gemachtheit v e r s t a n d e n werden will. Es bedarf hier natürlich eines artikulierten Verständnisses dessen, w a s D a r stellung als künstlerische ist. Doch ist das das Ziel der Arbeit, das hier noch nicht v o r w e g g e n o m m e n werden kann — vgl. d a z u unten K a p . E ff.
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Dichtung als negative Darstellung
tung, bzw. des Romans, überhaupt ausklammern zu können: seit Sterne „tritt an die Stelle der Fiktion der Wirklichkeit der realisierte Schein, treten Stil und Spiel". 4 4 Wird aber Dichtung als „ S t i l " , als „realisierter Schein" verstanden, so läßt sich in diesem Begriff von Dichtung als Stil wiederum nicht das darstellende Moment einfach unterschlagen. Stil kann in diesem Sinne nicht Fiktion der Wirklichkeit e r s e t z e n , es kann allenfalls der Begriff dieses Wirklichen anders akzentuiert werden. Denn Dichtung „ s t e l l t " selbst in ihrer abstraktesten reflektierenden Form „ d a r " , sie hat nicht die Form reinen Gedankens. So bliebe die Aufgabe, im Stilbegriff selbst das Verhältnis von Kritik und Darstellung zu denken, wie es der Begriff des realisierten Scheins andeutet. D a s Satirische des Stils kann sich nur dann von selbst ergeben, wenn in ihm das darstellende Moment selbst unterschlagen wird. In der Interpretation von Musils R o m a n zeigen sich die Folgen dieser Ausklammerung. Dieser Interpretation im Lichte des Begriffes satirischen Stils ist der weit umfangreichere Hauptteil der Arbeit Arntzens gewidmet. Hier wird nun deutlich, daß ein einfacher negativer, undialektisch gesellschaftskritischer Affekt Arntzen leitet. Er interpretiert den R o m a n Musils von dem abstrakten Ziel her, gesellschaftliche Erscheinungen in ihrem widersprüchlichen, absurden Unzusammenhang zu zeigen. Charakteristisch d a f ü r ist der Sprachgebrauch Arntzens. Er gebraucht zur Interpretation eine Mannigfaltigkeit von Wörtern, die immer das gleiche undifferenziert negative Ziel haben, „Uneigentlichkeit" durchMusil festgestellt zu finden.45 Er vermag so nur, nach von außen gegebenen Anlässen geordnet, das immer Gleiche zu konstatieren: die satirische „Zerstörung der Wirklichkeit". Die Dichtung hat, wie Emrich meint, „die Verbrechen und N a r r heiten unserer Zeit . . . zu zerstören" durch ein Bewußtsein, das sie als 44 45
Arntzen a . a . O . S. 17 D i e „moralische F o r m " „entpuppte s i c h . . . als kunsthandwerkliche N i p p e s f i g u r " (S. 45). „ D i e Unterscheidungslosigkeit ist patholog i s c h g e w o r d e n " (S. 46). „. . . a l s w ä s s r i g e B a n a l i t ä t entdeckt" (S. 47) — Musil mache einen „ n o r m i e r t e n G e m e i n p l a t z " satirisch wirksam. — „ D a s Gespräch" werde „als bloßes V e r k e h r s m i t t e l erk a n n t " . — Die „Übertreibung dient der wirksameren Ausgestaltung einer Seelenhygiene, durch die das ,harte Leben' sich erfrischt" (114). — „soziale Schizophrenie" (S. 117 f.) — „die Lächerlichkeit des G a n z e n " (S. 123) — „ . . . der Unsinn ist das verwirklichte' S y m b o l . ." (S. 125). Diese Ausdrucksweise enthüllt den undialektisdien C h a r a k t e r von A.s Kulturkritik insofern, als er bestimmte Verhaltensweisen so kritisch darstellen zu können glaubt, d a ß ihr U n w e r t unmittelbar einleuchtet. N i m m t man die diskreditierenden Wörter in ihrem charakterisierenden Sinn und nicht nur in ihrer geglaubten N e g a t i v i t ä t , wie sie A . benützt, so könnten Sachverhalte möglicherweise als Problem bewußt werden. A . ist aber durch ein unmittelbar dogmatisches Vorurteil jeweils satirisch überlegen. W a r u m sollten gewisse
Der Begriff satirischer Stil' bei H . Arntzen
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Narrheiten meinen lernt. Damit ist aber nicht nur außer Betracht geblieben, wie bei der vermeintlich gesellschaftskritischen Einstellung, dem Dichter die Darstellung dieser Fülle von Gestalten und Zusammenhängen möglich ist. Die satirischen Züge des Romans sind doch auch Aspekte von Gestalten, die geschaffene Gestalten sind und nicht zu begreifen als Wiederholung der Wirklichkeit, so daß nur der satirische Aspekt vom Dichter geschaffen wurde als die Interpretation des kulturkritischen Denkers. Arntzen könnte scheinbar zu Recht darauf hinweisen, „daß er nur eine Seite des großen Werkes . . . beleuchten" wollte, das sich natürlich nicht im Satirischen erschöpft. Dann aber ist durch die Einseitigkeit dieser abstrakten Perspektive die von ihrem Begriff her notwendige Angewiesenheit der Satire auf das Darstellende der Dichtung vernachlässigt. Die Folge davon ist, daß der A. wirklich leitende Begriff von Satire abstrakt dogmatisch wird. So wie A. das Satirische artikuliert, ist es nicht dialektische Kulturkritik, sondern naive Gesellschaftskritik, die zwangsläufig ihr eigenes Opfer wird, weil ihren negativen Affekt ein unmittelbares Bewußtsein des vermeintlich Positiven leitet. In Arntzens interpretierender Ausdrucksweise wurde dies schon offenbar. Die dogmatische Positivität dieses „Zieles" formuliert Arntzens ähnlich wie Emrich, als bestimmte Gesinnung, als bestimmte Utopie. Vor der Bestimmtheit dieses Ideals sind die Personen des Romans r i c h t i g oder f a l s c h . Sie sind Beispiele einer falschen, nämlich ordnungslosen „schizophrenen" Gesellschaft und ihres Meinungsbewußtseins. Als ein Beispiel dafür kann uns hier die Beurteilung der Gestalt des Grafen Leinsdorf dienen, die darum besonders aufschlußreich ist, weil ein Österreicher und Zeitgenosse Musils in ihr voll Bewunderung österreichische Eigenart dargestellt sehen kann, 46 was zumindest zeigt, daß die Aburteilung einer Romangestalt als richtig oder falsch, gut oder böse von dem außerhalb der Dichtung gesetzten dogmatischen Verhaltensideal entschieden wird. So charakterisiert Arntzen eine Bemerkung 47 Leinsdorfs folgendermaßen: „Der satirische Stil läßt im letzten Satz des folgenden Beispiels erfahren, wie der Blödsinn zum mythischen Moment sich steigert und der naive alte Aristokrat Graf Leinsdorf (für den ihn Ulrich fälschlich ausgibt) zum Heros wird, der das Tun der Parallelaktion zur
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„moralische Formen" nicht zu Recht wie „kunsthandwerkliche Nippesfiguren" behandelt werden? N u r in einem dogmatischen Bewußtsein ist eine „kunsthandwerkliche Nippesfigur" ein Schlimmes. Dasselbe gilt f ü r jede der Tabuierungen. Gesetzt, Musil hatte die Absicht, „das Gespräch" auch „als bloßes Verkehrsmittel" darzustellen. N u r f ü r ein dogmatisch vorurteilendes Bewußtsein wäre damit ein Unwert gezeigt. Vgl. Csokor in L W W S. 354 Arntzen S. 132 zu einer Stelle im MoE S. 603 „Sein Kämpferwille schien sich aber gesammelt zu haben, er drehte seinen Wallensteinbart und sagte langsam und fest: ,Es m u ß etwas geschehen'."
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Dichtung als negative Darstellung
Tat erklärt, weil er das Geschehen als die Tat betrachtet." Wenn Csokor in dem Verhalten Leinsdorfs aufs liebenswürdigste österreichisches Leben gefeiert sieht, so ist das sicher ebenso dogmatisch geurteilt nach einem Begriff von Dichtung, der sie als Wiederholung der an sich bestimmten Wirklichkeit faßt, aber sie kann doch die Relativität der Meinung über eine Gestalt der Dichtung vorführen. 4 8 Gestalten der Kunst können, f a ß t man sie als Gestalten der Kunst auf, gar nicht gut oder schlecht, falsch oder richtig sein, weil ihre ästhetische Totalität sie der Sphäre der Meinung, wo etwas bestimmt ist, enthebt, so daß sie auch der Beurteilung unter dem Gesichtspunkt bestimmter Wertvorstellungen entzogen sind. 49 In diesem Sinn können auch etwa Moosbrugger und Ciarisse nicht als Beispiele falschen Verhaltens beschrieben werden, und weder die Parallelaktion noch Ulrich „scheitern", denn scheitern kann nur etwas, das innerhalb des Bezugssystems natürlicher Welteinstellung bestimmt beurteilt wird. Musils eigene Hinweise auf seine Arbeitsweise und den Begriff der konstruktiven Ironie 50 hätten Arntzen vor einem kulturkritischen Dogmatismus in seinem Satirebegriff bewahren können. Musil sagt in einer Variation von F. Schlegels bekannter Äußerung: „Man muß auch das, was man liebt so durchdenken und beherrschen, daß es satirisch e r s c h e i n t " . 5 1 Musil formuliert aber ebenso als seine „Hausregel, daß man nicht gegen seine Figuren schreiben kann und überhaupt zu jedem Gegen ein Für suchen muß". 5 2 Diese Doppelheit wird durch Musils erkenntnistheoretische Äußerung zum Begriff der Ironie erklärt: „Sokratisch ist: Sich unwissend stellen. Modern: Unwissend sein!" 53 Von daher wird 48
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A. b e u r t e i l t Romangestaltung, die als Kunstwerk solcher Beurteilung gar nicht fähig ist, und er urteilt bestimmt nach einem Wertmaßstab („Blödsinn" — „naiver alter Aristokrat" — „fälschlich"), den er weder für sich selbst ausweist noch gar als für Musil geltend erweisen kann. Was ist das: „Blödsinn"? Was ist das: „naiver alter Aristokrat", was heißt „falsch", daß diese Epitheta etwas aussagen könnten, das die Dichtung charakterisierend erklären könnte, anstatt daß sie die Dichtung zum Material entwerten, das die persönliche Weltanschauung A.s belegen muß? Das bedeutet aber nicht ihre Entrücktheit in einen abstrakten Schönheitsbereich, im Sinne des konventionellen l'art pour l'art-Verständnisses, vielmehr bedeutet es die W a h r h e i t von Kunst. Leider zitiert A. die in mancher Hinsicht erhellende Arbeit Allemanns zum Ironie-Begriff (Beda Allemann „Ironie und Dichtung" — Pfullingen 1956) nur polemisch, obwohl Allemann mit seinem Begriff des Fundamentalpoetischen einen weiteren Horizont für das Verständnis des Kritischen in Musils Dichtung andeutet. Tgb. S. 260 — Sperrung vom Verf. Tgb. S. 457 — vgl. auch S. 413 Tgb. S. 558
Kritische Bedeutsamkeit und Darstellung im Begriff der Dichtung
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Arntzen für Musil nicht folgern dürfen, daß seine Ironie, „indem sie erkennt, daß in allem etwas Falsches und etwas Richtiges ist, zeigt, daß a l l e s falsch ist, damit im Gedächtnis bleibe, daß alles auf dem Wege sein soll, richtig zu werden." 54 Arntzen entgeht die Dialektik seiner Kritik, wie sie Adorno etwa gezeigt hat. Gewiß i s t a l l e s f a l s c h , das bedeutet aber, daß dieses bestimmt negative Bewußtsein ebenso falsch ist. Und daraus folgt, daß die Kategorie des Falschen und Richtigen auf das W a h r e nicht anwendbar ist. Nur wenn Arntzen die Bestimmtheit des Negativen im Begriff der Satire überwinden könnte, wenn er die Satire nicht in der verborgenen dogmatischen Positivität als Meinung voraussetzen würde, könnte es ihm gelingen, dem von Musil aufgenommenen Begriff der Utopie einen legitimen Sinn zu geben. Erst dann verliert in der „Utopie der induktiven Gesinnung und des gegebenen sozialen Zustandes" dieser Z u s t a n d , nämlich als reine Zuständlichkeit, „seine Starrheit, die in den Normierungen der Wirklichkeit begründet liegt", 55 wenn er nämlich jeglicher deduktiven, vorausgesetzten Bestimmung entbehrt und das Bestimmungslose des rein Zuständlichen in ihm wirklich gedacht ist. Diese Starrheit erhält das rein Zuständliche nicht durch diese oder jene bestimmte Normierung, diese Normierung wird auch nicht dadurch schon verloren, daß das utopisch Geglaubte als A u f g a b e und Zweck gemeint wird, diese Normierung erhält das Zuständliche schon, wenn das Bewußtsein das Wirkliche als ein bestimmt Meinbares glaubt. Erst wenn die Negativität der Satire nicht in ihrer Bestimmtheit als Meinung vorausgesetzt wird, sondern in ihrem ursprünglichen Zusammenfallen mit dem reinen Schein der Kunst gedacht wird, wird auch die Utopie im Sinne Musils verstanden. Denn die Kunst allein ist Utopia, „Nirgendwo", nicht weil sie unwahrer ,bloßer' Schein ist, sondern weil sie Wahrheit ist als ästhetische Totalität.
D a s P r o b l e m : W i e sind kritische, negative Bedeutsamkeit und Darstellungscharakter im Begriff der Dichtung zu denken? Das Verdienst von Emrichs Begriff des modernen Romans und von Arntzens Interpretation des „Mann ohne Eigenschaften" mit dem Begriff satirischer Stil ist aber nun auf der anderen Seite gegen solche Versuche festzuhalten, die in der Dichtung Musils darstellende Wiederholung bestimmter Wirklichkeit sehen. Das Kritische, das in einem zwar erst zu 54
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Das Problem
entfaltenden Sinn Kulturkritische der Dichtung Musils, darf nicht verloren gehen im Versuch, dieses in seinem Verhältnis zum Darstellenden der Dichtung zu denken. Dies hat die Dichtung Musils mit der dialektischen Kulturkritik Adornos gemeinsam, daß sie Kritik des Weltanschauuungsdenkens ist, sie ist solche Kritik aber nicht mit den Mitteln g e s e l l s c h a f t s t h e o r e t i s c h a n g e w a n d t e r Dialektik, sondern Kritik des Weltanschauungsdenkens mit den Mitteln der Kunst. Ist aber die Dichtung Musils Kritik eines solchen Denkens, das sich der Wirklichkeit in der Form unmittelbar bestimmten Meinens versichert glaubt, so sind auch das neuere Verständnis seit Realismus und Naturalismus übersteigende Ansprüche an den Begriff der D a r s t e l l u n g zu stellen. Äußerlich gesprochen zeigen schon die von Arntzen etwa aufgewiesenen charakteristischen Reflexionselemente innerhalb des Romans, daß der Fiktionscharakter des Erzählens sich nicht in der einfachen Form fassen läßt, er sei Darstellung von Wirklichkeit. Abgesehen davon, ob der Nachweis gelingt, daß die Reflexionselemente, in der Romanform — wie diese auch immer zu verstehen sei —• integriert sind, zeigt schon das Überwiegen der Reflexionspartien im Mann ohne Eigenschaften, daß der Roman sein Ziel nicht hat, in der Darstellung von Wirklichkeit naturalistischer Theorie und ebensowenig im Sinn moderner Mimesis-Auslegung. 56 In den literaturwissenschaftlichen Aussagen über Musils Dichtung wird man nun zwar auch nicht leugnen daß Reflexion, Satire oder Ironie etwa im M.o.E. zu finden sei. Selbst da nicht, wo man in dem Roman eine Darstellung des historischen Österreich vor dem 1. Weltkrieg sieht. Sie sei nicht einfach Darstellung sondern eben ironische oder satirische Darstellung, die Darstellung sei mit kritischer Reflexion verknüpft. Das Dargestellte mag dabei gefaßt werden als historisches Österreich oder als modernes Denken. Die historische Person Rathenaus etwa werde in der Figur Arnheims, die Klages' in der Figur Meingasts kritisch reflektiert dargestellt. Dabei wird das Problem übersehen, wie Darstellung als eine Fiktion von Bestimmtem überhaupt b e d e u t s a m und nun noch k r i t i s c h b e d e u t s a m werden kann. Die alte in der Ästhetik des deutschen Idealismus gedachte Frage ist wiederum zu stellen: Wie kann ein nachgeahmtes Seiendes Bedeutendes sein, und wie kann es, im Falle Musils etwa, negativ kritische Bedeutung haben. Die Frage wird solange nicht gestellt, das alte ästhetische Problem wird übersehen in einem Denken, dem B e d e u t u n g kein Problem ist, weil es sie als bestimmte Meinung fraglos voraussetzt und nicht nach der Bedingung ihrer Möglichkeit fragt. Soll aber die Dichtung Musils die wahre kulturkritische Bedeutung haben, die 5S
Etwa der Käte Hamburgers in ihrem Buch „Die Logik der Dichtung" — vgl. dazu K a p . F Anm. 602
Kritische Bedeutsamkeit und Darstellung im Begriff der Dichtung
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ihr zugeschrieben wird, dann ist diese Kritik, als .Kritik gegen alles' nur legitimiert, ist ihr Anspruch nur verständlich, wenn sie hinter den Meinungspositivismus des Historismus zurückgeht und W a h r h e i t will, nicht ein dogmatisch Positives, sondern die Totalität im Auge hat. Das ,kritisch Bedeutende' der Dichtung Musils ist darum unverträglich mit einem positivistischen ErzählbegrifF, der das Darstellende der Dichtung orientiert an einem Begriff bestimmter Vorhandenheit. Diese Unvereinbarkeit sei an einer Erzähltheorie neuester Zeit gezeigt, deren naturalistischer Horizont allerdings schon den Versuch verbieten wird, sie auf Musil etwa anzuwenden, genausowenig wie sie als Erzähltheorie etwa auf Lyrik anwendbar ist. Sie sei trotzdem hier kritisiert von einem Anspruch her, den sie selbst nicht stellt, weil sie zeigt, wie auch eine Erzähltheorie eines ästhetischen Begriffs ihrer selbst bedarf, wenn Dichtung als Kunst zur Geltung gebracht werden soll. Eberhard Lämmert fordert von dem Dichter, „seine Ideen und Meinungen, seine Raum- und Charaktervorstellungen in zeitliche Vorgänge, in Geschehen umzusetzen oder doch einzubetten, wenn er sie e r z ä h l b a r machen will." 5 7 Äußerlich gesehen, gehorcht auch Musil dieser Forderung, wenn er in späterer Oberarbeitung etwa der Tagebuchkapitel des M.o.E. die Theorie des Gefühls seines Helden Ulrich in Gespräche zwischen den Geschwistern umformt. 58 Die Reflexion wird von Musil häufig in der Form des Gespräches geäußert. Oft fehlt aber diese Einordnung, die Reflexion wird dann weder orientiert als Gedanke einer fest umrissenen Erzählerfigur noch als solche einer fingierten Romanperson, als innerer Monolog oder als „stream of consciousness".59 Einerseits scheint er um solche Art der formalen Integration ziemlich unbesorgt, 60 andererseits stört er diese mögliche Integration bewußt, wenn er etwa im ,Referat' von Gesprächen, die eindeutige getreue Personenperspektive verwischt. J a Musil findet es nötig, 57 58
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E. Lämmert „Bauformen des Erzählens" — Stuttgart 1 9 5 5 S. 21 Vgl. dazu Bausinger, „Studien . . .", der im einzelnen zeigt, w i e die Tagebuchkapitel einem f r ü h e r e n Stadium des M o E angehören und später in Gespräche der Geschwister umgearbeitet werden, die in der Ausgabe Frises als diesen gleichgeordnet erscheinen, obwohl deutlich Wiederholungen bemerkbar sind — vgl. die K a p i t e l f o l g e n 64, 65, 66 im zweiten Buch nach F.s Ausgabe. A m auffälligsten ist dies bei den extremen Figuren „Moosbruggcr" und „Ciarisse", deren W e l t h o r i z o n t seiner inneren Möglichkeit nach dargestellt w i r d , ohne d a ß man sagen könnte, das Dargestellte sei der Gedanke dieser Person in diesem M o m e n t oder der G e d a n k e des A u t o r s über diese Person. Die Figuren und der A u t o r bestehen nicht selbständig in sich und gegeneinander, bzw. sie als soldie zu fingieren, ist nicht die Absidit Musils (vgl. e t w a die „Moosbrugger"-kapitel MoE I 18, 53, 87 — oder zu „Clansse" etwa 1 9 7 ) . A b e r über diese Beispiele hinaus gilt der Sachverhalt prinzipiell. W e n n man vergleicht, welche virtuosen W i r k u n g e n e t w a Thomas M a n n aus der Regie des Rollenspiels v o n Figuren und A u t o r erzielt.
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Das Problem
eine solche Situations- und Rollenfixierung spielerisch, wie es scheint, und ironisch aufzuheben, ohne dies aber auch als Leistung einer Erzählerfigur ausdrücklich auszuweisen und so zu integrieren. So heißt es zu Beginn des M.o.E.: „Angenommen, sie würden . . . heißen, was aber nicht stimmt, denn . . . so steht man vor dem Rätsel, wer sie seien." 61 Vor dem „Rätsel wer sie seien", steht man also gerade, wenn man „weiß", wer sie seien, wie sie heißen. Und dies nun nicht darum, weil eine mythisch vermeinte moderne Gesellschaft den Menschen zu einer Anonymität verurteilte, sondern aus stichhaltigeren Gründen. Denn in der vorgeblichen Anonymität moderner Gesellschaft wären sie wieder sehr eindeutig bestimmt, sie hätten durch die Macht bestimmter Gesellschaftstheorie, wieder ihre Rätselhaftigkeit verloren. Die Einordnung der Reflexion in den Geschehnisablauf wird also bei Musil nie den Zweck haben, diese Reflexion als ein Gemeintes bestimmter Person in bestimmter Situation verstehen zu lassen. Aus den Voraussetzungen seines Denkens wird sich später noch genauer ergeben, daß er ein Einmaliges u n d Bestimmtes von Individualität und Situation nicht denken kann, daß er es also in dieser Bestimmtheit vorauszusetzen, keine Möglichkeit hat. Das Gespräch ist nicht Meinungsäußerung bestimmter und in dieser Bestimmtheit fingierter Figuren, sondern die Reflexion selbst ist für Musil wichtig. 62 Aber wiederum nicht abstrakt für sich, sondern im ästhetischen Kontinuum der Dichtung eingeordnet, also wohl orientiert im personalen Zusammenhang der Figuren, aber so, daß dieser als unbestimmter in seiner Rätselhaftigkeit bewahrt bleibt. Wie ist aber dieses Doppelte, die Reflexion und das Darstellende wiederum vereint zu denken? Der zu suchende ästhetische Begriff der Dichtung muß diesem doppelten Anspruch Genüge tun. An ihm muß aber auch die Interpretation des M.o.E. erst ihre Orientierung empfangen, weil man ihn nur im Horizont dieses wirklich gedachten doppelten Anspruchs ästhetisch würdigt.
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M o E S . 10 Die späteren Partien des Romans beweisen das besonders ausdrücklich, aber sie sind nicht grundsätzlich verschieden von den früheren Kapiteln des MoE, die meist zu Unrecht als satirisch gegenüber den eigentlidien Reflexionen Ulrichs und Agathes gedeutet werden. „Moosbrugger" und „Diotima" sind genau so wahr wie „Ulrich". Sie sagen auch nichts anderes als „Ulrich" und „Agathe".
B. Der Begriff der Darstellung in einem Beispiel neuerer Mimesisauslegung, in der Erzähltheorie E. Lämmerts Zuerst ist aber die Begrenzung des mit Realismus und Naturalismus selbstverständlich gewordenen Erzählbegriffs theoretisch zu zeigen, wie er nicht in der Lage ist, das Darstellende mit den in der Reflexion sich zeigenden Ansprüchen kritischer Bedeutung zu vereinigen. Die Darstellung in der Theorie E. Lämmerts diene als Anlaß f ü r diese Kritik. L. geht aus von der Formel G. Müllers, die das Schema f ü r alles Erzählen darstelle: „Es ward . . . und dann". Er meint in ihm den idealen Grundriß des Erzählens, das Schema des vom Anstoß der ersten Begebenheit sich abspinnenden Geschehens" gefunden zu haben. 63 Zweierlei ist konstitutiv für diesen Erzählbegriff: Schöpfung oder Fiktion einer Objektivität (Es ward) und die Anordnung in der Zeit, genauer: im zeitlichen Nacheinander. 64 Trotz seiner formalen Allgemeinheit deutet sich die Enge des Erzählbegriffs schon in der Fassung seines Zeitelementes an. Der Begriff ist gebildet nach dem klassischen Vorbild der aristotelischen Poetik. Im allgemeinen Begriff des Dichtwerks als |i,i[Ar|cn,c; xoäy ¡xatog und im Begriffe des als der aiiatuaig itgay^dtojv, die f ü r Epos und Drama in gleicher Weise gelten, sind die beiden Elemente enthalten: die Fiktion von Etwas und in eins damit die zeitliche Anordnung. Der Begriff der aristotelischen Dichtungstheorie hat sich zwar als gültig erwiesen, doch seine ohne die Kenntnis des philosophischen Gedankens vage Allgemeinheit hat Raum gelassen, daß sich in der Geschichte der Dichtungstheorie die mannigfaltigsten und entgegengesetzten Anschauungen in diesem Schema verstehen können. Interpretation ist die Theorie Lämmerts erstens in dem Moment, daß sie Dichtung bezogen sieht auf eine außer ihr bestehende bestimmte Welt der Begebenheiten und in dem Vorverständnis dieses Bezuges. Er hebt „erzählende" von „lyrischer Dichtung" 03 64
Lämmert a.a.O. S. 21 Lämmert a.a.O. S. 20 — mit dem Ausdruck Husserls, der bloß „kosmischen Zeit", die in neuerer philosophischer Auslegung seit Dilthey, Bergson und Heidegger nur eine abkünftige Konstitutionsform der Zeitlichkeit des Ich ist. Gerade die Dichtung, auch die erzählende, ist aber der Ort ursprünglicher Zeiterfahrung, nicht im Sinne philosophisch begrifflicher Darstellung, sondern in unmittelbarer dichterischer Darstellung. Den Zugang dazu verwehrt ein einseitiger Erzählbegriff, der orientiert ist an der Zeit vorhandener Dinge. Schon darin zeigt sich, daß Lämmerts Theorie zu kurz greift.
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Der Begriff der Darstellung
ab durch das Kriterium, daß diese „nicht an die Sukzession realer Vorgänge gebunden" ist.65 „Sukzession" ist der gleiche Terminus, der als wesentliches Aufbaukriterium der Dichtung selbst genannt wird, es ist dies die Zeitform, die die „realen Vorgänge" ordnet ebenso wie die „Erzählvorgänge", nur je in verschiedener Weise. Deutlich wird daraus die Orientierung des Erzählbegriffs an einem Wirklichkeitsbegriff bestimmter Vorhandenheit. Wirklichkeit ist in bestimmter Ordnung vorgegeben. Der Erzähler ist gebunden an sie, gerade indem er ihre Ordnungen in gewisser Weise variiert, sie ,subjektiv' etwa gar auflöst, das heißt aber sie in ihrer an sich bestimmten Geltung nur willkürlich, f ü r seine Person, ,zerstört'. 66 ' 07 Zur Auffassung ursprünglicherer Wirklichkeitskonstitution in der Dichtung kann es bei Zugrundelegung dieses Schemas nicht kommen. Die Dichtung ist bestimmte subjektive Nachahmung f ü r sich gegebener bestimmter objektiver Wirklichkeit. Die Kriterien der Erzählstruktur ergeben sich aus dem subjektiven Nachahmungsverhältnis. Das Erzählte ist fest gegeben, seine Ordnung ist allein insofern Werk des Dichters, als er die Form der Sukzession dieses Gegebenen willkürlich variieren kann. Der Interpret erkennt diese Ordnung der Dichtung aus dem Vergleich sozusagen ,normaler' f ü r sich erfahrbarer Ordnung mit der Anordnung des Dichters in seinem Werk. Die wesentliche Kategorie der Interpretation ergibt sich aus dem Vergleich f ü r sich bestimmter ,objektiver' „erzählter Zeit" und bestimmter subjektiver' „Erzählzeit". 68 Aus ihr ergeben sich die wichtigsten formalen Beschreibungskriterien: die Gliederung des Erzählablaufs durch „Verweilen, Raffen, Weglassen", Vorgängen, die ihren Sinn haben nur im Vergleich mit einer für sich vorgestellten bestimmten Normalverlaufsart, der sogenannten Wirklichkeit. Wie ist von diesem Grundbegriff des Erzählerischen die Einheit des Kunstwerks in sich selbst zu begreifen? Der Sukzessionsfluß des Erzählens könnte der Qualität nach zwar als einheitlich bestimmt gelten, der Quantität nach aber wäre er auf jeden Fall noch unendlich, wäre er nicht auch in 65
Läramert a.a.O. S. 20 So weit geht Lämmert allerdings nicht, diese Möglichkeit auch zu besprechen, sie ließe sich aber in den Rahmen seiner Theorie immerhin einbeziehen, woraus dann allerdings der negative, subjektiv zerstörerische Aspekt der modernen Literatur sich ergäbe, den diese nur hat, bezogen auf einen Wirklichkeitsbegriff des common sense. 67 Hier kann Emrich anknüpfen mit seiner Kritik der modernen Dichtung. "3 Der durchgeführte Vergleich der Lebensdauer des Romanhelden mit der Lektürefrist eines durchschnittlich aufmerksamen Lesers ist dabei nur eine der äußerlichsten Konsequenzen dieser Theorie — vgl. dazu auch die einschlägigen Forschungen G. Müllers, etwa „Die Bedeutung der Zeit in der Erzählkunst" — D V 24, 1950, S. 1—31 1:0
Die Erzähltheorie von E. Lämmert
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dieser Hinsicht durch den für sich bestimmt geglaubten Gegenstand gegliedert gedacht. Die Erzählung hat auch in dieser Hinsicht Einheit, sofern sie e i n e n „Vorfall", „menschliche Begegnungen mit ihren Ursachen und Konsequenzen" zum Gegenstand hat, eine „Krise" oder den ganzen Lebenszusammenhang einer Figur, eine „Lebensgeschichte". 09 Diese Einheit ist also nichts anderes als die bestimmt vorgestellte Sukzessionsform des Wirklichen, ihre nähere Bestimmung erhält sie von dem jeweils geschilderten Faktum selbst, das unabhängig bestimmt ist nach einem außerhalb der Dichtung unmittelbar gesetzten Gesichtspunkt. Erzählung ist Anpassung an dieses bestimmte Faktum. Es wird deutlich, daß auf diese Weise nur die äußere Einheit der Begrenzung des Kunstgebildes bestimmt wird. Nach seiner inneren Einheit, soweit sie über die Anordnung der Sukzession hinausgeht, ist nicht gefragt. Diese Frage ist aber unnötig, solange die Bedeutung, der Sinn des Kunstwerks von außen her garantiert scheint dadurch, daß es Zeichen ist f ü r etwas anderes, die „Wirklichkeit", die durch sich selbst in ihrem fraglosen Sinn gegeben ist. Es ist aber die Frage: wie konstituiert sich diese Wirklichkeit ,für sich' und wie konstituiert sie sich innerhalb der dichterischen Fiktion? Kann sie als Fiktion nur gelten als Wiederholung der eigentlichen Wirklichkeit? Was heißt Fiktion selbst? D a ß Lämmert diese Fragen nicht stellt, bedeutet soviel wie dies, daß er die Orientierung seiner Erzähltheorie im Zusammenhang eines Begriffes von Dichtung als Kunst ausklammert. Sie ist darum nur eine pragmatische Theorie formaler Erzähltechnik. In diesem Rahmen hat sie ihr wesentliches Verdienst. N u n fragt aber L. doch ausdrücklich auch nach den „einheitsbildenden Kräften im sprachlichen Gebilde" 70 zu Beginn des zweiten Hauptteils seiner Arbeit, der die „sphärische Geschlossenheit des Erzählwerks" behandelt, „die Aufhellung synthetischer Kräfte im Werkaufbau". 7 ' Die „Koexistenz der Glieder im Vollzug der Dichtung" scheine in gewisser Weise die „Konsequenz" (das wäre also die Sukzession) aufzuheben. Hier erst ergebe sich „Bedeutsamkeit". 72 Zitate Humboldts und Heideggers beziehen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Symbolisierungskraft
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S. Lämmert a.a.O. S. 36. — Auch die anderen Kategorien oder „Grundtypen des Erzählvorgangs" ergeben sich aus der Orientierung an einer an sich bestimmt gegebenen Normalverlaufsart und ihrer subjektiven erzählerischen Behandlung: „Die einsinnig erzählte und die aufgesplitterte Geschichte" und endlich die Geschichte „dominierenden äußeren Geschehens" und die „völlig verdeckte und überwucherte Geschichte" (a.a.O. S. 42). Lämmert a.a.O. S. 96 Lämmert a.a.O. S. 99 Lämmert a.a.O. S. 95 — ähnlichen Zusammenhang läßt er anklingen mit einem Heideggerzitat aus den „Holzwegen" (Anm. 47 zu Lämmert S. 97), dessen Sinn L. in der Benutzung f ü r seine Zwecke verkehrt.
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Der Begriff der Darstellung
der Sprache ein, die im Einzelnen das Ganze meint, so daß Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks sich nur aus dem Bezug auf ein Ganzes ergibt. In dieser Weise vorbereitet werden aber wiederum die Mittel der Erzähltechnik: „Rückwendung" und „Vorausdeutung". „Bedeutsamkeit" ist also Ergebnis besonderer Elemente der Erzählweise, einzelner Akte (darunter „Rede", „Gespräch" und „Erzählergegenwart"). Der Erzählbegriff erfährt also dadurch keine tiefere kritische Begründung und allgemeinere dichtungs- oder kunsttheoretische Ausweisung. Umgekehrt setzt L. voraus, die symbolisierende Kraft der Dichtung sei wie eine nähere Bestimmung in dem geschilderten Erzählbegriff aufgehoben. Auf diese Weise würde die Literaturwissenschaft die Möglichkeit verlieren, die Symbolstruktur etwa der Goetheschen Dichtung, die in diesem Zusammenhang genannt wird, 73 zu unterscheiden von der Struktur rhetorischer Beziehungsvirtuosität Thomas Manns, dem L.s im wesentlichen naturalistischer Erzählbegriff angemessen wäre. „Vorausdeutung" und „Rückwendung" sind Mittel technisch rhetorischer Verknüpfung, es sind Mittel der äußeren Organisierung des Kunstgebildes, die mit der Symbolisierungskraft der Sprache nur sehr entfernt zu tun haben. Sie sind erst möglich auf Grund der Symbolstruktur der Dichtung als Kunstwerk. „Bedeutung", „Sinn" gewinnt das Kunstwerk nicht durch diese äußerlichen Mittel. Umgekehrt, diese Mittel sind nur möglich auf Grund einer ursprünglicheren Bedeutungsstruktur des Kunstwerks, dessen Begriff aber nun gleichzeitig die naturalistische Deutung dieser technischen Erzählmittel kritisieren muß. Wird Dichtung erst einmal auf Grund eines dogmatischen Wirklichkeitsbegriffes als bestimmtes Etwas in Sukzession begriffen, kann man nicht mehr zu einer ursprünglicheren Bedeutungskonstitution gelangen. Bedeutendes kommt nicht unter anderem in der Dichtung vor, etwa als „Personenrede", „Leitmotiv", „Einzelsymbol" (L. S. 244), als „Vor-" oder „Rückdeutung". Bedeutung hat Dichtung nicht dadurch, daß durch besondere Mittel die an sich vorhandenen bestimmten Elemente der Dichtung erst integriert würden. Die Bedeutsamkeit, die als besondere f ü r L. sich erst aus den „synthetischen Kräften im Werkaufbau" zu ergeben scheint und die die „sphärische Geschlossenheit" des Erzählwerks ausmacht, diese Bedeutsamkeit ist als Bedeutsamkeit überhaupt f ü r L. gar nichts Problematisches, im Erzählbegriff zu Denkendes. S i e ist also nicht Ergebnis „synthetischer Kräfte". Denn diese Bedeutsamkeit hat er ja f ü r den Erzählbegriff außerhalb seiner selbst vorausgesetzt, wenn er das Erzählen auf eine f ü r sich bestehende Wirklichkeit bezieht, die er als Wirklichkeit bestimmt und also bedeutsam g l a u b t . D a r u m kommt er gar nicht in die Lage, Bedeutsamkeit überhaupt und als solche zum Problem 73
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D i e Erzähltheorie v o n E. L ä m m e r t
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zu machen und also d e n k e n zu sollen. Die in der Erzählung fingierte Wirklichkeit ist außerhalb der Dichtung schon bedeutsam vorausgesetzt. Darum muß er die Konstitution von Bedeutsamkeit überhaupt nicht im ErzählbegrifF denken, er scheint nur erklären zu brauchen, wie eine bestimmte Art von Bedeutsamkeit im Kunstwerk erreicht wird, die Einheit des Geschehens im Hinblick auf bestimmte gemeinte Begriffe. Diese bestimmte Bedeutsamkeit im Dienste besonderer ordnender Weltanschauungsbegriffe kann L. aber nicht aus der Symbolisierungskraft der Sprache als solcher erklären, denn die bezieht sich auf Bedeutsamkeit überhaupt. Diese als solche zur Geltung kommen zu lassen vermag eine Erzähltheorie nicht, wenn ihr das Fingieren von Wirklichkeit kein Problem ist, weil die Bestimmtheit des Wirklichen schon vorausgesetzt ist. Wollte diese Erzähltheorie folgerichtig sein, müßte sie jene Bedeutsamkeit, die sich aus besonderen erzählerischen Leistungen ergibt, aus dem vorausgesetzten Erzählbegriff ableiten. Bei diesem Versuch würde sie auf das Unzureichende ihrer Voraussetzungen aufmerksam werden. Bedeutsamkeit, auch von Reflexion und Rede ist als Bedeutsamkeit nicht erklärbar, wenn Dichtung als Fiktion von bestimmt vorhanden geglaubter Wirklichkeit verstanden wird. L. muß sich diese Unmöglichkeit verbergen, weil er in der Erklärung der Bedeutsamkeit von erzählter Reflexion außerhalb des von ihm selbst gesetzten Horizontes seines Erzählbegriffs tritt, ohne aber nun die dogmatischen Voraussetzungen seines Wirklichkeitsbegriffes bewußt außer Kraft zu setzen und nach einer umfassenderen Orientierung zu suchen. Das ist nur erklärlich daraus, daß ihm die Bestimmtheit seiner Voraussetzung nicht in ihrer Problematik bewußt wird, daß ihm aber andererseits das Bedeutsame in der Dichtung nur als bestimmte Bedeutsamkeit, nur als Meinung bewußt wird, obwohl er Zeugnisse eines ontologischen Verständnisses von Bedeutsamkeit zitiert. Die Harmonisierung widersprüchlicher Ansprüche an den Erzählbegriff gelingt also auch L. nur auf dem Boden der Meinung. Als Meinung ist bestimmte Wirklichkeit fingierbar, wie Bedeutsamkeit, nur als Meinung gefaßt, im Sinne L.s darstellbar ist. In der abstrakten Positivität bloßer Vermeintheit verlöre die Dichtung aber jegliche Verständlichkeit, sie wäre ein buchstäblich Nichts-sagendes, ihr Anspruch, Weltauslegung f ü r den Menschen zu sein, bliebe unerklärt, sie hätte keinerlei Wahrheit. Denn auch als Meinung läßt sich Meinung nicht nehmen, denn sie müßte dann einen Begriff von sich selbst haben, der notwendig über ihre vorausgesetzte Positivität hinaus gehen müßte. Gerade in dieser bornierten, die Frage nicht hörenden Positivität drückt sich der haltlose barbarische Skeptizismus des historistischen Meinungsdenkens aus. So ist sich auch ein naturalistischer Dichtungsbegriff der Voraussetzung seines Meinungspositivismus nicht bewußt und kann auch nur darum den doppelten Anspruch
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D a s Problem
erheben, Darstellung und Bedeutung der Dichtung zu erklären, ohne auf ihre Unvereinbarkeit zu stoßen. Die Unvereinbarkeit von Bedeutsamkeit überhaupt mit einem Erzählbegriff, der sein Fingieren als ein Verhältnis zu einem für sich, außerhalb seiner Bestimmten versteht, besteht darin, daß die Bedeutsamkeit der Wirklichkeit als so und so bestimmte Wirklichkeit schon vorausgesetzt ist. Das wurde oben gezeigt. Soll Dichtung oder Kunst 7 4 überhaupt wahrhaft bedeutsam sein, und soll sie doch als Darstellung gefaßt werden, so stellt sich das Problem für die Kur.sttheorie: Wie kann Kunst als darstellende selbst bedeutsam sein? Es handelt sich also nicht um zwei verschiedene Seiten der Kunst, sondern um ihre eine wesentliche Bestimmung. D a s Problem läßt sich also auch so formulieren: Wie muß das Wesen der Kunst als Darstellung gedacht werden, damit Darstellung mit Bedeutsamkeit überhaupt zusammenfallen kann. Oder einfacher: Wie kann Kunst als darstellende wahr sein?
D a s P r o b l e m : Wie kann Kunst als darstellende bedeutsam sein? Der ontologische Horizont des Problems Die Frage nach der Bedeutsamkeit überhaupt wird auch heute noch als eine ontologische Frage anerkannt, weil Bedeutung überhaupt ersichtlich auf einem Denken der Totalität, des Seienden im ganzen beruht. Wir sahen auchL. bemüht, diesem Sachverhalt in gewisserWeise Genüge zu tun. Wie soll aber nun das doch v o r g e b l i c h S p e z i f i s c h e der Kunst, ihr Charakter als Darstellung, als Mimesis, in diesen ontologischen H o r i zont hineinreichen? Die Auffassung der Kunst als einer bestimmten Region von Seiendem muß dem widersprechen. Ist nicht Kunst doch nur etwas in bestimmtem Sinn Bedeutsames? So mag man, wie Lämmert, die Frage nach der Bedeutsamkeit als solcher wohl als ontologische Frage anerkennen, die Darstellung könnte dann vielleicht als eine spezifische Artbestimmung innerhalb der Bedeutsamkeit gefaßt werden. Kunst wäre dargestellte Wahrheit. D a s könnte möglich scheinen, wenn Kunst als Darstellung Darstellung von Bestimmtem sein 74
In der K r i t i k an L ä m m e r t s Erzähltheorie leitete ein ästhetischer Anspruch. Es ließe sich vielleicht antworten, die Theorie L ä m m e r t s wolle E r z ä h l u n g nicht als K u n s t würdigen. D e m ist aber mit dem gleichen, oben dargestellten A r g u ment zu antworten, d a ß jede Bestimmung einzelner Kunsterscheinungen einer Orientierung a m Begriff der K u n s t bedarf und von dort her erst ihre Legitimation e m p f ä n g t , wenn sie nicht bloße Meinung sein will, die nur einen geglaubten, ,ausgedachten' G e g e n s t a n d betrifft.
Wie kann Kunst als darstellende bedeutsam sein?
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könnte. Rein als Darstellung genommen, läßt sich aber nichts ausklammern, was als ,Gegenstand' der Darstellung nicht in Frage käme. Kunst ist Darstellung der W i r k l i c h k e i t ü b e r h a u p t , die aber nun als Totalität auch im ontologischen Horizont gedacht zu werden verlangt, nicht als bestimmte Wirklichkeit geglaubt werden kann. Der Begriff der Darstellung hat also ebenso ontologischen Horizont wie der Begriff der Bedeutsamkeit überhaupt. Obwohl die Darstellung und die Bedeutsamkeit im Begriff der Kunst verschiedene Bestimmungen zu sein scheinen, bedürfen sie gleichursprünglicher ontologischer Ausweisung. Denkt man nun aber, wie aus der Darstellung als solcher Bedeutsamkeit der Kunst entspringt, so wird man anerkennen müssen, daß die Darstellung nicht von anderswoher ihre Bedeutung, als eine durch Vermittlung entstehende also, leihen kann. Das wird bestätigt dadurch, daß Kunst n i c h t a u f S p r a c h e a n g e w i e s e n ist, sie ist a l s d a r s t e l l e n d e , n i c h t a l s r e d e n d e Kunst bedeutsam. Insofern das Dargestellte selbst Totalität ist, kann es aber auch zu Recht Grund der Bedeutsamkeit des Kunstwerks sein. Die Bedeutsamkeit der Kunst als darstellender bedeutet aber, sofern sie in einer selbständigen Totalitätsbestimmung gründet, die K r i s e jeglicher bestimmten Bedeutung als bestimmter Meinung. Diese Krise deutete schon Lukacs' Theorie des Romans an; sie wird nun in allgemeinerer Form sich bestätigen müssen, daß nämlich die Zerstörung der Wirklichkeit als bestimmt geglaubter Voraussetzung jeglicher Dichtung ist, sofern in ihr irgendeine wahre Bedeutsamkeit offenbar werden soll. Das könnte schon die Verständigkeit des common sense bemerken, wenn dieser sich die Frage stellte: Wozu bedürfte es Dichtung, wie wäre ihre Entstehung verständlich, wo der Mensch seiner Welt als einer bestimmt geglaubten sicher wäre? 75 Es läßt sich also die Zerstörung der Wirklichkeit als Krisis bestimmten Weltglaubens nicht als eine besondere Bestimmung moderner Kunst verstehen, sie muß, weil in dem ontologischen Begriff der Kunst gegründet, der Kunst überhaupt zukommen. Dabei mag es Gründe dafür geben, daß erst in neuerer Zeit diese kritische Bedeutung der Kunst sich ontologisch bewußt enthüllt. Das bedeutet nicht, daß frühere Erzeugnisse der Kunst nicht diesem Begriff genügen. Der ontologische Begriff der Kunst leitet die Kunstausübung auch, wenn der Künstler diesen ontologischen Begriff nicht kennt, bewußt bezweckt, weil über das, was Meinung und Absicht des 75
Die hier etwa vorgebrachte ,Zweddosigkeit' der Kunst, ihr Spieldiarakter hat mit dieser Frage nichts zu tun, denn die ,Zwecklosigkeit' bedeutet nicht Bedeutungslosigkeit. — Vgl. zum Begriff des Zweckes als eines praktischen Begriffs unt. K a p . F
3 Sdiaffnit
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Das Problem
Künstlers sein mag, im ontologischen Begriff der Kunst nichts ausgesagt wird, er Meinung überhaupt transzendiert in Richtung auf Bestimmungen, die die Bedingung der Möglichkeit von Meinung aufdecken.
C . Musils p a r a d o x e r Begriff der K u n s t — Seine doppelte Orientierung einerseits a m ontologischen Begriff der ,Sache selbst' und andererseits im bestimmten theoretischen Horizont eines empiristischen Psychologismus Was hat aber nun Musil mit solchem etwa möglichen ontologischen Begriff der Kunst zu tun? Dieser Begriff wird Musil nicht als Meinung historisch zugeschrieben werden können. Er spricht einen solchen ontologischen Begriff auch nicht in der Form ,reiner Theorie', als Philosophie aus. Musil ist in seinen theoretisch bestimmten Aussagen selbst im Horizont positivistischen Meinungsdenkens befangen. Dies erklärt schon seine überwiegend naturwissenschaftliche Bildung und der positivistische Psychologismus seines philosophischen' Lehrers Stumpf. 76 Indem er aber die dogmatische Bestimmtheit wissenschaftlichen Denkens mit philosophischem Denken schlechthin gleichsetzt, er also Wissenschaft als Ontologie nicht kennt, indem er andererseits Gründe hat, die Grenzen des wissenschaftlichen Meinungsdenkens zu bemerken, so muß er diese Grenze aus dem Horizont des wissenschaftlichen Denkens heraus bemerklich machen. Bei diesem Versuch muß er die Problematik im Gedanken der „Grenze" als Grenze der Erkenntnis bemerken. So mag er dem ratioiden Bereich einen „anderen", einen „nichtratioiden" Bereich gegenüberstellen und so den „anderen" Bereich negativ bezogen auf den Bereich bestimmten Meinungsdenkens bezeichnen zu können glauben. Dadurch hat er das „schlechthin Andere" aber noch nicht als solches gedacht. Es ist einem dogmatischen Verständnis preisgegeben, das das Negative dieses Anderen einer vorgeblich gemeinsamen Bestimmtheit des Meinungsdenkens unterwirft. Da er aber in der Voraussetzung seines positivistischen Psychologismus und dessen antimetaphysischer Tendenz das wissenschaftliche Denken nicht ohne weiteres auf seinen ontologischen Begriff hin übersteigen und hinterfragen kann, muß er das Negative des „anderen" Erkenntnisbereichs mit anderen Mitteln gültig bemerkbar zu machen suchen. Er muß also zum Beispiel die Kunst einem bestimmten theoretischen Verständnis völlig zu entziehen suchen. Die Kunst ist „inkommensurabel": ,Gegenstand der Kunst ist das, was sich nur durch Kunst ausdrücken 76
3*
S. dazu u. Kap. D I S. 48 ff.
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Musils paradoxer Begriff der Kunst
l ä ß t . ' 7 7 D a r a u s ergibt sidi bei d e m Anspruch Musils, K u n s t sei selbst E r k e n n t n i s , 7 8 d a ß sie absolut, erkenntnistheoretisch i n k o m m e n s u r a b e l ist. D a m i t aber, u m d e r D i a l e k t i k jeder begrifflichen Aussage willen, dies I n k o m m e n s u r a b l e der K u n s t nicht als ein positiver, selbst w i e d e r d o g m a tischer Begriff ausgelegt w e r d e n k a n n , f o r m u l i e r t er den f ü r einen wissenschaftlichen Begriff unerreichbaren Anspruch d e r K u n s t konsequent
im
Widerspruch und im P a r a d o x . 7 9 I n s o f e r n aber Musil in diesem P a r a d o x doch n u r d e m Anspruch der Sache selbst genügt, ihn aber gleichzeitig doch d e m bestimmten Meinungs77 78
79
Tgb. S. 199 Vgl. vorläufig „Skizze der Erkenntnis des Dichters" (Tgb. S. 781 ff.) und zum inkommensurablen der Kunst' Tgb. S. 717 Diesen in sachlicher Strenge zu denkenden Anspruch des Paradox verkennt eine Arbeit, die dem Paradox bei Musil zentrale Bedeutung zugestehen möchte. Dies ist die wichtige Arbeit von H . H o n o l d : „Die Funktion des Paradoxen bei R . M u s i l . . . " (vgl. auch das Referat von U . Karthaus in seinem Literaturberidit ,Musilforschung und Musil-Deutung' — D V 39. J g . S. 4 4 1 — 4 8 3 , zum T h e m a : S. 477 f.) Verdienst dieser Arbeit ist es, auf die Vielfalt von sprachlichen P a r a doxen bei Musil allererst aufmerksam gemacht zu haben. Sie interpretiert nach den Worten Karthaus' die Denkform des Paradoxen und den Begriff des Essay „als Ausdrude einer grundsätzlich mystisch orientierten Weitsicht". Sie stellt „drei geistesgeschichtliche Höhepunkte eines mystischen Weltgefühles" dar: die Mystik des Laotse, des Zen-Buddhismus und Meister Eckharts, „damit sich die taghelle Mystik Musils einerseits in ihrer Verbundenheit mit dem gemein-mystischen Urgrund, andererseits in ihrem spezifischen Eigengehalt präsentiere". (Honold S. 62 f.). In einem weiteren Hauptteil untersucht H . die „paradoxen Strukturgesetzlichkeiten" „im Bereich der Sprache" in „Personengestaltung" und „Handlung" und „symbolträchtigen Bildern", wie den siamesischen Zwillingen, im österreichischen Doppeladler und dem Hermaphroditen. H . leitet die These, „daß die zweiseitig-gegensätzliche Tendenz das Paradox als aphoristische Form kennzeichnet" und daß sie „durch den ganzen Roman bis ins einzelne Wort, ja bis in die einzelne Geste hinein zu verfolgen ist." (Karthaus a.a.O.) Der Mangel der Arbeit ist das Fehlen eines methodisch streng entwickelten erkenntnistheoretischen Horizontes, eine im wissenschaftlichen Zusammenhang unerlaubte Sorglosigkeit um terminologische Schärfe und methodische Bewußtheit und Strenge. Das macht die erstaunlich triftigen Andeutungen dieser Arbeit im Horizont philosophischer und wissenschaftlicher Bewußtheit schwer verwertbar und setzt Musil dem Mißverständnis aus, er habe eine „mystische Weitsicht" wiederholen wollen. So gibt H . Honold eine zwar für das Wesentliche in Musils Dichtung intuitiv empfängliche zitierende Amplifikation von Musils Äußerungen, die allererst das Paradox in der Dichtung Musils für die Forschung ausdrücklich bemerkbar macht. Andererseits stellt sie den Sinn des Paradox auf dem Niveau eines unpräzisen Weltanschauungsdenkens dar, das den Ernst des erkenntnistheoretisch sachlichen Paradoxon bei Musil verfehlt und durch bloße Affirmation paradoxen Meinens bei Musil diesen zu einem eklektischen Sektierer mystischer Gedankengänge macht.
Empirischer Psychologismus in ontologisdiem Horizont
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denken entziehen will, erreicht der Widerspruch und das Paradox selbst sachliche, das ist wahrhaft ontologische Bedeutung, deren Begriff er so vorbereitet, indem er im Paradox eine dogmatische Metaphysik kritisiert. Musil selbst weist die ontologische Bedeutsamkeit seiner Paradoxe nicht in reinem Denken aus. Aber diese Paradoxe sind im Sinne Musils nicht AusHonold erklärt als ihre Tendenz, „das Wesen des Paradoxen überhaupt" „in sdilagartiger Weise aperjuartig" begreifen zu lehren. Sie meint mit dieser durchaus beobachteten methodischen und terminologischen Sorglosigkeit dem Sachverhalt ihres Themas selbst zu antworten: „man sollte sich vor Augen halten, daß die Begriffe wie Musil sie verstehen möchte, nicht eindeutige starre, in sich abgeschlossene Gedankenwerkzeuge darstellen, sondern daß die Bewegung alles Lebendigen auch noch durch die Welt der Begriffe schwingt, die daher fließend, mehrdeutig und offen erscheinen. Hiermit möchten wir andeuten, daß die Untersuchung der verschiedenen Teilgebiete dieser Arbeit nicht gleichermaßen einheitlich gehandhabt werden kann, und wir uns zu dem flexiblen und daher schwierigen .Stand' der Balance zwischen einer induktiven und deduktiven Methode entschieden haben". Auf diese Weise gelangt H . zu einer affirmativen Umschreibung Musilscher Äußerungen. Wenn Musil aber das Paradoxon in der Dichtung, im Essay erkenntnistheoretisch bewußt gebraucht, wie H . voraussetzen möchte, dann muß dieser B e g r i f f des Paradox erkenntnistheoretisch oder ontologisch präzis ausgewiesen werden können. Er kann nicht nur behauptet und zitiert werden, denn auf diese Weise unterläuft dem Interpreten, was er sicher nicht möchte: er nimmt das Paradox Musils nicht mehr ernst, denn sein Reden ü b e r das Paradox hat eine erkenntnistheoretisch völlig andere Struktur als Musils Reden i m Paradox. Das Reden über das Paradox hat, sofern es das Paradox nicht in seiner erkenntnistheoretischen oder ontologischen Notwendigkeit denkt, die Struktur von Meinung, die selbst eine abstrakte Totalität vortäuscht, und von der erkenntnistheoretischen Notwendigkeit und Unausweichlichkeit des Paradox nichts mehr spürt, weil sie den Widerspruch ausgeklammert hat. H . meint sich „eine grundsätzliche Klärung des Begriffes [Paradox] hier sparen zu können", indem sie auf Arbeiten verweist, die geistesgeschichtlich die Geschichte des Paradox darstellen. Sie setzt also die Geltung des Begriffes voraus und klärt nicht für sich selbst, als was sie diesen Begriff voraussetzt. In einem erkenntnistheoretisch legitimen Sinn läßt sich der Begriff des Paradox nicht voraussetzen, denn vorausgesetzt, wäre er nicht mehr absolut als Paradox genommen, sondern als ein Gemeintes. Darum läßt sich auch Musils erkenntnistheoretisch bewußter Gebrauch des Paradox nicht durch eine geistesgeschichtliche Darstellung von Mystikerbeispielen (Honold S. 62 ff.) in irgendeiner Weise erläutern, weil die historische Darstellung der Mystik das mystische Paradox genau so wenig ernst nimmt. Musil nimmt den von den Mystikern bemerkten Sachverhalt ernster als diese selbst, indem er ihn in erkenntnistheoretischer Allgemeingültigkeit denkt. Wird der Sachverhalt, den die Mystik im Paradox zur Sprache bringt, als solcher gedacht, würde auffällig werden können, daß er derselbe ist, dem Musils kritischer Empirismus antwortet. Dieser Sachverhalt kann rein als solcher aber nur auffällig werden oder auch nur zum Problem werden, wenn man nicht von Musils Paradoxen als Ausdrude einer „Weltsicht" ausgeht,
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Musils paradoxer Begriff der Kunst
druck von skeptizistischer Unverbindlichkeit. Sie w e i s e n auf die Sache selbst, ohne d a ß d a r u m die im P a r a d o x gegebenen Bestimmungen je f ü r sich als gültige Bestimmungen der Sache gemeint wären. Sie weisen über sich selbst in ihrem C h a r a k t e r als bestimmt gemeinte hinaus. Sie erweisen die theoretische Unzugänglichkeit der Sache Kunst, die aber ihre E r f a h r sondern wenn man die Notwendigkeit und Wahrheit des Paradox ernst nimmt. Im Horizont des Meinens läßt sich die mystische Weltsicht ungestraft n e b e n der wissenschaftlichen Weltsicht des Empiristen Musil behaupten. Die Sachlichkeit des Denkens kann nicht glauben, die Sache Musils so fassen zu können, daß sie sie als vorhandene Meinung beschreibt. Musils Paradoxe möchten vielmehr über sich selbst hinaus auf die Sache selbst weisen. Dieser Begriff der Sache ist in seiner Angewiesenheit auf das Paradox in der Darstellung selbst zu erweisen, und so weist er seine erkenntnistheoretische Gültigkeit aus, die in bloßer Affirmation des Paradox verloren geht. Nur so wird aber auch zu lösen sein, worauf Karthaus in seiner Kritik an Honold hinweist. Er wirft H. Honold vor, „Musil erscheint hier als Mystiker und verliert in diesem Bild die Züge des Wissenschaftlers und Analytikers, die als Außenseite des Romans abgewertet werden, während doch gerade die Korrespondenz beider den ganzen Musil ausmacht." (a.a.O. S. 478). Wie ist aber diese „Korrespondenz" zu denken? Wie kann die Doppelheit Musils als Wissenschaftler und Mystiker ihre sachliche Relevanz beweisen? Das, was als Mystik bei Musil interpretierbar wäre, kann ebensowenig seiner wissenschaftlichen Bewußtheit aufgeopfert werden. Musil sagt von sich, man könne „nicht sagen, daß ich an Magie glaube, glaube aber doch an sie; sagen wir also in einer verwickelt primitiven Weise." (PDB S. 788) Der erkenntnistheoretische Begriff dieser „verwickelt primitiven Weise" ist aufzuklären. Dieser Begriff ist nicht identisch mit dem Magischen oder Mystischen als in der Meinung vorausgesetzten. So blieb der Charakter dieses Vermeinten dunkel und noch viel mehr die „verwickelt primitive Weise" von Musils erkenntnistheoretischer Rechtfertigung des Paradox. Vielmehr ist aus dem Begriff der Sache selbst die Notwendigkeit des Paradox zu denken, in diesem Horizont wird die Wahrheit wissenschaftlichen Meinens und die Wahrheit der Kunst bemerklich werden müssen, so, daß beide in ihrem Ursprung sichtbar werden, so, daß das Ergebnis nicht ein widersinnig behaupteter Skeptizismus sein kann. Musil verfällt nicht solchem Widersinn, gerade weil er in die Wahrheit des Skeptizismus hineingeht. Honolds skeptizistische Pointe ist Voraussetzung und Ergebnis ihrer historischen Methode, nicht Ausdruck der Sache selbst, die Musil im Paradox zur Sprache bringt. „Es hat sich für die intellektuell-rhetorischen Paradoxa ergeben, daß ihre Bedeutung in ihrem erkenntnistheoretischen Gehalt liegt; daß es zu erkennen gilt: es gibt für uns keine absolute Wahrheit, ebensowenig wie es absolute Maßstäbe für die Wahrheit gibt. Es kann bestenfalls nur geben: eine Wahrheit, die zwischen der subjektiven und der objektiven Wahrheit liegt." (Honold S. 103 f.) Der Widersinn ihrer Behauptung entgeht Honold nur, weil ihr die erkenntnistheoretische Einsicht in das, was sie sagen will, mangelt. Der erkenntnistheoretische Gehalt der Paradoxa liegt nicht darin, daß es keine absolute Wahrheit gibt, vielmehr hat das Paradox im Rahmen der Kunst gerade die Aufgabe, die W a h r h e i t zu zeigen.
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barkeit nicht ausschließt. Musil konnte, in den Voraussetzungen seiner Bildung befangen, den Widerspruch selbst nicht als Thema des Denkens und Bestimmung der Sache selbst denkend anerkennen. Er konnte nicht annehmen, daß im Widerspruch eine gültige Theorie der Sache selbst zu geben wäre. So sind seine paradoxen Bestimmungen über das Wesen der Kunst faktisch ontologisch sachliche Bestimmungen und sind als solche interpretierbar, gerade weil sie sich streng nur als H i n w e i s e auf die außerhalb ihrer selbst zu erfahrende Sache verstehen. Ohne daß wir uns hier schon auf eine Interpretation der in diesem Sinn ,kunsttheoretischen' Formulierungen Musils einlassen können, weil uns zu ihrer Auffassung noch erst darzustellende geistesgeschichtliche Hintergründe fehlen, seien hier solche Äußerungen Musils zitiert, vorläufig nur mit dem Ziel, ihre widersprüchliche und paradoxe Struktur zu belegen. In seinem Aufsatz „Ansätze zu neuer Ästhetik" 80 spricht Musil von der Inkommensurabilität der Kunst, 81 und er stellt sie nach zwei Extremen hin dar. Einerseits gebe sie „erkannte Bedeutung", anderseits „wahrgenommene sinnliche Gestalt und Gefühlserregung", deren Widerspruch er deutlicher so bezeichnet, daß Kunst einmal „Darstellung des Gewußten und Gedachten" sei. Andererseits „weist das zweite Extrem möglicher Auffassung der Kunst in die Richtung des a n d e r e n Z u s t a n d e s , und es enthält ihre Bewertung als reine Aktualität und Erregung eine über die sinnlich gefühlhafte Improvisation hinausweisende Komponente, die allem Anschein nach ihm angehört. Bekanntlich ist dieser Zustand, außer in krankhafter Form, niemals von Dauer; ein hypothetischer Grenzfall, dem man sich annähert, um immer wieder in den Normalzustand zurückzufallen, und eben dies unterscheidet die Kunst von der Mystik, daß sie den Anschluß an das gewöhnliche Verhalten nie ganz verliert, sie erscheint dann als ein unselbständiger Zustand, als e i n e B r ü c k e , d i e v o m f e s t e n B o d e n s i c h so w e g w ö l b t , a l s b e s a ß sie im I m a g i n ä r e n ein Widerlager."82 In beiden Extremen nennt Musil ein Widersprüchliches, dessen polare Bestimmungen in jedem Fall unterschiedlich stark betont werden. Als „Darstellung des Gewußten und Gedachten" ist Kunst nicht nur Gewuß-
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Zwar wird das Honold nicht ausdrücklich leugnen wollen. Doch zur Versicherung dessen, wie Kunst Wahrheit ist, bedarf es eines Begriffes des im Paradox der Kunst ansichtig gemachten Inkommensurablen. Dieser inkommensurable Begriff wird durchaus nicht allein im Paradox anerkannt, dieses ist vielmehr nur eines der Gestaltungsverfahren, um im Medium der Sprache auf das Scheinen der Wahrheit zu weisen. — S. dazu Kap. E ff. „Bemerkungen über eine Dramaturgie des Films" (Bela Balazs: ,Der sichtbare Mensch'). Tgb. S. 667 f. Vgl. etwa Tgb. S. 717 a.a.O. S. 683 (Sperrungen vom Verf.)
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Musils paradoxer Begriff der Kunst
tes, sondern auch Darstellung, in dem Fall, wo sie als „Brücke vom festen Boden sich wegwölbend", als hätte sie „im Imaginären ein Widerlager", verstanden wird, steht das „Feste" dem unerreichbar „Imaginären" gegenüber. Die Widersprüchlichkeit der Sache Kunst ist also nicht eine solche von bestimmter Art, die sich vermitteln ließe in einem allgemeineren bestimmten Begriff. Dieser Widerspruch zeigt vielmehr darin seinen absoluten Charakter, daß er der Gegensatz von Bestimmtheit und Unbestimmtheit ist, an dem die Kunst teilhat. So erklärt Musil die Bedeutung des Gedichts als einen „Bruch von Sinnvoll durch Sinnlos". Das Gedicht „ist nichts als ein sinnloses vor einem gleichsam zusammengespiegelten Hintergrund von Sinn", und es sei wichtig, „die Forderung nach beiden Seiten gleich hoch zu halten". 83 Jede kunst- oder dichtungstheoretische Aussage ist darum wesentlich „Essay", 84 nämlich ein paradoxer „Versuch . . . nach beiden Seiten gegen das Ende zu gehen". 85 Aber auch diese Formulierungen verlangen, ausdrücklich einem Mißverständnis entzogen zu werden. Denn auch der Widerspruch, auch das Paradox läßt sich historisch als ein bloß vermeintes mißverstehen. Warum ist der von Musil bemerkbar gemachte Widerspruch nicht ein der Meinung zugänglicher allgemeiner ,Widerspruch der Wirklichkeit', was das auch immer heißen möge? Da Musil keinen reinen Begriff eines ontologischen Denkens hat, kann er ihn nur aus dem nüchtern behaupteten Bewußtsein und dem exakt gedachten Bewußtsein seiner Grenze gewinnen. Der sidi aufdrängende Widerspruch hat seinen Grund a 11 e i n im Jenseits der Grenze wissenschaftlicher Erfahrung. Musil bemerkt als empirischer Wissenschaftler „die Unterwürfigkeit der Tatsache" als ein „unverdientes" Entgegenkommen der Natur in bestimmten Fällen, das „in allen Fällen zu verlangen freilich eine menschliche Taktlosigkeit war". Nur auf einem gewissen Gebiet oder besser: in gewisser Hinsicht, macht der Mensch die Erfahrung, „daß sich die Tatsachen . . . eindeutig beschreiben und vermitteln lassen". 86 Musil bedarf also auf ratioidem Gebiet keiner ontologischen Bewußtheit, er kann das dogmatische Selbstverständnis der modernen Naturwissenschaften übernehmen und braucht die Bewältigung des Widerspruches in einer Dialektik des Bestimmten überhaupt nicht zu denken, obwohl „zuunterst auch auf ratioidem Gebiet der Boden schwankt". 87 Er benutzt hier die im zeitgenössischen Psychologismus gegen den Vorwurf einer dogmatisch metaphysischen Deutung der Naturwissenschaften entwickelte Vorstellung 83 84 85 88 87
a.a.O. S. 7 1 1 S. zum selbst ontologischen Begriff des Essay u. Kap. DVIb S. 152 ff. Tgb. S. 680 Tgb. S. 782 Vgl. a.a.O.
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einer „fictio cum fundamento in re". 88 Die Nötigung, den Widerspruch als absoluten anzuerkennen, ergibt sich erst aus einem davon gesonderten Aspekt der Erfahrung, dem nicht-ratioiden Gebiet, „für das uns die Moral" „ein Hauptbeispiel abgibt, wie die Naturwissenschaft eines für das andere Gebiet gewesen ist". „Die Moden, Stile, Zeitgefühle, Zeitalter, Moralen lösen einander derart ab, oder bestehen gleichzeitig in solcher Verschiedenheit, daß die Vorstellung kaum abzuweisen ist, sich die Menschheit wie eine gallertartige Masse zu denken, welche jede Form annimmt, die aus den Umständen entsteht." 8 ' „War das ratioide Gebiet das der Herrschaft der ,Regel mit Ausnahmen', so ist das nicht-ratioide Gebiet das der Herrschaft der Ausnahmen über die Regel."80 Erst hier verlangt also der Widerspruch seine Anerkennung, hier erweist schon die gewöhnliche Erfahrung die Krise des bestimmten Meinungsdenkens. Es ist wichtig zu verstehen, daß Musil in dieser Situation nicht die Befangenheit im Meinungsdenken sanktioniert, indem er die Endlichkeit des menschlichen Geistes beteuert, sondern daß er diese Situation erkenntniskritisch deutet. Auf den zu seiner Zeit verbreiteten Kulturpessimismus' 1 und seines positivistischen Dogmatismus der Negation antwortet Musil erkenntniskritisch, wodurch er die Situation als eine zu lösende Aufgabe zu verstehen lehrt: „Hier wäre zu verstehen, warum der ergebnislose Kampf in der heutigen Zivilisation zwischen dem wissenschaftlichen Denken und den Ansprüchen der Seele nur durdi ein Plus zu lösen ist, einen Plan, eine Arbeitsrichtung, eine andere Verwertung der Wissenschaft wie der Dichtung!" 92 Dieses prinzipielle „Plus" kann nicht verstanden werden nur als eine theoretische Variation bestimmter Verstandeshaltungen, sondern deutet auf das Problem, ein bestimmter Meinungshaltung sich Entziehendes zu denken. Der erste Schritt zur Anerkennung eines Problems in dieser Richtung auf eine mögliche Lösung, liegt in der Anerkennung des Sachverhalts, den das historische Bewußtsein zur Geltung bringt, ohne ihn zu denken: die Wandlung der Kulturgehalte. „Es gehört gar nicht so viel dazu, aus dem gotischen Menschen oder dem antiken Griechen den modernen Zivilisationsmenschen zu machen. Ein kleines dauernd in einer bestimmten Richtung wirkendes Übergewicht von Umständen, von Außerseelischem, von Zufälligkeiten, Hinzugefallenem genügt dafür. Dieses Wesen ist ebenso leicht fähig der Menschenfresserei wie der Kritik der reinen Vernunft. Man soll 88
89 90 91
92
So a.a.O. — Vgl. dazu E. Husserl, „Logische Untersuchungen" 2. Auflage II 1, S. 194 Tgb. S. 894 f. a.a.O. S. 783 Spengler ist ein Beispiel, das Musil in seinem Aufsatz „Geist und Erfahrung" in dieser Tendenz ausdrücklich angreift. Tgb. S. 666 f.
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Musils paradoxer Begriff der Kunst
nicht immer denken, daß er tut, was er ist, sondern er wird das, was er — aus Gott weiß welchen Gründen — tut." 93 Der Wandel des kulturellen Bewußtseins in der Geschichte und die unendliche Mannigfaltigkeit der menschlichen Meinungsmöglichkeiten verbieten es, als Grund dieses Wandels selbst eine Bestimmung anzunehmen, die nur den Horizont des Festen, des Bestimmten kennt. Der Wandel des Meinungsbewußtseins ist nicht selbst in den Kategorien des Meinungsbewußtseins zu verstehen. Das „Tun" des Menschen, seine rein praktische Dimension, ist nicht in den Kategorien zu fassen, die ihn als bestimmt Seiendes feststellen.94 Das Tun hat eine weitere Dimension, als sie das bestimmte Vorstellen eröffnet. Darum kann Musil sagen: Der Mensch „wird, was er — aus Gott weiß welchen Gründen — tut . . . " Oder: das was der Mensch ist, seine Bestimmtheit, ist Ergebnis seines Tuns. Der Grund seines Tuns kann also nicht selbst wieder ein im Meinungshorizont bestimmter sein. Und so wird aus der Anerkennung der historischen Wandelbarkeit des Menschen, um seiner absoluten erkenntnistheoretischen Subjektivität willen,95 seine ursprüngliche Unbestimmtheit zu folgern sein, die ihn nun aber gerade seiner Verantwortung überliefert, ihn vor die unüberholbare Aufgabe stellt, sich selbst herstellen zu müssen. Musil hat also recht, wenn er sein Denken als das „Gegenteil spielerisch unverbindlichen Skeptizismus" beurteilt. Indem Musil in die Wahrheit des Skeptizismus historischen Bewußtseins sich einläßt, geht er über diesen Skeptizismus hinaus, wie er diesem als affirmativen Meinungsdenken eignet. Musil kann also zu Recht sagen: „Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß in ihm [dem Hang zu dieser Betrachtungsweise] ein ungeheurer Optimismus steckt. Denn hängen wir nicht an der Spule irgendwelcher Schicksalspopanze, sondern sind bloß mit einer Unzahl kleiner, wirr untereinander verknüpfter Gewichte behangen, so können wir selbst den Ausschlag geben."98 Die hier genannten „Schicksalspopanze" sind die im historischen Bewußtsein als einem positivistischen Meinungsbewußtsein vorausgesetzten Dogmatisierungen. Indem etwas als bestimmtes nur gemeint wird, hat es 93
„Das hilflose Europa . . ( T g b . S. 622 ff.) S. 627 Das hat die ontologische Interpretation des Freiheitsbegriffes durch Kant zum erstenmal zeigen können — vgl. dazu unt. Kap. F 95 Wie sie zu verstehen ist, wird wesentlich Thema dieser Arbeit sein. Sie als soldie gedacht zu haben, ist Voraussetzung für ein Verständnis des Kunstbegriffes. Die Wahrheit als Subjekt zu denken, ist das Problem der abendländischen Philosophie seit Descartes. Aus diesem Problembewußtsein bricht Musil auch der Absicht nach nicht aus. Das verbot ihm schon seine philosophische Bildung im Horizont der empirischen Psychologie seines Lehrers Stumpf, der auch Husserls Lehrer war. 9 « Tgb. S. 628
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den Anschein, als hätte diese bestimmte Vermeintheit irgendeinen substantiellen Charakter, als ob Thema des geschichtlichen Meinens der Mensch selbst sei oder gar der ,gotische Mensch' oder die ,Nation', die sich in allem Wandel als dieselben bewiesen. Da nun aber das Meinungsbewußtsein als historisches nie nach der Wahrheit dieses Vermeinten fragt, sondern nur von der Affirmation einer Bestimmtheit zur Affirmation einer anderen übergeht, bemerkt es nicht, daß es die mögliche Wahrheit des Menschen verliert, weil es die Frage nach der Wahrheit von Vermeintem zu stellen verlernt hat. So tut das historische Bewußtsein so, als ob es in der Vermeintheit selbst einen substantiellen Grundbegriff seiner selbst hätte, obwohl es ihn nie nach seiner Wahrheit befragt. Musil stellt, selbst im positivistischen Denken orientiert, die Frage nach dem, was bestimmte Meinung sei, und kommt dadurch zur Anerkennung ihrer Grenze im Unbestimmten als ihrem Grund. Die Kulturgehalte müssen selbst Anteil an diesem Unbestimmten haben, insofern ihre Wahrheit einzig in dieser Unbestimmtheit liegt, und sie müssen gerade als g e m a c h t e Anteil an dieser Unbestimmtheit haben, die wiederum die Wahrheit des Menschen selbst ist, sofern er im Tun Grund seiner selbst und seines Gemachten ist. Wir sehen also, daß dieser Charakter ursprünglicher Unbestimmtheit, der in einem nicht genau abzugrenzenden Bereich erfahren wird, der Grund ist für die notwendige Paradoxie und Widersprüchlichkeit theoretischer Bestimmung dessen, was in diesem Bereich als E r k e n n t n i s soll gelten können. Auf Grund der ursprünglichen Unbestimmtheit des erkennenden Subjekts ist hier das Erkennen und das Erkannte nicht so zu trennen, wie meinendes Denken glaubt, wenn es die Bestimmtheit seiner Meinung der Bestimmtheit eines Objekts anzupassen glaubt. Bei den Ausdrucksmitteln der Dichtung etwa „verkehrt sich bei ihrer Anwendung das Verhältnis zwischen dem, was sie weitergeben, und dem, was sozusagen intransitiv an die Erscheinung gebunden bleibt." 87 Das Wort gleicht hier „dem Speer, der aus der Hand geschleudert werden muß, um sein Ziel zu erreichen, und nicht mehr zurückkehrt". 68 Die Dichtung ist „Weisung",99 „Kundgebung" 100 im absoluten Sinn, weil sie in einem Chaos erst einen Ort, sich zu verstehen, h e r s t e l l t . Dichtung ist in diesem Sinn „Erfindung des Menschen",'01 ein „Vorbildzauber". 102 " a.a.O. a.a.O. 99 a.a.O. 100 a.a.O. 101 a.a.O. 102 a.a.O.
S. 717
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S. 897 S. 784 S. 718
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Musils paradoxer Begriff der Kunst
Aber die Struktur der Sache ist nicht nur im Werk zu beschreiben, sondern, sofern das Gemachte seinen Grund in dem Subjekt des Machens hat, ist es auch als „dichterische Erlebnis weise" in der gleichen paradoxen Art beschreibbar, die in den Grund, in die ursprüngliche Unbestimmtheit dieser Subjektivität, eingeht. Sie ist nicht nur als gleiche beschreibbar, vielmehr ist sie nichts anderes als das Werk selbst, dessen Unterschied als eines äußeren zu einem inneren verloren ist, in dem Maße, wie es im Horizont der absoluten Subjektivität als ein wahres genannt wird. In seiner Rilkerede 103 spricht Musil von der dichterischen Erlebnisweise, insofern sie mit der Welt der Dichtung zusammenfällt. Er spricht von dem „unbegreiflichen Nebeneinander" und „unsichtbaren Verflochtensein" von Dingen und Vorstellungen im lyrischen104 Affekt. Eines wird zum Gleichnis des andern. „Bei Rilke werden nicht die Steine oder Bäume zu Menschen — wie sie es immer und überall getan haben, wo Gedichte gemacht wurden —, sondern auch die Menschen werden zu Dingen oder zu namenlosen Wesen und gewinnen damit erst ihre letzte von einem ebenso namenlosen Hauch bewegte Menschlichkeit". „Im Gefühl dieses großen Dichters ist a l l e s G l e i c h n i s u n d n i c h t s m e h r n u r G l e i c h n i s . Die vom gewöhnlichen Denken getrennten Sphären der Wesensgattungen scheinen sich zu einer einzigen Sphäre zu vereinen. Niemals wird etwas mit einem anderen verglichen — als zwei andere und Getrennte, die sie dabei bleiben —; denn selbst wenn das irgendwo geschieht und gesagt wird, irgendeines sei wie das andere, so scheint es im gleichen Augerfblick seit Urzeiten das andere gewesen zu sein. Die Eigenschaften werden zu A l l e r - s c h a f t e n ! Sie haben sich von den Dingen und Zuständen losgelöst, sie s c h w e b e n i m F e u e r u n d i m W i n d d e s Feuers." 1 0 5 Musil interpretiert mit seinen Worten den lyrischen Affekt der Gedichte Rilkes, doch in ihm dem Begriff jeglicher „großen Dichtung", deren 103 104
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a.a.O. S. 885 ff. „Rede zur Rilkefeier in Berlin" am 16. Januar 1927 D a ß Musil hier nicht nur eine bestimmte Gattungsbesdireibung der Lyrik, sondern die Lyrik als den „innersten Brunnen einer Literatur" meint, daß er nicht nur eine bestimmte Beschreibung von Rilkes Größe und Eigenart gibt, sondern in dieser eine Charakteristik von Dichtung schlechthin, kann nur das Verständnis dieser Bestimmungen selbst erweisen. Es ergibt sich daraus, daß große Dichtung triftig nicht als bestimmte individuelle beschreibbar ist, „daß die Größe eines Dichters über allen Graden liegt und immer eine absolute ist, weshalb sie aber auch niemals Wert und Bedeutung anderer ausschließt. Man darf sagen, daß das Wesen wahrer Dichtung immer ein maßloses ist; große Dichtungen sind Weisungen, und es wäre törichte Kritik, welche zuerst auf die Abgrenzung des Auftrages gegen andere achten wollte, statt dem Auftrag selbst über alle Grenzen zu folgen." (so Tgb. S. 897 in M.s ,Nachwort zum Druck' der Rilkerede) Tgb. S. 893 (Sperrungen vom Verf.)
Empirischer Psychologismus in ontologischem Horizont
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Sinn „sich nicht gedeckten Rückens, an die Mauern irgendeiner Ideologie, Humanität, Weltmeinung gelehnt", entfaltet. 106 „Würde man eine Reihe aufstellen an deren einem Ende das Lehrgedicht, die Allegorie, das politische Gedicht zu stehen kämen, also Form eines schon fertigen Wissens und Willens, so stände am entgegengesetzten Ende Rilkes Gedicht als r e i n e r V o r g a n g und G e s t a l t u n g g e i s t i g e r M ä c h t e , die in ihm zum ersten Mal Namen und Stimme bekommen. Dazwischen aber lägen sowohl das Gedicht der Erregung ,großer Gefühle' wie das der Erhebung zu ,großen Ideen* —, beide . . . heben sie den Blick — über die Schulter zurück empor, denn sie enthalten die Kräfte der Steigerung, aber nicht die der Schöpfung." 107 In diesen Worten ist Musils Dichtungsbegriff in seinem ästhetischen und als solchen ontologischen Horizont angedeutet. Aber dem Verständnis ist er solange entzogen, als ein Bewußtsein nicht die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Paradoxa gewonnen hat. Die Worte Musils lassen sich leicht wieder im Horizont des Meinungsbewußtseins mißverstehen. Das fällt dem historischen Bewußtsein besonders leicht, weil es meint, sich ,geistesgeschichtlicher', heute vermeintlich schon historisch gewordener Parallelen erinnern zu können. Viele Zeitgenossen Musils haben sich ähnlich geäußert. Kandinsky — um ein Beispiel von vielen zu nennen — hat schon im Jahre 1910 die Inkommensurabilität der Kunst in den Worten ausgedrückt, daß „es keine andere Macht gibt, die die Kunst ersetzen könne". 108 Er hat wie Musil die geschichtlichen Katastrophen daraus begriffen, daß wir „zu wenig Verstand in den Fragen der Seele" haben und die ursprüngliche Unbestimmtheit des Menschen nicht bewältigen, keine Kunst im eigentlichen Sinn haben. „Diese Lücke kann auch leicht durch Gift und Pest ausgefüllt werden." 109 Kandinskys Begriff des Geistigen deckt sich in vielem mit dem, was die ursprüngliche Unbestimmtheit der absoluten Subjektivität genannt wurde. Das historische Bewußtsein könnte weitergehen und diese Gemeinsamkeit aus den .Einflüssen' Maeterlincks etwa oder Bergsons ,erklären', es könnte die Lebensphilosophie im weitesten Begriff heranziehen und hier Parallelen aufweisen. Doch damit verfehlt das historische Bewußtsein die mögliche Wahrheit dieser Meinungen, es pervertiert sie zu etwas, das einem ursprünglichen Verständnis sowieso nicht mehr zugänglich ist. Das ist besonders gefährlich, wo es sich bei dem behandelten Gegenstand nicht nur um die vielleicht vergangene Kultur der Azteken etwa handelt, sondern um geistige Erscheinungen, deren un108 107 108 109
a.a.O. S. 896 a.a.O. S. 896 f. Kandinsky „Über das Geistige in der Kunst" 8. Auflage S. 134 a.a.O. Anm. 3. — Vgl. damit Musil Tgb. S. 636, w o er die mit dem Wesen der Kunst vergleichbare Rolle von Gift, Pest und Krieg näher erklärt.
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Musils p a r a d o x e r Begriff der K u n s t
mittelbare Wirkungskontinuität durch die gewaltsame Intervention unsäglicher Barbarei zerstört worden ist. 110 Die Literaturwissenschaft, die das Denken aus dem ersten Drittel dieses Jahrhunderts in Deutschland wie ein historisches behandelt, sanktioniert den Eingriff der Barbarei. Diese unsere unmittelbare Tradition ist nicht in einer bloßen Vermeintheit festzustellen, sondern in ihrer Wahrheit zu denken und zu kritisieren. Nur so gewinnt die Gegenwart einen möglichen Begriff von der Wahrheit von durch das historische Bewußtsein noch tiefer in die Vergessenheit geratener Traditionen wie etwa des deutschen Idealismus. Die Paradoxe und Widersprüche in der ,Theorie' Musils entziehen sich bewußt dem Meinungsdenken, sie sind im Horizont des Meinungsdenkens als Widersprüche und Paradoxe ausgesprochen. Sie sind also nur sachlich verständlich und von einem Bewußtsein anzuerkennen, das in die Notwendigkeit dieser Paradoxe eingegangen ist, das sie in ihrer Wahrheit vollziehen kann. Werden die Paradoxe und Widersprüche selbst wieder gegenstände' des Meinens, so wird aus dem Verständnis ausgeklammert, warum Musil solche Paradoxe zu formulieren Anlaß sah. Denn das Meinungsbewußtsein rechnet in seinem Ubergehen von einer Affirmation zur anderen mit der Paradoxie und dem Unzusammenhang als etwas Selbstverständlichem, das ihm gar nicht auffällt. Anstatt also die dichtungstheoretischen Äußerungen amplifizierend zu umschreiben, versuchen wir im folgenden den Weg des Bewußtseins zu zeigen, wie es in die Situation kommt, so von Dichtung sprechen zu müssen. Auf diese Weise könnte es vielleicht gelingen, Musils ästhetischen Begriff dem Meinungsdenken zu entziehen, indem wir wie Musil selbst das Bedürfnis für solche Begriffe lernen. Der ontologische Horizont ist in seiner Selbstverständlichkeit und Fremdheit dem natürlichen Vorstellen erst dann aufzufassen möglich, wenn das Denken die Aporien des natürlichen Vorstellens aufzufassen sich gezwungen sieht und in den Grund dieser Aporien eingehen muß, nicht daß es sie auflöst, sondern so, daß es sie in ihrem Grund anerkennt und so die Sachlichkeit des Denkens gewinnt, die jenseits einer vorgeblichen Subjektivität oder Objektivität im Horizont des Vorstellens liegt. Diese so gestellte Aufgabe wird uns im Falle Musils in zweifacher Hinsicht erleichtert. 110
D a b e i ist der mittelbare Schaden, die Irritiertheit jeder geistigen Ä u ß e r u n g „nach Auschwitz" im gegenwärtigen deutschen Geistesleben noch nicht einmal bemerkt. D a s D i k t u m : „nach Auschwitz keine Gedichte m e h r " oder Brechts „ W a s sind d a s f ü r Zeiten, w o ein Gespräch über B ä u m e f a s t ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele U n t a t e n einschließt!" signalisieren den Einfluß, den die Barbarei bei den konsternierten Zeugen zurückläßt, indem sie an die Bedeutung des Geistes nicht mehr glauben läßt und s t a t t d e s s e n politisches E n g a g e m e n t fordert, Protest an die Stelle geistiger Arbeit stellt.
Empirischer Psychologismus in ontologischem Horizont
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Einmal hat er ein artikuliertes Bewußtsein davon, daß der Begriff der Sache Ursprung und Norm seiner Arbeit an dieser Sache, der Dichtung, ist. Selbst für eine „reponierende Kunst" gilt, daß es „keinen Tatsachenbericht gibt, der nicht ein geistiges System voraussetzt, mit dessen Hilfe der Bericht aus den Tatsachen ,geschöpft' wird." 111 Den Rang der Kunst erkennt Musil in dem Grade ihrer Bewußtheit und in der Strenge, ihrem Begriff gerecht zu werden. Im Gehorsam gegen den erkannten Begriff der Sache organisiert, begrenzt und überarbeitet Musil seine Dichtung in einem schöpferischen Prozeß skrupulöser Sorgfalt, die in der Literatur kaum ihresgleichen kennt und allenfalls im philosophischen Bereich Vorbilder hat. Musil erweist dem Ideal intellektueller Redlichkeit als „Genauigkeit" in der Kunst Achtung, in dem Maße wie er einen Begriff der Kunst entwickelt, der darum nicht weniger strenge Ansprüche stellt, daß er sich dogmatischer Bestimmung entzieht. Dieser Begriff der Sache läßt sich nicht in der bestimmten Vorstellung von Werken der Tradition gewinnen. Er ist nicht Kunsttheorie, sofern sie sich als Theorie einer bestimmten Gegenständlichkeit versteht. So wenig wie er als unmittelbare Erfüllung von Ansprüchen geltender Tradition zu verstehen ist. Der Begriff der Sache konnte aus prinzipiellen Gründen nur über das Denken, nicht über eine bestimmte ästhetische Bildung angeeignet werden. Musil war literarisch und historisch ungebildet, das Gegenteil eines Schöngeists, der aus der esoterischen Bildungsatmosphäre einer Zeit heraus schafft. Musil stellt der Kunst ihre Ansprüche nicht als unmittelbare historische Forderung sondern aus dem Bewußtsein der Sache, die nun allerdings die der Kunst und insofern in gewisser Weise vom gegenwärtigen Geisteszustand nicht zu trennen ist, aber doch über dessen bestimmtes Bewußtsein hinausgeht. Daher ist es erklärlich, daß Musil keine unmittelbare Anerkennung und keinen unmittelbaren Einfluß erreichte. Er erfüllte Ansprüche, die man als Ansprüche der Sache noch gar nicht verstand, selbst wenn man sich der unmittelbaren Wirkung von Musils Kunst nicht verschließen konnte. In diesem Sinne urteilte Musil schon 1913 von sich selbst in der charakteristischen, sachlich ernst gemeinten Ironie: „Man kann feste Vorurteile, die die Zeit vom Dichten hat, nicht in einem Einzelfall korrigieren. Wenn Musil mit Strenge Bedürfnisse erfüllt, bevor sie noch erweckt sind, soll er selbst damit fertig werden!" 112
111 112
Tgb. S. 704 a.a.O. S. 776
D . Die Herkunft von Musils Begriff der Kunst aus einem kritischen Empirismus I. Musils erkenntnistheoretische Bildung als und Schüler C. Stumpfs
Naturwissenschaftler
Musil kommt von den Naturwissenschaften her und in seiner erkenntnistheoretischen Bewußtheit von dem empirischen Psychologismus seines in der Brentanotradition stehenden Lehrers Carl Stumpf. Dieses Denken begreift sich wesentlich als Kritik überkommener Metaphysik, insofern deren vorgeblicher fiktiver Dogmatismus einer Nachprüfung an den Tatsachen der Erfahrung nicht standhält. Philosophie ist Tatsachenerkenntnis, sie ist Beschreibung des unmittelbar Gegebenen. Als ihr Feld erweist sich durch das Kriterium der unmittelbaren Wahrnehmbarkeit das psychische Bewußtsein. Es ist das Feld der Tatsachen überhaupt. Auf die Frage, wie dieses seinem Gedachtsein scheinbar prinzipiell voraufliegende Psychische zu denken sei, entwickelt sich ein neues, kritisches, den Positivismus hinterfragendes philosophisches Bewußtsein. In diesem Prozeß steht auch Musil. Er läßt sich darin — was im folgenden zu erweisen sein wird — mit Husserl vergleichen, derart, daß er zugleich sein Antipode ist. Husserl ist wie Musil Schüler Stumpfs, er ist, seinem Bildungsgang nach, Mathematiker und hat vor den Stumpf und mehr noch Brentano verpflichteten „Logischen Untersuchungen" eine Philosophie der Arithmetik verfaßt. Seine Kritik des Positivismus im Begriff des „transzendentalen Ich" und der in ihm gegründeten transzendentalen Phänomenologie sucht eine ontologische Orientierung jedenfalls nicht unbeeinflußt von dem alten Ideal einer „mathesis universalis".113 Musils auf einen Begriff des Aesthetischen zielendes Denken hinterfragt den positivistischen Psychologismus in anderer Richtung. Ihm geht es nicht um eine Theorie des Bestimmten als solchen. In dieser Richtung bleibt er, wie wir sehen werden, Naturwissenschaftler und dogmatischer Positivist. Er fragt nicht nach der Bestimmtheit konstituierenden Subjektivität als ursprünglicher Synthesis. Er fragt nach dem im empiristischen Argument des Brentanoschen Psychologismus vorausgesetzten Begriff des Tatsächlichen als reiner unbestimmter Unmittelbarkeit, er berührt sich in dieser Frage mit 118
Das soll hier nur so viel heißen, daß sie den ursprünglichen Widerspruch all absoluten nicht zu denken vermag.
Musil als Naturwissenschaftler und Schüler C. Stumpfs
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den Tendenzen der Lebensphilosophie. 114 Er widerspricht ihr insofern, als er „Leben", reine Tatsächlichkeit, reine Z u s t ä n d i g k e i t streng als Namen für die Grenze des Denkens faßt, die keine theoretische Darstellung zuläßt, die aber als Grenze den Begriff der Kunst wesentlich orientiert. Nur in der darstellenden Kunst kann dem Anspruch der reinen Zuständlichkeit Genüge getan werden. Musil ist seiner ursprünglichen Ausbildung nach Maschinenbauingenieur. Er hat eine Militärrealschule und nach Aufgabe der Offizierskarriere „vor der Ausmusterung zum Offizier" 115 an der Technischen Hochschule in Brünn Maschinenbau studiert. Auch als er mit 23 Jahren das Philosophiestudium bei Stumpf beginnt und mit 28 Jahren mit einer Dissertation über den Empiriokritizismus Madis abschließt, hat er den Bereich naturwissenschaftlicher geistiger Methodik nicht aufgegeben. Die Wissenschaft „stellt Tatsachen fest, und Tatsachen sind Tatsachen . . . und zweitens behauptet sie, daß alle diese Tatsachen gesetzlich sein müssen, daß dies ein Postulat sei, daß sie, die Wissenschaft, aufhören müßte zu existieren, fügte sich irgendeine Tatsache nicht den Gesetzen, und fügt sich eine Tatsache dennoch nicht den Gesetzen, so nimmt sie eben an, daß dies noch nicht die richtigen seien oder noch nicht genau genug bestimmt usw. . . . Man definierte dies als den Begriff ,Exaktheit' und seinethalben liebte ich die Wissenschaft . . .". 116 Ausdruck dieser Haltung ist „die Geringschätzung aller moralischen und geisteswissenschaftlichen Fächer". 117 So stilisiert Musil selbst in einer im Stofflichen autobiographischen Romanskizze aus dem Jahre 1910 seine eigene Haltung. Dieser Haltung eignet von vornherein eine gewisse kritische Bewußtheit, insofern er bemerkt: „Und überdies gibt es eine Menge Tatsachen, die sich überhaupt nicht einem Gesetz fügen." Zur kritischen Bewußtheit dieser empiristischen Gesinnung gehört auch das Erstaunen vor den so bestimmt gegebenen Tatsachen, dem der Horizont dessen, daß alles auch ganz anders sein könnte, offen ist. Das zeigt die satirisch-utopische Tendenz seines Romanplans: „Eine Art Satire auf unsere seelischen Verhältnisse durch Darstellung unbegrenzter anderer Möglichkeiten." Aber die Tendenz der Verwunderung richtet sich hier noch auf die charakteristische Bestimmtheit der erfahrenen Tatsachen im Gegensatz zu möglicher anderer Bestimmtheit, 118 sie richtet sich hier nicht auf die Bestimmtheit überhaupt. 114
115 116 118
4
Er nennt die reine Tatsächlichkeit auch „reine Zuständlichkeit" oder „Leben" bzw. „Erlebnis". M. o. E. S. 1652 1 1 7 a.a.O. Tgb. S. 140 f. „Besonders keusche Wesen pflanzen sich [dort] durch Teilung, nicht geschlechtlich fort." Sdiaffnit
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
Was Musil von Georg Büchner sagt, gilt im wesentlichen für ihn selbst. „Büchner trug eine Vernunft mit sich ins Grab, die noch jung war, aber von mächtigem Bau. Er starb, kaum 26 Jahre alt, als Privatdozent, ich weiß nicht, ob der Naturwissenschaften oder auch der Philosophie, jedenfalls l e b t e e r m i t b e i d e n v e r t r a u t i m G r e n z g e b i e t b e i d e r . S c h ö n g e i s t i g k e i t l i e b t e er n i c h t , s o n d e r n T a t s a c h e n : N u r das sind die M e n s c h e n , welche i m s t a n d e sind, den s c h ö n e n G e i s t z u r T a t s a c h e z u m a c h e n . Als er starb, waren die beiden Anlagen seines Wesens noch nicht zusammengewachsen, aber sie standen sich schon nahe. Eine zynische, Kraftausdrücke fast noch knabenhaft plaudernde V e r b a l i t ä t , die Einfälle in der Luft erstehen läßt und ein aus der Tiefe nach dem Wort suchender Verstand." 119 Auch Musil lebt, mit Naturwissenschaft und Philosophie vertraut, im Grenzgebiet beider. Auch Musil liebte die Schöngeistigkeit nicht, wenn man darunter die unmittelbare Eingeweihtheit in eine bestimmte Meinungstradition versteht, die sich als Ausdruck der Persönlichkeit unmittelbar ausspricht und nur den Horizont solcher bestimmt geglaubten dichterischen Unmittelbarkeit kennt. Die empiristische Kritik fragt nach der Bestätigung dieser persönlichen Glaubenshaltung in für jedermann ausweisbarer Tatsächlichkeit. Den „schönen Geist zur Tatsache machen", d. h. ihn bei seiner Unmittelbarkeit behalten, weil er nur in dieser Unmittelbarkeit und Wandelbarkeit ausweisbar tatsächlich ist. Und auch darin stellt Musil Büchners Tendenz aus dem Anspruch der Sache heraus dar, die darum auch für ihn selbst Geltung hat, wenn er als das ästhetische Problem des Dichters empfindet, daß die „beiden Anlagen zusammenwachsen" müssen, die „Verbalität" als unmittelbares Darstellungsvermögen und der kritische Verbindlichkeit und Allgemeinheit fordernde „Verstand". Damit stellt Musil das alte ästhetische Problem nach der Symbolfähigkeit von Kunst neu. Um den empiristischen Hintergrund einer möglichen ästhetischen Symbolbedeutung von Kunst zu betonen, nennt Musil Büchner als ihren möglichen Ahnherrn. „Es ist traurig, darüber nachzudenken, welchen Weg die deutsche Dichtung durch ihn hätte nehmen können." 120 Über die erkenntnistheoretische Bewußtheit von Musils empiristischer Haltung, durch die sein Empirismus erst fähig wird, einen eigenen ästhetischen Begriff der Dichtung auszubilden, kann seine Dissertation über den Empiriokritizismus Ernst Machs Aufschlüsse geben.121
119 120 121
R. Musil „Theater" hg. v. M. L. Roth 1965 S. 28 f. (Sperrungen vom Verf.) a.a.O. S. 29 Robert Musil „Beitrag zur Beurteilung der Lehren Machs" — Diss. Berlin 1908
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Die Dissertation über E. Mach
II.
Musils Dissertation
über Ernst
Mach
Thema der Arbeit ist die Fragestellung, „ob Mach zu seinen [erkenntnistheoretisch positivistischen] Behauptungen tatsächlich in logischer Folge von einer richtigen oder wenigstens widerspruchslosen Auffassung der Naturwissenschaft aus gelangt". 122 „Immanente Kritik", „Einsicht in die innere Festigkeit der Machschen Darlegungen", nicht die Beurteilung der Resultate in ihrer erkenntnistheoretischen Richtigkeit ist das eingeschränkte Ziel der Dissertation. Musil lernt bei Mach der Voraussetzungen eigenen naturwissenschaftlichen Denkens kritisch bewußt zu werden. Der frühere Maschinenbauingenieur Musil folgt also der geistesgeschichtlichen Wandlung des naturwissen schaftlichen Bewußtseins um die Jahrhundertwende. Es ist die Entwicklung vom naturwissenschaftlichen Materialismus eines Ludwig Büchner zum Empiriokritizismus E. Machs,123 dessen Denken eins der Motive enthält, die die Phänomenologie Husserls verarbeitet. 124 Es ist die Kritik der verborgenen metaphysischen Voraussetzungen einer dogmatischen Naturwissenschaft, im Materialismus Büchners etwa der Begriffe von „Stoff" und „Kraft" (Materie und Bewegung) als von letzten Seienden.125 Mach löst die Einschränkung des Tatsachenbereichs auf, die sich aus dieser Dogmatik für die Naturwissenschaft ergibt, und bezieht den Bereich psychisch bewußtseinsmäßiger Wirklichkeit gleichberechtigt ein in das Gebiet der Tatsachen. 126 Machs Ziel ist induktive Beschreibung dieses erweiterten Tatsachenfeldes wahrnehmbarer Wirklichkeit unter Ausschaltung aller metaphysischen Begriffe. Die Bildung von .Substanzbegriffen' wie ,Ding' und ,Ich', die Fixierung eines Bleibenden, an das die Veränderungen als Eigenschaften gedanklich geknüpft werden, „sind Notbehelfe zur vorläufigen Orientierung und für bestimmte praktische Zwecke". Aus ihnen läßt sich über die Struktur der Tatsachen nichts folgern. Die Erkenntnis enthält sich solcher metaphysischen Hypostasierungen, einer Trennung der Erscheinungen von R. M. „ B e i t r a g . . . " S. 11 „Die Analyse der Empfindungen" erschien in erster Auflage 1885. 124 Y g j d a z u h . Lübbe „Positivismus und Phänomenologie" in „Beiträge zur Philosophie und Wissenschaft W . Szilasi zum 70. Geburtstag" — München 1966 S. 161—184 1 2 5 S. E. Mach „Die Analyse der Empfindungen" 6. Auflage 1911 S. 24 Anm. 1: „Man nimmt mit dem Wertvollen der physikalischen Lehre notwendig eine bedeutende Dosis falscher Metaphysik auf Ich mache keinen Anspruch auf den Namen eines Philosophen. Ich wünsche nur in der Physik einen Standpunkt einzunehmen, den man nicht sofort verlassen muß, wenn man in das Gebiet einer anderen Wissenschaft hinüberblickt. . . " 1 2 6 „Auch der wüsteste Traum ist eine Tatsache, so gut als jede andere" (Anal, d. Empf. S. 9) 122
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4»
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
ihrem substantiellen Kern, endlich des Dualismus von Physischem und Psychischem, soweit die Sprache es ihr ermöglicht. Sie ist sich bewußt, daß sie nur ,Abbildung' von Tatsachen geben kann, mit dem Ziel, sie beherrschbar, d. h. vorhersehbar zu machen.127 Sie hat kein Wahrheitskriterium als den faktischen Erfolg in dieser Hinsicht, der selbst wieder für die Zukunft prinzipiell nur Vermutungen veranlassen kann. Um die Hypostasierung im Tatsadienbegriff auszuschalten, bestimmt er sie als fließenden Zusammenhang, ersetzt er den Dingbegriff durch den Funktionsbegriff im Sinn der Naturwissenschaften. Alles steht miteinander im Zusammenhang. Die mit Abbildungssymbolen arbeitende Wissenschaft greift bestimmte Zusammenhänge heraus und beschreibt sie. Sie geht dabei idealisierend, d. h. aber hypothetisch vor, insofern sie sich auf den Zusammenhang bestimmter Elemente konzentriert, obwohl diese Isolierung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Die begriffliche Fassung des Elements muß offen gelassen werden, um nicht, in seiner Bestimmung, dem metaphysischen Irrtum zu verfallen. Aufgabe der Wissenschaft ist nur Beobachtung und Beschreibung,128 ihr Ziel ist unendlich, ihre Ergebnisse sind prinzipiell vorläufig.129 Diese andeutende Darstellung kann die erkenntnistheoretisch allgemeine skeptizistische Tendenz der Gedanken Machs zeigen. Wie stellt sich Musil auf sie ein? Er arbeitet ihren erkenntnistheoretisch allgemeinen Sinn heraus, so daß er eine Systematik der Gedanken Machs in diesem Sinn erprobt. Er muß dabei Mangel an Strenge (aphoristischen Charakter) 130 und „Widersprüche und Irrtümer" 131 bemerken. Aber statt nun den Denkmotiven Machs in ihrer möglichen Bedeutung und einem gereinigten Sinn nachzugehen, erweist sie Musil als eine unbrauchbare Theorie. Er verhält sich zu ihr wie zu einer naturwissenschaftlichen Hypothese, die über die Fähigkeit hinaus, eine Anzahl gegebener Sachverhalte zu erklären, keinen philosophischen Sinn zu haben braucht. Es geht ihm darum „nachzuweisen, daß in den Darlegungen Machs, trotz ihrer zahlreichen Vorzüge, doch so viele Widersprüche oder wenigstens Unklarheiten enthalten sind, daß es nicht möglich ist, ihnen eine entscheidende Bedeutung zuzuerkennen." 132 127
128 129
130 131 132
Hier fügt Mach mit der Theorie der Denkökonomie einen Gedanken biologischer Evolutionstheorie ein, den er auf das tatsächliche menschliche Denken zuspitzt. Denken ist prinzipiell nichts anderes als ein Anpassungsinstinkt des Tieres zum Zweck der Arterhaltung. S. auch Musil a.a.O. S. 5 f. Vgl. auch die Darstellung der bezeichnenden „Leitsätze" bei Musil a.a.O. S. 5—9 Musil a.a.O. S. 116 a.a.O. S. 115 a.a.O. S. 12
Die Dissertation über E. Mach
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Dabei enthält sich Musil aber eigener erkenntnistheoretischer Stellungnahme,133 so daß die Zurückweisung Machscher Gedanken sich nicht auf eigenes Sachurteil gründet, sondern nur deren unzureichende Darstellung und ihre immanente Kritik betrifft. Auf diese Weise befreit er sich also trotz seiner Kritik nicht von dessen Einfluß auf sein Denken, wir werden den Begriff der Tatsache, die Ersetzung des Dingbegriffes durch den Funktionszusammenhang, sowie die Methode induktiver Erkenntnis bei Musil wiederfinden. Anderseits sehen wir aus Musils systematischer Strenge in der Darstellung, daß er für die eigentlich skeptizistische Tendenz Machs kein Organ hat. Zwar war sich Mach selbst der philosophischen Schwierigkeit skeptizistischer Position nicht bewußt; statt bewußter Urteilsenthaltung gerät er in unfreiwillige Widersprüche, insofern er mit einem bestimmten Sinn seiner Grundbegriffe arbeitet, ohne sich auf deren begriffliche Fassung einlassen zu wollen. Musil scheint aber nicht zu sehen, daß das Aphoristische und Widersprüchliche der Gedanken Machs auf seiner skeptizistischen Tendenz beruht. 134 ' 135 Musil läßt die Möglichkeit skeptizistischer Interpretation außer Betracht, auch da, wo sie sich ihm aufdrängt (S. 118), wohl vor allem aus dem Grunde, weil sie sich nicht mit der Auffassung der Naturwissenschaft verträgt. Die Leugnung der Naturnotwendigkeit z. B. versetze Mach „in den schärfsten Widerspruch gegen sich selbst . . . als Forscher." (S. 120) Die Naturwissenschaft behaupte eine Notwendigkeit „die in den Tatsachen liegt" (S. 123). Ebenso widerspricht Musil der Machschen Leugnung eines phänomenalen Dualismus. Er beruhe nicht nur, wie Mach sagt, „auf Unterschieden der funktionalen In-Verbindung-Setzung der Elemente". „Unterschiede in der Verknüpfung . . . führen, da sie ja doch nur so weit in Betracht kommen, als sie gesetzlich sind, auf eine verschiedene gesetzliche Struktur des Psychischen und Physischen . . . " (S. 119 f.) Von gleichen Voraussetzungen kritisiert Musil auch die Auffassung Machs vom „Begriff", er bedeute „etwas anderes als eine Zusammenfassung von Wahrnehmungen". (S. 107) Das heißt, Musil bleibt hier der den Naturwissenschaften eigenen Interpretation ihrer Erkenntnisse treu, insofern auch er eine objektive „von seinem Wahrgenommenwerden unabhängige" (S. 117) Geltung der Sachverhalte und ihrer Gesetzlichkeit behauptet. 133 134
135
a.a.O. Am deutlichsten in der bewußt unbestimmten Fassung des „Empfindungs-" bzw. „Element"-Begriffs. Musil geht nicht auf diese prinzipielle Schwierigkeit eines skeptischen Denkens ein, das seiner Grundbegriffe nicht sicher werden darf. Das, obwohl Musil die Möglichkeit skeptizistischer Interpretation Machs mehrfach einräumt (z. B. S. 23 in der Interpretation der denkökonomischen Betrachtungsweise Machs).
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
In seiner Spenglerkritik wird Musil dessen skeptizistischer Ansicht: „Es gebe keine Wirklichkeit, N a t u r sei eine Funktion der Kultur, Kulturen seien die letzte uns erreichbare Wirklichkeit", entgegenhalten: „Warum haben aber die Hebel zur Zeit des Archimedes oder die Keile im Paläolithikum genauso gewirkt wie heute? Warum vermag sogar ein Affe einen Hebel oder einen Stein so zu gebrauchen, als wüßte er von Statik und Festigkeitslehre, und ein Panther aus der Spur auf die Beute zu schließen, als wüßte er von der Kausalität? Will man nicht annehmen, daß eine gemeinsame Kultur auch Affe, Steinmensch, Archimedes und Panther verbindet, so bleibt wohl nichts anderes übrig, als ein gemeinsames Regulativ anzunehmen, das außerhalb der Subjekte liegt, also eine Erfahrung, die der Erweiterung und Verfeinerung fähig sein könnte, die Möglichkeit eines Erkennens, irgendeine Fassung von Wahrheit, des Fortschritts, Aufstiegs, kurz gerade jene Mischung subjektiver und objektiver Erkenntnisfaktoren, deren Trennung die mühselige Sortierarbeit der Erkenntnistheorie ausmacht, . ." 1 3 e Musil leistet diese erkenntnistheoretischen Erörterungen naturwissenschaftlicher Aussagen, die Sonderung von „apriorischen" und „Erfahrungselementen" für den naturwissenschaftlichen Bereich nicht. Er setzt vielmehr eine Geltung naturwissenschaftlicher Aussagen vor ihrer erkenntnistheoretischen Prüfung voraus. In seiner Dissertation behauptet er, eine uneingeschränkte „Notwendigkeit in den Tatsachen selbst", und auch im Spengleraufsatz eine Erfahrung, „die unter bestimmbaren Umständen, jedem gewährleistet ist". 1 3 7 U n d auch in seinem Begriff „ratioider Erkenntnis" drückt Musil die erkenntnistheoretisch zweifellose Geltung naturwissenschaftlicher Sätze aus. In diesem Begriff sei „nicht nur die Methode, sondern auch das Gelingen gebührend" ausgedrückt, „nicht bloß die Unterwerfung, sondern auch die Unterwürfigkeit der Tatsachen, dieses unverdiente Entgegenkommen der N a t u r in bestimmten Fällen . . ," 1 3 9 U m den S i n n dieser Geltung im philosophisch-erkenntnistheoretischen Zusammenhang ist Musil nicht bemüht. Es bleibt bei ihrer praktischen Anerkennung, die ihm als Naturwissenschaftler naheliegt. Es läßt sich nicht ausmachen, ob Musil die Unterordnung der durch die Wahrnehmung vermittelten nur phänomenalen Erkenntnis unter die durch inneres Bewußtsein unmittelbar gegebene Erkenntnis der Psychologie bewußt vollzogen hat, wie sie ihm sein Lehrer Stumpf oder Brentano nahelegen konnte. 139 In naturwissenschaftlichen Zusammenhängen bleiben Musils Äußerungen dogmatisch, naiv realistisch. Er klammert den „ratioTgb. S. 653 f. a.a.O. S. 656 138 a.a.O. S. 782 139 Ygj so ° Sie führen zu einer Restitution der Wirklichkeit in ihrer reinen Unmittelbarkeit als Erleben. 205 298 297 296
299
Tgb. S. 661 Tgb. S. 636
Vom Verf. gesperrt Tgb. S. 895
Tgb. S. 636
300 Musil hat das merkwürdige deutsche Kriegserlebnis des Jahres 1914 vor Augen („Wie kann ein Krieg in einer Zeit ausbrechen . . . , deren Geist entschieden pazifistisch war"? — „in Fällen wo weit und breit keine Unterdrückung, keine wirtschaftliche Verzweiflung, sondern rings nur Gedeihen war"), für das er das Bedürfnis nach .metaphysischem Krach' — das mensch-
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
Doch wieder ist wichtig zu sehen, daß Musil damit nicht die dogmatischen Geschichtsphilosophien der Zeit bestätigt und die ,Krise der Kulturen' dogmatisiert. Musil spricht nicht von einer etwa nach Analogie der Lebensprozesse im Bereich bestimmter Einzelwesen gedachten notwendigen Erschöpfung gewisser Kulturformen. Es handelt sich nicht um den Zusammenbruch einer bestimmten Ideologie und Mentalität, um den Inhalt einer Ideologie also, sondern um das periodische Zusammenbrechen aller Ideologien. Sie befinden sich s t e t s in einem Mißverhältnis zu Leben. Dieser Satz ist also in prinzipieller Allgemeinheit zu verstehen. Insofern der Mensch sich zu einem bestimmten macht, befindet er sich schon im Mißverhältnis zu seiner Wirklichkeit. Aber dieser Satz ist von dem konsequenten Empiristen gesprochen, er anerkennt einen zu erfahrenden Sachverhalt beziehungsweise den reinen Begriff des Sachverhalts, möchte nicht selbst Theorie sein, fordert vielmehr zu seiner geistigen Bewältigung erst heraus. „Wir können selbst den Ausschlag geben. Und dieses Gefühl ist uns verloren gegangen". „Die Frage auf Leben und Tod ist: geistige Organisationspolitik". 301 Musil anerkennt mit Kant und der Aufklärung, daß der Mensch Grund seiner selbst zu sein vermag, indem er sich selbst macht, herstellt. Es gibt keinen geschichtsphilosophischen Satz, der ihm diese, in seinem Wesen als transzendentaler Subjektivität gründende Fähigkeit bestreiten könnte. Denn der Satz, der anerkennt, daß alle Bestimmtheit des Menschen stets im Mißverhältnis zu seiner Wirklichkeit steht, ist darum nicht ein dogmatischer geschichtsphilosophischer Satz, weil er weitergehende Allgemeinheit besitzt als ein theoretischer Satz. Die Gültigkeit dieses Satzes besitzt nicht die grundsätzlich nie völlig zu verifizierende Bedeutung bestimmter Theorie, sondern gründet im ontologischen Begriff der Tatsache als Grund und Grenze der Bestimmtheit. D a ß dem Menschen ein solcher Begriff möglich ist, fällt zusammen mit seiner transzendentalen Subjektivität, die, r e i n p r a k t i s c h interpretiert, nichts anderes bedeutet als die transzendentale reine Bestimmung, Grund seiner selbst zu sein. Die Anerkennung ursprünglicher Unbestimmtheit des Menschen ist so viel wie die Anerkennung seiner Freiheit. 302 Insofern er sich herstellt, muß er anerkennen, was er ist; um sich zu bestimmen, muß er anerkennen, daß er sich vorweg noch nicht bestimmt ist. Indem er sich herstellt, muß er in der Struktur dessen, worin er sich herstellt, anerkennen, was Grund dafür ist, daß er sich herstellen kann: seine Unbestimmtheit. In seiner ursprünglichen, den bestimmten Zweck liehe Bedürfnis, „sein Dasein zu zerreißen und in die Luft zu schleudern, sehend, w o es bleibe" — als begründende Ursache annimmt. S. zum S o m m e r erlebnis im J a h r 1 9 1 4 Tgb. S. 6 0 8 u. S. 6 3 6 301
Tgb. S. 6 6 6
302
S. dazu unten S. 2 6 5 f.
Das Problem der reinen Z u s t ä n d i g k e i t und die Dichtung
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transzendierenden Weise stellt sich der Mensch nur in der Kunst her. Und zwar darum, weil die Kunst allein in der Lage ist, die ursprüngliche Unbestimmtheit des Menschen als Negation j e g l i c h e r Bestimmtheit so zu bewahren, daß sie dem Menschen in dem Maß, wie er sich in ihr bestimmt, seine ursprüngliche Unbestimmtheit in der Offenheit vorwaltender Unmittelbarkeit erhält. Die Kunst ist also an sich selbst schon Revolution der Seele gegen die Ordnung*. Sie hat, als solche aufgefaßt, die von der dogmatischen Verfestigung der Ideologie befreiende Wirkung von „kriegerischen und religiösen Erhebungen". Doch ist dies nur ihre e i n e , „geheim negative Seite", nach der sie „Sprengung des normalen Totalerlebnisses" ist. In dieser Hinsicht befreit sie aus der „Formelhaftigkeit der Sinne und Begriffe". 303 Der Künstler teilt den Protest des Mystikers und des Heiligen, der die Religion immer wieder aus der Fixiertheit der Theologie befreien möchte, es ist „der Protest des Gefühls, Willens, Lebenden, Wechselbaren, was sich gegen . . . das Wissen, als den festen und erstarrten Niederschlag"304 ursprünglich unmittelbarer Zustandsbeziehung wendet. Weil sie Erneuerung der Wirklichkeitsbeziehung bedeutet, kann Musil sie in eins sehen mit der Kritik des Forschers,305 der die Theorie einer stets erneuerten, experimentellen Bewährung an den Tatsachen aussetzt. Auf „dem Gebiet der Reaktivität des Individuums gegen die Welt und die anderen Individuen" fordern die Tatsachen einen Rückgang auf den Zustand nahezu unmittelbarer Wirklichkeitsbeziehung und darum Auflösung jeder Wissensfixierung. Die Geschichte selbst ist hier das Experiment, das keine feste Geltung der Hypothese bewährt, das die letzte Unfestheit, die „gallertartige Masse" der Menschheit zeigt. Das tatsächliche Chaos des Krieges, das Chaos gegenwärtigen faktischen Zivilisationszustandes, der Wandel der „Moden, Stile, Zeitgefühle, Zeitalter, Moralen" 306 erlaubt keine an der Wirklichkeit bewährte, zweifellos feste gültige Wahrheit. Die eine Seite dieses Chaos von Zivilisation und Geschichte ist zwar ein geistiges Organisationsproblem, das sich aus dem „Wachstum der Anzahl daran [an der Kultur] beteiligter Menschen" ergibt, weil dem „Volumen des sozialen Körpers seine Leitfähigkeit für Einflüsse nicht mehr entspricht."307 Nur in dieser Hinsicht ist die Ordnungslosigkeit des tatsächlichen Geistes der Gesellschaft ein problematischer Mangel. In anderer wesentlicher Hinsicht entspricht der die Fundamente angreifende Wandel der Geistesgeschichte, die periodische Auflösung der geistigen Ordnungen 303 304 305 306 307
Tgb. Tgb. Tgb. Tgb. Tgb.
S. S. S. S. S.
677 638 681 895 665
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
der Struktur der Wirklichkeit. Sie ist sinnvollerweise nicht zu beklagen. Ihre Anerkennung bedeutet nicht Pessimismus. 308 Denn es zeugt für die Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit des Geistes, daß er seine Erneuerung in stets unmittelbarem Wirklichkeitsbezug sucht und daß er Mittel hat, sie zu bewältigen, ohne die ursprüngliche Unbestimmtheit leugnen zu müssen. Musil kann sowohl Kriege als religiöse Erhebungen „Revolutionen der Seele gegen die Ordnung" nennen. „Das Bedürfnis, von Zeit zu Zeit das Dasein zu zerreißen und in die Luft zu schleudern, sehend, wo es bleibe", im Leben der Völker, und die mystische Ekstase individueller Unmittelbarkeit sind dasselbe. Sie bedeuten, was auf ratioidem Gebiet die kritische Arbeit des Forschers ist, der die Theorie im Experiment aufs Spiel setzt: Kritik und Bewährung des abstrakten Wissens angesichts der Tatsachen selbst. Im nicht-ratioiden Gebiet, das nicht geschützt ist durch die bestimmten Grenzen eines definierten Gegenstandsbereiches, hat diese experimentelle Bewährung weiter reichende Folgen, sie bedeutet weitgehend völlige Auflösung. Hier ist aber auch die lebendige Existenz des Individuums in Frage gestellt, denn in der ideologischen Abstraktion hat es seine Lebensmöglichkeit verloren, und ebenso in dem Rausch ihrer Zerstörung in Kritik und Revolution. So daß erst die in ihr geborene erneuerte „Gestalt" 3 0 8 der Kunst dem Individuum bestimmte Lebensmöglichkeit gewährt, weil in ihr die Negativität der Unmittelbarkeit als selbständiges M o m e n t der Bestimmtheit bewahrt bleibt. Die Wiederherstellung der Unmittelbarkeit, ihre negative Seite, ist aber nur ein Moment der Kunstwirkung. Sie kann nicht ihr ausschließliches Ziel sein, denn „sie befreit zwar aus der Formelhaftigkeit der Sinne und Begriffe, aber dieser Zustand läßt sich nicht zur Totalität,strecken' ". s l ° Er „ist ein hypothetischer Grenzfall, dem man sich annähert, um immer wieder in den Normalzustand zurück zu fallen." 3 1 1 Auch in der mystischen Ekstase, in der dieser Zustand empirisch annähernd realisiert ist, zeigen die Paradoxa der mystischen Sprache zwar den Versuch, der Bestimmung des Erlebnisses zu entgehen. 308
309
310 311
So kann Musil zu Recht auch einen Pessimismus seines Romans leugnen, „obwohl er seinen Personen nur den Kopfsprung in die Mobilisierung als Ausweg läßt". „Im Gegenteil. Ich mache midi darin über alle Abendlandsuntergänge und ihre Propheten lustig." Tgb. S. 788 in dem Gespräch mit O. M. Fontana. Tgb. S. 760 ff. Dies der Terminus für die Kunst, in dem Unendlichkeit und Bestimmtheit als selbständige Momente gelten. Er ist präzis und bewußt auf die positivistischen psydiologistischen Voraussetzungen Musils bezogen, als ein Begriff, der ihre Grenze zu denken erlaubt. Er ist nicht identisch mit dem Gestaltbegriff der idealistischen Kunsttheorie. Vgl. den Exkurs zur Kantischen Ästhetik unten S. 259 f. und K a p . G S. 267 f. Tgb. S. 677 Tgb. S. 683
Das Problem der reinen Zuständlidikeit und die Dichtung
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Sofern sie aber bestimmter religiöser Sprache bedürfen, müssen sie sich bedienen „des rationalen Gerüstes einer religiösen Dogmatik". So ist die Unmittelbarkeit des anderen Zustands gerade in der Kunst eine „Kraftquelle, deren Inhalt von ihr fortfließt". 812 Diese Funktion ist ihr erhalten in der noch zu klärenden, hier erst problematisch zu fassenden ,offenen Bestimmtheit' der „Gestalt". Mit diesem Begriff, sofern er die erkenntnistheoretische Orientierung von Musils ästhetischem Dichtungsverständnis zusammenfaßt, nimmt er zwar die lebensphilosophischen Ansprüche im Dichtungsbegriff auf, radikalisiert sie aber in Hinsicht auf ihren streng kritischen Begriff. Bevor wir diesen kritischen Begriff in seinem ontologischen Horizont aus dem Begriff eines kritischen Empirismus entwickeln, sei der Anspruch dieses Begriffes gegen einen anderen auch lebensphilosophisch orientierten Dichtungsbegriff abgegrenzt, gegen den Hofmannsthals. In der kritischen Auseinandersetzung mit Hofmannsthal wird sich der Horizont Musils andeuten. Und dieser Horizont des Verständnisses ist wichtiger als der Begriff selbst, insofern erst in ihm das Bedürfnis geweckt wird, das Musil meint erfüllen zu sollen. In diesem Sinne betont Musil selbst: „Es handelt sich nicht um meine Bücher, die vorläufig sein mögen, sondern darum, einer größeren Ungenügsamkeit in menschlichen Angelegenheiten den Weg zu bahnen.. .".313 c) Beispiel einer lebensphilosophischen Orientierung des Dichtungsbegriffes im Horizont des Meinungsbewußtseins und einer daraus resultierenden Dogmatisierung der reinen Zuständlichkeit — Hofmannsthals Dichtungs-Begriff — sein dogmatischer Begriff des Ich Hofmannsthal orientiert wie Musil seine Vorstellungen von Dichtung an der unmittelbaren Zustandsbeziehung.314 Der Brief des Lord Chandos zeigt, nach Hofmannsthals Bemerkung in „Ad me ipsum", „die Situation des Mystikers ohne Mystik", 315 mit den Worten Musils hieße das: Den Zustand der Erlebnisunmittelbarkeit ohne „das rationale Gerüst einer religiösen Dogmatik", den „anderen Zustand" also. Genauere Betrachtung wird zeigen, daß Hof mannsthal diese Situation nicht mit der gleichen Strenge und erkenntnistheoretischen Bewußtheit auslegt. Für ihn ist die Existenzproblematik, die Selbstfindung, Schicksals312 313 314
315
Tgb. S. 681 Tgb. S. 778 Ähnliches gilt für Rilke, dessen Lyrik Musil selbst in ihrer Beziehung auf seinen eigenen Dichtungsbegriff dargestellt hat. (Vgl. seine Rilkerede Tgb. S. 885 ff.) Hugo von Hofmannsthal „Aufzeichnungen" Frankfurt 1962 S. 215
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D i e H e r k u n f t von Musils Dichtungsbegriff
findung, Treue und Tod in der Interpretation und Beziehung dieses Erlebnisses vorwaltender Unmittelbarkeit vor allem wichtig. Damit hängt der Bekenntnischarakter seiner Dichtung zusammen, das „furchtbar Autobiographische", wie Hofmannsthal allerdings nur von seinem Jugendwerk sagt, das in der Objektivität von Rolle und Maske vor ein Publikum tritt. Es ist die existentiell ich-orientierte Unmittelbarkeit, die „Schamhaftigkeit" die — in nur scheinbarer Paradoxie — weil sie s i c h s e l b s t mitteilen will, die Gebärde auf dem Theater braucht.316 Bei Hofmannsthal also ist der Bekenntnischarakter in der scheinbaren Objektivität der Maske verborgen. Bei Musil umgekehrt eine erkenntnistheoretisch bewußte Sachlichkeit in der scheinbaren Subjektivität und dem scheinbaren Selbstdarstellungscharakter seiner Dichtung. Was bei H o f mannsthal überall im Mittelpunkt steht: der Weg der Schicksalsfindung der in ihre unbestimmte Unmittelbarkeit verlorenen Existenz ist n i c h t Thema des Musilromans, obwohl sich diese Perspektive des Bekenntnisbuchs eines in Ulrich verborgenen Dichters Musil aufdrängt. Sie hängt zusammen mit einer zu engen an Hofmannsthal und der Existenzphilosophie orientierten existentiellen Interpretation des „anderen Zustands". Für Musil selbst ist er erkenntnistheoretisch sachlich bezogen. Dies zeigen seine literaturtheoretischen Essays: „Ob solche Untersuchungen aber als Pedanterie zu bewerten sind oder als unerläßlich, wird sich letzten Endes nur nach der Wichtigkeit richten, die man dem Nachweis zumißt, daß die Struktur d e r W e l t u n d n i c h t d i e s e i n e r A n l a g e n d e m D i c h t e r s e i n e A u f g a b e z u w e i s t , d a ß er e i n e S e n d u n g h a t . " 3 1 7 Die erkenntnistheoretisch bewußte Sachlichkeit, die intellektuelle Strenge, die Härte und pedantische Trockenheit, die prinzipielle Verschwiegenheit der Person Musils, die auch nicht die ernsthaft theatralische Koketterie der existentiellen Eigentlichkeit kennt, sondern sich der Sache 316
Broch hat auf diesen letzten P u n k t hingewiesen, d a ß H . „sogar das lyrische Gedicht auf eine imaginäre Bühnenszene v e r s e t z t " (S. 127), weil die T a r n u n g der Bühne dezenter ist als die N u r - L y r i k . — H . Broch, „Dichten und E r k e n n e n " E s s a y s B d . 1 Zürich 1955 S. 4 3 — 1 8 1 , H o f m a n n s t h a l und seine Zeit'. — I m .Schwierigen' wird diese Versdiweigung in der R o l l e u n d dies Rollenspiel der Schamhaftigkeit selbst T h e m a . Zu allem Überfluß ist diese schamhafte G e s t a l t als Bühnenfigur konzipiert, worin die N o t w e n d i g k e i t des V o r g a n g s sich enthüllt, d a ß der zutiefst Verschwiegene nur in der G e b ä r d e des Theaters ansichtig werden kann. G e r a d e die auf die Eigentlichkeit der E x i s t e n z bezogene Dichtung braucht d a s Theater. E i n weiteres Beispiel ist K l e i s t : D i e existentielle Unmittelbarkeit hat nur das stumme Sprechen der G e b ä r d e als letztes Ausdrucksmittel. Beispiele erübrigen sich, jede H a u p t f i g u r der D r a m e n k a n n d a f ü r stehen und auch die der N o v e l l e n , w a s nicht nur die dramatische, sondern die ebenso theatralische Eigenheit der P r o s a Kleists beweist.
317
T g b . S. 784 in „ S k i z z e in Erkenntnis des Dichters" (Sperrungen im Original)
D a s Problem der reinen Zuständlidikeit und die Dichtung
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unterordnet, ist das Maß, das Musil in einer Vergleidiung mit Hofmannsthal setzt. Die strenge erkenntnistheoretische Orientierung der Erlebnisunmittelbarkeit führt im Gegensatz zu Hofmannsthal bei Musil zu einem Dichtungsbegriff und einer nach seiner Norm entworfenen Dichtung, die dem intellektuellen Niveau des Denkens gewachsen ist, wenn ihm auch seine positivistisch psychologistisdien Voraussetzungen in seiner theoretischen Bewußtheit Einschränkungen auferlegen, die die Einschränkungen seiner Zeit und unserer Zeit sind. So mag es denn erlaubt sein, von Musil sachlich legitimiert, den Gedanken Hofmannsthals kritisch auf seine sinnvolle Denkbarkeit hin zu untersuchen.318 Anders als bei Musil ist bei Hofmannsthal im Chandos-Brief der Gesichtspunkt für die Darstellung der Erlebnisunmittelbarkeit dieser, daß er ein das Zentrum der persönlichen Existenz treffender V e r l u s t ist. Schon daß Hofmannsthal diese Briefsituation fingieren kann, bedeutet, daß Chandos-Hofmannsthal offenbar nicht völlig in das Chaos der Unmittelbarkeit, wie sie von ihm geschildert wird, verloren ist. Dasselbe zeigt das für H . charakteristische Rollenspiel, in einem anderen immer nur Ich zu sagen. Gewiß ist dies berechtigt, insofern diese Situation wie bei Musil nur ein Vorwalten der Unmittelbarkeit bedeutet. Die Unterscheidung von Ich und Gegenstand, von Ich und Schicksal, die der Boden ist für die Bestimmungsfähigkeit der Sprache, ist nicht völlig verloren gegangen. Das Ich kennt sich noch und bemerkt seinen fortschreitenden Selbstverlust, der noch nicht seine innerste Zone berührt, der nur Verlust der weiterdringenden sicheren Bestimmungsgewalt der Sprache ist. Aber dies, daß H . die angenäherte Situation der Unmittelbarkeit so noch a l s V e r l u s t e i n e s I c h beschreiben kann, verwehrt die B e w ä l t i g u n g der Unmittelbarkeit, die von der Anerkennung eines Chaos der Unbestimmtheit ausgehen müßte. H . sieht nicht, daß er die Möglichkeit, die Situation fortschreitender Unmittelbarkeit als Verlust des Ich zu b e k l a g e n , gerade noch der abstrakten Bestimmungsgewalt der Sprache verdankt, obwohl er sie verloren wähnt; nicht nur deshalb, weil er die Sprache überhaupt noch benutzt, sondern viel mehr darin, daß er die innere Zone des Ichzentrums bestimmt erhält gerade in der Klage des schicksalhaften Selbstverlusts oder der Selbstentfremdung. 3 " H . geht der Erlebnisunmittelbarkeit als Grenze j e g l i c h e r Bestimmtheit nicht auf den Grund. So wird die naiv dogmatische Auffassung des Ich, die feste Selbstgewißheit einer Eigenexistenz durch die Chandossituation hindurch aufrechterhalten. Von dieser Sicherheit her wird der Verlust eines d i e s e m 318
319
8
Diese Kritik kann die Sache Hofmannsthals ernster nehmen als die historische wertungsfreie Beschreibung seiner als Meinung, die an die mögliche Wahrheit von Dichtung prinzipiell nicht zu glauben wagt. Bis in den T o d hinein s p r e c h e n die Hofmannsthalschen Gestalten. Sthaffnit
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
Ich kongruenten Schicksals beklagt, wird das Grauen eines immer näher an diese innerste Zone heranreichenden Selbstverlustes erlebt,320 wird aber auch die Hoffnung auf „ r i c h t i g e Schicksalserfüllung"321 „durch die Tat", „durch das Werk" und „durch das Kind" 322 aufrechterhalten. Der Weg des Ich zu seiner „eigentlichen" Selbstfindung wird als formuliertes Problem geradezu das fixierte gedankliche Gerüst der Hofmannsthalschen Dichtung. Diese Dichtung ist Darstellung beispielhafter Lösungen dieses Problems und i n s o f e r n Gedanke und Allegorese dieses Gedankens und, in dieser Beziehung, nicht Symbol, wie es „das Gespräch über Gedichte" verstehen möchte, wenn es das dichterische Wort aus dem Raum abstrakter Vermittlung gänzlich herausnehmen möchte: „Sie spricht Worte aus, um der Worte willen, das ist ihre Zauberei. Um der magischen Kraft willen, welche die Worte haben, unseren Leib zu rühren, und uns unaufhörlich zu verwandeln." 323 Auf dem Boden eines festen Ich-Glaubens kann H . die magische Wirklichkeit von Dichtung nicht wirklich begründen. H. findet nicht heraus aus den dogmatischen Fixierungen, so daß der Dichtung die Anknüpfung an die reine Unmittelbarkeit verschlossen bleiben muß. Die Selbstgewißheit einer Eigenexistenz wird darüberhinaus der Ausgangspunkt für H.'s Vorstellungen von der Präexistenz, einer „höheren Existenz", der sich das Ich erinnert, weil es in ihr die Fülle der Ichversunkenheit in der Erlebnisunmittelbarkeit vereint glaubt mit bestimmter selbstischer Erkenntnis. Wie kommt es zu dieser Vorstellung? Schon der dogmatisch fixierte Ichglaube in der Situation der Unmittelbarkeit stellte diese Einheit des nicht zu Vereinigenden vor; so ist der Inhalt der Präexistenz dort schon vorgebildet. Wenn H . von dem verlorenen früheren Zustand sagt: „überall war ich mitten drinnen, wurde nie ein Scheinhaftes gewahr . . . es ahnte mir, alles wäre Gleichnis, und jede Kreatur ein Schlüssel der anderen . . .",324 — so gilt dies in der innersten Zone des Ich für seine Vertrautheit mit sich selbst immer noch. Die Situation fortschreitender Unmittelbarkeit wird als Angriff auf die Ichvertrautheit aufgefaßt, aber diese wird nidit preisgegeben. So liegt die Wurzel des Präexistenzglaubens in der dogmatischen Interpretation der Erlebnisunmittelbarkeit. H . bewahrt eine Kenntnis davon, insofern als er die Wiedergewinnung des verlorenen Zustandes höherer Existenz geradezu als Eingehen in die Unmittelbarkeit von Rausch, Traum, Tod und 320
321 322 323 324
S. auch „Terzinen über die Vergänglichkeit" in H. v. H. „Gedichte und lyr. Dramen" 1952 S. 17 f. — sie führen im Grunde das barocke Thema der Vergänglichkeit, der Fremdheit der „Seele" in der „Welt" intensiviert weiter. H. v. H. „Aufzeichnungen" S. 221 a.a.O. S. 217 H. v. H. „Prosa II" S. 104 a.a.O. S. 11
D a s P r o b l e m der reinen Z u s t ä n d i g k e i t und die Dichtung
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Liebe darstellt. 325 Wenn er daneben die Erwartung hegt: „es muß sich einstellen als richtige Schicksalserfüllung, nicht als Traum oder Trance", so zeigt etwa „das erreichte Soziale" in den Komödien deutlich märchenhafte Züge. Den Zusammenhang von Präexistenzglauben und Erlebnisunmittelbarkeit macht H . selbst in „Tor und T o d " offenbar. Bei Ankunft des Todes, der sich einen großen „Gott der Seele" „aus des Dionysos, der Venus Sippe" 3 2 8 nennt, kommt Claudio im Vernehmen des „sehnsüchtigen und ergreifenden Spiels einer Geige", — „seltsam zu der Seele redender Musik" — die Erinnerung an einen jugendlichen Zustand, „als strömte von den alten stillen Mauern / Mein Leben flutend und verklärt herein." „Wie fühlt ich mich beseelt und tief entzückt, / ein lebend Glied im großen Lebensringe! / D a ahnte ich, durch mein Herz auch geleitet, / Den Liebesstrom, der alle Herzen nährt, / Und ein Genügen hielt mein Ich geweitet, / Das heute kaum mir noch der Traum verklärt." 3 2 7 Die Dichtung scheint die Erinnerung an „jenes Jugenderlebnis (16. bis 22. Jahr etwa)" H.'s vorzuführen, von dem er in „Ad me ipsum" spricht, „daß alles gegenwärtig Schöne in der Natur nur auf ein ganz unerreichbar Früheres hinzudeuten schien."329 „Der Dichter", sagt er an einer anderen Stelle, sei „aus jener höchsten Welt, deren Bote der Tod, herausgefallen". Die Dichtung zeigt den Menschen — und er weist ausdrücklich u. a. auf „Tor und T o d " — in einem „ambivalenten Zustand" „zwischen Präexistenz und Verschuldung" 32 ' auf dem Weg zum Durchdringen aus der Präexistenz zur Existenz, die durch die Verschuldung führt. Diesen ambivalenten Zustand zeigt Claudio, wenn er klagt: „Stets schleppte ich den rätselhaften Fluch, nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt, / Mit kleinem Leid und schaler Lust. / Mein Leben zu erleben wie ein Buch, / Das man zur Hälft noch nicht und halb nicht mehr begreift, / Und hinter dem der
325
S2e
S o als Beispiele: „ D e r T o r und der T o d " — „ D e r T u r m " s. a. „Aufzeichnungen" S. 2 2 3 : „Auch hier läuft es auf eine Geisterstunde hinaus", sagt H . von „ D e r Kaiser und die H e x e " . H . v. H . „ G e d i d i t e und Frühe D r a m e n " S. 209. — Dies die Kennzeichnung des T o d e s als v e r w a n d t mit der Unmittelbarkeit von Rausch und Liebe.
327
H . v. H . a.a.O. S. 207
328
„Aufzeichnungen" S. 227 — und er weist dabei auf das aus Burdach entnommene platonisierende Zitat des G r e g o r v o n N y s s a , das er gleichzeitig als M o t t o über ,Ad me ipsum' stellt (a.a.O. S. 2 1 3 ) : Q u o circa supremae pulchritudinis a m a t o r q u o d i a m viderat t a m q u a m imaginem eius q u o d non viderat credens, ipso frui p r i m i t i v o desiderabat — E r , der Liebhaber der höchsten Schönheit, hielt, w a s er schon gesehen hatte, nur f ü r ein A b b i l d dessen, w a s er noch nicht gesehen hatte und begehrte dieses selbst, das U r b i l d , zu genießen."
329
a.a.O. S. 215
8*
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Sinn erst nach Lebendgem schweift — / Und was midi quälte und was midi erfreute, / Mir war, als ob es nie sich selbst bedeute, / Nein künftgen Lebens vorgeliehnen Sdiein, / Und hohles Bild von einem vollem Sein." 330 Schon hier ist die Entbehrung sehr deutlich, die in der Abstraktheit des Denkens ihren Grund hat. Er fühlt sich „nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt", weil er „zur Hälft n o c h nicht und halb nicht m e h r begreift". Schon hier ist also über die Einsicht in die Abstraktheit der Erkenntnis hinaus die Erinnerung an einen verlorenen aber wieder zu finden gehofften Zustand der v ö l l i g e n Erkenntnis spürbar. In ihr wird mit der Absolutheit der Erkenntnis zugleich die Fülle und Versunkenheit der Erlebnisunmittelbarkeit erhofft. Diese doppelte Erwartung zeigt die Herkunft dieses Erinnerten und Erhofften. Es ist die Situation vorwaltender Unmittelbarkeit selbst. I n i h r wird dieses Bild von Claudio entworfen, in Gegenwart des Todes, der sich durch eine „seltsam zu der Seele redende Musik" ankündigt. In diesem Moment eröffnet sich ihm die erinnerte Situation: „wie waren da lebendig alle Dinge dem liebenden Erfassen nahgerückt, / Wie fühlt ich midi beseelt und tief entzückt, ein lebend Glied im großen Lebensringe". Der Tod selbst bringt ihm diese Erinnerung. Denn er ist hier bei H . „der große Gott der Seele", „aus des Dionysos, der Venus Sippe", er bedeutet die Anwesenheit des Unendlichen in der Versunkenheit der Unmittelbarkeit von Rausch, Liebe und Tod. 331 Der Tod also behauptet mit Recht: „Wenn sich in plötzlichem Durchzucken / Das Ungeheure als verwandt enthüllte, / Und du, hingebend dich im großen Reigen, die Welt empfingest als dein eigen: / in jeder wahrhaft großen Stunde, / Die schauern deine Erdenform gemacht, / H a b i c h dich angerührt im Seelengrunde, mit heiliger geheimnisvoller Macht." 332 Die Praeexistenzvorstellung ist also erst geboren in der Situation vorwaltender Unmittelbarkeit. Das belegt auch der Chandosbrief, der aus derselben Situation sich des Zustandes erinnert, da ihm „das ganze Dasein als eine große Einheit" erschien: „In allem fühlte ich Natur . . . und in aller Natur fühlte ich mich selber . . . überall war ich mittendrinnen, wurde nie ein Scheinhaftes gewahr . . .". 333 Dies ist die Beschreibung der Situation vorwaltender Unmittelbarkeit selbst, in ihr erlebt das Ich seine ungetrennte Verbundenheit mit allem, jede Kreatur ist ein Gleichnis des Selbst. Aber als so erinnerte, mit den Mitteln der Sprache selber wieder bestimmte Situation, verliert die angeschaute Totalität, was sie Chandos als gegen330 331
332 333
„Ged. u. lyr. D r a . " S. 203 f. Vgl. dazu H.s Hinweis „Aufzeichnungen" S. 220 „la presence de l'univers: das Ich des Sterbenden (Tor und T o d ) " — vgl. auch das Miteinander von Musik, Sehnsucht und Tod in „Erlebnis" („Gedichte und lyr. Dramen" S. 8) „Ged. u. lyr. D r a . " S. 209 „Prosa I I " S. 11
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wärtige wenigstens teilweise spüren läßt, das Grauen der Unverfügbarkeit, des Selbstverlustes und des Verlustes gegenständlicher Bestimmtheit, beides im Verlust der Sprache, ihrer Ich und Gegenstand fest-stellenden Grundfunktion. Warum erscheint im Bild der erinnerten Unmittelbarkeit diese fingierte b e s t i m m t e E i n h e i t von Ich und Gegenstand? Warum erscheint in der mystischen Versunkenheit, sofern sie erinnert wird, nicht Unbestimmtheit und Ichverlust? Für Hofmannsthal läßt sich der Grund am ehesten so formulieren, daß die Erinnerung in der erinnerten Situation das Moment der Zeit nicht miterfaßt. Denn in der gegenwärtigen Situation wird H . das Moment der Unverfügbarkeit, der Selbstentfremdung am auffälligsten: die Versunkenheit des Erlebenden im ständig forteilenden Jetzt. Und wir haben gesehen, daß H . sich der erkenntnistheoretischen Anerkennung des sich in ihr andeutenden Sachverhalts entzieht, indem er eines bestimmten Ich gewiß ist, in dem selbst die Praeexistenz als dogmatisierte Unmittelbarkeit vorgebildet ist. Erklärlich ist das biographisch geistesgeschichtlidi daraus, daß H . in frühester Zeit Erbe und Organ einer bestimmten Tradition war, die ihre Kontinuität in der Wandlung dogmatisch gerade im Thema der Selbstentfremdung reflektierte. 334 Noch in der Chandossituation bewahrt H . die Unsterblichkeit der der Vergänglichkeit überlieferten ,Seele', die in der im innersten unzerstörten Kontinuität, in der Zeitlichkeit ihrer schlechten, dogmatischen Ewigkeit bewußt wird. Die „Terzinen über die Vergänglichkeit" verschärfen diese Problematik der ihrer Übereinstimmung mit sich selbst beraubten Seele, aber sie hören nicht auf, in dogmatisch metaphysischem Sinn K l a g e d e s I c h zu sein, das in der Melancholie der Weltverlorenheit gerade seiner selbst als eines bestimmten gewiß wird. Die Vergänglichkeit der Welt ist also nichts anderes als die Abstraktheit bestimmter Erkenntnis, die in der Erlebnisunmittelbarkeit, in der Anwesenheit des Unendlichen, gespürt wird. In „Tor und T o d " spricht Claudio das doppelte Gesicht der Situation vorwaltender Unmittelbarkeit deutlich aus. Im Vernehmen der Musik, im Anblick des Todes sagt er: „Wie packt mich sinnlos namenloses Grauen! / Wenn dieser Fiedel Klang so lieblich war, / Was bringt es solchen Krampf dich anzuschauen? Und schnürt die Kehle so und sträubt das Haar." 3 3 5 Es ist nicht einfach die kreatürliche Angst des Sterbenmüssens, sondern in ihr der Selbstverlust in jeglicher Unmittelbarkeit, die in der Verbindung des 334 y g i d a z u die einschlägigen Topoi des Barock oder in Grillparzers Werk. 335
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Todes mit Musik, Venus und Bacchus angedeutet wird. Auch im Chandosbrief ist dieses Grauen selbst in der Beglückung der Unmittelbarkeit spürbar: Irgendein sichtbarer oder vorgestellter Gegenstand „kann für mich plötzlich i n i r g e n d e i n e m M o m e n t , d e n h e r b e i z u f ü h r e n a u f k e i n e W e i s e i n m e i n e r G e w a l t s t e h t , ein erhabenes und rührendes Gepräge annehme, d a s a u s z u d r ü c k e n m i r a l l e W o r t e z u a r m scheinen." 3 3 ® Das Ich verliert seine Herrschaft über sich selbst, indem es sich auflöst in einem zugleich unverfügbaren wie unbestimmbaren Geschehen. Das Grauen dieser Selbstentfremdung wird durch die Intensität des Vorgangs gesteigert, denn gerade die innigste Liebesversunkenheit im belanglosen Anlaß macht den Selbstverlust in dieser Beglückung deutlich: Dies „Hinüberfließen in jene Geschöpfe", macht, daß diese „stummen und manchmal unbelebten Kreaturen" — „ein Hund, eine Ratte, ein Käfer, ein verkümmerter Apfelbaum . . . " — „sich mit einer solchen Fülle einer solchen Gegenwart der Liebe" entgegenheben, „daß mein beglücktes Aug auch ringsum auf keinen toten Fleck zu fallen vermag." 3 3 7 Gleich neben „diesen sonderbaren Zufällen" ist sein „Leben von kaum glaublicher Leere". Chandos spricht diesen Selbstverlust hier scheinbar weniger klagend aus als der monologische Claudio, er will ihn zugleich dem älteren nüchternen Weltweisen ansichtig machen und spricht darum von jenem Crassus, „von dem berichtet wird, daß er eine zahme Muräne, einen dumpfen, rotäugigen stummen Fisch seines Zierteiches so über alle Maßen liebgewann, daß es zum Stadtgespräch wurde." 8 3 8 Dies Beispiel kann auch das andere für H . überaus bezeichnende Moment darstellen, daß der die Entrückung der Unmittelbarkeit Erleidende sich vor den anderen im Zustand abstrakter Vermitteltheit und Alltäglichkeit Befangenen a u s g e z e i c h n e t fühlt. Das E r w ä h l u n g s b e w u ß t s e i n des Heiligen und Ekstatikers, des „eigentlichen" Ich, kann Chandos dem Weltverständigen taktvoll bemerklich machen, „denn als ihm [dem Crassus] einmal im Senat Domitius vorwarf, er habe über den Tod dieses Fisches Tränen vergossen und ihn dadurch als halben Narren hinstellen wollte, gab ihm Crassus zur Antwort: ,So habe ich beim Tode meines Fisches getan, was Ihr weder m 337 338
„Prosa I I " S. 15 (Sperrung vom Verf.) a.a.O. S. 18 a.a.O. S. 20 — Ein ganz analoges Beispiel, in ähnlichem Sinn dargestellt, bietet Beer-Hofmann in „Paula, ein Fragment"; dort ist es das Verhältnis des Großvaters zu dem Pudel Querschtl (R. Beer-Hofmann „Gesammelte Werke" 1963 S. 848 f.) — s. a. H . in den „Briefen des Zurückgekehrten": die Darstellung des Erweckungserlebnisses des R a m a Krishna („Prosa I I " ) a.a.O., wo der Zusammenhang von Schauen und Sprachverlust angedeutet ist: „So geht's mir mit der Sprache: ich kann mich nicht festketten an eine ihrer Wellen, daß es mich trüge, unter mir geht's dahin und läßt mich auf dem gleichen Fleck." (S. 354)
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bei Eurer ersten noch Eurer zweiten Frau Tod getan habt.'" 3 3 ' Wenn auch hier scheinbar nicht so ins Prinzipielle exponiert, aber gerade darum dem Francis Bacon verständlich, wird die Logik des Sachverhalts deutlich: Der Selbstverlust der Erlebnisunmittelbarkeit hebt den Erlebenden aus der Gesellschaft der in abstrakter sprachlicher Vermittlung Befangenen heraus, so daß er ihr gegenüber ein Selbstgefühl in der Rolle existentieller Eigentlichkeit' gewinnt. Aber diese gesellschaftliche Rollenorientierung reicht nicht aus, zu erklären, warum Hofmannsthal gerade im Zustand des Selbstverlustes das bestimmte Bewußtsein seiner Eigenexistenz erhalten bleibt, das doch seine Bestimmtheit gegen anderes gerade der als abstrakt beklagten sprachlichen Vermittlung verdankt. Denn diesem im Erlebnis der Selbstentfremdung erhaltenen Ichglauben entspricht ja auf der anderen Seite die Tatsache, daß H., trotz der Auflösung in die Zustandsunmittelbarkeit, die bestimmte Gegenständlichkeit der Dinge, ihre Grenzen gegeneinander, erhalten wähnt. Es sind die mit ihren gewohnten Namen bezeichneten Dinge: „ein Hund, eine Ratte, ein Käfer, ein verkümmerter Apfelbaum, ein sich über den Hügel schlängelnder Karren weg, ein moosbewachsener Stein", 3 4 0 die sich innerhalb ihrer Grenzen eindrucksvoll vertiefen, aber doch sie selbst bleiben. Die Kritik am abstrakten Begriff macht bei den Dingnamen halt, wohl darum, weil sie den sinnlich unendlichen Eindruck unmittelbarer zu repräsentieren scheinen als theoretische oder gesellschaftlich-moralische Begriffe, „die Worte Geist, Seele oder Köper", die „nur auszusprechen" Chandos „ein unerklärliches Unbehagen" empfindet. 341 Streng genommen dürfte Chandos auch die Dinge als so benannte nur Anlässe für das Erlebnis des Unendlichen nennen, denn als so benannte und bestimmt gegeneinander abgegrenzte sind sie nur abstrakt aufgefaßt. Bei zunehmender anschaulicher Unmittelbarkeit verlieren sie ihre Namenbestimmtheit, ihre „Eigenschaften werden zu Allerschaften", wie Musil vom Gedicht Rilkes sagt, das „niemals ein lyrisches Motiv" und „niemals einen besonderen Gegenstand der Welt zum Ziel hat". H . aber meint, im Zustand vorwaltender Unmittelbarkeit das „Wesen der Dinge" zu fassen gegenüber ihrem „anderen realen Gesicht". 342 E r charakterisiert, auf Musil Bezug nehmend, als das „Problem des Zöglings Törless", daß er „das Gesicht der Dinge, wenn sie ferne sind und das andere, wenn sie hart an uns sind, nicht übereinbringen" kann. 343 Zwar, Törless selbst spricht von diesem „Problem". Vor der Schul339 340 341 342 343
a.a.O. S. 20 a.a.O. S. 18 a.a.O. S. 12 f. „Aufzeichnungen" S. 244 a.a.O.
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kommission zur Erklärung seines Verhaltens in der Basiniaffäre aufgefordert, äußert er die im einfach bestimmten, zweckhaften Zusammenhang dieser schulischen Disziplinaruntersuchung kindlich unintegrierten Worte: „Ich kann es nicht anders sagen, als daß ich die Dinge in zweierlei Gestalt sehe. Alle Dinge, auch die Gedanken." 344 Doch man wird den Problemhorizont des Sechzehnjährigen nicht mit dem erkenntnistheoretischen Horizont dieser Dichtung überhaupt gleichsetzen können, obwohl man den Törlesshorizont ebensowenig als zufällige Meinung dieses Sechzehnjährigen und seiner zufälligen Bildungsgesdiichte wird betrachten können. Denn: „Nicht S c h i l d e r u n g s a b s i c h t der unmaßgeblichen Fragen eines Sechzehnjährigen . . . , die mit Erwachsenen wenig zu tun hat" 345 — oder in den Worten Hofmannsthals „eines Hauptproblems dieser sehr merkwürdigen Epoche",346 nicht Darstellung zufälliger Meinungsgehalte, persönlicher oder epochaler Lebensproblematik ist das Ziel des Romans. „Der Sechzehnjährige ist eine List. Verhältnismäßig einfaches, und darum bildsames Material für die Gestaltung von seelischen Zusammenhängen, die im Erwachsenen durch zuviel anderes kompliziert sind, was hier ausgeschaltet bleibt."347 Aber nicht nur der Sechzehnjährige als solcher ist nur stofflicher Anlaß der Darstellung. Musil geht weiter, er leugnet, es sei Zweck der Dichtung, bestimmte Wirklichkeit zu fingieren. „Die Realität [gerade auch die psychologische Realität meint Musil hier], die man schildert, [ist] stets nur ein Vorwand. Irgendwann mag ja vielleicht das Erzählen einfach eines starken begriffsarmen Menschen reaktives Noch-einmalbetasten guter und schrecklicher Geister von Erlebnissen gewesen sein, unter deren Erinnerung sein Gedächtnis sich noch krümmte, Zauber des Aussprechens, Wiederholens, Besprechens und dadurch Entkräftens." 348 Aber der Mensch ist, seiner geistigen Entwicklung nach, nicht mehr begriffsarm, Kunst hat für ihn nicht mehr den Zweck beschwörender bestimmter Wiederholung. Der Mensch ist als geistiges Wesen verantwortlich für sich selbst. Sein Verhältnis zu sich selbst als geistiges Wesen ist nicht der Art, daß er ,seine Probleme' als Probleme der Epoche wie von außen gestellt bekommt und sie nun in dieser unverstandenen aber bestimmten Faktizität in der Kunst wiederholend darstellt. Diese seit dem Zusammenbruch und der Vergessenheit des Idealismus im 19. Jahrhundert herrschend gewordene Ideologisierung des Geistes möchte Musil durchstoßen. Der Mensch ist verantwortlich für seine Probleme derart, daß er sie zu denken verpflichtet ist, sie nicht hinnimmt als Probleme, gerade dort 344 343 346 347 348
PDB S. 143 S. „Über Rober: Musils Bücher" Tgb. S. 775 f. „Aufzeichnungen" S. 244 Tgb. S. 776 a.a.O.
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wo sie die Grenzen seiner Bestimmtheit andeuten. Dort übernimmt die Kunst mit unvermindertem, ja gesteigertem Anspruch gegenüber der Wissenschaft das Geschäft des Erkennens. Musil fordert darum eine erkenntnistheoretische Fundierung der Romanform, „daß die Schilderung endlich zum dienenden Mittel des b e g r i f f s s t a r k e n Menschen werde, mit dessen Hilfe er sich an Gefühlserkenntnisse und Denkerschütterungen heranschleicht, die allgemein und im Begriff nicht, sondern nur im Flimmern des Einzelfalls . . . zu erfassen sind."349 „List", „Vorwand" ist der Einzelfall als bestimmter Einzelfall immer und durchaus, das Ziel ist, in ihm e i n a n d e r e s z u z e i g e n . Die Darstellung ist nicht als bestimmte Wiederholung Zweck, sondern sie ist r e i n a l s D a r s t e l l u n g dienendes Mittel.350 Musil spürt, daß er damit „mit Strenge Bedürfnisse erfüllt, bevor sie noch erweckt sind", denn möchte auch die psychologische Darstellung des denkenden Menschen für ein mögliches Ziel des Romans gelten, daß Dichtung selbst, und nun gerade der Roman, die ihn exakt legitimierende Struktur von Erkenntnis habe — nicht nur Erkenntnis verarbeite — bleibt der historischen Wissenschaft und Kritik eine grundsätzlich unzugängliche Forderung, jedenfalls in dem prinzipiellen Sinn, in dem Musil sie verstanden wissen wollte. Hofmannsthal ist ein Beispiel dafür, wie der Mensch auch das Bewußtsein seiner Grenze im Gefühl des Unmittelbaren dogmatisiert. Diese Dogmatisierung ergibt sich schon daraus, daß er a l s e i n P r o b l e m m e i n t , was zu d e n k e n ist, daß er klagt, wo er arbeiten sollte, daß er Ich voraussetzt, wo Ich erst zu machen ist, wo ohne diese Arbeit das Chaos sich geltend macht, sofern die Zivilisation nicht noch von der kulturellen Arbeit anderer Epochen und Menschen zehrt. In seinem dogmatischen Ichglauben mußte Hofmannsthal das Chaos als von außen kommende Barbarei, als zufälliges geschichtliches Schicksal empfinden, was in Wahrheit Bedingung und Grund seiner wahren Subjektivität ist, die sich nicht erst konstituiert im Gegensatz zu einem Objekt, die vielmehr über diesem nur affirmativen Gegensatz hinausliegt, derart daß die Gewinnung von Ich und Welt in ihrer Bestimmtheit immer problematische Aufgabe des Menschen bleibt, die er an seiner Wahrheit bewähren muß. Musil anerkennt in der Kritik der festen Ichgeltung den Anspruch der reinen Unmittelbarkeit als Grenze und Grund des Bestimmten. Er sieht, daß Dichtung als Kunst von dieser Grenze her, die Ichverlust bedeutet, erst ihre Legitimation empfängt. Dichtung gehört nicht in den ratioiden Erkenntnisbereich, den Bereich abstrakt vermittelnder Erkenntnis. In diesem Bereich gilt, alle Erkenntnis fundierend, die Unterscheidung 349 350
a.a.O. S. dazu den Schluß der Arbeit
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegrift
von Ich und Gegenstand. In dem Sinne sagt Musil: „Das ,Idi' des Cartesius ist der letzte feste Punkt im erkenntniskritischen Gedankengange, es ist die gewisse augenblickliche Einheit." Dem setzt er entgegen das Ich, „von dem die Mystiker sprechen", „das komplexe Ich. Das erstere ist das Gewisseste, das letztere das Ungewisseste."851 Diese frühe Formulierung ist mißverständlich. Was will Musil sagen? Das ,mystische Ich', ein Ich im Zustand der Unmittelbarkeit also, sei das Ungewisseste? Die ,mystische Auffassung' spricht offenbar von einem gegen sein Schicksal und Anderes überhaupt abgegrenzten Ich nicht. Das Ich, die „augenblickliche Einheit", die Synthesis im absoluten Jetztmoment, ist aufgehoben. Diesen Sinn der Stelle sichert der Zusammenhang. „Die einflußreichen Handlungen, welche unser Leben einschneidend ändern, kommen meist in einer Art Feuer der Leidenschaft zustande. Sie bereiten sich ohne unser Wissen in uns vor, und wir müssen uns oft begnügen, das Geschehene zu konstatieren, mitunter selbst ohne den Zusammenhang zu überblicken." Musil nennt das nicht nur eine ,mystische Auffassung' sondern auch eine „persönliche Erfahrung". 352 Die Kontinuität des Menschen ist unterbrochen, er verliert sich selbst, denn seine bewußtseinsabhängige Handlungsspontaneität, die souveräne Selbstbestimmbarkeit des Ich, ist aufgelöst in ein kontingentes Geschehen, so daß es fraglich wird, ob „unser bewußter Mensch eine Gewähr für den unbewußten" ist. Musils Dichtung lehrt diese Frage im prinzipiellen Sinn verstehen, so daß Unbewußtheit hier nicht Unbekanntheit mit einer verborgenen tierhaften, triebhaften aber bestimmten Natur des Menschen meint, wie etwa in der naturwissenschaftlich objektivierenden Meinung der Psychoanalyse. Sondern Musil zeigt den Menschen als das „noch nicht festgestellte Tier".35® „Der Mensch ist kränker, unsicherer, wechselnder, unfestgestellter als irgendein Tier sonst."351 Seine Bewußtheit, Bestimmtheit ,grenzt' an das Unbestimmte und wird von dieser immer wieder in Frage gestellt, in dem Sinn wie es oben zusammenhängend entwickelt wurde. Musil meidet die ontologische Interpretation dieses Sachverhalts, obwohl sich auch dafür mindestens eine Stelle in seinen Tagebüchern findet, nämlich die, wo er im Anschluß an Gedanken der Romantiker unter dem Vorbehalt eines bloßen Analogieschlusses solchem Gedanken Raum läßt. 355 Seine Dichtung arbeitet nicht bewußt mit solchen spekulativen Folgerungen. Aber ihr Thema ist die Gestaltung des Menschen unter Einbezug seiner Grenze im Unbestimmten, seiner ,Nicht351
Tgb. S. 82 a.a.O. F. Nietzsche Werke in drei Bänden hrg. K. Sdilechta II S. 623 354 a.a.O. S. 862 355 •j'gb. S. 84 „Der Tod als conditio sine qua non der Schöpfung. Die Grenze . . . als Bedingung für das Begrenzte . .." 352
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festgestelltheit'. Die Möglichkeit dazu gibt ihm der von der begrifflichen Ichfixierung freie, gegen die Unbestimmtheit hin offene „Gestalt""Zusammenhang der Dichtung. Das heißt aber für Musil, daß er den Schilderungscharakter der Dichtung und ihre vermittelte Ordnungsstruktur als Geschichte aufgeben muß; daß die Dichtung nicht Darstellung eines sein Schicksal erlebenden und gewinnenden Ich ist. Im Törless sind die dichterischen Gestaltungsmittel dieser auch hier schon ins Auge gefaßten Aufgabe noch nicht gewachsen. Das sei im folgenden gezeigt. d) Musil vor der „deutlichen "Wendung" „vom Realismus zur Wahrheit" — „Die Verwirrungen des Zöglings Törless": Das radikalisierte Verständnis der reinen Zuständlichkeit, die Ausschaltung des Ich-Glaubens, im Horizont einer Dichtung, die noch Darstellung von Meinung ist Für Törless ist zwar die Kontinuität des Ich aufgelöst, denn schon jede „Nacht [ist] ein Nichts, ein Grab, ein Ausgelöschtwerden. Das Vermögen, sich jeden Tag sterben zu legen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, hatte er noch nicht erlernt." Aber dieses Unvermögen ist dargestellt als die spezifische Eigenart seiner Person. Die dem Erwachsenen durch Gewohnheit vertraute Fiktion der persönlichen Kontinuität kann Törless' Staunen vor der rätselhaften Wirklichkeit täglicher, faktischer Ichauflösung in der Bewußtlosigkeit des Schlafes nicht nachvollziehen. Musil läßt diese einfache Erfahrung aussprechen von einer Person, die aus bestimmten Gründen den Gewohnheitszusammenhang menschlichen Denkens sich noch nicht angeeignet hat. Die Struktur der Dichtung selbst läßt sich nicht völlig auf die Folgerungen aus diesem prinzipiellen Verlust ein, der, ernst genommen, die Möglichkeit, eine Geschichte dieser Figur zu erzählen, aufhöbe.356 Törless ist eine ausgezeichnete Figur, die diese Erlebnisse h a t . Sie ist bestimmt motiviert, sie ist als Personenkontinuität aufgefaßt, die der bleibende Beziehungspunkt ihres Schicksals ist. Das heißt: S i e h a t diese merkwürdigen Erlebnisse. Und Musil bemüht sich in traditioneller Weise darum, die Glaubwürdigkeit zu motivieren, daß gerade diese Person in dieser Situation diese Erlebnisse hat. „Es schien damals, daß er überhaupt keinen Charakter habe." Die weitgehende Unbestimmtheit seiner äußeren Situation stellt Musil durch die Symbole von Landschaft und Konviktdasein dar.357 Ebenso stellt Musil für das erkenntnistheoretische 356
357
Daß Forderungen in der Richtung dieses Unmöglichen faktisch wieder zu einer Dogmatisierung des Chaos führen müssen, wird später zu zeigen sein! Gleich der Eingang legt sie in diesem Sinn fest: „Eine kleine Station an der Strecke, welche nach Rußland führt. Endlos gerade liefen vier parallele Schienenstränge . . . Die kleine Stadt lag weit ab von der Residenz, im Osten
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Experiment die Unbestimmtheit der inneren Situation dieser Person her. „Das Heimweh, durch die Trennung von den Eltern hervorgerufen, hatte sich allgemach verloren. Er selbst fühlte sich verarmt und kahl, wie ein Bäumdien, das nach der noch fruchtlosen Blüte den ersten Winter erlebt." 358 Die kurze Episode einer Freundschaft war vorbeigegangen.359 Literatur, „die von außen kommenden Assoziationen und erborgten Gefühle", die „die jungen Leute über den gefährlich weichen seelischen Boden dieser Jahre hinwegtragen", „waren Reaktionen des Gehirns" geblieben. „Das aber, was man als Charakter oder Selee, Linie oder Klangfarbe eines Menschen fühlt, jedenfalls dasjenige, wogegen die Gedanken, Entschlüsse und Handlungen wenig bezeichnen, zufällig und auswechselbar erscheinen . . . , war zu jener Zeit in Törless gänzlich verloren gegangen."380 Die Herstellung dieser Ausgangssituation darf nicht mit dem eigentlichen Thema der Dichtung verwechselt werden. 361 Wie im sinnespsychologischen Experiment, das die reine phänomenale, von jeder überlieferten Deutung gereinigte Bildstruktur der Wahrnehmungstatsachen selbst erforschen will, das darum durch einfachste Versudisanordnung möglichst viele störende Nebenfaktoren ausschaltet, stellt Musil eine einfädle Situation her, die den „Vorwand" abgibt für eine an ihm zu zeigende Grenze. Die Gesdiidite spielt darum nicht — das ist für Musil charakteristisch — im eigentlidien Schicksalsbereich außergewöhnlicher, von außen andringender Begebnisse. Die Sdiicksalsmächte, im klassischen und existentiellen Sinn: Tod und Herrschaftsbehauptung spielen keine Rolle in der Dichtung Musils. Das gilt auch für den ,Törless', obwohl er noch „Gesdiidite" ist.382 Musils Dichtung
358 359 380 381
362
des Reiches, im spärlich besiedelten Ackerland" (PDB S. 15 f.) — Die angedeutete Unendlichkeit der Situation wird noch nicht rein als solche faßbar, sondern ist in dieser Unendlichkeit noch als spezifische gemeint. PDB S. 18 a.a.O. S. 18 f. a.a.O. S. 21 Hier ist die Gefahr grundsätzlichen Mißverständnisses noch größer als später in der Konzeption des Ulrich als des Mann o. E. Nicht die merkwürdige zufällige Gestalt dieser Menschen mit denen einen Zeittypus getroffen zu haben Musil selbst erstaunt war (s. den Brief an Allesch in R. M. Leben, Werk, Wirkung S. 302), nicht sie selbst und ihr Schicksal ist Thema; sondern sie ist Medium des erkenntnistheoretischen Prozesses der Dichtung. „Kommunisten und Nationalisten und Katholiken möchten sich gern etwas erzählen lassen." (Tgb. S. 864) Die Ereignisse im Schema alltäglicher Existenzform haben einen zu abstrakten Horizont, als daß sie in dieser Orientierung die breite Ausgestaltung vertrügen. „Zu besingen, wie Herr A. dem Fräulein B. einen Kuß gibt (sich verlobt und entlobt) setzt sehr viel Bedeutung und Würde dieser kleinen Handlung voraus." (Tgb. S. 863) Diese Ereignisse haben ihre Würde verloren, weil ein differenzierteres Bewußtsein in ihnen nicht die mannigfaltigen geistigen Beziehungen der Wirklichkeit zusammengefaßt denken kann, ohne in eine irreale zeremoniöse Phantastik zu verfallen.
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spielt grundsätzlich im inneren Raum des Subjekts, nicht im äußeren Schicksalsraum. Musil,glaubt' in einem nur mit dem spekulativen Idealismus vergleichbaren Maß an den „Geist". Er sagt später, angesichts der Erfahrungen nach 1933: „Eine Hauptidee oder -illusion meines Lebens ist es gewesen, daß der Geist seine eigene Geschichte habe und sich unbeschadet alles, was praktisch geschehe, schrittweise erhöhe. Ich habe geglaubt, daß die Zeit seiner Katastrophen vorbei sei . . .".363 Die Struktur seiner Dichtung, nicht nur ihr etwa bestimmbarer Meinungsgehalt, wird dadurch wesentlich bestimmt. Nicht durch sein äußeres Geschick ist der Mensch bestimmt. Und darum ist die Aufgabe der Dichtung nicht Schilderung. Die feste Fixierbarkeit eines erzählbaren Schicksals würde die Festigkeit und Bestimmtheit dieser Wirklichkeit voraussetzen. Diese ist aber gerade fraglich, oder sie ist von der Dichtung erst zu schaffen. „Das Bedürfnis [sich etwas erzählen, d. h. berichten zu lassen] ist sofort wieder da, wo die Ideologie fest ist. Wo der Gegenstand gegeben ist."394 Musil glossiert die traditionelle Dichtungsstruktur, die von dieser Thematik beherrscht war, folgendermaßen: „Jahrhundertelang hat man den Aufschneider geschildert mit seinen erfundenen Abenteuern und Siegen. Tartarin; am knappsten: Nestroy. Bald lag ich unten, bald lag er oben. Die Angst wird vom Kind in den Dienst des Geltungsbewußtseins gestellt, die Gefahren der Gespenster, Tiere usw. werden phantastisch übertrieben, und wenn sich das Kind nun zur Mutter flüchtet, so ist das entschuldigt und beinahe ehrenvoll. Eventuell wirft sich das Kind durch die Angst zum Tyrannen auf. . . . Unser Verhältnis zu diesen Erscheinungen ist erklärend geworden und bloß eine neue Variation, zu erzählen, kann uns nicht mehr befriedigen." 385 Musil meint hier nicht zuerst den Abenteuerroman. Und wenn er Nestroy für die knappste Erfüllung dieser Dichtungsstruktur hält, wird man beispielsweise auch an Kleist oder Hofmannsthal denken können. Jener ist in der Formel: „Bald lag ich unten, bald lag er oben" auch gefaßt; dieser in der Charakteristik dessen, der die „ A n g s t . . . in den Dienst des Geltungsbewußtseins stellt." Wenn auch beide diese Struktur im subtilsten, bedeutendsten Sinn erfüllen, sind sie unter diesem bestimmten Gesichtspunkt der zugrunde liegenden Dichtungsstruktur doch auch Antipoden Musils. N u r wird man eine Einschränkung machen müssen:
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364 385
Der Bereich, in dem diese differenzierteren Beziehungen desselben Vorgangs darstellbar sind, der also Würde und Bedeutung besitzt, findet sich im Innern dieser äußerlich fest schematisierten menschlichen Beziehungen. So wird auch dieser innere Bereich die neue Sphäre des Schicksals. Tgb. S. 455 — s. a. Tgb. S. 577: „Meine Ethik hat ein höchstes Gut. Es ist der Geist." S. Tgb. S. 864 u. passim Tgb. S. 862
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Diese Dichtungen, deren Strukturhorizont die Schicksalssuche des seiner selbst gewissen Ich ist, können auf Grund der differenzierten Ausdeutung dieser Struktur ebenso zur „Ausdeutung des Lebens" im Sinne Musils dienen wie die Dichtungen Musils selbst, die von vornherein die von Ich und Schicksal freie erkenntnistheoretische Struktur zugrunde legen. Der Unterschied bleibt ein letzter Vorbehalt Musils gegen den dogmatischen Ichglauben dieser Dichtung. Das ist die Wurzel der wiederholten Kritik des Geschichtenerzählens, des Schilderns. Die innere Zone des Denkens und Fühlens trägt selbst alle Merkmale kontingenten Geschehens. Sein Denken ist des Menschen Geschick, Denken in dem weitesten Sinn gefaßt, in dem es Gefühl, Wille, Bewußtsein und das überhaupt nicht bestimmt artikulierbare innere Geschehen umfaßt. Hier ist Denken selbst Tatsächlidikeit und in seinem allgemeinsten Horizont nicht endgültig bestimmbar. Es ist als Gestaltgeschehen in den „steten Fluß des Ich und seiner unaufhörlichen Tode und Grenzen" 386 hineingebunden. Im „Törless" ist diese dort schon ins Auge gefaßte erkenntnistheoretische Orientierung des Romans in der F o r m der Dichtung noch nicht voll bewältigt. Denn „der Roman, der wie keine andere Kunstform dazu berufen ist, den intellektuellen Gehalt einer Zeit aufzunehmen", stellt besondere „Schwierigkeiten der Eingestaltung", die „oft in verwickelten Durchdringungen und Schichtungen geschieht". 367 Im „Törless" ist „die Wendung vom Realismus zur Wahrheit" erst „ a n g e d e u t e t " . 3 6 8 Denn im „Törless" ist das vereinheitlichende Moment nach den Worten Musils selbst immer noch der Wunsch, „eine bestimmte vorher ausgedachte Geschichte zu erzählen. Dies ist das Rückgrat, um das alles andere — meine Interpretation und Auffassung der Geschichte — gruppiert ist." 309 Die Fiktion einer „bestimmten, vorher ausgedachten Geschichte" ist der feste Rahmen, innerhalb dessen sich die Gestalt im Innern ins Unbestimmte vertieft. Daß aber „die Realität nur ein Vorwand ist", daß der alles orientierende Mittelpunkt nicht die Gestalt des Zöglings Törless und ihre merkwürdigen Erlebnisse sind, ist nicht leicht aufzufassen. Der Leser kann die andere Intention Musils nur nachvollziehen, wenn er den Standpunkt innerhalb des Romans selbst nimmt und so mit Törless die Auflösung der Bestimmtheit vollzieht, in der selbst in der Folge die Romanmotivierung als „Schilderung eines Sechzehnjährigen" aufgehoben wird. Denn Törless' Erlebnisse reichen ja selbst in die kritische Zone, in der so etwas wie Person, Geschichte, zeitliche Ordnung in ihrer festen Geltung unsicher werden. Trotzdem schließt sich der Boden wieder, Törless 388 367 368 369
S. Tgb. Tgb. S. Tgb. S. Tgb. S.
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findet in die Welt gewohnter Vermittlungen zurück, so daß diese wieder das Maß des Wirklichen setzen. Gegen Ende des Romans heißt es von Törless' Erlebnissen: „Das schien alles weit, weit hinter ihm zu liegen. Seit Basinis Entfernung war es tot. Fast so, als ob dieser Mensch, der alle diese Beziehungen an sich gekettet hatte, sie nun auch mit sich fort genommen hätte." „Aber er schämte sich. So wie man sich am Morgen schämt, wenn man in der Nacht — von einem Fieber gepeinigt — aus allen Winkeln des Zimmers furchtbare Drohungen sich emportürmen sah." Die Scham zeigt die Geltung der gewohnten Wirklichkeitsbeziehungen an, denn in ihrem Sinn werden die durch den Gang der Ereignisse überholten Situationen als phantastische Verwirrungen angesehen. Die Ansprüche des Tages haben wieder so zweifellosen Einfluß auf Törless, daß er den anderen Anspruch, den das nun Vergangene als sein Erlebnis erhebt, verleugnet. Aber auch wenn die Geschichte anders verlaufen würde, ihre Anlage als Geschichte, als Bericht eines Schicksalsausschnittes setzt die Kategorien von Wirklichkeits- und Ichgeltung fest, und hinter diesen Horizont der Darstellungs f o r m kann ein weiter gespannter Anspruch des Gegenstandes selbst nicht zurück. Allenfalls als Problem kann er festgehalten werden, als bestimmte Lebenserfahrung zusammenfassender Gedanke: „Er wußte nun zwischen Tag und Nacht zu scheiden . . . die Erinnerung, daß es anders sein kann, daß es feine leicht verlöschbare Grenzen rings um den Menschen gibt, daß fiebernde Träume um die Seele schleichen, die festen Mauern zernagen und unheimliche Gassen aufreißen, — auch diese Erinnerung hatte sich tief in ihn gesenkt und strahlte blasse Sdiatten aus." 370 Aber er fährt auch hier fort: „Er konnte nicht viel davon erklären." Das Unbestimmte als Grenze des Menschen wird von Törless mit der Atmosphäre bestimmter Anlässe, in denen er diese Erfahrung machte, erinnert, und kann nur so überhaupt Gegenstand bestimmter Erinnerung sein. Diese A n l ä s s e machen das E r z ä h l b a r e dieser Erfahrung aus. „Ich kann es nicht anders sagen, als daß ich die Dinge in zweierlei Gestalt sehe. Alle Dinge, auch die Gedanken . . . Vielleicht habe ich mich mit den irrationalen Zahlen geirrt . . . Ich irrte mich aber nicht bei Basini, ich irrte nicht, als ich mein Ohr nicht von dem leisen Rieseln in der hohen Mauer, mein Auge nicht von dem schweigenden Leben des Staubes, das eine Lampe plötzlich erhellte, abwenden konnte." 3 7 1 Es sind abseitige Anlässe, Gegenstände, die ein von der gewohnheitsmäßigen Erfahrung noch nicht bestimmtes Bild zeigen, die darum auffällig sind in ihrer Sonderbarkeit, noch nicht eingeordnet 370 371
P D B S. 145 f. P D B S. 143
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in bekannten Erfahrungszusammenhang. Törless fragt sich selbst: „Welche Dinge sind es, die mich befremden? Die unscheinbarsten, meistens leblose Sachen."372 Und Törless geht in seiner Fragestellung weiter: „ W a s befremdet midi an ihnen? Ein Etwas, das ich nicht kenne. Aber das ist es ja eben! Woher nehme ich denn dieses ,Etwas'. Ich empfinde sein Dasein." 373 Er sucht den bezeichenbaren Anlaß weiter, nun im Ich, im Gefühl und auch darüber führt ihn sein Fragen hinaus, schon wenn er spürt, daß sein Charakter als ,Etwas', als bestimmbare Eigenschaft problematisch ist: „Eigentlich war es ja immer nur ein und dasselbe Gefühl gewesen. Und ganz eigentlich überhaupt kein Gefühl, sondern mehr ein Erdbeben ganz tief am Grunde, das keine merklichen Wellen warf und vor dem doch die ganze Seele so verhalten mächtig erzitterte, daß die Wellen selbst der stürmischsten Gefühle daneben wie harmlose Kräuselungen der Oberfläche erschienen. Wenn ihn dieses eine Gefühl zu verschiedenen Zeiten dennoch verschieden zu Bewußtsein gekommen war, so hatte dies darin seinen Grund, daß er zur Ausdeutung dieser Woge, die den ganzen Organismus überflutete, nur über Bilder verfügte, welche davon in seine Sinne fielen . . .".374 Törless spürt in den vergeblichen Versuchen, der Herkunft dieser Erlebnisse nachzufragen, wie diese den Horizont seines Fragens prinzipiell übersteigende Ansprüche stellen.375 Diese Nüchternheit, die ihn fragen heißt und das Nicht-durchgedrungen-sein, die Grenze anzuerkennen zwingt, zeichnet Törless vor den andern aus. Es ist die Nüchternheit des Staunens, einer „eigentlichen Fähigkeit", von der er „späterhin . . . geradezu beherrscht" wurde. „Er war dann gezwungen, Ereignisse, Menschen, Dinge, ja sich selbst häufig so zu empfinden, daß er dabei das Gefühl sowohl einer unauflöslichen Unverständlichkeit als einer unerklärlichen, nie völlig zu rechtfertigenden Verwandtschaft hatte. Sie schienen ihm zum Greifen verständlich zu sein und sich doch nie restlos in Worte und Ge372 373 374 375
PDB S. 96 PDB S. 96 PDB S. 97 So immer wieder bis zu Ende: Etwa S. 72 f.: „Er hatte das Bedürfnis, rastlos nach einer Brücke, einem Zusammenhang, einem Vergleich zu suchen — zwischen sich und dem, was wortlos vor seinem Geiste stand. Aber sooft er sidi bei einem Gedanken beruhigt hatte, war wieder dieser unverständliche Einspruch da: Du l ü g s t . . . als ob er fiebernde Finger wund bemühte, um einen endlosen Knoten zu lösen." — Ebenso vergeblich ist seine Hoffnung, es werde sich, „wenn das alles geordnet Faktum für Faktum aufgezeichnet sein werde", die richtige verstandesgesetzmäßige Fassung von selbst ergeben, „wie die Form einer umhüllenden Linie aus dem wirren Bilde sidi hundertfältig überschneidender Kurven heraustritt." „Aber es war ihm bisher wie einem Fischer ergangen, der zwar am Zucken des Netzes fühlt, daß ihm eine schwere Beute ins N e t z gegangen ist, aber trotz aller Anstrengungen nicht vermag sie ans Licht zu heben." a.a.O. S. 95
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danken auflösen zu lassen."376 Diese Nüchternheit zeichnet ihn einmal vor dem im Abstrakten befangenen „Professor" aus, dem etwa das Beunruhigende im Begriff des Unendlichen sich in den weitläufigen, komplizierten, abstrakt mathematischen Begriffsschemata verliert. Auf der anderen Seite trennt die Nüchternheit dieses Staunens Törless von den voreiligen, haltlos sektiererischen Dogmatisierungen Beinebergs. Beineberg kann sich über die erstarrte Versteintheit der abstrakten Bestimmungen lustig machen. Der Professoren „Verstand reicht gerade so weit, um ihre wissenschaftlichen Erklärungen aus dem Kopf herauszudenken. Draußen erfrieren sie aber . . .".377 In dieser Kritik könnte Törless ihm noch zustimmen, nicht aber, wenn er dem Verstand darum alle Geltung versagt, wenn er sagt:378 „Alles ist unsicher, was sie behaupten. Alles geht natürlich zu, sagen sie; — wenn der Stein fällt, so sei das die Schwerkraft, warum soll es aber nicht ein Wille Gottes sein, und warum soll derjenige, der ihm wohlgefällig ist, nicht einmal davon entbunden sein." Aus einer Törless' ähnlichen Ahnung der Grenze des abstrakt vermittelnden Gewohnheitsdenkens sieht er sich in eine Ungebundenheit versetzt, die ihn nun den sehr bestimmten Forderungen seiner subjektiven Machtinteressen ausliefert. Törless' Reaktion ist Ekel37" angesichts der bizarren und in ihrer phantastisch erdachten Bestimmtheit ebenso abstrakten Einfälle sektiererischer Religiosität, deren fest bestimmtes Zentrum die fanatisch verfolgten Zwecke eines beschränkten und darum zielstrebigen Selbstgefühls sind. Auch die Darstellung Beinebergs ist also orientiert an der Situation vorwaltender Unmittelbarkeit, der Auflösung der festen Ich- und Wirklichkeitsgeltung.380 Anders als Törless, hält er aber die rätselhafte Situation 379
P D B S. 33 P D B S. 89 378 a.a.O. — Beineberg ist hier identisch mit den dogmatisierenden Lebensphilosophen, mit Klages und Spengler etwa. 379 So schon im ersten Gespräch PDB S. 28 380 Vg]. w i e Beineberg in seinem spiritistischen Zeremoniell Erfahrungen Törless' verschärft wiederholt: wie dieser im Schlaf die Kontinuität des Ich aufgehoben sieht, so sagt B.: „Wir leben von einem Gedanken zum anderen, von einem Gefühl zum nächsten. Denn unsere Gedanken und Gefühle fließen nicht ruhig wie ein Strom, sondern sie ,fallen uns ein', fallen in uns hinein wie Steine! Wenn du dich genau beobachtest, fühlst du es, daß die Seele nicht etwas ist, das in allmählichen Übergängen seine Farben wechselt, sondern daß die Gedanken wie Ziffern aus einem schwarzen Loch hervorspringen. Jetzt hast du einen Gedanken und ein Gefühl und mit einemmal steht ein anderes da wie aus einem Nichts gesprungen. Wenn du aufmerkst, kannst du sogar zwischen zwei Gedanken den Augenblick spüren, w o alles schwarz ist. Dieser Augenblick ist, — einmal erfaßt, — für uns geradezu der Tod." (PDB S. 127) 377
S. aber dort im folgenden, wie Beineberg aus einer vorgestellten Überwindung dieser Grenze der diskontinuierlichen Zuständlichkeit geradezu die 9 SAaffnit
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nicht nüchtern aus, weil eine starke Affektivität ihn leitet, die seine Zuständlichkeit faktisch bestimmt. Also nicht der Verstand fixiert hier eine abstrakte Welt, sondern der bestimmte Zwecke verfolgende Affekt. „Die Wirkung des Affektes ist es: „Nichtpassendes auszuschalten, Passendes anzuziehen. Die Ideenbildung fest und einheitlich zu gestalten." Er ist p r i m ä r e s Faktum und „schafft sich seine Ideologie in der Eile" nebenbei. Er sichert die suggestive Wirkung dieser Ideologie, die also von der Festigkeit seiner Willensbestimmtheit und nicht von ihrem gedanklichen Wert abhängig ist, denn der „Affekt ist eben ein Kompilator". 381 Diese Theorie der politischen Ideologie und der „geistigen Diktatorenverehrung" gibt Musil angesichts des Nationalsozialismus. Aber „lange vor den Diktatoren hat unsere Zeit die geistige Diktatorenverehrung hervorgebracht." 382 Etwa 1937 bemerkt Musil: „Reiting und Beineberg: Die heutigen Diktatoren in nucleo." 383 Die Eigenart dieser Gestalten, daß in ihnen in allgemeiner Prägnanz eine geistige Zeiterscheinung dargestellt ist, verdanken sie nicht dem schöpferischen Zufall oder der psychologischen Beobachtungsgabe Musils, sondern ihrer allgemeinen am erkenntnistheoretischen Problem orientierten Konzeption. Alle Gestalten des Romans sind an dem erkenntnistheoretischen Problem, das die Situation vorwaltender Unmittelbarkeit stellt, orientiert, ausgenommen vielleicht die sekundären Figuren, die nur die Funktion haben, die um der erzählerischen Situation willen noch nötigen äußeren Bedingungen der Hauptfiguren, ihre Rahmensituation zu skizzieren, also etwa die Mutter, der Prinz, Bozena usw. 384 Die anderen Figuren sind wie Törless und Beineberg dargestellt auf dem Grund und in Beziehung auf die Situation vorwaltender Unmittelbarkeit.
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Unsterblichkeit folgert, die er dann im lächerlichen spiritistischen Experiment zu .beweisen' hofft, wobei charakteristischerweise offen bleibt, ob er nicht dabei nur seinen affektiven Machtinteressen Genüge tun will, indem er Basini grenzenlos erniedrigt, so daß die dogmatische .Ideologie' bewußt nur als Machtinstrument gebraucht wird. Aus den Notizen zu „Bedenken eines Langsamen" [1933] Tgb. S. 864 f. — 871 u. f. Vgl. Tgb. S. 398: „Siehe George. Dann auch Kraus und Freud, Adler und Jung. Nimm noch Klages und Heidegger hinzu". Musil wendet sich hier gegen die Erscheinung, daß Denken Schule bilden will und darin schon nicht über den Meinungshorizont hinauskommt, denn wiederholt werden kann etwas nur als bestimmte Meinung, und so wird selbst der triftigste Gedanke durch seine Geltung in der Schule pervertiert zur .Meinung'. Tgb. S. 441 Daß es solche Nebenfiguren überhaupt noch gibt, hängt mit der noch nicht überwundenen Schilderungsstruktur des „Törless" zusammen. Im MoE gibt es dann so gut wie keine Nebenfiguren, weil es keine selbständigen Figuren gibt und keine äußeren Ereignisse, sondern nur im problematischen Reflexionsmedium bezogene Positionen.
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Sie sind dargestellt unter dem Gesichtspunkt, wie sie diese Situation bewältigen. 385 Das heißt aber, die Schilderung ihrer Realität ist „dienendes Mittel", „mit dessen Hilfe er [der Dichter] sich an Gefühlserkenntnisse und Denkerschütterungen heranschleicht, die allgemein und in Begriffen nicht, sondern nur im Flimmern des Einzelfalls — vielleicht; die nicht mit dem vollen rationalen und bürgerlich geschäftsfähigen Menschen, sondern mit weniger konsolidierten, aber darüber hinausragenden Teilen zu erfassen sind." 386 Gefühlserkenntnisse und Denkerschütterungen ansichtig zu machen, habe die Dichtung, das heißt eine Beziehung des Menschen auf seine Zuständlichkeit aufzudecken, die seiner bestimmt vermittelten und bestimmt darstellbaren Welt zugrunde liegt. Musil bedarf des Einzelfalls, seiner weniger konsolidierten Teile, um in seinem Flimmern den undeutlichen Grund seiner Bestimmtheit ansichtig zu machen. Das dichterisch gebrauchte Wort, so wird Musil diesen Anspruch später formulieren, sei in der Lage, unbegriffliche „Beziehungen zwischen Menschen und Dingen" „ k u n d z u g e b e n " . 3 8 7 Er nennt es388 „den irrationalen Simultaneffekt sich gegenseitig bestrahlender Worte", der den Dichter dazu befähigt. Im ,Törless' ist Musil noch auf die Darstellung des bestimmten Einzelfalls angewiesen, dessen phänomenales Bild in den Zwischenräumen und Randzonen der bestimmt fingierten Verhältnisse den selbst nicht bestimmt darstellbaren Untergrund ahnen macht. Die Denkerschütterung, die In-Fragestellung des Bestimmten von seiner Grenze her ist auch hier Thema, die Schilderung nur Mittel zum Zweck. In seinem ersten Buch geht Musil noch den einfachsten Weg, er stellt die Geschichte von Menschen dar, die in bestimmten Situationen zur Ahnung dieser Grenze gelangen. 389 Die Dichtung ist noch nicht in ihrer Gesamtform als Gestalt auf diese Grenze bezogen. Der feste Rahmen, der sie als Geschichte im psychologischen, lebensgeschichtlichen Motivationszusammenhang beE t w a : So Basini unter dem Gesichtspunkt des „moralischen Schwachsinns", den Musil dann später zur Orientierung Agathes im M o E benutzt. Oder: Die Lehrer, als erstarrte Maschinen, die nach dem Gesetz ihrer abstrakt vermittelten Gewohnheiten funktionieren, deren Lebendigkeit sich nur noch in ihrer praktischen Hilflosigkeit äußert. 3 8 9 Tgb. S. 776 387 a.a.O. S. 717 im Essay „Literat und Literatur". 388 Tgb. S. 776 im Essay „Ansätze zu neuer Ästhetik" 389 Beispiel unter vielen etwa die Stunde der Dämmerung mit Beineberg im Cafe, wo es noch heißt: „Die hohe Anspannung, das Lauschen auf ein ernstes Geheimnis und die Verantwortung, mitten in noch unbeschriebene Beziehungen des Lebens zu blicken hatte er nur einen Augenblick aushalten können." (PDB S. 32) — oder das Erlebnis Basini: „eine plötzliche Veränderung und der Mensch hat gewechselt" (PDB S. 54), das Törless die Unfestheit des Menschen selbst zeigt. — Das Erlebnis des Unendlichen angesichts des Himmels: „Und plötzlich bemerkte er, . . . wie hoch eigentlich der Himmel sei." (PDB S. 69) 385
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stimmt vermittelter Welt organisiert, ist noch nicht rein in den „Gestalt"zusammenhang integriert. „So wie ich fühle, daß ein Gedanke in mir Leben bekommt, so fühle ich auch, daß etwas in mir beim Anblick der Dinge lebt, wenn die Gedanken schweigen. Es ist etwas Dunkles in mir, unter allen Gedanken, das ich mit den Gedanken nicht ausmessen kann, ein Leben das sich nicht in Worten ausdrückt und das doch mein Leben ist . . . Dieses schweigende Leben hat mich bedrückt, umdrängt, das anzustarren trieb es mich immer. Ich litt unter der Angst, daß unser ganzes Leben so sei und ich nur hie und da stückweise darum erfahre, . . . oh, ich hatte furchtbare Angst . . . ich war von Sinnen . . .".390 Das Zitat stellt dar, was bisher im Zusammenhang aus seinen gedanklichen Voraussetzungen entwickelt wurde: Es hat einen Sinn nur in jenen verhältnismäßig komplizierten erkenntnistheoretischen Zusammenhängen. Als .Gedanken' eines Sechzehnjährigen wären sie unverständlich, in dieser Bestimmtheit jedenfalls unnötig. „Beim Anblick der Dinge, wenn die Gedanken schweigen", spürt Törless ein „dunkles Leben" u n t e r allen Gedanken. Die Struktur von Dingen hat das Angeschaute erst auf Grund der vermittelnden Gedanken. D i e s e Struktur „drückt sich in Worten aus". Sie entzöge sich nicht dem beschreibenden Vermögen, auch wenn in ihr die Dinge ein ungewohntes Gesicht zeigten. Das „zweite geheime unbeachtete Leben der Dinge" ist die Aufhebung ihrer festen Gegenstandsstruktur selbst, die sie nur den „Augen des Verstandes" verdanken. „Wenn die Gedanken schweigen", in der Unmittelbarkeit der Anschauung, sind nicht mehr Dinge da, sondern ein den Worten prinzipiell Entzogenes, ein „dunkles schweigendes Leben", die reine Zuständlichkeit, in der die Unterscheidung der vermittelt begrenzten Tatsachenzusammenhänge aufgehoben ist. Aber doch nennt Törless dieses Dunkle, „das die Gedanken nicht ausmessen", „ m e i n L e b e n " . Törless betont die Rätselhaftigkeit dessen, daß dies sich nicht in Worten ausdrücken läßt und das d o c h sein Leben sei. Angst und Wahnsinn nehmen ihn gefangen in dem Gefühl, „daß unser ganzes Leben so sei und ich nur hie und da stückweise darum erfahre", daß also die bestimmte, bedeutsam in Worten ausdrückbare Welt nur wie eine Insel im Chaos des Dunklen, Schweigenden, des Unbestimmbaren schwimmt;391 die inselhaft aus dem
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PDB S. 143 Musil zitiert in anderem Zusammenhang die „ahnungsvolle Unwissenheit" des „Braven Woyzek": „Hörst du, Andres, es geht was?! hohl! alles hohl! ein Schlund! es s c h w a n k t . . . Hörst du, es wandert was mit uns, da unten wandert was mit uns!" — zitiert in einer Rezension von Werfeis „Bocksgesang" in R. M. .Theater' hg. v. M. L. Roth 1965 S. 84. — Musil-Törless kann den dunklen Abgrund nicht in eine jenseits seiner selbst bestehende Welt projizieren. So wie die bedeutsame Welt vermittelt ist durch seine eigenen
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Dunkel der reinen Zuständlichkeit sich erhebende Bestimmtheit, die Welt, ist die Gegenständlichkeit überhaupt. Zu ihr gehört auch die Person, die gesamte psychische Wirklichkeit. Wenn Törless also das dunkle Leben jenseits der Gedanken, s e i n e s nennt, so meint er nicht, daß dieses eingeordnet ist dem bestimmbaren Zusammenhang seiner Person, die etwa als n o c h n i c h t durchaus erkannte gegenübersteht der bekannteren äußeren Natur. Dies „dunkle Leben" ist Grund „aller Dinge, auch der Gedanken".392 Törless selbst nennt die Gedanken sowohl wie die in ihnen gegebenen Erscheinungen D i n g e , d . h . bestimmte Wirklichkeit. ,Dunkel und schweigend' im absoluten Sinn ist das Leben der Grund der Person u n d der äußeren Dinge. Törless' Erlebnisse und seine Interpretation belegen, daß seine Verwirrungen die Konstitution ,beider' Gegenstandssphären betreffen. Und Törless sagt entsprechend: „Ich, — ich meine es nicht wörtlich, — nicht diese Dinge leben, nicht Basini hatte zwei Gesichter, — aber in mir war ein zweites, das dies alles nicht mit den Augen des Verstandes ansah." Dieses „Zweite in ihm" ist das dunkle schweigende Leben. Es ist insofern s e i n , als aus ihm das psychische Ich sich erhebt, das wiederum als Erscheinung die Welt überhaupt enthält. Die Gegenständlichkeit von Psychischem und Physischem ist Produkt s e i n e s Verstandes, das dieser aufbaut auf Grund der an sich selbst fließend unbestimmten Zustandsdaten. Diese wiederum gehören in ihrer fließenden Unendlichkeit, rein als Ansdiauung in das dunkle schweigende Leben der reinen Zuständlichkeit. Und in der Anschaulichkeit des Empfundenen spürte Törless ja vor allem das Geheimnis des Lebens, im Rieseln der hohen Mauer, im „schweigenden Leben des Staubes, das eine Lampe plötzlich erhellt". 393 Wenn er im mathematischen Begriff des Unendlichen und in der Unausdenkbarkeit der Unendlichkeit des Raumes die Grenze der im Denken bestimmbaren Welt spürt, ahnt er den dem Denken entzogenen Grund nur von der Seite des Denkens her. Er ist da am ehesten bereit, einen möglichen Irrtum zuzugeben.394 Wichtiger ist das Erlebnis der Diskontinuität der Person Basinis: „eine plötzliche Veränderung, und der Mensch hat gewechselt . . .".395 Er begreift es als seine eigene Möglichkeit: „diese tiefe Erniedrigung, diese Selbstaufgabe, dieses von den schweren, blassen, giftigen Blättern der Schande Bedecktwerden, das wie ein unkörperliches, fernes Spiegelbild durch seine Träume gezogen war, war nun plötzlich mit
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Gedanken, also seine Welt ist, so ist auch deren dunkler Untergrund „sein Leben". „ . . . ich die Dinge in zweierlei Gestalt sehe. Alle Dinge, auch die Gedanken." (PDB S. 163) PDB S. 143 „Vielleicht habe ich mich mit den irrationalen Zahlen geirrt." (a.a.O.) PDB S. 54
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Basini — geschehen."396 „Es war da; da ließ sich nichts machen; es war Wirklichkeit." 387 Warum hat die Basini-Verfehlung solch eine Bedeutung für Törless, obwohl es heißt: „Was Reiting von sich und Basini erzählte, schien ihm, wenn er sich darüber befragte, ohne Belang zu sein. Ein leichtsinniges Vorgehen und eine feige Schlechtigkeit von Seiten Basinis." Und dodi folgert er daraus: „Dann war aber auch alles andere möglidi. War diese Kammer möglich . . . Dann war es auch möglich, daß von der hellen täglichen Welt, die er bisher allein gekannt hatte, ein Tor zu einer anderen, dumpfen brandenden, leidenschaftlichen nackten, vernichtenden führte." Die Basini-Geschichte hat also außer ihrem Ansehen als „feige Schlechtigkeit" in den Kategorien gewöhnlicher Sitte noch einen anderen bedrohlicheren Aspekt. Aber nicht die Person Basinis rührt Törless, auch nicht eigentlich dies, daß er die Unsicherheit des eigenen Charakters am Beispiel Basinis fürchten lernt, sondern die Sicherheit und Beständigkeit der Person ist ihm Garant für etwas darüber hinaus. Ist sie wirklich zerstört, wie es der Fall ist hier, dann ist „alles andere möglich". Dann ist die lächerliche Phantastik und Heimlichkeit jener Bodenkammer möglich, sagt Törless. Das heißt, der verbindliche Boden tagheller Begriffe und Sitte ist nicht mehr festes Kriterium ihrer Beurteilung. Sie sind nicht mehr lächerliche Fiktionen irrealer Phantastik. Solche Problemstellung ist nur möglich, wenn die Beständigkeit der Person und ihrer Ordnung zusammenfällt mit der Beständigkeit und Ordnung der Welt. Törless sieht die Beständigkeit der Kontingenz des Geschehens preisgegeben, „der Mensch hat gewechselt", das heißt nicht nur, er ist verändert, sondern so viel wie: er ist vertauscht, ist jetzt ein völlig anderer. Dazwischen liegt geradezu der Tod des bisherigen psychischen Zusammenhangs.398 Törless versucht 396 397 398
a.a.O. a.a.O. S. 53 Baumann hat zu diesem Thema schon Mach zitiert (s. G. B. „Robert Musil " S. 83): „,Das Idi ist sowenig absolut beständig als der Körper. Was wir am Tode so sehr fürchten, die Vernichtung der Beständigkeit, das tritt im Leben schon in reichlichem Maße ein.'" — (aus E. Mach „Analyse der Empf." S. 3 f.) — ebenso die parallele Stelle in Musils Tagebüchern: „,Ließe man die künstliche Ich-Kontinuität sich nicht bilden, hätte der Tod keine Schrecken mehr'", (aus Tgb. S. 256) — Baumann bezieht diese „Einsicht" auf ihre geistesgeschichtlichen Parallelen. Er nennt Plutarch und Seneca und bringt Zitate von Montaigne, Lichtenberg, Pascal, Novalis, Rimbaud, Kleist, Proust, Valéry, Hofmannsthal, Husserl, Benn, Schnitzler, R i l k e . . . Dabei geht die sachliche Orientierung dieser „Einsicht" M.s verloren, und sie kann nicht in ihrer Radikalität vollzogen werden, in der sie erst den Dichtungsbegriff M.s ermöglicht. Die sachliche Orientierung dieser Meinung M.s nidit als Meinung, sondern in ihrem erkenntnistheoretischen Zusammenhang macht es unmöglich, zum Beispiel den späteren Husserl als Parallele zu nennen (s. dazu unten), ebensowenig wie Hofmannsthal (s. oben) — oder Kleist, dessen Position im Zusam-
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vergeblich, dem Rätsel dieser Erfahrung nachzukommen. Skeptisch,3"9 aber doch interessiert400 hört er die Erklärung Beinebergs, der von der gleichen Erfahrung ausgeht. „Wir müßten eigentlich längst verzweifelt sein, denn unser Wissen ist auf allen Gebieten von solchen Abgründen durchzogen, nichts wie Bruchstücke, die in einem unergründlichen Ozean treiben. Wir verzweifeln aber nicht, wir fühlen uns dennoch so sicher, wie auf festem Boden. Wenn wir dieses sichere, gewisse Gefühl nicht hätten, würden wir uns aus Verzweiflung über unseren armen Verstand töten. Dieses Gefühl begleitet uns beständig, es hält uns zusammen, es nimmt unseren Verstand in jedem zweiten Augenblick schützend in den Arm wie ein Kind. Sowie wir uns dessen einmal bewußt geworden sind, können wir das Dasein einer Seele nicht mehr leugnen. Sowie wir unser Leben zergliedern und das Unzureichende des Verstandes erkennen, fühlen wir es förmlich. Fühlen es — verstehst Du — denn wenn dies Gefühl nicht wäre, würden wir zusammenklappen wie leere Säcke."401 Beineberg möchte die diskontinuierliche Existenz ü b e r w i n d e n . Er charakterisiert sie, ähnlich wie Törless, wie folgt: „Wenn du dich genau beobachtest, fühlst du es, daß die Seele nicht etwas ist, das in allmählichen Ubergängen seine Farbe wechselt, sondern daß die Gedanken wie Ziffern aus einem schwarzen Loch daraus hervorspringen. Jetzt hast du einen Gedanken oder ein Gefühl, und mit einemmal steht ein anderes da wie aus dem Nichts gesprungen. Wenn du aufmerkst, kannst du sogar zwischen zwei Gedanken den Augenblick spüren, wo alles schwarz ist. Dieser Augenblick ist, — einmal erfaßt — für uns geradezu der Tod. Denn unser Leben ist nichts als Marksteine setzen und von einem zum anderen hüpfen, täglich über tausend Sterbesekunden hinweg."402 Beineberg hofft in der hypnotischen Schau „das Gefühl seines Lebens als eines ruhig Gleitenden in sich zu erwecken,"403 d. h. eines seelenhaften, eigentlichen Lebens. Er will der Seele als einer bestimmbaren Tatsache habhaft werden, indem er Seele und Körper von einander getrennt zeigt. Er hofft auf eine bestimmte empirische Demonstration der Mystikerrede, daß „die Seele . . . den Körper verlasse". Natürlich scheitert das Experimenhang dieses Problems ziemlich exakt von Beineberg wiedergegeben wird, wenn er das bestimmte, vorausgesetzte Selbstgefühl als Garant der Wirklidikeit nennt, das er mit Recht Seele nennt, und dessen empirische Unbeweisbarkeit und Fiktivität er selbst gegen seinen Willen demonstriert. 399 Dies vom Standpunkt des modernen Empirismus, für den das Idi als ein Nicht-Wahrnehmbares metaphysische Fiktion ist. (s. auch Kap. D VI b) 400 Vgl die Frage „Wie willst du es denn eigentlich anpacken, dieser Seele habhaft zu werden?" (PDB S. 123) 401 a.a.O. 402 PDB S. 127 403 a.a.O.
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ment kläglich und mündet in einen Exzeß von Quälerei der enttäuschten Wundererwartung. Törless „hatte im stillen gehofft, daß sich vielleicht doch etwas ereignen werde, das ihn wieder mitten in seinen verlorenen Empfindungskreis versetzen würde. Es war eine törichte Hoffnung, dessen blieb er sich stets bewußt, aber sie hatte ihn doch festgehalten . . . Als Törless im Bette lag, fühlte er: ein Abschluß. Etwas ist vorbei." 404 Das Experiment ist nicht Episode. Es demonstriert ein für allemal die Unmöglichkeit, das Dunkel der reinen Zuständlichkeit a l s d i e s e s s e l b s t b e s t i m m e n zu wollen. Am Beispiel Klages' wurde die Vergeblichkeit dieses Versuches von uns grundsätzlich diskutiert. Das dunkle Leben, das „schwarze Loch", aus dem die die Welt konstituierenden Gedanken „hervorspringen", ist nicht bestimmbar, es ist Nichts, oder besser: das ungegliederte Chaos. Aber dieses Nichts ist der Grund aller Gedanken und in ihm gegebenen Gegenständlichkeit. Dort, wo die selbstbewußte Person Ich sagt, meldet sich in dem Verstummenden die reine Zuständlichkeit. Angst und Wahnsinn sind für Törless die Bildchiffre dieser Verlorenheit. Der Mensch ist in s e i n e m G r u n d e ein nicht Bestimmbares, nicht Seele sondern reine Tatsächlichkeit.
These: Die absolute Subjektivität als reine Zuständlichkeit ist Thema der Dichtung als inkommensurabler Erkenntnis „Der Mensch ist eben nicht nur Intellekt, sondern auch Wille, Gefühl, Unbewußtheit und oft nur T a t s ä c h l i c h k e i t w i e d a s W a n d e r n d e r W o l k e a m H i m m e l . " 4 0 5 Sehen wir von den bestimmteren Gestaltformen der menschlichen Zuständlichkeit ab, und betrachten wir die reine Zuständlichkeit als deren Grund, die in dieser Reinheit selbst nur ein Ausnahmezustand oder eine polare Möglichkeit in den Zuständen vorwaltender Unmittelbarkeit ist,406 so heißt das: Der Mensch ist „wie das Wandern der Wolke am Himmel", nun aber nicht, er ist ein Ding wie die Wolke, von schwankender gegenständlicher Substantialität, die konsistent ist, solange der Gegenstand besteht, und auch darüber hinaus sich der 404 405 4oe
a.a.O. S. 129 Tgb. S. 665 (Sperrung vom Verf.) Hier ist wieder an den oben erläuterten, von uns empiristisch genannten Vorbehalt zu erinnern, der allen Bemerkungen über Musil zugrunde liegen muß: weil die gedankliche Beschreibung und Konstruktion den Tatsachen immer äußerlich bleibt, sind ihre konstruierten Begriffe nur begrifflich abstrakte Fiktionen. Die Tatsächlichkeit als reine Zuständlichkeit gilt also nur als ein gedanklich gesetzter Pol von wirklichen Zuständen, die empirisch zwischen ihm und dem ebenso fiktiv gesetzten Zustand reiner Vermittlung liegen.
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Substantialität der Natur überhaupt einordnet.407 Vielmehr möchte die Metapher über sich hinausweisen, nicht nur die Einordnung des Menschen in das Naturgeschehen behaupten. Ginge es nur um seine Vergänglichkeit' und Wandelbarkeit, könnte sie in jedem Bild der Natur gezeigt werden. In diesem Sinn ließe sich etwa sagen, Wille und Gefühle seien w i e W o l k e n . Darauf kommt es im Kontext der Stelle Musil gar nicht an. Wenn er noch eine Steigerung erstrebt („oft nur Tatsächlichkeit"), dann möchte er mehr sagen. Scheinbar paradox ausgedrückt, der Mensch ist unbestimmter als Naturgegenstände, er ist, mit Nietzsche gesprochen, das „nicht festgestellte Tier". Er ist kontingentes Geschehen, ein Wandern von unaufhörlich wechselnder Gestalt und Auflösung vor einem Hintergrund von reiner Unbestimmbarkeit. Der Gedanke Musils ist nicht leicht zu vollziehen, weil er über die „natürliche Einstellung" der Erfahrung hinausgeht und erkenntnistheoretische oder sogar ontologische Bewußtheit voraussetzt. Er faßt den Menschen nicht als einen Gegenstand unter anderen, sondern als erkenntnistheoretisches Subjekt, also in absoluter Einzigartigkeit. Würde der Mensch verglichen mit einem Naturgegenstand, so würde das in erkenntnistheoretisch bewußtem Sinn bedeuten: er würde verglichen mit dem abstrakt bestimmten Produkt menschlicher Erkenntnis, dem Musil nach den Voraussetzungen seiner philosophischen Bildung unmöglich „Tatsächlichkeit" zugestehen kann. 408 Denn der Naturgegenstand, das ist jeglicher Gegenstand in bestimmtem Sinn, verdankt seine Geltung dem menschlichen Bewußtsein, ist Gegen407
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Diese „Natur" ist in ihrer Fixiertheit selbst konstituiert in der Zuständlichkeit des Menschen. S. etwa C. Stumpf „Zur Einteilung der Wissenschaften." S. 16: „Physische Gegenstände . . . sind weder Erscheinungen . . . noch Erscheinungskomplexe, sondern die aus den Erscheinungen erschlossenen, in räumlich-zeitlichem Verhältnis angeordneten Träger gesetzlicher Veränderungen." Stumpf nennt sie „eine Hypothese, durch welche die Gegenstände der Naturforschung für unsere Erkenntnis geschaffen werden". Dieser Beleg bedeutet für sich noch nicht viel. Der weitere Zusammenhang dieses philosophischen Arguments wird darzustellen sein. Hier muß ein erster Hinweis genügen, um das Verständnis M.s zu belegen.,Erscheinung' meint hier soviel wie ,Phänomen' oder .Tatsache', „ein durch unmittelbare Gegebenheit ausgewiesenes Reales". Was als eine solche Tatsache zu gelten hat, ist in der Philosophie, der Psychologie oder Phänomenologie der Jahrhundertwende kontrovers, nicht aber die Funktion dieses Terminus' als Bezeichnung eines dem philosophischen Nachdenken in irgendeiner, wenn auch verschieden interpretierten Weise, Vorgegebenen. Die Phänomenologie Husserls ist nur einer von vielen divergierenden Versuchen, die vom extremen Positivismus Machs bis zu einer in gewisser Weise Hegel und den klassischen philosophischen Idealismus erneuernden Philosophie etwa Natorps reichen.
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stand nur für ihn, erhebt sich aus den Gegebenheiten seiner Zuständlichkeit kraft der einheitsstiftenden Vermittlung des Denkens. Eignet man sich diesen, eine Erkenntnistheorie begründenden Gedanken an, und anerkennt als vorgegebene, vorerst aller Bestimmung entbehrende Basis aller Gegenständlichkeiten die Tatsächlichkeit menschlicher Zuständlichkeit, so muß man, sofern man sinnvoll mit dem Wort,Mensch* den Inbegriff des Realen, Tatsächlichen meint, jede je von dorther erst zu konstituierende Bestimmtheit im ,Begriff' des Menschen ausschalten. Ist der Mensch der Inbegriff alles Wirklichen, alles andere nur durch ihn, so ist der Mensch Totalität, aber eine noch unbestimmte, von unendlicher Bestimmbarkeit, noch keine durch den Begriff fixierte Totalität als Einheit des Bestimmten. Keine Vorstellung vom Menschen bedeutet ihn in dieser unendlichen Totalität, auch nicht die einer Subjektivität, sofern sie als ein anderes ihrer selbst ein Objekt voraussetzt. Mensch heißt für Musil also nichts anderes als ,Tatsächlichkeit überhaupt'. Unter diesem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt beschreibt also Musil den Menschen als ,Intellekt', ,Willen', ,Gefühl', ,Unbewußtheit', und oft nur Tatsächlichkeit'. Jedem Zustandsmoment in dieser Totalität des Menschen entspricht eine in ihm konstituierte Gegenständlichkeit, deren Bestimmbarkeit in dieser Reihenfolge abnimmt. Der Mensch ist unter anderem auch n u r Tatsächlichkeit, wie zum Beispiel „das Wandern der Wolke am Himmel", sofern dies in seinem reinen Anschauungscharakter, abgesehen von seiner Vergegenständlichung im natürlichen oder wissenschaftlichen Bewußtsein in ihm gegeben ist. Als solches auftauchendes reines Phänomen hat es die unfaßliche Rätselhaftigkeit kontingenten Geschehens, das aller Verstehens- und also Bestimmungsmöglichkeit überlegen bleibt. D e r M e n s c h in d i e s e r u n e n d l i c h e n T o t a l i t ä t s e i n e r erkenntnistheoretisch a b s o l u t e n S u b j e k t i v i t ä t ist das T h e m a der K u n s t und der D i c h t u n g M u s i l s im b e s o n d e r e n . So lautet die These. Den Beleg für diese erst noch zu entfaltende These lieferte die Interpretation des Törlessromans. Denn hier zeigte sich für Musil die Unausweichlichkeit der Wendung „vom Realismus zur Wahrheit" — wie er selbst in der Studie „Theoretisches zu dem Leben eines Dichters" formuliert — „von der Psychologie, die ein realistisches Element ist, zu etwas Ähnlichem und doch von ihr gründlich Verschiedenem, dem ich zunächst keinen Namen geben will." 4 0 9 Als Psychisches ist die erkenntnistheoretische grundlegende Tatsächlichkeit von der Philosophie bezeichnet worden, es ist aber in dieser Bedeutung „gründlich verschieden" von einem Psychischen, das als bestimm409
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ter Gegenstand das Feld einer besonderen Wissenschaft bezeichnet. Dies Psychische ist nur kraft seiner fest begrenzten Bestimmung und nur so wissenschaftlicher Aufschließung fähig. Das Psychische dagegen, das Thema der Dichtung ist, meint die Tatsächlichkeit überhaupt, die alle bestimmbare Wirklichkeit umgreift. Es ist das Psychische, wie es die Erkenntnistheorie als unmittelbare Zuständlichkeit jeder Bestimmung vorgegeben erschließt. Ihm steht kein Physisches oder abstrakt Rationales gegenüber, sondern diese sind wie alle Gegenständlichkeiten jeglichen Bestimmtheitsgrades in jenem fundiert. Setzen wir erst einmal voraus, es sei denkbar, daß diese absolute Tatsächlichkeit selbst Thema der Dichtung werden könne, so ist Dichtung Darstellung der Totalität des Tatsächlichen überhaupt. Sie gibt „Wahrheit" — oder genauer formuliert: Sie ist Wahrheit, in ihr ist die Totalität als Unmittelbarkeit präsent. Denn die Tätsächlichkeit überhaupt in ihrem aller Bestimmung voraufliegenden Ansichsein ist nicht selbst einer Bestimmung fähig, die sie notwendig annehmen müßte, stellte die Dichtung das Darzustellende als ein anderes ihrer selbst schon außerhalb ihrer selbst bestimmt vorgegeben vor, so daß sie dies nur abbildete, spiegelte. Diese ,Spiegelung' ist nicht, wie diese Metapher glauben macht, möglich. Die Abbildung müßte eine theoretische sein, der die Totalität des Abzubildenden in einem unabschließbaren Bestimmungsprozeß nie erreichbares Ziel bleiben müßte. Dichtung gewinnt Totalität nicht wie die Wissenschaft auf diese Weise, daß sie eine als Gegenstand überhaupt gedachte Welt kontinuierlich abschreitet. Sondern in jedem Moment ist in der Dichtung diese Totalität ganz gegenwärtig. Darauf zielt Musils Bemerkung: „vom Realismus zur Wahrheit". Denn der Realismus steht, gerade auch als psychologischer Realismus, unter dem Einfluß rationaler Wissenschaftlichkeit, auch wenn er das nicht weiß und sein Ideal nicht erfüllen kann. Denn er möchte einen in seiner Bestimmtheit als vorgegeben vorausgesetzten Gegenstand darstellen. Das Tatsächliche, das Gegebene, so ließe sich in Musils und Törless' Sinn formulieren, ist aber nicht immer „real", nicht an sich bestimmt, sondern wird dies erst durch die bestimmende Handlung des Bewußtseins. Sie erst leistet die Abgrenzung von Ich und Welt. Der literarische Realismus setzt seinen „Gegenstand" meist in viel enger bestimmter Weise voraus, gerade wenn er sich dessen nicht bewußt ist, weil er etwa in Begriffen aktuell historischer und gesellschaftlicher Selbstverständlichkeit denkt, die gar nicht einmal Gegenstand bewußter theoretischer Reflexion geworden sind. Aber schon der Begriff des Erzählens als Darstellung eines Einzelschicksals macht die .realistische' Voraussetzung, daß Ich und Welt an sich bestimmt bestehen, er kann aus dieser dogmatischen Voraussetzung der „natürlichen Einstellung" des Vorstellens nicht heraus. Am ,Törless' wurde diese dogmatische Voraussetzung des Erzähl-
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begriffs als solche a u f f ä l l i g , weil der ins Auge gefaßte Stoff selbst in dieser Enge seiner formalen Voraussetzung nicht zur Geltung gelangt. Oben wurde dargestellt, wie der ,Törless', selbst nach den Kategorien realistischer Erzählung aufgebaut, Musil sozusagen durch das Selbstbewußtsein der dargestellten Figuren in die Sphäre der Auflösung des Erzählbaren als eines bestimmt Fingierbaren führt. Denn Törless und die anderen Figuren kommen in Situationen, in denen sie die Auflösung der gegen das Andere des Gegenstandes überhaupt abgegrenzten Subjektivität erfahren. Musil erkennt, daß diese Erfahrung die Grenzen von bestimmte Darstellung fingierender Dichtung sprengt. Er kann also im Zusammenhang der oben zitierten Stelle mit Recht feststellen, daß „die Wendung vom Realismus zur Wahrheit" „schon im Törless . . . a n g e d e u t e t " war. 410 Daß Musil in dieser Situation nun aber eine neue Gründungsmöglichkeit für Dichtung und Kunst überhaupt entdecken kann, hängt damit zusammen, daß die Philosophie diese unmittelbare Zuständlichkeit im Begriff der ,Tatsache', des ,Phänomens', der ,Erscheinung' thematisch gemacht hatte. .Phänomen' ist das, was von der inneren Wahrnehmung als unmittelbar gegeben im menschlichen Bewußtsein vorgefunden wird. Auf dem Material dieses Gegebenen konstruiert die Erkenntnistheorie die Möglichkeit der Erkenntnis, wie sie in den Wissenschaften vorliegt, sucht also deren Gegenständlichkeit auf die Gegebenheiten des Bewußtseins zurückzuführen. Darüber herrscht in der Philosophie zu Beginn dieses Jahrhunderts keineswegs Einigkeit, w a s da in der Tat vorfindlich sei, oder, zusammenhängend damit, wie der Charakter dieser unmittelbaren Gegebenheit zu fassen ist. Begrenzt durch diese grundlegende, im weitesten Sinne empiristische erkenntnistheoretische Voraussetzung, werden die verschiedenen Abwandlungen des Verhältnisses von „impression" und „idea", von „Anschauung" und „Begriff", von „Unmittelbarkeit" und „Vermittlung" durchgeführt, wie sie in der philosophischen Tradition von Hume bis Hegel sich anzubieten schienen. Einigkeit herrschte aber eben darin, daß Ausgangspunkt aller Erkenntnistheorie die „Tatsachen selbst" bilden, die, der Theorie vorgegeben, bestehen. Diese Tatsachen behaupten ihre Geltung auf Grund der unmittelbaren Wahrnehmbarkeit im menschlichen Bewußtsein. Dieses Bewußtsein, der ,Strom des Erlebens' im menschlichen Subjekt, die Gegebenheiten dieser Erfahrungstotalität, sind der Boden der Philosophie, ohne daß von dieser Tatsächlichkeit irgendeine vorhergegebene Bestimmung möglich ist, denn diese ist ja allererst als aus jener konstituiert zu gewinnen. D a diese 410
a.a.O. (Sperrung vom Verf.)
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Tatsächlichkeit zusammenfällt mit dem Erlebnisstrom, kann sie auch unter dem Stichwort „Leben" genannt werden. Sie behält auch unter diesem Namen die Unverfügbarkeit und faktische Totalität, die aller Bestimmung vorherliegt. Das Beispiel Diltheys macht deutlich, woher dieser Begriff des Lebens, der Tatsächlichkeit in der Philosophie Eingang fand, die ja als Empirismus die Kontinuität zur idealistischen Philosophie verloren hatte; nämlich aus dem Rückgriff auf die d i c h t e r i s c h e T r a d i t i o n , die sich g e g e n den abstrakten Rationalismus naturwissenschaftlicher Dogmatik, und n e b e n ihr, behauptete, die also im philosophischen Bewußtsein audi ihre Würdigung verlangte. Das heißt aber nun in unserem Zusammenhang, daß der Totalitätscharakter der Dichtung, den Musil unter dem Gesichtspunkt radikaler erkenntnistheoretischer Bewußtheit wiedergewinnt, durchaus nicht neu ist. E r leitete, zumindest seit der Goethezeit, die dichterische Produktion und ist, wenn auch nicht in dieser Radikalität, auch in der Theorie der Dichtung bewußt geworden. „Daß die Größe eines Dichters über allen Graden liegt und immer eine absolute ist", — „daß das Wesen wahrer Dichtung immer ein maßloses ist", 4 1 1 hat das Beispiel der klassischen deutschen Dichtung etwa immer lehren können. Doch wurde dies, im Banne eines realistischen Nachahmungsbegriffes in der Theorie oft nur ungenau als ihr religiöser, tragischer oder irrationaler Aspekt anerkannt. 412 Musil selbst beruft sich auf diesen Begriff der Dichtung, in dem die Tendenz auf ästhetische Totalität verkürzt wird dadurch, daß Dichtung zugleich als Ausdrude „von einer besonderen Gattung Mensch" genommen wird. Nicht zufällig läßt sich in folgender ,Beschreibung des Dichters' auch ein wesentliches Moment der Dichtung der Goethezeit wiedererkennen. Musil stellt sie seiner „Skizze der Erkenntnis des Dichters" voran: „Man könnte ihn beschreiben als den Menschen, dem die rettungslose Einsamkeit des Ich in der Welt und zwischen den Menschen am stärksten zu Bewußtsein kommt. Als den Empfindlichen, für den nie Recht gesprochen zu werden vermag. Dessen Gemüt auf die imponderablen Gründe viel mehr reagiert als auf gewichtige. Der die Charaktere verabscheut, mit jener furchtsamen Überlegenheit, die ein Kind vor den ein halbes Menschenalter früher sterbenden Erwachsenen voraus hat. Der noch in der Freundschaft und in der Liebe den Hauch von Antipathie empfindet, der jedes Wesen von den andern fernhält, und das schmerzlich-nichtige Geheimnis der Individualität ausmacht. Der selbst seine eigenen Ideale zu hassen vermag, weil sie ihm nicht als die Ziele, sondern als die Verwesungs411 412
So M. im Nachwort zur Rilkerede Tgb. S. 897 Hier ist abzusehen von modernen Ansätzen, die Dichtung als ,weltstiftend' anzuerkennen, die selbst auf phänomenologische Einflüsse zurückweisen.
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Produkte seines Idealismus erscheinen."413 Werther und Michael Kohlhaas, Jean Paul oder Clemens Brentano, das Wesen der romantischen Ironie und die Langeweile William Lovells werden von diesen Umschreibungen erstaunlich präzis getroffen; 414 und dies darum so allgemein, weil diese Einzelbeispiele dichterischer Erfahrung offenbar aus der Perspektive eines zugrunde liegenden allgemeinen erkenntnistheoretischen Begriffs formuliert sind. „Dies sind nur einzelne Beispiele und Einzelbeispiele. Ihnen allen entspricht aber, oder vielmehr liegt zugrunde, eine bestimmte Erkenntnishaltung und Erkenntniserfahrung, wie auch die dieser entsprechende Objektwelt." Der Schritt von dem Einzelbeispiel dichterischer Erfahrung zum erkenntnistheoretischen Begriff des zugrunde liegenden Sachverhalts, ist das Wichtige bei Musil. Der einzelnen Erfahrung liegt, obwohl sie natürlich an diesem Sachverhalt partizipiert, eine erkenntnistheoretische Bewußtheit dieses Sachverhalts durchaus nicht immer zugrunde. Sie kann darum den Zusammenhang und den sachlichen Sinn ihrer Erfahrung theoretisch verfehlen. Das oben genauer dargestellte Beispiel Hofmannsthals führte einen solchen Fall vor, daß die dichterische Erfahrung im Zustand vorwaltender Unmittelbarkeit, obwohl sonst noch vielfältig genuin d i c h t e r i s c h wirksam, doch durch die theoretische Auslegung im letzten Sinn wieder verschüttet wird. Sie sucht in der rationalen Dogmatisierung des Ich eine sinnlose Sicherung und verhindert die Ausbildung eines kritisch gereinigten Dichtungsbegriffs; sie verfälscht die unvergleichliche Aufgabe, wie sie „die Struktur der Welt" dem Dichter stellt. Eine undeutliche Ahnung der gegenüber der Rationalität der Wissenschaft völlig eigentümlichen Aufgabe der Dichtung eignet fast aller dich413 414
Tgb. S. 781 Am deutlichsten hat die Forschung diesen Zusammenhang bisher im Falle Kleists formuliert. Wahrheit ist die Wahrhaftigkeit des seiner selbst unmittelbar gewissen Ich, das in der ,Welt' der Vermittlungen nicht zur Ruhe kommt, es sei denn, in einer märchenhaft-magischen Eingeweihtheit in ein anderes Ich, welche Gemeinschaft aber auch nur außerhalb der Welt der Vermittlungen sich darstellen kann, im Tod oder in der Märchenlegende. Dies ist die dichterische Erfahrung, die Kleist in verschieden fingierten Schicksalsbeispielen vorführt. In diesem Sinn ist Kleists Dichtung, wie der „Werther", differenziert maskiertes .Bekenntnis' und .Klage'. Die Erfahrung wird nicht in ihrer Selbstverständlichkeit angenommen und ontologisch reflektiert. So genügt die Struktur der Dichtung dieser Erfahrung selbst nicht, denn ein Ich wird als seiend bestimmtes mit bestimmter Geschichte vorgeführt. Nur an seiner Leidenschaft für den Tod läßt sich seine Erfahrung der Unmittelbarkeit ahnen. Die Unmittelbarkeit kommt nur als wiederum fixierte Negation des bestimmten Schicksals zur Geltung, sie wird nicht integriertes Moment der dichterischen Struktur. (Vgl. dazu den analogen Fall Hofmannsthals)
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terischen Besinnung seit der Jahrhundertwende. 415 Aber es mangelt an kritischer Radikalität, dem Anspruch der Totalität, der überall erfahren wird, in jeder Hinsicht zu genügen. Die dichterische „Eingeweihtheit in das Leben" wird als das unaufschließbare, in jeder Hinsicht individuelle Geheimnis dieser und jener Erfahrung hingenommen. Musil polemisiert immer wieder dagegen,416 daß man über den Sinn dieser geheimnisvollen Eingeweihtheit im unklaren bleibt, und dies tut Musil darum, weil er den dieser Berufung zugrunde liegenden Sachverhalt anerkennt. Er möchte ihn erkenntnistheoretisch reinigen von seinen ideologischen, pseudomythischen Umkleidungen, in denen sich gerade eine unüberwundene Rationalität behauptet. Auf diesem Wege radikalisiert Musil auch die in der klassischen deutschen Dichtung der Goethezeit überlieferte Einsicht in das Wesen dichterischer Erfahrung, 417 sofern sie das Moment der Unmittelbarkeit betrifft, und zwar genau in dem Maß, wie er das Einzelbeispiel dieser Erfahrung in seiner über-allgemeinen erkenntnistheoretischen Verbindlichkeit versteht. Die dichterische Erfahrung soll ihrer selbst kritisch bewußt werden, gerade zu dem Zweck, daß sie die Totalität ihrer Aufgabe erreiche und erhalte und nicht im vermeintlichen Geheimnis ein bestimmtes rationales Interesse verfolge. Es ist darum auch in der Beschäftigung mit Literatur üblich, ,wahrer Dichtung' die Totalität der Unmittelbarkeit zuzusprechen, obwohl die literaturwissenschaftliche und kritische Forschung in jedem Fall methodisch nur auf eine abstrakte Bestimmung der Dichtung eingestellt ist, nur unter Voraussetzung eines klaren oder verworrenen, auf jeden Fall bestimmt vorgestellten Begriffs die Dichtung interpretieren kann. Die hier angedeutete Totalität selbst liegt außerhalb des Horizonts wissenschaftlicher Betrachtung und wird allenfalls dem vorangehenden individuellen, 415
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Beispiele dafür erübrigen sich, weil diesem Einfluß der Zeit sich keiner — und gerade die Literaturwissenschaft nidit — hat entziehen können, obwohl sie davon nichts weiß und einen Standpunkt gewinnt, der sich in der Auslegung historischer Tradition zu bestimmen meint. — Am deutlichsten ist etwa bei Valéry der Versuch, von der Unmittelbarkeit her Literatur zu begründen, wenn er auch der Dogmatisierung nicht entgeht, so daß er eine Parallele zu Klages und Hofmannsthal bildet. So vor allem, wenn er gegen den unbedachten Gebrauch der Wörter „Intuition" (etwa Tgb. S. 661), „Originalität" (etwa Tgb. S. 702) oder „Seele" usw. sich wendet. Hier ist davon abzusehen, ob Musil dem idealistischen Begriff von Dichtung gerecht wird. Davon kann auf dem Boden einer Philosophie, die von den Phänomenen ausgeht, und sie als bestimmte meint, die den reinen Begriff des Seins theoretisch nicht zu denken vermag, in keinem Fall die Rede sein. Das hindert aber nicht, daß sie ein wesentliches Moment jenes Dichtungsbegriffes reiner würdigt als irgendeine anthropologische Theorie, die idealistisch-philosophische Begriffe durch ihre Anthropologisierung verfälscht.
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die Wahl des zu Interpretierenden bestimmenden Begriff des Klassischen spürbar, oder in d e m Vorbehalt, in der Interpretation einer solchen klassischen Dichtung nur eine v o n unendlich vielen möglichen Ansichten dargestellt zu haben. D a s Dichterische selbst geht nicht auf in der wissenschaftlichen Bestimmung. D a r u m muß seine Wahrheit verborgen bleiben. D a s ist eine notwendige Eingeschränktheit der Wissenschaft, sie k a n n nidit über sie hinaus, aber sie k a n n des e x a k t e n Sinnes dieser Einschränkung bewußt werden. Sie k a n n den Sinn des Totalitätsanspruches verstehen, und so allein b e w a h r t sie die Eigentümlichkeit ihres Gegenstandes, der Dichtung. 4 1 8
418
Die Literaturwissenschaft hat auf diese Problematik, daß sie als Wissenschaft ihren Gegenstand bestimmen muß, und so die Totalität der Dichtung verfehlt, in verschiedener Weise reagiert. Es ließe sich eine Geschichte der Literaturtheorie unter dem Gesichtspunkt konzipieren, wie sie je dieses Dilemma entscheidet. Es besteht die Tendenz, etwa, die einfädle Feststellung zu vermeiden, Literaturwissenschaft sei Wissensdiaft von der Literatur bzw. Dichtung. Wohl gerade deswegen, weil man den paradoxen Anspruch darin erkennt, eine ,Wissenschaft der Totalität' zu sein. Man überläßt den mannigfaltigen kulturtheoretischen Disziplinen den Gegenstand Literatur und begreift die Literaturwissenschaft als ein Sammelbecken aller in ihrer Weise berechtigten Ansichten. Doch mit dieser Toleranz ist der wahrhaften Totalität der Dichtung kein Raum gegeben. Wenn der Literaturwissenschaftler sich eines Verständnisses dieses Totalitätscharakters entzieht, geht die Anerkennung der Totalität im Streit der einander ausschließenden begrifflichen Bestimmungen verloren. Der einseitige begriffliche Bestimmungswille versteht nicht mehr, warum ihm die Dichtung verborgen bleiben muß, weil die Grenze des wissenschaftlichen Verstehens ihm nicht auffällig wird. — Eine andere seit den lebensphilosophischen Strömungen der Jahrhundertwende geläufige Reaktion betrifft die deutsche Literaturwissenschaft, ihre Krise und methodische Unsicherheit in gefährlicherer Weise. Sie verzichtet, dem Anspruch nach, im Dienste an der Totalität von Dichtung auf ihren Wissenschaftsanspruch völlig. Damit verliert sie aber auch ihre verfizierbare Rückbeziehung auf den jeweiligen historischen Gegenstand völlig. Sie stellt damit den Anspruch, eigenständige Kunst zu sein, ihre Totalität in sich selbst zu haben. Sie steht damit ganz außerhalb wissenschaftlicher Forderungen, ein wissenschaftlicher Streit ist sinnlos und ebenso die ideale Verbindlichkeit in einem möglichen Konsens der Begriffe. Stattdessen steht sie unter der Forderung, ihre eigene Totalität an sich selbst zu erweisen, wirklich Dichtung zu sein. Das gelingt ihr selten, weil sie zugleich der Wissenschaft entnommene Ziele auch leisten will, unter anderem, über einen historischen Gegenstand Verbindliches auszusagen. Es entsteht eine phantastische Rationalität, phantastisch-willkürliche und ungenau bestimmte Vorstellungen werden in den Rang von Begriffen erhoben. So wird beides verfehlt, die rationale Verbindlichkeit der Wissenschaft und die ontologische Verbindlichkeit in der ästhetischen Totalität von Dichtung. Wir verdanken Musil die Erkenntnis dieses unsere Epoche bestimmenden geistigen Eklektizismus und seine Kritik, die in gewisser Weise den stofflichen Anlaß seiner Dichtung und Essayistik darstellen.
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In dem zitierten Essay „Skizze der Erkenntnis des Dichters" geht Musil von Einzelerfahrungen aus und hofft, aus ihnen die einzigartige Aufgabe und Bedeutung der Dichtung, Totalität zu geben, zu gewinnen. Ein solches Verfahren ist ein erkenntnistheoretisches in dem Sinn, daß von vorgegebener faktischer Erfahrung ausgegangen wird, um aus ihr die Momente zu gewinnen, die sie konstituieren, so daß sie sich aus diesen Momenten theoretisch vollständig konstruieren läßt. Aber von welchen Beispielen menschlicher Erfahrung geht Musil aus? Und wie kann Musil von diesen Einzelerfahrungen aus, einen Begriff von der Totalität in der Dichtung gewinnen? Allerdings nur auf eine Art, so daß in gewisser Weise die erkenntnistheoretische Methode schon die Fassung des Dichtungsbegriffes jenseits aller Vermittlung enthält. Musil sagt also: Die Erfahrung des dichterischen Menschen besteht etwa in dem Bewußtsein von „der rettungslosen Einsamkeit des Ich in der Welt und zwischen den Menschen". Dies ist eine g ü l t i g e Erfahrung, sie kommt dem dichterischen Menschen nur ,am stärksten zu Bewußtsein'. Nicht von einem zufälligen Geschick, einer Veranlagung bestimmter Menschen soll hier gesprochen werden. Es soll der Dichter nicht c h a r a k t e r i s i e r t werden, als ob er Freundschaft und Liebe nicht kenne, wohl aber ist er mit besonderer Aufmerksamkeit für die Eigenart der Tatsächlichkeit ausgestattet, daß er in der Freundschaft und in der Liebe „den Hauch von Antipathie empfindet, der j e d e s Wesen von den andern fernhält". Er ist der, dessen Aufmerksamkeit auf das Schicksal geistig objektivierender Bestimmung des Menschen achtet: „Der selbst seine eigenen Ideale zu hassen vermag, weil sie ihm nicht als die Ziele, sondern als die Verwesungsprodukte seines Idealismus erscheinen." Das heißt nicht, daß er darum die Notwendigkeit geistig objektivierender Selbstbestimmung nicht anerkennt. Aber er bemerkt ihre V e r gänglichkeit', und nichts anderes als dieses Bemerken ist die Distanz gegen die eigene geistige Objektivation, der „Haß gegen die eigenen Ideale". Er ist darum auch selbst bestimmt, ist Charakter, aber er verabscheut die Charaktere, mit der „furchtsamen Überlegenheit des Kindes", „die ein Kind vor den ein halbes Menschenalter früher sterbenden Erwachsenen voraushat", denn er spürt, wie das Kind, in der bestimmt wirkenden Kraft und Macht des Erwachsenen, des Charakters, Tod und Erstarrung sich befestigen. Das Gemeinsame dieser „Einzelbeispiele" ist, daß der Dichter „auf die Ausnahmen achtet",419 daß er bemerkt, wo die Tatsachen sich den Bestimmungen des Geistes nicht fügen. Es erhält sich in ihm die Bestimmungslosigkeit des Kindes, das in der gegenstandslosen Leere und in der Anschauung der unendlichen Fülle der Unmittelbarkeit lebt. In dieser 419
Tgb. S. 784
10 Sdiaffnit
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Distanz gegen alle Bestimmung erfährt der Mensch „die Einsamkeit des Ich in der Welt und zwischen den Menschen", die „rettungslos" ist, weil nur auf dem Wege der Teilhabe an der Bestimmtheit der Mensch in der Welt, unter den Menschen und für sich selbst bestimmt ist, d. h. etwas ist. Wenn aber diese Bestimmung im letzten nie vollständig gelingt, und in dem Maße, wie sie nicht gelingt, bleibt das Ich in seiner Einsamkeit rettungslos.420 Bewußtsein der Einsamkeit und ,Achten auf die Ausnahme' umschreiben also die gleiche Erfahrung, die sich ebenso sehr in den anderen Beispielen geltend macht, in der Empfindlichkeit für die Abstraktheit der Rechtsbestimmung und, das heißt zugleich, jeglicher in der Gesellschaft ermöglichter bestimmter Schicksalsfindung. Kohlhaas wird nur durch das märchenhaft göttliche Wunder im Tod zufrieden gestellt, das heißt also, nie. Die gleiche Erfahrung spricht sich aus in der Aufmerksamkeit für die imponderablen Gründe, deren Anspruch umfassender ist als der durdi bestimmte Vermittlung gewichtig geglaubte. Immer ist es also die durch keine Bestimmung erreichbare Unendlichkeit des Tatsächlichen, die in den Einzelbeispielen dieser Erfahrung zur Geltung kommt. Dieses Bewußtsein für die Grenze der Bestimmtheit ist die einzige Erfahrung, die a l l e n Erfahrungen des Menschen zugrunde liegt. Ihre Geltung reicht weiter als die Allgemeinheit des Begriffs. Hier also bietet sich für Musil, von der Einzelerfahrung ausgehend, erkenntnistheoretisch die Ahnung einer Totalität, die eben darum aber auch sich der Bestimmung entzieht. Dennoch ist diese Totalität aber doch i n der Erfahrung des Menschen irgendwie ,gegeben', und zwar v o r ihrer Bestimmung. Sie macht sich in den gegebenen Einzelbeispielen dichterischer Erfahrung geltend. Was heißt das? Ihre behauptete allgemeine Geltung i n jeglicher Erfahrung ergibt sich nicht aus einem Begriff höchster Allgemeinheit. Vor und jenseits aller Bestimmung muß in der Erfahrung diese Grenze der Bestimmung überhaupt auffällig werden. Diese Erfahrung ist kein Wissen. Wenn sie in bestimmter Form ausgedrückt wird, so w e i s t die Formulierung auf einen Sachverhalt, der jenseits dieser seiner vermeintlichen Bestimmtheit liegt. Drückt sich die Erfahrung in der Formel aus, daß sie das Bewußtsein der rettungs420
Hierauf beruht das Interesse Musils an den ,Ausnahmefällen' der verbrecherischen' und ,kranken' Menschen, die ihm ein erkenntnistheoretisches Problem stellen. Die Sonderbarkeit ihrer inneren Tatsachentotalität verhindert die Ausbildung einer vermittelten Objektivität oder einer sittlichen Wertwelt. Ausdrücklich behandelt M. den Verbrecher als den .Einsamen' in erkenntnistheoretischer Bedeutung schon in „Die Vollendung der Liebe": s. das Gespräch der Ehegatten (PDB S. 163), das an einen pathologischen Fall anknüpft und das auf den Satz führt: „Ist nicht jedes Gehirn etwas Einsames und Alleiniges." Im Roman erscheinen dann Moosbrugger und Ciarisse als die äußersten Pole erkenntnistheoretischer Situation des Menschen.
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losen Einsamkeit des Ich in der Welt und zwischen den Menschen ist — ist außerdem verstanden, daß diese Einsamkeit einen erkenntnistheoretischen Grund hat und darum rettungslos ist und also nicht eine unableitbare schicksalhafte Zufälligkeit bedeutet, — so ergibt sich, daß dieses Ich nicht eine Bestimmtheit meinen kann. Die „Einsamkeit des Ich" ist, erkenntnistheoretisch verstanden, eben seine Unerreichbarkeit für jegliche Objektivierung. Und dies gilt nur für die reine Tatsächlichkeit selbst. Aber warum spricht Musil dann von einem Für-sich-bleiben des I c h , von einer „Einsamkeit des Ich"? Weil diese Ahnung der Tatsächlichkeit nur in der menschlichen Erfahrung, nur i n der Subjektivität des Ich stattfindet*. Wenn damit aber trotzdem keine Bestimmung der Tatsache selbst gegeben sein soll, heißt das, daß dieses Ich eine Subjektivität der Tatsächlichkeit selbst meint, die absolut ist und ebenso jeder Bestimmung vorhergeht. Nur aus der absoluten Subjektivität ist es erklärlich, daß diese reine Tatsächlichkeit in einer rettungslosen, d. h. absoluten Einsamkeit des Ich erfahren werden kann. Um Musils erkenntnistheoretisch reflektierten Dichtungsbegriff zu verstehen, muß dieser ,Begriff' der erkenntnistheoretischen Subjektivität in seiner Reinheit, in seiner Absolutheit g e d a c h t werden. Das Gegebene, aller Bestimmung Vorauf- und Zugrunde-liegende ist die reine Tatsächlichkeit; sie ist nur als menschliche Subjektivität gegeben, weil nur erschließbar als Grund und Grenze ihrer Bestimmungstätigkeit. Für den Begriff dieser Subjektivität ergeben sich folgende Forderungen: als jeglicher Bestimmung vorhergehend ist sie absolut, d. h. sie ist Totalität als unmittelbare, dem Denken unauflösliche Unbestimmbarkeit. Diese Subjektivität ist Thema der Dichtung. Der erkenntnistheoretisch absolute Charakter dieser Subjektivität erklärt die „inkommensurable" Bedeutung der Dichtung, ihre jeglicher Psychologie und Anthropologie überlegene W a h r h e i t . Diese Bedeutung hat Dichtung zwar immer, sie wird aber erst auffällig, wenn sie in ihrer Struktur dem Anspruch dieser absoluten Subjektivität d u r c h a u s genügt. Dazu ist allererst notwendig, daß der Begriff dieser absoluten Subjektivität wirklich so gedacht wird, wie er aller Bestimmtheit vorauf liegt und nicht durch irgendeinen bestimmten psychologischen oder anthropologischen Ichbegriff ersetzbar ist, der diese erkenntnistheoretische Legitimation nidit besitzt. Würde das geschehen, so hätte Dichtung ihre unvergleichliche Bedeutung verloren, an ihre Stelle tritt eine Anthropologie bestimmten dogmatischen Anspruchs, der sich aus der mehr oder weniger begründeten Bedeutung ihres Grundbegriffs ergibt. Zu solch einem wissenschaftlichen Begriff vom Menschen, mag er sich .philosophisch' ausgeben, steht aber der Anspruch der absoluten Subjektivität in absolut polemischem Gegensatz. Der Anspruch der absoluten Subjektivität wird von keinem anthropologischen 10*
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Begriff erfüllt, eben weil alle Anthropologie von einem bestimmten Begriff des Menschen ausgeht, der durch die absolute Subjektivität als Unmittelbarkeit in Frage gestellt ist, deren erfahrene unmittelbare Totalität die abstrakte Begrenztheit jeder begrifflichen Bestimmung spürbar macht. Der Mensch ist nicht ein Seiendes unter anderen, sondern als absolute Subjektivität schlechthin ausgezeichnet. Er ist die Totalität der unendlichen Tatsächlichkeit selbst, wie er die auf sie sich beziehende bestimmende Tätigkeit ist. In dieser doppelten Hinsicht ist der Mensch das Wesen, das seiner Bestimmtheit als Seiendes vorhergeht, das sich also, als es selbst, begrifflicher Bestimmung entzieht. Der Dichtung gelingt es also nur dann, dem Anspruch der ausgezeichneten Stellung des Menschen völlig zu genügen, wenn sie sich dem Zugriff bestimmt vorstellender Anthropologie entzieht und dem Anspruch der absoluten Subjektivität sich stellt. So gibt sie Wahrheit, wie es Musil nannte, d. h. erfüllt sie den von Anthropologie und Psychologie prinzipiell nicht zu leistenden Anspruch, Anschauung der Totalität zu geben. In dem Maße wie die Philosophie nach Hegel den Anspruch aufgegeben hat, die Totalität zu d e n k e n , ist dieser Wahrheitsanspruch solcher Dichtung unvergleichbar und einzigartig. Aber diese Einzigartigkeit des Anspruchs macht ihn nicht leicht verständlich. Das bedeutet, daß die Literatur entweder gar nicht solchem Anspruch genügen will oder in diesem Anspruch gar nicht verstanden wird. Wie können wir uns aber des alle Anthropologie konkurrenzierenden Verständnisses dieser absoluten Subjektivität versichern? Wie läßt sich erweisen, daß Musil nicht diesen Anspruch der Dichtung als Kunst nur behauptet, daß er nicht leere Meinung ist? Wie läßt sich dieser Begriff von Dichtung b e w e i s e n ( ! ) ? Insofern Musil von der Dichtung Wahrheit fordert, k o m m t a l l e s d a r a u f an, daß sich dieser W a h r h e i t s a n s p r u c h erweisen läßt. E i n e T h e o r i e , die d a r a u f v e r z i c h t e t , die a l s o nur im Meinungsbereich gelten will, wird schon durch ihre widerspruchsfreie B e h a u p t u n g und E n t f a l t u n g legitimiert. Aber Musil möchte ja die Dichtung als Meinung kritisieren. Was gibt ihm dazu die Legitimation? Das erkenntnistheoretische Argument muß wirklich in die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis eindringen, es kann nicht nur, wie bei Klages etwa, eine dichterische Art von Erkenntnis behaupten. Dieser Nachweis ist also bestimmter Theorie nicht zugänglich. Er wird vielmehr diese auf ein ontologisches Argument hin hinterfragen müssen. Musil selbst gibt diese ontologische Ausweisung nicht. Aber seine empiristischen Hinweise können, seinem Anspruch in dieser Richtung nachzudenken, empfehlen. Die Frage geht dahin, läßt sich die Subjektivität als reine Tatsächlich-
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keit und Unbestimmtheit denken? Und wie vermag sie so Dichtung als Kunst zu orientieren? Wie ist Kunst dann zu verstehen? Diese Fragen werden Gegenstand der folgenden Erörterungen sein. Wir nehmen dabei den Ausgang von Musils eigener Diskussion des Ichbegriffs, wie er im Zusammenhang steht mit dem Empirismus seiner Zeit, von Brentano bis Nietzsche, Mach und Stumpf. Da wir bei diesen zeitgenössischen Philosophen und ihrem Positivismus nirgends den ontologischen Horizont des Ichbegriffs ausdrücklich thematisiert finden, gehen wir zurück auf den ursprünglichen kritischen Empirismus Humes und suchen von dort her das ontologische Argument für Musils Ichbegriff in der kritischen Gegenüberstellung zur Kritik des Empirismus in Husserls ,Logischen Untersuchungen'.
VI. Die ontologische Ausweisung des Begriffes der absoluten Subjektivität als reiner Zuständlicbkeit aus dem empiristischen Argument a) Das Ich als Problem Musils eigene theoretische Diskussion des Ichbegriffs entspricht der Verwendung des Ichbegriffs im Empirismus seiner Zeit. Der Terminus Ich taucht hier nur auf in der Kritik einer dogmatisierenden Metaphysik, um den widersprüchlichen Gedanken einer vermeintlich ursprünglich gegebenen seienden Einheit zu formulieren. Dieses Ich ist eine Fiktion. Doch wird zu zeigen sein, daß in einem nach Kant erneuerten Empirismus die durchdachte ontologische Fassung des Ichbegriffs durch den deutschen Idealismus problematische Aufgabe bleibt. Denn einerseits nimmt Kants Kritik der rationalen Seelenlehre selbst die empiristische Kritik des dogmatisierten Ichbegriffs auf, andererseits erschließt der Gedanke der transzendentalen Subjektivität einen ganz neuen Horizont für die Frage nach dem Ich. Fragt das Denken jetzt nach dem Menschen als Totalität, so kann es nicht wie zur Zeit Humes bei der bestimmten Mannigfaltigkeit des Seienden, der Gegenstände als solcher, stehen bleiben. Auch als Erkenntnistheorie muß es die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis, die Frage danach, was der ,Gegenstand' als Grenze der Erkenntnis sei, annehmen, gerade dann, wenn es den Fiktionen der dogmatischen Metaphysik kritisch entgegentreten möchte. Beide Fragen: ,Was ist der Gegenstand?' und ,Was ist Erkenntnis des Gegenstandes?' — führen die Philosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die bisher noch durchgängig von der selbstverständlichen, schlichten Anerkennung des in der Erfahrung Gegebenen ausgehen
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will, zu dem Gedanken der absoluten Subjektivität, gerade darum, weil sie nur von hier aus die Ansprüche eines dogmatischen Subjekt- und Objektbegriffes legitim bestreiten kann. Die Grenze dessen, was Gegenstand überhaupt ist, muß gedacht, und damit zugleich die Begründung des Erkennens gesucht werden. Das Jenseits des Gegenstandes läßt sich in zweifacher Weise denken, indem einerseits nach der Einheit des Gegenstandes als gedachtem, bestimmtem gefragt wird, und indem andererseits danach gefragt wird, was als in solcher Einheit geeint vorgegeben ist. Insofern sowohl die Einheit des „Ich denke" als auch die „reine Tatsächlichkeit" dem Gegenstand, wenn auch in verschiedenem Sinn, vorhergehen', ein absolut Nichtgegenständliches meinen, lassen sich beide Momente als Momente der absoluten Subjektivität verstehen, das heißt als die innersten Momente des Menschen, verstanden als Totalität des Seienden. 421 Hegel hatte die Einheit dieser Momente als dialektische Einheit im Begriff gedacht. In der Philosophie des ausgehenden 19. Jahrhunderts werden diese Momente je für sich selbst zum System bildenden Prinzip genommen. Die Lebensphilosophie im weitesten Sinne versteht die absolute Subjektivität rein als Unmittelbarkeit, die transzendentale Phänomenologie Husserls möchte die absolute Subjektivität des „Ich denke" als bestimmte „beschreiben". Die Lebensphilosophie kann, wie wir am Beispiel Klages' zeigten, die Bestimmtheit nicht ausschalten, die platonisierende Phänomenologie Husserls wird dem Moment des Unmittelbaren nicht gerecht, wenn sie etwa eine reine Beschreibung des sinnlich Gegebenen auch in seiner Unmittelbarkeit für möglich hält, weil sie nicht dieses sondern nur einen in der Einheitsform des „Ich denke" bestimmten „Akt" vor Augen hat. Reine Anschauung ist aber nicht bestimmter Akt. Die Isolierung der Momente zum je System bildenden Prinzip kann nur darum möglich scheinen, weil die im weitesten Sinn empirische Haltung ( — Philosophie ist von einem so oder so vorgestellten universalen T a t sachengebiet getrennte nachträgliche theoretische Beschreibung —) von vornherein die Unabschließbarkeit des Systems angesichts der nie einzuholenden Unendlichkeit der Tatsachen voraussetzt. So bleibt das jeweils nicht berücksichtigte Moment doch stillschweigend wirksam, auch wenn die philosophische Reflexion es nicht ausdrücklich beachtet, was sie zur Anerkennung des Widerspruchs zwingen würde. Es ist hier nicht der Ort, der verschiedenen Versuche zu gedenken, die Einheit der Momente in der absoluten Subjektivität in irgendeiner 421
Musil wird selbst auf diesen doppelten Aspekt der Subjektivität geführt. E r unterscheidet: das „Ich des Cartesius" und „das Idi, von dem die Mystiker sprechen". Jenes „ist der letzte feste Punkt im erkenntniskritischen Gedankengange, es ist die gewisse augenblickliche Einheit." „Das erstere ist das Gewisseste, das letztere das Ungewisseste." (Tgb. S. 82)
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Form wiederum zu erreichen, die Hegel als dialektische Einheit gedacht hatte.422 Musil bleibt mit der Trennung von „ratioidem" und „nichtratioidem" Denken vor der Schwelle solcher philosophischen Einigungsversuche, die für ihn auch durchaus nicht notwendig erscheinen mußten, weil er in der geschilderten Weise erkenntnistheoretisch oder empiristisch im weitesten Sinn eingestellt blieb. Die als faktisch bestehend vorausgesetzte Erkenntnis beschreibt er nachträglich theoretisch, nach ihren extremen Momenten polarisiert. Jede Erkenntnis ist sowohl „ratioid" als „nichtratioid", der Gegensatz von Bestimmtheit und Unbestimmtheit bedarf keiner ontologischen Vermittlung, weil der Widerspruch als Faktum in jedem Akt des Erkennens als sein Nicht-zum-Ziel-kommen hingenommen wird. Nach dem Sinn des Widerspruchs kann nicht gefragt werden, eine solche absolute Erkenntnis würde eine Abgeschlossenheit des Denkens bedeuten, die nicht erwartet wird. Darum ist aber auch der ontologische Wahrheitsbegriff als reine Vermittlung überflüssig. Wahrheit ist entweder abstrakt, unvollständig, im ratioiden Gebiet, oder Wahrheit bedeutet nur die Totalität des Unmittelbaren, also Wahrhaftigkeit des Subjekts bis in seine völlige Aufgelöstheit. Sie ist Thema der Dichtung. Und gerade so erfüllt Musils Dichtungsbegriff die Ästhetik Hegels. Sie ist als romantische Kunst das Scheinen der Idee in ihrer Subjektivität. Sie ist also wohl Totalität, aber nicht im Medium des reinen Denkens, sondern im sinnlichen Scheinen gestaltet. Musil erfüllt, reiner als die Kunst der Goethezeit, Hegels Begriff der romantischen Kunst, weil hier die Subjektivität in ihrer reinen Unmittelbarkeit freigelegt ist; in dieser Reinheit von keinem Glauben gestört. Damit erfüllt Musil zugleich die unüberholbare Rolle der Dichtung für die Vorbereitung recht verstandener ontologischer Erkenntnis. Das Denken muß den Ichglauben, den Glauben an bestimmte Anthropologie verlernt haben, ehe es den ontologischen Horizont erreicht, ehe das Denken seiner eigentümlichen Aufgabe bewußt werden kann. Solange der Mensch im natürlichen Meinen, im illusorischen Glauben an eine außerhalb des Denkens vorfindbare Ichbestimmtheit ruhig versichert ist, spürt er nicht die Verantwortung, sich selbst schaffen zu müssen. Die moderne intellektuelle Verwunderung über die Katastrophen des Menschlichen, die Klage über den Verlust der Geborgenheit des Ich in irgend bestimmter Welt muß über sich hinausgehen zum Gestalten und Denken im absoluten Sinn. In der Erfahrung der Totalität als Unmittelbarkeit im Medium der Kunst, wird das Bewußtsein lernen, diese Aufgabe 422
Erwähnt sei hier nur der Versuch Natorps, dessen Konzeption einer „allgemeinen Psychologie" den geschilderten Zusammenhang der Momente ins Auge faßt und darüberhinaus Hinweise dafür liefert, die Einheit ursprünglich Verschiedener zu denken. — Vgl. P. Natorp „Allgemeine Psychologie" Tübingen 1912.
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nicht mit ideologischen Glaubensvorschriften zu verwechseln, ebensowenig wie mit abstrakt negativer Kritik der Bestimmtheit als solcher. b) Die in der Kritik des dogmatischen Ichbegriffs gewonnene absolute Subjektivität als Sache der Kunst — das Problem von Form und Inhalt Nach dieser vorläufigen Skizze sei im folgenden der bisher hier selbst n u r b e h a u p t e t e Gedankengang in kritischer Auseinandersetzung mit dem Empirismus, vor allem Humes und Husserls, b e g r ü n d e t . Musils Begriff der Dichtung als nichtratioider Erkenntnis steht im Zusammenhang der empiristischen Kritik des Ichbegriffs, insofern sie zur Entdeckung der absoluten Subjektivität als reiner Unmittelbarkeit führt. Die Lebensphilosophie versucht vergeblich, dies Moment zum philosophischen Systemprinzip zu machen. Die Dichtung ist als „Scheinen" allein in der Lage, diese Totalität der Unmittelbarkeit ansichtig zu machen. „In der Tat, ich glaube so wenig an die Natur, wie an den Menschen, sogar genau ebensowenig."423 Diese kunstsprachlich verkürzte Äußerung Musils kann als Hinweis gelten, welche Bedeutung Musils Ichkritik hat. Ein „Glauben" betrifft ein b e s t i m m t e s An-sich-seiendes. Weder der Mensch in seinem Gegenüber zur Natur, noch die an-sich-seiende bestimmt gedachte Substanz, die Natur, kann wahrhaft als eine solche gelten. Vorläufig sei hier auf den Zusammenhang mit Nietzsche hingewiesen, der, in demselben Sinne wie Musil, „genau ebensowenig" „an den Menschen" wie „an die Natur" glaubte. „Das Subjekt ist nur eine Fiktion." 424 „Geben wir das wirkende Subjekt auf, so auch das Objekt, auf das gewirkt wird. Die Dauer, die Gleichheit mit sich selbst, das Sein inhäriert weder dem, was Subjekt, noch dem, was Objekt genannt wird." 425 Wie Nietzsche kritisiert Musil die „falsche Substantialisierung des Ich"42® als Fiktion einer dogmatischen Metaphysik. „Diese [sei] (in dem Glauben an die individuelle Unsterblichkeit) besonders unter dem Druck religiös-moralischer Zucht zum Glaubensartikel gemacht."427 Ähnlich formuliert Musil unter dem Stichwort „Gründe der Metaphysik": „Ein sehr bewußter Mensch, dem es unerträglich ist, nichts zu sein." Er konstatiert im Interesse für die 423 p £ ) B s . 736. — Das auffällige „genau ebensowenig" deutet den erheblichen Sinn dieser Bemerkung an. 424
425 426 427
Nietzsche . . . hg. v. Schlechta Bd. I I I S. 534 aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, der Musil in Bd. X V u. X V I der von C. G. Naumann edierten Gesamtausgabe Nietzsches (1894 ff.) zugänglich war. Nietzsche a.a.O. S. 540 a.a.O. S. 6 1 2 a.a.O.
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psychologische Genese dieses Glaubens mit Verwunderung: „Merkwürdig, wie alle Menschen sich mit dem Nichtgewesensein vor der Geburt abfinden."428 „Ließe man die künstliche Ichkontinuität sich nicht bilden, hätte der Tod keine Schrecken mehr als das Leben. Es bliebe nur das augenblicklich-korporelle sich Klammern." 429 Wie es für Nietzsche jenseits dieser dogmatisierten Subjektvorstellung ein wesentlich Unbestimmbares gibt, dem er den Namen „Wille zur Macht" gibt, ohne dabei das Bestimmte der Willensvorstellung dogmatisieren zu wollen, 430 so möchte Musil auch auf ein Jenseits der Bestimmtheit des Ich weisen, so daß es ein prinzipiell nicht zu Bestimmendes bleibt. So formuliert er im eben zitierten Zusammenhang: „Die Glocken der Gedächtniskirche läuten. Schon der idi vor einer Stunde unruhig auf das Telefon wartete, bin ich nicht mehr. Hätte ich aber etwas getan, wofür ich mich schäme, würde ich mich noch verantwortlich fühlen. Oder die Dinge, die an die Ursubstanz rühren, haben Kontinuität. Unter diesem Sein ein anderes. Ich ist Täuschung. Darunter ein Allgemeines, Beharrendes. Substanz. Aber keiner kann das beobachten. Man täuscht sich." Aus guten Gründen ist Musils Terminologie an solchen scheinbar theoretischen Stellen, die die Unmittelbarkeit der absoluten Subjektivität betreffen, ,unpräzis', dodi ist diese Ungenauigkeit nicht willkürlich, sondern steht unter dem Anspruch der „Sache".431 Er spricht von „Ursubstanz", 428 429
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Tgb. S. 234 a.a.O. S. 256 — hier ist auch das Rilkesche „dem-Tode-voraus-Sein" der Tiere und Engel und seine Mahnung: „Sei allem Abschied voran" orientiert, wie die Dichtung als religiöses Exerzitium, als Einweihung in die Unmittelbarkeit verständlich ist. Er möchte den Willen selbst kritisieren: „ist es nicht eine Illusion, das, was im Bewußtsein als Willensakt auftaucht, als Ursache zu nehmen?" Nietzsche muß vergeblich, den jenseits des Bewußtseins vorauszusetzenden reinen Willen als Unmittelbarkeit zu bestimmen suchen. „Sind nicht alle Bewußtseins-Erscheinungen nur Enderscheinungen, letzte Glieder einer Kette, aber scheinbar in ihrem Hintereinander innerhalb e i n e r Bewußtseins-Fläche sich bedingend? Dies könnte eine Illusion sein. — " (Nietzsche a.a.O. S. 877) Aus tief in das Wesen von Musils Dichtung hineinführenden Gründen ist die in der neueren Literaturbetrachtung tabuierte Unterscheidung von Form und Inhalt für M. notwendig. Nun zwar nicht so, daß man die Gründe, die zur Ausschaltung dieser Unterscheidung führten, einfach ignorierte. Es sind nicht eine Form und ein Inhalt als je für sich bestimmte Gegenstände zu trennen. Gewiß h a t man den Inhalt nur als geformten. Aber trotzdem bleibt die eigentliche , S a c h e ' der Dichtung ,Sache', ihr selbst jenseitig. Darüber ist im folgenden zu sprechen. Die Polemik gegen die Unterscheidung von Form und Inhalt in diesem Sinn hängt mit der abstrakten Subjektivierung der Dichtung als Meinung zusammen. Und diese wiederum mit der Dogmatisierung des Unmittelbaren im Ichglauben, wie sie beispielhaft an Hofmannsthal kritisiert wurde, wie sie sich ähnlich bei Valéry aufzeigen ließe.
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von „Kontinuität", „einem anderen Sein", von „Allgemeinem", „Beharrendem". Aber zugleich nimmt er diese scheinbaren Bestimmungen wieder zurück: „Aber keiner kann das beobachten. Man täuscht sich". Diese Einschränkung ist nicht beiläufig, wie wenn es nur ein individuelles Ungenügen der Untersuchung beträfe, als ob der oder jener in diese Tiefe nicht dringe. Sondern: Man täuscht sich prinzipiell, wenn man meint hier bestimmen zu können. Dies ist der Grund für die scheinbare terminologische Zaghaftigkeit und Unschärfe in der Essayistik Musils. In einer, aus den Nachlaßaufzeichnungen für Essays veröffentlichten Einleitung sagt Musil: „Es ist mir nicht der Zusammenhang der zum Vortrag gelangenden Gedanken und Gefühle in einer Person, und also auch nicht in meiner Person wichtig, sondern nur ihr Zusammenhang untereinander. Ich bin aber nicht imstande, eine Philosophie daraus zu machen. Das Material, das ich vor mir habe, sind Bruchstücke. Vielleicht läßt sich das Ganze fühlen, zu dem sie gehören könnten, und es ergibt sich ein Stück andeutungsweise als die Fortsetzung des anderen; aber ich bin gezwungen, was dazwischenliegt, mit ich glaube, ich sage, ich will auszufüllen, ich kann nicht real, ich kann nur imaginativ sprechen: und deshalb spreche ich und nicht die Sache."432 Diese Worte Musils betreffen die Wahrheit, die Sache, welche die absolute Subjektivität ist. Sie ist S a c h e in dem Sinn, daß sie nicht in ihrer subjektiv unverbindlichen Vermeintheit aufgeht, sondern über sie hinausliegend S a c h e ist. Aber die Sache ist zugleich der Art, daß Musil sich ihrer nicht als Systemphilosoph oder als theoretischer Wissenschaftler versichern kann. Diese Sache ist im strengen Sinn Sache, u n d d o c h ist diese Sache die Subjektivität selbst. Insofern Musil nicht wahrhaft ontologischer Methode mächtig ist, die den Widerspruch und die Grenze zu denken erlaubte, ist „er nicht imstande, eine Philosophie daraus zu machen", gerade weil er dem ontologischen Anspruch der Sache gehorcht. Er kann ihr prinzipiell nur in der „darstellenden" Form des Essay genügen, derart, daß der Essay zwar nichts in strenger ontologischer Allgemeinheit über die Sache ausmacht, diese Sache aber doch im Paradox, im Unzusammenhang, in ihrer dem bestimmten Begriff entzogenen Eigenart gewärtig macht. In diesem Sinn gilt: Von Dichtung zu reden, ist nur dichterisch möglich. Daß Musil damit nicht eine vage Verschwommenheit persönlicher Meinung ins Auge faßt, sondern etwas, das sehr präzise Ansprüche stellt, zeigt die zitierte Stelle deutlich. Sie gibt so etwas wie hermeneutische Regeln zum Verständnis der Form des Gedankens und sie spricht eben darin gleichzeitig vom Ich als absoluter Subjektivität. 432
Tgb. S. 286
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„Nicht der Zusammenhang der zum Vortrag gelangenden Gedanken . . . in einer Person . . . ist mir wichtig . . s o n d e r n nur ihr Zusammenhang untereinander". Die Ichkritik wendet sich dagegen, daß in der für sich bestehenden Einheit des Ich, als seiender Person, die Wahrheit besteht. Wenn Musil fordert, einen „Zusammenhang der Gedanken untereinander" anzunehmen und in seiner Schrift zu erkennen, einen Zusammenhang also, den die Gedanken haben, abgesehen davon, daß sie Gedanken eines Ich sind, dann wendet er sich offenbar gegen jeden Skeptizismus, der, mit dem platonischen Protagoras, Wahrheit nur als einen Meinungszusammenhang des Menschen gelten läßt. Musil nimmt ein ,Für-sich-bestehen' des Wahren an, der Zusammenhang der Gedanken untereinander ist das zu verstehende Wahre, eine Sache, nicht eine Person. Musil geht aber weiter: diese Sache ist von ,einzigartiger' Eigenart, so daß Musil sagen muß: „ich spreche und nicht die Sache". Nimmt er damit seine zuerst gemachte Aussage wieder zurück? Offenbar nicht, denn er rechnet mit der Möglichkeit, daß „sich das Ganze f ü h l e n " läßt. Aber gesteht er doch ein persönliches Unvermögen? „Ich bin nicht imstande, eine Philosophie daraus zu machen." Wenn er aber wirklich in die bloße Meinung zurückfiele, wie sollte sich trotzdem ein Ganzes fühlen lassen, die „Sache", die nicht Meinung ist? Ob Musil hier auch ein persönliches Unvermögen meint, oder ob dieses Unvermögen nicht vielmehr der besonderen Sache, die Musil im Auge hat, entspricht, mag hier auf sich beruhen. Er stellt jedenfalls zweifellos klar, daß er trotz dieses Unvermögens nicht den Zusammenhang der Sache aufgibt zugunsten der Meinungsäußerung. Sondern er geht über beides hinaus, wenn er sagt: „So bleibt ein weder subjektiver noch objektiver Zusammenhang übrig"; eine Sache ,besonderer Art' also, die sich nicht einordnet in den Zusammenhang des Ich als beschreibbare Meinung, noch in den des Gegenstands als besdireibbare Theorie. Beide Zusammenhänge sind abstrakt, bilden keine Totalität, weil ein Anderes jeweils notwendig ausgeschlossen bleibt. Musil spürt, daß die ins Auge gefaßte Sache „nur in Bruchstücken" darstellbar ist, deren Verknüpfung nur durch den persönlichen Zusammenhang des „ich glaube, ich sage, ich will" herstellbar ist. In den Bruchstücken „das Ganze zu fühlen", das jenseits des verknüpfenden persönlichen Meinungszusammenhangs besteht, ist die Aufgabe im Verständnis essayistischer Texte Musils. Diese Aufgabe hat einen präzisen Sinn, sie gestattet ja eben nicht, Bruchstücke wiederum in geistreichem Meinungszusammenhang zusammenzuleimen, sondern einen Zusammenhang nachzuvollziehen, der „weder subjektiver noch objektiver" Zusammenhang ist, das heißt d o r t h i n z u g e h e n , w o h i n Musil w e i s t . Musil nennt ihn ein zu suchendes „mögliches Weltbild, eine mögliche Person" oder den „ a n d e r e n Menschen". Durch das, was Musil ausgeschlossen hat, verbietet es sich, den
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„anderen Menschen" als einen Menschen zu begreifen, der in dem und jenem anders ist. „Ihn wollen die Revolutionäre", „sie glauben, der neue Mensch sei bloß ein zu befreiender alter". 4 3 3 Der „zu suchende" Mensch ist anders, insofern er die abstrakten Totalitäten des Menschen als Subjekt und Objekt ausschließt. Was ist jenseits dessen? Ein Absolutes. Aber nun nicht der Begriff im Sinne Hegels: dieser ist Subjekt-Objekt, Musils Sache ist „weder Subjekt noch Objekt". Musil nimmt als Dichter den Widerspruch nicht als Widerspruch auf, so daß er ihn dialektisch aufheben müßte, sondern er geht vor seine faktische Konstitution zurück. 434 Wir nannten diese Sache absolute Subjektivität, weil sich Musil ihr von der Seite des Ich und seiner Kritik her nähert, wenn er sagt: „Ich ist Täuschung." „Unter diesem Seienden ein anderes. Aber keiner kann das beobachten." Darum ist Dichtung und die Form des Essays nötig, darum liegen Musil nur „Bruchstücke" vor, die durch einen persönlichen Zusammenhang ergänzt sind. Aber was sind die „Bruchstücke" des zu fühlenden Ganzen, und was ist jeweils „Ausfüllung" des „ich glaube, ich sage, ich will"? Woher nimmt der Interpret seine Orientierung? Wieder ist die Gefahr, die Bruchstücke als Bruchstücke eines objektiven oder subjektiven Zusammenhangs zu ergänzen. Das Ganze, zu dem sie Bruchstücke sind, ist aber die Totalität des Unmittelbaren. Als solche sind sie also zu verstehen, so daß das Ganze g e f ü h l t wird, das heißt aber wieder nicht etwa: gemeint wird, sondern, mit dem schlechthin unmittelbaren Bezug, auf die Totalität w e i s t , wie das d i c h t e r i s c h e W o r t , das nach Musils charakteristischer Formulierung, „ d e m S p e e r g l e i c h t , d e r a u s d e r H a n d g e s c h l e u d e r t w e r d e n m u ß , um s e i n Z i e l zu e r r e i c h e n , u n d n i c h t m e h r z u r ü c k k e h r t . " 4 3 5 Für die Form des Essays erreicht Musil diese nicht vermittelnde Weisungsfunktion des Wortes durch die Benutzung polarer Begriffe, die g e m e i n s a m das Unmittelbare, das Unendliche zu nennen erlauben. Ohne ein „Fühlen" der Jenseitigkeit des Ganzen als des Unmittelbaa.a.O. S. 290 Dieses ,Vorher' der Unmittelbarkeit betrifft den erkenntnistheoretischen Vorgang, ein solches Vorher gibt es für Hegel nicht, es ist ein faktisches Vorher. Hier ist das Moment des Unmittelbaren abgelöst von seinem Widerspruch gedacht, wie es für Hegel nicht möglich ist, ihm ist die Unmittelbarkeit n u r Moment des Begriffs, von einem dem Begriff Jenseitigen zu sprechen, ist sinnlos, weil er den absoluten Widerspruch in sich enthält. Hier wird also der empiristische Hintergrund von Musils Erkenntnistheorie deutlich: das, was ihn von der Metaphysik als Ontologie trennt, weil er nicht Philosoph sondern Dichter sein will. — Vgl. dazu u. 3. Teil 435 Tgb. S. 717 — Hier bezieht sich Musil schon auf die „Kundgebungs"-Funktion der Dichtung selbst: s. dazu u. Kap. E f.
433 434
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ren wird Dichtung überhaupt und besonders die Dichtung Musils verfehlt. Es wird dann die mögliche ästhetische Totalität der Dichtung verkannt. Aus der Sache wird die abstrakte Sache der Anthropologie oder der Meinung als Weltanschauung. Musil ist die Wahrheit, der Zusammenhang der Gedanken untereinander wichtig, der aber nicht als ein plan bestimmter für den Verstand einsehbar ist. Wie ist sie aber erreichbar? Die Auslegung Musils darf nun nicht die andere Seite vernachlässigen, nämlich die Wahrheit der Dichtung oder des Essays zu verstehen. Sie muß das „zu suchende Ganze" spürbar machen. Sie kann n i c h t b e i d e r F e s t s t e l l u n g d e r P a r a d o x i e s t e h e n b l e i b e n . Sie darf nicht nur zitieren, sie muß verstehen. Dieses Verstehen muß sich darstellen und ausweisen können im Blick auf das Ganze als Totalität. Anders bleibt der Interpretation nur das vieldeutige Wort in den Händen, das als solches in einer abstrakten Bedeutung allzuschnell erstarrt oder in der Beliebigkeit des bloßen Geredes verlorengeht. Das Wort „weist" nicht mehr. Als Ersatz für den Ausweis des Wortsinns durch den Bezug auf das Ganze, kann nicht die zitierende Amplifikation treten. Als ob eine Aussage einen faßbaren Sinn dadurch gewinnt, daß eine ähnliche Formulierung aus einem anderen Kontext danebengestellt wird. Gerade in der zentralen Frage des Ich ist ein Verständnis nötig, da das Wort selbst in der Sprache des Geistes vielfältigen, widersprüchlichen Sinn hat. Musil formuliert etwa auf charakteristisch probeweise Art: „Könnte man nicht sagen: Wir haben eine fertige Persönlichkeit und eine immer werdende. Die erste hat Leidenschaften, denkt usw. Die zweite ist überhaupt der ungeformte Menschenstoff, der Mensch minus der Einflüsse, die ihn geformt haben, das was auch anders hätte kommen können. (Das ist der Mensch der Ideen, der durch Motive verändert wird.)" 436 Diese Formulierung Musils wird zitiert in dem Buch G. Baumanns über Robert Musil,437 allerdings ohne die einleitende Einschränkung.438 Im Anschluß an das Zitat fährt Baumann fort: „Fassungs- und verständnislos steht das Ich oft diesem Gewesenen gegenüber und das Selbstbewußtsein bezeugt sich in einem rastlosen Sich-Absetzen von allen Erscheinungen, nachdem diese in irgendeiner Weise ausgeschöpft sind. Die stetige Selbstentfremdung ist zugleich Selbsterhaltung, ein Zu-sich-Kom436 437 438
PDB S. 682 f. s. den Kontext dort Gerhart Baumann „R. Musil. Zur Erkenntnis der Dichtung" Bern 1965 Ohne das „Könnte man nicht sagen" — s. Baumann a.a.O. S. 86 und vgl. den Kontext dort. Diese Einführung charakterisiert das Folgende als ein problematisch zu Denkendes, nicht als eine Feststellung. Das heißt nicht nur, Musil läßt dahingestellt, ob es so ist, sondern er bezieht die Formulierung auf die ,Sache', so daß ein Sinn erst sichergestellt ist, indem die Sache g e d a c h t wird.
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men, wie im Treubruch sich die Treue, Vereinigung des Gegensätzlichen sich vollendet. Das krampfhafte Sich-Bewahren-Wollen führt ebensogut zum Wahnsinn wie das hemmungslose Sich-Verleugnen; man muß gleichzeitig Erinnern und Vergessen [sie] können. Das Spannungsfeld des Ich durchwalten immer gegensätzlich sich ergänzende Vorgänge: schmerzliches Sondern und liebevolles Vereinen. Das schöpferische Prinzip Ich erfüllt sich darin gleichermaßen wie die Schöpfung des Dichters . . ." 4 3 9 Der Abschnitt ist aus dem Kapitel „Das Ich" entnommen. Er sei hier zitiert als ein Beispiel für andere. Es bleibt kein anderer Weg, uns hier, wo wir nach dem Wesen der Ichkritik Musils fragen, mit Baumanns Bemerkungen auseinanderzusetzen, weil er einen begrifflichen Zusammenhang, der sich zusammenfassend referieren ließe, nicht entwickelt. Wir verstehen aus dem oben Dargestellten den Grund für solches Vorgehen. Ein objektiver, begrifflich darstellbarer Zusammenhang bliebe abstrakt, träfe nicht die Sache, die Musil wichtig ist. In welchem Verhältnis steht dieser Text Baumanns zum Text Musils? Nicht in einem interpretierenden Verhältnis in dem Sinn, daß der Text Musils als ein Problematisches, erst zu Erläuterndes der Interpretation vorhergeht. Baumann spricht von vornherein nicht in diesem Sinn von einem problematischen Verständnis Musils. Die Texte des Zitats aus Musil oder aus anderen Autoren von Heraklit bis Heisenberg sind dem Text Baumanns gleichgeordnet. Das drückt sich darin aus, daß Zitatbruchstücke, bezeichnet oder unbezeichnet, in den syntaktischen Kontext einbezogen werden können. Auch dies läßt sich methodisch rechtfertigen, insofern das eigene Verständnis sich von dem behandelten Text nicht in der Weise trennen läßt, daß das Zitat die Richtigkeit der Auslegung b e w e i s e n könnte. Dies würde bedeuten, daß die Sache sich abstrakt objektivieren ließe. Kann sich darum aber ein Verständnis des Textes überhaupt nicht ausweisen? Ist der Interpret Musils davon befreit, ein Kriterium der Triftigkeit seiner Interpretation zu geben? Darf man die naive Frage nicht stellen: Ist das so? Warum ist es so? „Fassungs- und verständnislos steht das Ich oft diesem Gewesenen gegenüber, und das Selbstbewußtsein bezeugt sich in einem rastlosen Sich-Absetzen von allen Erscheinungen, nachdem diese in irgendeiner Weise ausgeschöpft sind." Baumann formuliert so, als ob er ein Faktum unter anderen beschriebe ( „ O f t " geschieht es, daß . . . ) Welches ist dieses Faktum? Das Ich steht dem Gewesenen gegenüber? Was ist dieses Gewesene, im Unterschied zum Ich? Wie verhält sich dieses Gegenüber zu der Unterscheidung Musils („die fertige Persönlichkeit und die immer werdende")? Ist das Ich und das Gewesene ein anderes, und in welcher Weise? Baumann ist sich der Problematik dieser Unterscheidung 439
Baumann a.a.O.
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nicht bewußt, wenn er meint, dies Gegenüber wie ein Faktum konstatieren zu können. Musil trennt bewußt Sachverhalt und Auslegung in jener oben behandelten präzisen Weise. In Baumanns Redeweise wird aus dem, wovon er fühlt, daß es eine dem Verstand unzugängliche Sache ist, eine subjektive A u f f a s s u n g , die den gleichen Charakter abstrakter Objektivität hat, weil in ihr das dem Begriff Jenseitige als Meinung bestimmt konstatiert wird. Die vermeintliche Objektivität dieses Gegenüber wird deutlich in dem Satz: „Das krampfhafte Sich-Bewahren-Wollen führt ebensogut zum Wahnsinn wie das hemmungslose Sich-Verleugnen, man muß gleichzeitig Erinnern und Vergessen können." Sind das Sich-Bewahren und das SichVerleugnen bestimmte Verhaltensweisen der individuellen Lebenstechnik neben anderen? Wie ist ihr Gegensatz zu denken, wenn man beides „gleichzeitig" „können muß"? Eine halbe Seite später konstatiert Baumann wieder lapidar: „Die unaufhörlich neu sich vollziehende Vereinigung des werdenden mit dem seienden Ich verhindert einen bloßen Ichpointillismus, tierhaft ,punktförmig-augenblicks hinabtropfendes Vergessen' (III 220 bis 221) " 440
Wie ist diese „Vereinigung" gedacht? Was sind die Widersprechenden: „werdendes und seiendes Ich"? Sind das Dinge, die vorliegen, wie die Psychologie es von ihren „Komplexen" und „Trieben" etwa meint? Wie weist sich der Sinn dieser Behauptung aus? Und trifft dieser Sinn die Unterscheidung Musils in dem angegebenen Zitat? Indem Baumann so tut, als beschreibe er objektive Fakten, verliert er den Bezug auf die unvermittelbare Totalität, deren Beschreibung in polaren Begriffen Musil bewußt von ihrer ungreifbaren Faktizität selbst trennt. Baumann spürt nicht die Notwendigkeit, in irgendeiner Weise den Sinn seiner Behauptungen ausweisen zu sollen. Man fragt vergeblich: Beschreibt Musil/Baumann eine zufällige Lebenserfahrung? Die eines neurotischen oder des modernen Menschen? Ist es eine übergeschichtliche Erfahrung? Ist es die Erfahrung bestimmter Esoteriker, oder des Österreichers als solchen? Baumann zitiert Äußerungen anderer Autoren mannigfaltigster Herkunft, in demselben Sinn unbesorgt darum, was der Wortlaut besagen könnte. In welchem Sinn interpretiert, könnte er eine Aussage Musils stützen? Baumann formuliert etwa unmittelbar dem gegebenen Zitat vorhergehend. „Daß sich das Ich unwillkürlich mit jedem Augenblick von sich selbst ablöst, und daß man dennoch ,tiefer als mit allem, was man tut, mit sich selbst zusammenhängt' (III 185)441 — dies hat Musil zu einer beispielhaften Vivisektion 440 441
a.a.O. S. 87 a.a.O. S. 86 (Offenbar liegt in der Belegangabe des Textes bei B. ein Druckfehler vor, dort steht I 185, das nach den Abkürzungsangaben auf S. 251 auf den MoE verwiese.)
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des Bewußtseins angeregt, die eine Parallele zu den subtilen Analysen des späten Edmund Husserl bildet: ,das Ich als Pol dauert nicht', aber es besitzt die universale ,Deckungseinheit aller Bewußtseinserlebnisse'. Er erkennt das Ich als ,werdend seiend', ein Ich, das ,strömend versinkend doch immerzu verharrt als ich-bin-gewesen . . . ' ".442 Läßt sich diese Parallele so schnell behaupten? Und worin bestände sie? Die Verknüpfung von Zitatbruchstücken aus Musils zentraler Dichtung „Die Vollendung der Liebe" und solchen aus Husserls Nachlaß eröffnet viele schwerwiegende Fragen. Wie rechtfertigt es Baumann, Zitatbruchstücke aus einer D i c h t u n g Musils und Zitate aus philosophischen Überlegungen Husserls u n m i t t e l b a r zu verknüpfen? Sind Philosophie, und nun noch die Transzendentalphilosophie Husserls, und Dichtung von einerlei Struktur? Suchen wir den Text Baumanns zu verstehen! Wie kommt es, daß ,man dennoch' tiefer als mit allem, was man tut, mit sich selber zusammenhängt, obwohl sich ,unwillkürlich mit jedem Augenblick' ,das Ich von sich selbst ablöst'? Ist ,Ich' und ,man' hier dasselbe? Wie ist das Ablösen des Ich von sich selbst zu begreifen, wenn man dennoch ,mit sich selbst' zusammenhängt, tiefer als mit allem, was man tut? Wodurch hängt man mit sich selbst zusammen? Der komplizierte Satz Musils, einer 24 Zeilen langen Periode, aus dem von Baumann hier die letzte Hälfte eines Relativsatzes herausgebrochen ist, könnte darüber Aufschluß geben. Er spricht bei Musil eine mediale ,Selbstauslegung' Claudines aus. Absatz und Periode beginnen: „Sie wußte auch in diesem Augenblick, daß nichts einfacher ist als die Antwort, man selbst sei es, der sich geändert habe, aber sie begann einen sonderbaren Widerstand zu fühlen, die Möglichkeit dieses Vorgangs zu begreifen; . . ."443 Welches Vorgangs? Der Vorgang ist im vorhergehenden Absatz genannt: „plötzlich bleiben Menschen, Landschaft, Haus stehen . . . Dann hat man eine Vergangenheit." Von einem sonderbaren Widerstand, die Möglichkeit dieses Vorgangs zu begreifen, geht Claudine also aus, man selbst sei es, der sich verändert habe. Baumann geht über diesen sonderbaren Widerstand hinweg. Ablösung des Ich von sich selbst und Zusammenhang mit sich selbst ist dennoch da. Wodurch? Die Zitatkompilation von Baumann legt es nahe, es sei ,das Ich als werdend seiend', ,ein Ich, das strömend versinkend doch immerzu verharrt als ich-bin-gewesen . . . ' . Ganz anders heißt es im Kontext des Musilzitats; das Wodurch wird dort genannt als „Ahnung". 444 Claudine ahnt im Treu442
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Vgl. Baumann a.a.O. S. 86 und Anm. 42 — zit. nach Gerd Brand „Welt, Ich und Zeit. Nach unveröffentlichten Manuskripten E. Husserls" 1955 S. 81 PDB S. 184 Oben (S. 104 f.) wurde die besondere Funktion dieses Wortes „Ahnen" im MoE erwähnt, das dort Ulrich in der Kritik an Meingast von einem „Glauben" scharf unterscheidet: vgl. MoE S. 800 u. MoE S. 1197 f. u. Bausinger S. 42 a f
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brudi, „mit dem man sich in jedem Augenblick von sich selbst loslöst . . . dennoch eine letzte, nie verbrauchte bewußtseinsferne Zärtlichkeit", durch die man „mit sich selbst zusammenhängt". Wäre diese im unaufhörlichen Treubruch geahnte bewußtseinsferne Zärtlichkeit identisch mit dem transzendentalen Gegenständlichkeit stiftenden reinen cogito Husserls, wie Baumann will? Das bedürfte der Erklärung und einer Darstellung dessen, was Husserl (im transzendentalen oder psychologischen Zusammenhang?) mit diesem „werdend seienden Idi" meint. Die Aufklärung dieser Frage und der Vergleich der transzendentalen Subjektivität in Husserls Sinn mit dem, was von Musil an dieser Stelle, als erahnbare bewußtseinsferne Zärtlichkeit berufen, die Grundlage seines Dichtungsbegriffs bildet, könnte ohne Zweifel für diesen erhellend sein.445 Aus dem Zusammenhang des bisher von uns Dargestellten ergibt sich, daß es für wenig wahrscheinlich zu halten ist, im Begriff des „reinen Ich" eine „Übereinstimmung" zwischen Musil und Husserl feststellen zu können. Musils theoretisches Denken bewegt sich im Rahmen eines von Husserl ausdrücklich bekämpften erkenntnistheoretisch empirischen Psychologismus, und Musils in diesem Horizont gesprochene Paradoxa finden bei Husserl allenfalls im Begriff der .Krise der Wissenschaften' eine Entsprechung. Husserl selbst nimmt den Widerspruch in seine Philosophie nicht auf. Nichts deutet darauf hin, daß Musil die eigentümlich transzendentalphilosophische e j t o % t | in Husserls Sinn vollzogen hat. Musil kennt keinen Begriff eines „reinen Bewußtseins" in Husserls Sinn. In ihm müßte der Musilsche Gegensatz von „ratioidem" und „nichtratioidem" Denken aufgehoben sein. Dafür findet sich kein Beleg. Musil würde, hätte er den Begriff eines „reinen Bewußtseins" vollzogen, der gleichbedeutend ist mit der transzendentalen Subjektivität, von Husserl her keine Möglichkeit haben, Dichtung erkenntnistheoretisch als Totalität so zu begründen. Das heißt, Musil müßte die wesentlich behauptete Inkommensurabilität der Kunst aufgeben. Kunst überhaupt und 445 v i e l e s deutet darauf hin, daß Baumann gar nicht das transzendentale cogito im Auge hat, sondern dieses als psychologische, seiende Icheinheit vorstellt. Seine unproblematische Einbeziehung Hofmannsthals deutet darauf hin. Die Kritik dieser dogmatisch metaphysisch genannten, faktischen Ich-Einheit ist aber Husserl so selbstverständlich wie Musil. Das belegen die „Logischen Untersuchungen", in denen selbst der Begriff des ,reinen Ich' wie ihn Natorp im Anschluß an den deutschen Idealismus faßte, Husserls „Besorgnissen vor den Ausartungen der Ichmetaphysik" verfällt, (s. L. U. II 1 2. Aufl. S. 361 Anm.). Später gab Husserl diese Kritik nicht etwa auf. Nur lernte er, wie er in der 2. Aufl. der „Log. Unters." feststellt, „das reine Ich" von dem falsch metaphysischen Gedanken einer seienden Ichsubstanz unterscheiden. 11
Sdiaffnit
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Dichtung bedeuteten nur einen bestimmten Bereich des Seienden, das selbst im reinen „cogito" konstituiert gedacht werden müßte. Die nirgends zum System vollendete Darstellung der Transzendentalphilosophie Husserls zeigt, so weit wir sehen, keine Möglichkeit, eine Ästhetik so zu begründen, daß die Totalität der Idee im Begriff der Dichtung erhalten bleibt, wie das etwa bei Hegel der Fall ist, von dem aber auch in der absoluten Idee das Moment der Unmittelbarkeit mitgedacht ist. Dem Empiristen Musil, dem sowohl der Begriff des reinen Bewußtseins, wie der Begriff der Dialektik einer reinen Logik verschlossen war, blieb nur die Möglichkeit, die Totalität von Dichtung auf anderem Wege zu erreichen. D a auch Musil, wie Husserl ursprünglich, von einem psychologistischen Empirismus ausgeht, und ebenso wie jener die Totalität im Auge hat, kann man sein Vorgehen in gewissem Sinn auch unter dem Begriff der eito/f) fassen. Sie hebt, wie bei Husserl, die „natürliche Einstellung" unserer Erfahrung auf, sie setzt die Geltungen des eine bestimmte Welt voraussetzenden Bewußtseins außer Kraft und geht in den Grund aller bestimmten Erfahrung zurück, n u n a b e r n i c h t in der Weise, daß er die Bedingungen der Möglichkeit von Bestimmtheit, von Gegenständlichkeit überhaupt und als solcher sucht, sondern so, daß er nur auf das der Bestimmung Jenseitige, das Gegebene, das rein Tatsächliche als unbestimmbaren Grund weist. Dies ist nichts anderes als die Subjektivität, jedoch nicht als „cogito" sondern als Chaos der Faktizität. 446 Musil „reduziert", von der bestimmten Erfahrung ausgehend, nicht auf die Bedingung der Denkbarkeit von Gegenständen, sondern auf die Bedingung der reinen Gegebenheit, der rohen Tatsächlichkeit des Erlebnisstroms. Sie bedeutet ein Jenseits der Denkbarkeit und begründet gerade darum die begrifflicher Bestimmung entzogene Inkommensurabilität des Schönen, das sich von allem Gedachten, jeglichem bestimmten Seienden als solchem, unterscheidet, ohne doch anderswo als a n der Totalität dieses Seienden anschaulich zu werden, sofern es seinen Unbestimmtheitscharakter auch als vom Menschen Bestimmtes noch bewahrt. Schön ist nicht dies und jenes, sondern alles, sofern es nicht als bestimmtes genommen wird. Kunst ist nötig, um die Offenheit des Tatsächlichen gegen seine Bestimmtheit im menschlichen Erleben zu erhalten, was aber nur so möglich ist, daß das künstlerische Gestalten von der einzig verfügbaren Rationalität des begrifflichen Denkens her sich diesem nähert und als Jenseits dessen „ahnen" macht, wozu es selbst wieder der strengen Rationalität des Denkens bedarf, die das Jenseits des Geahnten freihält von der konfusen 448
Diesen zwiefachen Charakter des Ich nennt M. an der sdion zitierten Stelle, wenn er das „Ich des Cartesius" von dem „komplexen Ich" der Mystiker, welches das Ungewisseste sei, unterscheidet.
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Rationalität des Geglaubten, durch die die Offenheit für das Schöne heillos verschüttet wird. Musils Aufweis der absoluten Subjektivität als Sache der Kunst muß wie Nietzsches Kritik der Metaphysik und parallel zu Husserl den Weg über eine empiristische Kritik an der geglaubten seienden Icheinheit gehen, denn diese bedeutet das Zentrum der dogmatischen Verschlossenheit für die reine Tatsächlichkeit ebensowohl wie für das reine Denken. Die Behauptung einer seienden Icheinheit liegt jeder Anthropologie und Psychologie zugrunde, sofern sie den Anspruch erhebt, nicht nur eine empirisch begrenzt geltende wissenschaftliche Theorie zu sein, sondern den Menschen als Totalität ansichtig zu machen. Wird eine solche dogmatische Anthropologie Grundlage für den Dichtungs- und Kunstbegriff, verstellt sie den inkommensurablen Totalitätsanspruch des Schönen. Die absolute Subjektivität als Grundlage des Dichtungsbegriffes ist auf dreifache Weise charakterisiert. Es ist die Subjektivität des Menschen, wie sie Totalität als Unmittelbarkeit ist. Sie ist nicht eine persönliche Entdeckung Musils, sondern ihr Begriff ist durch die Geschichte des Denkens vorbereitet, deren Ertrag in der Philosophie der Jahrhundertwende Musil zugänglich war, in der Weise, daß durch die Terminologie der ,Standpunkte' hindurch, von denen her sich das Denken immer neu auf den Weg machen muß, für das nicht bei der Meinung stehen bleibende kritische Denken die immer gleiche Sache des Denkens als Problem ansichtig blieb. Der Charakter der absoluten Subjektivität in Musils Sinn läßt sich erläutern im Blick auf die philosophische Tradition, durch die sie vorbereitet ist. Ihr Gedanke läßt sich verstehen als Resultat der empiristischen Ichkritik. Am Beispiel Humes sei dieses dargestellt. Dieses ontologische Verstehen, in dem die Paradoxa Musils a u f g e h o b e n sind, ist die P r o b e für ein Verständnis Musils, das sich nicht wie Meinung sonst beweisen läßt aus der Übereinstimmung mit einem für sich bestimmt geglaubten Text. c) Humes empiristisches
Argument
1. Die absolute Subjektivität als philosophisches Problem der neuzeitlichen Philosophie im allgemeinen und des Empirismus im besonderen (historischer Überblick) Descartes hat in seiner Z w e i f e 1 s betrachtung dem neuzeitlichen Denken das fundamentale Problem gestellt, die Subjektivität des Menschen als Totalität zu denken. Der Gedanke Augustins, „daß wir des eigenen seelischen Seins im bloßen Bewußtsein unmittelbarer und näher gewiß Ii»
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sind als irgendeines Daseins äußerer Gegenstände; denn auch wenn wir an allem Dasein von Dingen außer uns zweifeln würden, so würde selbst dieser Zweifel, als eine Modifikation unseres Bewußtseins, uns des eigenen psychischen Daseins unwidersprechlich gewiß machen . . . diese . . . Erwägung . . . wird in Descartes geradezu zum Ausgangspunkt der ganzen modernen Philosophie über das, was ,ist', der philosophischen Grundwissenschaft (prima philosophia), im üblichen Ausdruck: der Metaphysik." 447 In dieser vagen Unbestimmtheit formuliert, läßt sich die cartesische Formel des „cogito ergo sum" als Ausdruck des noch unentfalteten Problems verstehen, dessen denkerische Bewältigung die ganze moderne Philosophie darstellt. Ähnlich wie Natorp versteht Husserl die Bedeutung des Descartes, wobei er terminologisch schon sehr viel bestimmter auf sein eigenes Denken hin formuliert und interpretiert. „In der ersten der Cartesischen Meditationen lag bereits fühlbar, unentwickelt, aber zu einer Entwicklung bereitliegend, der Gedanke beschlossen, den man als Grundmotiv der neuzeitlichen Philosophie, als das ihren spezifischen Stil wesentlich Bestimmende bezeichnen kann. Nämlich der Gedanke: daß alles objektiv Reale und schließlich die ganze Welt für uns seiend und so seiend nur ist als wirkliches oder mögliches cogitatum unserer eigenen cogitatio, als möglicher Erfahrungsinhalt unserer eigenen Erfahrungen, als mit diesem Inhalt in unser eigenes Denk- und Erkenntnisleben eingehend, günstigenfalls in mir selbst, in unseren eigenen (intersubjektiven) bewährenden Leistungen die vorzügliche Gestalt evident begründeter Wahrheit annehmend. . . . Vorbereitet und vorgefühlt war das transzendentale Problem, der Blick war auf die universale Bewußtseinssubjektivität und ihre Welthabe gerichtet.. . a . 446 Von Husserl und Natorp wird also anerkannt, daß seit Descartes die Bewußtseinssubjektivität als universale zu denken, fundamentales Problem der Philosophie ist.449 Doch nur wenn dieser Sachverhalt in seiner allgemeinen unbestimmten Formulierung a l s P r o b l e m verstanden wird, hat sie einen triftigen Sinn. So allein können auch in dem Problem Husserls Transzendentalphilosophie, Natorps eigentümliche Psychologie und Musils Dichtungsbegriff sowohl geschichtlich als sachlich orientiert werden. In größere Nähe zu Musil gelangen wir, wenn wir die empiristische Interpretation dieses fundamentalen Problems durch Hume betrachten. Wieder 447 448
449
P. Natorp „Allg. Psychologie" S. 12 f. In „Amsterdamer Vorträge" von 1928 ,Phänomenolog. Psychologie' in E. Husserl „Phänomenolog. Psychologie" hg. v. W. Biemel, Den Haag 1962 S. 329 f. Vgl. dazu auch G. F. Hegel, „Geschichte der Philosophie" 3. Teil 1844 in ,Werke' hg. durch einen Verein der Freunde . . . 15. Bd. S. 301 und 308
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kann das Urteil Husserls die Beziehungen Humes zu dem für Musil einflußreichen empirischen Psychologismus in der Philosophie seiner Zeit bestätigen: „Humes Philosophie mit ihrem Reichtum an genialen psychologischen Analysen, so wie mit ihrem überall durchgeführten Psychologismus in erkenntnistheoretischer Hinsicht, entspricht den in unserer Zeit herrschenden Tendenzen zu sehr, als daß es ihr an lebendiger Wirkung fehlen könnte. Ja man kann vielleicht sagen, daß Hume nie stärkere Einflüsse ausgeübt hat als heute."450 So formuliert Husserl in den „Logisdien Untersuchungen", die eine Erkenntnistheorie in durchgehender Antithese zu einem erkenntnistheoretischen Psychologismus Humescher Art entwickeln. Doch bleibt im durchgängigen Gegensatz zum Kritisierten dessen Einfluß erhalten. Die „Logischen Untersuchungen" verlassen den gemeinsamen Boden nicht, sie entwickeln eine apriorische Psychologie, ohne noch den transzendentalen Grund für den im einzelnen deskriptiv aufgewiesenen eidetischen Einheitszusammenhang des Bewußtseins, das transzendentale Ego, zu d e n k e n . In dem gemeinsamen Ausgang von einem erkenntnistheoretischen Psychologismus, den beide in verschiedener Richtung verlassen werden, macht sich Husserls und Musils Verhältnis als Schüler ihres gemeinsamen Lehrers Stumpf geltend, das uns für den Begriff der absoluten Subjektivität im Sinne Musils wichtige Aufschlüsse zu geben vermag. Husserl hat so lange den erkenntnistheoretischen Psychologismus nicht überwunden, hat nicht den Übergang in die eigentlich transzendentale Sphäre vollzogen, solange er den Gedanken des reinen Ich nicht gedacht hat, solange er also, wie Hume, das Ich nur als metaphysische Fiktion denken kann. Metaphysische Fiktion ist es für ihn in den „Logischen Untersuchungen" wie für Hume, weil es nicht ein unmittelbar Wahrzunehmendes ist. Husserl zitiert Natorp: „Bewußtsein ist Beziehung auf das Ich",451 und erwidert ihm: „Nun muß idi freilich gestehen, daß ich dieses primitive Ich als notwendiges Beziehungszentrum schlechterdings nicht zu finden vermag. Was ich allein zu bemerken, also wahrzunehmen imstande bin, ist das empirische Ich und seine empirische Beziehung zu denjenigen eigenen Erlebnissen oder äußeren Objekten, die ihm im gegebenen Augenblick gerade zu Gegenständen besonderer ,Zuwendung' geworden sind, während ,außen' wie .innen' vielerlei übrig bleibt, was dieser Beziehung auf das Ich ermangelt." 452 Wie wir sehen werden, ist dies das Argument Humes: Es gibt kein Ich, weil es nicht wahrnehmbar ist. Nun wird ein legitimes metaphysisches, d. h. ontologisches Denken, das Ich nicht als ein bestimmtes Wahrnehmbares behaupten können. Es ist als transzendentales Ich Bedingung 450 451 452
„Log. Untersuchungen" II 1 S. 207 a.a.O. S. 359 a.a.O. S. 361 — (Sperrung vom Verf.)
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der Möglichkeit von bestimmtem Wahrzunehmenden. 453 Wie kommt es, daß Husserl das Ich in dieser ontologischen Bedeutung in den „Logischen Untersuchungen" nicht „findet"? 454 Weil er die Bestimmtheit eines intuitiv Wahrgenommenen nicht zum Problem machen zu müssen glaubt, mit anderen Worten, weil er die Einheit der universellen Bewußtseinssubjektivität v o r a u s s e t z t , obwohl sie als einheitliche und universelle, als Totalität also, nicht ein Konstatierbares ist. E r beantwortet nicht die Frage: Was bedeutet die Subjektivität als Subjektivität? 455 Er gibt eine Beschreibung der mannigfaltigen apriorischen Gegenstände des Bewußtseins, als ob er nicht einen Begriff von dem Bewußtsein als solchem hätte, nämlich Einheit des „Ich denke" zu sein. D . h. er ersetzt Humes dogmatischen Psychologismus sensualistischer Theorie durch einen solchen apriorisch mathematischer Theorie. So kann Husserl auch später noch formulieren: „Humes genialer Treatise hat bereits die Gestalt einer auf strenge Konsequenz bedachten strukturellen Durch-Forschung der reinen Erlebnissphäre, ,ist' in gewisser Weise also der erste Anhieb einer Phänomenologie'." 456 Inwiefern konnte der „Treatise of Human Nature" eine „Durchforschung der reinen Erlebnissphäre" sein? Der „reinen Erlebnissphäre" offenbar darum, weil Hume den Menschen als Totalität zum Gegenstand der Philosophie macht und dabei von keinen Setzungen und Voraussetzungen ausgehen möchte, die nicht im Menschen als vorstellendem, erlebendem Bewußtsein als gegeben erfahren werden.
2. Die Grundlagen von Humes Empirismus — Die Problematik des Verhältnisses von „Impression" und „Idea" als von ursprünglichen Momenten der Vorstellungen überhaupt „'Tis evident, that all the sciences ha ve a relation, greater or less, to human nature; and that however wide any of them may seem to run S. dazu Kant in seiner „Kritik der rationalen Seelenlehre" in KdrV. B S. 399 ff. „Von den Paralogismen der reinen Vernunft", dort die Ich-Kritik Kants. 4 5 4 „Inzwischen habe ich es zu finden gelernt", sagt er in der Anmerkung zur 2. Auflage II 1 S. 361 455 W o Husserl, wie in der 6. Unters., die Triftigkeit der Erkenntnis zum Problem macht, faßt er die Erfüllungseinheit dieser „objektivierenden Akte" (!) zwar als Identifizierungseinheit, faßt diese aber selbst als Akt, „welchem gegenständliche Identität als intentionales Korrelat entspricht" ( 1 1 2 S. 51), entsprechend schreibt er alle Erkenntniseinheit im engeren und engsten Sinn einer unbestimmten Mehrheit objektivierender Akte zu, wenn er sagt, daß „alle Erkenntniseinheit... ihre Ursprungsstätte in der Sphäre der objektivierenden Akte hat." (a.a.O. S. 52), s. dazu auch Kap. D VI c 6
453
458
„Phänom. Psydiol." S. 264 — zit. aus dem Versuch der 2. Bearbeitung des Enzykl. Britannica-Artikels
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from it, they still return bade by one passage or another." 4 5 7 „There is no question of importance, whose decision is not compriz'd in the science of man; and there is none, which can be decided with any certainty, before we become acquainted with that science." 4 5 8 Philosophie ist also universale Wissenschaft, nicht Wissenschaft bestimmten Bereiches, und ist als solche Wissenschaft vom Menschen. D e r Gegenstand dieser universalen Wissenschaft, die Vorstellungen des menschlichen Geistes („all the perceptions of the human mind") sind durch unmittelbare Erfahrung („observ a t i o n " ) als solche bestimmt gegeben. „And as the science of man is the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience and observation." 4 5 8 D a ß die Beobachtung als solche die Bestimmtheit des Gegenstandes gibt, zeigt H u m e dadurch, daß er ausdrücklich auf den Begriff des human mind verzichtet. „For to me it seems evident, that the essence of the mind being equally unknown to us with that of external bodies, it must be equally impossible to form any notion of its powers and qualities otherwise than from careful and exact experiments and the observation of those particular effects, which result from its different circumstances and situations." 4 6 0 Ein Begriff des Geistes ist der Erfahrung ebenso transzendent wie der Begriff eines unabhängig von der Erfahrung bestehenden äußeren Körpers. Die Sorge um eine übersichtliche Begriffsbildung dient nur einer ökonomischen Fixierung bisheriger Erfahrungen. „'Tis still certain, we cannot go beyond experience; and any hypothesis that pretends to discover the ultimate original qualities of human nature, ought at first to be rejected as presumptuous and chimerical." 41 ' 1 H u m e geht von der vorausgesetzten Unterscheidung zwischen bestimmt vorgegebener Tatsächlichkeit und Denken aus. D i e philosophische Theorie hat nur die Aufgabe, die dem Denken jenseitig bestimmt gegebenen Tatsachen angemessen zu beschreiben. Hierin ist begründet, daß Hume jeden der Erfahrung vorhergehenden Begriff der Sache als „presumptuous and chimerical" zurückweisen muß; im Sinne K a n t s : nicht nur jeden transzendenten Begriff, sondern ebenso einen transzendentalen, in die Bedingung der Möglichkeit der Bestimmtheit zurückgehenden Begriff. Diese Voraussetzung, von der Humes Denken ausgeht, kehrt in den Fundamentalbegriffen der philosophischen Theorie fixiert wieder. Die dem Denken vorgegebenen Tatsachen heißen „impressions", das Denken selbst ist den 457
458 458 460 461
D. Hume, „A Treatise on Human Nature", ed. Th. Green und Th. Grose, London 1874, Vol. I p. 306 a.a.O. p. 307 a.a.O. p. 307 f. a.a.O. p. 308 a.a.O.
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
„impressions" jenseitige „idea". Das Verhältnis beider, in dem die Äußerlichkeit dieser nicht völlig zu Vermittelnden erhalten ist, versteht Hume als Abbildung, als „image", als „exact representation". „All our simple ideas in their first appearence are deriv'd from simple impressions, which are correspondent to them, and which they exactly represent." 482 Diese komplexe These möchte Hume allein auf Beobachtung stützen, auf unmittelbare Wahrnehmung, in der Voraussetzung, daß der menschliche Geist als Vorstellung („perception") darin seine Auszeichnung als fundamentaler Gegenstand des philosophischen Denkens habe, daß seine Bestimmtheit durch unmittelbare, unableitbare Intuition gewiß gegeben sei. Unmittelbar gewiß sei erstens der Charakter des dem Denken Vorausliegenden, weiter der Unterschied innerhalb der „perception". „Every one of himself will readily perceive the difference betwixt feeling and thinking." Weil dieser Unterschied sich unmittelbar an den Vorstellungen der Beobachtung zeige, fällt für Hume ihre Unterschiedenheit nicht in ein Denken, in dem der Begriff der Unterscheidung denkend zu gründen wäre. Diese unmittelbare Selbstbestimmtheit der „impressions" bedeutet so viel als ihre Ursprünglichkeit, die Hume als faktisches Vorhergehen in der Zeit versteht. „They arise in the soul originally, from unknown causes." (I 317) Hume beruft sich auf das Beispiel gewisser sinnlicher Erfahrung,46® um zu zeigen, „that the simple impressions always take the precedence of their correspondent ideas. To give a child an idea of scarlet or orange, of sweet or bitter, I present the objects, or in other words, convey to him these 482 483
a.a.O. p. 314 Hume nimmt also eine auf sinnlich Gegebenes gerichtete unmittelbare Wahrnehmung an und eine auf „ideas" als solche gerichtete unmittelbare Wahrnehmung: Hume möchte neben den „impressions of sensation" auch nodi „impressions of reflections" unterscheiden; die ersteren seien ursprünglich, die zweiten seien hervorgebracht durch „ideas" („The idea produces the new impressions of reflection . . . a.a.O. p. 317). In Book II „Of the Passions" identifiziert Hume diese Unterscheidung mit der von „original and secondary impressions" (s. a.a.O. Vol. II p. 75 f.). Schwierig bleibt, wie H. die Unterscheidung von „secondary impressions" und „ideas" gedacht hat. Beide sind abgeleitet von „impressions". Für H . scheint sich da kein Problem zu stellen, denn ohne zu beachten, daß es sich hier um fundamentale Unterscheidungen handelt, deren Bestimmungskriterien einfach und bestimmt angegeben werden müßten, denkt er offenbar bei den „impressions of sensations" an solche, die an körperliche Erscheinungen gebunden sind (vgl. a.a.O. Vol. I p. 317: „The examination of our sensations belongs more to anatomists and natural philosophers than to moral; — bzw. Vol. II p. 75: „ . . . arise in the soul in the constitution of the body from the animal spirits, or from the applications of objects to the external organs"), obwohl das, was Körper ist, ja aus dem ursprünglichen Wesen von „impression" abgeleitet werden muß. Bei den „impressions of reflection" denkt H. an „passions and other emotions", ohne die Unterscheidung wirklich zu begründen.
Das empiristische Argument im ontologisdiem Horizont
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impressions."464 Eindeutiger noch ist das klassische Beispiel des Blindgeborenen, weil hier die Faktizität von Erfahrungen eines ganzen abgeschlossenen Sinnesbereiches bemerkt werden kann, oder in dem Fall, da dieser Blindgeborene erfolgreich operiert wird,465 die faktische Aneignung dieses Sinnesbereiches mit Bewußtsein erlebt wird. „Wherever by any accident the faculties, which give rise to any impressions, are obstructed in their operations, as when one is born blind or deaf; not only the impressions are lost, but also their correspondent ideas; so that there never appear in the mind the least traces of either of them." 466 Dieser Erfahrungsfall beweist, daß unseren Begriffen von Farbe irgend etwas faktisch vorhergegangen sein muß, das, sofern die angeschaute Farbe in den Begriffen gemeint wird, als Grundlage des Begriffes bezeichnet werden kann, das selbst ein faktisch anfänglich Geschehendes ist. Hume drückt die Angewiesenheit der ideas auf impressions so aus, daß er sagt, „that our impressions are the causes of our ideas." Mit dem Blick auf das Faktische wird man diese Argumentation nicht leugnen können, besonders dann nicht, wenn die Ursächlichkeit, wie für Hume, nur ein empirisch regelmäßiges Vorkommen von Verknüpfung bezeichnet. Doch Hume geht weiter, er faßt das Vorhergehende als bestimmtes, und die Beziehung von „idea" und „impression" darum als Ähnlichkeit, die wiederum um des faktischen Vorhers der „impression" willen als Abbildung verstanden wird. Worin aber sind „impression" und „idea" derart unterschieden, daß ich sie je für sich als bestimmte bemerken kann? „The difference betwixt these consists in the degrees of force and liveliness, with which they strike upon the mind and make the way into our thought and consciousness."467 Doch das Merkmal der Intensität bedeutet ebenso wie das der Ähnlichkeit nichts als eine problematische Beziehbarkeit der Verschiedenen innerhalb einer Gemeinsamkeit, ohne daß ausgewiesen wäre, w o r i n das Beziehbare verschieden und w o r i n das Verschiedene beziehbar sei. Obwohl also die selbständige Bestimmtheit verschiedener Tatsachen vorausgesetzt wird, wird in der Tat nur eine Beziehbarkeit von möglicherweise Verschiedenen ausgesprochen. So ließe sich also etwa gegen Hume behaupten, es gebe die unterschiedenen „impressions" und „ideas" gar nicht für sich. Und tatsächlich kommt Humes Argumentation in die Nähe dieser Behauptung, wenn 464 465
460 487
a.a.O. I p. 314 Dieser Fall wird in der Erkenntnistheorie des Psychologismus der Jahrhundertwende immer wieder zitiert, auch von Musil. S. auch Musils Berufung auf Helen Keller (in der Frage der „Bewußtseinsentstehung" P D B S. 666), die, seit früher Kindheit sowohl blind als taubstumm, aus minimalen verbliebenen Erinnerungen eine geistige Welt aufzubauen lernte. Hume a.a.O. p. 314 f. a.a.O. p. 311
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er die wechselseitige Abhängigkeit von „impression" und „idea" feststellt, „so that all the perceptions of the mind are double, and appear both as impressions and ideas" (p. 312) — , „that every simple idea has a simple impression, which resembles it, and every simple impression a correspondent idea." (p. 313) Offenbar möchte Hume gar nicht die Verschiedenheit Selbständiger, für sich Bestehender, sondern so etwas wie die wechselseitige Angewiesenheit unabhängiger Momente innerhalb der Vorstellung behaupten. Das Für-sich-Bestehen je von impression und idea leugnet er sogar ausdrücklich, wenn er sagt: „if anyone should deny this universal resemblance, I know no way of convincing him, but by desiring him to shew a simple impression, that has not a correspondent idea, or a simple idea, that has not a correspondent impression. I f he does not answer this challenge, and 'tis certain he cannot, we may from his silence and our own observation establish our conclusion." 468 Obwohl Hume eine „universal resemblance" von „impression" und „idea" behauptet, und es evident sei, daß keines der Bezogenen als für sich allein bestehend irgendwann aufgezeigt werden kann, scheint Hume doch die unabhängige Bestimmtheit jedes für sich vorauszusetzen. Schon die Tatsache, daß H . die Beziehung im Unterschied als Abbildung versteht, zeigt, daß er die Bestimmtheit eines Abgebildeten als solchen voraussetzt. „When I shut my eyes and think of my chamber, the ideas I form are exact representations of the impressions I felt." (p. 312) „Exact representation", oder auch „copy" oder „image", wie H . an anderen Stellen sagt, ist nur möglich, wenn ein anderes bestimmt vorgegeben ist, denn von seiner Bestimmtheit hängt ja das Bild ab. Warum hält er die Bestimmtheit der Unterschiedenen fest und leugnet doch ihre Selbständigkeit? Und warum kann er die Bestimmtheit der Unterschiedenen nicht ausweisen, nicht angeben, worin sie besteht? Die Fragen ergeben sich aus der Grundlegungsproblematik des Empirismus. Ohne es zu wollen, macht H . Aussagen über die „essence of the mind", wenn er behauptet, „that every simple idea has a simple impression, which resembles it, and every simple impression has a correspondent idea." Dabei macht er zwar keine definiert begriffliche Aussage, sondern behauptet nur rein die Beziehung im Unterschied, die für alle Vorstellungen gilt, insofern alle Vorstellungen aus impression und idea bestehen. Dennoch bleibt es eine Aussage über das Wesen der Vorstellungen überhaupt. Diese Behauptung ist n i c h t auf Beobachtung zu gründen, da Beobachtung nicht auf „ e v e r y impression" und „ e v e r y idea" gehen kann. H . gibt der höheren Sicherheit sogar Ausdruck, wenn er erklärt, daß es gewiß sei, daß n i e m a n d eine „impression" ohne entsprechende „idea" " 8 a.a.O. p. 313
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aufzeigen kann und umgekehrt. 469 Die höhere Gewißheit schöpft H . aus der Grundlegungsproblematik. Aus der Behauptung, daß die Vorstellungen wesentlich in ,zwei Arten zerfallen', ergibt sich die Beziehung dieser Arten. Diese Beziehung aufeinander, insofern sie Vorstellungen sind, ist nicht ein gewöhnliches Art-Gattungs-Verhältnis, denn H . gibt nicht die spezifische Differenz an, die die Bestimmtheit von „impression" und „idea" gegeneinander als Glieder der Gattung Vorstellung aussagen würde. Weil er die „impression" als ein faktisch erstes faßt, besteht in dieser Ursprünglichkeit und Unableitbarkeit ihre gerade nicht aus einem Gattungscharakter von „perception" abzuleitende Eigenart. Und darum ist auch die „idea" nicht gleichgeordnetes Artglied der Gattung „perception". Auch die „idea" ist nicht definiert oder definierbar in diesem Sinn. Ihr Charakter ergibt sich rein als Bezogenheit auf ein Ursprüngliches. Wollte man gegen diese Argumentation einwenden, H . wolle nur behaupten: Es gibt zwei Arten von Vorstellungen, nämlidi „impressions" und „ideas", und daneben unbestimmt viele andere, darum werde durch das Verhältnis dieser beiden Arten keine Aussage über die Totalität von Vorstellungen überhaupt gemacht, dann ist es unbegreiflich, warum H . die Bestimmtheit der Arten gegeneinander nicht definit angibt. Er würde dann eine psychologische Wissenschaft bestimmten eingeschränkten Gegenstandsgebietes begründen können. Er würde aber jede erkenntnistheoretisch gründende Aussagekraft verlieren. Ohne hier historisch entscheiden zu wollen, ob bei H . etwa die psychologische Absicht wichtiger ist als die erkenntnistheoretische, interpretieren wir im Sinne der S a c h e , ohne über die ,Absicht' H.'s etwas auszusagen oder zu entscheiden. 3. Die Ausklammerung des Problems der Bestimmtheit — Die Ausweisung der Impression als ursprünglich anfänglicher und die Bedeutung des Zweifels Doch indem wir die Abbildungstheorie bisher nur insofern interpretierten, als in ihr die Grundlegung der Erkenntnis als Beziehung im Unterschied gedacht ist, laufen wir Gefahr, den spezifisch e m p i r i s t i s c h e n Gedanken H.'s zu verlieren. Dem legitimen empiristischen Argument nähern wir uns, wenn wir fragen, warum H . die Bestimmtheit der „impression" als gegeben voraussetzt, glaubt, wenn er doch nicht ausweisen kann, worin diese besteht. H . bemerkt nicht, daß die Bestimmtheit ein erkenntnistheoretisches Problem darstellt, das mit dem Grundlegungsproblem zuinnerst zusammengehört, denn nicht nur muß die Vorstellung als faktische begründet sein in einem Ursprünglichen, sondern auch als 4,8
S. Zitat von „Treatise . . . " I p. 313 auf der vorigen Seite
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bestimmte. Dem zeitlichen Vorher entspricht ein sachliches Vorher. H . sieht nicht, daß die Bestimmtheit eines wahrhaft Erkannten sich erst in der Beziehung der ursprünglich Unterschiedenen konstituiert. Weil die Bestimmtheit der „impression" auch ohne die „idea" schon vorausgesetzt ist, bleibt in der Abbildungstheorie die Bedeutung der idea für sich selbst unklar. Sie ist nur in Beziehung auf die „impression", aber sie ist doch nicht gleich der impression, sie muß also als innerhalb der Beziehung Unterschiedenes selbst Bedeutung haben, wenn ihre Annahme im Unterschied zur „idea" wirklich festgehalten werden soll. Diese Bedeutung muß ebenfalls die eines Ursprünglichen sein, damit sie wirklich ein anderes der „impression" sein kann und nicht die „impressions" selbst die „ideas" in sich begreifen. N u r wenn die Untersdiiedenheit durch die unabhängige Ursprünglichkeit der Bezogenen gedacht ist, ist das Grundlegungsproblem wirklich gelöst. Selbst im Rahmen der Abbildungsvorstellung ließe sich H . kritisieren. Das Bild ist nicht gleich dem Abgebildeten. Es hat als Bild einen eigenen Charakter für sich selbst. Soll nun ein Ursprüngliches als solches triftig abgebildet werden, muß auch dies Abbilden für sich selbst als ein ursprüngliches gedacht sein, da es sonst des Abgebildeten als seinerseits Ursprünglichen nicht mächtig ist. H . hat für die Bedeutung der „idea" im Grundlegungszusammenhang der Vorstellung überhaupt kein Auge, weil die im Begriff zu orientierende G r ü n d u n g d e r B e s t i m m t h e i t rein als solcher für ihn k e i n P r o b l e m ist. So ist diese Problemblindheit H.'s, die ihn die Bestimmtheit einfach als gegeben voraussetzen, g l a u b e n , läßt,470 eines der fundamentalen systembestimmenden Gedanken H.'s. Sie spielt in alle wichtigen theoretischen Entscheidungen H.'s hinein, am auffallendsten etwa in seiner Abstraktionstheorie oder darin, wie H . das Verhältnis von „impression" und „idea" als Verhältnis von 470
D a ß Hume die Bestimmtheit der „impression" als solche voraussetzt, formuliert er ausdrücklich im Zusammenhang des Beweises seiner Abstraktionstheorie: „'Tis confest, that no object can appear to the senses; or in other words, that no impression can become present to the mind, without being determin'd in its degrees both of quantity and quality." (I p. 327) Quantität und Qualität, welchen Sinn sie im übrigen auch haben mögen, er ist wie H . formuliert, allgemein. Es sind also, wie Kant etwa gezeigt hat, Kategorien, die in der Einheit des ,ich denke' ihren Ursprung haben. Den dogmatischen Idealismus, der in diesem Glauben an die Bestimmtheit der „impression" rein als solcher liegt, macht H . in der Ausdrucksweise seiner Argumentation im folgenden deutlich, wenn er die faktische „impression" als „faint" und „unsteady" von einer „real existence" der „impression" unterscheiden kann. Er fährt an der zitierten Stelle fort „The confusion, in which impressions are sometimes involv'd proceedes o n l y from their faintness and unsteadiness, not from any capacity in the mind to receive any impression, whidi in i t s r e a l e x i s t e n c e has no particular degree or proportion." (Sperrungen vom Verf.)
Das empiristische Argument im ontologischem Horizont
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Wirkung und Ursache versteht, ohne dabei den Unterschied von ontologisdiem „Grund" und dem Kausalitätsverhältnis der Naturwissenschaften zu bemerken. 471 Diese Problemblindheit gestattet H . trotz seiner wesentlichen empiristischen Einsicht doch einen rationalen Dogmatismus beizubehalten, der in der Epoche der Aufklärung, geistesgeschichtlich betrachtet, auch kaum überwindlich zu sein scheint. Trotzdem läßt sich eigentlich
legitime
der
Versuch
empiristische
machen, das, was hier Argument
H.'s
das
genannt
werden soll, z u i s o l i e r e n . Es behält seine Berechtigung, auch wenn man von der gezeigten Problemblindheit H.'s absieht. Abstrahiert man nicht von dieser Problemblindheit, fällt es schwer, die Evidenz des Empirismus zu verstehen, die ihm im modernen Denken, trotz der Kritik des deutschen Idealismus, wieder zugestanden wird, auch dort, wo nicht der Dogmatismus der Naturwissenschaften ausschlaggebend ist. Das empiristische Argument wird durch die Problemblindheit H.'s im Kern nicht berührt, obwohl bei dem weitreichenden Einfluß der unausgewiesenen Bestimmtheitsgeltung der „impression" alle Neuorientierung wichtiger philosophischer Begriffe einer weitgehenden Kritik verfallen muß. Aber das e m p i r i s t i s c h e A r g u m e n t 471
— das wird zu zeigen
Eine andere Folge dieser Problemblindheit ist das Verständnis der Identität als Dauern in der Zeit. Da Hume die Bestimmtheit der „impression" zugleich mit ihrer Veränderlichkeit, d. h. für ihn mit der Sukzession in der Zeit, als unmittelbar gegeben annimmt, ist ihm nur die Beständigkeit des Dinges ein Problem, die er als eine Fiktion der Einbildungskraft versteht, „by which the unchangeable object is suppos'd to participate of the change of the coexistent objects and in particular of that of our perceptions." (a.a.O. I p. 490) Natürlidi ist die Dauer nicht gleich der Identität, sondern jene setzt diese als reine Identität schon voraus, die also ursprünglich gedacht werden müßte, statt daß sie — als „unity of impression" — einfach vorausgesetzt wird, als etwas, das, wie H. (p. 489) sagt, nichts bedeute: „for in that proposition an object is the same with itself, if the idea express'd by the word object were no ways distinguish'd from that meant by itself; we really shou'd mean nothing, nor wou'd the proposition contain a predicate and a subject, which however are imply'd in this affirmation." Sehr auffallend ist die maßgebliche Bedeutung von Humes Glauben an die Bestimmtheit der Eindrücke an sich in seiner Urteilslehre. Er widerspricht der Auffassung, Urteil sei Trennung oder Vereinigung verschiedener Vorstellungen, denn „in every judgement", „which regards existence the idea of existence is no distinct idea, which we unit with that of the object". (a.a.O. I p. 396 Anm. 2) Hume nimmt also sogenannte Existentialurteile an, die in der Anerkennung einer einzigen (!?) Vorstellung bestehen. Es sind auf bestimmte „impressions" bezogene Urteile, deren Faktizität u n d Bestimmtheit also unmittelbar, ohne eine Urteils Vermittlung gewiß sind und im Urteil ausgesprochen werden.
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
sein — hat sein legitimes Z i e l g a r n i c h t in d e r G r ü n d u n g
einer
P h i l o s o p h i e sondern hat vielmehr darin seine unüberholbare Bedeutung, daß es d a s S c h ö n e in s e i n e r i n k o m m e n s u r a b l e n
Bedeu-
t u n g für das philosophische Bewußtsein b e m e r k l i c h m a c h e n k a n n . H . selbst begründet keine Ästhetik in diesem Sinn, aber er spürt, daß der empiristische Kern seines Denkens nicht im System fordernden Anspruch der Philosophie zu seinem Recht kommt. Denn H . löst den Systemanspruch der Philosophie auf, daß heißt die Möglichkeit, Totalität als solche widerspruchslos zu bestimmen. Das Argument, das dieser Kritik zugrunde liegt, nennt H . das skeptische. 472 H . hat allen Grund anzunehmen, daß das klassische Argument der Philosophie gegen die Skepsis den von ihm ins Auge gefaßten Sachverhalt nicht auflöst. 478 Dieser Sachverhalt läßt sich formulieren in dem Argument: die reine Faktizität der Vorstellungen ist dem Denken jenseitig und unauflösbar, solange dieses nicht den Widerspruch als absoluten zu denken vermag. Dies ist zugleich der Kern des empiristischen Arguments. Der Begriff der ästhetischen E r kenntnis wird sich in dieses Argument H.'s einlassen müssen. Der Begriff des Schönen wird den von H . in diesem Argument bemerklich gemachten Sachverhalt anerkennen und als Sachverhalt rechtfertigen. 474
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Vgl. die ersten beiden Abschnitte des vierten Teils im 1. Buch seines Treatise: „Of Scepticism with regard to reason" (p. 472 ff.) und „Of Scepticism with regard to senses" (p. 478 ff.) Treatise I p. 477: „If the sceptical reasonings be strong, say they, *tis a proof, that reason may have some force and authority, if weak, they can never be sufficient to invalídate all the conclusions of our understanding. This argument is not j u s t . . . " Das Argument kehrt wieder etwa in Husserls „L. U . " I S. 84 ff. „Ober einige prinzipielle Gebrechen des Empirismus" s. a. a.a.O. S. 110 ff. — Andererseits anerkennt gerade Husserls Kritik Humes den Kern des empiristisdien Arguments, indem seine reine Logik und später auch seine Transzendentalphänomenologie durch den Kunstgriff der £JtoxT| von dem Moment des Seins der Vorstellung abzusehen erlaubt. In dieser tno%r\, sofern sie die Faktizität als dem Denken jenseitig anerkennt (also nicht sofern sie problemunbewußt diese Faktizität wie etwas Belangloses einfach „ausklammert") liegt das Gemeinsame des Empirismus Husserls und Humes. Es kann als ein Hinweis auf diesen Sachverhalt gedeutet werden, daß beide in Anerkennung des gleichen Sachverhalts auf die klassische Skepsis hinweisen, bewußt, ohne ihre Argumente zu übernehmen. Hume tut es ausdrücklich und Husserl durdi seinen Begriff der éjioyji, der aus der Skepsis stammt und vielleicht gegen Husserls Willen den Kern des skeptischen Arguments in der Phänomenologie festhält. Dieses Anerkennen des im skeptischen Argument bemerklich gemachten Sachverhalts ist das Gegenteil von dem, was populär Skeptizismus heißt und eine Meinungshaltung betrifft. Es besagt gerade nicht, daß das Denken sich selbst aufgebe und nur noch ein gleich gültiges Dies-oder-das-Meinen an seine Stelle trete.
Das empiristische Argument im ontologisdiem Horizont
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D i e Möglichkeit, das Ästhetische a u f das empiristische A r g u m e n t zu gründen, bestand für H . nicht. F ü r ihn ist „ b e a u t y " z w a r „impression", aber erstens als solche für ihn, wie w i r gesehen haben, bestimmt, sie ist also eine bestimmte „passion" unter anderen, zweitens ist sie als „passion" abgeleitete „impression", sogenannte „impression of reflexion", die auf „original impressions of sensation" zurückgeht. 4 7 5 Die Möglichkeit, das Ästhetische als T o t a l i t ä t zu denken und so auf impression zu beziehen, besteht nur, wenn die „impression" als solche nicht als bestimmt einzelne genommen wird, wenn sie als faktisch Ursprüngliche rein gedacht w i r d . D a s Schöne als T o t a l i t ä t ist also nur dann a m empiristischen A r g u ment zu orientieren, wenn dieses für sich in seiner legitimen Bedeutung isoliert w i r d v o n H . ' s Glauben an die Bestimmtheit der „impression". Denn dann stellt sich heraus, d a ß die W a h r h e i t des skeptischen Arguments,
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Indem die Literaturwissenschaft sich nicht mehr an einer Ästhetik als Theorie ästhetischen Erkennens orientiert, hat gerade sie das skeptische Argument im skeptizistischen Sinn aufgenommen. Sie behandelt Dichtung nicht als etwas, das die Wahrheit betrifft, sondern verkehrt die Wahrheit der Dichtung in Meinung, nur um an der Anerkennung des Widerspruchs vorbeizukommen. Unter dem Stichwort des Historismus ist ihr und den historischen Geisteswissenschaften dieser Vorgang bewußt geworden. Man hat darum den Historismus .überwinden' wollen, so daß man in ein Für-wahr-halten flüchtet als wäre dies ein Absolutes. Die ,Weltanschauung' e n t s c h l i e ß t sich, ein bestimmtes Meinen für die Wahrheit zu nehmen, um so den Widerspruch nicht denken zu müssen. Die .Gesellschaftskritik' e n t s c h l i e ß t s i c h , jegliche Bestimmtheit des Meinens zu kritisieren, indem sie überall den Widerspruch der Meinung aufzufassen lehrt, ohne die Pflicht zu bemerken, in einem h ö h e ren' Begriff des Ganzen das Negative der Meinung als Meinung aufzuheben. In beiden Fällen wird Dichtung nur als Meinung gefaßt. Anstatt den im skeptischen Argument bemerklich gemachten Sachverhalt als Sachverhalt zu denken, meint man, das Denken sei durch das Auftauchen des Widerspruchs ungültig geworden, und flüchtet in ein bloßes Meinen. Denken sei nichts als ein Meinen, das sich so oder so .beschreiben' lasse. Auch Dichtung sei nichts als Meinungshaltung, „eine bestimmte H a l tung", Stil als „Insgesamt der Perzeptionskategorien" eines Werkes oder eines Autors, (so W. Kayser in „Das sprachliche Kunstwerk" 4. Aufl. 1956 S. 292). Die Dichtung und Kunst, das aktuelle dichterische Schaffen, droht dem Spiel der gesellschaftlichen Konvention zu verfallen, wo nicht der durch keine Wissenschaftsmeinung zerstörbare Eindruck sich über die Epochen behauptender klassischer Dichtung wenigstens eine Ahnung des dem zufälligen Meinen entzogenen Wesens der Kunst wachhält. S. o. Anm. 463. — Die Unterscheidung innerhalb der „impressions" bleibt unverständlich. Sie läßt sich nur so erklären, daß H . die eigentlichen „impressions" mit den bestimmt interpretierten körperlichen Sinnesempfindungen gleichsetzte und nun die Unterschiedenheit von Empfindungen, die nicht Sinnesempfindungen sind, Gefühlen also, anerkennen mußte. Hätte H . die Unbestimmtheit der „impressions" rein als solche anerkennen können, hätte sich auch dies Problem für ihn nicht gestellt.
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also die Unerreichbarkeit der Totalität der „impression" für den Begriff, eigentlich die Wahrheit des Unmittelbaren bedeutet. Es wird zu zeigen sein, daß diese Isolierung sachlich gerechtfertigt ist, so daß sich sagen läßt, der wesentliche Impuls für das Denken liegt bei H. in dem empiristischen Argument und nicht in dem aus dem überkommenden Rationalismus übernommenen Bestimmtheitsglauben.476 Alle unsere Vorstellungen sind rückführbar auf Anfängliches. Dieses Anfängliche ist nicht eines, sondern unbestimmt vielfältig, wie die Vorstellungen selbst. Diese Aussage drückt H . in dem fundamentalen Satz aus: „All our simple ideas in their f i r s t a p p e a r a n c e are d e r i v e d f r o m simple impressions, which are correspondent to them and which they exactly r e p r e s e n t . " 4 7 7 Wenn gilt, daß „all the perceptions of the human mind resolve themselves in the two distinct kinds, which I call impressions and ideas"478 — und wenn weiter gilt, daß beide „Klassen" in einer unumkehrbaren einseitigen Beziehung („derived", „represent") stehen, ist die eine Klasse als anfängliche gedacht. So bestätigt H . ausdrücklich, daß die „impressions" selbst unableitbar sind, er müßte sonst ein anderes als ursprüngliche „impression" und abgeleitete „idea" Vorstellung nennen können. Von den sogenannten „impressions of sensation" sagt H . : „As to those impressions, which arise from the senses, their ultimate cause is, in my opinion, perfectly inexplicable by human reason, and 'twill always be impossible to decide with certainty, whether they arise from the object or are produc'd by the creative power of the mind, or are deriv'd from the author of our being."479 „The impression of sensation arises in the soul originally from unknown causes."480»481 Daß H . die Ursprünglichkeit nun weiter als faktische verstehen muß, ergibt sich schon daraus, daß die Voraussetzung der Bestimmtheit der impression ein l o g i s c h Anfängliches zu denken überflüssig macht. H . 478
477 478 479 480 481
Eine ähnliche Rolle spielt in der Vorbereitung eines reinen Sdiönheitsbegriffes etwa Diderot (wie Sterne Zeitgenosse Humes). Audi bei ihm wendet sich das skeptische Argument, das ebenso wie bei Hume der Offenheit für das Sinnliche der Vorstellungen überhaupt entspringt, in eine Dogmatisierung dieses Ästhetischen, bei Diderot in einen Materialismus. a.a.O. I p . 314 a.a.O. p. 311 a.a.O. p. 385 a.a.O. p. 317 Ob Hume für die „impressions of reflection" eine Ableitbarkeit von „ideas" annehmen kann, wenn diese selbst als abgeleitet aus den „impressions of sensations" verstanden werden, wie H . im 2. Abschnitt des ersten Teiles will, ist fraglich. Man wird für das, was H . unter dem Begriff der „impression of reflection" zusammenfaßte, „passion" und „moral", ebenso Ursprünglichkeit annehmen müssen und wird auf diese Weise audi die sensualistische Bestimmtheit wie alle Bestimmtheit der „impression" kritisieren müssen.
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kennt kein logisch Ursprüngliches, sondern nur die Anfänglichkeit eines Tatsächlichen. Aber H . w e i s t diese f a k t i s c h e A n f ä n g l i c h k e i t der „impression" audi selbst a u s , indem er nämlich sagt, daß Vorstellung und Vorstellung von Existenz gleichbedeutend seien. Existenz ist also eine ,Bestimmung', die von a l l e n Vorstellungen aussagbar ist. Und H . gibt k e i n e andere Bestimmung von Vorstellungen überhaupt als diese. Er sagt: „There is no impression nor idea of any kind, of which we have any consciousness or memory, that is not conceiv'd as existent, and 'tis evident, that from this conciousness the most perfect idea and assurance of being is derived." „We never remember any idea or impression, without attributing existence to it."182 Die Existenzgewißheit betrifft a l l e Vorstellungen („impressions" u n d „ideas"). Das bedeutet, sie ist ebenso ursprünglich wie die Ableitbarkeit aller Vorstellungen aus „impressions". Sie muß also selbst den „impressions" entstammen. Sie kann aber nicht ihren Ursprung einer bestimmten „impression" unter anderen verdanken. Dann müßte diese jede Vorstellung begleiten. Da aber jede „impression" eine für sich selbständig einzeln gegenwärtige ist, so folgt: „The idea of existence . . . is the very same with the idea of what we conceive to be existent. To reflect on any thing simply, and to reflect on it as existent, are nothing different from each other." 483 Nicht der Vorstellung als Vorstellung („perception") kommt die Existenzgewißheit zu, sondern den Vorstellungen überhaupt, sofern sie in den „impressions" ihren Grund haben. Wäre das nicht so, wäre die Ursprünglichkeit der „impressions" geleugnet, denn da die Existenzgewißheit alle Vorstellungen betrifft, muß sie in dem liegen, worin die Totalität der Vorstellungen überhaupt gedacht ist, nämlich aus „impression" ableitbar zu sein. Die Anfänglichkeit der „impression" bezieht sich auf die Existenzgewißheit. Darum nannten wir sie eine faktische Anfänglichkeit. Obwohl H . darüber hinaus vielfältige Aussagen über die „impression" machen zu können glaubt, gibt er den Gedanken der faktischen Anfänglidikeit der impression nicht preis. E r bleibt wesentlich leitend, audi wenn die Argumente H.'s um der dargestellten Problemblindheit willen undurchsichtige, geglaubte Voraussetzungen benutzen.484 Denn wenn die Anfänglidikeit 482 483 484
a.a.O. p. 370 a.a.O. So setzt in der Abstraktionstheorie H., etwa, der Tradition des Empirismus von Locke und Berkeley gemäß, alle Vorstellungen („impressions" und „ideas", das Abbildungsverhältnis läßt hier keinen Unterschied zu) als „particular" oder „individual" voraus, es sei hier nodi offen gelassen, was darunter zu verstehen ist: „A great philosopher . . . has asserted, that all general ideas are nothing but particular ones, annexed to a certain term, which gives them a more extensive signification." (I p. 325) „ . . . t'is confest that no object can appear to the senses; or in other words that no impression can become present
12 Sdiaffnit
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Die Herkunft von Musils Diditungsbegriff
der „impression" allein ihre E x i s t e n z betrifft, dann ist dieses anfängliche n i c h t e i n s , genauer, es ist nichts darüber bestimmt aussagbar, ob es eines oder vieles sei, es ist unbestimmt mannigfaltig. D a r i n liegt die Kontingenz der „impressions", und darin sind sie für das Denken unauflösbar, sie sind in ihrem reinen D a ß Geschick. Da aber alle Vorstellungen sich auf „impression" beziehen und damit wesentlich auf ihre Anfänglichkeit der Existenz, muß H . zu der Auffassung kommen, sie sind so, wie sie in ihrer Totalität einzig gefaßt werden können, allgemein nicht bestimmbar. Sie gehen nicht in der Einheit des Begriffs auf. Das will sagen: Sofern die Vorstellungen überhaupt in ihrer Totalität und Ursprünglichkeit faßbar sind, das heißt, rein als existierende, sind sie begrifflich nicht bestimmbar und darum in ihrer Totalität dem allgemeinen Begriff unzugänglich. Sie sind überhaupt nicht mit absoluter Gültigkeit unter einem Begriff zu fassen, gerade weil sie in ihrem Seinsmoment allein unmittelbar gewiß sind. Die Allgemeinheit, die alle Vorstellungen als ursprünglich charakterisiert, — was hier Totalität genannt wird — und die Allgemeinheit des Begriffs sind absolut Widersprechende. Sofern nun alles begriff lidie Denken von ursprünglich gegebenen „impressions" ausgeht, diese aber in ihrer Totalität nicht trifft, hat es an deren unmittelbarer Gewißheit keinen Anteil. Nur in diesem fundamentalen Merkmal der Faktizität sind die Vorstellungen überhaupt unmittelbar gewiß. „Impression" und Ursprünglichkeit als Existenz sind nichts Verschiedenes. In H.'s Ausdrudesweise: Die Existenz ist keine besondere Vorstellung.485 Existenz und Ursprünglichkeit sind nidit abgeleitet voneinander oder bezogen aufeinander wie „impression" und „idea". Diese unmittelbare Gewißheit und Ursprünglichkeit (d. h. im Moment des Seins eine Totalität zu umfassen) ist das, was oben absolute Subjektivität genannt wurde. Absolut ist die „impression" als ursprüngliche; Subjektivität als unmittelbar gewisse. Dadurch daß H . bemerkt, daß Vorstellung von Existenz und Vorstellung unterschiedslos das-selbe bedeuten, anerkennt er, daß die Ur-
485
to the mind, without being determin'd in its degrees both of quantity and quality". (I p. 327) — „T'is a principie generally reeeived in philosophy, that everything in nature is individual, and that 'tis utterly absurd to suppose a triangle really existent, which has no precise proportion of sides and angles." (a.a.O.) Die Mannigfaltigkeit der Argumente zeigt, daß H. das im Grunde leitende Argument, das den Grund seiner Gewißheit in dieser Frage darstellt, nicht selbst ausspricht. S. „Treatise..." I Part 2 Section 6 — Hume kann die Argumentation nicht ausdrücklich in diesem Sinn führen. Er muß den absoluten Widerspruch zwischen Sein und Denken anders fassen, weil für ihn die „impression" als ,eine' vorausgesetzt wird. Das Denken, das dem Sein absolut widersprechende, kann also nicht in seiner ursprünglich einheitsstiftenden Bedeutung erfaßt werden, sondern es tritt wesentlich so in Widerspruch zur „impression", daß es Dauer und gegen das Vorstellen abgesonderte Körperlichkeit konstituiert.
Das empiristische Argument im ontologisdiem Horizont
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sprünglichkeit der „impression" das Seinsmoment betrifft. Die Vorstellung von Existenz ist nicht eine gesonderte, die sidi also auf eine gesonderte Impression unter anderen beziehen müßte, sondern sie ist mit jeglicher „impression" gleich-ursprünglich. Genauer: Existenz ist das einzige Moment, in dem sich die Ursprünglichkeit und Anfänglichkeit der „impression" ausweisen läßt. Dadurch ist die fundamentale Bedeutung der „impression" anerkannt und erwiesen. Die Wahrheit der Vorstellungen überhaupt liegt in ihrer Beziehung auf das Sein der „impression". Vorstellungen sind wahr, sofern sie im Sein der impression fundiert sind, das selbst in seiner selbständigen Anfänglichkeit unmittelbar gewiß ist. Auf dieses Argument ist H.'s Erkenntnistheorie aufgebaut. Die Gewißheit des Existierens betrifft die Totalität, sie ist Wahrheit, und diese Wahrheit stammt aus der „impression". H.'s Erkenntnistheorie besteht darin, zu prüfen, wie Vorstellungen an dieser Seinsgewißheit der „impressions" Anteil haben. Wenn also H . auch kein Verständnis für die e i g e n e U r s p r ü n g l i c h k e i t des Denkens hat, so hat er doch die Ursprünglichkeit der „impression" derart gültig ausgewiesen, daß sie zu Recht als eine im absoluten Sinn wahre gelten muß. Das Sein von „impression" ist Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis. Doch da H. nicht ebenso die Ursprünglichkeit des Denkens für sidi selbst gültig ausweist, was damit zusammenhängt, daß er die Bestimmtheit von Vorstellungen überhaupt problemlos meint als aus der „impression" stammend voraussetzen zu können, darum kommt es einerseits nicht zu dem Gedanken des reinen Widerspruchs von Denken und Sein. Andererseits wird das Sein der „impression" nidit in seiner Reinheit gedacht. Es wird nicht als reiner Stoff, als rein Sinnliches i n a b s o l u t e r U n b e s t i m m t h e i t anerkannt, es wird ihm eine Bestimmtheit zugetraut, die es erst hat in der bestimmenden Allgemeinheit des Denkens, das die impression a l s e t w a s ursprünglich d e u t e t . Darum kommt es nicht zur wirklichen Anerkennung der ästhetischen Totalität als reiner Unmittelbarkeit und ihrer Problematik. Trotzdem ist der erste Schritt zur Gewinnung dieser reinen Totalität getan, insofern als die Ursprünglichkeit der „impression" im Seinsmoment gedacht ist. Sie leitet das skeptische Argument H.'s. Doch w i r d der Z w e i f e l H.'s n i c h t f r u c h t b a r , so daß aus ihm das freie Feld des Absoluten gewonnen wird, als reines ästhetisches Erlebnis oder als reines Denken des Widerspruchs. Der Zweifel bleibt bei der Anerkennung der Welt als zufällig so bestimmter stehen. Er wird nur so weit wirksam, als er das So-bestimmte der Welt als bloßen G l a u b e n anzuerkennen und zu durchschauen lehrt. Er führt nicht dazu, die Wahrheit des Widerspruchs zu entwickeln, wie er nicht dazu führt, die Wahrheit der „impression" als reiner Anschauung von ihrer geglaubten Bestimmtheit 12*
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
zu befreien und so dem Ästhetischen zu seiner eigenen absoluten Anerkennung zu verhelfen. Der Z w e i f e l H.'s, der v o n dem absoluten, gültigen A r g u m e n t g e n ä h r t wird, daß die „impressions" a l s S e i e n d e a n f ä n g l i c h sind, führt also zu einer K r i s e d e s W i s s e n s , d i e im wesentlichen f o l g e n l o s bleibt. Der Inhalt des dogmatischen Wissens bleibt anerkannt, wenn auch im Charakter des Geglaubten bewußt. Der Zweifel, dessen Wahrheit gezeigt worden ist, wird also von H . abgebrochen. „Nature, by an absolute and uncontrollable necessity has determin'd us to judge as well as to breathe and feel: nor can we any more forbear viewing certain objects in a stronger and fuller light, upon account of their customary connexion with a present impression, than we can hinder ourselves from thinking as long as we are awake, or seeing the surrounding bodies, when we turn our eyes towards them in broad sunshine."488 Die Faktizität, die die „impression" betrifft, dehnt H., weil er die Bestimmtheit dieser „impression" annimmt, auf alles Wissen aus. Doch hat dieses im Gegensatz zur „impression" als solcher die Faktizität eines a u f G e w o h n h e i t beruhenden Glaubens. 4. Der „Belief", die ursprüngliche Einzelheit der Vorstellungen und Bedeutung und Begriff der „Causation"
überhaupt
Wenn H . nun aber ausweisen muß, w a r u m das vermeintliche W i s sen n u r e i n G l a u b e n ist, und wie es als Glauben doch eine Beziehung auf die unmittelbar gewisse „impression" hat, ist er genötigt, über den bloßen Vollzug dieses Glaubens hinauszugehen und ihn in der W a h r h e i t d e s Z w e i f e l s z u b e g r ü n d e n . Hier muß also H . über einen bloßen dogmatischen Positivismus hinaus gelangen und hier muß das eigentlich empiristische Argument zur Geltung und zur Wirkung gebracht werden. Diese Wahrheit des skeptischen Arguments muß H . entfalten, einmal angesichts der Frage: Wie erklärt sich die Vorstellung einer dauernden körperlichen und gegen das Vorstellen als solches abgesondert existierenden Welt, wenn unmittelbar gewiß nur die „impression" ist und diese „impressions" weder Dauer noch Abgesondertheit eines vom Vorstellen unabhängigen äußeren Daseins geben können.487 Die Existenz eines Dauernden betreffend formuliert H.: „To begin with the S e n s e s , 'tis evident these faculties are uncapable of giving rise to the notion of the continu'd existence of their objects, after they no longer appear to the 486 487
a.a.O. p. 474 f. Hume behandelt das Problem in Section 2 von Part 4: „Of scepticism with regard to the senses" — audi hier scheidet H . von vornherein alle Folgerungen aus dem Zweifel aus.
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senses. For that is a contradiction in terms, and supposes that the senses continue to operate, even after they have ceas'd all manner of operation." 488 Ein vom Vorstellen unabhängiges gesondertes körperliches Dasein kann ebensowenig auf das sinnlich Gegebene der „impression" zurückgehen: „That our senses offer not their impressions as the images of something distinct, or independent, and external, is evident; because they convey to us nothing but a single perception, and never give us the least intimation of any thing beyond. A single perception can never produce the idea of a double existence, but by some inference either of the reason or imagination. When the mind looks farther than what immediately appears to it, its conclusions can never be put to the account of the senses; and it certainly looks farther, when from a single perception it infers a double existence and supposes the relations of resemblance and causation betwixt them."48* Daß die Vorstellung einer „continued existence" nicht auf „impression" zurückgehen kann, sondern nur auf „reason" oder „imagination",4®0 folgert H . daraus, daß die „continued existence" im Widerspruch stehe zur „impression" als unmittelbar gegenwärtiger. Die Vorstellung einer gegen das Vorstellen abgesonderten Existenz ist unvereinbar mit der „impression" als einzelner. Wie aber kommt H . dazu, die unmittelbare Gegenwärtigkeit und die Einzelheit der „impression" anzunehmen? Sind dieses Bestimmungen der „impression", die in ihrem Charakter als anfänglich existierender unmittelbar gründen? Oder sind es nur solche, die H . blind als für die „impressions" geltend voraussetzt, obwohl er sie nicht als die Totalität betreffend ausweisen kann, wie seine Annahme der sonstigen Bestimmtheit der „impression"? H . stellt sich diese Frage nicht. Er geht von der unmittelbaren Gewißheit aus, daß die ursprünglichen „impressions" „einfache" („simple", „single") oder „einzelne" („individual", „particular") sind. 488 488 m
a.a.O. p. 479 a.a.O. p. 479 f. Beide sind für Hume also nicht auf „impressions" beziehbar, beide nicht, weil sie keinen Bezug auf „existence" haben, „reason" ist wesentlich als abstrakte mathematische Gewißheit verstanden und gibt in dieser Beziehung nicht mehr als die Fiktionen der Phantasie. Trotzdem nimmt Hume die unbedingte Gewißheit eines Wissens an, das nur auf „ideas" beruht; s. dazu Part 3 Section 1 „Of knowledge": „ . . . there remain only 4 (seil, relations) which depending solely upon ideas, can be the objects of knowledge and certainty. These 4 are resemblance, contrariety, degrees in quality and proportions in quantity and number", (p. 372 f.) H . nimmt zwar an, daß sie auf Grund von „impressions" gewonnen sind. Ihre Gewißheit zeigt aber, daß sie nicht aus ihr allein entsprungen sind. Sie hängen von den „ideas" als solchen ab, die zwar wiederum auf „impressions" beruhen, aber an der Existenz keinen Anteil haben. Darum sind sie für Hume nicht wichtig.
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D i e H e r k u n f t von Musils Dichtungsbegriff
Einfachheit ist Unteilbarkeit, so erklärt er. „Simple perceptions . . . are such as admit of no distinction nor separation." (p. 312) Darüber hinaus gibt er keine ausdrückliche Erklärung, was unter der ursprünglichen Einfachheit aller Vorstellungen zu verstehen sei. Bevor wir aber dieser Einfachheit kritisch nachdenken, ist es nötig, eine differenziertere Vorstellung davon zu gewinnen, wie H . diese vorausgesetzte Einfachheit der „impressions" erkenntnistheoretisch e i n s e t z t . Welche Rolle spielt sie in der Begründung der Erkenntnis? Diese Frage ist zuerst zu klären, wenn wir verstehen wollen, was Einfachheit für H . bedeutet, und wie sie also zu denken sei. H . begreift in der Einfachheit der „impressions" wesentlich ihre ursprüngliche Selbständigkeit gegenüber einem Denken, das nach H . wesentlich mit einer Mehrheit von Vorstellungen zu tun hat, schon darum, weil es, nach H., Beziehung Verschiedener ist, „in „comparison" besteht. 491 Sehen wir davon ab, warum H . nicht das Problem empfindet, den Gedanken der Einheit zu begründen. Offenbar unterstellt er, sie sei in der Einzelheit der „impression" mitgegeben.4®2 H . sieht nur die Schwierigkeit, eine Mehrheit zu begründen, nicht die der Einheit. Die Mehrheit ist das erkenntnistheoretische Problem. Doch auch da nicht in jedem Fall. H . kann wie die Einheit auch eine Mehrheit als in der „impression" unmittelbar gegeben annehmen: „When both the objects are present to the senses along with the relation, we call this p e r c e p t i o n rather than r e a s o n i n g ; nor is there in this case any exercise of the thought or any action, properly speaking, but a mere passive admission of the impression thro' the organs of sensation." 493 H . sieht also, daß in seiner Voraussetzung der Bestimmtheit von „impressions" die Einheit ebenso enthalten ist, wie die Mehrheit. Eine selbständige Aufgabe des Denkens bestünde offenbar gar nicht. Die Beziehung Verschiedener als Vergleichung sei h i e r „ a mere passive admission". Demgegenüber besteht das e i g e n t l i c h e Denken in einer dieser „passive admission" gegenüber selbständigen „ a c t i o n " des „reasoning". Diese selbständige „action" des „reasoning" betrifft nicht den Fall, „when both the objects a r e p r e s e n t to the senses along with the relations . . . " . Beleg d a f ü r s. nächste Seite 4»2 Ygj_ Section 2 v o n P a r t 4, w o H . im Z u s a m m e n h a n g der E r l ä u t e r u n g seines Begriffes von Identität als dauernder E x i s t e n z die Einheit ( „ u n i t y " ) ausdrücklich als in der einzelnen „impression" gegeben b e h a u p t e t : „ O n e single object conveys the idea of unity not that of identity." (p. 489 — „ u n i t y " ist also Identität im strengen Sinn, die, kritisch gesehen, durchaus nicht a u f „impressions" rein als solche zurückzuführen ist, sondern Ergebnis des Denkens als bestimmender Synthesis ist. 4 8 3 a . a . O . p . 376
491
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Worin aber besteht die Selbständigkeit des Denkens: Wie ist die „comparison" einer Mehrheit beschaffen, wenn sie wirklich „action" des „reasoning" ist? Es gibt für H . offenbar verschiedene Arten des Denkens von ungleicher Bedeutung. Zwar gilt: „All kinds of reasoning consist in nothing but a comparison and a discovery of those relations, either constant or inconstant, which two or more objects bear to each other." 494 A l l e s Denken besteht im Vergleichen und im Entdecken von Beziehungen zwischen verschiedenen Gegenständen, bzw. Gegenstände repräsentierenden Vorstellungen. Eine erste Unterscheidung innerhalb des Denkens ergibt sich daraus, ob die „relations" „constant" oder „inconstant" sind. Davon ist sogleich zu reden. Eine weitere wesentliche Unterscheidung innerhalb des Denkens und damit der Beziehungen, die es entdeckt, ergibt sich, wie folgt. „This comparison we may make, either when both the objects are present to the senses, or when neither of them is present, or when only one."495 Das Denken ist also ein verschiedenes, je nachdem, ob die verglichenen Objekte, deren Beziehungen entdeckt werden, in unmittelbar gegenwärtiger „impression" vorliegen, ob nur eines der verglichenen Objekte gegenwärtig ist, oder keines. Die letzte Möglichkeit erklärt sidi so, daß die Vergleichung nur auf solchen Vorstellungen beruht, deren Existenz nicht in sinnlich gegenwärtiger Gegebenheit unmittelbar gewiß ist. Von ihnen gilt, was H . im vorangehenden Kapitel (III 1 — „Of Knowledge") ausgeführt hat, „they depend entirely on the i d e a s , which we compare together . . . this relation is invariable", sie sind also diejenigen, die H . in der oben zuerst wiedergegebenen Unterscheidung „constant" nennt. H. hat hier, wie der Zusammenhang und seine Beispiele zeigen,498 die Beziehungen vor Augen, die Gegenstände der mathematischen Wissenschaften sind. Es sind Beziehungen, „of which we receive information . . . from abstract reasoning . . .".497 Dieser Beziehungen gibt es nach H . vier: „These four are resemblance, contrariety, degrees in quality, and proportions in quantity or number." 498 Sie haben zwar in ihrer Unabhängigkeit vom gegenwärtigen Sein der „impressions" unbedingte Gewißheit und sind darum „constant or invariable relations". Dodi haben sie in dieser abstrakten Unabhängigkeit von gegenwärtigen „impressions" nur eine ähnliche Bedeutung für H . wie die Fiktionen der Einbildungskraft. Gerade in ihrer Selbständigkeit, die eine Unabhängigkeit vom Sein der „impression" ist, haben sie also in dem Empirismus H.'s keine wesentliche
494 495 498 497 488
a.a.O. p. 375 a.a.O. p. 376 Vgl. die Beispiele von III 1 p. 372 f. a.a.O. p. 372 — vgl. auch o. Anm. 490 a.a.O. p. 373
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Die Herkunft von Musils Diditungsbegrifi
Funktion. Denn sie können nicht als Kategorien an der ursprünglichen Bestimmung von „impression" als bestimmten Gegenständen teilhaben, denn diese Bestimmtheit haben ja die „impressions" von sich aus. Andererseits ist bei ihrer mathematischen Abstraktheit von aller Beziehung auf Existenz der „impression", von Erfahrung also, abgesehen. Es ergibt sich also, daß die wesentliche und die Selbständigkeit des Denkens beweisende Rolle nicht auf diesen Relationen beruht, die von der Gegenwärtigkeit von „impressions" völlig unabhängig sind. Sie liegt, wie leicht einsichtig ist, audi nicht in solchen Beziehungen, die sich, nach H.'s Voraussetzung, ganz aus den gegenwärtigen „impressions" ergeben. Sondern die Selbständigkeit und Spontaneität (ihre „action") liegt in solchen Beziehungen, von deren Objekten nur eines in gegenwärtiger „impression" gegeben ist. Es ist die Beziehung der Kausalität, die für H. grundlegende Kategorie der Erkenntnis ist, weil in ihr der Bezug auf Existenz der impression u n d die Selbständigkeit des Denkens in einem eigenen Bezug auf Existenz zugleich gedacht werden kann. Genauer besteht die Selbständigkeit des Denkens gar nicht in der „comparison and discovery of relations", sondern in dem Schluß auf die Existenz eines Nicht-gegenwärtigen, nicht in der Beziehung als solcher, sondern in der E x i s t e n z s e t z u n g , in einem G l a u b e n also, der neben der „impression" die andere Grundlage für die empiristische Erkenntnistheorie H.'s darstellt, und die Erkenntnis als W a h r s c h e i n l i c h k e i t s e r k e n n t n i s begründet. Die fundamentale Bedeutung der Kausalität ergibt sich für H . im einzelnen wie folgt. Nach der Scheidung von „constant" und „inconstant relation", bleiben die „inconstant" als solche, „as may be chang'd without any change in the ideas" zurück. Sie beziehen sich streng auf die gegenwärtige „impression" und haben teil an ihrer Existenzgewißheit. Sie sind darum wesentlich für die Erfahrungserkenntnis. Es sind „identity", „the Situation in time and place" und „causation". Sie lassen sich wieder unterscheiden, insofern Identität und Raum- und Zeitbestimmung im Gegensatz zur Ursächlichkeit nach H . auf solche Vorstellungen gehen, die gemeinsam in der unmittelbar gegenwärtigen „impression" gegeben sind. „In none of them the mind can go beyond what is immediately present to the mind." 489 Diese Bezogenheit allein auf unmittelbar gegenwärtige „impressions" ist einerseits eine Auszeichnung dieser Beziehungen. Sie haben nach H . Anteil an der ursprünglichen Gewißheit der „impression", die eigentlich und wesentlich nur ihre Existenz betrifft. Sie müssen nach H.'s Voraussetzung als Beziehungen angesehen werden, denen die „impression" vor allem anderen Denken eine ursprüngliche Bestimmtheit verdankt. Da498
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mit aber fallen sie für H . mit der „impression" selbst zusammen. Ihr Bemerken geht nicht auf „reasoning" zurück, sondern ist „a mere passive admission of the impressions thro' the organs of sensation." In den „observations, we make concerning identity and the relations of time and place . . . is none of them the mind can go beyond what is immediately present to the mind." 5 0 0 Ihre Entdeckung geht nicht auf ein selbständiges Denken zurück. Denn selbständig ist die „ a c t i o n " eines Denkens, das ü b e r d i e „ i m p r e s s i o n s " h i n a u s g e h t („ go beyond", „transition"). Wie wir sehen, kann H . dieses Hinausgehen über die „impression", die Selbständigkeit des Denkens nicht darin sehen, daß es als ursprüngliche Form dem ursprünglichen Stoff der „impression" gegenübersteht, daß also das unbestimmt Gegebene in der Einheit des „Ich denke" als „etwas" bestimmt wird. Darum betrifft ja audi das Hinausgehen über die „impression" gar nicht alle Relationen des Denkens. „Identity" und die „relations of time and place" gelten als i n der „impression" selbst gegeben. Die anderen Relationen knüpfen gar nicht an die gegenwärtig existierende „impression" an. Nur die Kausalität geht zwar vom gegenwärtigen Eindruck aus und geht zugleich über ihn hinaus. Es ist ein Hinausgehen über die „impression" als absolut gegenwärtige und einzeln existierende. Es ist der Schluß von einem gegenwärtig existierenden Eindruck auf die Existenz eines anderen. Das Produkt dieses ,unmittelbaren Schlusses', die Existenz einer Mehrheit Selbständiger, ist das wesentliche Produkt des Denkens, worin es seine selbständige Tätigkeit erweist. So ist die Kausalität in H.'s Verständnis die für das Erkennen grundlegende Kategorie. Sie besteht in der Betrachtung von etwas, einer gegenwärtig existierenden „impression" (die ja für H . als soldie bestimmt ist) als Ursache oder Wirkung eines anderen und der Setzung dieses anderen als existierend. 501 „'Tis only causation, which produces such a connection, as to give us assurance from the existence or action of one object, that 'twas follow'd or preceded by any other existence or action." 5 0 2 Diese besondere Bedeutung der Kausalität als wesentlicher Kategorie des Denkens ergibt sich also einerseits aus der ausgewiesenen Selbständig500 501
50!
a.a.O. p. 376 „All our arguments concerning causes and effects consist both of an impression of the memory or senses, and of the idea of that existence, which produces the object of the impression, or is produced by it." (p. 385) — Dabei ist zu beachten: hier wie immer bei Hume gilt: „to form an idea of an object, and to form an idea simply, is the same thing", (p. 327) Denn die Unterscheidung von Vorstellung und einer vom Vorstellen gesonderten Existenz sind sekundär konstituiert: vgl. p. 4 7 9 : „Our senses off er not their impression as the images of something d i s t i n c t . . . " . E r geht nicht auf „impression" zurück, sondern ist E r gebnis eines Glaubens. a.a.O. p. 376
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keit der „impression", die als ihre absolute Gegenwärtigkeit und Einzelheit hervortritt. Andererseits kommt der Kausalität diese besondere Bedeutung zu, weil die anderen Kategorien des Denkens ihre absolute Bedeutung verlieren, indem die „impression" in sich selbst als bestimmt vorausgesetzt wird. In der Kausalität allein erweist sich die Selbständigkeit des Denkens, und zwar in der Weise, daß es trotz seiner Selbständigkeit, anders als in den abstrakten Beziehungen, auf die Existenz von „impressions" bezogen bleibt. In der Kausalität wird ein existierender Eindruck in Beziehung gesetzt zu einem anderen, dessen Existenz d a d u r c h gesetzt wird. Es ist damit deutlich geworden, daß nicht die Vorstellung einer dauernden Existenz oder die Vorstellung der Körper als vom Vorgestelltsein unabhängigen, das grundlegende Problem der Erkenntnistheorie H.'s darstellt. Sondern daß ihnen vorausliegt das Problem der Kausalität als Tätigkeit des Denkens, durch die allein über die gegenwärtige „impression" hinausgehende Gewißheit von Existierendem gewonnen wird. Die „causation" ist für die Triftigkeit der Erkenntnis fundamental. In ihr behauptet sich die Selbständigkeit des Denkens ebenso wie der Bezug auf die Existenz der „impression". Doch wieder tritt der aus dem Abbildungstheorem bekannte Gedanke H.'s auf, daß die Zweiheit von Sein und Denken, von „impression" und „idea", oder genauer: von „impression" und „inference from the impression to the idea", 503 daß diese Zweiheit also zwar als ursprüngliche vorausgesetzt wird, doch wird das Denken nicht als in sich selbst ursprünglich ausgewiesen, sondern aus der „impression" abgeleitet und muß aus ihr als dem einzig zweifellos Gewissen abgeleitet werden. H. scheut sich, den absoluten Widerspruch rein zu denken. So besteht das durch Kausalität fundamental begründete Denken darin, daß es, von einer gegenwärtigen Existenz ausgehend, eine nicht gegenwärtige Existenz setzt. Die unmittelbare Existenzgewißheit für beide zu erweisen, einmal als sinnliche Gegebenheit und das andere Mal als Glauben, ist H.'s Ziel. Verschiedene sind „impression" und „idea" nur in Beziehung auf ein Gemeinsames, die Existenzgewißheit. In der „impression" ist sie unmittelbar gewiß, in der „idea" ist sie eine geglaubte. Anders gesagt: Die „causation" betriff!: alles Existierende, darum ist sie für die Erkenntnis grundlegend. Trotzdem läßt sich die Kausalität nicht wie die Existenz als ursprüngliches Moment der Totalität ausweisen. Sie müßte dann, anders als die Existenz, ein eigenes, selbständiges Moment sein, das alles Seiende betrifft. Für H . müßte sie dann aber .Eigenschaft' sein, die alles Seiende betrifft, und sie müßte dann rückführbar sein auf eine eins»3 So der Titel von III 6 p. 388
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zelne „impression" und könnte dann gerade nicht alle Vorstellungen betreffen. Die einzigartige Ursprünglichkeit des Existenzmomentes bedeutete, wie wir sahen, gerade dies, daß es keine ,Eigenschaft' gibt, die allem Existierenden gemein wäre. So formuliert H.: „There is nothing existent, either externally or internally, which is not to be considered either as a cause or an effect; tho' 'tis plain there is no one quality, which universally belongs to all beings, and gives them a title to that denomination." 504 H . vermeidet die einfädle Anerkennung dieses Widerspruches dadurch, daß er, wie die Formulierung andeutet, das auf „impression" bezogene selbständige Denken nur einen Glauben nennt. Alles Existierende „is t o be c o n s i d e r e d either as a cause or an effect", die Existenz eines anderen, das in Bezug auf den gegenwärtigen Eindruck als Ursache oder Wirkung gilt, ist eine nur erschlossene, geglaubte. So kann H . den fundamentalen Charakter der Kausalität für das Denken aufrechterhalten und ihre über die „impression" hinausgehende selbständige Leistung, ohne den Widerspruch denken zu müssen. Die Überlegenheit der „causation" über die anderen auf Existierendes bezogenen Relationen, „identity" und „relations of time and place", ergibt sich daraus, daß sie, in einem Glauben bestehend, wirklich a l l e Fälle von „impressions" umfaßt, während die beiden anderen Kategorien, nach H.'s Voraussetzung, nur einen je einzelnen gegenwärtigen Eindruck u. a. gültig betreffen können. So kann H . behaupten, daß die anderen Kategorien von der Kausalität abhängig sind, weil sie, an die „impression" gebunden, einen auf das unmittelbar Gegebene beschränkten Geltungsbereich haben, der erst durch die Kausalität erweitert wird. „ . . . nor can the other two relations be ever made use of in reasoning, except so far as they either affect or are affected by it." 505 Im einzelnen begründet H . das für die „contiguity" ( = „relation of time and place") und für die „identity" (in der H . eigenen Deutung als „Dauer") gesondert: „There is nothing in any objects to persuade us, that they are either always remote or always contigious; and when from experience and observation we discover, that their relation in this particular is invariable, we always conclude, there is some secret c a u s e , which separates or unites them. The same reasoning extends to identity. We readily suppose an object may continue individually the same, tho* several times absent from and present to the senses; and ascribe to it an identity, not withstanding the interruption of the perception, whenever we conclude, that if we had kept our eye or hand constantly upon it, it would have convey'd an invariable and uninterrupted perception. But this conclusion beyond the impressions of our senses can be 504 505
a.a.O. p. 377 a.a.O. p. 376
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founded only on the connection of c a u s e a n d e f f e c t ; nor can we otherwise have any security, that the object is not chang'd upon us, however much the new object may resemble that which was formerly present to the senses. Whenever we discover such a perfect resemblance, we consider, whether it be common in that species of objects; whether possibly or probably any cause cou'd operate in producing the change and resemblance; and according as we determine concerning these causes and effects, we form our judgment concerning the identity of the objecto 80 ' H. möchte also zeigen, daß die Aussage, daß verschiedene in einer „impression" unselbständig, d. h. zugleich gegebene Gegenstände tatsächlich in einer bestimmten räumlichen Beziehung stehen, nur für den gegenwärtigen unmittelbaren Eindruck gilt. Zu behaupten, daß die Beziehung „in this particular is invariable", dazu bedarf es eines Hinausgehens über den unmittelbar gegenwärtigen einzelnen Eindruck. Das Gleiche gilt für die Aussage darüber, daß ein Objekt „may continue individually the same". Nun kann aber nicht abstrakte Reflexion diese Einsicht vermitteln. Sie würde nur eine allgemeine unveränderliche Beziehung behaupten können, sie könnte nichts darüber aussagen, daß die Beziehung „ i n t h i s p a r t i c u l a r is invariable", oder daß ein Objekt „continues i n d i v i d u a l l y the same". Das heißt, sie könnte ihre Behauptung der „invariableness" nicht auf die Einzelheit d i e s e s Existierenden beziehen. Die Aussage besteht also in der Beziehung der bestimmten Einzelheit des gegenwärtigen Eindrucks, der in seiner Existenz unmittelbar gewiß ist, auf die nur gesetzte Existenz eines anderen. In diesem Vorgang besteht die „causation". Sie ist Beziehung und zugleich Setzung des einen der Bezogenen als existierend. Die Erkenntnis, die, dergestalt auf „causation" beruhend, Aussagen macht, die über die gegenwärtig existierende „impression" hinausgehen und doch Existierendes zum Gegenstand haben, nennt H . Erfahrung („experience"). Sie ist eine Erkenntnis, die, bezogen auf „impression", doch nur zustandekommt, indem sie zugleich über die „impression" hinausgeht und auf der „action eines reasoning" beruht. Diese „action" besteht wesentlich in einer Existenzsetzung, einem Glauben, der nur in gewisser Weise veranlaßt wird durch eine gegenwärtige „impression". Diese „impression" wird als Grund oder Wirkung eines anderen betrachtet, dessen Existenz dadurch gesetzt ist. So erweist H . die fundamentale Bedeutung der Kausalität und des in ihr beschlossenen Glaubens für die Erfahrungserkenntnis, die zwar Existierendes zum Gegenstand hat, aber nicht allein auf die einzig durch gegenwärtige „impression" gegebene absolute Existenzgewißheit zurückgeht. 506
a.a.O. p. 376
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ß. Die „Einfachheit" oder „Einzelheit" der „Impression" in ihrer erkenntnistheoretischen Funktion — ihr Charakter als ursprüngliche Totalitätsbestimmung Doch kommt diese fundamentale Bedeutung der Kausalität und damit dem Glauben nur dann zu, wenn die Mehrheit in dem für H . wesentlichen Sinn nicht schon in der „impression" unmittelbar gegeben ist. H.'s Argumentation hängt also davon ab, ob er zu Recht die E i n z e l h e i t der „impression" und damit, weil aus ihr abgeleitet, aller Vorstellungen annehmen darf. 5 0 7 Widerspricht H . dieser Voraussetzung nicht selbst schon damit, daß er den Fall für möglich hält, daß „both the objects are present to the senses"? Offenbar muß H . die Einfachheit oder Einzelheit aller Vorstellungen so denken, daß ihr dieser Fall von mehreren den Sinnen gegenwärtigen Objekten nicht widerspricht. Nimmt H . wirklich an, daß Einfachheit alle Vorstellungen betrifft, daß sie also Moment einer Totalität sein soll, so läßt sich diese Annahme evidentermaßen gar nicht dadurch kritisieren, daß man auf irgendwelche vermeintlichen Vorstellungen weist und von ihnen behauptet, sie seien nicht einfache. 508 Ihre Vermeintlichkeit wird gar nidit bestritten. Sofern Bedeutungen Inhalt eines Meinens sind, fallen sie zusammen mit ihrer einfachen Behauptung. Es läßt sich nicht fragen, ob sie wahr sind. Die empiristische Aussage betrifft aber, indem sie von allen Vorstellungen spricht, die Wahrheit der Vorstellungen überhaupt. Sie liege in ihrer Einzelheit. Der Sinn dieser Auffassung geht also über die Einzelheit als meinbare hinaus. Sie behauptet nicht, nicht-einzelne Vorstellungen können 507
508
Diese Frage: wie kommt es, daß ein gegenwärtiger Eindruck einen Glauben an ein anderes seiner selbst hervorbringt? kann H . nicht in der zu fordernden Reinheit erklären. Die Theorie geht nicht über die Behauptung des Faktischen dieser Folge von „impression" und Glaube an Existenz hinaus. In diesem Sinn glaubt Husserl in den „Log. Unters.", die Frage gegen den Empirismus beantworten zu können. Die Behauptung, daß alle Vorstellungen individuell seien, nennt H . einen „Irrtum", eine „Verirrung" (z.B. II 1 S. 182). Denn: „es gibt ebenso gut allgemeine Vorstellungen, nämlich Vorstellungen von Spezifischem, wie es Vorstellungen von Individuellem gibt." (S. 140) D a ß es allgemeine Vorstellungen g i b t , meint H . durdi den Hinweis auf gewisse Worte und ihre gemeinte Bedeutung sicherzustellen: „Wir meinen hier und jetzt in dem Augenblick, wo wir den allgemeinen Namen sinnvoll aussprechen, ein Allgemeines und dieses Meinen ist ein anderes als in dem Fall, wo wir Individuelles meinen." (S. 144) Genauso sagt ja aber auch Hume: es g i b t den Fall, daß „both the objects are present to the senses", oder: ,Es gibt „constant relations" von nicht gegenwärtigen „ideas".' Und doch steht dieses Meinen auf anderer Stufe als die unmittelbare, alle Vorstellungen betreffende Gewißheit, sie seien einzelne.
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nicht gemeint werden. Ihre Meinbarkeit setzt H. ja ausdrücklich voraus, wenn er eine psychologische Theorie entwickelt, die ihre Vermeintheit erklärt. In ihrer vorausgesetzten Meinung mögen allgemeine Vorstellungen unentbehrlich sein, sie sind aber, nach H., unwahr, das heißt für ihn, sie widersprechen dem, worin alle Vorstellungen unmittelbar gewiß sind, nämlich einzelne zu sein.509 Wenn Einzelheit alle Vorstellungen betrifft, so läßt sie sich nur bestreiten, wenn gezeigt werden kann, daß Einzelheit nicht Moment der Totalität ist. Ihre unmittelbare Gewißheit in dieser Hinsicht müßte in Frage gestellt werden. Das geschieht nicht schon durch die Behauptung, ,es g i b t ' einige Vorstellungen, die nicht einzelne, sondern allgemeine sind, denn es könnte ja sein, daß die Einzelheit aller Vorstellungen trotz der Allgemeinheit einiger Vorstellungen sich behauptet, selbst dann, wenn die Fiktivität der Allgemeinheit sich nicht im Sinne H.'s erweisen läßt. Denn als Moment der Totalität kann die Einzelheit nicht begrifflich in der Weise bestimmt sein, daß sie a u s der Verschiedenheit eines ihr anderen abgeleitet wird. Denn dann müßte die Behauptung, diese ,bestimmte Eigenschaft' beträfe alle Vorstellungen, notwendig einen Widersinn aussprechen, denn mit der Bestimmtheit dieser Eigenschaft wäre ja zugleich das von ihr Verschiedene vorgestellt. So wäre also die Einzelheit als verschieden von der Allgemeinheit bestimmt, mit jener doch zugleich v o r g e s t e l l t . Es wäre also in der Bestimmung der Totalität etwas ausgeschlossen, was durch diese Bestimmung gerade behauptet wird. Die B e s t i m m u n g der Totalität in diesem Sinn führt also zu einer Absurdität. Sie erweist sich selbst als unmöglich. So ergibt sich die Frage: Wie ist die Einzelheit rein als Moment der Totalität zu denken, wenn sie sidi also nicht erst a u s dem Gegensatz zu einem von ihr Verschiedenen ergibt, und also auch nicht durch die Behauptung eines von ihr Verschiedenen bestritten werden kann. H . ist sich der Problematik der Bestimmung der Totalität insofern bewußt, als er wiederholt erklärt: „'Tis piain, there is no quality, which universally belongs to all beings."510 Er ist sich darum bewußt, daß der Ursprung aller 509
5,0
Der abstrakte Positivismus der „Log. Unters." läßt Husserl gar nicht in den Problemkreis der Wahrheitsfrage treten. Das wird daran deutlich, daß er, Existenz meint ausklammern zu können. So wird aber die Wahrheit von Vorstellungen überhaupt ausgeklammert, Wahrheit ist für Husserl in den „Log. Unters." „Erfüllung", ohne daß angegeben werden könnte, worin diese Erfüllung als wahre besteht. Sie kann nicht selbst in einem von den Verbundenen verschiedenen verbindenden Akt bestehen, sondern muß in der Totalität der Akte überhaupt ausgewiesen werden. Der Empirismus ist nur .widerlegt', wenn a) gezeigt werden kann, daß Allgemeinheit eine Totalität betrifft, nicht dadurch, daß behauptet wird, es gibt allgemeine Vorstellungen, und b), daß Einzelheit nicht Moment der Totalität ist. a.a.O. p. 377
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Vorstellungen, die „impressions", nicht bestimmt ist, denn in dieser Bestimmtheit wären sie nicht mehr Ursprung a l l e r Vorstellungen. Aber wir sahen, wie H . trotzdem wiederholt von einer Voraussetzung der Bestimmtheit der „impressions" Gebrauch macht, ohne dann allerdings ausdrücklich zu sagen, worin die Bestimmtheit der „impression" und damit aller Vorstellungen bestehe. Er bemerkt also selbst nicht, daß er sie als bestimmte voraussetzt. Dadurch bringt H . die Strenge und Reinheit seines empiristischen Arguments in Gefahr. Er setzt eine Bestimmtheit voraus, von der er selbst weiß, daß sie nicht unmittelbar gewiß ist. Er weiß: „there is no quality, which universally belongs to all beings"; und doch sagt er etwa: „ . . . all i m p r e s s i o n s are internal and perishing existences";511 und zwar in dem Zusammenhang, als er den Ursprung der Vorstellung einer körperlichen, dauernden Existenz aus dem „belief" erweisen will. Versteht man dies „internal", das alle Vorstellungen betreffen soll, so, daß es in einem einfachen Widerspruch zu ,körperlich' steht, daß es nicht-körperlich bedeutet, so behauptet H. etwas Unsinniges, denn er stellt ja das ,körperlich' vor, indem er behauptet, alle Vorstellungen seien nicht-körperlich. Die a b s o l u t e S e l b s t ä n d i g k e i t der „impressions" läßt sich nicht so ohne weiteres behaupten, es sei denn, es gelänge, die Innerlichkeit an und für sich, abgesehen von ihrem Sinn als Nichtkörperlichkeit zu denken. Daß H . eine solche legitime Bestimmung der Totalität vor Augen hatte, zeigt sich darin, daß er alle „impression" „perishing" nennt. „Perishing" läßt sich als Moment einer Totalität verstehen. Obwohl es in H.'s Sinn die Ursprünglichkeit .dauernder Existenz' ausschließt, ergibt sich das „perishing" nicht als deren einfache Negation. In dem ,dauernd' („continued") ist ein „perishing" z u g l e i c h denkbar, so daß wirklich audi die „continued existence" auf eine „perishing existence" der „impression" zurückgehen kann. 512 Die Bewegtheit rein als solche läßt sich gar nicht anders denn als ein Ursprüngliches denken, an dem auch ein Dauerndes Anteil hat. Sie ist also zu Recht Moment einer Totalität, weil sie ihren denkbaren Gegensatz mit umfaßt. In ähnliche Richtung geht H.'s Bemerkung im Zusammenhang der Kritik persönlicher Identität'. „The different perceptions" „succed each other with an inconceivable r a p i d i t y , and are in a perpetual flux and movement." 513 „Our eyes cannot turn in their sockets without varying our perceptions. Our thought is still more variable than our sight; and all our senses and faculties contribute to this change, nor is there any single 511 512
513
a.a.O. p. 483 Darum kann Hume von der „continued existence" sagen: „Here then is an idea, which is a medium betwixt unity and number, or more properly speaking, is either of them . . ( p . 490). a.a.O. p. 534
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power of the soul which remains unalterably the same, perhaps for one moment. The mind is a kind of theatre, where several perceptions successively make their appearance; pass, re-pass, glide away and mingle in an infinite variety of postures and situations."514 Das „perishing" aller Vorstellungen stellt H . als einen „perpetual flux and movement" dar. Trotzdem gerät er auch hier in die Gefahr, die Bestimmtheit der Vorstellungen trotzdem beizubehalten gerade in dem Bestreben, eine universelle Bestimmtheit als bestimmtes Ich auszuschalten. Er möchte zwar die Bewegung der Vorstellungen so darstellen, daß er nicht die Kontinuität eines Bewegten behaupten muß, die er hier in der Kritik der persönlichen Identität ja gerade leugnet; darum faßt er die Vorstellungsbewegung als „succession", als „change" voneinander Unabhängiger. Trotzdem sdieint gerade die „succession" die Bestimmtheit der für sich bestehenden Vorstellungen vorauszusetzen. Nicht eine durchgängige Bewegtheit sdieint H . anzunehmen, sondern nur eine Unterbrochenheit, eine Zerstücktheit in mannigfaltige für sich bestimmte Einfache, die in der Ordnung des Nacheinander einander folgen. Doch fährt H . fort: „There is properly n o s i m p l i c i t y i n i t a t o n e t i m e , nor identity in different, whatever natural propension we may have to imagine that simplicity and identity." 515 „No simplicity at one time", damit trifft H . die u n g r e i f b a r e S e l b s t ä n d i g k e i t der Vorstellungen überhaupt als reine Bewegtheit. Ebenso präzisiert H . das Bild vom Theater zum Absoluten reiner Negativität, in der diese reine Negativität sich ereignet. „The comparison of the theatre must not mislead us. They are the successive perceptions only, that constitute the mind; n o r have we t h e m o s t d i s t a n t n o t i o n of t h e p l a c e , w h e r e t h e s e s c e n e s a r e r e p r e s e n t e d , or of t h e m a t e r i a l s , of w h i c h i t is c o m p o s ' d . " 5 1 6 Versteht man diese Aussage in ihrer absoluten Negativität, so ist hier die absolute Kontingenz der Vorstellungen überhaupt angedeutet. Alle Vorstellungen sind nicht nur als so oder so geschehende ,in der Zeit' zufällig. Dieses Verständnis von Kontingenz ließe sich widerlegen, weil es die Totalität von Vorstellungen nicht trifft und so nicht unmittelbar gewiß sein kann. Es ließe sidi etwa sagen: ,Es gibt' die Zeit und den Raum als a l l g e m e i n e Formen der Anschauung, i n i h n e n bewege sich alles Vorstellen. So beziehe sich das ,Kontingent in der Zeit' gerade nicht auf .Vorstellungen überhaupt', sondern nur auf gewisse Vorstellungen. Die Zeit selbst falle jedenfalls nicht unter die Kontigenz. Die ,Zeit' sei das .Theater', „the place, where these scenes are represented or the material, of which it is compos'd." H . behauptet: von 514 515 516
a.a.O. a.a.O. p. 534 f. (Sperrung vom Verf.) a.a.O.
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einem solchen bestimmten Schauplatz oder solch bestimmtem Stoff, die alle Vorstellungen betreffen, haben wir nicht die entfernteste Kenntnis. Die Zeit ist nicht „quality which universally belongs to all beings", eine solche läßt sich, wie wir sahen, nicht behaupten. Betrifft Zeit die Totalität als solche, so ist sie nicht bestimmte Vorstellung, sie ist als Zeitlichkeit gerade N a m e für die unbestimmte Kontingenz selbst. Sie ergibt sich nicht etwa aus dem vermeintlichen Gegensatz zu einer Ewigkeit als einer unbegrenzten Dauer oder Zeitlosigkeit. Vielmehr ist die Ewigkeit oder Dauer nur auf Grund der Zeitlichkeit und nicht ohne sie zu denken, so daß der Widerspruch: Zeit — Ewigkeit selbst in ihr, der Zeitlichkeit, läge. 517 Wenn also H . den Vergleich mit dem Theater wieder zurücknimmt und festhält, daß wir nicht „the most distant notion of the place, where the scenes are represented" haben, „or of the materials, of which it is compos'd", so wendet er sich gegen die Interpretation der Theatermetapher im dogmatischen Christentum des Barock, nach der die Zeit i n d e r E w i g k e i t ruht und die Seele der S t o f f ist, aus dem, als einem bestimmten, die Vorstellungen überhaupt bestehen. Der S c h e i n ist nicht im Gegensatz zu einem ewig Seienden verstanden, sondern er ist a b s o l u 517
So ist es zu verstehen, daß die Zeitlidikeit, gerade weil sie alle Vorstellungen betrifft, keine Vorstellung ist, ebenso nicht der Raum, der alle Vorstellungen der äußeren Sinne betrifft. Sie sind mit Vorstellungen überhaupt oder mit Vorstellungen der äußeren Sinne gleichursprünglich. „The ideas of space and time are no separate or distinct ideas, but merely those of the manner or order, in which objects exist: or in other words, ,tis impossible to conceive either a vacuum nor extension without matter, or a time, when there was no succession or change in any real existence." (p. 346) „As 'tis from the disposition of visible and tangible objects we receive the idea of space, so from the succession of ideas and impressions we form the idea of time, nor is it possible for time alone ever to make its appearance, or be taken notice of by the mind", (p. 342) „The idea of time is not deriv'd from a particular impression mix'd up with others, and plainly distinguishable from them; but arises altogether from the manner, in whidi impressions appear to the mind without making one of the number." (p. 343) Ist aber nun Vorstellen und zeitlich Vorstellen dasselbe, so ergibt sidi, daß die Zeit, wie alle Vorstellungen, zurückzuführen ist auf einfache Vorstellungen, Zeitliches ist zusammengesetzt aus Teilen, die selbst unteilbar sind, oder in der Formulierung Humes, die Vorstellung und Vorgestelltes nicht trennt, es gilt, „that our ideas of them (seil, of time and space) are compounded of parts which are indivisible." (p. 344) Hume kommt zu der auf den ersten Blick unverständlichen Annahme, Zeit und Raum seien endlich teilbar. Sieht man näher hin, ist sie von genau gleicher Gültigkeit wie die, daß alle Vorstellungen .einzelne' oder auf einzelne rückführbar sind. Ihre Zeitlidikeit und Räumlichkeit ergibt sich aus ihrer Einzelheit. Es ist also audi hier zu fragen: in welchem Sinn und mit welchem Redit nimmt H. die Einzelheit aller Vorstellungen an?
13
Schaffnit
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t e r S c h e i n . Die Kontingenz des Vorstellens überhaupt ist absolut, sie hat kein Außer-ihr-selbst. Weder Phantasie noch Vernunft gelangen über sie hinaus. Nicht so eindeutig denkt H. die K o n t i n g e n z , n a c h i n n e n ' . Das läßt, wie wir sahen, auch diese tastend bildliche Redeweise H.'s bemerken, denn die „perceptions" werden als „successive" doch für sich bestimmt angenommen. Obwohl er also behauptet, daß wir nicht die entfernteste Kenntnis haben „of the materials, of which it is compos'd", obwohl er eine absolute Bewegtheit ohne die Vorstellung eines Bewegten denkt, wenn er sagt, „there is properly no simplicity in it at one time", so denkt er an anderer Stelle die Vorstellung überhaupt durchaus als „simple". Gleich zu Beginn seines „Treatise" führt H . neben der Unterscheidung von „impression" und „idea" eine andere, mit dieser nicht gleichlaufende ein, nämlich die von „simple" und „complex perceptions" (einfachen und zusammengesetzten Vorstellungen). „There is another division of our perceptions, which it will be convenient to observe, and which extends itself both to our impressions and ideas. This division is into Simple and Complex. Simple perceptions or impressions and ideas are such as admit of no distinction nor separation. The complex are the contrary to these, and may be distinguished into parts." 518 Diese Unterscheidung betrifft also, wie die von „impression" und „idea" a l l e Vorstellungen. Auch hier gilt wieder die ableitbare Beziehung nur in einer Richtung. Nur die Ursprünglichkeit des einen der Unterschiedenen wird ausgewiesen: Wie das Verhältnis von „ideas" zu „impressions" als Abbildung verstanden wurde, so das von „complex" zu „simple" als Trennbarkeit. Wie „ideas" um ihres Abbildungscharakters willen rückführbar sind auf „impression", so sind die „complex perceptions" als trennbare rückführbar auf „simple perceptions". Es gilt also, daß alle Vorstellungen Anteil haben daran, „simple perceptions" zu sein. Alle Vorstellungen sind „simple perceptions" oder auf solche ursprünglich zurückzuführen. Darum hatte H. auch in dem Verhältnis von „impression" und „idea" die „simplicity" mit berücksichtigt, wenn er formuliert „that all our s i m p l e ideas in their first appearance are derived from s i m p l e impressions.. ,"519 H . sagt also: Alle Vorstellungen gehen, indem sie auf „impressions" zurückgehen, auf einfache „impressions" zurück. Wiederum: Was bedeutet also diese Einfachheit, die H . als eine Bestimmung der Totalität denkt? Die Antwort darauf kann nicht in einer einfachen Bestimmung gegeben werden, vielmehr stellt sie das ontologische Problem, das wesentlich in seiner Problematik z u d e n k e n und 518 519
a.a.O. p. 312 a.a.O. p. 314
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überhaupt n i c h t z u b e a n t w o r t e n ist! W i r haben also gesehen, daß H . in dieser Einfachheit der „impressions" ihre Selbständigkeit gegenüber einem Denken meint fassen zu können. Das Denken geht über die Einfachheit der „impressions" z w a r hinaus, aber so, d a ß es sie, wie sie allein gewiß sind, in dieser Einfachheit nämlich, nicht trifft. Darum ist das Denken n u r ein Glauben. Läßt sich die Einfachheit als Moment der Totalität denken? Ist sie von H . in diesem reinen Charakter bewahrt? Wie w ä r e sie dann zu verstehen? Wie wir sahen, erklärt H . selbst die Einfachheit als Untrennbarkeit: „Simple perceptions . . . are such as admit of no distinction nor Separation . . . " . Die ursprüngliche Einfachheit aller Vorstellungen umfaßt also auch ihr Gegenteil. Nicht-einfach sind Vorstellungen nur in dem Sinn, daß sie aus einfachen zusammengesetzt sind. „The complex are the contrary to them and m a y be distinguished into parts." Insofern spricht also nichts dagegen, d a ß H . die Einfachheit Moment aller Vorstellungen nennen kann. Er gibt nicht eine solche Bestimmung, die ihr Gegenteil ausschließt. Andererseits umgeht er scheinbar die Schwierigkeit, die Totalität bestimmen zu müssen, daß er mit der Absolutheit ihrer Bestimmung zugleich den Widerspruch als absoluten denken muß. Das w ä r e dann der Fall, wenn H . eine solche Bestimmung der Totalität geben würde, deren Geltung als absolute z w a r gewiß wäre, die sich also nicht erst als eine einfädle Negation einer anderen Bestimmung ergäbe, — nun aber doch das ihr absolut Entgegengesetzte als von sich aus ebenso ursprünglich absolutes Moment sich ergäbe. Oben ist gezeigt worden, wie H . durch seine Abbildungstheorie die Ursprünglichkeit eines Doppelten scheinbar umgehen kann. Er schien nur die Ursprünglichkeit der „impression" ausweisen zu müssen. Doch wie dort ein Mangel darin bestand, daß er z w a r die Abbildung als bezogen auf das Abgebildete auswies, nicht aber den Charakter als Abbildung selbst ursprünglich dachte, genau so hier im Verhältnis von „simple and complex". Die Zusammengesetztheit scheint aus der Rückbeziehung auf das einzig Ursprüngliche des Einfachen sich ohne weiteres zu ergeben. In Wahrheit ist das „complex" als absolut anderes zum „simple" ebenso ursprünglich und als solches auszuweisen. H . meinte dieser Aufgabe enthoben zu sein. Die Vorstellung eines Zusammengesetzten schien ihm ebenso wie die der Abbildung ohne weiteres aus dem Einfachen, bzw. aus dem Abgebildeten ableitbar. In Wahrheit geht die „complex perception" nur ,zu einem Teil' auf ursprüngliche „simple impression" zurück. Ihr Charakter rein als „complex" ist so nidit erklärt. Offenbar w a r aber die scheinbar unproblematische Rückführbarkeit der „complex perceptions" auf „simple impressions" der Grund, w a r u m H . in den wesentlichen Kapiteln alle Vorstellungen ursprünglich „simple" 13»
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nennt und nicht „individual" oder „particular", wie er sie im Anschluß an Berkeley und die philosophische Tradition auch nennen kann. „A great philosopher has disputed the receiv'd opinion in this particular [seil, whether the abstract ideas be general or particular] and has asserted, that all general ideas are nothing but particular ones, annexed to a certain term, which gives them a more extensive signification, and makes them recal upon occasion other individuals, which are similar to them. As I look upon this to be one of the greatest and most valuable discoveries that has been made of late years in the republic of letters."520 H. kann die Allgemeinheit nur als eine „complex perception" verstehen und sie so zurückführen auf einfädle, d. h. untrennbare „impression". Einen anderen Sinn kann er der Allgemeinheit im Gegensatz zur Einzelheit nicht geben, ohne nicht auf die eigene Ursprünglichkeit der Allgemeinheit stoßen zu müssen und so vor der Aufgabe zu stehen, den Widerspruch als absolute Bestimmung der Totalität denken zu müssen, weil die Einzelheit aller Vorstellungen von ihrer Allgemeinheit unabhängig gewiß ist. H . erklärt also die Allgemeinheit von Vorstellungen als eine Repräsentation verschiedener einzelner Vorstellungen durch eine einzelne, die eine Folge von zu ihr in Beziehung stehenden anderen in unserer Phantasie wachruft. Wie diese Repräsentation als solche zu denken ist, bleibt für H. ebenso offen, wie die Frage, wie die „complexion" rein als solche zu denken sei, wenn der Inhalt der „complexion" Einfaches ist. Für H. stellt sich das Problem so, daß er von der Schwierigkeit spricht, „with regard to that custom, which so readily recals every particular idea, for which we may have occasion, and is excited by any word or sound, to which we commonly annex it." 521 Weil H. eine allgemeine Vorstellung nur als eine einzelne verstehen kann, die eine Mehrheit anderer repräsentiert, ergibt sich das Problem, wie kommt einer einzelnen Vorstellung die Fähigkeit zu, andere zu repräsentieren? H. kann diese Repräsentation nur als ein h e r vorrufen' anderer Vorstellungen verstehen. Wie die einzelne Vorstellung diese Fähigkeit haben kann, wenn sie doch einfache ist, diese Frage klärt H . nicht dadurch auf, daß er Beispiele für diesen Vorgang des Hervorrufens gibt.522 Er stellt dadurch nur das Faktum solcher Hervorrufungen fest und anerkennt das unerklärbar Wunderbare dieses Faktums. „Nothing is more admirable than the readiness, with which the imagination suggests its ideas and presents them at the very instant . . .".523 Er nennt es ausdrücklich in seiner unerklärlichen Faktizität „a kind of magical faculty 520 521 522
523
a.a.O. p. 325 a.a.O. p. 330 Diese ist das Verfahren in der Theorie der „abstract ideas": vgl. im be«. p. 330 f.: „ F i r s t . . . fourthly .." a.a.O. p. 331
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in the soul, which, tho' it be always most perfect in the greatest geniuses, and is properly what we call a genius, is however inexplicable by the utmost efforts of human understanding." 524 Es ist wichtig, zu sehen, daß H. selbst die unerklärliche magische Faktizität der Vorstellungsverbindung anerkennt. Denn wenn er zu Recht die ursprüngliche Einfachheit der Vorstellungen annimmt, so lassen sich wohl Regeln ihrer faktischen Verbindung formulieren, nicht aber die Faktizität der Verbindung als Wunder im reinsten Sinn, als Unvermittelbares, also Magisches aufheben. 525 H . ist sich selbst bewußt, die Vorstellungsverbindung nicht im strengen Sinn e r k l ä r t zu haben. Er sagt: „ P e r h a p s these four reflections m a y h e l p to remove all difficulties to the hypotesis I have propos'd concerning abstract ideas, so contrary to that, which has hitherto prevail'd in philosophy." Doch nicht darauf liegt das Gewicht, nicht diese Erklärung als solche ist das wesentliche Argument H.'s, sondern die unzweifelhafte Gewißheit der Einfachheit aller Vorstellungen. In diesem Sinn fährt H . fort: „ B u t , t o t e l l t h e t r u t h , I p l a c e m y c h i e f c o n f i d e n c e in what I have already prov'd concerning the impossibility of general ideas, according to the common method of explaining them. We must certainly seek some new system on this head, and there is none beside what I have propos'd." Nicht darin, w i e er die allgemeinen Vorstellungen aus einzelnen ableitet, liegt für H . das Wesentliche, sondern darin, daß sie, wie sie bisher angenommen werden, unvereinbar sind mit der Einfachheit aller Vorstellungen. Es muß eine Theorie gesucht werden, die diese Unvereinbarkeit erklärt. Solange es keine andere gibt, meint H., muß die gegebene genügen. Dieser Vorbehalt gilt ebenso für die im Anschluß daran von H . beigefügte Erklärung der „distinction of reason", die in den „Logischen Untersuchungen" von E. Husserl zitiert und im besonderen zum Gegenstand seiner Kritik gemacht wird. 526 H . geht von der Formulierung eines P r o b l e m s aus und versucht eine Lösung. „The difficulty of explaining this distinction [seil, of reason] arises from the principle above explain'd, that all ideas, which are different, are separable. For it follows from thence, that if the figure be 524 525
526
a.a.O. p. 331 Mit Recht bringt Hume diese Faktizität der Vorstellungsverbindung in Zusammenhang mit dem Genie. Dieselbe erkenntnistheoretische Auszeichnung des Genies spricht Musil aus, das er terminologisch mit dem „bedeutenden Menschen" gleichsetzt: „der bedeutende Mensch' ist der, welcher über die größte Tatsachenerkenntnis und die größte ratio zu ihrer Verbindung verfügt." (Tgb. S. 784) Vgl. „L. U . " II 1 S. 190 ff.
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different from the body, their ideas must be separable, as well as distinguishable; if they be not different, their ideas can neither be separable nor distinguishable. What then is meant by a distinction of reason, since it implies neither a difference nor Separation." 5 2 7
6. Die Kritik an Hume in Husserls „Logischen Untersuchungen": ihr erkenntnistheoretischer Horizont und ihr Inhalt: ihr Positivismus erreicht nicht Humes Begriff der „Impressions", sofern sie als ursprünglich einzelne ausgewiesen sind. Husserls Kritik an Humes Abstraktionslehre hat den wesentlichen Mangel, daß sie nicht, wie Hume, an dem P r o b l e m orientiert ist, daß sie Humes Erklärung der Abstraktion als „extreme Verirrung" (L. U. II 1 S. 190) kritisieren zu können glaubt, ohne das Argument zu diskutieren, das Hume veranlaßt, eine solche Theorie zu wagen. Husserl sieht auf dem Standpunkt der „Logischen Untersuchungen" (L. U.) das Problem gar nicht, das Hume zu seiner Theorie veranlaßt, nämlich den Widerspruch zwischen Einfachheit und Allgemeinheit als Momenten des Absoluten. Da Husserl in den L. U. nicht das Problem sieht, daß die Vorstellungen nicht einfach vorfindbare Tatsachen sind und als solche beschrieben werden können, daß sie vielmehr philosophischer Gegenstand nur dann sind, wenn sie als Totalität ausgewiesen werden, — da Husserl also die Vorstellungen überhaupt als solche nicht bestimmen zu müssen glaubt, ihre Bestimmungen vielmehr glaubt, an ihnen gleichsam .ablesen' zu können, kann er den Unterschied von individuellen und allgemeinen Vorstellungen neben anderen einfach annehmen und als Meinungsgehalte behaupten. Anders Hume: er hat Einfachheit als Moment der Totalität erkannt, muß also die Allgemeinheit entweder auch als Moment der Totalität anerkennen und damit gleichzeitig den Widerspruch in der Totalität, oder die Allgemeinheit muß als eine nicht ursprüngliche Bestimmung einiger Vorstellungen aus der Einfachheit ableitbar sein. Weil Hume den Widerspruch als ursprünglichen nicht glaubt denken zu können, muß er versuchen, die Allgemeinheit als ein Nicht-Ursprüngliches aus der Einfachheit abzuleiten. N i m m t man die Allgemeinheit einiger Vorstellungen n e b e n der Einfachheit anderer Vorstellungen nur a n , so scheint es keiner Erklärung des ursprünglichen Verhältnisses beider zu bedürfen, man verliert so aber, eingestandenermaßen, die Orientierung an einem absoluten Begriff der Totalität, das heißt, die ontologische Orientierung des Problems und entwirft eine positivistische Meinungstheorie. Sie ist prinzipiell unüberprüfbar, nicht kritisierbar, weil sie ein jenseits ihrer zu denkendes Kriterium einfach leugnet. Als in diesem Sinn beschreibende, phänomenologische Theorie bemerkt 527
„Treatise . . . " I p. 332
Das empiristisdie Argument im ontologischem Horizont
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sie nicht einmal den Widerspruch ihrer verschiedenen ,axiomatischen' Grundannahmen; sie kann es nicht als ein Problem empfinden, sie d e n k e n zu sollen. Der bestehende Widerspruch, der so nur als ,vorhandener Unterschied' bewußt ist, könnte für Husserl erst dann auffällig werden, wenn er nach dem Ursprung der Unterschiedenheit der ,Aktklassen' fragte, wenn er also auf die die Beschreibung leitenden, selbst nicht beschriebenen Begriffe der Unterschiedenheit und reinen Identität achtete. Husserl mißversteht aber in den L. U. dieses Fragen nach dem Ursprung der Unterschiedenheit als ein psychologisches. In diesem Sinn mißversteht er Humes Versuch. Er anerkennt scheinbar das Humesche Problem: Wie sind „ideas" aus „impressions" ableitbar, wenn er sagt: „Daß die allgemeinen Vorstellungen aus den individuell anschaulichen genetisch erwachsen sind, wird allgemein angenommen. Wenn sich aber das Bewußtsein des Allgemeinen aus der individuellen Anschauung immer wieder e n t z ü n d e t , aus ihr Klarheit und Evidenz schöpft, so ist es darum nicht direkt aus der einzelnen Anschauung e n t s p r u n g e n . " 5 2 8 Wie kann aber ein gesondert E n t sprungenes' sich an seinem Andern „entzünden"? Dies ist das Problem, das die Aufgabe stellt, eine ursprüngliche Zweiheit als Einheit zu denken. Husserl begnügt sich hier mit der Feststellung eines Unterschieds von „Entspringen" und „Entzünden". Er denkt ihn nicht und stößt darum nicht auf den Widerspruch. Er sieht sich der Aufgabe enthoben, weil er die „genetische Analyse" von einer „ausreichenden deskriptiven Analyse als Unterlage" abhängig sieht.529 Er bemerkt nicht, daß im strengen Sinn genetische, das sind ontologische Bestimmungen, die Deskription leiten und über ihre Ergebnisse von vornherein entscheiden. Er versteht die genetische Analyse nur als psychologische und die Deskription selbst als eine apriorisch Grund legende. „Was .Bedeutung' ist, das kann uns so unmittelbar gegeben sein, wie uns gegeben ist, was Farbe und Ton ist. Es läßt sich nicht weiter definieren, es ist ein deskriptiv Letztes."550 Bei der Mehrheit solcher deskriptiv Letzter bleibt der Widerspruch, obwohl nicht selbst Thema des Denkens, doch in der Weise wirksam, als die phänomenologische Beschreibung der Unvollendbarkeit ihrer Aufgabe gewiß ist, daß sie also die ,Bestimmung der Totalität' von vornherein für unmöglich hält und damit hinter den Empirismus Humes zurückfällt, den sie meint als „extreme Verirrung" kritisieren zu können. Sehen wir davon ab, daß Husserl dem ontologischen Motiv der Humeschen Erklärung der distinctio rationis nicht gerecht wird, und betrachten diese Erklärung als solche, so ist Husserls Kritik in gewisser Weise 528 529 530
„L.U." II 1 S. 189 Vgl. dazu a.a.O. S. 190 a.a.O. S. 183
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Die Herkunft von Musiis Dichtungsbegriff
triftig. H u m e kann nicht die Allgemeinheit der abstrakten Unterscheidung so mit der Einfachheit aller Vorstellungen versöhnen, daß er sie als ein Bewußtsein der Ähnlichkeit erklärt. 5 3 1 Husserl kann leicht zeigen, daß die Erklärung, beim Wort genommen, in einen unendlichen Regreß führt, daß also das Vorfinden abstrakter Merkmale an einer konkreten Vorstellung sich nicht als ein Vorfinden von Ähnlichkeit verschiedener Vorstellungen erklären läßt, ohne daß nicht irgendwann ein von diesen konkreten Vorstellungen Unabhängiges als die Ähnlichkeit vermittelnder Gesichtspunkt gedacht werden müßte. Der Rekurs auf ein Vorfinden der Ähnlichkeit bedürfte immer weiter begründender Erklärung. „Denn dieses Vorfinden würde, in konsequenter Fortführung der Erklärung, auf ein Vorfinden einer Ähnlichkeit dieser Ähnlichkeit mit anderen Ähnlichkeiten zurückleiten . . . auf diese Ähnlichkeit müßte das Erklärungsprinzip wieder angewendet werden usw." 5 3 8 Die Ähnlichkeit erklärt also nicht die Allgemeinheit abstrakter Unterscheidungen, sondern jene ist selbst nur auf diese zurückzuführen. Wobei aber offen bleibt, wie dieses Allgemeine zu denken ist, wenn es nicht auf ursprünglich untrennbare Vorstellung rückführbar ist, und also — in diesem Sinn — nicht Vorstellung ist. D a r u m behält Humes Erklärung der distinctio rationis eine wesentliche Bedeutung. Sie ist nicht einfach ein theoretischer Mißgriff, denn, wie gezeigt worden ist, hat H u m e wichtige Gründe, die ihn veranlassen, vorgeblich allgemeine Vorstellungen auf ein Bewußtsein der Ähnlichkeit zurückzuführen, und d i e s e G r ü n d e behaupten ihre Gültigkeit gegen Husserls B e h a u p t u n g einer Mehrheit von allgemeinen Vorstellungen „als neuer ,Bewußtseinsweisen' " gegenüber der unmittelbaren Anschauung. (L. U . II 1 S. 182) H u m e leitet die Hoffnung, die ursprüngliche Einfachheit aller Vorstellungen, das heißt, ihre ursprüngliche Untrennbarkeit, vereinbaren zu können mit dieser Erklärung der Allgemeinheit aus einem Ähnlichkeitsbewußtsein. „ A person, who desires us to consider the figure of a globe of white marble without thinking on its colour desires an impossibility." 3 3 3 Diese Unmöglichkeit ergibt sich aus der Untrennbarkeit ursprünglicher „impression". D a s abstrakte abgesonderte Merkmal kann nicht selbst Vorstellung sein, die auf impression zurückgeht, denn die Farbe für sich ist in der Vorstellung faktisch nicht trennbar von einem Farbigen. H u m e muß also den Versuch machen, die distinction of reason so zu erklären, daß sie nicht selbst für sich Vorstellung ist, die immer auf impression rückführbar sein muß, sondern außerhalb ihrer in ein davon unabhängiges Bemerken fällt. „When 531 532 533
„Treatise . . . " I p. 332 f. „L. U." II 1 S. 196 „Treatise . . . " I p. 333
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we wou'd consider only the figure of the globe of white marble, we form in reality an idea both of the figure and colour, but t a c i t l y c a r r y o u r e y e t o i t s r e s e m b l a n c e with the globe of blade marble." 534 Hume meint dieses „tacitly carry our eye to . . . resemblance" nicht als ein Vorstellen denken zu müssen. Vorgestellt ist die ,idea both of the figure and colour'. Das Bemerken der Ähnlichkeit scheint nicht selbst ein Vorstellen zu sein, er scheint dabei die Unmöglichkeit vermieden zu haben, „to consider the figure of the globe of white marble without thinking on its colour". In Wahrheit ist ja aber audi ein Bemerken der Ähnlidikeit nicht ohne den Gedanken einer abstrakten Bestimmung möglich, der den Vergleich — als einen Vergleich Verschiedener in Hinsicht auf eines — leitet. Trotzdem fällt dieses Bemerken einer Beziehung von Ähnlichkeit nicht in die Vorstellung als solche, oder anders gesagt, die abstrakte Bestimmung muß nidit als solche vorgestellt werden, es genügt die Repräsentanz dieses Momentes durch eine individuelle Vorstellung aus einer Reihe ähnlicher. Zwar bedarf, wie Husserl sagt, audi das Bemerken der Ähnlichkeit einer neuerlichen Erklärung dieser Ähnlidikeit aus einer Ähnlichkeit mit anderen Ähnlichkeiten usw., doch ist es keineswegs ausgemacht, daß dieser Regreß ins Unendliche geht. Vielmehr hat er einen Ursprung, der eben die eigene Ursprünglichkeit des Denkens gegenüber dem Vorstellen als impression begründet, das aber nun anders als die impression als solche nicht ein unbestimmt vielfaches und je untrennbar einzelnes ist, sondern diesem gegenüber seine Selbständigkeit und Ursprünglidikeit darin erweist, daß es das ursprüngliche Eins ist; in dem aber nun auch die unbestimmte Vielfalt des Vorgestellten erst Einheit finden kann. Das bedeutet wiederum für die impressions rein als solche, daß sie in ihrer ursprünglichen Vielfalt wirklich als unbestimmte anerkannt werden müssen, daß also nur insofern eine „abstrakte Unterscheidung" vorzustellen, eine Unmöglichkeit ist, als die Vorstellung rein als solche überhaupt nicht a l s e t w a s bestimmt ist. Wenn Hume also in dem Beispiel annimmt, es sei unmöglich, „to consider the figure of a globe of white marble without thinking on its colour," so bemerkt er nicht, daß nicht nur Gestalt und Farbe in der Vorstellung untrennbar sind, daß vielmehr auch die Bestimmung dieser Vorstellung als einer Vorstellung „of a globe of white marble" eine außer die Vorstellung fallende ebenso abstrakte Bestimmung ist, die rein in der Gegebenheit der Vorstellung als solcher ursprünglich nicht anzutreffen ist. Genau so wenig wie die Vorstellung von „figure" und „colour" je für sich vollziehbar ist, läßt sich diese eingeschränktere Bestimmung: „globe of white marble" isoliert von der unendlichen Vielfalt des konkreten Dies-da vorstellen. Meint man aber, diese 534
a.a.O.
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Bestimmung in der Vorstellung als solcher vollziehen zu können, d. h. hat man einen Begriff von Vorstellung als einer bestimmten, so hat man kein Recht, die Vorstellbarkeit der nur graduell verschiedenen, im wesentlichen ebenso abstrakten Bestimmung: „Gestalt" oder „Farbe" zu leugnen. Eine Kritik, die sich gegen die einfache Gegebenheit der abstrakten Unterscheidung „Gestalt" richtet, richtet sich ebensosehr gegen eine Bestimmung der Art wie „globe of white marble". Auch sie entsteht nur auf Grund einer Trennung des ursprünglich Untrennbaren. Wenn also Untrennbarkeit ein ursprüngliches Moment des Vorstellens ist, ist mit ihr, wie die abstrakte Unterscheidung, jegliche Bestimmung unvereinbar. Dann aber weist diese Unvereinbarkeit zwar darauf, daß alle allgemeinen Vorstellungen in Wahrheit individuelle sind, ebensosehr aber darauf, daß die Bestimmtheit selbst nicht aus der Einzelheit oder Individualität aller Vorstellungen erklärbar ist. Daraus ergibt sich aber, daß die Bestimmtheit selbst auf eine eigene Ursprünglichkeit des Allgemeinen weist. Nur so läßt sich einerseits die Unvereinbarkeit des Allgemeinen mit der ursprünglichen Untrennbarkeit denken, nämlich als ihr ursprünglicher Widerspruch. Und nur so ist die Bestimmtheit ursprünglich vollständig abgeleitet. Der Unterschied von individuellen und allgemeinen Vorstellungen läßt sich also ebensowenig einfach b e h a u p t e n wie einfach l e u g n e n , vielmehr ist er als ein ursprünglicher zu d e n k e n . Er muß sich in den ursprünglichen Momenten der Totalität als absolute Verschiedenheit ausweisen. Oder seine Annahme ist eine bloße Behauptung, deren Unwahrheit aus der Unvereinbarkeit mit der ursprünglichen Untrennbarkeit aller Vorstellungen sich ergibt. Die Ahnung dieser absoluten Verschiedenheit hatte Hume, weil er den darin liegenden Widerspruch nicht als absoluten zu denken vermochte, dahin geführt, das Moment der Allgemeinheit der Vorstellungen überhaupt zu leugnen, und dieses aus einem außerhalb des Vorstellens fallenden Bewußtsein der Ähnlichkeit zu erklären. Damit hat er selbst den Hinweis auf die absolute Verschiedenheit von Vorstellung als untrennbarer und als abstrakter Unterscheidung gegeben, denn Ähnlichkeit, bzw. Bewußtsein der Ähnlichkeit, soll nach Hume außerhalb des Vorstellens fallen, weil dieses ursprünglich untrennbares ist. Soll sie außerhalb des Vorstellens als untrennbaren fallen, und doch nicht nichts sein, vielmehr ,etwas', das für sich absolut erklärt zu werden verdient, so ergibt sich ihre eigene Ursprünglichkeit und ihre absolute Verschiedenheit zum Vorstellen als untrennbarem von selbst. Hume wäre selbst auf diese eigene Ursprünglichkeit, die in dem Ähnlichkeitsbewußtsein enthalten ist, gestoßen, wäre er dem sich aufdrängenden Regreß nachgegangen, den Husserl glaubt als unendlichen so kritisieren zu können, daß er die „extreme Verirrung" von Humes Abstraktionstheorie erweise. Bemerkt man bei Hume, daß sein
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wesentliches Ziel nicht dieses ist, die Allgemeinheit fortzuleugnen, sondern die Unvereinbarkeit der Allgemeinheit mit der Untrennbarkeit aller Vorstellungen zu erklären, so wird man den Gewinn der Erklärung Humes anerkennen müssen: Denn das Bemerken von Ähnlichkeit von Vorstellungen liegt außerhalb der Vorstellungen selbst. Gelingt es also, die Allgemeinheit aus der Ähnlichkeit zu erklären, so bleibt die ursprüngliche Untrennbarkeit der Vorstellungen erhalten. Aller Abstraktion liegen zwar die Vorstellungen vorgegeben als ursprünglicher Stoff zu Grunde, doch ihre Bestimmtheit und Unterschiedenheit hat ihre Quelle außerhalb dieser, sie wird nur a n i h n e n bemerkt. Andererseits anerkennt ja Hume in der Annahme eines Ähnlichkeitsbewußtseins, daß dieses Ähnlichkeitsbewußtsein nicht nichts ist. N u r geht er der sich hier andeutenden eigenen Ursprünglichkeit dieses Ähnlidikeitsbewußtseins nicht nach. Wieder gilt, was bei Hume sich überall zeigt, daß er die eigene Ursprünglichkeit des Denkens wohl annimmt, aber sie nicht als solche ausweist. Und wieder zeigt sich als Grund dieser Problemblindheit, der blinde Glaube an die Bestimmtheit der Vorstellungen, sofern sie einen gewissen Grad der Abstraktheit nicht überschreiten („the globe of white marble" sei als solcher vorstellbar — nicht aber „without thinking on its colour"). Wäre sich Hume bewußt gewesen, daß mit der abstrakten Unterscheidung alle Bestimmtheit aus diesem Ähnlichkeitsbewußtsein erklärt zu werden verlangt, so wäre er der Herkunft dieser Ähnlichkeit sicher nachgegangen. Die Ähnlichkeit an Vorstellungen läßt sich nur bemerken in Hinsicht auf einen gemeinsamen Gesichtspunkt. Dieser kann nun zwar selbst wieder in einer erinnerten Vorstellung bestehen, deren Unterschiedenes durch Vergleich mit wiederum entsprechenden anderen Vorstellungen bemerkt wird. Doch muß dieser Regreß in einem Ursprünglichen gründen. Dieses ist das ursprüngliche Eins des Denkens, das dem untrennbar und unbestimmt Vielfältigen des Vorstellens gegenübersteht', wodurch dieses als Seiendes oder Gegenstand ursprünglich interpretiert und bestimmt wird. Aus diesem ursprünglichen Eins und seinem absolut Anderen, dem vorgegebenen unbestimmt Mannigfaltigen der Vorstellung läßt sich alle Bestimmtheit entwickeln, doch so, daß alle Mannigfaltigkeit rein als solche auf in ihrer Existenz unmittelbar gewisse Vorstellung zurückgeht, während dem Denken als ursprünglichem und von dem Vorstellen absolut verschiedenen nichts als das Eins des ursprünglichen Begriffs zukommt, in dessen eigener, den absoluten Widerspruch des ursprünglich anderen enthaltender Dialektik, sich, wie Hegel in der Logik vorgeführt und erwiesen hat, das System des Bestimmten überhaupt entfalten läßt, und zwar so, daß der absolute Widerspruch des untrennbar Einzelnen und der Allgemeinheit des Begriffs als notwendiger gedacht wird. Ohne die Einheit des ,Ich denke' wäre keine Bestimmtheit und ohne die kontingente Vielfalt
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des ursprünglich Unbestimmten keine reine Mannigfaltigkeit der Bestimmtheit. Wenn Hume die Unableitbarkeit der Allgemeinheit aus untrennbar einzelnen Vorstellungen erkennt und so scheinbar die Allgemeinheit leugnet, so weist er damit in Wahrheit die eigene Ursprünglichkeit der Vorstellungen als untrennbar aus und hält sie als solche fest. Er gibt durch die Erklärung des Allgemeinen aus einem Ähnlichkeitsbewußtsein einen Hinweis auf die gegenüber dem Vorstellen als solchen selbständige Ursprünglichkeit des Denkens. Dagegen kommt Husserl, der scheinbar die Ursprünglichkeit des Denkens gegenüber dem Anschauen vertritt, gerade nicht zur wirklichen Anerkennung eines Ursprünglichen und schon gar nicht zur Anerkennung einer absoluten Verschiedenheit, weil die einfache A n n a h m e e i n e s U r s p r ü n g l i c h e n das Wesen des Absoluten nicht trifft. Ein „deskriptiv Letztes" in dem Sinn der L. U. ist eine contradictio in adiecto. Als Deskriptives ist es nicht ein Letztes, sondern muß als so und so ,Beschriebenes' selbst unter ursprünglicheren Bestimmungen der Beschreibung stehen. Anders gesagt, die b e s t i m m t e Gegebenheit eines solch „deskriptiv Letzten" enthält ungedacht, in der bloßen Behauptung verborgen, und nicht als solche anerkannt, den absoluten Widerspruch in sich. Husserl formuliert etwa: „Rekapitulieren wir unseren eigenen, sicherlich [!] klaren und naturgemäßen [ ! ] Gedankengang: Gegeben sind uns gewisse Unterschiede im Gebiet der Namen, darunter der Unterschied der Namen, die Individuelles und derjenigen, die Spezifisches nennen . . . Den Namen entsprechen gewisse Bedeutungen und mittels ihrer beziehen wir uns auf Gegenstände. Welches diese genannten Gegenstände sind, das kann, sollte man denken, gar nicht strittig sein. Es ist einmal die Person des Sokrates, die Stadt Athen oder sonst ein individueller Gegenstand; das andere Mal die Zahl Vier, die Tonstufe c, die Farbe Rot oder ein sonstiger ideeller Gegenstand."535 Schon die betont affirmative Einführung des Unterschiedes als eines „sicherlich naturgemäßen" kann darauf hindeuten, daß Husserl nicht ein Ursprüngliches erreicht, denn eine ursprüngliche Unterscheidung kann nicht unter anderen festgestellt werden, und sie geht über das ,Naturgemäße' hinaus, sie ist zwar nicht transzendent, aber doch transzendental, insofern sie wirklich in die Bedingung der Möglichkeit des naturgemäß Meinbaren eindringt. Allerdings läßt sich mit Recht einwenden, daß Husserl die angenommene Unterscheidung von „allgemein" und „individuell" gar nicht als ursprüngliche behaupten möchte, obwohl er sie „fundamental" nennt,536 denn einmal zeigt die im Text zitierte Stelle selbst, daß Husserl offenbar eine fundamentalere Unter535 536
L . U . II 1 S. 140 „Es gibt ein von dem anschaulichen Vorstellen (als einem direkt auf den erscheinenden Gegenstand bezogenen Meinen) deskriptiv unterschiedenes be-
Das empiristische Argument im ontologisdiem Horizont
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Scheidung, nämlich die von Akt und Gegenstand kennt, andererseits müßte ja auch für Husserl die angenommene unbestimmte Vielfalt von Akten gegen ihre Ursprünglichkeit sprechen. Wie dem auch sei, da es zum Wesen einer ontologischen Unterscheidung gehört, daß sie nicht als historische Meinung eines Autors sich feststellen läßt, weil sie so notwendig als bestimmte Meinung mißverstanden würde, geht es hier nicht um historische Interpretation, sondern im ausgezeichneten Sinn nur um die Sache. aa) Das Problem des ursprünglichen Unterschieds als von Momenten a) Das Beispiel von Inhalt und
absoluten
Gegenstand
Sofern Husserl aus Anlaß Humes die Untrennbarkeit als Moment der Totalität aller Vorstellungen glaubt kritisieren zu können, mit dem Hinweis: Es gibt auch allgemeine Vorstellungen, wird er aus dem Wesen der Sache zu kritisieren sein, zumal der sich darin andeutende rationale dogmatische Positivismus unter dem Namen der Phänomenologie Schule gemacht hat, zum Teil mit der Billigung Husserls, wenn sie auch mit der transzendentalen Phänomenologie des späteren Husserl schwer vereinbar scheint.537 Andererseits müßte, wenn Husserl gar nicht den fundamentalen Charakter der Unterscheidung von individuellen und allgemeinen Vorstellungen behaupten wollte, dieselbe Problematik angesichts der Intentionalität als ursprünglicher Beziehung absolut Verschiedener wiederkehren. Die Unabhängigkeit und Selbständigkeit ihrer Momente wäre ebensosehr zu erweisen als ihre Beziehung. Zumindest hier müßte Husserl den Widerspruch als absoluten denken und andererseits die absolute Selbständigkeit des die Totalität betreffenden Momentes des unbestimmt Unmittelbaren sicherstellen. Dieses müßte, selbst ein Nicht-intentionales, aber doch nur Moment der Intentionalität der Akte und damit Moment jeden Aktes sein. Husserl hat eine solche Unterscheidung von Momenten der Intentionalität schon in den L. U. im Auge. Es ist die Unterscheidung von „Inhalt" und „Gegenstand". Charakteristischerweise meint aber Husserl auch in der Einführung dieser Unterscheidung von einem Beispiel ausgehen zu sollen: „Ich sehe ein Ding, z. B. diese Schachtel, ich sehe nicht
537
griffliches Vorstellen, ein Meinen von fundamental neuer Artung, zu dem seinem Wesen nach die Formen des Eins und Mehrere, des Zwei und Drei, des Irgendetwas überhaupt, des Alle usw. gehören". (a.a.O. S. 175) Gedacht ist hier etwa an M. Scheler, aber auch an die Dichtungstheorie R. Ingardens. Im Zusammenhang der deutschen Literaturwissenschaft ist besonders auf den Dichtungsbegriff W. Kaysers hinzuweisen.
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D i e H e r k u n f t v o n Musils Dichtungsbegriff
meine Empfindungen. Ich sehe immerfort diese e i n e u n d s e l b e Schachtel, wie immer sie gedreht und gewendet werden mag . . . Ich habe mit jeder Drehung einen n e u e n Bewußtseinsinhalt, wenn ich . . . die e r l e b t e n Inhalte so bezeichne. Also sehr verschiedene Inhalte werden erlebt, und doch wird derselbe Gegenstand wahrgenommen. Also ist weiter der erlebte Inhalt, allgemein zu reden, nicht selbst der wahrgenommene Gegenstand." 538 Husserl scheint anzuerkennen, daß diese „reellen Inhalte", die er auch „Empfindungen" nennt, nicht selbst Akte sind. „Innerhalb dieser weitesten Sphäre des Erlebbaren glauben wir den evidenten Unterschied vorzufinden [ ! ] zwischen intentionalen Erlebnissen, in welchen sich gegenständliche Intentionen . . . konstituieren, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, also Inhalten, die z w a r a l s B a u s t e i n e v o n A k t e n f u n g i e r e n k ö n n e n , a b e r n i c h t s e l b s t A k t s i n d . " 5 3 9 Doch die Art der Formulierung kann schon zeigen, daß der „Inhalt" für sich dem „ A k t " gegenüber zwar als selbständig angenommen wird, aber nicht so, daß er selbständig als Moment der Totalität des Bewußtseins überhaupt, der „weitesten Sphäre des Erlebbaren" also, ist. Husserl müßte sonst die durchgehende wechselseitige Abhängigkeit von „Inhalt" und „Gegenstand" als Momenten des Bewußtseins ausweisen und anerkennen. Tatsächlich sieht er sie aber als verschiedene von einander unabhängig für sich Bestimmte an. Die „Apperzeption" des „Inhalts" als „Gegenstand" gilt Husserl nur als ein „Überschuß der Deutung". Die „Inhalte" sind, sofern sie als verschiedene erlebt werden, schon für sich selbst gedeutet. Die „Empfindung" ist schon für sich bestimmt, gerade weil der deutende Akt ebenso für sich bestimmt geglaubt wird. Husserl bemerkt nicht, daß die 538
L . U . I I 1 S. 382 — Diese Unterscheidung kehrt in den „Ideen zu e. Reinen P h ä n o m e n o l o g i e " in der Unterscheidung v o n „ N o e m a und N o e s i s " wieder, w o r a u f Husserl in der 2. A u f l . der „ L . U . " selbst hinweist (II 1 S. 397 A n m . 1). Husserl bereitet d o r t die Unterscheidung als zwischen „reellen" E r scheinungs- b z w . „ A b s c h a t t u n g s " m a n n i g f a l t i g k e i t e n und dem einen D i n g vor (vgl. „ I d e e n . . . " I S . 92 ff.). V o n ähnlicher Beispielbeschreibung ausgehend (S. 92), formuliert er: „Dieselbe F a r b e erscheint" in „kontinuierlichen M a n n i g faltigkeiten von F a r b e n a b s d i a t t u n g e n " . „ I n Wesensnotwendigkeit gehört zu einem allseitigen kontinuierlich einheitlich sich in sich selbst bestätigenden Erfahrungsbewußtsein v o m selben D i n g ein vielfältiges System von kontinuierlichen Erscheinungs- und Abschattungsmannigfaltigkeiten, in denen, wenn sie aktuell gelten, alle in die Wahrnehmung mit dem C h a r a k t e r der leibhaften Selbstgegebenheit fallenden gegenständlichen M o m e n t e sidi im Bewußtsein der Identität in bestimmten K o n t i n u i t ä t e n darstellen b z w . abschatten. J e d e Bestimmtheit hat i h r Abschattungssystem und für jede gilt, wie f ü r das ganze D i n g , d a ß sie für das erfassende, Erinnerung und neue Wahrnehmung synthetisch vereinende Bewußtsein als dieselbe dasteht trotz einer Unterbrechung im A b l a u f der K o n t i n u i t ä t aktueller Wahrnehmung."
539
L . U . I I 1 S. 383
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„Apperzeption", rein als solche betrachtet, in nichts anderem als dem Bestimmen des reinen ,Ich denke' besteht, das andererseits alle Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der „Akte" selbst aus dem „Inhalt" stammt, der aber nun wieder rein als solcher völlig unbestimmt zu denken ist. Es werden also nicht „Inhalte" als verschiedene für sich erlebt, sondern die Verschiedenheit der „intentionalen Akte" überhaupt hat ihren Ursprung in der reinen Mannigfaltigkeit und darum unbestimmten Fülle des gegebenen „Inhalts". Weil die Verschiedenheit aus dem „Inhalt" stammt, läßt sich der „Inhalt" selbst nicht als bestimmter, verschieden gegen anderes, annehmen. Husserl kann aber diese Absolutheit der Momente, ihre Reinheit, nicht denken, weil er sie beschreibbar an gegebenen Verschiedenen meint vorfinden zu können. Husserl wird auch hier, in der Kampfstellung zu einer dogmatischen Metaphysik die scheinbar empiristische, in Wirklichkeit selbst dogmatische Voraussetzung nicht los, es ließen sich wirklich fundamentale Unterscheidungen an vorfindlichen Beispielen (wenn audi in phänomenologischer, die Seinssetzung ausklammernder Einstellung) zeigen. Auch den Unterschied von „Empfindung" und „Gegenstand" möchte Husserl am Beispiel zeigen: „Nehmen wir den Fall, daß jemand ein ihm ganz fremdes Wort als bloßen Lautkomplex achtsam hört, ohne auch nur zu ahnen, daß es ein Wort sei; und vergleichen wir damit den Fall, daß er späterhin das Wort, mit seiner Bedeutung vertraut geworden, inmitten eines Gesprächs mit Verständnis, aber ganz ohne begleitende Veranschaulichungen höre." 540 Der hier im Beispiel vorfindlich geglaubte Unterschied kann nicht ein absoluter sein, weil seine Beschreibbarkeit ja den fundamentaleren Unterschied von Beschreibung und Beschriebenem voraussetzt. So ist also das, was Thema der Beschreibung sein sollte, die Momente der „Intentionalität" zu zeigen, darum nicht möglich, weil in dem vermeintlich voraussetzungslosen Beschreiben die Struktur der „Intentionalität" wirksam ist, und auf diese Weise die Momente der „Intentionalität" nicht als solche, d. h. in ihrer Reinheit, ohne weiteres zur Geltung kommen können. Und so ist in der Tat das „Hören eines Lautkomplexes" ein „intentionaler Akt" ebenso wie das ,Verstehen einer Bedeutung'. Das Hören v o n e t w a s a l s Lautkomplex vergegenständlicht die reine Empfindung im wesentlichen genauso wie das hörende Verstehen des Wortes als symbolischen Ausdruck für etwas. Auch wenn man, wie Husserl in diesem Zusammenhang betont, den Lautkomplex nicht als einen Gegenstand wie eine Tonschwingung oder ähnliches faßt, faßt man ihn doch als etwas, von anderem unterschieden und so bestimmt gegenständlich. Sofern Husserl den Unterschied von „Empfindung" und „Gegen540
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stand" in der Beschreibung eines .Falles* faßt, kann er den Unterschied nicht als einen fundamentalen fassen, weil die Beschreibung selbst schon den Unterschied enthält, dessen reine Momente sie je für sich zum Gegenstand machen möchte. Husserl bemerkt diese, aus der Absolutheit des Unterschiedes von Inhalt und Gegenstand sich ergebende Problematik nicht, er bemerkt jedenfalls in den L. U., auf die wir uns hier überall a l l e i n beschränken, nicht die Einzigartigkeit dieser Beziehung, weil er die „Empfindung" ( = „Inhalt") als eine der Auffassung gegenüber für sich bestehend bestimmte denkt und so ihren Charakter als Moment des apperzipierenden intentionalen Aktes verliert. 541 Husserl kann davon sprechen, „daß wir . . . im Wechsel der erlebten Inhalte einen und denselben Gegenstand wahrnehmend zu erfassen meinen."542 Ist aber der Wechsel eines „Inhaltes" anerkannt, sieht man „verschiedene Empfindungsinhalte gegeben", die dann „in demselben Sinn aufgefaßt, apperzipiert" werden, so ist der Inhalt nicht mehr Inhalt im reinen Sinn, sondern als bestimmter im Bewußtsein schon apperzipiert, so daß das Wahrnehmen dieses so bestimmten Inhaltes als eines und desselben Gegenstandes, — was Husserl hier Apperzeption nennt — nur ein zusätzlicher reflektierender Akt ist.543 So ist es nicht verwunderlich, daß Husserl zwar nicht die ursprüngliche Synthesis bemerkt, die in der Anerkennung verschiedener Empfindungsinhalte als solcher wirksam ist, aber doch ein Identitätsbewußtsein ansetzt, das „sich auf Grund dieser beiderseitigen Erlebnischaraktere vollzieht, als unmittelbares Bewußtsein davon, daß sie beide d a s s e l b e m e i n e n . " Folgerichtig nennt er dieses Identi541
542 543
Das hatte schon Natorp kritisiert, der in seiner „Allg. Psychologie" einen eigenen Versuch unternimmt, den Charakter des Unmittelbaren als Moment des Vermittelten herauszuarbeiten. Husserl geht auf seine Kritik ein (vgl. a.a.O. S. 380 f.), ohne sie im Kern zu verstehen: vgl. auch a.a.O. S. 386 über den Ursprung des Mannigfaltigen. a.a.O. S. 382 „Machen wir nun aber die Wendung von der psychologisdi-erfahrungswissenschaftlichen Einstellung in die phänomenologisch-idealwissenschaftliche. Wir schalten alle erfahrungswissenschaftlichen Apperzeptionen und Daseinssetzungen aus, wir nehmen das innerlich Erfahrene oder sonstwie innerlich Angeschaute . . . nach seinem reinen Erlebnisbestand und als bloßen exemplarischen Untergrund für Ideationen, wir schauen aus ihm ideativ allgemeine Wesen und Wesenszusammenhänge heraus — [ N . B. alles dies auf der Inhaltsseite!] ideale Erlebnisspezies [!!] versdiiedener Stufe der Generalität und ideal gültige Wesenserkenntnisse..." (a.a.O. S. 398) — oder noch unzweifelhafter .definiert' H. an anderer Stelle: „Unter dem reellen phänomenologischen Inhalt eines Aktes verstehen wir den Gesamtinbegriff seiner, gleichgültig ob konkreten oder abstrakten Teile, mit anderen Worten, den Gesamtinbegriff der ihn reell aufbauenden Teilerlebnisse. Solche Teile aufzuzeigen und zu beschreiben [!], ist die Aufgabe der in erfahrungswissenschaftlicher Einstellung sich vollziehenden rein deskriptiv psychologischen Analyse." a.a.O. S. 397
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tätsbewußtsein nun selbst wiederum einen „Akt", „dessen gegenständliches Korrelat in der bezeichneten Identität liegt."544 Nun könnte dieses „Identitätsbewußtsein" unmöglich ein Akt mit eigenem „gegenständlichem Korrelat" sein, wären Empfindung und wahrnehmendes Erfassen der Inhalte als eines und desselben Gegenstandes wirklich Momente der Intentionalität selbst. Zwar glaubt Husserl sagen zu können, daß er „eigene Empfindungsakte überhaupt nicht anerkenne", 545 doch behandelt er sie in der Tat so, als ob Empfindung selbst ein intentionaler Akt wäre, schon darin, daß er sie glaubt beschreiben zu können. Als beschriebener oder beschreibbarer ist der Inhalt nicht mehr Inhalt im strengen Sinn, sondern Gegenstand der selbst intentionalen Beschreibung. Beschrieben aber ist der Inhalt bzw. die Empfindung schon allein darin, daß sie von anderen unterschieden wird. Diese notwendige Aporie im Versuch, einen fundamentalen Unterschied zu denken, führt darauf, nicht mehr fundamental Unterschiedene bloß annehmen zu können, sondern in ihren Ursprung zurückgehen zu müssen, und so den absoluten Widerspruch zu denken. In ihm ergibt sich die Bestimmtheit der Momente, die gezeigt wurde, nicht daraus, daß das Moment abgegrenzt ist gegen ein anderes, sondern so, daß jedes Moment die Totalität, also auch sein anderes mit umfaßt. So ist aber auch der Widerspruch unvermeidlich, wie ihn Hume in der Unvereinbarkeit von Unteilbarkeit der Vorstellungen überhaupt mit ihrer Geltung als allgemeinen e n t d e c k t . Husserl scheint also auch hier nicht, genausowenig wie bei der Unterscheidung von individuell und allgemein, das wesentlich philosophische Problem anzuerkennen, das Bewußtsein überhaupt als reine Sphäre, als Totalität ausweisen zu sollen. Er nimmt „fundamentale" Unterscheidungen an, ohne ihren Rechtsgrund in Bezug auf eine absolute Unterschiedenheit 544
545
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a.a.O. S. 383 — Vgl. auch 6. Unters. 5. Kap. „Das Ideal der Adäquation, Evidenz und Wahrheit": dort erklärt Husserl ausdrücklich die Wahrheit als „objektives Korrelat" eines „identifizierenden Aktes" (L. U. II 2 S. 122). „Der Gegenstand ist nicht bloß gemeint, sondern, so wie er gemeint ist und in eins gesetzt mit dem Meinen, im strengsten Sinn gegeben" (S. 122) — „das Gegenständliche ist genau als das, als welches es intendiert ist, wirklich gegenwärtig' oder ,gegeben'" (S. 118): Das „bloß gemeint" und das „gegeben" (das Intendierte und das wirklich Gegenwärtige) sind als solche gegeneinander Verschiedene und H. denkt sie darum selbst als „eigene Akte", als „bloße Vorstellung" (S. 115) und als „selbst gebende Wahrnehmung" (bzw. sinnliche und kategoriale Anschauung), die irgendwann in einem Jetzt zusammenfallen. Husserl spricht von dem „Fülle gebenden Akt" (S. 123) und von der „Aktproposition des Bedeutens" (S. 113) und endlich nicht nur von einem „Vollzug der identifizierenden Deckung", sondern noch von einem „eigenen Akt objektivierender Auffassung", „einem eigenen Hinblicken auf die vorhandene Wahrheit. Und ,vorhanden' ist sie in der Tat". (S. 122 f.) a.a.O. II 1 S. 394 Anm. 1 Sdiaffnit
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auszuweisen. So aber gibt Husserl die mögliche — und von Brentano etwa ins Auge gefaßte — Bedeutung der Intentionalität des reinen Bewußtseins aus der H a n d . N u r wenn sie als ursprüngliche Beziehung absoluter Momente gedacht wird, kann sie wirklich die Totalität erschöpfen. Doch da es hier nicht darum geht, einen ,anderen Standpunkt' zu behaupten, versuchen wir in die sachliche Absicht der L. U. einzudringen. Offenbar wird Husserl ebenfalls von der Frage „nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Theorie überhaupt" 546 geleitet. Wie ist es zu erklären, daß er dann die Intentionalität als eine beschreibbare Eigenschaft einer gewissen Klasse von Bewußtseinstatsachen annehmen und doch ihrer Ursprünglichkeit gewiß sein kann? ß) Der vorausgesetzte Unterschied in Husserls mathematischem Positivismus — Das Problem des absoluten Unterschieds Wie wir sahen, meint Husserl, die Geltung dieser Bestimmung durch Beispiele s i c h e r n zu können, 547 ja sogar diese Unterscheidung a u s solchen Beispielen durch Beschreibung gewinnen zu können. „Die an exemplarischen Einzelfällen solcher Erlebnisse vollzogene Ideation . . . und so vollzogen, daß jede empirisch-psychologische Auffassung und Daseinssetzung außer Ansatz bleibt und nur der reell phänomenologische Gehalt dieser Erlebnisse in Betracht kommt, — gibt uns die rein phänomenologische Gattungsidee i n t e n t i o n a l e s E r l e b n i s o d e r Akt." 5 4 8 Husserl meint also, auch die Bestimmung der Intentionalität, wie alle anderen phänomenologischen Unterscheidungen aus „exemplarischen Einzelfällen" gewinnen und ihre Allgemeingültigkeit durch Ideation, d. h. unter Absehung von Daseinssetzung, behaupten zu können. Ihre „Realität (im alten Sinne)", so sagt H., sei „natürlich durch die Beispiele gesichert." Ob es aber überhaupt e i n Beispiel solcher Erlebnisse gibt, darüber braucht es f ü r H . offenbar keinen Streit zu geben, weil ihre Behauptung mit ihrer Meinbarkeit — und auf sie hat es Husserl allein abgesehen — zusammenfällt. Darum kann er auch bereitwillig zugestehen, daß die Intentionalität keine Bestimmung der Totalität darstellt: „Für uns gibt es daher keine Sreitfragen wie die, ob wirklich alle psychischen Phänomene, z. B. die Gefühlsphänomene, die bezeichnete Eigentümlichkeit haben. Statt dessen wäre zu fragen, ob die betreffenden Phänomene ,psychische Phänomene' sind." 54 ® Wenn aber diese Bestimmung gar nicht f ü r ,alle Phänomene' gilt, und auch nicht gezeigt wird, wie sie aus einer solchen 54
« „L. U." I S. 236 f. „L. U." II 1 S. 368 f. 548 a.a.O. S. 369 549 a.a.O. S. 369 Anm. 1 547
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Bestimmung von .Phänomenen überhaupt' ableitbar ist, so muß für jedes ,Phänomen' fragwürdig bleiben, ob es überhaupt ein psychisches und also intentionales ist. Husserl muß auf die je unvermittelbare eigene Intuition verweisen, wenn er irgend ein Beispiel für ein intentionales Erlebnis zitiert und ausweisen soll, ob dieses Beispiel ein psychisches ist. Der Konsens, den Husserl in solch intuitiver Beschreibung von gewissen Einzelbeispielen als intentionalen erreicht, kommt so zustande, daß er in seiner Beschreibung eine gewohnte Ausgelegtheit dieser Phänomene bzw. Worte nicht verläßt und diese dem Zweifel nicht aussetzt. Dodi diese Ausgelegtheit des Geltungssinnes haben diese Phänomene nur in einem vermittelten Zusammenhang von Geltungen, die selbst in Geltung gesetzt sind, durch seine wahrhaft ursprüngliche Ausweisung in einem Absoluten. Die Beschreibung der Phänomene ist nicht als solche, so und so bestimmte, unmittelbar gewiß; auch nicht insofern, als man sie als reine Meinung rein phänomenologisch behandelt und von ihrer sogenannten „Daseinssetzung" absieht; denn als bestimmte ist die Beschreibung eine vermittelte, die auf der Geltung von in ihr enthaltenen allgemeineren Bestimmungen beruht, die selbst wieder auf die einzig unmittelbare Gewißheit von Totalitätsbestimmungen verweisen und aus ihr das gewinnen, was Bedeutung im allgemeinsten Sinn sein kann. Denn auch die nach dem Vorbild der Mathematik gedachte reine Meinungsgewißheit irgendeines gesetzten Satzes, eines Beispiels also, ist keine im strengen Sinne unmittelbare Gültigkeit, sondern ist selbst vermittelt in einem Zusammenhang von Sätzen, die ihre Gewißheit aus als gewiß g e s e t z t e n Axiomen herleiten, deren Gewißheit selbst wieder geliehen und insofern auch eingeschränkt ist, durch die Beziehung auf eine wahrhaft unmittelbare, weil ursprüngliche Bestimmung des Absoluten selbst. Nur eine Bestimmung, die als eine der Totalität auszuweisen ist, ist wirklich u n m i t t e l b a r g e w i ß . Nur hier gibt es eine Intuition im strengen Sinn. Alle andere Gewißheit ist abgeleitet aus ihr. Nun ist aber die Abgeleitetheit einer Bestimmung nicht von sich aus unvereinbar mit ihrer unmittelbaren Gewißheit, sofern diese abgeleitete Bestimmung wirklich rein aus ihren Voraussetzungen sich ergibt, sofern in ihr also nidits anderes ausgesagt ist als in der Voraussetzung. Daraus erklärt es sich, daß irgendeine mathematische Aussage so unmittelbar gewiß ist wie ihre in ihr vorausgesetzten Axiome selbst. D a aber Husserl von dem unendlichen Gebiet des Vorstellbaren überhaupt handelt, scheint er doch zu Recht voraussetzen zu können, daß jede Bestimmung, jeder Unterschied, der sich formulieren läßt, unmittelbare Gewißheit hat, weil über die Grenzen des Gebietes nidits axiomatisch vorherbestimmt ist. Es kann also gar keine Bestimmung geben, die nicht entweder selbst sich als unableitbar gewiß behauptet oder aus einem 14"
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solcherart Gewissen sich v o l l s t ä n d i g herleitet, und darum ebenso unmittelbar gewiß ist. Es würde also mit Recht für das umfassende Gebiet reiner Vorstellung gelten, daß die einzig das Absolute auszeichnende u n m i t t e l b a r e Gewißheit der Intuition auf alles Vorstellbare oder Meinbare sich erstreckt. D a also das Gebiet des Vorstellbaren durch keine vorgängige axiomatische Bestimmung abgrenzbar sei, würde das Absolute, das nur als absolutes unmittelbar gewiß ist, von unendlicher Vielfalt sein. Die unmittelbare Gewißheit einer phänomenologischen Unterscheidung oder die Behauptung eines „deskriptiv Letzten" ist also gleichbedeutend mit der Behauptung, das Absolute sei ein nicht bestimmbar Vielfaches. Darum braucht der Frage, ob eine als fundamental behauptete Unterscheidung wirklich gewiß ist, nicht nachgegangen zu werden, sie kann als unmittelbar evident behauptet werden, denn ob sie nun ableitbar ist oder nicht, ist gleichgültig, denn in jedem Fall versteht sich ihre Gültigkeit von selbst. Läßt sie sich aus anderen Bestimmungen ableiten, so vertritt sie deren unmittelbare Gewißheit, läßt sie sich nicht ableiten, so vertritt sie ihre eigene Gewißheit neben der der anderen, und wird durch sie nicht in Frage gestellt. Der philosophische Z w e i f e l wäre also sinnlos. Husserls .analytische' Beschreibungsmethode in den L. U. rechnet offenbar mit solch einer Vielfalt des Absoluten, mit einer Vielfalt ursprünglicher Bestimmungen, oder fundamentaler Unterscheidungen, denn je von neuem geht Husserl von der behaupteten Evidenz von Unterschiedenen aus, ohne daß er diese Evidenz begründet, und ohne daß er einen Zusammenhang der vielfältigen evidenten Unterscheidungen aufsucht. Wie er die Gegebenheit des Unterschieds von „individuellen" und „allgemeinen" Akten oder den von „Empfindungen" und „Akten" annimmt, immer unabhängig voneinander, so den von „selbständigen" und „unselbständigen Gegenständen", den von „Materie" und „Qualität" von Akten, von „Bedeutungsintentionen" und „Bedeutungserfüllungen", von „sinnlichen" und „kategorialen Anschauungen" und so fort. 550 Gelingt es aber Husserl wirklich, diese Vielfalt des Absoluten zu behaupten? Ist es möglich, eine unbestimmte Vielfalt fundamentaler Unterscheidungen wirklich zu meinen? Diese Frage fällt in ihrer Bedeutung zusammen mit der für die Bedeutung der L. U. wichtigen Frage: Läßt sich ein „deskriptiv Letztes" behaupten? Kann Husserl also wirklich das reine Bewußtsein als ein solches fassen, dessen Struktur in unabschließbarer Beschreibung unmittelbar zugänglich ist? Ließe sich erweisen, daß in jeder dieser nebeneinander bestehenden fundamentalen Unterscheidungen ein Gemeinsames leitend ist, so verlören 550
Für Hume fielen alle diese Unterscheidungen in einer ursprünglichen Unterscheidung zusammen.
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diese vielfältigen Unterscheidungen ihre unmittelbare Gültigkeit als absolute. Damit verlöre aber das reine Meinen seine Legitimation als absoluter, in sich selbst unmittelbar gewisser Bereich des ursprünglichen Bewußtseins. Das Meinen wäre nicht mehr als solches wahr und unmittelbar gewiß. Es stände selbst unter Bedingungen seiner Möglichkeit. Aber wieder ließe sich fragen: Kann die Evidenz der in dem Meinen leitenden Voraussetzung (ihrer Bedingung der Möglichkeit) verschieden sein von der Evidenz des aus dieser Voraussetzung rein Abgeleiteten? Wozu bedarf es überhaupt einer Reflexion auf die Bedingung der Möglichkeit des Meinens, wenn doch das Meinen selbst gar nichts anderes entfalten kann, als was in dieser Voraussetzung enthalten ist? Ist nicht Husserl im Recht, wenn er die systematisch deduktive Darstellung des phänomenologischen Bereichs abhängig sieht von einer analytisch deskriptiven Darstellung aus einfacher Intuition, wenn doch dieser Bereich ein unendlicher ist? Oder wenn er zumindest keinen prinzipiellen Vorrang der Deduktion gegenüber der Beschreibung anerkennen kann? Die absolute Struktur des reinen Bewußtseins müßte doch in deskriptiver Beschreibung ebenso zur Geltung kommen wie in der ausdrücklichen Reflexion auf seine reinen Momente. Die Beschreibung vermiede hingegen ohne Zweifel die Gefahr, sich statt an das reine Meinen selbst zu halten, einen dogmatisch bestimmten abstrakten Begriff des Meinens vorauszusetzen, eine dogmatische Metaphysik also, die die Unendlichkeit dieser Sphäre des Meinbaren unzulässig einschränkt und so verfehlt. Andererseits wäre alles intuitiv beschreibbare Meinen selbst des in ihm ursprünglich Vorausgesetzten teilhaftig. Dieses käme von selbst zur Geltung, ob sich nun die Reflexion darauf richtet, wie dieses Meinen in seiner Vielfalt in dem allem Meinen gemeinsamen Ursprünglichen fundiert ist, oder nicht.551 Doch gerade weil die reine Sphäre des Meinbaren eine unendliche ist, weil also ihre ursprüngliche Voraussetzung sich nicht in einem in sich bestimmten Grundbegriff, einem Axiom, fassen läßt, d a r u m ist in dem einzelnen bestimmten Meinen als solchem seine eigene ursprüngliche Voraussetzung nicht ohne weiteres beschreibbar präsent. Nur für ein bestimmtes axiomatisches, fest umrissen.es System gilt, daß die Gewißheit der ursprünglichen Bestimmung nicht verschieden ist 551
Hierher gehören die bei verschiedenen Anlässen gegebenen Versicherungen Husserls, die Entdeckung des reinen Ich als transzendentalen Quells des phänomenologischen Bereichs, die Husserl in den „Ideen . . ." vor der 2. Aufl. der „Logischen Untersuchungen" vollzieht, ändere nichts Wesentliches an den ,reinen' deskriptiven Aufweisungen der ,L. U.' Die neue Entdeckung führe nur zu „Verbesserungen", zu bestimmterer Verdeutlichung der auch in der noch nicht am transzendentalen Ich orientierten Deskription gegebenen Aufweisungen. Vgl. dazu etwa den Zusatz zur 2. Aufl. L. U. II 1 S. 363
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von der Gewißheit des rein aus ihr Abgeleiteten. Nur dort ist in der Beschreibung eines solchen Abgeleiteten die Voraussetzung, das Axiom, selbst gegenwärtig gegeben. Für die Sphäre der Meinung als Vorstellung überhaupt gilt das nicht, weil in der Beschreibung der Meinung als bestimmter vernachlässigt ist, wie sie als solche bestimmte doch Glied einer unendlichen Sphäre ist. Dieser Charakter, Glied einer unendlichen Sphäre zu sein, ist nicht eine zusätzliche Eigenart, die ihren Charakter, Bestimmtes zu sein, nicht berührt und darum vernachlässigt werden kann, sondern ist ein wesentliches Moment ihrer selbst. Doch wird dieses Moment erst dem Denken bewußt, das die Totalität der Bedingungen der Meinung überhaupt zu fassen sucht. Das Beschreiben hält sich an die Bestimmtheit als solche, geht von einer zufällig aufgenommenen Bestimmtheit des Vermeinten zur anderen und sieht nicht auf die Beziehung dieser verschiedenen je für sich Bestimmten. Diese Beziehung rein als solche kann nicht wieder selbst den Charakter eines Bestimmten haben, denn dann wäre die Unendlichkeit dieser Sphäre des Meinbaren verloren. Die Totalität der reinen Vorstellung ist nicht ein bestimmt begrenztes System. Weil sie eine unendliche Sphäre darstellt, ist die ursprüngliche Voraussetzung, die die Totalität dieses Unendlichen umgreift, von einzigartigem Charakter. Sie begründet — darin von jedem definierten axiomatischen System verschieden — e i n e n i c h t g e g e n A n d e r e s b e g r e n z b a r e S p h ä r e . Darum fällt die ursprüngliche Voraussetzung, der Charakter dieser Totalität als solcher, nicht mit dem Charakter jeder einzelnen beschreibbaren Bestimmtheit innerhalb des Ganzen zusammen, das je bestimmt ist gerade im Unterschied zu einem anderen Bestimmten. Die reine Meinungssphäre, im Sinne Husserls, ist auf die Weise beschreibbar, daß immer eines von einem andern unterschieden wird. Nur in einem Unterscheiden kann sich die unmittelbare Intuition der phänomenologischen Sachverhalte artikulieren. Weil aber das Beschreiben ein Unterscheiden ist, darum fällt die Evidenz irgendeines Beschriebenen nicht mit der Evidenz seiner ursprünglichen Voraussetzung zusammen, denn diese ist nicht selbst beschreibbar, also nicht in einem Unterschied gegen anderes zu bestimmen. Trotzdem muß die fundamentale Bestimmung der Totalität erklären, warum alles Meinen Beschreibbares und also Unterschiedenes ist. Die Unterscheidbarkeit ist also gerade der gemeinsame Charakter jeder Meinung, und darum darf der Unterschied nicht verloren gehen, indem er aufgelöst wird in einer einfachen absoluten Bestimmung. Denn es wäre darin nicht erklärt, warum alles Bestimmte Unterschiedenes ist, es würde also gerade das, was Eigenart jedes Beschreibbaren ist, vernachlässigt. D a aber die Totalität nicht selbst Unterschiedenes ist, ist sie der Unterschied selbst.
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An dem Unterschied selbst hat jede Meinung als beschreibbare Anteil, und doch ist er selbst nicht beschreibbar, also unterschieden gegen Anderes. Daraus erhellt aber, warum in der Beschreibung bestimmter Meinung als solcher, der Totalitätscharakter von Meinung nicht zugänglich ist. Weil der Unterschied das absolute Merkmal der Totalität ist, darum ist der Charakter der Totalität nicht vorfindlidi, nicht gegeben in der beschreibbaren einzelnen Meinung. Der Unterschied als solcher muß aber auch den Charakter eines Absoluten haben, denn sonst könnte nicht alles Meinen Unterschiedenes sein; der Charakter, Unterschiedenes zu sein, der für alles Bestimmte gilt, darf nicht aufgelöst werden, seine Zwiefältigkeit muß absolut sein, denn er ist selbst nicht ableitbar aus einem Gemeinsamen. Nur weil der gemeinsame Charakter alles Meinens der ist, Unterschiedenes zu sein, ist d i e s e s gemeinsame' nicht eines, denn dann wäre es als der gemeinsame Charakter allen Meinens gerade verloren, er wäre v e r schwunden' in diesem Einen. Jedes axiomatische System des Wissens deckt den Grund seiner Möglichkeit nicht völlig auf. Die Axiome sind selbst Bestimmungen, sie sind gegen Anderes Unterschiedene, darum ist es möglich, daß eine einzelne Behauptung innerhalb des Systems von gleicher Evidenz ist wie ihre reinen Voraussetzungen. Sie ist es insofern, als Vorausgesetztes und Abgeleitetes beides je für sich bestimmt Unterschiedenes ist, sich also i n n e r h a l b der ,Gattungs'-bestimmung .Unterschied' bewegt. Er selbst aber, sein eigenes Wesen, als Bedingung der Möglichkeit aller Unterscheidung, bleibt außerhalb des Gesichtskreises. Darum fällt nicht auf, daß seine Evidenz als wahrhaft ursprüngliche Voraussetzung alles Bestimmten wesentlich nicht mit der Evidenz des Bestimmten selbst zusammenfällt. 552 H a t das Denken aber das Meinen überhaupt und als solches zum Thema, so kann es den Unterschied nicht ausklammern, weil es selbst überall auf ihn stößt, weil er in jeder Bestimmung vorausgesetzt ist. Diesen Sachverhalt kann Husserl selbst bestätigen. Er charakterisiert die reine phänomenologische Sphäre durch fundamentale Unterscheidungen, und darum, weil sie wirklich als Unterscheidungen fundamentale sind, kann 552
Diese Evidenz ist gleicher Art wie die des Axioms, aber genau wie dieses nicht unmittelbar. Denn unmittelbar gewiß ist nur ein Ursprüngliches, dessen Abgeleitetheit nicht gezeigt werden kann. Die mathematische Gewißheit ist insofern unmittelbar, als ihre Axiome unmittelbare Gewißheit haben, sie ist es insofern nicht, als diese Axiome auf einem Ursprünglichen beruhen und also abgeleitet sind. Insofern ist in dem mathematischen Axiom zwar der Unterschied vorausgesetzt, aber nicht als Widerspruch seiner Momente selbst bewußt, haben die mathematischen Aussagen keine unmittelbare Gewißheit. Sofern sie aber andererseits eines der ursprünglichen Momente der Totalität in seiner abstrakten Geltung erfassen, sind sie in dieser Abstraktheit unmittelbar gewiß.
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er keine g e m e i n s a m e Bestimmung nennen, in der die Unterscheidung als solche aufgelöst wäre, wie die Art-Untersdiiede innerhalb einer Gattungsbestimmung. Er anerkennt also insofern den fundamentalen Charakter in seiner Beschreibung der phänomenologischen Sphäre. Er gibt nicht einfach irgendwelche Bestimmungen als fundamentale aus, sondern sie sind fundamental darin, daß die Unterscheidung n i c h t a u f l ö s b a r ist, wie irgendeine andere Unterscheidung von Bestimmungen in ihrem Oberbegriff. Husserl anerkennt also in zwiefacher Hinsicht die Struktur der reinen Sphäre der Totalität. Er beschreibt die phänomenologische Sphäre i n U n t e r s c h e i d u n g e n und nennt sie f u n d a m e n t a l e , d. h. er möchte die von ihm namhaft gemachten Unterschiede als fundamentale anerkannt wissen. D e n n o c h widerspricht er seiner eigenen Absicht, wenn er das Fundamentale von vielfältiger Art annehmen möchte, obwohl es doch immer Unterschied ist. Das heißt, er widerspricht seiner Absicht darin, daß er als fundamental etwas annimmt, von dessen vielfältiger Besonderung er nicht abstrahiert. Er nennt den Unterschied in der Form von „individuell" und „allgemein", von „reell" und „intentional", von „selbständig" und „unselbständig", von „Anschauung" und „Denken", und möchte für alle diese Unterschiede den fundamentalen Charakter annehmen, obwohl sie doch in dieser Vielfalt der gleichen obersten .Gattung* Unterschied angehören und also insofern abgeleitet sind. I n dieser Vielfalt gleicher Form können die Unterschiede nicht fundamental sein. Daß Husserl diesen Sachverhalt nicht bemerkt, liegt darin, daß er den Unterschied nicht in seinem reinen Charakter als Unterschied fundamental nennt, sondern als Unterschied v o n für sich Bestimmten; er nennt also nicht den Unterschied selbst fundamental, sondern die Unterschiedenen, die bestimmt in sich sind. Damit würde er aber den Charakter des Unterschieds als fundamentales Merkmal wieder verlieren. Denn sind die Unterschiedenen Bestimmte, so fällt ihr Unterschied in ein Gemeinsames und ist somit auflösbar. Das kann aber Husserl wiederum nicht gelten lassen, denn auf dem Unterscheiden beruht alle Bestimmung, und er könnte keine einzige Bestimmung annehmen, ohne sie nicht von einem anderen zu unterscheiden. Husserl gerät also in eine Aporie, die nur so zu lösen ist, daß er das Fundamentale und den Unterschied als dasselbe denkt, daß er also den Unterschied als Absolutes anerkennt. Das heißt aber, es müßte sich zeigen lassen, daß die scheinbar verschiedenen fundamentalen Unterscheidungen Husserls sich wirklich nur im absoluten Unterschied aufheben lassen, daß „individuell" und „allgemein", „selbständig" und „unselbständig", „Inhalt" und „Gegenstand", „Anschauung" und „Denken" nur verschiedene Namen des Unterschieds in seinen reinen Momenten darstellen. Daß weiter die von Husserl ange-
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nommene Bestimmtheit der Unterschiedenen gegeneinander so in dem reinen Unterschied gründen, daß sie hier den Charakter von absolut selbständigen Momenten dieser Totalität als Unterschied haben; daß also, wie es im Zusammenhang mit H u m e erläutert wurde, „individuell" und „allgemein" 553 als Momente der Totalität j e f ü r s i c h und g e m e i n s a m die Totalität des Meinbaren im Ganzen charakterisieren, daß sie also absolut Widersprechende sind. N u r auf diese Weise, als absolut Widersprechende, sind sie Momente des Unterschieds selbst, und nur so also Momente der Totalität. Denn hätte eines dieser Momente einen gesonderten Bereich gegen das andere, so würde es außerdem, daß es Moment des Unterschiedes rein als solches ist, als ein Bestimmtes angenommen, als ein Unterschiedenes also, dessen Unterschiedenheit als solche verloren würde zugunsten des Bestimmten, darein sein Unterschied fällt, worin er also a u f g e l ö s t wäre. N u r wenn die Momente des Unterschieds als absolut Widersprechende gedacht werden, ist ihre Selbständigkeit wirklich gedacht und ist der Unterschied als fundamentaler anerkannt. Sofern Husserl wirklich den fundamentalen Charakter des Unterschiedes anerkennt, sofern er also nicht die Unterschiedenheit zu Gunsten eines Gemeinsamen aufgibt, muß er selbst den Widerspruch seiner Momente anerkennen. Daraus ergibt sich aber, d a ß die Momente selbst in ihrem r e i n e n Charakter gedacht werden, in dem sie wahrhaft und unmittelbar gewiß ursprüngliche, selbst unableitbare Momente der Totalität sind. Ist aber der Unterschied im absoluten Widerspruch seiner Momente rein als solcher gedacht, so ergibt sich von selbst, daß eine Mehrheit von fundamentalen Unterschieden nicht denkbar ist. Wenn Husserl eine solche Mehrheit annehmen kann, so zeigt eben dies, daß er nicht den Unterschied selbst als fundamental denkt, sondern nur Unterschiedene, die also selbst erst im Unterschied als solchem ihre Ableitung finden müssen. Betrachtet man die L. U. Husserls, so zeigt sich, daß jede der einzelnen Untersuchungen der Darstellung eines fundamentalen Unterschieds gewidmet ist: Die I. Untersuchung dem Unterschied von „Ausdruck und Bedeutung" — die II. Untersuchung dem Unterschied von „individuellen und allgemeinen Vorstellungen" — die III. Untersuchung dem Unterschied von „Ganzen und Teilen" (bzw. von „selbständigen und unselbständigen Gegenständen") — die IV. Untersuchung dem Unterschied von „selbständigen und unselbständigen Bedeutungen" — die V. Untersuchung dem Unterschied von „intentionalen und nichtintentionalen Erlebnissen" („Gegenstand-Inhalt") — die VI. Untersuchung dem Unterschied von „Intention und Erfüllung" („Denken-Anschauen"). Ihr Zusammenhang unterein553
Sofern man unter diesem Namen die absoluten Momente des Unterschiedes selbst fassen will und nidit unter einem der anderen.
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ander, das heißt die Frage: Worin haben diese Unterschiede als solche ihr Gemeinsames? — das ist also der Unterschied selbst, tritt nicht in den Gesichtskreis dieses Denkens, weil es als ein analytisch beschreibendes sich versteht, und darin der Unterschied immer schon vorausgesetzt wird. 554 Insofern Husserl aber nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Theorie überhaupt 555 fragt, insofern er also eine wahrhaft universelle Wissenschaft begründen will, kann sie keinerlei Voraussetzungen haben, die nicht selbst Thema ihres Denkens sind. Der Unterschied als solcher wäre darum ihr wesentliches Thema. Die Bedingungen der Möglichkeit von Wissenschaft überhaupt sind nicht identisch mit den noch so rein abstrahierten Grundbegriffen bestimmter Wissenschaft. Sie sind nicht bestimmte Axiome, sondern Bedingung der Möglichkeit von bestimmten Axiomen. Husserls Idee einer „mathesis universalis" ist mathematischer Struktur, sie setzt den Unterschied voraus, ohne ihn selbst zu denken. Darin ist die „mathesis universalis" abstrakt, daß sie von dem Unterschied als solchem abstrahiert, nicht darin, wie Husserl voraussetzt, daß sie von einer absurden .transzendenten Dingsetzung' außerhalb des Bewußtseins abstrahiert. Sie abstrahiert so von dem Unterschied, daß sie ihn als selbstverständlich und außerhalb ihres Nachdenkens fallend, aber darum doch geltend voraussetzt. Sie rechnet mit dem Unterschied, aber fragt nicht nach seinem ,Wesen'. Das zeigt, wie wir sahen, Husserl darin sehr deutlich, daß er alle fundamentalen Bestimmungen als Unterschiede faßt und doch nichts darüber sagt, wie sie alle Unterschiede sind, worin doch gerade ihr Gemeinsames, d. h. ihr eigentlich fundamentaler Charakter liegt. Weil er diesen fundamentalen und also unauflösbaren Charakter des Unterschieds nicht selbst zum Thema des Denkens macht, ist er in Gefahr, ihn zu v e r g e s s e n . Zwar ist es unmöglich, ihn nicht vorauszusetzen, doch kann er in der Unterscheidung der fundamentalen Bestimmungen in einen ,Glauben' an die Bestimmung als solche verfallen und sie je für sich selbst für absolut halten, ohne zu bedenken, daß eine Bestimmung nicht einmal als vermeinte gelten kann, sofern sie nicht von anderem unterschieden ist. Eine Bestimmung kann also nur als absolute gelten, sofern sie als Moment des Unterschieds selbst gedacht wird: Daß sie Moment des Unterschiedes ist, macht ihre Absolutheit aus, darum kann ihr Charakter als Moment nicht beiseite gelassen werden. Denn ist die absolute Bestimmung nicht selbst als Moment des Unterschiedes gedacht, so ist der Unterschied ausgeklammert, das Bewußtsein als ein wahrhaft Universelles ist verloren. Der Unterschied wäre als absoluter zwar trotzdem vorausgesetzt, aber er wäre 554
555
Ausdrücklich ordnet Husserl die Beschreibung erkenntnistheoretisch der Systematik der Logik vor: etwa „L. U . " II 1 S. 226 Vgl. L. U . I S. 236
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in seiner Geltung aufgehoben, er wäre vergessen. Indem Husserl eine Mehrheit von je fundamental Unterschiedenen annimmt, liegt es für ihn nahe, ihre Mehrheit zugleich mit ihrer Unterschiedenheit so aufzulösen, daß man sie enthalten glaubt in einem Gemeinsamen, einem obersten Gattungsbegriff, etwa ,Vorstellung', ,Bewußtsein' oder ,Erlebnis'. Deren Bestimmtheit wäre nun natürlich nicht darstellbar, ohne daß nicht der Unterschied wieder als ursprünglicher vorauszusetzen wäre. Man müßte also auf die Bestimmung dieses letzten ,Grundbegriffes' verzichten. Damit wäre ein Positivismus erreicht, dessen dogmatischer Grundbegriff, wie immer im traditionellen Positivismus derjenige der „Tatsache", zwar bestimmt angenommen wird, — denn er ist der Oberbegriff für ein beschreibbares Feld, — dessen Bestimmtheit aber aus Furcht vor dem Widerspruch nicht bezeichnet wird oder werden kann. y) Die Auflösung Problematik
des Unterschieds in einer geglaubten Einheit und ihre
In den L. U. deutet Vieles auf einen solchen Positivismus hin. So fällt auf, daß Husserl das Verhältnis der fundamentalen Unterscheidungen nirgends ausdrücklich erörtert, daß er also nicht nach dem Ursprung der Unterscheidungen fragt, nach ihrer Einheit als Unterscheidung also,555 daß er statt dessen auf einen vorfindlichen reellen phänomenologischen Bestand des empirischen Ich verweist. „Durch Ausschaltung aller Beziehungen auf empirisch reales Dasein" gewinnt Husserl im Erlebnisbegriff so etwas wie einen obersten Gattungsbegriff für alle phänomenologischen Gegenstände. Seine Bestimmung wird nicht ausgewiesen, seine E i n h e i t l i c h k e i t wird nur geglaubt. Der Ausdruck davon ist, daß Husserl die unmittelbar adäquate Wahrnehmbarkeit der reinen Erlebnisse behauptet. Als was sie wahrgenommen werden, sagt Husserl nicht, und er meint es nicht bestimmen zu müssen, wenn er die innere Wahrnehmung in jedem Fall adäquat nennt, und behauptet, ihre Gewißheit sei nicht vermittelt. „Jede Wahrnehmung ist durch die Intention charakterisiert, ihren Gegenstand als in leibhafter Selbstheit gegenwärtigen zu erfassen. Dieser Intention entspricht die Wahrnehmung in ausgezeichneter Vollkommenheit, sie ist adäquat, wenn der Gegenstand in ihr selbst wirklich und im strengsten Sinn ,leibhaftig' gegenwärtig, als das, was er ist, restlos erfaßt, also im Wahrnehmen selbst reell beschlossen ist."557 55
* Das zeigt sich, wenn er Natorps transzendentales Ich', in dem so etwas wie der ursprüngliche Unterschied selbst gedacht ist, nicht versteht: vgl. L. U. II 1 S. 359 ff. 557 a.a.O. S. 354 f.
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Alle Unterschiede fallen in die g e g e b e n e Einheit dieses unmittelbar Wahrgenommenen. „Das adäquat Wahrgenommene . . . macht nun den erkenntnistheoretisch e r s t e n und absolut sicheren Bereich dessen aus, was im betreffenden Augenblick die Reduktion des phänomenalen empirischen Ich auf seinen rein phänomenologisch faßbaren Gehalt ergibt." Diese unmittelbar wahrgenommene Einheit betrifft nicht nur das absolute Jetzt. „Die Einheiten der Koexistenz gehen von Zeitpunkt zu Zeitpunkt stetig ineinander über, sie konstituieren eine Einheit der Veränderung, die des Bewußtseinsflusses, welche ihrerseits stetiges Verharren oder stetiges Ändern m i n d e s t e n s E i n e s f ü r d i e E i n h e i t des G a n z e n w e s e n t l i c h e n . . . M o m e n t s f o r d e r t . Diese Rolle spielt vor a l l e m die Darstellungs f o r m der dem Bewußtseinsfluß, als zeitlich erscheinende Einheit, immanent zugehörigen Zeit . . . jeder Zeitpunkt dieser Zeit stellt sich in einer kontinuierlichen Abschattung sozusagen von ,Zeitempfindungen' dar, jede aktuelle Phase des Bewußtseinsflusses besitzt, sofern sich in ihr ein ganzer Zeithorizont des Flusses darstellt, eine all seinen Inhalt übergreifende Form, die kontinuierlich identisch bleibt, während der Inhalt beständig wechselt."558 Husserl erliegt hier in gewisser Weise der eben dargestellten Gefahr, die Mehrheit der fundamentalen Bestimmungen zugleich mit ihrem Charakter als Unterschiede in einer geglaubten, d. h. unmittelbar bestimmten Einheit, a u f z u l ö s e n . Insofern nämlich, als er einen erkenntnistheoretisch ersten und absolut sicheren Bereich bestimmt gegeben glaubt, den Bereich „adäquater Wahrnehmung"; es sei der Gegenstand, der „im strengsten Sinn leibhaftig gegenwärtig . . . im Wahrnehmen selbst reell beschlossen ist". Alles Unterschiedene sei gleicher Art, nämlich adäquat Wahrgenommenes. In dieser unmittelbaren Bestimmung sind die Unterschiedenen gleich und bestimmt. So kommt also in dem „ersten und absolut sicheren Bereich" der Unterschied als solcher nicht vor. Die in dieser unmittelbar gegebenen bestimmten Einheit trotzdem angenommenen Unterschiedenen sollen als Teile dieses Erlebnisstromes in seine Einheit fallen, sie seien dessen Teile entweder als abtrennbare „Stücke" oder unselbständige Momente eines „Ganzen". 539 Indem das Ganze aber unmittelbar eines ist, d. h. die Einheit eines leibhaft gegenwärtigen, adäquat Wahrgenommenen hat, kann es in dieser Einheit nicht bestimmt sein, es kann darum nicht wie eine bestimmte Gattungseinheit, Unterschiedene in sich begreifen. Husserl überträgt ohne weiteres einen Begriff vom Ganzen (von Stücken), der in einem bestimmten Gegenstandsbereich seine Geltung hat, auf den „ersten und absolut sicheren Bereich", auf die universelle Sphäre. Andererseits kann Husserl dieses unmittelbar Eine nicht den „era.a.O. S. 358 55« Vgl. dazu a.a.O. und die III. Untersuchung S38
D a s empiristische A r g u m e n t im ontologischem H o r i z o n t
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kenntnistheoretisch ersten und absolut sicheren Bereich" nennen, wenn in dessen Bestimmung die Unterschiedenheit, die er doch annimmt, keine Ausweisung erfährt. Die unmittelbare Einheit des leibhaft Gegebenen ist nicht ein Ganzes Unterschiedener, und schon gar nicht solcher Unterschiedener, die als Teile von zweierlei Art (von „unselbständigen und selbständigen Teilen") genannt werden könnten. Denn „Stücke" und „Momente" setzen unvergleichbare Begriffe von Ganzheit voraus. Beide ordnen sich dem G a n z e n als unmittelbarer Einheit nicht ein. Die Bestimmungen der phänomenologischen Beschreibung, etwa die zitierten fundamentalen Unterschiede, fallen nicht in eine „unmittelbare Einheit", denn weder ihre Bestimmtheit noch ihr Unterschied kann hier eine Ableitung finden. Das leibhaft Gegenwärtige des adäquat Wahrgenommenen als solches hat keine Unterschiede und ist darum unbestimmt. Wenn Husserl für diese u n mittelbare Einheit' des Gegebenen „mindestens ein für die Einheit des Ganzen wesentliches Moment fordert", und die „Zeit" als dieses unmittelbare Einheitsmoment nennt, so läßt sich ihm so lange nicht widersprechen, als er nicht versucht, die Bestimmtheit (also Unterschiedenheit) dieses Momentes „Zeit" gegen anderes zu behaupten. Denn Zeit kann zwar wie Sein, Unmittelbarkeit, Anschauung als ein N a m e des „adäquat Wahrgenommenen" gelten, das aber gerade in seiner ursprünglichen Unmittelbarkeit selbst unbestimmt sein muß. N u r so ist es ursprüngliches Moment. Doch Husserl versteht Zeit nicht in dieser absoluten Ursprünglichkeit. Die Formulierung zeigt, daß er Zeit nur als das Moment beruft, das die „Stetigkeit", die „Einheit" der Veränderung, des Bewußtseinsflusses garantiere. Er denkt Zeit nicht als Ursprüngliches, sondern als einheitliche Form von e t w a s , das wechselt, er sagt, sie sei „eine all seinem [des Flusses] Inhalt übergreifende Form, die k o n t i n u i e r l i c h i d e n t i s c h [ ! ! ] bleibt, während ihr Inhalt beständig wechselt". H . hat mit dieser Formulierung die Unmittelbarkeit der Einheit verloren, denn sie ist als eine einem anderen gegenübergestellt. Daß dieses eine, die Form, aber nicht die Zeit selbst sein kann, erhellt schon daraus, daß ja ihr anderes, ihr Inhalt, w e c h s e l t , das heißt aber doch, in sich selbst als wechselnder ein zeitlicher ist, bzw. doch die ursprüngliche Zeit als vorausgesetzte noch in sich befaßt, während in dem kontinuierlich Identischen von Husserl eher so etwas wie ein Substanzsubstrat vorgestellt wird und nicht die u n m i t t e l b a r e Einheit des adäquat Wahrgenommen, das ein absolut Gegenwärtiges und gerade darin ein Zeitliches — und, wie wir bei Hume sahen, ein in seiner Existenz Anfängliches ist. Husserl s e t z t die Veränderung, den Wechsel v o r a u s und sucht danach, was die Kontinuität in dieser Veränderung wahrt, er denkt also weder die Veränderung als solche, noch die ihr selbst zugrunde liegende ursprüngliche Zeit.
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Die Sphäre des reinen Erlebnisses ist also für Husserl nicht mehr unmittelbar eine, sondern sie ist eine nur in bestimmter Beziehung, sie ist eine in Bezug auf die Form. Fällt aber, wenn hier, wie Husserl erklärt, die Einheit des ersten und absolut sicheren Bereiches, der universellen Sphäre gedacht werden soll, nicht alles, also auch das, was Husserl als „Inhalt" abtrennt, unter die oberste Bestimmung, die Husserl „Form" nennt? Husserl mißversteht die Einheit des universell Ganzen wiederum als eine Gattungseinheit, in der nur ein Moment bestimmt gelten muß, um die Zugehörigkeit zu dieser Gattung sicherzustellen, während in nicht unter diesen Gesichtspunkt fallender Beziehung eine schrankenlose Vielfalt von Bestimmungsmöglichkeiten offen bleibt. Hier ist also in dem Sinne Husserls eine „Form", die „identisch bleibt", von einem „Inhalt" als wechselndem zu trennen. D i e s e „ F o r m " ist bestimmte Form, der „Inhalt" ist darum ebenso als bestimmter Inhalt angenommen, wenn auch über die Art der Bestimmung, außer daß sie nicht identisch bleibende ist, nichts ausgesagt werden muß. Soll aber nun für die universelle Sphäre ein für die Einheit des Ganzen wesentliches Moment angegeben werden, so muß es wirklich „all seinen Inhalt umgreifen", es kann nichts geben, was nicht unter diese Einheit fällt, es lassen sich nicht, wie bei der Gattungseinheit, andere Momente absondern, die nicht in ihm begriffen sind. Es läßt sich in diesem Sinn also nicht ein Inhalt von einer Form trennen, sondern aller Inhalt fällt als er selbst ,unter* die Form. Der Inhalt , i s t ' die Form. Ihre Trennung bedeutet dann aber nicht ein unproblematisches Nebeneinander — oder Gegenüberstehen, sondern den Widerspruch, der immer dann unvermeidlich ist, wenn Unterschiedene den gleichen Geltungsbereich haben. Und dieser Fall gilt für die universelle Sphäre, wenn Inhalt und Form in ihr unterschieden werden sollen. Das Ganze in jeglicher Hinsicht ist Form, ist, wenn man Husserls Begriff der Zeit als Form zustimmen will, zeitlich, so daß alles unter diese Bestimmung fällt. Wenn also die Form vom Inhalt unterschieden ist, dann nur so, daß das, was Inhalt ist, auch Form ist, daß sie nicht getrennte Bereiche umspannen, denn sonst wäre Form nicht das die Einheit des Ganzen garantierende Moment, nicht „all seinen Inhalt übergreifende Form". Wenn aber, ebenso evident, das eine Moment als Form nicht denkbar ist ohne ein Vielfältiges, einen Inhalt, den es begreift, so muß von diesem Inhalt gelten, daß er gleich ursprünglich die Totalität dieses Ganzen darstellt. Ist aber das ,Gleiche', die universelle Sphäre, unterschieden in seiner Bestimmung, ohne daß ersichtlich eines aus dem anderen ableitbar ist, so stehen diese Bestimmungen in Widerspruch. Aber sie stehen so im Widerspruch, daß sie beide das Ganze überhaupt betreffende, d. h. absolute Momente sind. Husserl beweist also in diesem Versuch, das Gebiet der reinen Erlebnissphäre als Ganzes zu charakterisieren, die Unmöglichkeit, den ursprünglichen Unterschied aus-
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zuklammern. Wenn er glaubt, die Mehrheit fundamental Unterschiedener und als solche beschreibbarer in einer obersten Gattungseinheit zusammenfassen zu können, weil sie alle gemeinsam nach Ausschaltung transzendenter Dinggeltung Gegenstände leibhaftiger Selbstgegebenheit seien, so erweist er die Unmöglichkeit dieser Behauptung dann, wenn er sagen muß, was das die Einheit charakterisierende Moment ist. Er kann dieses Moment nicht nennen, ohne ein ursprünglich Unterschiedenes mit zu nennen. Husserl fällt der absolute Widerspruch nicht auf, weil er das Ganze der universellen Sphäre für eines im Sinne der Gattungseinheit hält, deren Form nidit absolute Form, sondern bestimmte Form eines Bestimmten, eines Seienden ist, das als Bestimmtes einen Inhalt hat, der nicht unter den Gesichtspunkt dieser bestimmten Form fällt. Damit wäre aber der universelle Einheitscharakter, den Husserl fordert, verloren. Husserl kann also nicht eine bestimmte Form gegen einen bestimmten Inhalt abtrennen, sondern er muß Form aus sich selbst, wie Inhalt aus sich selbst, in ihrem Charakter als gleichursprüngliche, und darum widersprechende Momente des Ganzen denken. Es erweist sich also auch hier, daß jeder Versuch, das absolute Ganze zu bestimmen, dazu zwingt, zuerst den Unterschied fundamentaler Momente zu denken, wie es sich oben zeigte, daß der Versuch, fundamentale Bestimmungen als Unterschiede zu denken, dazu zwingt, sie als absolute Momente des Unterschiedes selbst zu denken, sofern man nicht ihren fundamentalen Charakter verlieren will. Es ist also gleichgültig, mit welchen Namen die Momente des Unterschieds benannt werden, ob als Form und Inhalt, als Einzelheit und Allgemeinheit, als Empfindung und Gegenstand, denn als wirklich fundamentale Bestimmungen können sie nur als absolute Momente des Unterschieds gelten und verlieren darum ihre Bestimmtheit, die sie in der natürlichen Vorstellung haben mögen, die ihren Charakter als Moment des fundamentalen Unterschieds aber gerade vergißt. Denn von ihm wird in ihr abstrahiert, und sie werden wesentlich als g e g l a u b t e Bestimmte genommen. Husserl verbirgt sich dieser Sachverhalt darum, weil er in der Beschreibung der fundamental Unterschiedenen nie nach ihrer Herkunft als Unterschiedenen fragt, sondern sie als gegeben annimmt. Daß sie als Gegebene nicht gelten können, daß sie nicht als unmittelbar, leibhaftig selbst gegeben, b e s t i m m t gegenwärtig sind, erweist Husserl selbst, indem er die Unmittelbarkeit der Einheit nicht erweisen kann in der Weise, daß diese Einheit die Unterschiedenen wirklich in sich faßt. Die Zeit, als Form aufgefaßt, begreift nicht ihr Anderes in sich, wie eine Gattungseinheit verschiedene ihr fremde Bestimmungen. J a , indem Husserl die Zeit nach Analogie einer Gattungseinheit verstehen möchte, verkennt er ihren ur-
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sprünglich unmittelbaren und darum unbestimmten Charakter. 360 Indem er aber solch eine unmittelbare einheitliche Bestimmtheit für möglich hält, verliert er auch den als fundamental behaupteten Unterschied von Empfindung und Gegenstand, von individuell und allgemein oder von selbständig und unselbständig. Sie sind nur unterschieden als M o m e n t e des Unterschieds selbst. Als A t t r i b u t e von unmittelbar Bestimmten gedacht, geht ihr Unterschied in dieser Gemeinsamkeit unter; als ursprüngliche Momente des Unterschiedes sind sie nicht selbst bestimmt, sondern nur Bedingung der Möglichkeit von Bestimmtheit und darum auch nur Momente der Totalität selbst. c)) Der positivistische Psychologismus der „Logischen Untersuchungen" Folgerungen für den Begriff des Seins und der Wahrheit
:
Wenn also Husserl den fundamentalen Unterschied innerhalb der Vorstellungen überhaupt zu leugnen, für falsch hält; wenn gerade das den Kern der Kritik am Empirismus Humes etwa darstellt; wenn Husserl im wesentlichen also den Worten Stumpfs 561 zustimmen könnte, wo dieser sagt: „Solche Bemühungen [das eine der fundamental Unterschiedenen in dem anderen auflösen zu wollen, die ideas also in impressions im Sinne Humes, in der Interpretation Husserls] rangieren neben dem Goldmachen und der Erfindung des perpetuum mobile, ja noch erheblich tiefer." 562 So kehrt sich dieses Verdikt gegen Stumpf und Husserl selbst, denn das Fundamentale der Unterschiedenheit geht für beide verloren, wenn sie „die Eigenart der beiden Gebiete gegeneinander ans Licht" stellen wollen. 563 Denn die fundamental zu Unterscheidenden sind nicht als zwei gegeneinander eigen-artige Gebiete zu verstehen. So sind sie eben nur eigene Arten innerhalb einer Gattung, als deren gemeinsame Gattungsbestimmung die unmittelbare bestimmte Gegebenheit gilt, derart, daß ihr Unterschied in ihr als wirklich aufgelöst geglaubt wird, obwohl ihre Unterschiedenheit als fundamentale Verschiedenheit für sich bestimmter ebenso aufrechterhalten werden soll. Die Unvereinbarkeit dieser Annahme entgeht Husserl wie Stumpf darum, weil beide einen empiristischen Positivismus vertreten, 560 501
562 383
Vgl. oben Anm. 517 Die geistesgeschichtliche Beziehung des Husserl der ,L. U.' zu Stumpf wurde oben schon erwähnt: die ,L. U.' sind Stumpf gewidmet. Auch sachlich ist diese Beziehung belegbar darin, daß H., wie gezeigt wurde, seine Unterscheidungen aus Beispielen erweisen zu können glaubt. Diese Beispiele stammen etwa bei der Darstellung von selbständigen und unselbständigen Teilen (III. Unters. § 4) aus Stumpfs Psychologie, deren Dogmatik also der eidetischen Formulierung durchaus zugrunde liegt. „Erscheinungen und psychische Funktionen" S. 10 a.a.O.
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dem die Beschreibbarkeit der Tatsachen nicht Problem ist, der also die Tatsachen als beschreibbar bestimmte für unmittelbar gewiß hält und eine fundamentale Verschiedenheit unter ihnen darum einfach annehmen kann. Der Widerspruch der fundamental Unterschiedenen wird so nicht bemerkbar, weil die Beziehung der Unterschiedenen nicht gedacht wird, oder, wie bei Stumpf, sogar einfach als dritte Klasse von Tatsachen, d. h. als „Verhältnisse", unmittelbar gegeben angenommen wird. So sagt Stumpf in unverhüllter Offenheit seines verworrenen Positivismus: „Die Gesamtheit des unmittelbar Gegebenen ist real. Denn sie ist das, wovon wir überhaupt den Begriff des Realen gewinnen, um ihn dann erst auf anderes zu übertragen." 564 „Die Erscheinungen sind real als Inhalte, worauf sich Funktionen beziehen, die Funktionen sind real als Funktionen, die sich an Erscheinungen bestätigen, die Verhältnisse als Verhältnisse zwischen Erscheinungen oder zwischen Funktionen usw." 5 8 5 Hier ist das Bewußtsein davon vollends vergessen, daß fundamentale Bestimmungen nur fundamental sind, wenn die Ursprünglichkeit der Momente je für sich durch die Ursprünglichkeit ihrer Beziehung gewahrt bleibt. Erst der reine Gedanke ihrer Beziehung macht Bestimmungen zu absoluten Momenten, deren Untersdiiedenheit nicht auflösbar ist in einer Gattungseinheit. Stumpf dogmatisiert nun den Begriff der Beziehung selbst, und glaubt sie als eine vorfindliche Tatsache, die einfach als ein ,Drittes* zu den beiden anderen hinzutritt. Zu der damit nicht gelösten Frage nach der Beziehung von Erscheinungen und Funktionen, rein als absoluten Momenten, ergäbe sich also noch die neue, was denn die Beziehung als Beziehung sei, worin s i e unterschieden sei von Erscheinungen und Funktionen. Solche Fragen aber werden dem positivistischen Glauben des Psychologen Stumpf vergeblich gestellt, weil er weiß, daß ein leerer unendlicher Regreß des Fragens sich hier auftut. Er fragt nicht, was diese Bestimmungen bedeuten sollen, sondern er nimmt sie nur als „gemeinschaftliche Bezeichnungen" für je und je aufzählbare, vorweisbare Tatsachen. So sind sie also beliebig vorausgesetzte Grundbegriffe einer regionalen Wissenschaft, der Psychologie, nach deren Wahrheit niemand fragt. Husserl möchte in den „Logischen Untersuchungen" einen erkenntnistheoretischen Psychologismus überwinden, denn das Psychische, so wie es v o r a u s g e s e t z t e r bestimmter Gegenstand einer Wissenschaft ist, ist nicht der Gegenstand der reinen Logik, die nach der Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft überhaupt fragt. Das Psychische also, wie es als bestimmte Tatsache angenommen wird, kann nicht als die Totalität des 564
Stumpfs naiver Psychologismus faßt „unmittelbar gegeben" als „dem denkenden Individuum momentan bewußt": vgl. „Zur Einteilung der Wiss." S. 5
565
„Erscheinungen und psych. Funktionen" S. 10
15
Sdiaffnit
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reinen Bewußtseins gelten, wie auch immer dieses Psychische bestimmt sein mag. Einfach darin, daß es als bestimmtes vorausgesetzt ist, daß es besdireibbare Tatsache ist, ist es nicht mehr Gegenstand der reinen Logik. Nicht erst seine Entgegensetzung einem Physischen gegenüber disqualifiziert das Psychische als Thema der Philosophie, sondern seine Vorausgesetztheit, die so vorausgesetzt ist durch ihren dogmatisch angenommenen bestimmten Begriff. Dieser kann, weil er fundamentaler und zugleich bestimmter Grundbegriff sein soll, nur angenommen werden, ohne daß sein Sinn sich erläutern ließe. Husserl löst sich also nicht schon dadurch von einem Psychologismus, daß er die Bestimmungen des Bewußtseins als rein gedachte a n n i m m t , insofern das so viel heißt, daß er ihre Existenzsetzung ausklammert. Diese Fassung des Bewußtseins als idealer Sphäre, dient dazu, seine eigene fundamentale Bestimmtheit für sich selbst annehmen zu können, ohne daß sein Anderes, das es erst zu diesem bestimmten macht, in ihm selbst gedacht werden muß. Es ist ideales nur im Unterschied zu einem Realen. Dennoch fällt die Realität dieses Realen außerhalb seiner selbst. Das, was die fundamentale Bestimmtheit des Bewußtseins ausmacht, die ,Einheit', setzt aber das ihr Andere als Anderes voraus, so daß es ebenso zu ihm gehört, und nicht als außer es fallend vorausgesetzt werden kann. Von Husserl wird die Realität dieses Realen, das Sein, zwar vorausgesetzt, aber doch so, als ob es die Bestimmtheit des Bewußtseins als ideales nichts angehe. Es soll von ihm abgesehen werden, obwohl diese Voraussetzung des Seins überall in der Sphäre des reinen Bewußtseins zur Geltung kommt, und zwar gerade als fundamental unterschiedenes Moment zur Einheit selbst. Es läßt sich von ihm nicht abstrahieren, weil die Mannigfaltigkeit unterscbeidbarer Bestimmungen ebensosehr aus der Einheit wie aus dem ihr absolut Verschiedenen fließt. Die Voraussetzung des Realen als eines außerhalb des reinen Bewußtseins fallenden Anderen entleert die Realität des Realen zur puren abstrakten Faktizität. Die Wahrheit ist darum für Husserl nicht die absolute Beziehung ursprünglich Widersprechender und darum nicht ein unabschließbarer dialektischer Prozeß, sondern sie ist für sich „vorhanden", 56 " und sie ist nur so Adaequation von Sein und Begriff, als die Wahrheit sich immer je und je ereignet. Die „adaequatio ist realisiert, w e n n die bedeutete Gegenständlichkeit in der Anschauung im strengen Sinn g e g e b e n und genau als das gegeben ist, als was sie gedacht und genannt ist."567 Da die Adaequation im Idealfall eine „vollkommene Anpassung", eine „Deckung", „eine vollkommene Erfüllung" der vermeinten Intention und 566 587
Vgl. L. U. II 2 S. 123 a.a.O. S. 118
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der gegebenen Anschauung ist und die Bedeutung als das der Anschauung gegenüber Andere für sich selbst bestimmt gegeben sei, so ist die bloß vermeinte Intention, in dem, was sie für sich selbst, als so und so bestimmte, ist, nicht auf das ihr Andere angewiesen. Sie bedarf nur einer aktuellen Bestätigung durch das Ereignis der Erfüllung. Nur das Moment purer Faktizität mangelt der „bloß" vermeinten Bedeutung gegenüber dem Ereignis der Erkenntnis. 568 „Wir erleben es, wie in der Anschauung das selbe Gegenständliche intuitiv vergegenwärtigt ist, welches im symbolischen Akt, bloß gedacht war, und daß es gerade als das so und so Bestimmte anschaulich wird, als was es zunächst bloß gedacht (bloß bedeutet) war." 569 Die Realität des Realen, auf die das „bloß Gedachte" angewiesen ist, wenn es wahrhaft Erkanntes sein soll, besteht in der puren abstrakten Faktizität. Das Vermeinte wird b e s t ä t i g t , auf die Weise, d a ß sich das Vermeinte mit dem Gegebenen d e c k t . Die Synthesis ist „Deckungssynthesis", sie ist „aktuelle Wahrnehmung der gegenständlichen Ubereinstimmung". 570 „Die Evidenz selbst ist, . . . , der Akt jener vollkommensten Deckungssynthesis. Wie jede Identifizierung ist sie ein objektivierender Akt, ihr objektives Korrelat heißt S e i n i m S i n n e d e r W a h r h e i t oder auch Wahrheit." 571 Wahrheit ist so viel wie Sein, die einem „bloß Gedachten" als ein isoliertes abstraktes Moment zukommt, auf diese Weise ist es „objektiviert". So ist die pure Faktizität eine solche, die dem bloß Gedachten und in sich Bestimmten äußerlich bleibt, von der sich also in einer Beschreibung des reinen Bewußtseins auch abstrahieren läßt. Husserl übersieht so die volle Angewiesenheit des reinen Selbstbewußtsein auf das Sein als „Gegebenes", denn dieses wäre nicht bestimmt, wenn nicht der Unterschied und darum das zur Einheit unterschiedliche absolute Moment in ihm gedacht würde, so daß sich aus ihrer rein gedachten Beziehung die Bestimmtheit erst ergibt.572 Husserl glaubt, fundamentale Unterscheidungen innerhalb des reinen 568 Wahrheit ist so viel als das Ereignis-Werden des Bedeuteten, vgl. L. U. II 2 S. 32: dem vorerst bloß symbolisch fungierenden Ausdruck geselle sich nachher die (mehr oder minder) entsprechende Anschauung bei: „Wird dies Ereignis, so erleben wir ein deskriptiv eigentümliches Erfüllungsbewußtsein: der Akt des puren Bedeutens findet in der Weise einer abzielenden Intention seine Erfüllung in dem veranschaulichenden Akt." 569 570 571 572
15*
a.a.O. a.a.O. S. 122 a.a.O. So zeigt sich audi hier die Herkunft Husserls aus dem Empirismus, dessen Vorwurf gegenüber der Fiktivität metaphysischer Begriffe immer darin gipfelt, daß in ihnen das Moment des Seins nidit widerspruchslos denkbar ist. Husserl ist Empirist insofern, als er die Wahrheit der Begriffe auch in einem Sein erblickt, aber die Beziehung wird von ihm nicht gedacht, sondern als außer die inhaltliche Bestimmung des Begriffes fallend, nur angenommen.
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Bewußtseins annehmen zu können, obwohl er das zum wesentlich einheitlichen Bewußtsein andere Moment als außerhalb seiner selbst fallend nur v o r a u s s e t z t . Darum kann er die fundamental Unterschiedenen auch nur annehmen, er kann die Unterschiedenheit der fundamentalen Bestimmungen selbst nicht ausweisen, er denkt sie nicht als solche u n d in ihrer Beziehung. Er braucht sie nicht in ihrem Verhältnis zu denken, weil sie beschrieben werden als vorausgesetzte Tatsachen. Die Wahrheit dieser Beschriebenen wird außerhalb der Beschreibung bestätigt in der unmittelbaren Erfüllung der Anschauung, die Husserl den Leser immer wieder zu vollziehen auffordert. Die Wahrheit dieser Unterscheidungen ist das Ereignis ihrer Erfülltheit. Erfüllen läßt sich aber jede Meinung als Meinung, ob sie wahre Meinung ist, entscheidet erst ihre Rückführbarkeit auf notwendige Bestimmungen der Totalität, das heißt die Bewährung im philosophischen Zweifel. bb) Die „Einzelheit" der „Impression" als ursprüngliches Moment des Unterschieds und Husserls Begriff der „selbständigen und unselbständigen Gegenstände" Nach dieser kritischen Darstellung des philosophischen Horizontes der L. U. Husserls ist eine gegründete Beurteilung ihrer Kritik an Hume möglich. Sie interessiert uns hier aus dem sachlichen Grunde, weil Hume die Vorstellungen überhaupt in ihrer ursprünglichen Einzelheit als „impressions" sichergestellt hatte, die sich in ihrer Absolutheit als Moment der Totalität gerade darin zeigte, daß Hume die allgemeinen Vorstellungen als mit dieser ursprünglichen Einzelheit aller Vorstellungen f ü r unvereinbar erkannte. Damit hatte Hume, wenn auch durch die nachträgliche Dogmatisierung der „impression" verwirrt, das freie Scheinen des Schönen als Moment der Totalität und als Grenze und Grund der Bestimmtheit überhaupt in den Blick des philosophischen Bewußtseins gebracht. Die Kritik Husserls, die ein Nebeneinander „individueller" und „allgemeiner" Vorstellungen annimmt, muß die Ursprünglichkeit der Einzelheit mißverstehen, die f ü r Hume erst die Unvereinbarkeit der abstrakten Vorstellungen mit den ursprünglich individuellen Vorstellungen begründet. Husserl versteht Hume darum dahin, als ob er die allgemeinen Vorstellungen in ihrer bloßen Vermeintheit leugnen wolle. Läge der Sachverhalt so, dann wäre Husserls Kritik an Hume triftig, wollte man also voraussetzen, Hume habe auch „individuelle" Vorstellungen" nur als Meinungen vorausgesetzt, in der Weise, daß er von ihrem Sein als purer Faktizität abstrahieren zu können glaubte wie Husserl. N u n aber in dieser Weise vermeinte allgemeine Vorstellungen leugnen zu wollen, wäre ein absurdes Unternehmen, dem jegliche Legitimation mangeln
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müßte. Humes Abstraktionstheorie ist aber, wie wir sahen, gerade ein Versuch, ihre anerkannte Vermeintheit theoretisch zu fassen. Die „allgemeinen" Vorstellungen können n u r vermeinte sein, weil sie unvereinbar sind mit der Einzelheit oder Einfachheit aller Vorstellungen, die nach Hume, wie wir sahen, aus ihrer ursprünglichen Verwurzelung im Seinsmoment der Totalität sich ergibt. Für Husserl tauchte darum dieses Problem der Unvereinbarkeit nicht auf, weil er von vornherein a l l e Vorstellungen als nur vermeinte faßt, weil er auch bei den individuellen Vorstellungen von ihrem Sein abstrahieren zu können glaubt, das, als ihren eignen Gehalt nicht betreffendes abstraktes Moment, pure Faktizität ist. Für das Problem der Beziehung von Sein und Allgemeinheit der Vorstellungen ist Husserl also darum blind, weil er, in weit stärkerem Maße als Hume, dogmatischer Empirist ist, der das Sein der Vorstellungen überhaupt v o r a u s s e t z t , es ist Moment, das zwar die Wahrheit der Vorstellungen überhaupt sicherstellt, aber so, daß es den Gehalt dieser Vorstellungen überhaupt nichts angeht. Für Hume sind n u r die allgemeinen Vorstellungen abstrakt vermeinte, wodurch für ihn gerade das Problem ihrer Beziehung auf die ausgewiesene Wahrheit der „impressions" sich stellt, denn er kann das Sein nicht als abstraktes Moment, als pure Faktizität, einfach voraussetzen, sondern muß es als Wesen der „impression" selbst, in ihm die Ursprünglichkeit und Wahrheit der „impressions" ausgewiesen denken. Der dogmatische Positivismus der L. U. ist nur insofern in dem inkonsequenten dogmatischen Empirismus Humes vorbereitet, als Hume wohl die Angewiesenheit der allgemeinen Vorstellungen auf das Sein der „impression" bemerkt, nicht aber die Angewiesenheit der „impression" als bestimmter auf die allgemeinen Vorstellungen. Darum, weil er die Bestimmtheit der „impression" glaubte, lag es nahe, das empiristische, gegen jegliche dogmatische Metaphysik gerichtete Argument mißzuverstehen. Aus der Unvereinbarkeit des Seins der Vorstellungen als „impressions" mit ihrer Allgemeinheit, bei gleichzeitiger unmittelbarer Bestimmtheitsgeltung der „impressions", glaubte man nun auch für die „impressions" von ihrem Sein abstrahieren zu können und sie nur in ihrer vorausgesetzten Bestimmtheit annehmen zu können. Sie stehen nun als vermeinte auf der gleichen Stufe wie die vermeinten allgemeinen Vorstellungen. Sie sind als Meinung unmittelbar beschreibbar, so daß ihre Wahrheit außerhalb ihrer Bestimmtheit liegt und als Ereignis ihrer Erfülltheit nur vorausgesetzt werden kann. „Wir meinen hier und jetzt, in dem Augenblick, wo wir den allgemeinen Namen sinnvoll aussprechen, ein Allgemeines, und dieses Meinen ist ein anderes als in dem Fall, wo wir ein Individuelles meinen."573 Gegen diesen Satz Husserls ließen sich von Hume her keine Einwendungen machen. „Es ist . . . evident, daß wenn ich in generellem Sinn Vier sage, wie
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z. B. im Satze ,Vier ist relative Primzahl zu Sieben', ich eben die Spezies Vier meine, sie gegenständlich vor dem logischen Blick habe, das heißt über sie als Gegenstand (subjectum) urteile, nidit aber über irgendein Individuelles."573 Das ist auch für Hume selbstverständlich. Wie sollte Hume leugnen, daß hier Verschiedenes gemeint wird? Weil aber diese Verschiedenheit nicht irgendeine ist, muß das fundamentale Prinzip ihrer Unterschiedenheit ausgewiesen werden. Gewiß wird jeder anerkennen, daß „viereckig" und „faul" verschiedenes meint, doch diese Feststellung besagt wenig, wenn ich nicht ihre wahre Bedeutung dadurch sicherstelle, daß ich daß Prinzip ihrer Verschiedenheit nenne, ihre Beziehung nach Gattungsund Artbestimmung ausweise. Wird individuell und allgemein nicht nur als verschieden vermeint behauptet, sondern als fundamental wahrhaft unterschieden, so muß die Wahrheit dieser Unterschiedenheit auch — und zwar auf unvergleichliche Weise — ausgewiesen werden. Denn da es sich um eine fundamentale Unterschiedenheit handeln soll, kann sie nicht in dem Schema von Gattungsbestimmung und spezifischer Differenz ausgesagt werden, ihre Unterschiedenheit muß als ursprüngliches Moment der Totalität gedacht werden. N u r in dieser ausgewiesenen Bedeutung ist es eine wahrhaft fundamentale Unterscheidung. Was bedeutet aber nun die Einzelheit, Einfachheit oder Individualität der Vorstellungen, wenn sie als Moment des Unterschiedes selbst und damit als Moment aller Vorstellungen gedacht werden soll. Hume hatte, wie wir sahen, die Ursprünglichkeit der „impressions" näher als Einfachheit verstanden und ihre Unvereinbarkeit mit den abstrakten Vorstellungen so dargestellt, daß deren Bestimmungen auf Grund der Untrennbarkeit der ursprünglich einfachen Vorstellungen unverträglich seien. „A person, who desires us to consider the figure of a globe of white marble without thinking on its colour, desires an impossibility."574 Hume hatte sich dabei auf Berkeley berufen. 575 Husserl scheint Hume und Berkeley darin wiederum zu folgen, ohne aber die Unvereinbarkeit dieser Unterschiedenen eigens zu bedenken. Diese unscheinbare Nuance verändert den Sinn der empiristischen Unterscheidung auf folgenreiche Weise. Husserl versteht die „individuellen", oder, wie er auch sagt, „konkreten Vorstellungen" (bzw. Gegenstände oder Inhalte) 576 als „ s e l b s t ä n d i g e " ; weil er aber nicht die Totalität der Vorstellungen unter diesem Begriff denkt, nimmt er d a n e b e n ein Gebiet von abstrakten, und das heißt nun für ihn, u n s e l b s t ä n d i g e n Vorstellungen an. „Abstrakte Inhalte sind unselbständige Inhalte", „konkrete" Inhalte sind „selbstän573 574 575
L. U. II 1 S. 144 ,Treatise . . . ' I p. 333 Vgl. a.a.O. p. 325 Anm. 2
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dige".577 Husserl nimmt ausdrücklich auf den Empirismus Berkeleys Bezug, wenn er glaubt, „die wesentliche Meinung der Berkeleyschen Unterscheidung, unter leicht verständlicher Änderung der Terminologie" in die Worte fassen zu können: „Selbständige Inhalte sind da vorhanden, wo die Elemente eines Vorstellungskomplexes (Inhaltskomplexes) ihrer Natur nach getrennt vorgestellt werden können; unselbständige Inhalte da, wo dies nicht der Fall ist."378 Ersichtlich gibt dieser Satz nicht die Absichten des Empirismus wieder, sofern dieser, wie wir interpretieren, die u r s p r ü n g l i c h e Einfachheit a l l e r V o r s t e l l u n g e n anerkennen möchte, denn Husserl versteht die Einfachheit nicht als absolutes Moment, d. h. so wie sie a n s i c h s e l b s t Untrennbarkeit ist, sondern er faßt die Untrennbarkeit als eigenartige Bestimmung eines gegenüber den „konkreten" (d. h. individuellen, also einfachen, also untrennbaren) Vorstellungen für sich bestehenden Anderen (der „abstrakten Vorstellungen") auf. Dann ist aber die Einfachheit der konkreten Vorstellungen, sofern sie als vorausgesetzte doch noch beibehalten werden muß, nicht mehr selbst wesentlich Untrennbarkeit. Es kann keine absolute Bestimmung sein, weil die Einfachheit nun als eine Bestimmung unter anderen an einem in mannigfaltiger Bestimmtheit vorausgesetzten, geglaubten Tatsachenbereich angenommen wird. Als dessen w e s e n t l i c h e Bestimmtheit gilt Husserl die Selbstständigkeit, die aus dem gleichen Grunde nicht in ihrer absoluten Bedeutung verstanden wird, sondern als Selbständigkeit eines Bestimmten, eines „Elementes" gegen578
"7 578
Wie wir sahen, meint Husserl, den Unterschied von „individuell" und „abstrakt" in einem ursprünglicheren Unterschied von „Inhalt" („Empfindung", „Erscheinung", „reelles Moment") und „Gegenstand" begründen zu können (vgl. etwa „L. U." II 1 S. 197), ohne aber auch in dieser Unterscheidung das Fundamentale des Unterschiedes selbst streng zu denken. Würde die Intentionalität wirklich als ursprüngliche Differenz verstanden, so könnte der Unterschied von „individuell" und „abstrakt" nicht als anderer fundamentaler Unterschied behauptet werden, er wäre vielmehr gerade in dem Maß fundamental, als er mit der ursprünglichen Differenz als Intentionalität zusammenfällt. Andererseits: sollte er nicht als fundamental gelten, so müßte das Prinzip seiner Ableitung aus den Momenten des ursprünglichen Unterschiedes gezeigt werden können. Die Frage nach der Einfachheit aller Vorstellungen, ihrer Individualität, ist also gleichbedeutend mit der Frage nach der Inhaltlichkeit des Inhalts (der Empfindung, der Erscheinung etc.) als ursprünglichem Moment aller Vorstellungen. Hier, in unserer Betrachtung, muß die Frage nach den wahren fundamentalen Unterschiedsmomenten terminologisch an einem der von H . angenommenen fundamentalen Unterschiede durchgeführt werden. In Anschluß an Hume orientieren wir uns dabei in der Terminologie von „individuell" und „abstrakt". L . U . II 1 S.218 a.a.O. S. 230
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über einem Komplex. Selbständigkeit und Einfachheit gelten als verschiedene Bestimmungen, sie werden nicht in ihrer Absolutheit so gedacht, daß die Selbständigkeit s e l b s t Einfachheit ist: Husserl stellt einen Tatsachenkomplex vor, der selbständig und daneben auch einfach ist. Es ist die Selbständigkeit e i n e s Einfachen, es ist „Stück"-sein. Dodh da Husserl diesen Charakter der Vorstellungen als durch die vorausgesetzte Anschauung selbst belegt annimmt, glaubt er die Eigenart dieser Bestimmung nicht selbst denken und ausweisen zu müssen. Sollte wirklidi in dem Stücksein eine ursprüngliche Bestimmung gedacht werden, sollte die ursprüngliche Einfachheit in dem Stücksein wirklidi anerkannt werden, so wäre das Stück als ,E 1 e m e n t* der Vorstellungen selbst zwar abgetrennt, aber selbst nicht trennbar, nicht teilbarer Teil, ein Atom also. Doch Husserl drängt sich diese Konsequenz seiner fundamentalen Bestimmungen, nämlich eine dogmatische Metaphysik, nidit auf, denn, obgleich Husserl die individuellen Vorstellungen (übrigens ebenso wie die abstrakten Vorstellungen)57* „Elemente" nennt, denkt er diesem Elementsein, der Einfachheit des Stückes, nicht nach. Er setzt die Einfachheit voraus und sieht gleichzeitig von ihr ab, um sein Augenmerk wesentlich auf die Selbständigkeit richten zu können. Weil aber die Selbständigkeit für Husserl bestimmte Selbständigkeit ist, Selbständigkeit eines in seiner Bestimmtheit Vorausgesetzten, Selbständigkeit des Stücks, darum kann die Selbständigkeit ebensowenig wie die Einfachheit als wirklich fundamentale, d. h. absolute Bestimmung zur Geltung kommen. Husserl denkt ein Selbständiges, und darum die Selbständigkeit nidit rein als solche, als absolutes, sondern nur als abstraktes Moment; betraditet man die Selbständigkeit eines Selbständigen, so ist diese nur abstrakte Bestimmung eines für sidi selbst auch sonst noch bestimmt Vorausgesetzten. Die Selbständigkeit der individuellen Vorstellungen, die deren wesentliche Bestimmung ausmachen soll, ist also selbst abstrakte Vorstellung. Die Selbständigkeit des Stückseins ist selbst nicht selbständig. Gerade von dieser Selbständigkeit gilt, was Husserl über die abstrakten Vorstellungen sagt: „Unselbständige Gegenstände sind Gegenstände solcher reinen Arten, in Beziehung auf welche das Wesensgesetz besteht, daß sie, wenn überhaupt, nur als Teile umfassenderer Ganzen von gewisser zugehöriger Art existieren."580 Die Selbständigkeit eines Selbständigen, eines Stückes, ist in vielfacher Hinsicht unselbständig gegenüber der vorausgesetzten Bestimmtheit des Stücks. Noch deutlicher 578
580
Die fundamental Unterschiedenen hätten also den Charakter des Elements gemeinsam, ohne daß Husserl allerdings sagt, wie die fundamental Unterschiedenen z u g l e i c h Element sein können, ohne daß er weiter sagt, wie die Bestimmungen „abtrennbar" und „nicht abtrennbar" sich aus der gemeinsamen Bestimmung der Vorstellungen als ursprünglicher Elemente ableiten lassen. L. U. II 1 S. 240
Das empiristische Argument im ontologischem Horizont
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wird das, wenn man sieht, wie Husserl das behauptete „Wesensgesetz" glaubt an einem Beispiel erläutern zu können: „Die Färbung dieses Papiers ist ein unselbständiges Moment desselben, sie ist nicht bloß faktisch Teil, sondern ist ihrem Wesen, i h r e r r e i n e n A r t n a c h z u m T e i l - s e i n prädestiniert, denn eine Färbung ü b e r h a u p t und r e i n als solche kann nur als Moment in einem Gefärbten existieren."581 Ersichtlich läßt sich dasselbe für die Selbständigkeit des Selbständigen, des Stücks, behaupten. Das ergibt sich schon allein daraus, daß die Selbständigkeit als die einer bestimmt vorausgesetzten Tatsache verstanden ist. Schon darum kann sie nichts anderes als abstrakte Bestimmung sein, ganz abgesehen davon, wie die Selbständigkeit, als Selbständigkeit des Stückes näher verstanden wird. Denn dieses Stück-sein ist nun näher ebensosehr unselbständig gegenüber einer Ganzheit bestimmter Art. Es ergibt sich also, daß die Selbständigkeit nicht fundamentale Bestimmung eines gegenüber den abstrakten Vorstellungen anderen sein kann, weil so die fundamentale Bestimmung der individuellen Vorstellungen, das also, worin sie wesentlich sie selbst sind, selbst abstrakte Vorstellung ist. Die Selbständigkeit ist also auf diese Weise nicht in ihrer wahren Unabhängigkeit gegen die abstrakten Vorstellungen abgehoben, sie ist es so lange nicht, als sie Bestimmung eines als bestimmt Vorausgesetzten, einer vermeinten Tatsache ist, denn so ist sie immer nur ein abstraktes Moment a n diesem Vorausgesetzten. Die Selbständigkeit des Stückes ist zum Beispiel ein unselbständig anderes gegenüber der in ihr vorausgesetzten Einfachheit des Teils als solchen. Die Selbständigkeit ist nur dann wirklich als absolute Bestimmung anerkannt, wenn sie an sich selbst nichts anderes als Einfachheit und Untrennbarkeit ist. Wird die Selbständigkeit überhaupt in irgend einer Weise als Teil-sein interpretiert, so ist sie nicht mehr fundamentale Bestimmung und kann die Ursprünglidikeit der individuellen Vorstellungen nicht mehr fassen, denn die Bestimmung Teil ist unselbständig gegenüber der Bestimmung Ganzes. Trotzdem muß sich von Husserls Annahmen aus ein Weg zeigen lassen, die Selbständigkeit als fundamentale Bestimmung wirklich zu denken, denn er setzt sie ja ausdrücklich als fundamentale Bestimmung und der Unselbständigkeit gegenüber voraus. Von der nach mathematischer Methode angenommenen, vorausgesetzten Selbständigkeit muß zurückgegangen werden in ihren Grund, in das, was ihr eigenes reines Wesen als absolute Bestimmung ist und was jede bestimmte Selbständigkeit, die Abtrennung eines Stückes also zum Beispiel, erst ermöglicht. Husserl muß dabei nur beim Wort genommen werden; das, was er voraussetzt, muß als solches gedacht werden. 581
a.a.O. S. 240 f.
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Die Herkunft von Musils Dichtungsbegrifí
Husserl bemerkt nun allerdings selbst die Unselbständigkeit des Teils, wenn er formuliert: „Ein Teil als solcher kann überhaupt nicht ohne ein Ganzes existieren, dessen Teil er ist." 5 8 2 Doch Husserl meint, trotzdem die Selbständigkeit des Teils festhalten zu können, denn er fährt fort: „Andererseits sagen wir aber (nämlich mit Beziehung auf die selbständigen Teile): Ein Teil kann öfters ohne ein Ganzes existieren, dessen Teil er ist. Darin liegt natürlich [ ! ] kein Widersprudi." Warum nicht? Wenn doch von dem selbständigen Teil etwas behauptet wird, was für die Bestimmung Teil als solche vorher ausgeschlossen ist? Wie kann Husserl überhaupt darauf verfallen, den Widerspruch der Bestimmungen leugnen zu wollen? Offenbar hängt dies aufs innigste mit seiner mathematischen Methode zusammen, deren positivistischer Charakter oben erläutert wurde. 583 Er d e n k t nicht die Bestimmung Teil-sein, sondern g l a u b t eine vorausgesetzte Tatsache Teil, deren vorausgesetzte mannigfaltige Bestimmtheit unter anderem die wesentliche Bestimmung Selbständigkeit enthalten soll. So kann Husserl fortfahren: „Betrachten wir den Teil nach seinem inneren Gehalte, nach seinem eigenen Wesen, so kann, was diesen selben Gehalt besitzt, auch sein ohne ein Ganzes, in dem es ist, es kann für sich, ohne Verknüpfung mit anderem sein, und ist dann eben nicht Teil. Die Änderung und völlige Aufhebung der Verknüpfungen tangiert hier nicht den eigenen so und so gearteten Gehalt des Teils und hebt ihn im Dasein nicht auf, nur seine Relationen fallen fort, sein Teil-sein." 5 8 4 Ein Teil, so setzt Husserl voraus, h a t also „ein eigenes Wesen", einen „eigenen so und so gearteten Gehalt", „dessen Dasein nicht aufgehoben ist", wenn sein „Teil-sein fortfällt". N u r darum ist die Selbständigkeit des Teils möglich, weil der Teil a u ß e r seinem Teil-sein einen „eigenen Gehalt" hat, der von der Bestimmung, Teil zu sein, unabhängig gilt. Husserl vermeidet also dadurch den Widerspruch der Bestimmungen, daß er voraussetzt, des Teiles eigener Gehalt, sein eigenes Wesen, sei nicht sein Teil-sein. Das heißt aber, daß der ins Auge gefaßte „Gehalt", auf den die Selbständigkeit zurückgeht, selbst nicht als Teil gedacht wird. Wenn der wesentliche Gehalt unabhängig ist von dessen Bestimmung, Teil zu sein, dann kann die diesem Gehalt zukommende Selbständigkeit nicht mit der Bestimmung „Teil" in Verbindung gebracht werden. Sofern etwas Teil ist, das bemerkt Husserl selbst, ist es nicht selbständig; als Teil kann es „überhaupt nicht ohne ein Ganzes existieren". Die Selbständigkeit des „Gehaltes" ist also auch nicht die Selbständigkeit eines Teiles, Stück-sein. Was ist aber nun dieser „ e i g e n e G e h a l t " , der selbst außerhalb 582 58:1 584
a.a.O. S. 253 Vgl. o. S. 211 ff. L. U . II 1 S. 253
Das cmpiristische Argument im ontologischem H o r i z o n t
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der Bestimmung Teil fällt und so dessen Selbständigkeit gewährleistet, die es in seinem Wesen als Teil nicht hätte? Husserl glaubt, diesen „Gehalt" ohne weiteres als das „eigene Wesen des Teils" annehmen zu können, weil er den Teil als in sich mannigfaltige bestimmte Tatsache voraussetzt, so daß von dessen Charakter, Teil zu sein, abgesehen werden kann, und das Vorausgesetzte als das „Wesen des Teils" übrig bleibt. Husserl faßt dieses Absehen von seinem Charakter als Teil so auf, daß es „ein Absehen von seiner Verknüpfung mit anderem" sei. Der „Gehalt des Teils" sei dann „nicht Teil" und dodi „dieser selbe Gehalt", wenn er „ohne ein Ganzes ist, in dem es ist", wenn er „für sich, ohne Verknüpfung mit anderem" ist. Dieses „Für-sich"-sein-können, ohne Verknüpfung mit anderem, ist die Selbständigkeit, es ist Abtrennbarkeit „dieses Gehaltes". Was ist aber das, von dessen möglichem Teil-sein wirklich abgesehen wird, an sich selbst? Läßt sich „dieser Gehalt", in dem, was er ist, wenn „dessen Relationen fortfallen", selbst denken? Husserl setzt den Fall voraus, daß „ein Teil ö f t e r s ohne ein Ganzes" existiert, und er erklärt das daraus, daß der Teil „einen Gehalt hat", so daß, „was diesen Gehalt besitzt", auch sein kann, abgesehen davon, daß es Teil eines Ganzen ist. Wie dieser Gehalt in seinem reinen Wesen zu denken sei, sagt Husserl nicht, er setzt ihn voraus. Hätte er den Versuch gemacht, diesen Gehalt als solchen zu denken, so hätte er gemäß seinen eigenen Darstellungen einen Gehalt zu denken, „dessen Relationen" fortgefallen sind. Von gewissen vorausgesetzten Fällen sprechend, sagt Husserl: die „völlige Aufhebung der Verknüpfungen tangiert hier nicht den eigenen, so u n d so g e a r t e t e n Gehalt des Teils und hebt ihn in seinem Dasein nicht auf, nur seine Relationen fallen fort, sein Teil-sein". Wenn Husserl für diese Fälle einen Gehalt des Teils voraussetzt, der bestehen bleibt, auch wenn sein Teilsein fortfällt, muß dieser Gehalt als solcher denkbar sein, denn nur dadurch, daß er als solcher in eigener Weise denkbar ist, kann er vorausgesetzt werden. Dieser Gehalt, in reiner Allgemeinheit gedacht, als ein Gehalt nun also, bei dem von j e g l i c h e m T e i l - s e i n abzusehen ist, ein solcher Gehalt, kann nicht als „so u n d so g e a r t e t e r " vorausgesetzt werden, denn ein „so und so Geartetes" ist möglicher Teil eines Ganzen, von dem Gehalt des Teils als solchem muß aber gelten, nicht, daß er faktisch nicht Teil eines Ganzen ist, sondern daß er seinem Wesen nach selbständiger Gehalt ist, der für jeden Fall ein Absehen von dem Teil-sein dieses bestimmten Teils ermöglicht. Da Husserl den Gehalt nicht als solchen denkt, wie er von jeglidiem Teil-sein unabhängig, absolut selbständig ist, indem er den Gehalt vielmehr als bestimmten voraussetzt, erweckt er den Anschein, als möchte er nur von d e m Ganzen, in dem der Teil ist, abstrahieren und sein Teil-sein für sich festhalten, als ob irgend etwas vom Charakter des Teiles übrigbliebe, wenn die „Verknüp-
236
Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
fungen völlig aufgehoben" werden. Alle Bestimmungen, die ein Gehalt als Teil eines Ganzen hat, sind außer Geltung gesetzt, wenn von seiner Beziehung in einem Ganzen abgesehen wird. Da nun Husserl das Teilsein zu Recht „in weitestem Sinne" faßt, „der es gestattet, alles und jedes Teil zu nennen, was ,in' einem Gegenstande unterscheidbar ist", so fällt jede mögliche Bestimmung eines Gegenstandes unter den Begriff ,Teil'. 685 „Jedes nicht bezügliche , r e a l e ' Prädikat" weist „auf einen Teil des Subjektgegenstandes hin". 586 Teil ist also jegliche Bestimmung, die nicht selbst Bestimmung des Ganzen als solchen, also der Gegenständlichkeit überhaupt, ist. „Teil ist alles, was der Gegenstand im . . . reellen Sinne ,hat' . . . im Sinne eines ihn w i r k l i c h Aufbauenden." Versucht man also, das Wesen des reinen Gehalts zu denken, der selbst von aller Teil- und Ganzheits-bestimmung unabhängig ist, der vielmehr selbst in jedem Fall die Abtrennbarkeit des Teils ermöglicht, der aber selbst nicht relativ sondern absolut selbständig ist, so wird man jegliche mögliche Bestimmtheit, die er als Teil eines Ganzen hätte, aufgehoben denken müssen. Nur von diesem bestimmungslosen Stoff gilt in absolutem Sinn, was Husserl von dem Inhalt als solchem sagt: „In der,Natur' des Inhalts selbst, in seinem idealen Wesen, gründet keine Abhängigkeit von anderen Inhalten, er ist in seinem Wesen, durch das er ist, was er ist, unbekümmert um alle anderen." 587 Unbekümmert um anderes ist der Inhalt in seinem idealen Wesen aber nur darum, weil Anderes und Beziehung auf Anderes in seiner absoluten unbestimmten Stofflichkeit ausgeschlossen ist. „In seinem ideal faßbaren Wesen ist der Inhalt unabhängig, dieses Wesen fordert d u r c h s i c h s e l b s t , also a priori, kein mitverflochtenes anderes Wesen." 588 Indem Husserl das ideal faßbare Wesen des Inhalts immer noch als abstrakte Bestimmung eines bestimmten je und je Vorfindlichen versteht, entzieht sich ihm der absolute Sinn seiner eigenen Aussage. Wenn der Inhalt als solcher „ d u r c h s i c h s e l b s t " keine mitverflochtenen Wesen fordert, dann darum, weil e r s e l b s t s o etwas wie ein Mitverflochtenes ausschließt, er schließt anderes aus, weil er selbst nicht unter die Bestimmung fällt, e i n e s im Gegensatz zu Anderem zu sein. So ist der Inhalt in seinem ideal faßbaren Wesen, daß heißt als ursprüngliches Moment der Totalität, unbestimmt. In ihm ist, sofern es in seiner Reinheit und Ursprünglichkeit gedacht ist, von jeglicher Bestimmtheit, die er nur als in einem Ganzen bezogener hat, abgesehen. Darin erfüllt sich seine Selbständigkeit in ihrem absoluten Sinn, so wie sie Husserl darstellt, daß nämlich „die Existenz dieses Inhalts, so viel an ihm selbst, seinem Wesen nadi, liegt, durch die Existenz anderer 585 586 587 588
Vgl. a.a.O. S. 228 a.a.O. S. 228 a.a.O. S. 236 a.a.O. (Sperrung vom Verf.)
Das empiristische Argument im ontologisdiem Horizont
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Inhalte gar nicht bedingt ist, daß er, so wie er ist, a priori, d. i. eben seinem Wesen nach, existieren könnte, auch wenn außer ihm gar nichts da wäre, oder wenn sich alles um ihn herum willkürlich, d. i. gesetzlos änderte." 58 ' Denkt man den Inhalt wirklich nach seinem eigenen Wesen, und sieht man von der in dieser Formulierung noch anklingenden vorausgesetzten Bestimmtheit jeweilig besonderen Inhalts ab, so liegt die Selbständigkeit dieses rein Unbestimmten in seiner Existenz. Der Inhalt als solcher ist, abgesehen davon, wie er durch ein Denken bestimmt wird, kontingent. So wie er ist, daß heißt, so wie er als gegebener je und je vorliegt, ist er, und er könnte existieren, „auch wenn außer ihm gar nichts da wäre, oder wenn sich alles um ihn herum willkürlich . . . änderte". Der Inhalt als solcher ist Ereignis, und darin ist er dem Denken entzogener ihm vorausliegender Stoff, er ist s e l b s t ä n d i g , aber dies nur in seiner reinen Unbestimmtheit. Ist er erst a l s e t w a s bestimmt, ist er, so wie er bestimmt ist, abhängig als Teil eines Ganzen. Die Selbständigkeit als absolutes Moment der Totalität hat also ihren Grund im Sein als solchen, Selbständigkeit ist Selbständigkeit des Existierens, ist Kontingenz, die als Moment der Totalität dem Bestimmten überhaupt in seinem Sein erhalten bleibt. Damit ist Sein nicht mehr abstraktes Sein, sondern der Grund aller bestimmt konkreten Vorstellungen, das ursprüngliche Moment des Konkreten selbst. Sein als abstraktes Moment, von dem sich im Meinen von Bestimmtem absehen ließe, Sein als vorausgesetzte, leere Faktizität wäre selbst unselbständig. Sein, wie es die Selbständigkeit des Inhalts in seinem reinen Wesen als absolutes Moment begründet, ist trotz seiner Unbestimmtheit nicht leer, sondern der Ursprung alles Mannigfaltigen, es ist Chaos, das in dieser unbestimmten Fülle die Totalität selbst ist, die dem absolut leeren Eins des Denkens die Mannigfaltigkeit des Stofflichen leiht und so die unendliche Fülle des bestimmten Etwas ermöglicht. Da es aber durchaus jeglicher weiteren Bestimmung entbehrt, insofern es selbst nicht Teil ist, wohl aber jeglicher Teil es als seinen eigenen, die relative Selbständigkeit ermöglichenden Gehalt in sich enthält, ist dieses Chaos des Gegebenen Moment jegliches Bestimmten. Es ist absolute Bestimmung der Totalität alles Bestimmten. Es ist ebenso Moment jedes Teils wie der reine Gedanke des Eins, der den Gehalt zum Teil eines Ganzen macht. Das unbestimmt Gegebene und darin Kontingente des Inhalts ist der Grund für die vorausgesetzte relative Selbständigkeit des bestimmten Teils in dem Ganzen. Ein Teil, also jegliches Bestimmte, ist nicht ohne diese beiden Momente denkbar, ein relativ Selbständiges und doch relativ Bezogenes zu sein; denkt man diese Momente in ihrer Reinheit, ergeben 689
a.a.O. S. 236
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Die Herkunft v o n Musils Dichtungsbegriff
sie sich als Momente des Unterschieds, als absolut Widersprechende: das bestimmungslos Gegebene und das reine Eins. Beide sind darum Widersprechende, weil sie je für sich die Totalität des Bestimmten überhaupt charakterisieren. Husserl, der die Selbständigkeit nicht als solche denkt, sondern sie wie die Unselbständigkeit an bestimmten Vorstellungen voraussetzt, derart, daß sie so wie Oberbegriffe getrennter Vorstellungsbereiche erscheinen, stößt darum nicht auf ihren Widerspruch, der erst dann sichtbar wird, wenn Selbständigkeit und Unselbständigkeit je als sie selbst gedacht werden und so als absolute Bestimmungen aufgefaßt werden. Die Unselbständigkeit ergibt sich als absolutes Moment des Bestimmten, kurz angedeutet, so, daß alles Bestimmte Teil eines Ganzen ist, und dieses Ganze wiederum auf das in seinem Sein Selbständige bezogen ist, aber so, daß es dieses selbst in seiner reinen Beziehung auf sich selbst ist. Das Verhältnis von Sein als unbestimmt Gegebenem und Eins als reiner Beziehung ist also ein dialektisches in dem Sinn, daß der Unterschied der Totalitätsbestimmungen nicht auflösbar ist in einer unmittelbaren Einheit, daß vielmehr das Bestimmte überhaupt erst in dieser Vermittlung ursprünglich Unterschiedener, d. h. aus dem absoluten Widerspruch heraus, denkend zu entwickeln ist. Von jedem Bestimmten gilt, daß es sowohl unter der reinen Bedingung des Eins steht, wie es in seinem reinen Inhalt in dem kontingent Gegebenen seinen Grund hat. Wie sich aus dieser Dialektik ursprünglich unterschiedener Momente das Bestimmte selbst in seiner Vielfalt ergibt, ist Thema einer ,Theorie' des Bestimmten, d. h. einer ,Theorie' der ,Wissenschaft überhaupt'. Hier, in unserem Zusammenhang, gilt das Interesse dem Gegebenen als solchem, wie es Moment des ursprünglichen Unterschieds ist. 7. Die „Impression"
als reine
Zuständlichkeit
Aus Husserls fundamentaler Unterscheidung von „selbständigen und unselbständigen Vorstellungen" hat sich uns, indem wir die Vorausgesetztheit der Unterschiedenen hinterfragten, das Selbständige und Unselbständige selbst nun als von absolut Unterschiedenen, von Momenten des Unterschieds selbst, ergeben. Das bedeutet, sofern beides Momente derselben Sphäre sind, ihren Widerspruch, und da diese Sphäre die der Totalität des Bestimmten ist, ihren absoluten Widerspruch. Auf diesen Widerspruch war schon Hume gestoßen, indem er die Abstraktheit gewisser Vorstellungen mit ihrer ursprünglichen Untrennbarkeit für unvereinbar hielt. D a er aber, darin Husserl verwandt, die ursprüngliche Untrennbarkeit der Vorstellungen überhaupt nur als äußerliche Bestimmung an sonst mannigfaltig bestimmten Vorstellungen voraussetzte und also die ursprüngliche Einfachheit zugleich mit der Bestimmtheit der „impres-
Das empiristische Argument im ontologischem Horizont
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sion" annahm, verbarg sich ihm der absolute Widerspruch in der unklaren Vorstellungsweise seiner Abbild- und Ähnlidikeitstheorie. Zwar war in ihr der Unterschied als absoluter b e h a u p t e t , aber er war nicht rein als solcher g e d a c h t , die Beziehung ursprünglich Unterschiedener war als Problem angedeutet, in Wahrheit aber durch die unangemessene theoretische Form des Abbildungsbegriffes schon wieder verloren. Die „impression" war zwar als ursprüngliche ausgewiesen, aber in ihrer geglaubten Bestimmtheit, in der sie abbildbar wurde, stand sie nicht mehr im ursprünglichen Gegensatz zur „idea". Die „idea" war darum nicht eigenes Moment des Unterschieds, weil sie nicht in ihrem eigenen Charakter, wie sie Bild ist, gedacht wurde, sondern nur so, wie sie das Abgebildete, die „impression" noch einmal ist, so daß ihre eigene Ursprünglichkeit verloren wurde. Soll nun der ursprüngliche Unterschied in der Reinheit seiner Momente gedacht und rein erhalten bleiben, so muß der ursprünglich selbständige, d. i. in seinem Sein absolut anfängliche Stoff in strenger Unbestimmtheit gedacht werden; er ist nur als Grenze für das Denken zugänglich, so daß das Denken, auch in einer Theorie des Bestimmten, das in sich selbst freie, kontingent Gegebene nicht in seinem eigenen Wesen aufnehmen kann, sondern nur insofern, als es Bedingung und zugleich Grenze für das Bestimmte ist. Seine Einfachheit und Untrennbarkeit, die mit der Selbständigkeit z u s a m m e n f ä l l t , ist nicht die Einfachheit und Untrennbarkeit eines Bestimmten oder eines als bestimmt geglaubten ,letzten' Teils, eines Atoms, sondern sie ist das Einfache und Untrennbare selbst, u r s p r ü n g l i c h e E i n - f alt, 5 9 0 die so, in d i e s e r U r s p r ü n g l i c h k e i t , nur als M o m e n t d e r a b s o l u t e n S u b j e k t i v i t ä t denkbar ist, denn als ursprünglich Unbestimmtes, das als das wesentlich Andere der reinen Beziehung auf sich zu gelten hat, ist es nicht ein Für-sichbestehendes, ein Stoff im Sinne dogmatischer materialistischer Metaphysik, sondern es ist die r e i n e Z u s t ä n d l i c h k e i t d e s a b s o l u t e n S u b j e k t s , das S u b j e k t in s e i n e r E i n f a l t , wie es in absoluter Kontingenz seiner Selbstheit als Beziehung auf sich vorweg ist. Es hat also kein irgend beschreibbares Bestehen, es kann nicht als etwas vorausgesetzt werden, sondern ist in dieser Zuständlichkeit absolute Grenze jeglichen Denkens oder Beschreibens. Es ist Einfaches und Untrennbares in dem absolut privativen Sinn,591 in dem nur das Subjekt einfach sein kann,
591
Das Wort , E i n f a l t ' hat gegenüber dem Wort ,Einfachheit' den Vorzug, weil in ihm die Einfachheit im gewohnten Sprachgebrauch auch als die Einfachheit eines Subjekts gedacht wird. Ihr vorausgesetzter Charakter im natürlichen Vorstellen, muß nun aber, wenn sie als absolutes Moment gedacht werden soll, also als das, was sie selbst ist, ausgeschaltet werden. In dem es auch als Unendliches, und zwar als unbestimmter Grund der Endlichkeit namhaft gemacht werden kann.
240
Die Herkunft von Musils Dichtungsbegriff
das die Totalität ist, so daß alles Bestimmte in all seiner vielfachen Unterschiedenheit in ihm unerschlossen ruht und durch seine ursprüngliche Aktivität als des denkenden, sich beziehenden Ich aus ihm und in ihm selbst sich bestimmt entfaltet und als Grund alles Mannigfaltigen in ihm gegenwärtig bleibt. Das Subjekt in seiner Einfalt als Grenze und Ursprung des Denkens, jenseits aller Bestimmung, dies ist natürlich nicht das Subjekt im Gegensatz zu einem Objekt, oder Ich, das als solches vorstellbar Bestimmtes wäre, sondern es ist Subjekt, wie es die Totalität selbst ist, und zwar in ihrer reinen Unmittelbarkeit, die so wie sie Bestimmung der Totalität ist, und so von Husserl etwa auch vorausgesetzt wird, an sich selbst gedacht, von jeder Verbindung mit Bestimmtem entbunden, e b e n s o als Grenze des Bestimmten überhaupt zu denken ist. Weiter, läßt es sich auch in sinnlicher Gegebenheit ,fassen', insofern das Subjekt in seiner unmittelbaren Totalität i m R ü c k g a n g v o n d e r Wahrnehmungsgegenständlichkeit auf deren unmittelbaren Gegebenheitsanlaß sich am leichtesten kenntlich machen läßt. Die unmittelbare Zuständlichkeit des Subjekts, etwa im Hören, Schmecken, Sehen und Tasten gibt dem Denken den ersten Anlaß, ein ihm Entzogenes als Grenze des Bestimmten zu ahnen, schon weil die Sprache den Bereich des Sinnlichen noch sehr unzureichend, in differenzierenden Unterscheidungen bestimmend, erschlossen hat. 592 Doch schon die durch begriffliche Abgrenzung erreichte Bestimmung des Sinnlichen als Sinnlichen, sowie seine weitere differenzierende Bestimmung in Hinsicht auf beteiligte Sinnesorgane etwa kann der reinen Zuständlichkeit als Grund und Grenze des Bestimmten nicht gerecht werden. Die Sinnlichkeit, soll sie die unmittelbare Zuständlichkeit des Subjekts bezeichnen, muß also so gefaßt werden, daß sie die Totalität faßt, derart, daß die im Bereich der Wahrnehmungsdinge gemachte Erfahrung auf den ganzen Bereich des Bestimmten ausgedehnt wird, daß auch da, wo sie gewöhnlich nicht geahnt wird, die reine Zuständlichkeit als Grenze jegliches Bestimmten zu denken ist. Wird Sinnlichkeit so als absolutes Moment aufgefaßt, wird auch das, was in natürlicher Vorstellungsweise als bestimmter Charakter der äußeren Sinnlichkeit gemeint und vorausgesetzt wird, in seinem wahren Wesen erst gedacht und jeglicher sonst naheliegenden Dogmatisierung entkleidet. Das Sinnliche ist dann nicht ein Äußeres im Gegensatz zu einem Inneren, sondern ist als ursprüngliches Moment der absoluten Subjektivität Inneres und Äußeres zugleich. Was vorher als äußere und innere Sinnlichkeit getrennt zu werden verdiente, wird nun aus seinem gemeinsamen Grund heraus 5,2
Das ist auch der Grund, warum Hume die ursprünglich einfache „impression" glaubt als „sinnliche" voraussetzen zu können. Daraus folgt für ihn konsequenterweise — insofern er ihre Bestimmtheit glaubt, ihre Beziehung auf einen dogmatischen Begriff der Körperlichkeit (vgl. oben passim).
Das empiristische Argument im ontologischem Horizont
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als Grenze und Grund jegliches Bestimmten ahnbar, und in demselben Maße wird seine Dogmatisierung als eines besonderen Bereiches innerhalb der Vorstellungen ausgeschaltet. In dem Maße aber nun, als die reine Zuständlichkeit als Grenze und Grund jegliches Bestimmten anerkannt wird, indem sie selbst die Dogmatisierung dieses Bestimmten verhindert, in demselben Maße entzieht es sich selbst jeglicher Bestimmung und verlangt wirklich als Grenze des Denkens anerkannt zu werden. So erklärt sich die V e r b o r g e n h e i t des rein Zuständlichen. Es ist als a b s o l u t e G r e n z e dem Denken unzugänglich u n d ist als G r u n d doch das Selbstverständlichste, immer in Rechnung Gestellte, das selbst die dogmatisierende Abstraktion nicht ausklammern kann, insofern sie den Unterschied ausdrücklich voraussetzt und in ihm, der die Mannigfaltigkeit des Bestimmten ermöglicht, die Zuständlichkeit als Moment des Unterschiedes selbst gelten läßt. Aber gerade als das Selbstverständlichste und im präzisen Sinn Nichtssagende wird es von einem Denken, das von der mannigfaltigen Bestimmtheit der Dinge ausgeht und diese in ihrem So-sein hinnimmt, vergessen. Das Beispiel der „Logischen Untersuchungen" Husserls zeigte uns die Hintergründe solchen Vergessens. Auf der anderen Seite wird die reine Zuständlichkeit gerade dann verfehlt, wenn sie als solche zum Gegenstand des Denkens gemacht wird. Das Beispiel Klages' hat uns die Dogmatisierung der reinen Zuständlichkeit im Begriff des Lebens vorgeführt.
16 Sdiaffnit
E. Kunst und reine Zuständlichkeit — der Charakter der Kunst als Z e i g e n von Totalität Wie macht sich also die reine Zuständlichkeit dem Menschen bemerkbar? Sie ist das Schöne, ursprüngliche aiafrr]aig und als solche Thema der Kunst. So wie das Schöne Thema der Kunst ist, ist es also nicht eine bestimmte Eigenschaft, sondern ursprüngliches Moment der Totalität. Die Kunst führt den Menschen in die Offenheit dieses reinen Scheinens seiner selbst als Totalität, sie öffnet den Menschen sich selbst in seiner absoluten Subjektivität, in der er reine Zuständlichkeit ist. Die Kunst ist also wie die Philosophie nicht in der Weise legitim anerkannt, daß sie ein für sich selbst bestehender bestimmter Gegenstand neben anderen ist. In diesem Sinn ist also die Kunst a b s o l u t e E r k e n n t n i s . Sie ist E r k e n n t n i s in dem Sinn, daß nicht sie selbst als Gegenstand genommen werden will, sondern in der Weise, wie sie etwas auffaßt, sie ist a b s o l u t e Erkenntnis, insofern die durch sie aufzufassende Sache die Totalität selbst ist. In welcher Weise nun aber? Sie ist nicht Philosophie, nicht Erkenntnis der Totalität des Bestimmten in seiner Bestimmtheit, sondern nur der Totalität in ihrer Unmittelbarkeit. Diese ist aber im gewöhnlichen Sinn nicht erkennbar, d. h. vermittelbar, sie läßt sich nicht als bestimmte aussagen. Daraus ergibt sich die absolut eigenartige, inkommensurable Aufgabe der Kunst. Sie ist das Mittel, dem in wechselnder Bestimmtheit, in Meinung, befangenen Menschen, von dieser bestimmten Welt ausgehend, in die Offenheit seiner reinen Zuständlichkeit zu führen. Oder dasselbe sachlich triftiger formuliert, so daß nicht von einer vorausgesetzten Vorhandenheit der Kunst ausgegangen wird, sondern von der reinen Zuständlichkeit, in der der Mensch als absolutes Subjekt sein ,Wesen' hat: Die Kunst gibt dem Menschen in seiner ursprünglichen Unbestimmtheit einen Ort, wahrhaft zu sein, das heißt so zu sein, wie er in seiner reinen unmittelbaren Subjektivität ist. Das K u n s t w e r k i s t also n i c h t selbst s c h ö n , s o n d e r n es m a c h t d a s S c h ö n e s i c h t b a r . Das Schöne ist nicht etwa eine ausgezeichnete E i g e n s c h a f t des Kunstwerks, derart daß es wie andere Gegenstände des Bewußtseins bestimmter Gegenstand einer besonderen erkennenden Wissenschaft werden könnte. Vielmehr z e i g t das Kunstwerk die reine Zuständlichkeit als Moment der Totalität. Daraus folgt die inkommensurable Problematik der Kunst: Sie z e i g t u n d sie z e i g t
Das Zeigen von Totalität
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n i c h t e i n B e s t i m m t e s , sondern die Totalität in ihrer Unmittelbarkeit und reinen Kontingenz. Sie ist ein „Zeigen" in erkenntnistheoretisch ausgezeichnetem Sinn. Die Kunst hat also teil an der reinen Kontingenz unbestimmter Zuständlidikeit des Menschen als Subjekts. Sie ist nicht irgendwann fertig und zeigt den Menschen in seiner unmittelbaren Totalität nicht irgendwann ein für allemal. Vielmehr gehört zu dem Wesen dessen, was sie zeigt, daß es immer neu sich ereignet und darin seine Unverfügbarkeit behält. Andererseits ergibt sich für eine .Theorie' der Kunst, die also nicht mit irgendeinem Bestimmten rechnen kann, die darum ihr Wesen in einem Zeigen von Unvermittelbarem hat, eine inkommensurable Struktur. 593 Kunst wird nur in ihrem unvergleichlichen Wesen anerkannt, wenn sie in dieser Funktion verstanden wird, daß sie das jenseits und als Grund alles Bestimmten Liegende ansichtig macht. Daraus ergibt sich der unvergleichliche Anspruch an das, was Kunst zu leisten hat, der sich gerade in seiner Unvergleichlichkeit theoretisch nicht bestimmen läßt. Denn unter diesem absoluten Gesichtspunkt muß alles als Schönes anerkannt werden können, insofern nichts in der Totalität des Unmittelbaren sich ausschließen läßt, und a l l e s , in seiner Unmittelbarkeit genommen, s c h ö n ,ist'. Es scheint also der Kunst gar nicht zu bedürfen, um des Sdiönen ansichtig zu werden. Der Mensch bedarf der Kunst aber insofern, als er in der Bestimmtheit einer ,Welt' befangen ist, als er zu bestimmter Tätigkeit in der vermittelten Gemeinschaft mit anderen gezwungen ist, so daß er die Dinge als etwas nehmen muß, so wie sie allein zur Fristung seines Daseins dienen können. Der Mensch in seiner absoluten Subjektivität als reiner Zuständlidikeit ist bestimmter, auf einen bestimmten Zweck gerichteter Tätigkeit nicht fähig. Er strebt darum aus dieser ungesicherten Unmittelbarkeit heraus zu 593
16*
In diesem strengen Sinn ist sie .Erlebnis' — wir vermeiden diesen Begriff nach Möglichkeit, um nicht seine mißverständliche bestimmt theoretische Fassung zu evozieren. Die Fassung von Kunst als Erlebnis ist mißverständlich, weil Erlebnis als ein dogmatisierter Grundbegriff für das Nicht-Rationale mißverstanden wird. Dies muß immer der Fall sein, wenn eine Einsicht in den absoluten Charakter einer Totalitätsbestimmung fehlt. Dem natürlichen, vorstellenden Bewußtsein ist Erlebnis als zu zeigende Totalität der Kunst grundsätzlich verborgen. Insofern ist mit dem Gebrauch des Wortes Erlebnis als Grundbegriff von vornherein sein Mißverständnis verbunden, als Erlebnis nicht als Totalität in ihrer Unmittelbarkeit anerkannt wird. Das gilt auch für Diltheys Erlebnisbegriff, insofern es der Grundbegriff einer Beschreibungstheorie ist, die, genau wie in den L. U., einen bestimmten Grundbegriff des zu Beschreibenden voraussetzt, auch wenn sie sich einen solchen nicht bewußt macht und eine vorgebliche Unendlichkeit des Beschreibungsfeldes anzuerkennen glaubt.
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Kunst und reine Zuständlichkeit
einer sicheren Bestimmung seiner selbst. Diese versuchte Bestimmung auf dem ,Boden' absolut kontingenter Zuständlichkeit ist nicht zu vollendender Prozeß, seine reine Struktur ist die Dialektik des Widerspruchs. Die Kunst hat die Aufgabe, im Prozeß dieser Bestimmungsversuche, dem Menschen sich selbst in seiner Wahrheit als in seiner absoluten Subjektivität als Totalität ansichtig zu e r h a l t e n . Ohne die Kunst ginge er des die Bestimmung erst ermöglichenden in sich selbst wahren Grundes seiner selbst verloren. 594 Die Kunst hat also darin ihre inkommensurable Struktur, daß sie, von der Bestimmtheit geschichtlicher Welt ausgehend, dem Menschen sich selbst in seiner Unmittelbarkeit ansichtig macht. Dabei gehört die Bestimmtheit geschichtlicher Welt selbst mit zu dem, was der Mensch in seiner Totalität ist. Wird auf die Totalität in ihrer Unmittelbarkeit zurückgegangen, so wird nicht von der bestimmten Welt des Menschen a b s t r a h i e r t , sondern diese selbst ist in ihrer Unmittelbarkeit zu zeigen, indem sie durch die Kunst in ihre eigene Unmittelbarkeit .aufgelöst' wird, indem sie sie selbst von ihrer absolut anderen Seite zeigt. Darum geht die Differenziertheit geschichtlicher Welt im Kunstwerk nicht verloren, sie bleibt aber auch nicht in der nur durch Grenzen bestimmten, selbst abstrakten Differenziertheit bestehen, sondern i h r e i g e n e r G r u n d wird in d e r F ü l l e des Scheinens s i c h t b a r . Die Subjektivität des Menschen in ihrer absoluten Unmittelbarkeit ist nicht in irgend
594
Hier ist der Vorbehalt gegen eine Ästhetik angedeutet, die im dialektischen Prozeß des Bestimmten selbst, im reinen Begriff, ihren Ort hat, so daß das Schöne im reinen Bewußtsein dieses Begriffs überflüssig würde. Das bedeutet für den Begriff des Schönen, daß das Schöne der Kunst nicht das Scheinen der I d e e ist, sondern es ist ein offenes Scheinen, das gegen den reinen Begriff des Bestimmten immer jenseitig bleibt, derart daß auch die Kunst nicht ein Schönes i s t , sondern das Schöne nur zeigt, und in der Kunst als bestimmter nur als Grund und Grenze benennbar ist. Hegel hat dem reinen Scheinen des Schönen in unserem Kulturkreis wieder ausdrücklich zur Geltung verholfen, und zwar indem er Motive des Kantischen Kritizismus aufnahm, die ihrerseits das empiristische Element charakteristisch entwickelten. Dadurch daß Hegel in der Theorie des Bestimmten überhaupt den Widerspruch denken lehrte, war es ihm möglich, eine ontologische Theorie der Kunst zu denken, in der das Scheinen als selbständiges Moment gedacht war, aber doch so, daß es selbst Moment der Kunst als eines Bestimmten selbst sein konnte. E r hat damit die andere Möglichkeit in dem reinen Scheinen der Kunst aus der H a n d gegeben: ihre Notwendigkeit für den Menschen in seiner immer wieder sich geltend machenden E n d l i c h k e i t ,
die in ihrem Grunde Unbestimmtheit ist: erst Bestimmung
zu geben
und
ihm seine unvermittelbare Wahrheit zu zeigen. Und so hat er, indem er den endlichen Menschen in seinem Anspruch, absoluter Geist zu werden, überforderte, zugelassen, daß das 19. Jahrhundert alles aus der H a n d gab und die Verantwortlichkeit des Geistes völlig verlernte.
Das Zeigen von Totalität
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einer Weise abstrakt, sondern sie ist der Mensch in höchster Konkretheit, in der er alles ist, so wie er sich je und je ereignet. Die Kunst hat also darin ihre inkommensurable Aufgabe, daß sie, von bestimmter geschichtlicher Welt ausgehend, diese selbst in ihrem unvermittelbaren Grund zeigt. Insofern ist die Kunst also audi etwas Bestimmtes, oder sie kann als solches verstanden werden, aber sie hat ihr Wesen als Kunst, nach dem sie das Schöne zeigt, nicht in dieser Bestimmtheit. Sie ist also e i n B e s t i m m t e s , d a s a u f d e n e i g e n e n u n v e r m i t t e l b a r e n G r u n d s e i n e r B e s t i m m t h e i t w e i s t , u n d so , s e i n e ' S c h ö n h e i t , , s e i n ' r e i n e s S c h e i n e n o f f e n b a r m a c h t . Mit einer a b s o l u t e n M e t a p h e r Musils gesprochen, ist die Kunst „ e i n e B r ü c k e , die vom f e s t e n Boden sich w e g w ö l b t , als bes ä ß e sie im I m a g i n ä r e n e i n W i d e r l a g e r " . 5 9 5 Das Wort bestimmter Bedeutung gleicht als dichterisches Wort „dem S p e e r , d e r aus d e r H a n d g e s c h l e u d e r t w e r d e n m u ß , um sein Ziel zu erreichen, und nicht mehr zurückkehrt".598 Beide Metaphern Musils nennen in ihrem paradoxen Sinn die unvergleichliche Struktur der Kunst, daß sie selbst bestimmte ist und doch ihr Wesen darin hat, in ein Unvermittelbares, Unbestimmtes zu weisen. Das aber, worauf sie weist, ein Jenseits der Grenze des Bestimmten, ist nicht ein Anderes außerhalb ihrer selbst Liegendes. Denn das Andere des Bestimmten ist nicht wie bei natürlicher Vorstellung von bestimmter Grenze, ein Etwas des ganz außerhalb des Bereiches des Genannten sich findet, sondern a l s A n d e r e s des B e s t i m m t e n ü b e r h a u p t i s t es d e s s e n e i g e n e r G r u n d u n d so s e i n e G r e n z e . Das Bestimmte des Kunstwerks weist also, indem es auf ein Anderes weist, auf sich selbst, wie es unmittelbare Totalität ist. Die Metaphern Musils können in ihrem Charakter als bildliche Vorstellungen diesen absoluten Sachverhalt nicht klarstellen, w o h l a b e r in i h r e r p a r a d o x e n S t r u k t u r z e i g e n , daß hier ein Absolutes genannt wird, dessen Verborgenheit nur durch einen paradoxen Gebrauch natürlicher Vorstellungsmittel so kenntlich zu machen ist, wie es, als Absolutes, Moment des Widerspruchs selbst ist und also verständigem Vorstellen unzugänglich. Die Metaphern Musils beweisen ihre Wahrheit als absolute Metaphern, die durch ihre rein paradoxe Struktur sichergestellt wird. Das Verständnis dieser paradoxen Bestimmungen, in denen Musil das Wesen der Kunst aussprechen möchte, ergibt sich erst dadurch, daß hinter sie zurückgegangen wird, und der U r s p r u n g d e r P a r a d o x i e im ursprünglichen Widerspruch e i n g e s e h e n wird, das heißt, indem 595 598
Tgb. S. 683 a.a.O. S. 717
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Kunst und reine Z u s t ä n d i g k e i t
die ursprünglichen Bedingungen der Wirklichkeit, die absoluten Momente des Bestimmten überhaupt aufgesucht werden. Nur in diesem Horizont wird die Struktur der Kunst rein als solche offenbar. Dann erweist sich, daß die Kunst in ihrem Wesen durchaus nicht als bestimmte genommen werden kann, sondern daß sie den ursprünglichen Widerspruch als das Wesen des Wirklichen zur Sprache bringt; aber nun nicht in der Weise, wie es das reine Denken vermag, das aus dem Widerspruch der absoluten Momente das mannigfaltige Bestimmte sich dialektisch entwickeln läßt, sondern als S c h e i n e n , indem es den Grund alles im und durch den Widerspruch sich entfaltenden Bestimmten in der Totalität des Unmittelbaren, der reinen Zuständlichkeit, ansichtig macht. Aber wie vermag die Kunst dieser nur im Paradox formulierbaren Aufgabe zu genügen? Wird ihr diese Aufgabe zu Recht gestellt, oder ist es ein unangemessener Anspruch, dessen Erfüllung als etwas Fremdes in die Kunst hineingedeutet würde? Ist dies nicht eine ,moderne',,esoterische', etwa ,mystische' ,Auffassung' von der Kunst, die sich keineswegs auf die Kunst überhaupt in ihrer doch höchst verschiedenartigen Geschichte übertragen läßt? Solche Fragen gehen darum an der gegebenen .Bestimmung' der Kunst vorbei, weil in dieser keine b e s t i m m t e A u f f a s s u n g von der Kunst ausgesprochen wird. Die Kunst wird vielmehr an der absoluten Bestimmung alles Bestimmten orientiert. Widerlegen läßt sich der aus ihr abgeleitete Anspruch an die Kunst daher nicht durch den Hinweis auf irgendeine andere Bestimmung, denn dieser Anspruch umgreift jeden bestimmten Anspruch. Kunst weist über jegliche ihr eigentümliche Bestimmtheit hinaus in ihren Grund als reine Zuständlichkeit, und dabei ist also jegliche ihr mögliche verschiedenartige Bestimmtheit anerkannt. Daß sie sich in der Bestimmtheit nicht erfüllt, ergibt sich daraus, daß sie den Menschen als weltauslegende in eigener Weise angeht. Sie ist nicht nur ein Bestimmtes, sondern ein Bestimmtes, das selbst Welt auslegt, das zu erkennen gibt. Es läßt sich der dargestellte Anspruch der Kunst nur leugnen, wenn jegliche E r k e n n t n i s b e d e u t u n g der Kunst geleugnet würde. Denn versucht man, Kunst n u r als etwas Bestimmtes aufzufassen, und so die Theorie der Kunst an einem bestimmten Oberbegriff zu orientieren, so geht ihre Welt auslegende B e d e u t s a m k e i t verloren. Sie wäre ein Ding unter anderen Dingen, dessen Bedeutsamkeit erst daraus sich ergeben würde, daß der Mensch es zu einem bestimmten praktischen Zweck zu nutzen vermöchte. Diesen Nutzen würde es in seinem wissenschaftlichen Gebrauch, in seiner Auslegung entfalten können, wie andere Dinge, deren Auslegung auf einen bestimmten praktischen Zweck hin sie dem Menschen bedeutsam macht. Wäre dem so, dann wäre die Kunst überflüssig, sie wäre,
Das Zeigen von Totalität
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wie es Zeitalter mit bestimmter dogmatischer Ästhetik zu Recht meinen, ein bloßer Schmuck des Menschen, seine Überflüssigkeit und bestimmte praktische Brauchbarkeit wäre die eines Angenehmen.597 Das bedeutete aber gleichzeitig, daß der Mensch nicht wesentlich auf die Kunst angewiesen wäre, er könnte ihrer entbehren, weil sie nur unter bestimmtem Gesichtspunkt für ihn bedeutsam wäre. Ist der Mensch aber nur unter bestimmtem Gesichtspunkt auf die Kunst angewiesen, muß er sich selbst als bestimmter vorhanden glauben, die vorgefundene Bestimmtheit wird selbst erst die Ursache dafür, daß Kunstdinge für ihn brauchbar sind. D e r G l a u b e , K u n s t sei e t w a s B e s t i m m t e s , f ä l l t z u sammen mit dem G l a u b e n , der Mensch k ö n n e mit seiner Bestimmtheit wie mit einem Vorgegebenen rechnen. Glaubt sich der Mensch nicht als bestimmt vorhanden, ist die Welt des Menschen ihm nicht als bestimmte immer und zweifellos da, bedarf er ihrer Erkenntnis schon in seiner praktisch bestimmten Orientierung — bedarf der Mensch also einer Auslegung der Welt, weil d i e W e l t i h m n i c h t o h n e w e i t e r e s d a i s t , ist der M e n s c h a l s o a u f K u n s t a n g e w i e s e n — dann kann die Kunst nicht etwas sein, das selbst mit der Bestimmtheit des Menschen rechnet. Sie muß vielmehr an seine ursprüngliche S i n n - b e d ü r f t i g k e i t , an seine Unbestimmtheit als absolute Subjektivität, anknüpfen, und ihm v o n i h r h e r s e i n e B e s t i m m u n g s m ö g l i c h k e i t e n e r ö f f n e n . Die Kunst ist a l s o nur für den Menschen b e d e u t s a m , weltauslegend, w e i l s i e ü b e r i h r e B e s t i m m t h e i t h i n a u s w e i s t . Sie ist bedeutsam nicht durch ihre Beziehbarkeit auf den Menschen, wie er als bestimmter neben anderem Bestimmten geglaubt wird, sondern sie ist bedeutsam im wesentlichen Sinne nur dadurch, daß sie den Menschen als Totalität betrifft. Nur so ist sie E r k e n n t n i s im w e s e n t l i c h e n S i n n , denn Erkenntnis besteht in der Beziehung eines Einzelnen auf seinen Begriff, absolute Erkenntnis in der Beziehung eines Bestimmten in der Subjektivität als Totalität. Es leuchtet nun ein, daß der Kunst die Totalität des Bestimmten, insofern sie in der 597
In solch einem .Angenehmen' bestehen alle notwendig zeitgebundenen Schönheitsideale, die in ihrer Bestimmtheit Moden der Meinung sind. Immer wenn ein .Bestimmtes' im Gegensatz zu einem andern als schön empfunden wird, handelt es sich um solch ein Angenehmes, das zwar auch schön ist im eigentlichen Sinn, aber gerade nicht in dieser seiner Bestimmtheit. Der in dogmatischer Meinungsbestimmtheit befangene Mensch nimmt sich gewöhnlich nur bei solchen Kunstwerken, die seiner vorurteilenden Dogmatik zu entsprechen vorgeben, die Mühe, auf ihr Scheinen aufmerksam zu sein. Was bei dieser Gelegenheit bloßer Anlaß für das Erlebnis des Schönen war, wird in seiner Bestimmtheit als Ursache dafür genommen und das erfahrene Zeigen seiner Unmittelbarkeit wird nun als Eigenschaft dieses Kunstwerks in seiner Bestimmtheit geglaubt.
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Kunst und reine Z u s t ä n d i g k e i t
Dialektik des reinen Denkens als solche Totalität sich herstellt, verschlossen ist. Kunst ist nicht reiner Gedanke. Sie ist nur insofern absolute Erkenntnis, als sie das Bestimmte zeigt, wie es in der absoluten Subjektivität als Zuständlichkeit seinen Grund hat. Sie gibt also dem Menschen Welt, indem sie diese aus ihrer unbestimmten Unmittelbarkeit heraus aufbaut. Ihre Erkenntnisfunktion, ihre welt-gebende Funktion besteht also gerade in der Auflösung des Bestimmten, weil sie nur als Scheinen die Beziehung auf die Subjektivität als Totalität herstellt. Sie ist also i m g l e i c h e n M a ß e o r i e n t i e r e n d wie sie d e s o r i e n t i e r e n d ist, sie ist s i n n l o s und s i n n v o l l z u g l e i c h . 5 9 8 Sie gibt dem Menschen Welt, indem sie diese aus der unbestimmten Unmittelbarkeit heraus aufbaut, die also in ihr irgendwie selbst gegenwärtig sein muß. Der Mensch findet in der Kunst nur darum eine Auslegung der Welt, weil und sofern sie in die reine Zuständlichkeit ihrer selbst als ihren Grund verweist. D i e V e r s t e h b a r k e i t v o n K u n s t i s t a l s o n u r d i e a n d e r e S e i t e i h r e r U n v e r s t ä n d l i c h k e i t , nur soweit sie unverständlich ist, ist sie auch verstehbar. Kunst nur als bestimmte, etwa als Beschreibung der Welt in dem Sinn, daß sie eine zweifellos vorhandene gegebene Bestimmtheit des Menschen nur wiederholt, ist gar nicht denkbar. Sie wäre nicht nur überflüssig, sondern sie wäre darum dem Menschen gar nicht zugänglich, sie wäre nicht mehr verstehbar. D e r M e n s c h als b e s t i m m t v o r h a n d e n g e g l a u b t e r h ä t t e in s e i n e r B e d ü r f n i s l o s i g k e i t n i c h t m e h r d i e M ö g l i c h k e i t zu v e r s t e h e n , er könnte sich gar nicht auslegen, oder auch nur auslegen wollen, er hätte seine absolute Subjektivität verloren und wäre nach Analogie eines bestimmten Dinges gedacht, das in einem fraglosen An-sichbestehen subjektunabhängig dogmatisiert ist. Geht die Kunst den Menschen irgend etwas an, versteht er sie, dann r e c h n e t s i e selbst a l s w e l t a u s l e g e n d e m i t s e i n e r S i n n b e d ü r f t i g k e i t , mit der ursprünglichen Unbestimmtheit des Menschen. Sie bezieht also den verstehenden Menschen als sinnbedürfenden mit ein. E r kann sich so in ihr finden und von seiner anerkannten Unbestimmtheit her auch erst seine Bestimmtheit in ihr finden. Dasjenige, was verstanden werden kann, was also Bestimmtheit eröffnet, kann nicht selbst in einer Bestimmtheit als solcher sich erschöpfen. D i e D i n g e d e u t e n d e K r a f t des , D i n g e s ' K u n s t k a n n n i c h t s e l b s t in s e i n e r D i n g h e i t l i e g e n . Dasjenige, was dazu dienen kann, Bestimmtes erkennen zu lehren, 598
In diesem Zusammenhang wird Musil zu verstehen sein, wenn er sagt, „zwischen diesen beiden Gegensätzen des Allzu-Sinnvollen und des AllzuSinnlosen liegt die Dichtung in allen Graden der Vermengung ausgebreitet und läßt sich als ihre freundlich-feindliche Durchdringung auffassen". (Tgb. S. 710)
Das Zeigen von Totalität
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kann nicht selbst nur Bestimmtes sein. Weltauslegend ist ein ,Ding' nur, das nicht nur Ding ist, sondern zugleich auf seinen Charakter als Moment der Subjektivität weist. Auslegend, Bestimmtes verstehen machend, ist etwas nur dadurch, daß es bezogen ist in der absoluten Subjektivität, insofern es in den ursprünglichen Momenten dieser absoluten Subjektivität seinen Grund findet. Da aber die Kunst Auslegung von Welt in ihrer Mannigfaltigkeit ist und darum nicht Denken im reinen Sinn, deren Thema einzig das Bestimmte in seiner Reinheit als Bestimmtes ist, bleibt ihr nur die Gründung ihrer selbst als erkennender in der reinen Subjektivität als unmittelbarer, als reiner Zuständlichkeit. Die Kunst ist darum nicht erkennend im strengen Sinn, in dem Erkenntnis das Denken des absoluten Widerspruchs ist, wie er sich in seiner Dialektik zum Bestimmten überhaupt entfaltet. Kunst legt vielmehr Welt aus, gibt dem Menschen seine differenziert mannigfaltige Welt so, daß sie das Bestimmte in der Offenheit seines Scheinens so zeigt, wie es seinen Grund hat in der Totalität als Zuständlichkeit. Die Kunst ist Erkenntnis, doch auf einem Feld, das ihr von keiner anderen Erkenntnis streitig gemacht wird. Sie entbehrt den Charakter, Erkenntnis zu sein, nicht etwa darum, weil sie im Scheinenlassen des Bestimmten, dieses in seiner Bestimmtheit auflöst. A u f l ö s e n d ist auch die reine Erkenntnis, die das Bestimmte dadurch wahrhaft erkennt, daß sie es als den Widerspruch der absoluten Subjektivität denkt und so seine falsche Positivität, die es in einem blinden Glauben hat, zerstört. In beiden Fällen, in der Kunst sowohl wie in der reinen Erkenntnis wird das Bestimmte aus einem bloß geglaubten zu einem wahren dadurch, daß es in d e r T o t a l i t ä t d e r S u b j e k t i v i t ä t a u f g e h o b e n ist. Die dogmatisierte Fixiertheit des Bestimmten wird in beiden Fällen verloren, so ist Kunst wie reines Denken Erkenntnis. Doch die K u n s t hat als Erkenntnis eine e i g e n e S p h ä r e dadurch, daß sie das Bestimmte in der Fülle seines Scheinens ansichtig macht, während d a s E r k e n n e n a l s r e i n e s D e n k e n das Bestimmte ganz aus den inneren Bedingungen des Denkens entwickelt und sich n i c h t in d i e weglose Fremdheit und Ä u ß e r l i c h k e i t der K o n t i n g e n z o d e r d e s S i n n l i c h e n h i n a u s w a g t . Der Mensch, sofern er nicht denkender ist und sich in der Unbestimmtheit seiner reinen Zuständlichkeit vorfindet, bedarf der Kunst um die differenzierte Bestimmtheit überlieferter Welt zu ,lernen'. Die Abstraktion der Wissenschaft und des Denkens setzt die Fülle der scheinend gegenwärtigen Welt in ihrer unbestimmt unmittelbaren Zuständlichkeit voraus, macht sie nicht selbst ansichtig.589 Am auffälligsten ist dies dem natürlichen Vorstellen schon im 599
Das gilt auch für das reine Denken, das die Kontingenz als Grenze und
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K u n s t und reine Zuständlichkeit
anthropologisch-gesellschaftlichen Bereich des Wissens. Doch gilt es für die Totalität des Bestimmten überhaupt, daß der Mensch auf die Erkenntnis des Bestimmten als Kunst angewiesen ist, weil alles Bestimmte seinen unverfügbaren Grund hat in der reinen Zuständlichkeit der Subjektivität des Menschen als solcher. Es ergibt sich also, sofern diese kurzen Andeutungen bezogen auf ihre Erarbeitung im Vorhergehenden wirklich vollzogen werden, daß die Kunst darum nicht als bestimmte angesehen werden kann, w e i l sie erkennend, weltauslegend ist. Weltauslegend ist sie gerade nicht als bestimmte, sondern indem sie die Beziehung zur Totalität als Scheinen erfüllt. Daß also die Kunst so genommen werden will, wie sie auf Unmittelbares zeigt, ergibt sich daraus, daß sie verstanden werden will, oder daraus, daß sie vom Menschen als eine solche gemacht ist, daß nicht von einem bestimmten Begriff ihres praktischen Zwecks ausgegangen wird. Die Kunst ist z w e c k l o s , als Erkenntnis, und darin wieder dem reinen Denken verwandt. Nimmt man die Schönheit der Kunst als bestimmte an, so verliert sie ihre praktische Zwecklosigkeit, es müßte dann ein bestimmter Zweck ihres Gemachtseins gezeigt werden können, der aber als bestimmter Zweck nicht ein Erkennen im strengen Sinn sein könnte. Andererseits hat es seinen verständlichen Grund, daß die Kunst als ein Bestimmtes mißverstanden wird, denn sie ist, anders als das reine Denken, ohne Zweifel auch ein Bestimmtes, ein Ding, — oder genauer, sie kann als solches genommen werden — und n u r d a r u m ist hier im Gegensatz zur Abstraktion des reinen Denkens in diesem gemachten Bestimmten als dessen Grund die Fülle des Scheinens selbst gegenwärtig. Daß es e i n in s e i n e e i g e n e Z u s t ä n d l i c h k e i t Z e i g e n d e s ist, muß also v o n e i n e m B e w u ß t s e i n , d a s n u r m i t B e s t i m m t e m r e c h n e t , n o t w e n d i g ü b e r s e h e n w e r d e n , denn die Kunst ist ja ein Bestimmtes und da ihr Zeigen nicht selbst ein bestimmtes ist derart, daß es wie eine esoterische Eigenschaft des Kunstwerks in einem bestimmten Begriff zu fassen wäre, m u ß es übersehen werden. Gleichzeitig kann die Kunst auch nur darum Unvermittelbares zeigen, weil dies als absolutes Moment jegliches Bestimmten gelten kann. Jedes Bestimmte ist reine Zuständlichkeit. Alles ist schön. Aber nur die Kunst macht als Erkenntnis dieses Schöne sichtbar. Und die Kunst hat offenbar ihre Sonderstellung nur darum, weil sie auf diese Zuständlichkeit eigens aufmerksam macht, und das, obwohl sie nicht Denken ist, dem die Totalität im Widerspruch ihrer Momente als solche zugänglich ist, und das so auch die Zuständlichkeit als Grenze des Bestimmten z u d e n k e n vermag. M o m e n t des Absoluten wohl allererst bewußt anerkennen lehrt. In seiner unbestimmten Fülle ist das, was dem D e n k e n jenseitige Grenze der Bestimmtheit und sein G r u n d ist, nur unmittelbar gegenwärtig.
F . D a s Z e i g e n der K u n s t und ihr C h a r a k t e r als G e m a c h t e : D e r Begriff der Mimesis Was ist also dieses Z e i g e n , das nicht eine eigene Bestimmung der Kunst sein kann und doch nicht die Zuständlichkeit als Moment der Totalität selbst ist, denn durch das Zeigen macht ja w e s e n t l i c h d i e K u n s t auf die Zuständlichkeit aufmerksam? Was ,unterscheidet' das Kunstding von anderen Dingen so, daß es als Bestimmtes dasselbe ist und doch über sich h i n a u s w e i s t a u f e t w a s , d a s w i e d e r u m C h a r a k t e r a l l e s B e s t i m m t e n i s t , das aber als absolutes Moment dem natürlichen, unterscheidenden Vorstellen nicht bemerkbar ist, obwohl es prinzipiell als Grund und Grenze jegliches Bestimmten in ihm gegenwärtig ist? Dieser ,Unterschied' des zeigenden Kunstdinges von anderen Dingen liegt in s e i n e m G e m a c h t s e i n . A l s g e m a c h t e s weist es auf seine eigene Zuständlichkeit, denn in diesem Gemachtsein ist es ursprünglich auf die Zuständlichkeit der Subjektivität bezogen. Doch wie läßt sich sicherstellen, daß in dieser Erklärung des Zeigens die absolute Bestimmung des Schönen nicht verloren geht? Wird das Zeigen, indem es also von dem Gemachtsein des Kunstdinges her verstanden wird, indem es also in gewissem Sinn erklärt wird, nicht zu einem Bestimmten? Ist eine Bestimmung des Zeigens nicht in jedem Fall der apophantischen Struktur unterworfen, indem das Zeigen in seiner möglichen Unmittelbarkeit a l s e t w a s , als Gemachtsein, verstanden wird, ist es nicht damit bestimmt? Um einem Mißverständnis solcher ,Erklärung' des Zeigens zu entgehen und die Orientierung der Kunst an einer Totalitätsbestimmung zu gewährleisten, bedarf es also zumindest strengerer Erläuterungen. 600 Das 800
Genauso wie die ursprüngliche Reinheit des Erlebnisbegriffs als reiner Zuständlichkeit fälschlich als Oberbegriff für eine Beschreibungstheorie dogmatisiert wurde, so wurde auch das G e m a c h t s e i n des Kunstwerks, das, recht verstanden, die Beziehung des Bestimmten auf die absolute Subjektivität sicherstellen kann, in versdiiedener Weise dogmatisiert, am gröbsten etwa dann, wenn in diesem G e m a c h t s e i n die Beziehung auf eine biographische Person des Künstlers vorgestellt wurde. Entsprechend zur stillschweigenden, unausgewiesenen und unausgesprochenen positivistischen Dogmatisierung des Erlebnisbegriffs kam es zur psychologischen Dogmatisierung eines Erlebnis-ich, das als einheitlich Bestimmtes zwar fest geglaubt wurde, ohne daß aber die bestimmte Einheit in dieser Unmittelbarkeit sich ausweisen ließe.
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Das Zeigen der Kunst und ihr Charakter als gemachte
Kunstding ist nicht einfach als Gemachtes schon auf seine eigene Zuständlichkeit weisend, es ist n i c h t wie irgendein bestimmtes Gerät a l s e t w a s g e m a c h t in der Weise, daß seinem Gemachtsein ein bestimmter Zweck durchaus zugrunde liegt. Es ist nicht als Kunstwerk gemacht, insofern es zu einem bestimmten Kunstgebrauch dienlich sein könnte. 601 Es ist vielmehr ein Kunstding nur in dem Sinn, als es z u u n b e s t i m m t e m Z w e c k g e m a c h t ist. Denn so kann es Erkenntnis sein. Nur so kann es auf sich selbst weisen als auf seine eigene Zuständlichkeit. Als das durch ein Subjekt zu unbestimmtem Zweck Gemachte weist es als erlebtes auf die unbestimmte Zuständlichkeit des Subjekts. In d i e s e m Sinne ist Kunst Nachahmung (Mimesis) der Natur, des Bestimmten überhaupt. Sie ist mimetisch in dem Sinn, daß sie ein Bestimmtes macht, um dieses als es selbst zu zeigen, nicht um es als ein auf einen bestimmten Zweck hin Entworfenes zu gebraudien. Sie ahmt nur nach, das heißt sie macht es, um der Zuständlichkeit auf dem Grunde des Bestimmten gewahr zu werden und gewahr zu machen. 802
601 002
Audi hier ist der Positivismus der „L. U." lehrreich, der ebenso die bestimmte Einheit des Erlebnisstroms glaubt unmittelbar voraussetzen zu können: Vgl. dazu o. d. Husserldiskussion. Also etwa ein .prodesse' oder ein ,delectare', sofern beides naiv als die bestimmte Bestimmung der Kunst gedeutet wird. Käte Hamburger hat in ihrer neue poetologische Kategorien suchenden Arbeit, „Die Logik der Dichtung", eine Interpretation der Aristotelischen Mimesis zu geben versucht, die diesen Begriff von seiner rationalistischen kunsttheoretischen Einengung befreien könnte, insofern sie die [Ú[NIAIS aus der JIOÍT)OI; der Dichtung zu verstehen empfiehlt. „Aristoteles zeigt, daß für seinen Begriff der U.ÍU.T1015 weit weniger die in ihm gewiß enthaltene Bedeutungsnuance der Nachahmung als der Grundsinn des Darstellens, Machens entscheidend ist." (a.a.O. S. 8) Es läge in dieser Interpretation gleichzeitig eine der griechischen Intention wohl fernliegende aber sachlich auch in ihr angelegte Beziehung auf die Subjektivität. Beide Aspekte der Dichtung, ihr Gemachtsein als Fiktion und die darin angelegte Beziehung auf die Subjektivität des Menschen werden von K. Hamburger nicht in ihrem möglichen Bedeutungsgehalt ausgeschöpft. Die Enge des Horizontes dieses poetologischen Versuchs konnte die Kritik dann dazu führen, die Notwendigkeit poetologischen Fragens überhaupt zu leugnen. So konnte H . Weinrich, ausgehend von einem naiven, im weitesten Sinn positivistischen Sprachbegriff gegen K. Hamburger formulieren: „Wir brauchen nämlich keine Logik der Dichtung sondern eine Linguistik der Literatur". (Harald Weinrich „Tempus. Gesprochene und erzählte Welt" S.21), als ob eine Linguistik ohne die Basis einer Logik als Ontologie möglich wäre. Audi gegen eine Kritik von K. Hamburgers Versuch, die die Enge von H.s Grundbegriffen im Gefühl für die differenziertere Tiefe von Dichtung zwar spürt, ohne sie aber kritisch bewußt artikulieren zu können, behauptet K. Hamburgers klare, fest umgrenzte, Neuland entdeckende Problemstellung in der Literaturwissenschaft den Vorrang. Das Problem einer .Logik der Dichtung' bleibt durch sie zu Recht gestellt. Doch wird man die Dichtung nicht als , T e i l ' des allge-
Der Begriff der Mimesis
253
Die Mimesis der Kunst kann also wohl als Nachahmen der Natur verstanden werden, wenn man sich dabei der ontologischen Problematik dessen, was Natur (Bestimmtes überhaupt, Gegenständlichkeit überhaupt) ist, bewußt ist. Die Kunst als M i m e s i s ist n i c h t e i n ü b e r f l ü s s i g e s N o c h - e i n m a l - m a c h e n , d e s s e n , w a s in f r a g l o s e r B e s t i m m t h e i t s c h o n v o r h a n d e n w ä r e . Die Kunst ist also in diesem Sinn nicht eine .andere Natur', als ob sie sich außerhalb dessen zu stellen vermöchte, was Natur als Bestimmtes überhaupt ist, als ob sie gegenüber der Natur als einem Anderen in dieser Nachahmung selbständig sein könnte. Ist sie Nachahmung der Natur als Totalität, kann sie gegenüber der Natur keine eigene Region von Seiendem einnehmen, sie ist nicht ein bestimmtes Anderes zur bestimmten Natur, sie ist vielmehr diese selbst, die aber in ihrem Gemachtsein, in ihrem zwecklos Nachgeahmt-sein die Zuständlichkeit dieses Bestimmten ansichtig zu machen vermag. Die Nachahmung der Kunst transzendiert also wohl die Bestimmtheit der Natur in Richtung auf die Idee. Aber nun auch nicht so, als könne die Kunst versuchen, die Natur oder ihren bestimmt vorgestellten Schöpfer etwa durch sogenannte ,idealisierende' Nachahmung zu übertreffen. Das wäre unsinnig, weil die Kunst als Mimesis des Bestimmten überhaupt ersichtlich nicht über sie hinauszugehen vermag, weil ja die Natur in diesem Sinn Totalität und ein Über-s i e-hinaus undenkbar ist. Die recht vermeinen Vorstellungs- und Sprachsystems verstehen können, denn so wird die ästhetische Totalität der Dichtung verkannt, die aber allererst siditbar wird im ontologischen Horizont des Denkens. K. Hamburger versteht die |.iinT|0is-Struktur der Dichtung nicht in diesem, durch vorliegende Arbeit erläuterten Horizont. Sie denkt die Fiktivität der Dichtung nicht als solche, sondern hebt sie nur negativ gegen einen ontologisch unausgewiesenen dogmatischen Wirklichkeitsbegriff ab. „Was in der Zeit sich vollzieht, ist wirklich und vollzieht sich eben darum unabhängig davon, ob es zum Objekt einer Aussage wird oder nicht". (a.a.O. S. 24) Fiktion ist wesentlich Nicht-Wirklichkeit (s. a.a.O.: ,Nichtwirkliches oder Fiktives'), das heißt, ein Anderes zu einer vorausgesetzten faktischen Wirklichkeit. Obwohl K. Hamburger „den logischen, im weiteren Sinn erkenntnistheoretischen Ursachen" im Erlebnis der Nichtwirklidikeit von Dichtung nachzugehen verspricht, spielen doch alle ihre Bemerkungen über Dichtung in dem starren fix vorausgesetzten, positivistischen erkenntnistheoretischen Schema. Sie denkt nicht das Verhältnis von Wirklichkeit und Nichtwirklidikeit der Dichtung und fragt nicht dem nach, was die vorausgesetzte Wirklichkeit ist, sie gibt nur Erläuterungen innerhalb dieses Schemas. Eine besonders gegenüber Hegel sich kundtuende (a.a.O. S. 11 f.) leichtfertige Naivität gegenüber den Ansprüchen philosophisdier Fragestellung verbirgt ihr diese Enge ihres Ansatzes, der ihr zu Recht den verschwommenen Voraussetzungen in der Literaturwissenschaft sonst um seiner eindeutigen Begrifflichkeit willen überlegen scheinen muß. Die Uberflüssigkeit von Dichtung in einer schon vor aller Dichtung ur-
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Das Zeigen der Kunst und ihr Charakter als
gemachte
standene Idealität der Kunst bedeutet also nicht ein
Transzendieren
des Endlichen derart, daß die Kunst gegenüber der N a t u r einen ,höheren' Bereich finden könnte. Dies kann nur möglich scheinen, wenn die N a t u r abstrakt vorausgesetzt wird als ein dem Subjekt gegenüberstehendes von ihm unabhängiges Anderes. Denkt man die Idealität der Kunst in ihrem einzig möglichen Sinn, so überschreitet, transzendiert sie das Bestimmte wohl in seiner je geglaubten Bestimmtheit, insofern sie die Totalität als die Bedingung der Möglichkeit des Bestimmten ansichtig macht. N u r als solche Totalitätsbestimmung ist aber auch die Transzendenz der Idee kritisch denkbar. Sie vermag das Bestimmte nur insofern zu transzendieren, als in ihr dies Bestimmte in seiner Totalität gedacht ist, in der es, wie oben gezeigt wurde, gegenüber jeglichem Anderen selbständig frei, das ist absolut, gilt. D i e I d e e kann das Bestimmte n i c h t in ein l e e r e s Nirgendwo
transzendieren, sondern, in der Ausdrucksweise
Kants,
nur in deren eigenen „transzendentalen" Grund. Die Idealität der Kunst ist also ihre Beziehung auf die Totalität, die ihr aber in ihrer konkreten Bestimmtheit als das reine ,Ich denke' verschlossen und ihr nur als reine Zuständlichkeit zugänglich ist. Die Idealität der Kunst ist a-!so ihr Scheinen, und sie macht dieses Scheinen des Bestimmten so sichtbar, daß sie es um seiner selbst willen nachahmt. E r s t
die
M i m e s i s der N a t u r m a c h t auf ihre I d e a l i t ä t als r e i n e
Zu-
s t ä n d l i c h k e i t a u f m e r k s a m . Erst in ihr wird das Bestimmte nicht in seiner Bestimmtheit und abstrakten Isoliertheit genommen, in der es sonst dem zweckbestimmten Handeln des Menschen als Geglaubtes gilt. sprünglich vorausgesetzten fix gedeuteten Wirklichkeit wird durch diese abstrakte Logik der Dichtung erwiesen, deren Rahmen ein dogmatisch naturalistischer Kunstbegriff ist, für dessen Erläuterung K. Hamburgers Beobachtungen mannigfaltige Einzelheiten bieten: so ist dann auch diese Logik der Dichtung mit innerem Recht ,Thomas Mann dargebracht'. Daß die Bestimmung der Dichtung als Mimesis im Sinn K. Hamburgers am W e s e n der Dichtung vorbeigeht und nur Randphänomene erläutern kann, erweist K. Hamburger selbst dadurch, daß sie die Lyrik als nicht-mimetische Gattung gesondert behandeln muß. Wäre es da nicht fruchtbarer gewesen, den Begriff der ulriumc so zu fassen, daß er die Lyrik mit zu umfassen vermag und so die Dichtung überhaupt aus dieser auch von K. Hamburger geahnten Tiefendimension der Lyrik her zu verstehen? Gilt nicht, was H . von der Lyrik bemerkt, wesentlich für alle Dichtung: „Fragen wir, wie ein lyrisches Gedicht zu bestimmen ist, so lautet die Antwort, die wir zunächst zu geben haben, wie eine Tautologie. Denn wir können zunächst nur sagen, daß es das Gedicht selbst ist, das das lyrische Gedicht und damit die Lyrik definiert." (a.a.O. S. 162) Hier ist der Totalitätscharakter der Dichtung für die Lyrik geahnt. Und ist damit nicht anerkannt, daß K. Hamburgers Lyrikbegriff einen weiteren Horizont hat als ihr Mimesisbegriff, daß also die Mimesis in Hinsicht auf den Totalitätscharakter von Dichtung zu interpretieren ist?
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Im Nachahmen der N a t u r wird von jeglicher Bestimmung dieser Natur, die als Zweck eines Machens dienen könnte, abgesehen und diese rein als sie selbst genommen. Aber wie ist es erklärlich, daß gerade im Machen der Kunst die Totalität als reine Zuständlichkeit ansichtig wird? Weil i m M a c h e n als in e i n e m H a n d e l n , einem Bestimmen, d i e S u b j e k t i v i t ä t des Menschen s i c h z u r G e l t u n g b r i n g t , u n a b h ä n g i g d a v o n , o b d e r M e n s c h s i c h a l s S u b j e k t z u d e n k e n g e l e r n t h a t . So macht sich auch die Subjektivität in ihrer reinen Bestimmung als ,Ich denke' i m H a n d e l n des Menschen f r ü h e r a l s i m t h e o r e t i s c h e n B e r e i c h geltend. Das Recht, als p r a k t i s c h e s Gesetz, ist dem Menschen geschichtlich früher und unabhängig davon geläufig, ob er theoretische Wissenschaft hat und theoretische Gesetze zu denken gelernt hat. Das .Gewissen' unterstützt, wie K a n t gezeigt hat, mit k a t e g o r i s c h e r Gewalt die bestimmten geglaubten Forderungen der natürlichen Sitte, wenn die Glaubensinhalte auf theoretischem Gebiet sich zur allgemeinen Verbindlichkeit theoretischer Form durchaus noch nicht geläutert haben. 603 Der Grund d a f ü r liegt im Begriff des Handelns als Kausalität des Subjekts. Ist der Mensch zu Recht als Subjekt gedacht und ist dieses Subjekt als Totalität zu denken, so muß er in seinem Handeln Grund seiner selbst sein, denn ein Anderes, das dieser Grund sein könnte, ist nicht denkbar. Die N a t u r als Anderes zum Subjekt ist ja in dieser absoluten Subjektivität mitgedacht. N u n ist das Subjekt als Grund seines Bestimmens nicht nur reine Beziehung, absolutes Eins, reines ,Ich denke'. Es ist also in seinem Handeln nicht nur sittliches Wesen, das unter dem Anspruch des kategorischen Imperativs steht, vielmehr ist dieses absolute Subjekt ursprünglicher noch reine Zuständlichkeit, und auch als diese reine Zuständlichkeit muß es als möglicher reiner Grund seiner Selbstbestimmung, seines Handelns, aufgefaßt werden können. Der Mensch ist also u r s p r ü n g l i c h e r noch, a l s e r s i t t l i c h e s W e s e n i s t , p o e t i s c h e s W e s e n . Der Mensch kann und muß nicht als Handelnder seine absolute Subjektivität schon 603
Dies ist der Grund, warum das ,Gewissen' zu Recht nicht als geschichtliche Erscheinung behandelt werden kann. Gewiß ist seine inhaltliche Bestimmung zweifelhaft, wechselnd und sogar völlig zu leugnen, nicht aber die Erfahrung von gesetzlicher Verbindlichkeit, die den jeweiligen Inhalt jedermann als Handelnsmaxime abverlangt. Zweifelhaft und durch keine übergeschichtliche Autorität für jedermann zu legitimieren ist die inhaltliche Handlungsbestimmung. Wird aber irgendeine Bestimmung geglaubt und eingesehen, so wird sie überall in der Geschichte als kategorisch nötigend, als Gesetz des Handelns, empfunden, denn der Glaube an eine Handlungsbestimmung ist nichts anderes als der Glaube an einen allgemeinen Bestimmungsgrund des Handelns.
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Das Zeigen der Kunst und ihr Charakter als gemachte
dadurch verlieren, daß er nicht das reine ,Ich denke' zum Grund seines Handelns macht. A l s s i c h B e s t i m m e n d e m i s t ihm d a s r e i n e G e s e t z als ausschließlicher Grund seiner Bestimmung sogar v e r s c h l o s s e n , insofern er sich konkret nur so bestimmen kann, daß seine Bestimmtheit andere Bestimmtheit ausschließt. Aber d a m i t v e r l i e r t e r n i c h t s e i n e S u b j e k t i v i t ä t als Handelnder a n e i n e f ü r s i c h s e i e n d e b e s t i m m t e N a t u r , — wie Kant geglaubt hat — derart daß er nun als Glied eines an sich notwendigen subjektunabhängigen Naturprozesses vorgestellt werden könnte. Er bleibt trotzdem Handelnder und insofern Subjekt, auch wenn er nicht durch das reine ,Ich denke' bestimmt ist. Aber nun ist die absolute Subjektivität nicht mehr als reine Beziehung Grund seiner Handelnsbestimmtheit, sondern die Subjektivität in ihrem absolut anderen Moment als reine Zuständlichkeit. Die „ N a t u r " kann als bestimmt vorhandene nur geglaubt werden und kann darum auch nur als geglaubte Bestimmungsgrund des Handelns sein. I n W a h r h e i t k a n n d a s S u b j e k t , n u r s o w i e es a l s T o t a l i t ä t i s t , G r u n d seiner s e l b s t s e i n , ob der M e n s c h nun d a r u m weiß oder nicht. U n z w e i f e l h a f t gewiß ist als G r u n d seiner Bes t i m m b a r k e i t die S u b j e k t i v i t ä t nur als reine Z u s t ä n d l i c h k e i t . Der Mensch kann auch in seinem Handeln mit der bestimmt gegebenen Vorhandenheit seiner als bestimmter Natur nicht rechnen. Gerade als Handelnder ist er Subjektivität und diese ist in ihrer Wahrheit als Totalität nicht eine bestimmt vorhandene, sondern auch, so wie sie Grund ihrer selbst im Handeln sein kann, an sich unbestimmte reine Zuständlichkeit. Auf diesem Grund erhebt sich der Mensch als Handelnder und ebenso wie auf theoretischem Gebiet ergibt sich die artikulierte Bestimmtheit seiner Zwecke erst aus der Dialektik der reinen Momente der Subjektivität als Totalität. Der Zweck des Menschen als Bestimmungsgrund seines Handelns ist ebensosehr reine Zuständlichkeit wie reine Allgemeinheit. Ergibt sich die Bestimmtheit des Zwecks nur aus der Dialektik dieser reinen Momente, so folgt daraus, daß für den Menschen als Handelnden, in d e m M a ß , w i e er n i c h t d u r c h d i e r e i n e A l l g e m e i n h e i t des Sittengesetzes b e s t i m m t i s t , d i e Z u s t ä n d l i c h keit selbst unbestimmter Zweck seiner Bestimmbarkjeit wird. Vermag der Mensch zu handeln, das heißt, vermag er als Subjekt Grund seiner selbst zu sein, dann nur so, daß der Mensch in seiner vollen Subjektivität als Totalität wahrer Grund seiner selbst ist. Auch in seiner Freiheit, die er als Handelnder hat, ist er gebunden an die Kontingenz seiner Zuständlichkeit. Aber um der Unbestimmtheit dieser reinen Zuständlichkeit willen ist er auch erst frei, s i c h z u m a c h e n . Er hätte diese Freiheit nicht, müßte er mit seiner ursprünglich gegebenen Bestimmtheit
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rechnen, wäre er also nicht ursprüngliches Subjekt auch als unbestimmte Zuständlichkeit. Müßte der Mensch mit seiner Naturbestimmtheit r e c h n e n , so w ä r e s e i n e F r e i h e i t g a n z u n d g a r i l l u s o r i s c h . Bestände die Subjektivität des handelnden Menschen allein in seiner Bestimmbarkeit durch das reine Sittengesetz, verlöre er also — sofern das ,Ich denke' sich nicht als Bestimmungsgrund seines Handelns geltend macht — die Fähigkeit, Grund seiner selbst zu sein und könnte mit seiner Naturbestimmtheit rechnen, dann verlöre der Anspruch auf eine Moralität des Menschen jegliche Berechtigung. Und sie hätte, da sie in ihrer abstrakten Formalität ein l e e r e r Anspruch ist, die Realität einer überflüssig monströsen leeren Heuchelei. Könnte der Mensch mit seiner „bestimmten Tierheit" als „Trieb" rechnen, wozu sollte er sich mit der Würde seiner Moralität brüsten? Der Mensch b e d a r f aber des reinen Handlungsgesetzes darum, weil er das u r s p r ü n g l i c h „ n i c h t f e s t g e s t e l l t e T i e r " ist, weil er mit seiner Bestimmtheit nicht rechnen kann, weil er in seiner Zuständlichkeit unbestimmtes Chaos ist und also auch im Handeln den Zweck in seiner Bestimmtheit erst herstellen muß.604 So ist der kategorische Imperativ zwar die Bedingung der Möglichkeit für die Bestimmtheit des Zwecks, aber er ist nicht der Zweck selbst. Dieser bedarf zu seiner Bestimmtheit der Fülle des .Stoffes'. Doch dieser liegt nicht einfach vor, sondern muß als Stoff des Handlungszweckes durch den Menschen hergestellt werden. Der Mensch m u ß s i c h i n d e r r e i n e n Z u s t ä n d l i c h k e i t s e i n e r s e l b s t m a c h e n , um in i h r d i e k o n k r e t e F ü l l e als Bedingung der M ö g l i c h k e i t seiner H a n d l u n g s b e s t i m m u n g z u g e w i n n e n . Weil der Mensch absolute Subjektivität als Totalität ist, k a n n er sich machen, das heißt, ist er frei, ist er Grund seiner Bestimmbarkeit. Weil er aber Totalität ist und diese ursprünglicher reine Zuständlichkeit als reine Beziehung ist, m u ß er sich machen, findet er ursprünglich seine Bestimmtheit nicht vor. Als Grund seines Machens ist aber nichts anderes denkbar als das, was er selbst ist, denn er ist Totalität. So muß er sich in seiner reinen Zuständlichkeit machen, um Stoff für seine sittliche Selbstbestimmung zu gewinnen. Er ist immer schon — und muß 604
K a n t hat von den reinen Bedingungen des H a n d e l n s , des Willens als reiner Bestimmbarkeit, nur die eine, die reine F o r m der Allgemeinheit gedacht und er meinte, auch auf dem Gebiet des Praktischen die D i a l e k t i k der reinen M o m e n t e der Subjektivität als T o t a l i t ä t vermeiden z u können, wie er sie im theoretischen Bereich dadurch vermied, d a ß er v o n der bestimmten Gegebenheit naturwissenschaftlicher Welt, b z w . einer Welt des c o m m o n sense, ausgehen zu können glaubte, derart d a ß die innere D i a l e k t i k ihrer S t r u k t u r sich auf die einmal feststehende Geltung ihrer Bedeutung nicht auswirkte. E r vermochte das Bestimmte nicht als P r o d u k t der D i a l e k t i k zu denken, die Bestimmungen nicht aus dem Widerspruch der reinen M o m e n t e zu entwickeln.
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es sein — poetisches Wesen, um sittliches Wesen sein zu können. Er bedarf der Nachahmung, um einen Grund seines Bestimmens zu haben. Diese reicht aber nur so in seine ursprüngliche Wahrheit hinein, wie sie die Natur überhaupt in ihrer Wahrheit als reine Totalität in ihrer Zuständlidikeit erreicht und so in den Grund seiner je geglaubten abstrakten Bestimmungen sieht.«06 Zwar k a n n d e r M e n s c h als praktisches Wesen also s e i n e r S u b j e k t i v i t ä t a l s Z u s t ä n d l i c h k e i t n i c h t e n t g e h e n , denn indem er sich macht, ist er Grund seiner selbst, kommt also die Totalität als reine Zuständlidikeit zur Geltung. A b e r d e r M e n s c h k a n n a l s d o g m a t i s c h e r k e n n e n d e r b l i n d d a f ü r s e i n , w a s er a l s p r a k tischer immer schon vollzieht. Insofern b e d a r f der Mensch der Kunst, die dem Menschen zu erkennen gibt, wie er in seiner Bestimmtheit in seiner reinen Zuständlichkeit gründet. Die Kunst ist d a s G e m a c h t e , d a s a u f s e i n G e m a c h t s e i n w e i s t , das heißt, es ist d a s z w e c k l o s o d e r z u u n b e s t i m m t e m Z w e c k G e m a c h t e , oder es ist das Gemachte, das für sich selbst Zweck ist. Das künstlerische Tun (nicht in seiner empirischen, geglaubten Bestimmung, sondern in seiner, dies künstlerische Tun auszeichnenden absoluten Bestimmung) ist das Tun, in dem der Mensch sich in seiner Wahrheit rein als Handelnder darstellt, das heißt, so wie er reiner Grund seiner selbst ist. In diesem Sinn ist das künstlerische Tun gerade in seinem Nachahmen schöpferisch. Es ist nicht eine gar nicht vorstellbare ,göttliche' creatio ex nihilo, sondern die Darstellung des Subjekts rein in seiner Subjektivität als Zuständlichkeit, in der sie Chaos ist. 605
Wie das .Erdbeben von Lissabon' A n l a ß dafür werden konnte, daß der Mensch in der Aufklärung seiner Verantwortlichkeit als praktisch sittliches Subjekt sidi bewußt wurde, indem er seine durch keinen sorgenden Gott überholbare Subjektivität annehmen lernte, so könnte ,Auschwitz' im zivilisierten Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts lehren, daß der Mensch seiner Subjektivität als reiner Zuständlichkeit endlich bewußt werde, die er bewältigen muß als sie selbst, nicht durch einen Glauben an die Gesinnungsstärke seiner bestimmten Kulturgehalte verdrängen kann. Nicht gilt: „nach Auschwitz keine Gedichte mehr" — vielmehr: nach Auschwitz müßte deutlich werden, daß der „schöne Geist zur Tatsache gemacht" zu werden verlangt und nicht als unnütze Spielerei gelangweilter bildungshungriger Esoteriker gelten kann, daß das Schöne eine Tatsache ist, reeller als irgendeine andere und Bedingung der Möglichkeit jeglicher Zwecke der Gesellschaft. — Als ob ,Auschwitz' nicht reeller ist als jede ,gute Tat', die der Einzelne heute gegen .Auschwitz' behauptet, und v o n der er meint, für sie sei er, im Gegensatz zu .Auschwitz', verantwortlich. — Grund dafür, daß das zeitgenössische Bildungsbewußtsein das Schöne als Tatsache nicht anerkennt, ist nicht so sehr die Positivität des naturwissenschaftlichen Geistes — das zeigt das Beispiel Musils — sondern das Selbstverständnis des kulturellen, schöngeistigen Bewußtseins selbst, das sich als Meinungsbe-
Exkurs: Die Kantische Ästhetik im Blick auf diesen Begriff der Kunst Hier wäre der Ort, auf die Kantische Ästhetik einzugehen, die sowohl dort, wo sie vom „ästhetischen Urteil" (als „Geschmack") ausgeht, als dort, wo sie die künstlerische Produktivität (als „Genie") ins Auge faßt, die Beziehung auf die reine Zuständlichkeit als Moment der absoluten Subjektivität herstellt. Doch können hier nur Andeutungen, deren mögliche Bewährung hier dahingestellt bleiben muß, darauf hinweisen, wie Kants Ästhetik aus der Logik des kritisch transzendentalphilosophischen Gedankens heraus auf eine Fassung des Schönen als Totalität in ihrer reinen Unmittelbarkeit tendiert, ohne daß diese Einsicht bei der beherrschenden Bedeutung der ,mathematischen' Naturwissenschaften und ihres dogmatisch geltenden Naturbegriffs in der klaren Konsequenz ihrer ontologischen Tendenz sich durchzusetzen vermag. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die aufklärerische Kunsttheorie, von der Kant ausgeht, das Schöne nur als ein gesondertes Gebiet von Gegenständen verstehen konnte, und daß der Aufklärer Kant den darin liegenden dogmatischen Begriff des Schönen ohne die verarbeitete Kenntnis der Dichtung der Goethezeit und ohne die verarbeitete Erfahrung von einer Geschichte der Kunst schwerlich im ersten Ansatz rein aus dem ontologischen Argument heraus neu zu konzipieren vermochte. Sein ihm eigener dogmatischer Glaube an die Natur wie an die Kunst muß die Konsequenz des reinen ontologischen Arguments in der Kantischen Darstellung der Ästhetik verwirren. wußtsein mißversteht. D i e K r i t i k Nietzsches a m Historismus, die Musil weiterführt, gilt heute wie je, sie ist nicht einmal verstanden, w a s etwa daraus ersichtlich ist, wie noch heute zeitgenössische künstlerische P r o d u k t i v i t ä t und Bildungsbewußtsein aneinander vorbeigehen, ohne d a ß einer v o n den A n sprüchen des anderen nur hört. Wie die Theologie denselben sachlichen Anspruch der reinen Zuständlichkeit immer noch in einem positivistischen Meinungsbewußtsein verfehlt und P a u l u s und der Bergpredigt beharrlich widerspricht, indem sie „ G l a u b e n " als „eine geringere A r t v o n Wissen" interpretiert — so verfahren in gegenseitiger Polemik sich willkürlich gegeneinander abgrenzend, die Theologen des schönen Geistes in Literaturwissenschaft, P s y d i o a n a l y s e , Gesellschaftskritik und Soziologie und verfehlen konsequent den Anspruch der S a c h e , indem sie sie in Meinung verkehren. 17'
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Diese Inkonsequenz in der Auffassung des Schönen ist also keine bloß beiläufige, sondern macht sich, weil es sich hier um eine Totalitätsbestimmung handelt, überall im Kantischen System geltend. Sie wurzelt darin, daß Kant in der Totalitätsbestimmung als Idee zwar die reine Beziehung denkt, nicht aber die reine Zuständlichkeit und somit nicht den reinen Widerspruch in den Momenten der Totalität, an deren Dialektik jegliches Bestimmte teilhat, derart daß erst aus dieser Dialektik absolut widersprechender Momente sich die Bestimmtheit ergibt. Er denkt in der ursprünglichen Apperzeption zwar die Synthesis Verschiedener, die er aber nicht als ursprünglich Verschiedene und so notwendig Widersprechende wirklich anerkennen kann. So setzt er zwar das Gegebene der Anschauung als eigene Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis voraus, kann aber die Gegebenheit nicht in ihrer Fülle und Unbestimmtheit als wirklich selbständige und also reine Bedingung gegenüber dem ursprünglichen Eins des Denkens festhalten. Er setzt die Anschauung, obwohl sie reine Bedingung der Möglichkeit von Gegenständen sein soll, selbst als bestimmte voraus, um so eine Beziehung zwischen Denken und Anschauung herstellen zu können, die den Widerspruch umgeht. Diese Beziehung stellt Kant in dem „ V e r m ö g e n " einer reinen Einbildungskraft vor, auf deren Schemata sowohl Anschauung wie reiner Begriff beziehbar sein sollen. Diese Einbildungskraft ist die Bedingung der Urteilskraft, welche als „ d a s V e r m ö g e n " , „das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken", eines Vermittelnden bedürfe, das die transzendentale Bedingung dafür darstelle, daß auf das in der Anschauung gegebene „Besondere" der reine Verstandesbegriff anwendbar sei. Das Schema der reinen Einbildungskraft ist also einerseits selbst sinnlich, andererseits von der transzendentalen Apperzeption des reinen Verstandes abhängig. Diese doppelte Abhängigkeit ist nur so möglich, daß Kant die Form der Sinnlichkeit von ihrer Materie als solcher („Empfindung") trennt; dadurch scheint der Widerspruch zwischen Sinnlichkeit und Verstand aufgehoben, aber nur auf Kosten dessen, daß die Geltung der Sinnlichkeit in ihrer ursprünglichen Selbständigkeit als reine Sinnlichkeit ausgeklammert ist zugunsten ihrer begrifflichen U n t e r Ordnung unter die Apperzeption des reinen Verstandes. Diese Unterordnung wird ermöglicht durch die bestimmte Fassung der Sinnlichkeit als „Anschauung", die selbst den ursprünglichen Gegensatz von Stoff und Form schon vermittelt in sich enthält. In Kants Ästhetik, das soll hier heißen, in seiner Lehre vom Schönen, muß diese inkonsequente Ausklammerung der im Ansatz anerkannten ursprünglichen Verschiedenheit in den Momenten des Absoluten sich bemerkbar machen: Denn hier muß sich das von Kant im ontologischen Ansatz gewürdigte rein Sinnliche für sich selbst zur Geltung bringen. Andererseits
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muß Kant die undialektische Vermittlung dieses Sinnlichen mit der einseitig bestimmten Idee als „Ich denke" auch hier versuchen, denn in der Idee ist die Totalität gedacht, in der das Schöne mitzudenken ist. D a aber in der Ästhetik das Sinnliche bei Kant zu Recht nidit als Bedingung allein der Bestimmung eines Gegenstandes als eines Gegenstandes zur Geltung kommt, sondern rein als Sinnliches selbst vor aller Bestimmung sich bemerkbar macht, muß sich hier sein Widerspruch zum „Ich denke" der Idee dringlicher geltend machen. K a n t löst auch hier den Widerspruch auf durch die in der Einbildungskraft vermittelte Urteilskraft, die aber hier nicht bestimmend, sondern reflektierend wirke. D a aber Ausgangspunkt dieser reflektierenden Urteilskraft das Besondere als solches ist, oder das Sinnliche in seiner absoluten Subjektivität, b e v o r es noch Moment seiner begrifflichen Bestimmung a l s eines Objektes ist, sei das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft nicht bestimmte Zweckmäßigkeit, vielmehr eine „bloße Form der Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung eines Zwecks". Es ist aber die Frage, ob die höhere Allgemeinheit dieser zwar nicht begrifflichen, sondern ideellen Bestimmung des Urteilsprinzips eine Verbindung zum Sinnlichen rein als solchem herzustellen vermag, auf die Weise, wie es Kant will, ohne Anerkennung des Widerspruchs im Absoluten der Idee selbst. Zwar ist die Idee als Zweckmäßigkeit „keine Beschaffenheit des Objektes selbst". Und so läßt sidi formulieren: „Die Zweckmäßigkeit . . . die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht, ja sogar, ohne die Vorstellung desselben zu einem Erkenntnis brauchen zu wollen, gleichwohl mit ihr unmittelbar verbunden wird, ist das Subjektive derselben, was gar kein Erkenntnisstück werden kann." (Kr. d. U. X L I I I ) Andererseits läßt sich , d a s s e l b e ' von dem rein Sinnlichen sagen, es ist, wie Kant selbst formuliert, „dasjenige Subjektive . . . an einer Vorstellung, was gar kein Erkenntnisstück werden kann", es ist Gefühl, „das was jederzeit bloß subjektiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann." (Kr. d. U. 9) Doch d a m i t , f a l l e n ' die b e i d e n B e s t i m m u n g e n n i c h t so , zus a m m e n ' , d a ß b e i d e , d a s s e l b e ' s i n d , v i e l m e h r nur so, daß in d e r g l e i c h a r t i g e n B e s t i m m u n g V e r s c h i e d e n e r s i c h i h r absoluter Widerspruch kundtut. K a n t möchte die ,Selbigkeit' der Verschiedenen durch den Begriff der „Lust" auch in der Ästhetik über die Einbildungskraft vermitteln, und er geht dazu den Weg wie in der K r . d. r. V., daß leitend für die Auflösung des Widerspruchs die Unterordnung der „Form der Anschauung" unter die Bestimmung der Idee als Form der Zweckmäßigkeit (nicht als bestimmte Zweckmäßigkeit) ist. „Wenn mit der bloßen Auffassung (apprehensio) der Form eines Gegenstandes der Anschauung, ohne Beziehung derselben auf einen Begriff zu einem bestimmten Erkenntnis, Lust ver-
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bunden ist: so wird die Vorstellung dadurch nicht auf das Objekt, sondern lediglich auf das Subjekt bezogen; und die Lust kann nichts anderes als die Angemessenheit desselben zu den Erkenntnisvermögen, die in der reflektierenden Urteilskraft im Spiel sind, . . . also bloß eine subjektive formale Zweckmäßigkeit des Objekts ausdrücken. Denn jene Auffassung der Formen in die Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflektierende Urteilskraft, auch unabsichtlich, sie wenigstens mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche. Wenn nun in dieser Vergleichung die Einbildungskraft (als Vermögen der Anschauungen a priori) zum Verstände (als Vermögen der Begriffe) durch eine gegebene Vorstellung unabsichtlich in Einstimmung versetzt und dadurch ein Gefühl der Lust erweckt wird, so muß der Gegenstand alsdann als zweckmäßig für die reflektierende Urteilskraft angesehen werden. Ein solches Urteil ist ein ästhetisches Urteil über die Zweckmäßigkeit des Objekts, welches sich auf keinem vorhandenen Begriffe vom Gegenstande gründet und keinen von ihm verschafft. Wessen Gegenstandes Form (nicht das Materielle seiner Vorstellung, als Empfindung) [!] in der bloßen Reflexion über dieselbe (ohne Absicht auf einen von ihm zu erwerbenden Begriff) als der Grund einer Lust an der Vorstellung eines solchen Objekts beurteilt wird, mit dessen Vorstellung wird diese Lust auch als notwendig verbunden geurteilt, folglich als nicht bloß für das Subjekt, welches diese Form auffaßt, sondern für jeden Urteilenden überhaupt. Der Gegenstand heißt alsdann schön; und das Vermögen, durch eine solche Lust (folglich auch allgemeingültig) zu urteilen, der Geschmack." (Kr. d. U. XLIV) Auf diese Weise versucht Kant, den rein ästhetischen Charakter des Schönen mit dessen überbegrifflicher Allgemeinheit, die er beide zu Recht anerkennt, a u s z u s ö h n e n . Es ist aber die Frage, ob die Lust als unmittelbar Sinnliches, als das Subjektive, „was jederzeit bloß subjektiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann", ob dies unmittelbar Sinnliche z u s a m m e n f ä l l t mit der reinen Form der Zweckmäßigkeit, die ohne Zweifel auch „ein Subjektives ist, was gar kein Erkenntnisstück werden kann". Es ist die Frage, ob die rein sinnliche Lust erst aus einem V e r g l e i c h ursprünglich Verschiedener und also als Bemerken einer „Angemessenheit" hervorgehen kann, und ob also das Schöne .Gegenstand' eines Urteils werden kann. Kant anerkennt aus der Logik seines ontologischen Ansatzes heraus die ursprüngliche Verschiedenheit einer Lust als reiner Sinnlichkeit und der Form der Zweckmäßigkeit, obwohl er zugleich ihre übereinstimmende Bestimmung als ursprünglich unbestimmtes Moment absoluter Subjektivität anerkennt. Nur weil er die Verschiedenheit zugleich mit ihrer Übereinstimmung bemerkt, glaubt er ihre Übereinstimmung e r k l ä r e n zu sollen, die ihn über die Einbildungskraft zur
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Annahme eines widersprüchlichen „Vermögens", eines „ästhetischen Urteils" führt („über die Zweckmäßigkeit des Objekts, welches sich auf keinen vorhandenen Begriff vom Gegenstande gründet und keinen von ihm verschafft"). Es läßt sich gar kein Fall eines solchen Urteils denken, denn dieser Fall wäre notwendig ein bestimmtes Urteil, das als solches weder ästhetisch sein könnte noch ohne bestimmten Begriff auskäme, das in seiner vorausgesetzten unbestimmten Idealität auch gar nicht „unterscheiden" könnte, „ob etwas schön sei oder nicht" (Kr. d. U. S. 3), weil wegen des Totalitätscharakters der ideellen Bestimmung der reinen Zweckmäßigkeit nichts als nicht-schön auszuschließen wäre. Das ästhetische Urteil wäre auch nach Kant nicht bestimmend, derart, daß es einen Gegenstandsbereich als schön von einem anderen als häßlich abzusondern erlaubte. Zu Recht anerkennt Kant aber diesen Totalitätscharakter des Schönen, nur darum stößt er auch darauf, daß die rein sinnliche Lust am Schönen von gleichem Charakter sei wie die reine Zweckmäßigkeit. Beides sind Totalitätsbestimmungen. Zu Unrecht erweckt Kant den Anschein, sie als miteinander zusammenfallend aus einem Gemeinsamen ableiten zu sollen. Sofern er diesen Versuch unternimmt, ordnet er die Totalität als reine Sinnlichkeit der Totalität als reines ,Ich denke' unter. Das kommt darin zum Ausdrude, daß er das, was den wesentlichen Charakter der reinen Sinnlichkeit ausmacht („das Materielle seiner Vorstellung als Empfindung"), ausklammert, so daß nun der im ontologischen Ansatz anerkannte ursprüngliche Unterschied um der bestimmten Voraussetzung der reinen Sinnlichkeit als Anschauung willen verlorengeht. Diese A u s k l a m m e r u n g macht sich nun vor allem in der Erklärung des Kunstschönen bemerkbar. Denn aus der Unterordnung des Schönen unter die Idee als Zweckmäßigkeit, aus der Auffassung des Schönen als eines Gegenstandes, wenn auch der Absicht nach unbestimmten Gegenstandes der Urteilskraft, ergibt sich eine wesentliche Schwierigkeit in der Erklärung des Kunstschönen. Denn dieses ist, nach Kant, hervorgehend aus künstlerischer Produktivität, ein Gemachtes. Als dieses Gemachte ist es je nur möglich als nach einem Zweck Gemachtes. Seine reine Form der Zweckmäßigkeit, die es als Gegenstand des ästhetischen Urteils haben soll, ist also hier zugleich bestimmte Zweckmäßigkeit. Im künstlerischen Tun wäre also das Schöne nicht mehr Form der Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung eines Zwecks. „Um eine Naturschönheit als eine solche zu beurteilen, brauche ich nicht vorher einen Begriff davon zu haben, was der Gegenstand für ein Ding sein solle. . . . Die bloße Form ohne Kenntnis des Zwecks gefällt in der Beurteilung für sich selbst. Wenn aber der Gegenstand für ein Produkt der Kunst gegeben ist und als solches für schön erklärt werden soll, so muß, weil Kunst immer einen Zweck in der Ursache (und deren Kausalität) voraussetzt, zuerst ein Begriff von dem
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zum Grunde gelegt werden, was das Ding sein soll; und da die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge zu einer inneren Bestimmung desselben als Zweck die Vollkommenheit des Dinges ist, so wird in der Beurteilung der Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anschlag gebracht werden m ü s s e n . . . ( K r . d. U. S. 188) In der Erklärung des Kunstschönen erweist sich also, daß das Schöne als reine Form der Zweckmäßigkeit mit seiner begrifflichen Bestimmtheit gar nicht unvereinbar ist. Ein „Vollkommenes" ist immer auch ein rein Zweckmäßiges, und das rein Zweckmäßige des Schönen ist im Kunstwerk immer auch ein Vollkommenes, das heißt, ein bestimmt Zweckmäßiges. Darin zeigt sich, daß die ästhetische Totalität nicht in der reinen Form der Zweckmäßigkeit erfaßbar ist, denn sie ist ein Subjektives, das, „was s c h l e c h t e r d i n g s k e i n e Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann". Dieses nun auch im Kunstwerk nidit zu leugnende sinnliche Moment erweist sich, wird die Schönheit als reine Zweckmäßigkeit gefaßt, als überflüssig und unerklärt, oder doch g e s o n d e r t e r E r k l ä r u n g b e d ü r f t i g . Wieder muß die Einbildungskraft die ursprünglich Unabhängigen, die selbständigen Momente, in Kants Erklärung des Schönen vermitteln. Die „Einbildungskraft" sei das „Vermögen der Darstellung ästhetischer Ideen". Dies sei „diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgendein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann." (Kr. d. U. S. 192 f.) Die Einbildungskraft erweitert „den Begriff selbst auf unbegrenzte Art ästhetisch". Ausdrücklich erklärt Kant dieses Über-den-Begriff-Hinausgehen der Einbildungskraft im Vermögen ästhetischer Ideen nicht als ein Überschreiten in Hinsicht auf die Vernunftidee. „Man sieht leicht, daß sie [seil, die ästhetische Idee] das Gegenstück (pendant) [?!] von einer Vernunftidee sei, welche umgekehrt ein Begriff ist, dem keine Anschauung (Vorstellung der Einbildungskraft) adäquat sein kann." Wenn aber dieses Vermögen des Gemüts, „das Genie", gleichzeitig „das Talent" ist, „welches der Kunst die Regel gibt", dann ergibt sich die Frage, wie das „Regel-Geben" mit dem „auf unbegrenzte Art ästhetisch Erweitern" im Genie zu vereinbaren sei. Das bemerkt Kant selbst, wenn er sagt: „Der Begriff der schönen Kunst verstattet nicht, daß das Urteil über die Schönheit ihres Produktes von irgendeiner Regel abgeleitet werde, die einen Begriff zum Bestimmungsgrund habe, mithin einen Begriff von der Art, wie es möglich sei, zum Grunde lege." (Kr. d. U. S. 181) Durch diese negative Bestimmung soll wieder dem rein Sinnlichen des Schönen im Kunstwerk Raum gegeben werden. Doch die Folgerung Kants ist nun nicht die, daß er zur Bestimmung des Kunstschönen die Regel aufgibt, vielmehr möchte er eine Geltung der Regel zugleich mit dem rein ästhetischen Charakter des
Die Kantisdie Ästhetik
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Kunstwerks behaupten, wiederum ohne ihren Widerspruch anzuerkennen. Denn „da nun gleichwohl ohne vorhergehende Regel ein Produkt niemals Kunst heißen kann, so muß die Natur im Subjekte (und durch die Stimmung der Vermögen desselben) der Kunst die Regel geben. . . ( K r . d. U. S. 182) Damit wird also der „Natur" diese doppelte Rolle zugeschrieben, „Regel zu geben" und „das Begriffliche auf unbegrenzte Art ästhetisch zu erweitern", dergestalt daß sie beides zugleich und in einem vermöchte. Vermag sie diese Aufgabe zu erfüllen? Hier ist der Punkt erreicht, wo der dogmatische Begriff der Natur sich gegen seine kritisch ontologische Interpretation in der Kantischen Ästhetik durchsetzt. Dem Begriff der Natur stellt Kant die Aufgabe, daß er den ästhetischen Charakter der künstlerischen Produktivität mit ihrer bestimmten Wirkung versöhne. Aber wie vermag die Natur im Subjekt produktiv zu sein, derart daß sie ein Geregeltes m a c h t ? Ist die Natur „der Inbegriff der Gegenstände der Erfahrung", so gilt seine objektive Bestimmtheit nur als Produkt der Synthesis der transzendentalen Subjektivität, die Natur kann also nicht „an sich" selbst „im Subjekte" bestimmt produktiv sein, weil sie in ihrer objektiv gültigen Bestimmtheit nur der Inbegriff der Gegenstände der Erkenntnis dieses Subjektes selbst ist. Die Natur als Inbegriff der Gegenstände der Erfahrung ist selbst nur eine Idee und ist als solche unbestimmt, sie kann also nicht die bestimmte Gemaditheit eines Kunstwerks durch ein Subjekt erklären. Andererseits ist die Idee der Natur auch als Totalitätsbestimmung, als Inbegriff der Gegenstände der Erfahrung, doppeldeutig. Wirkt die Natur „in materieller Bedeutung, nämlich der Anschauung nach" als „Gegenstand der Empfindung", oder als Natur in formeller Bedeutung „als der Inbegriff der Regeln, unter denen alle Erscheinungen stehen müssen, wenn sie in einer Erfahrung als verknüpft gedacht werden sollen" (Prolegomena § 36)? Kant kommt es auf diese Unbestimmtheit und Doppeldeutigkeit im Naturbegriff gerade an — so liegt ihm der gleiche widersprüchliche Anspruch des Kunstschönen zugrunde — ohne allerdings diesen doppelten Anspruch, die rein ästhetische Bedeutung des Kunstschönen und seine überbegriffliche Allgemeinheit e r k l ä r e n zu können. Sie bleibt als ein R ä t s e l in ihrer Widersprüchlichkeit ungeklärt. Diese Unaufgeklärtheit entspricht der zeitgenössischen Vorstellung des Genies als einer rätselhaft göttlichen Naturkraft, dem die Zeit sich auflösender Aufklärung unreflektiert eine rationale Bestimmtheit und doch zugleich das .Geheimnis' des individuellen „Ausdrucks" zutraute. Aus der Logik seines ontologischen Ansatzes heraus macht Kant die Widersprüchlichkeit des Anspruches an das Schöne erst bewußt, daß es nämlich als ein Bestimmtes und zugleich als ein rein Sinnliches gelten soll. Hätte Kant die ursprüngliche Verschiedenheit von Anschauung und
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Exkurs
Begriff als Bedingungen der Möglichkeit von bestimmter Erfahrung, auch in der Bestimmung des Absoluten der Idee, anerkannt, hätte er dieser Vermittlung von überallgemeiner und ästhetischer Geltung des Schönen gar nicht bedurft. „Das Schöne ist das, was ohne Begriff als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird." (Kr. d. U. S. 17) Darin ist von Kant, ohne daß es ihm klar ist, anerkannt, daß das Schöne rein sinnliche Totalität ist und der Vermittlung mit der Idee als ,Ich denke' nicht bedarf. Allgemein ohne Begriff vorgestellt ist nur eine Totalitätsbestimmung. Da aber das Schöne Objekt eines Wohlgefallens, also ein Sinnliches ist, „Gefühl" oder „das was jederzeit bloß subjektiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes werden kann" (Kr. d. U. S. 9), so bleibt diese Sinnlichkeit des Schönen nur erhalten, wenn das Schöne nicht auf die Totalität als ,Ich denke' bezogen wird, sondern als reine Sinnlichkeit oder als reine Zuständlichkeit anerkannt wird. So vermag sie dann auch reiner, in sich wahrer Zweck des Machens einer Subjektivität zu sein. Ist das Schöne aber selbst als Totalitätsbestimmung anerkannt, so ist es nicht mehr Gegenstand eines Urteils. Dann ergibt sich allerdings als neues Problem, wie ist die Beziehung der Kunst als eines gesonderten Gebietes der Gegenstände zu dem Schönen als Totalitätsbestimmung zu denken? Einfacher: Wozu bedarf es der Kunst, wenn alles schön ist?
G. Der rein problematische Begriff der Gestaltung Damit führt uns der Exkurs über Kant wieder auf das Problem einer K u n s t , t h e o r i e ' , die im Begriff des Ästhetischen als reiner Zuständlichkeit sich gründen und doch die Beziehung auf die Bestimmtheit des geschichtlichen Menschen bewahren will. Kant war durch die dogmatische Kunsttheorie seiner Tradition darauf verpflichtet, das Schöne als eine besondere Bestimmung der Kunst oder der Natur anzusehen. Etwas sei schön im Gegensatz zu einem anderen, das nicht schön sei. So wird das Schöne zu einer Eigenschaft der Kunst bzw. der Natur. Schönheit kann als der Oberbegriff einer Kunsttheorie gelten. In dem Maß wie Kant aus der Logik seines ontologischen Arguments heraus das Schöne an einer Totalitätsbestimmung orientiert, verliert er die Möglichkeit, das Schöne als ein Bestimmtes aufzufassen, woraus folgt, daß das Schöne nicht mehr die Kunsttheorie bestimmender Oberbegriff sein kann. Schönheit ist nicht mehr Eigenschaft des Kunstwerks, denn eine Totalitätsbestimmung kann nicht — das wurde bei Gelegenheit der „Logischen Untersuchungen" gezeigt — als ein Oberbegriff für eine bestimmte Region von Gegenständen gelten. Die Kunst hat also, sofern sie theoretisch b e s t i m m t faßbar ist, keine Beziehung auf das Schöne als Totalitätsbestimmung. Dieser Sachverhalt wird von Musil als die Inkommensurabilität von Kunst anerkannt. Kunst ist Erkenntnis, aber Gegenstand der Kunst ist das, was nur durch Kunst ausdrückbar ist. Die Kunst hat ihre Bedeutung als Kunst nicht darin, daß sie bestimmte ist und so in einem theoretischen Begriff faßbar ist, zu ihrem Wesen gehört es, daß sie über sich selbst als bestimmte hinausweist. Sie kann aber doch auch als bestimmte aufgefaßt werden und m u ß a l s b e s t i m m t e g e l t e n k ö n n e n , insofern sie den Menschen in seiner geschichtlichen Bestimmtheit betreffen soll. Es ist ja geradezu ihre Aufgabe, die mögliche Bestimmtheit des Menschen in deren eigenem Grund, als reiner Zuständlidikeit, Wahrheit zu geben. Oben ist dieses problematische Verhältnis eines Bestimmten, das über sich selbst hinaus seine eigene Totalität bemerkbar macht, als das Z e i g e n der Kunst genannt und in ontologisdier Allgemeinheit aus dem zwecklosen Gemachtsein der Kunst erklärt worden: Die Mimesis der Kunst, ihre zwecklose D a r s t e l l u n g weist auf sich selbst, wie sie absolute Subjektivität als kontingente reine Zuständlidikeit ist. Aus dem erst in diesem ontologischen Horizont einleuchtenden inkommensurablen Charakter dieser Aufgabe
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Die Gestaltung
ergibt sich, d a ß diese , E r k l ä r u n g ' durchaus p r o b l e m a t i s c h bleibt u n d über die bestimmte A r t , wie das K u n s t w e r k zu sein h a t , nichts aussagt. Als E r k l ä r u n g k a n n sie n u r a u f die K u n s t selbst weisen, deren E r f a h r u n g erst den i m strengen Sinn rein problematischen Begriff erfüllt. N u r
die
K u n s t selbst k a n n den ,Sinn' dieses Begriffs einlösen. Und j e d e
der
Künste,
ebenso w i e jedes K u n s t w e r k , erfüllt die
d e m Begriff unzugängliche A u f g a b e a u f p r i n z i p i e l l
eigenartige
W e i s e , so d a ß sie in dieser Weise zugleich die A u f g a b e der K u n s t überhaupt v o l l s t ä n d i g
erfüllt, so d a ß also die E i g e n a r t
des jeweiligen
K u n s t w e r k e s nicht verwechselt w e r d e n d a r f m i t seinem spezifischen C h a r a k t e r , der dies K u n s t w e r k g e g e n a n d e r e
auszeichnet. D e r
Künstler
m u ß in jedem Augenblick die I n k o m m e n s u r a b i l i t ä t seiner A u f g a b e neu gewärtigen, die i h m stets bevorsteht, ohne d a ß eine , R e g e l ' zu ihrer L ö s u n g ihn leiten k ö n n t e . E r m u ß in jedem Augenblick das bestimmt G e m e i n t e a u f seine reine Zuständlichkeit als den V o r w u r f d e r D a r s t e l l u n g übersteigen. A u s d e m i n k o m m e n s u r a b l e n Begriff der K u n s t ergibt sich der inkommensurable C h a r a k t e r
d e r künstlerischen T ä t i g k e i t ,
in
diesem
S i n n ist sie „ G e s t a l t u n g " : 6 0 8 E i n Bestimmtes in seine eigene Z u s t ä n d «oe Musils Verwendung des Gestaltbegriffes, insofern er das Problem künstlerischer Tätigkeit umschreibt, ist zu unterscheiden von der wissenschaftlichen Verwendung des Begriffs in der psychologischen Gestalttheorie der Schüler C . Stumpfs, die zugleich Bekannte und Freunde M.s waren (unter ihnen: M a x Wertheimer, Wolfgang Köhler, Erich M . von Hornbostel, Kurt Lewin und Johannes von Allesch). Sie geht zurück auf den programmatischen Aufsatz des Brentanoschülers Christian von Ehrenfels „Über Gestaltqualitäten" (Vierteljahresschrift für wissensch. Philosophie hg. v. R . Avenarius 14. J g . 1890 S. 249 ff.). Musil referiert dessen Kerngedanken, wenn er schreibt: der Begriff der Gestalt „bedeutet, daß aus dem Neben- oder Nacheinander sinnlich gegebener Elemente etwas entstehen kann, das sich nicht durch sie ausdrücken und ausmessen läßt. So besteht, als eines der einfachsten Beispiele, ein Rechteck zwar aus seinen vier Seiten und eine Melodie aus ihren Tönen, aber in deren einmaligen Stand zu einander, der eben die Gestalt ausmacht, und einen Ausdruck hat, der sich aus den Ausdrucksmöglichkeiten der Bestandteile nicht erklären l ä ß t " . (Tgb. S. 712) Mit den Worten Ehrenfels': „Unter Gestaltqualitäten verstehen wir solche positive Vorstellungsinhalte, welche an das Vorhandensein von Vorstellungscomplexen im Bewußtsein gebunden sind, die ihrerseits aus von einander trennbaren (d. h. ohne einander vorstellbaren) Elementen bestehen." Das Problem solcher Gestaltqualitäten, das zeigt die Art der Formulierung, ergab sich im Horizont eines positivistisch-psychologistischen Empirismus, der als die Grundlage des Wissens für sich bestimmte E i n zelvorstellungen, Vorstellungselemente voraussetzte, aus denen sich das mögliche Wissen aufbaut. Für ihn mußte der Nachweis irritierend wirken, daß es Vorstellungscharaktere gibt, die zwar sich aus Elementen erklären lassen, in deren Zusammenfügung aber ein vorstellungsmäßig Neues entsteht, das nicht identisch ist mit der Summe seiner Elemente. Es schienen also Vorstellungsqualitäten gegeben, die sich nicht auf die vermeintlich einzig unmittelbar
Ihr rein problematischer Begriff
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gewissen Einzelvorstellungen zurückführen ließen, obwohl sie in gewisser Weise an die Existenz dieser Elemente gebunden waren. Damit schien sich diesem Empirismus die ursprüngliche Realität von Gemeinvorstellungen, von .Ideen' also gewissermaßen, aufzudrängen, die ihr antimetaphysischer Tatsadienpositivismus gerade leugnen wollte. Die unmittelbare Wahrnehmbarkeit von ,Ganzheits'-Begriffen schien auch experimenteller wissenschaftlicher Erprobung standzuhalten, sie waren nicht Produkt eines im Sinne dogmatischen Empirismus' gedachten vergleichenden Bewußtseins (— Musil hat selbst zum Zweck solcher Experimente auf dem Gebiet der Sinnespsychologie eine experimentelle Apparatur, den „Variationskreisel" konstruiert. — Vgl. Tgb. S. 794 f. „Der Variationskreisel nach Musil"). Die Folge war etwa in der Sinnespsychologie Stumpfs, daß man die unmittelbare Gegebenheit, und das heißt, die ursprüngliche Realität, von Gestaltqualitäten n e b e n der von Einzelvorstellungen annahm. Die positivistische Wissenschaft konnte ,ihrer Wahrheit' sicher sein, auch wenn sie ihre Möglichkeit nicht erklären konnte. So wurde der Begriff der Gestalt selbst nicht in seinem Sinn befragter dogmatischer Oberbegriff einer positivistischen Tatsachenwissenschaft, deren Tendenz es war, das gesamte Gebiet der Tatsachen zu beschreiben. Zwar blieb das Verhältnis von Vorstellungselement und Vorstellungsgestalt ungeklärt, doch in seiner Geltung als dogmatischer Grundbegriff einer Tatsachentheorie verlangte es, das gesamte Gebiet der Tatsachen zu orientieren. Jedes Einzelne war auch Element von Ganzen, und diese Ganzen verlangten beschrieben zu werden. Damit schien dem empiristischen Positivismus auch die Schwierigkeit erspart, die für Hume etwa aus der unmittelbaren Gegenwärtigkeit der ,impression' sich ergab. Das einzelne Vorstellungselement schien ein unzeitliches zu sein, ein dauernder oder sich verändernder Vorstellungszusammenhang konnte jetzt einfach als „zeitliche Gestaltqualität" (s. Ehrenfels a.a.O. S. 268 f.) konstatiert werden. So glaubte die positivistische Gestalttheorie einen jeglicher Philosophie konkurrierenden Anspruch erheben zu können. Sie verlor aber j e g l i c h e n wahren philosophischen Anspruch, weil sie das bei Hume oder auch noch bei Brentano anerkannte Problembewußtsein verlor, und ihre Grundbegriffe weder je für sich noch in ihrem Verhältnis zueinander auszuweisen für nötig hielt. (In der amerikanischen .Philosophie' des Behaviorism und verwandten Erscheinungen machte der problemblinde dogmatische Empirismus gestalttheoretischer Art Schule. In der Psychologie und Biologie hat er unzweifelhafte positive wissenschaftliche Erfolge gezeitigt.) Ein Freund Musils, Wolfgang Köhler, stellte diesen der Philosophie konkurrierenden Anspruch der Gestalttheorie ausdrücklich dar, indem er im dogmatisch verstandenen Gestaltbegriff ein Mittel gewonnen zu haben glaubte, um Natur- und Geisteswissenschaften in einer Art positivistischer Universalwissenschaft zu vereinigen. Köhler erhebt (etwa in seinem Buch: „Die physischen Gestalten in Ruhe und in stationärem Zustand" Erlangen 1924) den Anspruch, durch den Versuch, im Physischen eine Entsprechung für die unter dem Begriff phänomenaler Sinngestalt zusammengefaßten Erscheinungen des Psychischen aufzufinden, den im Horizont positiver Wissenschaft nicht aufgehobenen Gegensatz von Physischem und Psychischem aufzulösen. Und zwar nun nicht so, daß die Objektivität des Körpers im ursprünglichen Ich intentional konstituiert gedacht wird, sondern so, daß der Gestaltvorgang selbst als ein bewußtseinsunabhängig Wirkliches vorausgesetzt wird. „Der gegen die
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Die Gestaltung
mechanistische Physik gerichtete Aufweis von physikalischen Gestaltprozessen" könne erweisen, daß es „allmählich mehr als eine philosophische Idee [wird], wenn man vermutet, die phänomenale Welt werde sich noch als unmittelbarer Wesensausdruck des (nicht mehr nur zugehörigen) Hirngeschehens herausstellen", (zit. nach M. Scheerer „Die Lehre von der Gestalt" BerlinLeipzig 1931 S. 62) Die phänomenale Welt wird als Ausdruck eines selbst dogmatischen, bewußtseinsunabhängigen „Hirngeschehens" verstanden. Das Psychische wird im Sinn positivistischer Wissenschaft objektiviert als „Hirngeschehen". Seine Gestaltvorgänge sind gleicher Art wie gewisse andere Gestaltvorgänge etwa im Bereich der Elektrizität. Musil hat auf Grund seines oben dargestellten naturwissenschaftlichen Dogmatismus solche Versuche mit Interesse verfolgt, besonders darum, weil er einen kritischen Begriff von Philosophie nicht kannte. Musil formuliert in seinem kulturkritischen Essay: „Das hilflose E u r o p a . . . " (Tgb. S. 622—40): „Diese Zeit hat keine Philosophie, weniger weil sie keine hervorzubringen vermag, als weil sie Angebote ausschlägt, die nicht zu den Tatsachen stimmen. (Wer ein Beispiel haben will, lese das zurückhaltend als naturphilosophischer Versuch bezeichnete Buch des jungen Berliner Philosophen Wolfgang Köhler, und wenn er Kenntnisse hat, um es zu verstehen, so wird er erleben, wie sich vom Boden der Tatsachenwissenschaften die Lösung uralter metaphysischer Schwierigkeiten schon andeutet.)" (Tgb. S. 631 f.) Musil hat diese Versuche ebenso wie die gestalttheoretischen Arbeiten der Psychologie (vgl. etwa zu den Vorarbeiten zum MoE S. 1644 die Zitierung der im Rahmen der Gestalttheorie entworfenen Affektpsychologie Lewins) mit Interesse verfolgt. Musil kann geradezu von einer „Entdeckung Gottes ä la Köhler", von einem Realwerden Gottes im Sinn Köhlers als Gestaltprozeß sprechen (vgl. MoE S. 1618 u. Bausingers Textherstellung a.a.O. S. 128 zur Stelle). Musil beurteilt diese Versuche der Gestalttheoretiker im Horizont der empirischen Wissenschaften. Es sind w i s s e n s c h a f t l i c h e Versuche, sich dem Sachverhalt der Gestalt beschreibend zu nähern. Als Dichter und als d i c h t e r i s c h E r k e n n e n d e r geht Musil über den ratioiden Bereich hinaus. Hier muß Musil auch mit der Unbestimmtheitskomponente der Gestalt wirklich rechnen. Als Dichter m a c h t er Gestalten, er gibt nicht wissenschaftliche Beschreibungen von Gestalten (— selbst wenn er diese im Machen des Menschen benutzt —), die von der bestimmten Vorhandenheit von Gestalten ausgehen können. Dichtung als Gestaltung geht also über wissenschaftliche Beschreibung von Gestalt hinaus. „Dichtung b e n u t z t Wissen und Erkenntnis Und zwar von der inneren Welt natürlich genau so wie von der äußeren." Aber „Dichtung v e r m i t t e l t nicht Wissen und Erkenntnis." (Tgb. S. 808 — Sperrung vom Verf.) „Was in einer Dichtung für Psychologie gilt, ist etwas anderes als Psychologie, so wie eben Dichtung etwas anderes ist als Wissenschaft, und die unterschiedslose Anwendung des Worts hat wie jede wichtige Äquivokation schon verwirrende Folgen gehabt." Musil betont das, „weil ich wirklich Psychologie studiert hatte und damals sogar um ein Haar an einer Universität für sie habilitiert worden wäre". (Tgb. S. 808) Als Dichter dringt Musil in seiner erkenntnistheoretischen Bewußtheit tiefer als der positivistisch-empiristische Wissenschaftler, weil im nicht-ratioiden Gebiet die urprüngliche Unbestimmtheit des Tatsachenbegriffs thematisch wird. Auf diese ursprüngliche Unbestimmtheit geht die Gestaltung des Dichters ein, während der Wissenschaftler nur das eindeutig an ihr Beschreibbare
Ihr rein problematischer Begriff
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lichkeit zeigen machen, das ist die Umschreibung dessen, w a s in t r a d i t i o neller Ä s t h e t i k gemeint w u r d e als die „ D u r c h d r i n g u n g v o n F o r m
und
I n h a l t " 6 0 7 o d e r als die ästhetische Idealisierung des Stoffes. D e r I n t e r p r e t geht diesem i n k o m m e n s u r a b l e n V o r g a n g nach u n d zeigt, wie das
Be-
s t i m m t e in seine eigene Zuständlichkeit zeigt, so d a ß der i n k o m m e n s u r a b l e Begriff der K u n s t zugleich den hermeneutischen Schlüssel z u seinem V e r ständnis bietet. A l s w a s das K u n s t w e r k zu interpretieren ist, ist also durch den inkommensurablen Begriff der K u n s t n u r als P r o b l e m z u umschreiben. Dieses P r o b l e m a r t i k u l i e r t sich je nach d e m A n l a ß neu u n d stets so, d a ß die g a n z e in der T o t a l i t ä t beruhende A u f g a b e d e r K u n s t in diesem A n l a ß z u erfüllen ist. 8 0 8 D a b e i stellt der A n l a ß a u d i in Hinsicht a u f das M e d i u m
607 808
auffaßt, und dabei das, was Gestalt an sich selbst ist, nie thematisch macht, weil der Begriff der Gestalt zwar bestimmter vorausgesetzter Oberbegriff seiner Theorie ist; wie aber dieser Begriff als solcher zu bestimmen ist, darüber kann er keine Aussage machen und meint, es auch nicht zu dürfen, weil erst die Gesamtheit der Erfahrungen seinen Sinn bestimmen könnte, der aber der Erfahrung nicht zugänglich ist, weil sie stets unabgeschlossen ist. Dabei bemerkt der dogmatische Empirismus auch als Gestalttheorie nicht, daß er mit einem bestimmten Begriff arbeitet, womit er seinem eignen empiristischen Argument unbemerkt widerspricht. Tgb. S. 712 D a ß das Kunstwerk je für sich die Aufgabe der Kunst, das Schöne sichtbar zu machen, ganz und gar erfüllt, ergibt sich aus dem Totalitätscharakter des Schönen. Der gleiche Sachverhalt gilt von der Eigenart der Künste, was ihr Medium betrifft. Nicht von ihrem Medium her ist der Charakter der Kunst bestimmbar, so wenig wie das einzelne Kunstwerk von seinem bestimmten stofflichen Anlaß. Jedes Kunstwerk erfüllt für sich selbst allein den ganzen Begriff der Kunst. Nicht alle Kunstwerke und sämtliche Kunstarten erfüllen erst den Begriff der Kunst. Dieser Sachverhalt ist dem Meinungsdenken verschlossen. Dies muß glauben, daß die besondere Aussage eines Kunstwerks nur einen begrenzten Aspekt des Meinbaren zur Sprache bringe. — Daraus erklärt sidi die Suche der Wissenschaft nach einem historischen System der Künste, in dem die vielen .Aussagen' der Kunstwerke gegeneinander abgegrenzt dargestellt werden. — Doch anders als im positiven wissenschaftlichen Meinen geht dieser Versuch am Wesen der Sache vorbei. D a das Schöne nicht ein bestimmter theoretischer Allgemeinbegriff ist, läßt sich audi das Spezifische der einzelnen Künste und Kunstwerke nicht aus diesem wie aus einem Allgemeinbegriff ableiten. Die Künste im Medium des Hörbaren sind nicht gegen die Künste im Medium des Sichtbaren abgrenzbar, derart etwa, daß das Hören und das Sehen aus einem Begriff äußerer Wahrnehmung abzuleiten wäre. Die Künste können also auch nicht durch solch einen bestimmten Begriff ihres Mediums ihre theoretische Bestimmung finden. Vielmehr ergibt sich die .Eigenart' der jeweiligen Künste unmittelbar aus der Kontingenz der absoluten Subjektivität als reiner Zuständlichkeit. Hörend, sehend findet sich der Mensch vor und bedarf dazu keines Begriffes vermittelter Erfahrung, was er als Hörender, Sehender, Fühlender sei. Ein solcher Begriff wäre gar nicht möglich. D e r reine
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Die Gestaltung
der jeweiligen Künste das Gestaltungsproblem in absolut eigenartiger Weise. In Musik und Malerei stellt sich das Problem auf andere Weise als in der Dichtung. Denn für die Künste, deren Mimesis im Medium der äußeren Sinnlichkeit darstellt, ergibt sich die Lösung des Gestaltungsproblems in einer Hinsicht von selbst. Musik und Malerei etwa zeigen das Hör- und Sehbare als es selbst, ohne daß es dabei als solches vorher bewußt gewesen sein müßte. Sofern das Gestaltungsproblem n u r die Auflösung in reine Zuständlichkeit betrifft, ist diese allein durch die Darstellung im Medium äußerer Sinnlichkeit geleistet. In seinem äußerlichen Gemachtsein als zwecklose Mimesis weist es von selbst auf sich als rein Sinnliches.609 Insofern aber das Gestaltungsproblem nicht einfach Auflösung in Zuständlichkeit ist, sondern, ein Bestimmtes Vermeintes, in seiner eigenen Zuständlichkeit zu zeigen und so seinen Grund einsichtig zu machen, ist das Gestaltungsproblem der bildenden Künste von gleicher Schwierigkeit. Ein abstraktes Reich des Schönen zu eröffnen ist für sie leicht, nicht aber, den in seinen bestimmten geschichtlichen Zwecken befangenen Menschen in seine e i g e n e Zuständlichkeit herauszuführen und so f ü r den geschichtlichen Menschen bedeutsam zu sein. Anders stellt sich das Gestaltungsproblem für die Künste im Medium der Sprache, für die Dichtung. Sie geht von der Bestimmtheit des in der Sprache Vermeinten aus und muß es von seiner „Versteinerung" zu befreien suchen. Problem ist hier — jedenfalls im Stadium kultureller Zivilisation — wesentlich die Auflösung in die reine Sinnlichkeit des Gefühls. Die Darstellung ergibt sich nicht schon aus dem Charakter des Mediums der Mimesis von selbst. Dichtung ist dem Mißverständnis, abstrakte Meinungsäußerung zu sein, viel mehr ausgesetzt als Malerei und Musik, deren amorpheres Medium sich dem allegorisierenden Mißverständnis ausdrücklicher widersetzt. Pointiert formuliert, läßt sich sagen: Gestaltungsproblem der Dichtung ist im entwickelten Kulturzustand nicht der Sinn sondern die Sinnlosigkeit, aber diese nun nicht in ihrer Abstraktheit als bloßer Unzusammenhang, der die Kehrseite der abstrakten Meinungsrationalität darstellt, sondern das Sinnlose, wie es Grund möglicher Bestimmtheit und rein sinnlicher Totalität als Zuständlichkeit ist. Dichtung erfüllt also ihre mimetische Funktion als Kunst nicht schon dadurch, daß sie ein Vermeintes in einem ,Beispiel' anschaulich macht, derart, daß das Vermeinte und Charakter dieses Zuständlichen ergibt sich nicht aus seiner gegen anderes etwa möglichen Bestimmung. Er ist selbst kontingenter Aspekt der Totalität selbst und geht jeglicher Bestimmung vorher. 600 j ) e r einfachste Fall dieser Kunstwirkung ist mit gewissem Recht in der modernen Kunst ausdrücklich Thema geworden: etwa die monochrome Bildfläche oder das als es selbst bemerklich gemachte Geräusch in der Musik.
Ihr rein problematischer Begriff
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seine Demonstration gegeneinander Selbständige bleiben. Da Darstellung Mimesis in der dargelegten Bedeutung ist, muß sie das Bestimmte selbst in seinem eignen Grund auflösen und zeigen, wie es magischer Name seiner reinen Zuständlidikeit ist. Das Wort in der dichterischen „Darstellung" verliert seine vermittelnde Bedeutung, es wirkt „auf eine verwickelt primitive Weise"*10 unmittelbar magisch und der Zusammenhang, den es aufbauen hilft, ist unmittelbar einleuchtende Gestalt. Musil spricht „von dem irrationalen Simultaneffekt sich gegenseitig bestrahlender Worte", 611 von dem Wort, das wie der Speer „aus der Hand geschleudert werden muß, um sein Ziel zu erreichen, und nicht mehr zurückkehrt". 612 Dichtung „wandelt Gedanken in Leben um", 613 sie gibt Worten Körper. Der Sinn dieser den S y m b o l - Begriff der Dichtung umschreibenden Bemerkungen Musils muß streng am Begriff reiner Zuständlichkeit orientiert werden, wie er ausführlich entwickelt wurde. Dichtung ist „Symbol", ein s i n n l i c h Bedeutendes, das heißt, das Gedicht „ist ein sinnloses vor einem gleichsam zusammengespiegelten Hintergrund von Sinn". Diese Sinnlosigkeit zu gewinnen, ist d a s Gestaltungsproblem der Dichtung. Dies Problem zu lösen, ist unüberholbare und immer wieder neu sich stellende sachliche Aufgabe der Dichtung, denn immer von neuem wird die Gestalt selbst zu Meinung und bestimmtem abstrakten Zweck des geschichtlichen Menschen und verlangt neue Auflösung in differenzierterem Gestaltungsprozeß. Die Unmittelbarkeit von Dichtung als Gestalt ergibt sich nicht von selbst, sie ist nicht nur gemeint, sie ist darum Gestaltungsproblem. Das Kunstwerk ist in dem Maß gestaltet, ist Symbol und hat im Symbol die Wahrheit einer ästhetischen Totalität, als es gelingt, die Bestimmtheit des Vermeinten in dessen eigene reine Zuständlichkeit aufzulösen. Jeder Dichtung, die auf sich selbst als zwecklos Gemachtes weist, gelingt das in gewisser Weise. Die künstlerische Rangfrage ist die, wie tief diese Auflösung reicht. Im ,Törless' haben wir eine verhältnismäßig niedrigere Stufe der Gestaltungsintensität bemerken können. Der Roman spielte noch innerhalb der fix gesetzten Grenzen einer dogmatischen Realität, die eine Handlung von ihren für sich selbst bestehenden Trägern abhob. Die reine Zuständlichkeit taucht erst in der abstrakten Form als vermeinte auf. Sie war noch nicht durchgängiges Element der Dichtung, aus der sich die Bestimmtheit erhebt wie die ,Kristalle in einer erstarrenden Flüssigkeit'. Zwar gab es auch hier wie in jeder Dichtung „Darstellung", aber die Darstellung wurde in ihrem reinen Sinn nicht auffällig, weil sie nur in 610 611 612 613
PDB S. 788 Tgb.S.676 a.a.O. S. 717 R. M. „Theater" S. 29
18 Sdiaffnit
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Die Gestaltung
gewisser Hinsicht darstellte und so ein Gemeintes zwar ästhetisch v e r t i e f t e , aber nur in bestimmt vorher fixierten Grenzen, die von der Meinung festgesetzt waren. Im ,Törless' fanden wir erst „die Wendung vom Realismus zur Wahrheit a n g e d e u t e t " , und wir sahen, wie der Realismus seiner Gesamtform von innen her, von dem Un-Charakter der Hauptfigur her, problematisch wurde. Aber diese Auflösung blieb noch, entsprechend der realistischen Struktur dieses Romans, eine bloß vermeinte. Sie wurde noch nicht als solche ernst genommen, sie wurde noch nicht als das Element dichterischer Darstellung in erkenntnistheoretisch absolutem Sinn v e r s t a n d e n . Törless ,redete' nur über die reine Zuständlichkeit, obwohl er schon bemerkte, daß sie dem meinenden Reden nicht zugänglich ist. Von nun an mußte Dichtung sich in das, was Törless als ein ,Problem' seiner eigenen Person nur meinte, als ursprünglichen Sachverhalt, als die „Wahrheit" e i n l a s s e n . Die Törless-Erfahrung „deutet" den Horizont „an", den Dichtung ausfüllen muß; er erweist seine Wahrheit als Totalität gegen die abstrakte Bestimmtheit von Meinung. Die Bestimmtheit von Meinung wird erst wahr, sofern Kunst gezeigt hat, wie sie im Chaos reiner Zuständlichkeit sich gründet, wie sie „Erlebnis" werden kann. Dieser Anspruch der Dichtung läßt sich in seiner notwendigen Inkommensurabilität verstehen. Dem Verständnis dieses Anspruchs war diese Arbeit gewidmet. W i e Dichtung diesen Anspruch e r f ü l l t , darüber läßt sich theoretisch nichts ausmachen, sonst wäre die Inkommensurabilität künstlerischer Gestaltung aufgegeben. Die Gestaltung der Dichtung ist ein inkommensurabler schöpferischer Prozeß, dem die Interpretation nur gerecht wird, wenn sie ihn nachvollzieht und dabei den unvermittelbaren ontologischen Horizont der Dichtung zeigt. Die Interpretation der Dichtung muß ihre Unverständlichkeit offen halten und ihr ihren ontologischen Horizont geben, indem sie verstehen macht, daß sie von Bestimmtem ausgehend in dessen eigene Unbestimmtheit zu zeigen vermag. Wie Dichtung das vermag, das kann prinzipiell nur Dichtung zeigen. Im folgenden wollen wir in einem Beispiel der Sprachstruktur einer Dichtung Musils nachgehen. Es ist dabei nicht die Absicht, Bestimmtes über sie auszusagen, es kann nur dies die Aufgabe sein, die Dichtung ihrer Ausgeliefertheit an das Meinungsbewußtsein zu entziehen. Es wäre hier zuerst auf die „Vereinigungen" hinzuweisen, die im Werk Musils das Beispiel differenziertester allseitig gestaltender Vertiefung, nach außen und innen, bieten. Musil formuliert das Gestaltungsproblem in Hinsicht auf den stofflichen Vorwurf dieser Dichtung: „Ich hatte den Weg zu beschreiten, der von einer innigsten Zuneigung beinahe
Ihr rein problematischer Begriff
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bloß binnen 24 Stunden zur Untreue führt." 614 Er fährt fort: „Es sind psychologisch hundert und tausend Wege. Es hat keinen Wert, e i n e n von ihnen zu schildern." Das theoretische Denken der Psychologie e r k l ä r t die Möglichkeit solchen Falles auf Grund bestimmter angenommener Voraussetzungen. Sie „zeigt uns vielleicht einen oder den anderen von besonderer Bedeutung. Typologie des Ehebruchs. Doch das ist nicht Sache des Dichters. Es ist eine Vernunftfrage." Die ästhetische Totalität dichterischer Gestaltung geht über die Darstellung des einen Falles in seiner theoretisch möglichen Bestimmtheit und typologischen Allgemeinheit hinaus. Das in ursprünglichem Sinn I n d i v i d u e l l e des dichterisch exemplarischen Falles erreicht die Gestaltung nicht auf dem Weg fortschreitender Bestimmung des Sachverhalts, sondern durch die Auflösung seiner Bestimmtheit im mimetisch zugänglich gemachten Erlebnis. Durch die „Demonstration des moralischen Spektrums mit den s t e t i g e n Ubergängen von etwas zu seinem Gegenteil" erreicht Musil eine dem bestimmten Begriff theoretischen psychologischen Vorstellens unzugängliche Allgemeinheit, er erreicht ästhetische Totalität. Wie Musil diese im Medium der Sprache problematische Aufgabe reiner Mimesis erreicht, sei im folgenden nicht an den ,Vereinigungen' sondern an einem einfacheren Beispiel gezeigt. Nur eine Interpretation des Gestaltungsvorgangs, die ihm Wort für Wort und Satz für Satz folgt, kann diese mimetische Leistung auffällig machen. Doch das einmal gewählte Gestaltungsverfahren gibt keine Regel für andere Fälle, wohl aber kann es die künstlerische . T a k t i k ' zeigen, wie sie Sprache in ihrem abstrakten Meinungssinn hintergeht.
«" Tgb. S. 811 18*
H . Die „Gestaltung" in Musils „Die Affeninsel" — Die absolute „Fabel" Wir wählen das Prosastück „Die Affeninsel" aus dem „Nachlaß zu Lebzeiten".615 Wir gehen seiner durch die Sprache evozierten Fiktionsstruktur in den Einzelheiten nadi mit dem Ziel, sein Gestaltungsprinzip als Problem nachzuvollziehen. Wir setzen diesem Beispiel ein ähnlich orientiertes Beispiel Lessings entgegen, dessen Gestaltungsprinzip Lessing selbst erläutert. Dabei wird sich herausstellen, daß Musil in der ,Affeninsel' eine klassische Symbolform der Dichtung erkenntnistheoretisch vertieft, wie er es im ungleich komplizierteren Fall des Romans und seiner im ontologischen Horizont orientierten „Ironie" tut. Das Prosastück ist gegliedert in fünf Absätze. Zuerst wird der Ort des darzustellenden Vorgangs gegeben, und zwar in auffallender Bestimmtheit: ein hoher Baum, tot (wie ein Schädel, wie ein Skelett, ohne Wurzeln), „in den Zement einer ovalen Insel gepflanzt". Das würde genügen, um die einfache Situation gefangener Affen vorzubereiten. Vielleicht nur um dokumentarischer Genauigkeit willen, ist der Ort auch in menschlicher Hinsicht bestimmt (Villa Borghese in Rom . . . die Insel, durch einen glatt betonierten Graben vom K ö n i g r e i c h I t a l i e n abgetrennt). Der Ort ist durch diese Namen orientiert in dem historisch kulturellen Bewußtsein eines Lesers. Die auffallende Formulierung: „vom Königreich Italien getrennt", ist nun aber nicht anders zu verstehen, denn als eine ausdrückliche Abtrennung des Vorgangsbereiches der folgenden Geschichte von der Lebenswelt des historisch kulturellen Bewußtseins eines Lesers. Diese Trennung ermöglicht die ausdrückliche Beziehung, denn diese Trennung ist nicht vollständig: „Dieser Graben ist gerade so breit und an der Außenwand so tief, daß ein Affe ihn weder durchklettern noch überspringen kann. Von außen herein ginge es wohl; aber zurück geht es nicht." Eine mögliche Beziehung „von außen herein" ist angedeutet, nach außen hin besteht sie nicht. Zwar scheint hier nur an ein buchstäbliches Durchklettern gedacht. Aber der sich unmittelbar anschließende Absatz spielt mit solcher Möglichkeit des Von-außen-hereinGelangens ausdrücklich: „Der Stamm in der Mitte bietet sehr gute Griffe dar und läßt sich, wie Touristen so etwas ausdrücken, flott und genußfroh durchklettern." Die Möglichkeit „genußfrohen Kletterns" wird betont auf 615
PDB S. 451—453
„Die Affeninsel"
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den Leser in seiner Funktion als Zuschauer bezogen fingiert, auf ein „man" dieser Sphäre, das, wie es dann heißt, „Schuhe und Strümpfe auszöge und mit einwärts gestellter Ferse, die Sohlen fest an die Rundung des Astes schmiegte und mit den voreinander greifenden Händen auch recht fest Zugriffe . . . " Von Affen ist hier nicht ausdrücklich die Rede, und nicht von einem Vergleich des Menschen mit dem Affen, sondern genauer nur von der Fiktion, die einem „man", das identisch fingiert wird mit dem des Beobachters und Lesers, dieses Verhalten von außen herein zumutet, ohne auf diese Zumutung bewußt zu reflektieren. Dieser Gesichtspunkt wird herübergenommen in den nächsten Absatz, der von dem tatsächlichen Vorgang auf dieser „wundervollen Insel" handelt. „Wundervoll" ist sie ja nur für eine Perspektive, die in den Möglichkeiten des vorigen Absatzes denkt. Dieses „wundervoll" verknüpft die Fiktion einer buchstäblichen Handlungsorientierung des man-Beobachters mit der Fiktion einer nur vorstellungsmäßig deutend auf die dort lebenden Wesen bezogenen. Die Subjekte des folgenden Vorgangs werden benannt als „drei F a m i l i e n " : die einen: „etwa fünfzehn sehnige bewegliche B u r s c h e n und M ä d c h e n " — die andern: „ein E h e p a a r . . . mit einem g a n z k l e i n e n S o h n e " , „das K ö n i g s p a a r . . . und der K r o n p r i n z " . Verhältnismäßig spät wird von den dieser Art Eingeführten beiläufig gesagt, daß es ,Affen' sind. Sie wohnen in dem einzigen Gebäude der Insel, einem Palast. N u r um der größeren Genauigkeit willen ist noch einzusetzen: „von Form und Größe einer Hundehütte". Es wird damit aber die wesentliche Bestimmung „Palast" nicht aufgehoben. Die Ausdruckswahl bewirkt, daß die Subjekte des folgenden Vorgangs unmittelbar in die Vorstellungssphäre des Von-außen-herein, „vom Königreich Italien" her, bezogen sind. Das bedeutet nicht einfach anthropomorphes Denken. Wir müssen genauer sein: der Mensch ist nicht genannt, so allgemein könnte er nur in bewußter Reflexion des Dargestellten thematisch werden. Für sich stehende Reflexion ü b e r den Vorgang findet sich in diesem Prosastück nicht, sondern nur perspektivisch beschreibende Beobachtung. Aber diese Beobachtungssituation ist selbst fingiert mit den Mitteln der Sprache. So wie diese Prosa konzipiert ist, darf nicht ein Bewußtsein des Autors Musil in die Interpretation des Textes als Voraussetzung mit hineingenommen werden. Es darf also nicht mehr gesagt werden als dies: Mit der Fiktion einer Möglichkeit handelnder Orientierung hat Musil das beobachtende ,man', das in der Sprache gegenwärtig ist als den sprachlichen Gestus Vollziehender, unmittelbar bezogen auf die Situation der „ovalen Insel". Diese Beziehung wird fortgeführt als ein beobachtendes Vorstellen. Das Beobachtete wird genannt als unmittelbar bezogen auf den Vorstellungshorizont dieses „man", das „von außen herein" schaut. Und dabei ist in allen Einzelheiten peinlich genau darauf
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geachtet, daß der Ausdruck den Sinn in unmittelbarer Beobachtung erfüllt oder doch auf ihren Horizont ausgerichtet bleibt. In diese Orientierung nötigt Musil so selbstverständlich, daß von einer Notwendigkeit, Affensphäre und Menschensphäre zu scheiden nicht ausdrücklich die Rede sein muß. Auf die Fremdheit und Ferne dieses „Ehepaars" stößt der Leser allererst in einer Stelle wie dieser: „Wächterhaft regungslos sitzen sie rechts und links von ihm und blicken geradeaus an ihren Schnauzen vorbei ins Weite." Die Beobachtung des „an ihren Schnauzen vorbei" ins Weite Blickens kontrastiert der Spradigewohnheit, in der von Ehepaaren, Königen und Kronprinzen die Rede ist. Und diese Kontrastwirkung ist um so stärker, weil eine reflektierte, gedachte, nach dem Kriterium eines Freiheitsbegriffes etwa vollzogene Trennung von Tier- und Menschensphäre hier in der unmittelbaren Fiktion ausgeschlossen ist. Der Eindruck intimer Nähe des Fremdesten verstärkt sich in der Schilderung des nun folgenden kurzen geschlossenen Handlungsablaufs. „ N u r einmal in jeder Stunde erhebt sich der König und besteigt den Baum zu einem inspizierenden Rundgang. Langsam schreitet er dann die Äste entlang, und es scheint nicht, daß er bemerken will, wie ehrfürchtig und mißtrauisch alles zurückweicht und sich — um Hast und Aufsehen zu vermeiden — seitlings vor ihm herschiebt, bis das Ende des Astes kein Entweichen mehr zuläßt und nur ein lebensgefährlicher Absprung auf den harten Zement übrigbleibt." Der Leser wird hineingezogen in die einfache Kontinuität und gespannte Intensität des fingierten Ablaufs. Einfache, ruhige, unerschütterliche Festigkeit des Ablaufs zu Beginn, dann die Anspannung der Ablaufskontinuität durch zielgerichtete hypotaktische Gliederung (eingesprengter ,um-zu'Satz). Endlich wird das Ende in dem durch ,bis' eingeleiteten Nebensatz noch einmal hinausgezögert, so daß erst in einem zweiten durch ,und' angefügten Glied dieses Satzes das Ziel erreicht ist, der lebensgefährliche Absprung' des Ohnmächtigen. Wie ist diese Dichte und Zielgerichtetheit des Ablaufs, den die Sprache fingiert, zu verstehen? Rein als gesehenes Nacheinander, hätte er sie nicht. Aber auch die willentliche Zweckintention eines bewußt Handelnden soll deutlich ausgeschlossen werden. Schon die vorausgesetzte regelmäßige Wiederholung des Vorgangs gibt das zu verstehen. Der Vorgang bleibt ein beobachteter, dessen innere Motivierung unbekannt bleibt. Doch da ein Verhältnis zweier Wesen (bzw. Gruppen von Wesen) sich darstellt, drängt sich dem Beobachter eine Deutung der Ausdrucksphänomene in den Kategorien von Macht und Ohnmacht auf. Die Herrscherterminologie bereitete das schon vor. Jetzt ist von „inspizierendem Rundgang", von „Ehrfurcht und Mißtrauen", von „Herrscherpflicht", „Ehrerbietung" und „Scheu" die Rede. Zugleich aber behält der Vorgang den neutralen Ablaufscharakter, der im Lichte dieser deutenden Kategorien allerdings wie
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ein Zwangsablauf erscheinen muß. Die Ausdrucksdeutungen sind nur versuchsweise gegeben. Die vorausgesetzte regelmäßige Wiederholung deutet auf den Zwangsablauf („einmal in jeder Stunde"); sogar in sich selbst besteht der Vorgang aus wiederholten gleichen Phasen („So schreitet der König einen nach dem andern, die Äste ab."). Die den beobachteten Ausdruck deutenden Begriffe müssen von dem Beobachter zurückgenommen werden. „Es scheint nicht, daß er bemerken will, wie ehrfürchtig und mißtrauisch alles zurückweicht . . . " — „die gespannteste Aufmerksamkeit kann nicht unterscheiden, ob sein Gesicht dabei die Erfüllung einer Herrscherpflicht oder einer Terrain-Kur ausdrückt". Dem Beobachter ist es unmöglich, den Vorgang als einen willentlichen Akt auf ein personales Zentrum zu beziehen und doch legt ihm seine Perspektive nahe, deutende Wörter zu benutzen, die ihn im denkend vorstellenden Zusammenhang beziehen. So erhalten diese Wörter durch den beobachteten Vorgang, auf den sie angewendet werden, einen neuen Sinn, viel mehr, als sie diesen selbst interpretieren. Der Sinn etwa von „Herrscherpflicht" ist durch diese unbeteiligte Sicherheit zeremonieller Automatik neu bestimmt, die ebensogut im Sinnzusammenhang von „Terrain-Kur" gedeutet werden kann; es kommt zu einem schwebend Diffuswerden des Wortsinns und so zu einer Neugründung aus dem Beobachteten, das seine Kontingenz bewahrt. Die gespannte Dichte des Vorgangs, der erst bei erreichtem Ziel zur Ruhe kommt („bis alle Äste entleert sind und er wieder zurückkehrt") legt die zielgerichtete Darstellungsform hypotaktischer Gliederung nahe. Zugleich wird der Sinn dieser in das Unbestimmte zwanghafter Automatik aufgelöst. Die der Sprache gewohnte Behauptung zweckgerichteter Bewußtheit menschlichen Handelns wird in diesem Zusammenhang aufgehoben durch den einfachen Ablaufscharakter beobachteter wiederholter Zwangshandlung. Musil erzwingt durch den Kontrast des im Beobachtungsgestus und Deutungsgestus Dargestellten eine Neuorientierung des sprachlichen Ausdrucks. Dieses Verhältnis kehrt in jeder Einzelheit wieder. So im folgenden: „Auf dem Dache des Hauses sitzt inzwischen der Kronprinz allein, denn auch die Mutter entfernt sich merkwürdigerweise jedesmal zur gleichen Zeit, und durch seine dünnen, weit abstehenden Ohren scheint korallenrot die Sonne." Als beobachtet wird fingiert, daß das Affen junge jedesmal allein ist: „die zur Erde gejagten Baumaffen . . . machen einen Bogen um ihn . . . " Dem Geschehen wird nichts von seiner Kontingenz genommen: es wird nicht aus Gründen erklärt. Durch seine Deutung bezieht der Beobachter zwar auf seine menschlichen Begriffe, aber die Rätselhaftigkeit und Sicherheit des Ablaufs wird dadurch nicht aufgeschlossen. Schon die Unterlegenheit der größeren Zahl ist verwunderlich. So bekommt das
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angewandte Vokabular des Herrschafts- und Machtzeremoniell seinen Sinn durch das „Ereignis". Ehrerbietung und Scheu des Ohnmächtigen sogar vor der Blöße, die der Starke sich gibt, bekommt die Härte und Undurchdringlichkeit eines mythischen Faktums. Die Wiederholung des Ereignisses im gleichen Schema bekräftigt die Geltung des Faktischen, das den Sinn menschlichen Sagens neu und ursprünglich begründet. Noch deutlicher wird die Unfreiheit der Deutung dem zwanghaften Ereignis gegenüber im zweiten Teil der Affenbeobachtung, die das gleiche Verhältnis von Macht und Ohnmacht in brutalerer Erscheinungsform vorführt. Es sei im folgenden darauf verzichtet, die Fiktionsstruktur in allen Einzelheiten aufzuzeigen, sie ist überall die gleiche: Es wird ein Vorgang als beobachteter gezeigt; sein Ablauf ist darum einer inneren Motivierung nicht zugänglich. Der Zuschauer bedarf aber auch zur Beschreibung schon der deutenden Wörter, denen der Beziehungszusammenhang von Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Knechtschaft, Willkür und Leiden immanent ist. Doch diese Kategorien schließen das Geschehen nicht auf. Es verharrt für den Beobachter in seiner rätselhaften Kontingenz, so daß der deutende Vorstellungszusammenhang, anstatt den Gegenstand zu bestimmen, von ihm bestimmt wird. Wir interpretieren die wesentlichen Ergebnisse. „Außer diesen ein geordnetes Leben führenden Wesen" werden noch andere von der Insel beherbergt. „Verdrängt von der Oberfläche und der Luft, lebt in dem Graben ein zahlreiches Volk kleiner Affen". Wie vorher der Herrscheraspekt das Beobachtete zu orientieren suchte, ist es hier die Versklavung der Vielen, die von den selbst untergeordnet Lebenden gezüchtigt werden. Die Machtdemonstration ist brutaler, sie scheint durch die Opfer selbst ausgelöst zu werden, durch die Überschreitung ihrer aufs äußerste begrenzten Daseinssphäre. Doch ist sie ebensosehr provoziert durch die Willkür der Mächtigeren. Beides ist aber nur Folge oder Ausdruck des kontingenten Zustands, den der nun geschilderte Vorgang ansichtig werden läßt. Er hat die gleiche Ablaufskontinuität und gespannte Intensität wie der vorige. Der Vergleich bezieht das, was dem Beobachter wie Aktion und Reaktion erscheint, in den Bereich anorganischer Gesetzlichkeit: Ein ungerichtetes, blindes Geschehen läuft ab: „Jetzt drängt sich alles zusammen, so daß eine Fläche von H a a r und Fleisch und irren, dunklen Augen sich an der abseitigen Wand emporhebt wie Wasser in einem Bottich." Anlaß des Angstzustandes ist der „böse fremde Blick, der vom Rande herabsieht", den sie „mit den Handflächen abwehren". Der Blick ist nicht von einem personalen Willenszentrum regiert, er ist selbst Moment in dem kontingenten Ereignisablauf: „Und allmählich heftet dieser Blick sich an einem fest . . . dann nagelt der lange gleichgültige Blick den zufälligen einen an . . . und von Augenblick zu Augenblick wächst die
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Verfehlung an, während sich ruhig eine Seele in eine andere bohrt, bis der H a ß da ist, und der Sprung losschnellen kann, und ein Geschöpf ohne Halt und Scham unter Peinigungen wimmert." „Verfehlung" und „ H a ß " , von uns normalerweise verstanden als Aktion und Reaktion, sind hier nur zwei Seiten eines Vorgangs, Momente in einem die Willenssubjektivität aufhebenden Prozeß. Die Verfehlung „wächst" darum auch, ihr äußerster Grad ist identisch mit dem H a ß und dieser nichts anderes als,Losschnellenkönnen des Sprungs'. Eine psychische Mechanik von unauflösbarer Dichte ist angedeutet. Streng unpersönlich ist der Ablauf orientiert, aber noch in gesteigertem Sinn als im vorigen Absatz. Dort sind die Wesen noch einzeln, als scheinbare Subjekte in der sprachlichen Form genannt. Anders hier: die Menge ist „eine Fläche von H a a r und Fleisch, eine Woge von Entsetzen". Und wenn im folgenden die Vorgänge an ein sprachliches Subjekt angeknüpft werden müssen, so sind es unpersönliche Subjekte, scheinbar nur Teile und Funktionen eines Ganzen, das in sie verloren gegangen ist: „ D i e k l e i n e n s c h w a r z e n G e s i c h t e r erheben sich und werfen die Arme in die Höhe", „ d i e s e r B l i c k . . .", „ d e r l a n g e g l e i c h g ü l t i g e B l i c k . . .", „ d i e V e r f e h l u n g wächst", „ d e r H a ß da ist", „ d e r S p r u n g losschnellen kann". Erst am Schluß wird der Ablauf direkter bezogen auf die Vorstellungsordnung des „von außen herein": „ein Geschöpf ohne Halt und Scham unter Peinigungen wimmert". Das Verhängnis hat sich entschieden, an dem „zufälligen einen" ist es zum Ziel gekommen. Die aus dem Bann befreite Energie rast in den offenen Raum, für den Beobachter deutet sich dieser Sachverhalt so: Es sind die „anderen" im Unterschied zu „dem zufälligen einen", „sie flackern lichtlos durcheinander wie die besessenen Seelen im Fegefeuer", er sieht sie als die Orientierungslosen am Ort der Qual. E r muß sie als die Ohnmächtigen erkennen, die als solche Bilder sind aller zerstörten ,Seelen'. Folgenlos sind die Vorgänge, alles ist vorbei: „Der Verfolger . . . setzt sich ruhig zurecht und verharrt ernst, aufrecht und ewig lange ohne sich zu regen". Der Beobachter weiß von ihm, daß er im sich erneuernden Kreislauf der Vorgänge vom König zur Erde gejagt werden wird und so fort. Kein Bewußtsein davon stört die Ewigkeit und Ruhe seines ziellosen Daseins. Es wird das Fremde dieses mythischen Bereiches wieder anschaulich. In ihr gibt es nur Abläufe, die in sich selbst kreisen. Sie sind unaufschließbar, sie haben kein Motiv, sie sind unbeziehbar auf einen bestimmten Begriff von menschlichen Zwecken und bestimmt tätigem Willen. In dem Maß wie es aber gelingt, den beobachteten fremden Vorgang mit seinen ihn nennenden Worten zu verknüpfen, gerät auch der sprachliche Zusammhang in den Bann dieses Faktums. Die in den Worten sonst gemeinte, bestimmte menschliche Bedeutung, die den Menschen als bestimmte Ursache seiner selbst in seinen Handlungen versteht, wird auf-
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gehoben und neu orientiert in Bezug auf seine ursprüngliche Zuständlichkeit. Sie stellt sich dar in der dumpfen Bewußtlosigkeit der Wiederkehr des Gleichen. Der Beobachter macht das Experiment, „von außen herein zu klettern", er „zieht Schuhe und Strümpfe aus" und übt sich in solchem Dasein, er erprobt die Wörter der Sprache im Sinnzusammenhang von Macht und Herrschaft, ob sie sich auf dieses Fremde beziehen lassen. Er gründet ihren Sinn neu aus dem, wofür sie als Zeichen gebraucht werden. Diese Neuorientierung erreicht Musil nur dadurch, daß es ihm gelingt, im Gestus des Beobachtens, die Fremdheit und Kontingenz des Tierverhaltens festzuhalten, die sie ihrer einfachen bestimmten Deutbarkeit entzieht. Dadurch bleibt die Spannung zwischen dem beobachteten Tierverhalten und seiner deutenden Nennung aus der Perspektive des menschlichen Beobachters bewahrt. Die Affen sind nicht einfach Herren und Diener, Mächtige und Opfer. Vielmehr wird der Sinn dessen, was Herrschaft und Macht ist, in seiner ursprünglichen unbestimmten Wirklichkeit selbst gezeigt. Die Wörter im Sinnzusammenhang von Herrschaft und Macht erhalten eine Sinnvertiefung, die kein theoretischer Definitionszusammenhang erreichen kann. Die theoretische Bestimmung eines Wortes im Begriff kann nicht über den bestimmten Horizont des die Theorie orientierenden Oberbegriffs hinaus. Die Erfahrung im wissenschaftlichen Horizont ist begrenzt in ihm, sie kann nicht auffassen, was sie nicht schon weiß. Einer wirklich neuen Erfahrung ist sie nicht mächtig, sofern das Neue den Horizont ihr zugänglicher Begriffe übersteigt. Im Bereich der kulturellen Gehalte bemerkt sie die Neuartigkeit des Phänomens nicht einmal, weil hier das bewußt die Bestätigung erprobende, suchende Experiment selten anwendbar ist. Zur Vergewisserung dessen, was Macht oder Herrschaft sei, dazu bedarf es der Demonstration. Es bedarf der „anschauenden Erkenntnis" von Kunst. Aber wie erweist sich die Wahrheit dieser Erkenntnis? Insofern sie Erlebnis wird, hat sich ihre Wahrheit erwiesen. Aber was kann das Kriterium dafür sein, daß Dichtung diese Wirkung erreicht? Sie liegt in der erreichten Kontinuität als ästhetischer Totalität. Diese ist nur erreicht, insofern der Stoff, der bestimmte Anlaß der Dichtung, durchaus gestaltet ist. Er ist es in dem Maß, als der bestimmte Horizont der Sprache aufgehoben ist. Sind die Wörter, wie in diesem Beispiel, weitgehend von ihrer bestimmten Geltung befreit dadurch, daß sie auf ein ihrem bestimmten Sinn Fremdes unmittelbar bezogen sind, so gewinnen sie eine höhere Allgemeinheit, sie gelangen in den magischen Einwirkungsbereich der Anschauung selbst und gewinnen Anteil an ihrer Totalitätsgeltung. Die dem bestimmten Sinn entzogene Fremdheit des Anschaulichen erreicht Musil in diesem Fall durch den Gestus der fingierten Beobachtung von Affen, die als anschauliche, nicht als vermeinte offenbar werden, was Musil wiederum
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dadurch erreicht, daß er auf das Ungewohnte, „die Ausnahme achtet" und es dadurch in seiner der Deutung überlegenen Fremdheit, die es als Beobachtetes hat, bewahrt. An der bestimmtem Sinn entzogenen anschaulichen Fülle dieses Fremden orientiert er nun die Wörter des deutenden und nennenden Beobachters neu und erprobt sie, ob sie sich an ihm bewähren. So macht der Dichter der Sprache des Menschen Erfahrungen zugänglich, die sein bestimmtes Meinen noch nicht kennt. Musil hat berechtigten Anlaß, später, 1936, von diesen 1913 entstandenen Bildern zu sagen, daß sie „leicht für erfundene Umschreibungen späterer Zustände" gehalten werden konnten. „In Wahrheit sind sie eher ein Vorausblick gewesen, getan . . . in ein Zusammenleben von Affen." Somit ist das dichterisch Gestaltete als ästhetische Totalität „Weissagung", sie macht rätselhaft Gegenwärtiges, das der Keim des Zukünftigen ist, anschaulich sichtbar. „Jedermann werden solche Weissagungen gelingen, der an kleinen Zügen, wo es sich unachtsam darbietet, das menschliche Leben beobachtet und sich den ,wartenden' Gefühlen überläßt, die bis zu einer Stunde, die sie aufrührt, scheinbar ,nichts zu sagen haben' und sich harmlos in dem ausdrücken, was wir tun und womit wir uns umgeben."616 Der Künstler macht grundsätzlich bemerkbar, „was nichts zu sagen hat", und macht es so für das bestimmte Meinen des Menschen zum Problem. Die weissagende Kraft der Dichtung liegt in ihrer ästhetischen Totalität, deren Wahrheit der Allgemeingültigkeit theoretischer Aussage prinzipiell überlegen ist. Ihre Wahrheit ist aber Geheimnis, und was sie also lehrt, ist in gewisser Weise immer das ,gleiche', sie zeigt das Geheimnis als Grund des Bestimmten und öffnet dem Meinen immer wieder den problematischen Horizont des Wahren, der stets zu bewältigen bleibt, den das bestimmte Meinen sich aber immer wieder verstellen läßt, wodurch das Chaos erst über den Menschen mächtig wird. Die Wahrheit des Symbols liegt in seiner ästhetischen Totalität. Als solche lehrt sie das Geheimnis.
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I. Die „Gestaltung" in Lessings Fabel Daß Dichtung „anschauende Erkenntnis", ein sinnlich Bedeutendes gibt, ist in der Ästhetik unter dem Symbolbegriff immer schon bewußt geworden. Nur der Horizont dessen, was Anschauung rein als solche ist, ist dabei ihrem ontologischen Begriff nach lange verschlossen geblieben. Was ist die Wahrheit des Symbols? Was ist die „Bedeutung des Dargestellten" in der Dichtung? Der Vergleich mit Lessings Fabeltheorie kann die Grenzen jeder dogmatischen Ästhetik und ihres Symbolbegriffs617 einsichtig machen. Auch die Fabel nach Lessings Definition gibt: „ a n s c h a u e n d e E r k e n n t n i s " , — nun aber eines a l l g e m e i n e n m o r a l i s c h e n S a t z e s in einem e i n z e l n e n F a l l , dem der Dichter W i r k l i c h k e i t erteilt'. 6 1 8 Die Anerkennung dessen, daß Dichtung wirklich Erkenntnis ist, eröffnet Lessing die Möglichkeit, den Symbolbegriff von Dichtung als anschauende Erkenntnis zu fassen. In dieser Hinsicht ist er moderner naturalistischer Dichtungstheorie überlegen. Zwar stellt auch die Fabel einen Vorgang in der Sukzession dar. Aber nicht dieser, nicht die Geschichte, ist das Ziel sondern ihre Bedeutung. „Nicht genug, daß das, was die Fabel erzählt, eine Folge von Veränderungen ist, alle diese Veränderungen müssen zusammen nur einen e i n z i g e n anschauenden Begriff in mir erwecken."619 „Ein Histörchen trägt sich zu; eine Fabel wird erdichtet."620 Als „anschauende Erkenntnis" „ e r w e c k t " die Fabel unmittelbar „nur einen e i n z i g e n anschauenden Begriff in mir." Genau das gilt auch für Musils ästhetischen Dichtungsbegriff. Die Differenz wird erst bemerklich darin, was unter „anschauendem Begriff" verstanden wird. Auch Lessing legt wesentliches Gewicht auf die „Wirklichkeit" des „einzelnen Falles". Und das aus folgenden Gründen: „Die anschauende Erkenntnis 617
918 619 620
Vgl. dazu ,G. E. Lessing Fabeln Drey Bücher Nebst Abhandlungen ..." in: ,E. G. Lessings Sämtliche Schriften' hg. v. Karl Lachmann 3. Aufl. bes. d. F. Muncker 7. Bd. 1891 S. 413 f. — Terminologisch setzt Lessing die .anschauende Erkenntnis' — das Symbol also in unserem Sinn — dem .symbolischen' — d. h. für ihn — abstrakten Denken gegenüber. So Lessing a.a.O. S. 446 a.a.O. S. 430 a.a.O.
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ist vor sich selbst klar. Die symbolische021 entlehnt die Klarheit von der anschauenden." „Das Allgemeine existiert nur in dem Besonderen, und kann nur in dem Besonderen anschauend erkannt werden." 8 2 2 Auch gilt für Lessing, daß die anschauende Erkenntnis unmittelbar durch den wirklichen einzelnen Fall in der Fabel „erweckt" wird. „Nicht versteckt oder verkleidet" sei dieser moralische Satz, „sondern so zurück geführt, daß ich nicht bloß einige Ähnlichkeiten mit dem moralischen Satze in ihm entdecke, sondern d i e s e n g a n z a n s c h a u e n d d a r i n e r k e n n e . " 6 2 3 Lessing spricht von der „ K l a r h e i t und L e b h a f t i g k e i t , mit welcher die Lehre aus allen Teilen einer guten Fabel a u f e i n m a l h e r v o r s t r a h l e t . " 8 2 4 So bedarf es denn auch in der Fabel selbst nicht einer ausdrücklichen Formulierung des allgemeinen moralischen Satzes. Mit allen diesen Bemerkungen trifft Lessing den legitimen ästhetischen Dichtungsbegriff, der auch für Musil, wie für alle Dichtung als Kunst, gültig ist. Doch Lessing bemerkt die Inkommensurabilität dieser dichterischen Aufgabe nicht. Das zeigt die Tatsache, wie er diese Wirkung des einzelnen Falles erklärt. Der „einzelne Fall", oder „die Folge von Veränderungen" muß ein „Ganzes" sein, und nun nicht eine rein ästhetische Ganzheit, sondern ein in Hinsicht auf einen bestimmten Zweck gemachte. Die „Folge von Veränderungen" müsse in diesem Sinn „eine Handlung" sein. „Eine Handlung nenne ich eine Folge von Veränderungen, die zusammen ein Ganzes ausmachen. Diese Einheit des Ganzen beruhet auf der Übereinstimmung aller Teile zu einem Endzweck." Der Endzweck der Fabel, das, „wofür die Fabel erfunden wird, ist der moralische Lehrsatz." 6 2 3 Die Momente des Erzählten stimmen in dem einen Ziel überein, das Erzählte als Fall eines bestimmt gedachten allgemeinen Satzes geltend zu machen. Die Fabel ist um so vollkommener, als sie keine Fiktionselemente darüber hinaus enthält, vielmehr gerade so viel, als nötig sind. Im anderen Fall würden sie bei sonst durchscheinender Organisation des Erzählten auf den bestimmten Zweck hin unnötig oder sonst sogar sinnverdunkelnd wirken. Daher der Lakonismus der Lessingschen Fabel. Lessing gibt ein Beispiel: „Ein Marder fraß den Auerhahn, den Marder würgt ein Fuchs, den Fuchs des Wolfes Zahn." Hier ist es die beziehungsvolle Reihung 821
623 623 624 625
Daß Lessing den Terminus „Symbol" anders verwendet, braucht nidit von der Tatsache abzulenken, daß er im Begriff „anschauender Erkenntnis" den Symbol-Begriff von Dichtung, so wie er im Vorhergehenden von uns entwickelt wurde, vorbereitet. a.a.O. S. 443 a.a.O. S. 440 a.a.O. S. 432 a.a.O. S. 429
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einfacher Vorgänge, die das Dargestellte bedeutungsvoll macht. Drei Überwältigungen, jedesmal des Schwächeren durch den Stärkeren, so zusammengestellt, daß der Überwältigende unmittelbar als Opfer des Mächtigeren vorgestellt wird. Der allgemeine Satz ist der Organisation des Dargestellten immanent. Er braucht nicht mehr genannt zu werden. Weitere Elemente der Erfindung würden ablenken (etwa ein gleichgültiges Attribut der Tiere: ,den schönen Auerhahn') oder den Sinn verdecken (etwa ein vierter Vorfall: ,der Wolf verdurstete'). Diese Tendenz auf bestimmte Einheit der Vorstellungsstruktur fanden wir bei Musil in der ,Affeninsel' nicht. Gerade die Tendenz, beobachtete Mannigfaltigkeit zu geben, widerspricht dieser Einheit. Trotzdem interessiert auch Musil nicht der Vorfall in seinem zufälligen Geschehensein. „Ein Histörchen trägt sich zu, eine Fabel wird erdichtet." Diese polemische Abgrenzung gilt auch für Musil in dem Sinn, daß Dichtung Erkenntnis ist, und nicht Wiederholung, „reaktives Nocheinmalbetasten". „Die Realität, die man schildert, [ist] stets nur ein Vorwand." 829 Wie ist aber Musils Interesse für die empirisch beobachtete Einzelheit zu verbinden mit dem Anspruch, nicht ein zufällig Beobachtetes zu beschreiben, sondern Erkenntnis zu geben? Aus dem schon von Lessing formulierten Anspruch, „anschauende Erkenntnis" zu sein. Dichtung ist als anschauende, als ästhetische Totalität, Erkenntnis. Sie ist nicht Erkenntnis, die ihr Erkanntes schon weiß und dies nun an einem einzelnen Fall exemplifiziert. Könnte das so sein, dann könnte der einzelne Fall nur in gewisser Weise „einige Ähnlichkeiten mit dem moralischen Satze" haben. Lessing möchte aber gegen diesen allegorischen Dichtungsbegriff anerkennen, daß die Lehre „mit Klarheit und Lebhaftigkeit aus allen Teilen einer guten Fabel auf einmal hervorstrahlet". In dem Anschaulichen der Dichtung selbst muß durchaus, in allen Teilen, Erkenntnis unmittelbar gegenwärtig sein. Wie kann aber ein anschaulicher einzelner Fall als angeschauter Erkenntnis geben? Sehen wir, wie Lessing dies, was wir das Gestaltungsproblem der Dichtung nannten, löst: Lessing selbst gibt, das allegorische Verständnis kritisierend, ein Modell des Gestaltungsvorgangs, wie er ihn versteht. „Die Allegorie sagt also nicht, was sie den Worten nach zu sagen scheint, sondern etwas Ähnliches. Und die Handlung der Fabel, wenn sie allegorisch sein soll, muß das auch nicht sagen, was sie zu sagen scheinet, sondern etwas Ähnliches? Wir wollen sehen! — ,Der Schwächere wird gemeiniglich ein Raub des Mächtigeren.' Das ist ein allgemeiner Satz, bei welchem ich mir eine Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer stärker ist als das andere; die sich also, nach der Folge ihrer verschiedenen Stärke, untereinander 821
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aufreiben können. Eine Reihe von Dingen! Wer wird lange und gern den öden Begriff eines Dinges denken, ohne auf dieses oder jenes besondere Ding zu fallen, dessen Eigenschaften ihm ein deutliches Bild gewähren? Ich will also auch hier, anstatt dieser Reihe von unbestimmten Dingen eine Reihe bestimmter wirklicher Dinge annehmen. Ich könnte mir in der Geschichte eine Reihe von Staaten oder Königen suchen; aber wie viele sind in der Geschichte so bewandert, daß sie, sobald ich meine Staaten oder Könige nur nennte, sich der Verhältnisse, in welchen sie gegeneinander an Größe und Macht gestanden, erinnern könnten? Ich würde meinen Satz nur wenigen faßlicher gemacht haben; und ich möchte ihn gern allen so faßlich als möglich machen. Ich falle auf die Tiere; und warum sollte ich nicht eine Reihe von Tieren wählen dürfen; besonders wenn es allgemein bekannte Tiere wären? Ein Auerhahn — ein Marder — ein Fuchs — ein Wolf — wir kennen diese Tiere; wir dürfen sie nur nennen hören, um sogleich zu wissen, welches das stärkere oder das schwächere ist. Nunmehr heißt mein Satz: Der Marder frißt den Auerhahn; der Fuchs den Marder; den Fuchs der Wolf. Er frißt? Er frißt vielleicht auch nicht. Das ist mir noch nicht gewiß genug. Ich sage also: er fraß. Und siehe, mein Satz ist zur Fabel geworden! Ein Marder fraß den Auerhahn; Den Marder würgt ein Fuchs; den Fuchs des Wolfes Zahn." 627 Lessing löst das Gestaltungsproblem so, daß er einen bestimmten allgemeinen moralischen Satz voraussetzt und nun fragt: Wie kann er anschauende Erkenntnis, Fabel werden? Er versteht den allgemeinen Satz als ein weniger Bestimmtes, das durch einen Zuwachs an Bestimmungen Darstellung eines einzelnen Falles wird, der dann also anschauende Erkenntnis ist. Der allgemeine Satz erlaubt, „eine Reihe von Dingen zu gedenken". Anstatt dieser Reihe von unbestimmten Dingen will er eine Reihe bestimmter wirklicher Dinge annehmen. Er „fällt auf" Tiere. Warum hier auf Tiere? An einer anderen Stelle gibt Lessing den Grund dafür an. Er wendet sich dort gegen Breitinger, der behauptet, daß „die Erreichung des Wunderbaren die Ursache sei." Lessing kann dem selbst dogmatischen Begriff des Wunderbaren in seiner aufklärerischen Gestalt bei Breitinger kein Recht zuerkennen,628 die „wahre Ursache" für den Gebrauch der Tiere in der Fabel setzt er „in die allgemein bekannte Bestandheit der Charaktere." Wie kommt er dazu? „Gesetzt auch, es wäre noch so leicht, in der Geschichte ein Exempel zu finden, in welchem sidi diese oder jene moralische Wahrheit anschauend erkennen ließe. Wird sie deswegen von jedem ohne Ausnahme [sich] darin erkennen lassen. . . . Die umständliche 627 628
Lessing a.a.O. S. 422 Vgl. a.a.O. S. 447 ff.
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Charakterisierung daher zu vermeiden, bei welcher es doch immer zweifelhaft ist, ob sie bei allen die nämlichen Ideen hervorbringt, war man gezwungen, sidi lieber in die kleine Sphäre derjenigen Wesen einzuschränken, von denen man es zuverlässig weiß, daß auch bei den Unwissendsten ihren Benennungen d i e s e u n d k e i n e a n d e r e I d e e e n t s p r i c h t . " 6 2 ' Diese Bemerkung zeigt, daß Lessing selbst ein Bewußtsein davon hat, daß er, von dem Allgemeinen des Satzes ausgehend, nicht durch Zuwachs an Bestimmungen den einzelnen Fall erreicht, so wie er anschauende Erkenntnis geben könnte. Es wird immer zweifelhaft sein, ob selbst bei der umständlichen Charakterisierung sie bei allen die nämlichen Ideen hervorbringt. Daß den „einzelnen Fällen" „diese und keine andere Idee entspricht", bleibt problematisch, sofern man diese Wesen nicht so wählt, wie sie in der bestimmten, geltenden gesellschaftlichen Erfahrung („auch bei den Unwissendsten") immer schon galten. Die „einzelnen Fälle" lassen sich also nur insofern mit dem bestimmten allgemeinen Satz so verbinden, daß sie anschauende Erkenntnis geben, als das gesellschaftliche Meinen die bestimmte anschauende Erkenntnis an diesen Fällen schon immer vollzogen hat. Lessing vertieft diese anschauende Erkenntnis in ihren bestimmt gesetzten Grenzen nur nadi innen, er kann sie nicht wirklich allgemeingültig erweitern. Er kann aus dem gesetzten dogmatischen Kreis dieses gesetzten bestimmten Allgemeinen, für das etwa die Tiere gelten, nicht heraustreten. Im Horizont dieses geltenden Wissens braucht aber Lessing auch die Wirklichkeit dieser Erfahrung nicht auszuweisen. Er kann in der Tat dem einzelnen Fall als Dichter „ W i r k l i c h k e i t e r t e i l e n " . „Wirklichkeit" ist wie die „Individualität" 630 des einzelnen Falles nichts, was wie eine zusätzliche Bestimmung dem Allgemeinen des Begriffs hinzugefügt werden könnte; 631 das meint aber Lessing zu tun, wenn er aus dem „unbestimmt allgemeinen" „Er frißt" ein „Er fraß" machen zu können und damit dem allgemeinen Satz endgültig „Wirklichkeit erteilt" zu haben glaubt. Er kann das nur tun, sofern die Wirklichkeit der Erfahrung in dem bestimmt Allgemeinen des „Er frißt" schon vorausgesetzt ist. Die Fabel gibt nach Lessings Begriff wohl anschauende Erkenntnis, aber nur innerhalb 020 030
631
a.a.O. S. 450 f. „Die Wirklichkeit kommt nur dem einzelnen, dem Individuo zu; und es läßt sich keine Wirklichkeit ohne die Individualität gedenken." a.a.O. S. 442 Hume und Kant haben dies dem philosophischen Bewußtsein wieder zugänglich gemacht. Zu Hume vgl. o., w o gezeigt wurde, daß die Ursprünglichkeit der ,impression' in der Existenz liegt. Zu Kant vgl. KdrV B S. 626 f. „Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgendetwas, was zu dem Begriff eines Dinges hinzukommen könne." Wenn Kant das Sein im folgenden als Gesetztsein aus der Synthesis erklärt, so wird er allerdings auch nicht dem ursprünglichen Begriff des Seins als reinem Moment und Grund des Bestimmten gerecht wie der Empirismus Humes.
Lessings Fabel
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des Horizontes, den das bestimmte Meinen schon erschlossen hat, innerhalb dieses Kreises erreicht Lessings eigene Fabeldichtung auch die Tiefe reiner Anschaulichkeit. Sie geht darin über das hinaus, was er theoretisch erklären kann. Schon in diesem Beispiel ist n i c h t e r k l ä r t , wieso der Fabeldichter vom Auerhahn spricht, vom Fuchs, vom Wolf, warum vom Fressen und Würgen, und warum in dieser Weise gesprochen wird in rhythmischer und syntaktischer Individualität. Das zeigen noch deutlicher Lessings eigene Fabelgestaltungen, 632 deren rhythmische und sprachliche Differenziertheit, deren metaphorische Raffinesse wirklich anschauende Erkenntnis gibt, in einem Sinn, dessen sich Lessing wohl ästhetisch bewußt ist, dem er aber in den Grenzen einer dogmatischen Metaphysik theoretisch nicht voll Ausdruck geben kann. Hier gelangt Lessing nicht zu einem wirklichen Begriff anschauender Erkenntnis. Ausgehend vom allgemeinen Satz rationalisierter bestimmter Erfahrung, gelangt er nicht aus ihrem Bereich zum Begriff der Anschauung selbst heraus. Er müßte die Jenseitigkeit der Anschauung jedem bestimmten Begriff und allgemeinen moralischen Satz gegenüber anerkennen können. Wollte er ursprüngliche anschauliche Erkenntnis geben, müßte er das Einzelne als solches, wie es seiner bestimmten Erfahrung als Einzelnes vorhergeht, auffassen. Er müßte den problematischen Begriff davon fassen, was die symbolische Form in ihrer Anschaulichkeit ästhetisch zu integrieren hat. In dem Maß, wie er diese Aufgabe sähe, müßte sich die Krisis eines abstrakt vermeinten moralischen Satzes gegenüber der Totalitätsgeltung reiner Anschauung spürbar machen. Der „einzelne Fall" kann nicht mehr n u r belegen, daß „der Schwächere gemeiniglich ein Raub des Mächtigen wird", vielmehr macht der einzelne Fall in seiner ästhetischen Totalität sichtbar, was das heißt, ein Raub des Mächtigeren werden. Die Fabel Lessings gibt nur in gewisser Weise die Demonstration dessen, indem sie es Gefressenwerden und Gewürgtwerden nennt. In seiner Fabel von den Sperlingen macht er die bornierte Dummheit sichtbar, in ihrer anschaulichen Totalität, in der sie nicht nur Dummheit, sondern das Chaos selbst ist: in dem „Zetern" der Sperlinge: „zu was, schrieen sie, taugt denn nun das große Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen." 633 «32 Y g i e t w a „ D i e Sperlinge" ( G . E . Lessing hg. v . Lachmann-Muncker B d . 1 1886 S. 201), deren k o m p l e x e D e u t b a r k e i t den bestimmt-dogmatischen Begriff in die T i e f e hin übersteigt, genau so wie das polemische T e m p e r a m e n t Lessings den in bestimmten Worten ausgedrückt dürftigen A n l a ß seines Streites vertieft, so d a ß in der polemischen G e b ä r d e der tiefere G r u n d , die verborgene T o t a l i t ä t des Ästhetischen spürbar wird, die u m des K a m p f e s willen k ä m p f t , weil nur in ihm die Selbstsicherheit des dogmatischen Glaubens sich selbst überwindet. 6 3 3 a . a . O . S. 201 19
Schaffnit
290
Die Gestaltung
Musil radikalisiert nur und macht problematisch bewußt, was jede große Dichtung, die „über allen Graden groß ist", zeigen kann. Die Beispiele von Kunst „sind beinahe völlig den Begriffen des Mehr, Weniger, Größer, Tiefer, Schöner, kurz jeder Art von Graduierung entzogen." „Die Höhe der Dichtung ist keine Spitze, auf der es immer höher geht, sondern ein Kreis, innerhalb dessen es nur ungleich Gleiches, Einmaliges, Unersetzliches, eine edle Anarchie und Ordensbrüderlichkeit gibt."634 Diese absolute Vollkommenheit der Dichtung, die keine Grade kennt, ergibt sich daraus, daß sie keinen bestimmten Zweck hat, den sie mehr oder weniger adäquat erfüllen könnte, ihr Zweck ist je ein „ungleich Gleicher", die Totalität des Ästhetischen als solche ansichtig zu machen.
634
Tgb. S. 886
Literatur Musils
Werke
Gesammelte Werke in Einzelausgaben, hg. v. Adolf Frisé 1. Der Mann ohne Eigenschaften, Hamburg 1952 (zit. als MoE) (siehe dazu W. Bausinger, Studien zu einer historisch-kritischen Ausgabe von R. M.s Roman ,Der Mann ohne Eig.', Hamburg 1964 (zit. als Bausinger) 2. Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden, Hamburg 1955 (zit. als Tgb.) 3. Prosa, Dramen, späte Briefe, Hamburg 1957 (zit. als PDB) Robert Musil, Theater Kritisches und Theoretisches, hg. v. Marie-Louise Roth 1965 (zit. als R. M. Theater) Robert Musil, Der deutsche Mensch als Symptom, aus dem Nachlaß hg. v. d. Vereinigung R. M.-Archiv Klagenfurt, Reinbek 1967 Robert Musil, Beitrag zur Beurteilung der Lehren Machs. Phil. Diss. Berlin 1908 Literatur über Musil (Zur Bibliographie der Literatur über Musil vgl. den Literaturbericht von Ulrich Karthaus, Musil-Forschung und Musil-Deutung, Ein Literaturbericht, Deutsche Vierteljahrsschrift f. Literaturw. u. Geistesgesch. 39. Jg. 1965 S. 441—483. Dort auch Hinweise auf umfangreichere Titellisten der Musil-Literatur vgl. a.a.O. S. 441 Anm. *) (vgl. neuerdings auch: Jürgen Thöming, Robert-Musil-Bibliographie, Berlin/Zürich o. J.) Beda Allemann, Ironie und Dichtung, Pfullingen 1956 Helmut Arntzen, Satirischer Stil, zur Satire Robert Musils im ,M.o.E.', Abh. z. Kunst-, Musik- und Literaturw. Bd. 9 Bonn 1960 Gerhart Baumann, Robert Musil. Zur Erkenntnis der Dichtung, Berlin 1965 Helga Honold, Die Funktion des Paradoxen bei R. M., dargestellt am M.o.E., Diss. Tübingen 1963 Wilhelm Emrich, Die Erzählkunst des 20. Jh. und ihr geschichtlicher Sinn, in ,Protest und Verheißung', Studien zur klassischen und modernen Dichtung, Frankfurt/M. 1960 S. 176—192 Wilh. Emrich, Formen und Gehalte des zeitgenössischen Romans, in ,Protest und Verheißung . . .* S. 169—175 R. Musil. Leben, Werk, Wirkung, hg. v. K. Dinklage Zürich 1960 (zit. als LWW) Weitere
Quellenliteratur
Aristoteles, De arte Poética Liber, ed I. Bywater Editio altera Oxonii 1897, 19112 Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, 2 Bde. hg. v. O. Kraus, Leipzig 1924 Christian von Ehrenfels, Uber .Gestaltqualitäten', in Vierteljahresschrift f. wissenschaftl. Philosophie hg. v. R. Avenarius, 14. Jg. Leipzig 1890 S. 249 ff. Käte Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957 19 E
Sdiaffnit
292
Literatur
Hugo von Hofmannsthal, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, hg. v. Herbert Steiner, Stockholm 1945—48, (Frankf./M. 1950—59) David Hume, A Treatise on Human Nature, ed. by T. H . Green and T. H . Grose 2 vol. London 1874 Edmund Husserl, Logische Untersuchungen (zit. als L. U.) 1. Bd. Prolegomena zur Reinen Logik 2. Bd. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis 1. Aufl. Halle 1900 f. 2. umgearb. Aufl. Halle 1913 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hg. v. Karl Vorländer, Hamburg 1959 (zit. als K. d. U. mit d. Seitenzählung der Ausg. von 1799) Ludwig Klages, Vom kosmogonischen Eros, 6. Aufl. 1963 Ludwig Klages, Prinzipien der Charakterologie, 2. Aufl. 1920 Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher der Seele, 1929—33 Eberhard Lämmert, Bauformen des Erzählens, Stuttgart 1955 Gotthold Ephraim Lessing, Sämtliche Sdiriften, hg. v. Karl Lachmann 3. Aufl. bes. durch F. Muncker 7. Bd. 1891 Georg Lukacs, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik, Berlin 1920 Ernst Mach, Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung, 2. Aufl. Leipzig 1906 Ernst Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 6. Aufl. Jena 1911 Carl Stumpf, Erscheinungen und psychische Funktionen. Philos. und hist. Abh. d. kgl. preuss. Akad. d. Wiss. a. d. J. 1906, Berlin 1906 Abh. IV Carl Stumpf, Zur Einteilung der Wissenschaften, (in den genannten Abhandlungen) Abh. V Carl Stumpf, Philosophische Reden und Vorträge, Leipzig 1907 (Weitere Literatur zu Sonderproblemen erscheint in den Anmerkungen)
Sachregister Abbildung 52, 65, 100 f., 139, 168 f., 172, 194, 195 absolut 5, 9, 44, 204, 207, 212 u. passim abstrahieren 106, 218 abstrakt 79 ff., 81, 86, 119, 258 Abstraktionstheorie 101 f., 172, 198 f., 200 f. action (Hume) 182, 185 Ähnlichkeit 102, 201, 202 f. Affekt 130 Affirmation 23, 43, 46, 141 Ahnung, Ahnen 89, 104, 160 Allersdiaften 44 Anderes 11, 214 f. Angenehmes 247 Anthropologie 143, 147, 157, 209, 244, 250 Aporie 46, 209, 216 Auschwitz 46, 262 Axiom 215 Barock 117, 193 Bedeutung 23 f., 24, 30 f., 32, 246, 273 behaupten 94, 203 Bekenntnis 7, 142 belief (Hume) 180 ff. Beschreibung, beschreiben 18, 68, 75, 80, 150, 198 f., 211, 212, 214 bestimmt — unbestimmt 12, 40, 74 f. u. passim Bestimmtheit 3, 151, 171, 203, 229, 247 u. passim Bestimmtheitsglauben 172 f., 175 ff. Bewegung 98, 191 f., 194 Beziehung (s. a. Unterschied u. Widerspruch) 100, 171, 225, 257 causation (Hume) 184 ff. common sense 19, 28, 195 f. Darstellung (s. a. Mimesis u. Fiktion) 19 E»
16 ff., 23 ff., 27 ff., 32 f., 121, 123, 267 Dialektik 18, 82, 219, 225, 238, 257 Differenz 56, 67 f. dogmatisch, dogmatisieren 10, 15, 21, 30, 78, 95, 108, 121, 142, 258, 265 Dummheit 87 Einfachheit/Einzelheit 102, 117, 181 ff., 189 ff., 194, 228 f., 231 Einfalt 239 f. Einheit d. Erzählung 29 f. Einheit, geglaubte 28, 76, 219 ff., 228 Eins 201, 203, 260 Ekstase 74, 110 Empirismus, empiristisch 40, 48, 50, 63 f., 77 f., 84, 108, 131, 135, 149, 171 ff., 173 ff., 229 u. passim entweder — oder 77 Erkenntnis 81, 85, 121, 242, 245 ff., 284 Erkenntnis, dichterische 43, 72 Erkenntnis, vermittelte 73 Erkenntnistheorie, -kritik 4, 54, 64 f., 140 Erfahrung, dichterische 142 f., 145 f. Erleben, Erlebnis 72, 81, 114 f., 140, 243 u. passim Erzählen, Erzählung 19, 25, 27 ff., 120, 124, 126 f. Epopöe 14 Eitoxri 161 f., 174, 226 Essay 40, 154, 156 Ewigkeit 193 Exaktheit 49 Existenz 111 f., 119, 177 f., 288 Fabel 276 ff. falsch — richtig 9, 16, 21, 22 ff. fingieren, Fiktion 11, 253 Form 152 ff., 222 f. Form d. Romans 5, 126 Freiheit 42, 108, 257
294
Sachregister
Fremdheit 249 Fühlen 156 Ganzes 220 f., 232 f. Genie 197, 259, 266, 297 Geschichte 124 ff., 126, 131 Geschmack 259 Gesellschaft 3, 17, 26, 89, 175, 250, 260 Gestalt 2, 7, 45, 106 f., 110, 131, 276 ff. Gestalttheorie 268 ff. Gewissen 255 Glauben 12, 32, 33, 88, 95, 104, 114, 123 ff., 151 f., 160, 172 f., 175 f., 184, 218 ff., 247, 251 Gleichnis 44 Grenze 40, 43, 61, 67, 74, 95, 96, 113, 121, 128, 131, 146, 240 f., 245 u. passim Grund 43, 67, 94, 108, 241, 244, 255 u. passim Grund seiner selbst 43, 83, 108, 255 handeln, Handlung 82, 255, 285 Herrschaft 283 Historie 284 Historismus 25, 31, 42 f., 105, 175, 262 Hypothese 59, 67, 79 Ich 55, 76, 83, 126, 152, 213 u. passim Ichglauben 114, 151 idea (Hume) 168 ff. Idealismus 143 Idee 253, 259 ff. Identität 103, 173 Ideologie 45, 89, 104, 107, 120, 125 ¡mpression (Hume) 167 ff. Inhalt — Gegenstand (Husserl) 205 ff. Ironie 22 inkommensurabel, Inkommensurabilität 2, 35 f., 45, 79 ff., 147, 162, 174, 176, 242 ff., 267, 271 Intentionalität 56, 58, 60, 68, 205, 210, 231 Klage 113 ff., 117, 142, 151 Krise 161 Kritik 17, 18, 19, 24, 33, 84, 85 f., 110 Kulturkritik 17 kundgeben, Kundgebung 43, 131, 156 Kunst, 32, 109, 138, 242 ff., 267 ff. Kunstgattung 271
Leben 18, 49, 72, 79, 84, 96, 101, 132, 141 u. passim Lebensphilosophie 150 Leser 3 f., 5 Lissabon 262 Literaturwissenschaft 2 f., 3, 46, 144, 175, 253, 262 Lyrik 44 machen 11, 43, 251 ff., 255, 258 Macht 282 Malerei 272 Mathematik 211, 215 meinen, Meinung 10, 31, 123, 211, 213 f. u. passim Meinungsbewußtsein 31, 42, 46, 111 f., 262 Mimesis 24, 27 f., 251, 267, 272 modern 8 ff., 12 f. Moment (Totalitätsbestimmung) 150, 189, 190, 195, 198, 202, 205 ff. 214, 218, 223, 224 f., 228 £., 237, 250, u. passim Musik 272 Mystik 37, 61, 74, 109, 111, 122, 161 Nation 89 Natur 137, 265 Naturalismus 8, 25, 77 natürliche Einstellung 19, 139 Naturwissenschaft 40, 49 f., 54, 58, 82, 101 negativ, Negation 9 ff., 17, 20, 23 ff. ontologisch 32 f., 35 f., 37, 55, 85 u passim Originalität 91 Paradox 2, 6, 35 ff., 46, 66, 74, 85, 110, 154, 157, 245 polar, Polarität 70, 75, 80, 88, 107, 151 u. passim Positivismus, positivistisch 11, 19, 25, 31, 35 ff., 42, 43, 78, 103, 190, 210 ff., 224 ff., 229, 252 Praeexistenz 114 praktisch 108, 255 Prozeß 88 ff., 226 Psychoanalyse 122 Psychologie 7, 56, 76, 85, 138, 148 Psychologismus 35, 40, 48, 72, 105, 165 f., 224 ff.
Sachregister Rasse 89 ratioid — nicht ratioid 35, 41, 59, 61, 70, 73, 79, 151 Realismus 123 f. Regreß, unendlicher 200 f. Roman 5, 11, 13 ff. Romantik 61 f. Sache 36, 46, 47, 152, 153 f., 262 u. passim Satire 7, 10, 16 ff., 21, 23 f., 49 Scheinen 88, 244, 246, 250 Schicksal 111 f., 115, 124 Schilderung 120 schön, d. Schöne 162, 174, 242 f., 244, 259, 266 Schule 130 selbständig 183, 191, 230 ff., 238 Selbstverlust 113 f., 118 Skeptizismus 31, 42, 78, 174 Subjektivität 13, 14, 15, 42, 108, 154, u. passim Subjektivität, absolute 44, 138, 147 f., 149 f., 163 f. u. passim sowohl — als auch 6, 77 Symbol 29 f., 30, 50, 114, 273, 283, 284 System 213, 215 Tatsache, Tatsächlichkeit 47, 49, 66 f., 68, 72, 79, 80, 136, 162 u. passim Theologie 262 Totalität 94, 138 f., 143, 157, 179, 189 f., 194, 199, 214, 242, 250, 257, 263 u. passim
295
Unbestimmtheit 9, 15, 43, 70, 88, 96, 104, 108, 109, 122, 151, 162, 179, 244 u. passim Unbewußtheit 69, 95, 98, 99, 122 Unmittelbarkeit 57, 67, 68, 70, 80, 82, 84, 95, 104, 107, 109, 145, 150, 156, 162, 243 u. passim Unterschied 205 ff., 209, 210 ff., 214, 215, 217, 223, 224 f. Unverständlichkeit 4, 128 f., 228 ff., 248, 274 Vergessen 218 Vermittlung 81 f., 107, 121 Verstand 85 voraussetzen 15, 19, 26, 64, 70, 167 ff., 210 ff., 221. 225, 229, 238 Wahrheit 13, 43, 46, 73, 123 f., 139, 147, 157, 226 f. weder — noch 5, 156 Weisung 38, 43, 146, 155, 157 Welt 25, 72, 246 Weltanschauung 175 Widerspruch 48, 150, 187, 203, 217, 222, 238 f., 245, 250, 257, 261 Wissenschaft 121, 238, 262, 271 zeigen 242 ff., 245, 247, 251 f., 267 Zeit 27 f., 57, 98, 117, 192, 193, 220 f.. 223 Zweck 33, 243, 252, 256 Zweifel 179, 212 Zuständlichkeit 23, 39, 49, 63 ff., 74, 79 ff., 81 f., 84, 136, 238, 256, 267
Namenregister Adorno T. W. 17, 24 Allemann B. 22 v. Allesch J. G. 1 ff., 124, 248 d'Annunzio G. 7, 62 Arntzen H . 7, 16 ff. Baumann G. 134 f., 157 f. Bausinger W. 25, 62 Beer-Hofmann R. 118 Bergson H . 27, 45 Berkeley G. 177, 233 Breitinger J. J. 287 Brentano Cl. 142 Brentano F. 48, 55 f., 63, 66, 68, 69, 76, 80, 149 Broch, H . 2, 8, 112 Buber M. 62 Büchner G. 50, 51, 132 Büchner L. 51 Cervantes M. de 14 Csokor F. T. 21 Descartes R. 42, 122, 150, 163 Diderot D. 176 Dilthey W. 27, 141, 243 v. Ehrenfels Chr. 268 Emerson R. W. 62 Emrich W. 8 ff., 15 Freud S. 130 George St. 130 v. Goethe J. W. 30, 93, 141 Grillparzer F. 117 Hamburger K. 24, 252 f. Hegel G . W . F. 67, 88, 137, 140, 148, 150 f., 156, 164, 203, 244 Heidegger M. 27, 29, 130 Henrich D. 88 Herder J. G. 72
v. Heydebrand R. 7 v. Hofmannsthal H . 79, 111 ff., 125, 142, 161 Honold H . 6, 36 v. Humboldt W. 29 Hume D. 59, 66, 102, 140, 149, 163 ff., 166 ff., 288 Husserl E. 15, 27, 41, 48, 51, 57, 71, 76, 134, 137, 161, 163, 188, 189, 197, 198 ff. Ingarden R. 205 Joyce J. 2, 8 Kafka F. 3 Kandinsky W. 45 Kant I. 42, 66, 149, 166, 172, 256, 257, 259 ff., 288 Karthaus U. 1, 36 Kastil A. 57, 59 Kaiser E. 2 Kayser W. 175, 205 Keller H . 169 Key E. 62, 85 Klages L. 24, 79, 80, 85, 89 ff., 129, 143, 148, 150, 241 v. Kleist H . 75, 112, 125, 134, 142, 146 Köhler W. 268 ff. Kretsdimer E. 75 Lämmert E. 25, 27 ff. Lejeune R. 104 Lessing G. E. 284 ff. Lo&e J. 177 Lübbe H . 51 Lukacs G. 13 ff., 33 Mach E. 50, 51 ff., 67, 76, 86, 134, 137 Maeterlinck M. 45, 62 Mann Th. 2, 3, 8, 30 Müller G. 27, 28
Namenregister Natorp P. 137, 151, 162, 164, 208, 219 Nestroy J. 125 Nietzsche F. 62, 99, 122, 137, 149, 152, 153, 163, 262 Noack H . 90 Novalis 72
Sdieler M. 205 Schlegel F. 11, 22 Seidler I. 62 Spengler O. 41, 48, 54, 65, 85, 105, 129 Sterne L. 176 Strich F. 83 Stumpf C. 35, 59, 60 f., 80, 137, 224
Otten K. 2 Tietk L. 142 Jean Paul 142 Paulus 262 Proust M. 2, 8 Rasch W. 5 Rathenau W. 24, 89 Rilke, R . M . 5, 8, 44, 111, 119, 153 Sdieerer M. 270
297
Vatery P. 4, 143, 153 Wassermann J. 62 Weinrich H . 252 Wittgenstein L. 74 Zeller E. 78 Zenon v. Elea 98
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER Neue Folge • Groß-Oktav • Ganzleinen
Der junge Hebbel Zur Entstehung und zum Wesen der Tragödie Hebbels V o n WOLFGANG WITTKOWSKI
XII, 309 Seiten. 1969. DM 48,—. Band 29
Joseph Berglinger Eine Studie zu Wackenroders Musiker-Dichtung V o n ELMAR H E R T R I C H
XII, 238 Seiten. 1969. DM 42,—. Band 30
Die Sprache Max Frischs in der Spannung zwischen Mundart und Schriftsprache V o n W A L T E R SCHENKER
VIII, 142 Seiten. 1969. DM 28,—. Band 31
Untersuchungen zur Wechselbeziehung zwischen Grammatik und Lexik im Englischen V o n ALFRED SCHOPF
XIV, 412 Seiten. 1969. DM56,—. Band 32
Jakob Gretsers „Udo von Magdeburg" 1598 Edition und Monographie V o n URS HERZOG
XIV, 283 Seiten. 1 Frontispiz. 1970. DM 54,—. Band 33
Die Goten und Skandinavien V o n ROLF HACHMANN
XIV, 584 Seiten. 82 Abbildungen und 1 Tafel. 1970. DM 86,—. Band 34
Goethes Tag- und Jahreshefte V o n GEORG WACKERL
VIII, 176 Seiten. 1970. D M 34,—. Band 35
Walter de Gruyter & Co • Berlin 30
K A R L PESTALOZZI
Die Entstehung des lyrischen Ich Studien zum Motiv der Erhebung in der Lyrik
Oktav. X V I , 364 Seiten. 1970. DM 24,—
Inhalt: V o r s t u d i e n : Dante; Petrarca; Giordano Bruno; Deutsche Barocklyrik; Schiller; „Excelsior!" — I n t e r p r e t a t i o n e n : C. F. Meyer „Himmelsnähe"; Baudelaire „Elevatlon"; Nietzsche „Aus hohen Bergen"; Mallarmé „Autre Eventail"; Hofmannsthal „Reiselied"; George „Entrückung". — Schluß: Das lyrische Idi. Die Arbeit geht von der Frage aus, welche Funktion dem Gedicht zukomme, das seit dem späteren 19. Jahrhundert beansprucht, reine oder absolute Poesie zu sein. Als Antwort darauf wird gezeigt, wie die Lyrik im Laufe der Geschichte zum Medium wird, in dem sich der Mensdi nach dem Verfall der religiösen Vermittlung als identisches Ich erfahren kann. Dieses durch das Gedicht vermittelte Selbst ist ursprünglich mit dem Begriff „Lyrisches Ich" gemeint. Die angewandte Methode ist zunächst die der eingehenden Interpretation einzelner Gedichte aus der deutschen, ferner aus der französischen und englischen, in einem Fall aus der amerikanischen Literatur. Die Dichter werden dabei nicht nur als Verfasser, sondern auch als die Empfänger ihrer Werke wichtig. Die Auswahl der Texte ist im Hinblick auf das Motiv der Erhebung getroffen. Aufgrund der Einsicht, daß in Aufstieg und Aufschwung die erfragte Funktion des Gedichts motivisch zu fassen sei, ermöglicht dieses Leitmotiv die Verbindung von Einzelinterpretation und übergreifender Problematik. Mit Hilfe von Textinterpretation, Motivforschung und Geistesgeschichte sucht die Arbeit einen Beitrag zur Erkenntnis der anthropologischen Bedeutung des modernen Gedichts zu leisten.
Walter de Gruyter & Co • Berlin 30