Milieux Sonores/Klangliche Milieus: Klang, Raum und Virtualität [1. Aufl.] 9783839413135

Ob im Computerspiel, im Architekturentwurf oder auf dem GPS-Display im Auto - unsere Lebenswelt wird vermehrt durch den

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German Pages 166 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Klang, Raum und Virtualität: Einleitung
Topologie des Klangraums
Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt
Neurowissenschaftliche Aspekte einer Akustik des Virtuellen
Aufräumarbeiten im Wasserfall
Ambient
Ambient in der Kunst der Gegenwart
Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung
Abbildungsverzeichnis
Autorin und Autoren
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Milieux Sonores/Klangliche Milieus: Klang, Raum und Virtualität [1. Aufl.]
 9783839413135

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Marcus Maeder (Hg.) Milieux Sonores/Klangliche Milieus

2010-05-04 16-30-30 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ca240772017170|(S.

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Marcus Maeder (Hg.) Milieux Sonores/Klangliche Milieus. Klang, Raum und Virtualität

2010-05-04 16-30-30 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ca240772017170|(S.

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Die Publikation dieses Buches wird durch das Institute for Computer Music and Sound Technology der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ermöglicht.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Medusa Cramer Umschlagabbildung: Zeichnung aus der Arbeit Soundscapes/ Hörlandschaften von Yves Netzhammer und Bernd Schurer, 2007 Lektorat: Marcus Maeder, Martin Neukom Korrektorat: Kirsten Hellmich, Bielefeld, Satz: Medusa Cramer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1313-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhalt

Vorwort ..................................................................................................... 7 Germán Toro Pérez, Leiter ICST Klang, Raum und Virtualität: Einleitung ............................................. 9 Marcus Maeder Topologie des Klangraums ................................................................... 17 Martin Neukom Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt ................ 41 Daniel Bisig Neurowissenschaftliche Aspekte einer Akustik des Virtuellen ....... 59 Mathias S. Oechslin Aufräumarbeiten im Wasserfall .......................................................... 83 Yves Netzhammer Ambient .................................................................................................. 95 Marcus Maeder Ambient in der Kunst der Gegenwart ............................................. 121 Sabine Gebhardt Fink Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung ................... 137 Nils Röller Abbildungsverzeichnis ....................................................................... 157 Autorin und Autoren ......................................................................... 161

Vorwort Germán Toro Pérez

Der Raum – ob akustisch, visuell, real, virtuell, innerlich, öffentlich, als Parameter oder als Metapher – erwachte für die Musik in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts aus einem langen Dornröschenschlaf. War die Sprache jahrhundertelang der Referent von Musik und das Wort Hauptträger von Affekt, Bedeutung und Weltbild, so rückte der Klang als akustische Erfahrung infolge der Autonomie der Instrumentalmusik ins Zentrum musikalischer Reflexion und Praxis. Durch die Betrachtung des Klanges als Naturphänomen avancierte die räumliche Qualität nach der Klangfarbe zu seiner fünften Dimension und schließlich zur formbildenden Kraft. Umgekehrt wurde auch der Klang als spezifische natürliche und kulturelle Eigenschaft des Raumes erkannt. Der Raum als Ort sozialer Handlungen entstand – nicht nur für die Musik – als neuer Referent, als Projektionsfläche für zeitgenössische Erfahrung. Die Ausstellung Millieux Sonores, welcher das vorliegende Buch den Titel verdankt, ist eine Konsequenz dieser Entwicklung. In ihrer ersten Version fand diese vom 16. Januar bis zum 20. Februar 2009 im Kunstraum Walcheturm in Zürich statt und präsentierte sechs unterschiedliche, raumbezogene Arbeiten mit Klang, die in einem Konzertbetrieb nicht hätten gezeigt werden können. Ausgehend von der Idee einer topografischen Anordnung von Klangwelten ließ die Ausstellung Praktiken sichtbar und hörbar werden, die unterschiedlichen Ansätzen in der Forschung und der künstlerischen Praxis entspringen und sich in der Erkundung des Phänomens »Raum« kreuzen. Diese Praktiken und Erkundungen finden sich in diesem Buch wieder; es soll zur vertiefenden Auseinandersetzung mit Deutungs- und Handlungsmöglichkeiten, welche das Phänomen »Raum« heute für die Kunstproduktion und die Forschung eröffnet, dienen. Dass beide Formen der Weltaneignung – Wissenschaft und Kunst – sich heute mehr als je zuvor suchen und finden, wurde in der Ausstellung Milieux Sonores klar dokumentiert. Die Auswahl von Themen und Autoren dieses Buches, die der Herausgeber und Kurator Marcus Maeder umsichtig getroffen hat, bestätigt das wieder. Sie macht auch ein Umfeld sichtbar, dessen Kern am Institute for Computer Music and 7

Germán Toro Pérez

Sound Technology angesiedelt ist und durch produktive Nachbarschaften innerhalb der Zürcher Hochschule der Künste und mit der Universität Zürich bereichert wird. Es zeigt sich heute nicht nur die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen Kunst und Wissenschaft, sondern auch die Notwendigkeit der Einbindung der Öffentlichkeit in Forschungsvorhaben, die eine zeitgenössische Kunstpraxis befragen. Die Öffentlichkeit als Summe von Individuen, die Denk- und Wahrnehmungsräume erkunden, als eigentlicher Adressat der Kunst, ist ein wesentlicher Teil des Ganzen. Ihr Wahrnehmungsvermögen und die soziale Interaktion in ihr stehen zunehmend im Mittelpunkt künstlerischer Arbeit. Eine Öffnung zur Öffentlichkeit hin fordert von der Forschung, die sich mit ihr befassen will, einen Paradigmenwechsel hin zu Formen sinnlicher Darstellung von Erkenntnisprozessen, die der Kunst angemessen sind. Diese Publikation kann somit auch als Standortbestimmung eines Forschungsverständnisses im Bereich der Künste verstanden werden, das einen Bogen zwischen Naturwissenschaften, neuen Wissenschaften, Technologie, Kunstproduktion und Reflexion spannen muss und will. Diesem Anspruch kann es nur dann gerecht werden, wenn der suchende Blick von alten Hierarchien und Strukturen innerhalb der Wissenschaft wie der Künste befreit werden kann. Zürich, im Januar 2010.

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Klang, Raum und Virtualität Einleitung Marcus Maeder

»U m l e r n e n d e s R a u m g e f ü h l s . — Haben die wirklichen Dinge oder die eingebildeten Dinge mehr zum menschlichen Glück beigetragen? Gewiss ist, dass die Weite des Raumes zwischen höchstem Glück und tiefstem Unglück erst mit Hilfe der eingebildeten Dinge hergestellt worden ist. Diese Art von Raumgefühl wird folglich, unter der Einwirkung der Wissenschaft, immer verkleinert: so wie wir von ihr gelernt haben und noch lernen, die Erde als klein, ja das Sonnensystem als Punkt zu empfinden.« (Friedrich Nietzsche: Morgenröte, Buch 1, 7.)

Seit Ende der 1980er Jahre1 wird in den Kultur- und Sozialwissenschaften anhaltend vom sogenannten »spatial turn«, der »topologischen Wende«, gesprochen. Topologische Termini finden besonders in denjenigen Disziplinen Anwendung, wo von Systemen, von Gesamtheiten oder Gruppen von Elementen, die aufeinander wirken, die Rede ist. Mittlerweile werden physikalische, soziale, geografische, psychologische oder physiologische Strukturen anhand räumlicher Kategorien beschrieben; die Vorstellung des Raums dient von alters her der Formulierung von Relationen zwischen Dingen in unserer Wahrnehmung und damit der Interpretation der Wirklichkeit. Kant hat auf die idealen Eigenschaften des Raums in seiner Transzendentalen Ästhetik hingewiesen: »Unsere Erörterungen lehren demnach die Realität […] des Raumes in Ansehung alles dessen, was äußerlich als Gegenstand uns vorkommen kann, aber zugleich die Idealität desselben, d. i. dass er Nichts sei, so bald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen und als etwas, was den Dingen selbst zum Grunde liegt, annehmen.«2 1 2

Vgl. Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld: transcript Verlag 2008, S. 7. Immanuel Kant: »Von dem Raume«, in: Kritik der reinen Vernunft, Köln: Anaconda Verlag 2009, S. 86. 9

Marcus Maeder

Man kann den Raum mit dem japanischen Philosophen Kitaro Nishida als den die Ideen aufnehmenden Ort3 bezeichnen, der die Ausdehnungen unseres Denkens begrifflich fasst. Gründe für den verstärkten Fokus auf das Räumliche liegen sicherlich im vermehrt räumlich zutage tretenden medialen Umfeld unserer kulturellen Lebenswelt. Ob es die in mittlerweile jedem Computerspiel eingesetzten Simulationen von Räumen, GPS-Navigationssysteme oder Metaphern von Räumen im Internet wie Chatrooms sind: Der große Anteil an räumlich strukturierter, medialer Virtualität im Alltag prägt unseren Diskurs über die Welt. Darüber hinaus bildet sich über neuere Medientechnologien eine eigentliche Topik4 der medialen Erfahrung und des medialen Handels heraus, eine Ontologie des Virtuellen5 ist im Entstehen begriffen. Mit dem Kino, der DVD und Computerspielen hat die räumliche Gestaltung des Klangs und umgekehrt die klangliche Gestaltung des Raums an Gewicht gewonnen. Surround-Technologien können komplexe akustische Räume simulieren: Der »virtuelle« akustische Raum ist zu einem viel diskutierten Thema geworden. Wenn wir die Felder der Medien- und Klangkunst, der elektronischen Musik, des Game- und Sounddesigns unter diesen Aspekten betrachten, so fällt gerade in diesen Disziplinen auf, dass topologische Begriffe zu Parametern künstlerischer/medialer Arbeit werden: Die Topologie als Lehre vom Ort (griech. τόπoς = Ort, λόγος = Lehre) mit Adverbien wie: vor, nach, nahe, fern, lokal zusammenhängend, separabel, kompakt, stetig, dicht, annähernd, unendlich usw., und Verben wie: sich entfernend, kreisend, aufsteigend, sinkend usw. wird zum Vokabular der Gestaltung von medialen, von virtuellen Erlebnisräumen. An sich ist das in der Musik, speziell in der Musiknotation, nichts Neues, denn Musiknoten beschreiben unter anderem die topologische Struktur von Klängen (tiefer, höher, vor, nach, lange, kurz usw.). Der dreidimensionale Vorstellungsraum, die räumlichen Relationen von Klängen haben in der herkömmlichen

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»[…] muss es etwas geben, das das Gegenüberstehen von Ich und Nicht-Ich in sich umfasst und die sogenannten Bewusstseinsphänomene in seinem Inneren zustandekommen lässt. Dieses, die Ideen Aufnehmende […] nenne ich hier, einem Wort aus Platons Timaios folgend, den Ort.« Kitaro Nishida: »Ort«, in: Rolf Eberfeld (Hg.), Logik des Ortes, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1999, S. 72. Der Begriff »Topik« kommt wie die Topologie in mittlerweile sehr unterschiedlichen einzelwissenschaftlichen Bereichen mit je auf ein Anwendungsgebiet bezogener Bedeutung zur Anwendung. Die beiden Begriffen ursprünglich und sprachlich immanente Bedeutung einer »Lehre des Ortes« steht in diesem Text im Vordergrund. Die Topik bezeichnet in der Psychologie, speziell in der Psychoanalyse, ein Konzept der mentalen Organisation von Vorstellungsinhalten. Vgl. Marc Ries: »Ontologie des Virtuellen – Verräumlichungsstrategien von Wissen(schaft) in Netzwerken«. Online: www.kakanien.ac.at/beitr/ncs/MRies1.pdf vom 30. Januar 2010. 10

Klang, Raum und Virtualität – Einleitung

Musiknotation aber bisher keine kanonisierbare Symbolisierung und Parametrisierung gefunden. Durch die visuelle Darstellung, die Repräsentation von Musik- und Schallereignissen am Computerbildschirm und speziell durch die Surround-Technologie und ihre Bedürfnisse an Visualisierung von Ort und Bewegung von Klängen im Beschallungsraum erweitert sich die formale Darstellung eines auditiven Ereignisses. Der Klang hat einen darstellbaren Ort im dreidimensionalen Raum. Zudem stehen Klänge nicht nur in einer räumlichen Beziehung zueinander, sie sind auf der Ebene der Imagination und der Kreation Teil eines bewusst angelegten, klanglich-räumlichen Milieus. Der Begriff »Milieu« bezeichnet eine charakteristische Konfiguration von Umgebungsfaktoren, in die ein Untersuchungsgegenstand eingebettet ist. Er hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in der Geografie Verwendung gefunden und kommt heute in den unterschiedlichsten, natur- wie geisteswissenschaftlichen Forschungsbereichen zum Einsatz. Die Untersuchung der räumlichen Organisation menschlicher Gesellschaften schafft in der Geografie eine eigene Topik von Zonen, Gebieten, Landschaften, Territorien. Neuere Tendenzen innerhalb dieses Wissenschaftsbereichs befassen sich mit klanglichen Milieus, den »milieux sonores«.6 Die lokalen und sich ständig ändernden, klanglichen Milieus strukturieren einen Klangraum – etwa denjenigen einer Stadt oder einer Landschaft. Ein »milieu sonore« umschreibt ein charakteristisches, klangliches Umfeld von Menschen. Das Milieu definiert sich immer in Bezug auf einen Ort im Raum, es existiert nicht aus sich selber heraus, sondern ist immer Milieu von etwas oder von jemandem; es definiert die lokalen Relationen, die Beziehung einer Gesellschaft zu ihrer Umwelt. Wenn wir künstlich erzeugte Klangräume als Imaginationsfelder verstehen, die sich aus räumlich und zeitlich strukturierten Klangmilieus zusammensetzen, so sind sie in erster Linie mittels technisch erzeugter Signale konstruiert, die Wahrnehmungen auslösen. Die Imagination des Produzenten, des Künstlers wie des Rezipienten schafft über akustische Wahrnehmungen einen Assoziationsraum, der unser Wissen über die reale Umwelt in eine Korrespondenz mit der Simulation des Möglichen bringt. Der Realitätsbegriff beginnt sich unter dem Einfluss der medientechnologischen Ausweitung unserer Wahrnehmung zu verändern. Von Künstlern geschaffene Raumsimulationen, ob im Film, in Installationen oder Musikstücken, schaffen »über-natürliche«, surreale Erfahrungsräume, die angereichert sind mit seltsamen Klangobjekten, unmöglichen oder fernen Räumen, klingenden künstlichen Lebensformen – sie schaffen mentale Landschaften, die zum Inventar unserer Umwelt werden. 6

Vgl. Frédéric Roulier: »Pour une géographie des milieux sonores«. Online: www.cybergeo.eu/index5034.html vom 30. Januar 2010. 11

Marcus Maeder

Gilles Deleuze und Félix Guattari hielten dazu vor über dreißig Jahren in der Morgendämmerung des Computerzeitalters fest: »Das Reale ist nicht unmöglich, nur wird es immer künstlicher.«7 Die Idee zu diesem Buch entstand während der Arbeiten zum Ausstellungsprojekt Milieux Sonores – Zur Topologie des imaginativen Raums in der Klangkunst, dessen erste Version im Januar/Februar 2009 im Kunstraum Walcheturm in Zürich realisiert wurde. Die vorliegenden Beiträge wollen aufgrund der vielen und interessierten Reaktionen des Publikums den mannigfaltigen Aspekten des Klangs und des akustischen Raums in der Diskussion um die Virtualität Rechnung tragen. Die Auseinandersetzung mit musikalischen Methoden und Praktiken in der Virtualität als eigentlicher Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst ist – bedingt durch das Primat des Visuellen – eben erst in Gang gekommen. Die in diesem Band versammelten Beiträge untersuchen die Verhältnisse von Klang und Raum aus sehr unterschiedlicher Perspektive: Martin Neukom beschäftigt sich in seinem Beitrag zur Topologie des Klangraums mit den Eigenschaften musikalischer Parameter und ihrer Darstellung und Vorstellung. Er reflektiert Erfahrungen aus der Verwendung von mathematischen Modellen bei der Klangerzeugung und von Algorithmen beim Komponieren: Scheinbar lineare, homogene musikalische Parameter wie die Zeit oder Tonhöhen haben in der Wahrnehmung eine wesentlich kompliziertere Struktur als die geometrischen Dimensionen im euklidischen Raum. Zwar existieren in der Topologie Modelle für Räume mit beliebig vielen Dimensionen, unterschiedlichste Abstandsbegriffe und dergleichen mehr, diese Gebilde sind aber so komplex und unanschaulich, dass sie weder dem Komponisten noch dem Rezipienten eine Hilfe sind. Höhere musikalische Strukturen, Sinnbezüge und Referenzen lassen sich denn auch eher als Netze und Diagramme beschreiben und aufzeichnen. Daniel Bisig legt mit Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt einen Arbeitsbericht zum Projekt Interactive Swarm Space (ISS) des Instititute for Computer Music and Sound Technology der Zürcher Hochschule der Künste vor. Im Rahmen des Projekts werden SchwarmSimulationen von künstlichen Lebewesen, sogenannten »Agenten«, zur Steuerung von Klängen in interaktiven, virtuellen Räumen entwickelt. 7

Hier formuliert als Kapitalismuskritik: »Alle Arten residualer oder künstlicher, imaginärer oder symbolischer Territorialitäten richtet der Kapitalismus ein, wenn er nicht alte restauriert, um auf ihnen, mehr schlecht als recht, die von den abstrakten Quantitäten abgeleiteten Personen neuerlich zu codieren und abzustempeln.« In: Gilles Deleuze, Félix Guttari: Anti-Ödipus, Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977, S. 45. 12

Klang, Raum und Virtualität – Einleitung

Schwärme stellen als biologisches und soziales Phänomen eine weit verbreitete Form tierischer und menschlicher Gruppenorganisation dar. Das Verhalten von Schwärmen gilt als Paradebeispiel verteilter Intelligenz, deren Modellierung und Simulation ein wichtiges Thema in den synthetischen Naturwissenschaften (Artificial Intelligence, Artificial Life) bildet. Das Forschungsprojekt ISS (Interactive Swarm Space) sowie dessen Vorgängerprojekt ISO (Interactive Swarm Orchestra) untersuchen die Verwendung von Schwarm-Simulationen als künstlerisches Gestaltungsmittel. Der thematische Fokus von ISS ist dem Gebiet der Generativen Kunst zuzurechnen, welche automatisierte Prozesse als zentrale Bestandteile einer künstlerischen Realisation einsetzt. Wenn wir im Alltag Klänge hören, so ist ihre Quelle bereits vielerorts eine künstliche, in simulierten Erlebnisräumen gar eine virtuelle. In Mathias S. Oechslins Beitrag zu neurowissenschaftlichen Aspekten einer Akustik des Virtuellen werden die neurologischen Grundlagen der Wahrnehmung von virtuellen akustischen Gestalten zusammengetragen. Oechslins Schilderung der Forschungsarbeit zur Wahrnehmung von virtuellen Schallquellen beinhaltet Aspekte der Psychoakustik, akustische Präsentationstechniken (sog. »Auditory Displays«) und Grundlagen zur funktionellen Neuroanatomie im Kontext der Objekterkennung und -lokalisation. Über transdisziplinäre Untersuchungsansätze ermöglicht die Hirnforschung Einsichten in grundlegende kortikale Verarbeitungsmechanismen. Die Befunde zeigen einerseits, dass die Wahrnehmung virtueller Schallquellen neuronale Netzwerke nutzt, welche auch für die Orientierung im Raum im weiteren Sinne eine tragende Rolle spielen, andererseits weisen sie darauf hin, welche Faktoren berücksichtigt werden müssen, damit virtuelle akustische Gestalten vom Hörer auch als solche wahrgenommen werden. Einen Beitrag ausschließlich visueller Art hat der Künstler Yves Netzhammer mit Aufräumarbeiten im Wasserfall für den Mittelteil dieses Buches geschaffen. Seine Zeichnungen entwerfen nicht nur mögliche und unmögliche Raum- und Körperverhältnisse, sie lassen als Bilder des Denkens eine Hyperrealität von Körper und Empfindung, von Plan und Möglichkeit entstehen. Netzhammer zeigt auf, wie sehr Vorstellungen des Raums durch unsere Innenwelt und die Verknüpfungen von Emotion und Imagination mitbestimmt sind. Der Raum tritt als Behältnis unserer Vorstellungswelt »auf den Plan«, diese spannt sich gleichzeitig als äußere Haut um die vom Künstler entworfenen Situationen. Es entsteht so eine Gleichzeitigkeit, eine Gleichgewichtung von Innen und Außen, von Emotion und Konstruktion, die auf den Kern des Denkens wie der Erfahrung weist.

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Marcus Maeder

»Ambient« hat seit seiner Begriffsschöpfung durch den Musiker Brian Eno 1976 einen starken Wandel durchgemacht. Das zeige ich mit Sabine Gebhardt Fink im zweiteiligen Beitrag zu Ambient in Musik und Kunst auf. Der Musikstil Ambient hat sich in einen Rezeptionsrahmen und ein Begriffsgefüge verwandelt, in welchem elektronische/digitale Musik wie auch bildende Kunst konzipiert und rezipiert wird. Der Kontext Ambient umschließt künstlerische und soziale Praktiken, die eine durch Medientechnologien vermittelte und hergestellte Wirklichkeit reflektieren. Ausgehend vom Umweltbegriff des Biologen Jakob von Uexküll, der einen »welterzeugenden« Zusammenhang zwischen Körper, Kognition und Umwelt entwarf, werden neuzeitliche Immanenzkonstruktionen untersucht. Im Ambient als mimetischer Zeremonie wird ein hyperkomplexes, aber zusammenhängendes Weltbild hergestellt und die gegenwärtige Wirklichkeit ästhetisch erschlossen. Sabine Gebhardt Fink lenkt in ihrem Beitrag zu Ambient in der Kunst der Gegenwart den Fokus auf neuere Rezeptionsmodi in der Kunst seit den 1990er Jahren, als eine kritische Kunstpraxis in Sphären des alltäglichen Lebens zu intervenieren begann. Solche Formen der künstlerischen Kritik beziehen sich auf Konstruktionen des Sozialen als performative Praxis. Zentral dabei ist eine immersive ästhetische Erfahrung, die sich in performativen, sprich Handlung neu definierenden Betrachter- und Hörerbewegungen im Alltagsraum äußert. Dieser Raum wird durch die künstlerische Arbeit kritisch befragt und reflexiv erweitert. Die Autorin illustriert das anhand des Projekts Auf einmal und gleichzeitig, das von Alice Creischer, Andreas Siekmann und Christian von Borries anlässlich der Documenta XII in einer Shopping-Mall realisiert wurde. Welche Form der Orientierung führen Werkzeuge oder Messinstrumente mit sich? Sind diese Orientierungen produktiv für das Verständnis von Klangmilieus? Diesen Fragen nähert sich der Beitrag Der Kompass als Mittel der raumzeitlichen Orientierung von Nils Röller, indem er die Geschichte des Kompasses rekapituliert. Zuerst steht der Kompass als Mittel räumlicher Orientierung im Vordergrund und damit sein Beitrag für das Verständnis der räumlichen Komponente des Worts »Milieu«. Dies wird dann ergänzt durch die Entdeckung zeitlicher Abhängigkeiten bei der Beobachtung von Kompassen, wobei Röller feststellt, dass sich das Verständnis von Raum und Zeit in der Geschichte des Kompasses verändert hat. Die Geschichte des Kompasses kann deshalb auch als eine Bewegung der Kehren oder Subversionen räumlich-visueller Ordnungsmuster in zeitlich-akustische gedeutet werden. Mit diesem Potential zur Umkehr gewohnter Verhältnisse gewinnt der Kompass als Metapher zur Beobachtung und Beschreibung psychischer Zustände an Bedeutung

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Klang, Raum und Virtualität – Einleitung

und damit für die Konfiguration einer psychischen Binnendynamik. Sie entwickelt sich in Abhängigkeit von der »Doppelsinnigkeit« der Technik und bietet damit Chancen zum künstlerischen Entwurf an.

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Topologie des Klangraums Martin Neukom

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Eigenschaften musikalischer Parameter und ihrer Darstellung und Vorstellung. Er reflektiert Erfahrungen aus meiner Arbeit mit elektroakustischen Klängen, der Verwendung mathematischer Modelle zur Klangerzeugung und insbesondere der Verwendung von Algorithmen beim Komponieren. Der Begriff »Klang« hat eine weite und eine enge Bedeutung. Wenn im Folgenden von Klang die Rede ist, ist zunächst alles Klingende (sounds) gemeint, von Geräuschen bis zu streng organisierter Musik. Eine wichtige Rolle in diesen Betrachtungen spielen aber Klänge im Sinne der Akustik (pitched sounds), das sind Töne mit erkennbarer Tonhöhe und charakteristischer Klangfarbe. Diese werden physikalisch als periodische Schwingungen beschrieben. Vorstellungen sind primär räumlich-geometrisch. Entsprechend werden Parameter, Funktionen und Strukturen räumlich vorgestellt und dargestellt. Dabei wird vereinfacht, weggelassen, ergänzt. Räumliche Darstellungen, gedruckt oder auf dem Bildschirm dargestellt, sind zweidimensional oder virtuell dreidimensional. Scheinbar lineare, homogene Parameter, wie die Zeit und Tonhöhen, haben in der Wahrnehmung eine wesentlich kompliziertere Struktur als geometrische Dimensionen. Entsprechend werden zu ihrer Darstellung Kreise, Tore, Netze usw. eingesetzt. Es gibt zwar in der Topologie, einem Teilgebiet der Mathematik, Modelle für Räume mit beliebig vielen Dimensionen, unterschiedlichste Abstandsbegriffe, Unterscheidungen von diskreten und kompakten Mengen und dergleichen mehr, diese Gebilde sind aber so komplex und unanschaulich, dass sie weder dem Künstler bei der Produktion seiner Werke noch dem Rezipienten eine Hilfe sind. Eignen sich solche Modelle immerhin zur Darstellung der Eigenschaften des Klangmaterials, so versagen sie oft ganz bei der Beschreibung von höheren Strukturen wie Motiven und Texturen traditioneller Musik oder Klangspektren, Klangtransformationen, der Semantik von Geräuschen in elektroakustischer Musik. Sinnbezüge, Referenzen, Verweise lassen sich allenfalls als Netze und Diagramme aufzeichnen. Dadurch wird aber eine anschauliche Darstellung durch eine symbolische Notation ersetzt. Erst auf höheren kognitiven Ebenen, auf die hier nur am Rande einge17

Martin Neukom

gangen wird, spielen Sprache und Symbole eine wesentliche Rolle. Die im Projekt Flow Space verwendeten Schwarmalgorithmen ermöglichen es, gleichzeitig beliebig viele geometrische Dimensionen zu verwenden und ein Netz von Bezügen und Interaktionen zwischen den Agenten zu konstruieren. Im Folgenden werden zuerst einige allgemeine Begriffe und Konzepte und ihre Bedeutung für die Darstellung und Vorstellung von Klängen erläutert und anhand des Parameters Tonhöhe veranschaulicht. Danach werden die drei Parameter Zeit, Raum und Klangfarbe und Abbildungen zwischen verschiedenen Parametern (Mapping) behandelt. Zuletzt folgen einige Gedanken zu höheren Ebenen der Organisation von Klangkompositionen und Klanginstallationen. Dieser Beitrag will zum Verständnis der grundlegenden Parameter der Klangwelt, ihrer Struktur und Wahrnehmung beitragen und Künstler und Rezipienten für die wunderbare Komplexität des Materials und der Wahrnehmung multimedialer Werke sensibilisieren.

Raum, Zeit, Koordinaten Raum und Zeit sind die klassischen Kategorien der Wahrnehmung und in der klassischen Physik die unveränderlichen, unabhängigen Variablen von Zuständen und Veränderungen. Den physikalischen Raum bezeichnet man, in Abgrenzung zu abstrakteren Räumen, als den Ortsraum. Er ist, wiederum in der klassischen Physik, dreidimensional, euklidisch (d. h. nicht gekrümmt), homogen, kontinuierlich und isotrop (d. h. alle Richtungen sind gleichwertig). Entsprechend wird der Ortsraum mathematisch mit Hilfe kartesischer Koordinaten beschrieben, das heißt mit drei senkrecht aufeinanderstehenden, linearen und kontinuierlichen Achsen mit einheitlichen Längeneinheiten.

Vorstellungen Gegenstände, Bewegungen und Handlungen werden räumlich wahrgenommen. So wie die Wahrnehmung des Raums primär visuell geschieht, sind auch Vorstellungen primär visuell. Die Evolution der Sensorik für den Raum und von reaktiven Mechanismen beginnt bei den primitivsten Organismen. Durch die ganze weitere Entwicklung wurden Wahrnehmung und Repräsentation des Raums optimiert und verschiedenste Sinnesmodalitäten integriert.1

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Vgl. Konrad Lorenz: Die Rückseite des Spiegels – Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens, München: Piper 1973. 18

Topologie des Klangraums

»As a domain, space is well learned across many species, and it often involves the integration of information across multiple modalities and multiple dimensions. These characteristics make it an appropriate and appealing platform for building new structures essential for higher cognitive processes.«2

Grafische Darstellungen von Wahrgenommenem oder Vorgestelltem sind zweidimensionale Abbildungen. Abbildungen von Gegenständen und Situationen können so realistisch sein, dass ohne weiteres bei der Betrachtung der dreidimensionale Raum erscheint, oder sie können so abstrakt sein, dass nur Experten die abgebildete Realität imaginieren können. Zum Wesen der Imagination gehört das Erinnern und Antizipieren von Bewegungen. Die Imagination von Fluchtbewegungen und Fluchtwegen, von eigenen oder in einer Gruppe zu koordinierenden Aktionen, sind wohl die großen evolutionären Vorteile des Vorstellungsvermögens. Bewegungen sind wesentlich schwieriger darzustellen als Situationen. Realistische Darstellungen von Bewegungen wurden erst mit dem Film möglich, ihre abstrakte Darstellung erst mit computergenerierten Animationen – statische Grafiken mit Pfeilen und dergleichen sind weniger Darstellungen als symbolische Notationen.

Sinne, Vorurteil Wir haben immer schon ein Bild von der Welt. Dieses wird durch Sinneseindrücke lediglich modifiziert. Umgekehrt beeinflusst unser Vorwissen oder Vorurteil die Interpretation der Sinneseindrücke. Zur Modifikation unseres Bilds von der Welt tragen alle Sinne bei, wobei die Funktionen der einzelnen Sinne sehr unterschiedlich sind. Die visuelle Wahrnehmung ergänzt am direktesten die konkreten geometrischen Eigenschaften des Vorgestellten. Das Gehör als Alarmorgan liefert schnell Informationen über Richtung, Distanz und Art von klingenden Gegenständen oder Ereignissen. Es lenkt die Aufmerksamkeit und damit die visuelle Wahrnehmung auf wichtige Ereignisse. Nicht zu unterschätzen ist jedoch die Wahrnehmung der Atmosphäre und allgemeiner Raumeigenschaften wie Größe und Material von Räumen über akustische Eigenheiten des Schalls wie Nachhall und Reflexionen, sowie die Wahrnehmung der aktuellen Umwelt durch Hintergrundgeräusche. Entsprechend der Funktion der einzelnen Sinne ist die mentale Repräsentation ihrer Reize und das Erkennen ihrer Gegenstände unterschiedlich. Für die visuell geprägte Erfassung räumlicher Verhältnisse sind Vorstellung und Wiedererkennen zwei gleichwertige Fähigkeiten. 2

Merideth Gattis: Spatial Schemas and Abstract Thought, Cambridge: MIT Press 2001, S. 1. 19

Martin Neukom

Bei differenzierten Gegenständen, beispielsweise Gesichtern, versagt das Vorstellungsvermögen allerdings oft, wogegen das Wiedererkennen ausgezeichnet funktioniert. Entsprechend seiner Funktion als Alarmorgan dominiert beim Gehör das Wiedererkennen, und sogar geübte Musiker müssen eingestehen, dass die oft genannte und mystifizierte Fähigkeit, sich Klänge und ganze Musikstücke vorstellen zu können, nur mit viel Mühe und nur begrenzt auszubilden ist, wohingegen einmal gehörte Klänge sofort wiedererkannt werden, selbst wenn sie durch akustische Phänomene oder künstlich mit elektronischen Mitteln stark verändert sind. Nur wenige Menschen geben an, sich Klänge ähnlich präsent, Farben und Gerüche ähnlich intensiv und präzise »vorstellen« zu können wie Formen und Bewegungen.

Grenzen der Darstellbarkeit Es ist nicht möglich, sich den Ortsraum anders als euklidisch vorzustellen. Auch wenn konkrete räumliche Situationen aus dem Gedächtnis vorgestellt werden, wird der ganze euklidische Raum rekonstruiert, obwohl die Gedächtnisforschung gezeigt hat, dass das gespeicherte räumliche Wissen nicht vollständig und perspektivenfrei, sondern systematisch verzerrt ist: Objekte werden in Richtung möglicher Idealformen vereinfacht, die Lage von Objekten entlang von Fluchtlinien ausgerichtet usw. Da grafische Darstellungen zwei- oder virtuell dreidimensional sind, können nur Funktionen einer oder zweier Variablen dargestellt werden. Die Reduktion auf zwei Dimensionen ist uns so vertraut, dass wir kaum realisieren, wie drastisch die Vereinfachungen sind, die damit einhergehen. Die meisten natürlichen und künstlichen Systeme verarbeiten mehrere Eingangswerte und erzeugen mehrere Ausgangswerte. In Simulationen von Systemen kann man zwar nur einen Ausgang betrachten, ohne das Verhalten des Systems zu beeinflussen, aber die Vernachlässigung eines einzigen Eingangswerts kann das ganze Wirkungsgefüge eines Systems ändern. Grafische Darstellungen orientieren sich an mathematischen Funktionen, bei denen der Zusammenhang zwischen genau einem Ausgangswert (Funktionswert) und einem (in zweidimensionalen Darstellungen) oder zwei (in dreidimensionalen Darstellungen) Eingangswerten aufgezeigt wird. Kann die Auswahl eines dargestellten Ausgangswertes und damit das Unterdrücken aller anderen gleichzeitig auftretenden Werte eines Systems allein schon tendenziös und irreführend sein, so führt die Reduktion auf einen oder zwei Eingangswerte zumeist zu unsinnigen Diagrammen, wenn dadurch ein kausaler Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangswert suggeriert wird. Es kommt hinzu, dass die in Funktionen als unabhängige Variablen definierten Eingangswerte in 20

Topologie des Klangraums

komplexen Systemen selbst wieder von den Ausgangswerten abhängen. Grafische Darstellungen sind meist abstrakter als der geübte Betrachter denkt. Prototypisch für eine solche Darstellung ist die traditionelle Musiknotation. Wir sind an Darstellungen von Funktionen gewöhnt, in denen die Zeit als unabhängige Variable auf einer Koordinate von links nach rechts aufgezeichnet wird. In der Vertikalen wird die Tonhöhe als von der Zeit abhängige Variable aufgezeichnet. Auf den ersten Blick scheint das kartesische Koordinatensystem adäquat für die Darstellung von Musik: Die Zeit und die Frequenzen der Schwingungen, die wir als Tonhöhen wahrnehmen, können als lineare, homogene, voneinander unabhängige Parameter betrachtet und aufgezeichnet werden. Tonhöhen, Skalen, Intervalle und Harmonien können zwar eindeutig mit Frequenzen und Frequenzverhältnissen beschrieben werden, haben aber viel komplexere musikalische Eigenschaften, als in der physikalischen Darstellung zum Ausdruck kommt. Tonhöhen werden normalerweise in diskreten Mengen organisiert (Tonleitern, Tonsysteme), die sich nach einer Oktave, also einer Verdoppelung der Frequenz, wiederholen. Musikalische Intervalle, die Tonabstände, sind nicht nur durch die Distanz zwischen den Tönen charakterisiert, sondern durch die Einfachheit des Frequenzverhältnisses, ihrer Harmonizität. Die Bedeutung von Harmonien und harmonischen Entwicklungen schließlich ist stärker durch ihre Verwendung, durch historische Entwicklungen als durch messbare akustische Eigenschaften geprägt.

Komplexe topologische Strukturen Da es nicht möglich ist, sich den Ortsraum anders als euklidisch vorzustellen, sind auch dreidimensionale Darstellungsräume nicht anders vorstellbar. An zweidimensionalen Räumen, den Flächen, lässt sich jedoch erkennen, wie vielfältig die Formen und Eigenschaften nichteuklidischer Räume sein können. Flächen können gekrümmt sein, in sich selber zurückgekrümmt sein (wie die Kugel oder der Torus), in eine Richtung begrenzt und in eine andere unbegrenzt sein (wie ein Band), nur eine Seite haben (wie das Möbiusband), können Löcher aufweisen, aus einem Stück oder aus mehreren unzusammenhängenden Stücken bestehen usw. Bestimmte musikalische Parameter weisen komplexe topologische Strukturen auf und können gleichzeitig verschiedene Aspekte mit je unterschiedlichen Strukturen aufweisen. Die Oktavidentität der Tonhöhen, also die Eigenschaft, dass Töne mit Frequenzen, deren Verhältnis eine Zweierpotenz beträgt, musikalisch als identisch gelten und mit demselben Notennamen bezeichnet werden, lässt sich einfach mit einer kreisförmigen Koordinatenachse darstellen. Gleichzeitig hat aber auch die absolute Tonhöhe ihre musikalische Bedeutung. Absolute 21

Martin Neukom

Tonhöhe und Oktavidentität lassen sich gemeinsam in der sogenannten »pitch helix« (Abb. 1) darstellen.3

Abbildung 1. In der »pitch helix« lassen sich gleichzeitig Tonhöhe und Oktavidentität darstellen. Intervalle hingegen haben eine andere Struktur, sie verfügen über akustisch und historisch begründete Eigenschaften, die weder auf einer linearen noch auf einer kreisförmigen Achse sinnvoll dargestellt werden können. Sie haben ihre je eigene Harmonizität und Funktion in der Harmonik und sind geprägt sowohl durch ihre Verwendung in der Geschichte als auch durch die individuelle Erfahrung des Hörers. Es ist nicht möglich, alle diese Eigenschaften der Tonhöhen und Intervalle gleichzeitig in einem geeigneten Parameterraum darzustellen. Immerhin wurden für einige Sachverhalte der Musiktheorie adäquate Topologien gefunden, wie beispielsweise der Quintenzirkel für die Quintverwandtschaft, ein Möbiusband als »harmonisches Band« der Dreiklangsstufen4 und der Torus für die Terzbeziehungen (Abb. 2).5

3 4 5

Vgl. Roger N. Shepard: »Geometrical Approximations to the Structure of Musical Pitch«, in: Psychological Review 89 (1982), S. 305–333. Vgl. Guerino Mazzola/Daniel Muzzulini/Georg R. Hoffmann: Geometrie der Töne. Elemente der Mathematischen Musiktheorie, Basel: Birkhäuser 1990, S. 178. Vgl. ebd, S. 105. 22

Topologie des Klangraums

Abbildung 2. Auf einem Torus lassen sich gleichzeitig Quintenzirkel und Terzverwandtschaften darstellen. Da wir uns den Ortsraum nur euklidisch vorstellen können, sehen wir in den abgebildeten Parameterräumen immer Abstände und Winkel und können Objekte verschieben und drehen. Abstände und Winkel haben jedoch möglicherweise in den ursprünglichen Parametern oder Parameterkombinationen keinen Sinn.

Abbildung 3. Der Euler’sche Tonhöhenraum ist diskret. Nur die Gitterpunkte haben einen Sinn und sie können nur entlang des Gitters erreicht werden. Diagonale Verbindungen ergeben keinen Sinn. 23

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Dass in Eulers Tonhöhenraum (Abb. 3) drei gleichwertige Koordinaten (die Intervalle Oktave, Quint und Terz) auftreten, führte einige Theoretiker zu falschen Schlüssen, da sie mit Abständen und Winkeln argumentierten, die keinen Sinn im Euler’schen Tonhöhenraum6 (Abb. 3) haben. Am Beispiel der Tonhöhe und der (visuellen) Farben lässt sich zeigen, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung Daten verarbeitet und wie verschieden sie repräsentiert werden. Tonhöhen entsprechen Frequenzen mechanischer Schwingungen zwischen etwa 20 und 20.000 Hertz, Farben entsprechen elektromagnetischen Schwingungen zwischen etwa 400 und 800 Billionen Hertz (Terahertz). Wir nehmen also je einen Ausschnitt aus einer im Prinzip nach oben und unten offenen Skala von Schwingungen wahr. Die Ränder der Frequenzbereiche werden von unserer Wahrnehmung aber sehr unterschiedlich behandelt. Bei unreflektierter Wahrnehmung erkennen wir die Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit schon darum nicht, weil wir uns keine Inhalte jenseits dieser Grenzen vorstellen können (einen Ton, der leiser ist als der leiseste Ton, den wir hören können, einen Ton, der tiefer ist, als der tiefste Ton, den wir hören können, können wir uns nicht vorstellen). Wird die Frequenz eines Tons bei konstanter Energie erhöht, empfinden wir ihn als immer leiser, bis er unhörbar ist. Außerdem wird die Repräsentation der Frequenz als Tonhöhe verzerrt. Bei extrem hohen und extrem tiefen Tönen empfinden wir die Tonabstände (Intervalle) als immer kleiner. Eine adäquate Darstellung der Tonhöhen würde diese nicht auf einer Geraden, sondern auf einer Linie, die oben und unten gestaucht oder im Raum zurückgekrümmt ist, aufzeichnen. Ganz anders bei den Farben. Diese werden nicht als lineare Parameter repräsentiert, sondern bilden den Farbkreis. Hier werden die Ränder, das heißt die Farben am Ende des sichtbaren Spektrums, zu einem Kreis zusammengeführt. Zusätzlich konstruiert unsere Wahrnehmung Eigenschaften der Farbpalette, die keine physikalische Entsprechung haben, nämlich die Komplementärfarben und die neutrale »Farbe« Weiß. Es lässt sich zeigen, dass diese eigenartige Topologie die Farbkonstanz, unsere Fähigkeit, die »natürlichen« Farben auch bei wechselnder Beleuchtung zu sehen, ermöglicht. Im Unterschied zu den Tönen, die von den klingenden Objekten selber erzeugt werden, muss unsere Wahrnehmung die Farbe der Objekte aus der Farbe der Beleuchtung und der Reflexion des Lichts an den Objekten rekonstruieren. Einige physikalische Parameter werden, je nach Bereich der Parameterwerte, zur Bestimmung unterschiedlicher mentaler Parameter verwendet. Die Wahrnehmung nicht zeitgleicher Ereignisse ist nur möglich bis 6

Vgl. ebd. S. 28. 24

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zu Zeitdifferenzen von einigen Millisekunden. Kürzere Zeitunterschiede von eintreffenden Schallwellen werden vom Gehör jedoch bei Reflexionen zur Gewinnung von räumlichen Eindrücken verwertet und Zeitunterschiede von Bruchteilen einer Millisekunde zwischen dem Eintreffen von Schallwellen an beiden Ohren dienen zur Bestimmung der Richtung der Schallquelle. Veränderungen der Klangfarbe werden als solche nur bei relativ starken Veränderungen wahrgenommen, hingegen verwertet das Gehör feinste Klangfarbenänderungen ebenfalls zur Bestimmung der räumlichen Position der Schallquelle.7 Zu weiteren Details der Raumwahrnehmung verweise ich auf den Beitrag von Mathias S. Oechslin.

Gegenseitige Abhängigkeiten der Parameter Wahrnehmung und Repräsentation verschiedener Parameter beeinflussen oder stören sich gegenseitig. Extrem hohe Frequenzen werden mit zunehmender Lautstärke als höher, extrem tiefe Frequenzen als tiefer empfunden. Die oben beschriebene Verkrümmung der Tonhöhenwahrnehmung an den Rändern des wahrnehmbaren Bereichs ist abhängig von der Lautstärke. Das allmähliche Ausblenden tiefer und hoher Frequenzen führt dazu, dass bei leisen Klängen die tiefen Teiltöne schwächer wahrgenommen werden als Teiltöne im mittleren Frequenzbereich. Darum werden laute Klänge farbiger empfunden als leise Klänge mit demselben Spektrum. Auch die gleichen Parameter unterschiedlicher Klänge beeinflussen sich: Laute Töne verdecken (maskieren) leise Töne, die gleichzeitig, kurz nachher oder kurz vorher erklingen. Töne, die eine Frequenz haben, die ein Vielfaches der Frequenz eines anderen, gleichzeitig erklingenden Tons ist, verschmelzen mit diesem und verlieren ihre Selbstständigkeit. Bei natürlichen Klängen in natürlicher Umgebung hören wir nie einzelne Teiltöne, da diese von derselben Schallquelle zur gleichen Zeit am selben Ort produziert werden. Bei synthetischen Klängen in virtuellen Räumen hingegen können Teiltöne oft einzeln wahrgenommen werden und ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Klängen ist nicht immer eindeutig. Auch höhere Eigenschaften von Klängen können je nach Zusammenhang unterschiedlich wahrgenommen werden. Ein bestimmter Klavierton kann, je nach harmonischem Zusammenhang, einmal als Gis und einmal als Ais gehört und sogar entsprechend als höher oder tiefer empfunden werden. Für viele perzeptive Leistungen wertet das

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Klangfarbenänderungen, die in Abhängigkeit von Distanz und Richtung zur Schallquelle durch Ohr- und Kopfform erzeugt und mit der sogenannten »Kopfbezogenen Übertragungsfunktion« (Head Related Transfer Function, HRTF) beschrieben werden. 25

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Gehör mehrere Merkmale aus. Oft ist es schwierig, die Wirkung der einzelnen Merkmale zu bestimmen. Je höher die perzeptive oder kognitive Leistung, desto mehr unterschiedliche Reize werden ausgewertet, desto größer ist der Einfluss anderer Sinne und umso wichtiger wird das Vorwissen. In vielen Studien wurde gezeigt, wie visuelle Reize die Beurteilung auditiver Ereignisse beeinflussen und umgekehrt (crossmodal-effects).8

Zeit Die Zeit, in klassischen physikalischen Funktionen die gleichmäßig verlaufende unabhängige Variable, ist in der alltäglichen, aber besonders auch in der ästhetischen Wahrnehmung äußerst komplex strukturiert. Der grundsätzliche Unterschied zu den Raumkoordinaten, nämlich dass die Zeit vergeht, nicht angehalten oder umgekehrt werden kann, kann räumlich nicht dargestellt werden. Die erlebte Zeit vergeht ungleichmäßig, bereits in der Gegenwart. Vor allem in der Erinnerung ist die Zeit eher eine Folge von Momenten als ein Kontinuum. Die zeitliche Reihenfolge unabhängiger Ereignisse spielt in der Erinnerung kaum ein Rolle und kann oft nur mit Hilfe abstrakter Mittel wie den Daten rekonstruiert werden. Obwohl die Zukunft offen ist, spielt ihre mentale Vorwegnahme, spielen Planung, Hoffnungen, Ahnungen usw. in unserer Wahrnehmung eine entscheidende Rolle. Im Musiktheater beispielsweise gilt es nicht nur die chronologische Zeit oder die Darstellungszeit, sondern auch die dargestellte Zeit und die erlebte Zeit zu beachten. In Anbetracht der komplexen und unterschiedlichen Strukturen der Zeit- und der oben beschriebenen Tonhöhendimension wird klar, warum die immer wieder versuchte Übertragung von zweidimensionalen geometrischen Gebilden in musikalische Partituren so selten gelingt. Solche Übertragungen, in der Mathematik als Abbildungen bezeichnet, wollen wir hier, um Verwechslungen mit dem oben verwendeten Abbildungsbegriff zu vermeiden, als Mapping bezeichnen. Mapping kommt in der elektroakustischen Musik zur Anwendung, wenn Datenmengen irgendwelcher Art als musikalische Parameter eingesetzt werden. Insbesondere die faszinierenden Strukturen von Fraktalen sind immer wieder Ausgangspunkt zu solchen Versuchen. Die obigen Ausführungen machen deutlich, warum das Mapping genuin zweidimensionaler Strukturen wie etwa der Mandelbrot-Menge (Abb. 4) im Klangraum scheitert: Geometrische Strukturen basieren im Wesentlichen darauf, dass beide Koordinaten gleichartig und gleichwer8

Vgl. John G. Neuhoff: Ecological Psychoacoustics, Amsterdam: Elsevier Academic Press 2004, S. 233–249. 26

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tig sind (auch wenn die Konstruktion der Menge in der komplexen Zahlenebene mit einer reellen und einer imaginären Achse erfolgt). Komplexe, selbstähnliche Strukturen sind nur erkennbar, weil man jederzeit alle Elemente des Bildes vergleichen kann, was in der Zeitdimension nicht möglich ist. Es kommt hinzu, dass die Struktur der Tonhöhenwahrnehmung wesentlich komplexer ist als die einer geometrischen Dimension. Auch wenn das Unterscheidungsvermögen zwischen zwei verschiedenen Tonhöhen gut ist, konzentriert sich das Gehör mehr als der Sehsinn auf einzelne Elemente, weil bei gleichzeitig erklingenden Tönen Verdeckungseffekte auftreten.

Abbildung 4. Die Mandelbrot-Menge ist benannt nach ihrem Entdecker Benoît Mandelbrot. Es handelt sich um eine Menge von Punkten mit fraktalem Rand in der komplexen Zahlenebene. Die Wahrnehmung der zeitlichen Abfolge von Ereignissen hat, je nach Größenordnung der zeitlichen Abstände, unterschiedliche Qualität. Wie eine Abfolge von Bildern, die sich in kürzeren Abständen als ca. 20 Millisekunden folgen, als kontinuierliche Bewegung wahrgenommen wird, werden schnelle Folgen von (fast gleichen) Schallereignissen als Klänge wahrgenommen. Der Unterschied zwischen der Wahrnehmung der Einzelereignisse und der Klänge ist so fundamental, dass Übertragungen von Verhältnissen zwischen Obertönen (im Mikrobereich) auf Rhythmen oder Tempoänderungen, wie Karlheinz Stockhausen es in »Wie die Zeit vergeht«9 beschrieb und beispielsweise in »Zeitmaße« anwandte, so abstrakt und spekulativ sind wie das Mapping zwischen 9

Vgl. Karlheinz Stockhausen: »Wie die Zeit vergeht«, in: Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik, Band 1, Köln: DuMont 1963, S. 99–139. 27

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irgendwelchen artfremden Parametern. Der Übergang von kontinuierlichem Erleben hin zum Erfassen von Einzelereignissen lässt sich genau beschreiben und für verschiedene Wahrnehmungsmodalitäten messen. Viel schwieriger zu fassen ist der Unterschied zwischen dem, was man als Gegenwart oder in der Zukunft und der Vergangenheit als einen Moment auffasst und dem, was in eine Folge von Momenten zerfällt. Die sogenannte »Gegenwartsdauer« wird mit bis zu drei Sekunden angegeben. Die »inhaltliche Einheit« der Gegenwart ist das Wort, die Geste, die Aktion, die affektive Reaktion usw. Die in der Natur offenbar sinnvolle Aufteilung der Wahrnehmung in verschiedene Wahrnehmungsmodalitäten für unterschiedlich große Zeitspannen wurde von der Sprache und der Musik übernommen und damit gefestigt und konserviert. Die traditionelle Musik ist nicht nur sprachähnlich, weil sie sich mit der Sprache zusammen entwickelte, sondern weil sie dieselben Voraussetzungen hat und weil auch die Produktion der Instrumentalmusik in ähnlichen Größenordnungen geschieht: Schläge, Bogenstriche und die Bewegungen des Taktierens sind kurze, einfache Aktionen. Als Vorbild für die Gestaltung einer instrumentalen Phrase gilt bis heute das Artikulieren und Phrasieren beim Singen und Sprechen. Daher rührt das oft barock anmutende rhetorische Element der neuen Instrumentalmusik. In der elektronischen Musik hingegen können die Grenzen der Wahrnehmungsmodalitäten erfahrbar gemacht und überschritten werden. Einschwingvorgänge können zu Gesten vergrößert werden, Gesten können bis unter die Grenze der Einzelwahrnehmung beschleunigt werden. Gestalten können fast beliebig vergrößert werden, da sie nicht durch Handlungen erzeugt werden. Elektronische Musik kann Bewegungen oder Zustände »ausdrücken«, die nichts mit Gestik und Sprache zu tun haben und sich in ganz anderen Zeitspannen entfalten. Sie kann deshalb dem Zwang, interpretierbar zu sein, etwas bedeuten zu müssen, entkommen. Es wäre naheliegend, mit neuen Medien die klassische Notation durch Animationen zu ersetzen, in denen die musikalische Zeit in Echtzeit abläuft und wo zwei oder drei Raumdimensionen weitere Parameter darstellen würden. Dass ein solches Vorgehen dem Musiker gänzlich fremd ist, erhellt weitere Eigenschaften der Vorstellung von Musik. Die Musiknotation ist in vielem einer Choreografie oder einem Drehbuch ähnlich. Allen ist gemein, dass nicht alle Details des ästhetischen Objekts aufgezeichnet oder abgebildet sind, sondern dass dieses mit Hilfe von Symbolen möglichst einfach und überschaubar dargestellt ist. Sowohl beim Einstudieren wie beim Analysieren von Musik werden ständig zeitlich entfernte Stellen verglichen, in der Partitur hin und her geblättert. Musik verstehen heißt nicht zuletzt, die Bedeutung des Moments im Zusammenhang des ganzen Stückes zu erfassen. Die traditionelle Musiknotation ist adäquat für Musik, in der die Tonhöhen und ihr zeit28

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licher Verlauf, die Rhythmen allein wesentlich sind und alles weitere wie Klangfarben, Lautstärke usw. unbestimmt oder unwesentlich ist. Im Verlauf der Musikgeschichte und insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden früher selbstverständliche und außermusikalische Parameter immer mehr zu wesentlichen Elementen der Komposition oder der Performance. Es wurden viele Versuche unternommen, die Notation dieser Entwicklung anzupassen. Die Listen mit Erklärungen, die den Partituren vorangestellt sind, zeigen, dass sich kaum Standards durchgesetzt haben, und sie zeigen deutlich, dass all diese Parameter nicht abgebildet werden können, sondern dass im Wesentlichen Symbole verwendet werden müssen, die der Erklärung bedürfen.

Klangfarbe Der Parameter Klangfarbe ist in der elektroakustischen Musik besonders wichtig. Im engeren Sinn bezieht sich der Begriff »Klangfarbe« auf den Charakter von Tönen mit erkennbarer Tonhöhe. Physikalisch lässt sich die Klangfarbe zwar durch das Spektrum der Klänge beschreiben, es lassen sich aber nur schwer Korrelationen zwischen dem Spektrum und der wahrgenommenen Klangqualität feststellen. Die Struktur des physikalischen Spektrums, das aus theoretisch unendlich vielen Teiltönen besteht, führt zu einem unendlichdimensionalen Klangraum. Berücksichtigt man, dass nur Obertöne, die nicht im selben kritischen Band liegen, unterschieden werden können, reduziert sich die Anzahl der Dimensionen jedoch auf etwa 24. Es gab verschiedene Versuche, den Raum der Klänge zu beschreiben. Für Mathias Hauer war das Intervall zwischen dem Grundton und dem stärksten Oberton entscheidend für die Klangfarbe.10 Zusammen mit der Oktavreduktion ergibt sich daraus eine eindimensionale, zyklische Darstellung der Klangfarben. Durch das Einbeziehen der Phasenlage der Obertöne gelangten andere Autoren zu doppelt zyklischen Klangfarbenstrukturen, die sich auf einem Torus darstellen lassen.11 Doch auch diese Versuche sind zu theoretisch und geben wenig von der Struktur der wahrgenommenen Klangqualität wieder. Die Klangfarbe im beschriebenen Sinn ist weder für das natürliche noch für das ästhetische Hören besonders interessant. Es stellt sich nämlich heraus, dass es die Veränderungen der Klänge sind, die Information tragen. Die physikalischen Eigenschaften veränderlicher Spektren lassen sich dreidimensional mit der Lautstärke als Funktion von Zeit und Frequenz darstellen. Daraus lässt sich mit etwas Übung einiges über die Wirkung der abgebildeten Klänge ablesen, niemand wird sich hingegen 10 Vgl. Daniel Muzzulini: Genealogie der Klangfarbe, Bern: Peter Lang 2006, S. 321. 11 Vgl. G. Mazzola u. a.: Geometrie der Töne, S. 105. 29

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umgekehrt Klänge in diesem Raum vorstellen können. Zu plausibleren Ergebnissen gelangt man mit dem statistischen Verfahren der multidimensionalen Skalierung, bei dem mit Hilfe von Ähnlichkeitsurteilen in Paarvergleichen die optimale Anzahl der Dimensionen berechnet wird. Die Methode liefert für die Klangfarbe in der Regel Dimensionszahlen, die kleiner sind als fünf. Sie liefert aber weder einen Hinweis auf die physikalischen noch auf die ästhetischen Eigenschaften, die diesen Dimensionen zuzuordnen sind.12 Eine gewisse Plausibilität, die Klangfarbe von Musikinstrumenten als ästhetische Qualität zu messen, hat die Darstellung in einem dreidimensionalen Raum mit den Dimensionen »spectral centroid«, »flux« und »attack time«.13 Diese Überlegungen haben aber wenig mit der tatsächlichen Wahrnehmung der Klangfarbe zu tun. Aus der Klangfarbe schließen wir beim natürlichen Hören auf den Gegenstand, der den Klang erzeugt. Nur im Zweifelsfall hören wir Klänge als Klänge, wir sagen beispielsweise nicht »ich höre ein Brummen«, sondern »ich höre ein Auto«. Auch hier zeigt sich, dass Klänge nicht einen homogenen Raum bilden, sondern zunächst auf Gegenstände oder Handlungen verweisen und erst im ästhetischen Kontext ein Eigenleben führen. Ob Eigenschaften von Klängen vorgestellt werden können, hängt wohl davon ab, ob wir sie selber produzieren können und ob die Handlungen direkt einen Einfluss auf die Eigenschaft der Klänge haben. Es fällt auf, dass auch Musiker, die nicht Klavier spielen, sich im Gehörtraining mental an der Tastatur des Klaviers orientieren. Das zweite wichtige Hilfsmittel ist das Singen. Die Körperspannung und die Spannung der Stimmlippen steigt mit der produzierten Tonhöhe und ist bei nicht absolut Hörenden oft die genauere Referenz als die Tonvorstellung, wenn es darum geht, eine Tonhöhe zu bestimmen. Für viele Menschen beschränkt sich das Vorstellen von Musik auf das stumme, mentale Singen von Melodien oder Produzieren von Rhythmen. Die Schwierigkeiten, Klänge zu ordnen, zeigen sich nicht nur darin, dass sie nicht einfach in einen Klangraum zu platzieren sind, sondern sie zeigen sich bereits in der Umgangssprache, die keine genuinen Adjektive für Klänge kennt, sondern Adjektive aus anderen Sinneswahrnehmungen gebraucht wie hart/weich, hell/dunkel, grob/fein etc. Es existiert weder in der Musiktheorie noch in den Disziplinen, die sich mit Klangbearbeitung befassen, eine ausgearbeitete und allgemein anerkannte Klangtypologie. In der Klangsynthese äußert sich die Schwierigkeit darin, dass die einstellbaren Parameter oft nicht intuitiv sind: In der additiven Synthese müssen die Amplitudenverläufe der Teiltöne einzeln bestimmt werden, eine Zunahme des sogenannten »Index« in den nichtlinearen 12 Vgl. D. Muzzulini: Genealogie der Klangfarbe, S. 485. 13 Vgl. John M. Grey/John W. Gordon: »Perceptual Effects of Spectral Modifications on Musical Timbres«, in: JASA 63 (1978), S. 1495–1500. 30

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Techniken wie Frequenz- und Amplitudenmodulation bewirkt eine recht unbestimmte Intensivierung der Klangfarbe. Aus den genannten Schwierigkeiten ergibt sich, dass kein einfach nachvollziehbares Mapping strukturierter Daten auf die Klangfarben möglich ist.

Raum Der Raum (Ortsraum), in dem Musik aufgeführt wird, hat schon immer die Ausführung der Musik mitbestimmt. Besetzung, Tempo und Lautstärke werden teils unwillkürlich, teils gezielt der herrschenden Akustik angepasst. Als Parameter der Komposition oder der Aufführung trat der Raum bei responsorialen Gesängen, Ein- und Aufzügen, in der Mehrchörigkeit und insbesondere ab 1600 in der Oper in Erscheinung. Doch erst mit elektroakustischen Mitteln ist es möglich geworden, virtuelle Räume zu gestalten. Es gibt grundsätzliche Unterschiede zwischen virtuellen visuellen und virtuellen auditiven Räumen. Sie sind zum Teil technisch, zum Teil durch die Unterschiede der visuellen und auditiven Wahrnehmung bedingt. Unser Gehör nimmt zunächst wahr, was wo erklingt. Dabei wird die Richtung bestimmt, aus der der Schall eintrifft, in der horizontalen Ebene bis auf wenige Winkelgrade, in der vertikalen wesentlich schlechter aufgelöst. Die Bestimmung der Distanz zur Schallquelle ist ein komplexer Vorgang und gelingt oft nur ungenau.14 Obwohl wir visuell auch quasi von einem Punkt aus wahrnehmen und immer nur in eine Richtung schauen, wird das Wahrgenommene immer als euklidischer Raum mit kartesischen Koordinaten aufgefasst. Rein Gehörtes, Klänge, die wir nicht bekannten Gegenständen im Raum zuordnen können, stellen wir uns normalerweise in sphärischen Koordinaten vor (Winkel in der horizontalen Ebene, Erhebungswinkel und Distanz): »es klingt von oben«, »es erklingt aus der Ferne«. Wir sehen immer nur in eine Richtung und können jederzeit die Augen schließen, der Gehörsinn hingegen ist immersiv: Wir hören Klänge aus allen Richtung und können die Ohren nicht verschließen. Wir hören auch Schallquellen, die optisch verdeckt sind, da Schallwellen gebeugt und reflektiert werden. (Wir sehen nicht das Licht, sondern die Gegenstände, die das Licht reflektieren, hören aber bei Reflexionen den Schall der Schallquelle und nicht die reflektierenden Gegenstände.) Die Verdeckung (Maskierung) von leisen Klängen durch laute ist hingegen stärker als das »Überstrahlen« dunkler durch helle Gegenstände. Wir erhalten in einem Augenblick ein Bild der Umwelt, die auditive Wahrnehmung benötigt jedoch immer eine gewisse Zeit. Bewegungen sind in unserer 14 Vgl. Jens Blauert: Spatial Hearing – The Psychophysics of Human Sound Localisation, Cambridge: MIT Press 1999. 31

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modernen Welt so omnipräsent, dass sie über die visuelle Wahrnehmung nur noch unterschwellig Stress auslösen. Bewegte Schallquellen, ob reale oder virtuelle, drängen sich jedoch immer in den Vordergrund. Es gibt nur einen Ortsraum. Es lassen sich grafisch zwar Gegenstände darstellen, die sich durchdringen, aber sie befinden sich im selben Raum. Virtuelle akustische Räume können hingegen koexistieren: Wir können gleichzeitig Musik mit der Akustik einer Kathedrale und Sprache mit der Akustik eines Wohnzimmers spielen und wahrnehmen. Virtuelle akustische Räume können technisch unterschiedlich realisiert werden. Es ist zu unterscheiden, ob sie mit Kopfhörern für Einzelpersonen oder mit Lautsprechern für eine größere Zuhörerschaft erzeugt werden und ob räumliche Aufnahmen oder synthetische Raumklänge gespielt werden. Ich betrachte hier nur diejenigen Techniken, die bei der Erzeugung von Raumillusionen verwendet werden und zeige auf, wie mit denselben Techniken surreale Wirkungen erzeugt werden können. Um die Richtung zu einer Schallquelle zu bestimmen, verwendet das Gehör kleinste Zeit- und Lautstärkeunterschiede zwischen den Signalen, die an den Ohren eintreffen, und kaum wahrnehmbare Veränderungen der Klangfarben. Zur Bestimmung der Distanz zur Schallquelle verwendet das Gehör das Verhältnis von gehörter Lautstärke zur (angenommenen) produzierten Lautstärke, das Abdunkeln der Klangfarbe durch die bevorzugte Absorption der hohen Frequenzen in der Luft und das Verhältnis zwischen direkt und indirekt eintreffendem Schall. Da Richtungs- und Distanzwahrnehmung sich aus mehreren und unterschiedlichen Merkmalen der Klänge erschließen, können durch deren Variation widersprüchliche und real nicht mögliche Raumsituationen erzeugt werden. Ob die Simulation von Klangräumen gelingt, hängt oft stark von der Plausibilität der Simulation und von der genauen Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Merkmalen ab. Zum Beispiel ist uns das Einstellen der Lautstärke an technischen Geräten so vertraut, dass das Leiserwerden einer Stimme eher als technische Manipulation denn als ein sich entfernender Sprecher interpretiert wird. Da die Merkmale Lautstärke, Klangfarbe und Nachhall nicht nur zur Bestimmung der Position von Schallquellen verwendet werden, sondern auch eigenständige ästhetische Parameter sind, können damit interessante Ambivalenzen, Übergänge von wahrgenommenen musikalischen Eigenschaften zu unterschwellig wirkenden Klangmerkmalen und surreale Szenerien erzeugt werden. Spielt man beispielsweise auf beiden Kopfhörerkanälen oder auf symmetrisch um den Hörer im Raum aufgestellten Lautsprechern exakt dasselbe Signal, wird der virtuellen Schallquelle kein Ort im Außenraum zugewiesen, sondern sie wird im Kopf lokalisiert. Trotzdem kann eine bestimmte Distanz simuliert werden. Wird ein Signal über Kopfhörer gespielt, so wird der Klang unter Umständen im Kopf lokalisiert, obwohl 32

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der Schall so klingt, als wäre die Schallquelle weit entfernt. Wird mit Hilfe von Nachhall und Abdunkeln der Klangfarbe eine große Distanz einer Schallquelle simuliert, kann die Lautstärke von diesen Merkmalen entkoppelt behandelt werden, so dass beispielsweise unnatürlich laute Klänge in einer sonst real wirkenden Klangszenerie elektronisch verstärkt wirken. Da die Merkmale für Distanz (Lautstärke, Absorption und Nachhall) gegenseitig unabhängig sind, können sie in einem dreidimensionalen Parameterraum dargestellt werden. Kombinationen von Parametern, die eine konsistente Raumwirkung erzeugen, bilden einen Teilraum des Parameterraums. Bei Kombinationen der Parameterwerte (Punkte im Parameterraum), die außerhalb dieses Bereichs liegen, kann die räumliche Wirkung zusammenbrechen oder können Effekte wie die oben beschriebenen auftreten. Der akustische Raum ist immersiv. Er ist immer da und hüllt uns ein. Er ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Atmosphäre sowohl natürlicher als auch virtueller Umgebungen. Die indirekten Anteile des Schalls, teils bewusst als Echo oder Nachhall, teils unterschwellig wahrgenommen, liefern uns Information über Größe und Beschaffenheit des uns umgebenden Raums, die Klänge selbst einen Gesamteindruck des Vorhandenen und des Geschehens im Raum. Obwohl ganz vom Raum bestimmt, ist die Atmosphäre gerade durch die nicht lokalisierbaren Eigenschaften des Klangs geprägt. Sie lässt sich nicht mit räumlichen Parametern und auch nicht mit anderen messbaren Eigenschaften beschreiben. Eine Atmosphäre ist darum auch nicht vorstellbar, sondern es ist allenfalls eine Situation vorstellbar, die eine bestimmte Atmosphäre evoziert. Die Macht der mit Klang geschaffenen Atmosphäre ist auch den Produzenten von Kaufhausmusik, sogenannter »Muzak«, bekannt und wird zur Manipulation von Konsumenten und Kunden verwendet. Das gezielte Gestalten der akustischen Atmosphäre kann aber auch wesentlicher oder sogar ausschließlicher Inhalt von Klanginstallationen oder von Musikproduktionen sein. Die natürliche Immersion des akustischen Raums kann künstlich aufgehoben werden. Erklingen beispielsweise Klänge, die in natürlicher Umgebung nicht aus derselben Richtung kommen können, oder Nachhall, der immer aus allen Richtungen kommt, aus einem einzigen Lautsprecher, bricht die Immersion zusammen.

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Mapping Datenmengen aus Naturwissenschaft, Wirtschaft etc. werden durch geeignete Abbildungen (Mappings) veranschaulicht. Abbildungen verwenden zum Teil kontinuierliche Parameter wie räumliche Koordinaten, Farben oder Graustufen, zum Teil aber auch diskrete und symbolische Objekte wie Pfeile, geometrische Zeichen usw. Der große Vorteil bei der Verwendung von räumlichen Koordinaten ist, dass drei Parameter in einem einheitlichen Raum dargestellt werden können und so die Beziehungen zwischen den Parametern gut ersichtlich sind. Am einfachsten ist die Erweiterung des Darstellungsraums durch Graustufen. Diese sind wie die räumlichen Koordinaten kontinuierlich und linear. In Sonagrammen wird beispielsweise ein Klangspektrum mit zwei Raumkoordinaten für Zeit und Frequenz und mit der Graustufe (oder Farbintensität) für die Amplitude aufgezeichnet (Abb. 5). Die Verwendung von Farbe als fünftem Parameter ist hingegen wegen der zuvor beschriebenen Topologie des Farbkreises schwierig. Die Abbildung der Zeit auf eine Raumkoordinate ist uns vertraut aus Funktionen und Diagrammen. Wie abstrakt diese Abbildung ist, wird uns erst bewusst, wenn die Zeit ausnahmsweise nicht horizontal von links nach rechts abgebildet wird. Es ist umgekehrt auch möglich, eine Raumkoordinate auf die Zeit abzubilden. Um komplexe räumliche Strukturen sichtbar zu machen, werden beispielsweise Körperorgane in Animationen dargestellt, indem Schnitte durch das Organ in zwei Raumkoordinaten dargestellt und die dritte Raumdimension auf die Zeit abgebildet wird. Man erlebt solche Darstellungen als Reise durch den Körper.

Abbildung 5. In Sonagrammen werden veränderliche Spektren aufgezeichnet. Die Amplitude als Funktion von Zeit (horizontale Achse) und Frequenz (vertikale Achse) wird als Graustufe dargerstellt. 34

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Obwohl zur Sonifikation von Daten ebenso viele Parameter zur Verfügung stehen wie zu ihrer Visualisierung (Raumkoordinaten, Zeit, Lautstärke, Klangfarbe), wird von der klanglichen Darstellung von Daten kaum Gebrauch gemacht. Das hängt einerseits mit der generellen Dominanz des Visuellen in unserer Kultur zusammen, ist aber auch eine Folge der oben beschriebenen Kompliziertheit der Klangparameter und vor allem der Tatsache, dass Klänge Zeit brauchen. Können Grafiken und Bilder teilweise mit einem Blick erfasst werden, braucht auch die einfachste Sonifikation eine gewisse Zeit. Seit einigen Jahren wird versucht, Datenvisualisierungen mit Datensonifikationen zu ergänzen, da die darzustellenden Datenmengen und Datenstrukturen unsere visuelle Wahrnehmung zum Teil überfordern und Klänge teilweise den Daten besser entsprechen oder weil der Gehörsinn als Alarmorgan möglicherweise eine schnellere Reaktion hervorruft (beispielsweise in Fahrzeugen). Man spricht von »audification«, wenn Daten (genauer eine Folge von Werten) als Klang abgespielt werden und dabei lediglich einfachen Transformationen wie Transposition oder Filtern unterworfen werden. Das Gebiet des »auditory display« umfasst aber auch die Verwendung von »auditory icons«, akustischen Symbolen, die vor allem als Feedback bei technischen Geräten, vom Geigerzähler bis zum Computer, verwendet werden. Der Begriff »earcon« wurde geprägt, um Erweiterungen der auditory icons zu bezeichnen, die auch Information über Größen und Zustände liefern.15 Es gibt mehr oder weniger überzeugende Sonifikationen. Dabei spielen physikalische und psychoakustische Phänomene sowie Gewohnheiten eine Rolle. Hohe Töne werden psychoakustisch tendenziell räumlich höher lokalisiert und alle Musiknotationen verwenden die Vertikale, um Tonhöhen darzustellen. Dass höhere Töne mit kleineren Gegenständen assoziiert werden, hängt damit zusammen, dass tiefe Töne nur von großen Resonanzkörpern verstärkt und effektiv abgestrahlt werden können. Andere bevorzugte Zuordnungen sind schwer zu erklären. So zeigten Versuche, dass sehende Testpersonen steigende Tonhöhe mit Geldvermehrung, Blinde mit Geldverlust assoziieren.16 Möglicherweise sind Sehende durch grafische Darstellungen geprägt, in denen regelmäßig oben mit »groß« und »viel«, unten mit »klein« und »wenig« assoziiert ist, Blinde haben eher die »natürliche« Assoziation von »klein« zu hohen Tönen.

15 Vgl. J. G. Neuhoff: Ecological Psychoacoustics, S. 152. 16 Vgl. Bruce N. Walker/David M. Lane u. a.: »Psychophysical Scaling of Sonification Mappings«, in: Proceedings of the 7th International Conference on Auditory Display (2001), S. 90–94. 35

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Auch in der Klangkunst ist das Übertragen von außermusikalischen Daten in Klang neueren Datums. Wie schwierig es ist, mit einfachem Mapping Daten oder genauer die in den Daten enthaltene Information und Struktur hörbar zu machen, wurde bereits oben angedeutet. Wie das folgende Beispiel zeigt, lassen sich aber auch Strukturen, die bei natürlichen Klängen in natürlichen Umgebungen nicht hörbar sind, so abbilden, dass sie hörbar werden. Bei der sogenannten »additiven Klangsynthese« werden Klänge durch Addition von Sinustönen synthetisiert. Diese verschmelzen normalerweise zu einem Klang. Das Klangspektrum ist im Prinzip unendlich dimensional, die Klangfarbe wird meist mit weniger als fünf Parametern beschrieben (siehe oben). Indem man die einzelnen Teiltöne virtuellen Schallquellen im Raum zuordnet, wird der Effekt der Verschmelzung außer Kraft gesetzt. Der Raum hat zwar nur drei Dimensionen, es gibt jedoch beliebig viele unabhängige räumliche Bewegungen, die einen unendlichdimensionalen Parameterraum bilden, auf den man das Spektrum abbilden kann. Neben der direkten Abbildung (»one-to-one-mapping«), wo definiert wird, wie Parameter der Daten in Parameter der Klänge zu transformieren sind, gibt es viele mögliche Erweiterungen. Anstatt Rohdaten wie die gemessene Position eines Hörers zu transformieren, können daraus höhere Daten gewonnen werden, zum Beispiel Bewegungsintensität oder Gesten, und diese können wiederum nicht auf grundlegende Klangparameter, sondern auf Strukturen der Klangerzeugung, etwa die Intensität der Klanganregung, abgebildet werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Daten zwar einfach abzubilden, dem Hörer aber, beispielsweise durch Interaktion, die Möglichkeit zu geben, zu lernen, wie die Daten zu interpretieren sind.17

Systeme Die bisher behandelten Eigenschaften von Klängen sind Parameter, die unterschiedliche Werte auf einer Skala annehmen und darum in geeigneten Koordinatensystemen abgebildet werden können. Diese Parameter beschreiben das grundlegende Material, das in der Klangkunst und in der Computermusik verwendet wird. Je höher wir in der Hierarchie von Kompositionen oder klangerzeugenden Systemen aufsteigen, desto weniger lassen sich die auftretenden Strukturen und Zusammenhänge in Parameterräumen darstellen. Zusammenhänge, Einflüsse, Verweise zwischen Elementen von Systemen werden zwar auch grafisch, 17 Vgl. Jan C. Schacher: »Action and Perception in Interactive Sound Installations: An Ecological Approach«, in: Proceedings of the 2009 NIME Conference, Pittsburg, USA 2009. 36

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aber nicht mit den oben beschriebenen Vor- und Darstellungsräumen, sondern in symbolischer Notation wie beispielsweise in Flussdiagrammen dargestellt (Abb. 6). In verschiedenen Disziplinen wurden Begriffe entwickelt, um solche Zusammenhänge zu beschreiben. Immer geht es um Einheiten, Systeme mit Eigenschaften, mit bestimmtem Verhalten oder um bestimmte Wechselwirkungen mit anderen Systemen. Beispiele sind die Kybernetik, Systemtheorien unterschiedlicher Prägungen, neuronale Netze, agentenbasierte Systeme und das Konzept der objektorientierten Programmierung. Dass hier nur Disziplinen aufgezählt sind, die kaum älter als ein halbes Jahrhundert sind, mag verwundern. Das Konzept, dass komplexe Gebilde aus vielen einzelnen, unter sich zum Teil gleichen und oft sehr einfachen Teilen zusammengesetzt sind, ist sehr allgemein und bringt in dieser Allgemeinheit kaum Erkenntnisse. Erst mit den Möglichkeiten des Computers, das Verhalten solcher Systeme zu simulieren, ergab sich die Notwendigkeit, solche Konzepte zu formalisieren. Zudem war es erst mit Simulationen möglich, typisches Verhalten von komplexen Systemen wie Selbstorganisation und Emergenz zu untersuchen. Die genannten Konzepte stammen, im Gegensatz zu den oben beschriebenen geometrisch-topologischen Konzepten, die in der Mathematik und der Physik entwickelt wurden, aus Disziplinen, die sich mit Leben und Maschinen beschäftigen: Die Kybernetik stammt aus der Biologie und der Technik, Systemtheorien entstanden in der Soziologie und den Ingenieurwissenschaften, die Theorien neuronaler Netze und agentenbasierter Systeme in der Forschung zu Künstlicher Intelligenz und Artificial Life. fm

fm o fr Amp

Cfb oAmp

Sin

Abbildung 6. In Flussdiagrammen werden Signalflüsse in und zwischen Systemen dargestellt. Die Abbildung zeigt ein System zur Frequenzmodulation mit Rückkopplung des produzierten Klangs auf die Modulationsfrequenz. 37

Martin Neukom

Wir können uns zwar keine räumliche Vorstellung von Systemen machen, aber als soziale Wesen haben wir eine reiche Erfahrung und so eine gute Intuition für das Verhalten von Individuen, die aufeinander einwirken und Information austauschen. Das Verhalten von Individuen in Gruppen wie Familien, Klassen oder Teams, aber auch in Massen, beispielsweise im Straßenverkehr oder in einem Publikum, sind uns vertraut, wir kennen die auftretenden Mechanismen quasi von innen. Erscheinungen in der Tierwelt oder in der unbelebten Natur wie die Synchronisation von tierischem Verhalten oder das Auftreten von geometrischen Strukturen in chemischen Reaktionen faszinieren, weil kreative, ordnende Kräfte zu wirken scheinen. Wir können uns zwar Systeme nicht vorstellen und sie lassen sich auch nicht auf einfache Parameterräume abbilden, aber wir haben die Fähigkeit, uns unsere Handlungen vorzustellen. Die Imagination eigener Bewegungen im Raum, die Antizipation von Bewegungen und Situationen, das mentale Ausprobieren von Verhalten und verbalen Äußerungen und die Antizipation der Handlungen anderer sind hohe, typisch menschliche Fähigkeiten. Wenn Mensch und Tier im Spiel körperliche und mentale Fähigkeiten in einem begrenzten und geschützten Rahmen ausprobieren und trainieren, so sind in der Auseinandersetzung mit Kunst die Wahrnehmung und mentale Prozesse wie Gestalterkennung, Erinnerung, Erkennen von Gemeinsamkeiten und Differenzen gefordert und gefördert. In neueren Kunstformen, beispielsweise in interaktiven Installationen, helfen uns zudem die oben genannten Fähigkeiten, Prozesse zu verstehen, sinnvoll in diese einzugreifen und mit Systemen, ob mit künstlichen Systemen wie Computerprogrammen oder mit Menschen, zu kommunizieren.

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Topologie des Klangraums

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39

Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt Daniel Bisig

Computerbasierte Verfahren zur Simulation natürlicher Phänomene spielen in den Naturwissenschaften eine immer herausragendere Rolle. Die Entwicklung entsprechender Werkzeuge und Methodologien steht im Zentrum sogenannter »synthetischer Naturwissenschaften« wie der Künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence) und dem Künstlichen Leben (Artificial Life). Modelle schaffen eine Verbindung zwischen konzeptionellen Fragestellungen und empirischer Forschung.1 Eine ähnlich zentrale Rolle spielen Modellsysteme in technologisch orientierten Bereichen der Kunst, wo automatisierte und autonome Prozesse zur Realisierung von Kunstwerken eingesetzt werden. Auch hier verbindet das Modell konzeptionelle Überlegungen zur Formalisierung kreativer und gestalterischer Arbeitsweise mit einer praktischen Realisierung – diese Methodik charakterisiert die Praktiken im Feld in der Generativen Kunst.2 Das Forschungsprojekt Interactive Swarm Space (ISS), das am Institute for Computer Music and Sound Technology der Zürcher Hochschule der Künste durchgeführt wird, siedelt sich an der Schnittstelle von Künstlichem Leben und Generativer Kunst an.3 Das Projekt befasst sich mit der Simulation von Schwarmverhalten als eines künstlerischen Gestaltungsmittels zur Schaffung interaktiver und immersiver Räume. Schwerpunkte liegen in der Untersuchung verschiedener Möglichkeiten zur Übertragung von Simulationsdaten auf gestalterische Prozesse sowie in der Schaffung hybrider Räume, wo sich Besucher und simulierte En1

2 3

Vgl. Daniel Bisig/Rolf Pfeifer: »Understanding by Design: The Synthetic Approach to Intelligence«, in: Reto Geiser/Bundesamt für Kultur (Hg.), Explorations in Architecture: Teaching, Design, Research, Basel/Boston/Berlin: Birkhäuser Verlag für Architektur 2008. Vgl. Philip Galanter: »What is Generative Art? Complexity Theory as a Context for Art Theory«, in: Proceedings of the Generative Art Conference, Milano, Italy 2003. Vgl. Daniel Bisig/Martin Neukom/John Flury: »Interactive Swarm Orchestra – An Artificial Life Approach to Computer Music«, in: Proceedings of the International Computer Music Conference, Belfast, Ireland 2008. 41

Daniel Bisig

titäten gemeinsam aufhalten und wo dem Besucher mittels emotionaler und sozialer Einbindung der Eindruck der Immersion vermittelt wird. Der Einführung in die beiden Gebiete Künstliches Leben und Generative Kunst folgt eine Beschreibung des Verhältnisses von Simulation und Virtualität. Ich schildere die Erzeugung der Präsenz virtueller Entitäten in einem physischen Realraum sowie Möglichkeiten der Interaktion mit künstlichen autonomen Systemen. Weiter werden Projektziele und Entwicklungsanstrengungen innerhalb des ISS-Forschungsprojekts und die Installation Flow Space vorgestellt, die als künstlerische Anwendung die im Rahmen von ISS entstandenen Ideen und Werkzeuge zum Einsatz kommen lässt.

(Y[PÄJPHS3PML\UK.LULYH[P]L2\UZ[ Künstliches Leben ist eine junge Forschungsdisziplin, die als eigenständiges Gebiet erst seit 1987 existiert.4 Künstliches Leben befasst sich mit der Erforschung grundlegender und universaler Prinzipien des Lebens wie etwa der Fähigkeit zur Selbsterhaltung, Anpassung und Fortpflanzung. In der KL-Forschung wird die Auffassung vertreten, dass diese grundlegenden Eigenschaften nicht ausschließlich an uns bekannte Formen biologischen Lebens gebunden sind, sondern sich auch in anderen Organisationsformen manifestieren können (Artefakte, extraterrestrisches Leben, kulturelle und soziale Phänomene). In diesem Sinn enthält der Diskurs zum Künstlichen Leben auch spekulative und philosophische Elemente. Künstliches Leben steht gewissen mathematisch-theoretischen Forschungsrichtungen wie etwa den Komplexitätswissenschaften, der System- und der Chaostheorie nahe. Entsprechend werden in der Forschung zum Künstlichen Leben Lebewesen als komplexe adaptive Systeme betrachtet, die den Prinzipien von Selbstorganisation und Emergenz gehorchen.5 Die Forschungsarbeit zum Künstlichen Leben baut auf eine synthetische Methodologie, wo Artefakte entwickelt werden (Compu4 5

Vgl. Steven Levy: Artificial Life: A Report from the Frontier Where Computers Meet Biology, New York: Vintage Books 1992. Die Begriffe »Selbstorganisation« und »Emergenz« beziehen sich auf Systeme, die aus zahlreichen Einzelkomponenten aufgebaut sind. Selbstorganisation bezeichnet die Fähigkeit dieser Systeme, aufgrund lokaler Interaktionen zwischen den Komponenten kollektive Strukturen hervorzubringen, deren Größe und Ausmaß diejenigen der Einzelkomponenten deutlich übertreffen. Wenn sich die Eigenschaften dieser kollektiven Strukturen qualitativ und quantitativ deutlich von den Eigenschaften der Einzelkomponenten unterscheiden, spricht man von Emergenz. Beispiele von Selbstorganisation und Emergenz finden sich in rein physikalischen Systemen (klimatische Prozesse, Entstehen von Sternen, Bildung von Schneeflocken), in der biologischen Welt auf der Stufe von Individuen (Funktionsweise des Gehirns, Genregulation) und Gruppen (Schwarmverhalten, Ausbreiten von Epidemien) sowie in künstlichen Systemen (Internet, Börse, Verbreitung kultureller Trends). 42

Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt

tersimulationen, Roboter, physikalisch-chemische Systeme), bei denen gewisse biologische Eigenschaften in abstrahierter Form vorkommen. Eine besondere Form wissenschaftlicher Denkweise zeichnet die Methodik der Forschung zum Künstlichen Leben aus: Gedankenmodelle werden in realen Objekten verkörpert und sind somit einer empirischen Arbeitsweise zugänglich. Folglich ist Künstliches Leben eine sehr praxisorientierte Forschungsrichtung, in der neue Technologien und Verfahren entwickelt werden, die auch im weiteren Feld der Ingenieurwissenschaften von Interesse sind. Das Feld der Generativen Kunst umfasst künstlerische Ansätze, die hauptsächlich automatisierte Prozesse zur Erzeugung von Kunstwerken einsetzen. Entsprechend liegt die kreative Arbeit nicht so sehr in der Gestaltung der endgültigen Erscheinung eines Kunstwerks, sondern vielmehr in der Implementierung von Bedingungen und Regeln, deren autonome Ausführung zur Ausgestaltung des künstlerischen Objekts führen. Eine Definition des Begriffs »Generative Kunst« wurde erstmals 2003 von Philip Galanter unternommen.6 Nach Galanters Definition beschränkt sich Generative Kunst nicht nur auf computergestützte Realisierungen, sie kann auch natürliche Phänomene oder von Hand ausgeführte Regelwerke als automatisierte Prozesse verstehen. Computerbasierte Formen der Generativen Kunst sind so jung wie der Forschungsbereich Künstliches Leben. Die beiden Gebiete verbindet eine Geschichte gegenseitiger Beeinflussung und gemeinsamer Aktivitäten, die bereits kurz nach der Etablierung von Künstlichem Leben als Forschungsgebiet begonnen hat.7 Zahlreiche der auf diesem Gebiet wegbereitenden Persönlichkeiten wie Karl Sims, William Latham, Jeffrey Ventrella, Jon McCormac, Mauro Annunziato und Christa Sommerer, um nur einige wenige zu nennen, vereinen in sich selbst künstlerische und wissenschaftliche Interessen wie Fähigkeiten. Zwischen Künstlichem Leben und computerbasierter Generativer Kunst existieren zahlreiche Verbindungen. So haben Künstliches Leben und Generative Kunst häufig ähnliche Arbeitsweisen und verwenden dieselben Werkzeuge. Es werden zum Beispiel Verfahren zur Simulation biologischer Prozesse eingesetzt, um künstlerische Objekte zu schaffen, die bezüglich ihrer Entstehungsweise, ihres Verhaltens und ihres Erscheinungsbildes Eigenschaften biologischer Phänomene aufweisen. Da die Eigenschaften solcher Objekte entsprechend den Prinzipien von 6 7

Vgl. P. Galanter: »What is Generative Art? Complexity Theory as a Context for Art Theory«. Vgl. John Bird/Andy Webster: »The Blurring of Art and ALife« in: Proceedings of Second Iteration, CEMA, Melbourne, Australia 2001; vgl. auch Edwina Bartlem: »Immersive Artificial Life (A-Life) Art«, in: Journal of Australian Studies. Online: www.ekac.org/edwina.html vom 30. Januar 2010. 43

Daniel Bisig

Selbstorganisation und Emergenz wesentlich vielfältiger sein können als die ihnen zugrunde liegenden Prozesse, entstehen auf diese Weise Arbeiten, die für den Betrachter wie auch für den Künstler selbst überraschend und faszinierend sind. Weiter bieten Algorithmen zur Steuerung von Lernprozessen oder evolutionärer Anpassung die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen Betrachter und Kunstwerk selbst einem Veränderungsprozess zu unterwerfen und damit mit langfristigen und subjektiv geprägten Formen der Interaktion zu experimentieren. Eine zweite Gruppe von Verbindungen ergibt sich aus einer methodologischen Verwandtschaft zwischen Künstlichem Leben und Generativer Kunst. Beiden ist gemeinsam, dass die Formalisierung und Abstraktion ursprünglich nicht-technischer Phänomene (biologische Prozesse im Künstlichen Leben, gestalterische und kreative Entscheidungsfindung in der Generativen Kunst) und deren Implementation als künstlicher Prozess eine unmittelbare Beziehung zwischen konzeptionellen Überlegungen und praktischer Realisierung schaffen. Ebenfalls gemeinsam ist beiden Gebieten, dass sie sich einer explorativen Arbeitsweise bedienen, die versucht, auf vorgefasste Zielsetzungen weitgehend zu verzichten und stattdessen bemüht ist, von der eigenen Voreingenommenheit unabhängige, nicht vorhersehbare und überraschende Resultate zu provozieren. Im Künstlichen Leben und in der Künstlichen Intelligenz wird diese Arbeitsweise als »Design for Emergence« bezeichnet. Dieser Ansatz bietet einem Künstler auf ähnliche Weise die Möglichkeit, persönliche und kulturelle Prägungen zurückzustufen und stattdessen mit fremden und möglicherweise überraschenden Formen der Ästhetik und Interaktion zu experimentieren. Zudem existieren auch im konzeptionellen Bereich Berührungspunkte zwischen Künstlichem Leben und Generativer Kunst. Die Tatsache, dass die in der Forschung zum Künstlichen Leben entwickelten Modellsysteme zumindest einzelne Phänomene bei natürlichen Lebewesen nachbilden, ermöglicht es, Kunstwerke zu schaffen, die natürlich und künstlich anmutende Eigenschaften vermischen und damit die Grenzen zwischen Vertrautheit und Fremdheit verändern. Auf diese Weise konfrontieren Künstliches Leben und Generative Kunst die Öffentlichkeit mit Fragen zur grundsätzlichen Unterscheidbarkeit von natürlichen und künstlichen Formen des Lebens. Indem Generative Kunst die Erschaffung von Kunstwerken zumindest teilweise an künstliche Systeme delegiert, wirft sie auch Fragen zur Unterscheidbarkeit zwischen menschlichen und maschinellen Formen der Kreativität auf. Hier sieht sich die Generative Kunst ähnlich wie Künstliches Leben mit der immer noch ungelösten Aufgabe konfrontiert, künstliche Systeme zu schaffen, deren Anpassungsfähigkeit und Komplexität so offen sind, dass sie sich von 44

Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt

den Designentscheidungen des Wissenschaftlers bzw. Künstlers lösen können.8

Simulation und Virtualität Simulation als Imitation einer realen Gegebenheit spielt in den Naturwissenschaften eine wichtige Rolle als Mittel der Abstraktion und zur Überprüfung theoretischer Annahmen. Im Gegensatz zu einer rein mathematischen Modellierung erlauben computerbasierte Simulationen die Untersuchung komplexer Zusammenhänge und sind damit weniger einer rein analytischen Methodologie verpflichtet. Als Werkzeuge eines konzeptionellen und synthetischen Ansatzes haben sich Simulationen vor allem mit dem Aufkommen der synthetischen Naturwissenschaften Künstliche Intelligenz und Künstliches Leben etabliert. In diesen Wissenschaften dienen Simulationen nicht so sehr der möglichst genauen Annäherung an real existierende Situationen, sondern der Schaffung von vereinfachten Bedingungen, die die Entstehung von in sich schlüssigen Alternativwelten begünstigen. Ein bekanntes Beispiel ist die von Axtell und Epstein geschaffene Simulationsumgebung Sugarscape, die eine Untersuchung künstlicher sozialer Systeme ermöglicht.9 Was diese Art von Simulation auszeichnet, ist die Tatsache, dass der Designer lediglich die Eigenschaften und Interaktionsmöglichkeiten einiger als Agenten bezeichneter Grundelemente vordefiniert, die Simulation aber selber die sich in der Gesamtheit dieser Welt manifestierenden und damit globalen Phänomene generiert. Epstein und Axtell haben für diesen Forschungsansatz den Begriff »Generative Wissenschaft« geprägt. Die Ähnlichkeit zum Begriff »Generative Kunst« ist nicht zufällig, sie basiert auf einer gemeinsamen Anerkennung der wichtigen Rolle von sich selbst organisierenden Prozessen in der Schaffung von komplexen globalen Phänomenen. Der Umstand, dass die vom Designer geschaffenen 8

9

Vgl. John McCormack: »Facing the Future: Evolutionary Possibilities for HumanMachine Creativity«, in: Penousal Machado/Juan Romero (Hg.), The Art of Artificial Evolution: A Handbook on Evolutionary Art and Music, New York: Springer 2008. Sugarscape ist eine von Joshua M. Epstein und Robert Axtell im Jahr 1996 entwickelte Software zur Simulationen sozialer Gesellschaftsphänomene. Die Simulation besteht im Wesentlichen aus einer zweidimensionalen diskreten Welt, innerhalb derer sich Ressourcen (Zucker) und Agenten befinden. Die Agenten ernähren sich von Zucker, den sie laufend einsammeln. Durch die Vorgabe der Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Interaktionsmöglichkeiten der Agenten sowie die Regeneration der Ressourcen etablieren sich soziale Abhängigkeiten zwischen den Agenten. Trotz der Einfachheit der simulierten Welt können auf diese Weise komplexe Phänomene wie die Etablierung von Handelsnetzwerken und sozialer Hierarchien, das Entstehen von Umweltproblemen und kulturellen Austauschprozessen modelliert werden. Vgl. Joshua Epstein/Robert Axtell: Growing Artificial Societies – Social Science from the Bottom, Cambridge: MIT Press 1996. 45

Daniel Bisig

Agenten bis zur Unkenntlichkeit abstrahierte und zum Teil willkürliche Vereinfachungen realer Objekte sind, ändert nichts an der Tatsache, dass auf diese Weise konsistente und in sich schlüssige Alternativwelten entstehen. Solche Alternativwelten lassen die negative Konnotation des Simulakrums weit hinter sich und erfüllen damit das Kriterium einer zwar physisch nicht vorhandenen, aber ansonsten authentischen Realität. Dieser Simulationsansatz deckt sich mit grundlegenden Konzepten der Virtualität. Simulationsbasierte Formen der Virtualität bieten interessante Möglichkeiten für künstlerische Realisierungen. Sie erlauben es dem Künstler, Arbeiten zu schaffen, die eine Einheit von Konzeption, Erscheinungsbild und Verhalten bilden. Es handelt sich um eine Art fleischgewordenes Gedankenexperiment, das sich in Form von computerbasierten Prozessen verselbstständigt. In ihrer interaktiven Form bietet die Simulation ein offenes Experimentierfeld, das dem Publikum die Möglichkeit bietet, sich auf explorative und individuelle Weise mit den der Alternativwelt zugrunde liegenden Ideen auseinanderzusetzen. Da sich die Handlungen des Publikums in die Logik und Kausalität der Simulation einbetten, entstehen durch das Publikum initiierte, spontane narrative Abläufe. Das Kunstwerk wird damit zum Erfahrungsraum und Handlungsraum, dessen konzeptionelle und narrative Komponenten sich den Rezipierenden durch ihre eigene Wahrnehmung und Aktionsmöglichkeiten erschließt. Auf diese Weise bildet die Ausstellungssituation selbst einen Aspekt der generativen Eigenschaften des Kunstwerks.

Präsenz und Raum Die Prinzipien von Lokalität und Nachbarschaft schaffen eine direkte Beziehung zwischen dem Phänomen der Selbstorganisation und räumlicher Ausdehnung. Selbstorganisation beruht unter anderem auf dem scheinbaren Gegensatz zwischen der räumlichen Begrenztheit nachbarschaftlicher Interaktionen und den aus ihnen hervorgehenden, den Gesamtraum strukturierenden Prozessen. Dem Raum kommt in Simulationen häufig die metaphorische Rolle eines Universums der Antworten zu. In einem solchen Raum sind alle richtigen und falschen Antworten zu einer mathematisch formalisierten Fragestellung schon vorhanden. Das Durchstreifen dieses Raums entspricht einer n-dimensionalen Bergwanderung hin zum höchsten Gipfel, der die optimale Antwort repräsentiert. Konkrete und metaphorische Bedeutungen vermischen sich häufig beim Einsatz von biologisch inspirierten Verfahren zur Problemlösung.10 In 10 Als eines von zahlreichen Beispielen biologisch inspirierter Methoden zur Problemlösung sei hier das Verfahren der Particle Swarm Optimization erwähnt. Bei 46

Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt

Simulationen realisiert sich der unendliche Raum mit Hilfe einer topologischen Verrenkung: Indem alle gegenüberliegenden Grenzflächen eines endlichen, dreidimensionalen Raums miteinander verbunden werden, entsteht ein vierdimensionaler Torus, der von den simulierten Agenten in jeder Richtung unendlich weit durchschritten werden kann. Die Kenntnis der Art und Weise, wie sich der natürliche Raum in unserer Sinneswelt als etwas Vertrautes manifestiert, eröffnet Möglichkeiten, die räumlichen Eigenschaften einer Simulation an die alltägliche Erfahrungswelt der Rezipierenden anzubinden. Räumliche Distanz und Position erfahren wir als Korrelationen zwischen propriorezeptiven, akustischen und visuellen Sinneseindrücken. Das Empfinden unserer eigenen Muskulatur in der Fortbewegung, sichtbare perspektivische Verkürzung, Verdeckung und akustische Ausbreitung, Absorption und Reflexion sind einige der Wahrnehmungsphänomene, die Räumlichkeit erfahrbar machen. Räumliche Aspekte einer Simulation lassen sich mittels geeigneter Spatialisierungs- und Renderingtechniken in Wahrnehmungsphänomene übersetzen. Lokale Eigenschaften von Simulationen, zum Beispiel Position und Bewegung von Agenten, vermitteln sich gut über die gerichtete Wahrnehmung der Rezipierenden, indem sie an die räumlichen Eigenschaften diskret wahrnehmbarer Objekte gekoppelt werden. Bei diesen Objekten kann es sich zum Beispiel um bewegliche Schallquellen oder optische Elemente handeln, die mittels Klang- oder Videoprojektion im physischen Realraum wiedergegeben werden. Globale Eigenschaften der Simulation wie ihre Ausdehnung und Grenzen erschließen sich eher über eine periphere Wahrnehmung. Die sinnliche Wahrnehmung dieser Eigenschaften kann über die Simulation von räumlichen Klangcharakteristiken (Schallreflexion und Absorption) sowie räumlicher Lichtverhältnisse hergestellt werden. Eine solche Umgebung wird immersiver, wenn Überschneidungen zwischen dem physikalischen und dem simulierten Raum inszeniert werden, um so weitere vermittelnde Elemente zwischen der physischen Umgebung der Rezipierenden und der Simulation zu schaffen. Das kann erreicht werden, indem der simulierte Raum den Größenverhältnissen des physikalischen Raums angepasst wird. Das Publikum kann so seine eigene Fortbewegung und Position zur Orientierung in der Simulation verwenden. Die Grenzen des physikalischen Raums können in der Simulation ebenfalls existierende Grenzen anzeigen, oder sie erfüllen als Projektionsoberflächen die Rolle von Fenstern, die den Blick in eine visuelle Darstellung der Simulation ermöglichen. diesem Verfahren durchstreift ein Schwarm von Agenten einen hochdimensionalen Lösungsraum, um optimale Lösungen zu finden. Entsprechend fallen hier die Konzepte einer räumlichen Fortbewegung und eines mathematischen Lösungsraums direkt zusammen. Vgl. Mattias Wahde: Biologically Inspired Optimization Methods, Southampton: WIT Press 2008. 47

Daniel Bisig

Das Erfahrbarmachen einer virtuellen Präsenz beruht aber nicht nur auf der »Versinnlichung« der Simulation. Die Simulationswelt eröffnet analog zur physikalischen Welt einen Handlungsraum. Physische, raumbezogene Aktionen des Publikums wie Zeigegesten, Berührungen, Ausweichen und Annähern können mit geeigneten Tracking-Verfahren erfasst und in der Simulationswelt abgebildet werden. Indem der physische Aufenthaltsort und die Handlungen des Publikums eine räumliche Abbildung und Ausprägung in der Simulation erhalten und umgekehrt die simulierten Agenten sich als im physischen Raum lokalisiert wahrnehmbare und operierende Objekte manifestieren, entsteht eine Korrespondenz zwischen physischer und virtueller Präsenz. Auf diese Weise verschmelzen der physikalische und der virtuelle Raum zu einem gemeinsamen, hybriden Raum, in dem das Publikum und die simulierten Agenten als handelnde Entitäten auftreten.

(\[VUVTPL0U[LYHR[PVU\UK0TWYV]PZH[PVU Lebende Organismen werden im Sprachgebrauch der Forschung zum Künstlichen Leben als komplexe adaptive Systeme bezeichnet. Das Verhalten solcher Systeme unterliegt einer Eigendynamik, die nicht ausschließlich von äußeren Einflüssen angetrieben wird. Zusätzlich vollbringen solche Systeme längerfristige Anpassungsleistungen an die Bedingungen ihrer Umwelt, die ihnen bezüglich Selbsterhaltung und Fortpflanzung Vorteile verschaffen. Die komplexe Eigendynamik und die vollzogenen Anpassungen verbergen sich größtenteils einer externen Beobachtung. Entsprechend verhält sich der Organismus wie eine »Black Box«, die sich Fremdeinflüssen entzieht und ihr Verhalten nach eigenen Regeln bestimmt. Ein solcher Organismus wird als autonom bezeichnet. Komplexe adaptive Systeme können auch in ihrer simulierten Form über die Eigenschaft der Autonomie verfügen, mit dem bedeutenden Unterschied, dass es dem Designer der Simulation freisteht, die das System konstituierenden Zustände und Mechanismen einer äußeren Beobachtung und Manipulation zugänglich zu machen. Das Ausmaß der Autonomie und die Durchschaubarkeit eines simulierten Organismus wird damit zum Bestandteil gestalterischer Erwägungen. Die Ausgestaltung der Autonomie eines Artefakts ermöglicht die Schaffung einer künstlichen Individualität. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Individualität, die wahrgenommen wird, nicht ausschließlich ein Resultat der Fähigkeiten eines komplexen Systems ist, sondern sich zu einem bedeutenden Anteil aus der Erwartungshaltung und Projektion der Rezipierenden konstruiert. Wie bei jeder künstlerischen Arbeit spielt die Interpretationsleistung der Rezipienten eine wichtige Rolle 48

Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt

im Erleben des Werks. Im Unterschied zu einer vom Künstler vordefinierten und abgeschlossenen Arbeit durchläuft ein solch offenes Werk Prozesse der Veränderung und Anpassung. Es gibt keinen Moment, wo die Interpretation seitens der Rezipierenden abgeschlossen wäre, da es diesen unmöglich ist, das gesamte Spektrum der Zustände und Verhaltensweisen des Werks zu erleben. Vielmehr entwickeln die Rezipienten nach und nach ein Gefühl der Gewöhnung, der Vertrautheit gegenüber den angetroffenen Verhaltensmustern. In ihrer Eigenschaft als offene, in stetem Austausch mit Umwelteinflüssen stehende Systeme bieten lebensähnliche, künstliche Objekte interessante Möglichkeiten der Interaktionsgestaltung. Da das autonome System sich einer externen Steuerbarkeit entzieht, hat die Interaktion wenig mit klassischen Mensch-Maschine-Interaktionsabläufen gemeinsam. Vielmehr sind die Beziehungen zwischen dem Verhalten des Publikums und dem Verhalten des Systems äußerst indirekt. Die Auswirkungen der Interaktion sind abhängig davon, ob und wie das künstliche System die Handlungen des Publikums wahrnimmt, wie der momentane Zustand und die momentanen Aktivitäten des Systems sich durch das Publikum beeinflussen lassen, und wie sich das System in seiner längerfristigen Entwicklung an diese Beeinflussung anpasst. Entsprechend kann es für das Publikum schwierig sein, ein Verständnis für seine Interaktionsmöglichkeiten zu entwickeln und zwischen interaktionsbedingtem und spontanem Verhalten des Systems zu unterscheiden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diesen Herausforderungen zu begegnen. So bietet es sich an, eine deutliche Unterscheidung zwischen den Modalitäten der durch das komplexe System gesteuerten ästhetischen Gestaltungsprozesse und den in Zusammenhang mit der Interaktion stehenden Feedback-Modalitäten zu treffen. Die Wahl eines direkten, in unmittelbar wahrnehmbarem Zusammenhang mit der Aktion des Publikums stehenden Feedbacks schafft eine sensomotorische Plausibilität der Interaktion. Beispiele solcher direkter Aktions-Feedback-Paare bilden die Kopplung von Berührungsgesten mit haptischem Feedback in Berührungsinterfaces oder die im Abschnitt »Präsenz und Raum« bereits erwähnte Kombination der eigenen Gehbewegung mit Veränderungen in der akustischen und visuellen Wahrnehmung des simulierten Objekts. Eine zusätzliche Möglichkeit der Interaktionsgestaltung besteht darin, ein komplexes System als Bestandteil eines explorativen Freiraums zu inszenieren. Auf diese Weise entsteht eine Situation, die es den Rezipierenden ermöglicht, sich ihrer subjektiven Neugierde und Experimentierfreudigkeit entsprechend mit dem komplexen System auseinanderzusetzen und auf diese Weise ein intuitives Verständnis für Zusammenhänge zwischen den gegenseitigen Aktionen und Reaktionen zu entwickeln. Eine solche Situation bietet die Möglichkeit, Interaktion als 49

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Improvisation zu verstehen. Damit erscheinen Eigendynamik und Anpassungsfähigkeit des komplexen Systems in einem neuen Licht. Sie sind nicht länger Ursache für eine schwer durchschaubare Interaktion, sondern bilden die Grundlage für ein als spontan, individuell und originell empfundenes Verhalten. Damit erhebt sich das komplexe System in den Augen der Rezipierenden von der Stufe einer schwierig kontrollierbaren Maschinerie auf das Niveau eines Improvisationspartners. Interaktion entspricht nunmehr einem kommunikativen und sozialen Austausch zwischen physischen und virtuellen Partnern. Improvisation erweitert somit die Präsenz des virtuellen Gegenübers um soziale und emotionale Aspekte und schafft damit eine vielschichtige Form der Immersion.

Forschungsprojekt Interactive Swarm Space Das Forschungsprojekt Interactive Swarm Space (ISS) wurde im Frühjahr 2009 am Institute for Computer Music and Sound Technology initiiert. Es wird in Zusammenarbeit mit dem Labor für Künstliche Intelligenz der Universität Zürich und dem Department of Information Systems Science der Soka University Hachioji durchgeführt und wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert. Das Projekt befasst sich mit dem Einsatz von Schwarmsimulationen als eines künstlerischen Gestaltungsmittels zur Schaffung interaktiver und immersiver Räume. ISS sieht sich als Projekt innerhalb einer künstlerisch orientierten Forschung angesiedelt. Entsprechend wird versucht, Grundlagenforschung und technische Entwicklung in einen direkten Bezug zur künstlerischen Realisation zu bringen. Der ständige Austausch zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Sicht soll sicherstellen, dass die Projektresultate für die künstlerische Praxis von Relevanz sind. Die Arbeit mit computerbasierten komplexen Systemen beschränkt sich im Rahmen von ISS auf die Simulation von Schwarmverhalten. Verschiedene Überlegungen haben zu dieser Eingrenzung geführt: Zunächst einmal ist das Verhalten von Schwärmen ein Paradebeispiel biologischer Selbstorganisation. Es handelt sich um eine Form von Emergenz, die als Grundlage für verschiedene Formen tierischen und menschlichen Gruppenverhaltens gilt und als sinnträchtiges und gleichzeitig alltägliches Phänomen jedermann bekannt ist. Weiter ist die Implementation von Schwarmsimulationen verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen und bietet die Möglichkeit, anhand einer breiten Palette physikalischer, biologischer und sozialer Phänomene zu experimentieren. Die Verwendung von Schwarmsimulationen erfreut sich in der Generativen Kunst zurzeit einiger Beliebtheit. Schwärme wurden bereits in 50

Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt

robotischen Installationen11, als improvisierende Musiker12, zur Steuerung von Klang- und Partitursynthese13, zur Bildverarbeitung und -generierung14 oder als künstliche Chat-Partner15 eingesetzt. Trotz der häufigen Verwendung von Schwarmsimulationen in Kunstwerken wurden bisher kaum Versuche unternommen, die künstlerischen Möglichkeiten von Schwarmsimulationen systematisch zu untersuchen. ISS und das Vorgängerprojekt ISO (Interactive Swarm Orchestra) versuchen, diese Lücke zu füllen. Der theoretische Teil des Projekts befasst sich mit Fragen wie: Welche Arten der schwarmbasierten Steuerung von Verfahren zur Bild- oder Klangerzeugung existieren und wie unterscheiden sich diese betreffend ihrer ästhetischen und interaktiven Möglichkeiten?16 Welche Modalitäten eignen sich, um einer Schwarmsimulation räumliche Präsenz zu verleihen? Welche Interaktionstechniken und Interfaces erleichtern explorative und intuitive Formen der Interaktion mit simulierten Schwärmen? Ein weiterer Schwerpunkt in den ISO/ISS-Projekten liegt auf der Entwicklung und Verbreitung von software- und hardwarebasierten Werkzeugen und Hilfsmitteln, welche die Realisierung von schwarmbasierten künstlerischen Arbeiten erleichtern sollen.17 Unsere Software, die sich in Schwarmsimulation, Klangsynthese und Videotracking gliedert, ist so konzipiert, dass sie sich als vollständiges Programm oder als Teilkomponente in bestehende künstlerische Arbeitsumgebungen integrieren lässt.18 Von herausragender Bedeutung sind diejenigen Softwarefunktionen, die dem Erstellen und Steuern von Schwarmsimulationen dienen. Sie erlauben es, beliebiges Schwarmverhalten mit spezifischen 11 Vgl. Vitorino Ramos: »Self-Organizing the Abstract: Canvas as a Swarm Habitat for Collective Memory, Perception and Cooperative Distributed Creativity«, in: Josu Rekalde/Raúl Ibáñez/Águeda Simó (Hg.), 1st Art & Science Symposium – Models to Know Reality, Bilbao: Universidad del Pais Vasco 2003. 12 Vgl. Tim Blackwell: »Swarm Music: Improvised Music with Multi-Swarms«, in: Proceedings of the 2003 AISB Symposium on Artificial Intelligence and Creativity in Arts and Science, University of Wales 2003. 13 Vgl. Tim Blackwell/Michael Young: »Self-Organised Music«, in: Organised Sound, New York: Cambridge University Press 2004. 14 Vgl. Daniel Bisig/Tatsuo Unemi: »MediaFlies – An Interactive Flocking Based Tool for the Remixing of Media«, in: Proceedings of the 19th International FLAIRS Conference, Melbourne 2006. 15 Vgl. Tatsuo Unemi/Daniel Bisig: »Flocking Messengers«, in: Proceedings of the Generative Art Conference, Milano 2006. 16 Vgl. Daniel Bisig/Martin Neukom: »Swarm Based Computer Music – Towards a Repertory of Strategies«, in: Proceedings of the Generative Art Conference, Milano 2008. 17 Vgl. http://swarms.cc vom 9. März 2010 18 Vgl. Daniel Bisig/Martin Neukom/John Flury: »Interactive Swarm Orchestra – A Generic Programming Environment for Swarm Based Computer Music«, in: Proceedings of the International Computer Music Conference, Belfast 2008. 51

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Eigenschaften zu kombinieren, um auf diese Weise unterschiedlichste natürliche Phänomene nachzubilden oder völlig neue Schwarmtypen zu erfinden. Diese Flexibilität soll Künstlerinnen und Designer dazu ermutigen, musikalische oder visuelle Ideen bereits in die Schwarmsimulationen selber einfließen zu lassen. Die Videotracking-Elemente können zur Steuerung der Schwarmsimulation eingesetzt werden. Die Software erfasst Positionen, Konturen und Bewegungen von mehreren Personen. Diese Funktionen kamen bereits in mehreren Tanzaufführungen zum Einsatz, wo Schwärme als interaktives visuelles Element in den Bühnenhintergrund oder auf den Körper der Tänzer projiziert wurden.19 Anstrengungen im Hardwarebereich haben zum Bau einer mobilen Anlage zur dreidimensionalen Klangprojektion geführt. Dieses »ISOkaeder« genannte Objekt besitzt die Form eines Dodekaeders und hat einen Durchmesser von etwa vier Metern. An den 20 Verbindungspunkten der Kanten des Dodekaeders sind Lautsprecher montiert. Besucher können das ISOkaeder durch offene Flächen betreten und finden sich im Zentrum der dreidimensionalen Beschallung wieder. Das ISOkaeder wurde als installatives Objekt zur Präsentation von schwarmgesteuerter Computermusik eingesetzt. Die ambisonische20 Klangprojektion wurde unter anderem dafür eingesetzt, simulierte Agenten als lokalisierbare Schallquellen platzieren zu können, um so die räumliche Bewegung der Schwärme hörbar zu machen. Mehrere künstlerische Arbeiten sind bislang im Rahmen der ISO/ISSProjekte realisiert worden. Diese umfassen Konzerte, Installationen sowie Videoarbeiten für die Bühnenprojektion. Allen Arbeiten ist gemeinsam, dass der Schwarmsimulation als interaktivem und generativem Prozess eine zentrale Rolle bei der Erzeugung des musikalischen oder visuellen Ergebnisses zukommt. Den künstlerischen Umsetzungen kommt dabei die Rolle zuteil, mögliche Verwendungszwecke von Schwarmsimulationen praxisnah zu erkunden. Gleichzeitig sollen diese Arbeiten aber auch einem breiteren Publikum vermittelbar sein. Die Erfahrungen, die bei der Kreation und Präsentation dieser Werke gesammelt werden, bilden eine wichtige Grundlage für die Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Projekt. Es hat sich bei allen Arbeiten gezeigt, dass Schwärme in einer visuellen Umsetzung eine hohe ästhetische Faszination ausüben, die stark in ihrer deutlichen Assoziierbarkeit mit vertrauten natürlichen 19 Vgl. Daniel Bisig/Tatsuo Unemi: »Swarms on Stage – Swarm Simulations for Dance Performance«, in: Proceedings of the Generative Art Conference. Milano, Italy 2009. 20 Ambisonics ist eine mehrkanalige Tonaufnahme- und -wiedergabetechnologie, die sich zur zwei- und dreidimensionalen räumlichen Projektion von Klängen eignet. Vgl. Dave Malham/Anthony Myatt: »3-D Sound Spatialization Using Ambisonic Techniques«, in: Computer Music Journal, Cambridge: MIT Press 1995. 52

Schwarm, Raum und Kunst: Das ISS-Forschungsprojekt

Phänomenen begründet ist. Diese Assoziierbarkeit ergibt sich vor allem aus der Wahrnehmbarkeit der räumlichen Dynamik eines Schwarms. In Tanzaufführungen funktioniert das gut, weil es aufgrund der räumlichen Dynamik einfacher gelingt, eine unmittelbare Beziehung zwischen tänzerischer Präsenz und Aktivität und den projizierten Schwarmvisualisierungen herzustellen. Eine ähnliche räumliche Präsenz musikalischer Realisationen lässt sich wegen des gegenüber dem Sehsinn zu wesentlich schlechterer räumlicher Diskriminierung befähigten Hörsinns hingegen weniger einfach erreichen. Die an die Positionen einzelner Agenten gebundenen Schallquellen tendieren dazu, ineinander zu verfließen, und vermitteln daher eher den Eindruck einer räumlichen Klangwolke als eines aus diskreten Elementen bestehenden Schwarms. Noch schwieriger ist es, eine lesbare und sinnige Beziehung zwischen Schwarmsimulation und nichträumlichen Formen generativer Verfahren zur visuellen oder musikalischen Gestaltung herzustellen. Es sind im ISO-Projekt erste Anläufe zu einer systematischen Untersuchung dieser Herausforderung im musikalischen Bereich unternommen worden.21

Flow Space Flow Space ist eine installative Arbeit, die Anfang 2009 in der Ausstellung Milieux Sonores – Zur Topologie des imaginativen Raums in der Klangkunst im Kunstraum Walcheturm in Zürich gezeigt wurde. Flow Space ist ein interaktiver, audiovisueller Kompositionsraum, der von drei Künstlern (Daniel Bisig, Jan Schacher, Martin Neukom) bespielt wurde. Diese Arbeit verwendet eine erweiterte Form des ISOkaeders, das für den Flow Space mit Textilien für Rückprojektionen bespannt und mit einer berührungsempfindlichen Plexiglas-Oberfläche ausgestattet worden ist. Durch die Bespannung entsteht aus dem für Klangprojektionen geschaffenen Hörraum ein architektonischer Innenraum, dessen zum Teil berührungsempfindliche Oberfläche die Funktion eines Interfaces hat. Jeder der drei künstlerischen Beiträge umfasst eine visuelle und eine musikalische Komponente, die von einer speziell für die jeweilige Arbeit geschaffenen Schwarmsimulation gesteuert wird. Die Musik wird mittels ambisonischer Klangprojektion wiedergegeben. Die visuelle Umsetzung wird mit einem Videobeamer auf zwei aneinandergrenzende Fünfeckflächen der Dodekaederbespannung projiziert. Zusätzlich wird die Schwarmsimulation über eine Rückprojektion auf der berührungsempfindlichen Oberfläche sichtbar gemacht. Während die musikalische und visuelle Gestaltung der Arbeit je nach 21 Vgl. D. Bisig, M. Neukom: »Swarm Based Computer Music – Towards a Repertory of Strategies«. 53

Daniel Bisig

künstlerischer Intention auf unterschiedliche Weise in Beziehung zur Schwarmsimulation steht, entspricht die Darstellung der Schwärme auf der berührungsempfindlichen Oberfläche einer direkten und klaren Visualisierung der Simulation. Dieser Visualisierung kommt mit der Interface-Charakteristik ihrer Oberfläche eine entscheidende Rolle bezüglich der Interaktivität der Installation zu. Berühren Besucher die Oberfläche, so werden die Positionen der Punkte, wo ihre Finger die Oberfläche berühren, mittels Infrarot-Tracking erfasst und als virtuelle Objekte in der Simulationswelt abgebildet. Visualisierung und Tracking sind räumlich so aufeinander abgestimmt, dass die Position der berührungsgesteuerten Simulationsobjekte optisch mit der physikalischen Fingerposition übereinstimmt. Damit entsteht für den Besucher ein intuitiv verständlicher Zusammenhang zwischen seinen Handlungen und ihrem Effekt in der Simulation. Durch die Manipulation der Position virtueller Objekte nimmt der Besucher nicht direkt Einfluss auf die simulierten Schwärme, sondern verändert vielmehr deren Umwelt. Je nach Simulation erzeugen die Berührungen des Besuchers Anziehungs- oder Abstoßungspunkte, oder schaffen Barrieren in der Simulationswelt. Diese Veränderungen werden von den Schwärmen wahrgenommen und durch Anpassen ihres Verhaltens beantwortet. Der Besucher wird über seinen Einfluss auf die Simulationswelt zu einem Bestandteil der Dynamik generativer Prozesse. Flow Space kombiniert zwei Arten der Beziehung zwischen physikalischem und virtuellem Raum. Die zweidimensionale, berührungsempfindliche Oberfläche bildet eine Grenzfläche zwischen physikalischem und virtuellem Raum. Der Besucher nimmt gegenüber der Simulation eine Außenposition ein. Zusätzlich aber durchdringt der virtuelle Raum über die ambisonische Klangprojektion den gesamten physischen Installationsraum. Der Besucher nimmt in dieser Überlagerung von physikalischem und virtuellem Raum eine Innenposition ein. Die Interaktion des Besuchers erfolgt aus seiner Außenposition und nimmt damit manipulative Züge an. In diesem Sinne kann Flow Space auch als ein audiovisuelles Instrument verstanden werden, das durch den Besucher gespielt wird, das aber aufgrund seiner schwarmbasierten Eigenschaften über eine generative Eigendynamik verfügt.

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Abbildung 1. Schematische Darstellung der Flow-Space-Installation.

Abbildung 2. Raumansicht der Flow-Space-Installation.

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Neurowissenschaftliche Aspekte einer Akustik des Virtuellen Mathias S. Oechslin

Im Alltag wird die menschliche Wahrnehmung zunehmend mit sensorischen Reizen konfrontiert, die nicht von real vorhandenen, sondern von simulierten Quellen stammen. Bei der Präsentation virtueller Schallquellen wird versucht, eine Realität zu vermitteln, deren Elemente in Wesen, Wirkung und Funktion dem entsprechen, was wir aus der konkreten Erfahrung kennen. Insofern stellt unser Wissen und die darauf basierenden Erwartungen eine Voraussetzung für die Wahrnehmung virtueller Ereignisse dar, es ist eine qualitative Vorgabe, die durch die Konstruktion einer virtuellen Umgebung erfüllt werden muss, denn die virtuelle Welt wird im Wesentlichen über dieselben Wahrnehmungskanäle vermittelt wie die reale Welt. Dieser Beitrag bezieht sich auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von virtuellen akustischen Gestalten. Der Blickwinkel auf akustische Aspekte des Virtuellen ist hier derjenige der kognitiven Neurowissenschaften, deren Forschungsbeiträge der letzten 20 Jahre einen differenzierten Einblick in die Funktionsweise des Gehirns hinsichtlich der Verarbeitung von virtuellen Schallquellen ermöglicht haben. Ich möchte diesbezüglich die besondere Bedeutung der Darbietung virtueller Situationen in der empirischen Forschung betonen. Faktoren wie die Begrenztheit der Ressourcen und vor allem die Kontrollierbarkeit der zu untersuchenden Variablen führen dazu, dass praktisch alle Experimente nicht mit realen, sondern mit virtuellen Schallquellen durchgeführt werden. In vielen Studiendesigns spielt es keine Rolle, ob die Versuchsteilnehmer die abgespielten Stimuli als real oder künstlich wahrnehmen. Deshalb ist es auch nicht in jeder Simulation nötig, für das zu untersuchende Sensorium ein entsprechendes virtuelles Raummodell zu entwickeln. Das entscheidende Kriterium, wenn ein Eindruck von real Vorhandenem erzeugt werden soll, liegt jedoch darin, ob ein Objekt externalisiert – also im Raum, der den Betrachter/Hörer umgibt – wahrgenommen wird. Um eine Externalisierung beim Hörer zu bewirken, müssen virtuelle akustische Gestalten in einer möglichst real anmutenden Raumsimulation präsentiert werden. 59

Mathias S. Oechslin

Psychoakustische Grundlagen der Wahrnehmung ]VU:JOHSSX\LSSLUPT9H\T Das menschliche Gehör nutzt verschiedene Hinweisreize (richtungsgebende Merkmale), um Schallquellen im Raum präzise lokalisieren zu können. Es werden jedoch nicht alle akustischen Signale aus allen möglichen Richtungen des Raums durch ein und denselben Verarbeitungsmodus entschlüsselt. Die auditorische Verarbeitung zur Schalllokalisation basiert auf einem Ensemble von Detektoren, deren maximale Sensitivität sich erst unter bestimmten akustischen Bedingungen entfaltet. Folgend erläutere ich die wesentlichen Komponenten und ihre Bedeutung für eine erfolgreiche Lokalisation von Schallquellen. Akustische Hinweisreize werden von einem Ohr (monaural), oder von beiden Ohren (binaural) integrierend verarbeitet: Die monaurale Verarbeitung ist durch die Morphologie des Ohrs bestimmt, die binaurale unter anderem durch die Tatsache, dass die räumliche Distanz zwischen den Ohren zu unterschiedlichen Eigenschaften der eingehenden Signale führt und deren neuronale Verarbeitung Rückschlüsse auf die Position einer Schallquelle im Raum erlaubt. Werden akustische Signale von Quellen ausgesandt, die nicht auf der Medianebene liegen1, verarbeitet das Richtungshören bei hohen Frequenzen interaurale Intensitätsdifferenzen (interaural level differences – ILD2), ein Mechanismus, der bei etwa 2000 Hertz seine höchste Sensitivität erreicht.3 Bei zunehmend tieferen Frequenzen (unter 1000 Hertz) biegen sich die Schallwellen um den Kopf, weshalb auf der abgewendeten Seite des Kopfes kein Schallschatten mehr entsteht. Deshalb werden die tieferen Frequenzen aufgrund interauraler Zeitdifferenzen (interaural time differences – ITD4) analysiert. Das Richtungshören nutzt also höchst effizient die Tatsache, dass Schallquellen, die nicht direkt aus der Blickrichtung kommen, mit unterschiedlicher Intensität und kleinsten Zeitunterschieden an den Ohren eintreffen.5

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2 3

4 5

Die Medianebene teilt den Körper in zwei symmetrische Teile. Wird diese Ebene in den umliegenden Raum ausgeweitet und von dieser aus ein Schall gesendet, so trifft das eingehende Signal bei beiden Ohren zum selben Zeitpunkt mit derselben Lautstärke ein. Vgl. Anton Steinhauer: »The Theory of Binaural Audition. A Contribution to the Theory of Sound«, in: Philosophical Magazine Series 5, 7 (1879), S. 261–274. Vgl. Ernst Paulus: »Die richtungsgebenden Merkmale des räumlichen Hörens (Sound Localization Cues of Binaural Hearing)«, in: Laryngorhinootologie 82 (2003), S. 240–248. Vgl. Silvanus. P. Thompson: »On the Function of the Two Ears in the Perception of Space«, in: Philosophical Magazine Series 5, 13 (1882), S. 406–416. Vgl. Jonas Braasch: »Modeling of Binaural Hearing«, in: Jens Blauert (Hg.), Communication Acoustics, Berlin/Heidelberg/New York: Springer Verlag 2005, S. 75–108. 60

Neurowissenschaftliche Aspekte einer Akustik des Virtuellen

Diese beiden grundlegenden Mechanismen des binauralen Hörens wurden später von Lord Rayleigh unter dem Begriff der »Duplextheorie« zusammengefasst.6 Seine Annahmen basieren jedoch auf einem vereinfachten, kugelförmigen Kopfmodell, das einige Mehrdeutigkeiten im Hinblick auf das Lokalisieren von Schallquellen impliziert – danach könnten wir rein theoretisch Schallquellen, die auf der Medianebene liegen, grundsätzlich nicht lokalisieren. Dass dies nicht der Fall ist, wissen wir aus der täglichen Erfahrung und entsprechend müssen bei einem adäquaten Modell des Richtungshörens die Eigenschaften der Pinna (Ohrmuscheln) miteinbezogen werden. In sogenannten »Okklusionsversuchen« konnte experimentell gezeigt werden, dass die morphologische Beschaffenheit der Pinna wesentlich zur Schalllokalisation beiträgt: Dabei werden die Ohrmuscheln, unter Aussparung eines Kanals bis zur äußeren Mündung des Gehörgangs, sukzessive mit Wachs gefüllt. Bei einer systematischen Untersuchung der Auswirkung des Füllungsgrades auf die akustische Raumwahrnehmung konnte gezeigt werden, dass bei einer Okklusion der Scapha (bogenförmige Vertiefung der Ohrmuschel) ca. 20 Prozent, bei vollständiger Ausfüllung der Ohrmuscheln ca. 70 Prozent des Richtungshörens verloren geht. Werden die Ohrmuscheln vollständig in Wachsblöcke gegossen, verlieren die Versuchspersonen gänzlich die Fähigkeit, Schallquellen zu lokalisieren.7 Dieses Experiment und andere ähnliche Untersuchungen führten zur Erkenntnis, dass die Morphologie des Ohrs in ein neues Modell zur auditorischen Raumwahrnehmung einbezogen werden muss. Die Eigenschaften des Außenohrs bilden in Kombination mit der Kopf- und Schultergeometrie eine anatomische Filtereinheit, die für verschiedene Schallrichtungen und Schalleigenschaften jeweils charakteristische Veränderungen der Signale am Trommelfell bewirkt.8 Abhängig vom Einfallswinkel werden die Schallwellen an Kopf, Ohr und Schulter abgelenkt und treffen deshalb mit unterschiedlichen zeitlichen Verzögerungen am Trommelfell ein. Die mathematische Umsetzung dieses Zusammenhangs erfolgt durch die sogenannte »Anatomische Übertragungsfunktion« (ATF).9 Unter 6 7

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Vgl. Lord Rayleigh: »On our Perception of Sound Direction«, in: Philosophical Magazine Series 6, 13 (1907), S. 214–231. Vgl. Mark B. Gardner/Robert S. Gardner: »Problem of Localization in the Median Plane: Effect of Pinnae Cavity Occlusion«, in: Journal of the Acoustical Society of America 53 (1973), S. 400–408. Diese Informationen werden über Mittel- und Innenohr an den Hörnerv weitergeleitet, wo sie als neuronale Signale, entlang den aufsteigenden Nervenbahnen, den Weg bis zum auditorischen Kortex und dessen Assoziationsarealen fortsetzen. Vgl. Rudolf Nieuwenhuys/Jan Voogd/Christian van Huijzen: »Auditory System«, in: The Human Central Nervous System, Berlin/Heidelberg/New York: Springer Verlag 2008, S. 733–747. Äquivalent zum im Angelsächsischen häufig verwendeten Begriff der »Head Related Transfer Function« (HRTF). 61

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Verwendung der Fourier-Transformation10 werden dabei die spektralen Eigenschaften des akustischen Quellsignals und jene des Signals, das sich direkt vor dem Trommelfell messen lässt, ermittelt und anschließend in ein Verhältnis gesetzt (zum mathematischen Modell siehe z. B. Paulus 2003). Der resultierende Quotient repräsentiert den Einfluss des Ohrs als anatomischer Filter auf das ursprüngliche akustische Signal, das aus einer bestimmten Richtung beim Hörer eintrifft.11 Die ATF dient aber nicht nur als Instrument zur genauen Beschreibung des Verarbeitungsprozesses bei Schalllokalisationen, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, virtuelle Schallquellen im Raum zu platzieren. In psychoakustischen und neurowissenschaftlichen Experimenten zur Untersuchung der Schalllokalisation wurde dies bereits oft praktiziert. Das Filtern eines akustischen Signals mit einer künstlichen ATF führt zu einem verblüffenden Eindruck von Räumlichkeit bei der Wiedergabe akustischer Stimuli via Kopfhörer. Natürlich wurden auch hier Verfahren entwickelt, um das Erlebnis von virtueller Raumtiefe zu intensivieren und die Fähigkeit der Versuchpersonen zur akkuraten Lokalisation zu optimieren. Es hat sich gezeigt, dass die Verwendung individueller ATFs zu besseren Lokalisierungen führt, wenn die Position einer Schallquelle nicht durch interaurale Unterschiede bestimmt werden kann.12 Um individuelle ATFs zu messen, werden den Versuchspersonen akustische Signale von realen Positionen im Raum abgespielt, während die im Ohr eintreffenden Signale mittels In-Ear-Mikrofonen aufgezeichnet werden. Da die Signale durch die individuelle Morphologie der Ohren gefiltert werden, beinhalten diese bereits die notwendigen Richtungsmerkmale. In einer experimentellen Situation dienen die aufgezeichneten Signale als Stimuli, die als virtuelle Schallquellen über Kopfhörer wiedergegeben werden. Das System kann dahingehend ausbaut werden, dass die virtuellen Schallquellen als am selben Ort im Raum bleibend wahrgenommen werden, auch wenn der Zuhörer den Kopf bewegt. Dazu werden die Kopfbewegungen via »Head-Tracking« aufgezeichnet, um die vorgespielten Signale laufend mit den Bewegungsinformationen zu korrigieren.

10 Die Fourier-Transformation erlaubt es, jedes beliebige akustische Signal hinsichtlich Frequenz, Amplitude und Phase zu analysieren. 11 Unterschieden werden darüber hinaus zwei Komponenten, aus denen sich die ATF für eine binaurale Anwendung zusammensetzt: Erstens die »Directional Transfer Function« (DTF), die lediglich von der Lokalisation der Schallquelle abhängt; zweitens die »Interaural Transfer Function« (ITF), womit die spektralen Unterschiede der eintreffenden Signale an den beiden Ohren beschrieben werden. 12 Vgl. Elisabeth M. Wenzel/Marianne Arruda/Doris J. Kistler/Frederic L. Wightman: »Localization Using Nonindividualized Head-Related Transfer Functions«, in: Journal of the Acoustical Society of America 94 (1993), S. 111–123. 62

Neurowissenschaftliche Aspekte einer Akustik des Virtuellen

Anhand experimenteller Untersuchungen hat man auch zeigen können, dass erfolgreiches Richtungshören sogar monaural, also mit einem Ohr, möglich ist.13 Auch wenn in alltäglichen Situationen beide Ohren zur Lokalisation beitragen, lässt der Befund vermuten, dass das System gleichzeitig auch monaurale Richtungsinformationen in die Wahrnehmung von Schallquellen einbezieht. Da beim monoauralen Hören aber ausschließlich jene Signale zur Verarbeitung gelangen, die durch den anatomischen Filter (ATF) lediglich eines Ohrs zum Trommelfell gelangen (monaurale Übertragungsfunktion), verfügt die auditorische Verarbeitung über keinerlei Informationen zu interauralen spektrotemporalen Unterschieden.14 Dem Hörer fehlen dann jene richtungsgebenden Hinweisreize, die im Normalfall durch das binaurale Hören (ILD und ITD) geliefert werden, um eine Schalllokalisation korrekt vollziehen zu können.15 Und dennoch sind wir trotz dieser sehr eingeschränkten Bedingungen in der Lage, Schallquellen relativ gut im Raum zu lokalisieren. Diese Fähigkeit demonstriert, wie das auditorische System auf der Ebene der höheren kortikalen Verarbeitung die eingehenden akustischen Signale mit erworbenem Wissen über dieselben Signale abgleicht. Der Prozess der Mustererkennung kann auf verschiedene Weise ablaufen: durch die Integration gleichzeitig eintreffender oder vorhergehender visueller Informationen16 oder durch einen Rückgriff auf auditorische Gedächtnisinhalte, die frühere Erfahrungen mit denselben Schallquellen widerspiegeln. Insofern wird vorausgesetzt, dass wir über gespeicherte Informationen verfügen, die das System als Referenz benutzt, mit eingehenden Signalen vergleicht und damit im Stande ist, quasi eine zentral induzierte Übertragungsfunktion zu bilden. Im Grunde kann dieser Prozess der Lokalisation als Teilschritt der Identifikation eines Klangs betrachtet werden – entsprechen doch dessen richtungsgebenden Merkmale den gefilterten Eigenschaften eines auditorischen Objekts, das, sofern bekannt, als Repräsentation im Gedächtnis gespeichert ist. Es ist darum anzunehmen, dass eine Schallquelle einfacher und somit genauer im Raum lokalisierbar ist, wenn wir im Stande sind, diese zu erkennen.

13 Vgl. Jens Blauert: Spatial Hearing – Revised Edition: The Psychphysics of Human Sound Localization, Cambridge: MIT press 1996. 14 Die interauralen Merkmale gelten als prioritär (siehe »Interaural Transfer Function«). 15 Vgl. Ewan A. Macpherson/Andrew T. Sabin: »Binaural Weighting of Monaural Spectral Cues for Sound Localization«, in: Journal of the Acoustical Society of America 121 (2007), S. 3677–3688. 16 Vgl. Khoa-Van Nguyen/Clara Suied/Isabelle Viaud-Delmon/Olivier Warusfel: »Spatial Audition in a Static Virtual Environment: The Role of Auditory-Visual Interaction«, in: Journal of Virtual Reality and Broadcasting, 6 (2009), No. 5, VRIC (2008) Special Issue, urn:nbn:de:0009-6-17640. 63

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A\Y7YpZLU[H[PVU]VU]PY[\LSSLU:JOHSSX\LSSLUPT9H\T In experimentellen Situationen versucht man eine möglichst große Kontrolle über die Präsentation von virtuellen Schallquellen zu haben. Das erlaubt eine hypothesengerichtete Manipulation der Signale, wobei es dank eines hohen Grads an Kontrolle auch wahrscheinlicher ist, dass der intendierte Untersuchungsgegenstand wirklich der Gegenstand der Untersuchung ist. Damit werden valide experimentelle Bedingungen erreicht, in denen Auswirkungen auf die Perzeption der Versuchsteilnehmer studiert werden können. Da neurowissenschaftliche Forschung meistens auf kleinem Raum stattfindet, wo die Versuchpersonen nicht selten möglichst ruhig liegend (etwa im Fall einer funktionellen Kernspintomografie) an Experimenten teilnehmen, sind die Möglichkeiten der auditorischen Darbietung ziemlich begrenzt. Darum wird im Folgenden der Fokus auf jene auditorischen Techniken gelegt, die aus praktischen Gründen, vor allem aber wegen engen Raumverhältnissen, mit neurowissenschaftlichen Experimentalsettings kompatibel sind. Virtuelle akustische Räume werden in solchen Fällen bevorzugt über Kopfhörer oder anhand handlicher Lautsprecherinstallationen simuliert. Kopfhörer haben gegenüber Lautsprechern den entscheidenden Vorteil, dass man die lokale Raumantwort (Schallabsorptionen und -reflexionen im Labor) weder kontrollieren noch korrigieren muss. Auch wenn es einige Schwierigkeiten bereitet, mit Lautsprechern die Signale zu kontrollieren, ist es grundsätzlich möglich, damit virtuelle Schallquellen zu erzeugen. Das Hauptproblem dabei ist, dass die beim Hörer ankommenden akustischen Signale sich nicht individuell für das linke oder rechte Ohr einstellen lassen. Jede Veränderung des Lautsprechersignals bewirkt eine Veränderung des Eingangssignals an beiden Ohren des Hörers. Daraus entsteht die technische Schwierigkeit, akustische Merkmale virtueller Schallquellen (ITD, ILD und Veränderungen des Frequenzspektrums) systematisch zu variieren, damit diese an verschiedenen Positionen im Raum wahrgenommen werden. Die dichotische Präsentation via Kopfhörer17 bedeutet ein unabhängiges Ansteuern der Kopfhörerkanäle. Damit ist es möglich, die interauralen richtungsgebenden Merkmale zu kontrollieren (ITD, ILD), was zu einer lateralisierten Wahrnehmung des Signals führt. Allein dieser Ansatz bewirkt aber noch nicht, dass die Schallquellen als externalisiert wahrgenommen werden – eher erklingen diese an Positionen, die auf einer

17 Im Gegensatz dazu spricht man von »diotischer« Präsentation, wenn auf beiden Ohren ein identisches Signal abgespielt wird. Mit dieser einfachsten aller binauralen Darbietungstechniken ist es nicht möglich, ein Empfinden externalisierter virtueller Schallquellen zu erzeugen. 64

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Linie liegen, die beide Ohren miteinander verbindet.18 Auf diese Weise können also keine virtuellen Schallquellen im Raum erzeugt werden. Stereosignale, die dichotisch abgespielt werden, ermöglichen demnach nur experimentelle Untersuchungen zur Frage, ob Schallquellen unter bestimmten Bedingungen links oder rechts lateralisiert wahrgenommen werden können.19 Um virtuelle Schallquellen zu produzieren, die externalisiert wahrgenommen werden, müssen die akustischen Signale über zusätzliche Merkmale verfügen. Da diese von der individuellen Anatomie der Ohrmuscheln abhängig sind, wird die individuelle anatomische Übertragungsfunktion (ATF) am besten in einem reflexionsarmen Raum mit In-Ear-Mikrofonen ermittelt.20 Dadurch sind die wahrzunehmenden auditorischen Signale bereits mit den individuellen ATFs gefiltert, was es ermöglicht, dass für jeden Hörer ein individuell angepasster, virtueller akustischer Raum produziert werden kann.21 Wie mehrfach experimentell gezeigt werden konnte, sind auf diese Weise generierte virtuelle Schallquellen so realistisch, dass die Versuchpersonen diese praktisch gleich gut lokalisieren können wie reale Schallquellen (sog. »Free-Field-Settings«).22 Mit einer raffinierten Installation konnte nachgewiesen werden, dass das akustische Perzept in beiden Fällen (Free-Field oder Kopfhörer) identisch ist.23 Die Versuchspersonen tragen während Lokalisations18 Vgl. Russel D. Shilling/Barbara Shinn-Cunningham: »Virtual Auditory Displays«, in: Kay M. Stanney (Hg.), Handbook of Virtual Environments: Design, Implementation and Applications, Mahwak: Lawrence Erlbaum Associates 2002, S. 65–92. 19 Vgl. Lutz Jäncke/Navnit H. Shah: »Does Dichotic Listening Probe Temporal Lobe Functions?«, in: Neurology 58 (2002), 736–743. Dennoch zeigt sich bei Experimenten mit bildgebenden Verfahren, dass die einfache Implementierung von ITDs zur Aktivierung von einigen typischen Hirngebieten führt, die man auch bei der Verarbeitung von externalisiert wahrgenommenen virtuellen Schallquellen finden kann. Vgl. Laura De Santis/Stephanie Clarke/Micah M. Murray: »Automatic and Intrinsic Auditory ›What‹ and ›Where‹ Processing in Humans Revealed by Electrical Neuroimaging«, in: Cerebral Cortex 17 (2007), S. 9–17. 20 Vgl. Frederic L. Wightman/Doris J. Kistler: »Headphone Simulation of Free-Field Listening. I: Stimulus Synthesis«, in: Journal of the Acoustical Society of America 85 (1989), S. 858–867. 21 Dieser virtuelle Raum verfügt allerdings über keine definierte Ausdehnung, da durch die Aufnahme der individuellen ATF in einem reflexionsarmen Raum keine Informationen der Raumantwort (Reflexionen, Absorption) in die ATF fließen. 22 Hierbei werden die Schallquellen via Lautsprecher in reellen Positionen im Raum abgespielt. Das Free-Field-Setting dient auch als Ausgangslage zur Erhebung individueller ATFs. Vgl. Frederic L. Wightman/Doris J. Kistler: »Headphone Simulation of Free-Field Listening. I: Stimulus Synthesis«, in: Journal of the Acoustical Society of America 85 (1989), S. 858–867; und: Vgl. William M. Hartmann/Andrew Wittenberg: »On the Externalization of Sound Images«, in: Journal of the Acoustical Society of America 99 (1996), S. 3678–3688. 23 Erno H. Langendijk/Adelbert W. Bronkhorst: »Fidelity of Three-DimensionalSound Reproduction Using a Virtual Auditory Display«, in: Journal of the Acoustical Society of America 107 (2000), S. 528–537. 65

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experimenten mit realen und virtuellen Schallquellen Kopfhörer und gleichzeitig In-Ear-Mikrofone (siehe Abb. 1, links).24 Da der Kopfhörer einen akustischen Schatten auf die Ohrmuscheln wirft, verändern sich ihre Filtereigenschaften. Diesen Umstand berücksichtigend, wurden hier die ATFs mit angebrachten Kopfhörern erhoben (s. Abb. 1, rechts) und in die akustische Ausarbeitung der virtuellen Schallquellen im Lokalisationsexperiment miteinbezogen.

Abbildung 1. Linke Seite: Simultane Kopfhörer-Mikrophon-Installation; rechte Seite: ATFs gemessen an beiden Ohren, dargestellt mit (gestrichelte Kurven) und ohne (durchgehende Kurven) Kopfhörer an der Position 90/30 (Azimut/Elevation). Kombiniert man diese Technik mit einem Head-Tracking-System, das die Kopfbewegungen misst, um den Ursprung der virtuellen Schallquelle mit der Bewegungsinformation des Kopfes zu korrigieren, so kreiert man einen virtuellen akustischen Raum, der subjektiv stabil ist, da er sich dynamisch den Kopfbewegungen des Hörers anpasst. Eine Schallquelle, die beispielsweise vorne links erklingt, kann bei einer Drehung des Kopfes um 180 Grad hinten rechts lokalisiert werden. Wenn die Wahrnehmung von virtuellen Schallquellen untersucht wird, sind die akustischen Eigenschaften des Raumes, in dem die Schallquellen lokalisiert werden, meistens nicht weiter spezifiziert. Wenn man versucht, die Raumantwort eines real existierenden Raumes (»room transfer function«), also Absorption und Reflexionen, in die individuelle ATF einzubeziehen, stößt man einerseits an rechnerische Grenzen, andererseits gelten die erhobenen Raumparameter dann auch nur für einen bestimmten Punkt im Raum (»sweet spot«). Unter Umständen 24 Vgl. ebd., S. 530ff. 66

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ist der Ertrag, den Raum möglichst genau abzubilden, relativ klein, weil ein erheblich höherer Aufwand betrieben werden müsste, um die aufgenommenen Parameter exakt zu messen und zu beschreiben. Sollen nun zusätzlich gewisse Eigenschaften der Raumantwort kontrolliert manipuliert werden, um deren Effekt auf die Lokalisationsgenauigkeit von virtuellen Schallquellen zu untersuchen, so müsste direkt in die Raumsituation eingegriffen werden, indem Oberflächen verändert, reflektierende Objekte aufgestellt und verschieden platziert werden, um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen. Dass diese Art von Manipulation zu äußerst unkontrollierten Auswirkungen sowohl auf die Raumantwort als auch auf die Wahrnehmung des Raums führt, versteht sich von selbst, deshalb ist sie für ein experimentelles Untersuchungsdesign ungeeignet. Realistischer für die experimentelle Praxis ist die Implementation eines relativ einfachen akustischen Raums, der nur virtuell existiert, um den Einfluss bestimmter Parameter auf die Lokalisation von Schallquellen systematisch zu untersuchen. So lassen sich virtuelle Räume von beliebiger Größe, Komplexität, Anzahl von Reflexionen und beliebigem Absorptionsgrad definieren und manipulieren, um diese dann an die individuelle ATF zu koppeln. Natürlich ist abzuwägen, ob im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung die Etablierung eines virtuellen Raums überhaupt notwendig ist. Wenn es lediglich um die Untersuchung geht, aus welcher Richtung eine stationäre virtuelle Schallquelle ihr akustisches Signal sendet, so mag das Einbeziehen der Reflexionen eine untergeordnete Rolle spielen. Besteht aber ein zusätzliches Interesse an der Wahrnehmung der Distanz zu einer virtuellen Quelle, so werden Reflexionen zu einem wichtigen Hinweisreiz,25 da sich ihr Einfallswinkel am Ohr mit zu- oder abnehmender Distanz verändern kann. Weil Reflexionen im Vergleich zum Direktschall einen weiteren Weg bis zum Hörer zurücklegen müssen, kommen Erstere später und leiser als der Direktschall beim Hörer an.26 Entsprechend werden die Verhältnisse der Lautstärken (respektive der Eingangszeiten) zwischen Direkt- und Indirektschall27 zu wertvollen Hinweisreizen zur Abschätzung der Distanz

25 Vgl. Marc Naguib/R. Haven Wiley: »Estimating the Distance to a Source of Sound: Mechanisms and Adaptations for Long-Range Communication«, in: Animal Behaviour 62 (2001), S. 825–837. 26 Das Gesetz der ersten Wellenfront – der sogenannte »Präzedenz-Effekt« – bewirkt, dass die menschliche Wahrnehmung (A) den Direktschall vom Indirektschall unterscheiden kann und (B) außerdem diejenigen akustischen Signale, die als erste das Ohr erreichen, als Direktschall interpretiert. Vgl. Ruth Y. Litovsky/H. Steven Colburn: »The Precedence Effect«, in: Journal of the Acoustical Society of America 106 (1999), S. 1633–1654; und: Vgl. Ruth Y. Litovsky/Bertrand Delgutte: »Neural Correlates of the Precedence Effect in the Inferior Colliculus: Effect of Localization Cues«, in: Journal Neurophysiology 87 (2002), S. 976–994. 27 Indirektschall = Summe der Reflexionen. 67

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zu einer Schallquelle.28 Hinsichtlich der Wahrnehmung von bewegten virtuellen Schallquellen dürften Reflexionen einen noch höheren Stellenwert einnehmen, da die sich stetig ändernden Einfallswinkel zusätzliche Informationen als Funktion der virtuellen Trajektorie liefern. Generell ist anzunehmen, dass virtuelle Schallquellen als realistischer wahrgenommen werden, sobald sich diese in einer Umgebung befinden, die sich selbst wiederum erst durch das Vorhandensein von Reflexionen definiert.

Grundlagen der neuronalen Verarbeitung ]VUHR\Z[PZJOLU:PNUHSLUPT9H\T Die akustische Information, die durch das Ohr über den Hörnerv ins Gehirn geleitet wird, gelangt über verschiedene Schaltstellen zum primären auditorischen Kortex,29 der auf beiden Seiten des Gehirns in der sylvischen Furche verborgen ist (Abb. 2a: Areal A1, Abb. 2b: Areal 41/42). In dieser Region des Gehirns wird jedes eintreffende akustische Signal unabhängig von seiner Semantik hinsichtlich zeitlicher und spektraler Eigenschaften analysiert. Es konnte mehrfach gezeigt werden, dass die Nervenzellen dieser Region eine tonotopische Organisation aufweisen.30 Durch experimentelle Untersuchungen der Hirnaktivität bei der Darbietung von verschiedenen Klängen konnte man nachweisen, dass jeweils bestimmte Neuronenverbände des auditorischen Kortex für die spektrale Verarbeitung von bestimmten Frequenzen zuständig sind. Demnach sind die Nervenrezeptoren der Cochlea (Hörschnecke) für bestimmte Frequenzen sensitiv und leiten bei einer Reizung die jeweilige Information konsistent und punktgenau an den auditorischen Kortex weiter. Unmittelbar posterior31 an den primären auditorischen Kortex (Abb. 2b: Areal 41) anschließend befindet sich das Planum Temporale. Eine Re28 Vgl. Pavel Zahorik: »Direct-To-Reverberant Energy Ratio Sensitivity«, in: Journal of the Acoustical Society of America 112 (2002), S. 2110–2117; und: Vgl. Mathias S. Oechslin/Martin Neukom/Gerald Bennet: »The Doppler Effect – An Evolutionary Critical Cue for the Perception of the Direction of Moving Sound Sources«, in: IEEE, Association. Proceedings of the International Conference on Audio, Language and Image Processing, ICALIP 2008, Shanghai 2008, S. 676–679. 29 Vgl. David J. Rademacher/Patricia Morosan/Torsten Schormann, u. a.: »Probabilistic Mapping and Volume Measurement of Human Primary Auditory Cortex«, in: NeuroImage 13 (2001), S. 669–683. 30 Vgl. Iiro P. Jääskeläinen/Jyrki Ahveninen/John W. Belliveau u. a.: »Short-Term Plasticity in Auditory Cognition«, in: Trends in Neuroscience 30 (2007), S. 653–661; und: Vgl. Elia Formisano/Dae-Shik Kim/Francesco Di Salle u. a.: »Mirror-Symmetric Tonotopic Maps in Human Primary Auditory Cortex«, in: Neuron 40 (2003), S. 859–869. 31 Posterior = nach hinten, anterior = nach vorne; in Relation zur Lage des Gehirns in Blickrichtung. 68

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gion, die man dem sekundären auditorischen Kortex zuordnet und die ebenfalls an der Verarbeitung von spektralen und temporalen Informationen im akustischen Signal beteiligt ist.32 Bezüglich der Wahrnehmung von virtuellen Schallquellen wird an einer späteren Stelle dieses Beitrags auf die genaue Rolle dieser beiden Regionen und deren mögliche Spezialisierungen eingegangen. Man geht davon aus, dass das Erkennen und Lokalisieren von Objekten auf hierarchischen Verarbeitungsprozessen basiert,33 die von den primären sensorischen Arealen (A1 und V1 in Abb. 2a34) ausgehen. In diesen Arealen werden die Signale zuerst auf ihre spektralen und zeitlichen Eigenschaften hin analysiert. Entsprechend werden die Informationen in Gebiete weitergeleitet, deren Sensitivität es erlaubt, einerseits bekannte Muster zu identifizieren, andererseits deren räumliche Position zu lokalisieren. Basierend auf Befunden zur neuronalen Funktionsweise des visuellen Systems bei Primaten lege ich im Folgenden die Wahrnehmung von auditorischen Signalen im Raum dar. Da sowohl die visuelle als auch die akustische Raumwahrnehmung multimodale Prozesse sind, die einerseits auf Mechanismen der Objekterkennung, andererseits auf der Orientierung im Raum beruhen, ist es notwendig, einen Überblick darüber zu gewinnen, welche Hirnregionen und Verarbeitungsströme im Wesentlichen daran beteiligt sind.

Abbildung 2. Das Dual-Stream-Modell. 32 Vgl. Timothy D. Griffiths/Jason D. Warren: »The Planum Temporale as a Computational Hub«, in: Trends in Neuroscience 25 (2002), S. 348–353. Die Autoren demonstieren in dieser Metastudie zur funktionellen Beteiligung bei der basalen Verarbeitung von akustischen Signalen, dass das Planum temporale – von ihnen auch als »computational hub« bezeichnet – an der Verarbeitung von allen möglichen Signalen wie Sprache, Musik, Rauschen, Umweltgeräusche und Sinustöne beteiligt. Darüber hinaus wird dessen Rolle bei der Verarbeitung von akustischer Raumwahrnehmung betont. 33 Vgl. Josef P. Rauschecker: »Cortical Processing of Complex Sounds«, in: Current Opinion in Neurobiology 8 (1998), S. 516–521. 34 A1 = Primärer auditorischer Kortex; V1 = Primärer visueller Kortex. 69

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Diese funktionelle Architektur konnte durch neuroanatomische Studien bei Primaten bestätigt werden35. Tatsächlich verlaufen relativ klar definierte Nervenfaserstränge vom auditorischen Kortex (A1) sowohl antero-ventral in Richtung Frontallappen (grün), als auch postero-dorsal in Richtung Parietallappen (rot). Insofern besitzt das Dual-StreamModell eine neuroanatomische Basis und gewinnt entsprechend durch die nachgewiesene physische Präsenz von direkten subkortikalen neuronalen Verbindungen zwischen den Zielarealen und der Oberfläche des Gehirns (Abb. 2) an zusätzlicher Evidenz. In der bereits erwähnten Pionierarbeit zur visuellen Verarbeitung von Mishkin u. a.36 wurden Primaten untersucht, denen entweder der untere Teil des Temporallappens (grün eingefärbter Bereich in Abb. 2a) oder der posterior parietale Kortex (rot eingefärbter Bereich in Abb. 2a) beidseitig entfernt wurde. Den Tieren wurden zwei verschiedene Aufgaben gestellt: Erstens mussten sie kleine geometrische Holzobjekte wiedererkennen bzw. zwischen einem bekannten und einem unbekannten Objekt diskriminieren (Abb. 3a),37 zweitens wurden sie darauf trainiert zu beurteilen, ob ein Objekt räumlich eher der linken oder der rechten Kennzeichnung auf einer Tischoberfläche zugeordnet werden muss (Abb. 3b).

Abbildung 3. Experimentelle Situation zur visuellen Wahrnehmung. Die grau eingefärbten Bereiche der abgebildeten Gehirne von Affen entsprechen den entfernten Arealen des Temporal- (A) und Parietallappens (B). Die Autoren konnten zeigen, dass Affen mit einer Läsion im Temporallappen nicht mehr im Stande waren, zwischen einem bekannten und einem unbekannten Objekt zu diskriminieren, während Tiere mit einer 35 Vgl. Jon H. Kaas/Troy A. Hackett: »Subdivisions of Auditory Cortex and Processing Streams in Primates«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 97 (2000), S. 11793–11799. 36 Vgl. Mortimer Mishkin/Leslie G. Ungerleider/Kathleen A. Macko: »Object Vision and Spatial Vision: Two Cortical Pathways«. 37 Vgl. ebd. 70

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parietalen Läsion die räumlichen Informationen nicht mehr korrekt beurteilen konnten. Da sich die beiden Aufgaben auf die Fähigkeit der Objekterkennung bzw. -lokalisierung beziehen, konnte hiermit gezeigt werden, dass die neuronale Verarbeitung als ein zweiarmiges Pfadsystem begriffen werden muss. Obwohl das ursprüngliche Dual-Stream-Modell auf Befunden zur visuellen Verarbeitung beruht, wird die zugrunde liegende effiziente hierarchische Organisation auch durch die höhere auditorische Verarbeitung genutzt. Wie Abbildung 2a zeigt, projizieren beide Systeme Informationen über die gleichen Pfadsysteme in Richtung Temporalund Parietallappen. In Abbildung 2b ist im Detail dargestellt, wie die Informationsflüsse der auditorischen Verarbeitung im menschlichen Gehirn ablaufen, wo offensichtlich dieselben Regionen wie beim Primaten an der Identifizierung und Lokalisierung von akustischen Signalen beteiligt sind (Abb. 2b: auditorischer Kortex – AC; Parietallappen – rot; Temporal- und Frontallappen – grün). Um den hier skizzierten Kreislauf der Informationsverarbeitung zu schließen, kommt jedoch noch eine Region hinzu, deren Beteiligung in diesem Netzwerk vielfach nachgewiesen wurde: der prämotorische Kortex (entspricht PMC in Abb. 2b, hellrot eingefärbter Bereich).38 Wie der Begriff des »Areals« es ausdrückt, ist dieses stark mit dem Motorkortex39 assoziiert, dessen Neuronen über die langen Faserverbindungen des kortikospinalen Trakts40 willkürliche Bewegungen lancieren.41 Der prämotorische Kortex übernimmt dabei die Rolle des Planers und Organisators und ist somit für die Vorbereitung und Einleitung von motorischen Handlungen verantwortlich.42 38 Vgl. Francesco Pavani/Emiliano Macaluso/Jason D. Warrenu. a.: »A Common Cortical Substrate Activated by Horizontal and Vertical Sound Movement in the Human Brain«, in: Current Biology 12 (2002), S. 1584–1590; und: Vgl. Timothy D. Griffiths/Gary R. G. Green/Adrian Rees/Geraint Rees: »Human Brain Areas Involved in the Analysis of Auditory Movement«, in: Human Brain Mapping 9 (2000), S. 72–80; und: Vgl. Erich Seifritz/John G. Neuhoff/Deniz Bilecen u. a.: »Neural Processing of Auditory Looming in the Human Brain«, in: Current Biology 12 (2002), S. 2147–2151; und: Vgl. Jäncke, Lutz/Cheetham, Marcus/Baumgartner, Thomas: »Virtual Reality and the Role of the Prefrontal Cortex in Adults and Children«, in: Frontiers in Neuroscience 3 (2009), S. 52–59. 39 Direkt hinter dem prämotorischen Kortex und vor der Zentralfurche (= Central Sulcus (CS) in Abb. 2b liegend. 40 Vgl. Adrian Imfeld/Mathias S. Oechslin/Martin Meyer u. a.: »White Matter Plasticity in the Corticospinal Tract of Musicians: A Diffusion Tensor Imaging Study«, in: NeuroImage 46 (2009), S. 600–607. 41 Im Gegensatz dazu werden reflexhafte Bewegungen, die nicht willkürlich beeinflussbar sind, direkt auf der Ebene des Hirnstamms und des Rückenmarks ausgelöst. 42 Vgl. Elji Hoshi/Jun Tanji: »Integration of Target and Body-Part Information in the Premotor Cortex When Planning Action«, in: Nature 408 (2000), S. 466–470; und: Vgl. Simon Baumann/Susanne Koeneke/Conny F. Schmidt u. a.: »A Network for Audio-Motor Coordination in Skilled Pianists and Non-Musicians«, in: Brain Research 1161 (2007), S. 65–78. 71

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Im Kontext des Dual-Stream-Modells und dessen Erklärung der Lokalisation akustischer und visueller Stimuli weisen verschiedene Befunde darauf hin, dass gewisse Neuronenverbände des prämotorischen Kortex für die Bereitstellung von Information bezüglich der Position des eigenen Körpers im Raum zuständig sind.43 Man geht davon aus, dass diese Zellen über ein fixes räumliches Koordinatensystem verfügen, wobei die eingehenden sensorischen Informationen dazu dienen, die relative Lage des Körpers im Raum zu bestimmen.44 Man kann annehmen, dass der prämotorische Kortex für die Lokalisation fremder Objekte im Raum – also auch Schallquellen – eine tragende Rolle spielt, da die Integration dieser Signale ihren Anteil an der Orientierung des Körpers im Raum hat. Bezüglich der Beteiligung dieses Areals an der Handlungsplanung könnte man auch sagen, dass dadurch eine multisensorische Repräsentation des Raums entsteht, die für komplexe zielgerichtete Bewegungen notwendig ist.

5L\YVUHSL=LYHYILP[\UN]VU ]PY[\LSSLU:JOHSSX\LSSLUPT9H\T Die Vielzahl der an der Wahrnehmung virtueller Schallquellen beteiligten Hirnareale (siehe voriger Abschnitt) berücksichtigend, konzentrieren sich die meisten Studien auf Teilschritte oder spezielle Aspekte der Verarbeitung, zum Beispiel des auditorischen Kortex und dessen direkten Assoziationsgebieten, oder der Einbindung weiter entfernter kortikaler Areale wie Frontal-, Temporal- und Parietallappen, die für die Identifikation und Lokalisation von Schallquellen eine entscheidende Rolle spielen. Bezüglich der Einbindung des auditorischen Kortex in den Prozess der Lokalisation von virtuellen Schallquellen stellte sich die Frage, ob dieses Areal tatsächlich über Neuronen verfügt, die eine spezielle Sensitivität für richtungsgebende akustische Merkmale von Schallereignissen aufweisen. Jedenfalls wäre dies sehr praktisch, weil so in der Weiterverarbeitung keine zusätzlichen Ressourcen mehr aufgewendet werden müssten, um die nötigen Informationen aus dem neuronalen Signal zu extrahieren. Bei neurophysiologischen Untersuchungen mit Katzen konnte gezeigt werden, dass einzelne Neuronen des auditorischen Kortex über sensitive rezeptive Felder im virtuellen Raum

43 Vgl. Leonardo Fogassi/Vittorio Gallese/Luciano Fadiga u. a.: »Coding of Peripersonal Space in Inferior Premotor Cortex (Area F4)«, in: Journal of Neurophysiology 76 (1996), S. 141–157; und: Vgl. Michael S. Graziano/Xin Tian Hu/Charles G. Gross: »Coding the Locations of Objects in the Dark«, in: Science 277 (1997), S. 239–241. 44 Vgl. Timothy. D. Griffiths/Gary R. G. Green: »Cortical Activation During Perception of a Rotating Wide-Field Acoustic Stimulus«, in: Neuroimage 10 (1999), S. 84–90. 72

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verfügen.45 Einzelne Subpopulationen von Neuronen des auditorischen Kortex reagierten schneller als andere auf virtuelle akustische Reize aus bestimmten Richtungen.46 Daraus lässt sich eine gewisse Sensitivität des auditorischen Kortex sowohl für statische als auch für dynamische – sich im Raum bewegende – Schallquellen ableiten. Brugge u. a.47 untersuchten in obigem Experiment allerdings nur die neuronale Aktivierung als Reaktion auf kurz präsentierte breitbandige Rauschsignale. In der Natur vorkommende Geräusche sind jedoch in der Regel durch die Diversität verschiedenster akustischer Anteile und Eigenschaften charakterisiert. In einer kürzlich erschienenen Studie wurde deshalb die Verarbeitung von systematisch variierten Tonhöhen und Klangfarben untersucht, die von verschiedenen virtuellen Positionen im Raum abgespielt wurden.48 Dieser Ansatz ist vielversprechend, weil in Vorgängerexperimenten (siehe z. B. Brugge u. a.49) die neuronale Aktivierung zu jeweils nur einem der drei untersuchten Parameter (Tonhöhe, Klangfarbe und Position) isoliert betrachtet wurde. In dem hier geschilderten Experiment entsprechen die Klangfarben verschiedenen künstlich generierten, vokalähnlichen Klängen.50 Da auch von anderen Spezies als vom homo sapiens Vokalisationen zur Kommunikation angewandt werden, wurde die Un-

45 Vgl. John F. Brugge/Richard A. Reale/Rick L. Jenison/Jan W. H. Schnupp: »Auditory Cortical Spatial Receptive Fields«, in: Audiology Neurotology 6 (2001), S. 173–177. 46 Vgl. G. Christopher Stecker/Ian A. Harrington/John C. Middlebrooks: »Location Coding by Opponent Neural Populations in the Auditory Cortex«, in: PLoS Biology 3 (2005), S. 520–528. Zum Problem der Inhomogenität der räumlichen Codierung: Die meisten Neuronen, die auf räumliche Informationen reagieren, zeigen ihre höchste Sensitivität bei lateralen Positionen von Schallquellen, obwohl man aus psychoakustischen Experimenten weiß, dass die höchste Lokalisationsgenauigkeit in der frontalen Medianebene liegt. 47 Vgl. John F. Brugge/Richard A. Reale/Rick L. Jenison/Jan W. H. Schnupp: »Auditory Cortical Spatial Receptive Fields«. 48 Vgl. Jennifer K. Bizley/Kerry M. Walker/Bernard W. Silverman u. a.: »Interdependent Encoding of Pitch, Timbre, and Spatial Location in Auditory Cortex«, in: Journal of Neuroscience 29 (2009), S. 2064–2075. 49 Vgl. John F. Brugge/Richard A. Reale/Rick L. Jenison/Jan Schnupp: »Auditory Cortical Spatial Receptive Fields«. 50 Die Stimuli wurden von vier virtuellen Schallquellen präsentiert (-45°, -15°, 15° und 45° Azimut zu 0° Elevation) und bestanden aus vier unterschiedlichen Tonhöhen (F0 = 200, 336, 565 und 951 Hz) sowie vier verschiedenen Klangfarben (Vokale) (/a/ mit den Formantfrequenzen F1 bis F4 (FF) 936, 1551, 2815 und 4290 Hz;/ε/mit FF 730, 2058, 2979 und 4294 Hz;/u/mit FF 460, 1105, 2735 und 4115 Hz;/i/mit FF 437, 2761, 3372 und 4352 Hz). Daraus ergibt sich ein experimentelles 4 x 4 x 4-Design mit einem Set von 64 verschiedenen Klängen, die bezüglich der Faktoren Richtung, Tonhöhe und Klangfarbe systematisch variiert wurden. Die Stimuli wurden mit einer künstlichen ATF für Frettchen gefiltert, um möglichst realistische virtuelle Schallquellen via speziell präparierte Kopfhörer abzuspielen. Vgl. Thomas D. Mrsic-Flogel/ Jan W.H. Schnupp/Andrew J. King: »Acoustic Factors Govern Developmental Sharpening of Spatial Tuning in the Auditory Cortex«, in: Nature Neuroscience 6 (2003), S. 981–988. 73

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tersuchung nicht mit Menschen, sondern mit Frettchen durchgeführt.51 Zur Analyse der Hirnströme wurde eine experimentelle Technik gewählt, die den Vorteil hat, dass die neuronale Aktivierung direkt von den Nervenzellen eines kortikalen Rindenfelds abgeleitet werden kann, wobei dafür zunächst ein direkter Zugang zum auditorischen Kortex gelegt werden muss. Die Analyse der neuronalen Aktivierung anhand einer feinen Unterteilung des auditorischen Kortex ergab, dass praktisch alle Teile der gesamten Region auf mindestens zwei von drei Faktoren (Richtung, Tonhöhe und Klangfarbe) sensitiv reagieren. Beim Menschen scheinen die Verhältnisse ein wenig klarer zu sein: In einem Experiment mit funktioneller Kernspintomografie52 wurde die Aktivität im primären und sekundären auditorischen Kortex53 gemessen, während die Versuchspersonen Sequenzen von verschiedenen oder gleichen Tonhöhen an verschiedenen oder denselben virtuellen Positionen auf der Horizontalebene hörten.54 Damit die Stimuli tatsächlich external lokalisiert wahrgenommen werden konnten, wurden diese unter der Berücksichtigung der individuellen ATF55 über Kopfhörer wiedergegeben, während die Probanden im Tomografen lagen. Der bemerkenswerte Befund aus dieser Studie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Tonsequenzen mit wechselnden Tonhöhen aktivieren am stärksten den primären auditorischen Kortex, Tonsequenzen mit wechselnden virtuellen Positionen im Raum am stärksten den sekundären auditorischen Kortex (posterior an den primären auditorischen Kortex anschließend). Warren und Griffith56 folgerten daraus, dass auditorische Informationen bereits auf frühester Verarbeitungsebene derart analysiert, aufbereitet und verteilt werden, dass diese optimal zur Identifikation (via ventralem Pfad) respektive Lokalisation (via dorsalem Pfad) an die zuständigen kortikalen Gebiete weitergeleitet werden können.57 Eine ähnliche Studie, in der anstelle 51 Bei solchen Untersuchungen werden bevorzugt ausgewählte Tierarten untersucht, da die auditorische Verarbeitung auf dieser niedrigen Stufe bei Menschen und Säugetieren im Allgemeinen ähnlich organisiert ist und für diesen experimentellen Ansatz ein operativer Eingriff notwendig ist. 52 Vgl. Jason D. Warren/Timothy D. Griffiths: »Distinct Mechanisms for Processing Spatial Sequences and Pitch Sequences in the Human Auditory Brain«, in: Journal of Neuroscience 23 (2003), S. 5799–5804. 53 Sekundärer auditorischer Kortex = Planum temporale, siehe dazu Abschnitt zu den Grundlagen der neuronalen Verarbeitung von Schall im Raum. 54 Daraus ergeben sich vier experimentelle Bedingungen: gleiche Tonhöhen/gleiche Positionen (1), verschiedene Tonhöhen/gleiche Positionen (2), gleiche Tonhöhen/ verschiedene Positionen (3), verschiedene Tonhöhen/verschiedene Positionen (4). 55 Vgl. Frederic L. Wightman/Doris J. Kistler: »Headphone Simulation of Free-Field listening. I: Stimulus Synthesis«, in: Journal of the Acoustical Society of America 85 (1989), S. 858–867. 56 Vgl. Jason D. Warren/Timothy D. Griffiths: »Distinct Mechanisms for Processing Spatial Sequences and Pitch Sequences in the Human Auditory Brain«. 57 Vgl. Josef P. Rauschecker/Biao Tian: »Mechanisms and Streams for Processing of 74

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von einzelnen Tönen Phoneme von verschiedenen Positionen auf der virtuellen Horizontalebene um den Kopf abgespielt wurden, konnte die oben geschilderte Dissoziation der Aktivierungen bestätigen und zudem zeigen, dass der auditorische Analyseprozess im primären auditorischen Kortex um einige Zehntelsekunden früher stattfindet als die posterior im Planum Temporale lokalisierten Aktivierungen.58 Da die Aktivierungen im primären auditorischen Kortex der Objektidentifikation zugeschrieben werden, nehmen die Autoren an, dass die gewonnene Zeit vom Gehirn dafür benutzt wird, das eingehende Signal mit gespeicherten Gedächtnisinhalten zu vergleichen und letztlich korrekt zu identifizieren. Unabhängig davon wird parallel die Objektlokalisation über das dorsale Pfadsystem vollzogen (siehe Abb. 2b). Einige Studien haben unter Anwendung von klassischen Lokalisierungsexperimenten im Kernspintomograf59 die Beteiligung des dorsalen Verarbeitungspfads (und somit der Parietallappen, siehe Abb. 2b) an der Lokalisation von Schallquellen bestätigen können.60 Außerdem konnte eindrücklich demonstriert werden, dass der Parietallappen für die korrekte Lokalisation unverzichtbar ist. Dem Parietallappen wurde temporär eine künstliche Läsion61 zugeführt, bevor die Versuchspersonen aufgefordert wurden, virtuelle Schallquellen zu lokalisieren.62 Nach der Stimulation des posterior parietalen Kortex (Teil des Parietallappens) zeigten Versuchspersonen erwartungsgemäß systematische Fehllokalisationen der Schallquellen. Eine außerordentliche Leistung des Wahrnehmungssystems, die einem Hörer höchste Aufmerksamkeit abverlangt, besteht darin, einen

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›What‹ and ›Where‹ in Auditory Cortex«; und: Vgl. Josef P. Rauschecker/Sophie K. Scott: »Maps and Streams in the Auditory Cortex: Nonhuman Primates Illuminate Human Speech Processing«, in: Nature Neuroscience 12 (2009), S. 718–724. Vgl. Jyrki Ahveninen/Iiro P. Jääskeläinen/Tommi Raij u. a.: »Task-Modulated »What« and »Where« Pathways in Human Auditory Cortex«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 103 (2006), S. 14608–14613. Experimentelle Designs: Kopfhörerpräsentation von virtuellen Schallquellen unter Berücksichtigung der individuellen ATF. Vgl. Khalafalla O. Bushara/Robert A. Weeks/Kenji Ishii u. a.: »Modality-Specific Frontal and Parietal Areas for Auditory and Visual Spatial Localization in Humans«, in: Nature Neuroscience 2 (1999), S. 759–766; und: Timothy D. Griffiths/Geraint Rees/Adrian Rees u. a.: »Right Parietal Cortex is Involved in the Perception of Sound Movement in Humans«, in: Nature Neuroscience 1 (1998), S. 74–79. Die Methode der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) ist eine nicht-invasive Technik zur Erregung oder Hemmung von Hirnregionen. Somit lassen sich bestimmte Verarbeitungsmechanismen im Gehirn durch die Applikation von magnetischen Pulsen beeinflussen. Beispielsweise können durch die experimentelle Stimulation des motorischen Kortex Muskelzuckungen induziert werden. Aber auch klinische Anwendungen zur Diagnostik und Behandlung von gewissen neurologischen Erkrankungen stehen zur Diskussion. Vgl. Oliver Collignon/Marco Davare/Anne G. De Volder u. a.: »Time-Course of Posterior Parietal and Occipital Cortex Contribution to Sound Localization«, in: Journal of Cognitive Neuroscience 20 (2008), S. 1454–1463. 75

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einzelnen Sprecher aus vielen anderen herauszuhören und zu verstehen. Der sogenannte »Cocktail-Party-Effekt«63 repräsentiert offenbar einen Prozess, bei dem der Hörer aufgrund selektiver Aufmerksamkeit die eintreffenden akustischen Informationen zerlegen und einzelnen kohärenten Objekten – akustischen Gestalten – zuordnen kann.64 Wie dies vom Gehirn bewerkstelligt wird, ist bislang nicht vollständig geklärt. Akustische Gestalten, die von verschiedenen Sprechern ausgehen, können durch mindestens zwei Eigenschaften charakterisiert werden, die wesentlich die besagte Leistung in Gang bringen: Einerseits unterscheiden sich die Stimmen von verschiedenen Sprechern bezüglich ihren spektralen Eigenschaften, andererseits durch ihre Position im Raum. Dieser Zusammenhang stellt eine günstige Ausgangslage dar, um die neuronale Verarbeitung der Identifikation respektive Lokalisation von Sprechern in einem virtuellen akustischen Raum zu untersuchen. Unter Einbezug der individuellen ATFs der Versuchspersonen wurden in einem Experiment drei virtuelle Sprecher über Kopfhörer präsentiert.65 Die Positionen der Sprecher wurden auf der vorderen Horizontalebene gleichmäßig verteilt (links, Mitte, rechts), während die Tonlagen der Stimmen jeweils zusätzlich variiert wurden (tief, mittel, hoch). Alle drei Sprecher sprachen gleichzeitig aneinandergereihte Satzfragmente – jedoch mit asynchronen Einsatzzeiten. Über einen Bildschirm wurden die Teilnehmer laufend instruiert, welcher der folgenden beiden Aufgaben sie sich jeweils zuwenden sollten: In der ersten Aufgabe musste die Aufmerksamkeit auf jenen Sprecher gerichtet werden, der auf dem Bildschirm angezeigt wurde. In der zweiten wurde den Teilnehmern angezeigt, auf welche gesprochene Tonhöhe sie ihre Aufmerksamkeit richten sollen. Im ersten Fall spielte also die Lokalisation des Sprechers im virtuellen akustischen Raum eine besondere Rolle, während im zweiten lediglich die vorgegebene Tonhöhe der Identifikation eines Sprechers dienen musste, unabhängig von dessen Position im virtuellen akustischen Raum. Bei beiden Aufgaben musste jeweils eine Taste gedrückt werden, wenn der Zielsprecher mit einem neuen Satzfragment begann. Die Messungen mittels Kernspintomografie ergaben bei der Aufgabe der Identifikation der Sprecher stärkste Aktivierungen im Bereich des primären und sekundären auditorischen Kortexes, bei der Lokalisation der Sprecher im virtuellen akustischen Raum ausschließlich Aktivierungen in einem klar definierten Bereich des Parietallappens. Entsprechend den 63 Vgl. Colin E. Cheery: »Some Experiments on the Recognition of Speech, with One and with Two Ears«, in: Journal of the Acoustical Society of America 25 (1953), S. 975–979. 64 Vgl. Timothy D. Griffiths/Jason D. Warren: »What is an Auditory Object?«, in: Nature Reviews Neuroscience 5 (2004), S. 887–892. 65 Vgl. Kevin T. Hill/Lee M. Miller: »Auditory Attentional Control and Selection during Cocktail Party Listening«, in: Cerebral Cortex (2009), doi:10.1093/cercor/bhp124. 76

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Annahmen, die dem Dual-Stream-Modell66 zugrunde liegen, ergründete diese Studie67 einerseits, welche neuronalen Verarbeitungsprozesse an der Wahrnehmung von Schallquellen im Raum beteiligt sind; andererseits wurde dargelegt, welche experimentellen Bedingungen bei einer neurowissenschaftlichen Untersuchung zur Verarbeitung virtueller Akustik erfüllt sein müssen. Die Wahrnehmung virtueller akustischer Gestalten ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess, der aber durch die Ausarbeitung von experimentellen Situationen sehr gut untersucht werden kann. Die Befunde zeigen auf, dass die Art und Weise der Präsentation von virtuellen Schallquellen einen messbaren Einfluss auf die Lokalisierbarkeit hat und sich in entscheidenden Auswirkungen auf die neuronale Verarbeitung niederschlägt. Die subjektiv erfahrene virtuelle akustische Gestalt ist somit ein Resultat, das von diversen Faktoren abhängig ist, die bei jeder Art der Vermittlung einer akustischen Gestalt entsprechend berücksichtigt werden müssen.

Literatur Ahveninen, Jyrki /Jääskeläinen, Iiro P. /Raij, Tommi u. a.: »Task-Modulated »What« and »Where« Pathways in Human Auditory Cortex«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 103 (2006), S. 14608–14613. Baumann, Simon /Koeneke, Susanne /Schmidt, Conny F. u. a.: »A Network for Audio-Motor Coordination in Skilled Pianists and Non-Musicians«, in: Brain Research 1161 (2007), S. 65–78. Bizley, Jennifer K./Walker, Kerry M./ Silverman, Bernard W. u. a.: »Interdependent Encoding of Pitch, Timbre, and Spatial Location in Auditory Cortex«, in: Journal of Neuroscience 29 (2009), S. 2064–2075. Blauert, Jens: Spatial Hearing – Revised Edition: The Psychphysics of Human Sound Localization, Cambridge: MIT press 1996. Braasch, Jonas: »Modeling of Binaural Hearing«, in: Blauert, Jens (Hg.), Communication Acoustics, Berlin/Heidelberg/New York: Springer Verlag 2005, S. 75–108. 66 Vgl. Josef P. Rauschecker/Sophie K. Scott: »Maps and Streams in the Auditory Cortex: Nonhuman Primates Illuminate Human Speech Processing«. 67 Vgl. Kevin T. Hill/Lee M. Miller: »Auditory Attentional Control and Selection during Cocktail Party Listening«. 77

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Neurowissenschaftliche Aspekte einer Akustik des Virtuellen

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Aufräumarbeiten im Wasserfall Yves Netzhammer

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Umwelt Ambient/Ambiente bezeichnet in seiner Etymologie das Umgebende, die Umwelt, ein Milieu von Dingen und Zuständen. Eine moderne und bis heute maßgebliche Definition des Begriffs »Umwelt« unternahm der Biologe, Philosoph und Zoologe Jakob von Uexküll bereits vor 100 Jahren in seinem Buch »Umwelt und Innenwelt der Tiere.«1 Uexküll gilt als Vaterfigur der Biosemiotik, eines interdisziplinären Forschungsgebiets, wo Kommunikation, Zeichen und deren Bedeutungen in lebenden Systemen untersucht werden.2 Für Uexküll unterscheidet sich die Umwelt von der Umgebung dadurch, dass Letztere eine bloße räumliche Nachbarschaft von Dingen oder Organismen beschreibt, Erstere aber durch Lebewesen maßgeblich definiert und gestaltet wird. Ein Lebewesen ist Uexküll zufolge immer auch seine je besondere Umwelt – die Umwelt eines Tieres spiegelt sich in seiner Innenwelt, Umwelt konstituiert sich über die Interaktionen des Lebewesens mit ihr. Uexküll weitet später3 seine holistischen Beschreibungen von Umwelträumen in der Tierwelt auf die Lebenswelten des Menschen aus und gliedert diese in »Merkund Wirkwelten«, welche die Erfahrungs- und Handlungssphären eines Individuums bis zur »fernsten Ebene«4 hin gliedern. Interessant in Uexkülls Bedeutungslehre biologischer Systeme ist seine Formulierung eines »Erlebnistons« von Umwelterfahrungen: Uexküll beschreibt in einem musikalischen Vokabular die Bedeutung, die 1 2

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Vgl. Jakob von Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere, Berlin: Verlag Julius Springer 1909. Biosemiotik beschäftigt sich mit der Repräsentation und der Bedeutung in biologischen Codes und Zeichenprozessen, so zum Beispiel von Gencodesequenzen oder interzellulären Signalprozessen, vom Tierverhalten hin zu menschlichen semiotischen Artefakten wie der Sprache. Vgl. www.biosemiotics.org vom 30. Januar 2010. Vgl. Jakob von Uexküll/Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten, Hamburg: Rohwolt Verlag 1956. Mit »die fernste Ebene« bezeichnet Uexküll den Wahrnehmungs- (Merkwelt) und Aktionshorizont (Wirkwelt) eines Organismus. 95

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Tönung, die Dinge in unserer Erfahrung der Umwelt bekommen, wenn wir in handelnde Beziehung zu ihnen treten. Sie werden zu Bedeutungsträgern, die einen der Art der Beziehung, die wir zu ihnen etablieren, entsprechenden »Ton« haben. Eine Ansammlung von Tönen wird so zur Melodie, zum Zusammenspiel von Subjekt und Umwelt, Uexküll spricht von der »Kompositionslehre der Natur: Wie bei der Komposition eines Duetts die beiden Stimmen Note für Note, Punkt für Punkt zueinander komponiert sein müssen, so stehen in der Natur die Bedeutungsfaktoren zu den Bedeutungsverwertern in einem kontrapunktischen Verhältnis.«5

Abbildung 1. »Jede Umwelt ist grundsätzlich nur von Bedeutungssymbolen erfüllt.«6 Wie sich Umwelt akustisch und klangsemantisch gliedert, hat fast 70 Jahre nach Uexkülls Formulierung des Umweltbegriffs der kanadische Komponist und Klangforscher Ron Murray Schafer in seinem Konzept der Soundscape beschrieben. Im Buch »The Soundscape – Our Sonic Environment and the Tuning of the World« beschreibt Schafer 1976 die uns allzeit umgebenden Gefüge von Geräuschen. Diese haben sich im Zuge der Industrialisierung dramatisch verändert und sind durch einen wahren »Sound-Imperialismus« von Flughäfen, Straßen und Fabriken übertönt worden – Schafer sprach wohl als erster von akustischer Umweltverschmutzung, die es zu bekämpfen gilt. Zur klanglichen Charakteristik der Natur ist die der Technik hinzugekommen, sie umgibt uns allgegenwärtig und ist Bestandteil unserer akustischen Lebenswelt geworden. Diese besteht längst nicht mehr nur aus Wind, dem Rauschen eines Flusses, den im Gebüsch zwitschernden Vögeln, sie ist um Maschinen, Medientechnologien und deren Klänge und Bedeutungen – deren 5 6

Ebd., S. 131. Jakob von Uexküll: Bedeutungslehre, Leipzig: J. A. Barth 1940. 96

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Erlebnistöne – erweitert worden. Schafer ist gleichzeitig Begründer der Acoustic Ecology, eines Forschungs- und Interventionszusammenhangs, welcher sich mit der Analyse und dem Erhalt von Klanglandschaften, Soundscapes, beschäftigt: »The sounds of the environment have referential meanings. For the Soundscape researcher they are not merely abstract acoustical events, but must be investigated as acoustic signs, signals and symbols.«7

Klänge und die gleichzeitige kognitive Kategorisierung ihrer Bedeutungen ermöglichen erst das Erkennen der Umwelt: »We classify information to discover similaritites, contrasts and patterns. Like all techniques of analysis, this can only be justified if it leads to the improvement of perception, judgement and invention«.8

Abbildung 2. Montreal Sound Map, ein aktuelles Beispiel der Kartografie aufgezeichneter Geräusche in einer Google Map, sogenannter »Audios«. 7 8

Ron Murray Schafer: The Soundscape – Our Sonic Environment and the Tuning of the World, Rochester, Vermont: Destiny Books 1977, S. 169. Ebd., S. 133. 97

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Im Begriffszusammenhang des Embodiment werden in der Kognitionswissenschaft und der Künstlichen Intelligenz Wahrnehmung und Bewusstsein (und somit die Konstitution von Intelligenz) als ein Zusammenspiel zwischen Umwelt und Körper beschrieben. Mentale Prozesse und Repräsentationen konstituieren sich aus der Geschichte der Interaktionen von Körper und Umwelt. Der »welterzeugende« Zusammenhang zwischen Körper, Kognition und Umwelt ist entscheidend für die folgenden Darlegungen, wenn wir den Blick auf Aspekte des Embodiment im Kontext neuzeitlicher Immanenzbestrebungen und -Konzeptionen richten. Der Fokus ist hier auf musikalische Praktiken gerichtet, die in den Interrelationen von Körper, Klang, Welt und Bedeutung im Begriffsfeld von Ambient verhandelt werden. Ambient-Erfahrungen sind Erfahrungen der Immersion in symbolischen9, zeichenangereicherten Settings/ Räumen, die Immanenz zum Ziel haben: Der Welt innezuwohnen, verstehend Teil von ihr zu sein und sie über die richtige Interpretation ihrer Zeichen bewältigen zu können, das affirmierte Marshall McLuhan bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts: »Das Streben unserer Zeit nach Ganzheit, Einfühlungsvermögen und Erkenntnistiefe ist eine natürliche Begleiterscheinung der Technik der Elektrizität«,10 – und einer von Medientechnologien geprägten Gegenwart, ist dem 40 Jahre später anzufügen. Dass Immanenzstreben weit in die Geschichte des Menschen zurückreicht und dessen Fortbestehen sicherte, zeigen jüngere Erkenntnisse aus der evolutionären Musikpsychologie und der Biomusikologie.11

Mimetische Zeremonien Musik ist in ihrem Ursprung eine Anpassung der menschlichen Kommunikation an das Leben in größeren sozialen Gruppen. Es existieren verschiedene Theorien über ihre Entstehungsweise in unserer Frühgeschichte, so soll sich Musik aus der Sprache entwickelt haben, Sprache in ihrer emotionalen Verstärkung sein, oder umgekehrt soll die Sprache aus dem Singen, der musikalischen Gebärde, hervorgegangen sein, oder Sprache und Musik sich aus einem gemeinsamen Vorläufer entwickelt haben. Gewiss ist, dass Musik mindestens so alt wie der moderne Mensch ist.12 So dient Musik aus der Perspektive der Evolutionsbiologie,

9 Griech. Symbol = etwas Zusammengefügtes. 10 Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle/Understanding Media, Dresden: Verlag der Kunst 1994, S. 18. 11 Vgl. Nils L. Wallin/Björn Merker/Steven Brown (Hg.): The Origins of Music, Cambridge, Massachusetts/London: MIT Press 2000. 12 Vgl. ebd., S. 10. 98

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speziell der Evolutionären Erkenntnistheorie,13 der sexuellen Werbung und der elterlichen Fürsorge, fördert Koordination, Zusammenhalt und Kooperation in sozialen Gruppen, und sie steigert die Überlebenschancen mittels mimetischer Praktiken – viele dieser Eigenschaften hat sie bis heute beibehalten. Zentral hierbei ist das musikalische Verhältnis zwischen Subjekt und Umwelt: Diese wurde schon in prähistorischen, musikalisch strukturierten Zeremonien analogistisch, mimetisch und ästhetisch beschworen, um sie in einem immersiven Setup verstehen und bewältigen zu können. Dafür gibt es ganz frühe Zeugen, etwa Höhlenmalereien, die zumeist auch in akustisch wirksamen Räumen von Höhlensystemen angelegt wurden. Vieles weist auf Bestrebungen hin, möglichst hohe Grade der Immersion, der Verstärkung einer audio-visuell simulierten Umwelt zu erzeugen. Hanns-Werner Heister nennt solche Handlungen gemeinsam mit ihrem Begriffsschöpfer Georg Knepler14 »Mimetische Zeremonie«: »Sie ist einer der zentralen gesellschaftlichen Orte, an dem das Ästhetische konzentriert auftritt. Sie ist damit zugleich historisch-systematisch ein Entstehungsort der Kunst und sie ist ›Gesamtkunstwerk‹ lange vor der Entstehung von Einzelkünsten oder gar Kunst im neuzeitlichen Sinn.«15

Und weiter: »Der übergreifende Zweck ist, eben als Mimesis, die Darstellung der Realität, gleichviel ob abstrahierend-stilisierend oder naturalistisch-›nachahmend‹. Sie existiert im Modus des Imaginär-Realen, eines spezifischen Als-Ob: imaginär, insofern sich die Aneignung der Wirklichkeit ästhetisch und nicht praktisch vollzieht, real, insofern diese Wirklichkeit sinnlich-gegenwärtig, fühlbar und fassbar wird.«16

Mimetische Zeremonien ziehen sich als roter Faden menschlicher Immersions- und Immanenzbestrebungen von Ritualen früher Stammeskulturen (vielerorts klanglich dominiert, denn Erfahrungsräume vieler

13 Konrad Lorenz hat auf die Koevolution von »Natur und Kultur«, auf das Zusammenspiel genetischer und zivilisatorischer Einflüsse im Erkenntnisvermögen des Menschen hingewiesen, vgl. hierzu: Konrad Lorenz: Die Rückseite des Spiegels – Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens, München: dtv 1977, und weiter: Gerhard Vollmer: Biophilosophie, Stuttgart: Reclam 1995. 14 Vgl. Georg Knepler: Geschichte als Weg zum Musikverständnis. Zur Theorie, Methode und Geschichte der Musikgeschichtsschreibung, Leipzig: Reclam 1982, S. 261f. 15 Hanns-Werner Heister: »Mimetische Zeremonie – Gesamtkunstwerk und alle Sinne. Aspekte eines Konzepts«, in: Hanns-Werner Heister (Hg.), Mimetische Zeremonien – Musik als Spiel, Ritual, Kunst, Berlin: Weidler Buchverlag 2007, S. 143. 16 Ebd., S. 143ff. 99

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historischer Kulturen oder »Naturvölker« strukturieren sich akustisch)17 bis in die Gegenwart der Medien- und Popkulturen.

Abbildung 3. »Neoschamanismus« im Ambient: Performance der Gruppe Coil in London, 2004. Das Nachpfeifen der Melodie eines Vogels, welcher an einer bestimmten Stelle des Waldes singt, das mit Rasseln simulierte Geräusch des herbeizubeschwörenden Regens in der nahen und fernen menschlichen Vergangenheit findet heute gewisse Analogien in der Ambientkultur und in der elektronischen, digitalen Musik: Ambient kann als Fest18 der Aneignung der uns umgebenden Realität, als neuzeitlicher mimetischer Jagdzauber gesehen werden, der eine alltagsenthobene, multisensorische und ideale Wirklichkeit herstellt, welche in der Aufführung von elektronischer/digitaler Musik und der Inszenierung von medialen Räumen besteht und wo Sequenzen, Muster und Schemata medialer Funktionen und medialen Handelns19 »inkorporiert«, das heißt über das Hören und subjektive Erleben Teil des verkörperten Wissens der Zeremonienteilnehmer werden. Ambient und elektronische/digitale Musik schaffen 17 »In Stammesgemeinschaften dominiert bei der Organisation der Erfahrung die Sinneswelt des Ohrs, die visuelle Werte verdrängt. Der Gehörsinn ist ganz im Gegensatz zum distanzierten und neutralen Auge überempfindlich und allumfassend.« M. McLuhan: Die magischen Kanäle, S. 136. 18 »[…] alle Künste wie Sinne einschließenden Veranstaltungen des Typus ›Fest‹ samt seinen historischen und systematischen Ausfächerungen vom Symposion bis zu Oper und Konzert« H.-W. Heister: Mimetische Zeremonien, S. 12. 19 Mehr dazu im Abschnitt »Rauschen«. 100

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transrituell20 Immanenz in einer hochtechnologisierten und -fragmentierten Welt; sie betten uns ein in Elektrizität und Kommunikationsflüsse. Doch um Ambient als differenzierte Form einer mimetischen Zeremonie klassifizieren zu können, ist eine Analyse der Beschaffenheit, eine Phänomenologie von Ambientmusik, einschließlich der Orte und der Räume, wo sie stattfindet, vonnöten.

A\YfZ[OL[PR]VU(TIPLU[T\ZPR Einer Beschreibung von heutiger Ambientmusik muss vorausgeschickt werden, dass »Ambient« seit der Begriffsschöpfung durch den Musiker Brian Eno 1976 einen starken Wandel erfahren hat. Der Musikstil Ambient hat sich in einen Rezeptionsrahmen und ein Begriffsgefüge verwandelt, in welchem elektronische/digitale Musik wie auch bildende Kunst – das zeigt der diesem Beitrag Folgende von Sabine Gebhardt Fink auf – konzipiert und rezipiert wird. Was heute im Kontext von Ambient produziert wird, unterscheidet sich in einigem von der popkulturellen Urform der Ambientmusik, der esoterisch angehauchten »Kosmischen Musik«21 der 1970er Jahre. Es haben sich Musikformen herausgebildet, welche größere Nähe zu Kunstkonzepten denn zur Popmusik oder zur orchestralen Musik aufweisen. Was heute als Ambientmusik produziert wird, bedient sich aus dem reichen Fundus von Strategien der künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Wird im Ambient-Zusammenhang von Medienmusik gesprochen, dann sind bislang außermusikalisch verwendete Technologien und Kommunikationsformen in die Herstellung und Kontextualisierung von Musik involviert.22 Bei Digitaler Musik handelt es sich meist nicht um absolute Musik, vor einigen Jahren hat der Labelbetreiber Achim Szepanski darauf hingewiesen: »dass elektronische Musik immer eine Vielfalt textueller Fragmente, Sub- und Randtexte, Reviews und Konzeptualisierungen mit sich führt«.23 Wenn hier eine Phänomenologie von Digitaler Musik und Ambient versucht werden soll, dann ist der Be20 Bezügl. Assoziationen zu Schamanismus im Techno vgl. Peter Matussek: »Berauschende Geräusche«, in: Andreas Hiepko/Katja Stopka (Hg.), Rauschen – seine Phänomenologie und Semantik zwischen Sinn und Störung, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 227f. 21 »Synthesizing traditional folk with Middle European orchestral traditions, improvised rock, endless keyboard drones and mindaltering drugs.« David Keenan: »Kosmische music«, in: The Wire 308, Oktober 2009, S. 44. 22 »Elektronische und digitale Musik ist zudem eingeschrieben in die Epochalität des Technischen, sie ist Medienmusik.« Marcus S. Kleiner: »Soundcheck«, in: Marcus S. Kleiner/Achim Szepanski, Soundcultures, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 9. 23 Aram Lintzel: »Der Sound der Transcodierung«. Online: www.heise.de/tp/r4/ artikel/7/7493/1.html vom 30. Januar 2010. 101

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griffs- und Feedback-Apparat der in Ambient sich begegnenden Kulturszenen mitgemeint. Dieses Gefüge strukturiert sich hypertextuell, stellt eine Maschinik dar, die sich aus vielen weiteren Inhalten, die sich um ihren musikalischen Kern herum gliedern, zusammensetzt. Der Begriff »Medienmusik« bezeichnet also nicht nur die mediale, inhaltliche und ästhetische Vielstimmigkeit von Ambient, sondern auch technologische Neuerungen in der Musikproduktion, welche Medientechnologien zu Musiktechnologien gemacht haben (allen voran der Computer). Dass Ambient der musikalischen Moderne, insbesondere der elektronischen Kunstmusik des 20. Jahrhunderts, entspringt, weiß heutzutage nicht nur jeder Technomusiker. Darum wird hier auf eine Schilderung der Entwicklung elektronischer Musik verzichtet, es existiert zu diesem Thema bereits genügend Literatur.24 Was in Bezug auf Klang, Bedeutung und Umwelt aufschlussreicher sein kann, ist eine Beschreibung der verwendeten Klänge, Klangstrukturen und ihrer Bedeutungen. Grete Wehmeyer nennt Letztere in ihrem Buch über Erik Satie »Assoziationshof musikalischer Formulierungen«25 und schildert das Feld musikalischer Bedeutungen am Vorabend der Moderne folgendermaßen: »Innerhalb der französischen Tradition hat man sich seit den Programmstücken der Clavecinisten daran gewöhnt, bestimmte Klangbilder mit bestimmten Inhalten zu koppeln. Dabei braucht es sich nicht um deskriptive Musik zu handeln […,] sondern ebenso werden Stimmungen oder Eigenschaften musikalisch dargestellt. Daraus bildete sich einerseits ein musikalisches Vokabular für außermusikalische Dinge, andernteils legte sich um viele musikalische Erscheinungen ein Assoziationskranz, der das ursprünglich unabhängige Klangbild mit dem ausgewählten Inhalt verkettete. Große Teile der Musik des 19. Jahrhunderts lebten davon, dass das Publikum diesen Bedeutungsgehalt kannte und erkannte.«26

Im Zuge der Verstädterung und Industrialisierung ab dem 18. Jahrhundert ist der Konzertsaal zu einer Art »substitute for outdoor life«27 geworden, die musikalische Mimesis der Natur wurde mit dem Aufkommen der Moderne zu derjenigen der Technik, Beispiele dafür sind die Rumuratore des Futuristen Luigi Russolo oder Stücke wie Ballet Méchanique von George Antheil. Der Lärm von Stadt und Industrie wurde in 24 Vgl. Mark Prendergast: The Ambient Century, New York/London: Bloomsbury Publishing 2000. 25 Vgl. Grete Wehmeyer: Erik Satie, Kassel: Gustav Bosse Verlag 1997, S. 103ff. 26 Ebd., S. 103. 27 »The concert hall simultaneously brought about absolute musical expression and also the most decisive imitations of nature. The consientious imitation of landscape in music corresponds historically to the developmnet of landscape painting.« Ron Murray Schafer: The Soundscape, S. 104. 102

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den künstlerischen Avantgarden zur Kunst erklärt: »Russolo’s experiments mark a flash point in the history of aural perception, a reversal of figure and ground, a substitution of garbage for beauty.«28

Rauschen Als omnipräsentes Element im »Assoziationshof« von Ambient findet sich Rauschen. Es ist einerseits das paradigmatische Geräusch einer von technischen, medialen Kakophonien umgebenen Gesellschaft, andererseits besteht unser Wahrnehmungshorizont, Uexkülls fernste Ebene, aus Rauschen, welches als begriffliche Haut das Unfassbare vom Erfassbaren trennt. Der Physiker Heinz Bittel charakterisierte Rauschen in den 1970er Jahren so: »Das Rauschen wird vielfach in erster Linie als etwas Störendes betrachtet. Bestimmt es doch die äußerstenfalls erreichbare Genauigkeit jeder Art von Messung […]. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass sich im Rauschen die Abweichungen des wirklichen Geschehens von den Gesetzmäßigkeiten der klassischen Physik offenbaren und es deshalb auch möglich ist, aus dem Rauschen etwas über atomare Vorgänge zu erfahren.«29

Alle Aussagen über Rauschen können nur statistischer und theoretischer Art sein, Rauschen ist der Moment, wo Zeichen nicht mehr individuiert und interpretiert werden können, wo sie sich in der Vielheit, Zufälligkeit oder Ferne ihres Auftretens auflösen. Rauschen ist, was jenseits unserer Wahrnehmung, unseres Verstehens liegt, »doch als bewusst von Menschen in die Strukturen von (Pop-)Musik integriertes Element wird das Rauschen den Produzenten wie Rezipienten zum Code, zu einem sinnvollen Unsinn, der für die Wahrnehmung der unübersichtlich erscheinenden Umwelt steht. Rauschen wird aber nicht negativ als Störung erfahren, sondern es steht stellvertretend für eine hyperkomplexe Umwelt, deren Zuviel nicht als beängstigend, sondern als lustvoll erfahren wird«,

so Kristian Kißling.30 28 Ebd., S. 111. 29 Heinz Bittel/Leo Storm: Rauschen. Eine Einführung zum Verständnis elektrischer Schwankungserscheinungen, Berlin/Heidelberg/New York: Springer Verlag 1971, S. 2. 30 Kristian Kißling: »Unsinn lesen, Unsinn hören. Rauschen im Grafikdesign und in der Popmusik«, in: Andreas Hiepko/Katja Stopka (Hg.), Rauschen. Seine Phänomenologie und Semantik zwischen Sinn und Störung, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 203. 103

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Abbildung 4. Vom signifikanten Geräusch im Vordergrund zum Rauschen des Hintergrunds: Die Stadt rauscht. Für Stadtbewohner gehört Rauschen zu ihrem alltäglichen Wahrnehmungshintergrund; die Stadt und die Vielzahl ihrer nahen und fernen Geräusche rauschen. Aus dem Rauschen, dem Hintergrund, tauchen signifikante Geräusche auf und verschwinden wieder. Rauschen als künstlerisches Simulakrum reflektiert die Phänomene auf der fernsten Ebene: »Erforscht wird nun das, was eigentlich den Hintergrund für jeden Gegenstand unserer Aufmerksamkeit bildet und selbst immer nur indirekt, beiläufig, unaufmerksam wahrgenommen wird. Damit wird aber die Kommunikations- und Wahrnehmungssituation insgesamt zum Objekt der Reflektion,«31 diese Beobachtung von Sabine Sanio trifft umso mehr auf Ambient-Settings und -Musik als künstlerische Versuchsanordnungen zu.

Clicks & Cuts Mediale Kommunikation prägt unsere Lebenswelt, dabei fällt eine Unzahl kommunikationstechnologisch generierter Artefakte und Fragmente an. Die Kommunikation, der Fluss von Bild, Musik, Sprache wird durch Übermittlungsfehler verkürzt, unterbrochen, gestört, verändert. Es clickt, stottert und zerrt in den Kanälen. Kommunikationsflüsse teilen sich in Übermittlungsfragmente auf, strukturieren sich in poly31 Sabine Sanio: »Rauschen – Klangtotal und Repertoire. Zur Selbstreflexivität der ästhetischen Erfahrung«, in: A. Hiepko/K. Stopka: Rauschen, S. 208. 104

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voke Rhythmen des Inhaltstransfers. Bedeutungsherstellung geschieht vermehrt und verstärkt über die individuelle Imaginationskraft und Interpretationsfähigkeit des Empfängers, es ist eine Kommunikation der Auslassungen und Verkürzungen entstanden (man könnte es als kommunikationstechnologisch bedingte Metaphorizität bezeichnen – Beispiele sind E-Mail-Verkehr und SMS). Die Digitale Musik bedient sich akustischer Fragmente und Störungen als künstlerischem Mittel, man nennt das seit den 1990er Jahren kategorisierend »Clicks & Cuts«32, die Wendung stammt von Achim Szepanski, der damit eine Reihe von Kompilationen seines Labels betitelt hat. Mit dem »Cut« ist der »Click«, die Störung, zum Träger einer neuen Poetik, einer vielstimmigen, mikroskopischen Klangästhetik geworden, die dem Zufall ihre Reverenz erweist. Das Verwenden von Fehlergeräuschen und medialen Fragmenten lehnt sich an Strategien der Literatur (etwa der »cut-up«-Technik von William S. Burroughs) und der modernen Kunst an, ein Beispiel findet sich mit Kurt Schwitter‘s Collage Mz 30, 39 auf Seite 108. Bedeutung wird nicht mehr nur durch die Hand des Künstlers hergestellt und vermittelt, Zusammenhang entsteht beim Rezipienten des Kunstwerks, er schafft das Werk als über seine Wahrnehmung und Imaginationskraft Involvierter mit. Umberto Eco hat ein derart konzipiertes und funktionierendes Kunstwerk in den 1960er Jahren »offenes Kunstwerk«33 genannt, ein Begriff, welcher sich auch in der Struktur und im Erlebnisrahmen von Ambientmusik angewandt sieht: »Die Poetik des ›offenen‹ Kunstwerks strebt […] danach, im Interpreten ›Akte bewusster Freiheit‹ hervorzurufen, ihn zum aktiven Zentrum eines Netzwerks von unausschöpfbaren Beziehungen zu machen, unter denen er seine Form herstellt, ohne von einer Notwendigkeit bestimmt zu sein, die ihm die definitiven Modi der Organisation des interpretierten Kunstwerks vorschriebe;«34

dazu Rolf Großmann zur Mediensituation der Clicks & Cuts im Jahr 2003: »C & C können etwas, das in dieser Form nur in dieser historischen Situation möglich ist: Distanz und gleichzeitig Nähe zum Mediendispositiv vermitteln, ein nicht rein affirmatives aber dennoch sinnliches Erfahren von Medienmechanismen«.35

32 Vgl. Rolf Großmann: »Spiegelbild, Spiegel, leerer Spiegel. Zur Mediensituation der Clicks & Cuts«, in: M. Kleiner/A. Szepanski: Soundcultures, S. 52. 33 Vgl. Umberto Eco: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, S. 27ff. 34 Ebd., S. 31; Eco argumentiert hier nach Pousseur: »La nouva sensibilità musicale«, in: Incontri Musicali, Nr. 2, Mai 1958, S. 25. 35 M. Kleiner/A. Szepanski: Soundcultures, S. 68. 105

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Abbildung 5. Aus dem Zusammenhang reißen, einen eigenen Zusammenhang herstellen. Kurt Schwitters: Mz 30, 39, 1930.

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+YVULZ7H[[LYUZ3VVWZ!4\ZPX\LK»HTL\ISLTLU[ Weiterer Bestandteil einer Vielzahl von Ambient-Musikstücken ist eine Art Dauerton, das »Drone«. Meistens siedeln sich Drones im unteren Frequenzspektrum (d. h. dem Bassbreich) der Klänge an, daher ihr Name: Er entspringt im Englischen der Drohne, der männlichen Biene, respektive ihrem Brummen; im Deutschen entspricht er dem »Dröhnen«. Dröhnen ist ein künstlerisches Element in einer Vielzahl von Stücken des direkten Vorläufers der Digitalen Musik, des »Industrial«. Das Drone oder der Bordun (v. franz. Bourdon, ital. Bordone: »Brummbass«) findet sich in Europa bereits in der mittelalterlichen Folklore. Jeder Leierkasten oder Dudelsack erzeugt einen Bordun, einen tiefen Grundton oder eine Quint, auf dem die weiteren, meist improvisierten Tonfolgen aufbauen. In der europäischen Kunstmusik kam der Bordun bis zum Beginn der Moderne fast nie zum Einsatz, da er weniger eine Erzählung, eine narrative Abfolge von Klängen aufbaut, als vielmehr eine Art klingenden Zustand herstellt. Man findet ihn auch in der klassischen indischen Musik, wo er mit dem Tanpura unter die Improvisationen der Einzelinstrumente gelegt wird, eine Klangästhetik, die sich in einer Vielzahl von New Age- und Esoterik-Musikproduktionen reproduziert sieht. Interessant am Bordun ist seine Fähigkeit, zeitliches Empfinden aufzuheben und ein Verweilen im Moment zu suggerieren, das macht ihn wohl auch für jede Form von sakraler und meditativer Musik attraktiv. Der Bordun schafft in Ambientsituationen einen klanglichen Hintergrund, einen »getunten« Klangraum; er lädt den Raum mit einer Art Grundspannung auf und differenziert ihn auf diese Weise von alltäglichen Räumen und Situationen, er macht ihn zum quasi-sakralen Ort. Dem Bordun ähnliche Klänge zeigten sich im 19. Jahrhundert in der Klangmusik der Spätromantik und des Impressionismus, die beiden Ansätze unterschieden sich aber radikal: Während Richard Wagner mittels »unendlicher Melodie« eine musikalische Erzählung sich bis zum Showdown aufschwingen ließ, ging es den beiden jüngeren Komponisten Claude Debussy und Erik Satie um »Mood Music« – um narrationslose Klänge, die eine gewisse Stimmung erzeugen oder wiedergeben sollten. Beide faszinierte ein indonesisches Gamelan-Orchester, das an der Weltausstellung 1889 auftrat und dessen Musik sich aus »Patterns«, Mustern, die sich wiederholen und einen gleichmäßigen, musikalischen Fluss erzeugen, auszeichnete. Satie experimentierte in der Folge mit Reihung und Baukastenprinzip:

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»Es entstanden Klangbänder von in sich einheitlicher Struktur, Tapis résonnant, musikalisches Klima, musique d’ameublement, […] in der sich Augenblick an Augenblick reiht.«36

Satie veranstaltete 1920 sein Experiment mit musique d’ameublement zusammen mit Darius Milhaud anlässlich eines Theaterabends in der Galerie Barbazange in Paris, Milhaud schildert dieses in seiner Autobiografie: »So wie es im Bereich des Sehens Formen gibt, die man wie etwa das Muster einer Tapete, die Deckenleiste oder den Rahmen eines Spiegels trotz ihres unzweifelhaften Daseins doch nicht wahrnimmt, so, dachte Satie, wäre es auch amüsant, Musik zu haben, auf die man nicht hinhören müsste, also gleichsam Musik als Ausstattung oder Hintergrundmusik, die veränderlich sein könnte wie die Möblierung der Räume, in denen diese Musik gespielt würde.« 37

Solche Gebrauchs- und Funktionsmusik, ein »Tapis sonnant«, welcher sich gesellschaftlicher Aktivität unterordnet, war keine Neuschöpfung, denkt man etwa an Kammermusik, die ursprünglich dem aristokratischen Kartenspiel als Hintergrund diente. Satie und Milhaud entwickelten für diesen Abend aber eine prototypische Rezeptur für Ambientmusik: Die Musiker wurden im Raum verteilt, »damit die Musik gleichzeitig von allen Seiten zu kommen schien«38, und spielten Ritornelle39 – sich wiederholende Abschnitte von Stücken von Ambroise Thomas und Saint-Saëns. Das war nicht nur ein modernes, sondern ein eigentlich postmodernes Vorgehen, mittels musikalischer Loops, also Samples aus bestehender Musik, eine Raumstimmung zu erzeugen. Das Publikum verstand das nicht und das Experiment scheiterte: »Eine Programmnotiz informierte das Publikum, dass es den Ritornellen, die während der Pausen gespielt wurden, nicht mehr Bedeutung schenken solle wie den Kandelabern, den Sitzen oder dem Balkon. Ganz gegen unsere Absicht strömte das Publikum jedoch eilends zu den Sitzen zurück, sobald die Musik einsetzte.«40 36 Grete Wehmeyer: Erik Satie, S. 18. 37 Darius Milhaud: Noten ohne Musik. Eine Autobiographie, München: Prestel Verlag 1962, S. 96. 38 Ebd. 39 Man kennt das Ritornell aus der barocken Musik: Es bezeichnet jenen Teil eines Rondos, der im Verlauf eines Musikstücks mehrfach refrainartig wiederkehrt. Deleuze und Guattari verstehen das Ritornell in seiner begrifflichen Erweiterung als einen in der Natur ein Territorium definierenden Sound(track), eine Melodie, eine akustische Signatur. 40 Darius Milhaud: Noten ohne Musik, S. 96. 108

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Sich wiederholende Klangmuster fördern den Anteil an Kontemplation in einer Musiksituation: Satie ließ sich vom »mittelalterlichen Orationston«41 der Gregorianik inspirieren. Loops sind der vielfachen Wiederholung in Gebeten und Litaneien verwandt – die Repetition von Klangsequenzen hat eine Intensivierungsfunktion, kann rauschähnliche Erfahrungen hervorrufen. Loops generieren und transportieren aber auch Wissen; Klangabfolgen und die dazugehörigen Assoziationen und Bedeutungen werden über ihre Wiederholung verinnerlicht. Zudem ist der Loop zur Mimesis der Massenproduktion des Industrie- und Technologiezeitalters geworden: in seinem Assoziationshof finden sich die Maschinen, welche Artefakte in endloser Zahl herstellen, sie produzieren Loops von Produkten und Klängen. Die technische Reproduktion hat direkten Einfluss auf Klang und Struktur der Musik, der Kunstwerke allgemein42 genommen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts mechanisch (Wachszylinder und Schallplatte), dann magnetisch (mit dem Tonband, ohne das es die Musique Concrète nicht gegeben hätte) und heute über das digitale »copy and paste«.

Field Recordings Nicht nur in der Musique Concrète, sondern auch in vielen Werken der aktuellen elektronischen/digitalen Musik kommen Field Recordings, Tonaufnahmen unserer Umwelt, als künstlerisches Mittel zum Einsatz. Für das medientechnologisch aufgezeichnete und wiedergegebene visuelle Abbild der Wirklichkeit ist im Lauf der Geschichte der Fotografie und des Films ein ganzer Theorieapparat entstanden, für die Tonaufnahme als Wurmfortsatz der Filmaufzeichnung sind bisher wohl nur halb so viele medientheoretische oder bedeutungswissenschaftliche, semantische Untersuchungen durchgeführt worden. Man trifft auf klangsemantische Analysen von Tondokumenten der Umwelt in der Acoustic Ecology – sie findet am Anfang dieses Beitrags mit ihrem Gründer Ron Murray Schafer Erwähnung, darüber hinaus in der Ethnologie oder der Bioakustik und neuerdings in der Geografie43.

41 Vgl. Grete Wehmeyer: Erik Satie, S. 21ff. 42 Vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1980. 43 Vgl. Frédéric Roulier: »Pour une géographie des milieux sonores«. Online: www.cybergeo.eu/index5034.html, vom 30. Januar 2010. 109

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Abbildung 6. Den Wald hören: CD-Cover von »recording artist« Chris Watson. Vieles lässt sich sicherlich auch aus der Perspektive der Filmtheorie über die Tonaufnahme sagen, den Umstand mitberücksichtigend, dass im Gehirn beim Sehen und Hören ähnliche kognitive Assoziationsfelder aktiviert werden.44 Walter Benjamin hat über den Film einige Gedanken geäußert, die ganz besonders auch für die Tonaufnahme gelten: »Seine Charakteristika hat der Film nicht nur in der Art, wie der Mensch sich der Aufnahmeapparatur bedient, sondern wie er mit deren Hilfe die Umwelt sich darstellt. […] Der Film hat unsere Merkwelt in der Tat mit Methoden bereichert, die an denen der Freudschen Theorie illustriert werden können. […] Sie hat Dinge isoliert und zugleich analysierbar gemacht, die vordem unbemerkt im breiten Strom des Wahrgenommenen mitschwammen. Der Film hat in der ganzen Breite der optischen Merkwelt, und nun auch der akustischen, eine ähnliche Vertiefung der Apperzeption zur Folge gehabt.«45

44 Ausgeführt im Beitrag von Mathias S. Oechslin. 45 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 34. 110

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Die Tonaufnahme vertieft die akustische Wahrnehmung und Erschließung der Umwelt, sie erweitert unser Wissen über diese und macht die Dokumentation ihrer Erscheinungsformen ortsunabhängig zugänglich. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dass dieses Bild der Wirklichkeit ein von Wissenschaft und Technologie und unserer Imaginationskraft erzeugtes ist, keinesfalls ein neutrales, »realistisches«. Vilém Flusser schreibt in seiner Philosophie der Fotografie über das technische Bild Folgendes, das sicherlich auch auf die Tonaufnahme zutrifft: »Das technische Bild ist ein von Apparaten erzeugtes Bild. Da Apparate ihrerseits Produkte angewandter wissenschaftlicher Texte sind, handelt es sich bei den technischen Bildern um indirekte Erzeugnisse wissenschaftlicher Texte. […] Sie sind Metacodes von Texten, die, […] nicht die Welt dort draußen bedeuten, sondern Texte. Die Imagination, die sie herstellt, ist die Fähigkeit, Begriffe aus Texten in Bilder umzucodieren; und wenn wir sie betrachten, sehen wir neuartig verschlüsselte Begriffe von der Welt dort draußen.«46

Frank Hartmann zur heutigen Situation im Buch Soundcultures – Über elektronische und digitale Musik: »Medien im fortgeschrittenen Zustand ihrer Entwicklung beziehen sich nicht mehr auf ›die Welt‹ mit dem Anspruch, diese zu repräsentieren, vielmehr wird Neues generiert und Wirklichkeit anders gesehen. Vor allem computerisierte Medien sind es, die eine scharfe Trennung zwischen Natur und Kultur hinter sich lassen und eine Informationsästhetik erzeugen, die auf den realen Referenzhintergrund sinnlich gegebener Wirklichkeit nicht mehr angewiesen ist.«47

Er folgert: »Diese Medienwirklichkeit – erzeugt vom fotografischen, filmischen oder elektronischen Apparat – ist nicht als Reproduktion oder Repräsentation von Wirklichkeit entstanden, sondern als eine Fortsetzung der Umformung und Durchdringung von Wirklichkeit, die mit der Fotografie begonnen hat. Dies haben die jüngsten Bilder mit den ältesten Bildern der menschlichen Kultur gemein: Symbole sind entstanden als Instrumente der Beherrschung der äußeren Wirklichkeit.«48

46 Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen: European Photography 1983, S. 13/14. 47 Frank Hartmann: »Instant Awareness. Eine medientheoretische Exploration mit McLuhan«, in: M. Kleiner/A. Szepanski, Soundcultures, S. 37. 48 Ebd., S. 43. 111

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Microsound Kunst und Musik hört nicht beim künstlerisch-technischen Interagieren mit der Umwelt auf, sie reflektiert darüber hinaus als »epistemologische Metapher«49 wissenschaftliche Erkenntnisse: »Man geht darum wohl nicht zu weit, wenn man in der Poetik des ›offenen‹ Kunstwerks […] die vagen oder präzisen Resonanzen der modernen Wissenschaft sieht,«50 schreibt Eco. Beispielsweise bildet sich mit den erweiterten Analyse- und Bearbeitungsmöglichkeiten der modernen Computertechnologie, die in den Mikrobereich der Klänge vorstößt, eine neue Ästhetik heraus. Einen grundlegenden Perspektivenwechsel erlebte bereits Heinz Bittel bei der ganz analogen Verstärkung von elektrischen Signalen: »Die Verstärkerschaltungen haben für elektrische Untersuchungen sicher dieselbe Bedeutung wie in der Optik das Mikroskop.«51 In den Assoziationsbereich des klanglichen Mikrokosmos, seiner »Microsounds«, rücken Chemie und Physik, es öffnet sich ein Reich molekularer Klang-Mannigfaltigkeiten. Der Komponist und Professor für Medienkünste und Technologie an der University of Santa Barbara, Curtis Roads, schreibt in seinem Buch »Microsound« dazu: »Below the level of the musical note lies the realm of microsound, of sound particles lasting less than one-tenth of a second. Recent technological advances allow us to probe and manipulate these pinpoints of sound, dissolving the traditional building blocks of music – notes and their intervals – into a more fluid and supple medium. The sensations of point, pulse (series of points), line (tone), and surface (texture) emerge as particle density increases. Sounds coalesce, evaporate, and mutate into other sounds.«52

Damit ist eine Form der Klanggenerierung beschrieben, die schon vor einigen Jahrzehnten entwickelt wurde, nun aber mit der um ein vielfaches höheren Leistungsfähigkeit der Computer ästhetisch erst richtig interessant wird – die Granularsynthese. Im Assoziationsbereich granularsynthetisch hergestellter Klänge findet sich die Welt der Atome und Moleküle. Die Theorie zur Granularsynthese stammt vom Ingenieur und Erfinder Dennis Gábor53, der die sogenannte »Gabor-Transformation«, eine gefensterte Fourier-Transformation, und die damit zusam49 Vgl. Umberto Eco: Das offene Kunstwerk, S. 160ff. 50 Ebd., S. 48. 51 W. Schottky: »Über spontane Stromschwankungen in verschiedenen Elektrizitätsleitern«, in: Heinz Bittel/Leo Storm, Rauschen, S. 1. 52 Curtis Roads: Microsound, Boston: MIT Press 2002, S. vii. 53 Gábor erfand unter vielem anderem die Quecksilberdampflampe und entwickelte das Prinzip der Holografie. 112

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menhängende Theorie der Klangquanten formulierte. Eine gefensterte Fouriertranformation ist eine mathematische Darstellung im Zeit- und Frequenzraum: Die Klangquanten stehen in einer gewissen Analogie zu Quantenphänomenen in der Teilchenphysik: »Sie [die epistemologischen Metaphern, d. V.] repräsentieren innerhalb der gestaltenden Tätigkeit die Spiegelung bestimmter Errungenschaften der modernen wissenschaftlichen Methodologien, die Bestätigung jener Kategorien der Unbestimmtheit, der statistischen Verteilung, die für die Deutung der natürlichen Fakten maßgebend sind, in der Kunst.«54

Abbildung 7. Links: Visuelle Darstellung der Granularsynthese im Spektrumeditor des Musiksystems Kyma. Rechts: Konfokalmikroskopische Aufnahme von Molekülen.

Ambienträume Ambient bezeichnet neben musikalischen Assoziationsfeldern auch eine physische Raumsituation, eine Installation, einen Ort, wo Ambientsituationen hergestellt werden. Die Generation Techno kennt solche Settings aus den Chillout-Räumen der 90er-Jahre, wo sich Raver von den Strapazen der Tanzfläche erholten und entspannende Musik ohne 54 Umberto Eco: Das offene Kunstwerk, S. 160. Weiter: »Von hier aus erhält eine offene Kunst ihre Funktion als epistemologische Metapher: In einer Welt, in der die Diskontinuität der Phänomene die Möglichkeit für ein einheitliches und definitives Weltbild in Frage gestellt hat, zeigt sie uns einen Weg, wie wir diese Welt, in der wir leben, sehen und damit anerkennen und unserer Sensibilität integrieren können. Ein offenes Kunstwerk stellt sich der Aufgabe, uns ein Bild von der Diskontinuität zu geben: es erzählt sie nicht, sondern ist sie. Es vermittelt zwischen der abstrakten Kategorie der Wissenschaft und der lebendigen Materie unserer Sinnlichkeit und erscheint so als eine Art von transzendentalem Schema, das es uns ermöglicht, neue Aspekte der Welt zu erfassen.« Ebd., S. 164. 113

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Beat sowie die eine oder andere Droge konsumierten. Bald haben sich Chillout-Räume zu eigentlichen Hörräumen, zu Orten der Klangkunst entwickelt, da dort von Ambient-DJs des Öfteren ungehörte, neue Klänge gespielt wurden. Klänge, die bald nicht mehr nur kontemplative Wirkung hatten, sondern das Publikum aufhorchen ließen und die in diesem Beitrag geschilderten Prozesse der Imagination und der Immersion in Gang brachten. Musik findet in solchen Räumen im Gegensatz zum Konzertsaal im Hintergrund, azentrisch und omnidirektional statt, ist künstliche, akustische Umwelt und vermischt sich perzeptiv mit Gesprächen, Bildprojektionen, Lichtstimmung und Weiterem, hier ein Bild einer typischen Ambientsituation:

Abbildung 8. »Construction Sonor« im Club Transmediale, Berlin, 2004. Obwohl der Künstler als technische Geräte bedienender Zeremonienleiter identifizierbar ist, steht er nicht im Zentrum, er ist Bestandteil einer Situation, gehört zur Ausstattung, zum musikalischen Mobiliar – und man sieht es den Gesichtern des Publikums irgendwie an: Hier sind angeregte, mentale Prozesse im Gang, in denen sich Eindrücke bündeln und Assoziationen anregen, die Imagination triggern. Man hört, schaut, reflektiert, kommuniziert. Physischer Raum, sozialer Raum, Medienraum schaffen einen immersiven Rezeptionsrahmen – Raum allgemein55 ist konstitutives Element jedes Ambientsettings: 55 Raum als Anschauung, als Vorstellung, ist traditionell Gegenstand der Metaphysik, er ist wie die Zeit weder ein Begriff noch ein Ding, nach Kant ordnet der Raum die Beziehungen unseres Denkens relational, er parametrisiert Extensionalität, Rezeptivität und Relationalität von Dingen und setzt sie in eine ideale Beziehung zueinander. 114

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»Until recently music was inseparable from the space in which it was performed – including the social space. One very strong movement in the late nineteenth and twentieth centuries was towards music as an immersive, environmental experience. […] It’s a drift away from narrative and towards landscape, from performed event to sonic space.«56

Raum wird zum gestalteten Behältnis eines Milieus künstlerischer Kommunikation: Innerhalb der aufgeführten Musik mittels Raumsimulationen wie Hall, Echo oder Surround-Rendering, im Bild über dreidimensionale Raumdarstellungen. Durch die Integration des Virtuellen verschachtelt sich die Ambientsituation in reale und fiktive Raumerfahrungen, man könnte sagen, dass sich im Ambient ein alter Wunsch der Surrealisten eingelöst hat. Ihr Vordenker André Breton schrieb hierzu 1924 in seinem ersten surrealistischen Manifest: »Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität.«57 Damit sind heutige, medientechnologischvirtuell geschaffene oder ergänzte Ambientsituationen beschrieben, die nicht nur aus räumlichen/technischen Simulationen bestehen, sondern künstlerisch entworfen sind, was heißt, dass fiktive, erfundene – mögliche – Elemente Teil der immersiven Erfahrung sind. Die »reale« Welt wird durch das Mögliche erweitert, das Mögliche, der Entwurf wird Bestandteil der medientechnologisch mimetisierten Wirklichkeit. Raum und Imaginationskraft lassen so eine Emergenz entstehen, welche eine Neubeschreibung unserer Umwelt unternimmt.

Die Immanenzebene Die Pfade der in diesem Beitrag ausgeführten Gedanken zu Ambient führen uns zuletzt von der Immersion zur Immanenz als ihrer philosophischen Dimension. Immersion als Ausgangssituation beschreibt nicht nur Grade der realen Erlebbarkeit einer virtuellen Umwelt, sondern fördert als Emergenz einer mimetischen Zeremonie, einer Ambientsituation eine umfassende Weltwahrnehmung. Die immersive mimetische Zeremonie verzahnt unser Bewusstsein analogistisch mit der Welt, auch wenn sie als Erlebnisrahmen meist von ihr abgekoppelt inszeniert wird. Die medientechnologisch erzeugten und performten, »zelebrierten« Soundscapes unserer Erfahrungswelt steuern Immanenzerfahrung an: es entsteht ein Soundtrack der Immanenz, ein polyphoner Erlebniston 56 Brian Eno: Vorwort, in: Mark Prendergast, The Ambient Century, S. xvii. 57 André Breton: Die Manifeste des Surrealismus, Hamburg: Rohwolt Verlag 2004, S. 18. 115

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unserer Umwelt, welcher diese in ihrer Mannigfaltigkeit erst denkbar und erfahrbar macht. Im Ambient wird die technologisch geprägte Gegenwart ästhetisch erschlossen und urbar gemacht, es werden in ihr operierende, künstlerische Vokabulare entwickelt, die einer neuen Form des Philosophierens zu entsprechen scheinen, – einer bedeutungsherstellenden, begriffserzeugenden Art der medialen Reflexion, die klanglich und visuell analysiert und formuliert. Imagination, Denken, künstlerische Äußerung wird zum Handeln in und Umgang mit der Welt: »Die nächste Art des Umgangs ist […] aber nicht das nur noch vernehmende Erkennen, sondern das hantierende, gebrauchende Besorgen, das seine eigene ›Erkenntnis‹ hat«, so Heidegger in Sein und Zeit, wo er das »In-der-Welt-sein«58 als Umgang mit der Welt und dem »innerweltlich Seienden« als verstehendes Dasein beschreibt: »Dieses Seiende ist dabei nicht Gegenstand eines theoretischen ›Welt‹-Erkennens, es ist das Gebrauchte, Hergestellte und dgl.«59 Als Anschauung dem Raum verwandt, legt Immanenz die Ausdehnungen und Beziehungen des Denkens als innerweltliche fest. In ihrer langen Begriffsgeschichte finden sich ganz unterschiedliche Vorstellungen des »In-der-Welt-seins«, sie kommt als metaphysisches wie erkenntnistheoretisches Konzept in der Philosophiegeschichte bis zurück zu den Stoikern60 vor, meist als Substanzbeschreibung oder als dialektischer Gegenpart zur Transzendenz – dem Übersinnlichen, Überweltlichen. Epistemologische Aspekte treten dann im Zuge der Neuzeit in den Vordergrund, mit Kant (als Verbleiben des Denkens in den Grenzen möglicher Erfahrung) dann mit Heidegger und später bei Deleuze/Guattari in ihrem Entwurf der Immanenzebene innerhalb ihrer »Geophilosophie« als Bild des Denkens innerhalb einer nichttranszendenten Weltwahrnehmung. Die Immanenzebene ist der Boden des Denkens, »der wie die Erde wäre, weder in Bewegung noch in Ruhe«61, denn »Denken geschieht vielmehr in der Beziehung zu dem Territorium und zu Terra, der Erde«.62 Die Immanenzebene ist Weltsicht, »Sein-Denken«, »NaturDenken«, sie ist der absolute Horizont der Begriffe und Ereignisse, des Wirklichen wie Möglichen und kann als gedachte Umwelt verstanden

58 Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1979, S. 52ff. 59 Ebd., S. 67. 60 »Die Strukturen des Daseins, die Zeitlichkeit selbst, sind nicht so etwas wie ein ständig verfügbares Gerüst für ein starres Vorhandenes, sondern sie sind ihrem eigensten Sinn nach Möglichkeit des Daseins, und nur das.« Giorgio Armato in Interpretation von Marc Aurel, VII 6, in: Giorgio Armato, Der stoische Immanenzbegriff, Berlin: Logos Verlag 2005, S. 210. 61 Gilles Deleuze und Félix Guattari beziehen sich hier auf Husserl in: Gilles Deleuze/ Félix Guattari: Was ist Philosophie?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, S. 97. 62 Ebd. 116

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werden: Als der vom Denken erfassbare Kosmos, welcher in Uexkülls Funktionskreis die Merk- und Wirkwelt, die fernste Ebene ideal umschließt. Es existieren so viele Ebenen wie Subjekte, sie überschneiden, überlagern sich – die Immanenzebene ist »löchrig, blättrig«. Ältere Weltbilder liegen als Schichten der Geschichte des Denkens unter den Ebenen des Hier und Jetzt.63

Abbildung 9. Kalzit aus dem Bergwerk Gonzen, FocusTerra, Departement Erdwissenschaften, ETH Zürich. So könnte man sich einen Ausschnitt der Immanenzebene vorstellen: Schichten von Ebenen überlagern sich (»Die Immanenzebene ist blätt-

63 »Entwirft nicht jeder große Philosoph letzten Endes eine neue Immanenzebene, liefert er nicht eine neue Materie des Seins und errichtet ein neues Bild des Denkens, so dass es keine zwei großen Philosophen auf derselben Ebene gäbe?«, meinen dazu Deleuze/Guattari augenzwinkernd, ebd., S. 60. 117

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rig.64 […] Sie ist eine stratigrafische Zeit, in der das Vorher und Nachher nur mehr eine Ordnung von Überlagerungen anzeigt«65). Begriffe (hier als glitzernde Einschlüsse) besetzen die Ebenen: »endliche Bewegungen, […] die stets eine Oberfläche oder ein Volumen bilden, einen unregelmäßigen Umriss, der einen Stillstand im Wucherungsgrad kennzeichnet. Erstere sind absolute Richtungen fraktaler Natur […], stets fragmentarische, intensiv definierte Oberflächen oder Volumina«66. Rechts oben der von der Position des Subjekts abhängige, relative, dahinter der absolute Horizont. Bei Deleuze und Guattari ist das Mögliche, die Utopie konstitutiv für die Immanenzebene: »Das Wort Utopie bezeichnet folglich diese Verbindung der Philosophie oder des Begriffs mit dem vorhandenen Milieu: politische Philosophie,«67 – eine Philosophie, welche die Welt in Mannigfaltigkeiten denkt und mit dem Entwurf der Immanenzebene versucht, eine Welt-Konsistenz jenseits von transzendenten Konzepten68 zu denken und zu erzeugen. Eine Konsistenz, welche die Unendlichkeit der Bewegungen des Denkens mit einschließt. Die Immanenzebene impliziert »eine Art tastendes Experimentieren, und ihr Entwurf rekurriert auf schwer eingestehbare, wenig rationale und vernünftige Mittel. Es sind Mittel, die aus dem Reich des Traums stammen, aus dem pathologischen Prozess, aus esoterischen Erfahrungen, aus Trunkenheit oder Exzess. Man läuft auf der Immanenzebene bis zum Horizont, man kehrt mit roten Augen zurück, selbst wenn dies die Augen des Geistes sind. […] Man denkt nämlich nicht, ohne zugleich etwas anderes zu werden, etwas, das nicht denkt, ein Tier, eine Pflanze, ein Molekül, ein Partikel, die zum Denken zurückkehren und es von neuem in Gang setzen.«69

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Ebd., S. 59. Ebd., S. 67. Ebd., S. 48. Ebd. S. 116 »Auf den ersten Blick lässt sich nicht erkennen, warum die Immanenz so gefährlich ist, und doch ist es so. Sie verschlingt die Weisen und die Götter.« Ebd., S. 54. 69 Ebd., S. 50. 118

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Literatur Armato, Giorgio: Der stoische Immanenzbegriff, Berlin: Logos Verlag 2005. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1980. Bittel, Heinz/Storm, Leo: Rauschen. Eine Einführung zum Verständnis elektrischer Schwankungserscheinungen, Berlin/Heidelberg/New York: Springer Verlag 1971. Breton, André: Die Manifeste des Surrealismus, Hamburg: Rohwolt Verlag 2004. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Was ist Philosophie?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996. Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993. Flusser, Vilém: Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen: European Photography 1983. Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1979. Heister, Hanns-Werner (Hg.): Mimetische Zeremonien – Musik als Spiel, Ritual, Kunst, Berlin: Weidler Buchverlag 2007. Hiepko, Andreas/Stopka, Katja (Hg.): Rauschen. Seine Phänomenologie und Semantik zwischen Sinn und Störung, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001. Kleiner, Marcus S./Szepanski, Achim: Soundcultures, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. Knepler, Georg: Geschichte als Weg zum Musikverständnis. Zur Theorie, Methode und Geschichte der Musikgeschichtsschreibung, Leipzig: Reclam 1982. Lintzel, Aram: »Der Sound der Transcodierung«. Online: www.heise.de/tp/r4/artikel/7/7493/1.html vom 30. Januar 2010.

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Lorenz, Konrad: Die Rückseite des Spiegels – Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens, München: dtv 1977. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle/Understanding Media, Dresden: Verlag der Kunst 1994. Milhaud, Darius: Noten ohne Musik. Eine Autobiographie, München: Prestel Verlag 1962. Prendergast, Mark: The Ambient Century, New York/London: Bloomsbury Publishing 2000. Roads, Curtis: Microsound, Boston: MIT Press 2002. Roulier, Frédéric: »Pour une géographie des milieux sonores«. Online: www.cybergeo.eu/index5034.html vom 30. Januar 2010. Schafer, Ron Murray: The Soundscape – Our Sonic Environment and the Tuning of the World, Rochester, Vermont: Destiny Books 1977. Von Uexküll, Jakob/Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten, Hamburg: Rohwolt Verlag 1956. Von Uexküll, Jakob: Bedeutungslehre, Leipzig: J. A. Barth 1940. Vollmer, Gerhard: Biophilosophie, Stuttgart: Reclam 1995. Wallin, Nils L./Merker, Björn/Brown, Steven (Hg.): The Origins of Music, Cambridge, Massachusetts/London: MIT Press 2000. Wehmeyer, Grete: Erik Satie, Kassel: Gustav Bosse Verlag 1997.

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Ambient in der Kunst der Gegenwart Sabine Gebhardt Fink

2VUZ[Y\R[PVULUPTTLYZP]LYpZ[OL[PZJOLY,YMHOY\UN Zentral für Konstruktionen des Ambient in der Kunst ist die immersive ästhetische Erfahrung, die sich in performativen, sprich Handlung neu definierenden, »Betrachterinnen- und Hörerbewegungen« im Alltagsraum äußert. Dieser Ambient-Raum wird durch die künstlerische Arbeit kritisch befragt und erweitert.1 Es hat inzwischen eine Reihe von mehr oder weniger geglückten Versuchen gegeben, diese spezifische Erfahrung in Ambient-Räumen, die im vorliegenden Text als »immersiv« wie »performativ konstruiert« verstanden wird, zu beschreiben. Eine davon findet sich in der »Neuen Phänomenologie« von Hermann Schmitz. Dort versucht Schmitz diese Erfahrung als »Atmosphäre« und »ergreifende Gefühlsmacht« zu fassen.2 Auch im ebenfalls sehr diffusen »Atmosphäre«-Gedanken Gernot Böhmes, was vermutlich am Wort ατµοζ (gr. Dampf, Dunst, Duft) und σϕαιρα (gr. Kugel3) selbst liegt, taucht die vage Vorstellung einer neuartigen Architekturwahrnehmung auf.4 Böhme behauptet: »Der Raum war schon immer Thema in der Architektur, doch heute, jenseits der Moderne, zeichnet sich ab, dass die Architektur den Raum in einer anderen und umfassenderen Weise zum Thema macht, indem nämlich die Erzeugung von Atmosphären zu ihrem zentralen Anliegen wird.«5

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Vgl. Anna McCarthy: Ambient Television: Visual Culture and Public Space, Durham N.C.: Duke University Press 2001, S. 3. Hermann Schmitz: Was ist Neue Phänomenologie?, Rostock: Koch Verlag 2003; aber auch: Hermann Schmitz: System der Philosophie, Bonn: Bouvier Verlag 2005, Bd. III, §149. Vgl. Madalina Diaconu: Tasten, Riechen, Schmecken, eine Ästhetik der anästhesierten Sinne, Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. Vgl. Gernot Böhme: »Architektur und Atmosphäre«, in: Produktion von Präsenz, Archplus 178, Juni 2006, S. 42–45; sowie: Gernot Böhme, Architektur und Atmosphäre, München 2006. G. Böhme: Architektur und Atmosphäre, S. 18. 121

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Unter Atmosphäre versteht Böhme die Art und Weise wie ein Raum emotional anmutet. Diese Architektur-Atmosphäre lasse sich wiederum als Stimmungs-Charakter, Synästhesie-Charakter, Bewegungscharakter und hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und kommunikativen Eigenschaften unterscheiden. Problematisch ist bei Böhme zum einen, dass Wahrnehmungs- und Produktionsprozess überhaupt nicht differenziert werden können. Zum anderen bleibt Böhme es im ganzen Text seinen Leserinnen und Lesern schuldig zu erklären, was denn dieser »atmosphärische Charakter der Architektur«, der ja wiederum eine Affizierung bei seinen Adressatinnen und Adressaten hervorruft, genau sein soll. Zuletzt fehlt Böhmes Atmosphäre-Theorie ein historisches Bewusstsein. Denn seine Vorstellung von Atmosphäre erscheint universal und interkulturell abrufbar, obwohl er selbst Jan Assmann und dessen Überlegungen zum kulturellen Gedächtnis erwähnt.6 Assman hält in Anlehnung an Theorien von Maurice Halbwachs fest, dass gerade das kulturelle Gedächtnis durch Differenzen und Brüche entsteht und sich historisch verändert. Diese Art Bruch markiert zum einen die räumliche Differenz zwischen einer Gruppe oder einem Kollektiv und anderen Gruppen und Kollektiven. Zum anderen entsteht eine Krise oder ein Bruch durch einschneidende zeitliche Differenzen individueller Todeserfahrungen und den Umgang jeder Gesellschaft damit, wie sie dieses Vergangene und wie sie ihre Toten »in ihre Gegenwart« zurückholt.7 Und gerade Dinge und den sie umgebenden Raum, also die »Atmosphäre der Architektur« im Sinne Böhmes, weist Assmann als zentrale Momente jeder Erinnerungskultur aus. Er spricht hierbei vom »Gedächtnis der Dinge«: »Die Dingwelt, in der er [der Mensch. Ergänzung der Autorin] lebt, hat einen Zeitindex, der mit der Gegenwart zugleich auch auf verschiedene Vergangenheitsschichten deutet.«8 Damit fällt Böhmes zeitlose »Architektur und Atmosphäre« weit hinter Assmanns Analyse des Alltagsraums und des Raums von Handlungen, aber auch weit hinter Henri Lefebvres Überlegungen zum architektonischen Raum als abstraktem Gebilde zurück. Lefebvre stellt fest:

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Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: C. H. Beck 1999, S. 235–240. Zwar möchte man Böhme zugute halten, dass er sich auch mit dem Missbrauch des atmosphärischen Raums der »leiblichen Anrufung« in der Architektur und des Nationalsozialismus und deren totalitären Masseninszenierungen beschäftigt hat (bes. G. Böhme, Architektur und Atmosphäre, S. 168–172), dennoch bleibt der kritische Rückbezug dieser Erkenntnisse auf seine weitere Raum-Theorie aus. Dadurch erscheint die Kritik oberflächlich und architekturhistorisch ungenau. J. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, besonders S. 20/21 und S. 34–48. Dort beschäftigt sich Assmann mit der sozialen Konstruktion von Vergangenheit. J. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 20. 122

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»Abstract space, which is the tool of domination, asphyxiates whatever is conceived within it and then strives to emerge. […] This space is a lethal one which destroys the historical conditions that gave rise to it, its own internal differences, and any such differences that show signs of developing, in order to impose an abstract homogenity.«9

Sobald der Raum der Architektur also ahistorisch als Affekte und Wahrnehmungen generierend definiert wird, fällt eine Theorie dem von Lefebvre so treffend beschriebenen Phänomen anheim. Dies insofern, als Geschichtlichkeit getilgt wird und Machtbeziehungen wie Symbolisierungen von kultureller, gesellschaftlicher und politischer Identität unsichtbar werden, ohne dass dies den Betrachtenden bewusst wird. Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit Ambient in der Kunst der 1990er Jahre immer wieder genannt wird, ist die Einrichtung des Clubs und das Clubbing, bei dem es ebenfalls um das Erzeugen einer Art von »atmosphärischem Raum« in den Künsten geht.10 Neben dem Ereignismoment spielt im Clubbing der Einbezug der Rezipientinnen und Rezipienten und deren raumkonstituierende Erfahrungen eine große Rolle. Bei aller Ähnlichkeit muss man hier ergänzen, dass Ambient inzwischen als Beschreibung eines Rezeptionsrahmens ganz oder recht unterschiedlicher Dinge verwendet wird, da Ambient in der Musik zum Teil andere Aspekte aufweist als in der Kunst, wie Marcus Maeder richtig bemerkt.11 Was jedoch beide verbindet, sind strukturelle Merkmale immersiven ästhetischen Erlebens im Kontext von ortsreflektierenden Kunstprozessen. Und diese lassen sich sowohl in der Musik als auch in der Kunst meiner Meinung nach anhand eines durch Aspekte des Poststrukturalismus erweiterten phänomenologischen Ansatzes12 präzise beschreiben. Ausgehend von der Vorstellung einer ästhetischen Erfahrung der Teil9

Henri Lefebvre: The Production of Space, Malden/Oxford/Victoria: Blackwell 1991, S. 370. 10 Knut Ove Arntzen: »Ambient Theater and Clubbing. Urban Post Mainstream«, in: Trans, Internet Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 9, Februar 2001, S. 1–8. Vgl. www.inst.at/trans/9Nr/edit9.htm vom 20. März 2007, Originalzitat in Englisch: »Clubbing is a basic concept for ambient expressions and experience which is about creating a new sense of space in theatre and the arts in general. There is an interaction between the recycling in theatre and the development towards including the club ambience in new performance. The new references in theatrical performance may be related to cultural identities of both an urban and an ethnic kind, and they are creating a new theatre of energies which can be said to be of an ambient postmainstream kind. Altogether we are now dealing with a complex of energies that are being reactivated in connection with the notion of cultural identities and subcultural expressions.« 11 Vgl. den Beitrag Ambient von Marcus Maeder. 12 Vgl. www.perform-space.net vom 16. Januar 2010. 123

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nehmenden im Kunstprozess innerhalb des reflexiv gewordenen Ortes, den die Phänomenologie auch als »gelebten Raum« bezeichnet13, können die Verbindungen zwischen Kunstobjekt, dem architektonischen Setting und der Betrachterhandlung unter den Aspekten AffizierungAffekt (Affect/Affekt), Wahrnehmungssituation-Wahrnehmung (Articulation/Artikulation) und Handlungseinrichtung-Handlung (Action/ Aktion)14 als dynamisches Wechselverhältnis verständlich gemacht werden. Durch die Beschreibung der im Kunstprozess generierten Situation als ästhetische Erfahrung ist sichergestellt, dass den Ortskonstruktionen im »gelebten Raum« auch entsprechende Körperhandlungen zugewiesen werden können.15 Dadurch beinhaltet das Sprechen von einer ästhetischen Erfahrung außerdem, dass jedes »ich« zugleich Subjekt und Objekt eines Kunstprozesses ist. Dieses Subjekt-Objekt wird zugleich affiziert und produziert als Objekt-Subjekt auch Affekte. Grundsätzlich lässt sich hier die Frage stellen, was daran neu sein soll, denn bereits unter dem Begriff »Ästhetik« ist ja die Wissenschaft sinnlicher Erkenntnis zu verstehen, wie sich in § 1 von Baumgartens theoretischer Ästhetik in den Prolegomena überprüfen lässt.16 Baumgartens Ästhetik beruht im Wesentlichen schon darauf, dass sinnliche Empfindungen, Einbildungen, Gefühle und Leidenschaften Erkenntnisse vermitteln können. Allerdings bleibt die Erkenntnis allein auf »ästhetische Gegenstände« bezogen (Baumgarten § 24). Erst der Kunst des 19./20. Jahrhunderts gelingt es, Prozesse ästhetischer Erfahrungen als Erkenntnis vermittelnd anzuerkennen. Hatten die »ästhetischen Gegenstände« der Kunst eine »ästhetische Wahrnehmung« ermöglicht, so erfordern die »ästhetischen Prozesse« der ortsreflektierenden Kunst Konstruktionen »immersiver ästhetischer Erfahrung«. Martin Seel erläutert den Unterschied folgendermaßen: »Von […] ästhetischer Wahrnehmung […] unterscheidet sich ästhetische Erfahrung dadurch, dass sie für diejenigen, die sie durchleben, zum Ereignis wird.«17 Die ortsreflektierende Kunst versucht, wie in Ansätzen auch die ortsspezi13 Dieser Begriff stammt von Elisabeth Ströker und wird im Folgenden noch ausführlich erläutert. 14 Diese Begriffe wurden im Forschungsprojekt Perform Space präzisiert. Vgl. www.perform-space.net vom 16. Januar 2010. 15 Linda Cassens Stoian: »Foregrounding Deconstruction, a Handbook for a Critical Methodology of the Artwork«, in: Performance Research Journal, Volume II.1., April 2006, S. 89–113. 16 Alexander Gottlieb Baumgarten: Theoretische Ästhetik (1750/58), übers. und hersg. v. Hans Rudolf Schweizer, Hamburg: Meiner 1983, S. 1. 17 Martin Seel: »Über die Reichweite ästhetischer Erfahrung – fünf Thesen«, in: Gert Mattenklott u. a. (Hg.), Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste: epistemische, ästhetische und religiöse Formen von Erfahrung im Vergleich, Sonderheft der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Hamburg: Meiner 2004, S. 75. 124

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fische Kunst, ästhetische Wahrnehmung18 zur immersiven ästhetischen Erfahrung zu erweitern und mit ihr eine sinnliche Erkenntnisform für Handlungsabläufe und Prozesse zu etablieren, die immer an Aspekte des Embodiment geknüpft sind.19 Und dieser Vorgang wäre dann unter dem Begriff des »Ambient« für das Feld der Kunst subsummierbar. Parallel dazu versteht auch Marcus Maeder bezogen auf die Musik unter »Ambient« Aspekte wie »Immersion und Immanenz«.20 Im Wesentlichen lassen sich drei Analyseebenen des Ortes 21, nämlich Affekt (affectedness), Artikulation (articulation) und Aktion (understanding),22 unterscheiden. Ich konzentriere mich hier auf die erste Ebene der Affizierung oder den »gestimmten Raum«. Im Gegensatz zu einem architektonischen oder mathematischen Raum23 ist das Verhalten der sich an diesem Ort Aufhaltenden »kein Wahrnehmen, kein Gewahren, kein Erkennen, es ist vielmehr ein Betroffensein. Der Ort ist gekennzeichnet durch die Fülle der Dinge, die ihn prägen, sich allerdings nicht klar von den Subjektvorstellungen abgrenzen lassen.«24 Nun lässt sich die Beschreibung der Phänomenologie des gestimmten Raums/Ortes durchaus mit der immersiven ästhetischen Erfahrung in Verbindung bringen, welche Ambient in der Kunst der Gegenwart hervorzurufen trachtet.25 Mit dem Unterschied, dass die ortsreflektierende 18 Helga de la Motte-Haber, »Ästhetische Wahrnehmung in neuen künstlerischen Kontexten, Aspekte, Thesen, unabgeschlossene Gedanken«, in: Bernd Schulz (Hg.), Resonanzen: Aspekte der Klangkunst, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Heidelberg: Kehrer 2002, S. 23. 19 Elisabeth Ströker: Investigations in Philosophy of Space, (engl. Übersetzung) Ohio: University Press 1987: »Lived Space then is based on the subject’s mode of being as a corporeal subject […]. The lived body always appears as lived body only in such comportment in a situation.« S. 16. 20 Vgl. Marcus Maeder: Ambient. 21 Ströker spricht vom »gelebten Raum«, wenn sie Ort im Sinne der Geosemiotik meint. Die Differenzierungen in Stimmungsraum, Wahrnehmungsraum und Aktionsraum der Phänomenologie sind alles Aspekte des Ortes und nicht des mathematischen Raums. Gleichwohl nutzt Ströker für beides den Begriff »Raum«. Der vorliegende Text versucht, dies zu differenzieren, indem er von »Raum/Ort« spricht, wenn der gestimmte Raum im Sinne Strökers gemeint ist. Erscheint der Begriff »Raum« allein, spreche ich immer nur in einem mathematisch, architektonischen Sinne von Raum. 22 Vgl. das Modell der Analyse performativer Arbeiten des Forschungsprojektes Perform Space auf www.perform-space.net vom 16. Januar 2010. 23 Vgl. E. Ströker: Investigations in Philosophy of Space, S. 25. 24 Vgl. Elisabeth Ströker: Philosophische Untersuchungen zum Raum, Frankfurt a.M.: Klostermann 1965, S. 32. 25 »Soll es also gelingen einen Zusammenhang von Raum und Zeit zu entdecken derart, dass zwischen ihnen nicht nur ein Koordinierungsverhältnis besteht, sondern dass sich in der Struktur des Raumes/Ortes zeitliche, in der Zeit räumliche Momente aufweisen lassen, so wird sie in jenen Gestalten gelebter Räumlichkeit und Zeitlichkeit gesucht werden müssen, die nicht gegenständlich erfasst, sondern unthetisch gehabt, die nicht gewusst, sondern vollzogen sind.« E. Ströker: Philosophische Untersuchungen zum Raum, S. 38. 125

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Kunst diese Erfahrungen herstellt und bewusst macht. Deshalb spreche ich auch von der Konstruktion einer immersiven ästhetischen Erfahrung, die sich so deutlich von der ästhetischen Erfahrung eines »gestimmten Raumes/Ortes« im Alltagserleben unterscheidet.

;OLVYPLUa\.LTLPUZJOHM[\UKRVSSLR[P]LUZVaPHSLU Praktiken in der zeitgenössischen Philosophie Die kollektiven Praktiken der Teilnehmenden sind, sowohl was Ambientmusik als auch was Ambient in der Kunst anbelangt, nicht als Akzidentien26 der ästhetischen Praxis einer »Kunst im sozialen Raum«27 misszuverstehen. Sondern ortsreflektierende Kunst ist, wie jede Kunstform, bereits ein spezifisches Feld sozialer Handlungen. Deshalb ist es sinnvoll, den drei Erscheinungsweisen von Körperhandlungen in der ortsreflektierenden Kunst, nämlich Affekt/Empfinden, Artikulation/ Wahrnehmen und Aktion/Agieren – welche wiederum auf der phänomenologischen Differenzierung in Stimmungs-, Wahrnehmungs- und Aktionsraum beruhen – unterschiedliche Formen von kollektiven sozialen Praktiken zuzuordnen. Damit finden die drei unterschiedlichen Ortskonzepte in der Kunst des Ambient ihre Entsprechungen in drei unterschiedlichen Formen von »kollektiven sozialen Praktiken« des Publikums. Raimo Tuomelas Philosophie sozialer kollektiver Praktiken scheint geeignet, auf das Feld sogenannter »partizipatorischer Praktiken«28 der Kunst der Gegenwart übertragen zu werden, um die bisherige Analyse zu ergänzen. Während der Begriff »partizipatorisch« – über alle inter- oder reaktiven Praktiken aktueller Kunst wie ein riesiger Mantel geworfen – inzwischen bedeutungslos und unpräzise erscheint, bietet Tuomelas Philosophie den Vorteil, neu unterschiedliche Grade der Involvierung in (Kunst-)Handlungen differenzieren zu können. Kunsthandlungen schaffen prinzipiell ebenso raumzeitliche Beziehungen, wie Alltagshandlungen diese innerhalb sozialer Gefüge herstellen. Auch die künstlerischen Praktiken vermitteln zwischen verschiedenen Orten und unterschiedlichen Funktionen des sozialen Apparatus. Aber 26 Wie dies etwa Nicolas Bourriaud in seiner Schrift Esthétique Relationelle (Paris 1998) vornimmt, in der er verschiedene Erscheinungsweisen der Teilnahme anhand von Arbeiten Felix Gonzales-Torres, Rikrit Tiravanija u. a. auflistet. Eine Begriffskritik leisten erstmals Rainer Bellenbaum und Sabeth Buchmann in ihrem Text: »Partizipation mit Rancière betrachtet«, in: Paradoxien der Partizipation, 31. Das Magazin des Instituts für Theorie der Zürcher Hochschule der Künste, Dezember 2008, S. 29–34. 27 Nina Möntmann: Kunst als sozialer Raum, Köln: Walther König 2002. 28 Raimo Tuomela: The Philosophy of Social Practices, A Collective Acceptance View, Cambridge: University Press 2002. 126

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die künstlerischen Praktiken generieren andere Funktionen und Funktionsweisen als dies Alltagshandlungen tun, und gerade darin liegt ihr Potential zur Veränderung von Wahrnehmungen, wie Judith Butler ganz grundsätzlich in ihrem Artikel »Performative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist Theory« bezüglich kultureller performativer Akte belegt hat. Kunsthandlungen markieren demnach ein eigenes Feld, das spezifische soziale Praktiken ausbildet. Damit sind kulturelle Formen und die darin vorgezeichneten, möglichen Aktionen ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer ebenso als Teile der gebauten Umgebung und des urbanen Raums anzuerkennen wie die Architektur oder institutionelle Orte. Diese Wechselbeziehung zwischen Setting und Subjekt in der Kunst fassen zahlreiche Autoren und Autorinnen unter dem Begriff »Partizipation« zusammen. Soll diese Verflechtung von Teilnahme und Teilhabe jedoch genauer betrachtet werden, sind weitere Unterscheidungskriterien erforderlich als diejenigen, welche bisher in der Kunsttheorie verwendet worden sind; zum Beispiel die von Tuomela vorgeschlagenen. Dieser29 geht prinzipiell davon aus, dass kollektive Intentionalität in Form von »shared we-attitudes« grundlegend für das korrekte Verständnis von sozialen Praktiken, sozialen Institutionen und des Sozialen ganz allgemein ist. Dazu gehört ebenso die quasi-axiomatische Annahme, dass kollektive Intentionalität zentral für die Ontologie der sozialen Welt ist, in welcher der Großteil des sozial Realen kollektiv konstruiert ist. Diese grundlegenden Annahmen bezeichnet er als »collective acceptance view«.30 Im Wesentlichen baut seine Theorie des sozialen Konstruktivismus darauf auf, dass zahlreiche soziale Größen und ihre Eigenschaften durch Gruppenmitglieder performativ erschaffen sind. Dabei spricht Tuomela, wenn er über diese Größen nachdenkt, von ihnen als »Artefakten«. Kollektive Intentionalität ist für Tuomela gleichbedeutend mit »geteilten we-attitudes«. Dies setzt wiederum voraus, dass menschliche Akteure gekennzeichnet werden als denkende, Absichten besitzende, fühlende, normenerfüllende und zu intentionalen Aktionen befähigte Wesen.31

29 Vgl. R. Tuomela: The Philosophy of Social Practices, S. 5. 30 Vgl. R. Tuomela: The Philosophy of Social Practices, S. 5. 31 R. Tuomela: The Philosophy of Social Practices, S. 6–7; dort wird »intentionale Aktion« definiert als: »action performed on purpose and presumed to express free will«. 127

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Abbildung 1.

Abbildung 2.

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Ambient in der Kunst der Gegenwart

+HZ7YVQLR[]VU(SPJL*YLPZJOLY(UKYLHZ:PLRTHUU\UK *OYPZ[PHU]VU)VYYPLZAuf einmal und gleichzeitig. Eine Machbarkeitsstudie. Musikalische Szenen zur arbeitsfreien Gesellschaft, Citypoint Kassel, 2007 Das City-Point-Kaufhaus in Kassel, in welchem die Arbeit von Creischer, Siekmann und Borries stattfand, ist eine Shopping-Mall nach amerikanischem Vorbild. Sie gehört der ECE-Mall. ECE ist der größte MallEntwickler Europas, der wiederum zum Otto-Konzern gehört. Die künstlerische Intervention von Creischer/Siekmann/Borries, die zweimal aufgeführt wurde (3. und 4. Juli 2007), rahmt das Alltagsverhalten von »zufällig« Teilnehmenden, nämlich von Passanten auf Einkaufstour in dieser Mall in Kassel. Durch die Imagination eines Handelns im Projekt, das die Grundparameter unserer Gesellschaft wie Ware-Arbeit-Geld verwirft, erzeugt es neu einen »dislozierten Ort« zwischen Alltagshandlung und künstlerischer Fiktion.32 Creischer/Siekmann/Borries thematisieren interessanterweise gerade den Aspekt des »Stimmungsraums« mit ihren »musikalischen Szenen«, wenn sie die Ambient-Atmosphäre eines Kaufhauses dazu nutzen, »unfreiwillige« Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ihrer »Kaufhaltung« herauszureißen. Das Alltagsgeschehen wird durch die »Ambient-Rahmung« umgekehrt und interpretiert: Das durch Licht, Töne, Farben und Formen konsumfreundlich gestaltete »Oasen-Ambiente« der Shopping-Mall zielt auf die Affizierung der Passanten und Passantinnen, um ihr Einkaufs- und Konsumverhalten anzuregen; diesen manipulativ »atmosphärisch gestimmten Raum«/Ort verändert das Projekt für kurze Zeit in einen Ort der Reflexion. Damit wird er zugleich zu einem Ort der Kritik an genau jenem Konsumverhalten, das die Ambient-Atmosphäre des Kaufhauses unterstützen soll. Wenn man so will, nutzen Creischer et al. in metaphorischem Sinne eine Collagetechnik, um die Stimmungsaspekte des Ortes zu »zerlegen« und in einen neuen Bedeutungszusammenhang einzufügen. Während die Kaufhaus-Architektur ihre Affizierungen nicht reflexiv behandelt 32 Vgl. www.artnet.de/magazine/features/bannat/bannat07-02-07.asp vom 16. Januar 2010; Christian von Borries: »Wir nennen es bewusst nicht Oper, auch wenn es innerhalb des Kunstsystems kein Problem wäre. Aus Sicht der Musik, also meiner Herkunft, würde der Gattungsbegriff ›Oper‹ eine Diskussion auslösen, die wir nicht wollen – nämlich, was heißt und was kann Oper im 21. Jahrhundert. Wir nennen es ›Musikalische Szenen‹. Es gibt eine Handlung, ein Libretto und einen Bühnenbildersatz sowie gesungenen und gesprochenen Text.« Zum musikalischen Konzept erläutert Christian von Borries: »Für mich als Musiker stellt sich da natürlich die Frage, was politische Musik war, ist und sein kann. Da gibt es ähnliche Rückbezüge wie etwa bei Andreas auf die politisch engagierten Maler der 1920er Jahre, auf die ›Kölner Progressiven‹ Gerd Arntz und Franz Wilhelm Seiwert. Im Musikalischen würde ich so etwas als ›plug ins‹ bezeichnen, wenn etwa ›Die Internationale‹ extrem verlangsamt gespielt wird […].« Der Titel ist ein Karl-Marx-Zitat (Auf einmal und gleichzeitig). 129

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sehen will, sondern absichtlich auf einer »unbewussten« Ebene belässt, »zerlegt« das künstlerische Verfahren genau diesen affizierenden Ort, damit die Teilnehmenden auf Funktionsweisen des Konsums treffen, die sie normalerweise »übersehen«. Kennzeichnend für eine Ortsreflexion wie im künstlerischen Projekt Auf einmal und gleichzeitig ist, dass also ein bestimmter »performativer Akt« – wie das Kaufverhalten der Passanten – in Reflexions-Handlungen der Teilnahme an einem Kunstprozess umgewandelt werden. Creischers/ Siekmann/Borries »Ambient-Atmosphäre« stellt die Umkehrung von Entwürfen des Raums unter dem Signum einer »Ökonomie der Performance« dar. Denn der Begriff »Atmosphäre avancierte in den neunziger Jahren zu einer zentralen ästhetischen Kategorie. Der Nutzer soll zum Produkt, zur Produktmarke eine emotionale Bindung aufbauen, wobei die private Erfahrungswelt eines Techniknutzers in eine neue, nicht technische Inszenierung überführt wird […] Das Produkt ist mit den Atmosphären so verbunden, dass sein Erwerb zu ihrer Aufrechterhaltung oder Aneignung notwendig wird. Dies wird als performative Qualität von Produkten kommuniziert […]. Der Konsument erlebt sich in dieser Konsumption als aktiven Produzenten seiner selbst. Die Performance der Ökonomie erzeugt eine neue Ökonomie der Performance.«33

Wie allgegenwärtig in den 1990ern diese Kunst-Konsum-Idee war, mag das Beispiel des Arts Council England (ACE) belegen, der per Dekret 2003 erklärte, die zeitgenössische englische Kunstlandschaft nach dem Bilde des »Neuen Kunstkonsumenten«34 umformen zu wollen. Die Teilnahmeform am Kunstprozess in Auf einmal und gleichzeitig nimmt direkt auf »we-wants« kollektiver Praktiken, die sich in der Waren- und Konsumwelt etabliert haben, Bezug. Fordert aber die »Ambient«-Atmosphäre im Kaufhaus zufällige Passanten dazu auf, zu konsumieren, so produziert »Ambient« im Projekt von Creischer/ Siekmann/Borries Teilhabe an der Reflexion und Teilnahme am Unterbrechen des Konsumierens. Teilhabe und Teilnahme sind zwei Seiten derselben ästhetischen Handlungsstruktur.

33 Olaf Nicolai: »Die Kunst, der öffentliche Raum, das Genießen und die Kritik«, in: Florian Matzner (Hg.), Public Art: Kunst im Öffentlichen Raum, Ostfildern/Ruit: Hatje Cantz 2004, S. 179–183, S. 181. 34 »New Art Consumers NAC«; vgl. Anthony Davies: »Back to Basics. Posteuphorische Tendenzen in Wirtschaft, Kunst und Aktivismus«, in: Texte zur Kunst. Neokonservatismus, September 2004, 14. Jahrgang, Heft 55, S. 55–71, S. 63. 130

Ambient in der Kunst der Gegenwart

Abbildung 3. Einerseits bezeichnet Teilhabe das künstlerische Setting, das es ermöglicht, eine Erfahrung, Handlung oder Wahrnehmung mit einer Gruppe zu teilen. Dies bezeichnen Creischer und Siekmann selbst als »Hegemonie«. »Teilhabe« benennt die Ermächtigung, für und vor anderen zu sprechen. »Teilnahme« bezeichnet umgekehrt die Haltungen und Handlungen der unterschiedlichen Publica bezüglich der Art und Weise ihrer Involvierung in die künstlerischen Praktiken.35 Von Teilhabe und 35 Vgl. Habilitationsschrift Sabine Gebhardt Fink »Ambient«, Ruhr Universität Bochum (Publikation in Vorbereitung). 131

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Teilnahme zu sprechen scheint dem Projekt angemessener als in Nicolas Bourriauds Worten von einer »relationalen Ästhetik.« 36 Führt dieser doch gerade Formen einer rein oberflächlichen, aktivistischen Partizipation als beispielhaft vor. Dies wurde schon verschiedentlich kritisiert.37 Besonders treffend ist der Einwand Stefan Neuners gegen Bourriaud: »Unter diesen Vorzeichen, [nämlich – Ergänzung der Autorin] Bourriauds Relations-Paradigma zeitgenössischer […] Kunst, verengt sich allerdings der Blick auf Partizipation. Der Begriff droht schlechterdings zu einem Synonym für eine – unproblematisch und konfliktfrei verstandene – Gemeinschaftsbildung zu werden.«38

Statt von »relationaler Ästhetik« von Teilnahme und Teilhabe zu sprechen, scheint etwas bescheiden, aber entgeht auch gescheiterten Kategorisierungsversuchen wie die der »neo-konzeptionellen Wende« der 90er Jahre-Kunst. Indem mit der »Institutionalisierung institutionskritischer Kunst« der »Angriff auf autonome Kunstproduktion, verbunden mit Forderungen nach kontextuellen, ortsspezifischen Verfahrensweisen der dokumentierenden Recherche und des politischen Engagements«39 stattgefunden habe, sei die »neue« Institutionskritik bereits wieder passé, glaubt Achim Hochdörfer. Demgegenüber geht es der ortsreflektierenden Kunst und ihren komplexen Formen der Teilnahme und Teilhabe um eine »Umkehrung der Relation Alltagshandlung/KunstHandlung«, nicht um einen »Fortschritt der Kunststile«. Durch die Analyse der technischen Verfahren und künstlerischen Anliegen bei Auf einmal und gleichzeitig lassen sich diese von Bourriauds »relationalen 36 Bourriaud bezeichnet denn auch die 1990er-Kunst als interaktiv, Nutzer-freundlich und relational, in: Ders.: »Foreword«, in: Relational Aesthetics, engl. Übersetzung von Simon Pleasance und Fronza Woods, with participation of Mathieu Copeland, Paris: Presses du réel 2002, S. 8. 37 Vgl. Alice Creischer: »Unsere Frage war, inwiefern die Annahme der Möglichkeit einer wie auch immer gewichteten gesellschaftlichen Einflussnahme durch öffentliches Sprechen als eine Art Sinnhorizont (oder präsenter Sinnverlust) der eigenen Arbeit bestehen bleiben muss?«, in: Dies.: »Gewalt ist der Rand aller Dinge. Subjektverhältnisse, politische Militanz und künstlerische Vorgehensweisen«, in: Katalog Generali Foundation, verlegt von Sabine Breitwieser, Wien/Köln: Walther König 2002, S. 68. 38 Stefan Neuner: »Paradoxien der Partizipation. Zur Einführung«, in: 31 Das Magazin des Instituts für Theorie, No. 10/11 (Dezember 2007), Paradoxien der Partizipation, S. 4–6, S. 4. 39 Achim Hochdörfer: »Die Ölpest der Institutionskritik«, in: Texte zur Kunst, März 2007, 17. Jahrgang, Heft 65, S. 228–230, S. 228. Auch im Editorial der Springerin 01/08 klingt an, dass jede engagierte »Kritik« aufs engste mit dem von ihr kritisierten Gegenstand in Form eines dialektischen Gegenentwurfs verflochten bleibt: »Remapping Critique fragt nach dem spezifischen Gefälle, das sich zwischen Kritik, Kritisiertem und den dabei häufig in Aussicht gestellten (positiven) Gegenbildern auftut.« Zitiert nach: Editorial Springerin, Band 14, Heft 1, Winter 2008, Remapping Critique, S. 3. 132

Ambient in der Kunst der Gegenwart

Kunstwerken«40 deutlich abgrenzen. Den Unterschied machen, um es nochmals zu wiederholen, die eingesetzten Methoden, Erscheinungsformen und ästhetischen Strukturen aus.41 Schafft demnach die ortsreflektierende Kunst, Ambient im Feld der Gegenwartskunst, das »Andere« der »Partizipationskunst«? Renée Green verwirft diese Idee unter dem Verdacht einer der »kulturellen Industrie« zudienenden Unterscheidung. Sobald ein »Anders-Sein« von außen zugewiesen wird, sei die Differenzbildung kein selbstermächtigtes Handeln mehr. Differenz jedoch »impliziert die Artikulation der eigenen komplexen Position in Relation zur Matrix kultureller, politischer und sozialer Verhältnisse«42. Und genau um diese selbstermächtigte Form von Teilnahme und Teilhabe ist es Auf einmal und gleichzeitig wie der Kunst des Ambient in den 1990er Jahren bis Mitte der 2000er Jahre zu tun.43

Literatur Arntzen, Knut Ove: «Ambient Theater and Clubbing. Urban Post Mainstream«, in: Trans, Internet Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 9, Februar 2001, S. 1–8. Vgl. www.inst.at/trans/9Nr/edit9.htm vom 20. März 2007. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: C. H. Beck 1999. Baumgarten, Alexander Gottlieb: Theoretische Ästhetik [1750/58], übers. und hersg. v. Hans Rudolf Schweizer, Hamburg: Meiner 1983. Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, München: Fink 2006. Böhme, Gernot: «Architektur und Atmosphäre«, in: Produktion von Präsenz, Archplus 178, Juni 2006, S. 42-45.

40 N. Bourriaud: Relational Aesthetics, S. 8. Zu Vanessa Beecroft schreibt er dort: »some twenty women dressed in the same way, complete with a red wig, and the visitor merely gets a glimpse of them trough the doorway.« 41 Alice Creischer/Andreas Siekmann: »Einführung«, in: Dies. (Hg.): »Die Gewalt ist der Rand aller Dinge. Subjektverhältnisse, politische Militanz und künstlerische Vorgehensweisen«, S. 13. 42 Renée Green: »I Wont Play other to your Same«, in: Texte zur Kunst. Sommer 1991, 1. Jahrgang, 3. Heft, S. 77–78. 43 Creischer/Siekmann kritisieren direkt den Utilitarismus »sozialer Interventionen« in einer konsumorientierten Public Art in der Kunst der 1990er Jahre, vgl. A. Creischer/A. Siekmann: Gewalt ist der Rand aller Dinge, S. 25. 133

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Bourriaud, Nicolas: Esthéthique Relationelle, Paris: Presses du réel 1998. Bourriaud, Nicolas: «Foreword«, in: Relational Aesthetics, engl. Übersetzung von Simon Pleasance und Fronza Woods, with participation of Mathieu Copeland, Paris: Presses du réel 2002. Buchmann, Sabeth und Bellenbaum, Rainer: «Partizipation mit Rancière betrachtet«, in: Paradoxien der Partizipation, 31. Das Magazin des Instituts für Theorie der Zürcher Hochschule der Künste, Dezember 2008, S. 29–34. Creischer, Alice: «Gewalt ist der Rand aller Dinge. Subjektverhältnisse, politische Militanz und künstlerische Vorgehensweisen«, in: Katalog Generali Foundation, verlegt von Sabine Breitwieser, Wien/Köln: Walther König 2002. Davies, Anthony: «Back to Basics. Posteuphorische Tendenzen in Wirtschaft, Kunst und Aktivismus«, in: Texte zur Kunst. Neokonservatismus, September 2004, 14. Jahrgang, Heft 55, S. 55–71. De la Motte-Haber, Helga: «Ästhetische Wahrnehmung in neuen künstlerischen Kontexten, Aspekte, Thesen, unabgeschlossene Gedanken«, in: Bernd Schulz (Hg.), Resonanzen: Aspekte der Klangkunst, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Heidelberg: Kehrer 2002, S. 23. Diaconu, Madalina: Tasten, Riechen, Schmecken, eine Ästhetik der anästhesierten Sinne, Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. Green, Renée: »I Wont Play other to your Same«, in: Texte zur Kunst. Sommer 1991, 1. Jahrgang, 3. Heft, S. 77–78. Hochdörfer, Achim: »Die Ölpest der Institutionskritik«, in: Texte zur Kunst, März 2007, 17. Jahrgang, Heft 65, S. 228–230. Lefebvre, Henri: The Production of Space, Malden/Oxford/Victoria: Blackwell 1991. Neuner, Stefan: »Paradoxien der Partizipation. Zur Einführung«, in: 31 Das Magazin des Instituts für Theorie, No. 10/11 (Dezember 2007), Paradoxien der Partizipation, S. 4–6.

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Nicolai, Olaf: »Die Kunst, der öffentliche Raum, das Genießen und die Kritik«, in: Florian Matzner (Hg.), Public Art: Kunst im Öffentlichen Raum, Ostfildern/Ruit: Hatje Cantz 2004, S. 179–183. McCarthy, Anna: Ambient Television: Visual Culture and Public Space, Durham N.C.: Duke University Press 2001. Möntmann, Nina: Kunst als sozialer Raum, Köln: Walther König 2002. Schmitz, Hermann: Was ist Neue Phänomenologie?, Rostock: Koch Verlag 2003. Schmitz, Hermann: System der Philosophie, Bonn: Bouvier Verlag 2005. Editorial, in: Springerin, Band 14, Heft 1, Winter 2008, Remapping Critique, S. 3. Ströker, Elisabeth: Philosophische Untersuchungen zum Raum, Frankfurt a.M.: Klostermann 1965. Ströker, Elisabeth: Investigations in Philosophy of Space, (engl. Übersetzung) Ohio: University Press 1987. Tuomela, Raimo: The Philosophy of Social Practices. A Collective Acceptance View, Cambridge: University Press 2002.

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Abbildung 1. Kompass von Nautikern im Indischen Ozean.

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung Nils Röller

Welche Form der Orientierung führen Werkzeuge oder Messinstrumente mit sich? Sind diese Orientierungen produktiv für das Verständnis von klanglichen Milieus? Diesen Fragen nähert sich der folgende Beitrag unter der Voraussetzung, dass ein Milieu verstanden werden kann als ein Handlungsfeld, in dem Wahrnehmungen von Raum und Zeit spezifisch gekoppelt sind. Diese Koppelung soll hier mittels der Geschichte des Kompasses erschlossen werden. Zuerst steht der Kompass als Mittel räumlicher Orientierung im Vordergrund, und damit sein Beitrag für das Verständnis der räumlichen Komponente des Worts »Milieu«1. Dies wird dann ergänzt durch die Entdeckung zeitlicher Abhängigkeiten bei der Beobachtung von Kompassen. Sie bereiten ein Verständnis der zeitlichen Aspekte einer Mitte vor, die als Klangmilieu, als »Milieu Sonore« in diesem Band unter dem Vorzeichen des Klangs und damit eines zeitbasierten Ausdrucks gedacht wird. Die Aufwertung zeitlicher Faktoren geht einher mit einer Erweiterung der Metapher des Kompasses hin zur Orientierung in der Selbstwahrnehmung. Eine leitende Überlegung ist dabei, dass sich das Verständnis von Raum und Zeit in der Geschichte des Kompasses verändert hat. In der frühen Neuzeit, als Kolumbus mit Hilfe des Kompasses den Atlantik überqueren konnte, hatte der Raum den Charakter eines Behältnisses, in dem etwas geschehen kann. Etwas drastisch spricht der Mathematiker Hermann Weyl (1885–1955) von der Vorstellung des Raums als Mietskaserne, in die Ereignisse einziehen.2 Diese Vorstellung ändert sich im 20. 1

2

Der »Grand Robert de la langue Francaise« (Paris: Dictionnaires le Robert, 2001) leitet das französische »milieu« von »milieu«, d. h. Mitte des Orts, her. Demnach überwiegt bei der Genese des Worts die räumliche Komponente, die dann auf die zeitliche übertragen wird. Hermann Weyl: Mathematische Analyse des Raumproblems. Vorlesungen gehalten in Barcelona und Madrid, Berlin 1923, zitiert nach: Ernst Cassirer: »Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum – Aussprache« Korrekt NR, in: Ders.: Form, Technik, Sprache. Hamburg: Meiner 1985, S. 113. 137

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Jahrhundert durch Einsteins Relativitätstheorie. Raum und Zeit werden konstruktive Medien, deren wesentliche Voraussetzung mathematische Maßverhältnisse sind. Im Kontext der Relativitätstheorie wird auch der klassische Kompass durch Kreiselkompasse, die unabhängig vom Magnetfeld der Erde Richtungen angeben, abgelöst.3 Bis dahin war der Kompass in Europa primär ein Instrument, das visuell abgelesen wurde. Nun werden auch akustische Übersetzungen von Richtungsangaben üblich: Ein »Mutterkompass« im Inneren eines Schiffes leitet dabei die Richtungsangaben an Kompasse auf der Brücke weiter. Diese Richtungsangaben können dann akustisch übersetzt werden. Der Verfasser einer Geschichte des Kompasses, Amir Aczel, beschreibt die Navigation mit einem solchen Kompass, der »tickend« orientiert: »Ein Schiff ist träge und reagiert langsam. Selbst bei gerade ausgerichtetem Ruder setzt das Schiff seine einmal begonnene Drehbewegung fort. […] Heute, viele Jahre später, habe ich noch immer das Ticken des Kompasses im Ohr, wenn das Schiff Grad um Grad herumschwang, wobei der Rhythmus des Tickens angab, wie schnell sich das Schiff drehte und wie stark ich gegensteuern musste, um der Drehbewegung Einhalt zu gebieten.«4

Die Geschichte des Kompasses kann deshalb auch als eine Bewegung der Kehren oder Subversionen räumlich-visueller in zeitlich-akustische Ordnungsmuster gedeutet werden. Mit diesem Potential zur Umkehr gewohnter Verhältnisse gewinnt der Kompass als Metapher zur Beobachtung und Beschreibung psychischer Zustände an Bedeutung und dient der Konfiguration einer psychischen Binnendynamik. Sie entwickelt sich in Abhängigkeit von der »Doppelsinnigkeit« der Technik und bietet damit Chancen zum künstlerischen Entwurf an.

Visuelle Orientierung Die erste schriftliche Quelle, die von der Kenntnis der magnetischen Richtkraft in Europa berichtet, datiert 1187. In einem Wörterbuch wird von Magnetsteinen berichtet, die Seefahrern zeigen, in welcher Richtung Norden liegt. Mitgeteilt wird die Kenntnis, dass Magnetsteine oder mit Magneten bestrichene Eisennägel, die an Fäden in der Luft schweben, sich entlang einer Nord-Süd-Linie ausrichten.5 3

4 5

Das stelle ich dar in Kapitel XI der Monografie: Magnetismus – Eine Geschichte der Orientierung. München: Fink 2010. Die Ergebnisse der Monografie habe ich für diesen Essay auf die Geschichte des Kompasses fokussiert. Amir D. Aczel: Der Kompass – Eine Erfindung verändert die Welt, Reinbek: Rowohlt 2005, S. 156. Zitiert nach A. Aczel: Der Kompass, S. 41. 138

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

Abbildung 2. Arabische und chinesische Formen magnetischer Richtungsweisung nebst europäischen Kompassen. Die magnetische Richtkraft ist die Voraussetzung für den Kompass. Der bis heute bekannte Typ, der trotz Kreiselkompass und GPS noch immer auf Hochseeschiffen mitgeführt wird, gelangte im Spätmittelalter vermutlich durch die Vermittlung arabischer Nautiker von China nach Europa.6 Ab 1300 verbreitet er sich zunächst im süditalienischen Raum. Der Aufbau eines Kompasses ist einfach, er besteht aus einer kreisrun-

6

Ich folge der Darstellung von Fuat Sezgin: Geschichte des Arabischen Schrifttums XI: Mathematische Geographie und Kartographie im Islam und ihr Fortleben im Abendland, Historische Darstellung Teil 2, Frankfurt a.M.: Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften Frankfurt a.M. 2000. 139

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den Pappe, die in 32 Grade eingeteilt ist, einer gebogenen Stahlnadel, die magnetisiert wird und dann unter der Pappe angeklebt wird und einem Stift, auf dessen Spitze Pappe und Nadel mittig platziert werden.7 Der Kompass zeigt einen Aspekt der Technisierung Europas im Hochmittelalter. Er formt Lektürekompetenzen und die Bedingungen für eine instrumentell messende Beschäftigung mit der Natur. Seeleute am Ruder der Schiffe waren in Europa weitgehend der Schrift unkundig. Sie waren es nicht gewohnt, sich nach diskreten Zeichen auszurichten und diese Orientierung nach Zeichen und Graden als lebenswichtig einzuschätzen. Lebenswichtig wird dies mit der Einführung des Kompasses und seiner Gradeinteilung. Hielt der Rudergänger bei Nacht, Nebel, Regen oder Bewölkung nicht das Schiff entsprechend der Richtung, die ihm die Grade auf der Kompassrose vorgaben, dann gefährdete er damit sein Leben und das Leben der Mannschaft.8 Im Unterschied zu den mechanischen Uhren, die im Spätmittelalter von Türmen herab akustische Signale abgaben, operiert die räumliche Orientierung anhand des Kompasses visuell und etabliert einen Modus des zielgerichteten Ablesens.9 Er ist damit ein Faktor, der die »Entwicklung der exakten Wissenschaften« in Europa befördert.10 Vom Lot, der Logleine, der Peilung nach den Sternen unterscheidet sich der Kompass durch die Genauigkeit, die er erfordert, und zwar mittels seiner Eintei7

Heinz Balmer: »Wir basteln einen Kolumbus-Kompass«, in: Schweizerische Lehrerzeitung Nr. 19. Zürich 1972; ausführlicher stellt Balmer dies dar in: Beiträge zur Geschichte der Erkenntnis des Erdmagnetismus, Aarau: Verlag H. R. Sauerländer 1956. 8 Der Respekt und der Aberglaube, der sich um dieses Gerät verdichtet, wird exemplarisch von Herman Melville in dem Roman Moby Dick beschrieben. Herman Melville: Moby Dick; oder: Der Wal, Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2004, Kapitel CXXIV – Die Nadel, S. 726ff. 9 Ernst Gerland/Friedrich Traumüller: Geschichte der physikalischen Experimentierkunst, Leipzig: Engelmann 1899, S. 81, bilden die älteste überlieferte Räderuhr, die Schweizer Fabrikat ist, ab. Sie schlug von 1348–1872 in Dover Castle die Stunden. R. Murray Schafer diskutiert in »McLuhan and Acoustic Space«, in: Gary Genosko (Hg.), Marshall McLuhan – Critical Evaluations in Cultural Theory, London 2005, die kulturgeschichtlichen Zäsuren zwischen dem visuellen Raum der Gutenberg-Ära und dem der Frühgeschichte und der elektronischen Moderne. Er weist darauf hin, dass die »militanten« Buchreligionen Islam und Christentum seit dem späten Mittelalter ihre soziale Macht mit Hilfe der Akustik, dem Gesang von Minaretten und dem Klang der Kirchenglocken organisierten. Eine Diskussion des »acoustic space« führe ich in: »Tragödie des Hörens«, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.), Aufträge (Zürcher Jahrbuch der Künste 2005), Zürich: ZHDK, 2006. 10 Für den Historiker Lewis Mumford ist die Navigation deshalb eine Voraussetzung der Genese des wissenschaftlichen Weltbilds. Lewis Mumford: Mythos der Maschine, Frankfurt a.M.: Fischer 1986, S. 357: »Die Übersee-Entdeckungsfahrten des westlichen Menschen hatte noch eine andere, oft zu wenig beachtete Auswirkung: nämlich auf die Entwicklung der exakten Wissenschaften […]. Die moderne Wissenschaft verdankt der Navigation nicht weniger als der kapitalistischen Buchhaltung; und auf dieser doppelten Grundlage entstand das abstrakte Gebäude, das im siebzehnten Jahrhundert mit der kosmischen Realität gleichgesetzt wurde.« 140

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

lung in 32 Grade. Diese Einteilung soll ihren Ursprung in der Praxis arabischer Seefahrer haben, die sich an 15 Fixsternen und zwei Himmelspolen orientierten.11 Aus der Sicht dieser Erklärung ist der Kompass Produkt eines Transfers der entwickelten arabischen Astronomie und den Standards ihrer Messung in den Bereich der Seefahrt. Im Unterschied zu mechanischen Geräten wie der Turmuhr, dem Flaschenzug, dem Wind- oder Wasserrad bleibt beim Kompass die Antriebskraft seinen Herstellern verborgen. Zwar ist der Kompass ein Artefakt, doch lässt sich kein Räderwerk, kein menschlicher oder natürlicher Antrieb ermitteln, der die Bewegungen der Nadel verursacht. Magnetberge im Norden, der Polarstern am Himmel oder besondere Würmer sollen die Anziehung des Magnetsteins erklären. Es gelingt bis zu Oerstedts Entdeckung der elektromagnetischen Wechselwirkung nicht, künstlich Magnetfelder aufzubauen, und so schert der Kompass lange Zeit aus dem Feld der menschlichen Artefakte aus; er ist für Jahrhunderte ein außerordentliches Gerät. In den Hafenstädten beobachten Kompasshersteller, dass die Nadeln ihrer Geräte nicht immer genau nach Norden weisen. Das können sie feststellen, wenn mittags die Sonne im Süden steht und ein Vergleich zwischen der Nord-Süd-Richtung der Nadel mit dem Sonnenstand möglich ist. Die Kompasshersteller führen die Abweichungen auf die mangelnde Qualität der Magnetsteine zurück, die beim Bestreichen der Kompassnadeln verwendet worden sind. Seefahrer, die in unterschiedlichen Meeren navigierten, zum Beispiel im Mittelmeer, im Atlantik oder in der Nord- und Ostsee, wussten, dass sie unterschiedliche Kompasse mit sich zu führen hatten. Denn je nach Herstellungs- und Nutzungsort wiesen die Magnetnadeln der Kompasse mehr oder weniger genau nach Norden. Das zeigen die damaligen Karten. Sie geben Kompasspeilungen und Distanzen an, die mit den örtlich benutzten Kompassen ermittelt worden sind. Da diese Kompasse je nach Gebiet versetzte Nadeln besaßen, mussten die Kompasse der Kartennutzer mit den Kompassen der Kartenmacher übereinstimmen. Das ist ein Indiz dafür, dass die Konstruktion von Räumen in funktionaler Abhängigkeit von den verwendeten Instrumenten erfolgt – in diesem Fall von Kompassen, die unterschiedlich justierte Nadeln besaßen.

11 Vgl. Fuat Sezgin: Wissenschaft und Technik im Islam, Frankfurt a.M.: Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften 2003, S. 67. 141

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Abbildung 3. Kompassrosen mit Gradeinteilungen und Schmuck.

Zeitliche Abweichung Aufmerksam wird das Verhältnis zwischen der Richtung der Magnetnadeln und den Orten, an denen sie verwendet werden, von Nürnberger Instrumentenmachern um 1500 beobachtet. Die Nürnberger verfügten durch lokale Produktionsstätten über feine Stahlnadeln; außerdem belieferten Nürnberger, die aus Interesse astronomische Messungen vornahmen und hauptberuflich zum Beispiel als Pfarrer tätig waren, europäische Höfe mit tragbaren Sonnenuhren. Diese Sonnenuhren waren mit Kompassen gekoppelt und führten zum genaueren Vergleich zwischen den geografischen Polen und den Nord-Süd-Richtungen der Kompass142

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

nadeln. Nürnberg ist ein Beispiel für die Produktivität eines spezifischen Orts, wo sich zeitweilig handwerklich-technische Kompetenzen mit wissenschaftlichen Interessen verbanden, was allerdings zunächst nicht zur Ausbildung einer Theorie führte.12 Dies geschieht erst 1600 mit dem Erscheinen von William Gilberts (1544–1603) De Magnete in London, einem Ort, an dem wissenschaftliche und wirtschaftliche Interessen die Erforschung des Magnetismus begünstigen und zudem vermehrt Daten über die Abweichung der Magnetnadel in verschiedenen Gebieten des Atlantiks zur Verfügung stehen. William Gilbert erforscht über Jahrzehnte die magnetische Kraft anhand eines kugelförmigen Magneten, den er als Analogie der Erde versteht. Gilbert vertritt die These, dass die Erde ein Magnet ist und dass die Abweichung der Kompassnadeln durch Unebenheiten auf dem Meeresgrund und der Erdoberfläche erklärt werden kann. Das stellt Gilbert experimentell nach, indem er seine »Probeerde« deformiert und mit Magnetnadeln, sogenannten »Versorien«, die Abweichung misst. Gilbert richtet zwar das Forschungsinteresse fort vom Magnetstein hin zur magnetischen Kraft, doch bleibt diese Kraft an räumliche Bedingungen gebunden. Dies ist Grundlage eines ehrgeizigen geopolitischen Vorhabens, das der Jesuit Athanasius Kircher (1601–1680) vorschlägt. Über ein Netz von Ordensbrüdern, die in verschiedenen Kontinenten tätig sind, beabsichtigt Kircher, die Abweichungen der Magnetnadeln örtlich zu beobachten und zu fixieren.13 Anhand dieser Daten soll dann eine gesetzmäßige Verteilung der Abweichung ermittelt werden. Kennt man die Abweichung eines Orts, so soll das Rückschlüsse für die Positionsbestimmung geben. Wer die Abweichung einer Kompassnadel auf See misst, der sollte bestimmen können, auf welchem Längen- und Breitengrad er sich befindet. Kircher erweiterte Überlegungen, die von Martin Cortés (1507–1582) entwickelt worden waren und seitdem von anderen Nautikern und Naturforschern geteilt wurden. Diese Hoffnungen wurden bereits 1634 durch eine Beobachtung zunichte gemacht, die den zeitlichen Aspekt aufwertet. Henry Gellibrand (1597–1636) erbringt 1634 den Beweis, dass die Abweichung in London sich im Verlaufe der Jahre ändert. Damit erweitert sich das Feld der magnetischen Erfahrungen um den Faktor der Zeit. Bisher hatte die Entdeckung der Abweichung zu Untersuchungen räumlicher Verän12 Ernst Zinner: »Die Fränkische Sternkunde im 11. bis 16. Jahrhundert«, in: XXVII. Bericht und Festbericht zum Hundertjährigen Bestehen der Naturforschenden Gesellschaft in Bamberg, Bamberg: Buch- und Kunstdruckerei J. M. Reindl 1934; Ernst Zinner: Astronomische Instrumente des 11.-18. Jahrhunderts, München: Beck 1956. 13 Michael John Gorman: »The Angel and the Compass: Athanasius Kircher’s Magnetic Geography«, in: Paula Findlen (Hg.), Athanasius Kircher – The Last Man Who Knew Everything, New York: Routledge 2004; Haun Saussy: »Magnetic Language: Athanasius Kircher and Communictaion«, in: Ebd. 143

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derungen geführt und den Austausch von Daten aus unterschiedlichen Teilen der Erde notwendig gemacht, doch nun wurde der Ertrag dieser Anstrengung relativiert, weil die zeitliche Veränderung der Abweichung nicht berücksichtigt wurde. Gellibrand verglich Daten der Abweichung der Magnetnadel aus vergangenen Jahren mit seinen eigenen Beobachtungen. Er folgert, »dass in der Spanne von 54 Jahren […] eine merkliche Verminderung um 7 Grad eingetreten ist. Wenn einige Liebhaber der magnetischen Lehre noch wünschen sollten, einen Versuch zu sehen, um sich selber zu überzeugen, ob ich recht habe, möchte ich ihnen raten, eine schöne Steinplatte waagrecht hinzulegen, wo sie unbeweglich bleiben soll. Nachdem man eine Nadel von passender Länge kräftig mit einem starken Magneten berührt hat, ziehe man danach [auf der Steinplatte] einen magnetischen Meridian und prüfe alljährlich unter Anwendung derselben Nadel, die gut vor Luft und Rost, ihren größten Feinden, bewahrt werden muss, ob die Zeit dieselbe Veränderung hervorrufen werde.«14

Zählen Seit Gellibrands Entdeckung ist das Verhalten der Kompassnadel einmal mehr suspekt geworden. Sie führt zeitliche Rhythmen mit sich, die örtliche und zeitliche Belastungen bei der zählenden Erfassung und Quantifizierung bedeuten. So scheinen sich Kompass und Erdmagnetismus der Mathematisierung zu widersetzen. Deutlich wird das in der Erkenntnistheorie Immanuel Kants (1724–1804), die den Akt des Zählens aufwertet und den Kompass als Metapher für das Verhalten in erkenntnistheoretischen Grenzbereichen verwendet. Dem Zählen weist Kant eine Funktion für das »stehende und bleibende Ich« zu.15 Der Zählakt unterscheidet diskret eine Zahl von einer anderen oder einen zukünftigen Moment sowohl von der Gegenwart als auch von der Vergangenheit. Das Zählen und die Anschauungsform der Zeit sind miteinander gekoppelt. Denn Zählen und die Unterscheidung zwischen vorher und nachher setzt die Einheit eines Ichs voraus, die allerdings erst durch die Fähigkeit zu zählen plausibel wird. Kant hat die Grenzen seines kritischen Denkens in dem Text »Was heißt: Sich im Denken orientieren?« reflektiert. An diese Grenzen gerät ein Denker, wenn er fragt, ob die Welt vernünftig von

14 Gellibrand zitiert nach: Balmer: Beiträge, S. 439. 15 Ernst Cassirer: Kants Leben und Lehre [1918]. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994, S. 211. Cassirer diskutiert dort: Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. In: Werke in zehn Bänden. Hg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983, Bd. 3, S. 165/A 104. 144

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

Gott eingerichtet worden ist. In diesem Grenzgebiet, in das ein »spekulativer Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien« begeben kann, empfiehlt Kant den Kompass.16 Es ist das Gerät, dem man vertraut, dessen Funktionsweise man jedoch nicht im Sinne der naturwissenschaftlichen »theoria« einsieht – im Unterschied zu mathematischen Instrumenten und Methoden wie der Richtschnur und dem Zählen. In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gewinnt die mathematisch-numerische Erfassung des Erdmagnetismus eine neue Qualität. Alexander von Humboldt (1769–1859) beschreibt sie so: »Diese Belebung nahm in dem neunzehnten Jahrhundert, von welchem nur erst eine Hälfte verflossen ist, einen, von allen unterschiedenen, eigenthümlichen Charakter an. Es besteht derselbe in einem fast gleichzeitigen Fortschreiten in sämmtlichen Theilen der Lehre vom tellurischen Magnetismus: umfassend die numerische Bestimmung der Intensität der Kraft, der Inclination und der Abweichung; in physikalischen Entdeckungen der Erregung und das Maass der Vertheilung des Magnetismus; in der ersten und glänzenden Entwerfung einer Theorie des tellurischen Magnetismus von Friedrich Gauß, auf strenge mathematische Gedankenverbindungen gegründet. Die Mittel, welche zu diesen Ergebnissen führten, waren: Vervollkommnung der Instrumente und der Methoden; wissenschaftliche Expeditionen zur See, in Zahl und Grösse, wie sie kein anderes Jahrhundert gesehen: sorgfältig ausgerüstet auf Kosten der Regierungen, begünstigt durch glückliche Auswahl der Führer und der sie begleitenden Beobachter; einige Landreisen, welche tief in das Innere der Continente eingedrungen, die Phänomene des tellurischen Magnetismus aufklären konnten; eine grosse Zahl fixer Stationen, theilweise in beiden Hemisphären, nach correspondirenden Orts-Breiten und oft in fast antipodischen Längen gegründet. Diese magnetischen und zugleich meteorologischen Observatorien bilden gleichsam ein Netz über die Erdfläche.«

Ebenfalls im neunzehnten Jahrhundert entdeckt der Schweizer Astronom Rudolf Wolf (1816–1893) eine Verbindung zwischen den zeitlichen Veränderungen der Abweichung der Magnetnadel und den Sonnenflecken. Voraussetzung für Wolfs Entdeckung ist die Zählung der Sonnenflecken, die der deutsche Apotheker Samuel Heinrich Schwabe (1789–1826) über Jahrzehnte unternahm und als Perioden deutete. In diesem Sinne führt die Entdeckung der magnetischen Abweichung zu extremen Untersuchungen, einmal hinsichtlich der langen Perioden der

16 Immanuel Kant: »Was heißt: Sich im Denken orientieren?«, in: Werke (Weischedel), Bd. 5, S. 277/A 320; siehe dazu: Nils Röller: »Thinking with Instruments: The Example of Kant’s Compass«, in: Siegfried Zielinski/Eckhard Fürlus (Hg.), Variantology 3, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2007. 145

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Beobachtung und dann durch die Herstellung der Relation zwischen dem physikalischen Geschehen auf der Sonne und dem Verhalten der magnetischen Zeiger auf der Erde. Die wissenschaftliche Datenerhebung führt allgemein zu einer Diskretisierung, das heißt zur einer Darstellung von Phänomenen wie Magnetismus mittels diskreter Zeichen der Mathematik. Durch die Möglichkeit, magnetische Phänomene mit galvanischem Strom zu erzeugen, wird der Magnetismus zu einem Phänomen, über das die Kompasse, die zur Richtungsweisung benutzt werden, nur noch beschränkt Auskunft geben. Weitaus produktiver ist eine sich global und langfristig organisierende Forschung, die sich vermehrt mittels geeigneter Apparaturen wie dem Telegrafen koordiniert und normiert. Der Telegraf von Gaus und Steinheil verbindet zunächst die beiden Forscher in Göttingen, dann vernetzt er auch die Beobachter von Magnetnadeln an entlegenen Orten. Diese Entwicklung zur planvollen, mit Apparaten strukturierten Forschung führt zu Veränderungen, die mit dem Begriff der »Subversion« beschrieben werden können. Subversion verstanden als Umkehrung im Unterschied zur Revolution als Umwälzung. Versorien (von lat. »vertere«) nannte Gilbert die magnetischen Nadeln, mit denen er nachwies, dass die magnetische Kraft nicht im Himmel, sondern im Inneren der Erde lokalisiert werden sollte. Gilbert kehrt damit die räumliche Lokalisierung um.17 Im neunzehnten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis erneut, und zwar wird durch die Zählungen von Schwabe und Wolf das Forschungsinteresse von der Erde fort hin zur Sonne gerichtet. Allerdings ist diese Ausrichtung keine prinzipielle Umkehr, sondern eine partielle, die herausstellt, dass magnetische Kräfte auf der Erdoberfläche vom Erdmagnetismus und vom Sonnenmagnetismus in unterschiedlicher Intensität verändert werden. Die Beobachtungen werden quantitativ erfasst, zuerst die Anzahl der Sonnenflecken, dann die Grade der magnetischen Abweichung und schließlich die zeitliche Periode. Zählen ist zum Ordnungsprinzip magnetischer Erfahrungen geworden. Dennoch bleiben Überraschungen möglich. 1905 gelangt der französische Gelehrte Bernhard Brunhes (1869–1930) bei der Auswertung von Gesteinsproben zu dem Ergebnis, dass sich die Polarität des Erdmagnetismus mit der Zeit ändert: »Die Magnetpole der Erde wandern nicht nur, sondern es kommt mehr oder weniger regelmäßig zu ihrer totalen Umkehrung.«18

17 Das Wenden von dem, was oben ist, nach unten wird durch das lateinische Verb »subvertere«, ausgedrückt, im Unterschied zum Zurückrollen, dem »revolvere« beispielsweise einer Papyrosrolle. 18 Brunhes zitiert nach Albert Kloss, Albert: Geschichte des Magnetismus. Berlin: vde, 1994, S. 246. 146

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

Die veränderten Qualitäten der magnetischen Erfahrungen werden trotz ihrer Abstraktion auch jenseits wissenschaftlicher Diskussionen als Aufwertung zeitlicher Ordnungskategorien wahrgenommen. Adalbert Stifter (1805–1868) zum Beispiel reflektiert die Forschungen Humboldts. Er entwickelt das ästhetische Programm seiner Erzählungen Bunte Steine im Vergleich mit der fortwährenden, zeitlich intensiven Beobachtung von Magnetnadeln. Hier gewinnt die Zeit als Faktor, der zur räumlichen-visuellen Beobachtung hinzukommt, an Relevanz. Jahrzehnte später erweitern Schriftsteller der Moderne (z. B. Joyce und Proust) die Metapher des Kompasses zeitlich-akustisch und lösen damit die klassische Unterscheidung von Raum und Zeit auf. Im klassischen Verständnis der Kunsttheorie Gotthold Ephraim Lessings,19 die auch von Ezra Pound (1885–1972) rezipiert wird,20 ist die Unterscheidung zwischen raum- und zeitbasierten Künsten prinzipiell. Ein Hinweis auf den Beitrag dieser Geschichte des Kompasses zur Konzeption von Räumen, die von Formen der Zeitwahrnehmung und -Organisation durchdrungen sind, ist die Aufwertung des zeitlichen Aspekts und die wechselseitige Verknüpfung der Anschauungsformen von Raum und Zeit. Das Instrument erweist sich hier als Mittler zwischen Mensch und Natur: Zunächst führt es zur Entdeckung und Erkundung neuer Räume, dann führt es zu Beobachtungen von zeitlichen Variationen, die die Abhängigkeit der Orientierung auf der Erde vom Geschehen auf der Sonne verdeutlichen. Die zeitliche Variation erwirkt also eine Veränderung räumlicher Bezüge. Der Kompass koppelt in diesem Sinne spezifisch räumliche Bezüge mit zeitlichen. Solche instrumentell strukturierten Räume oder besser Raumzeiten sind Ordnungsmuster für Erfahrungen in der Außenwelt. Zugleich erweist sich der Kompass als »doppelsinnig«. Er verändert die Orientierung in der Binnenwelt.21 In diesem Sinne spannt ein Instrument wie der Kompass Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt, als auch Beziehungen des Menschen zu sich selbst auf. Die Mitte, die das Instrument einnimmt, ermöglicht Bewegungen in vielfältige Richtungen. 19 Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, in: Gesammelte Werke 5. Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 1990, S. 116: »Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nemlich Figuren und Farben in den Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: So können neben einander geordnete Zeichen, auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber, auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.« 20 Ezra Pound: ABC des Lesens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1967, S. 125: »Rhythmus ist eine in Zeit geschnittene Form, wie eine Zeichnung abgegrenzter Raum ist.« 21 Als einen Aspekt der Binnenwelt verstehe ich das »Imaginative«, von dem die Herausgeber im Konzept zu diesem Buch sprechen. 147

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Doppelsinnigkeit Ernst Cassirer (1874–1945) verwendet in einer Diskussion der Quantentheorie die Metapher des Kompasses. Der Atombegriff »ist nicht nur einer Landkarte zu vergleichen, die das erforschte Gebiet vollständig und übersichtlich darstellt; er gleicht weit mehr einem Kompass, der der Forschung in die Hand gegeben ist und der sie immer wieder zu fernen unbekannten Küsten leitet.«22 Naturwissenschaftliche Begriffe wie »Atom« oder »Feld« sind Symbole, die Cassirer in seiner Philosophie der symbolischen Formen unter Bezug auf Kant und Humboldt »doppelsinnig« konzipiert.23 Er setzt voraus, dass jedes Symbol in zwei Richtungen wirkt: Zum einen wirkt es in die Außenwelt des Subjekts bei der Kommunikation oder bei der Verwendung von Instrumenten. Und dann verändert es auch den Binnenbereich, das heißt die menschlichen Vorstellungen von sich selbst. Diese Denkfigur erweitert Cassirer in dem Aufsatz Form und Technik, wenn er die erkenntnistheoretische Funktion der »Zwischenstellung« von Instrumenten herausarbeitet.24 Er argumentiert, dass jede technische Entwicklung eine solche doppelte Wirkung hat, und zwar auf die umgebende Natur wie auf die Wahrnehmung des Menschen von sich selbst.25 So verändern Mikroskop und Teleskop die Wahrnehmung der Natur (Bakterien werden sichtbar, neue Sterne werden am Nachthimmel entdeckt). Zugleich beginnt der Mensch, diese Instrumente zur Selbstwahrnehmung zu nutzen. Er kann nun präziser die Funktionsweise des Auges erklären, indem er die Wirkungsweise künstlich geschliffener Linsen auf das menschliche Sehorgan überträgt. Doch der Effekt ist noch weitreichender. Indem er mit Instrumenten seine Wahrnehmung von Sternen oder Bakterien schärft, entdeckt er auch, dass die Grenzen der Wahrnehmung beweglich sind. Das führt unter anderem dazu, dass er die Grenzen zwischen dem, was er weiß, und dem, was er wissen könnte, anders zieht. Der Kompass ist deshalb auch ein Instrument, das innere und äußere Wirklichkeiten formt. Mit ihm erfährt der Mensch die Natur, aber auch sich selbst. In seinem Aufsatz spricht Cassirer von den

22 Ernst Cassirer: Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik – Historische Studien zum Kausalproblem, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1957, S. 292. 23 Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Bd. I-III, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994, Bd. I, S. 42 (u. a. zur Doppelnatur von Zeichengebilden), Bd. III, S. 544ff. (zum Feldbegriff), S. 560 (zur Auswirkung der Begriffe der modernen Physik auf den Aufbau der Geistes). 24 Ernst Cassirer: »Form und Technik«, in: Ders., Form, Technik, Sprache. Hamburg: Meiner 1985, S. 61. 25 Vgl. E. Cassirer: »Form und Technik«, S. 70ff. 148

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

»Vektorgrößen […] in der Welt des Werkzeugs«26. Das ist unter der Voraussetzung einer prinzipiellen Dynamik der Triade Mensch, Natur und Symbol oder Werkzeug als eine Welt zu verstehen, in der nicht Werke oder Artefakte an sich relevant sind, sondern ihr Gebrauch, dass heißt die zeitlich-räumlichen Veränderungen, die sie mit sich führen. Die Geschichte des Kompasses ist zum einen ein Beispiel für die Bedingtheit der Konstruktion von geografischen Räumen durch die verfügbaren Kompasse; zum anderen für die sich verändernden Auffassungen des menschlichen Selbstverständnisses. Ein Indiz dafür ist die gegenwärtige Explosion an Ratgebern, die Kompasse genannt werden und in der Regel eine Orientierung in der Welt bieten wollen, indem sie eine interne Strukturierung und Koordination des Ratsuchenden unter den Aspekten Denken und Fühlen vorschlagen. Diese Tendenz motiviert auch die Inszenierung von Kompassen in Hollywoodfilmen. Diese Entwicklungen sind bereits in den metaphorischen Explorationen des Kompasses durch Marcel Proust (1871–1922) und James Joyce (1882–1941) angelegt. Sie verdeutlichen, dass der Kompass zeitliche Dimensionen der Erkundung des Selbstverständnisses mit sich führt. In Joyce’s Finnegan’s Wake fällt die Formulierung »compass of the melos«.27 Joyce empfiehlt mit dieser Formulierung, ein zuvor erwähntes Lied als Instrument zu verstehen, mit dessen Hilfe der Leser in der »Drift« der Worte von Finnegans Wake navigieren kann. Der Roman Finnegans Wake ist ein Wortstrudel. Der erste Satz des Werks schließt an den letzten Satz an. Das Metaphernfeld ist allerdings nicht nur maritim konzipiert, sondern suggeriert Wellenund Fließbewegungen aller Art. Die Figuren und Lokalitäten werden nicht als Körper begriffen, sondern als temporäre Verdichtungen von dynamischen Prozessen. Die visuelle Begrenzung der Gegenstände, ihre optische Erscheinung wird aufgelöst. Rhythmen und zeitliche Strukturen werden aufgewertet. Rhythmen charakterisieren einzelne Figuren. Deshalb bedeutet Finnegans Wake zu lesen, die Rhythmen und Tonfolgen, die einzelne Figuren charakterisieren, zu erkennen und zu verfolgen. Ein Kompass weist den Erzähler in Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit darauf hin, dass er in einer anderen Welt lebt als die Jugend, mit der er sich verbunden fühlt. Die Einschätzung, alt oder jung zu sein, verkehrt sich aufgrund einer sprachlichen Wendung, die als Kompass verstanden wird: »Der Brief dieses erträumten Gefährten endete folgendermaßen: ›Ihr sehr ergebener junger Freund Letourville.‹ ›Junger Freund!‹ So hatte ich selbst früher in Briefen an Leute unterschrieben, die dreißig Jahre älter waren als ich, zum 26 Vgl. E. Cassirer: »Form und Technik«, S. 64. 27 James Joyce: Finnegans Wake, London: Faber and Faber 1975, S. 57. 149

Nils Röller

Beispiel Legrandin. Wie? Dieser Fahnenjunker, in dem ich einen Kameraden à la Saint Loup gesehen hatte, bezeichnete sich als mein ›junger Freund‹? Dann aber hatten sich nicht allein die militärischen Methoden seither gewandelt, sondern für Monsieur de Letourville war ich also kein Kamerad, vielmehr ein alter Herr; von Monsieur de Letourville, in dessen Gesellschaft ich mich gesehen hatte, wie ich mir selber erschien, nämlich als guter Freund, war ich also durch das Ausschlagen der Nadel eines unsichtbaren Kompasses getrennt, an den ich nicht gedacht hatte, der mir aber meinen Platz so weit entfernt von dem jungen Fahnenjunker anwies, dass ich offenbar demjenigen, der sich als mein ›junger Freund‹ bezeichnete, nunmehr als alter Herr erschien.«

Worte können also als Kompasse gedacht werden, die die zeitliche Wahrnehmung eines Subjekts umkehren. Insofern kann der Kompass in der psychischen Binnenwelt eine zeitliche Dimension mit sich führen. Das ist ein Indiz für die Erweiterung des Kompasses als Mittel der raumzeitlichen Orientierung und nicht nur der räumlichen Orientierung. Die Frage stellt sich, ob der Zeit ein Primat bei der Konstruktion zugesprochen werden muss. Martin Heidegger unterstreicht in seiner Kant-Interpretation das Primat der Zeit, wenn er herausarbeitet, dass Zählen und Zeit Voraussetzung für das Entstehen von Bild und Raum sind. Seine Analyse Kants verträgt sich in diesem Punkt mit der idealistischen Analyse Cassirers, der die Relevanz des Zählakts für die Konzeption von Kants Kritik herausarbeitet. Cassirer unterstreicht jedoch, dass jede Kunst eine spezifische Form von Raum und Zeitanschauung mit sich führt.28 Dabei betont er die »Zeit-Akzentuierung.«29 Im Kontext der gegenwärtigen Digitalisierung, das heißt der Codierung von Ausdrucksformen durch Zahlen oder auf der Ebene der Programmierung durch diskrete Zustände, stellt sich die Frage, ob Alternativen zum Primat der zählenden Auffassung von Zeit denkbar sind, ob jedes »Milieu« zunächst gezählte Zeit und mathematische Diskretion von Zuständen voraussetzt oder ob Alternativen denkbar sind. Das Interesse an Kompassen und Magnetismus lässt sich auch als Suche nach Alternativen verstehen, in denen Kontinua und nicht Diskretionen für den Entwurf von Selbstverständnis und Handlungsoptionen dienen. Allerdings ist dieses Interesse naiv, wenn es die erkenntnistheoretische Bedeutung von Zahlen leugnet. Die Exploration von primär zeitbasierten Künsten wie der Musik in Hinblick auf ihre Möglichkeiten, Zeit zu strukturieren und dabei Diskretionen in der Verwendung von Instrumenten und nicht nur entsprechend der Reihe der natürlichen Zahlen vorzunehmen, halte ich für aussichtsreicher. Diese Erkundung setzt voraus, dass Instrumente unabhängig von ihrem Zweck, etwas darzustellen, abzubilden oder etwas 28 Vgl. E. Cassirer: »Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum«, S. 109f. 29 Vgl. E. Cassirer: »Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum«, S. 113. 150

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

zu messen, was außerhalb von ihnen ist, erkundet werden. Dies kann in historischen Rekonstruktionen oder in künstlerischen Prozessen geschehen, indem sie als »reine Mittel« exploriert werden.

Reine Mittel Ein »Milieu Sonore« verstehe ich vor diesem Hintergrund als Begriff, der zur Projektion einlädt, und zwar zu einer Vorstellung des Verhältnisses zwischen Mensch, Instrument und Umwelt unter besonderer Betonung klanglicher Akzente. Klänge – so unterstreichen Lessings und Pounds Definitionen – sind zeitbasiert.30 Insofern generieren und modulieren klangliche Akzente Zeiterfahrungen. Das impliziert projektiv, dass Subjekte prinzipiell unvollständig sind und erst durch eine Zielsetzung zentrale philosophische Begriffe wie »Freiheit« und »Menschheit« im geschichtlichen Prozess realisieren können. Idealistisch ist diese Annahme aufgrund der Aufwertung von Symbolen. Sie argumentiert mit der Annahme, dass Symbole produktiv werden und Menschen aus ihrer jeweiligen Beschränktheit herausführen können. Symbolen und damit Instrumenten ist also ein Drall oder ein Bewegungspotential eigen, das das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zu seiner Außenwelt modulieren kann. Ein »Milieu Sonore« verstehe ich deshalb als Nische, in der solche Modulationen erfolgen können. Milieu bezeichnet hier dann nicht mehr die Mitte einer Lokalität, sondern eine Erfahrung, die durch Instrumente bestimmt wird, von denen ausgehend Wahrnehmungen von Raum und Zeit aufgespannt werden. Die Autonomisierung von Bild31, Ton und Schrift im 20. Jahrhundert hat Ansätze dazu entwickelt. Die Ästhetik von Barnett Newman oder von John Cage schlägt eine Aufwertung von Ausdrucksmitteln gegenüber dem kompositorischen Willen vor,32 während die Poetologie von Edmond Jabès eine gezielte Unterwerfung des Schriftstellers unter seine Ausdrucksmittel würdigt.33 Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die Relation von Darstellungsmittel und Zweck zugunsten einer Exploration des Potentials von Bild, Klang und Schrift zur Orientierung oder Konstruktion von Fühlen,

30 Vgl. G. E. Lessing: Laookoon, S. 116; und: E. Pound: ABC, S. 125. 31 Jürgen Blasius: »Einleitung«, in: Volker Bohn (Hg.): Bildlichkeit – Internationale Beiträge zur Poetik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 8: »Die Autonomisierung der Bildlichkeit als Kennzeichen der Moderne bedeutet, dass das Bild seine Vermittlungsfunktion zwischen Innen und Aussen, zwischen Mensch und Welt im Prinzip verliert.« 32 John Cage: Für die Vögel – Im Gespräch mit Daniel Charles, Berlin: Merve 1984, S. 79ff. 33 Felix Philipp Ingold : »Schreiben heißt geschrieben werden (Zu Edmond Jabès), in: Im Namen des Autors – Arbeiten für die Kunst und Literatur, München: Fink 2004. 151

Nils Röller

Denken und Handeln suspendieren. Eine solche Exploration fasst Mittel »rein« auf. Rein bedeutet hier frei von Verwendungszwecken, als Selbstzweck. Während in wissenschaftlichen Milieus Messinstrumente zweckgebunden zur Konstruktion von Theorien und damit der Vorhersage und Erfassung von Prozessen dienen oder in der Seefahrt der optisch informierende Kompass sonifiziert wird, um eindringlicher das Steuern nach gesetzten Zielen durchzusetzen, setzen Ausdrucksmaterien oder Instrumente als reine Mittel in geeigneten Situationen, in denen die Ziele und Zwecke der Instrumente suspendiert werden, Erfahrungen frei.34 Das sind primär Zeiterfahrungen wie Dauer oder Plötzlichkeit. Dieser jähe Wechsel, der zum Beispiel beim Betrachten eines Bildes aus der Serie Onement von Barnett Newman eintritt, wenn der Standpunkt verlagert wird, ist auch übertragbar auf Erfahrungen, die von Computern strukturiert werden, zum Beispiel wenn Valentina Vuksic den Klang von Computerfestplatten verstärkt und durch einen Zufallsgenerator mit Strom versorgt.35 2004 präsentierte die Künstlerin erstmals ein Set von Computerfestplatten, die in unterschiedlichen Abständen Strom erhalten und zu arbeiten beginnen. Die Arbeit führt vor, dass die Hardware selbst Klang erzeugt. Ihre Rhythmik und Tonalität gibt den Betrachtern und Zuhörern Rätsel auf, da der Klang strukturiert erscheint, also einer Ordnung entspringt, die sich nicht sofort erschließt. Der Computer wird so als ein geordnetes, aber fremdes System erfahrbar, das Staunen weckt wie in archaischen Zeiten die kosmische Ordnung der Himmelskörper. Er ist aus seinem Gehäuse geschält worden, die Konstruktion von Festplatte und Lesearm wurde offengelegt. Damit werden die Projektionen entkernt, die mit dem Computer verknüpft sind. Er wird erfahrbar als sich autonom bewegende Entität, er wirkt als Objekt, ohne dass klar ist, wie er sich zu welchem Zweck bewegt. Für einen Augenblick sind die Zugriffe der Kalkulation auf unsere Welt, aber auch die rechnenden Beobachtungen in unseren Köpfen suspendiert durch die Attraktion des Geräts, das sich von selbst zu bewegen scheint. Der Vergleich von Vuksic’s Arbeit Harddisko mit der kosmischen Ordnung der Himmelskörper projiziert den Gedanken der Ordnung auf die menschliche Kultur und ihre Artefakte. Er verliert seine konservative Konnotation, wenn Kultur als Projekt gedacht wird, das gemeinsam entwickelt werden kann. Gemeinsamkeit setzt voraus, dass die Mittel, mit denen eine Kultur ihr 34 Ab diesem Passus verstehe ich unter »Instrument« nicht mehr nur das Messinstrument, sondern auch Musikinstrumente und Arbeitsmittel wie Pinsel, Bürste oder Lappen. 35 Valentina Vuksic: »Harddisko«, in: Christian Hübler u. a.: Mediale Kunst Zürich – 13 Positionen aus dem Studienbereich Neue Medien, Zürich: Scheidegger und Spiess 2008. 152

Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

Selbstverständnis organisiert, als relativ betrachtet werden und nicht als absolut.

Abbildung 4. Valentina Vuksic: Harddisko, 2004. Künstlerische Explorationen dieser Art sensibilisieren für mögliche Subversionen des Verhältnisses von Mensch und Natur. Der künstlerischen Erkundung von Instrumenten in bestimmten Milieus kann dabei eine Schlüsselstellung zukommen. Denn in Instrumenten haben sich kulturelle Praxen, aber auch Naturgesetze verdichtet, die den Horizont eines einzelnen Subjekts oder einer Kultur erweitern, wenn sie expliziert werden, zum Beispiel durch geschichtliche Rekonstruktionen oder durch künstlerische Erkundungen. Das möchte ich so rekapitulieren: Instrumente (wie der Kompass) entwickeln sich als Mittel zur Erkundung der Umwelt oder der Natur. Diese Erkundung führt zur Entdeckung von Gesetzen, die wiederum die Konstruktion von Artefakten wie die Braun’sche Röhre, das Tonband oder den Computer ermöglichen. Suspendiert man diese Artefakte von ihrem Zweck und erkundet man sie als reine Mittel, dann lässt sich entdecken, dass das Verhältnis von Mensch, Instrument und Natur variabel ist. Das kann dazu führen, dass sich Menschen relational unter Kenntnis ihrer apparativen und natürlichen Bedingtheiten definieren. Subversiv ist daran, dass Instrumente und Zeichen als Faktoren der Konstruktion von Welt und Selbst aufgewertet werden, während die Vorstellung des Subjekts als Autor und Urheber abgewertet wird. Diese Abwertung und Einsicht in die 153

Nils Röller

eigene Unvollkommenheit und Unvollständigkeit ist Voraussetzung für Formen der Projektion und der Entwicklung. Die Projektion von Ideen für das künftige Verhältnis von Mensch, Natur und Instrument setzt Zeiträume des Entwerfens und Entwickelns voraus. Der Ausdruck »Zeitraum« illustriert die Herausforderung, Zeitwahrnehmungen sprachlich erfassen zu müssen. Sie werden meist ähnlich wie psychische Phänomene in Anlehnung an Ausdrücke der räumlichen Erfahrungen formuliert. Von »Milieux Sonores« zu sprechen, das verstehe ich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen als Aufforderung, Formulierungen aus dem Bereich der Klangkunst und der Musik im Allgemeinen zu nutzen, um die Erfahrung der Dimension der Zeit zu entwickeln und experimentell zu erkunden.

Literatur Aczel, Amir D.: Der Kompass – Eine Erfindung verändert die Welt, Reinbek: Rowohlt 2005. Balmer, Heinz: »Wir basteln einen Kolumbus-Kompass«, in: Schweizerische Lehrerzeitung Nr. 19, Zürich 1972. Balmer, Heinz: Beiträge zur Geschichte der Erkenntnis des Erdmagnetismus, Aarau: Verlag H. R. Sauerländer 1956. Blasius, Jürgen: »Einleitung«, in: Volker Bohn (Hg.): Bildlichkeit – Internationale Beiträge zur Poetik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990. Cage, John: Für die Vögel – Im Gespräch mit Daniel Charles, Berlin: Merve 1984. Cassirer, Ernst: Kants Leben und Lehre, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen Bd.I–III, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. Cassirer, Ernst: »Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum – Aussprache«, in: Form, Technik, Sprache, Hamburg: Meiner 1985. Cassirer, Ernst: »Form und Technik«, in: Form, Technik, Sprache, Hamburg: Meiner 1985.

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Der Kompass als Mittel raumzeitlicher Orientierung

Cassirer, Ernst: Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik – Historische Studien zum Kausalproblem, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1957. Gerland, Ernst/Traumüller, Friedrich: Geschichte der physikalischen Experimentierkunst, Leipzig: Engelmann 1899. Gorman, Michael John: »The Angel and the Compass: Athanasius Kircher’s Magnetic Geography«, in: Paula Findlen (Hg.), Athanasius Kircher – The Last Man who Knew Everything, New York: Routledge 2004. Ingold, Felix Philipp: »Schreiben heißt geschrieben werden. Zu Edmond Jabès, in: Im Namen des Autors – Arbeiten für die Kunst und Literatur, München: Fink 2004. Joyce, James: Finnegans Wake, London: Faber and Faber 1975. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, in: Werke in zehn Bänden. Hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983. Kant, Immanuel: Was heißt: Sich im Denken orientieren?, in: Werke in zehn Bänden. Hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Kloss, Albert: Geschichte des Magnetismus. Berlin: vde, 1994 Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, in: Gesammelte Werke 5, Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 1990. Melville, Herman: Moby Dick; oder: Der Wal, Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2004. Mumford, Lewis: Mythos der Maschine, Frankfurt a.M.: Fischer 1986. Pound, Ezra: ABC des Lesens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1967. Röller, Nils: Magnetismus – Eine Geschichte der Orientierung, München: Fink 2010. Röller, Nils: »Tragödie des Hörens«, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.): Aufträge (Zürcher Jahrbuch der Künste 2005), Zürich: ZHDK 2006.

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Nils Röller

Röller, Nils: »Thinking with Instruments: The Example of Kant’s Compass«, in: Siegfried Zielinski/Eckhard Fürlus (Hg.): Variantology 3, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2007. Schaffer, R. Murray: »McLuhan and Acoustic Space«, in: Gary Genosko (Hg.): Marshall McLuhan – Critical Evaluations in Cultural Theory, London: Routledge 2005. Saussy, Haun: »Magnetic Language: Athanasius Kircher and Communictaion«. in: Paula Findlen (Hg.), Athanasius Kircher – The Last Man Who Knew Everything, New York: Routledge 2004. Sezgin, Fuat: Geschichte des Arabischen Schrifttums XI: Mathematische Geographie und Kartographie im Islam und ihr Fortleben im Abendland. Historische Darstellung Teil 2, Frankfurt a.M.: Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften Frankfurt a.M. 2000. Sezgin, Fuat: Wissenschaft und Technik im Islam, Frankfurt a.M.: Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften 2003. Vuksic, Valentina: »Harddisko«, in: Christian Hübler u. a. (Hg.): Mediale Kunst Zürich – 13 Positionen aus dem Studienbereich Neue Medien, Zürich: Scheidegger und Spiess 2008. Zinner, Ernst: »Die Fränkische Sternkunde im 11. bis 16. Jahrhundert«, in: XXVII. Bericht und Festbericht zum hundertjährigen Bestehen der Naturforschenden Gesellschaft in Bamberg, Bamberg: Buch- und Kunstdruckerei J. M. Reindl 1934. Zinner, Ernst: Astronomische Instrumente des 11.–18. Jahrhunderts, München: Beck 1956.

156

(IIPSK\UNZ]LYaLPJOUPZ

Umschlagbild Zeichnung aus der Arbeit Soundscapes/Hörlandschaften von Yves Netzhammer und Bernd Schurer, 2007

Martin Neukom 22 23 23 27 34 37

Abbildung 1: Pitch Helix, Grafik des Verfassers. Abbildung 2: Torus, Grafik des Verfassers. Abbildung 3: Euler’scher Tonhöhenraum, Grafik des Verfassers. Abbildung 4: Mandelbrot-Menge, Grafik des Verfassers. Abbildung 5: Sonagramm, Grafik des Verfassers. Abbildung 6: Flussdiagramm, Grafik des Verfassers.

Daniel Bisig 55 55

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Flow-SpaceInstallation, Grafik des Verfassers. Abbildung 2: Raumansicht der Flow-Space-Installation, Foto des Verfassers.

Mathias Oechslin 66

69

Abbildung 1: Erno H. Langendijk und Adelbert W. Bronkhorst: »Fidelity of ThreeDimensional Sound Reproduction Using a Virtual Auditory Display«, in: Journal of the Acoustical Society of America 107 (2000), S. 530/531. Abbildung 2: Josef P. Rauschecker und Sophie K. Scott: »Maps and Streams in the Auditory Cortex: 157

Milieux Sonores/Klangliche Milieus

70

Nonhuman Primates Illuminate Human Speech Processing«, in: Nature Neuroscience 12 (2009), S. 719/722. Abbildung 3: Mortimer Mishkin, Leslie G. Ungerleider, und Kathleen A. Macko: »Object Vision and Spatial Vision: Two Cortical Pathways«, in: Trends in Neuroscience 6 (1983), S. 415.

Yves Netzhammer 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

Abbildung 1A: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 1B: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 2A: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 2B: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 3A: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 3B: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 4A: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 4B: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 5A: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall, 2010. Abbildung 5B: Aus der Serie Aufräumarbeiten im Wasserfall,

Marcus Maeder 96

97

100

Abbildung 1: Jakob von Uexküll und Georg Kriszat: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten, Hamburg: Rohwolt Verlag 1956, S. 59. Abbildung 2: Montreal Sound Map, Quelle: http://cessa. music.concordia.ca/soundmap/en/ vom 30. Januar 2010. Abbildung 3: Performance der Gruppe Coil in London 2004, Foto: Paul Morton, 158

Abbildungsverzeichnis

104

Abbildung 4:

106

Abbildung 5:

110

Abbildung 6:

113

Abbildung 7:

114

Abbildung 8:

117

Abbildung 9:

Quelle: www.flickr.com/photos/ jpaul23/7434862/ vom 30. Januar 2010. Zürich von oben beim Sonnenuntergang, Foto: Michael Sengers. Quelle: www.schweizfoto.com Kurt Schwitters: Mz 30, 39, 1930. Courtesy of Stedelijk Museum, Amsterdam. CD-Cover von Chris Watson: Cima Verde, veröffentlicht 2008 von der Fondazione Edmund Mach und LoL Productions snc. Links: Visuelle Darstellung der Granularsynthese im Spektrumeditor des Musiksystems Kyma. Courtesy of Symbolic Sound Corporation. Rechts: Konfokalmikroskopische Aufnahme von Molekülen. Quelle: Prof. Zee Hwan Kim, Korea University, Department of Chemistry. »Construction Sonor« im Club Transmediale (Konzert Marcus Maeder), Berlin, 2004. Foto: Club Transmediale. Kalzit im erdwissenschaftlichen Forschungs- und Informationszentrum der ETH Zürich, FocusTerra. Foto des Verfassers.

Sabine Gebhardt Fink 128 128 131

Abbildung 1: Flugblatt: Bild: Alice Creischer. Abbildung 2: Plakat Kassel. Bild: Alice Creischer. Abbildung 3: Installation im Kaufhaus Citypoint. Foto: Alice Creischer.

Nils Röller 136

139

142

Abbildung 1: Fuat Sezgin: Wissenschaft und Technik im Islam, Frankfurt a.M.: Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften 2003, S. 61. Abbildung 2: Albert Schück: Der Kompass. 3 Bände, Hamburg: Selbstverlag 1911–1918, Tafel 2; Courtesy ETH-Bibliothek Zürich. Abbildung 3: Albert Schück: Der Kompass. 3 Bände, Hamburg: Selbstverlag 1911–1918, Tafel 51; Courtesy ETH-Bibliothek Zürich. 159

Milieux Sonores/Klangliche Milieus

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Abbildung 4: Valentina Vuksic: Harddisko 2004, Quelle: www.harddisko.ch vom 30. Januar 2010.

Autorin und Autoren

Daniel Bisig (*1968) hat an der ETH Zürich Naturwissenschaft studiert und dort 1998 in Molekularbiologie promoviert. Bisig arbeitet seit 2001 als Oberassistent am Labor für Künstliche Intelligenz der Universität Zürich sowie seit 2006 als Wissenschaftler und Dozent am Institute for Computer Music and Sound Technology (ICST) der Zürcher Hochschule der Künste. Daniel Bisig hat an der Schnittstelle zwischen Kunst (Neuen Medien, Generative Kunst) und Wissenschaft (Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben) verschiedene Projekte realisiert. Einige dieser Arbeiten haben internationale Auszeichnungen erhalten (Flocking Messenger: Vida 2006, MediaFlies: Japan Media Art Festival 2006). Sabine Gebhardt Fink (*1966) ist Kunstwissenschaftlerin und Dozentin am Institute for Cultural Studies in the Arts (ICS) an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie arbeitet in folgenden Netzwerken im Bereich Medienkunst und Performance mit: Performance Chronik Basel (Co-Herausgeberin) und Performance Studies International (PSi). Dissertation an der Universität Basel Transformation der Aktion (Wien 2003); 2004 Aufnahme des Habilitationsprojekts Ambient in der Kunst der Gegenwart (Ruhr-Universität Bochum). Forscherin für die SNFProjekte Perform Space, The Situated Body, Das Verhältnis der Künste, Ausstellungs-Displays und Hermann Obrist. Im Netzwerk der Künste und Medien um 1900. In Vorbereitung: Forschungsprojekt zum Thema Soundscapes. Marcus Maeder (*1971) studierte Freie Kunst an der Hochschule Luzern und studiert im Master Philosophie an der Fernuniversität in Hagen. Zusammen mit Bernd Schurer betreibt Maeder das Computermusik- und Klangkunstlabel domizil. Maeder hat den unabhängigen Kunstraum Kombirama und das Medienlabor k3000 in Zürich mitbegründet, er arbeitete als Multimedia- und Branddesigner und war Redakteur und Produzent bei Schweizer Radio DRS. Maeders eigene künstlerische Arbeit bewegt sich im Bereich der Computermusik und der akustischen Kunst. Er versucht in seinen Projekten Verbindungen zwischen den verschiedenen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen zu schaffen und Netzwerke aufzubauen, dies in seiner Tätigkeit 161

Milieux Sonores/Klangliche Milieus

als Autor wie in seiner Funktion als Kurator am Institute for Computer Music and Sound Technology an der Zürcher Hochschule der Künste. Martin Neukom (*1956) studierte Musikwissenschaft, Mathematik und Psychologie an der Universität Zürich, Musiktheorie an der Musikhochschule Zürich und Chorleitung an der Kantorenschule Zürich. Er arbeitet als Theorielehrer und Komponist und beschäftigt sich mit Klangsynthese und Komposition mit dem Computer. Im Auftrag der Hochschule Musik und Theater Zürich schrieb er das Buch Signale, Systeme und Klangsynthese – Grundlagen der Computermusik, das von der Universität Zürich als Dissertation angenommen wurde. Yves Netzhammer (*1970) arbeitet an einem weit verzweigten poetischen Bilderkosmos. Seine Zeichnungen, Rauminstallationen und mit dem Computer generierten Videofilme faszinieren durch ihre körperhafte Ausstrahlung und ihre formale Klarheit. Netzhammers Arbeiten tasten sich vor zur Nachtseite unserer Existenz: Angenehmes ist verzahnt mit Unangenehmem, Totes verschmilzt mit Lebendigem zu bisher ungesehenen Wesen und die dargestellten Szenarien durchlaufen mikroskopische und riesenhafte Maßstäbe. Netzhammers beharrliches Abklopfen der Grenzen von Eigen- und Fremdempfindung findet dabei zu Bildern von eindringlicher Präsenz, in denen die Rangordnung zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen in Bewegung gerät. Seine Arbeiten für die 52. Biennale Venedig, die Installation an der Begleitausstellung zur Documenta XII und die Ausstellung im SFMOMA im Jahr 2008 in San Francisco sind international breit wahrgenommen worden. Yves Netzhammer lebt in Zürich und wird durch die Galerie Anita Beckers in Frankfurt vertreten. Mathias S. Oechslin (*1978) ist Neurowissenschaftler am Geneva Neuroscience Center, dissertierte am Lehrstuhl für Neuropsychologie der Universität Zürich und ist freier Mitarbeiter am Institute for Computer Music and Sound Technology der Zürcher Hochschule der Künste. Er studierte Psychologie, Musikwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Zürich und Wien. Er publizierte seine Forschung in Fachartikeln zu verschiedenen Aspekten der musikalischen Expertise wie Harmonieverarbeitung, Sprachverarbeitung und neuroanatomische Plastizität bei Musikern und stellte diese an internationalen Konferenzen und Symposien vor (Klagenfurt, Montreal, Shanghai, Jyväskula, Barcelona). Er lebt und arbeitet in Zürich und Genf. Nils Röller (*1966) ist Professor für Medien- und Kulturtheorie an der Zürcher Hochschule der Künste. Studium der Philosophie, Italianistik und Medienwissenschaften an der Freien Universität Berlin; von 162

Autorin und Autoren

1995–1999 künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunsthochschule für Medien in Köln; von 1996–1999 Konzeption und Leitung (gemeinsam mit Siegfried Zielinski) des Festivals Digitale (Digitale Alchemisten, 1996; Digitale Dialekte Brasilien – Russland – Japan, 1997; Digitale Schnitte, 1997; Digitale Autonomie, 1999); 2001 Promotion an der Bauhaus-Universität Weimar über Hermann Weyl und Ernst Cassirer; von 2001–2003 projektgebundene Mitarbeit (DFG) am VilèmFlusser-Archiv der Kunsthochschule für Medien Köln; 2002 Stipendiat des Instituts für Grundlagenforschung des ZKM; seit 2003 Dozent für Medien- und Kulturtheorie am Studienbereich Neue Medien der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich, Mitglied der Studienbereichsleitung Mediale Künste; seit 2006 publiziert er (mit Barbara Ellmerer, Yves Netzhammer, Markus Stegmann und Gästen) das Journal für Kunst, Sex und Mathematik (Print und Online); 2007: Werkbeitrag für Literatur des Kantons Zürich.

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