Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz [1 ed.] 9783428537495, 9783428137497

Thema der Arbeit ist das Verhältnis der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen von Menschenwürde und Lebensrecht sowie

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German Pages 359 Year 2012

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Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz [1 ed.]
 9783428537495, 9783428137497

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 234

Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz Von

Jens Rohrer

Duncker & Humblot  ·  Berlin

JENS ROHRER

Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 234

Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz

Von

Jens Rohrer

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dieter Dölling, Heidelberg Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13749-7 (Print) ISBN 978-3-428-53749-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-83749-6 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern Klaus und Ilse Rohrer in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2011 von der juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg als Dissertation angenommen. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dieter Dölling, danke ich herzlich für seine freundliche und umfassende Betreuung, für die anregenden Gespräche sowie für die Unterstützung in jeder Phase der Erstellung dieser Arbeit. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Die Arbeit entstand im Rahmen des Marsilius-Kollegs der Universität Heidelberg. Zu besonderem Dank bin ich Herrn Professor Dr. Claus Bartram verpflichtet, der die Arbeit aus medizinischer Perspektive betreute und mir mit wertvollen Hinweisen und Anregungen zur Seite stand. Auch den übrigen Mitgliedern des Marsilius-Kollegs gilt mein Dank für die hilfreichen Gespräche und den fächerübergreifenden Austausch in regelmäßigen Seminaren. Für die großzügige finanzielle Förderung im Rahmen eines Promotionsstipendiums danke ich dem Interdisziplinären Forum für Biomedizin und Kulturwissenschaften (IFBK). Ich freue mich sehr, die Arbeit in der Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen, N.F.“ veröffentlichen zu können und danke den Herausgebern, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Herrn Professor Dr. Andreas Hoyer, für die Aufnahme in diese Reihe. Gewidmet ist die Arbeit meinen lieben Eltern Klaus und Ilse Rohrer. Nur durch ihre Geduld, Zuneigung und Unterstützung konnte ich mein Promotionsvorhaben erfolgreich umsetzen. Zuletzt danke ich meiner Freundin sowie allen Freunden und Bekannten, die mich während der Erstellung dieser Arbeit begleitet haben und immer dafür sorgen, dass ich trotz großen Ehrgeizes und Arbeitseifer nicht den Blick für die schönen und wesentlichen Dinge verliere. Frankfurt am Main, im November 2011

Jens Rohrer

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Aktualität des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Ziele der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Zum Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz . . . . . . . . . . . 25 1. Die Menschenwürde, Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Annäherung an den Menschenwürdesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 aa) Rückblick: Normhintergrund zu Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 bb) Ausblick: Entwicklungsoffenheit und Konkretisierungsbedürftigkeit . . . . 28 cc) Begründungsversuche zur Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (1) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (2) Individuelle Würde des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (a) Ideengeschichtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (b) Gegenwärtige Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 (3) Gattungswürde der Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Funktion des Verfassungsbegriffs Menschenwürde – Grundrechtscharakter . . 48 c) Dimensionen des Würdeschutzes in Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Abwehrdimension im Verhältnis Staat-Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Schutzpflichtdimension im Verhältnis Staat-Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) Staatliche Verbote und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (2) Menschenwürde als Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (3) Anmerkung zur Schutzpflichtdimension, Art. 1 I 2 GG . . . . . . . . . . . 54 cc) Unmittelbare Drittwirkung im Verhältnis Bürger-Bürger . . . . . . . . . . . . . 55 d) Gefahren und aktuelle Tendenzen im Umgang mit Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . 56 e) Zwischenresümee: Konsentierte Grundaussagen und -tendenzen zu Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

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Inhaltsverzeichnis f) Probleme der gängigen Menschenwürdekonzepte an den Grenzbereichen des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 aa) Besonderheiten der Grenzbereiche in rein tatsächlicher Hinsicht . . . . . . . 59 (1) Der Anfang des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (2) Das Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (3) Zusammenfassend: Unterschiede zum Rest des Lebens . . . . . . . . . . . 62 bb) Bedeutung der festgestellten Charakteristika für die gängigen Würdekonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 g) Grundrechtsträgerschaft bezüglich Art. 1 I GG in den einzelnen Phasen zu Beginn und Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Naturwissenschaftliche Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (1) Zum Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (2) Zum Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Beginn des Würdeschutzes am Anfang des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (1) Vertretene Anknüpfungszeitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (a) Position des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (b) Meinungsstand im juristischen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (a) Zum Würdeschutz durch Art. 1 GG zugunsten des Embryos in vivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (b) Zum Würdeschutz durch Art. 1 GG zugunsten des Embryos in vitro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Ende des Würdeschutzes/ Würdeschutz am Lebensende . . . . . . . . . . . . . 80 dd) Dogmatische Herleitung und Reichweite des Würdeschutzes in den Grenzbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (1) Vertretene Standpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (a) Subjektive Grundrechtsträgerschaft am Lebensanfang bei vollwertigem Würdeschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (b) Nur objektive, relativierbare Ausprägung des Würdeschutzes am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (c) Nur objektive, relativierbare Ausprägung des Würdeschutzes am Lebensanfang basierend auf der Gattungswürde . . . . . . . . . . . . . 83 (d) Entwicklungs- und situationsabhängiger Schutz am Lebensanfang – sog. Wachstumskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (e) Sonstige Vorwirkungen am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (f) Situation am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 ee) Zwischenresümee zur Schutzbereichsebene des Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . 87

Inhaltsverzeichnis

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2. Das Recht auf Leben, Art. 2 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Normgeschichtlicher Hintergrund des Art. 2 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Zum Schutzgut Leben – Sachlicher Schutzbereich des Art. 2 II GG . . . . . . . . 90 c) Die unterschiedlichen Dimensionen des Grundrechtsschutzes bei Art. 2 II GG 92 aa) Abwehrfunktion – status negativus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Schutzpflichtfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (1) Herleitung der staatlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (a) Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . 93 (b) Bewertung und eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (2) Inhalt der staatlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 cc) Staatliche Förderungs- und Leistungspflicht – status positivus . . . . . . . . . 101 dd) Fehlende unmittelbare Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Verfassungsrechtlicher Lebensschutz in den einzelnen Phasen menschlicher Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) 1. Stufe: „Ob“ des Lebensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (1) Einsetzen des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes am Lebensbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (a) Position des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (b) Vertretene Anknüpfungspunkte im juristischen Schrifttum . . . . . 104 (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Ende des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (a) Meinungsstand im juristischen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (c) Befund und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (d) Entscheidung und eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (3) Ergebnis zur ersten Stufe des Lebensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) 2. Stufe: Das „Wie“ des Lebensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (1) Am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (a) Grundrechtsdogmatische Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (b) Intensität des Schutzes im Vergleich zum erwachsenen Leben . . 122 (2) Am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (a) Grundrechtsdogmatische Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (b) Intensität des Schutzes im Vergleich zum Rest des Lebens . . . . . 127 (3) Zwischenergebnis zur zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 cc) Zum Befund der divergierenden verfassungsrechtlichen Wertungen an den Grenzen des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

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Inhaltsverzeichnis (2) Begründung des Befundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (3) Potentielle Konsequenzen und deren Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 e) Fazit zum verfassungsrechtlichen Lebensschutz nach Art. 2 II GG . . . . . . . . . 131 3. Verhältnis der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen von Menschenwürde und Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Lösungsansätze im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Das Dürigsche Wertesystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Menschenwürde als Fundament und Einzelgrundrechte als Konkretisierung – Gedanke der Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 cc) Kongruenz der Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 dd) Entkoppelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ee) Durchgriffsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ff) Menschenwürde als absolute Schranken-Schranke bzw. Korrektiv . . . . . . 136 b) Bewertung des Meinungsstandes und eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Grundrechtsdogmatische Vorklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Staatlicher Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Privater Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Gefährdungslagen am Anfang des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Pränidative Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 cc) Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (1) Tangierte Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (a) Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG . . . . . . . . . . 149 (b) Beeinträchtigung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG . . . . . . . . 149 (2) Betroffene Grundrechtsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 dd) Zwischenergebnis zu Grundrechtsbeeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vitro durch embryonale Stammzellforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Problemaufriss – Wissenschaftliche Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

Inhaltsverzeichnis

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bb) Tangierte Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (1) Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG . . . . . . . . . . . . . . 159 (2) Beeinträchtigung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . 161 cc) Betroffene Grundrechtsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 dd) Zwischenergebnis zu Grundrechtsbeeinträchtigungen bei embryonaler Stammzellforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Gefährdungslagen am Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Begriffsbestimmung und Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Betroffene Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (1) Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG . . . . . . . . . . . . . . 175 (2) Beeinträchtigung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . 177 cc) Betroffene Grundrechtsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 dd) Befund zur betroffenen Grundrechtsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Zwischenergebnis zu Gefährdungslagen am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. Relativierung über Disponibilität – Zur Frage des Grundrechtsverzichts . . . . . . 181 a) Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Verfügbarkeit im Bereich der vorliegend untersuchten Rechtsgüter . . . . . . . . 184 aa) Zur Disponibilität der Menschenwürde aus Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Zur Disponibilität des Lebensrechts aus Art. 2 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Verfügbarkeit im Bereich der vorliegend untersuchten Gefährdungslagen . . . 186 aa) Situation bei Beeinträchtigungen des Lebens in vivo . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Situation bei Beeinträchtigungen des Lebens in vitro . . . . . . . . . . . . . . . . 187 cc) Situation der Sterbehilfe am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 d) Zwischenergebnis zum Aspekt des Grundrechtsverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . 190 5. Ergebnisse zur Ebene der Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Rechtfertigung einer Beeinträchtigung von Art. 2 II GG, Lebensrecht . . . . . . . . 191 a) Zur Abwehrdimension des Lebensgrundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Zur Schutzpflichtdimension des Lebensgrundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Darstellung der einschlägigen Gegenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Bei pränidativen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

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Inhaltsverzeichnis bb) Beim Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 cc) Bei embryonaler Stammzellforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 dd) Bei Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 ee) Parallelen und Differenzen bezüglich der betroffenen Interessen . . . . . . . 202 2. Ergebnis zu den widerstreitenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Zum Verhältnis von Verfassungsrecht zu einfachem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Generelles Rangverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Die Gesetzesebene als Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht . . . . . . 206 b) Die konkretisierende Funktion der Gesetzesebene für die Grundrechte . . . . . 207 3. Zur Frage des Durchgriffs der Verfassungsebene bei fehlender gesetzlicher Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Strafrechtlicher Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Bedeutung des Strafrechts für den Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Ultima-ratio-Charakter des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Mögliche Verengung des Einschätzungsspielraums hin zur Pönalisierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Spezifische Situation an den Grenzbereichen des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . 210 d) Zwischenergebnis zur Bedeutung des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Grundsätzliches Tötungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Die Regelungen der §§ 211 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Tötung anderer unter Billigung der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Strafrechtlicher Lebensschutz an den untersuchten Grenzbereichen . . . . . . . . . . 214 a) Geschriebene Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Am Beginn des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (1) Rechtslage zwischen Befruchtung und Nidation . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (a) Schutz des Embryos in vitro durch das Embryonenschutzgesetz . 215 (b) Das Stammzellgesetz als Ergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (c) Zwischenergebnis zum Schutz des Embryos in vitro . . . . . . . . . . 226 (d) Schutz des Embryos in vivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (e) Bewertung und Begründung der unterschiedlichen rechtlichen Regelung in vivo und in vitro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

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(2) Rechtslage zwischen abgeschlossener Nidation und Beginn der Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (a) Allgemeines zu Rechtsgut und Systematik der §§ 218 ff. StGB . 229 (b) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (c) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (d) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (e) Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (f) Strafzumessungsgesichtspunkte und Strafausschließungsgründe . 235 (g) Zwischenergebnis zum Schutz des ungeborenen Lebens durch die §§ 218 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (3) Der strafrechtliche Lebensschutz durch §§ 211 ff. StGB . . . . . . . . . . 237 (a) Zur Systematik der §§ 211 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (b) Zeitlicher Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB in Abgrenzung zu §§ 218 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (c) Zwischenergebnis zum strafrechtlichen Lebensschutz durch §§ 211 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (4) Grad des Lebensschutzes in den einzelnen Phasen . . . . . . . . . . . . . . . 243 (a) Zum Gedanken des wachsenden Lebensrechts . . . . . . . . . . . . . . . 243 (b) Stellungnahme und Begründung des differenzierten Regelungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (5) Zwischenergebnis zum strafrechtlichen Lebensschutz am Beginn des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (6) Exkurs: Vergleich mit zivilrechtlichen Regelungen am Lebensanfang 248 bb) Am Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (1) Bestimmung des Lebensendes im strafrechtlichen Sinne . . . . . . . . . . 249 (2) Strafrechtliche Bewertung spezifischer Konfliktlagen am Lebensende 251 (a) Suizid als freiverantwortliche Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (b) Aktiv-direkte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (c) Aktiv-indirekte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (d) Passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (e) Zwischenergebnis zur strafrechtlichen Bewertung der Konfliktlagen am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (3) Ausschluss einer Differenzierung bzw. Relativierung des Schutzes nach Lebensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (4) (Un-)Verfügbarkeit des Rechtsguts Leben im Strafrecht – zur Bedeutung des Patientenwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (a) Verfassungsrechtliche Grundlagen des Selbstbestimmungsrechts. 254 (b) Grenzen der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (c) Zur Bestimmung des Patientenwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

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Inhaltsverzeichnis (5) Zwischenergebnis zum strafrechtlichen Lebensschutz am Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (6) Exkurs: Vergleich mit zivilrechtlichen Regelungen am Lebensende . 261 b) Rechtswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (1) Menschliches Leben in vivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (a) Praktische Bedeutung der Beratungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (b) Indikationsauslegung und -stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (c) Sonderproblem der Tötung durch Perforation . . . . . . . . . . . . . . . 265 (d) Sonderproblem der sog. Früheuthanasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (e) Zwischenergebnis zum Umgang mit dem Leben in vivo am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (2) Menschliches Leben in vitro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (a) Verschiebung der Stichtagsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (b) Praktizierte Embryonenforschung in Deutschland . . . . . . . . . . . . 268 (c) Zwischenergebnis zum Umgang mit dem Leben in vitro am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 bb) Am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (1) Zur Bewertung passiver Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (2) Zur Bewertung aktiv-indirekter Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (3) Zur Bewertung aktiv-direkter Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) Divergenz zwischen geschriebenem Recht und Rechtswirklichkeit . . . . . . . . 275 aa) Vorliegen einer tatsächlichen Relativierung des strafrechtlichen Lebensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (1) Am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (2) Am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (3) Vergleich der beiden Grenzbereiche Lebensanfang und Lebensende . 277 (4) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Vereinbarkeit der Befunde mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben . . . 278 (1) Bewertungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (2) Situation am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (a) Anwendungsbereich des ESchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (b) Verbot der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken . 280 (c) Verbot der Verwendung von überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (d) Geringe praktische Relevanz der Strafvorschriften des ESchG . . 281 (e) Reformbedarf bezüglich der Regelungen des ESchG . . . . . . . . . . 281 (f) Zulässiger Stammzellimport nach dem StammZG . . . . . . . . . . . . 283

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(g) Stichtagsregelung des StammZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (h) Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (i) Beratungsregelung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen, § 218a I StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (j) Medizinisch-soziale Indikation, § 218a II StGB . . . . . . . . . . . . . . 291 (k) Kriminologische Indikation, § 218a III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (l) Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (m) Tötung in der Geburt durch Perforation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (n) Früheuthanasie schwerstgeschädigter Neugeborener . . . . . . . . . . 295 (o) Ergebnis zur Situation am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (3) Situation am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (a) Anwendungsbereich der Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (b) Passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (c) Zur Ermittlung des Patientenwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 (d) Zur Situation von Ärzten und Pflegepersonal . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (e) Aktiv-direkte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (f) Aktiv-indirekte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (g) Allgemeinheit der gesetzlichen Regelungen/Reformbedarf . . . . . 307 (h) Ergebnis zur Situation am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 C. Konsequenzen der Befunde für die Bedeutung von Menschenwürde und Lebensschutz an den Grenzbereichen menschlicher Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Rückwirkungen des einfachen Rechts und von dessen Anwendung auf die Verfassungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Spezifische Bedeutung des strafrechtlichen Lebensschutzes an den Grenzen des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 III. Spezifische Bedeutung der Menschenwürde an den Grenzen des Lebens . . . . . . . . 315 1. Am Lebensanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 2. Am Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 IV. Nach allem: Endgültige Feststellungen zum Menschenwürdesatz nach Art. 1 I GG 317 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 I. Abschließende Reflexion der Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AE AEMR a.F. ALR APR Art. AT BÄK BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BrandenbVerf BT BVerfG BVerfGE BVerwG bzgl. bzw. ca. DAV DFG DGMR DJT DNS EMRK ESchG etc. f. ff. FFM Fn. FS geb. GG GS Hrsg. i.S.d.

andere(r) Ansicht Absatz Alternativentwurf Allgemeine Erklärung der Menschenrechte alte Fassung Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Allgemeines Persönlichkeitsrecht Artikel Allgemeiner Teil Bundesärztekammer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Verfassung des Landes Brandenburg Bundestag/Besonderer Teil Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise circa Deutscher Anwaltverein Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht Deutscher Juristentag Desoxyribonukleinsäure Europäische Menschenrechtskonvention Embryonenschutzgesetz et cetera folgende(r) fortfolgende Frankfurt am Main Fußnote Festschrift geboren Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gedächtnisschrift Herausgeber im Sinne des/der

20 i.V.m. KG LG m.w.N. Nr. NS OLG OVG PID PKS RGSt Rn. S. SchKG sog. StammZG StGB stopp StRG TPG u. a. v. a. vgl. WRV z.B.

Abkürzungsverzeichnis in Verbindung mit Kammergericht Landgericht mit weiteren Nachweisen Nummer Nationalsozialismus Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Präimplantationsdiagnostik Polizeiliche Kriminalstatistik Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Satz/Seite Schwangerschaftskonfliktgesetz sogenannt(e/er/es) Stammzellgesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafrechtsreformgesetz Transplantationsgesetz unter anderem/und andere vor allem vergleiche Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel

Einleitung I. Aktualität des Themas Das menschliche Leben ist Grundlage der Wahrnehmung sämtlicher Rechte und Interessen. Bei der Menschenwürde handelt es sich um einen Begriff, der in der europäischen Geistesgeschichte über mehrere Jahrtausende hinweg ausgeprägt wurde. Menschliches Leben und Menschenwürde bilden demzufolge jeweils elementare Positionen mit einer langen Tradition. In Anbetracht dessen erscheint die Frage berechtigt, woraus sich die Aktualität des Themas „Menschenwürde am Lebensanfang und am Lebensende und strafrechtlicher Lebensschutz“ im Jahre 2011 ergibt. Wie ist es zu erklären, dass sich viele Fragen in diesem Themenkomplex derzeit neu stellen oder diese trotz eines lang andauernden Diskurses noch immer ohne eine befriedigende Antwort geblieben sind? Dieses Phänomen ist primär zwei Entwicklungen geschuldet, welche die Existenz des Menschen und dessen Handeln betreffen. Zunächst einmal haben die raschen Fortschritte der biomedizinischen Wissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu geführt, dass das Leben an seinen Grenzbereichen für den Menschen zunehmend verfügbar wurde. Erkenntnisse etwa zur in vitro Fertilisation am Lebensanfang oder zur intensivmedizinischen Versorgung am Lebensende haben dazu geführt, dass der Mensch natürliche Abläufe steuern und ändern kann. Die technischen Möglichkeiten haben ihrerseits wieder neue Forschungsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Diese zunehmende Beherrschbarkeit natürlicher Prozesse mündet in der Frage nach dem Verhältnis menschlichen Handelns zum Walten der Natur. Neu erschlossene Optionen im Umgang mit dem Leben erfordern eine Festlegung, ob der Mensch auch all das vollbringen darf, was er zu leisten vermag. Die genannten Entwicklungstendenzen stellen bislang vorherrschende Menschenbilder und Wertvorstellungen in Frage und nähren den Diskurs in Gesellschaft und Wissenschaft. Insbesondere in der zeitgenössischen Wissenschaftskultur liegt das zweite Problemfeld begründet, welches explizit die Menschenwürde betrifft. Bei dieser handelt es sich um einen interdisziplinär zu erarbeitenden Begriff. Schwierigkeiten ergeben sich mithin daraus, dass es nicht nur innerhalb einer bestimmten Fachrichtung unterschiedliche Standpunkte gibt, sondern sich der Dissens über Fächergrenzen hinaus fortsetzt oder gar verschärft. Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf den Begriff des Lebens. In dessen Bestimmung spielt philosophische und ethische Tradition ebenso hinein wie medizinisch-biologische Erkenntnisse. Deren Einfluss auf die normativen Wertungen, welche ihrerseits der Rechtsordnung zugrunde liegen, gilt es zu klären. Die Entwicklung der modernen Wissenschaft ist

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Einleitung

dagegen seit vielen Jahren auf eine Spezialisierung innerhalb der einzelnen Disziplinen ausgerichtet. Um eine befriedigende Aufarbeitung des Menschenwürde- und des Lebensbegriffes zu vollbringen, ist es erforderlich, diese Kluft zwischen den Fachbereichen zu überwinden und die Scheuklappen der eigenen Disziplin ein wenig zu öffnen. Gleichwohl bleibt in der vorliegenden Arbeit die Rechtswissenschaft der methodische Ausgangspunkt, aber eben unter besonderer Berücksichtigung der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Grundlagen. Eine weitere Schwierigkeit resultiert daraus, dass die Themenfelder Menschenwürde und Lebensschutz kaum abstrakt im freien Raum diskutiert werden können. Die Befassung muss stattdessen anhand konkreter Problemfelder erfolgen; so wird es auch hier im weiteren Verlauf geschehen. Die Brisanz dabei besteht in den kollidierenden Interessen, welche diese Anwendungsfälle prägen. Ihre Analyse erfolgt oftmals interessen- und ergebnisorientiert. Angebracht wäre dagegen eine sachlichneutrale und ergebnisoffene Auseinandersetzung mit der Thematik. Eine solche fällt offenbar gerade an den Grenzbereichen des Lebens schwer. Es handelt sich um Konstellationen, wie sie uns alle potentiell betreffen. Dementsprechend sind die fraglichen Felder besonders sensibel, enthalten zahlreiche Tabus, welche wiederum zu emotionalen Debatten führen. Diese Ausgangssituation ist der Hauptgrund dafür, dass sich das Thema Lebensschutz und Menschenwürde noch immer stellt und eine Vielzahl von Fragen bislang ungeklärt ist. Die genannten Unwegsamkeiten bilden allerdings gleichermaßen den Reiz und die Herausforderung dieser Arbeit.

II. Ziele der Untersuchung Der Wortlaut des Themas der vorliegenden Arbeit lässt sich auf zwei Begriffspaare reduzieren. Dabei geht es um „Lebensschutz und Menschenwürde“ einerseits sowie „Lebensanfang und Lebensende“ andererseits. Aus diesen heraus lassen sich wiederum drei wesentliche Leitfragen entwickeln, die sich durch die gesamte Bearbeitung ziehen und deren Ablauf bestimmen werden. Klärungsbedürftig ist zum einen das Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde. Es gilt herauszuarbeiten, inwiefern zwischen diesen beiden Positionen Schnittmengen oder Wechselwirkungen bestehen. Dass zwischen den Gewährleistungen überhaupt eine gewisse Nähe besteht, ist in Wissenschaft und Rechtsprechung unbestritten. Trotz lang anhaltender Diskussion sind aber dogmatisch saubere und inhaltlich befriedigende Auflösungen dieser Thematik rar. Stattdessen erfolgt der Gebrauch der Begriffe oft oberflächlich und undifferenziert, so dass auf diesem Sektor Forschungsbedarf besteht. Des Weiteren sind Lebensanfang und Lebensende als die beiden Grenzbereiche menschlicher Existenz dahingehend zu untersuchen, ob und inwieweit Parallelen oder Differenzen bestehen. Dies betrifft sowohl die Situation in rein tatsächlicher Hinsicht als auch deren rechtliche Bewertung. Eine solch intensive Inblicknahme sucht man im juristischen Schrifttum bislang ebenfalls vergeblich. So erfolgt die Bewertung trotz des noch näher zu begründenden Ausnahmecharakters beider

III. Zum Gang der Untersuchung

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Grenzbereiche ausschließlich mit dem Fokus auf eines der Extreme. Vorzufinden sind dann allenfalls kurze Hinweise, dass ein bestimmter Befund für den anderen Grenzbereich gleichfalls oder gerade nicht gelte. Folglich erscheint diese vergleichende Perspektive wissenschaftlich ebenfalls reizvoll. Sinn und Konsequenz der Klärung dieser ersten beiden Leitfragen soll schließlich die dritte Problematik sein, ob eine Relativierung von Lebensrecht oder Menschenwürde im Sinne einer inhaltlichen Abstufung an den Grenzbereichen des Lebens möglich und sinnvoll ist. Diese Frage wird in Konsequenz der genannten technischen Entwicklungen aufgeworfen. Mit diesen gehen gesteigerte Möglichkeiten für den Menschen einher. Eine dadurch möglicherweise bewirkte Veränderung der Selbstwahrnehmung mündet in der Frage nach den Grenzen des Menschen und seines Handelns. Ansatzpunkte für eine solche Relativierung werden hierbei aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln juristischer Methodik in den Fokus genommen. Die Bearbeitung dieser drei Grundanliegen wird ihrerseits konkretisiert durch weitere Arbeitsschritte, welche den Anfang, das Ende und die inhaltliche Reichweite des rechtlichen Schutzes betreffen. Ebenfalls von Bedeutung sind dabei die verschiedenen Rechtsquellen der Verfassung und des einfachen Rechts, konkret des Strafrechts, sowie deren Verhältnis zueinander. Damit wären die Ziele der Untersuchung in groben Zügen abgesteckt. Es schließt sich ein kurzer Überblick zum Gang der Untersuchung an, welcher die erforderlichen Arbeitsschritte und deren wechselseitige Bedeutung für einander vorstellt.

III. Zum Gang der Untersuchung Die Bearbeitung der aufgeworfenen Fragen erfolgt unter strenger Beachtung juristischer Methodik. Dies betrifft sowohl das Verhältnis der Rechtsquellen untereinander als auch die Prüfungssystematik innerhalb eines bestimmten Rechtsgebietes. Dementsprechend bilden die verfassungsrechtlichen Grundlagen von Art. 1 I GG und Art. 2 II GG den Ausgangspunkt der Untersuchung. Hierbei wird unter anderem auf die historischen Bedingungen ihrer Einfügung in das Grundgesetz, wie auch auf die geistesgeschichtlichen Hintergründe der beiden Rechtsbegriffe Bezug genommen. Im weiteren Verlauf wird hinsichtlich beider Gewährleistungen jeweils gesondert nach den Ebenen des Rechtsguts, der Beeinträchtigung und des Interessenausgleichs unterschieden. Das Rechtsgut entspricht inhaltlich dem Schutzbereich bei Prüfung eines Freiheitsgrundrechts. Für Lebensrecht und Menschenwürde wird dabei in einem zweistufigen Vorgehen geprüft, ob und wie verfassungsrechtlicher Schutz in welchem Zeitpunkt einsetzt und endet. Die Ebene der Beeinträchtigung findet ihr Äquivalent in derjenigen des Eingriffs und wird anhand konkreter Gefährdungslagen demonstriert. Am Lebensanfang wurde hierfür zum einen der Schwangerschaftsabbruch als ein seit langem währender Konflikt um das frühe

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Einleitung

menschliche Leben gewählt. Daneben bildet die embryonale Stammzellforschung ein spezielles und aktuell noch in der Entwicklung befindliches Forschungsfeld. Am Lebensende wurde als konkretes Thema die Sterbehilfe in ihren verschiedenen Varianten ausgesucht. Ein besonderes Anliegen besteht in der Herausarbeitung der Kollision verfassungsrechtlich verbürgter Interessen, welche diesen Konstellationen zugrunde liegen. Dieses Vorgehen erleichtert die spätere Interpretation einfachgesetzlicher Regelungen. Nachdem die verfassungsrechtlichen Grundlagen von Lebensrecht und Menschenwürde dargelegt wurden, betrifft der nächste Arbeitsschritt die erste der eingangs aufgeworfenen Leitfragen, namentlich das Verhältnis der beiden Gewährleistungen zueinander. In der Hierarchie der Rechtsquellen bildet sodann das einfache Recht die nächst tiefere Stufe. Untersucht werden Regelungen des Strafgesetzbuches, insbesondere die Tötungsdelikte der §§ 211 ff. StGB sowie strafrechtliche Nebengesetze wie das ESchG, StammZG oder das SchKG. Hierbei wird in Anlehnung an das Vorgehen auf der Ebene des Verfassungsrechts ebenfalls zweistufig im Hinblick auf Beginn, Ende und inhaltliche Reichweite des rechtlichen Schutzes gearbeitet. Neben den strafrechtlichen Regelungen wird auch ein Abgleich mit zivilrechtlichen Wertungen an den beiden Polen des Lebens vorgenommen. Eine weitere Stufe bildet schließlich die Darstellung und Bewertung der Rechtspraxis, also die Anwendung und Durchsetzung der zuvor herausgearbeiteten rechtlichen Vorgaben. Sollte die Untersuchung von einfachem Recht und dessen praktischer Bedeutung eine Divergenz zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen ergeben, so gilt es diese unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen Konfliktlagen zu begründen. Stellten die bisher genannten Arbeitsschritte ein Abarbeiten der Normenhierarchie von oben nach unten dar, so wird im letzten Abschnitt die umgekehrte Perspektive eingenommen und hinterfragt, welche Konsequenzen sich aus den Befunden in der Wirkrichtung von unten nach oben ergeben. Diese Schlussfolgerung kann etwa in einem gesetzgeberischen Handlungsbedarf oder gar in Rückwirkungen auf die Rechtsgutsebene des Verfassungsrechts bestehen. Nach allem wird noch einmal zusammengefasst, welche Konsequenzen aus den Ergebnissen der Arbeit für Lebensschutz und Menschenwürde an den untersuchten Grenzbereichen zu ziehen und welche Entwicklungen in absehbarer Zeit zu erwarten bzw. wünschenswert sind.

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz 1. Die Menschenwürde, Art. 1 I GG a) Annäherung an den Menschenwürdesatz aa) Rückblick: Normhintergrund zu Art. 1 I GG „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Diesen bis heute unveränderten Wortlaut wählte der Parlamentarische Rat in Bonn mit seinem Beschluss vom 08. Mai 1949 für Art. 1 I GG1. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wurde schließlich am 23. Mai 1949 verkündet und trat am darauf folgenden Tag in Kraft2. Ein Blick auf die vorangegangen Verfassungen zeigt, dass diese eine solche explizite Fixierung des Menschenwürdesatzes nicht, beziehungsweise nicht an derart grundlegender Stelle, enthielten. Die als Paulskirchenverfassung bekannte Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 war die erste voll entwickelte Konzeption einer deutschen Gesamtverfassung3. Obgleich sie aufgrund des Scheiterns der Märzrevolution und der anschließenden Ablehnung durch Preußen nie effektiv in Kraft trat, sollte sie Vorbild für alle nachfolgenden deutschen Verfassungen sein4. Eine neue Dimension eröffnete insbesondere der in ihr enthaltene Grundrechtskatalog. Diesem wurde über die Eingangsvorschrift des § 130 unmittelbare Verbindlichkeit auch innerhalb der deutschen Einzelstaaten zugeschrieben5. Eine ausdrückliche Verbürgung oder Nennung des Menschenwürdesatzes enthielt die Paulskirchenverfassung nicht. Die darauf folgende Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 muss aus der Perspektive gesamtstaatlicher Verfassungsentwicklung als Rückschritt bezeichnet werden6. Sie sah einen Grundrechtsteil ebensowenig vor wie ein Verfassungsgericht. Der Grundrechtsschutz wurde den Regelungen in den einzelnen 1 2 3 4 5 6

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 5. Frotscher/Pieroth Rn. 704. Huber S. 821. Willoweit S. 304; Hilker S. 362; Kyriazis-Gouvellis S. 13; Unruh S. 224. Abgedruckt bei Scholler S. 85. Ries in: Kössler S. 61.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Landesverfassungen anheim gestellt. Eine Bestimmung bezüglich der Menschenwürde fehlte mithin auf Ebene des Gesamtstaats weiterhin. Dennoch bleibt anzumerken, dass auch dieser Abschnitt deutscher Verfassungsgeschichte nicht als „grundrechtslose Zeit“ bezeichnet werden kann7. Es entsprach vielmehr dem zeitgenössischen konstitutionellen Rechtsdenken, dass sich die Staatsverfassung nicht im formellen Verfassungsrecht erschöpft. Man ging davon aus, dass auch einfache Reichsgesetze materielle Verfassungsnormen enthalten konnten. Als Beispiele für solche einfachgesetzlichen Gewährleistungen seien die Freiheit der Person gegen willkürliche Verhaftung oder die Vereins- und Versammlungsfreiheit genannt8. Erst in der Weimarer Reichsverfassung, welche nach Ausfertigung und Verkündung durch Reichspräsident Friedrich Ebert am 14. August 1919 in Kraft trat9, fand die Menschenwürde erstmals ausdrücklich Niederschlag10. Gleichwohl zeigen bereits der Standort in Art. 151 I WRV sowie der partikuläre Bezug zum Wirtschaftsleben, dass der Erwähnung der Menschenwürde keine zentrale Bedeutung beigemessen wurde. So war in Art. 151 I WRV festgelegt: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen“.

Es schloss sich zwischen 1933 und 1945 die nationalsozialistische Herrschaft an. Während dieser blieb die Weimarer Reichsverfassung formell in Kraft, wurde jedoch rein tatsächlich größtenteils ausgeschaltet und durch eine neue geistige und rechtliche Ordnung ersetzt11. Für die Beschreibung dieses dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte wurden später Begriffe und Wendungen wie „menschenverachtend“12, „entmenschlichend“13 oder „Verachtung von Menschentum“14 geprägt. Insgesamt lag der nationalsozialistischen Ideologie eine Relation von Staatsverständnis und Menschenbild zu Grunde, in welcher das Individuum nur um der Gemeinschaft willen existierte und der Subjektqualität des Einzelnen keine entscheidende Bedeutung zukam15. Gerade wegen dieser Verachtung des Individuums rückte dessen Bedeutung nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs in den Fokus. Als Reaktion auf die theoretischen Grundlagen und darauf konsequent aufbauenden praktischen Handlungen der Nationalsozialisten kann es verstanden werden, 7

Frotscher/Pieroth Rn. 409. Weber-Fas Deutschlands Verfassung, S. 91. 9 Weber-Fas Verfassungsstaat S. 5 f.; von Lewinski JuS 2009 S. 505. 10 Abgedruckt bei Anschütz ab XII. 11 Kimminich S. 572. 12 Tofahrn S. 96; Ries in: Kössler S. 61 Stern Staatsrecht IV / 1 S. 13; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 1; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Vitzthum in: Klug/Kriele S. 123. 13 Höfling JuS 1995 S. 860. 14 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 36. 15 Schüttauf in: Brudermüller/Seelmann S. 33; Zippelius S. 147. 8

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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wenn der Grundgesetzentwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee vom 23. August 194816 für Art. 1 formulierte: (1) Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen. (2) Die Würde der menschlichen Persönlichkeit ist unantastbar. Die öffentliche Gewalt ist in allen ihren Erscheinungsformen verpflichtet, die Menschenwürde zu achten und zu schützen.

Mit diesem Formulierungsvorschlag hatte der Menschenwürdebegriff erstmals derart detailliert und an grundlegender Stelle Eingang in den Entwurf einer deutschen Verfassung gefunden. Die soeben, wie vielfach im juristischen Schrifttum zu lesen17, als Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus bezeichnete Positivierung des Menschenwürdesatzes in Art. 1 GG gilt es hinsichtlich ihrer konkreten Beweggründe noch präziser zu beleuchten. In Abkehr vom nationalsozialistischen Kollektivismus ist diese Entwicklung Ausdruck einer anthropozentrischen Orientierung des Grundgesetzes18 unter entschiedener Absage an den Totalitarismus19. In Abgrenzung zum nationalsozialistischen Staatsverständnis sollte klargestellt werden, dass im Mittelpunkt der neu formierten Bundesrepublik Deutschland weder der Staat noch der Staatsbürger, sondern der Mensch stehen sollte20. Das Grundgesetz war gewissermaßen als eine Verfassung der Menschen gedacht, aus der der Staat seinerseits seine Legitimität ableitet und nicht umgekehrt21. Zentrale Bedeutung beigemessen wurde dabei insbesondere dem Eigenwert und der Eigenständigkeit des Individuums22. Um dieser Bedeutung des einzelnen Menschen gerecht zu werden, galt es diesen vor Angriffen auf seine Würde in Gestalt von Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung oder Ähnlichem zu schützen23. Das Bundesverfassungsgericht sprach in diesem Zusammenhang in einer frühen Entscheidung von einer „Vergewaltigung des Einzelnen“24. Niedergelegt sollten die genannten Vorgaben in einer „unverbrüchlichen

16 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee S. 61; Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Band 2 S. 580. 17 Schreiber MedR 2003 S. 367; Schmitt-Glaeser ZRP 2000 S. 396. 18 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 GG Rn. 1 f.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 I GG Rn. 1. 19 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 40; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 2. 20 BVerfGE 39, 67; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 1; Dederer AöR 2002 S. 12; Wertenbruch S. 175; Stackmann MedR 2003 S. 491. 21 Höfling in: Sachs Art. 1 I GG Rn. 43; Baruzzi S. 101; Vitzthum ARSP Beiheift 33 S. 137; Enders JURA 2003 S. 667; Meyer-Ladewig NJW 2004 S. 982. 22 von Mangoldt DÖV 1949 S. 263; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Enders Verfassungsordnung S. 491; Hermes S. 195. 23 BVerfGE 1, 104; Benda in: Benda/Maihofer/Vogel § 6 Rn. 15. 24 BVerfGE 5, 205.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Grundlage der Gesamtordnung“25, einem „archimedischen Punkt des Verfassungsstaates“26, sein. Zusammenfassend lassen sich damit folgende drei Gedankengänge hinter der Aufnahme einer Menschenwürdenorm eingangs des Grundgesetzes festhalten: Erstens sollte die zentrale Stellung des Individuums sowie dessen einzigartiger Eigenwert betont werden. Als zweites war eine hohe Eingriffsschwelle angedacht. Es ging nicht primär um die Schaffung eines vielseitigen Allzweckinstrumentariums gegen jedwede Beeinträchtigung des Individuums, sondern um die Verbürgung eines elementaren Mindeststandards gegenüber unzumutbaren und schlichtweg nicht hinnehmbaren Bedrohungen. Als dritter Grundgedanke der Einführung von Art. 1 GG kann das Bestreben gesehen werden, nach mehr als einer Dekade der Unsicherheit und Willkür ein solides Fundament menschlicher Gemeinschaft zu legen, einen feststehenden und verlässlichen Orientierungspunkt. Schließlich war es der Parlamentarische Rat in Bonn, der den Ansatz des Entwurfs von Herrenchiemsee noch etwas prägnanter formulierte und den Satz von der Unantastbarkeit direkt an den Beginn der Verfassung stellte, welche sodann in der eingangs zitierten, noch heute geltenden Fassung in Kraft trat. Abgesichert und gleichfalls mit Nachdruck versehen wurde die normative Verankerung der Menschenwürde durch die Aufnahme in die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG27. Nach dieser vermag auch der verfassungsändernde Gesetzgeber die in Art. 1 GG niedergelegten Grundsätze nicht anzutasten. bb) Ausblick: Entwicklungsoffenheit und Konkretisierungsbedürftigkeit Die Entwicklung des Menschenwürdebegriffs in gesamtdeutschen Verfassungen gibt in zweierlei Hinsicht Anlass zur Klarstellung: Zum einen handelt es sich trotz der späten ausdrücklichen Verankerung der Menschenwürde nicht um eine Neuentdeckung oder gar Neuschöpfung dieses Gedankens in der Nachkriegszeit. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die vorherigen Verfassungsgeber von der Bedeutung der Menschenwürde so selbstverständlich ausgingen, dass sie eine ausdrückliche Erwähnung nicht für erforderlich hielten28. Vor demselben Hintergrund nahm die verfassungsrechtliche Fixierung des grundrechtlichen Lebensschutzes, der heute in Art. 2 II GG verortet ist, eine nahezu parallele Entwicklung; dessen ausdrückliche Erwähnung am Beginn der Verfassung bildet als Novum des Grundgesetzes ebenfalls eine Reaktion auf die Verbrechen des

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von Mangoldt DÖV 1949 S. 263. Haverkate S. 142. 27 Stern JuS 1985 S. 332; Stern Staatsrecht III / 1 S. 20; Stern in: FS-Scupin S. 631; Gramm/Pieper S. 70. 28 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 1. 26

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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Nationalsozialismus29. Jedenfalls im philosophischen und im theologischen Schrifttum war der Menschenwürdebegriff über Jahrtausende hinweg geprägt worden30. Erst die nationalsozialistische Herrschaft und die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs boten Anlass zu einer ausdrücklichen Deklaration, welche als Standortbestimmung und deutliche Abstandnahme von diesen Erfahrungen zu betrachten ist. Ferner ist festzuhalten, dass sich die Funktion der Menschenwürde über den historischen Anlass ihrer positiv-rechtlichen Verankerung hinaus keinesfalls in dieser retrospektiven Sichtweise erschöpft. Obwohl Formulierung und Standort am Beginn der Verfassung deutlich von den nationalsozialistischen Taten Abstand nehmen wollen und ein Bestreben ausdrücken sollen, die Wiederholung derartiger Ereignisse zu verhindern31, ist der Menschenwürdesatz doch in erster Linie zukunftsgerichtet32. Dabei handelt es sich trotz des explizit formulierten Unantastbarkeitsanspruchs nicht um einen starren, sondern entwicklungsoffenen Begriff33. So folgen aus dem zivilisatorischen und kulturellen Gesamtzustand einer Gesellschaft unterschiedliche Vorstellungen und Realisierungen der Menschenwürde34. Nur auf der Grundlage eines solchen Verständnisses vermag der Menschenwürdesatz auch ständig wechselnden aktuellen Gefährdungslagen gerecht zu werden. Genauer ausgedrückt bedarf die Menschenwürde sogar einer solchen Entwicklung, um sich in konkreten Situationen und tagesaktuellen Konflikten zu aktualisieren und zu konkretisieren35. Im Schrifttum wird insofern treffend von der Situationsbedingtheit der Menschenwürde gesprochen36. Inwieweit eine solche konkrete Anwendung Wertungsspielräume für zeit- und gesellschaftsabhängige moralische Entscheidungen eröffnet37 und ob diese möglicherweise Anknüpfungspunkt für eine Relativierung des Menschenwürdesatzes im

29 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 80; Pieroth in: HdGR § 25 Rn. 27; Fink JURA 2000 S. 210; Böckenförde JZ 2003 S. 809; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 1; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 2; Hermes S. 192; Leisner S. 9, 14; Hartleb NJW 2005 S. 1397. 30 Holzhüter S. 18; Gräb-Schmidt in: Härle/Preul S. 6; Vitzthum MedR 1985 S. 250. 31 Schmitt in: Kössler S. 13; Hofmann S. 15. 32 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 7; Hofmann AöR 1993 S. 355, 356 f.; Hörnle ARSP 2003 S. 337; Ipsen Staatsrecht II Rn. 225; Kirchhof in: Herms S. 157. 33 OVG Berlin NJW 1980 S. 2485; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 4; Hufen JZ 2004 S. 313; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 172; Laufs NJW 2000 S. 2717. 34 Pieroth/Schlink Rn. 353; Zippelius in: BK – GG Art. 1 I GG Rn. 12; Taupitz NJW 2001 S. 3436; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Di Fabio JZ 2004 S. 6; allgemein zum Zeit- und Raumbezug von Rechtsbegriffen Tsatsos S. 17. 35 Fechner JZ 1986 S. 663; Taupitz NJW 2001 S. 3436. 36 Robbers in: Umbach/Clemens Art. 1 GG Rn. 19. 37 So Hoerster JuS 1983 S. 95.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Einzelfall sein können, gilt es nachfolgend unter verschiedenen Blickwinkeln zu klären. cc) Begründungsversuche zur Menschenwürde (1) Problemstellung Auch wenn die Menschenwürde in Art. 1 I GG eine normative Grundlage gefunden hat, handelt es sich doch nicht um einen klassischen Rechtsbegriff. So liefert der Wortlaut als primärer Anknüpfungspunkt juristischer Methodik noch keinerlei Erkenntnisgewinn zur Frage nach Inhalt und Herkunft der Menschenwürde. Während etwa für die Freiheit der Person in Art. 2 II 2 GG die Konkretisierung als körperliche Bewegungsfreiheit38 konsentiert ist, entzieht sich das Schutzgut des Art. 1 I GG einer solch greifbaren Bestimmung39. Entsprechend mannigfaltig sind die Begründungs- und Deskriptionsversuche, die in verschiedensten Wissenschaftsbereichen unternommen werden. Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive gilt es anzuerkennen, dass das positive Recht in diesem Kontext keine Rechtsposition originär zu kreieren vermag40. Vielmehr handelt es sich bei der Menschenwürde um einen vorstaatlichen und überpositiven Wert, der über die Regelung des Art. 1 I GG Eingang in die geschriebene Rechtsordnung gefunden hat41. Diesem Umstand waren sich auch die Architekten unserer Verfassung bewusst, wie aus den Materialien zum Grundgesetz hervorgeht42. Auf eben diese Konstellation gründet sich die Problematik des Umgangs mit dem Menschenwürdebegriff. Es kommt zur Berührung von philosophischer, theologischer sowie ethischer Tradition mit der anwendungsorientierten und einer strikten Methodik folgenden Rechtswissenschaft. Um in diesem, auf den ersten Blick unauflösbar anmutenden, Konflikt zu vermitteln, bedarf es zunächst einer Analyse der unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Positionen zur Begründung der Menschenwürde, um schließlich auf Ebene des Rechts adäquat mit dem Menschenwürdebegriff arbeiten zu können. Die Erfassung dieses kulturellen Fundaments ist für den verständigen juristischen Umgang unerlässlich43 ; es bildet eine unverzichtbare Interpretationsgrundlage44 und 38

Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 228. Denninger KritVJ 2003 S. 196 spricht von einem Grenzbegriff; Hoerster JuS 1983 S. 96 betont die Abhängigkeit von subjektiven Wertungen. 40 Dürig AöR 1956 S. 117. 41 Luf in: Brudermüller/Seelmann S. 52; Olivet NJW 1989 S. 3188 f.; Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S.68; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 171. 42 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses Bonn 1948/49, 42. Sitzung vom 18. 1. 1949, S. 529 – 533. 43 Geddert-Steinacher S. 25; Neumann in: Klug/Kriele S. 141; Benda NJW 2001 S. 2147; Starck JZ 2002 S. 1069; Unruh S. 342; Denninger KritVJ 2003 S. 203; a.A. Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 927: „auf eine strikt juristisch methodenfeste Interpretation beschränken“; zum Kontextbegriff Häberle Kommentierte Verfassungsrechtsprechung S. 44 ff. 39

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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wichtige Leitlinie45, von welcher der Rechtsbegriff Menschenwürde nicht sinnvoll losgelöst werden kann46. Eine solche Berücksichtigung des ideengeschichtlichen Kontextes ist stets erforderlich, soweit, wie im Fall der Menschenwürde, das Recht keine Legaldefinition als feststehenden Ausgangspunkt vorgibt47. Gegenstand der folgenden Untersuchung kann angesichts begrenzter Ressourcen nur ein westlichabendländisches Würdeverständnis sein. (2) Individuelle Würde des Einzelnen Als augenscheinliche Konstante der unterschiedlichen Erklärungsansätze lässt sich bereits vorab die schon oben angeklungene zentrale Stellung des Individuums bezeichnen48. Dementsprechend sollen zuerst diejenigen Theorien dargestellt werden, welche die Menschenwürde als eine auf ein konkretes Individuum bezogene Position begreifen. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Eher liegt der Fokus darauf, Grundtendenzen der als etabliert zu bezeichnenden Ansätze aufzuzeigen, welche anschließend an den spezifischen Konfliktlagen am Beginn und am Ende des Lebens gemessen werden. (a) Ideengeschichtliche Grundlagen Die Entwicklung des Menschenwürdegedankens ist eng verbunden mit dem jeweils vorherrschenden Menschenbild49. Die nachfolgend dargestellten unterschiedlichen Annäherungen sind auch als Ausdruck des Menschenbildes der betreffenden Epoche zu betrachten50. Die Wurzeln dieser verschiedenen Ansätze reichen zurück bis in die römische und griechische Antike. Sowohl im römischen Kaiserreich als auch in Griechenland war der Einzelne stark in die Gemeinschaft eingebunden und ging in dieser auf. Oberstes Staatsziel war in beiden Fällen die Ordnung der Gemeinschaft, nicht hingegen die Freiheit des Einzelnen51. Ein solches Verständnis von Individuum und Kollektiv bot wenig Anknüpfungsmöglichkeit für eine Würdekonzeption im Sinne der Gegenwart. Dennoch gab es Philosophen, die entgegen dem damals geltenden Menschenbild das Individuum in den Mittelpunkt rückten. So sah etwa Aristoteles den Staat nicht als Selbstzweck an, sondern hielt es für erforderlich, diesen stets auf den Bürger zurückzubeziehen. Der Staat sollte nach Aristoteles darauf ausgerichtet sein, seinen Bürgern ein gutes Leben zu ermögli-

44 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 4; Schreiber MedR 2003 S. 369; Kirchhof in: Herms S. 161. 45 Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 170. 46 Bahr/Heinig S. 2; Benda in: Flöhl S. 215; Verdross S. 266. 47 Tiedemann Was ist Menschenwürde? S. 51. 48 Baumgartner/Honnefelder/Wickler/Wildfeuer in: Rager S. 185. 49 Wetz S. 14; Mieth in: Lorenz/Mieth/Müller S. 75. 50 Schütz BayVBl 1991 S. 615. 51 Schütz BayVBl 1991 S. 615.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

chen52. Dabei erachtete er allerdings im Einklang mit den damals bestehenden Vorstellungen nur freie Männer, nicht Sklaven, als Vollbürger. Die besondere Leistung lag mithin noch nicht in der Betonung der Gleichheit und dem besonderen Wert des Menschen, sondern noch ganz allgemein im Fokus auf das Individuum. Würde wurde hierbei stets als Resultat moralisch-politischer Leistung betrachtet. Die römischen Ideale der dignitas, welche ebenfalls als begriffliche Wurzeln heutiger Würdevorstellungen bezeichnet werden können, zielten vornehmlich auf die der Herkunft zuzurechnende und durch eigene Leistung zu erwerbende soziale Stellung einer Person53. Mit einem gegenwärtigen Terminus ließen sich die Vorstellungen der antiken römischen und griechischen Philosophie als leistungsorientierte Würdekonzeptionen bezeichnen. Eine weitere bedeutsame Etappe in der ideengeschichtlichen Entwicklung des Menschenwürdebegriffs bildet die stoische Philosophie, als deren Vertreter insbesondere der römische Politiker und Philosoph Cicero sowie der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel zu nennen sind. Die Lehre der Stoa war geprägt vom „logos“, der ewig gültigen göttlichen Vernunft als oberstem Organisationsprinzip für die Welt in ihrer Gesamtheit („kosmos“). Demnach kommt Würdepotential jedem Menschen von Geburt an, kraft Teilhabe an der Weltvernunft, zu. Sie macht ihn zum Gleichberechtigten der ganzen Menschheit, bei Cicero „civitas humana“54. Eine bemerkenswerte Leistung Ciceros war es, den römischen Elite-Begriff der dignitas auf alle Menschen anzuwenden. Er prägte in seiner Schrift De officiis (Über die Pflichten) den Ausdruck der dignitas hominis (Würde des Menschen)55. Die besondere Stellung des Menschen innerhalb der Welt gründet sich nach der stoischen Philosophie auf die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion und die daraus folgende Freiheit. Dennoch ist auch nach diesem Ansatz Würde nicht originär vorhanden, sondern nur potentiell im Menschen angelegt. Jeder Einzelne ist angesprochen, dem Gesetz des Kosmos zu folgen, welches er kraft seiner Vernunft zu erkennen vermag. Auf diese Weise, seiner Berufung folgend, kommt dem Menschen Würde zu56. Der Mensch ist mithin berufen, sich die in seiner selbst angelegte Würde zuzuschreiben. Um die gegenwärtige Terminologie noch einmal zu bemühen, lässt sich hier aufgrund des in der Geburt angelegten Würdepotentials trotz mitschwingender Leistungsaspekte von einer Einführung des Mitgiftgedankens sprechen. Eine Verstärkung erfuhren die dargestellten antiken Strömungen durch das aufkommende Christentum. Biblische Fundstellen im Alten wie im Neuen Testament wurden Grundlage der imago-dei Lehren. Auch wenn Genesis 1, 26; 5, 3; 9, 6 oder Epheser 4, 24 den Begriff der Würde nicht verwendeten, wurde aus der Gottesebenbildlichkeit der besondere Eigenwert und auf Erden unverfügbare Achtungs52 53 54 55 56

Aristoteles Politika I S. 79 ff.; Verdross S. 258 f. Geddert-Steinacher S. 41. Dazu Geddert-Steinacher S. 41. Cicero De officiis I S. 105 f. Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S. 114.

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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anspruch des Menschen abgeleitet57. Es war schließlich die Patristik als älteste christliche Philosophie, welche erstmals die Bezeichnung Würde des Menschen explizit verwendete58. Beispielhaft etwa im ältesten Weihnachtsgebet, das mit den Worten „Deus, qui humanae substantiae dignitatem mirabiliter condidisti…“ beginnt59. Auch wenn die imago-dei Lehren heute außerhalb der Theologie weitgehend als überholt angesehen werden60, bezeichnen doch viele Autoren, nicht zuletzt in Anknüpfung an Hegel61, das Christentum als Keim des Menschenwürdegedankens62. Selbstverständlich konnte es nicht bei einem rein theologisch-christlich geprägten Verständnis bleiben. Vielmehr bedurfte es eines viele Jahrhunderte dauernden Säkularisierungs- und Entwicklungsprozesses, in dem der zitierte Keim schließlich austreiben und zu voller Blüte gelangen konnte. Ein Voranschreiten in diesem Säkularisierungsvorgang bildete viele Jahrhunderte später zu Beginn des Mittelalters die Lehre der Scholastik mit ihrem wichtigsten Vertreter Thomas von Aquin. Jener betonte trotz Annahme der Gottesebenbildlichkeit auch irdische Bezüge. Im Mittelpunkt seiner Überzeugung standen die natürliche Einsichtsfähigkeit und Entscheidungsfreiheit des Menschen. Thomas von Aquin ging davon aus, dass der von Natur aus freie Mensch kraft seiner Würde um seiner selbst willen existiert. Dabei erachtete er Menschenwürde nicht als allen Menschen gleichermaßen zukommendes Attribut, sondern als durch eigenes Handeln zu erwerben oder auch zu verlieren, als eine dem Einzelnen innewohnende Potenz. Demnach erkennt der Mensch die ihm von Gott gestellten Aufgaben zu seiner Selbstverwirklichung und erfüllt diese63. Auch den scholastischen Ansatz zeichnet somit ein Nebeneinander von Mitgift- und Leistungsgesichtspunkten aus. Dabei ist Leistung nicht wie bei den antiken Vorläufern in einem gesellschaftlichen Sinne, sondern im Sinne einer aktiven Mitwirkung des Würdeträgers zu verstehen. Dieser erfüllt die ihm von Gott gestellten Aufgaben zu seiner Selbstverwirklichung64. Das Ende des Mittelalters brachte eine entscheidende Wende in der (Selbst-) Wahrnehmung des Menschen. Mit diesem Wandel des Menschenbildes ging auch eine Weiterentwicklung des Menschenwürdebegriffs einher. Im Zuge der Reformation ging der Einfluss der Kirche über das Individuum zurück. Luther erklärte, dass der Einzelne gegenüber Gott auf sich selbst gestellt sei. Dies bedeutete eine 57

Starck JZ 1981 S. 459 f. Verdross EuGRZ 1977 S. 207. 59 Jungmann S. 74 f.; zitiert bei Verdross EuGRZ 1977 S. 207. 60 Robbers in: Umbach/Clemens Art. 1 I GG Rn. 8. 61 Hegel Die Vernunft in der Geschichte S. 62. 62 Starck Freiheit und Institutionen S. 40; Starck in: FS-Badura S. 567; Vögele S. 302 f.; Zippelius/Würtenberger Staatsrecht S. 228 Rn. 1; Isensee in: Böckenförde/Spaemann S. 314 f.; Schreiber MedR 2003 S. 368; Hufen JuS 2010 S. 1. 63 Schütz BayVBl 1991 S. 617. 64 Schütz BayVBl 1991 S. 617. 58

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Anerkennung der Selbstverantwortung und des Selbstwerts des Individuums65. Im Zeitalter des Renaissance-Humanismus lösten sich mittelalterliche Bindungen; das Zeitalter der Kollektivität ging zu Ende. Im Zentrum dieses Aufbruchs stand die Entdeckung des Individuums. Subjektivität und Selbstwertgefühl prägten sich fortan zunehmend aus. Seit Petrarca (geb. 1304) kam es zu einer Abkehr von den Lehren der Scholastik und deren grundlegender miseria-hominis-These durch die dignitas-etexcellentia-Literatur66. Diese bildet ein Bekenntnis zur Bedeutung der diesseitigen menschlichen Existenz, in Distanzierung von der Vorstellung des Diesseits als bloßes Elend (misera). Der italienische Humanist und Politiker Giannozzo Manetti (geb. 1396) befasste sich mit Leib, Seele und Wirken des Menschen. In seinem Werk „De dignitate et excellentia hominis“ (Über die Würde und Erhabenheit des Menschen) betont Manetti die Würdeträgerschaft aller Menschen. Er begreift dabei Würde als durch Geburt vermittelte ontologische Größe. Ein weiterer Philosoph der Renaissance, der einen bedeutenden Beitrag zur Formung des Menschenwürdebegriffs leistete, war Giovanni Pico della Mirandola (geb. 1463). Ganz im Sinne des beschriebenen humanistischen Zeitgeistes lag seinen Lehren ein anthropozentrisches Würdeverständnis zugrunde. Er verstand Freiheit als Nicht-Fixiertheit. Bei Pico della Mirandola gründet sich Würde auf einen freien Willen und die Fähigkeit, das Leben selbst zu gestalten67. Der Mensch wird als Inbegriff von Möglichkeiten gesehen, die er zum Guten wie zum Schlechten wahrnehmen kann68. Großer Ertrag dieses Ansatzes ist die Betonung individueller Selbstbestimmung in anthropologischer, nicht wie bislang in rein theologischer, Perspektive69. Diese Entwicklung ist Ausdruck des stetig fortschreitenden Säkularisierungsprozesses. Im Zuge dessen wurde zwar die christliche Anthropozentrik grundsätzlich beibehalten, dabei jedoch mehr und mehr auf irdische Ziele bezogen. Würde wurde nicht mehr als ein Abglanz betrachtet, der aus der transzendentalen Welt auf dem Menschen fällt, sondern als Inbegriff dessen, was der Mensch in seinem irdischen Leben darstellt70. In der frühen Neuzeit kam es zu einer Synthese aus der miseria- und der dignitasLiteratur. Der französische Philosoph Blaise Pascal (geb. 1623) betonte die Doppelnatur des Menschen. Pascal sah die Würde in der Fähigkeit zur reflexiven Selbstwahrnehmung begründet. Der Mensch hinterfragt und durchdenkt sein Handeln zunächst theoretisch, um anschließend schöpferisch aktiv zu werden71. Dabei handelt es sich abermals um eine Fähigkeit, die der Mensch mit Gott gemein hat. 65 66 67 68

S. 12. 69 70 71

Schütz BayVBl 1991 S. 617. Wetz S. 30. Giovanni Pico della Mirandola Über die Würde des Menschen S. 5 f. Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 3; Rolf in: Brunn/Dietz u. a. S. 145; Hofmann Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S. 155. Bayertz ARSP 1995 S. 466. Blaise Pascal Gedanken S. 364 f.

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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Damit bewegt sich Pascal in der Tradition des Ansatzes von Giovanni Pico della Mirandola. Für Samuel Pufendorf (geb. 1623) bildete die Gleichheit aller Menschen das bestimmende Element des Würdebegriffs72. Er betonte die christliche Herkunft der Menschenwürde und leitete sie aus der von Gott geschaffenen sozialen Anerkennungsgemeinschaft ab. Die Würde ist nach Pufendorf Grundlage für sittlich gebundene Freiheit der Menschen und deren Gleichheit73. Es war Pufendorfs Verdienst, erstmals politische und rechtliche Folgen an den Menschenwürdebegriff zu knüpfen. Er beschränkte sich nicht auf deren Bedeutung für das Verhältnis von Gott zum Menschen. Darüber hinaus beschrieb Pufendorf das Verhältnis des Einzelnen zum Staat als ein vertragliches Verantwortungsverhältnis mit gegenseitigen Pflichten74. Eine weitere Epoche, deren Menschenbild dem Individuum und dessen (Selbst-) Wahrnehmung zentrale Bedeutung beimaß, war die Aufklärung. Dementsprechend vollzogen sich auch in der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts wegweisende Entwicklungen für das Verständnis der Menschenwürde. Dabei lieferte die Moralphilosophie von Immanuel Kant (geb. 1724) einen unverzichtbaren Baustein für Ausarbeitung und Erfassbarkeit des Menschenwürdebegriffs. Kants Beitrag zur philosophischen Ausarbeitung ist noch heute in Wissenschaft und Praxis entscheidender Ausgangspunkt für den Umgang mit dem Menschenwürdebegriff75. Er eröffnete in mehrfacher Hinsicht neue Perspektiven; so beschritt Kant den Weg der Säkularisierung des Würdebegriffs konsequent weiter hin zum Fokus auf die Stellung des individuellen Menschen gegenüber der weltlichen Gemeinschaftsautorität76 und erschütterte auf diese Weise die über viele Jahrhunderte nicht in Frage gestellten theologischen Würdekonzepte77. Andererseits stellen die Kantschen Ausführungen keine bedingungslose Abkehr von allem Vorangegangenen dar. Viele vorausgegangene Ansätze bereiteten ihnen den Weg, auch und gerade soweit Immanuel Kant sich von ihnen abhebt78. Kants Würdekonzept knüpft an die Grundlagen der stoischen Philosophie an. Entsprechend der stoischen Tradition erblickt er den Grund der Würde in der Fähigkeit des Menschen, sich nicht von Neigungen und Trieben bestimmen zu lassen. Entgegen der stoischen Überzeugung sieht Kant die Qualität der menschlichen Spezies nicht in der Fähigkeit zum richtigen Vernunftgebrauch, sondern zum Vernunftgebrauch an sich79, der Fähigkeit zur sittlichen Selbstbestimmung. Kants Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass er sich nicht auf Deskription beschränkte, wie die 72 73 74 75 76 77 78 79

Samuel Pufendorf De officiis liber I, caput 7 § 1; Verdross S. 260. Starck JZ 1981 S. 460; Hofmann AöR 1993 S. 364. Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S. 124. Vitzthum JZ 1985 S. 205; Dreier in: Härle/Preul S. 176. Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 6. Giese S. 35; Schulz Philosophie in der veränderten Welt 1972 S. 262. Robbers in: Umbach/Clemens Art. 1 I GG Rn. 9. Tiedemann Was ist Menschenwürde S. 61.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Vielzahl seiner Vorgänger, sondern versuchte, seine Aussagen zu belegen. Im Mittelpunkt der Kantschen Gedanken steht die menschliche Fähigkeit zur moralischen Selbstgesetzgebung. Diese Autonomie bestimmt Kant als Grund der menschlichen Würde80 : „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur81“. Kant geht davon aus, dass der Mensch als vernünftiges bzw. vernunftbegabtes Wesen in Selbstbindung an das Gesetz der Vernunft so handeln soll, „daß die Maxime seines Wollens jederzeit zugleich als Prinzip der allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“ (kategorischer Imperativ). Der Mensch selbst trägt also das moralische Gesetz in sich82. Entscheidende Bedeutung kommt den Begriffspaaren Mittel und Zweck, sowie Wert und Würde zu83. Wert ist dabei die Schätzung einer Sache in Relation zu einer anderen. Was einen Wert hat, kann folglich in Beziehung gesetzt werden und ist durch ein Äquivalent austauschbar. Würde hingegen ist der absolute innere Wert, der nur der mit Gewissen, praktisch vernünftiger Selbstverantwortung und der Fähigkeit zu rationaler Selbstbestimmung ausgestatteten Person zukommt, und diese damit einzigartig und unvertretbar macht. Diese Fähigkeit hebt den Menschen von allen anderen Geschöpfen und den Sachen ab. Der absolute Wert der Würde ist mit einem Anspruch auf Achtung verbunden84. In Konsequenz der Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung geht Kant davon aus, dass der Mensch als Zweck an sich selbst existiert. Dieser absolute Eigenwert der menschlichen Existenz diktiert den praktischen Imperativ, welcher noch immer entscheidenden Einfluss auf den anwendungsbezogenen Umgang mit dem Menschenwürdebegriff in der Gegenwart hat: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchtest“85. Auch in dieser Formulierung besteht ein bahnbrechender Schritt hin zur Menschenwürde als Verfassungsbegriff in der praktischen Anwendung. Es wird nämlich ein gegenseitiger Achtungsanspruch eingefordert, der sich sowohl an den Staat als auch an jedes einzelne Individuum richtet und so den staatlichen Würdeschutz mittels des Instrumentariums der Rechtsordnung vorbereiten hilft86. Aus der Autonomie des Menschen und damit aus der Menschenwürde folgert Kant die verfassungsrechtlichen Topoi von Freiheit und Gleichheit. Auch Friedrich Schiller befasste sich 1793 in seiner Schrift „Über Anmuth und Würde“ mit dem Menschenwürdebegriff. Für ihn ist Würde ebenfalls ganz im Sinne 80

Bayertz ARSP 1995 S. 468. Immanuel Kant Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 71; zitiert bei Vitzthum JZ 1985 S. 205 Fn. 92. 82 Schütz BayVBl 1991 S. 617. 83 Vitzthum JZ 1985 S. 205. 84 Hruschka ARSP 2002 S. 464. 85 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 11. 86 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 I GG Rn. 19; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 32. 81

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Kants auf Autonomie begründet; er bezeichnet sie als Ausdruck von Geistesfreiheit. Entscheidend ist für Schiller die menschliche Fähigkeit zur Triebhemmung und -kontrolle. In Anknüpfung daran stellt Schiller einen soziologisch-praktischen Bezug her, indem er aus der Fähigkeit des Einzelnen zur Selbstkontrolle sozial gefährlicher Bestrebungen eine Entlastung der staatlichen Kontrollinstanzen folgert. Würde ist insofern Bestandteil gesellschaftlicher Selbstverwaltung und Symbol einer liberalen Ordnungsvorstellung87. Entgegen Kant sieht Hegel (geb. 1770) die Menschenwürde als zu erwerbende Qualität und knüpft insofern an die Tradition antiker Wurzeln sowie des scholastischen Ansatzes an88. Nach Hegel ist Würde etwas Erstrebenswertes, das der Mensch durch vernunftgemäßen Gebrauch seiner gottgegebenen Willensfreiheit zu erlangen vermag89. Abermals kommt es nach diesem Ansatz auf ein bestimmtes aktives Verhalten des Menschen an. Eine weitere bedeutende Facette bilden die sozialistischen Würdetheorien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Lassalle (geb. 1825), Proudhon (geb. 1809) und später Ernst Bloch (geb. 1885) prägten Menschenwürde als politischen Kampfbegriff der Arbeiterbewegung90. Menschenwürde war dabei für Bloch ein Idealzustand, den es mittels ökonomischer Reorganisation der Gesellschaft herzustellen galt91. Proudhon bezog den Begriff der Gerechtigkeit mit ein und tat so einen wichtigen Schritt von der bloß theoretischen Grundlegung hin zur praktischen Anwendung92. Konsequente Fortsetzung dieser Entwicklung war die Aufnahme des oben zitierten Art. 151 in die Weimarer Reichsverfassung. Darin bestand der nunmehr letzte und für die Rechtswissenschaft entscheidende Schritt eines komplexen Entwicklungsprozesses, nämlich die positiv-rechtliche Rezeption eines über knapp 3000 Jahre hinweg ideengeschichtlich geprägten Konzepts. Dieser Entwicklungsprozess gipfelte schließlich in der fundamentalen Stellung von Art. 1 I GG. Zusammenfassend lässt sich die ideengeschichtliche Entwicklung des in Art. 1 I GG verankerten Menschenwürdebegriffs stark vereinfacht als Dreischritt darstellen93. Die Anlage des Würdekonzepts finden sich im Christentum, mit Vorläufern in der römischen und griechischen antiken Philosophie. Nachfolgend hat eine Ausarbeitung des Begriffs begleitet von einer Säkularisierung in der Philosophie stattgefunden, bevor es schließlich zur positiv-rechtlichen Übernahme durch verschiedene Verfassungen, als Grundlage des staatlichen Zusammenlebens, kam.

87

Giese S. 41 f. Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 12. 89 Schüttauf in: Brudermüller/Seelmann S. 27; Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S. 127. 90 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 4. 91 Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S. 129. 92 Holzhüter S. 20. 93 In diesem Sinne auch Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 6. 88

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

(b) Gegenwärtige Positionen In der gegenwärtigen Diskussion lassen sich zwei grundlegende Herangehensweisen an den Inhalt der Menschenwürde unterscheiden94. Zum einen werden positive Klärungsversuche unternommen, im Sinne einer Begriffsdefinition. Um ein juristisch-verfassungsrechtliches Maß anzulegen, geht es dabei um eine positive Umgrenzung des Schutzbereichs, wie sie bei den Freiheitsgrundrechten der Art. 2 ff. GG üblicherweise vorgenommen wird. Auf der anderen Seite steht eine Annäherung ex negativo; es wird nicht versucht, positiv festzuhalten, was Menschenwürde ist, sondern es wird im Einzelfall geklärt, ob die Menschenwürde durch ein bestimmtes Verhalten verletzt wird95. Dogmatisch wird die Problematik somit von der Ebene des Schutzbereichs auf diejenige des Eingriffs verlagert, indem an die Verletzungshandlung, nicht an das zu schützende Rechtsgut angeknüpft wird96. Innerhalb dieser beiden grundlegenden methodischen Ansätze gibt es sodann Subkonzepte, welche ihrerseits unterschiedliche Aspekte der Menschenwürde in den Mittelpunkt stellen. Vor allem in der Frühzeit des Grundgesetzes kam es zu Aussagen dahingehend, dass die Menschenwürde keiner weiteren Definition bedürfe97 oder einer solchen nicht zugänglich sei98. Teilweise wird sogar bereits im Versuch einer Definition eine Menschenwürdeverletzung erblickt99. Oft zitiert ist Theodor Heuß’ Satz von der „nicht interpretierten These“100. Der tiefere Sinn derartiger Überlegungen mag darin bestanden haben, größtmögliche Flexibilität zu bewahren und dem Wandel gesellschaftlicher Verhältnisse Rechnung tragen zu können101. Zu diesem Zwecke wurde eine feststehende Definition des Menschenwürdesatzes als kontraproduktiv empfunden. So ehrenwert diese Motive dem Grunde nach sind, wurden sie doch zu Recht kritisiert. Denn ein Wert, eine individuelle Position, gar ein Rechtsgut – dies wird im Anschluss zu klären sein – kann keine Wirkung entfalten, wenn sein Inhalt nicht hinreichend bestimmt ist102. Die Menschenwürde droht zu einer Worthülse zu verkommen103. Zuletzt schwingt in einer derartigen Herangehensweise auch ein Stück

94

Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 50 ff. Höfling JuS 1995 S. 859. 96 Zaar S. 18; Pieroth/Schlink Rn. 358; Höfling JuS 1995 S. 860; Haltern/Viellechner JuS 2002 S. 1201; Dreier DÖV 1995 S. 1038. 97 Nipperdey in: Neumann/Nipperdey/Scheuner Band II S. 1. 98 Doehring S. 281; Kyriazis-Gouvellis S. 30; Forsthoff Der Staat 1969 S. 524 verneint die Möglichkeit der Subsumtion. 99 Lindner DÖV 2006 S. 583. 100 JöR 1951 S. 49. 101 Nettesheim AöR 2005 S. 77. 102 Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S. 71; Schwarz KritVJ 2001 S. 201. 103 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 1. 95

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Resignation mit; Dreier spricht von einer „Definitionsscheu“104. Es wäre widersinnig, der Menschenwürde in der Gesellschaft wie auch in der Rechtsordnung elementare Bedeutung als absolutem Höchstwert zuzusprechen, um anschließend zugeben zu müssen, dass man zur näheren Erläuterung nicht in der Lage sei oder diese nicht für notwendig erachte. Um der Menschenwürde zur gebührenden und erforderlichen Wirksamkeit zu verhelfen, gilt es die Herausforderung einer Konkretisierung anzunehmen. Dies unternehmen aus einer positiven Perspektive zunächst die begrifflich als Mitgifttheorien etablierten Ansätze. In deren Rahmen wird Würde als Wert begriffen, weshalb auch die Bezeichnung als Werttheorien im Vordringen befindlich ist. Ein Wert ist in Anknüpfung an Kant grundsätzlich etwas Relatives, das durch ein Äquivalent ersetzt werden kann. Die Würde wird hingegen als absoluter Wert begriffen, von dem ausgehend alles andere seinen relativen Wert ableiten kann105. Sie wird hierbei als menschliche Eigenschaft betrachtet, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet und mit der er von der Natur oder von Gott ausgestattet wurde. Argumentiert wird teilweise vor einem theologischen Hintergrund, in Anlehnung an den frühchristlichen Gottesebenbildlichkeitsgedanken106. Teils wird stattdessen das kantische Personenkonzept unter besonderer Akzentuierung der Vernunftbegabung herangezogen107. Würde kommt demnach jedem einzelnen Menschen ohne Rücksicht auf eine gegenwärtige Aktualisierung oder Aktualisierungsmöglichkeit des Würdeanspruchs zu108. Auch muss sich der Träger seiner Würde nach diesem Ansatz nicht selbst bewusst sein109. Für ausreichend wird stattdessen die potentielle Fähigkeit der Wahrnehmung eigener Würde erachtet110. Diese Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Kreis der Würdeträger weit fassen und so die Menschenwürde in jeder Phase des Lebens zu begründen vermögen111. Aus juristisch-historischer Sicht ist festzuhalten, dass den Beratungen zum Grundgesetz im Parlamentarischen Rat ein solches Würdeverständnis zugrunde lag112. Kritiker führen an, dass die genannte weitreichende Begründungspotenz oft nur um den Preis einer Gleichsetzung von Menschenwürde und Leben zu erreichen sei, indem vom biologischen Faktum des Vorliegens von Leben auf das Vorhandensein von Menschenwürde geschlossen werde. Hofmann bezeichnet dies als 104 105 106 107 108 109 110 111 112

Dreier in: Härle/Preul S. 182. Lehnig S. 28. Rolf in: Brunn/Dietz u. a. S. 150 ff.; Hofmann AöR 1993 S. 357. Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 55; Thurner in: Heinzmann/Selcuk/Körner S. 83. Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 55. Lehnig S. 28. BVerfGE 39, 41. Will in: FS-Hirsch S. 34. Pieroth/Schlink Rn. 354; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 171.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

„biologistisch-kurzschlüssig“113. Zudem erfolgt zumindest durch einzelne Vertreter eine Bezugnahme auf religiöse transzendentale Anschauungen, die in der gegenwärtigen säkularen Gesellschaft nicht selbstverständlich als konsentiert zugrunde gelegt werden können114. Einen ganz anderen, wenn auch ebenfalls positiv gerichteten Ansatz, verfolgen die leistungsorientierten Theorien. Als Begründer wird zumeist Luhmann mit seinem Werk „Grundrechte als Institution“ aus dem Jahr 1965 zitiert115 ; er sollte jedoch nicht der einzige Vertreter einer derartigen Perspektive bleiben116. Anders als die Mitgifttheorien verstehen die Leistungstheorien Würde nicht als etwas immer Vorhandenes, sondern als etwas zu Erlangendes. Konkret wird Menschenwürde als Ergebnis eines aktiven Prozesses der Identitätsbildung und der Selbstdarstellung bezeichnet117. Dabei handelt es sich zwangsläufig um einen Prozess, den das Individuum ebenso verfehlen kann, wie er ihm zu gelingen vermag118. Bis zum Erreichen selbstbewusster Individualität mittels Selbstdarstellung ist der Mensch nach Luhmann nicht Subjekt, sondern Objekt119. Hinzu kommt, dass die einmal erlangte Würdeposition jederzeit durch „unwürdiges“ Verhalten verloren werden kann120. Ideengeschichtlich steht ein solches Verständnis in der Tradition antiker römischer oder griechischer Gesellschaftstheorien121. In Parallele zu den Freiheitsgrundrechten der Art. 2 ff. GG wird die Bedeutung des Hervorbringens personaler Identität und tatsächlicher Selbstbestimmung betont122. Positiv ist zu vermerken, dass dabei der Mensch in seinen sozialen Beziehungen in den Fokus genommen wird. Es wird nicht der Versuch unternommen, Würde am konkreten Individuum isoliert zu definieren, sondern es werden auch seine Beziehungen zu Dritten berücksichtigt123. In dieser umfassenden Ernstnahme der Personhaftigkeit des Menschen sowie in der Akzentuierung von dessen Subjektivität liegt trotz der dargelegten fundamentalen Unterschiede eine Parallele zu den Mitgifttheorien124. Anders als jene ist der leistungs-

113

Hofmann AöR 1993 S. 361. Schüttauf in: Brudermüller/Seelmann S. 36; Will in: FS-Hirsch S. 34; Hufen JZ 2004 S. 315; Spaemann in: Böckenförde/Spaemann S. 295; Fechner JZ 1986 S. 653; Schwarz KritVJ 2001 S. 207. 115 Luhmann S. 53 ff. 116 Krawietz in: GS-Klein S. 244 ff.; ähnlich Lampe in: FS-Maihofer S. 265 ff.; Bezugnahme auf Luhmann bei Vitzthum in: Klug/Kriele S. 130. 117 Luhmann S. 68. 118 Luhmann S. 69; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 11. 119 Luhmann S. 61. 120 Luhmann S. 61 f. 121 Vitzthum JZ 1985 S. 207; Robbers in: Umbach/Clemens Art. 1 I GG Rn. 18. 122 Pieroth/Schlink Rn. 355; Hofmann AöR 1993 S. 362. 123 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 11; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 172; Vögele S. 340. 124 Hofmann AöR 1993 S. 358. 114

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orientierte Ansatz dagegen weitgehend unabhängig von transzendentalen Bezügen, sondern beschränkt sich auf innerweltliche, insbesondere soziale Aspekte125. Dennoch ist ein derartiges Würdekonzept gewichtigen Bedenken ausgesetzt und entsprechend auf massive Kritik in der Literatur gestoßen. In der Konsequenz eines solchen Würdeverständnisses stünde Würde zur Disposition des einzelnen Menschen. Denn wenn Würde Resultat eines erfolgreichen, aktiven Handelns ist, kann der Einzelne sich ebenso passiv verhalten und somit darauf verzichten, am Streben nach Würde teilzuhaben. Zentraler Kritikpunkt am Luhmannschen Ansatz sind ferner die großen Probleme, die sich in Bereichen offenbaren, in denen Menschen zu der geforderten Leistung nicht oder nicht mehr in der Lage sind; gemeint sind insbesondere die Grenzbereiche am Anfang und am Ende des Lebens. Dieser Befund betrifft aber ebenso geistig behinderte oder vorübergehend bewusstlose Menschen. Gerade diese besonders schutzbedürftigen Gruppen würden konsequenterweise aus dem Schutz der Menschenwürde herausfallen126. Weitere Komplikationen ergeben sich daraus, dass ein solcher Ansatz eine subjektive Wertung und eine darüber richtende Bewertungsinstanz erforderlich macht, ob der erforderliche Identitätsbildungsprozess gelungen ist127. Selbst wenn es gar nicht die Intention der Vertreter dieses Ansatzes gewesen sein mag, eröffnen sie doch ohne Not beträchtliche Gefahren für einen umfassenden Würdeschutz128. Einen noch relativ jungen Ansatz bildet die sog. Kommunikationstheorie. Sie betrifft ähnlich wie die Leistungstheorien, anders als die Mitgifttheorien, in starkem Maße die Sozialität des Menschen. Hierbei wird vor allem die staatsstrukturelle Seite der Menschenwürde akzentuiert. Würde wird im Zuge dieser Interpretation als Relations- oder Kommunikationsbegriff verstanden129. Ein menschenwürdiges Dasein zeichnet sich demnach durch soziale Anerkennung mittels positiver Bewertung sozialer Achtungsansprüche aus130. Schutzgut des Menschenwürdesatzes ist mithin die mitmenschliche Solidarität131. Konstituierendes Element ist dabei das soziale Versprechen, sich wechselseitig anzuerkennen und würdig miteinander umzugehen132. Dieses Versprechen gegenseitiger Anerkennung hat eine Gemeinschafts- bzw. Staatsgründungsfunktion133. Jener Vertragsschluss bedarf der stetigen Aktualisierung im Sinne einer Erneuerung des Gründungsversprechens. Der Wiederholungs125

Hofmann AöR 1993 S. 362. Fink JURA 2000 S. 212; Vögele S. 340; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 172; Schwarz KritVJ 2001 S. 202 f. 127 Nettesheim AöR 2005 S. 92; Lehnig S. 30; Vögele S. 340. 128 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 44. 129 Hofmann AöR 1993 S. 364; Höfling in: FS-Schiedermair S. 374; Giese S. 73 f., 77. 130 Hofmann AöR 1993 S. 364. 131 Hofmann AöR 1993 S. 364; so auch Hufen JZ 2004 S. 317; Wagner S. 541; Maihofer Rechtsstaat und menschliche Würde S. 17 ff. insbesondere S. 19. 132 Hofmann AöR 1993 S. 374. 133 Hofmann AöR 1993 S. 368; Höfling in: FS-Schiedermair S. 374 f. 126

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vorgang fungiert dabei als reflektierte Fortschreibung dessen, was als konsentiert gelten darf134. Menschenwürde ist folglich auch nur innerhalb einer konkreten Solidargemeinschaft existent135. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er das Individuum nicht isoliert, sondern den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend in seinen sozialen Bezügen betrachtet. Dennoch wird er der individuellen Situation des Einzelnen gerecht, ohne dabei jedoch, wie die leistungsorientierten Ansätze, bestimmte schutzwürdige Gruppen auszugrenzen. Hinzukommt die Brücke, die dieser Ansatz zwischen Gesellschaft und Staat schlägt. In diesen beiden Schwerpunkten sieht sich Hofmann als Hauptvertreter der Kommunikationstheorie durch die Formulierung von Art. 7 I 2 der Landesverfassung Brandenburgs bestätigt. Dieser lautet: „Jeder schuldet jedem die Anerkennung seiner Würde“136.

Anlass zur Kritik geben die Ausführungen zur Kommunikationstheorie insofern, als sie dem Menschenwürdesatz ein, ständiger Erneuerung bedürfendes, Anerkennungsversprechen zugrunde legen. Eine solche Sichtweise wird dem ideengeschichtlich weitgehend unbestrittenen und in Art. 1 I GG sowie Art. 79 III GG positivrechtlich fundierten Absolutheitsanspruch der Menschenwürde nicht gerecht. Hofmann spricht von prinzipieller Gleichheit aller Menschen137, wohingegen die Menschenwürde absolute Gleichheit einfordert138. Noch einen Schritt weiter hinsichtlich der sozialen Komponente geht die Kulturtheorie139. Diese knüpft nicht im Sinne der Kommunikationstheorie an das theoretische Versprechen zur gegenseitigen Achtung an, sondern an die praktisch gelebte Kultur und ihre Vermittlung durch die Generationen. Der Menschenwürdebegriff wird dabei von der Kultur einer Gesellschaft geprägt und entspricht einem interaktiven Entwicklungsprozess zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum140. Der Ansatz teilt damit die genannten Vorteile der Kommunikationstheorie, kann jedoch als deren anwendungsorientierte Konkretisierung bezeichnet werden. Schließlich sind Podlechs Ausführungen im AK – GG zu erwähnen141. Diese werden nur vereinzelt als eigenständiger Ansatz aufgeführt und als Fünf-Komponenten-Theorie bezeichnet142. Wohl in Anknüpfung an Luhmann143 und Maihofer144 formuliert Podlech fünf zentrale Bedingungen, die für die Wahrung der Men134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144

Hofmann AöR 1993 S. 369; Sternberger Herrschaft und Vereinbarung S. 15. Zaar S. 49; Tiedemann Was ist Menschenwürde? S. 35. Hofmann AöR 1993 S. 370 f. Hofmann AöR 1993 S. 363. Zaar S. 51. Häberle HdStR Band II § 22 Rn. 53. Costa Barbosa S. 43 f. Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 17. Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 45; Höfling JuS 1995 S. 861 Fn. 77. Luhmann Grundrechte als Institutionen. Maihofer Rechtsstaat und menschliche Würde S. 17 ff. insbesondere S. 19.

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schenwürde erforderlich sind. Er rückt damit ab vom Anspruch, die Menschenwürde selbst positiv zu erfassen, sondern beschreibt stattdessen den Nährboden eines menschenwürdigen Daseins. Mit dieser Herangehensweise nimmt er eine dritte Position ein, zwischen der voranstehend dargestellten positiven Formulierung und der im Anschluss zu erörternden Bestimmung ex negativo. Die erforderlichen Grundbedingungen nach Podlech sind145: Freiheit vor Existenzangst im Sozialstaat durch Möglichkeit zur Arbeit und eine soziale Mindestsicherung, normative Gleichheit aller Menschen unter ausschließlicher Gestattung verantwortbarer tatsächlicher Ungleichheiten, Wahrung menschlicher Identität und Integrität durch freiheitlich-geistige Entfaltung des Einzelnen, Begrenzung staatlicher Gewalt durch rechtsstaatliche Einbindung und zuletzt Achtung der Körperlichkeit der Menschen als Ausdruck ihrer autonom verantworteten Individualität. So sehr diesen einzelnen Punkten inhaltlich beizupflichten ist, geht doch der Ansatz in zweierlei Hinsicht fehl. Zum einen wird Menschenwürde als Äquivalent für die gesamte Staatsverfassung und das menschliche Zusammenleben an sich verstanden. Aufgrund ihrer Komplexität lassen sich diese Systeme nicht auf fünf Bedingungen reduzieren, so dass der Ansatz einerseits zu speziell ist. Auf der anderen Seite werden in jeder einzelnen Bedingung neue unbekannte Variablen eingeführt, wie etwa die „verantwortbare tatsächliche Ungleichheit“. Derartige Formulierungen bedürfen ihrerseits der Konkretisierung. Insofern ist das Ergebnis im konkreten Einzelfall weiterhin eine offene Interpretationsfrage. Mithin liefert der Ansatz wenig an Erkenntnisgewinn. Er ist aufgrund der Verwendung weiterer unbestimmter Begriffe zugleich zu abstrakt. Es hat sich bislang gezeigt, dass eine befriedigende, weil umfassende, positive Formulierung des Menschenwürdesatzes, die etwa Vorlage einer Legaldefinition sein könnte, noch nicht gelungen ist. Infolgedessen wird vor allem in der pragmatisch orientierten Rechtsanwendung darauf ausgewichen, in Ansehung des konkreten Falls zu bestimmen, ob die Menschenwürde verletzt ist146. Pionierarbeit auf diesem Feld leistete Günter Dürig mit seiner häufig zitierten Objektformel147. Nach dieser ist eine Menschenwürdeverletzung gegeben, wenn „der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“148. Deutlich erkennbar sind dabei die Anleihen an die Kantsche Moralphilosophie. Dürig formulierte den positiven Begründungsansatz Kants von der Zweckhaftigkeit und Unvertretbarkeit jedes einzelnen Menschen, der in der Verhaltensmaxime des praktischen Imperativs zum Ausdruck kommt, negativ149. Damit war erstmals ein praktisch handhabbares Instrumentarium geschaffen, dessen sich auch das Bundesverfas145 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 23 ff.; zusammengefasst bei Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 45. 146 Riedel EuGRZ 1986 S. 474. 147 Vitzthum JZ 1985 S. 201. 148 Dürig AöR 1956 S. 127; in diesem Sinne schon Dürig JR 1952 S. 259. 149 Geddert-Steinacher S. 31.

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sungsgericht in zahlreichen Entscheidungen bediente150. Häufig kritisiert wird die Vagheit der Objektformel, die deshalb stellenweise auch als Leerformel oder leere Hülse151 bezeichnet wird. Dies hatte schon Schopenhauer am Kantschen Ansatz bemängelt152 ; bezüglich der Dürigschen Formel spricht Dreier von Identifikationsschwächen153. Das Ergebnis einer Anwendung der Objektformel auf den konkreten Einzelfall ist demnach stets das Resultat subjektiver Wertungen. Diese basieren ihrerseits auf gewissen Vorverständnissen154. Hinzukommt, dass die Menschenwürde bei wortwörtlichem Verständnis der Objektformel inflationär betroffen wäre155. Dies wäre einer allseits gefürchteten Entwicklung zuträglich, die Menschenwürde für „kleine Münze“156 zu nehmen. Ein derart hohes Gut darf nicht unter Wert bemüht werden, da es sonst seiner Durchschlagskraft und Glaubwürdigkeit verlustig geht157. Den Umstand, dass der Mensch in der gegenwärtigen Gesellschaft häufig als Objekt behandelt wird, hat auch das Bundesverfassungsgericht erkannt und aufgegriffen. Infolgedessen sah es sich im Abhör-Urteil veranlasst, eine Präzisierung dahingehend vorzunehmen, dass es eine subjektive Komponente einführte158. Demnach sei die Menschenwürde in Ergänzung der Objektformel nur dann verletzt, wenn das fragliche Verhalten die Subjektqualität des Menschen grundlegend in Frage stelle oder eine willkürliche Missachtung seiner Würde und Verachtung seines Personenwertes vorläge159. So laut zuvor die Rufe nach einer Konkretisierung gewesen waren, so vernichtend war nachfolgend die Kritik an der gewählten Einschränkung160. Denn weder die Willkürfreiheit noch die gute Intention des Handelnden vermögen eine objektive Menschenwürdeverletzung ins Gegenteil zu verkehren161. Ebensowenig genügt allein die subjektive Verwerflichkeit, wenn die in Frage stehende Verletzungshandlung nicht auch objektiv den Grad eines Eingriffs in die Menschenwürde erreicht162. Deutlicher: Auf die subjektive Motivation des Beeinträchtigenden kann es nicht ankommen163. Mehr noch, die Planmäßigkeit einerseits oder die gute Absicht auf der anderen Seite sind imstande, die vorliegende Verletzung noch intensiver zu gestalten164. 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164

BVerfGE 9, 95; 27, 6; 28, 391; 45, 228; 50, 175; 87, 228. Herdegen JZ 2001 S. 775; Hoerster JuS 1983 S. 96. Kritik aufgegriffen bei Hoerster JuS 1983 S. 93. Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 53. Herdegen in: GS-Heinze S. 360 f. Schwarz KritVJ 2001 S. 202; Hofmann AöR 1993 S. 360. Dieser häufig zitierte Begriff stammt ebenfalls aus Dürig AöR 1956 S. 124. Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 47; Schmalz Grundrechte Rn. 455. BVerfGE 30, 1 ff. BVerfGE 30, 26. Häberle JZ 1971 S. 151. Sondervotum BVerfGE 30, 40; Dederer AöR 2002 S. 4. Höfling JuS 1995 S. 860; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 24. Zaar S. 21. Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 14.

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Die subjektive Komponente hat sich somit nicht als taugliches Korrektiv erwiesen. Dies führt zurück zum Ausgangspunkt, der Negativbestimmung in Ansehung des konkreten Falls, bei welcher sich die Objektformel als erstes nützliches Instrumentarium bewährt hat. Der Vorteil eines derartigen Verfahrens besteht darin, auf individuelle Konfliktlagen reagieren zu können. Diese Betrachtung des Individuums und seiner konkreten Situation entspricht dem Menschenwürdegedanken. Auch kann auf diese Weise gesellschaftlichen Entwicklungen hinreichend Rechnung getragen werden165. Doch auch dieser Ansatz kann nicht bedingungslos überzeugen. Die bei der Objektformel angesprochene Vagheit spitzt sich für Negativbestimmungen insgesamt dergestalt zu, dass kaum eine sichere Prognose hinsichtlich des Einzelfallergebnisses möglich ist. Für einen zentralen Kernbereich unverbrüchlicher Tabus mag ein Generalkonsens bestehen, in dessen Bereich niemand eine Menschenwürdeverletzung leugnen möchte. In den kritischen und gerade in der aktuellen Diskussion besonders relevanten Grenzbereichen hingegen sind subjektiven Wertvorstellungen und persönlichen weltanschaulichen Bekenntnissen Tür und Tor geöffnet166. Für diese Fälle ergeben sich aus der Perspektive der Negativbestimmung, speziell verkörpert durch die Objektformel, keinerlei konkretisierende Anhaltspunkte, so dass die ersehnte Hilfestellung bei Ausfüllung des Menschenwürdebegriffs, beziehungsweise bei Feststellung von dessen Verletzung, fehlt. Zum voranstehenden Überblick zu gegenwärtigen Positionen bei der Bestimmung der Menschenwürde kann festgehalten werden, dass eine positive ebenso wie eine negative Herangehensweise an unterschiedlichen Schwächen leidet. Dennoch soll diese Gesamtschau genutzt werden, um die gängigen Ansätze auf ihre Tauglichkeit an den speziellen Konfliktsituationen an den Grenzen des Lebens zu messen. Es muss sich dabei zeigen, ob die etablierten Theorien dieser Herausforderung gerecht werden oder ob eventuell die spezifischen Sondersituationen am Beginn und Ende des Lebens auch Auswirkungen auf die Formulierung des Menschenwürdebegriffes haben. Dabei besteht die Schwierigkeit darin, einen Kompromiss zu finden zwischen universellem Gültigkeitsanspruch und praktischer Anwendung im konkreten Einzelfall. Vor dieser Untersuchung der gängigen Würdekonzepte anhand der Grenzbereiche des Lebens soll jedoch mit der sog. Gattungswürde ein weiterer Begründungsansatz behandelt werden. (3) Gattungswürde der Menschheit Es stellt sich die Frage, ob es neben der soeben behandelten individuellen Würde einen Menschenwürdebegriff geben kann, der das gesamte Menschengeschlecht an sich, losgelöst vom konkreten Individuum, schützt. In diesem Zusammenhang soll 165 166

Vitzthum JZ 1985 S. 202. Dreier in: Härle/Preul S. 183.

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nachfolgend von Gattungswürde gesprochen werden167. Dabei wird im Schrifttum differenziert zwischen dem subjektiven Gehalt der Menschenwürde, welcher das Individuum betrifft, und dem objektiven Gehalt, der eine Ebene höher ansetzt und die Achtung vor der menschlichen Rasse meint168. Nicht zu verwechseln sind die nachfolgenden Überlegungen mit Formulierungen aus dem Bereich der Mitgifttheorien, dem Individuum komme Würde allein kraft seiner Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung zu. Dabei handelt es sich immer noch um einen Ansatz zur Begründung individueller Würde unter Betonung der exponierten Stellung des Menschen gegenüber allen anderen Lebewesen und um eine Absage an leistungsorientierte Würdetheorien. Überlegungen bezüglich der Gattungswürde insgesamt werden vor allem im Zusammenhang mit dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Begründung eines postmortalen Würdeschutzes bemüht169. Auch leistungsorientierte Würdekonzepte treten der oben angesprochenen Kritik unter Verweis auf die Gattungswürde entgegen. In Bereichen, in denen das fragliche Subjekt nicht zur Erbringung der erforderlichen Leistung imstande sei, müsse ein umfassenderer Maßstab eröffnet und dessen Würdeschutz mit der Achtung vor der Menschheit insgesamt begründet werden170. Dabei argumentieren die Vertreter der Gattungswürde auf verschiedenen Operationsebenen und in unterschiedlicher Reichweite171. Sie stützen ihre Ausführungen etwa darauf, dass bereits Immanuel Kant von der Würde der Menschheit sprach172. Zuzugeben ist diesem Ansatz auf verfassungsrechtlicher Ebene jedenfalls, dass der positiv-rechtliche Niederschlag des Menschenwürdegedankens in Art. 1 I GG keine ausdrückliche Festlegung hinsichtlich einer Beschränkung auf die individuelle Würde trifft. So ist dort nicht explizit von der Würde des einzelnen Menschen die Rede. Ebenso gut erscheint die Lesart von der Würde des Menschen als Gattungswesen denkbar. Im Zentrum einer solchen Argumentation stehen missverständliche Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts wie „Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen“173. Diesen Gattungswürde-Ansätzen ist allerdings entgegenzuhalten, dass sie dem ohnehin schon schwer handhabbaren Begriff der (individuellen) Würde vollends die Kontur nehmen. Solch überschießende, objektive Gehalte entbehren praktikabler 167

So auch Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 116. Merkel S. 39 ff. 169 Geddert-Steinacher S. 73. 170 Als Kritikpunkt aufgeworfen bei Hofmann AöR 1993 S. 361 f.; Brugger JöR 2008 S. 105. 171 Witteck/Erich MedR 2003 S. 262; Braun KritJ 2000 S. 338; Bayertz ARSP 1995 S. 471 ff.; Ipsen JZ 2001 S. 992 f.; Vitzthum JZ 1985 S. 208 f.; Birnbacher in: Leist S. 268; Birnbacher in: Braun/Mieth/Steigleder S. 79; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 47; Isensee in: FS-Hollerbach S. 253; Merkel S. 39 ff.; Münch S. 8. 172 Bayertz ARSP 1995 S. 471; Birnbacher in: Leist S. 268; Merkel S. 39 f. 173 BVerfGE 87, 228. 168

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Konkretisierungskriterien174. Gerade in der aktuellen bioethischen Kontroverse wird der Charakter als Hilfskonstruktion deutlich. Die Anerkennung menschlicher Gattungswürde könnte zum universellen Totschlagsargument verkommen, das jedwede rationale Befassung im Keim erstickt und subjektiven Wertungen anheim stellt175. Eine Entkoppelung des objektiven Gehalts von der subjektiven Trägerschaft ist nicht möglich176. Dies war auch nicht die Intention des BVerfG. Tatsächlich ordnet dieses prinzipiell den subjektiv-rechtlichen Aspekt dem institutionellen vor177. Der objektive Charakter soll dienender Natur sein und die subjektive Seite verstärken178; ohne diese eigenständige Wirkung zu entfalten vermag er hingegen nicht. Auch das Wortlautargument bezüglich Art. 1 I GG lässt sich genauso für die Gegenposition fruchtbar machen. So ist dort ebenso wenig von der Würde der Menschheit oder der menschlichen Würde die Rede, sondern eben von der Würde des Menschen in der Singularform179. Die Gattungswürdeargumentation entspringt der Absicht, ein bestimmtes, als erstrebenswert eingeschätztes Menschenbild zu zementieren180. Anstelle des menschlichen Individuums wäre Schutzgut sodann eine bestimmte Ideologie181. Dies widerspricht gerade dem Grundgedanken des Menschenwürdesatzes, der kulturgeprägt und wandelbar ist. Auch auf der Ebene des Grundgesetzes existiert kein feststehendes, unverrückbares Menschenbild182. Schließlich hat sich schon im Zuge der ideengeschichtlichen Grundlegung gezeigt, dass im Mittelpunkt des Würdebegriffs gerade das Individuum steht. Kaum ein anderer Begriff lebt so sehr von der Position des einzelnen Menschen wie die Würde. Es wäre systemwidrig, diese Fixierung zu lösen und einen höheren Bezugsrahmen zu eröffnen. Auf diese Weise droht auch die bereits oben angeklungene Inflation des Würdebegriffs. Dieser würde noch weniger fassbar, könnte stets bemüht werden und würde so weiter an Wirkkraft einbüßen. Erstrebenswert ist ein Fortschritt in der entgegengesetzten Richtung. Nicht eine weitere Abstraktion, sondern eine Konkretisierung des Würdebegriffs ist das Ziel. Aubel geht in seiner umfassenden Kritik der Gattungswürde sogar soweit, dass die Loslösung vom konkreten Individuum die Menschenwürde zu einer Pflichtennorm wandeln und so die individuelle Garantie ins Gegenteil verkehren und bedrohen könnte183. Nach alledem ist ein Gattungswür174

Dreier in: Härle/Preul S. 209; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 29; Heun JZ 2002 S. 519 Fn. 30. 175 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 29; Neumann in: Klug/Kriele S. 145; Dreier DÖV 1995 S. 1039; Begriff des Totschlagarguments auch bei Hufen JuS 2010 S. 10. 176 Heun JZ 2002 S. 519. 177 BVerfGE 50, 337; Geddert-Steinacher S. 75. 178 BVerfGE 50, 337; Schwarz KritVJ 2001 S. 203; Geddert-Steinacher S. 79; Aubel Die Verwaltung 2004 S. 247; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 42. 179 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 29; Schwarz KritVJ 2001 S. 203. 180 Classen DVBL 2002 S. 143; Geddert-Steinacher S. 71; Herdegen JZ 2001 S. 774. 181 Neumann in: Klug/Kriele S. 145. 182 Suhr EuGRZ 1984 S. 531. 183 Aubel Die Verwaltung 2004 S. 248; so auch Enders EuGRZ 1986 S. 252.

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debegriff, der isoliert vom konkreten Würdeträger Wirkung entfaltet, unabhängig von den durchaus vielfältigen dogmatischen Konstruktionen, abzulehnen184. b) Funktion des Verfassungsbegriffs Menschenwürde – Grundrechtscharakter Im Gegensatz zur Geltung als objektiver Verfassungsrechtssatz in Abgrenzung zur bloß förmlichen Deklaration, die nicht ernsthaft zur Debatte steht, ist die konkrete dogmatische Einordnung des Art. 1 I GG seit jeher Gegenstand einer lebhaften Kontroverse im juristischen Schrifttum185. Dabei bewegt sich das Meinungsbild zwischen dem Charakter als Freiheitsgrundrecht, das dem Individuum ein subjektives Recht verleiht186, über vermittelnde Ansätze187 bis hin zur rein objektivrechtlichen Wertentscheidung188. Von Relevanz ist die Klärung dieser Frage nicht nur für die oft angeführten, hier allerdings weniger interessierenden Rechtsschutzmöglichkeiten189. Daneben ist die Klärung des Würdeverständnisses richtungweisend für die Konkretisierungsarbeit, also die Annäherung an den Würdeinhalt190. Dieses Verständnis bedingt Auswirkungen auf den Umgang mit dem Würdesatz insbesondere im Hinblick auf die Frage nach Abstufungspotentialen und der Auflösung konkreter Interessenkollisionen191. Das Bundesverfassungsgericht geht in zahlreichen Entscheidungen von der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gestützt auf Art. 1 I GG aus, ohne dabei den Grundrechtscharakter näher zu begründen192. Dabei spricht das Verfassungsgericht an einigen Stellen ausdrücklich vom Grundrecht des Art. 1 I GG193, betont jedoch 184

So auch Geddert-Steinacher S. 78 f.; Enders JURA 2003 S. 670; Löw DÖV 1958 S. 519; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 3; Neumann in: Klug/Kriele S. 145; Lerche in: Lukes/ Scholz S. 106; Classen DÖV 2009 S. 693. 185 Krawietz in: GS-Klein S. 275 f.; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 42, 124; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 28. 186 Krawietz in: GS-Klein S. 278 ff.; Löw DÖV 1958 S. 520; Nipperdey Grundrechte II S. 11; Stern Staatsrecht III / 1 S. 26 f.; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 61; Pieroth/ Schlink Rn. 350; Höfling JuS 1995 S. 857 f.; Robbers in: Umbach/Clemens Art. 1 I GG Rn. 3 ff.; von Münch in: FS-Rauschning S. 29; Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 86; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 26. 187 Blankenagel KritJ 1987 S. 386 f.; Zippelius in: BK – GG Art. 1 I GG Rn. 24 ff. 188 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 127 ff.; Geddert-Steinacher S. 166, 272; Doehring S. 280 f.; Kyriazis S. 30 f.; Isensee in: Schwartländer S. 71; Isensee Der Staat 1980 S. 371; Neumann KritVJ 1993 S. 288; Zuck NJW 2002 S. 869. 189 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 61; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 9 hält den Streit aufgrund bestehender Rechtsschutzmöglichkeiten für irrelevant. 190 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 26. 191 Doehring S. 280. 192 BVerfGE 12, 123; 50, 262; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 26; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 124; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 9. 193 BVerfGE 1, 343; 15, 255; 51, 105; 61, 137; 109, 150.

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auch stets dessen Charakter als „tragendes Konstitutionsprinzip“194 oder „Mittelpunkt einer Wertordnung“195, mithin die objektiv-rechtliche Komponente. Hinsichtlich des Verhältnisses zu den nachfolgenden Grundrechten spricht es in einer Entscheidung davon, dass diese ihren Grund in der Menschenwürde haben und deren Verwirklichung dienen196. An anderer Stelle wird ein Subsidiaritätsverhältnis zu Lasten von Art. 1 I GG, entsprechend demjenigen des Auffanggrundrechts in Art. 2 I GG konstruiert197. Der Normtext selbst gibt keinen entscheidenden Ausschlag für die eine oder die andere Position. Wortlautargumente können für beide Seiten fruchtbar gemacht werden, ohne jedoch eine zwingende Schlussfolgerung nahezulegen198. Ebenso verhält es sich mit der systematischen Stellung der Norm. Einerseits ist sie Teil des Grundrechtskatalogs, was für ein subjektives Recht ins Feld geführt werden kann. Andererseits kann diese exponierte Stellung zu Beginn des Grundrechtsteils und der gesamten Verfassung ebenso gut als Anhaltspunkt für eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung, die den Grundrechten vorausgeht und deren Anwendung und Auslegung prägt, betrachtet werden. Ersten Erkenntnisgewinn verspricht die entstehungsgeschichtliche Analyse. So hatte die Menschenwürdenorm zahlreiche Vorläufer in Landesverfassungen, die ausweislich der Grundgesetz-Materialien für Art. 1 GG Modell standen199. Die dortigen Gewährleistungen wiederum waren ihrerseits weitgehend einvernehmlich als subjektive Rechte in Sinne von Grundrechten anerkannt200. Auch der dargelegte historische Hintergrund der Zeit des Nationalsozialismus wird gegen eine Einordnung als bloße Ordnungsidee vorgebracht201. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Annahme einer objektiv-rechtlichen Wertentscheidung nicht zwingend einer Degradierung des Menschenwürdesatzes gleichkommen muss. Wenn der Grundrechtscharakter verneint wird, dann geschieht dies ganz im Gegenteil vor dem Hintergrund, die Menschenwürde auf eine höhere Ebene zu stellen202. Entscheidendes Kriterium ist damit die Frage nach Sinn und Zweck der Regelung. Hierbei wird von den Gegnern der Einordnung als subjektive Berechtigung zumeist die Singularität der Menschenwürde in strikter Abgrenzung zu den nachfolgenden Grundrechten betont. Während die Grundrechte den auftretenden Interessenkon194

BVerfGE 6, 36; 61, 137; 72, 115; 109, 149. BVerfGE 35, 235. 196 BVerfGE 35, 235. 197 BVerfGE 51, 105 198 Löw DÖV 1958 S. 517 f.; Krawietz in: GS-Klein S. 278 f.; Zippelius in: BK – GG Art. 1 I GG Rn. 25; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 29. 199 Vögele S. 277 ff. 200 Krawietz in: GS-Klein S. 280; Löw DÖV 1958 S. 518. 201 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 26; Herdegen in: GS-Heinze S. 359. 202 Isensee Der Staat 1980 S. 371. 195

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flikten im Zuge des sozialen Zusammenlebens Rechnung tragen und grundsätzlich einem schonenden Ausgleich zugeführt werden können, kommt der Menschenwürde ein ausdrücklicher Absolutheitsanspruch zu, der sich nur schwer in das Gesamtgefüge der Grundrechtsordnung einzugliedern vermag. Im Zuge dessen wird Art. 1 GG unter anderem als „regulatives Prinzip und Maßstab der Verfassungsinterpretation“203, „Grundnorm von Staat und Recht“204, „eines der höchsten Ziel- und Formprinzipien“205, „Grund und Boden der Grundrechte“206, „dem Grundgesetz zugrunde liegendes Prinzip mit Abänderungsverbot“207 oder „Grundsatz statt Grundrecht“208 bezeichnet. In der Einordnung als Grundrecht wird eine Gefahr dahingehend erblickt, dass bereits dieser Schritt einer, obgleich ungewollten, Relativierung des Menschenwürdesatzes Vorschub leisten könnte209. Zu diesem Zwecke wird versucht, Art. 1 GG auf eine höhere Ebene zu stellen: entweder den Grundrechten vorgeordnet oder übergeordnet. Teilweise wird eine subjektive Rechtsposition auch nicht als notwendig erachtet, da die Freiheitsgrundrechte alle denkbaren Gefährdungslagen abdeckten, also kein Fall denkbar sei, in dem nur die Menschenwürde, nicht jedoch auch ein Einzelgrundrecht verletzt sei. Um subjektive Wirkung zu entfalten, könne die Menschenwürde gegebenenfalls mit den Grundrechten der Art. 2 ff. GG kombiniert werden. Diese Argumentation überzeugt nicht. Wie insbesondere die zunehmend voranschreitende Ausarbeitung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Gebiet des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zeigt, vermögen die Art. 1 GG nachfolgenden Grundrechte keinen lückenlosen Schutz angesichts sich stets aktualisierender Gefährdungslagen zu bieten210. In der Tat enthält Art. 1 GG einen die übrigen Grundrechte überschießenden Gehalt211. Hinzukommt bei Verneinung des Grundrechtscharakters die Gefahr, dass der Menschenwürdesatz in den übrigen Grundrechten aufgeht212 und so mangels praktischer Relevanz an Wertverwirklichung einbüßt213. Gerade die Menschenwürde besitzt insofern eine wichtige Bedeutung im Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen, als sie diesen einerseits als flexibles Instrumentarium entgegenzutreten vermag, andererseits jedoch aufgrund ihres Abso203

Geddert-Steinacher S. 166, 172; Neumann KritVJ 1993 S. 288. Geddert-Steinacher S. 172. 205 Isensee Der Staat 1980 S. 371. 206 Isensee Der Staat 1980 S. 371. 207 Zuck NJW 2002 S. 869. 208 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 128. 209 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 127. 210 Zippelius in: BK – GG Art. 1 I GG Rn. 28; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 26; Löw DÖV 1958 S. 520. 211 Ipsen JZ 2001 S. 990. 212 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 26; Herdegen in: GS-Heinze S. 360; Di Fabio JZ 2004 S. 5. 213 Herdegen in: Brudermüller/Seelmann S. 63; Löw DÖV 1958 S. 518. 204

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lutheitsanspruchs gewisse unbestrittene Mindeststandards als Grundlagen der menschlichen Gemeinschaft garantieren kann. Nicht zwingend ist indes im Allgemeinen das Argument, mit der Verpflichtung des Adressaten korrespondiere stets die subjektive Berechtigung eines Trägers214. Dennoch ist eine solche Annahme für das Grundgesetz im Besonderen, das speziell auf die Beziehung zwischen Staat und Individuum zugeschnitten ist, nicht fernliegend. So wird dem Grundgesetz insgesamt eine Tendenz zugesprochen, subjektive Positionen zu stärken. Auch entspricht dies gerade der dargelegten Intention des Menschenwürdesatzes. Infolgedessen wird es vielfach als systemwidrig und widersinnig bezeichnet, gerade Art. 1 GG die subjektive Geltung abzusprechen215. In diesem Zusammenhang wird sogar angeführt, es sei gerade Ausdruck der Menschenwürde, diese auch individuell geltend machen zu können216. Nach allem ist der Grundrechtscharakter des Art. 1 I GG zu bejahen, ohne dass dies die Bedeutung als objektiv-rechtliche Wertentscheidung schmälern würde217. Die Norm erfüllt eine Doppelfunktion218. Diese Erkenntnis schließt auch die Sonderstellung des Art. 1 I GG gegenüber den übrigen Grundrechten der Art. 2 ff. GG nicht aus, welche sich über die Einbeziehung in Art. 79 III GG und den expliziten Absolutheitscharakter manifestiert. Diese beiden letztgenannten Punkte sind Grundlage einer grundrechtsinternen Normenhierarchie, an deren Spitze die Menschenwürde als objektiv-rechtliche Grundsatzentscheidung und subjektiv-rechtliche Individualposition steht. c) Dimensionen des Würdeschutzes in Art. 1 I GG aa) Abwehrdimension im Verhältnis Staat-Bürger Art. 1 I 2 GG verpflichtet zunächst alle staatliche Gewalt, die Menschenwürde zu achten. Dies meint umfassend alle staatlichen Organe und Funktionen der drei Staatsgewalten im Sinne des Art. 1 III GG219. Mangels weitergehender Verpflichtungsbefugnis wird nur die inländische Staatsgewalt angesprochen,220 Beeinträch-

214

Höfling JuS 1995 S. 858; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 4. Krawietz in: GS-Klein S. 279 f.; Höfling JuS 1995 S. 858; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 5; Ladeur/Augsberg S. 33; Löw DÖV 1958 S. 519; Ipsen JZ 2001 S. 991; Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 86. 216 Löw DÖV 1958 S. 519. 217 Löw DÖV 1958 S. 518. 218 Zippelius in: BK – GG Art. 1 I GG Rn. 26; Hufen JZ 2004 S. 314 f.; Heuermann/ Kröger MedR 1989 S. 169. 219 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 135; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 4; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 16; Stern in: FS-Scupin S. 635; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 8; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 81. 220 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 135; a.A. Brugger S. 18 f., 41 f. 215

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tigungen der Menschenwürde durch eigenes Tun zu unterlassen221. Bei dieser Abwehrdimension im Sinne eines status negativus handelt es sich um die klassische Grundrechtsfunktion im Verhältnis der staatlichen Gewalt zum Bürger222. Der staatlichen Verpflichtung entspricht ein subjektiver Unterlassungsanspruch des einzelnen Würdeträgers223. bb) Schutzpflichtdimension im Verhältnis Staat-Bürger Die zweite Grundrechtsdimension kommt in der Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Menschenwürde im Sinne eines status positivus zu schützen, zum Ausdruck224. Art. 1 I 2 GG enthält somit auch einen aktiven Verfassungsauftrag an den Staat, positiv tätig zu werden, um Grundbedingungen zu schaffen und zu erhalten, die der Schutz der Menschenwürde erfordert, sowie gegenüber privaten Übergriffen zu intervenieren225. Diese Schutzpflichtdimension gewinnt zunehmend an Bedeutung, da insbesondere im Zuge moderner wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen nicht mehr nur im klassischen vertikalen Grundrechtsverhältnis Staat zu Bürger, sondern auch von Seiten Dritter, auf horizontaler Ebene, Gefährdungen der Menschenwürde drohen226. Der Menschenwürdeschutz wäre unvollkommen und könnte dem in Art. 1 I 1 GG niedergelegten Absolutheitsanspruch nicht gerecht werden, wenn der Staat sich darauf beschränkte, eigene Eingriffe zu unterlassen227. Auch hinsichtlich dieser zweiten Wirkdimension des Menschenwürdesatzes korrespondiert der objektiven Schutzpflicht ein subjektiv-rechtlicher Schutzanspruch auf staatliches Tätigwerden228. Diesem Schutzauftrag kann der Staat auf zwei grundlegende Arten nachkommen: Entweder mittels staatlicher Leistungen oder durch staatliche Verbote und Sanktionen229. Bei Erfüllung sämtlicher Facetten des Schutzauftrags kommt dem Staat ein

221 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 13; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 71; Badura S. 119 Rn. 32. 222 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 72; Voss DRiZ 1997 S. 509; Ipsen DVBL 2004 S. 1382; Gramm/Pieper S. 68; Epping Rn. 14; Enders JURA 2003 S. 669; Haltern/Viellechner JuS 2002 S. 1197. 223 Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 38. 224 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 73. 225 BVerfGE 1, 104; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 38; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 8; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 15; Leibholz/Rinck Art. 1 GG Rn. 9; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 14; Badura S. 119 Rn. 32. 226 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 73. 227 Hermes S. 138; Dirnberger S. 149; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 40. 228 Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 39; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 14. 229 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 40; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 74; Geddert-Steinacher S. 103 f.; Hermes S. 138 f.

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weiter Ermessensspielraum zu230. Dies lässt sich auf die Formel reduzieren, dass Art. 1 I 2 GG nur das Ziel vorgibt, nicht hingegen den konkreten Weg231. Angesprochen ist in erster Linie die unmittelbar demokratisch legitimierte und pluralistisch besetzte Legislative mit der Aufforderung zur Schaffung einer Rechtsordnung, welche dem Schutz der Menschenwürde dient232. (1) Staatliche Verbote und Sanktionen Im Zuge der Ausgestaltung der Rechtsordnung ist das Strafrecht mit abstrakter Sanktionsandrohung und konkreter Vollstreckung eines der vielfältigen denkbaren Instrumentarien233. Sofern der Gesetzgeber eine Regelung getroffen hat, ist er damit nicht aus seiner Schutzpflicht entlassen. Diese wandelt sich dann um in eine Überwachungs-, Kontroll- und gegebenenfalls Nachbesserungspflicht234. Der Gesetzgeber muss also die praktische Effektivität einer bestimmten Regelung sondieren und diese – sofern erforderlich – den tatsächlichen Entwicklungen anpassen235. Dieser Nachsorge entspricht im Vorfeld des Normerlasses ein Informationsgebot, das die zuständigen staatlichen Organe anhält, potentielle Gefahren für die Menschenwürde möglichst frühzeitig zu erkennen, um diesen entsprechend entgegentreten zu können236. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die verfassungsrechtliche Schutzpflicht durch die drei Gewalten im konkreten Fall eine Ebene tiefer, also mittels Ausgestaltung des einfachen Rechts, sowie durch dessen Anwendung wahrgenommen wird. (2) Menschenwürde als Auftrag Ebenfalls aktiv geprägt ist eine weitere Wirkrichtung des Art. 1 I GG, welche in Rechtsprechung und Schrifttum oft in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG zitiert wird237. Demnach besteht eine Verpflichtung des Staates, mittellosen Bürgern die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu 230

Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 41; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 8; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 14; Geddert-Steinacher S. 98; Haltern/Viellechner JuS 2002 S. 1202; Merkel S. 44. 231 Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 41. 232 Dietlein S. 29; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 74; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 136; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 14; Heun JZ 2002 S. 524; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 41; Szczekalla JA 2002 S. 994; Wahl/Masing JZ 1990 S. 558 f.; Sendler NJW 2001 S. 2150. 233 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 42; Vitzthum MedR 1985 S. 257; Hofmann JZ 1986 S. 255. 234 BVerfGE 88, 269; Goerlich S. 74; Hillenkamp in: FS-Eisenberg S. 301 ff. 235 BVerfGE 88, 309; Benda NJW 2001 S. 2147. 236 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 43; BVerfGE 49, 132; 56, 78; 88, 310; Stern in: FS-Badura S. 581. 237 BVerfGE 82, 85; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 15; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 77; Wagner S. 541 stellt unmittelbar auf die Menschenwürde ab.

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sichern. Dies soll mittels materiellen und ideellen Engagements des Staates geschehen. Auch hierbei entspricht der objektiven staatlichen Verpflichtung eine subjektive Berechtigung des Bedürftigen. Teilweise wird als Begründung auch der Demokratiegedanke herangezogen238. Obgleich die Rechtsprechung des BVerfG und deren Reflektion im juristischen Schrifttum in erster Linie materielle Leistungen zur Erreichung des Existenzminimums betreffen, erschöpft sich die genannte Wirkrichtung nicht in dieser Funktion239 und kann gerade vor dem Hintergrund des Demokratiegedankens noch weiter abstrahiert werden. Kerngehalt dieses Ansatzes ist letztlich die mitmenschliche Solidarität. Diese kann über bloß materielle Zuwendungen hinaus eine Handlungsanforderung gegenüber Bedürftigen konstituieren240. Eine solche Bedarfssituation besteht oftmals gerade an den Grenzbereichen des Lebens. Explizit angesprochen hat das BVerfG bereits die Verpflichtung der Gemeinschaft, Bedürftige bestmöglich in die Gesellschaft einzugliedern, ihnen Betreuung zuteil werden zu lassen und gegebenenfalls die notwendigen Pflegeeinrichtungen zu schaffen241. Infolgedessen könnte die Menschenwürde als Handlungsauftrag interpretiert werden, an den Grenzen menschlicher Existenz in einer bestimmten Weise zu verfahren. Fraglich ist allerdings, wie konkret dieser Handlungsauftrag ist. Auch bei dieser Wirkrichtung steht nämlich eine Vielzahl von möglichen Alternativen zur Verfügung und es besteht gleichfalls eine weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers242. Es wäre denkbar, dass sich die Handlungsalternativen angesichts einer konkreten Interessenkollision zu einem feststehenden Handlungsbefehl und einem damit korrespondierenden Anspruch verdichten. Dies gilt es an entsprechender Stelle, also angesichts einer bestimmten Gefährdungslage auf Ebene des Eingriffs oder im Rahmen eines konkreten Interessenausgleichs auf Ebene der Rechtfertigung, zu klären. Bereits an dieser Stelle ist allerdings die Erkenntnis des BVerwG einzubringen, dass es sich beim „menschenwürdigen Dasein“ um einen höchst unbestimmten Begriff handelt243. Daraus folgt eine Tendenz der Rechtsprechung, diese Komponente des Menschenwürdesatzes als Korrektiv anzuwenden, welches der Sicherung elementarer Mindeststandards dient. Ein solch regulierender Einsatz bedingt stets Wertungen des Anwenders244. (3) Anmerkung zur Schutzpflichtdimension, Art. 1 I 2 GG Nicht zu verwechseln ist die soeben dargelegte Schutzpflicht aus Art. 1 I 2 GG speziell für die Achtung der Menschenwürde mit der Detailfrage, ob sich aus der

238 239 240 241 242 243 244

Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 77. Trenk-Hinterberger ZfSH 1980 S. 50. In diesem Sinne auch Dworkin S. 325. BVerfGE 40, 133. BVerfGE 40, 133. BVerwGE 25, 317; 35, 180 f. Trenk-Hinterberger ZfSH 1980 S. 53; Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 91.

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Menschenwürdegarantie daneben allgemeine Schutzpflichten hinsichtlich der Gewährleistung anderer Grundrechte ergeben245. cc) Unmittelbare Drittwirkung im Verhältnis Bürger-Bürger Wie bereits oben ausgeführt, bezieht sich die Grundrechtsordnung klassischerweise auf das Verhältnis Staat zu Bürger246. Anerkannt ist jedoch eine Ausstrahlung der Grundrechte in Gestalt mittelbarer Drittwirkung auf die übrige Rechtsordnung. Diese manifestiert sich etwa in der Berücksichtigung der Grundrechte bei Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen247. Jene Ausstrahlungswirkung liegt darin begründet, dass die Grundrechte neben ihrem subjektiven Gehalt eine objektive Werteordnung konstituieren. Eine hiervon isolierte Betrachtung der übrigen Rechtsordnung ist schlechterdings nicht möglich248. Demgegenüber bildet eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte die absolute Ausnahme und findet in Art. 9 III GG ihren einzig ausdrücklich geregelten Fall. Speziell für die Menschenwürde ist jedoch angesichts ihrer elementaren Bedeutung sowie ihrer daraus resultierenden verfassungsdogmatischen Sonderstellung auch innerhalb des Grundrechtskatalogs umstritten, ob diese gleichfalls eine unmittelbare Drittwirkung auf horizontaler Ebene, also zwischen Privaten, entfaltet. Bedenken gegenüber einer solchen Perspektive erzeugt die Formulierung von Art. 1 I 2 GG, in welchem ausschließlich die staatliche Gewalt verpflichtet wird. Zudem widerspräche die Annahme der Drittwirkung dem grundrechtsdogmatischen Regelfall. Der Geltungsbereich der Menschenwürdegarantie würde stark ausgeweitet und es könnte zu Komplikationen kommen, wenn sich sämtliche Grundrechtsberechtigte ihrerseits untereinander auf ein Grundrecht berufen könnten249. Dem ist der singuläre Charakter der Menschenwürdegarantie im Sinne einer umfassenden Fundamentalgarantie entgegenzuhalten250. Art. 1 I 1 GG formuliert den Unantastbarkeitsanspruch uneingeschränkt. Diese angestrebte Absolutheit wäre nicht zu erreichen, wenn Adressat der Würdenorm ausschließlich der Staat wäre251. Außerdem betonen jedenfalls Anhänger der im Vordringen befindlichen Kommunikationstheorie den Gesellschaftsbezug des Menschenwürdesatzes und folgern daraus, dass im Begriff Menschenwürde selbst bereits die horizontale Wirkrichtung 245

Zur Begrifflichkeit Stern Staatsrecht III / 1 S. 937. Katz Rn. 607; Sodan/Ziekow § 22 Rn. 17; Bultmann S. 184 f.; Gramm/Pieper S. 68. 247 Poscher S. 288 f.; Koch S. 436 ff. 248 BVerfGE 73, 269; Arndt/Rudolf Rn. 375; Hufen S. 100 Rn. 9; Manssen Rn. 98; Katz Rn. 617. 249 Papier in: HdGR § 55 Rn. 21 f. 250 Schmidt-Glaeser ZRP 2000 S. 397; von Münch JuS 1997 S. 250; Pap MedR 1986 S. 231. 251 Aubel Die Verwaltung 2004 S. 239; Aubel JURA 2004 S. 258 f.; Herdegen in: Maunz/ Dürig Art. 1 I GG Rn. 70. 246

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angedacht sei, ohne dass es einer ausdrücklichen Festlegung bedürfe252. Hinzukommt, dass aus den Materialien des Grundgesetzes hervorgeht, dass eine solche unmittelbare Drittwirkung dem Willen des historischen Verfassungsgebers entspricht253. Der Gedanke der Direktwirkung hat in jüngeren Landesverfassungen erstmals auch ausdrücklich Niederschlag gefunden; so heißt es im zuvor bereits zitierten Art. 7 I 2 BrandenbVerf: „Jeder schuldet jedem die Achtung seiner Würde“254. Schließlich zeigt auch Art. 9 III GG, dass die Direktwirkung zwar eine Ausnahme bildet, aber ebenso wenig kategorisch ausgeschlossen ist. Diesem in der Lehre vorherrschenden Ansatz hat sich zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung angeschlossen255. Nicht zutreffend ist indes der vermittelnde Hinweis, es handle sich bei diesem Streit um eine reine Konstruktionsfrage; die Direktwirkung könne durch eine Aktualisierung der staatlichen Schutzpflicht anhand der konkreten Bedrohung durch Private ersetzt werden256. Dieser Ansatz übersieht, dass in den erwogenen Alternativen der Adressat divergiert. Konsequenz ist zwar in beiden Fällen staatlicher Handlungsbedarf; dennoch sollten die Lösungen aufgrund der unterschiedlichen Adressaten nicht gleichgesetzt werden. Demzufolge ist angesichts der hohen Bedeutung der Menschenwürdewürdegarantie auf gesellschaftlicher Ebene sowie ihrer hervorgehobener Stellung im Verfassungsgefüge deren Direktwirkung unter Privaten zu bejahen. d) Gefahren und aktuelle Tendenzen im Umgang mit Art. 1 I GG Nachdem nunmehr in vorbereitenden Schritten zunächst die historischen, anschließend die philosophischen und theologischen sowie zuletzt die juristischen Grundlagen zu Art. 1 I GG dargelegt wurden, rückt dessen konkrete praktische Anwendung auf aktuelle Problemlagen in den Fokus. Zu diesem Zweck sei vorab noch auf zweierlei Gefahren im fallbezogenen Umgang hingewiesen. Diese sollten als Auslegungs- und Anwendungsleitlinien stets im Sinne behalten werden, um der Menschenwürde gebührende Effektivität zu bewahren. Zum einen ist bemerkenswert, dass der einzigartige Höchstwert der Menschenwürde allzu oft unter Wert bemüht wird. Dreier spricht von der Tendenz zur Trivialisierung, Aufblähung und Ubiquität, wenn etwa im Falle alltäglicher Belastungen im Rahmen eines gesellschaftlichen Miteinanders Verletzungen der Menschenwürde

252 253 254 255 256

Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 54. JöR 1951 S. 48, 51; Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Band 2 S. 218, 513. Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 54. BVerwGE 115, 199. Polzin JURA 2000 S. 278; Stern Staatsrecht IV / 1 S. 66; Geddert-Steinacher S. 94 f.

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gerügt werden257. Oftmals wird das schwere Geschütz der Menschenwürde als Totschlagsargument mit starkem Appellcharakter missbraucht in Fallkonstellationen, die tatsächlich weit unterhalb der Reaktionsschwelle des Art. 1 GG liegen258. Beweggrund eines solch unreflektierten Einsatzes ist das Bestreben, ein unwiderlegbares „Gewinnerargument“259 parat zu haben, wenngleich dadurch jedwede sachliche Auseinandersetzung unterbunden wird260. Dabei wird auch der Versuch unternommen, aufgrund nicht zu beanstandenden Unbehagens gegenüber gesellschaftspolitischen Entwicklungen die Menschenwürde ins Feld zu führen261. Eine solch häufige, vielfach unüberlegte und überzogene Anwendung des Art. 1 GG birgt die Gefahr einer Inflation, einer Abnutzung durch Überinterpretation262. Diese wiederum bedingt eine Entwertung, im Zuge derer die Menschenwürde ihrer exzeptionellen Stellung und außerordentlichen Wirkkraft verlustig zu gehen droht263. Genau dieser Gefahr gilt es durch einen restriktiven und stets wohl überlegten Einsatz des Menschenwürdearguments entgegenzuwirken264. Entsprechenden Anlass zur Skepsis bereitet aber auch die diametral entgegengesetzte Perspektive. Insbesondere gegenüber neuartigen Herausforderungen in Folge rasch voranschreitenden technischen Fortschritts beispielsweise im Bereich der Atomindustrie, der Biotechnologie oder der Humangenetik wird die Menschenwürde nicht inflationär, sondern ungreifbar überhöht angewandt265. Infolgedessen schwinden die Konturen ebenso schnell wie die Durchschlagskraft des Art. 1 I GG. Vielfach wird auf eine abstrakte Ebene ausgewichen, auf welcher ein Menschenbild oder die bereits oben kritisierte Gattungswürde, jenseits von konkreten Individualgefährdungen, beschworen werden266. Derartige Versuche sind stark subjektiv gefärbt, bergen die Gefahr von Willkür und ersticken zugleich die Möglichkeit eines fruchtbaren Diskurses und adäquater Problemlösung im Keim267. Problematisch ist dabei, dass die Menschenwürde auf zu hohem Abstraktionsniveau ebenso wenig Wirkung entfalten kann wie bei allzu trivialem Gebrauch.

257

Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 46. Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 47; Benda NJW 2001 S. 2147; Begriff des Totschlagarguments auch bei Hufen JuS 2010 S. 10. 259 Neumann in: Klug/Kriele S. 139. 260 Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 926. 261 So bei Voss DRiZ 1997 S. 507 ff. 262 Stern Staatsrecht III / 1 S. 30; Di Fabio JZ 2004 S. 6; Vitzthum ZRP 1987 S. 33. 263 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 41; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 47; Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 926; Schroth in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl S. 265; Frankenberg KritJ 2000 S. 329. 264 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 41, 134; Meyer-Ladewig NJW 2004 S. 984; Classen DÖV 2009 S. 689; Hufen JuS 2010 S. 2; Tiedemann DÖV 2009 S. 613. 265 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 49; Geddert-Steinacher S. 15 f. 266 Kritisch auch Lerche in: Lukes/Scholz S. 106. 267 Neumann in: Klug/Kriele S. 145. 258

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Die effektive Anwendung des Art. 1 GG erfordert demnach einen verantwortungsvollen Umgang in Gestalt einer Gratwanderung zwischen den dargestellten Extremen. Einerseits bedarf die Menschenwürde der hinreichenden Konkretisierung am alltäglichen Fall. Als hoch stehendes, jedoch ungreifbares Prinzip kann sie ihrer elementaren Bedeutung für die Verfassungsordnung nicht gerecht werden. Auf der anderen Seite ist auch einer Herabsetzung angesichts unangemessener Verwendung gegenüber unliebsamen Entwicklungen und alltäglichen Belastungen vorzubeugen. e) Zwischenresümee: Konsentierte Grundaussagen und -tendenzen zu Art. 1 I GG Augenscheinliche Konstanten der bisherigen Untersuchung des Menschenwürdebegriffs sind die zentrale Bedeutung des menschlichen Individuums sowie deren Akzentuierung im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Art. 1 I GG erscheint dabei in erster Linie als Schutznorm, die den einzelnen Menschen in seinem Dasein bewahren soll. Dies geschieht sowohl durch das Erfordernis der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen als auch durch die Abwehr von Bedrohungen. Trotz dieser hohen Bedeutung der Individualität und Einzigartigkeit enthält die Menschenwürde auch eine gesellschaftliche Komponente. Schließlich existiert das Individuum nie isoliert, sondern stets in seinen jeweiligen sozialen Bezügen. Wechselseitige Anerkennung und die Achtung fremder Interessen sind dabei Ausdruck der Menschenwürde. Aufbauend auf den gesellschaftlichen Bezug, welcher sich seinerseits aus der Gesamtheit der Individuen ergibt, entfaltet sich wiederum eine staatskonstitutive Dimension der Menschenwürde. Hierbei geht es nicht um die wechselseitige Anerkennung auf horizontaler Ebene, sondern um das Anerkenntnis des Staates, dass dieser nicht Selbstzweck ist, sondern seinerseits den Individuen Achtung zollt. Diese unterschiedlichen Bezugs- und Wirkebenen der Menschenwürde legen bereits nahe, was auch die voranstehende Untersuchung zu Tage gefördert hat: Es handelt sich bei der Menschenwürde, wenn auch positiv-rechtlich in Art. 1 I GG verbürgt, nicht um ein streng juristisch zu subsumierendes Gut. Erforderlich ist eine interdisziplinäre Aufgeschlossenheit. Durch diese mannigfaltigen Wirkweisen bietet der Satz von der Menschenwürde einen sicheren Hafen als feststehender Orientierungs- und Ankerpunkt. Zugleich ist er jedoch entwicklungsoffen und am konkreten Fall orientiert. Nur allzu verständlich ist es aufgrund dieser eindrucksvollen Vielfalt und Wirkungskraft der Menschenwürde, wenn diese neuartigen Entwicklungen und sonstigen Grenzsituationen, die gegebenenfalls als Bedrohungen empfunden werden, entgegengesetzt wird. Dabei muss jedoch immer im Blick behalten werden, dass es sich bei der Menschenwürde um das schärfste verfügbare Werkzeug des Rechts handelt, das einen behutsamen Umgang erforderlich macht. Derartige Grenzfragen werfen auch die hier zu untersuchenden Gefährdungslagen am Lebensanfang und am Lebensende auf. Es muss sich zeigen, ob der Einsatz des Menschenwürdearguments für deren Behandlung angemessen ist und was die

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gängigen Begründungsansätze mit ihren divergierenden Würdekonzeptionen zu leisten vermögen. f) Probleme der gängigen Menschenwürdekonzepte an den Grenzbereichen des Lebens aa) Besonderheiten der Grenzbereiche in rein tatsächlicher Hinsicht Bevor die bisher dargelegten Würdekonzepte auf ihre Leistungsfähigkeit anhand von Problemlagen an den Grenzbereichen des Lebens untersucht werden können, gilt es zunächst das Spezifikum der Situation an Anfang und Ende des Lebens genauer zu bestimmen. Es stellt sich die Frage, worin die Besonderheiten dieser Lebensabschnitte bestehen und inwieweit sie sich somit vom Rest des Lebens unterscheiden. Diese Frage ist für den Anfang und das Ende des Lebens jeweils gesondert zu beantworten. Auf mögliche Parallelen oder Differenzen wird im weiteren Verlauf noch eingegangen. (1) Der Anfang des Lebens Charakteristisch für die Frühphasen des Lebens ist eine fortschreitende Ausprägung der physischen und psychischen Anlagen. Es vollzieht sich ein umfassender Wachstums- und Entwicklungsprozess268. So prägt sich auch die Sinneswahrnehmung erst nach und nach aus269. Schmerzempfinden besteht nach nicht unumstrittenen Untersuchungen frühestens ab der 25. Schwangerschaftswoche270, reflexartige Wahrnehmungsreaktionen werden ab der 22. bis 23. Woche berichtet271. Der ungeborene oder gerade neugeborene Mensch ist in höchstem Maße unerfahren und lernbedürftig. Infolge fehlender Leistungskapazität und Äußerungsmöglichkeit erfolgen keine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs und kein konstruktiver Beitrag zur gegenwärtigen Leistungsgesellschaft. Zu Beginn des Lebens ist der Mensch vollkommen abhängig von anderen Menschen; in frühen Phasen insbesondere von der Mutter, in der er heranwächst. Die wenigstens geringe Möglichkeit extrakorporaler Überlebensfähigkeit wird etwa ab der 22. Schwangerschaftswoche angenommen272. Das noch junge menschliche Leben ist gekennzeichnet durch erhöhte Krankheitsanfälligkeit und physische Schwäche insgesamt273. Während der Schwangerschaft und unmittelbar nach der Geburt steht das heranwachsende Leben auf „wackeligen Beinen“. Es besteht allenfalls die Möglichkeit, keinesfalls die 268

Schulze S. 20, 56 ff.; Sadler S. 3 f.; Moore/Persaud S. 10. Schulze S. 167 ff.; Bommas-Ebert/Teubner/Voß S. 57 ff.; Sadler S. 431 ff.; Moore/Persaud S. 511 ff.; Ulfig S. 147 ff. 270 Lee/Ralston/Drey/Partridge/Rosen JAMA 2005, 294 (8) S. 947 – 954. 271 Moore/Persaud S. 120. 272 Moore/Persaud S. 113, 120. 273 Schulze S. 105. 269

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Gewissheit, der erfolgreichen Entwicklung hin zum ausgewachsenen Menschen. So endet statistisch gesehen jede siebte bekannte Schwangerschaft in einem Frühabort oder Abort274. Einschließlich der nicht erkannten Schwangerschaften dürfte die betreffende Quote noch wesentlich höher liegen275. Im Fall des Überlebens bedingen natürliche Schwächeerscheinungen abermals fortdauernde Abhängigkeit, etwa von ärztlicher Behandlung und gegebenenfalls entsprechender Medikation. Unter den Lebendgeburten besteht immerhin noch eine Neonatalsterblichkeit von 1,8 %276. Infolge der fehlenden Möglichkeit zur Selbstbehauptung in psychischer und in physischer Hinsicht, ist der Mensch zu Beginn des Lebens dem Zugriff Dritter hilflos ausgeliefert277. Aufgrund eines fehlenden Erfahrungsschatzes und sich erst entwickelnder geistiger Kapazitäten ist das frühe Leben weder zur Willensbildung noch zur Willensäußerung in der Lage. An seiner Stelle müssen andere, wie die Eltern oder Ärzte, möglicherweise weitreichende, existenzielle Entscheidungen treffen. Auch entwickelt sich der junge Mensch nicht aufgrund einer eigenen Entscheidung, sondern aufgrund eines natürlichen Prozesses. Er ist dementsprechend nicht in der Lage, sich auf eine bestimmte Situation einzustellen. Obgleich das erforderliche Potential vorhanden ist, muss sich eine individuelle Persönlichkeit erst noch ausformen. Trotz der eindeutigen und einmaligen genetischen Anlagen kann insoweit vom „Rohling“ eines erwachsenen Menschen gesprochen werden, ohne dass diese Formulierung implizit eine qualitative Wertung intendiert. Dieser „Rohling“ formt schließlich im Zuge komplexer biologischer und soziologischer Entwicklungsprozesse eine einzigartige Persönlichkeit aus278. Erst aufgrund eines reichen Erfahrungsschatzes ist der heranwachsende Mensch später in der Lage, eine eigene positive oder negative Lebenseinstellung und Selbstwahrnehmung auszubilden. Schließlich ist festzuhalten, dass das junge Leben sich rein optisch deutlich vom erwachsenen Menschen unterscheidet, obgleich die menschliche Gestalt des Embryos bereits zwischen der fünften und achten Schwangerschaftswoche erkennbar wird279. (2) Das Ende des Lebens Charakteristisch für das Lebensende ist ein voranschreitender Alterungsprozess, der im Tod als Ende der menschlichen Existenz gipfelt. Die erste Auffälligkeit des fortschreitenden Alterungsprozesses lässt sich als insgesamt rückläufige Leistungsfähigkeit bezeichnen280. Dies meint zum einen physische Schwächeerschei274

Moore/Persaud S. 8; Schulze S. 71; Forschungsbericht DFG S. 32. Schulze S. 71. 276 Forschungsbericht DFG S. 68. 277 Tröndle NJW 1991 S. 2542. 278 Oswald/Lehr/Sieber/Kornhuber S. 33 ff. 279 Ulfig S. 43; Sadler S. 92, 123; Schulze S. 56. 280 Backes/Clemens S. 93; Pinter in: Likar/Bernatzky u. a. S. 96; Oswald/Lehr/Sieber/ Kornhuber S. 388; Nuland S. 93 ff. 275

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nungen, etwa ein Nachlassen der Sinneswahrnehmungen281 und einen Abbau der Muskulatur282. Zum anderen nimmt auch die psychische Verfassung, beispielsweise das Erinnerungsvermögen oder die Konzentrationsfähigkeit, ab283. Physische Gebrechen haben häufig Immobilität zur Folge284. Aus derartigen körperlichen Einschränkungen sowie auf psychischer Ebene aus einer Selbstwahrnehmung als schwach und verletzlich können ein Rückzugsverhalten und soziale Isolation resultieren285. Infolgedessen wiederum findet keine Teilnahme mehr am gesellschaftlichen und kulturellen Austausch statt286. Körperlich eingeschränkte und sozial isolierte alte Menschen sind nur noch bedingt oder gar nicht mehr in der Lage, einen aktiven Beitrag zur gegenwärtigen Leistungsgesellschaft zu erbringen. Altersbedingte Schwächesymptome können wiederum in eine Abhängigkeit führen, sei es gegenüber Pflegepersonal, Ärzten oder anderen Personen287. Dem gegenüber steht ein hohes Maß an Lebenserfahrung sowie eine abgeschlossene Persönlichkeitsbildung. Der alternde Mensch verfügt über voll ausgeprägte Individualität und eine auf einzigartigen Erfahrungen basierende Lebenseinstellung288. Vorbehaltlich der psychischen Kapazitäten und der verbleibenden Möglichkeit zur Entäußerung ist er in der Lage, eine eigene Meinung zu bilden und darauf aufbauend Entscheidungen als Resultat eines rationalen Abwägungsprozesses zu treffen. Unter Umständen besteht ein Verantwortungsverhältnis gegenüber Bezugspersonen wie Verwandten. Der erwachsene Mensch existiert, trotz der beschriebenen Rückzugstendenzen, in seinen sozialen Bezügen289. Jedenfalls im Rahmen des natürlichen Alterungsprozesses besteht für den Betroffenen die Möglichkeit, sich bewusst auf eine bestimmte Situation, konkret das heranrückende

281 Plattig in: Oswald/Herrmann u. a. S. 516 ff.; Mietzel S. 69 ff.; Viidik in: Likar/Bernatzky u. a. S. 26 f. 282 Backes/Clemens S. 93; Mietzel S. 81; Meidinger S. 6; Viidik in: Likar/Bernatzky u. a. S. 25; Oswald/Lehr/Sieber/Kornhuber S. 322. 283 Backes/Clemens S. 103; Viidik in: Likar/Bernatzky u. a. S. 27; Pinter in: Likar/Bernatzky u. a. S. 112 f.; Fleischmann in: Oswald/Herrmann u. a. S. 168 ff.; Oswald/Lehr/Sieber/ Kornhuber S. 110. 284 Pinter in: Likar/Bernatzky u. a. S. 106 ff.; Kreuzer/Görgen in: Egg/Minthe S. 177. 285 Backes/Clemens S. 124 ff.; Kojer in: Likar/Bernatzky u. a. S. 32; Kreuzer/Görgen in: Egg/Minthe S. 175 f.; Tampe S. 23 f.; Mietzel S. 199; Kruse in: Hirsch/Bruder u. a. S. 66; Schöch ZRP 1986 S. 237; Eser JZ 1986 S. 787. 286 Noll/Schöb in: Expertisen zum 4. Altenbericht Band I S. 272. 287 Rosenmayr S. 135 ff.; Kreuzer/Görgen in: Egg/Minthe S. 177; Griessinger/Weber/ Boujong/Koppert/Sittl in: Likar/Bernatzky u. a. S. 89; Kojer/Schmidl/Gutenthaler in: Likar/ Bernatzky u. a. S. 130; Kruse in: Hirsch/Bruder u. a. S. 66; Kanowski in: Oswald/Herrmann u. a. S. 231; Oswald/Lehr/Sieber/Kornhuber S. 326. 288 Rosenmayr S. 183 ff. 289 Schulz-Nieswandt in: Karl S. 129 ff.

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Lebensende, einzustellen290. Aufgrund weit fortgeschrittener Erkenntnisse der Medizin hat der alternde Mensch eine Einschätzungsmöglichkeit bezüglich der bevorstehenden Situation. Auch hierbei kann er wieder auf eine umfangreiche Lebenserfahrung zurückgreifen, insbesondere in der Gewissheit, dass es sich beim Lebensende und dem Sterben selbst um einen natürlichen Prozess handelt. Rein optisch unterscheidet sich der Mensch in der Endphase seines Lebens zwar durch bestimmte altersbedingte Verfallserscheinungen, nicht jedoch grundlegend vom Erwachsenen jüngeren Lebensalters. (3) Zusammenfassend: Unterschiede zum Rest des Lebens Die beiden Grenzbereiche sind gegenüber dem Rest des Lebens gekennzeichnet durch Symptome körperlicher und geistiger Schwäche sowie daraus resultierende Abhängigkeit und Fremddisposition. Ein aktives Streben nach gesellschaftlichen Zielvorgaben findet entweder noch nicht oder nicht mehr statt. Die betroffenen Subjekte stehen damit nicht im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung; sie partizipieren nicht bewusst und aktiv am Alltag. Trotz dieser genannten Schwächesymptome handelt es sich um notwendige Abschnitte zwischen den beiden Polen des Lebens. bb) Bedeutung der festgestellten Charakteristika für die gängigen Würdekonzepte Sowohl die Annahme fehlender Definitionsmöglichkeit der Menschenwürde als auch die Verneinung der Definitionsbedürftigkeit sind im Schrifttum weitestgehend auf Ablehnung gestoßen291. Im Sinne dieser Kritik muss noch einmal festgehalten werden, dass eine derartige Herangehensweise keinerlei Erkenntnisgewinn für eine konkrete Anwendung des Menschenwürdesatzes des Art. 1 I GG liefert, ja eine solche sogar unmöglich macht. Dies gilt für die Sondersituation der Grenzbereiche des Lebens in besonderem Maße. Eine Leerformel vermag keinerlei praktische Wirkung zu entfalten und kann somit auch nicht zur Bewältigung der Konfliktlagen an Anfang und Ende des Lebens beitragen. Dementsprechend soll die These der fehlenden Definitionsfähigkeit oder -bedürftigkeit hier nicht weiter verfolgt werden. Insoweit besteht in der gegenwärtigen Wissenschaft Einigkeit, dass eine effektive Entfaltung des Würdesatzes der Konkretisierung an konkreten Szenarien bedarf, sei es mittels positiver oder negativer Umschreibungsansätze. Die allgemeinen Schwächen der gängigen positiven Umschreibungsversuche wurden bereits oben bei deren Vorstellung angesprochen und betreffen teilweise explizit die Grenzbereiche des Lebens. Zunächst sind die leistungsorientierten 290 Rosenmayr S. 224 ff., 242 ff.; Ochsmann/Hettwer/Floto in: Ochsmann S. 113 ff.; Ochsmann in: Ochsmann S. 119 ff.; Mietzel S. 249; Schmitz-Scherzer in: Oswald/Herrmann u. a. S. 639 ff.; Kruse S. 61, 89 ff. 291 Tiedemann Menschenwürde als Rechtsbegriff S. 71; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 1; Dreier in: Härle/Preul S. 182.

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Ansätze aufbauend auf die Grundlegung Luhmanns zu nennen292. Deren Schwäche besteht gerade darin, dass Würde als Resultat eines aktiven Prozesses verstanden wird, der eine gewisse körperliche und geistige Konstitution voraussetzt. Insbesondere an den Grenzen des Lebens fehlt diese oftmals. Sowohl Ungeborene und Neugeborene als auch erkrankte alte Menschen sind unter Umständen in Folge physischer und psychischer Defizite nicht im Stande, die geforderte Leistung zu erbringen. Auch nehmen beide betroffenen Gruppen nicht oder nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Verkehr teil, auf den sich die betreffende Leistung gerade bezieht bzw. dessen Anerkennung sie voraussetzt. Bei konsequenter Anwendung des Luhmannschen Konzepts käme somit den angesprochenen Personengruppen keine Würde zu293. Diese Schlussfolgerung wäre insofern systemwidrig, als es sich bei der Menschenwürde um einen Schutzbegriff handelt. Diesen Schutzmechanismus gerade besonders Schutzbedürftigen vorzuenthalten, wäre widersinnig. Sofern infolgedessen teilweise auf die Gattungswürde der Menschheit an sich ausgewichen wird, um den betreffenden Subjekten unabhängig von ihrer gegenwärtigen Leistungsfähigkeit doch noch Menschenwürde zuzusprechen, handelt es sich um eine angreifbare Hilfskonstruktion. Diese offenbart die Komplikationen, die sich für leistungsorientierte Würdekonzepte an den Grenzen des Lebens ergeben, und verdeutlicht zugleich deren unbefriedigenden Grundansatz überhaupt. Die leistungsbezogenen Erklärungsansätze werden somit der Sondersituation an den Randbereichen des Lebens nicht gerecht. Diesen Anforderungen werden die wertorientierten Mitgifttheorien eher gerecht. Unter der Prämisse, dass es sich bei der Menschenwürde um einen originär vorhandenen Wert handelt, vermögen sie auch die Würdeträgerschaft des ungeborenen Lebens oder eines bewusstlosen kranken Menschen abzudecken. Gleichfalls angreifbar ist jedoch deren Herleitung294. Die Annahme, der Mensch sei durch Gott oder wahlweise die Natur mit Würde ausgestattet, eröffnet einen transzendentalen Rahmen und ist somit stark von subjektiven Einstellungen abhängig. Diese Fragwürdigkeit in der Begründung schwächt die Wirkkraft des Menschenwürdesatzes. Ein derart sensibles Instrumentarium bedarf klarer Konturen und rationaler Gedankengänge, um angesichts aktueller Herausforderungen glaubwürdig und effektiv zu bleiben. Die Mitgifttheorien sind folglich zwar in der Lage, die Würdeträgerschaft an den Grenzbereichen zu begründen, angesichts einer angreifbaren Herleitung handelt es sich jedoch um einen defizitären Schutz. Hierbei geht es um ein grundlegendes Problem der Mitgifttheorien: die Frage, durch wen oder was die Menschenwürde mitgegeben wird. Ein solch grundlegender Mangel tritt angesichts der außergewöhnlichen Anforderungen an den Grenzen des Lebens besonders deutlich zu Tage und mag diesen somit ebenfalls nicht vollumfänglich befriedigend gerecht 292 Luhmann S. 53 ff.; Krawietz in: GS-Klein S. 244 ff.; ähnlich Lampe in: FS-Maihofer S. 265 ff. 293 Luhmann S. 61. 294 Will in: FS-Hirsch S. 34; Dreier DÖV 1995 S. 1038 f.

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zu werden. Ob ein solch rundum schlüssiges Konzept überhaupt möglich ist, muss sich zeigen. Allgemein im Vordringen befindlich sind indes kommunikationsbezogene Ansätze, die die sozialen Bezüge der menschlichen Existenz und der Menschenwürde stark akzentuieren295. Dies ist insofern zu begrüßen, als der Mensch stets in seinen sozialen Bezügen existiert und auch Bedrohungen der Menschenwürde stets durch Dritte, sei es den Staat oder die Gesellschaft, drohen. Menschenwürde betrifft somit trotz ihrer Individualbezogenheit stets Mehrpersonenverhältnisse sowohl hinsichtlich ihrer Grundlagen als auch bezüglich ihrer Bedrohung. Diese sozialen Bezüge sind bildhaft gesprochen der Resonanzboden, der die individuell angelegte Würde zum Klingen bringt296. Allerdings stoßen auch die kommunikativ ausgerichteten Erklärungsansätze angesichts der zu beleuchteten Sondersituationen an ihre Grenzen. So hat sich gezeigt, dass die betreffenden Personengruppen nicht oder nur bedingt im Zentrum des gesellschaftlichen Austausches stehen297. So fehlen teilweise die körperlichen Voraussetzungen zum Dialog, teilweise die geistigen. Die Kommunikationstheorien sind stets auf einen Dialog als wechselseitigen Prozess angelegt. Von einigen Vertretern wird ausdrücklich die Bedeutung des Gesellschaftsvertrags betont298. Es handelt sich somit um ein Geben und Nehmen. Zu einem solchen Geben ist weder das ungeborene Leben noch der Sterbende in der Lage. Insoweit rücken die Kommunikationstheorien in die Nähe der Leistungstheorien, obgleich das gar nicht deren Intention gewesen sein mag. Denkbar wäre zur Auflösung dieses Misstands die Annahme einer antizipierten bzw. nachträglichen Anerkennung. Dem Ungeborenen käme also bereits Anerkennung zu unter der Maßgabe, dass er später, sobald er selbst eine Persönlichkeit entwickelt hat, die restlichen Individuen anerkennt. Am anderen Ende des Lebens käme dem bewusstlosen oder demenzkranken alten Menschen noch Anerkennung zu, weil er zuvor seinen „Vertragspartnern“ gebührende Anerkennung geschenkt hat. In diesem Sinne argumentiert Hofmann für das Lebensende, wenn er annimmt, dass eine achtenswerte persönliche Identität zumindest einmal vorhanden gewesen sein muss299. Einen größeren Bezugsrahmen eröffnet die Kulturtheorie, als Weiterentwicklung der Kommunikationstheorie, indem für die Konkretisierung des Würdebegriffs nicht an das theoretische Versprechen zur gegenseitigen Achtung angeknüpft wird, sondern an die praktisch gelebte Kultur und ihre Vermittlung auch im Verhältnis der Generationen300. Dennoch muss festgehalten werden, dass es sich auch in diesem Fall, ähnlich wie bei der Gattungswürde, um einen Kunstgriff handelt301. Diesen macht die 295 296 297 298 299 300 301

Hofmann AöR 1993 S. 364; Häberle HdStR Band II § 22 Rn. 53. Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 927. So auch Dreier DÖV 1995 S. 1038; Ipsen JZ 2001 S. 993. Hofmann AöR 1993 S. 371 f. Hofmann AöR 1993 S. 376. Häberle HdStR Band II § 22 Rn. 53. Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 33 nennt dies „konstruktive Brücken“.

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Ausnahmesituation der Grenzbereiche des Lebens erforderlich und stellt somit als zwingend erforderliche Variation des regulären Konzepts dessen grundsätzliche Schlüssigkeit in Frage. Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass sich erst zeigen muss, ob ein universell-schlüssiges Würdekonzept überhaupt realisierbar ist. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass es auch im Rahmen der Kommunikationstheorien angesichts der Grenzbereiche des Lebens zu Komplikationen kommt. Auch bei Podlechs Fünf-Komponenten-Theorie302 offenbaren sich angesichts der besonderen Spannungslagen an Beginn und Ende des Lebens die bereits oben angesprochenen Schwächen. Die zuerst eingeforderte Möglichkeit zur Arbeit und eine soziale Mindestsicherung eröffnen ebenso eine soziale Komponente, wie sie von einer aktiven, konstruktiven Haltung des Individuums ausgehen. Hinsichtlich beider Punkte besteht an den Grenzen des Lebens ein reduziertes Potential. Das Erfordernis der normativen Gleichheit aller Menschen wird zwar sämtlichen Lebensphasen gerecht; der Zusatz der Gestattung verantwortbarer tatsächlicher Ungleichheit führt jedoch zur oben monierten Unschärfe. Des Weiteren sind auch die Wahrung menschlicher Identität und Integrität durch freiheitlich-geistige Entfaltung des Einzelnen an den Polen des Lebens nur bedingt möglich. Eine freiheitlich-geistige Entfaltung setzt ebenfalls ein Bewusstsein und ein positives Auftreten voraus. Der vierte Punkt, die Begrenzung staatlicher Gewalt durch rechtsstaatliche Einbindung, betrifft zwar auch die Grenzen des Lebens, bedarf jedoch ebenfalls der näheren Konkretisierung. In besonderem Maße für Anfang und Ende des Lebens von Relevanz ist Podlechs fünfte These, nämlich die Achtung der Körperlichkeit der Menschen als Ausdruck ihrer autonom verantworteten Individualität. Allerdings kann gerade diese autonom verantwortete Individualität am Beginn des Lebens noch fehlen. Die Charakterbildung ist in dieser Phase des Lebens noch nicht abgeschlossen. Das geforderte freiverantwortliche Handeln kann ebenso gegen Ende des Lebens in Folge von Abhängigkeit oder fehlendem Bewusstsein wieder verloren gehen. Folglich ist festzuhalten, dass sich anhand der konkreten Problemlage eben jenes bereits oben im Allgemeinen angesprochene Defizit offenbart: Die fünf Punkte sind einerseits zu speziell gewählt, als dass sie allen tatsächlich auftretenden Herausforderungen gerecht werden könnten. Auf der anderen Seite sind sie gleichfalls zu allgemein gehalten, als dass sie im konkreten Fall Wirkung entfalten könnten. Zusammenfassend ergeben sich also für sämtliche positiven Erklärungsansätze Schwierigkeiten, wenn es um die Anwendung auf die Randbereiche des Lebens geht. Konstruktive Alternative ist die gebräuchliche Negativdefinition. Es wird also nicht versucht, positiv zu bestimmen, was Menschenwürde ausmacht, sondern wann diese im Einzelfall verletzt ist. Dieser Ansatz eröffnet zwar besondere Flexibilität und entspricht insofern dem Grundanliegen der Menschenwürde, als das Individuum in einer bestimmten Lebenssituation betrachtet wird. Demgegenüber steht der gewichtige Einwand der Vagheit. Mangels inhaltlicher Konkretisierung wird das Ergebnis subjektiven Wertungen anheim gestellt. Dies ist gerade für die Randbereiche 302

Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 17 ff.

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des Lebens, die Gegenstand hitziger und selten sachlicher Debatten sind, außerordentlich unbefriedigend. In derart elementaren Bereichen muss wenigstens ein Mindestmaß an (Rechts-)Sicherheit vorhanden sein. Prominentester Konkretisierungsversuch der Negativdefinitionen ist die von Günter Dürig entwickelte Objektformel303, derer sich auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach bedient hat304. Nach dieser ist eine Würdeverletzung gegeben, wenn „der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“305. Probleme ergeben sich für Anfang und Ende des Lebens insofern, als fehlendes Bewusstsein, körperliche und geistige Schwäche sowie die daraus resultierende Abhängigkeit oftmals zwingend eine Behandlung als Objekt mit sich bringen. Die Objektformel kann nur greifen, wenn ein zur Selbstbestimmung grundsätzlich fähiges Subjekt entgegen dieser Qualität als bloßes Objekt behandelt wird. An einer solchen anderweitigen Handlungskompetenz kann es an den Grenzbereichen des Lebens gerade fehlen306. Abhilfe verspricht diesbezüglich die vom Bundesverfassungsgericht erwogene subjektive Komponente. Die gewählte Einschränkung lautet, dass das fragliche Verhalten die Subjektqualität des Menschen grundlegend in Frage stellen oder eine willkürliche Missachtung seiner Würde und Verachtung seines Personenwertes vorliegen müsse307. Wenngleich dieser Versuch die richtige Richtung einschlägt, wurde er – wie bereits oben dargestellt – zu Recht kritisiert308. So mag ein subjektiv hochstehendes Motiv eine objektive Würdeverletzung ebenso wenig ins Gegenteil zu verkehren309, wie allein subjektive Vorwerfbarkeit die mangelnde objektive Eingriffsintensität komplettieren kann310. Dennoch scheint eine konkretisierende Einschränkung der Objektformel gerade angesichts der Grenzbereiche des Lebens von Nöten. Von welcher Art und Reichweite diese sein kann, soll an dieser Stelle dahinstehen. Damit ergeben sich auch für die Perspektive der Negativdefinition Komplikationen in der Anwendung auf die Grenzbereiche des Lebens. cc) Schlussfolgerung Es hat sich gezeigt, dass es sich beim Anfang und dem Ende des Lebens um Sondersituationen in tatsächlicher Hinsicht handelt. Daraus resultieren Schwierigkeiten sämtlicher gängiger Konzepte, eine umfassende und schlüssige Würdeträgerschaft zu begründen. Diese Feststellung erscheint zunächst überraschend. Wurden doch bisher als zwei essentielle Gehalte des Menschenwürdesatzes dessen Fokus auf das Individuum sowie dessen Schutzcharakter herausgearbeitet. Die Grenzbe303 304 305 306 307 308 309 310

Dürig AöR 1956 S. 127; vorbereitend Dürig JR 1952 S. 259. Costa Barbosa S. 43 f.; BVerfGE 9, 95; 27, 6; 28, 391; 45, 228; 50, 175; 87, 228. Dürig AöR 1956 S. 127; in diesem Sinne schon Dürig JR 1952 S. 259. Dreier DÖV 1995 S. 1038; Losch NJW 1992 S. 2930. BVerfGE 30, 26. Häberle JZ 1971 S. 151. Sondervotum BVerfGE 30, 40; Dederer AöR 2002 S. 4. Höfling JuS 1995 S. 860; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 24.

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reiche des Lebens betreffen gerade individuelle Schicksale in einer Phase hoher Schutzbedürftigkeit. Erforderlich ist infolge der dargelegten Komplikationen eine weitergehende Analyse dahingehend, ob überhaupt Würdeträgerschaft an den Grenzbereichen des Lebens gegeben ist. Möglicherweise rühren die festgestellten Begründungsschwierigkeiten auch daher, dass in bestimmten Grenzbereichen des Lebens kein Würdeschutz greift. Für die Bereiche, auf die sich der Würdeschutz erstreckt, wird sodann gegebenenfalls zu klären sein, welche Qualität dieser festgestellte Würdeschutz hat. Fraglich ist insbesondere, ob am Anfang oder am Ende des Lebens in irgendeiner Form Abstufungspotentiale bestehen und ob möglicherweise aus Befunden am Lebensanfang Rückschlüsse auf das Lebensende gezogen werden können oder umgekehrt. g) Grundrechtsträgerschaft bezüglich Art. 1 I GG in den einzelnen Phasen zu Beginn und Ende des Lebens aa) Naturwissenschaftliche Einführung Wenngleich die vorliegende Arbeit primär eine juristische Klärung anstrebt, ist die Befassung mit den medizinisch-biologischen Grundlagen unerlässlich. Deshalb erfolgt an dieser Stelle eine kompakte naturwissenschaftliche Einführung und Begriffsklärung. Diese erhebt keinen Anspruch auf biologische Vollständigkeit, sondern akzentuiert bewusst diejenigen Punkte, die anschließend von juristischer Relevanz sein können. Die folgende Einführung soll die Komplexität und Sensibilität der Konfliktlagen an den Grenzbereichen des Lebens verdeutlichen und das Verständnis der nachfolgenden juristischen Argumentation erleichtern. (1) Zum Lebensanfang311 Ausgangspunkt allen menschlichen Lebens sind das Spermium als männliche Samenzelle sowie die weibliche Eizelle als Keimzelle der Frau312. Für dieses Keimzellenpaar ist auch die Bezeichnung als Gameten gebräuchlich313. Ihr Zusammentreffen, die Befruchtung, erfolgt auf natürlichem Wege durch Geschlechtsverkehr oder mittels künstlicher Befruchtung (artefizieller Insemination)314. Synonyme für die Befruchtung bilden die Begriffe Konzeption oder Fertilisation315. Die Befruchtung erfolgt durch Eindringen des Spermiums in die Eizelle, die sog. Imprägnation, unter anschließender Vereinigung des männlichen und weiblichen Vorkerns (Syngamie)316. Als Konjugation wird das dabei stattfindende 311 312 313 314 315 316

Vgl. auch Überblick bei Schiebler/Schmidt/Zilles S. 100 ff. Ulfig S. 14; Bommas-Ebert/Teubner/Voß S. 33. Lohner S. 45. Schumacher S. 53. Moore/Persaud S. 38. Ulfig S. 16; Schumacher S. 49.

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Verschmelzen des männlichen und des weiblichen Chromosomensatzes bezeichnet. Die beiden Chromosomensätze bilden nunmehr als Zygote eine entwicklungsfähige Zelle317. Der Befruchtungsvorgang dauert insgesamt circa 24 Stunden318. Diese Zygote entwickelt sich innerhalb der ersten Woche über mehrere Stadien der Zellteilung zur einnistungsfähigen Blastozyste319. Zwischenschritte sind infolge wiederholter Zellteilung, der sog. Furchung, das 2-Zellstadium, das 4-Zellstadium und das 8-Zellstadium. Die acht Zellen besitzen noch Totipotenz und sind in keiner Weise differenziert320. Erst zwischen 8- und 16-Zellstadium findet schließlich eine morphologische Differenzierung statt; die Zellen werden pluripotent. Hierbei meint Totipotenz die Eigenschaft einer Zelle, sich zu einem vollständigen Organismus zu entwickeln. Pluripotenz hingegen kennzeichnet die Fähigkeit einer Zelle, sich in nahezu alle Zelltypen eines bestimmten Organismus auszudifferenzieren321. Nach Übergang in das 16-Zellstadium wird der vorhandene Zellhaufen als Morula bezeichnet322. Etwa fünf Tage nach erfolgreicher Befruchtung ist die Blastozyste ausgereift und beginnt sich in der Gebärmutterwand (Endometrium) einzunisten323. Dieser Vorgang der Einnistung wird als Nidation bezeichnet und ist zwischen dem zehnten und 14. Tag abgeschlossen324. Mit Ende der zweiten bzw. zu Beginn der dritten Woche kommt es zur Ausbildung des sog. Primitivstreifens und der Entstehung der axialen Struktur des Embryos. Sodann ist Individuation gegeben325. Bis zu diesem Zeitpunkt ist noch eine Mehrlingsbildung möglich326. Der Zeitraum zwischen Befruchtung und Einnistung der befruchteten Eizelle wird als Vorembryonalperiode bezeichnet327. In der zweiten Woche entsteht aus der Blastozyste die Embryonalanlage, welche ihrerseits aus zweiblättriger Keimscheibe, Amnionhöhle und primärem Dottersack besteht328. Bereits in der vierten Woche erfolgen die Formung des Embryonalkörpers und die Anlage des Zentralnervensystems329. Zwischen der fünften und achten Woche nimmt der Embryo menschliche Gestalt an330. Nachweisbarer Herzschlag 317

Geist/Harder/Stiefel S. 72; Sadler S. 56; Bommas-Ebert/Teubner/Voß S. 40. Schumacher S. 51. 319 Ulfig S. 15, 17; Geist/Harder/Stiefel S. 73; Sadler S. 59; Bommas-Ebert/Teubner/Voß S. 40; Moore/Persaud S. 46. 320 Schulze S. 34; Denninger KritVJ 2003 S. 198; Heun JZ 2002 S. 519. 321 Dederer AöR 2002 S. 2 Fn. 2. 322 Schulze S. 34. 323 Ulfig S. 18; Schumacher S. 58. 324 Geist/Harder/Stiefel S. 74. 325 Heun JZ 2002 S. 520. 326 Ulfig S. 47; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 9; Hofmann JZ 1986 S. 258. 327 Bommas-Ebert/Teubner/Voß S. 51. 328 Ulfig S. 20; Moore/Persaud S. 54 f. 329 Ulfig S. 20. 330 Ulfig S. 42; Sadler S. 92, 123. 318

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liegt ab der siebten Woche vor331. Die Entwicklungsperiode bis zur achten Woche wird als embryonale Phase bezeichnet. Anschließend beginnt mit dem dritten Monat die Fetalperiode, die bis hin zur Geburt reicht332. Ab der Fetalperiode sind Bewegungen des ungeborenen Kindes möglich, welche allerdings noch zu schwach sind, als dass sie für die Mutter spürbar wären333. Schon Ende der zehnten Schwangerschaftswoche sind dann alle Organanlagen vorhanden334. Die Gefahr eines Spontanaborts ist bis zum Ende der zwölften Woche am höchsten335. Statistisch enden 15 % der Schwangerschaften auf diese Weise336. Vielfach werden derartige Frühabgänge gar nicht als Schwangerschaft bzw. Fehlgeburt erkannt. Zwischen der 18. und 20. Schwangerschaftswoche werden nun erstmals auch für die Mutter Bewegungen spürbar337. Forschungsergebnisse zu Reaktionen des Nasciturus auf akustische und optische Reize sowie zum pränatalen Schmerzempfinden divergieren stark und sind Gegenstand lebhafter Kontroversen338. Eine wenigstens geringe Möglichkeit extrakorporaler Überlebensfähigkeit wird etwa ab der 22. Woche angenommen339. Mit dem achten Schwangerschaftsmonat sind außer der Lunge alle übrigen Organe fast vollständig entwickelt. In der 35. Woche ist auch die Lungenreifung abgeschlossen. Die Schwangerschaftsdauer wird ab dem ersten Tag der ausbleibenden Menstruation berechnet und dauert ab diesem Zeitpunkt 280 Tage oder 40 Wochen (Menstruationsalter)340. Ab der Befruchtung gerechnet (Ovulationsalter) dauert die Schwangerschaft 266 Tage oder 38 Wochen341. Wie bei Angaben zur Entwicklung des Ungeborenen üblich, wird hier die Berechnungsweise ab Befruchtung zugrunde gelegt. Die Schwangerschaft endet mit der Geburt, welche ihrerseits in drei Phasen unterteilt wird: die Eröffnungsperiode, die Austreibungsperiode und die Nachgeburtsperiode342. Auf die vollendete Geburt folgen sodann weitere Entwicklungsabschnitte. Zu nennen ist zum einen die Neonatalperiode, die bis sieben Tage nach der

331

Moore/Persaud S. 84. Ulfig S. 43; Schumacher S. 11; Geist/Harder/Stiefel S. 72; Sadler S. 121. 333 Moore/Persaud S. 118. 334 Geist/Harder/Stiefel S. 80. 335 Forschungsbericht DFG S. 32; Moore/Persaud S. 8. 336 Moore/Persaud S. 8. 337 Schumacher S. 87, 115; Ulfig S. 43; Sadler S. 121, 124 f.; Moore/Persaud S. 119; Schulze S. 60; Pschyrembel S. 986 geht für Mehrgebärende von einer Wahrnehmung zwischen 16. und 20. Schwangerschaftswoche aus. 338 Moore/Persaud S. 120; Schulze S. 60; Singer S. 213. 339 Moore/Persaud S. 113. 340 Ulfig S. 44. 341 Sadler S. 121. 342 Ulfig S. 45; Sadler S. 151; Schulze S. 17. 332

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Geburt dauert343. An diese schließt sich die Postnatalperiode an, im Rahmen derer das Individuum volle Reife erlangt344. (2) Zum Lebensende Weniger komplex, jedenfalls soweit eine Konkretisierung von juristischem Interesse ist, ist die Situation am Lebensende. Dabei kann unterschieden werden zwischen der Phase des Alterns, die gegebenenfalls von den oben dargestellten gesundheitlichen und sozialen Alterssymptomen begleitet ist, und dem Sterbevorgang. In der Gerontologie werden verschiedene Ansätze zur Eingrenzung der Lebensphase Alter und zu deren weiterer Untergliederung vertreten345. Als Gegenstand der vorliegenden Untersuchung soll vor allem die Zeit in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Todeseintritt interessieren. Der Sterbevorgang selbst wird in der medizinischen Forschung wiederum in mehrere Abschnitte untergliedert346. Im Rahmen einer juristischen Reflexion wird von Relevanz sein, ob der Sterbevorgang schon in ein unumkehrbares Stadium eingetreten ist. Entscheidende Zäsur in tatsächlicher wie in juristischer Sicht ist sodann der Tod als Endpunkt des Lebens347. Auf dessen exakte Festlegung wird noch einzugehen sein. Zusammenfassend geht es also um das Alter als auf den Tod zuführenden Lebensabschnitt bis hin zum Eintritt in die unmittelbare Sterbephase sowie um den Todeseintritt selbst als punktuelles Ereignis und einschneidende Zäsur. bb) Beginn des Würdeschutzes am Anfang des Lebens Nach der Konkretisierung des Problemfeldes stellt sich nun die für die Ebene des Schutzbereiches zentrale Frage, wann der Menschenwürdeschutz des Grundgesetzes zeitlich einsetzt. Dabei ist zunächst in einem ersten Schritt zu klären, ob überhaupt Würdeschutz in den frühen, insbesondere pränatalen, Entwicklungsphasen des Lebens gegeben ist. Eine Festlegung diesbezüglich ist notwendig, da es einen ersten, zugegebenermaßen radikalen Anknüpfungspunkt für eine Relativierung des Würdeschutzes darstellt, einem bestimmten Entwicklungsstadium bereits die Anwendbarkeit des Menschenwürdesatzes zu versagen und so das betroffene Subjekt hinsichtlich der Gewährleistung des Art. 1 GG schutzlos zu stellen. Anschließend wird in einem zweiten Schritt zu klären sein, welche Qualität ein gegebenenfalls zu bejahender Würdeschutz in den Frühphasen hat. Im Rahmen dessen wird auch darauf einzugehen sein, wann die personelle Würdeträgerschaft im Sinne einer subjektiven Rechtsposition beginnt. Stark vereinfacht stellt sich auf der ersten Stufe die Frage nach dem „Ob“ des Würdeschutzes und auf der zweiten Stufe die Frage nach dem 343 344 345 346 347

Schumacher S. 11. Schumacher S. 11. Backes/Clemens S. 23. Mietzel S. 272 ff. Kahl/Knoblauch in: Nieder/Schneider S. 103.

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„Wie“. Von besonderem Interesse ist hierbei in beiden Schritten die Betrachtung des Lebens in vivo und in vitro. Inwiefern sich bezüglich dieser beiden Entwicklungsformen parallele oder divergierende Bewertungen ergeben, gilt es ebenfalls zu erhellen. (1) Vertretene Anknüpfungszeitpunkte (a) Position des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht hat sich in den beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch mit der Rechtsstellung des ungeborenen Lebens befasst348. Die hierbei getroffenen Aussagen zur Menschenwürde des ungeborenen Lebens waren mangels weitergehender Entscheidungserheblichkeit nicht abschließend349 und konnten dementsprechend nicht zu einer umfassenden Klärung der vorliegenden Kontroverse führen. Bereits in der ersten Entscheidung aus dem Jahre 1975 stellt das BVerfG fest, dass das sich im Mutterleib entwickelnde Leben als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung steht, namentlich auch unter demjenigen des Art. 1 I GG350. Weitergehend führt das Gericht aus: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu“351. Leben in diesem Sinne liegt nach Auffassung des BVerfG „jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis (Nidation, Individuation) an352“ vor. Diese Erstreckung des Würdeschutzes auch auf das ungeborene Leben begründet das Gericht unter anderem mit der Kontinuität menschlicher Entwicklung. Diese lasse keine scharfen Zäsuren erkennen, die ein späteres Eingreifen des Würdeschutzes zu begründen vermöchten; eine derartige Zäsur sei insbesondere weder in der extrakorporalen Überlebensfähigkeit noch in der Geburt zu erblicken353. Des Weiteren sei der grundrechtliche Schutz unvollständig, wenn er nicht bereits frühe Entwicklungsphasen als Vorstufe des zweifellos erfassten „fertigen Lebens“ unter Schutz stelle354. Ebenso wenig komme es auf ein Würdebewusstsein oder die Fähigkeit, diese Würde zu wahren, an; bereits die anfänglich angelegten potentiellen menschlichen Fähigkeiten seien ausreichend355. Hierbei handelt es sich um eine implizite Absage an leistungsbezogene Würdekonzepte. Es wird deutlich, dass den Ausführungen des BVerfG ein Grundverständnis der Menschenwürde als Wert zugrunde liegt, welcher untrennbar mit der Existenz als Mensch verbunden ist. Schließlich wird in der ersten Entscheidung auch auf eine Maxime des Gerichts hingewiesen, in Zweifelsfällen diejenige Auslegung 348 349 350 351 352 353 354 355

BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. So ausdrücklich BVerfGE 39, 41; 88, 251. BVerfGE 39, 1, 41. BVerfGE 39, 41. BVerfGE 39, 37. BVerfGE 39, 37. BVerfGE 39, 37. BVerfGE 39, 41.

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zu wählen, die zur möglichst weitgehenden Wirkungskraft einer Grundrechtsnorm führt356. Diese Kernaussagen bestätigt das BVerfG in der zweiten Entscheidung aus dem Jahr 1993, wenn es dort heißt „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu357“. In diesem Zusammenhang wird ergänzend auf § 10 I 1 ALR hingewiesen, der lautete: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängnis“358. Auch in diesem Kontext belässt es das Gericht aufgrund der fehlenden Entscheidungserheblichkeit weitergehender Ausführungen dabei, den Würdeschutz jedenfalls ab Nidation zu bejahen359, ohne jedoch die Gelegenheit zu nutzen, zur umstrittenen zeitlich davor liegenden Phase zwischen Befruchtung und Nidation Stellung zu nehmen. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt handle es sich um individuelles, genetisch festgelegtes und damit einmaliges und unverwechselbares Leben360. Häufig zitiert ist die Formel, wonach sich das ungeborene Leben nicht zum Menschen, sondern als Mensch entwickle361. Diese Argumentation entspricht dem aus dem Schrifttum bekannten Identitätsargument. Ebenso dem Verfahrensgegenstand geschuldet ist es, dass sich das Gericht nicht zum verfassungsrechtlichen Status des Embryo in vitro äußert. Mit Ausblendung der Phase bis zur Nidation bzw. im Falle einer künstlichen Befruchtung der Implantation liefern die beiden Entscheidungen diesbezüglich keinen Erkenntnisgewinn. Gleichwohl lässt das BVerfG anklingen, dass es zumindest naheliegend erscheint, den Lebensbeginn und damit nach Auffassung des Gerichts auch den Würdeschutz bereits mit Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, also ab Befruchtung, anzunehmen362. Eine verbindliche Festlegung von Seiten des BVerfG gibt es mithin lediglich dahingehend, dass es dem ungeborenen Leben ab Nidation den Würdeschutz des Grundgesetzes zubilligt. Zu einer weitergehenden Ausdehnung des Würdeschutzes hat sich das Gericht bislang nicht geäußert. (b) Meinungsstand im juristischen Schrifttum Im Schrifttum findet sich ein breitgefächertes Meinungsspektrum zum Beginn des Würdeschutzes. Im Mittelpunkt dieser teilweise stark differierenden Ausführungen steht die Suche nach einer Zäsur im menschlichen Entwicklungsprozess, die den jeweiligen Vertretern geeignet erscheint, das Einsetzen des Würdeschutzes zu rechtfertigen. 356 357 358 359 360 361 362

BVerfGE 39, 38; Heuermann NJW 1996 S. 3064; Pap MedR 1986 S. 234; Pap S. 242. BVerfGE 88, 203. BVerfGE 88, 251. BVerfGE 88, 251. BVerfGE 88, 251 f. BVerfGE 88, 252. BVerfGE 88, 251.

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In dieser Form nicht wiederholt, wenn auch gleichwohl häufig aufgegriffen wurden die Ausführungen Starcks, der vorschlug, den Würdeschutz bereits auf die noch nicht vereinigten Keimzellen zu erstrecken363. Auch Brohm wollte in einem Aufsatz jedenfalls Vorwirkungen der Menschenwürde auf das unbefruchtete Keimgut nicht kategorisch ausschließen364. Chronologisch einen Schritt weiter geht Fink, wenn er der sog. Keimbahnzelle Würdeschutz zuspricht. Dabei handelt es sich um die Eizelle in der Phase zwischen Eindringen der Samenzelle bis hin zur mit der Kernverschmelzung abgeschlossenen Befruchtung. Diese Annahme wird damit begründet, dass Eingriffe in dieser Phase sich auf den schutzwürdigen Embryo nach Konjugation auswirken können365. Am häufigsten findet sich im Schrifttum der Ansatz, welcher vom Beginn des Würdeschutzes des Grundgesetzes mit Befruchtung ausgeht366. Die hierfür ins Feld geführten Argumente sind vielfältig. Zunächst einmal wird an das obige Zitat des BVerfG angeknüpft, wonach Menschenwürde jedem menschlichen Leben zukomme, unabhängig von dessen Entwicklungsstand367. Im medizinisch-biologischen Sinne gilt der Lebensbeginn tatsächlich mit Befruchtung als konsentiert368. Mit diesem Vorgang entsteht ein neuer Chromosomensatz, womit der genetische Code verbindlich feststeht369. Vor diesem Hintergrund wird üblicherweise mit den Begriffen Potentialität, Identität und Kontinuität argumentiert370. Ersteres meint den Umstand, dass mit dem Feststehen des genetischen Codes bereits der erwachsene Mensch mit all seinen potentiellen Fähigkeiten angelegt ist371. Das Identitätsargument basiert darauf, dass zwischen Befruchtung und erwachsenem Menschen kein Austausch stattfindet, sondern es sich während der kompletten Entwicklung um 363

Starck DJT 1986 A17. Brohm JuS 1998 S. 201. 365 Fink JURA 2000 S. 215. 366 Beckmann MedR 2001 S. 171; Benda NJW 2001 S. 2148; Brohm JuS 1998 S. 201; Classen DVBL 2002 S. 143; Dürig AöR 1956 S. 126; Fechner JZ 1986 S. 658; Fink JURA 2000 S. 213 f.; Geddert-Steinacher S. 63 f.; bzgl. des „Ob“ auch Herdegen in: GS-Heinze S. 258 f.; Herdegen JZ 2001 S. 774; Hofmann in: FS-Scholz S. 248; Hofmann JZ 1986 S. 260; Hufen JZ 2004 S. 315; Ipsen DVBL 2004 S. 1384; Ipsen JZ 2001 S. 993; Isensee AöR 2006 S. 215; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 9; Kloepfer JZ 2002 S. 420; Lorenz in: FSBrohm S. 446 f.; Losch NJW 1992 S. 2927; von Mutius JURA 1987 S. 111; Rolf in: Brunn/ Dietz u. a. S. 158; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 GG Rn. 19; Starck JZ 2002 S. 1067; Vitzthum JZ 1985 S. 203; auch Merkel S. 112 f. gewährt Würdeschutz ab Nidation. Zur davon zu unterscheidenden Frage nach dessen Konstruktion siehe unten. 367 BVerfGE 88, 251. 368 Pap S. 238 f. m.w.N.; Wagner NJW 2004 S. 918; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 173; Denninger KritJ 1992 S. 284; Laufs MedR 1990 S. 232. 369 Classen DVBL 2002 S. 143; Geddert-Steinacher S. 63; Herdegen JZ 2001 S. 774; Losch NJW 1992 S. 2927; Marx in: Brudermüller/Seelmann S. 81; Böckenförde JZ 2003 S. 812; Pap MedR 1986 S. 233. 370 Überblick und Kritik bei Heun JZ 2002 S. 520 f.; weiterer Überblick bei Starck JZ 2002 S. 1068 f. 371 Beckmann MedR 2001 S. 171; Fechner JZ 1986 S. 658; Pap MedR 1986 S. 233 f. 364

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dasselbe Subjekt handelt. Kontinuität schließlich erblickt in dieser menschlichen Entwicklung einen fortlaufenden Vorgang, welcher durch keine weiteren Einschnitte unterbrochen wird, die stark genug wären, den Würdeschutz erst ab diesem Zeitpunkt beginnen zu lassen372. Oftmals wird jede andere Festlegung als willkürlich bezeichnet, da diese nicht an biologischen Einschnitten festgemacht werden könne373 und zudem mit kaum auflösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden sei374. Vereinzelt wird auch auf den vom Verfassungsgericht herangezogenen § 10 I 1 ALR hingewiesen375. Von Mutius argumentiert zusätzlich mit dem Inhalt der Würdegarantie. Diese umfasse unter anderem das Recht auf eine unbeeinflusste Entwicklung der Persönlichkeit und impliziere daher ein möglichst frühes Einsetzen376. Konsequent chronologisch fortschreitend wäre ein weiterer denkbarer Anknüpfungspunkt etwa der Eintritt der Pluripotenz, mithin das Ende der Totipotenz377. Wohl die stärkste Gegenposition zu den Vertretern des Abstellens auf die Befruchtung bilden diejenigen Autoren, welche die Nidation bzw. Individuation circa 14 Tage nach Befruchtung für maßgeblich erachten378. Sie stellen primär darauf ab, dass erst zu diesem Zeitpunkt, in dem die Mehrlingsbildung ausgeschlossen ist, individuell identifizierbares Leben vorliegt und gerade diese Einmaligkeit die Menschenwürde ausmache379. Außerdem wird auch die allgemein akzeptierte Regelung des § 218 I 2 StGB angeführt, mit welcher nidationshemmende Mittel von der Strafbarkeit ausgenommen werden380. Weitere denkbare Anknüpfungspunkte für den Beginn des Würdeschutzes könnten die Ausdifferenzierung des Gehirns381 bzw. der Beginn der Hirnströme etwa ab dem 35. Tag nach Befruchtung382 oder der einsetzende Herzschlag383 sein. Heute nur noch von historischer Bedeutung sind die bis ins kanonische Recht hinein anzutreffenden Beseelungslehren. Die sog. diachronen Beseelungslehren gingen davon aus, dass ein männlicher Fötus ab dem 40. Tag nach der Befruchtung als Mensch 372 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 GG Rn. 19; Starck JZ 2002 S. 1067; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Laufs JZ 1986 S. 774. 373 Brohm JuS 1998 S. 201; Fechner JZ 1986 S. 658; Losch NJW 1992 S. 2927; Nettesheim AöR 2005 S. 98; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Pap MedR 1986 S. 233; Pap S. 237. 374 von Mutius JURA 1987 S. 111; Herdegen JZ 2001 S. 774. 375 Laufs NJW 2000 S. 2718. 376 von Mutius JURA 1987 S. 111; so auch allgemein zur Rechtsfähigkeit Hillgruber JZ 1997 S. 976. 377 Heun JZ 2002 S. 522. 378 Dederer AöR 2002 S. 25; Denninger KritVJ 2003 S. 204 f.; Heun JZ 2002 S. 522 f.; Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 930; Tornow S. 82. 379 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 9; Tornow S. 81. 380 Heun JZ 2002 S. 523. 381 Brohm JuS 1998 S. 200. 382 Hofmann in: FS-Krause S. 119. 383 Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 930.

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gelte, ein weiblicher ab dem 80. Tag. Zu diesen Terminen wurde die infusio animae, die Einflößung der Geistesseele, angenommen384. Diese Lehre wurde später durch die Simultanbeseelung verdrängt, nach welcher Befruchtung und Beseelung zusammenfallen sollten385. Hilgendorf bezeichnet ohne nähere Begründung den Abschluss des dritten Entwicklungsmonats als sinnvollen Ansatzpunkt386. Ebenfalls vertreten wird ein Abstellen auf die Empfindungsfähigkeit bzw. das Schmerzempfinden des Ungeborenen387. Ferner bildet auch die extrakorporale Überlebensfähigkeit einen wenigstens denkbaren Einschnitt, von welchem man den Würdeschutz abhängig machen könnte388. Neben Befruchtung und Nidation kann mit der dritten weiter verbreiteten Ansicht der Zeitpunkt der Geburt als maßgeblich bezeichnet werden389. Von den Vertretern dieser Auffassung wird angeführt, dass es sich beim geborenen Menschen um den Normalfall der Würdegarantie handle390. Dies wiederum wird an Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 1 GG festgemacht391. Weiterhin wird vielfach aus dem Umstand, dass das BVerfG das geltende Abtreibungsrecht für verfassungsgemäß befunden hat, darauf geschlossen, dass dem ungeborenen Leben keine Menschenwürde zukommen könne392. Dreier folgert ebenfalls ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG, dass Leben zwar conditio sine qua non für den Schutz durch Art. 1 GG, nicht hingegen conditio per quam sei393. Der Rechtsphilosoph Norbert Hoerster befasst sich zwar in erster Linie mit dem Lebensrecht, auch für ihn beginnen jedoch das Menschsein und der Eigenwert des menschlichen Lebens frühestens mit der Geburt394. Bereits hinreichend Kritik erfahren haben die von Hoerster rezipierten utilitaristischen Lehren des Australiers Peter Singer395, so dass es hier bei einer kurzen Darstellung bleiben soll. Wie Hoerster befasst sich Singer in seinem Standardwerk „Praktische Ethik“ grundlegend mit dem Lebensrecht. Dabei äußert er sich jedoch ebenso zur generellen Inhaberschaft von Rechten sowie zum besonderen Wert 384 Denninger KritJ 1992 S. 284; Hofmann JZ 1986 S. 258; Simson/Geerds S. 86 f.; von Liszt Kriminelle Fruchtabtreibung Band 2 S. 356; Hillenkamp in: Weilert S. 33. 385 Jerouschek JZ 1989 S. 284; Hofmann in: FS-Krause S. 119. 386 Hilgendorf in: Jahrbuch für Recht und Ethik 1999 S. 155 Fn. 62. 387 Sendler NJW 2001 S. 2150. 388 Brohm JuS 1998 S. 200; Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 930. 389 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 71; Dreier DÖV 1995 S. 1038; Enders JURA 2003 S. 672; Hilgendorf in: FS-Brohm S. 393. 390 Enders JURA 2003 S. 672. 391 Dederer AöR 2002 S. 10 f. 392 Hilgendorf in: FS-Brohm S. 393. 393 Dreier in: Dreier Art. 1 GG Rn. 67; Dreier DÖV 1995 S. 1037. 394 Hoerster JZ 1991 S. 504; Hoerster NJW 1991 S. 2542; Hoerster MedR 1995 S. 395. 395 Vgl. insbesondere Singer Kapitel 4 und 6.

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menschlicher Existenz. Im Mittelpunkt steht der Personenbegriff im Gegensatz zur bloßen Spezieszugehörigkeit396. Nur Personen zeichnen sich durch Selbstbewusstsein, Rationalität und Zukunftsorientierung aus397. Inhaber von Rechten kann nach Singer nur sein, wem durch einen Eingriff etwas genommen würde. Grundlage hierfür sind wiederum bestimmte Vorstellungen von der eigenen Existenz in Gestalt zukunftsorientierter Wünsche398. Jene Eigenschaften bestreitet Singer bis hinein in das Kindesalter. Dabei macht er das Vorliegen der angeführten „Indikatoren des Menschseins“399 vom Einzelfall abhängig400. Charakteristisch für ein achtenswertes menschliches Dasein ist für Singer auch die Fähigkeit zu autonomen Entscheidungen. Vorwerfbar sei demnach nur die Vereitelung der Ausübung dieser Autonomie, durch welche das betroffene Subjekt einer echten Handlungsalternative beraubt werde401. Der Problematik Schlafender oder Bewusstloser Personen ist sich Singer bewusst und lässt es dementsprechend genügen, dass die zitierten Eigenschaften potentiell, jedenfalls irgendwann einmal, gegeben sind402. Unter Umständen zu einem noch späteren Zeitpunkt, im Extremfall überhaupt nicht, würde der Würdeschutz bei praktischer Anwendung der leistungsorientierten Würdekonzepte eingreifen403. Anders als Singer stellen diese nicht auf bestimmte Fähigkeiten ab, sondern auf einen tatsächlichen Erfolg, welcher selbst bei vorhandenem Potential hierzu erst einmal aktuell erreicht werden muss. (2) Stellungnahme (a) Zum Würdeschutz durch Art. 1 GG zugunsten des Embryos in vivo Die dargestellte Kontroverse lässt sich letztlich auf elementare Grundverständnisse der Rechtsanwendung im Allgemeinen sowie des Menschenwürdesatzes im Besonderen zurückführen. Die unterschiedlichen Positionen unterscheiden sich zunächst im Hinblick darauf, ob sie den Menschenwürdeschutz an medizinisch-biologische Fakten koppeln oder ihn als Gegenstand normativer Zuschreibung begreifen. In medizinisch-biologischer Hinsicht ist dabei insbesondere der Lebensbeginn mit Verschmelzung von Ei- und Samenzelle zu nennen. Daraus kann keinesfalls auf eine Gleichsetzung von Menschenwürde und Lebensschutz geschlossen werden. Vielmehr wird die bloße Spezieszugehörigkeit als ausreichend erachtet, um Menschenwürdeschutz anzunehmen.

396 397 398 399 400 401 402 403

Singer S. 119 f. Singer S. 120. Singer S. 123 ff. Singer S. 118. Singer S. 221 f. Singer S. 134 ff. Singer S. 133. Luhmann S. 53 ff.

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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Dies wiederum ist nicht mit der von einem individuellen Subjekt losgelösten Gattungswürde zu verwechseln. Die Gegenposition zum medizinisch-biologischen Standpunkt nehmen diejenigen Autoren ein, welche den Begriff der Menschenwürde strikt als Rechtsbegriff interpretieren. Nach dieser Ansicht ist der aus Art. 1 I GG resultierende Würdeschutz Gegenstand einer normativen Zuschreibung, welcher von biologischen Fakten ebenso loszulösen ist wie von ethischen, philosophischen oder theologischen Vorverständnissen. Unter diesem Standpunkt sind all diejenigen zusammenzufassen, die nicht an den Lebensbeginn als Beginn des Würdeschutzes, sondern an einen späteren Zeitpunkt innerhalb der menschlichen Entwicklung anknüpfen. Im Mittelpunkt steht dabei die Suche nach einer Zäsur in Gestalt eines Qualitätssprungs, der stark genug erscheint, die sodann erfolgende Zuerkennung des Würdeschutzes zu rechtfertigen. Die bloße Gattungszugehörigkeit wird mithin nicht als ausreichend erachtet, es bedarf eines zusätzlichen rechtfertigenden Momentes. In diesen beiden widerstreitenden Positionen findet sich schließlich das zugrunde gelegte Menschenwürdeverständnis wieder. Zentrale Frage ist hierbei erneut, ob die Menschenwürde entsprechend den Mitgifttheorien ein originär vorhandener Wert ist, der jedem menschlichen Leben allein aufgrund der Spezieszugehörigkeit zukommt. Alternativ kann Würde als Gegenstand einer, auch normativen, Zuschreibung begriffen werden. Für diese Zuschreibung können wiederum verschiedene Kriterien als maßgeblich erachtet werden; Autonomie, Selbstbewusstsein oder soziale Erkennbarkeit sind nur einige davon. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Menschenwürde tatsächlich um einen Wert, welcher mit der menschlichen Existenz untrennbar verbunden ist404. Nochmals sei erwähnt, dass dies keine Festlegung auf eine Gleichsetzung von Würdeschutz und Lebensschutz bedeutet. Es ist aber dem BVerfG zu folgen, wenn es feststellt „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu“405. Jeder andere Ansatz wäre nicht nur willkürlich, sondern würde dem Telos der Menschenwürde diametral entgegenstehen406. Die Menschenwürde ist der (externen) menschlichen Disposition und somit jeglicher Zuschreibung aufgrund einer Leistung oder ähnlicher Indikatoren entzogen407. Erforderlich wäre stets ein Entscheidungsgremium oder ein gleichfalls stark von subjektiven Einschätzungen abhängiger Bewertungsmaßstab. Eine solche Zuschreibung kann auch nicht auf rein juristischer Ebene erfolgen, da Würde nicht isoliert von ihrem ideengeschichtlichen Hintergrund interpretiert werden kann. Die dargelegte Entwicklung bis hin zur 404

A.A. im Sinne eines Zuschreibungsgegenstands Hörnle ARSP 2003 S. 323 f. BVerfGE 39, 41. 406 Herdegen JZ 2001 S. 774. 407 Hillgruber JZ 1997 S. 976; Höfling in: FS-Schiedermair S. 375; Hofmann JZ 1986 S. 260; Lindner DÖV 2006 S. 583; Starck JZ 1981 S. 463; Starck in: FS-Schiedermair S. 378; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 18; Tröndle NJW 1991 S. 2542; Heuermann/ Kröger MedR 1989 S. 173. 405

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Verankerung in Art. 1 GG hat gezeigt, dass nicht nach dem Inhalt der Menschenwürde im philosophischen und im Rechtssinne unterschieden werden kann, sondern der Rechtsbegriff die ideengeschichtliche Entwicklung konsequent fortführt und normativ manifestiert408. Selbstverständlich wäre es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass in der Rechtsordnung die Entscheidung getroffen wird, tatsächlich vorhandene, weil normativer Zuschreibung entzogene, Menschenwürde für ein bestimmtes Entwicklungsstadium nicht unter den Schutz der Rechtsordnung zu stellen. Eine derartige Festlegung stünde allerdings im krassen Widerspruch zum Grundgedanken und zur Funktion der Menschenwürde. Eine solche Differenzierung bedeutete Selektion. Diese war mit der Einführung des Art. 1 I GG gerade nicht gewollt409. Vielmehr stellt diese Regelung die Entscheidung für einen umfassenden, möglichst weitreichenden Würdeschutz seitens der Rechtsordnung dar. Das Bundesverfassungsgericht lässt sich mithin wie folgt ergänzen: Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu, und wo Menschenwürde existiert, steht diese unter dem Schutz des Art. 1 I GG. Der besagte Wert ist dabei weniger von transzendentalen Bezügen abhängig als gemeinhin angenommen. Sein Grund und Inhalt liegen durchaus innerweltlich in der Bedeutung der menschlichen Existenz selbst. Die dem Menschen zukommende Würde grenzt ihn gegenüber allen anderen Lebewesen ab und erhebt ihn über diese. Die menschliche Spezies ist damit als Schicksals- und Solidargemeinschaft zu begreifen, welche jedes ihrer Mitglieder anerkennt, unabhängig vom aktuellen Leistungsvermögen. Keinem Mitglied steht es zu, ein anderes aus dieser Solidargemeinschaft kraft Zuschreibung auszuschließen und diesem den Würdeschutz abzusprechen. Gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme sind konstitutiv für die besagte Solidargemeinschaft. Insofern versteht sich die hier vertretene Auffassung als eine Synthese klassischer wert-basierender Auffassungen mit den modernen Kommunikationstheorien. Unbenommen der überragenden Bedeutung des Individuums und dessen einmaligen Werts existiert der Einzelne stets in seinen sozialen Bezügen410. Die soziale Reflexion des Achtungsanspruchs fungiert bildlich gesprochen als dessen Resonanzkörper und bringt ihn so erst zur wahrnehmbaren Geltung411. Diese staatsstrukturelle Komponente der Menschenwürde ist nicht zu vernachlässigen; Hofmann spricht diesbezüglich treffend von der Menschenwürde als kommunikativem Begriff der Mitmenschlichkeit412. Gleichwohl darf sie nicht dahingehend interpretiert werden, vom Einzelnen einen gesellschaftlichen Beitrag zu fordern, der über die bloße Achtung des Werts seiner Mitmenschen hinausgeht. 408 So auch Hain Der Staat 2006 S. 193; Benda NJW 2001 S. 2148; Pap MedR 1986 S. 231; Verdross S. 266; Kirchhof in: Herms S. 161. 409 Hofmann AöR 1993 S. 376. 410 Schmitt-Glaeser ZRP 2000 S. 398. 411 Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 927. 412 Hofmann JZ 1986 S. 260.

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Ebensowenig geht der Einzelne bei verweigerter Achtung durch Dritte seiner Menschenwürde verlustig. Insofern sind leistungsbezogene Würdekonzepte oder leistungsorientierte Ausprägungen der Kommunikationstheorien abzulehnen; indem hierbei Menschen über die Würde anderer urteilen, widersprechen diese Theorien dem Grundgedanken des Würdesatzes in elementarer Weise. In diesem Sinne kann erneut das BVerfG herangezogen werden, das in der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ausführt: „Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst Willen“413. In diesem Grundverständnis wurzelt auch die ebenfalls bereits zitierte Tendenz, Grundrechte so zu interpretieren, dass sie zu möglichst weitgehender Geltung gelangen. Gleichwohl sollte gerade im Zusammenhang mit dem Würdeschutz des frühen Lebens nicht mit dessen Schutzwürdigkeit argumentiert werden. Wer Würdeschutz unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit annimmt, trifft ebenso eine unzulässige Zuschreibung, wie diejenigen, die an einen späteren Zeitpunkt anknüpfen. Einziges zulässiges Kriterium bleibt somit die menschliche Spezieszugehörigkeit, die von der Natur begründet wird und menschlichen Wertungen entzogen ist414. Zusammenfassend kommt dem frühen Leben in vivo somit Würdeschutz bereits von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an zu. Ab diesem Zeitpunkt existiert menschliches Leben als Mitglied der menschlichen Solidargemeinschaft. Die anderen Individuen sind zu dessen Achtung von Beginn an verpflichtet. Die Gegenleistung, um in der gesellschaftsvertraglichen Terminologie zu bleiben415, besteht darin, dass das betreffende Subjekt später, sobald es zu derartiger Erkenntnis fähig ist, ebenso verpflichtet ist, den individuellen, unvergleichbaren Wert jedes Einzelnen seiner Mitmenschen zu respektieren. (b) Zum Würdeschutz durch Art. 1 GG zugunsten des Embryos in vitro Ein Feld, das im Zusammenhang mit der Menschenwürde am Lebensanfang derzeit besonders heftig umstritten ist, bildet der Würdeschutz zugunsten des Embryos in vitro. Fraglich ist hier, ob sich ein anderes Ergebnis ergibt als bezüglich der Situation bei natürlicher Befruchtung. Näherer Betrachtung bedarf die Frage, ob der Würdeschutz in diesem Fall nicht erst ab Implantation eingreift. Bei natürlicher Befruchtung wird den Argumenten der Potentialität und der Kontinuität starkes Gewicht beigemessen416. Bei in vitro Fertilisation stellt jedoch die Implantation

413

BVerfGE 88, 252. So auch Dürig AöR 1956 S. 126; Fink JURA 2000 S. 212; Höfling in: Sachs Art. 1 I GG Rn. 47; Kirchhof in: Herms S. 158; Lorenz in: FS-Brohm S. 446 f.; Neumann KritVJ 1993 S. 284; Pabst NJW 2002 S. 1000; Böckenförde JZ 2003 S. 811; Laufs JZ 1986 S. 774. 415 So auch bei Höfling in: FS-Schiedermair S. 374 f. 416 Überblick und Kritik bei Heun JZ 2002 S. 520 f.; weiterer Überblick bei Starck JZ 2002 S. 1068 f. 414

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tatsächlich eine essentielle Zäsur dar417. Die befruchtete Eizelle ist in ihrer Entwicklung von einer aktiven menschlichen Handlung, nicht lediglich vom Unterlassen eines Eingriffs abhängig. Ohne Vornahme der Implantation fehlt der befruchteten Eizelle die Entwicklungsperspektive418. Die Argumente der Potentialität und insbesondere der Kontinuität greifen mithin hier nicht durch419. Allerdings hat dieser Umstand keine Auswirkungen auf den Beginn des Würdeschutzes. Dieser setzt auch beim Embryo in vitro bereits mit Befruchtung ein. Die erforderliche Spezieszugehörigkeit liegt in diesem Moment gleichfalls vor; es handelt sich unbestreitbar um menschliche Existenz. Die möglicherweise fehlende Entwicklungsperspektive vermag hieran nichts zu ändern420. Ein späteres Einsetzen des Würdeschutzes würde abermals eine einseitige Zuschreibung, verbunden mit einer subjektiven Wertung bedeuten, welche, bedingt durch das Erfordernis der aktiven Einpflanzung, zur Disposition des handelnden Wissenschaftlers stünde421. Dieser könnte dann durch Vornahme der Implantation darüber entscheiden, ob dem Embryo Menschenwürde zukommt. Eine solche Vorstellung widerspricht dem hier vertretenen Charakter der Menschenwürde als einmaligem Wert menschlicher Existenz. Ob der Handelnde durch ein bestimmtes Verhalten das Lebensrecht und/ oder die Menschenwürde des Embryos verletzt und unter welchen Umständen ihm dies gestattet ist, gilt es zu einem späteren Zeitpunkt zu klären; über das Eingreifen des Würdeschutzes an sich kann er jedoch nicht bestimmen. Damit vermag die vorgebrachte fehlende Entwicklungsperspektive keine gegenüber dem Embryo in vivo abweichende Situation zu ergeben. Die Implantation ist also kein tauglicher Anknüpfungspunkt für den beginnenden Würdeschutz am Lebensanfang. Stattdessen bleibt es auch beim Embryo in vitro aus dem oben dargelegten Würdeverständnis heraus beim Beginn des Würdeschutzes nach Art. 1 I GG mit erfolgter Befruchtung. cc) Ende des Würdeschutzes/ Würdeschutz am Lebensende Im Gegensatz zum soeben behandelten Feld des pränatalen Würdeschutzes wird der Würdeschutz zugunsten geborener, lebender Personen nicht ernsthaft bestritten. Vorbehaltlich der hier abgelehnten leistungsorientierten Würdekonzepte besteht weitestgehend Einigkeit, dass Würdeschutz jedermann genießt, unabhängig von seinen persönlichen, körperlichen, geistigen oder seelischen Eigenschaften422. Für ausreichend wird dabei die Existenz eines geborenen Menschen erachtet, welcher prinzipiell, nicht notwendigerweise aktuell, zur vernünftigen Selbstbestimmung in 417

Hieran anknüpfend Hofmann JZ 1986 S. 259; Coester-Waltjen FamRZ 1984 S. 235 f. Herdegen in: GS-Heinze S. 364; Rosenau in: FS-Schreiber S. 777. 419 Ipsen DVBL 2004 S. 1385. 420 Fink JURA 2000 S. 215; Hofmann in: FS-Scholz S. 248; Ipsen JZ 2001 S. 993; Nettesheim AöR 2005 S. 98; Vitzthum JZ 1985 S. 208; Laufs MedR 1990 S. 233. 421 Koch in: Maio/Just S. 104 f. 422 BVerfGE 87, 228; Hofmann AöR 1993 S. 376; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 I GG Rn. 8; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 18. 418

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der Lage ist423. Dieser Standpunkt entspricht auch der hier bereits zuvor mehrfach herangezogenen Aussage des BVerfG, wo menschliches Leben existiere, komme ihm Menschenwürde zu424. In diesem Zusammenhang wird zudem oftmals darauf hingewiesen, dass in historischen Quellen vielfach von angeborenen Rechten die Rede sei und es sich dementsprechend beim lebenden Menschen um den Normalfall der Würdegarantie handle425. Hinsichtlich des normativen Würdeschutzes entspricht dieser Gedankengang auch der klassischen Grundrechtsfunktion in Gestalt des status negativus: Gerade der geborene Mensch steht dem Staat als Handlungssubjekt gegenüber und fällt damit in den persönlichen Schutzbereich des Art. 1 I GG. Mit dem Eintritt des Todes erlischt der personelle Träger der Menschenwürde. Eine Auseinandersetzung mit der exakten Bestimmung des Lebensendes erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt an entsprechender Stelle im Zusammenhang mit der Garantie des Art. 2 II GG. dd) Dogmatische Herleitung und Reichweite des Würdeschutzes in den Grenzbereichen Soeben wurde die erste Stufe, das „Ob“ des Würdeschutzes zu Beginn und am Ende des Lebens behandelt. Dabei wurde dahingehend Stellung bezogen, dass der Würdeschutz des Grundgesetzes bereits mit Befruchtung einsetzt und über den Tod hinauswirkt. Hierauf aufbauend stellt sich die Frage nach der zweiten Stufe, dem „Wie“ des Würdeschutzes in den Grenzbereichen. Konkret soll es also nachfolgend um die dogmatische Herleitung und die Reichweite des Würdeschutzes gehen. Im Mittelpunkt steht dabei einmal mehr die Suche nach Hinweisen auf eine Relativierung des Menschenwürdeschutzes im Vergleich der Grenzbereiche mit der Situation eines erwachsenen Menschen. (1) Vertretene Standpunkte Ein Grund für die anhaltende Debatte insbesondere zum Lebensanfang ist abermals die fehlende Festlegung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch426. Mangels Entscheidungserheblichkeit lies das Gericht offen, ob das ungeborene Leben selbst Grundrechtsträger im Sinne einer subjektiven Berechtigung ist oder ob allein der objektivrechtliche Gehalt des Art. 1 I GG den Staat zum Schutz verpflichtet427. Derartige Überlegungen, welche zu irgendwie gearteten Unterschieden zwischen der Behandlung eines geborenen Menschen mit dem ungeborenen Leben führen, sind Ansatzpunkt für relativistische Tendenzen. Hierbei werden oftmals Parallelen 423 424 425 426 427

Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 64. BVerfGE 39, 41. Enders JURA 2003 S. 672. BVerfGE 39, 1 ff. BVerfGE 39, 41 f.

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zwischen der Situation zu Beginn und am Ende des Lebens gezogen, welche ebenfalls näherer Betrachtung bedürfen. Auch zur Qualität des grundsätzlich zugesprochenen Würdeschutzes nach Art. 1 GG hat das BVerfG nicht explizit Stellung genommen. (a) Subjektive Grundrechtsträgerschaft am Lebensanfang bei vollwertigem Würdeschutz Ein starkes Lager im Schrifttum bejaht die Grundrechtssubjektivität des ungeborenen Lebens und vertritt somit einen vollwertigen Würdeschutz, der identisch ist mit demjenigen zugunsten geborener Menschen428. Grundrechtssubjektivität oder Grundrechtsfähigkeit meint die Fähigkeit, Träger bzw. Inhaber von Grundrechten, also deren Zuordnungsobjekt, zu sein429. Vorgebracht wird hierfür insbesondere, dass eine, vom BVerfG zweifellos anerkannte, objektive Ausprägung ohne subjektive Kehrseite grundrechtsdogmatisch überhaupt nicht möglich sei. Für diesen Befund wird auf die entsprechenden Ausführungen des Gerichts im Lüth-Urteil430 verwiesen431. Der Annahme eines vollwertigen Würdeschutzes liegt ein hier geteiltes Würdeverständnis zugrunde, wonach die Spezieszugehörigkeit allein, mithin der biologische Lebensbeginn, ausreicht, um den Menschenwürdeschutz zu begründen, und jede weitere Differenzierung dem Charakter des Würdesatzes widerspricht432. In diesem Kontext wird als Beleg für die Gleichstellung aller menschlichen Existenz die Formulierung des BVerfG angeführt, das ungeborene Leben entwickle sich als Mensch, nicht zum Menschen433. (b) Nur objektive, relativierbare Ausprägung des Würdeschutzes am Lebensanfang Einen anderen Standpunkt nimmt Ipsen ein, der die Ausführungen des BVerfG aufgegriffen hat und sich in erster Linie mit der objektiven Komponente des Art. 1 GG befasst434. Aus der Verfassungsmäßigkeit des geltenden Abtreibungsstrafrechts folgert er, dass das ungeborene Leben nicht Grundrechtsträger des Art. 1 GG sein könne435. Diese Differenzierung zum geborenen Menschen begründet 428

von Mutius JURA 1987 S. 111; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Vitzthum JZ 1985 S. 208; Fink JURA 2000 S. 215; Geddert-Steinacher S. 68 ff.; Heuermann NJW 1996 S. 3063; Classen DVBL 2002 S. 144; Böckenförde JZ 2003 S. 813; Isensee NJW 1986 S. 1646; SchmidtJortzig DÖV 2001 S. 931 legt sich bzgl. der Konstruktion nicht fest, spricht sich jedoch für einen voll einsetzenden Schutz aus. 429 von Mutius JURA 1987 S. 110; von Mutius JURA 1983 S. 30; Schlaich JuS 1982 S. 42. 430 BVerfGE 50, 337. 431 Fink JURA 2000 S. 213 f.; Geddert-Steinacher S. 67. 432 Fink JURA 2000 S. 212, 215; Vitzthum MedR 1995 S. 252; von Mutius JURA 1987 S. 111; Classen DVBL 2002 S. 145. 433 BVerfGE 88, 252. 434 Ipsen JZ 2001 S. 989 ff.; Ipsen DVBL 2004 S. 1381 ff. 435 Ipsen JZ 2001 S. 992; Ipsen DVBL 2004 S. 1384.

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Ipsen mit der Bedeutung der sozialen Komponente der Menschenwürde, basierend auf einem kommunikationstheoretischen Verständnis436. Stattdessen schlägt er vor, zwischen Grundrechten und deren Schutzgut zu unterscheiden437. Trotz Fehlens eines konkreten Subjekts nimmt er Vorwirkungen der Menschenwürde an, welche auf der objektiven Geltung des Art. 1 GG gründen438. Inhaltlich sei diese Schutzpflicht jedoch keine vollwertige, sondern werde vielmehr mit wachsender Menschenähnlichkeit intensiver439, sei also grundsätzlich abwägbar440. (c) Nur objektive, relativierbare Ausprägung des Würdeschutzes am Lebensanfang basierend auf der Gattungswürde Ebenfalls nur auf die objektiv-rechtliche Ausprägung des Art. 1 GG stützt Merkel den Würdeschutz am Lebensanfang. Auch er verneint die subjektive Rechtsposition unter Hinweis auf die Verfassungsmäßigkeit des Abtreibungsrechts441. Anders als Ipsen leitet er die objektive Schutzpflicht aus der bereits oben behandelten Gattungswürde ab. Wieder im Einklang mit Ipsen unterscheidet sich auch für Merkel der vorgeburtliche Würdeschutz von demjenigen zugunsten Geborener dadurch, dass der Erstgenannte relativierbar sei442. (d) Entwicklungs- und situationsabhängiger Schutz am Lebensanfang – sog. Wachstumskonzepte Denjenigen Autoren, welche vollwertigen Würdeschutz am Lebensanfang in Verbindung mit einer subjektiven Rechtsposition bejahen, tritt neuerdings eine Auffassung entgegen, deren Vertreter einen eingeschränkten, konkret entwicklungsund situationsabhängigen Würdeschutz annehmen. Als Begründer dieser sog. Wachstumskonzepte wird oft Herdegen443 zitiert, doch äußern sich zahlreiche weitere Autoren in diesem Sinne, wenngleich die dogmatische Konstruktion differiert oder komplett offen bleibt444. Kernaussage ist in jedem Fall, dass sich die Schutzwürdigkeit von ungeborenem und geborenem Leben unterscheidet, so dass Ersteres im Fall einer Interessenkollision der Abwägung preisgegeben sei445. Die Schutzwür436

Ipsen JZ 2001 S. 993; ebenso Hofmann AöR 1993 S. 376. Ipsen JZ 2001 S. 993. 438 Ipsen JZ 2001 S. 993 f.; Ipsen DVBL 2004 S. 1384. 439 Ipsen JZ 2001 S. 994. 440 Ipsen DVBL 2004 S. 1384. 441 Merkel S. 110. 442 Merkel S. 113. 443 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 55 ff.; Herdegen in: GS-Heinze S. 363; Herdegen JZ 2001 S. 774. 444 Schreiber MedR 2003 S. 370; Hofmann in: FS-Scholz S. 248; Hilgendorf in: FSBrohm S. 394; Kloepfer JZ 2002 S. 420; Lorenz in: FS-Brohm S. 447; Taupitz NJW 2001 S. 3438. 445 Schreiber MedR 2003 S. 370; Kloepfer JZ 2002 S. 420; Taupitz NJW 2001 S. 3438; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 56; Herdegen in: GS-Heinze S. 363 f. 437

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digkeit nehme entsprechend der natürlichen Entwicklungsschritte mit zunehmender Menschenähnlichkeit, sozialer Erkennbarkeit oder zeitlicher Nähe zur Geburt zu446. Dieses Konzept wird als sachgerecht empfunden, insbesondere im Hinblick auf den korrespondierenden einfachgesetzlichen Schutz, welchen das BVerfG für verfassungsmäßig hält447, sowie auf die biologischen und medizinischen Erkenntnisse448. (e) Sonstige Vorwirkungen am Lebensanfang Als eine letzte homogene Gruppe lassen sich diejenigen Autoren zusammenfassen, die, ebenfalls mit unterschiedlicher dogmatischer Begründung, Vorwirkungen des Würdeschutzes annehmen. Auch diese Vorwirkungen, Reflexwirkungen oder Ausstrahlungen dienen teilweise als Ansatzpunkt, um einen abgeschwächten Würdeschutz im Falle einer Interessenkollision anzunehmen449. Andere Autoren bejahen auch im Rahmen der Vorwirkungen vollwertigen Würdeschutz. Beispielhaft sei Dederer genannt, der den geborenen Menschen als Normalfall der Würdegarantie betrachtet450. Die Entwicklung als Mensch ermögliche jedoch eine Rückerstreckung des Würdeschutzes im Sinne einer Brückenkonstruktion. Diese Brücke reicht nach der Auffassung Dederers nur zurück bis zur Nidation, da erst ab diesem Ereignis eine Entwicklung als Mensch stattfinde451. Dies ermögliche jedoch vollwertigen Würdeschutz452. Ebenfalls im Zusammenhang mit den genannten Vorwirkungen wird teilweise ein Vergleich zur Situation am Lebensende angestellt453. Diese Überlegung soll hier als Überleitung dienen, um einen Blick auf den Grad des Würdeschutzes am Lebensende zu werfen. (f) Situation am Lebensende Eine Abschwächung des Würdeschutzes am Ende des Lebens infolge von psychischem oder physischem Verfall und ähnlichen Alterserscheinungen bis hin zum Todeseintritt auf der Ebene des Schutzbereichs wird nicht (mehr) ernsthaft vertreten454. Gleichwohl ist zu bedenken, dass dies bei konsequenter Subsumtion der gängigen Würdekonzepte nicht kategorisch ausgeschlossen wäre.

446

Kloepfer JZ 2002 S. 420. Hilgendorf in: FS-Brohm S. 394; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 66. 448 Taupitz NJW 2001 S. 3438; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 56; Herdegen in: GS-Heinze S. 363 f.; Herdegen JZ 2001 S. 774. 449 Denninger KritVJ 2003 S. 207; Enders JURA 2003 S. 671 f.; Hilgendorf NJW 1996 S. 761; Jerouschek JZ 1989 S. 284 f.; Frommel KritJ 2002 S. 425. 450 Dederer AöR 2002 S. 10. 451 Dederer AöR 2002 S. 9; Dederer JZ 2003 S. 988. 452 Dederer AöR 2002 S. 13. 453 Jerouschek JZ 1989 S. 284 f. 454 Vgl. jedoch Binding/Hoche S. 27 f.; Elster ZStW 1924 S. 133 f. zur Lehre vom sog. „lebensunwerten Leben“. 447

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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(2) Stellungnahme Nach Betrachtung aller vorgebrachten Argumente wird hier der Standpunkt geteilt, dass dem frühen Leben der Grundrechtsschutz des Art. 1 GG nicht lediglich im Sinne der objektiv-rechtlichen Geltung, sondern als subjektive Rechtsposition zukommt455. Diejenigen Ansätze, die wie Merkel456 an die Gattungswürde anknüpfen, wurden bereits oben abgelehnt. Hauptkritikpunkt war dabei die der Intention der Grundrechte widersprechende Tendenz, ein bestimmtes Menschenbild losgelöst vom konkreten Subjekt zu schützen457. Dies kann auch Ipsens Position entgegengehalten werden. Die Vorstellung eines Menschenwürdeschutzes ohne schützenswertes Subjekt ermangelt jeglicher Kontur458. Die hier vertretene Auffassung entspricht auch dem grundrechtsdogmatischen Verständnis des BVerfG, wie es etwa im Lüth-Urteil ausdrücklich zur Geltung kommt459. Gerade der Menschenwürdesatz rückt das konkrete Individuum in den Mittelpunkt. Ein solches Individuum existiert mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, so dass es auch Träger des betreffenden Grundrechts sein muss. Nachdem zu dieser grundrechtsdogmatischen Vorfrage Stellung bezogen wurde, stellt sich die folgenträchtigere Frage nach der Intensität des gewährten Schutzes. Dabei stehen auf der einen Seite die Vertreter einer „Alles-oder-Nichts“-Lösung, welche mit Einsetzen des Würdeschutzes einen ungeschmälerten, dem geborenen Leben absolut gleich geordneten Schutz fordern460. Dem gegenüber stehen diejenigen Autoren, welche sich für einen entwicklungsgebunden stärker werdenden Schutz aussprechen: die Vertreter der sog. Wachstumsmodelle461. Zu folgen ist dem erstgenannten Lager. Der Gegenposition ist möglicherweise zuzugestehen, dass diese Abstufung eher der einfachgesetzlichen Lage und der Lebenswirklichkeit entspricht; dies muss die weitere Untersuchung zeigen. Allein aus dieser, womöglich falschen, Rechtsanwendung kann jedoch nicht auf die Ver455 So auch von Mutius JURA 1987 S. 111; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Vitzthum JZ 1985 S. 208; Fink JURA 2000 S. 215; Geddert-Steinacher S. 68 ff.; Heuermann NJW 1996 S. 3063; Classen DVBL 2002 S. 144; Böckenförde JZ 2003 S. 813. 456 Merkel S. 113. 457 Classen DVBL 2002 S. 143; Geddert-Steinacher S. 71; Herdegen JZ 2001 S. 774. 458 Classen DVBL 2002 S. 143. 459 BVerfGE 50, 337. 460 von Mutius JURA 1987 S. 111; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Vitzthum JZ 1985 S. 208; Fink JURA 2000 S. 215; Geddert-Steinacher S. 68 ff.; Heuermann NJW 1996 S. 3063; Classen DVBL 2002 S. 144; Böckenförde JZ 2003 S. 813; Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 931 legt sich bzgl. der Konstruktion nicht fest, spricht sich jedoch für einen voll einsetzenden Schutz aus. 461 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 55 ff.; Herdegen in: GS-Heinze S. 363; Herdegen JZ 2001 S. 774; Schreiber MedR 2003 S. 370; Hofmann in: FS-Scholz S. 248; Hilgendorf in: FS-Brohm S. 394; Kloepfer JZ 2002 S. 420; Lorenz in: FS-Brohm S. 447; Taupitz NJW 2001 S. 3438.

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fassungsebene zurückgeschlossen werden. Zudem ist jedenfalls hier noch nicht geklärt, ob es sich bei den betreffenden Fragen, aus welchen einige Autoren folgern, das ungeborene Leben könne nicht Träger vollen Menschenwürdeschutzes sein, überhaupt um Fragen von Würde-Relevanz handelt. Es sollte sauber zwischen Schutzbereich und Eingriff differenziert werden. Ebenfalls aus der falschen Perspektive argumentieren diejenigen, die eine Abstufung für zweckmäßig halten, um etwa den Interessenkonflikt eines Schwangerschaftsabbruchs aufzulösen462. Nach der hier vertretenen Auffassung lässt der Menschenwürdesatz keine Zweckmäßigkeitserwägungen zu und kann auch nicht so geformt werden, dass er auf bestimmte Phänomene der Lebenswirklichkeit besser passt. Vielmehr ist der Würdeschutz als Fixpunkt zu betrachten, von welchem aus Lösungen zu suchen sind463. Hinzu kommen die Ausführungen des BVerfG. Wenngleich das Gericht sich nicht explizit festlegt, ist doch implizit eine deutliche Tendenz dahingehend erkennbar, dass das ungeborene Leben in seiner Wertigkeit dem geborenen in nichts nachsteht. Die Zuschreibung eines abgestuften Schutzes durch die Verfassung und deren Interpretation bedeutete abermals unzulässige Selektion des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren. Dies jedoch ist gerade die Konstellation, der Art. 1 GG entgegenwirken soll. Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Würdeschutz des Art. 1 GG mit Befruchtung beginnt. Das ungeborene Leben ist mit diesem Augenblick Mitglied der menschlichen Spezies und damit gebührt ihm der Schutz des Art. 1 GG sowohl im Sinne einer subjektiven Grundrechtsposition, als auch durch staatliche Schutzmaßnahmen, basierend auf der objektiv-rechtlichen Ausprägung der Grundrechtsordnung. Dieser Schutz ist ein vollwertiger, der demjenigen zugunsten des geborenen Lebens in nichts nachsteht. Was dieser Schutz zu leisten vermag, gilt es auf der Ebene des Eingriffs zu klären. Jedenfalls gibt es keine Differenzierung zwischen geborenem und ungeborenem Leben, was den Würdeschutz auf der Rechtsgutsebene anbelangt. Es bleibt die Situation am Lebensende zu bewerten. Hier wird die unbestrittene Position eingenommen, dass der Würdeschutz bis zum Todeseintritt in seiner Intensität auf der Schutzbereichsebene nicht nachlässt. Im Zuge dessen greifen die obigen Argumente zur Situation am Beginn des Lebens. Eine Differenzierung liegt nicht in Menschenhand. Grundsätzlich ist, wo Menschenwürdeschutz greift, volles Schutzniveau anzunehmen. Jede andere Annahme wäre mit subjektiven Wertungen verbunden, welche eine Ungleichbehandlung von Menschenhand an anderen Menschen darstellten und deshalb mit dem weitreichenden Charakter des Menschenwürdesatzes zugunsten aller Mitglieder der menschlichen Spezies unvereinbar wären.

462 463

Hilgendorf in: FS-Brohm S. 394. So auch Böckenförde JZ 2003 S. 811.

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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ee) Zwischenresümee zur Schutzbereichsebene des Art. 1 I GG An dieser Stelle sollen noch einmal die bisherigen Erkenntnisse zu Art. 1 GG auf der Schutzbereichsebene zusammengefasst werden, um anschließend den Ablauf der weiteren Untersuchung zu klären. Zunächst einmal sollte man sich stets der Intention bei Einführung des Art. 1 I GG bewusst sein. Dabei ging es primär darum, die zentrale Stellung des menschlichen Individuums, resultierend aus dessen einzigartigem Eigenwert, zu betonen. Damit verbunden war eine hohe Eingriffsschwelle vorgesehen. Beabsichtigt war die Verbürgung eines elementaren Mindestschutzstandards gegenüber schlicht nicht hinnehmbaren Bedrohungen. Diese beiden Ziele wurzelten in dem Bestreben, im Anschluss an die NS-Diktatur, welche von Willkür geprägt war, ein solides Fundament menschlicher Solidargemeinschaft und so einen feststehenden und verlässlichen Orientierungspunkt zu schaffen. Die nähere Betrachtung der Entstehungsgeschichte brachte auch die Erkenntnis, dass die Anwendung des Verfassungssatzes der Menschenwürde in besonderem Maße von ideengeschichtlichen Vorverständnissen geprägt ist. Eine hiervon isolierte bzw. abweichende Verwendung kann es nicht geben. Bei der allgemeinen Analyse der gängigen Würdekonzepte wurde die Schwierigkeit einer positiven Begriffsbestimmung deutlich. Aus pragmatischen Gründen wird in der Rechtsanwendung auf eine negative Bestimmung vom Verletzungsurteil her ausgewichen. Bei der Betrachtung grundrechtsdogmatischer Fragestellungen wurde die Hilfskonstruktion der Gattungswürde losgelöst vom konkreten Schutzsubjekt abgelehnt. Dementsprechend wird hier von einer Doppelfunktion des Art. 1 I GG ausgegangen. Demnach handelt es sich sowohl um ein Freiheitsgrundrecht im Sinne einer subjektiven Rechtsposition als auch um den Teil einer objektiven Werteordnung. Aus diesem Doppelcharakter resultieren auch die insgesamt drei Wirkungsdimensionen des Menschenwürdesatzes, namentlich die Abwehrdimension, die Schutzpflichtdimension sowie zuletzt die ausnahmsweise unmittelbare Drittwirkung unter Privaten. Nach Befassung mit diesen allgemeinen Vorfragen erfolgte die Subsumtion der Lebenssachverhalte an den Grenzbereichen des Lebens unter die gängigen Würdekonzepte. Dabei wurde deutlich, dass diese bei konsequenter Anwendung nicht ausnahmslos schlüssig zu einem lückenlosen Würdeschutz zu Anfang und am Ende des Lebens führen würden. Eben jene Grenzbereiche wurden anschließend eingehend analysiert und im Zuge dessen wurde das eigene Würdeverständnis entwickelt. Hierbei ist zwischen zwei Stufen zu unterscheiden: Die erste Stufe betrifft die Frage, ob in einer bestimmten Phase überhaupt Würdeschutz gegeben ist. Dabei wird der Standpunkt eingenommen, dass Würdeschutz jedem menschlichen Individuum zuteil wird, beginnend mit der Befruchtung am Anfang des Lebens, sowie sogar über den Todeseintritt hinaus am Ende des Lebens. Die zweite Stufe betrifft dessen dogmatische Konstruktion und inhaltliche Qualität, vor allem im Vergleich zum

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Würdeschutz zugunsten geborener und gesunder Menschen. Diesbezüglich wird hier die Auffassung vertreten, dass es sich in jeder Phase des Lebens, auch an dessen Randbereichen, um vollwertigen Schutz als Ausprägung einer objektiven Wertordnung sowie, damit korrespondierend, einer subjektiven Berechtigung handelt. Dementsprechend werden jegliche Abstufungen auf der Ebene des Schutzbereichs abgelehnt. Grund für diese strikte Position ist das hier vertretene Würdekonzept. Es ist gekennzeichnet durch eine große Reichweite und niedrige Anforderungen bei der Trägerschaft. Allein die Spezieszugehörigkeit ist ausschlaggebend. Diese ist gekennzeichnet durch die Erhebung des Menschen über andere Lebewesen, nicht jedoch eine Besserstellung von Menschen gegenüber anderen Menschen. Eine Kernaussage des Menschenwürdesatzes ist der Umstand, dass eine Differenzierung innerhalb der menschlichen Gattung nicht stattfindet. Würde wird hier als vorhandener, dem Menschen eigener Wert begriffen, nicht als Resultat menschlicher Zuschreibung. Die soziale Komponente ist insofern von Bedeutung, als Staat und Gesellschaft gleichermaßen Adressaten des resultierenden Achtungsanspruchs sind. Der einzelne Mensch existiert in seinen sozialen Bezügen, die erst dazu führen, den Würdeschutz relevant werden zu lassen. Insgesamt werden hier also auf der Schutzbereichsebene möglichst niedrige Anforderungen gestellt, um einen lückenlosen Schutz zu erreichen. Gleichwohl soll es nicht zu einem inflationären Gebrauch der Regelung des Art. 1 I GG kommen. Aus diesem Grund wird es erforderlich sein, die Ebene des Eingriffs mit gleicher Intensität zu analysieren. Nach den bisherigen Erkenntnissen, allem voran den historischen Umständen, erschiene es folgerichtig, hohe Anforderungen an das Vorliegen eines Eingriffs in die Menschenwürde zu stellen. Konsequenz dieser Kombination eines weiten Würdeverständnisses auf der Schutzbereichsebene mit hohen Anforderungen an den Eingriff könnte eine schwindende praktische Relevanz des Art. 1 I GG sein. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird und welche Folgen es gegebenenfalls hätte, bedarf genauerer Betrachtung anhand konkreter Gefährdungslagen auf der Ebene des Eingriffs, sowie eines Blickes auf andere möglicherweise relevante Grundrechte und deren Verhältnis zur Menschenwürdenorm. Ein solches ist hier das Lebensrecht aus Art. 2 II 1 GG, welches nachfolgend nähere Betrachtung erfährt. 2. Das Recht auf Leben, Art. 2 II GG a) Normgeschichtlicher Hintergrund des Art. 2 II GG Ähnlich wie Art. 1 I GG bildet die explizite Verbürgung des Lebensrechts in Art. 2 II GG ein verfassungsrechtliches Novum in deutschen Verfassungen464. Auch auf internationaler Ebene finden sich vor 1945 kaum ausdrückliche Erwähnungen in 464 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 80; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 1; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 1; Fink S. 86; Fink JURA 2000 S. 210; Steiner S. 5; Pieroth/Schlink Rn. 390; Kunig JURA 1991 S. 416.

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nationalen Verfassungen anderer Staaten oder in völkerrechtlichen Abkommen465. Gleichwohl war dabei das Leben in der philosophischen Tradition stets als Höchstwert anerkannt466. Ebenso war dessen Bedeutung im Verhältnis des Bürgers zum Staat sowie im Verhältnis der Bürger untereinander anerkannt467. Dass es dennoch nie zu einer ausdrücklichen Erwähnung in Verfassungstexten kam, ist wohl darauf zurückzuführen, dass es sich beim Leben um eine solch grundlegende Position handelt, dass deren Anerkennung als selbstverständlich und ihre normative Niederlegung auf verfassungsrechtlicher Ebene dementsprechend als überflüssig betrachtet wurden468. Schließlich waren es die Terrorregime im nationalsozialistischen Deutschland469 und in der stalinistischen Sowjetunion470, die das Lebensrecht in einer zuvor nicht dagewesenen Weise negierten. Wie aus den Materialien zum Grundgesetz471 sowie aus Ausführungen des BVerfG472 hervorgeht, handelt es sich bei der Kodifikation in Art. 2 II GG um eine bewusste Reaktion auf diese lebensverachtenden Taten. Daneben ist der oben ausgeführte Wandel im Staatsverständnis zu beachten. Nicht mehr der Staat, sondern der einzelne Bürger sollte im Mittelpunkt stehen473. Im Zuge dessen liegt es nahe, neben der Menschenwürde auch die besondere Bedeutung der individuellen Existenz in Gestalt des Lebens hervorzuheben. Dieser Veränderung im Verhältnis des Individuums gegenüber dem Staat entspricht auch eine bereits zuvor einsetzende Zurückdrängung der Bedeutung körperlicher Eingriffe des Staates gegenüber dem Bürger, in Gestalt von Folter, Leibesstrafen oder der Todesstrafe474. Obgleich sowohl das geschützte Rechtsgut als auch die Rechtfertigungsbedürftigkeit staatlicher Eingriffe bereits zuvor außer Frage standen, erscheint es in diesem Kontext konsequent, beides an exponierter Stelle schriftlich zu fixieren. Vergleichbare Rechte finden sich heute in Art. 2 I EMRK oder Art. 3 AEMR . 465 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 189; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Fn. 5. 466 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 287; Schulze-Fielitz Art. 2 II GG Rn. 1; Waldstein S. 77 ff. 467 Schulze-Fielitz Art. 2 II GG Rn. 2; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 189; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 1; Hofmann in: FS-Krause S. 115; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Fn. 5. 468 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 287; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 7; Stern Staatsrecht III / 1 S. 1055; Fink S. 87. 469 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 80; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 1; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 1; Fink S. 87; Fink JURA 2000 S. 210; Kutzer ZRP 2003 S. 210 f.; Steiner S. 5; Pieroth/Schlink Rn. 390; Laufs MedR 1990 S. 233 f. 470 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 1; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 189. 471 JöR 1951 S. 56 ff. 472 BVerfGE 18, 117; 39, 36. 473 BVerfGE 39, 67; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 1; Dederer AöR 2002 S. 12. 474 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 2; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 2; Giegerich EuGRZ 1995 S. 11 f.; Hartig EuGRZ 1980 S. 341 f.; Peters EuGRZ 1999 S. 650.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die normative Verankerung in erster Linie als Reaktion auf staatliche Übergriffe auf den Einzelnen erfolgte und in dieser Beziehung (Rechts-)Sicherheit und geordnete Verhältnisse anstrebte. Es sollte weiterhin der Wert des individuellen Lebens betont werden, der im Rahmen einer totalitären, entpersonalisierten Vernichtungsmaschinerie in den Hintergrund getreten war. Hierin besteht eine Parallele zur Intention bei Einführung von Art. 1 I GG. b) Zum Schutzgut Leben – Sachlicher Schutzbereich des Art. 2 II GG Art. 2 II GG schützt das Leben als biologisch-physische Existenz gegenüber externer Verfügbarkeit475. Die besondere Bedeutung des Lebens rührt daher, dass dessen Vorhandensein für die Ausübung sämtlicher sonstiger Grundrechte konstitutiv ist. Das Leben ist in biologischer Hinsicht die Basis der Entfaltung menschlicher Persönlichkeit und Autonomie476. Dies belegt auch die Äußerung des BVerfG, das menschliche Leben sei die „vitale Basis der Menschenwürde“477. Ähnlich häufig zitiert wird die Wendung, das Lebensrecht sei „einer der Höchstwerte“ der Verfassung478. Es mutet allerdings befremdlich an, den unbestimmten Artikel „ein“ in Verbindung mit dem Begriff „Höchstwert“ zu gebrauchen und schließlich im Rahmen einer Abwägung anderen vermeintlichen Höchstwerten den Vorzug zu geben. Wenngleich die Bedeutung des Lebensrechts außer Frage steht, bringen die oftmals verwendeten Superlative keinen Erkenntnisgewinn und sollten daher restriktiv verwendet werden479. In Parallele zur Problematik beim Menschenwürdebegriff stellt sich auch für die sachliche Reichweite des Lebensschutzes die Frage, ob der Begriff des Lebens, also konkret dessen Beginn und dessen Ende, anhand medizinisch-biologischer Fakten zu bestimmen ist oder ob diese Bestimmung normativ erfolgt. Als gangbarer Ansatz hat sich dabei folgendes Vorgehen erwiesen: Das Leben unter Schutz zu stellen ist eine Entscheidung der Rechtsordnung. Die Definition des Begriffs Leben und damit die Entscheidung über die Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes ist also grundsätzlich normativer Natur480. Schutzzweck der Norm ist jedoch die Abwehr externer Verfügbarkeit. Dementsprechend ist eine Orientierung an den biologischen 475

Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 II GG Rn. 81; Pieroth/Schlink Rn. 392; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25. 476 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 288; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 1; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 189; Höfling JuS 2000 S. 114. 477 BVerfGE 39, 42. 478 BVerfGE 39, 42; 46, 164; 49, 53; BVerfG NVwZ 2002 S. 594; NJW 1989 S. 2349. 479 Ähnlich kritisch Wittreck DÖV 2003 S. 878; BVerfG NJW 2002 S. 2701 verwendet auch für die Menschenwürde den Begriff „ein Höchstwert“. 480 Lüttger NStZ 1983 S. 481; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 27; Anderheiden KritVJ 2001 S. 356 ff.; Hilgendorf MedR 1994 S. 432.

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Fakten geboten481. Ein Schutzbereichsausschluss per definitionem entgegen den biologischen Fakten wäre eine Form von Selektion, würde also gerade externe Verfügung darstellen und so dem Grundanliegen der Norm widersprechen482. Diese Position entspricht derjenigen, die zum Würdeschutz eingenommen wurde. Der anzulegende Maßstab ist damit geklärt. Die konkreten Konsequenzen in den einzelnen Phasen sollen alsbald in der von den Ausführungen zu Art. 1 I GG bekannten, zweistufigen Betrachtungsweise untersucht werden. Zuvor werden noch die mögliche negative Komponente des Lebensrechts sowie die unterschiedlichen Schutzdimensionen des Art. 2 II GG erarbeitet. Die negative Komponente des Lebensrechts ist Gegenstand einer Kontroverse im Schrifttum zur Ebene des sachlichen Schutzbereichs. Da es sich beim Grundrechtsverzicht gegenüber Dritten dogmatisch um eine Frage des Eingriffs handelt483, interessiert hier vorerst nur die Suizidproblematik. Teilweise wird vertreten, das Lebensrecht in Verbindung mit dem zitierten Autonomiegehalt umfasse als negative Komponente ein Recht zur Selbsttötung484. Dies wird jedoch überwiegend abgelehnt485 ; dem ist zuzustimmen. Die positive Formulierung eines Freiheitsgrundrechts verbürgt in erster Linie die aktive Ausübung eines bestimmten Rechts unter Freiheit von Beeinträchtigungen. Die grundsätzlich anzuerkennende negative Komponente ist dahingehend zu verstehen, dass keine Verpflichtung zur Ausübung des Rechts in einer bestimmten Art und Weise besteht. Es wird also damit ein Recht zur Unterlassung als Kehrseite zum aktiven Tun normiert486. Diese Konstellation trifft auf den Suizid nicht zu. Bloße Passivität, ein Unterlassen, würde zur Lebensbeendigung nicht genügen. Es bedarf vielmehr einer aktiven Handlung gegen das eigene Leben. Diese ist nicht von einer negativen Komponente des Lebensrechts erfasst. Möglich erscheint eine Subsumtion unter die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG487 oder das allgemeine Persönlich-

481 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 27; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 17; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 144; Stern Staatsrecht IV / 1 S. 145; Böckenförde JZ 2003 S. 812; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 58; Leisner S. 21. 482 So auch Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 8; DGMR MedR 1986 S. 281; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 192; Reis JZ 1981 S. 741; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 17; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 144. 483 Pieroth/Schlink Rn. 141. 484 Fink S. 110; Pieroth/Schlink Rn. 392; wohl auch Höfling JuS 2000 S. 114. 485 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 32; Stern Staatsrecht IV / 1 S. 148 f. m.w.N.; Schwabe JZ 1998 S. 69; Roellecke JZ 1991 S. 1046; Scholler DÖV 1967 S. 469 f.; Uhlenbruch ZRP 1986 S. 214; Wilms/Jäger ZRP 1988 S. 42; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 50; Kunig JURA 1991 S. 418. 486 Hellermann S. 45 ff. 487 So Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 32; Stern Staatsrecht IV / 1 S. 148 f.; Lindner JZ 2006 S. 377; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG. Rn. 293; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 81.

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keitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG488. Jedenfalls handelt es sich nicht um ein Problemfeld, das vom Schutzbereich des Art. 2 II GG umfasst ist. c) Die unterschiedlichen Dimensionen des Grundrechtsschutzes bei Art. 2 II GG Auch im Rahmen des Lebensrechts sind verschiedene Wirkrichtungen zu unterscheiden. aa) Abwehrfunktion – status negativus Art. 2 II GG enthält in erster Linie ein Abwehrrecht gegenüber jeglicher Form staatlicher Eingriffe in das Rechtsgut Leben489. Dieser status negativus bildet die klassische Grundrechtsfunktion im Verhältnis des Bürgers zum Staat490. Dieser Unterlassensaufforderung an den Staat entspricht eine subjektiv-rechtliche Position des Grundrechtsträgers, die diesen befähigt, gegen gleichwohl erfolgte oder drohende Beeinträchtigungen negatorisch vorzugehen491. In der Frühzeit des Grundgesetzes wurde der abwehrrechtlichen Komponente, insbesondere vor dem historischen Hintergrund der Einführung des Art. 2 II GG, primäre Bedeutung beigemessen492. Zu Beginn betrachtete das BVerfG die Abwehrdimension sogar als einzige Wirkrichtung des Grundrechts auf Leben493. Heute, in friedlichen Zeiten als Normalzustand einer rechtsstaatlichen Ordnung, wirft der direkte staatliche Eingriff in das Lebensrecht, abgesehen vom polizeilichen Rettungsschuss, kaum verfassungsrechtliche Probleme auf494. Gerade angesichts der hier in erster Linie interessierenden aktuellen medizinischen Entwicklungen an den Grenzbereichen des Lebens ist zunehmend eine andere Grundrechtsdimension in den Mittelpunkt der Debatte gerückt495.

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So Möller KritVJ 2005 S. 233 f.; Stern Staatsrecht IV / 1 S. 148 f. Antoni in: Hömig Art. 2 GG Rn. 9; Pieroth/Schlink Rn. 391; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 80; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 302; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 50; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 190; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 51; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 42; Lorenz in HdStR Band VI § 128 Rn. 23. 490 Epping Rn. 14; Pieroth/Schlink Rn. 57 f.; Voss DRiZ 1997 S. 509; Ipsen DVBL 2004 S. 1382; Gramm/Pieper S. 68; Manssen Rn. 44; Sachs in: HdGR § 39 Rn. 1. 491 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 23; Hufen Rn. 4; Lungstras S. 36. 492 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 301. 493 BVerfGE 1, 194 f. 494 Vgl. Auflistung der Problemfelder bei Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 182 ff.; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 53; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 25. 495 Lungstras S. 36. 489

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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bb) Schutzpflichtfunktion (1) Herleitung der staatlichen Schutzpflicht Die Existenz einer staatlichen Verpflichtung zur aktiven Bewahrung der in den Freiheitsgrundrechten verbürgten Positionen, auch gegenüber Eingriffen privater Dritter, sog. Schutzpflichten, wird heute kaum mehr ernsthaft bestritten. Besonders intensiv ist die grundrechtsdogmatische Diskussion hinsichtlich einer Schutzpflicht zugunsten des Lebens. Die vorgebrachten dogmatischen Begründungen sind dabei äußerst vielfältig und werden im Folgenden kurz dargestellt und bewertet. (a) Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum Zunächst findet sich eine Position, als deren Hauptvertreter zumeist Schwabe und Murswiek zitiert werden. Diese betrachten staatliche Schutzpflichten nicht als eigene Grundrechtsdimension, sondern leiten sie stattdessen aus dem klassischen abwehrrechtlichen Charakter der Grundrechte ab496. Die Argumentation verläuft dabei wie folgt: Dem modernen Staat kommt eine Friedensfunktion zu; er ist Inhaber eines Gewalt- und Konfliktlösungsmonopols. Aus diesem folgt die Aufgabe, den Bürger vor Eingriffen in seine Freiheitsrechte zu schützen. Handlungen, die der Staat nicht verbietet, hat der betroffene Einzelne zu dulden. Daraus wird gefolgert, der Staat sei für alle Beeinträchtigungen verantwortlich, die er nicht verbietet. Demnach stelle fehlender Schutz gegenüber Eingriffen Dritter einen Grundrechtseingriff des Staates durch Unterlassen dar, welcher an den gleichen Kriterien zu messen sei wie ein originär staatlicher Eingriff durch aktives Tun. Aus alledem wird gefolgert, eine grundrechtliche Schutzpflichtdimension sei überflüssig, da bereits durch die negatorische Funktion der Grundrechte hinreichend erfasst. Vor einem vergleichbaren Hintergrund, wenn auch mit anderer Konsequenz, argumentieren diejenigen Autoren, die eine staatstheoretische Herleitung staatlicher Schutzpflichten favorisieren497. Der Unterschied zur erstgenannten Position besteht darin, dass diese Autoren staatliche Schutzpflichten als eigenständigen Grundrechtsgehalt anerkennen. Gleichwohl erblicken auch sie die eigentliche Legitimation des modernen Staatswesens darin, ein friedliches Zusammenleben und die Sicherheit seiner Bürger gegenüber internen und externen Bedrohungen zu gewährleisten. Dabei wird ebenso auf die Staatstheorien von Hobbes und Locke verwiesen wie auf richtungweisende Verfassungstexte in Frankreich und Amerika Ende des 18. Jahrhunderts498. Dem staatlichen Gewaltmonopol und der entsprechenden Friedenspflicht des einzelnen Bürgers korrespondiere eine Schutzgarantie durch staatliche 496 Murswiek S. 66, 92, 102; Schwabe Grundrechtsdogmatik S. 213, 217, 219; Schwabe Drittwirkung S. 16 f.; Schwabe NVwZ 1983 S. 523 ff.; Pietzcker in: FS-Dürig S. 355, 357, 359. 497 Herzog JR 1969 S. 443 f.; Alexy S. 414 f.; Steiger in: Salzwedel S. 33; Isensee Grundrecht auf Sicherheit S. 3 ff. 498 Stern Staatsrecht III / 1 S. 932; Isensee in: HdStR Band V § 111 Rn. 25 f.; Hermes S. 145 ff.; Isensee Grundrecht auf Sicherheit S. 3 ff.

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Organe gegenüber jedweder Bedrohung individueller Freiheit499. Dementsprechend wird betont, dass es sich bei der grundrechtlichen Schutzpflichtdimension keineswegs um eine Neuschöpfung oder Fortentwicklung von Seiten der Rechtsprechung und Lehre500, sondern vielmehr um eine Rückbesinnung auf die Grundlagen moderner Staatstheorie handle501. Einen ganz anderen, verfassungsimmanenten Orientierungspunkt verwendet ein drittes Lager502. Ausgehend vom Sozialstaatsprinzip wird dem gesamten Grundrechtskatalog eine soziale Komponente beigemessen, die auch soziale Schutzansprüche umfasse. Im Zuge dessen bestehe zum einen ein Anspruch auf positive staatliche Leistungen. Des Weiteren sei es Aufgabe des Staates, die bürgerlichen Beziehungen in der sozialen Ordnung zu gestalten und so Rechtspositionen im Verhältnis einzelner Bürger untereinander zuzuordnen. Explizit normierte Schutzpflichten finden sich im Grundgesetz in Art. 6 I GG zugunsten von Ehe und Familie sowie im bereits behandelten Art. 1 I 2 GG. Letzterer wird des Öfteren zum Anlass genommen, eine staatliche Schutzpflicht auch zugunsten des Lebens abzuleiten503. Diese Auffassung geht vermutlich auf eine Grundrechtsinterpretation Dürigs zurück, der in den Einzelgrundrechten partiell verselbständigte Bereiche der Menschenwürde erblickte504. Aus diesem „Menschenwürdegehalt“ wird sodann eine Schutzpflicht auch bezüglich des betreffenden Einzelgrundrechts hergeleitet. Teilweise wird auch auf eine besondere Nähe der Gewährleistungen des Art. 2 GG zur Menschenwürde verwiesen, weshalb sich die Schutzpflicht des Art. 1 I 2 GG u. a. auf das menschliche Leben erstrecke505. Die Bemühungen um eine derartige Relation zwischen Art. 1 GG und dem Lebensrecht mögen auch auf eine uneinheitliche, nicht immer stringente Rechtsprechung des BVerfG zurückgehen, aus welcher letztlich ein weiterer Erklärungsansatz staatlicher Schutzpflichten hervorging, der heute wohl als herrschend zu bezeichnen ist. In zahlreichen Entscheidungen hat das BVerfG, hauptsächlich im Zusammenhang mit den Rechtsgütern des Art. 2 II GG, darauf hingewiesen, dass sich die Bedeutung der Grundrechte nicht im klassischen Abwehrverständnis im Sinne eines 499 Hofmann in: FS-Krause S. 116; Merkel S. 37 f.; Krüger S. 544 f.; dazu auch Enders Der Staat 1996 S. 362 ff. 500 So aber Böckenförde Der Staat S. 2 f.; Sachs JuS 1994 S. 70; Hesse in: FS-Mahrenholz S. 544. 501 Hofmann in: FS-Krause S. 116; Wahl/Masing JZ 1990 S. 560; Jarass AöR 1995 S. 351; Canaris AcP 1984 S. 226; Dreier JURA 1994 S. 512; Hermes S. 65; Stern Staatsrecht III / 1 S. 932; Isensee in: HdStR Band V § 111 Rn. 31; Bleckmann DVBL 1988 S. 940 f. 502 Steiger in: Berberich/Holl/Maaß S. 273 f.; Seewald S. 66; Roßnagel S. 51 f.; Scholz JuS 1976 S. 234. 503 Klein in: FS-Weber S. 646, 651; Stein/Frank S. 237; Engelhardt FamRZ 1963 S. 3; Ossenbühl DÖV 1981 S. 4; Driendl Recht und Staat Heft 511 S. 13. 504 Dürig AöR 1956 S. 121 ff.; Stern in: FS-Scupin S. 638 f.; Verdross EuGRZ 1977 S. 207; Bleckmann DVBL 1988 S. 942. 505 Canaris AcP 1984 S. 226; Stein/Frank S. 237; Engelhardt FamRZ 1963 S. 3.

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Eingriffsvorbehalts im Staat-Bürger-Verhältnis erschöpfe506. Darüber hinaus statuiere der Grundrechtskatalog eine objektiv-rechtliche Wertordnung, die Ausdruck einer bestimmten staatlichen Wertentscheidung sei. Intention dieser Wertordnung sei es, die Verwirklichung der verbürgten Freiheiten zu maximieren. Hierfür genüge eine Beschränkung auf das klassische Staat-Bürger-Verhältnis nicht. Hinzu kämen Impulse auf die gesamte Rechtsordnung, die es u. a. erforderlich machten, dass der Staat auch im Verhältnis Privater schützend eingreife. Dabei hat das BVerfG die staatliche Schutzpflicht überwiegend als vollwertige Komponente unmittelbar aus dem betroffenen Grundrecht selbst abgeleitet. Diesem Standpunkt haben sich zahlreiche Autoren im Schrifttum angeschlossen507, so dass die objektive Komponente mitunter als „Grundbestand des Grundrechtswissens“ bezeichnet wird508. Gerade für eine Schutzpflicht zugunsten des Lebens hat das BVerfG allerdings wiederholt auch auf Art. 1 GG Bezug genommen509. In der zweiten Schwangerschaftsabbruch-Entscheidung510 ging es soweit zu formulieren, die Schutzpflicht habe ihren Grund in Art. 1 I GG511. An anderer Stelle zitiert das Gericht stattdessen die beiden Gewährleistungen in Verbindung miteinander512. (b) Bewertung und eigener Standpunkt Schon bei einer ersten Gesamtschau mutet eine Auflösung der Schutzpflichtproblematik über die Abwehrdimension umständlich an. Bereits der natürliche Sprachgebrauch verbindet einen Eingriff mit einer aktiven Handlung. Ein Eingriff durch Unterlassen erscheint befremdlich. Der tatsächlich erfolgte Eingriff von privater Seite wird ausgeblendet und stattdessen konzentriert sich die Betrachtung auf die zweidimensionale Beziehung Staat-Bürger. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass es sich bei der Schutzpflichtproblematik um ein Dreiecksverhältnis handelt513, in dem der Staat gewissermaßen als Schiedsrichter zwischen zwei Privaten ver-

506 BVerfGE 7, 205; 39, 42; 53, 57; 56, 73, 78 f.; 77, 214 f., 229, 403; 79, 201 f.; 85, 212 f.; 92, 46; 96, 64; 97, 347; BVerfG NVwZ 1997 S. 158; NVwZ 1999 S. 541. 507 Böckenförde Der Staat 1990 S. 12; Pietrzak JuS 1994 S. 749; Hofmann in: FS-Krause S. 122; Jarass in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 39 f.; Wahl/Masing JZ 1990 S. 554 f.; Clemens MedR 1996 S. 438; Ewer NJW 2002 S. 3497; Schmidt-Assmann AöR 1981 S. 217; Klein DVBL 1994 S. 489 ff.; Erichsen JURA 1997 S. 86; Dreier JURA 1994 S. 513; Hesse in: FSMahrenholz S. 544 f.; Hesse EuGRZ 1978 S. 431 ff. 508 Böckenförde Der Staat 1990 S. 1. 509 BVerfGE 39, 41; 45, 254 f.; 56, 74. 510 BVerfGE 88, 203 ff. 511 BVerfGE 88, 251. 512 BVerfGE 46, 164; 49, 53; 90, 195; 96, 64 BVerfG NJW 1996 S. 651. 513 Jarass in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 40; Jarass AöR 1995 S. 351; Wahl/Masing JZ 1990 S. 553; Erichsen JURA 1997 S. 85; Stern Staatsrecht III / 1 S. 946; Isensee in: HdStR Band V § 111 Rn. 5; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Kirchhof/Isensee S. 50; Lorenz Sterbehilfe S. 61.

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mittelt514. Es besteht kein Bedürfnis, diese Konstellation zu negieren, nur um sie in das bekannte abwehrrechtliche Muster einzupassen515. Auch die Theorie von der sozialen Komponente der Grundrechte vermag nicht vollends zu überzeugen. Sie mag ein Ansatz für grundrechtliche Leistungsansprüche sein, für die hier fragliche Schutzpflichtdimension wirkt sie jedoch ebenso konstruiert wie die Subsumtion unter die Abwehrdimension. Das Konzept der sozialen Schutzansprüche ist in seiner Gesamtheit auf Fortschritt, also auf die Verbesserung des status quo zugeschnitten. Bei staatlichen Schutzpflichten geht es demgegenüber um ein Erhaltungsinteresse und den Schutz des vorhandenen Bestands516. Insofern besteht durchaus eine Parallele zum klassischen Abwehrrecht, mit der Besonderheit, dass der Störer in der Schutzpflichtdimension nach richtiger Auffassung ein Privater und nicht der Staat selbst ist. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die vielfach vertretene Bezugnahme auf Art. 1 I GG. Im Kern geht es dabei um die komplexe Problematik des Verhältnisses der Menschenwürde zu den Einzelgrundrechten, hier konkret zum Lebensrecht. Die exakte Zuordnung dieser beiden Rechtsgüter ist ein Hauptanliegen dieser Arbeit. Sie soll und kann jedoch erst erfolgen, nachdem die Schutzbereiche beider Normen geklärt wurden. Stattdessen kann es an dieser Stelle nur um die Frage gehen, was das BVerfG bewogen hat, eine Beziehung zu Art. 1 GG herzustellen, und ob dies erforderlich war. Möglich erscheint die Annahme, das BVerfG habe mit der Bezugnahme einen Rekurs auf die ausdrücklich formulierte Schutzpflicht in Art. 1 I 2 GG ermöglichen wollen, um auf diesem Wege nicht auf eine vermeintlich neue Grundrechtsdimension in Gestalt der objektiven Wertordnung zurückgreifen zu müssen517. Dagegen spricht jedoch zunächst, dass sich der Gedanke objektiver Wertentscheidungen bereits in frühen Entscheidungen des BVerfG findet. Es ist also keine Scheu hinsichtlich einer solchen Annahme erkennbar. Des Weiteren stützt das Gericht die Schutzpflicht in einigen Entscheidungen ausdrücklich auf den objektiven Gehalt des Art. 2 II GG und führt aus, es gebe daneben, also kumulativ, auch eine Schutzpflicht zugunsten des Lebens unmittelbar aus der Menschenwürde selbst518. Ohne das Verhältnis der beiden Gewährleistungen hier abschließend zu klären, liegt die Vermutung nahe, dass das BVerfG den Lebensschutz durch Bezugnahme auf die Menschenwürde verstärken wollte, ihm auf diese Weise deutlichen Nachdruck verleihen wollte519. Möglich erscheint auch die Annahme, es sei auf diesem Wege der 514

Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Fischinger JuS 2007 S. 812. Pietrzak JuS 1994 S. 749; Hermes S. 97 f.; Stern Staatsrecht III / 1 S. 947; Alexy S. 417 f.; Starck Verfasungsauslegung S. 74; Dietlein S. 38 f.; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 329; Robbers Sicherheit als Menschenrecht S. 128 f. 516 Pietrzak JuS 1994 S. 749; Robbers Sicherheit als Menschenrecht S. 126; Murswiek S. 123; Stern Staatsrecht III / 1 S. 948. 517 Dreier DÖV 1995 S. 1040; Starck Verfassungsauslegung S. 70 f. 518 BVerfGE 39, 41. 519 So auch Fink S. 107; Steiner S. 13 f. 515

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Bestandsschutz des Art. 79 III GG angestrebt worden520. Was es mit dieser Erwähnung der Menschenwürde521 ausgelöst hat, kann das Gericht kaum im vollen Umfang überschaut haben. Die fraglichen Entscheidungen sind der Ausgangspunkt kontroverser Debatten um das Verhältnis von Menschenwürde und Lebensrecht. Ebenso werden sie allzu häufig als Argument für Abstufungen der Menschenwürde herangezogen. Dass dies keine zwingende Konsequenz, etwa aus den Schwangerschaftsabbruch-Entscheidungen, ist, gilt es noch zu zeigen. Gleichwohl hätte die Herleitung einer Schutzpflicht ausschließlich aus Art. 2 II GG möglicherweise genügt und hätte vermutlich vielen Kontroversen und Missverständnissen vorgebeugt522. Ein grundlegender Kritikpunkt an der Annahme einer objektiven Wertordnung und darauf fußender Schutzpflichten besteht in der mangelnden Herleitung dieser Wertentscheidung523. Als Begründung für staatliche Schutzpflichten wird eine objektive Wertentscheidung angeführt, ohne dass diese ihrerseits näher dogmatisch hergeleitet wird524. Um dem System grundrechtlicher Schutzpflichten zur Wirksamkeit zu verhelfen, bedarf es einer solchen Konkretisierung der objektiven Wertentscheidung. Aus diesem Grund gilt es noch eine Ebene höher anzusetzen, nicht bei der Grundrechtstheorie, sondern auf Ebene der Staatstheorie. Im Anschluss an diejenigen Autoren, die staatliche Schutzpflichten staatstheoretisch begründen, wird hier folgender Standpunkt eingenommen: Die Einzelgrundrechte sind Ausdruck einer objektiven Wertentscheidung, den verbürgten Freiheiten umfassend zur Geltung zu verhelfen. Diese objektive Komponente der Grundrechte ist als eigenständige Grundrechtsdimension anzuerkennen. Fundament dieser Wertentscheidung ist die Funktion des modernen Staats, wie sie etwa von Hobbes grundlegend herausgearbeitet wurde525 : Der Einzelne tritt zur Ermöglichung eines funktionierenden sozialen Miteinanders einen wesentlichen Teil seiner Freiheit an den Staat als Souverän ab. Er verzichtet auf eine Selbstverteidigung seiner elementaren Rechtspositionen und akzeptiert stattdessen das Gewaltmonopol des Staates. Im Gegenzug ist der Staat nunmehr zum Schutz der Güter des Einzelnen verpflichtet. Dies betrifft sowohl das Unterlassen eigener staatlicher Eingriffe als auch eine Abwehr von Angriffen Dritter526. Eben diese Grundlagen des modernen Staatsverständnisses sind der konkrete Inhalt der objektiven Wertentscheidung.

520

Dreier DÖV 1995 S. 1040; Klein DVBL 1994 S. 492; Sachs JuS 1994 S. 70; Hermes/ Walther NJW 1993 S. 2339. 521 Ähnlich kritisch Lerche in: Lukes/Scholz S. 104. 522 So auch Dreier DÖV 1995 S. 1040. 523 Cremer in: GS-Jeand’Heur S. 78; Murswiek S. 101; Schlink EuGRZ 1984 S. 463; Hermes S. 76; Stern Staatsrecht III / 1 S. 945; Dietlein S. 62. 524 Alexy Der Staat 1990 S. 58. 525 Hobbes S. 205 ff. 526 Engisch S. 282; Henkel S. 167 ff.; Larenz Richtiges Recht S. 34 f.; Isensee in: HdStR Band V § 111 Rn. 33 f.; Klein NJW 1989 S. 1635 f.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Erst sie lassen einsichtig werden, dass der Staat zum Schutz bestimmter Positionen verpflichtet ist, staatliche Schutzpflichten also tatsächlich existieren527. Auf normativer Ebene ergibt sich also die Schutzpflicht aus dem betreffenden Grundrecht selbst. Jedenfalls für das Lebensrecht wird dieser Befund verstärkt durch die Funktion der Grundrechte: Sie sind Ausdruck umfassender Gewährleistung individueller Autonomie528. Ein solcher Autonomiegehalt ist für das hier fragliche Lebensrecht zu bejahen. Das Autonomieargument bringt wieder die stets vorhandene, über dem gesamten Thema schwebende Nähe zur Menschenwürde zum Vorschein. Dennoch soll hier klar Position dahingehend bezogen werden, dass die staatliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens ihren Grund ausschließlich in der objektiven Ausprägung des Art. 2 II GG hat. Die Norm ist Ausdruck einer objektiven Wertentscheidung zugunsten des individuellen Rechtsgüterschutzes, welche sich ihrerseits auf die elementaren Grundlagen und Zwecke staatlicher Gemeinschaft zurückführen lässt. Dieses Ergebnis lässt sich ohne einen Rekurs auf die Menschenwürde erzielen. Es bedarf also weder eines Rückgriffs auf Art. 1 I 1 GG noch auf Art. 1 I 2 GG. (2) Inhalt der staatlichen Schutzpflicht Im Gegensatz zur klassischen Abwehrfunktion, die vom Staat ein Unterlassen bestimmter eigener Eingriffe in die verbürgte Freiheitssphäre des Einzelnen fordert, begründet die grundrechtrechtliche Schutzpflichtdimension eine staatliche Handlungspflicht zum aktiven Tätigwerden529. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang festgestellt, es sei die Aufgabe des Staates, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen530. Das Begriffspaar „schützend und fördernd“ deutet die beiden denkbaren Wirkrichtungen staatlicher Maßnahmen an: Dem Lebensschutz können zunächst positive Maßnahmen im Sinne staatlicher Leistungen dienen. Daneben besteht in negativer Hinsicht die Möglichkeit zum Erlass von Verboten und der damit verbundenen Androhung und Vollstreckung entsprechender Sanktionen im Falle des Zuwiderhandelns531. Letzteres, also die Verhinderung von rechtswidrigen Angriffen Dritter, stellt nach dem Verständnis des BVerfG den Schwerpunkt der staatlichen Schutzpflicht dar532. Verpflichtet sind aufgrund der Anerkennung als eigenständiger Grundrechtsgehalt und der damit einhergehenden Anwendbarkeit von Art. 1 III GG 527

So auch Hofmann in: FS-Krause S. 122; Alexy S. 414 f.; Stern Staatsrecht III / 1 S. 948; Hermes S. 280; Dietlein S. 25; ähnlich Wahl/Masing JZ 1990 S. 560. 528 Dreier JURA 1994 S. 513; Steiger in: Berberich/Holl/Maaß S. 278; Hermes S. 280; Enders Verfassungsordnung S. 491. 529 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 208; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 45. 530 BVerfGE 39, 42; 46, 164; 45, 254 f.; 85, 212. 531 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 208; Antoni in: Hömig Art. 2 GG Rn. 9; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 91, 94; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 57, 60; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 51. 532 BVerfGE 39, 42 „vor allem“; BVerfGE 53, 57; 56, 73.

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alle staatlichen Gewalten im Bereich ihrer Zuständigkeit533. Angesichts der elementaren Bedeutung des Rechtsguts Leben findet sich vor allem der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber in der Pflicht, durch Gestaltung der Rechtsordnung auf einen effektiven Lebensschutz hinzuwirken. Instrumente der legislativen Tätigkeit sind hierbei wiederum alle drei Rechtsgebiete – Bürgerliches Recht, Öffentliches Recht und Strafrecht. Im Bereich des Privatrechts finden sich beispielsweise Schadensersatzregelungen für den Fall der Verletzung von Leib oder Leben534. Dem Öffentlichen Recht, konkret dem Verwaltungsrecht, ist der Themenkomplex des Grundrechtsschutzes durch Verfahren zuzurechnen. Hierbei geht es um die Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsbedürftigkeit oder das verwaltungsrechtliche Verbot bestimmten gefahrträchtigen Verhaltens535. Die schärfste Waffe des Gesetzgebers, und im Zusammenhang mit der hohen Wertigkeit des Lebens zugleich die bedeutsamste, ist das Strafrecht536. Es zeigt sich also, dass es sowohl hinsichtlich der handlungspflichtigen Gewalt als auch bezüglich deren „Handwerkszeug“ eine breite Vielfalt an Alternativen gibt. Dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung ist es geschuldet, dass der zuständigen Gewalt bei Erfüllung ihrer Handlungspflicht ein äußerst weitreichender Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zukommt537. Stark vereinfacht ausgedrückt ließe sich formulieren: Das Ziel, ein effektiver Lebensschutz, ist verbindlich vorgegeben. Der Weg dorthin, also das entsprechende Instrumentarium und dessen konkreter Einsatz, ist dagegen unbestimmt. Darin unterscheidet sich die Schutzpflichtdimension von der Abwehrkomponente. Während das zu unterlassende Verhalten im Rahmen des status negativus klar vorgegeben ist, handelt es sich bei der Handlungspflicht um eine unbestimmte Vorgabe, deren Ausfüllung der zuständigen Gewalt obliegt538. Inwiefern sich der besagte Einschätzungsspielraum angesichts der Wertigkeit des Rechtsguts Leben soweit reduzieren kann, dass eine bestimmte rechtliche Gestaltung zwingend wird, kann erst angesichts konkreter Gefähr533 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 55 f.; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 86 ; Hesse EuGRZ 1978 S. 433; Dietlein S. 70. 534 Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 191; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 346; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 57; Dietlein S. 76. 535 BVerfGE 49, 140 ff.; 53, 65 f.; 65, 52, 58 ff.; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 217; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 192; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 91; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 91; Isensee Grundrecht auf Sicherheit S. 38. 536 BVerfGE 39, 46 f.; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 214; Antoni in: Hömig Art. 2 GG Rn. 11; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 191; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 57; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 340; Eser ZStW 1985 S. 44 ff.; Sternberg-Lieben JuS 1986 S. 678 ff.; Goerlich S. 68; von Hippel JZ 1986 S. 53. 537 BVerfGE 46, 164; 56, 80 ff.; 79, 202; 85, 212; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 209, 214; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 Rn. 92; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 2 GG Rn. 50; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Steiner S. 31; Cremer in: DÖV 2008 S. 107 leitet dies aus dem Demokratieprinzip ab. 538 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 45; Hermes S. 213.

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dungslagen entschieden werden. Gerade im Zusammenhang mit dem Schutz des Lebens hat sich das BVerfG wiederholt auf das sog. Untermaßverbot berufen, das einen gewissen Mindestschutzstandard statuiert, der zur Erfüllung der Handlungspflicht nicht unterschritten werden darf539. Die grundrechtsdogmatische Brisanz der Schutzpflicht resultiert aus der beschriebenen Dreieckskonstellation. Indem der Staat in Wahrnehmung seiner Schutzverpflichtung zugunsten von Grundrechtsträger A ein Verbot erlässt und eine Sanktion androht, greift er in Freiheitsgrundrechte von Grundrechtsträger B aktiv ein. A ist also von der Schutzpflichtdimension betroffen, während es für B um die Abwehrfunktion geht540. Bei Aktualisierung der Abwehrfunktion sind dem Staat wiederum durch das Übermaßverbot Grenzen gesetzt541. Hierin manifestiert sich gerade die besagte Schiedsrichterrolle des Staates im Konflikt zwischen Privaten542. Letztendlich geht es bei der Erfüllung der Schutzpflicht um einen sachgerechten Interessenausgleich, um die korrekte Zuordnung widerstreitender Interessen543. Es bedarf mithin eines aktiven staatlichen Handelns, das sich zwischen Untermaß- und Übermaßverbot bewegt544. Dieser Rahmen ist Konsequenz des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips545, an welchem jedes staatliche Handeln bzw. Unterlassen zu messen ist und das seinen Grund ebenfalls in der Legitimation des modernen Staats selbst hat. Hierbei ist die gerichtliche Überprüfbarkeit staatlicher Schutzmaßnahmen infolge des Gestaltungsspielraums stark eingeschränkt546. Die Judikative darf aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes nicht ihre Einschätzung anstelle derjenigen der zuständigen Gewalt setzen. Beanstanden darf sie allenfalls ein vollständiges Untätigbleiben bei bestehender Schutzpflicht sowie solche Maßnahmen, die evident zur Erreichung des vorgegebenen Ziels ungeeignet sind547. Der weite Gestaltungs539 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 92; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 50; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 89; Lungstras S. 37. 540 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 42; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 58b. 541 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 46. 542 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41. 543 Hermes S. 199 ff. 544 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 333; Hain DVBL 1993 S. 982 ff.; Hermes/Walther NJW 1993 S. 2339; Denninger in: FS-Mahrenholz S. 561 ff.; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 51. 545 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 342; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 86; Starck JZ 1993 S. 817; Starck Verfassungsauslegung S. 88 f.; Hermes S. 253. 546 In Anbetracht von Demokratieprinzip und Gewaltenteilung lehnt Kayßer S. 65 staatliche Schutzpflichten insgesamt ab. 547 BVerfGE 46, 160; 49, 89; 50, 332 f.; 56, 71, 80 ff.; 77, 214 f.; 79, 201 f.; 85, 212 f.; 88, 251 ff.; 92, 46; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 50; Kunig in: von Münch/ Kunig Art. 2 GG Rn. 56.

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spielraum sowie der daraus folgende eingeschränkte gerichtliche Prüfungsmaßstab haben auch Konsequenzen für den Individualrechtsschutz: Selbst wenn man dem Einzelnen, im Einklang mit dem herrschenden Grundrechtsverständnis, einen subjektiven Anspruch auf Schutz zuspricht548, so gilt auch hier, dass der Schutz nur hinsichtlich seines Resultats feststeht. Ein Anspruch auf eine konkrete Schutzmaßnahme wäre nur für den Fall zu bejahen, dass man von einer Reduktion des Gestaltungsspielraums auf eben diese Maßnahme ausgeht. Schließlich ist, wie bereits im Rahmen der ausdrücklich normierten Schutzpflicht in Art. 1 I 2 GG erörtert, auch hier festzuhalten, dass der Staat mit einer einmal getroffenen Maßnahme nicht endgültig aus seiner Schutzpflicht entlassen ist. Es herrscht ein Aktualitätsgebot, welches es gebietet, eine Entscheidung gegebenenfalls veränderten Umständen anzupassen549. Die ursprüngliche Handlungspflicht wandelt sich somit um in eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht550. cc) Staatliche Förderungs- und Leistungspflicht – status positivus Dogmatisch klar von der zuvor behandelten Frage staatlicher Schutzpflichten gegenüber beeinträchtigendem Verhalten Dritter zu trennen ist der Komplex staatlicher Leistungspflichten im Sinne eines status positivus. Hierbei geht es um die Problematik staatlicher Handlungspflichten zugunsten in ihrem Leben gefährdeter Einzelner zur Abwehr „gegnerloser Not“551. Dies meint Fälle unverschuldeter Bedrohungen ohne unmittelbare Einwirkung eines Dritten. In den hier zu beleuchtenden Grenzbereichen des Lebens, insbesondere an dessen Ende, drängt sich der Gedanke auf, dass eine solche Grundrechtsdimension in konkreten Konfliktsituationen eine bestimmte Handlungsaufforderung an den Staat konstituieren kann. Diese Facette des Grundrechtsschutzes findet sich für das Lebensrecht aus Art. 2 II GG im Schrifttum weniger häufig behandelt als die durchaus gebräuchliche Kombination von Art.1 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 I GG552. Der tragende Gedanke hinter der Annahme einer Wirkrichtung im Sinne des status positivus ist allerdings identisch. Hervorzuheben sind sowohl die hohe Wertigkeit des Rechtsguts Leben als auch die Verantwortung des souveränen Staates für jeden einzelnen Bürger in seiner Obhut. Der Gedanke mitmenschlicher Solidarität im Rahmen eines sozialen Gemeinschaftsgefüges kann unter bestimmten Bedingungen ein positiv förderndes Eingreifen des Staates erfordern. Der Autonomiegedanke gebietet jedoch, dass sich ein solches Eingreifen auf absolute Grenzfälle beschränkt, 548 BVerfGE 77, 214, 405; 79, 201 f.; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 55; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 337; Dietlein S. 143; Leisner S. 27. 549 BVerfGE 53, 58; 56, 78 ff.; 88, 269, 309 ff.; Hermes S. 268; Stettner DVBL 1982 S. 1123 ff. 550 BVerwG DVBL 1997 S. 723; Isensee Grundrecht auf Sicherheit S. 40. 551 Leisner S. 27. 552 BVerfGE 82, 85; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 15; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 77; für eine Herleitung unmittelbar aus der Menschenwürde Wagner S. 541.

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in denen der Betroffene akut in seiner Existenz gefährdet ist und die anstehende Bedrohung nicht aus eigener Kraft abzuwehren vermag553. Es handelt sich also auch hier um eine leistungsrechtliche Minimalgarantie554. Bei Umsetzung seines Handlungsauftrags kommt dem Staat abermals ein weitgehender Ausgestaltungsspielraum zu555. Auf der Ebene konkreter Gefährdungslagen an den Grenzen des Lebens – grundrechtsdogmatisch also bei Eingriff und Rechtfertigung – gilt es zu klären, inwiefern die essentielle Bedeutung des Rechtsguts Leben eine Reduktion des staatlichen Gestaltungsspielraums hin zu einem spezifischen Handlungsbefehl nach sich zieht. dd) Fehlende unmittelbare Drittwirkung Es ist heute im verfassungsrechtlichen Schrifttum unstreitig, dass die Grundrechte in ihrer direkten Anwendung in erster Linie und mit weit überwiegender Relevanz das Verhältnis des Staates zum Bürger betreffen bzw. wie die voran stehend behandelten Schutzpflichten jedenfalls den Staat verpflichten. Eine sog. unmittelbare Drittwirkung, also die direkte Anwendung von Grundrechten im Verhältnis der Bürger untereinander, bildet die absolute Ausnahme556. Dieser Befund wurde durch den obigen Begründungsaufwand im Rahmen der Bejahung der Drittwirkung der Menschenwürde unterstrichen. Von diesem Grundsatz gibt es beim Lebensrecht keine Ausnahme. Insofern nimmt das Lebensrecht gegenüber den sonstigen Freiheitsgrundrechten keine Sonderstellung ein. Es verpflichtet als Grundrecht ausschließlich den Staat. Die Abwehr von Angriffen Dritter fällt mithin ausschließlich unter die soeben erarbeitete Schutzpflichtdimension des Art. 2 II GG557. d) Verfassungsrechtlicher Lebensschutz in den einzelnen Phasen menschlicher Entwicklung Die Debatte um den verfassungsrechtlichen Lebensschutz in den Grenzbereichen menschlicher Entwicklung verläuft über weite Strecken parallel zu derjenigen bezüglich des Würdeschutzes. Obwohl die vorgebrachten Argumente dabei oft identisch sind, erfolgt die Darstellung hier gesondert, um eine, von anderen Autoren nicht immer konsequent durchgehaltene, Trennung von Menschenwürde und Lebensschutz zu erreichen. Diese zunächst vorgenommene isolierte Präsentation der beiden Komplexe soll dann als Grundlage dienen, um im Anschluss deren Verhältnis zueinander exakt herauszuarbeiten. Wie bereits im Rahmen der Ausführungen zum sachlichen Schutzbereich erläutert, handelt es sich beim verfassungsrechtlichen Lebensschutz zwar um eine normative Entscheidung, dennoch gebietet der 553

Leisner S. 28. Schwarz KritVJ 2001 S. 205. 555 Leisner S. 29. 556 Epping Rn. 302; Pieroth/Schlink Rn. 173 ff.; Hufen Rn. 8; Sachs Rn. 30; Michael/ Morlok Rn. 478; Manssen Rn. 102; Papier in: HdGR § 55 Rn. 21 f. 557 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Fn. 329. 554

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Schutzzweck eine Orientierung an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Bei der nachfolgenden Darstellung wird auf das von den Erläuterungen des Schutzes nach Art. 1 GG bekannte zweistufige Gliederungsprinzip zurückgegriffen: Zunächst stellt sich die Frage, ab wann und bis wann überhaupt Lebensschutz nach der Verfassung eingreift (1. Stufe). Anschließend sollen Qualität und Reichweite des Schutzes bewertet werden, soweit dies auf der Ebene des Schutzbereichs möglich ist (2. Stufe). aa) 1. Stufe: „Ob“ des Lebensschutzes (1) Einsetzen des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes am Lebensbeginn (a) Position des BVerfG Zahlreiche Ausführungen des BVerfG zum Beginn des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes finden sich in den beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch558. Mangels weitergehender Entscheidungserheblichkeit fehlt jedoch eine verbindliche Festlegung zum Beginn des Lebensschutzes, so dass die beiden Urteile die Debatte im Schrifttum nicht beenden konnten. Im ersten Urteil aus dem Jahr 1975 spricht sich das BVerfG jedenfalls für die Einbeziehung des ungeborenen Lebens in den Schutz des Art. 2 II GG aus559. Dieser Schutz komme jedem zu, der im biologischen Sinne lebt. Grund dafür sei der Charakter der menschlichen Entwicklung als ein kontinuierlicher Vorgang ohne wesentliche Einschnitte, der keine Unterscheidung nach Entwicklungsstadien zulasse. Dies entspricht dem von der Menschenwürde her bekannten Kontinuitätsargument. Diese Fakten entsprächen jedenfalls ab der Nidation der gesicherten medizinisch-biologischen Erkenntnis560. Angeführt wird ferner, Sinn und Zweck des Lebensschutzes erforderten eine extensive Interpretation. Der gewährte Schutz wäre unvollkommen, sofern nicht bereits die frühe Phase menschlicher Entwicklung unter Schutz gestellt werde561. Des Weiteren wird auf einen ebenfalls von der Rechtsprechung zur Menschenwürde her bekannten Grundsatz des BVerfG verwiesen, wonach dieses zu einer möglichst weitgehenden Grundrechtsauslegung tendiert, um eine optimale Freiheitsentfaltung zu ermöglichen562. Schließlich wird in der ersten Schwangerschaftsabbruch-Entscheidung auch die Entstehungsgeschichte des Art. 2 II GG beleuchtet. Aus den Materialien des Grundgesetzes gehe hervor, dass eine ausdrückliche Einbeziehung des ungeborenen Lebens in den Schutzbereich nur unterblieb, weil sie für selbstverständlich erachtet wurde563.

558 559 560 561 562 563

BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. BVerfGE 39, 36. BVerfGE 39, 37. BVerfGE 39, 37. BVerfGE 39, 38; 32, 71; 6, 72. BVerfGE 39, 38 f.

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Als verbindliche Aussage lässt sich aus dieser ersten Entscheidung die Bejahung des Lebensschutzes ab Nidation festhalten. Daneben wird eine Tendenz zu extensiver Auslegung auf Schutzbereichsebene sowie die Ablehnung einer qualitativen Differenzierung des Schutzguts erkennbar. Ähnlich beschränkt ist die Aussagekraft der zweiten Entscheidung aus dem Jahr 1993. Auch hier belässt es das Gericht bei der Feststellung, dass jedenfalls ab Nidation individuelles, in seiner genetischen Identität feststehendes Leben existiere und dieses sich in einem Prozess des Wachsens und Sich-Entfaltens befinde564. Zur Begründung der Einbeziehung wird § 10 I 1 ALR herangezogen, welcher „die allgemeinen Rechte der Menschheit“ schon Ungeborenen zusprach565. Zudem stellt das BVerfG fest, dass das Lebensrecht nicht durch die Annahme durch die Mutter begründet werde, sondern dem Ungeborenen bereits aufgrund seiner Existenz, also um seiner selbst Willen zukomme566. Obgleich das Gericht andeutet, dass die biologischen Erkenntnisse nahelegten, den Lebensbeginn und damit den Schutz der Verfassung bereits auf die erfolgte Befruchtung zu datieren, trifft es mangels Entscheidungserheblichkeit keine dahingehende Festlegung567. Trotz der fehlenden ausdrücklichen Ausdehnung hin zur Befruchtung wird im Urteil aus dem Jahre 1993 die extensive Grundhaltung des BVerfG noch deutlicher. Das Gericht macht den Schutz durch die Verfassung ausdrücklich vom Lebensbeginn abhängig; vom Schutz wird also jedes menschliche Leben erfasst. Für die Konkretisierung des Begriffs „Leben“ verweist das BVerfG auf den Stand medizinischbiologischer Erkenntnis, da eine diesem widersprechende Schutzzuschreibung dem Telos des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes zuwiderlaufe. (b) Vertretene Anknüpfungspunkte im juristischen Schrifttum Noch deutlicher als bei der Menschenwürde herrscht bezüglich Art. 2 II GG diejenige Auffassung vor, welche den Beginn des Lebensschutzes des Grundgesetzes mit dem medizinisch-biologisch frühstmöglichen Zeitpunkt, nämlich der Befruchtung annimmt. Ein verbreitetes Argumentationsmuster basiert auch hier auf den drei Begriffen Potentialität, Identität und Kontinuität. Letzterer ist unter den drei genannten der häufigste. So wird von nahezu allen Vertretern dieser Auffassung darauf hingewiesen, dass mit der Befruchtung ein kontinuierlicher Prozess ohne wesentliche Zäsuren beginne. Da keine Zäsur in der Lage sei, ein späteres Einsetzen des Lebensschutzes zu rechtfertigen, erscheine jeder andere Anknüpfungspunkt willkürlich568. Erwähnt sei noch Böckenförde, der anführt, die Eltern wüssten oftmals, 564

BVerfGE 88, 251 f. BVerfGE 88, 251. 566 BVerfGE 88, 252. 567 BVerfGE 88, 251. 568 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 29; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 294b; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 10; Classen DVBL 2002 S. 143; Ipsen 565

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auf welches konkrete Beisammensein die Schwangerschaft zurückzuführen sei, weshalb der Zeitpunkt der Befruchtung auch intuitiv von elementarer Bedeutung sei569. Neben dieser Bezugnahme auf medizinisch-biologische Erkenntnisse werden auch die Ausführungen des BVerfG herangezogen. Hierbei wird entweder vorgebracht, die Ausführungen des BVerfG zur allein entscheidungserheblichen Zeit ab Nidation träfen gleichfalls auf die Phase zwischen Befruchtung und Einnistung zu570. Ferner wird aus einer Gesamtschau der Argumente des Gerichts eine Tendenz zu extensivem Lebensschutz und zu einer möglichst weitgehenden Erstreckung auch auf das vorgeburtliche Leben abgeleitet571. Andere Vertreter der Befruchtungs-These stellen auf die Funktion der Grundrechte ab. Aus deren Funktion, die Freiheit menschlicher Persönlichkeit zu sichern, wird ein Gebot effektiven und extensiven Grundrechtsschutzes gefolgert, das im Bereich des Rechts auf Leben als Grundlage sämtlicher Freiheitsausübung besonders bedeutsam sei572. Der zweifellos gewährte Schutz zu Lebzeiten sei unvollständig bzw. ineffektiv, wenn sich in einer Frühphase menschlicher Existenz Schutzlücken auftäten573. Die frühe menschliche Existenz bilde die Vitalvoraussetzung der Ausübung aller weiteren Grundrechte nach der Geburt. Der Schutz ungeborenen Lebens erscheine mithin als Emanation des Lebensschutzes geborener Individuen574. Teilweise wird auch aus dem weitreichenden Schutzniveau des ESchG gefolgert, dass der „grundrechtskonkretisierende“ Gesetzgeber offensichtlich vom Schutz des Lebens ab Befruchtung ausgehe575. Schließlich weist Vitzthum darauf hin, dass der bereits mehrfach erwähnte § 10 I 1 ALR von der Empfängnis als Anknüpfungspunkt für die allgemeinen Rechte der Menschheit spreche, womit die Befruchtung gemeint sei und gerade nicht andere Ereignisse wie etwa Nidation oder Geburt576. Einige Autoren nehmen auch Stellung zu einer möglichen Differenzierung der Situation in vivo und in vitro. Im Ergebnis besteht hier Einigkeit, dass der grundrechtliche Lebensschutz in beiden Fällen mit der Befruchtung beginne577. Eine eigenständige Begründung fehlt zumeist. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass

JZ 2001 S. 995; Mildenberger MedR 2002 S. 298; Schwarz KritVJ 2001 S. 195; Brohm JuS 1998 S. 200; Wagner NJW 2004 S. 918; Laufs MedR 1990 S. 233. 569 Böckenförde JZ 2003 S. 812. 570 Beckmann MedR 2001 S. 171; Brohm JuS 1998 S. 200. 571 Beckmann MedR 2001 S. 171. 572 Herzog JR 1969 S. 442; Schwarz KritVJ 2001 S. 195. 573 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 294b; Kloepfer JZ 2002 S. 420, Schwarz KritVJ 2001 S. 194; Leisner S. 22. 574 Brugger NJW 1986 S. 898. 575 Hufen MedR 2001 S. 447. 576 Vitzthum JZ 1985 S. 208. 577 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 10; Lorenz in: FS-Brohm S. 445; Schwarz KritVJ 2001 S. 196.

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das Grundrecht oder die Verfassung eine Differenzierung nicht zuließen. Auch in diesem Zusammenhang wird jede andere Festlegung als willkürlich bezeichnet578. Ein anderer denkbarer Anknüpfungspunkt wäre der Beginn der Pluripotenz. Wiedemann wiederum betrachtet die Festlegung der individuellen genetischen Identität als maßgeblich, wobei er diesen Zeitpunkt in der Befruchtung erblickt und somit dem zuerst dargestellten Lager zuzurechnen ist579. Stärkste Gegenposition zur Befruchtungs-These bilden auch im Bereich des Lebensschutzes diejenigen, die in der Nidation den maßgeblichen Zeitpunkt erblicken. In medizinisch-biologischer Sicht wird darauf hingewiesen, dass mit Befruchtung zwar artspezifisches, aber kein individuelles Leben vorliege580. Dem menschlichen Leben wohne jedoch ein personales Element inne, das ein Individuum voraussetze581. Zum Beleg, dass eine vorgeburtliche Zäsur durchaus auch der philosophisch-theologischen Tradition entspreche, wird auf die bis ins kanonische Recht hinein vorzufindenden Beseelungslehren hingewiesen582. Das juristische Hauptargument dieser Position basiert auf der Einschätzung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des geltenden Abtreibungsrechts. Dieses habe die Straflosigkeit nidationshemmender Mittel in § 218 I 2 StGB als verfassungsgemäß erachtet, was bedeute, dass das Gericht offenbar davon ausgehe, dass das pränidative Leben nicht unter dem Schutz der Verfassung stehe583. Dreier zieht Vergleiche zu anderen europäischen Rechtsordnungen, wie denjenigen der Niederlande, Norwegens oder Schwedens, welche Lebensschutz erst ab Nidation vorsehen584. Die Vertreter der Nidations-These gehen damit explizit oder implizit davon aus, dass auch das Leben in vitro vor Nidation nicht unter den verfassungsrechtlichen Lebensschutz falle. In erster Linie von einer ethischen Basis her argumentieren jene Autoren, die auf das Einsetzen der Hirnströme etwa ab dem 35. Tag nach Befruchtung abstellen. Im Gegensatz zum vorherigen bloßen Wirken der Natur entstehe mit diesem Zeitpunkt etwas wesenhaft Neues, das Grundlage menschlicher Personhaftigkeit sei585. Als medizinisch-biologisches Argument wird angeführt, dass heute für das Lebensende der Hirntod das anerkannte Kriterium sei und dass für Lebensanfang und Lebensende gleiche Maßstäbe gelten sollten586. Der Vorteil liege darin, dass sichere klinische Diagnosen möglich seien, womit biologische Beweis- und ethische Interpretationsschwierigkeiten vermieden würden587. Sass und Joerden erblicken den Vorzug 578 579 580 581 582 583 584 585 586 587

Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 29. Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 294a. Hofmann JZ 1986 S. 258. Coester-Waltjen FamRZ 1984 S. 235. Hofmann JZ 1986 S. 258. Dreier ZRP 2002 S. 379; Hofmann JZ 1986 S. 259. Dreier ZRP 2002 S. 379. Joerden Jahrbuch für Recht und Ethik 2002 S. 122; Hofmann in: FS-Krause S. 119. Hofmann in: FS-Krause S. 119; Sass in: Flöhl S. 46; Spickhoff NJW 2003 S. 1710. Sass in: Flöhl S. 46 f.

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dieser Auffassung darin, dass damit die moderne Forschung etwa an Embryonen möglich sei588. Ein weiterer denkbarer und im Schrifttum jedenfalls erwähnter Zeitpunkt für den Beginn des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes sind erste Regungen im Mutterleib bzw. darauf folgend die Wahrnehmung und Annahme von Seiten der Mutter. Zippelius zitiert in diesem Kontext Aristoteles, der forderte, überzählige Leibesfrüchte abzutöten, bevor Empfindung und Leben in sie kommt589. Schlink betrachtet die Wahrnehmung als konstitutives Element des Personseins590 und vergleicht sie mit den Lehren des Thomas von Aquin, der die Beseelung als Beginn des Personseins betrachtete591. Gerade im amerikanischen Rechtsraum spielt die extrakorporale Überlebensfähigkeit eine wichtige Rolle für den Lebensschutz592. Von einem ethischen Standpunkt her äußern sich schließlich Hoerster und Singer, die den Lebensschutz noch später beginnen lassen wollen. Für Hoerster ist die Personalität der einzig überzeugende Grund, einem Individuum das Lebensrecht einzuräumen593. Kennzeichnend hierfür seien Ichbewusstsein, Rationalität und eine Vorstellung von der eigenen Zukunft. Effektiver Schutz sei mit dem Zeitpunkt der Geburt sichergestellt, welcher praktisch leicht zu handhaben sei und damit Abgrenzungsprobleme vermeide594. Noch weiter geht Singer. Für ihn liegen die maßgeblichen Eigenschaften der Personhaftigkeit erst im Laufe der frühkindlichen Entwicklung vor, ohne dass er sich auf einen konkreten, allgemein gültigen Zeitpunkt festlegt595. (c) Stellungnahme Den Kritikern der Befruchtungs-These kann insofern nicht widersprochen werden, als sie vorbringen, im medizinischen Sinne liege mit Befruchtung zwar gattungsspezifisches, nicht jedoch individualisiertes Leben vor, da eine Mehrlingsschwangerschaft in diesem Zeitpunkt noch möglich sei. Ob diese Feststellung für die rechtliche Bewertung von Bedeutung ist, gilt es noch zu klären. Auch das Argument, das auf dem weitreichenden Schutz des ESchG aufbaut, ist kritisch zu sehen. Zu beachten ist sowohl der Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers als auch die Normenhierarchie zwischen Verfassungsrecht und einfachem Recht596. Die vorge-

588 589 590 591 592 593 594 595 596

Sass in: Flöhl S. 47; Joerden Jahrbuch für Recht und Ethik 2002 S. 122. Zippelius JuS 1983 S. 660. Schlink S. 14. Schlink S. 14 f. Dazu Brugger Grundrechte S. 112 ff. Hoerster Abtreibung S. 70. Hoerster JuS 1989 S. 178. Singer S. 101 ff. Zum Vorrang der Verfassung vgl. Wahl Der Staat 1981 S. 485 ff.

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brachte Argumentation kann allenfalls als Indiz herangezogen werden, eine verbindliche Festlegung, die die Kontroverse beenden kann, ist sie keineswegs. Mit eben solcher Zurückhaltung ist auch der Hinweis der Vertreter der NidationsThese auf das Abtreibungsstrafrecht zu behandeln. Auch hieraus können möglicherweise Auslegungstendenzen herausgelesen werden, entscheidende Argumente liegen auf diesem Feld jedoch nicht bereit. Ferner hat auch der Vergleich mit anderen europäischen Rechtsordnungen nur eingeschränkten Erklärungswert. Zu diesem Zweck wurden hier die historischen Hintergründe sowohl bei Einführung von Art. 1 GG als auch bei Art. 2 II GG beleuchtet. Die Auslegung von deutschem (Verfassungs-)Recht hat in erster Linie vor dem hiesigen historischen und kulturellen Hintergrund zu erfolgen. Quervergleiche zu anderen Rechtsordnungen können allenfalls ergänzend herangezogen werden, bleiben jedoch in ihrem Gewicht limitiert. Das Anliegen derjenigen, die fordern, es sollten für Beginn und Ende des Lebens einheitliche Kriterien, nämlich die Hirnfunktionen, gelten, erscheint zunächst plausibel. Sie bleiben jedoch den Nachweis schuldig, dass das menschliche Leben tatsächlich in einem derartigen Spannungsbogen verläuft, dass es zwingend erforderlich wäre, Kongruenz zwischen Lebensanfang und Lebensende herzustellen. Die Aussage, mit einem solch späten Einsetzen des Lebensschutzes werde moderne Forschung ermöglicht, wird aus einer falschen Perspektive getroffen. Es ist nicht der Lebensschutz an der Forschung zu messen, sondern die Forschung muss dem Lebensschutz gerecht werden. Derart pragmatische Lösungsansätze sind gerade in Anbetracht des Rechtsguts Leben nicht haltbar. Der ethischen Position, welche die Wahrnehmung von Seiten der Mutter als maßgeblich betrachtet, hat das BVerfG eine deutliche Absage erteilt, indem es feststellte, dass das Lebensrecht auch gegenüber der Mutter bestehe597 und nicht erst durch deren Annahme begründet würde598. Dies ist zu begrüßen, denn streng weitergedacht stünde das Lebensrecht damit vollständig zur Disposition der Mutter. Bei unterbliebener Annahme würde kein Lebensrecht begründet, was mit dem Schutzzweck der Lebensschutzbestimmungen nicht in Einklang zu bringen wäre. Weiterhin bietet auch die extrakorporale Überlebensfähigkeit kein verlässliches Kriterium. Diese differiert je nach Einzelfall und nach der zur Verfügung stehenden medizinischen Versorgung. Ein solch vager Zeitpunkt für das Einsetzen elementaren Schutzes würde keine hinreichende Rechtssicherheit bieten. Schließlich sind die Positionen Hoersters und Singers einzuordnen. Beide wurden bereits im Rahmen der Menschenwürdedebatte kritisiert. Auffällig ist auch beim Lebensrecht die Inkonsequenz der Hoersterschen Position: Er betrachtet Zukunftsorientierung und Selbstbewusstsein als entscheidende Faktoren, stellt dann jedoch auf die Geburt als einschneidende Zäsur ab. Selbstverständlich wäre dies ein handhabbarer Zeitpunkt. Jedoch liegt keines der von Hoerster geforderten Attribute im Zeitpunkt der Geburt 597 598

BVerfGE 39, 42. BVerfGE 88, 252.

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vor. Zudem ist festzustellen, dass die Geburt infolge der technischen Fortschritte auf dem Gebiet der pränatalen Diagnostik als Zäsur und einschneidendes Ereignis im Laufe der menschlichen Entwicklung erheblich an Bedeutung verloren hat. Wenn auch seine Position hier keinesfalls geteilt wird, so ist Singer doch wenigstens konsequenter in seinen Forderungen. Letztlich kann er sich jedoch nicht auf einen konkreten Zeitpunkt festlegen, erachtet vielmehr eine Einzelfallbeurteilung für erforderlich. Derartige Unsicherheiten und Wertungsfragen sind für die rechtliche Beurteilung nicht hinnehmbar. Nach einer Gesamtschau der vorgebrachten Argumente verbleiben nur zwei Zeitpunkte, die ernsthaft zur Diskussion stehen bezüglich des Einsetzens des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes. Dies sind Befruchtung und Nidation599. Eine Festlegung zwischen diesen beiden Zeitpunkten erfolgt nachfolgend aufgrund einer juristischen Analyse. Dabei werden medizinische, ethische oder theologische Argumente ausgeklammert, soweit die Materie dies zulässt. Sie sollen jedoch ergänzend im Blick behalten werden, soweit die Materie dies erfordert. Erster Anhaltspunkt ist stets der Wortlaut einer Regelung. Wenn in Art. 2 II GG formuliert wird, „Jeder hat das Recht auf Leben“, so erscheint dies zunächst wenig aufschlussreich und trifft sicherlich keine Festlegung zwischen Befruchtung und Nidation. Die nähere Bestimmung des „Jeder“ bleibt der Gesetzestext schuldig. Hilfreich wäre eine Ergänzung gewesen etwa nach dem Muster „jede lebende Person“ oder „jedes individuelle menschliche Leben schon ab Nidation“. Vielleicht kann aber auch gerade in der fehlenden näheren Konkretisierung die Intention einer extensiven Auslegung erblickt werden. Immerhin wurde mit der Formulierung „Jeder“ der weitestmögliche Ausdruck verwandt, ohne dass dieser näher eingegrenzt wurde. Für den zweiten Arbeitsschritt, die entstehungsgeschichtliche Auslegung, sind die Materialen des Grundgesetzes heranzuziehen, welche die Protokolle der Beratungen des Parlamentarischen Rats enthalten600. Wenngleich über die Aufnahme des ungeborenen Lebens diskutiert wurde, so wird doch aus einer Gesamtschau der Beratungen und aus einer Besinnung auf den historischen Hintergrund der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Garantie des Lebensrechts deutlich, dass die Väter des Grundgesetzes in erster Linie den Konflikt zwischen dem Staat und dem geborenen Menschen im Blick hatten und zwar in der klassischen Grundrechtsfunktion des status negativus. Dass dennoch das ungeborene Leben in den Schutzbereich des Art. 2 II GG einbezogen ist, wird dadurch nicht ausgeschlossen und wird heute im Schrifttum auch nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Jedoch fällt es schwer, einen Erkenntnisgewinn für die Entscheidung zwischen Befruchtung und Nidation zu ziehen. Sofern dies überhaupt möglich ist, ist er wohl im großen Respekt zu erblicken, der dem Rechtsgut Leben als solchem vom Parlamentarischen Rat entge599 600

Im Sinne einer solchen Gegenüberstellung auch Enders in: Mellinghoff/Trute S. 166 ff. JöR 1951 S. 54 ff.

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gengebracht wurde. Dies könnte zugunsten einer weit reichenden Auslegung vorgebracht werden. Die dritte Auslegungsmethode bildet die systematische Stellung einer Norm. Die Einfügung am Beginn des Grundgesetzes unterstreicht die hohe Bedeutung, die dem Lebensrecht beigemessen wird. In Art. 2 II GG werden mit Leib, Leben und körperlicher Bewegungsfreiheit die elementaren Grundlagen der individuellen Freiheitsentfaltung geschützt. Die Verbürgung des Lebensrechts folgt unmittelbar auf die Menschenwürdegarantie, welche ihrerseits weit zu interpretieren ist. Dem Lebensrecht folgt in Art. 3 GG der allgemeine Gleichheitssatz nach. Art. 2 GG wird mithin eingerahmt durch diese beiden Garantien, die beide eine Sonderstellung im Grundrechtsgefüge innehaben, bevor sich schließlich mit Art. 4 GG beginnend die übrigen Freiheitsgrundrechte anschließen. Nach alledem kann man sagen, dass die Art. 1 bis 3 GG das Fundament der Freiheitsausübung überhaupt bilden601. Nur unter Wahrung ihrer Gehalte ist eine Persönlichkeitsentfaltung im Sinne der Art. 4 ff. GG überhaupt möglich. Damit ist auch bereits die vierte und zumeist ertragreichste Auslegungsmethode einer Norm, deren Telos, erreicht. Aufgrund der grundlegenden Bedeutung für die Freiheitsausübung und Persönlichkeitsentfaltung ist für die Schutzgüter der Art. 1 bis 3 GG ein effektiver und möglichst weitreichender Schutz geboten. Konkret für das Lebensrecht ist dieser also bereits ab Befruchtung anzunehmen. Für die Bejahung des Schutzes auf der ersten Stufe, also für die Frage nach dem Eingreifen des Schutzes, genügt gattungsspezifisches menschliches Leben, welches mit Befruchtung vorliegt602. Mit dieser Feststellung ist weder etwas über die grundrechtsdogmatische Konstruktion dieses Schutzes noch über dessen inhaltliche Qualität gesagt. Beides gilt es auf der zweiten Stufe der Untersuchung zu klären. Eine andere rechtliche Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Sondersituation in vitro. In medizinisch-biologischer Sicht mag hier das Kontinuitätsargument versagen, da für die Entwicklung eine Einpflanzung von Menschenhand erforderlich ist. An der rechtlichen Bewertung vermag dieser Umstand dagegen nichts zu ändern. Es liegt gattungsspezifisches Leben vor, unabhängig von den äußeren Umständen seiner Entstehung. Wollte man die In-vitro Situation abweichend von der hier vertretenen Auffassung zur natürlichen Befruchtung bewerten, so stünde das Eingreifen des verfassungsrechtlichen Schutzes zur Disposition derjenigen Person, die die Implantation vornimmt oder unterlässt. Dies ist nicht mit dem hier postulierten Erfordernis extensiver Grundrechtsinterpretation im Bereich des Lebensschutzes vereinbar. Die hier favorisierte weitreichende Auslegungs- und Anwendungstendenz entspricht im Übrigen auch den Ausführungen des BVerfG in den beiden Schwanger-

601 602

Ähnlich zur Beziehung von Art. 1 bis Art. 3 GG auch Schittek BayVBl 1990 S. 138. So auch Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 58.

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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schaftsabbruch-Entscheidungen, wie sie hier verstanden und bereits oben interpretiert wurden. (2) Ende des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes Hinsichtlich des Lebensendes besteht zumindest dahingehend Einigkeit, dass der verfassungsrechtliche Lebensschutz nach Art. 2 II GG nur bis zum Todeseintritt greift. Etwaige Nachwirkungen sind abzulehnen. Diesbezüglich sind andere Grundrechte maßgeblich, deren fortwirkende Dimension hier schon behandelt wurde, insbesondere die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG603. Für die konkrete Bestimmung des Todeszeitpunkts stehen sich allerdings zahlreiche Positionen im Schrifttum gegenüber. Die zugrunde liegende Kontroverse wurde vor allem im Zuge der Transplantationsgesetzgebung entfacht und ist dementsprechend stellenweise eher emotional denn rational geprägt. Hierbei fließen erneut juristische, ethische und biologisch-medizinische Argumentationsmuster ineinander. Die fraglichen Positionen sollen im folgenden Schritt dargestellt und bewertet werden, wobei sich zeigen wird, dass, ähnlich wie am Lebensanfang, zwei ernsthaft diskutable Strömungen konkurrieren604. (a) Meinungsstand im juristischen Schrifttum Im Mittelpunkt der Bestimmung des Todeszeitpunkts steht wie auch am Lebensanfang der Versuch einer Charakterisierung dessen, was menschliches Leben ausmacht. Einen denkbar weitgehenden Ansatz verfolgt dabei eine erste Auffassung, welche in einem gemeinsamen Werk von Höfling und Rixen vertreten wurde605. Obgleich diese in anderen Veröffentlichungen derselben Autoren zum Todesbegriff nicht wiederholt wurde, hat etwa Anderheiden sie aufgegriffen und sich mit ihr auseinandergesetzt606. Der sog. kardiopulmonale Todesbegriff stellt ausschließlich auf das körperliche Dasein als maßgebliches Lebenskriterium ab. Das Lebensrecht schützt demnach die bloße biologisch-physische Existenz607. Über das körperliche Dasein hinaus werden also keine weiteren Anforderungen an das Vorliegen menschlichen Lebens gestellt. Begründet wird dieses extensive Begriffsverständnis unter anderem mit dem historischen Hintergrund der Einführung des Lebensgrundrechts. Die

603 Maurer DÖV 1980 S. 14; Schachtschneider/Siebold DÖV 2000 S. 131; Schreiber in: FS-Remmers S. 599; Heun JZ 1996 S. 217; Kunig JURA 1991 S. 418; Dederer JZ 2003 S. 992. 604 So auch Anderheiden Der Staat 2000 S. 513; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 230. 605 Höfling/Rixen Verfassungsfragen S. 70. 606 Anderheiden KritVJ 2001 S. 368 ff.; Anderheiden Der Staat 2000 S. 518. 607 Höfling/Rixen Verfassungsfragen S. 70; dargestellt bei Anderheiden KritVJ 2001 S. 368 ff.; Anderheiden Der Staat 2000 S. 518.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

menschenverachtenden Erfahrungen des Nationalsozialismus erforderten demnach ein möglichst weitreichendes Schutzniveau608. Ein zweites Lager stellt ebenfalls auf die körperliche Verfassung ab, erachtet dabei aber das irreversible Herz-Kreislauf-Versagen als entscheidendes Todeskriterium609. Diese Position entspricht dem klassischen sog. klinischen Todesbegriff, der bis zur Entwicklung der modernen Intensivmedizin jedenfalls im naturwissenschaftlichen Bereich herrschend war. Gegenwärtig betrifft die Diskussion in erster Linie den Status hirntoter, aber beatmeter Menschen. Die Vertreter des HerzKreislauf-Kriteriums betrachten diese als Sterbende, die folglich am Lebensschutz teilhaben. In medizinischer Hinsicht wird dabei auf die immer noch aufrechterhaltenen Vitalfunktionen hingewiesen610, sowie auf das Fehlen typischer Todeszeichen, wie etwa Leichenflecken611. Auch sei der exakte Verlauf des Sterbens immer noch nicht hinreichend erforscht. Da es sich unstreitig um einen länger andauernden Prozess handle, in dessen Zuge es nicht möglich sei, einen punktuellen Einschnitt auszumachen, sei ein extensives Lebensverständnis erforderlich612. Von einem hier primär interessierenden juristischen Standpunkt argumentieren diejenigen, die versuchen, Parallelen zu den Wertungen am Lebensanfang zu ziehen bzw. die allgemeine Grundrechtsdogmatik bemühen. So wird auch am Lebensende ein extensives Grundrechtsverständnis jedenfalls auf Tatbestandsebene angesichts des Schutzzwecks des Art. 2 II GG für zwingend erforderlich gehalten. Dies sei neben der hohen Wertigkeit des Schutzguts auch Konsequenz der Unbestimmtheit des Lebensbegriffs im Rahmen der Norm. Es gelte also eine verfassungsrechtliche Auslegungsmaxime „in dubio pro vita“, was auch der Rechtsprechung des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch am Lebensanfang entspreche. Etwaige Interessenkonflikte könnten sodann auf Ebene des Eingriffs oder der Rechtfertigung adäquat aufgelöst werden613. Darüber hinaus findet sich wiederholt der Hinweis auf das Potential zur Austragung einer Hirntod-Schwangerschaft, bei der eine hirntote Frau, die künstlich apparativ am Leben erhalten wird, über mehrere Monate ein gesundes Kind austrägt614. Zudem wird ausgeführt, die abnehmende öffentliche Bereitschaft für Organspenden zeuge von verbreiteten Vorbehalten gegenüber einer einschränkenden Interpretation des Lebensrechts615. 608

Rixen S. 284 ff., 290 ff. Tröndle in: FS-Hirsch S. 779 ff.; Rixen ZRP 1995 S. 461 ff.; Grewel ZRP 1995 S. 217 ff.; Beckmann ZRP 1996 S. 219 ff.; Höfling MedR 1996 S. 6 ff.; Höfling JZ 1995 S. 26 ff.; Höfling JZ 1996 S. 615 ff. 610 Höfling JZ 1996 S. 617; Höfling MedR 1996 S. 7; Tröndle in: FS-Hirsch S. 784, 793. 611 Tröndle in: FS-Hirsch S. 784. 612 Grewel ZRP 1995 S. 217. 613 Höfling JZ 1995 S. 31 f.; Höfling MedR 1996 S. 7; Beckmann ZRP 1996 S. 223; Rixen ZRP 1995 S. 464. 614 Höfling MedR 1996 S. 7; Tröndle in: FS-Hirsch S. 784, 793. 615 Beckmann ZRP 1996 S. 225. 609

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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Die folgenden beiden Auffassungen akzentuieren in besonderem Maße die Bedeutung des Gehirns. Untermauert wird dies durch die verbreitete Formulierung vom Gehirn als Zentralorgan menschlicher Existenz616. Vertreter des sog. Teilhirntodkriteriums oder Kortikaltodes erblicken den Todeszeitpunkt in der Zerstörung der Großhirnrinde617. Diese bedinge einen irreversiblen Bewusstseinsverlust. Menschliches Leben wird in diesem Zusammenhang als interessiertes und bewusstes Leben charakterisiert. Von fehlenden Interessen wird auf fehlende Rechte geschlossen. Diese Argumentation ist bereits von den Ausführungen Hoersters und Singers zum Lebensanfang bekannt. In der Unumkehrbarkeit wird das entscheidende Argument gesehen, das jedes weitere soziale oder ärztliche Bemühen entbehrlich mache618. Schließlich werden für diese Auffassung Praktikabilitätserwägungen ins Feld geführt, die die Vertreter in den Möglichkeiten einer sachgerechten Bewertung des einseitigen Behandlungsabbruchs und der Organtransplantation sehen619. Als herrschend ist die vierte und letzte Position zu bezeichnen, welche den Todeszeitpunkt im Gesamthirntod sieht620. Dieser liegt vor bei völligem und endgültigem Ausfall von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm621. Der entsprechende juristische Standpunkt entspringt einer Orientierung am herrschenden Todesverständnis in der medizinischen Lehre und Praxis. Er wird von zwei wesentlichen argumentativen Säulen getragen: einem anthropologischen Erklärungsmuster und einem biologischen. Der erste Ansatz knüpft daran an, dass mit dem vollständigen und irreversiblen Hirnausfall gerade die Bewusstseins- und Empfindungsfähigkeit als kennzeichnende menschliche Attribute und damit einhergehend Sprache, Geist und Urteilsfähigkeit verloren gingen622. Da eine exakte Zuordnung besagter Funktionen zu einzelnen Hirnregionen nicht möglich sei, biete das Gesamthirnkriterium ein zuverlässiges Kriterium zur Bestimmung des Todes623. Als solches gewährleiste es eine unverrückbare Grenzziehung, die keinen Ansatzpunkt für Missbrauchstendenzen biete624. Die biologische Linie betont die Zentralfunktion des Gehirns für die 616

Lang ZRP 1995 S. 459; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 227. Funck MedR 1992 S. 182 ff.; dargestellt bei Anderheiden KritVJ 2001 S. 367 f. 618 Funck MedR 1992 S. 187. 619 Funck MedR 1992 S. 185 ff. 620 Stratenwerth in: FS-Engisch S. 528 ff.; Schreiber in: FS-Remmers S. 593 ff.; Anderheiden Der Staat 2000 S. 509 ff.; Anderheiden KritVJ 2001 S. 353 ff.; Schachtschneider/Siebold DÖV 2000 S. 129 ff.; Holznagel DVBL 2000 S. 1629 ff.; Weber/Lejeune NJW 1994 S. 2392 ff.; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 226 ff.; Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1285 ff.; Merkel JURA 1999 S. 113 ff.; Sengler/Schmidt MedR 1997 S. 241 ff.; Lang ZRP 1995 S. 457 ff.; Heun JZ 1996 S. 213 ff. 621 Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 226; Schreiber in: FS-Remmers S. 595. 622 Heun JZ 1996 S. 215; Lang ZRP 1995 S. 459; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 226; Weber/Lejeune NJW 1994 S. 2392 f.; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 15; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 30; Stratenwerth in: FS-Engisch S. 543. 623 Heun JZ 1996 S. 216; Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1289; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 227. 624 Stratenwerth in: FS-Engisch S. 544. 617

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Selbstorganisation des Organismus. Auch diese Selbständigkeit als Funktionseinheit gehe mit dem Gesamthirntod unwiderruflich verloren625. Holznagel spricht bildhaft von der „innerlichen Enthauptung“626. Das Gesamthirntodkonzept definiert sich insgesamt über die Synthese dieser beiden Grundlinien627. Mit der Hervorhebung der Einheit aus Körper und Geist erhält der Lebensbegriff einen intensiv personalen Einschlag. Entscheidendes Gewicht wird auf medizinischer Ebene der Irreversibilität beigemessen. Aufgrund des Potentials moderner Apparatemedizin könne der Prozess des Absterbens allenfalls verzögert, nicht jedoch verhindert werden628. Mit dem Gesamthirntod sei rechtlicher Schutz hinfällig629. Die grundsätzliche Tendenz zu extensiver Tatbestandsinterpretation wird auch von Vertretern dieser Auffassung anerkannt. Gleichwohl könne dies nicht zu einer uferlosen Ausweitung führen630. Die Parallele zum Lebensanfang wird mit Hinweis auf die fehlende Vergleichbarkeit der Ausgangslage zurückgewiesen631. Einfachgesetzlich betrachten die Anhänger dieser Auffassung die Regelung des § 3 II Transplantationsgesetz, dem das Hirntodkriterium als entscheidender Todeszeitpunkt zugrunde liegt, als Hinweis, dass der Gesetzgeber die Verfassung dementsprechend interpretiere632. Stellenweise wird auch ausgehend von Praktikabilitätserwägungen argumentiert, wonach auf der Grundlage des Hirntodkriteriums die Durchführung von Transplantationen gewährleistet sei633. Dasselbe Argument wird allerdings auch von vielen Hirntodkritikern gebraucht, die in der Ermöglichung von Transplantationen den einzigen und wahren Grund für die Hinwendung zum Hirntodkriterium in Abkehr vom klinischen Todesbegriff erblicken634. (b) Stellungnahme Es sei hier zunächst das kardiopulmonale Todeskriterium in den Blick genommen, also diejenige Auffassung, die den Lebensbegriff ausschließlich auf das körperliche Dasein zurückführt. Dieser Standpunkt entspricht einer Tendenz zu einem weiten Verständnis des Schutzbereichs, die auch bei den Bewertungen am Lebensanfang erkennbar war. Eine parallele Argumentation zum Lebensanfang ist dennoch nicht möglich. Anderheiden stellt zu Recht fest, dass selbst verwesende Leichen physisch 625

Heun JZ 1996 S. 215; Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1287; Schreiber in: FS-Remmers S. 599; Anderheiden KritVJ 2001 S. 371; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 21. 626 Holznagel DVBL 2001 S. 1631. 627 Merkel JURA 1999 S. 118; Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1287; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 227. 628 Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1288; Schachtschneider/Siebold DÖV 2000 S. 130. 629 Schreiber in: FS-Remmers S. 596. 630 Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1288. 631 Heun JZ 1996 S. 215, 217; Holznagel DVBL 2001 S. 1631. 632 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 30. 633 Sengler/Schmidt MedR 1997 S. 242; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 230; Stratenwerth in: FS-Engisch S. 542. 634 Tröndle in: FS-Hirsch S. 781; Beckmann ZRP 1996 S. 221.

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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existieren635. Die bloße körperliche Existenz kann mithin nicht derjenige Faktor sein, der das menschliche Leben allein charakterisiert. Auch die historische Argumentation greift nicht durch. Es erscheint zumindest zweifelhaft, die Motive bei Einführung des Lebensgrundrechts auf einen Sachverhalt zu übertragen, dessen Brisanz überhaupt erst der modernen technischen und medizinischen Entwicklung geschuldet ist. Sicher ist jedenfalls, dass das unbestrittene extensive Tatbestandsverständnis nicht mit einer uferlosen Ausweitung zu verwechseln ist636. Das kardiopulmonale Todeskriterium ist demnach aufgrund der einseitigen Betonung physischer Existenz abzulehnen637. Den Gegenpol hierzu bildet das Teilhirntodkriterium, welches ausschließlich auf den Bewusstseinsausfall und den damit einhergehenden Interessenfortfall abstellt, also die psychische Komponente in den Mittelpunkt rückt. Diese Auffassung erweist sich in doppelter Hinsicht als kritikwürdig. Aus medizinischer Sicht ergeben sich Schwierigkeiten daraus, dass eine exakte Diagnose nicht möglich ist; damit fehlt es dem Kriterium an der erforderlichen Verlässlichkeit. Hinzukommen die im Detail immer noch lückenhaften Kenntnisse über eine exakte Zuordnung bestimmter Funktionen zu einzelnen Gehirnregionen. Demnach erweist sich der Teilhirntod nicht als ein praxistaugliches Todeskriterium638. Daneben ist es auch juristisch nicht haltbar. Die Ausführungen zur Menschenwürde haben gezeigt, dass ein Schluss vom Bewusstsein auf die Fähigkeit, Interessen zu haben, und von dort auf die rechtliche Schutzwürdigkeit nicht zulässig ist. Ein solches Grundrechtsverständnis wäre mit Art. 1 I GG nicht in Einklang zu bringen, der gerade die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen betont. Damit ist auch das Teilhirntodkriterium mit seiner ausschließlich psychischen Ausrichtung abzulehnen639. Als Zwischenstand kann festgehalten werden, dass sich weder eine einseitige Fokussierung auf die physische Existenz noch deren Gegenteil, die Hervorhebung der psychischen Komponente, als überzeugend erwiesen haben. Somit verbleiben zwei diskutable Positionen, die auch im Schrifttum am stärksten vertreten sind. Dies sind das Herz-Kreislauf-Kriterium und der Gesamthirntod640. (c) Befund und Zwischenergebnis Ausgehend von diesem Zwischenergebnis für das Lebensende sowie vor dem Hintergrund der vorherigen Analyse der Situation am Lebensanfang drängt sich folgender Befund auf: Den verfassungsrechtlichen Bewertungen am Lebensende liegt ein anderer Lebensbegriff zugrunde als denjenigen am Lebensanfang. Da die 635

Anderheiden KritVJ 2001 S. 369. Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1288. 637 Ebenso kritisch Anderheiden KritVJ 2001 S. 371; Anderheiden Der Staat 2000 S. 517 f. 638 Stratenwerth in: FS-Engisch S. 546. 639 Anderheiden KritVJ 2001 S. 517 f.; Anderheiden Der Staat 2000 S. 367 f.; Wagner/ Brocker ZRP 1996 S. 227. 640 Anderheiden Der Staat 2000 S. 513; Wagner/Brocker ZRP 1996 S. 230. 636

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Aufarbeitung von Parallelen und Differenzen zwischen Lebensanfang und Lebensende ein Hauptanliegen dieser Arbeit ist, verdient diese Feststellung zunächst näherer Erläuterung und wird schließlich nach Abschluss der zweistufigen Prüfung zu Reichweite und Inhalt des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes noch einmal vertieft. Die Gesamtschau des Meinungsstands im Schrifttum und die eigene Bearbeitung der Situation am Lebensanfang haben gezeigt, dass Befruchtung und Nidation die allein ernsthaft diskutablen Anknüpfungspunkte für das Einsetzen des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes sind. Beiden Standpunkten ist gemeinsam, dass sie ausschließlich auf die körperliche, individuelle, menschliche Existenz abstellen. Die Forderung nach Bewusstsein, bestimmten Fähigkeiten oder Personalität wird zwar namentlich von Hoerster und Singer erhoben, wird aber vom Rest des Schrifttums aufgrund der nicht tragbaren Konsequenzen zu Recht vehement zurückgewiesen. Am Lebensende hat sich dagegen gezeigt, dass allein diese Körperlichkeit nicht maßgeblich sein kann. Unabhängig davon, ob man am Lebensende nun auf den HerzKreislauf-Ausfall oder den Gesamthirntod abstellt, erweisen sich bestimmte Fähigkeiten, Eigenschaften oder in letzterem Falle sogar das Bewusstsein und damit in starkem Maße eine personale Komponente als entscheidende Kriterien für die Definition des Lebensbegriffs. Damit wird erkennbar, dass Bewertung und Definition des rechtlichen Lebensbegriffs an dessen Ende deutlich von den Wertungen am Lebensanfang, die unter anderem in der Rechtsprechung des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch zum Ausdruck kommen, divergieren. (d) Entscheidung und eigene Position Schon oben wurde festgehalten, dass es sich bei der Festlegung von Beginn und Ende des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes primär um eine normative Entscheidung handelt641. Auch wenn der Schutzzweck eine Orientierung an den medizinisch-biologischen Fakten gebietet, bleibt doch die juristische Methodenlehre der ausschlaggebende Anknüpfungspunkt642. Die den rechtlichen Verbürgungen zugrundeliegenden ethischen, gesellschaftlichen oder theologischen Wertungen werden dabei ergänzend als Auslegungshilfe herangezogen. Es hat sich bereits bei der Untersuchung der Situation am Lebensanfang gezeigt, dass der Wortlaut des Art. 2 II GG kaum Aufschluss im Sinne einer bestimmten Reichweite des Lebensschutzes bietet. Anderheiden ist beizupflichten, wenn er formuliert „Leben“ gehöre zu den Begriffen, die eine bestimmte kulturelle Prägung erfahren haben, gewachsen in abendländischer Tradition und darüber hinaus643. Davon ausgehend können die Ausführungen Stratenwerths aufgegriffen werden. Dieser schreibt, der klinische Todesbegriff habe lange Zeit dem herrschenden Ver641 Ebenso Höfling JZ 1995 S. 31; Höfling MedR 1996 S. 7; Lorenz HdStR Band VI § 128 Rn. 15; a.A. Rixen ZRP 1995 S. 463; Tröndle in: FS-Hirsch S. 781. 642 Heun JZ 1996 S. 214. 643 Anderheiden Der Staat 2000 S. 514.

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ständnis entsprochen, da ab diesem Augenblick der Verfall unaufhaltsam und damit der menschlichen Rettungsmöglichkeit entzogen war. Mit der modernen medizinischen Entwicklung habe sich dieser Augenblick verschoben und damit habe sich auch das Todesverständnis verändert644. Hierin kommt zum Ausdruck, dass es sich beim Begriff Leben durchaus um einen wandlungsfähigen Terminus handle. Selbst wenn man diese Auffassung teilte, ginge es jedoch zu weit, im Wortlaut des Art. 2 II GG eine Entscheidung zugunsten des Herz-Kreislauf- oder des Gesamthirnkriteriums zu erblicken. Aus der systematischen Stellung kann, wie hier für den Lebensanfang unternommen, eine extensive Auslegungstendenz abgeleitet werden. Diese steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass ein solch offenes Tatbestandsverständnis nicht zu einer uferlosen Ausweitung führen darf645. Ein zu weit gespannter Anwendungsbereich, also der sprichwörtliche inflationäre Gebrauch, zieht notwendig eine Entwertung nach sich, die im Bereich des Lebensgrundrechts nicht hinzunehmen ist. Auch die Aussagekraft der historischen Interpretation für das Lebensende ist beschränkt. Die Einführung des Lebensgrundrechts erfolgte als Reaktion auf die Taten der Nationalsozialisten gegenüber dem Leben. Es sollte die Wertigkeit des individuellen Lebens unterstrichen und dieses in erster Linie gegenüber staatlichem Zugriff gesichert werden646. Die Konfliktlagen am Lebensende traten erst durch die spätere technische Entwicklung im Bereich der Apparatemedizin auf, so dass der historische Hintergrund des Art. 2 II GG nicht für eine Entscheidung zwischen Hirntodkriterium und Herz-Kreislauf-Versagen fruchtbar gemacht werden kann. Als weiterführend erweist sich hingegen die Befassung mit Sinn und Zweck des Lebensgrundrechts. Dieser besteht im Schutz gegenüber externer Verfügbarkeit647 und in der darauf basierenden Sicherung individueller Autonomie648. Angesichts dieses Schutzzwecks ist das Merkmal der Irreversibilität des Ausfalls der Hirntätigkeit ausschlaggebend. Mit Eintritt des Gesamthirntods hat die Natur bereits eine unumstößliche Verfügung getroffen. Es bedarf keines Schutzes mehr gegenüber externer Verfügbarkeit, jedenfalls nicht durch das Lebensgrundrecht. Die unbestrittenen schutzwürdigen Belange werden dann von der Menschenwürde oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfasst649. Rechtlicher Schutz ist nur dort erfor644

Stratenwerth in: FS-Engisch S. 530 f. Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1288. 646 BVerfGE 18, 117; 39, 36; Stürner S. 35; Wassermann DRiZ 1986 S. 292; Hanack MedR 1985 S. 34. 647 Kluth/Sander DVBL 1996 S. 1288; Höfling JZ 1995 S. 31; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 II GG Rn. 81; Pieroth/Schlink Rn. 392; SchulzeFielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25. 648 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 288; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 1; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 189; Höfling JuS 2000 S. 114. 649 Maurer DÖV 1980 S. 14; Schachtschneider/Siebold DÖV 2000 S. 131; Schreiber in: FS-Remmers S. 599; Heun JZ 1996 S. 217. 645

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derlich und legitim, wo er ein Mindestmaß an Erfolg verspricht650. Bei eingetretenem Gesamthirntod hat sich jedoch der Schutzzweck des Lebensrechts erledigt. Es kann von Seiten Dritter keine Verfügung mehr erfolgen, die die Natur nicht bereits getroffen hätte. Auch die ursprünglich zu sichernde autonome Persönlichkeitsentfaltung ist nicht mehr vorhanden und somit weder schutzbedürftig noch schutzwürdig im Rahmen des Lebensrechts. Nach alledem handelt es sich beim Gesamthirntod um das entscheidende Todeskriterium im juristischen Sinne. Dieser markiert den Grenzpunkt des zeitlichen Schutzbereichs des Art. 2 II GG am Lebensende. (3) Ergebnis zur ersten Stufe des Lebensschutzes Für die hier sog. erste Stufe des Lebensschutzes, also für die Frage, zu welcher Zeit überhaupt verfassungsrechtlicher Schutz besteht, hat die voranstehende Untersuchung damit zu folgendem Ergebnis geführt: Der Schutzbereich des Art. 2 II GG greift zum frühest möglichen Zeitpunkt, der Befruchtung der Eizelle, ein. Dieses Kriterium hat sich als vorzugswürdig gegenüber allen anderen Zäsuren, insbesondere derjenigen der Nidation erwiesen. Dabei gilt dieser Befund uneingeschränkt auch für die Situation des Lebens in vitro. Der verfassungsrechtliche Schutz endet in zeitlicher Hinsicht mit dem Gesamthirntod. Eine über den Todeszeitpunkt hinausgehende Wirkung des Art. 2 II GG ist weder plausibel noch erforderlich und damit abzulehnen. Dies bedeutet im Vergleich mit Art. 1 I GG, dass der jeweilige Schutz am Lebensanfang simultan eingreift. Am Lebensende hingegen endet zunächst der Lebensschutz, während der Würdeschutz zugunsten des konkreten Leichnams noch weiterwirkt und somit über den zeitlichen Wirkbereich des Lebensschutzes hinausgeht. bb) 2. Stufe: Das „Wie“ des Lebensschutzes Es schließt sich nunmehr auf der zweiten Stufe der Untersuchung die Frage an, wie der grundsätzlich bejahte Lebensschutz nach Art. 2 II GG inhaltlich ausgestaltet ist. Dabei ist abermals differenziert nach Lebensanfang und Lebensende zunächst die grundrechtsdogmatische Konstruktion dieses Schutzes zu beleuchten. Anschließend wird in methodischer Parallele zur Befassung mit Art. 1 I GG vertieft, welche Intensität der festgestellte Schutz im Vergleich zu demjenigen zugunsten des erwachsenen, gesunden Lebens hat.

650 Zu den rechtstheoretischen Grundlagen unterschiedlicher Begriffe der Normgeltung vgl. Röhl/Röhl § 37; Alexy Begriff und Geltung S. 139 ff.; Kelsen S. 215 ff.

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(1) Am Lebensanfang (a) Grundrechtsdogmatische Konstruktion Der Hauptgrund für die anhaltende Debatte ist einmal mehr das beredte Schweigen des BVerfG in seiner ersten Schwangerschaftsabbruch-Entscheidung651. Dort hat das BVerfG ähnlich wie bereits bezüglich des zeitlichen Einsetzens des Lebensschutzes das Problem zwar aufgeworfen, sich aber mangels Entscheidungsrelevanz einer verbindlichen Festlegung entzogen. Konkret stellte das Gericht fest, es könne dahinstehen, ob der Lebensschutz des ungeborenen Lebens den Charakter einer subjektiven Grundrechtsberechtigung habe oder Ausdruck der staatlichen Schutzpflicht sei, die das Verfassungsgericht wie dargestellt aus einer objektiven Werteordnung der Grundrechte ableitet652. Jedenfalls Letztere gebiete bereits für sich genommen den Schutz des ungeborenen Lebens653. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist eine konkrete Festlegung gleichwohl unerlässlich. Eine Beschränkung auf die objektiv-rechtliche Komponente, verbunden mit dem dargelegten weitreichenden Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers bei deren Ausgestaltung, könnte nämlich ein Anknüpfungspunkt für eine Abstufung des Lebensschutzes sein654. Ein Lager im Schrifttum geht davon aus, dass bereits ab Befruchtung der objektiven staatlichen Schutzpflicht eine subjektive Berechtigung korrespondiert655. Die bloße Fähigkeit, Träger von Grundrechten zu sein, sei demzufolge streng von der Frage ihrer gerichtlichen Durchsetzbarkeit zu unterscheiden656. Letztere erfolge treuhänderisch durch die Erziehungsberechtigten, wie dies auch bei anderen Freiheitsgrundrechten vor Erreichen der Grundrechtsmündigkeit der Fall sei. Argumentativ werden in erster Linie diejenigen Punkte angeführt, mit denen die Autoren auf der ersten Stufe bereits für einen möglichst weitreichenden Schutz plädiert hatten. Im Mittelpunkt stehen die Argumente der Potentialität und der Kontinuität, welche es nicht zuließen, im Rahmen des grundrechtlichen Basisschutzes irgendeine Differenzierung vorzunehmen657. Auf der Ebene allgemeiner Grundrechtsdogmatik wird angeführt, der Staat befinde sich in einer Garantenrolle und der verfassungsimmanente Grundsatz von Treu und Glauben gebiete die Einräumung einer subjektiven Rechtsposition658. 651

BVerfGE 39, 1 ff. BVerfGE 39, 41. 653 BVerfGE 39, 42. 654 So ausdrücklich Dederer AöR 2002 S. 18 f.; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 29; Lungstras S. 38. 655 Isensee in: HdStR Band V § 111 Rn. 93; Lorenz in: HdStR VI § 128 Rn. 10; Kunig JURA 1991 S. 417 f. 656 Zu diesem Unterschied Rüfner in: HdStR Band V § 116 Rn. 19. 657 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 10; Isensee NJW 1986 S. 1646. 658 Dietlein S. 173. 652

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Die Hauptkritik der Gegner dieser erstgenannten Auffassung besteht darin, dass jedenfalls zwischen Befruchtung und Nidation nur artspezifisches, nicht jedoch individuelles menschliches Leben vorliege und dementsprechend nicht von einer subjektiven Berechtigung gesprochen werden könne. Stattdessen werden verschiedene Vorwirkungen konstruiert. So wird etwa vertreten, ein Zusammenspiel von subjektiver und objektiver Komponente bestehe erst ab Nidation. Davor bestehe ausschließlich objektiver Schutz in Gestalt einer Vorwirkung von Art. 1 I GG, nicht jedoch durch Art. 2 II GG659. Eine weitere Auffassung geht in Anknüpfung an die offene Formulierung des BVerfG davon aus, Art. 2 II GG wirke vor Nidation ausschließlich in seiner Funktion als Teil einer objektiven Werteordnung und begründe so eine staatliche Schutzpflicht, die unabhängig von einer subjektiven Rechtsposition bestehe660. Zur Begründung dieser bloß objektiven Vorwirkungen wird ebenfalls in Parallele zur Diskussion auf der ersten Stufe angeführt, die Annahme subjektiver Grundrechtsträgerschaft sei nicht mit dem Postulat des BVerfG von der Verfassungsmäßigkeit des geltenden Abtreibungsrechts vereinbar661. Ausgehend von besagtem Abtreibungsrecht wird auch mit dem Wesensgehalt von Art. 2 II GG argumentiert. Bei Annahme einer subjektiven Berechtigung stünde diese Position innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft zu jeder Zeit zur Disposition der Mutter, so dass vom materiellen Gehalt des Grundrechts nichts übrig bliebe und damit ein Verstoß gegen Art. 19 II GG vorliege662. Der letztgenannte Ansatz ist vor dem Hintergrund der Normenhierarchie663 kritisch zu bewerten. Obgleich man davon ausgehen sollte, dass die Vertreter nicht unmittelbar vom einfachen Recht auf die höhere Ebene schließen, sondern vielmehr aus den entsprechenden Ausführungen des BVerfG dessen Standpunkt direkt zum Verfassungsrecht selbst herauszulesen glauben können664, handelt es sich doch um eine äußerst vage Argumentationsbasis. Eine solche kann jedenfalls nicht als tragendes Argument herangezogen werden. Der Hinweis auf die Wesensgehaltsgarantie leidet darüber hinaus an einer internen Inkonsequenz. Schlüssig angewandt müsste man wohl unter dieser Prämisse zu dem Ergebnis kommen, die Grundrechtssubjektivität beginne erst nach der zwölften Schwangerschaftswoche. Nicht nur würde dies unzweifelhaft eine Missachtung der Normenhierarchie darstellen, auch wird dies soweit ersichtlich nicht ernsthaft vertreten. Eine Entscheidung ist vielmehr ausgehend von der Funktion der Grundrechte selbst zu suchen. Dabei geht es sowohl

659

Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 28. Ipsen JZ 2001 S. 994; Ipsen Staatsrecht II Rn. 250; Dederer AöR 2002 S. 18; Fassbender NJW 2001 S. 2750. 661 Ipsen JZ 2001 S. 994. 662 Ipsen JZ 2001 S. 994 f. 663 Zum Vorrang der Verfassung vgl. Wahl Der Staat 1981 S. 485 ff. 664 So ausdrücklich Dreier ZRP 2002 S. 382. 660

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um die Bedeutung der Grundrechte im Allgemeinen als auch, und primär, um diejenige des Grundrechts auf Leben im Besonderen. Der Wortlaut des Lebensgrundrechts vermag keinen entscheidenden Ausschlag zu geben. Allenfalls könnte man anführen, dass die allgemeine Formulierung keinerlei Differenzierung nahelegt. Jedoch trägt dieses Argument stärker auf der ersten Stufe. Zudem ist auch die zweifellos anzuerkennende Schutzpflichtdimension selbst nicht im Wortlaut angelegt. Auch in systematischer Hinsicht, also aus der Stellung eingangs der Verfassung zwischen Menschenwürde und Gleichheitssatz, lassen sich kaum Argumente gewinnen, die über diejenigen auf der ersten Stufe hinausgingen. Für eine Anwendung auf der zweiten Stufe wäre eine Argumentation, die ausschließlich auf eine extensive Auslegung abstellt, zu oberflächlich. Etwas mehr Erfolg verspricht der Fokus auf den entstehungsgeschichtlichen Kontext. Wie bereits oben ausgeführt, bildete die Einführung von Art. 2 II GG eine Reaktion auf die Taten des Nationalsozialismus, sollte eine Rückbesinnung auf den individuellen Eigenwert menschlichen Lebens darstellen und dessen Singularität betonen665. Dieser Bezug auf das individuelle Subjekt könnte gerade verschwimmen, wenn man sich ausschließlich auf eine in ihren Konturen schwächere objektive Schutzpflicht festlegte. Vor diesem Hintergrund wäre es geradezu kontraproduktiv, bezüglich eines Grundrechts, das die elementare subjektive Position stärken soll, eine subjektive Berechtigung zu verneinen. Es bleibt schließlich der Telos des grundrechtlichen Lebensschutzes. Dieser liegt im Schutz gegenüber externer Verfügung666. Eine gesteigerte Schutzbedürftigkeit besteht gerade am Lebensanfang aufgrund der Situation physischer Schwäche und sozialer Isolation. Auch wenn dieses Argumentationsmuster primär die erste Stufe betrifft, so wirkt es doch auch bei der Frage nach den Mitteln des Schutzes. Sofern man, wie hier herausgearbeitet, frühestmöglich Lebensschutz zuspricht, wäre es widersinnig, gerade in der Phase besonderer Schutzbedürftigkeit eine Differenzierung vorzunehmen, die im Ergebnis zum Ansatzpunkt für einen abgeschwächten Schutz werden kann. Die Auslegung des Art. 2 II GG kommt mithin vorliegend zu dem Ergebnis, dass ein Auseinanderfallen von subjektiver Berechtigung und objektiver Schutzverpflichtung nicht anzunehmen ist667. Dieser Befund soll nachfolgend auch anhand des allgemeinen Grundrechtsverständnisses des BVerfG verdeutlicht werden, welches

665 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 80; Pieroth in: HdGR § 25 Rn. 27; Fink JURA 2000 S. 210; Böckenförde JZ 2003 S. 809; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 2; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 2; Stürner S. 35. 666 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 II GG Rn. 81; Pieroth/Schlink Rn. 392; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25. 667 Ebenso Alexy S. 412 f., 414.

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eine Grundlegung im Lüth-Urteil668 erfahren hat und in späteren Entscheidungen669 weiter konkretisiert wurde. So führt das Gericht aus, dass die Grundrechte primär individuelle Rechtspositionen seien. Die Annahme objektiver Prinzipien diene dabei der Verstärkung dieser Primärfunktion und wurzle in dieser670. Aus diesem Grund sei es nicht möglich, die beiden Wirkungsdimensionen voneinander loszulösen. Ausdrücklich spricht das BVerfG von einem unaufhebbaren Zusammenhang671. Dieser Standpunkt erscheint als Widerspruch zu den eingangs angesprochenen Ausführungen des BVerfG im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch. Noch im Fristenlösungsurteil selbst wird die angedeutete Trennung von subjektiver und objektiver Komponente jedoch relativiert, wenn das Gericht vom „Recht des Ungeborenen“672 spricht673. Zuspruch hat die Position des BVerfG auch im Schrifttum gefunden, wo etwa zu lesen ist, dass eine Entsubjektivierung der Grundrechte nicht im Einklang mit dem Grundgesetz stehe674. Bezüglich einer Herleitung dieses Ergebnisses aus einer staatlichen Garantenpflicht und dem Grundsatz von Treu und Glauben675 ist Zurückhaltung geboten. Beide Ansatzpunkte sind in höchstem Maße unbestimmt und deshalb ebenso wenig letztentscheidend wie die Gegenargumentation über die Verfassungsmäßigkeit des Abtreibungsrechts. Schließlich ist dem Argument beizupflichten, der Einwand des Vorliegens bloß gattungsspezifischen Lebens greife in unzulässiger Weise der Frage nach der Durchsetzung der Rechtsposition vor. Insofern ist tatsächlich zwischen der Fähigkeit, Träger eines Grundrechts zu sein und der Möglichkeit, dieses selbst gerichtlich durchzusetzen zu unterscheiden. Für die Bejahung einer subjektiven Rechtsposition im erstgenannten Sinne muss das Vorliegen gattungsspezifischen Lebens, mit seinen potentiellen Fähigkeiten, als Zuordnungsobjekt genügen. Dies kann nicht Anlass sein, eine Differenzierung vorzunehmen, die weder in der Interpretation des Art. 2 II GG noch in der allgemeinen Grundrechtsdogmatik eine überzeugende Stütze findet. (b) Intensität des Schutzes im Vergleich zum erwachsenen Leben Es schließt sich nunmehr die Frage an, welche inhaltliche Intensität dieser gewährte Schutz am Lebensanfang im Vergleich zum erwachsenen Leben hat. Auch hier gilt die Orientierung der Leitfrage nach den Abstufungsmöglichkeiten unter 668 669 670 671 672 673 674 675

BVerfGE 7, 198 ff. BVerfGE 24, 367 ff.; 50, 290 ff. BVerfGE 7, 205; 50, 337. BVerfGE 50, 337. BVerfGE 39, 50. Alexy S. 412. Starck Verfassungsauslegung S. 31; zum selben Ergebnis kommt Hermes S. 214. Dietlein S. 173.

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verschiedenen Perspektiven. Dabei wird zunächst der wissenschaftliche Meinungsstand dargelegt. Hierbei stehen sich zwei Positionen gegenüber. Im Anschluss erfolgt eine Bewertung und persönliche Standortbestimmung. In erster Linie auf zwei Aufsätze von Horst Dreier geht das Konzept der sog. Wachstumsmodelle zurück, die von einem kategorialen Unterschied in der Wertigkeit zwischen ungeborenem und geborenem Leben ausgehen676. Einige weitere Autoren haben seitdem Dreiers Argumentation aufgegriffen und sich dieser inhaltlich angeschlossen677. Bereits zuvor hatte sich Hilgendorf kritisch bezüglich der Gleichwertigkeit von geborenem und ungeborenem Leben geäußert678. Im Mittelpunkt steht dabei die Geburt, die Dreier als fundamentale Zäsur im menschlichen Entwicklungsprozess bezeichnet679. Einsetzend mit der Befruchtung bestehe rechtlicher Schutz zugunsten des Lebens, allerdings habe dieser noch nicht seinen vollen Umfang erreicht. Er werde vielmehr mit zunehmender Nähe zur Geburt in Parallele zur menschlichen Fortentwicklung stärker und erreiche seine volle Wirkungskraft erst mit der Geburt680. Zur Begründung führt Dreier an, die Verfassung selbst schweige zum Schutz des vorgeburtlichen Lebens, weshalb eine Verfassungsinterpretation anhand des einfachen Rechts erforderlich sei681. Zu diesem Zwecke argumentiert Dreier sehr eng am differenzierten Regelungssystem der §§ 218 ff. StGB und folgert aus deren ansteigenden Anforderungen für die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs mit zunehmender Dauer der Schwangerschaft, dass ein entwicklungsorientiert zunehmender Schutz vorliege, der auch der zunehmenden Wertigkeit des geschützten Rechtsguts entspreche. Bestätigt sieht Dreier seine Position in den beiden Entscheidungen des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch682. Er führt zum einen an, dass die geltenden §§ 218 ff. StGB unbeanstandet geblieben seien und demzufolge offensichtlich auch das BVerfG von einem gestuften Schutzkonzept ausgehe683. Zudem zitiert er die Ausführungen des Gerichts, wonach es dem Gesetzgeber frei stehe, ob er zugunsten des ungeborenen Lebens die gleichen rechtlichen Vorkehrungen treffe wie zum Schutz des geborenen Lebens684. Ein weiterer Argumentationsstrang besteht in der kulturell verwurzelten Bedeutung der Geburt als Zäsur sowie darin, dass es seit jeher unserer Intention entspreche, einen Unterschied zwischen geborenem und ungeborenem Leben zu machen685. 676 677 678 679 680 681 682 683 684 685

Dreier ZRP 2002 S. 377 ff.; Dreier JZ 2007 S. 261 ff. Schreiber MedR 2003 S. 370; Kloepfer JZ 2002 S. 420; Hofstätter S. 84 f. Hilgendorf NJW 1996 S. 761. Dreier ZRP 2002 S. 379; Dreier JZ 2007 S. 267. Dreier ZRP 2002 S. 380; Dreier JZ 2007 S. 267. Dreier ZRP 2002 S. 382. BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. Dreier ZRP 2002 S. 382. Dreier ZRP 2002 S. 378. Dreier ZRP 2002 S. 379.

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Deutlich weiter verbreitet ist im Schrifttum diejenige Position, die ab Einsetzen des Schutzes einen vollwertigen Schutz in jeder Entwicklungsphase annimmt686. Insofern kann man von einer „Alles-oder-Nichts“-Lösung sprechen. Hierbei wird vor allem angeführt, dass es sich beim Leben um ein einheitliches und unteilbares Rechtsgut handle, das keinen Abstufungen mittels der Versagung von Schutz auf definitorischem Wege zugänglich sei687. Letztlich knüpft diese Argumentation an Sinn und Zweck der Regelung als Schutznorm gegen externe Verfügung an. Diesem Zweck widerspräche es, dem Rechtsgut selbst höhere oder niedrigere Wertigkeit zu attestieren. Auch die Vertreter dieses Standpunkts führen die Entscheidungen des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch für ihre Zwecke an. Sie erblicken darin eine Tendenz der Gleichstellung von geborenem und ungeborenem Leben688. Den Wachstumsmodellen wird v. a. das Zitat entgegengehalten, das Maß des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes sei unabhängig vom Alter der Schwangerschaft. Das Grundgesetz enthalte keine frist- oder entwicklungsgebundenen Abstufungen des Schutzniveaus689. Der Ansatz vom wachsenden Lebensrecht und dessen Ungleichwertigkeit gegenüber dem geborenen Leben hat substantiierte Kritik durch Rainer Beckmann erfahren690. Hauptkritikpunkt ist dabei nicht einmal die Arbeit am einfachen Recht an sich angesichts primärer Relevanz der Verfassung. Diese Auslegung rechtfertigt Dreier in seinem Aufsatz ausdrücklich691. Doch auch die Argumentation entlang der strafrechtlichen Regelungen überzeugt nicht. Wie Beckmann überzeugend herausarbeitet, sind die Einschnitte im StGB mit Nidation, Zwölf-Wochen-Frist, 22-Wochen-Frist und Geburt nicht an einem qualitativen Entwicklungssprung festzumachen und orientieren sich damit gerade nicht am Entwicklungsstand des Ungeborenen692. Hinzu kommt, dass sich auch die von Dreier betonte Bedeutung der Geburt entkräften lässt. Diese hat angesichts der fortgeschrittenen Entwicklung pränataler Diagnostik deutlich an Signifikanz verloren. Daneben ist auch die Möglichkeit zu bedenken, etwa mittels eines Kaiserschnitts über den Geburtstermin zu disponieren693. Der Geburtsakt selbst zieht allenfalls die positive optische Erkennbarkeit des Neugeborenen nach sich und schließt in der Abnabelung von der Mutter als demonstrativem Akt des Eintritts in die Gesellschaft. Eine solche Betrachtung basiert auf Wertungen, also im Ergebnis auf einer Zuschreibung als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Ein solcher Akt der Anerkennung ändert jedoch nichts am Status 686 Lorenz HdStR Band VI § 128 Rn. 8; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25; Beckmann ZRP 2003 S. 97 ff.; gegen die sog. Wachstumsmodelle auch Hoerster JuS 2003 S. 530. 687 Lorenz HdStR Band VI § 128 Rn. 8; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25. 688 Beckmann ZRP 2003 S. 98. 689 BVerfGE 88, 254. 690 Beckmann ZRP 2003 S. 97 ff. 691 Dreier ZRP 2002 S. 382. 692 Beckmann ZRP 2003 S. 100; Tobias S. 91. 693 Beckmann ZRP 2003 S. 98.

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des Rechtsguts selbst. Eine andere Auffassung würde tatsächlich dem Zweck des Lebensgrundrechts widersprechen. Eine definitorische Zuschreibung würde gerade die externe Disposition darstellen, der Art. 2 II GG entgegenzutreten versucht. Beckmann bemerkt weiter zutreffend, dass die bloße Strafandrohung im StGB nicht ausschließlich von der Wertigkeit des geschützten Rechtsguts abhängt. Auch bei der Annahme einer gleichbleibenden Wertigkeit ist gesondert nach dem Ausgang einer konkreten Interessenkollision zu fragen. Diese wird nicht nur rechtsguts-, sondern auch situations- und täterbezogen aufgelöst. Dogmatisch handelt es sich hierbei nicht um eine Frage des Rechtsguts selbst, also des Schutzbereiches. Die grundsätzliche Beschränkbarkeit des Lebensgrundrechts kommt in dessen Gesetzesvorbehalt zum Ausdruck und ist unbestritten. Dass eine solche Beschränkung möglich ist, führt jedoch nicht zu Wertigkeitsabstufungen bezüglich des geschützten Rechtsguts an sich694. Wenn Dreier feststellt, die Verfassung schweige zum Schutz des ungeborenen Lebens, weshalb eine Interpretation des einfachen Rechts erforderlich sei,695 gilt es zunächst dieses Schweigen näher zu untersuchen: Es lässt sich ebenso argumentieren, der Wortlaut des Art. 2 II GG biete keinerlei Ansatzpunkt für eine differenzierte Bewertung des Rechtsguts. Es ist ausschließlich davon die Rede, jeder habe ein Lebensrecht. Die Vorstellung eines wachsenden Lebensrechts würde auf ein Grundrechtssystem differierender Wertigkeit hinauslaufen, welches weder im Wortlaut noch historisch eine entsprechende Stütze findet696. Wie bereits angedeutet, würde ein solches System auch dem Telos des Lebensrechts zuwiderlaufen. Gerade am Lebensbeginn als einer Phase physischer Schwäche und verminderter sozialer Erkennbarkeit besteht ein hohes Gefahrenpotential hinsichtlich Fremddisposition. Es wäre nicht folgerichtig, gerade in dieser Phase besonderer Schutzbedürftigkeit vom Vorliegen eines minderwertigen Rechtsguts auszugehen. Ein solch ausgeprägtes Schutzbedürfnis ist auch den oben zitierten Ausführungen des BVerfG zur Entwicklungsunabhängigkeit des grundrechtlichen Lebensschutzes697 zu entnehmen. Probleme bereitet der Dreierschen Argumentation auch das weitreichende Schutzniveau des ESchG. So eng Dreier an den Normen des StGB arbeitet, erwähnt er bezüglich des ESchG nur, dass die Verfassung eine solch strikte Regelung nicht gebiete698. An dieser Stelle, an der das einfache Recht seiner Position widersprechen würde699, kehrt Dreier zurück auf die Ebene des Verfassungsrechts. Diese hielt er soeben noch für nicht aussagekräftig, legt sich unmittelbar im Anschluss aber dahingehend fest, dass das Grundgesetz die Regelungen des ESchG nicht erfordere. 694 695 696 697 698 699

So auch Lorenz HdStR Band VI § 128 Rn. 8; Vitzthum ARSP Beiheft 33 S. 135. Dreier ZRP 2002 S. 382. Hoerster JuS 2003 S. 530. BVerfGE 88, 254. Dreier ZRP 2002 S. 382; Dreier JZ 2007 S. 270. Beckmann ZRP 2003 S. 100.

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Nach allem kann die Annahme eines entwicklungsgebundenen Wachstumsmodells nicht überzeugen. Stattdessen ist denjenigen Autoren beizupflichten, die vom Vorliegen eines unteilbaren Rechtsguts ausgehen, das sich einer Abstufung auf definitorischem Wege seinem Sinn und Zweck nach entzieht. Auch grundrechtsdogmatisch ist das Vorliegen kategorial differierender Grundrechte bezüglich desselben Rechtsguts nicht zu bejahen. (2) Am Lebensende Es schließt sich nun die entsprechende Untersuchung der zweiten Stufe des durch Art. 2 II GG gewährleisteten Lebensschutzes am Ende des Lebens an. Dass dieses Feld im Schrifttum kaum behandelt wird, geht darauf zurück, dass sich hier sowohl bezüglich der grundrechtsdogmatischen Konstruktion als auch hinsichtlich der Intensität des Schutzes im Vergleich zum übrigen Leben weit weniger Streitfragen ergeben, als dies am Lebensanfang der Fall ist. (a) Grundrechtsdogmatische Konstruktion Die Analyse der ersten Stufe hat gezeigt, dass der grundrechtliche Lebensschutz nur bis zum Todeseintritt reicht. Die Frage nach einer Ausnahmekonstruktion aufgrund etwaiger Nachwirkungen des Lebensschutzes stellt sich damit nicht700. In Parallele zu den entsprechenden Ansätzen am Beginn des Lebens könnte man erwägen, angesichts schwindender geistiger Fähigkeiten oder fehlenden Bewusstseins ebenfalls zwischen subjektiver Berechtigung und bloßem Zuordnungsobjekt einer objektiven Schutzverpflichtung zu differenzieren. Neben dem Umstand, dass ein solches Auseinanderfallen der Grundrechtsebenen bereits prinzipiell abzulehnen ist, tritt am Lebensende noch deutlicher zu Tage, dass hier präzise zwischen Grundrechtsfähigkeit und Grundrechtsmündigkeit zu unterscheiden ist. Unter die Grundrechtsfähigkeit fällt die Frage, ob und inwieweit jemand Grundrechtsträger sein kann701. Die Grundrechtsfähigkeit in diesem Sinne ist unabhängig vom Lebensalter702. Davon zu trennen ist die Frage, ob und inwieweit jemand seine Grundrechte (bezüglich derer er grundrechtsfähig ist) selbständig, gegebenenfalls auch gegenüber dem gesetzlichen Vertreter, ausüben kann. Dieser Problemkreis ist der Grundrechtsmündigkeit zuzuordnen703. Zur Grundrechtsträgerschaft geschäftsunfähiger oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkter Erwachsener äußert sich Rüfner. Wenn er formuliert, diese seien nicht in der Lage, ihre Grundrechte selbst gegen den Willen des gesetzlichen Vertreters 700 Maurer DÖV 1980 S. 14; Schachtschneider/Siebold DÖV 2000 S. 131; Schreiber in: FS-Remmers S. 599; Heun JZ 1996 S. 217. 701 Rüfner in: HdStR Band V § 116 Rn. 19; Hufen Rn. 30; Michael/Morlok Rn. 450; Detterbeck Rn. 440. 702 Rüfner in: HdStR Band V § 116 Rn. 20. 703 Rüfner in: HdStR Band V § 116 Rn. 19; Hufen Rn. 41; Michael/Morlok Rn. 452; Ipsen Staatsrecht II Rn. 80; Pieroth/Schlink Rn. 124.

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auszuüben704, so geht er angesichts des Ausdrucks „ihre Grundrechte“ offensichtlich von der Grundrechtsfähigkeit aus. Dagegen betrifft die Verneinung der möglichen Ausübung gegen den Willen des gesetzlichen Vertreters eindeutig die Grundrechtsmündigkeit705. Nach allem ist davon auszugehen, dass geborene Menschen unabhängig von ihren geistigen Fähigkeiten und ihrem Bewusstseinszustand bis zum Todeseintritt sowohl subjektiv als auch objektiv vom Schutzbereich des Art. 2 II GG erfasst sind. Eine Differenzierung ausgehend von der grundrechtsdogmatischen Konstruktion findet also nicht statt. (b) Intensität des Schutzes im Vergleich zum Rest des Lebens Hinsichtlich der inhaltlichen Intensität des einmal zugesprochenen Schutzes besteht soweit ersichtlich Konsens, dass das Lebensrecht keiner Differenzierung nach Lebensumständen, Geistes- und Gesundheitszustand, sozialer Wertigkeit und Nützlichkeit oder aufgrund von gesellschaftspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen und staatspolitischen Notwendigkeiten zugänglich ist706. Auch Horst Dreier stellt klar, dass er sein Konzept wachsenden Lebensschutzes keinesfalls spiegelbildlich auf das Lebensende übertragen will und er stattdessen von einem strikten Lebensrecht geborener Personen als unverrückbare Größe ausgeht707. Trotz der unbestrittenen Richtigkeit dieser Aussagen soll hier nicht bei der bloßen Feststellung stehen geblieben, sondern eine verfassungsrechtliche Begründung gefunden werden. Diese ergibt sich wiederum aus dem historischen Hintergrund der Einführung des Lebensgrundrechts in Deutschland sowie aus dessen Telos. Während sowohl die Stalinisten als auch die Nationalsozialisten versuchten, ihre Greueltaten über eine Differenzierung nach lebenswerter und lebensunwerter Existenz zu legitimieren, steht nunmehr der Mensch, und zwar undifferenziert jeder Mensch, am Anfang und im Mittelpunkt der Rechtsordnung708. Diese Festlegung auf das Individuum, die bei Art. 2 II GG ebenso intendiert war wie bei Art. 1 I GG, entspricht einer Rückbesinnung auf das eigentliche Ziel der Grundrechte. Dieses besteht in der Sicherung und Gewährleistung individueller Existenz in personaler Autonomie mit der Möglichkeit zur freien Selbstentfaltung709. Hinzukommt der bereits mehrfach herangezogene Sinn und Zweck des Lebensrechts. Dem Schutz vor externer Verfügbarkeit würde es diametral zuwiderlaufen, eine definitorische Abstufung nach Wertigkeit auf der Ebene des Rechtsguts 704

Rüfner in: HdStR Band V § 116 Rn. 27. Ebenso Hufen Rn. 41. 706 DGMR MedR 1986 S. 281; Dreier ZRP 2002 S. 382 f.; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 9 f., 17; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 8; Kaufmann JZ 1982 S. 482; Laber MedR 1990 S. 183. 707 Dreier ZRP 2002 S. 382 f. 708 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 9 f. 709 Hermes S. 197. 705

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vorzunehmen bzw. zuzulassen710. Dies entspricht auch dem Standpunkt des BVerfG zur einheitlichen Wertigkeit menschlichen Lebens711. (3) Zwischenergebnis zur zweiten Stufe Die auf der ersten Stufe angeklungene Tendenz eines extensiven Lebensschutzkonzepts auf der Rechtsgutsebene hat sich auf der zweiten Stufe bestätigt. Demnach gewährt Art. 2 II GG inhaltlich vollwertigen Schutz im Sinne einer subjektiven Berechtigung und einer objektiven Schutzrichtung von der Befruchtung bis zum Gesamthirntod. Das Grundgesetz geht mithin von der uneingeschränkten Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens zu jedem Zeitpunkt seiner Existenz aus. cc) Zum Befund der divergierenden verfassungsrechtlichen Wertungen an den Grenzen des Lebens Zum Abschluss der Schutzbereichsuntersuchung des Art. 2 II GG soll noch einmal der obige Befund zu den divergierenden Wertungen an Lebensanfang und Lebensende vertieft werden, welcher sich bei der Befassung mit der ersten Stufe ergeben hat. Hierfür werden sogleich die getroffenen Feststellungen noch einmal zusammengefasst. Anschließend gilt es eine Begründung zu finden. Diese ist primär im verfassungsrechtlichen bzw. allgemein im juristischen Bereich zu suchen. Schließlich werden potentielle Konsequenzen des Befundes dargestellt, die dessen Tragweite untermauern werden. (1) Problemaufriss Die parallele Befassung mit Beginn und Ende des rechtlichen Lebensschutzes nährte die Vermutung, den verfassungsrechtlichen Bewertungen am Lebensende liege ein anderer Lebensbegriff zugrunde als denjenigen am Lebensanfang. So haben die Auswertung des Meinungsstands im Schrifttum und die eigene Bearbeitung der Situation am Lebensanfang ergeben, dass Befruchtung und Nidation die einzig ernsthaft diskutablen Anknüpfungspunkte für das Einsetzen des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes sind. Beiden Standpunkten ist gemeinsam, dass sie ausschließlich auf die körperliche, individuelle, menschliche Existenz abstellen. Die Forderung nach Bewusstsein, bestimmten Fähigkeiten oder Personalität wird von Hoerster und Singer erhoben und vom Rest des Schrifttums aufgrund der verheerenden Konsequenzen zu Recht vehement zurückgewiesen. Am Lebensende hat sich dagegen gezeigt, dass allein diese Körperlichkeit nicht maßgeblich sein kann. Unabhängig davon, ob man nun auf den Herz-KreislaufAusfall oder den Gesamthirntod abstellt, erweisen sich bestimmte Fähigkeiten, Eigenschaften oder in letzterem Falle sogar das Bewusstsein und damit in starkem 710 711

Lorenz HdStR Band VI § 128 Rn. 8. BVerfGE 39, 67.

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Maße eine personale Komponente als entscheidende Kriterien für die Definition des Lebensbegriffs. Damit wird deutlich, dass die Definition des rechtlichen Lebensbegriffs an dessen Ende sich deutlich von den Wertungen am Lebensanfang, die unter anderem in der Rechtsprechung des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch zum Ausdruck kommen, unterscheidet. (2) Begründung des Befundes Es schließt sich somit die Frage an, wie diese unterschiedlichen Bewertungen zu erklären sind. Nach dem vorliegenden Befund sind die verfassungsrechtlichen Wertungen am Lebensende enger als diejenigen am Lebensanfang. Dies bedeutet: Die Anforderungen, die die Verfassung an das Vorliegen von menschlichem Leben im Sinne einer durch Art. 2 II GG schutzwürdigen Existenz stellt, sind am Lebensanfang niedriger als am Lebensende. Diese Unterscheidung bedarf der Legitimation. Ein zentrales Anliegen der vorliegenden Arbeit besteht in der Befassung mit Parallelen und Differenzen zwischen den beiden Grenzbereichen. Diese Arbeitsweise hat zu dem fraglichen Befund geführt und setzt sich jetzt darin fort, dass sich die Problemstellung auf die Frage zuspitzt, was den Lebensanfang vom Lebensende dergestalt unterscheidet, dass es gerechtfertigt erscheint, am Beginn des Lebens extensiveren Schutz zu gewähren. Denkbar wäre zunächst, auf die Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens abzustellen, welcher ein erhöhtes Schutzniveau entspricht. Allerdings hat die obige Analyse der Grenzbereiche in tatsächlicher Sicht ergeben, dass es sich sowohl beim Lebensanfang als auch beim Lebensende um spezifische Schwächesituationen handelt, die geprägt sind von eingeschränkten psychischen und physischen Fähigkeiten sowie durch eine erhöhte persönliche Isolation und daraus folgend fehlende soziale Erkennbarkeit. Die bloße Schutzbedürftigkeit liefert mithin keine befriedigende Begründung des vorliegenden Befundes. Daneben erscheint es zunächst plausibel, auf die Entwicklungsperspektive abzustellen. Diese ist für das ungeborene Leben gegeben, beim Sterbenden nicht. Die Lebenserwartung für sich genommen vermag allerdings ebenfalls eine Differenzierung nicht zu rechtfertigen. Es wurde soeben auf der zweiten Stufe des Lebensschutzes betont, dass jedwede Differenzierung nach sozialer Wertigkeit oder Nützlichkeit abzulehnen ist. Genau hierauf liefe der aufgeworfene Gedankengang aber hinaus. Zudem ist zu bedenken, dass auch sog. Todgeweihte, welche etwa in einem abstürzenden Flugzeug sitzen, nicht allein aufgrund der fehlenden Entwicklungsperspektive des rechtlichen Schutzes verlustig gehen. Eine solche Anknüpfung ist der Rechtsordnung fremd und somit ebenfalls abzulehnen. Abhilfe versprechen stattdessen zwei Gesichtspunkte, die bereits bei der zweistufigen Untersuchung der Reichweite des Lebensschutzes durch Art. 2 II GG eine zentrale Rolle spielten: Das Argument der Potentialität am Lebensanfang sowie dasjenige der Irreversibilität am Lebensende. Dieses Begriffspaar verdeutlicht das Funktionieren der Rechtsordnung als Anerkennung des Wirkens der Natur. Zu Beginn des Lebens wird Schutz gewährt, sobald das vorhandene Potential bei natürlicher Entwicklung zur Entfaltung kommen kann. In Parallele dazu endet der Schutz

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am Lebensende, wenn bei natürlicher Entwicklung das vorhandene Potential zu einem Ende gekommen ist. In diesem Fall hat die Natur eine Disposition getroffen, die der Mensch nicht mehr beeinflussen bzw. umkehren kann. Rechtlicher Schutz erfüllt nur dort seinen Zweck und hat somit nur dort eine Berechtigung, wo er ein Mindestmaß an Erfolg verspricht712. Dies ist beginnend mit vorliegender Potentialität und begrenzt durch den Eintritt von Irreversibilität der Fall. Am Lebensanfang muss der gewährte Schutz keinen Erfolg versprechen, die Möglichkeit besteht allerdings. Vor diesem Hintergrund sind die verfassungsrechtlichen Wertungen großzügig. Sofern die Natur nachfolgend doch noch negativ über das werdende Leben disponiert, endet der Schutz wieder. Dieses Wirken der Natur liegt nicht in der Hand des Menschen und ist auch nicht Schutzrichtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung. Wichtig ist allerdings, dass für die Zeit seiner Existenz Schutz zugunsten des Lebens gegenüber externer, nicht natürlicher Verfügbarkeit besteht. Denn was die Natur vornimmt, das ist dem Menschen noch lange nicht erlaubt713. Anders gestaltet sich die Situation am Lebensende. Ab dem Zeitpunkt der Irreversibilität kann der Schutz keinen Erfolg mehr bringen. Von Seiten Dritter könnte keine Verfügung mehr drohen, die die Natur nicht bereits getroffen hätte. Somit ergibt sich ein Fortfall des Schutzzwecks, womit auch die Gewährung rechtlichen Schutzes hinfällig wird. Streng genommen ist damit die Wertung selbst am Lebensende gar nicht enger als am Lebensanfang. Sie verläuft vielmehr parallel in Orientierung am Wirken der natürlichen Entwicklung. Dies erfolgt am Lebensanfang in positiver Hinsicht und am Lebensende in negativer Hinsicht mit dem Zielpunkt des Todes. Auseinander fallen letztlich nur die Kriterien, nicht die Wertung selbst. Diese Kriterien sind bloße Körperlichkeit am Lebensanfang sowie u. a. das Vorhandensein von Bewusstsein am Lebensende. Diese Divergenz überrascht nicht, da es sich rein tatsächlich um deutlich unterschiedliche Situationen handelt. Gemeinsam ist den Grenzbereichen, dass es sich in beiden Fällen um Phasen physischer Schwäche, psychischer Limitierung und sozialer Isolation handelt. Beide Male ist das betreffende Subjekt dem Wirken der Natur und dem Wirken Dritter potentiell ausgesetzt. Gegenüber dem Wirken der Natur kann der Staat nur sehr begrenzt tätig werden. Hinsichtlich des Wirkens Dritter ist der Staat dagegen gerade diesen Schutzbedürftigen gegenüber zum Schutz verpflichtet; letzteres allerdings auch nur solange und soweit der Schutz Erfolg verspricht. Ein weiteres wichtiges Begriffspaar ist mithin die natürliche Entwicklung gegenüber der externen Disposition. Ergänzend könnte als dritte Dimension noch die Selbstdisposition herangezogen werden, die allerdings, wie oben festgestellt, nicht vom Autonomiegehalt des Art. 2 II GG umfasst ist714. 712

Zu den rechtstheoretischen Grundlagen unterschiedlicher Begriffe der Normgeltung vgl. Röhl/Röhl § 37; Alexy Begriff und Geltung S. 139 ff.; Kelsen S. 215 ff. 713 Tobias S. 89. 714 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 32; Stern Staatsrecht IV / 1 S. 148 f. m.w.N; Schwabe JZ 1998 S. 69; Roellecke JZ 1991 S. 1046; Scholler DÖV 1967 S. 469 f.; Uhlenbruch

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(3) Potentielle Konsequenzen und deren Bewertung Der Grund dafür, dass dem hier untersuchten Befund besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde, liegt darin, dass auch er Ansatzpunkt für eine Abstufung im Lebensschutz sein kann. Unterschiedliche Bewertungen an einem der Grenzbereiche ziehen notwendig die Frage nach sich, ob in diesem Bereich stärkerer oder schwächerer Schutz als am anderen Extrem gewährt wird und ob dies Ausdruck dessen ist, dass der Rechtsordnung die Prämisse unterschiedlicher Wertigkeit des Rechtsguts Leben zugrunde liegt. Dieser Schritt ist jedoch aufgrund der vorliegenden Ergebnisse zu verneinen. Es hat sich gezeigt, dass die rechtlichen Bewertungen nicht zwangsläufig parallel verlaufen und nicht spiegelbildlich von Befunden am Lebensanfang auf das Lebensende geschlossen werden kann oder umgekehrt. Konkrete Abstufungen sind hingegen, wie die vorherige zweistufige Analyse ergeben hat, keine Frage des Rechtsguts, sondern sind möglicherweise die Konsequenz von Interessenkollisionen und eines daraus resultierenden Interessenausgleichs. Beides betrifft entweder die Ebene des Eingriffs mit dem Fokus auf eine konkrete Bedrohung oder die Ebene der Rechtfertigung als Auflösung eines konkreten Interessenkonflikts, nicht jedoch die abstrakte Definition des Rechtsguts. Sofern sich in diesen Bereichen Abstufungsmöglichkeiten ergeben sollten, erfordert dies eine differenzierte Befassung mit beiden Grenzbereichen. Ein spiegelbildlicher Schluss ist nicht möglich, geschweige denn zwingend715. e) Fazit zum verfassungsrechtlichen Lebensschutz nach Art. 2 II GG Die Untersuchung hat gezeigt, dass eine verfassungsrechtliche Analyse des Lebensgrundrechts mehr zu leisten vermag, als im Schrifttum gemeinhin angenommen wird. Besonders bedeutsam war hierbei die Orientierung am historischen Hintergrund der Einführung des Lebensgrundrechts sowie, damit eng verbunden, an dessen Sinn und Zweck. Hinsichtlich der hier zu bewertenden aktuellen Gefährdungslagen ist die Schutzpflichtdimension des Art. 2 II GG von primärer Relevanz. Diese wurzelt tatsächlich, wie vom BVerfG vertreten, in einem System der Grundrechte als objektiver Werteordnung. Dieses System gründet seinerseits auf einem staatstheoretischen Fundament. Haupt-Adressat der Schutzpflicht ist die Legislative, die zur Schaffung und Ausgestaltung einer lebensschützenden Rechtsordnung aufgerufen ist. Hierbei ist das Strafrecht ein denkbares und gleichzeitig das schärfste Werkzeug des Gesetzgebers. Bei der konkreten Erfüllung des Verfassungsauftrags kommt dem Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative zu. Die Erörterung der zeitlichen und qualitativen Ausdehnung des Lebensschutzes hat ergeben, dass von der vollen ZRP 1986 S. 214; Wilms/Jäger ZRP 1988 S. 42; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 50. 715 So auch Dreier ZRP 2002 S. 382 f. bzgl. Parallelen und Differenzen.

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Geltung des Art. 2 II GG angefangen mit der Befruchtung bis hin zum Eintritt des Gesamthirntodes auszugehen ist. Hierbei liegt dem Grundgesetz die Annahme einer undifferenzierten Wertigkeit des Rechtsguts Leben zugrunde. Ausdruck dessen ist es auch, dass das Leben während seiner gesamten Existenz sowohl im Sinne einer subjektiven Berechtigung wie auch als Zuordnungsobjekt einer objektiven Schutzverpflichtung vom Schutzbereich des Art. 2 II GG erfasst ist. Auf der Rechtsgutsebene hat sich keiner der denkbaren Ansatzpunkte für eine potentielle Abstufung des Lebensschutzes als einschlägig erwiesen. Hinsichtlich Parallelen und Differenzen zwischen Lebensanfang und Lebensende hat die verfassungsrechtliche Untersuchung divergierende Kriterien an den beiden Grenzbereichen zu Tage gefördert. Auch dieser Befund erwies sich allerdings nicht als Ansatzpunkt für eine Abstufung, sondern konnte damit begründet werden, dass die Anfangs- und Endpunkte des verfassungsrechtlichen Schutzes Ausdruck einer konsequenten Orientierung der Rechtsordnung am Wirken der Natur sind. Von sich möglicherweise ergebenden einschränkenden Wertungen im Bereich des Eingriffs oder der Rechtfertigung an einem Ende des Lebens kann somit nicht zwingend auf eine spiegelbildliche Wertung am anderen Ende geschlossen werden. 3. Verhältnis der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen von Menschenwürde und Lebensschutz Nachdem die isolierte Betrachtung der Schutzbereiche des Menschenwürdesatzes aus Art. 1 I GG sowie des Lebensschutzes aus Art. 2 II GG unter verschiedenen Blickwinkeln abgeschlossen wurde, schließt sich nun die Bearbeitung des Verhältnisses der beiden Verbürgungen an. Der enge Bezug zum und die besondere Bedeutung der Menschenwürde für den Lebensschutz werden im Schrifttum immer wieder betont716. Die Argumentation anhand der beiden Grundrechte erfolgt dabei allerdings oft uneinheitlich, was nicht zuletzt auf entsprechend missverständliche Formulierungen des BVerfG zurückgeht. So formuliert dieses etwa in der zweiten Schwangerschaftsabbruch-Entscheidung717, die staatliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens habe ihren Grund in Art. 1 I GG und werde hinsichtlich ihres Gegenstandes und ihres Maßes durch Art. 2 II GG konkretisiert718. Wie das Verhältnis der beiden Eingangsgrundrechte der Verfassung im Einzelnen ausgestaltet ist, bedarf der näheren Klärung und verdient somit im Folgenden besondere Aufmerksamkeit719. 716 Kunig JURA 1991 S. 415; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 4; Di Fabio in: Maunz/ Dürig Art. 2 II GG Rn. 11; Fink JURA 2000 S. 211; Picker in: FS-Flume S. 239. 717 BVerfGE 88, 203. 718 BVerfGE 88, 251; die Vermengung von Lebensschutz und Menschenwürde begegnet auch in BVerfGE 39, 42; 49, 132. 719 Auch Denninger KritVJ 2003 S. 203 akzentuiert die besondere Bedeutung dieses Arbeitsschrittes.

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a) Lösungsansätze im Schrifttum Wie bereits angeklungen betont das BVerfG die Wertigkeit beider Rechtsgüter und geht von einer engen Beziehung aus, ohne sich jedoch grundrechtsdogmatisch zum Verhältnis explizit festzulegen. Dementsprechend vielfältig sind die Erklärungsansätze im Schrifttum. Dabei geht es teilweise um das Verhältnis der Menschenwürde zu den nachfolgenden Freiheitsgrundrechten im Allgemeinen, an anderer Stelle speziell um das Verhältnis von Menschenwürde und Lebensrecht. aa) Das Dürigsche Wertesystem Pionierarbeit hinsichtlich der Bedeutung der Menschenwürde gegenüber den nachfolgenden Freiheitsgrundrechten hat Günter Dürig geleistet720. Er bezeichnete die Menschenwürde als Basis für ein ganzes Wertesystem721. Der Wert- und Achtungsanspruch, der jedem Einzelnen aus seiner Menschenwürde erwächst, wird formal in den Einzelgrundrechten aufgelöst und so konkretisiert722. Entsprechend nahm Dürig an, jedes Einzelgrundrecht enthalte einen unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenwürdekern723. bb) Menschenwürde als Fundament und Einzelgrundrechte als Konkretisierung – Gedanke der Wechselwirkung Dieses grundlegende Bild Dürigs von der Menschenwürde als Basis eines Wertesystems haben jüngere Stimmen im Schrifttum aufgegriffen und weiter ausgearbeitet. In Anknüpfung an eine Formulierung des BVerfG von der Menschenwürde als Wurzel der Grundrechte724 bezeichnen die Vertreter dieser Position Art. 1 I GG als Fundament der nachstehenden Einzelverbürgungen725. Als solches entfalte die Menschenwürde bei deren Auslegung eine Ausstrahlungswirkung726. Die Einzelgrundrechte seien ihrerseits eine Konkretisierung und situations- und entwicklungsbedingte Aktualisierung der Menschenwürde als eines an sich feststehenden Fixpunktes727. Häberle bewertet die inhaltliche Ausfüllung der Menschenwürde 720

Dürig AöR 1956 S. 117 ff. Dürig AöR 1956 S. 119. 722 Dürig AöR 1956 S. 121. 723 Dürig AöR 1956 S. 120 f.; neuerdings aufgegriffen von Schulz S. 55. 724 BVerfGE 93, 293. 725 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 11; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 77; Hofmann in: FS-Scholz S. 226; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 162; Stern Staatsrecht III / 1 § 58 S. 36; Kirchhof in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 19. 726 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 21; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 77; Hermes/Walter NJW 1993 S. 2339; Fink JURA 2000 S. 216; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 68. 727 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 57; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/ Kirchhof S. 69. 721

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zweistufig. Eine erste Eingrenzung erfolge mittels der Objektformel, eine weitere dann durch die speziellen Einzelgrundrechte728. Soweit bei der Auslegung nicht nur die Menschenwürde die Wirkkraft der Einzelgrundrechte verstärkt, sondern diese wiederum zur Konturierung der Menschenwürde beitragen, kann man von einer Wechselwirkung zwischen Art. 1 I GG und den Freiheitsgrundrechten bzw. dem Lebensrecht im Besonderen sprechen729. cc) Kongruenz der Gewährleistungen Eine weitere Position, die sich speziell mit dem Verhältnis von Art. 1 I und Art. 2 II GG befasst, knüpft ebenfalls an ein Zitat des BVerfG an. Aus der Wendung, das menschliche Leben sei die vitale Basis der Menschenwürde730, wird gefolgert, dass eine Tötung die Voraussetzungen jeglicher autonomer Entfaltung und Selbstzweckhaftigkeit entziehe731. Das Lebensrecht, das Art. 2 II GG gewährleistet, wird mithin auch als von Art. 1 I GG umfasst betrachtet732. dd) Entkoppelung Die Gegenposition zur soeben dargestellten Kongruenz spricht sich für eine weitestmögliche Separation der beiden Normen aus. Bildlich wird vom Erfordernis einer Entkoppelung gesprochen. Sowohl hinsichtlich des Schutzguts als auch bezüglich der Verletzungsmodalitäten sei klar zwischen Lebensrecht und Menschenwürde zu unterscheiden733. Begründet wird dies u. a. damit, dass die Regelungen unterschiedliche Ebenen menschlicher Existenz beträfen. Leben sei ein biologisches Faktum, Menschenwürde hingegen soziale Wertung734. Gerade im Zusammenhang mit dem Schutz des ungeborenen Lebens tendieren die Vertreter dieser Ansicht dazu, Lebensschutz nach Art. 2 II GG zuzusprechen, aber Würdeschutz nach Art. 1 I GG erst zu einem späteren Zeitpunkt, etwa der Geburt, anzusetzen735. ee) Durchgriffsgedanke Schließlich findet sich eine vermittelnde Position zwischen Gleichsetzung und vollkommener Loslösung. Nach dieser Ansicht stehen Lebens- und Würdeschutz 728

Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 58. Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 58. 730 BVerfGE 39, 41; 88, 252. 731 Starck JZ 2002 S. 1067. 732 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 17, 92; Starck JZ 2002 S. 1067; jedenfalls implizit auch Foth JR 2004 S. 369. 733 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 67. 734 Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 926; Tobias S. 77. 735 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 57 f.; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 70; Dreier DÖV 1995 S. 1037; Heun JZ 2002 S. 522. 729

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grundsätzlich selbständig nebeneinander736. Eine Tötung führe nicht zwingend zu einer Würdeverletzung737. Ebenso seien Würdeverletzungen möglich, die nicht in einer Tötung bestehen738. Hinsichtlich des Schutzes vor externer Verfügbarkeit sei insofern Art. 2 II GG aufgrund der höheren Konkretisierungsdichte primär heranzuziehen.739. Die Vertreter bejahen allerdings die Möglichkeit einer Tötung, die zugleich einen daneben gesondert festzustellenden Würdeverstoß darstellen kann740. Diesbezüglich wird zumeist allgemein formuliert, dass zur bloßen Lebensbeendigung qualifizierende Umstände hinzukommen müssten, die zum Vorliegen einer Würdeverletzung führen. Die Einordnung dieser qualifizierenden Umstände erfolgt unterschiedlich. Höfling spricht etwa von besonderen Begleitumständen der Eingriffshandlung741. Seine Einordnung des Art. 1 I GG als letzte Verteidigungslinie742 verdeutlicht, dass von einer hohen Eingriffsschwelle auszugehen ist. Für eine solche spricht sich auch Picker aus, wenn er formuliert, die wirksame Absicherung letzter, nicht mehr relativierbarer Schutzreservate verlange eine Begrenzung auf besonders qualifizierte Bereiche743. Ähnlich allgemein fordert auch Herdegen besondere Umstände, die zur Tötung hinzutreten müssten. Als Beispiele nennt er Selektion, positive Eugenik oder die Schwangerschaftsbeendigung ausschließlich zu Forschungszwecken744. Di Fabio stellt beispielhaft darauf ab, dass in der Tötungshandlung Verächtlichmachung, Geringschätzung oder Instrumentalisierung des konkreten Menschen zum Ausdruck kommen müssten745. Allgemeiner komme es auf die Zwecke und Ziele an, die ein Eingriff in das Leben verfolge, um die Tötungshandlung zugleich zu einem Würdeverstoß zu qualifizieren746. Diese qualifizierten Merkmale werden teilweise aus der unterschiedlichen Schutzrichtung von Lebensschutz und Menschenwürde hergeleitet. So gehe es bei Art. 1 I GG nicht um eine Einbuße an Gütern, sondern es sei vielmehr der Modus einer Handlung entscheidend747.

736 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 90; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 20. 737 Seelmann in: Maio/Just S. 157. 738 Schreiber MedR 2003 S. 370; Hörnle ARSP 2003 S. 321; Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 101; Denninger KritVJ 2003 S. 203. 739 Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 57; Höfling JuS 1995 S. 859; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 77; Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 102. 740 Höfling JuS 1995 S. 859; so ist wohl auch zu interpretieren Classen DVBL 2002 S. 144. 741 Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 60; ebenso Schreiber MedR 2003 S. 370. 742 Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 57; Höfling JuS 1995 S. 860. 743 Picker in: FS-Flume S. 241; Picker Menschenwürde und Menschenleben S. 134. 744 Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 105. 745 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 14. 746 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 15. 747 Hörnle ARSP 2003 S. 321.

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Entweder ausdrücklich oder anhand der genannten Beispiele wird deutlich, dass entsprechend dem hier vertretenen Standpunkt von einem hohen Eingriffsniveau hinsichtlich Art. 1 I GG auszugehen ist. Reduziert auf die Formel, dass eine Tötung unter qualifizierenden Modalitäten zu einem Menschenwürdeverstoß führen kann, wird die betreffende Position hier unter der Überschrift des Durchgriffsgedankens zusammengefasst. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass im konkreten Fall zu prüfen ist, ob eine Tötungshandlung neben der unschwer zu bejahenden Beeinträchtigung des Art. 2 II GG auch auf Art. 1 I GG „durchschlägt“. Dies hätte zur Folge, dass die entsprechende Handlung gemäß den divergierenden Schranken nicht zu rechtfertigen wäre. ff) Menschenwürde als absolute Schranken-Schranke bzw. Korrektiv Die letzte hier darzustellende Ansicht zum Verhältnis von Lebensschutz und Menschenwürde ist der soeben behandelten sehr ähnlich. Der Unterschied besteht darin, dass in grundrechtsdogmatischer Hinsicht eine präzisere Einordnung der Funktion der Menschenwürde bei Bewertung einer Tötungshandlung erfolgt. Art. 1 I GG wird dabei als Schranken-Schranke bei einem Eingriff in das Lebensrecht gesehen748. Noch detaillierter erarbeiten einige Autoren für die Prüfung einer Tötungshandlung folgenden Dreischritt749 : Das Rechtsgut Leben steht erstens unter ausdrücklichem Gesetzesvorbehalt. Darüber hinaus muss der vorgenommene Eingriff verhältnismäßig sein. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung bietet Platz für die fallbezogene Auflösung eines Interessenkonflikts, fungiert mithin als relative Schranken-Schranke. Auf einer dritten Ebene kommt dann die Menschenwürde zum Tragen. Wie bei der voranstehenden Auffassung wird sodann geprüft, ob besondere Umstände die Tötung zur gleichzeitigen Würdeverletzung qualifizieren. Im Rahmen des Art. 1 I GG ist kein Raum für einen Interessenausgleich; er dient also als absolute Schranken-Schranke. Dieser starren Funktion in letzter Instanz entsprechend ist die Bejahung eines Würdeverstoßes auch hier an hohe Anforderungen zu knüpfen. Lindner spricht angesichts dieser Bedeutung des Art. 1 I GG von dessen Doppelfunktion. Die Norm bilde einerseits eine eigenständige Grundrechtsgewährleistung und begrenze daneben die Einschränkbarkeit des Lebensrechts als Einzelgrundrecht750. Geddert-Steinacher stellt verstärkt auf den regulativen Charakter der Menschenwürde ab und macht diese Korrektivrolle auch an Entscheidungen des BVerfG fest751. So führte dieses in der ersten Schwangerschaftsabbruch-Entscheidung752 aus: 748 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 77; Lindner DÖV 2006 S. 585; Geddert-Steinacher S. 145; Schwarz KritVJ 2001 S. 196. 749 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 40; Lindner DÖV 2006 S. 585. 750 Lindner DÖV 2006 S. 585. 751 Geddert-Steinacher S. 149.

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„Bei Orientierung an Art. 1 muss die Entscheidung zugunsten des Vorranges des Lebensschutzes der Leibesfrucht vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren fallen“753. b) Bewertung des Meinungsstandes und eigener Ansatz Die Werteordnungskonstruktion Dürigs hat den Vorteil, dass sie die vor dem historischen Hintergrund der Einführung des Art. 1 I GG intendierte Betonung der Bedeutung des Individuums mittel der Vorstellung vom Menschenwürdekern auf die übrigen Grundrechte projiziert. Diese Bezugnahme auf das Individuum war ebenso bei Art. 2 II GG beabsichtigt und entspricht im Übrigen der grundlegenden Bedeutung der Grundrechte überhaupt754. Ein weiterer Vorteil besteht in der Betonung der Menschenwürde als Fixpunkt in einem ansonsten relativistischen Verfassungsgefüge755. Problematisch ist hingegen die explizite Ableitung der Einzelgrundrechte aus der Menschenwürde selbst. Diese Vorstellung wird der eigenständigen Bedeutung der Art. 2 ff. GG nicht hinreichend gerecht und findet in der Verfassungsauslegung keine verbindliche Stütze756. Die Tragweite des Wortes „darum“ in Art. 1 II GG würde überspannt, wollte man das Werteordnungskonzept allein darauf stützen. Zudem ließe sich nicht erklären, dass viele Einzelgrundrechte bereits auf eine lange Verfassungstradition zurückblicken, wohingegen Art. 1 I GG erst im Grundgesetz an exponierter Stelle eingeführt wurde757. Hinzu kommt der Umstand, dass die Vorstellung eines Menschenwürdekerns in höchstem Maße unbestimmt ist. Herrscht bereits keine Einigkeit über den Gehalt der Menschenwürde als solcher, käme hier das Problem hinzu, wie weit der Menschenwürdekern eines Grundrechts reicht. Dieser wäre wohl für jedes Grundrecht gesondert zu bestimmen und würde zu einer erhöhten Rechtsunsicherheit und Wertungsgebundenheit führen, für die im Rahmen des Art. 1 I GG gerade kein Raum sein sollte758. Dem Werteordnungsdenken ist mithin zugute zu halten, dass die Sonderstellung von Art. 1 I GG erkannt und überhaupt versucht wurde, die Beziehung zu den Einzelgrundrechten aufzuklären. In letzter Konsequenz, namentlich in der Deduktion der Einzelgrundrechte aus der Menschenwürde, kann diesem Ansatz jedoch nicht gefolgt werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Ansatz von der Menschenwürde als Fundamentalnorm mit Ausstrahlungswirkung und den Einzelgrundrechten als Konkreti752 753 754 755 756 757 758

BVerfGE 39, 1 ff. BVerfGE 39, 42 f. Hermes S. 197. Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 18. Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 19. Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 164. In dieser Richtung auch Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 164.

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sierung. Begrüßenswert ist die Einräumung einer Sonderfunktion des Art. 1 I GG. Seine systematische Stellung eingangs der Verfassung sowie die Wendung von den nachfolgenden Grundrechten in Art. 1 III GG legen das Bild vom Fundament nahe. Nicht zu bestreiten ist auch, dass die Menschenwürde in irgendeiner Form in die Anwendung der Einzelgrundrechte hineinspielt. Dies könnte tatsächlich als eine Art Ausstrahlungswirkung bezeichnet werden. Aufzugreifen ist schließlich auch die Wechselwirkung. So ist im Rahmen der Normenhierarchie davon auszugehen, dass vertikale Einflussnahme nicht nur von oben nach unten, vom Allgemeinen auf das Spezielle, sondern auch in entgegengesetzter Wirkrichtung erfolgt. Es erscheint plausibel, dass die Menschenwürde aufgrund ihrer Unbestimmtheit der Konkretisierung mittels spezieller Freiheitsgrundrechte bedarf, welche als primärer Prüfungsmaßstab heranzuziehen sind. In grundrechtsdogmatischer Hinsicht ist allerdings auch dieser Ansatz nicht weiter ertragreich. Die Vorstellung, die Einzelgrundrechte seien im Lichte der Menschenwürde auszulegen, liefert keine Verlässlichkeit für den konkreten Anwendungsfall, die über die kaum bestrittene Erkenntnis hinausginge, dass ein irgendwie geartetes Verhältnis zwischen Art. 1 I GG und den Art. 2 ff. GG besteht. Aufmerksamkeit verdient ferner der Ansatz von der (teilweisen) Kongruenz der Schutzgüter, der Vorstellung also, Art. 1 I GG umfasse auch den Lebensschutz. In diesem Kontext ist zunächst anzumerken, dass einige Vertreter, die eine enge Beziehung der beiden Normen postulieren, offenbar falsch eingeordnet werden und ihnen eine Gleichsetzung unterstellt wird759. Sofern jedoch tatsächlich der Standpunkt bezogen wird, die Tötung entziehe die unverzichtbare Basis der Menschenwürde und stelle somit stets auch einen Eingriff in Art. 1 I GG dar, so ist dies abzulehnen. Unter dieser Prämisse hätte Art. 2 II GG keine eigenständige Bedeutung und könnte allenfalls deklaratorischen Charakter beanspruchen. Dies wird dem differenzierten Regelungssystem des Lebensgrundrechts nicht gerecht. Außerdem würde die Schranke in Gestalt des Gesetzesvorbehalts allenfalls für körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit gelten. Eine Sonderstellung des Lebensrechts gegenüber den beiden anderen Garantien ist jedoch nicht ersichtlich. Bei konsequenter Subsumtion unter Art. 1 I GG wäre Leben nicht nur als Rechtsgut, sondern auch hinsichtlich der Einschränkungsmöglichkeiten absolut gestellt. Ein anderes Ergebnis ließe sich nur erzielen, wenn man von Beschränkungsmöglichkeiten der Menschenwürde selbst ausginge. Die Intention der Gleichsetzung mag darin bestehen, den Lebensschutz mittels Art. 1 I GG zu verstärken und dessen Bedeutung besonders zu akzentuieren760. Die Konsequenzen entsprechen allerdings nicht der Rechtspraxis und der Judikatur des BVerfG. Dass man, um von der Rechtsordnung vorgesehene gerechtfertigte Tö759

So zitiert Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 67 Fn. 203 einen Beitrag von Picker in: FSFlume S. 155 ff. als Gegenbeispiel für eine vorzunehmende Trennung der Gewährleistungen, obgleich dieser sich differenziert mit deren Verhältnis und Zusammenspiel auseinandersetzt. 760 Steiner S. 12.

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tungen wie Notwehrhandlungen oder den finalen Rettungsschuss zu legitimieren, Einschränkungen bei Art. 1 I GG machen müsste, eröffnet mehr Gefahren, als dass diese Konstruktion dem stärkeren Grundrechtsschutz dienlich wäre. Vor diesem Hintergrund ist grundlegend von einer getrennten Beurteilung einer Verletzung von Art. 2 II GG und Art. 1 I GG auszugehen. Fraglich ist wie weit diese Trennung reicht. Zahlreiche Vertreter im Schrifttum sprechen sich für eine Entkoppelung aus761. Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Oftmals wird nicht ausreichend nach den verfassungsrechtlich relevanten Ebenen unterschieden. Zuzustimmen ist diesem Ansatz insofern, als eine Verletzung des Lebensrechts nicht mit einer Verletzung der Menschenwürde gleichgesetzt werden darf. Dies betrifft die Bewertung des Eingriffs und ist vorbehaltlich der zuvor dargestellten Position unbestritten. Die Anhänger des Entkoppelungsmodells gehen allerdings weiter und sprechen etwa in der frühen menschlichen Entwicklung Lebensschutz nach Art. 2 II GG zu, verneinen jedoch den Würdeschutz nach Art. 1 I GG. Es handelt sich also um eine Differenzierung auf der Ebene des Schutzbereichs. Aus den Ausführungen der betreffenden Autoren ist herauszulesen, dass eine derart interpretierte Entkoppelung in erster Linie pragmatische Gründe hat, womit Probleme vermieden werden sollen, die sich aus dem Absolutheitsanspruch der Menschenwürde ergeben762. Teilweise, etwa bei Schmidt-Jortzig, wird dies auf ein von dem hier vertretenen abweichendes Würdeverständnis zurückgeführt. So geht dieser davon aus, Menschenwürde sei eine soziale Wertung763. Dem ist insofern beizupflichten, als auch hier ein wertgeprägtes Würdekonzept favorisiert wird. Dieser Wert jedoch findet zwar seinen Widerhall, nicht aber seine Konstitution in einem sozialen Zuschreibungsprozess. Wie bereits oben herausgearbeitet wurde, wird hier von einem Gleichlauf der personalen Trägerschaft hinsichtlich beider Garantien ausgegangen. Noch einmal sei betont, dass damit nicht im Sinne einer Gleichsetzung von Art. 1 I und Art. 2 II GG Position bezogen werden soll. Die Bejahung des Lebensschutzes und die Verneinung von Würdeschutz widerspricht dem Postulat des BVerfG, Menschenwürde komme allem menschlichen Leben um seiner selbst willen zu. Angesichts der hohen Wertigkeit der tangierten Rechtsgüter kann Pragmatismus nicht das Leitmotiv der Verfassungsinterpretation sein. Eine derartige Versagung des Würdeschutzes per definitionem widerstrebt dem Schutzzweck der Verbürgung764. Kloepfer weist zu Recht darauf hin, dass die Gegenansicht die Frage personaler Trägerschaft in un-

761 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 67; Dreier DÖV 1995 S. 1037; Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 926; Heun JZ 2002 S. 518. 762 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 70; Dreier DÖV 1995 S. 1037. 763 Schmidt-Jortzig DÖV 2001 S. 931. 764 Fink JURA 2000 S. 216 geht für diesen Fall gar von einem Menschenwürdeverstoß aus.

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zulässiger Weise mit derjenigen nach Vorliegen einer konkreten Verletzungshandlung, dem Eingriff, vermengt765. Es verbleiben noch zwei zu bewertende Positionen, die sich inhaltlich recht ähnlich sind. Durchaus plausibel erscheint es, eine Grundrechtsprüfung aufgrund der höheren Konkretisierungsdichte anhand des speziellen Einzelgrundrechts zu beginnen766, hier konkret dem Lebensrecht aus Art. 2 II GG. Dann stellt sich die Frage, ob qualifizierte Umstände gegeben sind, die dazu führen, dass eine Lebensverletzung in eine Menschenwürdeverletzung durchschlägt (Durchgriffsgedanke). Sofern man zu dieser Annahme käme, wären diese Umstände näher zu bestimmen. Alternativ fragt sich, ob der Menschenwürde bei Beschränkung des Lebensrechts Bedeutung als absolute Schranken-Schranke zukommt. Bei Anwendung des Art. 2 II GG müsste zunächst der Schutzbereich eröffnet sein. Es müsste also menschliches Leben vorliegen. Der Eingriff bestünde in einer Tötungshandlung, die das Leben beendet. Zu rechtfertigen ist dieser Eingriff entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in Art. 2 II 3 GG auf Grund eines Gesetzes. Geht man einmal abstrakt vom Vorliegen eines solchen Gesetzes aus, muss der Eingriff weiterhin verhältnismäßig sein. Als legitimer Zweck sei exemplarisch medizinischer Fortschritt oder die Rettung einer Vielzahl von Menschenleben angenommen. Es lassen sich Fälle bilden, in denen auch Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tötung eines Einzelnen zu diesem Zweck zu bejahen wären. Es stellt sich schließlich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, der Angemessenheit. Hierbei muss der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu Gewicht und Bedeutung des Grundrechts (hier also des Lebens) stehen. Die Belastung des Einzelnen (sein Tod) muss angesichts der Vorteile der Allgemeinheit (medizinischer Fortschritt etc.) angemessen erscheinen767. Auf diese Weise würde eine Prüfung am Maßstab des Art. 2 II GG verlaufen. Nimmt man nun die qualifizierenden Umstände in den Blick, so zeigt sich rasch, dass die Problemfälle gar nicht diejenigen Konstellationen sind, in denen aus einem Art. 2 II GG-Verstoß auch ein Art. 1 I GG-Verstoß wird. In den allermeisten Fällen würde hier nämlich bereits die Güterabwägung bei Art. 2 II GG zugunsten des Lebensrechts ausfallen. Beispielhaft sei die automatisierte Tötung in Vernichtungslagern genannt. Hier kommen zur bloßen Lebensbeendigung tatsächlich im Bereich der Motivation und Tatumstände qualifizierende Umstände hinzu, die zu einer Verletzung von Art. 1 I GG führen. Dies ist allerdings insofern nicht von entscheidender Bedeutung, als bereits der Eingriff in Art. 2 II GG selbst nicht gerechtfertigt wäre. Interessant wird damit das Schranken-Schranken-Konzept. Entsprechend obiger Prüfung ausschließlich anhand von Art. 2 II GG wäre es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass eine quantitative Verrechnung von Menschenleben oder eine 765

Kloepfer JZ 2002 S. 420. Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 57; Höfling JuS 1995 S. 859; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 77. 767 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 20 GG Rn. 74. 766

I. Begründung und Reichweite von Menschenwürde und Lebensschutz

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qualitative Zuordnung stattfindet. Wollte man das Lebensrecht wie jedes andere Freiheitsrecht auch in eine Abwägung mit Gemeinschaftsinteressen einstellen, so wären isoliert betrachtet durchaus besonders hochstehende, überwiegende Allgemeininteressen denkbar, die über Notwehrkonstellationen und ähnliche Fälle hinausgehen. Allein der Telos des Lebensrechts vermag dies nicht auszuschließen, signalisiert doch der Gesetzesvorbehalt gerade, dass eine externe Verfügung ausnahmsweise möglich ist. An dieser Stelle kommt dann die Menschenwürde in ihrer Funktion als Schranken-Schranke, als Korrektiv in Grenzsituationen ins Spiel. Um eine solche Grenzsituation handelt es sich zweifelsohne, wenn man bereits die Angemessenheit einer Tötungshandlung grundsätzlich bejaht hat. Mit der besonderen Betonung des Eigenwerts des konkreten Individuums, ohne Abwägungsmöglichkeit, verstärkt Art. 1 I GG dann das Gewicht des einzelnen Lebens. Aus der Abwägungsresistenz der Menschenwürde ergibt sich eine hohe Eingriffsschwelle. Sie dient auch in ihrer Rolle als Abwägungskorrektiv der Sicherung elementarer, unverbrüchlicher Mindeststandards. Es ist somit nicht ausschließlich dem Telos des Art. 2 II GG sondern auch dem Einfluss von Art. 1 I GG geschuldet, dass das menschliche Leben quantitativ nicht verrechnet, qualitativ nicht abgestuft und nicht per definitionem dem Wirken der Verfassung entzogen werden darf. Die Relevanz der Menschenwürde besteht hier in der Einschränkung der Beschränkungsmöglichkeiten von Art. 2 II GG. Dieser enge Zusammenhang der beiden Normen folgt aus dem identischen historischen Hintergrund ihrer Einführung im Grundgesetz sowie aus der damit verbundenen Intention der Betonung des Eigenwerts individueller Existenz. Damit ist Art. 1 I GG tatsächlich eine Doppelrolle zuzuschreiben768. Diese besteht einmal in der Funktion als eigenständiges Grundrecht, dem insbesondere Bedeutung zukommt in Fällen, in denen kein anderes Grundrecht verletzt ist. Solche Konstellationen sind entgegen anders lautenden Stimmen im Schrifttum durchaus möglich769, etwa in den klassischen Beispielen von (staatlicher) Erniedrigung. Daneben bleiben Fälle, in denen sowohl eine Verletzung des Lebensrechts als auch eine solche der Menschenwürde gegeben ist. Letztere ist gesondert festzustellen und knüpft dem oben als Durchgriffsgedanken bezeichneten Ansatz entsprechend an besondere Handlungsmodalitäten an, die die bloße Lebensbeendigung daneben auch zur Würdeverletzung machen. Solche qualifizierenden Umstände sind anzunehmen, wenn die Tötungshandlung entweder unter quantitativen oder unter qualitativen Aspekten über die reine Lebensbeendigung hinausgeht. Quantität betrifft eine undifferenzierte, massenhafte Tötung, die die Bewertung der individuellen Situation der Betroffenen nicht reflektiert und diese anonymisiert. Erfasst werden hiervon die oben angesprochenen systematischen Tötungen in Vernichtungslagern.

768 769

Lindner DÖV 2006 S. 585. Steiner S. 13.

142

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Das Adjektiv qualitativ betrifft die Motive und Modalitäten der konkreten Tötungshandlung770. Hierbei ist ein Menschenwürdeverstoß anzunehmen, wenn die eigentliche Tötungshandlung mit besonders erniedrigenden Umständen verbunden ist, die weiter reichen, als dies für die Tötung als solche erforderlich wäre, und somit das Opfer noch im Sterbeprozess in besonderem Maße belasten. Daneben können auch Ziele, wie etwa eine durch Geschlecht oder Rasse motivierte Selektion, die Menschenwürdewidrigkeit einer Tötungshandlung begründen771. In der Prüfungsstruktur ist hinsichtlich dieser ersten Funktion der Menschenwürde als eigenständiges Grundrecht die Ebene des Eingriffs von besonderer Bedeutung und differenziert gegenüber einem Eingriff in Art. 2 II GG zu bewerten. Daneben fungiert die Menschenwürde nachfolgend zur Verhältnismäßigkeitsprüfung als relativer Schranken-Schranke speziell beim Lebensgrundrecht aus Art. 2 II GG als absolute Schranken-Schranke, die die grundsätzlich gegebene Einschränkungsmöglichkeit des Lebensrechts in bestimmten Fällen begrenzt772. Dass es sich dabei um einen schmalen Anwendungsbereich handelt, ergibt sich sowohl aus dem Umstand, dass bereits eine mehrstufige Grundrechtsprüfung an Art. 2 II GG voransteht, als auch aus dem restriktiv zu interpretierenden Charakter von Art. 1 I GG selbst. Im Falle dieser zweiten Funktion der Menschenwürde entfaltet diese ihre Wirkung auf der Ebene der Rechtfertigung eines zuvor bejahten Eingriffs in das Lebensrecht. In welchen Fallkonstellationen die Menschenwürde möglicherweise als ausschlaggebendes Korrektiv zum Tragen kommt, soll im Anschluss anhand einiger konkreter Gefährdungslagen auf der Ebene des Eingriffs und anschließend bei deren möglicher Rechtfertigung näher bestimmt werden.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff) Mit Abschluss der Bearbeitung des Schutzbereichs sind hinsichtlich der hier interessierenden Rechtsgüter Leben und Menschenwürde die Grundlagen gelegt, um nun zur Bewertung konkreter Gefährdungslagen an den Grenzbereichen des Lebens überzugehen. Im Rahmen der Grundrechtsprüfung entspricht dies der Ebene des Eingriffs. Einführend ist eine allgemeine Vorklärung zum Eingriffsbegriff erforderlich. Dem schließt sich sodann die verfassungsrechtliche Bewertung konkreter Problemfelder an. Inhaltlich wird es dabei sowohl um die Frage gehen, ob ein bestimmtes Verhalten das Lebensrecht und/oder die Menschenwürde verletzt, als auch 770 So auch Neumann ARSP Beiheft 33 S. 149; Höfling in: Maio/Just S. 147; Denninger KritJ 1992 S. 285. 771 Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 102. 772 Vom grundrechtsdogmatischen Ansatz her ähnlich Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 1 GG Rn. 77; Lindner DÖV 2006 S. 585; Geddert-Steinacher S. 145; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 40.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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darum, welche der dargestellten Grundrechtsdimensionen dabei betroffen sind. Diese zweistufige Festlegung trifft eine bedeutsame Weichenstellung für die letzte und entscheidende Ebene der verfassungsrechtlichen Prüfung, für die potentielle Rechtfertigung einer Verletzungshandlung. 1. Grundrechtsdogmatische Vorklärung Prägnant reduziert handelt es sich bei einem Grundrechtseingriff um die rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Rechtsguts oder Verhaltens773. Sofern diese Rechtfertigung nicht gelingt, spricht man von einer Grundrechtsverletzung774. Zur Bewertung einer möglichen Beeinträchtigung ist zunächst nach deren Verursacher zu differenzieren775. Sie kann entweder unmittelbar vom Staat ausgehen oder von Seiten privater Dritter erfolgen. Je nach Verursacher sind dann unterschiedliche Grundrechtsdimensionen tangiert. a) Staatlicher Eingriff Im primären Verhältnis von Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsverpflichtung stehen sich der Staat und der Bürger gegenüber. Der Normalfall einer grundrechtlichen Beeinträchtigung geht vom Staat als Verursacher aus776. Nach dem sog. klassischen Eingriffsbegriff ist diese staatliche Beeinträchtigung durch vier Merkmale gekennzeichnet777. Das staatliche Handeln erfolgt erstens final. Das ausführende Staatsorgan will also gerade ein Grundrecht beschränken778. Daneben muss auf das fragliche Grundrecht unmittelbar eingewirkt werden779. Nach dem klassischen Eingriffsbegriff bedarf das Staatshandeln außerdem der Form eines Rechtsakts. Gegenüber rein tatsächlichem Staatshandeln, sog. Realakten, wird demnach kein Grundrechtsschutz gewährt780. Schließlich erfordert dieser sehr restriktive Eingriffsbegriff die Durchsetzbarkeit mittels Zwangs und Befehls. Damit wird der Eingriff auf einseitig-hoheitliche Akte begrenzt, konsensuale Regelungen werden ausgeklammert781. Entsprechend der besonderen Betonung der Bedeutung des Individuums auf der Schutzbereichsebene wurde auch der Begriff des Eingriffs nach Einführung des Grundgesetzes ausgeweitet. Es wird seitdem anerkannt, dass es für das Individuum 773 774 775 776 777 778 779 780 781

Sachs JuS 1995 S. 304. Hufen S. 107 Rn. 4. Hofmann in: FS-Scholz S. 248 f. Sachs JuS 1995 S. 303; Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 26. Hufen S. 107 f. Rn. 5; Sachs JuS 1995 S. 303; Bleckmann Staatsrecht II S. 270. Bleckmann S. 231. Bleckmann S. 231. Bleckmann S. 231. Bleckmann S. 232.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

weniger auf die Form staatlichen Handelns, als vielmehr auf dessen Wirkung ankommt782. Umfasst sind damit auch mittelbare und rein faktische Beeinträchtigungen783, entscheidend ist allein die Zurechenbarkeit der Belastung zu einer öffentlichen Handlung (Kausalität). Zur Feststellung dieses Kausalitätserfordernisses kommt nicht die Äquivalenz (Gleichwertigkeit) aller Ursachen, sondern die Adäquanztheorie (Angemessenheit) zum Tragen784. Konsequenz einer jeden dem Staat zurechenbaren Grundrechtsbeeinträchtigung ist die Betroffenheit der Abwehrdimension der Grundrechte. Dies betrifft die ursprüngliche Bedeutung der Grundrechte im Sinne eines status negativus785. b) Privater Eingriff Beeinträchtigungen eines grundrechtlich geschützten Rechtsguts oder Verhaltens können nicht nur vom Staat ausgehen. Rechtsgüter wie das Leben oder die körperliche Unversehrtheit können ebenso durch private Dritte beeinträchtigt werden786. Private stehen sich grundsätzlich im Verhältnis der Gleichordnung gegenüber und sind einander unmittelbar weder grundrechtsberechtigt noch -verpflichtet787. Eine absolute Ausnahme bildet insofern Art. 1 I GG. Bei Annahme unmittelbarer Drittwirkung aufgrund der besonderen Bedeutung der Menschenwürde wäre ein Grundrechtseingriff direkt unter Privaten denkbar788. Grundrechtsdogmatisch bildet diese Direktanwendung eine eigene Grundrechtsdimension, die neben die an den Staat gerichteten Wirkrichtungen von Abwehrcharakter und Schutzpflicht tritt. Hinsichtlich aller übrigen Freiheitsgrundrechte ist eine solche Direktwirkung zu verneinen789. Die private Beeinträchtigung besitzt also keine unmittelbare Grundrechtsrelevanz790. Konsequenz einer Beeinträchtigung von Seiten privater Dritter ist allerdings die Aktualisierung der staatlichen Schutzpflicht791. Grundrechtlich zum Tätigwerden verpflichtet ist somit erneut, trotz des Handelns Privater, der Staat. Bleibt dieser trotz bestehender Schutzpflicht untätig, liegt in jedem Fall eine 782

Hufen S. 111 Rn. 11; Bleckmann S. 233. Bleckmann S. 233; Bleckmann Staatsrecht II S. 273; Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 29. 784 Hufen S. 111 Rn. 11. 785 Epping Rn. 14; Pieroth/Schlink Rn. 57 f.; Voss DRiZ 1997 S. 509; Ipsen DVBL 2004 S. 1382; Gramm/Pieper S. 68; Manssen Rn. 44; Sachs in: HdGR § 39 Rn. 1. 786 Haltern/Viellechner JuS 2002 S. 1199; Hermes S. 6. 787 Klein NJW 1989 S. 1633. 788 Schmidt-Glaeser ZRP 2000 S. 397; von Münch JuS 1997 S. 250; Pap MedR 1986 S. 231; Aubel Die Verwaltung 2004 S. 239; Aubel JURA 2004 S. 258 f.; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 174. 789 Katz Rn. 607; Sodan/Ziekow § 22 Rn. 17; Bultmann S. 184 f.; Gramm/Pieper S. 68. 790 Jarass AöR 1995 S. 363; Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 24. 791 Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 51. 783

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

145

Grundrechtsbeeinträchtigung vor792. Im Übrigen ist zu prüfen, ob der Staat seiner aus dem betroffenen Grundrecht abzuleitenden Schutzpflicht gerecht geworden ist und so dem Schutz des betreffenden Rechtsguts genüge getan hat793. Bei Erfüllung der ihm obliegenden Schutzpflicht kommt dem Staat ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zu794. Im Rahmen dieser Einschätzung ist regelmäßig Raum für die Zuordnung kollidierender Rechtsgüter795. Deshalb soll die verbindliche Festlegung bezüglich hinreichender Erfüllung der Schutzpflicht hier auf der Ebene der Rechtfertigung erfolgen, die klassischerweise die Auflösung von Interessenkollisionen zum Gegenstand hat. Sofern die Überprüfung eine Schutzpflichtverletzung ergäbe, läge darin eine nicht gerechtfertigte Grundrechtsbeeinträchtigung und damit eine Verletzung des betreffenden Grundrechts796. c) Zwischenergebnis Es hat sich somit gezeigt, dass auch an dieser Stelle wieder ein zweistufiges Vorgehen hilfreich ist. Im ersten Schritt ist festzustellen, ob ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut durch ein bestimmtes Verhalten beeinträchtigt wird. Je nach handelndem Subjekt kann dann in einem zweiten Schritt ergänzt werden, welche Grundrechtsdimension betroffen ist und welche Anforderungen sich damit für die abschließende Ebene der Rechtfertigung ergeben. 2. Gefährdungslagen am Anfang des Lebens Im Anschluss an die dogmatische Grundlegung zu möglichen Eingriffskonstellationen sollen nun zwei konkrete Gefährdungslagen am Beginn des Lebens verfassungsrechtlich auf ihren Eingriffscharakter hin bewertet werden. Dabei wird unterschieden zwischen Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo und in vitro. Der erstgenannte Untersuchungsgegenstand umfasst pränidative Maßnahmen sowie den Schwangerschaftsabbruch im Sinne des StGB, also Einwirkungen zwischen Nidation und Geburtsbeginn. Dieser Eingriff ist Gegenstand des grundlegendsten und am längsten währenden Konflikts bezüglich der Bedeutung frühen Lebens. Einfachgesetzliche Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs waren bereits zweimal Gegenstand von Entscheidungen des BVerfG797. Rund um diese hat sich ein breiter Meinungskampf im Schrifttum entwickelt, welcher im Rahmen der 792

Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 32. Hufen S. 112 Rn. 13; Jarass AöR 1995 S. 363; Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 32. 794 BVerfGE 46, 164; 56, 80 ff.; 79, 202; 85, 212; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 209, 214; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 92; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 2 GG Rn. 50; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41. 795 Hermes S. 199 ff.; Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 89; Kloepfer JZ 2002 S. 422. 796 Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 94. 797 BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. 793

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

vorliegenden Ausführungen zu den Rechtsgütern immer wieder angesprochen wurde. Die Analyse von Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vitro erfolgt am Beispiel embryonaler Stammzellforschung. Hinsichtlich deren rechtlicher, ethischer und moralischer Zulässigkeit ist in der Wissenschaft eine nicht minder umfangreiche Kontroverse entstanden. Neben der allgemeinen Konfliktlage des Schwangerschaftsabbruchs verdient diese Konstellation Aufmerksamkeit, da es sich um ein sehr spezielles und zugleich noch in der Entwicklung befindliches Feld handelt. Diese Entwicklung betrifft dabei sowohl die technischen Möglichkeiten, welche hier nur in Grundzügen dargestellt werden können, als auch deren hier primär interessierende (verfassungs-)rechtliche Bewertung. Im Zuge dessen wird auch ein Vergleich der rechtlichen Wertungen hinsichtlich des Lebens in natürlicher Entwicklung und desjenigen aus künstlicher Befruchtung ermöglicht. Trotz oder gerade aufgrund der Vielzahl an betreffenden Publikationen fällt auf der Ebene des Eingriffs der bisher stets praktizierte Überblick über den Meinungsstand schwer. Dies ist in erster Linie dem Umstand geschuldet, dass eine hier vorgenommene differenzierte Bewertung nach Rechtsgut, Verletzungshandlung und Auflösung der zugrunde liegenden Interessenkollision kaum erfolgt798. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern der widerstreitenden Positionen sind verhärtet. Diejenigen, die das ungeborene oder jedenfalls pränidative Leben bereits auf der Rechtsgutsebene vom Schutz durch Art. 1 I GG und Art. 2 II GG ausnehmen, kommen konsequenterweise nicht mehr zur Prüfung, ob ein bestimmtes Verhalten die betreffenden Rechtsgüter verletzt. Ein gebräuchliches Argument auf der Ebene des Schutzbereichs ist die Aussage, dass das BVerfG bei der Anerkennung der Verfassungsmäßigkeit des deutschen Abtreibungsstrafrechts offensichtlich davon ausgehe, dass das frühe Leben nicht vom Schutz des Art. 1 I GG oder Art. 2 II GG erfasst bzw. dieser Schutz nicht vollwertig sei799. Weitestgehend ausgeblendet wird dabei die Möglichkeit, dass ein Rechtsgut vom grundrechtlichen Schutz erfasst ist, aber ein bestimmtes Verhalten keinen Eingriff in diesen Schutzbereich darstellt. Diejenigen Vertreter, die das ungeborene Leben als vom Schutzbereich der Art. 1 I GG und Art. 2 II GG umfasst betrachten, gehen zumeist ohne differenzierte Befassung mit dem Vorliegen eines Eingriffs auch von der Verletzung der entsprechenden Grundrechte aus. Gegenstand einer intensiveren Untersuchung sind allenfalls kollidierende Rechtsgüter auf der Ebene der Rechtfertigung. Dabei geht es dann zumeist um Abstufungsmöglichkeiten hinsichtlich Lebensrecht und Menschenwürde. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Diskussion auf den Ebenen von Schutzbereich und Rechtfertigung sehr intensiv geführt wird. Eine 798

Knapp aber explizit mit dem konkreten Eingriff befassen sich etwa Schreiber MedR 2003 S. 371; Denninger KritVJ 2003 S. 207 f.; Starck JZ 2002 S. 1071 f.; Haltern/Viellechner JuS 2002 S. 1202; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 172. 799 So etwa Schroth in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhle S. 266.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

147

differenzierte Untersuchung eines Eingriffs sucht man hingegen überwiegend vergeblich800. Das ist Grund genug, nachfolgend eine ausführlichere Befassung mit potentiellen Verletzungshandlungen vorzunehmen. a) Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo Wie bereits einführend festgelegt, soll zwischen pränidativen Einwirkungen und dem Schwangerschaftsabbruch im klassischen Sinne differenziert werden. Es schließen sich zu beiden Einwirkungsvarianten wissenschaftliche und begriffliche Grundlegungen an, welche die Nachvollziehbarkeit der rechtlichen Bewertung erleichtern. Diese wiederum wird dann in Bezug auf tangierte Grundrechte und Grundrechtsdimensionen parallel erfolgen, um Wiederholungen zu vermeiden. aa) Pränidative Beeinträchtigungen Entsprechend dem hier vertretenen Standpunkt zum Beginn des Lebens mit Befruchtung handelt es sich bei pränidativen Einwirkungen um Maßnahmen, die zwischen Befruchtung und Nidation das Absterben der befruchteten Eizelle zur Folge haben. Maßnahmen, die bereits die Befruchtung verhindern, fallen damit aus dem Bewertungsmaßstab heraus, da zu diesem Zeitpunkt noch kein menschliches Leben vorliegt. Die Nidation erfolgt etwa am 14. Tag nach Befruchtung mit Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut801. Ab diesem Zeitpunkt liegt dann eine Schwangerschaft nach der Definition des StGB vor802. Entscheidend ist allein der Erfolg der vorgenommenen Handlung, welcher in der Verhinderung der Einnistung besteht. Um dies zu erreichen, stehen verschiedene Mittel und Verfahren zur Verfügung803. Gebräuchlich ist vor allem die Einnahme oder Verabreichung von Medikamenten, wie beispielsweise der „Pille danach“804. Daneben besteht die Möglichkeit der Anwendung chemischer oder mechanischer Mittel (Intrauterinpessare, Spiralen oder Schleifen). Schließlich sind der gängigen Praxis entsprechend noch operative Behandlungen zu nennen, die darauf gerichtet sind, bei einem befruchteten Ei die volle Einnistung in der Gebärmutter zu verhindern. Hierunter fallen Ausspülung oder Ausschabung805.

800 801 802 803 804 805

Ähnlich kritisch Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 88, Fn. 286. Geist/Harder/Stiefel S. 74. Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 6 f. Überblick bei Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 13. Dazu Hirsch MedR 1987 S. 12 ff. Gropp in: MüKo – StGB § 218 Rn. 21.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

bb) Schwangerschaftsabbruch Zum Zwecke besserer Nachvollziehbarkeit der rechtlichen Bewertung wird vorab auch hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs kurz die angewandte Methodik erläutert. Dabei geht es um Einwirkungen auf die Leibesfrucht im Mutterleib vor der Geburt, welche das Absterben der Leibesfrucht und damit das Ende der Schwangerschaft zur Folge haben. Umfasst wird auch die in Tötungsabsicht vorgenommene Herbeiführung einer Frühgeburt, in deren Konsequenz das Kind den Tod findet806. Zu unterscheiden ist zwischen unmittelbaren und mittelbaren Einwirkungen807. Mögliche medizinische Praktiken in Gestalt einer unmittelbaren Einwirkung sind beispielsweise das Absaugverfahren (Vakuumaspiration)808, das Ausschaben aus der Gebärmutter (Kürettage)809 oder der Einsatz sonstiger mechanischer Werkzeuge (z. B. Eihautsstich)810. Neben diesen technischen Methoden sind auch chemische und medikamentöse Verfahren möglich. Hierunter fallen etwa Prostaglandine811, Antigestagene812 oder die intrakardiale Injektion von Herzgiften. Auch der Gebrauch thermischer oder elektrischer Hilfsmittel ist denkbar. In Deutschland bei seiner Einführung besonders umstritten war das Präparat Mifegyne, durch das bei mehrmaliger Einnahme ein Abort ausgelöst wird813. Eine weitere umstrittene Methode zum Abbruch einer Schwangerschaft bildet der sog. Fetozid. Hierbei wird entweder im Mutterleib eine Herzlähmung der Leibesfrucht durch Injektion von Kaliumchlorid herbeigeführt oder eine mechanische Unterbrechung des Blutflusses durch Applikation von Fibrinkleber in das Herz des Ungeborenen vorgenommen814. Neben diesen unmittelbaren Einwirkungen auf die Leibesfrucht kann die Eingriffshandlung auch in einer mittelbaren Einflussnahme bestehen. Als solche kommen das Verabreichen bestimmter Medikamente oder Drogen gegenüber der Schwangeren in Betracht, sofern diese ihrerseits geeignet sind, die Leibesfrucht zu vernichten815.

806 Gropp in: MüKo – StGB vor § 218 ff. Rn. 77; Fischer § 218 StGB Rn. 6; Rössner/ Wenkel in: Dölling/Duttke/Rössner §§ 218, 218a StGB Rn. 5. 807 Überblick bei Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 20; Gropp in: MüKo – StGB vor § 218 ff. Rn. 77 ff. 808 Augstein/Koch S. 140 f. 809 Augstein/Koch S. 140. 810 Zur Häufigkeit der angewandten Methoden in Baden-Württemberg und Hessen vgl. Holzhauer S. 314; Fallzahlen auch bei Hillenkamp in: FS-Herzberg S. 484. 811 Augstein/Koch S. 142; Kröger in: LK – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 47. 812 Kröger in: LK – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 47. 813 Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 21; Starck NJW 2000 S. 2714 ff.; Satzger JURA 2008 S. 427. 814 Kröger in: LK – StGB § 218a Rn. 55; Fischer § 218a StGB Rn. 22; Steiner S. 28; Schumann/Schmidt-Recla MedR 1998 S. 498; Gropp GA 2000 S. 3; Foth JR 2004 S. 370. 815 Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 20.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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cc) Verfassungsrechtliche Bewertung (1) Tangierte Grundrechte Nun gilt es zu klären, welche grundrechtlichen Verbürgungen des ungeborenen Lebens durch die genannten Einwirkungen beeinträchtigt werden. In Betracht kommen namentlich das Lebensrecht aus Art. 2 II GG sowie die Menschenwürde aus Art. 1 I GG. Entsprechend der hier vertretenen Auffassung zum Verhältnis der beiden Grundrechte kommt auf der Ebene des Eingriffs der Durchgriffsgedanke zum Tragen. Sollte eine Verletzung des Lebensrechts festgestellt werden, so ist anschließend gesondert zu prüfen, ob daneben aufgrund qualifizierender Handlungsmodalitäten auch Art. 1 I GG beeinträchtigt ist. (a) Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG Der typische Eingriff in Art. 2 II GG besteht in der Tötung eines Menschen, also im finalen Entzug des Lebens816. Aufgrund der Irreparabilität ist der Eingriffsbegriff bei Art. 2 II GG jedenfalls bei staatlichen Maßnahmen weiter zu fassen. Umfasst werden demnach alle rechtlichen oder faktischen Maßnahmen, die den Tod eines Menschen bewirken, unabhängig von der Intention bei deren Vornahme817. Über unmittelbare Eingriffe hinaus können bereits einschlägige Grundrechtsgefährdungen eine Beeinträchtigung von Art. 2 II GG darstellen818. Bei mittelbaren Verursachungszusammenhängen kommt es anders als bei finalen Eingriffshandlungen zusätzlich auf Wissen und Wollen der Träger öffentlicher Gewalt an819. Da sowohl die beschriebenen pränidativen Einwirkungen als auch ein erfolgreicher Schwangerschaftsabbruch notwendig das Absterben der Leibesfrucht und damit deren Lebensbeendigung zur Folge haben, liegt in beiden Varianten eine Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG vor820. Es bleibt in Abhängigkeit vom Handlungssubjekt zu klären, welche Grundrechtsdimension dadurch betroffen ist. (b) Beeinträchtigung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG Entsprechend dem hier vertretenen Verständnis zum Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde geht es nachfolgend um Art. 1 I GG als eigenständiges 816 Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 93; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 33; Schwarz KritVJ 2001 S. 194. 817 Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 141, 151 f.; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 86; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 44; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 24. 818 Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 93; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 46. 819 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 33; allgemein hierzu Hermes S. 80 ff.; Gallwas Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte. 820 So auch Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 93; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 152; Brugger NJW 1986 S. 900; Classen DÖV 2009 S. 697.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Grundrecht. Es ist zu klären, ob oder wann die zu bewertenden Einwirkungshandlungen vor und nach Nidation von Umständen begleitet werden, die dazu führen, dass neben der soeben festgestellten Beeinträchtigung des Lebensrechts auch eine solche der Menschenwürde vorliegt. Hierbei ist dem singulären Charakter der Menschenwürde im Gesamtgefüge der Verfassung821 in besonderem Maße Rechnung zu tragen. Mit Blick auf die historischen Hintergründe der Einführung des Art. 1 I GG ist von einer hohen Reaktionsschwelle auszugehen822. Trotz einer gewissen gesellschaftlichen Entwicklungsoffenheit des Menschenwürdebegriffs823 ist doch in erster Linie dessen Funktion als feststehender Orientierungspunkt824 zu bewahren und einem inflationären Alltagsgebrauch entgegenzuwirken825. Grundrechtsdogmatisch wird die hohe Eingriffsschwelle bei Art. 1 I GG auch deshalb erforderlich, weil Beeinträchtigungen nach dem bisherigen Meinungsstand nicht rechtfertigungsfähig sind. Ein Interessenausgleich im Wege praktischer Konkordanz auf der Ebene der Rechtfertigung findet hinsichtlich Art. 1 I GG im Regelfall nicht statt. Die Folge dessen ist zwangsläufig, dass bereits bei Prüfung einer Beeinträchtigung eine gewisse Wertung mitschwingt. Diese Wertung ist angesichts der tatbestandlichen Offenheit des Menschenwürdesatzes unumgänglich. Sofern das BVerfG davon ausgeht, Würdeverletzungen seien im Wege der Negativdefinition am konkreten Einzelfall zu messen, so bedingt diese Festlegung stets eine Wertung826. Mit diesen klarstellenden Einleitungssätzen soll keinesfalls der bisher vehement verteidigte Würdeschutz der Abwägung preisgegeben werden; es soll allerdings dessen Bedeutung für die konkrete Anwendung ins Bewusstsein gerufen werden, um korrekt mit Art. 1 I GG in seiner Funktion als eigenständiges Grundrecht umgehen zu können. Anders als beim soeben behandelten Rechtsgutsentzug im Rahmen des Lebensrechts sind bei Art. 1 I GG die Handlungsmodalitäten näher zu beleuchten. Gemäß der obigen Vorarbeit kommen quantitative und qualitative Faktoren in Betracht, die eine Tötung als Menschenwürdeverstoß kennzeichnen können. Angesichts des begrenzten Umfangs dieser Arbeit können hier nur der statistische Regelfall bzw. die in der Praxis zumindest mit einiger Relevanz vorkommenden Konstellationen bewertet werden. Eine Missachtung der Menschenwürde unter quantitativen Gesichtspunkten ist für die gegenwärtige Praxis des Schwangerschaftsabbruchs zu verneinen. Angesprochen ist damit nicht die absolute Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen als solche, 821 Schmidt-Glaeser ZRP 2000 S. 397; von Münch JuS 1997 S. 250; Pap MedR 1986 S. 231. 822 Picker in: FS-Flume S. 241; Picker Menschenwürde und Menschenleben S. 134. 823 OVG Berlin NJW 1980 S. 2485; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 4; Hufen JZ 2004 S. 313; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 172; Laufs NJW 2000 S. 2717. 824 Haverkate S. 142. 825 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 41, 134; Meyer-Ladewig NJW 2004 S. 984. 826 Trenk-Hinterberger ZfSH 1980 S. 53; Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 91.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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sondern vielmehr eine Abtreibungspraxis, die solche Ausmaße annimmt, dass die Bewertung des konkreten Interessenkonflikts zugunsten eines unreflektierten Abtreibungsautomatismus in den Hintergrund tritt. Davon erfasst wären etwa staatliche Tötungsfabriken, in denen Abtreibungen entindividualisiert und im Ablauf automatisiert vorgenommen werden. Ein solches Szenario entspricht glücklicherweise nicht der Realität. Es ist in Orientierung an den differenzierten Regelungen des StGB, angesichts der kontroversen wissenschaftlichen Diskussion und anhand der medizinischen Praxis davon auszugehen, dass ein Schwangerschaftsabbruch in Gesellschaft und Wissenschaft als Grenzkonflikt anerkannt ist und bei dessen Bewertung stets die individuelle Situation der Beteiligten in den Blick genommen wird. Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch ist als Ergebnis einer konkreten Interessenabwägung zu betrachten. Dementsprechend begründet das quantitative Ausmaß von Schwangerschaftsabbrüchen keinen Würdeverstoß. Für den Einsatz pränidativer Praktiken ergibt sich keine abweichende Bewertung. Auch hierbei ist nicht von einer unreflektierten Abtötung auszugehen. Vielmehr ist die praktische Anwendung der medizinischen Möglichkeiten auch hier als Konsequenz einer individuellen Situationsbewertung zu betrachten. Es bleiben somit qualitative Faktoren der nidationshindernden Maßnahmen und des Schwangerschaftsabbruchs zu beurteilen. Im Zuge dessen ist abermals zu unterscheiden zwischen würdeverletzenden Ausführungsmodalitäten und Beweggründen. Die medizinischen Verfahren zur Vornahme beider Alternativen wurden oben kurz dargestellt. Es ist davon auszugehen, dass diese Verfahren dem modernsten Stand wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen. Im Normalfall werden die Eingriffe von einem zugelassenen Arzt nach den Regeln ärztlicher Kunst durchgeführt. Der Eingriff erfolgt zielgerichtet und beabsichtigt ausschließlich den finalen Entzug des Lebens der Leibesfrucht. Eine qualifizierende Pein für die Leibesfrucht, die über die reine Lebensbeendigung hinausgehen würde, ist mit den angewandten Verfahren weder verbunden noch intendiert. Folglich ist auch unter dem Gesichtspunkt der Ausführungsmodalitäten nicht von der Menschenwürdewidrigkeit pränidativer Einwirkungen oder eines Schwangerschaftsabbruchs auszugehen. Zuletzt verbleiben die Motive der Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo. Die Beweggründe für die Entscheidung zugunsten eines Schwangerschaftsabbruchs sind vielfältiger Natur. Sie entspringen in aller Regel dem persönlichen Bereich der Schwangeren. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass jedenfalls die tatsächliche Motivation oft im Verborgenen bleibt und statistisch nicht zu erfassen ist. Eine erste Hilfestellung für eine gleichwohl vorzunehmende differenzierte Bewertung verspricht die Orientierung an den strafrechtlichen Indikationen. Angesichts deren expliziter Regelung ist zunächst einmal davon auszugehen, dass die betreffenden Fälle in der Praxis jedenfalls mit einiger Häufigkeit vorkommen. Vergleichsweise konkret formuliert und somit aufschlussreich für die Beweggründe des Schwangerschaftsabbruchs ist die sog. kriminologische Indikation in

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

§ 218a III StGB. Diese betrifft Fälle, in denen an der betroffenen Frau nach ärztlicher Erkenntnis ein Sexualdelikt nach §§ 176 – 179 StGB begangen wurde. Daneben müssen dringende Gründe für die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen dem fraglichen Delikt und der vorliegenden Schwangerschaft sprechen. Zwar werden in Deutschland nur 0,5 % der jährlich abgebrochenen Schwangerschaften unter den Voraussetzungen der kriminologischen Indikation beendet827, gleichwohl handelt es sich um ein erstes, in der Praxis vorkommendes Motiv, welches einer Abtreibungsentscheidung zugrunde liegen kann. Mit einem Anteil von 2,5 % an den jährlichen Abtreibungen ist die medizinischsoziale Indikation des § 218a II StGB etwas häufiger828. Erfasst werden zunächst genuin medizinische Beweggründe, die der Abwendung einer unmittelbar aus der Schwangerschaft drohenden Leibes- oder Lebensgefahr dienen. Solche unmittelbar physiologischen Lebensgefahren sind nach dem heutigen Stand der Medizin allerdings eher selten829. Erweitert werden diese Fälle jedoch um eine soziale Komponente, welche die Berücksichtigung seelischer Leiden und familiär-sozialer Umstände für die Schwangere ermöglicht, indem auch deren zukünftige Lebensverhältnisse in Betracht gezogen werden. Diese Berücksichtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Mutter macht unabhängig vom Auslöser ihrer Probleme über 90 % der Abbruchsindikationen nach Abs. 2 aus830. Dieser psychologischen Komponente liegt notwendig ein stark subjektivierter Maßstab zugrunde, so dass letztlich jede gravierende Not der Schwangeren Auslöser der Entscheidung für einen Abbruch sein kann. Es geht an dieser Stelle noch nicht um eine Bewertung der Indikationen selbst, sondern um die Herausarbeitung möglicher Beweggründe der Schwangeren, sich gegen das ungeborene Leben zu entscheiden. Als solche lassen sich nach Betrachtung der ausdrücklich geregelten Indikationen zusammenfassen: Die Schwangerschaft als Folge eines Sexualdelikts, eine unmittelbare Lebensgefahr für die Schwangere, drohender Suizid, gesundheitsgefährdende hochgradige Mehrlingsschwangerschaften, psychische Belastungen der Schwangeren aufgrund einer zu erwartenden Behinderung des Kindes, Unvereinbarkeit mit den persönlichen Lebensverhältnissen der Schwangeren, welche Annahme und Erziehung eines Kindes erheblich erschweren würden. Die weitere Analyse kann dagegen nicht anhand der gesetzlichen Regelungen erfolgen. Sowohl die Straflosigkeit pränidativer Maßnahmen gemäß § 218 I 2 StGB als auch die Beratungsregelung binnen der ersten zwölf Schwangerschaftswochen gemäß § 218a I StGB liefern keinen weiteren Aufschluss über die Beweggründe der Handelnden. Bezeichnenderweise bilden diese Fälle die überragende Mehrheit der Schwangerschaftsabbrüche. So machen Abbrüche nach Beratung etwa 97 % der 827 828 829 830

Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 143. Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 81. Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 85; Hillenkamp in: FS-Amelung S. 434. Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 91.

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jährlich registrierten Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland aus831. Es stellt sich also die Frage nach potentiellen Gründen für die Entscheidung gegen eine Schwangerschaft, sei es in Gestalt pränidativer Einwirkungen oder in Form eines Schwangerschaftsabbruchs832. Als solche erscheinen denkbar das jugendliche Alter der Erzeuger sowie damit eng verbunden fehlende finanzielle Mittel und die Angst vor negativer Reaktion aus dem engeren Umfeld und der Gesellschaft. Hinzu kommen möglicherweise mangelndes Selbstbewusstsein oder mangelnde Bereitschaft, die Verantwortung für die Erziehung eines Kindes zu übernehmen. In höherem Alter mögen neben fehlenden Ressourcen die berufliche Lebensplanung und daraus resultierend fehlende Zeit für die Erziehung eines Kindes eine Rolle spielen. Ebenso kann eine Trennung der Eltern während der Schwangerschaft zu einem geänderten Blick auf das ursprüngliche Wunschkind führen und in der Entscheidung für einen Abbruch münden. Überwiegend pränidative Maßnahmen sollte die Überlegung betreffen, bereits genügend Kinder zu haben und entsprechend keinen weiteren Kinderwunsch zu hegen. Die potentiellen Motive sind vielfältig, entstammen jedoch in erster Linie der persönlichen Lebenssituation der Erzeuger und knüpfen damit nicht primär an eine unreflektierte Geringschätzung des ungeborenen Lebens selbst an. Damit zeigen die ausdrücklich geregelten Indikationsfälle und die erarbeiteten potentiellen Beweggründe eine Gemeinsamkeit: Sie alle entsprechen nicht der hoch anzusetzenden Eingriffsschwelle eines Menschenwürdeverstoßes. Diese würde beispielsweise rassisch motivierte, selektive Abtreibungen erfassen oder auch solche Schwangerschaftsabbrüche, die ausschließlich zu Forschungszwecken vorgenommen werden833. Den vor allem in der Anfangszeit des Grundgesetzes vom BVerfG explizit genannten Würdeverletzungen wie Erniedrigung, Verächtlichmachung, Geringschätzung oder Brandmarkung ist ein evidentes Verwerflichkeitsurteil inhärent. Diese Fälle sind geprägt von einer einseitig negativen Dominanz des Handelnden gegenüber dem Opfer. Insofern wird auch das häufig kritisierte Bemühen des BVerfG verständlich, die Objektformel mittels einer subjektiv-negativen Komponente zu konkretisieren. Im Falle der fraglichen Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo stellt sich die betreffende Handlung als Ergebnis einer Interessenabwägung dar. Die Zerstörung des Lebens ist nicht das bestimmende Motiv, sondern das Resultat der Berücksichtigung gegenläufiger Belange. In diesem Prozess kommt keine Würdeverletzung zum Ausdruck, sondern es verbleibt bei der rechtfertigungsbedürftigen Lebensbeendigung. Ob die obigen Motive für eine Rechtfertigung ausreichen, gilt es auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu klären; einen, nicht zu rechtfertigenden, Menschenwürdeverstoß begründen sie jedenfalls nach hier vertretener Auffassung nicht.

831 832 833

Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 50. Vgl. Überblick über Motive bei Roloff S. 108; Oeter/Nohke S. 40 f.; Lunneborg S. 22 ff. Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 105.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

An dieser Stelle ist noch einmal auf das Argument zurückzukommen, das ungeborene menschliche Leben könne angesichts der vom BVerfG festgestellten Verfassungsmäßigkeit des geltenden Abtreibungsrechts nicht oder nicht in vollem Umfang Träger der Menschenwürde sein834. Diese Argumentation berücksichtigt nicht hinreichend, dass es sich bei der Abtreibung nicht um einen Vorgang von Menschenwürderelevanz im Sinne eines eigenständigen Grundrechts handelt. Jedenfalls nach dem hier vertretenen Verständnis zum Verhältnis der beiden Verbürgungen wird die Menschenwürde in ihrer Funktion als eigenständiges Grundrecht durch einen Schwangerschaftsabbruch nicht tangiert835. Die Beantwortung der Frage, inwiefern sie in ihrer zweiten Funktion als absolute Schranken-Schranke bei Rechtfertigung von Eingriffen in das Lebensrecht Relevanz erlangt, steht bei konsequentem Fortschreiten in der grundrechtlichen Prüfungsstruktur noch aus. (2) Betroffene Grundrechtsdimension Wie bereits an anderer Stelle herausgearbeitet, handelt es sich bei den Grundrechten in erster Linie um Abwehrrechte des Bürgers gegenüber staatlichen Eingriffen836. Dies war auch diejenige Grundrechtsdimension, die bei Einführung des Grundgesetzes im Mittelpunkt der Überlegungen der Verfasser stand. Seitdem hat allerdings eine deutliche Verlagerung der Gefährdungslagen stattgefunden, die dazu führte, dass jedenfalls hinsichtlich Eingriffen in die körperliche Integrität und die Menschenwürde des einzelnen Bürgers nicht mehr der Staat die primäre Bedrohung darstellt. Mit Etablierung eines stabilen demokratischen Rechtsstaates bilden staatliche Übergriffe bezüglich der zitierten Schutzgüter die absolute Ausnahme837. Mit dieser geänderten Situation hat sich der Fokus staatlicher Grundrechtsverpflichtung auf die Abwehr privater Bedrohungen verlagert838. Diese staatlichen Schutzpflichten haben besonders hohe Relevanz angesichts der überragenden Wertigkeit der Rechtsgüter Leben und Menschenwürde. Im Falle des Lebensrechts wird dessen Schutzwürdigkeit durch die Irreperabilität eines Eingriffs verstärkt. Bei der medizinischen Praxis nidationshindernder Eingriffe und des Schwangerschaftsabbruchs geht es dementsprechend nicht um unmittelbar staatlich ausgeführte oder angeordnete Tötungshandlungen. Mit der Schwangeren, der Leibesfrucht und dem handelnden Arzt stehen sich ausschließlich Private gegenüber, welche im Regelfall ihrerseits nicht unmittelbar grundrechtsverpflichtet sind. Wie soeben festgestellt, sind sowohl Eingriffe vor als auch nach Nidation eine Beeinträchtigung des durch Art. 2 II GG verbürgten Lebensrechts. Diese Beeinträchtigung 834

So etwa Schroth in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhle S. 266. Im Ergebnis ebenso Classen DÖV 2009 S. 697. 836 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 72; Voss DRiZ 1997 S. 509; Ipsen DVBL 2004 S. 1382; Gramm/Pieper S. 68; Epping Rn. 14; Enders JURA 2003 S. 669; Haltern/Viellechner JuS 2002 S. 1197. 837 Steiner S. 5 f. 838 Steiner S. 6. 835

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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geht je nach Handlungssubjekt entweder vom behandelnden Arzt oder von der Schwangeren selbst aus, sofern diese den todbringenden Eingriff eigenhändig durchführt. Während es sich bei nidationshemmenden Mitteln danach unzweifelhaft um ausschließlich private Maßnahmen durch die Frau selbst handelt839, könnte man beim Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt möglicherweise eine staatliche Zurechnungskette konstruieren. Jedenfalls für Fälle staatlicher Krankenhäuser handelt es sich bei dem Arzt, der den Abbruch vornimmt, um einen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, dessen Handeln somit einem Grundrechtsverpflichteten zurechenbar sein kann840. Gleichwohl wird die Problematik des Schwangerschaftsabbruchs ausnahmslos und ohne diese Differenzierung als Problem der staatlichen Schutzpflicht eingeordnet841; es wird eine private Beeinträchtigung von Seiten der Schwangeren angenommen. Dementsprechend wird offensichtlich nicht an die unmittelbare Einwirkungshandlung angeknüpft, die vom Arzt ausgeht, sondern an die kausal voranstehende Verfügungsentscheidung der Frau842. Erklären lässt sich diese Perspektive damit, dass das ärztliche Handeln nicht auf eine eigene Motivation oder ein persönliches Interesse des Arztes zurückgeht, sondern die Umsetzung eines Entschlusses der Schwangeren darstellt. Der entscheidende Anstoß in der Kausalkette, welche zur finalen Verfügung hinführt, stammt von der Frau, womit entscheidend auf sie als Handlungssubjekt abzustellen ist. Bei ihr handelt es sich um eine Private, die nicht unmittelbar grundrechtsverpflichtet ist. Zwischen den kollidierenden Interessen hat der Staat in Konsequenz seiner Schutzpflicht zu vermitteln. Dies begründet eine Dreieckskonstellation, die grundrechtliche Maßstäbe eröffnet. Angesichts der privaten Beeinträchtigung aktualisiert sich die staatliche Schutzpflichtdimension des Art. 2 II GG. Eine Direktwirkung der Grundrechte ist mangels festgestellter Würderelevanz der Einwirkungshandlungen nicht gegeben. dd) Zwischenergebnis zu Grundrechtsbeeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo Es ist festzuhalten, dass ein pränidativer Eingriff und der Schwangerschaftsabbruch im Sinne des StGB eine Beeinträchtigung des in Art. 2 II GG verbürgten Lebensrechts darstellen. Eine Menschenwürderelevanz der gängigen Handlungspraxis konnte hingegen nicht festgestellt werden. Die Beeinträchtigung des Rechtsguts Leben erfolgt von privater Seite, so dass der Staat in seiner Schutzpflichtigkeit gefordert ist. Angesprochen ist in erster Linie der Gesetzgeber, dem bei 839

Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 45. Zur entsprechenden Zurechnungsproblematik am Lebensende Lindner JZ 2006 S. 375. 841 Allen voran durch das BVerfG in seinen beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff.; ebenso etwa bei Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 44; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 341. 842 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 52; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 45. 840

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Erfüllung der Schutzpflicht ein beträchtlicher Einschätzungsspielraum zukommt843. Dieser Bereich ist Standort für die Berücksichtigung widerstreitender Interessen844 und soll deshalb hier auf der Ebene der Rechtfertigung behandelt werden. Inhaltlich wird es dabei vor allem darum gehen, ob der Gesetzgeber mit den geltenden einfachgesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch seiner Verpflichtung zum Lebensschutz gerecht wird. Im Anschluss daran ist zu erläutern, ob die gängige Rechtspraxis der einfachgesetzlichen Rechtslage entspricht und ob insofern möglicherweise Reformbedarf besteht. b) Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vitro durch embryonale Stammzellforschung Neben den soeben behandelten Beeinträchtigungen des ungeborenen Lebens in vivo bildet die Forschung mit embryonalen Stammzellen ein aktuelles und nicht minder umstrittenes Problemfeld am Anfang des Lebens. Gerade bei rechtlicher Würdigung der einfachgesetzlichen Regelungen werden oftmals diese beiden Konstellationen – Abtreibung und Stammzellforschung – parallel in den Blick genommen845. So soll auch hier die nachfolgende Analyse methodisch wie die voran stehende Behandlung der Beeinträchtigungen in vivo ablaufen. Zu diesem Zweck werden zunächst naturwissenschaftliche Grundlagen dargelegt, bevor schließlich festzustellen ist, welches Grundrecht von der Forschung mit embryonalen Stammzellen betroffen ist und welche Grundrechtsdimension diese mögliche Beeinträchtigung aktualisiert. aa) Problemaufriss – Wissenschaftliche Grundlegung Zuerst macht das bessere Verständnis der anschließenden rechtlichen Einordnung die Darstellung einiger naturwissenschaftlicher Verfahren und Begriffe erforderlich. Eine unverzichtbare Grundlage auf dem Weg zur Forschung mit embryonalen Stammzellen bildete die Möglichkeit der Fortpflanzungsmedizin, die Zeugung eines Menschen in der Retorte (in vitro) vorzunehmen, wo weibliche Eizelle und männliche Samenzelle verschmelzen. Mit diesem Schritt wurden Abläufe, die bisher nur innerhalb des weiblichen Körpers stattfanden, für den Menschen sichtbar und mit zunehmender wissenschaftlicher Erkenntnis auch kontrollierbar846. Damit taten sich wesentliche neue Forschungsfelder der Humanmedizin auf, darunter auch die Ge843 BVerfGE 46, 164; 56, 80 ff.; 79, 202; 85, 212; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 209, 214; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 92; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 2 GG Rn. 50; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Steiner S. 31. 844 Hermes S. 199 ff. 845 So etwa bei Steiner S. 26 ff.; Höfling in: Maio/Just S. 152; Losch NJW 1992 S. 2928 f.; Wagner NJW 2004 S. 918; Dederer JZ 2003 S. 989; Schwarz KritVJ 2001 S. 198 f. 846 Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 164; Losch NJW 1992 S. 2926; Steiner S. 19.

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winnung und Verwendung von Stammzellen847. Als Stammzelle wird jede noch undifferenzierte Zelle eines Organismus bezeichnet, die die Fähigkeit besitzt, sich in ihrem undifferenzierten Zustand über einen langen Zeitraum hinweg zu vermehren und daneben reifere Tochterzellen zu bilden, sich also hin zu bestimmten Zell- oder Gewebetypen auszudifferenzieren848. Derartige Stammzellen existieren in unterschiedlicher Form in allen Stadien menschlicher Entwicklung. Einen Unterfall bilden ihrer Herkunft entsprechend die embryonalen Stammzellen849. Diese werden aus der inneren Zellmasse eines wenige Tage alten Embryos, der sog. Blastozyste, entnommen850. Die Blastozyste entsteht etwa am vierten Tag der Embryonalentwicklung im 16-Zellstadium851. Nach dem derzeitig gängigen Entnahmeverfahren werden die embryonalen Stammzellen in einem Gewebeverband von circa 50 Zellen aus der Blastozyste isoliert und anschließend auf einem Nährboden kultiviert852. Durch die Entnahme wird der Embryo selbst zerstört; dieser kann nicht mehr für die Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden853. Aus diesem Grund wird die Forschung mit embryonalen Stammzellen mitunter als embryonenverbrauchende Forschung bezeichnet854. Für die Entnahme werden zum einen Embryonen verwendet, die im Wege künstlicher Befruchtung zwecks späterer Implantation erzeugt wurden. Sofern es zu dieser geplanten Einpflanzung nicht kommt, spricht man von sog. überzähligen oder verwaisten Embryonen. Gründe für deren Entstehen können beispielsweise ein Sinneswandel oder die Trennung des betreffenden Elternpaars, Krankheit oder Tod der vorgesehenen Mutter sein855. Eine alternative Methode bildet das sog. therapeutische Klonen mittels Zellkerntransfers856. Dabei wird in einem ersten Schritt ein somatischer Zellkern in eine entkernte, unbefruchtete Eizelle übertragen. Durch diesen Vorgang wird eine totipotente Zelle erzeugt. Es handelt sich also um eine Zelle, die die Fähigkeit besitzt, sich zu einem Gesamtorganismus auszudifferen847

Starck JZ 2002 S. 1065. Schwarz KritVJ 2001 S. 185; Brewe S. 3 f.; Starck JZ 2002 S. 1065; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 219; Lungstras S. 211; DFG Standpunkte S. 9; Kempermann S. 131 f. 849 Brewe S. 4; Höfling in: Maio/Just S. 148; Lungstras S. 211. 850 Badura-Lotter S. 42; Tobias S. 30; Starck JZ 2002 S. 1065; Höfling in: Maio/Just S. 148; Lungstras S. 212; Kempermann S. 24. 851 Schneider in: Brähler/Stöbel-Richter/Hauffe S. 112. 852 Brewe S. 4. 853 Starck JZ 2002 S. 1065; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 226; Schneider in: Brähler/Stöbel-Richter/Hauffe S. 112; Tobias S. 30; Höfling in: Maio/Just S. 148; Kempermann S. 27; Faltus MedR 2008 S. 544. 854 Lungstras S. 212; Losch NJW 1992 S. 2926; Dederer AöR 2002 S. 22; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 69; Steiner S. 9, 19. 855 Tobias S. 30; Lungstras S. 212; Dederer AöR 2002 S. 24. 856 Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 227; Brewe S. 5; Tobias S. 33; Lungstras S. 213; über erste Erfolge auf diesem Feld berichtet ein Aufsatz von French/Adams/ Anderson/Kitchen/Hughes/Wood in der Zeitschrift Stem Cells 2008 S. 485 ff. 848

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zieren857. Diese totipotente Zelle wird dann ebenso wie die befruchtete Eizelle in vitro bis zum Blastozystenstadium entwickelt, in welchem dann wiederum Stammzellen entnommen werden858. Der Vorteil dieses zweiten Verfahrens wird darin erblickt, dass die so gewonnenen Stammzellen in ihrem Kerngenom mit der genetischen Information der Spenderzelle identisch sind. In Konsequenz dessen ließen sich autologe Spenderzellen gewinnen, deren genetisches Programm mit den übrigen Zellen des Patienten identisch wäre. Diese würden bei ihrer Übertragung vermutlich keine immunologische Abstoßungsreaktion hervorrufen859. Eine dritte Möglichkeit, Stammzellen zu gewinnen, bildet die Entnahme aus embryonalen Keimzellen von Feten, die nach spontanen Fehlgeburten asserviert wurden860. Dieses Verfahren ist technisch erheblich aufwendiger, da es nur während eines sehr engen Entwicklungsfensters anwendbar ist. Hinzukommt, dass der vorausgesetzte Abort in der Regel nicht ohne medizinische Gründe stattfindet und das gewonnene Material daher möglicherweise zelluläre Schäden aufweist, weshalb es sich nur sehr bedingt zur Gewinnung therapeutisch einsetzbarer Spenderzellen eignet861. Wie soeben bereits im Begriff der Totipotenz angeklungen, kommt dem Differenzierungspotential embryonaler Stammzellen eine entscheidende Rolle zu. Die Eigenschaft der Totipotenz besitzt die befruchtete Eizelle nur in den frühsten Phasen der embryonalen Entwicklung862. Mit Eintritt des Blastozystenstadiums, in dem die embryonalen Stammzellen entnommen werden, hat sie diese Eigenschaft bereits verloren863. Die entnommenen Stammzellen sind pluripotent864. Dies bezeichnet die Fähigkeit, sich in jeden einzelnen Zell- und Gewebetyp des menschlichen Organismus zu entwickeln865. Im Anschluss an ihre Entnahme werden die Stammzellen in Plastik-Kulturschalen kultiviert. Ziel dieses Vorgangs ist die Vermehrung und Erhaltung der Stammzellen in ihrer vollen Pluripotenz. Nach einer sechsmonatigen Kultivierung ohne Differenzierung spricht man von einer Stammzelllinie866. Eine große Herausforderung bildet die gezielte Differenzierung embryonaler Stammzellen zur Gewinnung bestimmter Zelltypen867.

857 Schwarz KritVJ 2001 S. 185; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 220; Brewe S. 5; Lungstras S. 209; DFG Standpunkte S. 9; Badura-Lotter S. 63. 858 Schwarz KritVJ 2001 S. 185. 859 Brewe S. 5; Taupitz NJW 2001 S. 3433; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 248; Höfling in: Maio/Just S. 149; Lungstras S. 215. 860 Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 226. 861 Tobias S. 33; Lungstras S. 214. 862 Brewe S. 6; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 49; Lungstras S. 209. 863 Tobias S. 30; Lungstras S. 211; Kempermann S. 134. 864 Brewe S. 5; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 221. 865 Schwarz KritVJ 2001 S. 185; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 37; Schneider in: Brähler/Stöbel-Richter/Hauffe S. 112; Kempermann S. 24. 866 Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 230. 867 Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 232; Tobias S. 38.

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Aufgrund des mannigfaltigen Entwicklungspotentials verspricht sich die Humanmedizin großen Nutzen vom Umgang mit embryonalen Stammzellen. Zunächst lassen sich im Bereich der Grundlagenforschung wichtige Erkenntnisse bezüglich normaler und pathologischer Zelldifferenzierungsmechanismen und Wachstumsprozesse gewinnen868. Auch hinsichtlich Arzneimitteltests an spezifischem Gewebe täten sich neue Möglichkeiten auf869. Eine anwendungsorientierte Forschungsperspektive bildet die Transplantationsmedizin. Die Züchtung von Zellen und Gewebe erscheint möglich, die auf den Menschen übertragen und so z. B. nach einem Herzinfarkt, bei Querschnittslähmung, Schlaganfall oder Diabetes eingesetzt werden könnten870. Ebenso könnten Zellersatzstrategien erarbeitet werden, welche die Behandlung bisher unheilbarer Krankheiten wie etwa Chorea Huntington, Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose ermöglichen würden871. bb) Tangierte Grundrechte Im juristischen Schrifttum wird die grundrechtliche Relevanz der dargestellten Verfahren kontrovers diskutiert. Auch hier stehen sich die widerstreitenden Positionen nahezu unversöhnlich gegenüber. Als tangierte Grundrechte kommen die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 I GG sowie das Lebensrecht nach Art. 2 II GG in Betracht. Bevor auf diese Grundrechte im Einzelnen eingegangen wird, gilt es den Bewertungsmaßstab zu klären. Die entnommenen, pluripotenten Stammzellen selbst sind nicht Schutzobjekt der betreffenden Verbürgungen. Beide Garantien knüpfen an einen vorhandenen Gesamtorganismus bzw. an das schützenswerte Potential zu einer Entwicklung in diese Richtung an. Einzelne Zellen hingegen sind nicht Zuordnungsobjekt der Grundrechte, so dass es hier bereits an der Eröffnung des (persönlichen) Schutzbereichs fehlt. Taugliches Bewertungsobjekt sind somit nur die Embryonen, denen die Stammzellen entnommen werden872. (1) Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG Hinsichtlich der anstehenden verfassungsrechtlichen Bewertung ist zwischen den ausgeführten drei Verfahren zu unterscheiden. Bei der Entnahme von Stammzellen aus embryonalen Keimzellen nach Spontanabort war die Leibesfrucht entweder schon im Mutterleib tot oder ist in Folge des Aborts abgestorben873. Zum Zeitpunkt der Entnahme ist das schutzwürdige Leben 868 Brewe S. 7; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 217; Lungstras S. 215; DFG Standpunkte S. 10; Steiner S. 20. 869 Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 219. 870 Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 248; Lungstras S. 215. 871 Taupitz NJW 2001 S. 3433; Brewe S. 7; Schneider in: Brähler/Stöbel-Richter/Hauffe S. 113; Höfling in: Maio/Just S. 148; DFG Standpunkte S. 11. 872 Dederer AöR 2002 S. 24. 873 Tobias S. 32.

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damit bereits beendet und es fehlt mithin an der Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs von Art. 2 II GG. Wie bereits oben festgestellt, sind postmortale Wirkungen hinsichtlich des Grundrechts auf Leben abzulehnen874. Eine entsprechende Beeinträchtigung des Lebensrechts durch die Stammzellgewinnung ist damit ausgeschlossen. Anders verhält es sich beim Umgang mit sog. überzähligen Embryonen. Diese haben immer noch das Potential für die Entwicklung als Gesamtorganismus. Nach der hier vertretenen Auffassung, die oben ausführlich dargelegt wurde, haben sie auch in ihrer Existenz in vitro, vor Nidation teil am persönlichen Schutzbereich von Art. 2 II GG. Selbst die fehlende Entwicklungsperspektive mangels Implantation vermag daran nichts zu ändern875. Verletzungshandlungen sind damit am Grundrecht aus Art. 2 II GG zu messen. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung wird der Embryo selbst durch die Stammzellentnahme zerstört876. Aufgrund des ohnehin drohenden Absterbens verwaister Embryonen handelt es sich genau genommen um eine Lebensverkürzung, welche ebenfalls vom Schutzumfang des Art. 2 II GG erfasst wird. Die Entnahme von Stammzellen aus sog. überzähligen Embryonen stellt damit eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung des Lebensgrundrechts dar. Es bleibt die Einordnung des sog. therapeutischen Klonens zu klären. Hierbei wird eine totipotente Zelle auf den Weg natürlicher Entwicklung hin zum Menschen gebracht, welche dann allerdings, wie bereits anfänglich geplant, wieder gestoppt wird. Auch an dieser Stelle ändert die bereits originär fehlende Entwicklungsperspektive nichts an der Eröffnung des Schutzbereiches. Unter natürlichen Gesichtspunkten wäre diese Entwicklungsperspektive gegeben. Den Schutzbereich dennoch aufgrund der beabsichtigten Verwerfung zu versagen, hätte die Disponibilität des Selbigen durch Dritte zur Konsequenz. Dieser Umstand widerspricht dem Schutzzweck von Art. 2 II GG877. Das Vorgehen ist mithin am Lebensgrundrecht zu messen. Ebenso wie im zuvor begutachteten Verfahren stirbt auch hier der Embryo bei Entnahme der Stammzellen ab. Der Unterschied besteht darin, dass es sich beim Eingriff im Anschluss an therapeutisches Klonen nicht nur um eine Lebensverkürzung, sondern um den finalen Entzug des Rechtsguts handelt. Eine Beeinträchtigung

874 Maurer DÖV 1980 S. 14; Schachtschneider/Siebold DÖV 2000 S. 131; Schreiber in: FS-Remmers S. 599; Heun JZ 1996 S. 217; Kunig JURA 1991 S. 418; Dederer JZ 2003 S. 992. 875 Fink JURA 2000 S. 215; Hofmann in: FS-Scholz S. 248; Ipsen JZ 2001 S. 993; Nettesheim AöR 2005 S. 98; Vitzthum JZ 1985 S. 208; Laufs MedR 1990 S. 233. 876 Starck JZ 2002 S. 1065; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 226; Schneider in: Brähler/Stöbel-Richter/Hauffe S. 112; Tobias S. 30; Höfling in: Maio/Just S. 148; Kempermann S. 27. 877 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 II GG Rn. 81; Pieroth/Schlink Rn. 392; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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des Lebensrechts ist folglich auch durch das Verfahren nach Vornahme des sog. therapeutischen Klonens anzunehmen878. Es lässt sich festhalten, dass zwei der drei dargestellten Verfahren, nämlich die Entnahme von Stammzellen aus überzähligen Embryonen sowie diejenige nach therapeutischem Klonen eine Beeinträchtigung des Lebensrechts darstellen. Eine solche ist zu verneinen für die Entnahme aus embryonalen Keimzellen nach Spontanabort. Es schließt sich nun die Bewertung der drei Verfahren anhand von Art. 1 I GG an, bevor die tangierte Grundrechtsdimension näher zu bestimmen ist. (2) Beeinträchtigung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG Auch im Hinblick auf Art. 1 I GG ist nach den unterschiedlichen Verfahren der Stammzellgewinnung zu differenzieren. Dabei sind die obigen Ausführungen zur besonderen Bedeutung des Art. 1 I GG und die daraus erforderlich werdende hohe Reaktionsschwelle zu berücksichtigen. Bei der Entnahme von Stammzellen aus embryonalen Keimzellen nach Spontanabort war die Leibesfrucht entweder schon im Mutterleib tot oder ist in Folge des Aborts abgestorben879. Es handelt sich um einen Fall natürlicher Verfügung. Anders als soeben bei der Abtreibung geht es folglich nicht um die Bewertung einer aktiven Tötungshandlung anhand von Art. 1 I GG. Zu klären ist ausschließlich, ob die Entnahme eine menschenwürdewidrige Instrumentalisierung darstellt. Dabei geht es also um eine eigenständige Würdeverletzung, für deren Begründung nur die postmortale Wirkrichtung des Art. 1 I GG in Betracht kommt. Deren Existenz ist grundsätzlich zu bejahen880. Auf den ersten Blick erscheint die Parallele zum Menschenwürdeverstoß bei Ausschlachten eines Leichnams zu Transplantationszwecken plausibel. Für diesen Fall wird im juristischen Schrifttum eine Verletzung des Art. 1 I GG bejaht881. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Organentnahme an sich keinen Würdeverstoß darstellt. Bei entsprechendem Willen des Verstorbenen ist eine Transplantation rechtlich möglich und in der Praxis üblich. Die Menschenwürderelevanz und das Bild von der Degradierung zum Organlager ergeben sich vielmehr aus dem Umstand, dass in den fraglichen Fällen Drittinteressen von externer Seite über die individuelle körperliche Selbstbestimmung des Verstorbenen gesetzt werden. Das Unwerturteil, das die Annahme eines Eingriffs in Art. 1 I GG begründet, folgt aus der Missachtung der Interessen des Verstorbenen. Wenngleich 878

Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 14 geht noch weiter und spricht von der Negierung des Lebensrechts. 879 Tobias S. 32. 880 So auch BVerfGE 30, 194; BVerfG NJW 2001 S. 2959; Buschmann NJW 1970 S. 2083; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 72; Dürig AöR 1956 S. 126; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Klein Art. 1 I GG Rn. 64; Pabst NJW 2002 S. 999; Sengler/Schmidt DÖV 1997 S. 722. 881 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 73; Dürig AöR 1956 S. 126; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 49, 59; Maurer DÖV 1980 S. 10.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Willensbildung und Interesseninhaberschaft nicht konstitutiv für das Vorliegen von Menschenwürdeschutz auf der Rechtsgutsebene sind, so spielen sie doch in die einzelfallabhängige Ermittlung des Vorliegens eines Eingriffs hinein. An dieser Stelle endet die Parallele zur Situation des toten Embryos. Dieser hat kein vergleichbares Interesse, über welches extern verfügt wird. Er wurde nicht im Zuge einer externen, sondern im Rahmen natürlicher Verfügung getötet, so dass für die verfassungsrechtliche Bewertung allein auf die Stammzellentnahme selbst abzustellen ist. Diese stellt für sich genommen in der Situation des toten Embryos keinen originären Eingriff in dessen postmortale Menschenwürde dar. Das fragliche Verfahren besitzt mithin keine grundrechtliche Relevanz882. Obgleich es sich dabei nicht um einen zwingenden Schluss, sondern nur um Indizien handelt, entsprechen diesem verfassungsrechtlichen Befund auch die derzeitige einfachgesetzliche Zulässigkeit883, sowie deren, soweit erkennbar, unbestrittene Akzeptanz in Schrifttum und Praxis884. Weitgehende Einigkeit besteht auch hinsichtlich der Bewertung gezielter Embryonenerzeugung zum Zwecke verbrauchender Forschung. Sofern nicht bereits auf der Schutzbereichsebene Abstufungen vorgenommen werden885, wird überwiegend ein Verstoß gegen Art. 1 I GG angenommen. Dabei wird insbesondere angeführt, es handle sich um eine würdewidrige Instrumentalisierung und Verdinglichung menschlichen Lebens, da dieses nicht in seiner Individualität geachtet, sondern einem außerhalb seiner Selbst liegenden Zweck zugeführt werde. In dieser Negierung der Selbstzweckhaftigkeit wird die spezifische Würderelevanz des betreffenden Verfahrens erblickt886. Die Gegner dieser Auffassung führen beispielsweise an, dass diese Selbstzweckhaftigkeit gerade fehle, da das Leben nie zum Zwecke einer vollständigen Entwicklung erzeugt worden, sondern nur ein notwendiges Durchgangsstadium sei887. Eine weitere Argumentationslinie gegen die Würderelevanz liefert Schwarz speziell für das therapeutische Klonen, indem er argumentiert, es handle sich gar nicht um eine fremdnützige Aufopferung, sondern aufgrund der genetischen Identität vielmehr um einen Akt der Selbsthilfe888. 882

A.A. Harks NJW 2002 S. 718 der davon ausgeht das Verfahren sei zulässig, wenn es der Heilung von Menschen diene. Harks nimmt damit offenbar eine Relativierung des postmortalen Würdeschutzes vor. 883 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 12. 884 DFG Standpunkte S. 22. 885 Hofmann in: FS-Scholz S. 236; Ipsen DVBL 2004 S. 1381 ff.; Ipsen JZ 2001 S. 996; Heun JZ 2002 S. 523; Hofmann JZ 1986 S. 258 f. 886 Höfling in: Maio/Just S. 151; Schroth in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl S. 268; Laufs NJW 2000 S. 2717; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 176; Schreiber MedR 2003 S. 371; Denninger KritVJ 2003 S. 208; Vitzthum MedR 1985 S. 256; Herdegen in: GS-Heinze S. 365; Herdegen JZ 2001 S. 776; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 99; Böckenförde JZ 2003 S. 813; bei hypothetischer Schutzbereichseröffnung auch Neumann ARSP Beiheft 33 S. 149. 887 Dederer AöR 2002 S. 23. 888 Schwarz KritVJ 2001 S. 208.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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Letztgenannter Auffassung ist entgegenzuhalten, dass es sich trotz genetischer Identität beim Kernspender und bei dem erzeugten Embryo um zwei klar zu unterscheidende Subjekte handelt. Zum Vergleich: Obwohl auch eineiige Zwillinge in ihren genetischen Anlagen übereinstimmen, würde niemand ernsthaft bestreiten, dass sie als zwei Individuen zu bewerten sind. Um das Argument der nicht vorhandenen Entwicklungsintention einordnen zu können, bedarf es einer näheren Analyse des potentiell menschenwürdeverletzenden Verhaltens. Konkret stellt sich die Frage, ob dieses bereits in der Erzeugung menschlichen Lebens in der Absicht seiner späteren Vernichtung liegt oder erst in der eigentlichen Tötungshandlung zu Forschungszwecken. Sofern Letzteres zu bejahen wäre, würde die Einordnung der gezielten Erzeugung stark in die Nähe der noch zu bearbeitenden Forschung an überzähligen Embryonen rücken. Bei dieser geht es zweifellos um die Würderelevanz der finalen Tötungshandlung. Im Schrifttum finden sich insoweit kaum präzise Festlegungen. Zu offensichtlich erscheint offenbar vielen Autoren die Verletzung von Art. 1 I GG. Lediglich Herdegens Ausführungen sind wohl dahingehend zu interpretieren, dass er bereits den Befruchtungsvorgang für menschenwürdewidrig erachtet889. Dagegen spricht zunächst die Überlegung, dass die Erzeugung menschlichen Lebens für sich genommen ein positiver Akt ist und der Würdeschutz frühestens mit erfolgter Befruchtung eingreifen kann. Dem Gedanken Herdegens ist dennoch beizupflichten. Die spezifische Würdeverletzung liegt demnach nicht erst in der Tötung. Bereits bei der künstlichen Befruchtung bzw. bei Einleitung des therapeutischen Klonens ist maßgeblich auf die verfolgte Intention abzustellen. Der von der Natur bestimmte Zweck des frühen Lebens besteht in seiner Entwicklung hin zum erwachsenen Menschen890. Eine positive Disposition in Form der Einleitung dieses Entwicklungsprozesses ist dem Menschen mit Vornahme einer künstlichen Befruchtung grundsätzlich gestattet. Sofern jedoch, wie bei der verbrauchenden Embryonenforschung, eine andere als die natürliche Entwicklung angestrebt wird, endet die menschliche Verfügungsbefugnis. Eine negative Disposition ist dem Menschen, anders als der Natur selbst, nicht gestattet. Ebenso wenig ist es mit dem Zweck menschlicher Entwicklung und Existenz vereinbar, diese allein in der Absicht der postwendenden Beendigung einzuleiten. Mit dieser negativen Intention schwingt sich der forschende Mensch zu einer Disposition gegenüber anderen Individuen auf, zu welcher er aufgrund der Gleichordnung jedes menschlichen Lebewesens nicht befugt ist. Damit ist ein Eingriff in Art. 1 I GG bereits unmittelbar in der erfolgten künstlichen Befruchtung zu erblicken, sofern diese keinen anderen Zweck verfolgt, als die angestoßene Entwicklung zu Forschungszwecken wieder zu beenden. Mit erfolgter Befruchtung greift, jedenfalls nach hier vertretener und im Schrifttum immer noch überwiegender Auffassung, der Schutz des Art. 1 I GG. Für eine Anknüpfung bereits an die Herstellung spricht auch der Umstand, dass in der juristischen Diskussion überhaupt zwischen 889 890

Herdegen JZ 2001 S. 776. Vitzthum ZRP 1987 S. 36.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

der Bewertung des Verbrauchs gezielt hergestellter und überzähliger Embryonen unterschieden wird. Würde man nur an die Tötung zu fremdnützigen Zwecken anknüpfen, so würde die Einordnung parallel verlaufen891. Vor diesem Hintergrund ist auch die Argumentation zu entkräften, die verbrauchende Forschung stelle keine Verletzung der Menschenwürde dar, weil die Embryonen ohnehin nicht in der Absicht natürlicher Entfaltung erzeugt worden seien892. Diese vermeintliche Legitimation bildet also tatsächlich den eigentlichen Würdeverstoß. Gleichfalls abzulehnen ist der Standpunkt Fechners, der schreibt, für die verfassungsrechtliche Bewertung der Erzeugung zu Forschungszwecken sei auf die Dringlichkeit der Forschungsziele abzustellen, welche in die Güterabwägung einzubringen sei893. Diese Überlegung greift jedenfalls für die hier fragliche Menschenwürderelevanz nicht durch. Relevant wäre sie allenfalls für die Problematik, ob eine konkrete Tötungshandlung aufgrund qualitativer Umstände, hier der verfolgten Motive, als eine Würdeverletzung einzuordnen ist. Beim hier praktizierten Abstellen bereits auf die Befruchtung in der Absicht der Verwerfung stellt sich diese Frage gerade nicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl das therapeutische Klonen zu Forschungszwecken als auch die gezielte Herstellung menschlicher Embryonen mittels künstlicher Befruchtung zur späteren Stammzellentnahme einen Eingriff in das Grundrecht nach Art. 1 I GG darstellen894. Maßgeblich ist dabei erneut die Unterscheidung zwischen natürlicher und externer Verfügung. Trotz zunehmender technischer Möglichkeiten stehen die Befugnisse des Menschen gegenüber anderen Menschen nicht auf einer Stufe mit den Abläufen einer natürlichen Verfügung895. Dieser Befund steht auch nicht im Widerspruch zur oben postulierten hohen Reaktionsschwelle des Art. 1 I GG. Über die originär intendierte Verfügbarkeit rückt das Leben in die Nähe einer Ware896. Die Anwendung auf eine derartige Missachtung des Eigenwerts menschlicher Existenz wird dem Erfordernis eines zurückhaltenden Einsatzes der Menschenwürde gerecht. Es verbleibt schließlich die Einordnung des Umgangs mit sog. überzähligen Embryonen. Die Umstände ihrer Entstehung wurden oben dargelegt. Es handelt sich hierbei um eine real existierende Konstellation, die einer Auflösung bedarf. Die 891

Dementsprechend ist auch den Ausführungen bei Böckenförde JZ 2003 S. 813 zu entnehmen, dass dieser offenbar bereits die Herstellung als Würdeverstoß betrachtet. 892 So Dederer AöR 2002 S. 23. 893 Fechner JZ 1986 S. 659. 894 So auch Höfling in: Maio/Just S. 151; Schroth in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl S. 268; Laufs NJW 2000 S. 2717; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 176; Schreiber MedR 2003 S. 371; Denninger KritVJ 2003 S. 208; Vitzthum MedR 1985 S. 256; Herdegen in: GS-Heinze S. 365; Herdegen JZ 2001 S. 776; bei hypothetischer Schutzbereichseröffnung auch Neumann ARSP Beiheft 33 S. 149. 895 Tobias S. 89. 896 Denninger in: KritVJ 2003 S. 208; Wagner NJW 2004 S. 918.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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bloße Kritik an der Entstehung überzähliger Embryonen897 greift damit zu kurz. Hinsichtlich der Würderelevanz des fraglichen Verfahrens ist das Schrifttum, anders als im Bezug auf therapeutisches Klonen bzw. die gezielte Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken mittels künstlicher Befruchtung, gespalten. Trotz zahlreicher zurückhaltender Stimmen findet sich auch eine Fraktion von Autoren, welche die Freigabe der Forschung an überzähligen Embryonen zur Stammzellentnahme nicht als Menschenwürdeverletzung betrachtet und somit befürwortet. Die Begründungen hierfür sind vielfältig und dabei nicht immer konsistent. Konsequenterweise für verfassungsrechtlich zulässig erachten all diejenigen Autoren das Verfahren, die bereits auf der Schutzbereichsebene Abstriche bezüglich des Schutzes an sich oder dessen Intensität machen898. Vorliegend soll es dagegen um die Analyse der Verletzungshandlung selbst gehen, so dass die Prämisse der Würdeträgerschaft zugrunde liegt und davon ausgehend gefragt wird, ob der Schutzbereich durch das fragliche Verhalten beeinträchtigt wird. Die Argumentation der dies bejahenden Stimmen verläuft hierbei weitestgehend parallel zu derjenigen bezüglich des therapeutischen Klonens. Menschliches Leben werde zum Wohl der Allgemeinheit, für Interessen des Staates oder solcher der Forschung geopfert. Damit werde es nicht mehr als Zweck an sich selbst ernst genommen und damit in der Menschenwürde verletzt899. Mit dem Einsatz zu Forschungszwecken werde das Leben, anders als beim Absterbenlassen, als Mittel zum Zweck verwandt900. Die natürliche Bestimmung dieser Embryonen sei das Absterben, worin der Mensch nicht aktiv eingreifen dürfe901. Kritisch wird auch die immer noch bestehende Ungewissheit der Forschungsperspektive angemahnt902. Vereinzelt wird auf die Entstehungssituation überzähliger Embryonen zurückgeblickt: Demnach stelle die Auswahlentscheidung über die Einpflanzung, die zur Überzähligkeit der Embryonen führe, einen Fall würdewidriger Selektion dar, dem eine Auswahl über lebenswertes und lebensunwertes Leben innewohne903. Die Befürworter der Freigabe führen vor allem die fehlende Entwicklungsperspektive an. Den Embryonen entstehe kein messbarer Nachteil904. Sie seien mangels

897

Etwa durch Pap MedR 1986 S. 235. Heun JZ 2002 S. 523; Hofmann in: FS-Scholz S. 236; Enders JURA 2003 S. 672; Ipsen JZ 2001 S. 996. 899 Vitzthum ZRP 1987 S. 36; Vitzthum ARSP Beiheft 33 S. 137; Vitzthum MedR 1985 S. 256.; DFG Standpunkte S. 22. 900 Laufs NJW 2000 S. 2717. 901 Lorenz in: FS-Brohm S. 452; Tobias S. 118. 902 Herdegen JZ 2001 S. 776; Vitzthum ZRP 1987 S. 36; Vitzthum ARSP Beiheft 33 S. 137; Böckenförde JZ 2003 S. 813. 903 Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 176. 904 Hofmann JZ 1986 S. 258; Hufen JZ 2004 S. 318; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 99. 898

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

entwicklungsgerichteter Alternativen ohnehin todgeweiht905. Zudem entspreche das Absterben in einem Frühstadium der Entwicklung auch bei natürlicher Befruchtung in mehr als zwei Dritteln der Fälle dem natürlichen Ablauf906. Positiv gewendet wird stellenweise argumentiert, die Aufopferung des Individuums für das Allgemeinwohl sei der letzte Erweis seiner Würde. Hierbei wird eine Parallele zum Kriegstod des Soldaten gezogen907. Hinzu kommen pragmatische Erwägungen ausgehend vom menschlichen Naturell. Demnach sei eine einmal angestoßene Entwicklung, wie diejenige der Stammzellforschung, ohnehin nicht mehr aufzuhalten908. Häufig werden auch die Heilungsperspektiven dem vermeintlich geringen Opfer einzelner Leben gegenübergestellt909. Die typische Menschenwürdeverletzung liege in einem Tabubruch, welcher angesichts von positiv gerichteten Heilungsperspektiven in der embryonalen Stammzellforschung nicht zu erblicken sei910. Vergleichsweise differenziert argumentiert Dederer, der davon ausgeht, dass die Entwicklung zum Menschen unter der auflösenden Bedingung einer Entscheidung gegen den Embryonentransfer stehe. Mit dessen Ausbleiben sei eine Zweckverfehlung eingetreten, womit sodann der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Forschungsfreiheit nach Art. 5 III GG Vorrang zu gewähren sei911. Einige dieser Argumente, insbesondere der Stellenwert der Forschungsfreiheit und die Berücksichtigung der Forschungsziele, entsprechen nach herkömmlicher Grundrechtsdogmatik eher der Rechtfertigungsebene. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Menschenwürde – keine Güterabwägung in Folge des Absolutheitsanspruchs – findet notwendig bei Feststellung des Eingriffs eine vorgelagerte Wertung statt, in welche derartige Überlegungen ebenfalls einfließen912. Allein die fehlende Entwicklungsperspektive gibt keinen entscheidenden Ausschlag für die Freigabe der Forschung an embryonalen Stammzellen. Schneider weist zu Recht darauf hin, dass Todgeweihte kulturell eher als erhöht, denn als abgeschwächt schutzwürdig betrachtet werden913. Höfling rundet diesen Einwand dahingehend ab, dass Todesnähe nicht die Gleichsetzung mit einem Leichnam914 legitimiere915. 905 Kloepfer JZ 2002 S. 426; Starck JZ 2002 S. 1072; Herdegen JZ 2001 S. 776; Schroth in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl S. 269. 906 Hofmann JZ 1986 S. 258; Fechner JZ 1986 S. 659. 907 Fechner JZ 1986 S. 659; sehr zurückhaltend zum Aufopferungsgedanken Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 74 f.; vom Solidaritätsgedanken spricht auch Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 99. 908 Fechner JZ 1986 S. 659. 909 Fechner JZ 1986 S. 659; Schreiber MedR 2003 S. 371; Hufen JZ 2004 S. 318; Losch NJW 1992 S. 2930; zurückhaltend Herdegen JZ 2001 S. 776. 910 Denninger KritVJ 2003 S. 208. 911 Dederer AöR 2002 S. 24; ähnlich Starck JZ 2002 S. 1072. 912 Herdegen in: GS-Heinze S. 357, 360 f.; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 43. 913 Schneider in: Brähler/Stöbel-Richter/Hauffe S. 150. 914 So jedoch Starck JZ 2002 S. 1072. 915 Höfling in: Maio/Just S. 151.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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Ferner ist dem Hinweis auf das vielfache Absterben im Zuge des natürlichen Verlaufs die bereits mehrfach herangezogene Unterscheidung zwischen natürlicher Verfügung und externem Eingriff entgegenzuhalten. Auch der Aufopferungsgedanke greift für sich betrachtet nicht durch. Im Falle des Soldatentodes oder ähnlicher Szenarien entspricht die Aufopferung einer bewussten Entscheidung des selbst aktiv Handelnden. Eine solche abwägende Entscheidung vermag der Embryo nicht zu treffen. Sein Schicksal wird ohne sein Zutun durch diejenigen entschieden, deren Belange er zu dienen bestimmt ist. Das Argument, eine einmal angestoßene Entwicklung sei ohnehin nicht mehr aufzuhalten, zeugt von Resignation, welche in derart elementaren Belangen nicht hinzunehmen ist. Dass eine bestimmte Entwicklung tatsächlich abläuft, lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass diese richtig oder jedenfalls hinzunehmen sei. Zuletzt vermögen auch die hochstehenden Forschungsziele isoliert betrachtet einen Würdeverstoß nicht auszuschließen. Wie sich auf der Schutzbereichsebene bei der Bewertung eines subjektiven Elements gezeigt hat, macht der gute Wille allein sprichwörtlich noch keine gute Tat916. Als erster Zwischenstand ist festzuhalten, dass die einzelnen Argumente für sich genommen allesamt angreifbar sind und in der Diskussion keinen maßgeblichen Ausschlag liefern können. Gleichwohl ist bei nahezu allen Autoren eine gewisse Affinität zur Freigabe für die Forschung erkennbar, die wohl tatsächlich auf den menschlichen Wissensdurst917 und die vielversprechenden Forschungsziele zurückzuführen ist. Einen aussichtsreichen Ansatz bietet die nähere Betrachtung des Charakters der Menschenwürde sowie von deren Sinn und Zweck, wie sie etwa von Denninger918, Dederer919 oder im Ansatz auch von Starck920 unternommen wird. Der ernstzunehmende Hinweis auf die hohe Reaktionsschwelle trägt hier wie bereits beim therapeutischen Klonen nicht. Es geht bei der Entscheidung über das Schicksal überzähliger Embryonen um die aktiv bestimmende Sinngebung menschlichen Lebens durch Dritte. Dabei handelt es sich um einen elementaren Konflikt, in dessen Kontext der Einsatz der Menschenwürde nicht als die vielbeschworene „kleine Münze“921 erscheint. Daneben wurde bisher mehrfach der historische Hintergrund der Einführung des Art. 1 I GG herangezogen. Auch die Intention der Fixierung auf das Individuum nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Herrschaft922 vermag an der Würderelevanz embryonaler Stammzellforschung nichts zu ändern. Bei einer 916 917 918 919 920 921 922

Sondervotum BVerfGE 30, 40; Dederer AöR 2002 S. 4. Fechner JZ 1986 S. 659. Denninger KritVJ 2003 S. 208. Dederer AöR 2002 S. 24. Starck JZ 2002 S. 1072. Dürig AöR 1956 S. 124. BVerfGE 39, 67; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 1; Dederer AöR 2002 S. 12.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Freigabe würde gerade dieser besondere Wert des einzelnen Lebens negiert, wenn man dieses zugunsten hypothetischer Heilungsperspektiven für die Allgemeinheit aufgäbe. Die Menschenwürde und die aus ihr folgende Gleichordnung aller Speziesangehörigen verbietet gerade eine bilanzierende Aufrechnung. Ein Unterschied gegenüber den konsentierten Anwendungsfällen des Art. 1 I GG lässt sich allenfalls in der fehlenden negativen Absicht erblicken. Forschung zu Heilungszwecken stellt einen positiv-schöpferischen Akt dar und nicht etwa einen aggressiv-destruktiven, wie man ihn mit den Greueltaten des Nationalsozialismus und den in der Frühphase des Grundgesetzes zitierten Anwendungsfällen der Menschenwürde wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung923 assoziiert. Diesem Umstand ist es vermutlich geschuldet, dass uns unser Gefühl in Richtung einer Freigabe der Forschung an überzähligen Embryonen lenkt. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die gute oder schlechte Absicht für den Embryo, um dessen Schutz es zuvörderst geht, gleichgültig ist. Menschenwürde ist in erster Linie ein Schutzbegriff und das Individuum steht im Mittelpunkt der Bewertung. Es ist damit aus der Perspektive des beeinträchtigten Embryos zu argumentieren und nicht primär aus derjenigen des Forschers mit guten oder schlechten Zielen. Daneben verbleibt noch ein Begründungsversuch anhand der Unterscheidung zwischen natürlichem Verlauf und externer Verfügung. Es lässt sich anführen, mit Unmöglichkeit der Implantation habe die Natur bereits eine Verfügung in Gestalt des sicher feststehenden Todes getroffen, die vom Menschen in ihrem Ergebnis nicht in Frage gestellt werde. Auch diese Überlegung ist für sich genommen jedoch nicht fruchtbar. Auch bei sicher feststehendem und zeitnahem Todeseintritt wird menschliches Leben nicht rechtlos gestellt und der Verfügung Dritter unterworfen. Inwiefern hier Parallelen zu sterbenskranken Erwachsenen bestehen, gilt es im Anschluss bei der Analyse konkreter Gefährdungslagen am Lebensende zu untersuchen924. Zuletzt soll es um das Hauptmotiv im Diskurs zwischen Befürwortern und Gegnern embryonaler Stammzellforschung im Lichte der Menschenwürde gehen: Die Zweckhaftigkeit menschlichen Lebens. Sofern die Verfechter eines Verbots fordern, menschliches Leben dürfe nur als Zweck an sich selbst behandelt und nicht für fremde Zwecke instrumentalisiert werden925, schließt sich zwingend die Frage an, was der originäre Selbstzweck ungeborenen Lebens ist. Es dürfte wohl Einigkeit herrschen, dass dieser ursprünglich in der Entwicklung hin zum erwachsenen Menschen besteht926. Mit Ausbleiben der Implantation wird dieser Zweck sicher und endgültig unmöglich. Die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, ist diejenige nach der Konsequenz dieser Erkenntnis. 923

BVerfGE 1, 104; Benda in: Benda/Maihofer/Vogel § 6 Rn. 15. Diese Parallele ebenfalls ziehend Steiner S. 20. 925 Vitzthum ZRP 1987 S. 36; Vitzthum ARSP Beiheft 33 S. 137; Vitzthum MedR 1985 S. 256.; DFG Standpunkte S. 22; Laufs NJW 2000 S. 2717. 926 Vitzthum ZRP 1987 S. 36. 924

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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Zum einen erscheint es denkbar, Zweckverfehlung oder Zweckfortfall anzunehmen927. Damit gäbe es keinen Zweck an sich selbst mehr. Infolgedessen wäre auch der Menschenwürdeschutz hinfällig, denn rechtlicher Schutz ist nur dort sinnvoll und überhaupt legitim, wo er Erfolg verspricht. In dieser Variante würde die Verwendung zu Forschungszwecken folglich keinen Eingriff in die Menschenwürde bedeuten. Alternativ könnte man eine Zweckänderung annehmen. Der neue Zweck des Todgeweihten an sich selbst bestünde demnach darin, nach natürlichem Verlauf zu sterben. Damit gäbe es einen fortdauernden Würdeschutz, welcher durch aktiv lenkende Zwecksetzung von Seiten Dritter beeinträchtigt würde. Der Einsatz zu Forschungszwecken würde demnach einen Eingriff in Art. 1 I GG darstellen. Zweifelsohne handelt es sich bei den hier zu untersuchenden Problemfeldern um absolute Grenzfälle928, die nicht nur an den Extremen des Lebens zu verorten sind, sondern auch an den Grenzbereichen der Leistungsfähigkeit des Rechts929. Gleichwohl geht es um zu grundlegende Fragen, um vor diesem Umstand zu kapitulieren. Nach allem sprechen wohl die besseren Argumente dafür, die Zweckänderung einer Zweckverfehlung vorzuziehen. Es mutet schlicht befremdlich an, sich menschliches Leben ohne positiven Selbstzweck vorzustellen. Für diesen Fall läge menschliches Leben vor, ohne dass dieses jedoch in den Schutz der Menschenwürde einbezogen wäre. Dieses Szenario widerspricht nicht nur der plakativen Formel des BVerfG „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu930“. Darüber hinaus stünde es im Widerspruch zur hier herausgearbeiteten Würdekonzeption. Im Ergebnis stellt also die Forschung an überzähligen Embryonen einen Eingriff in Art. 1 I GG dar. Es gibt somit nur einen menschenwürdegerechten Weg, mit den nicht mehr zur Einpflanzung vorgesehenen Embryonen zu verfahren; dieser besteht darin, sie ihrem Schicksal zu überlassen931. cc) Betroffene Grundrechtsdimension Es haben sich soeben die Verfahren der Stammzellentnahme zu Forschungszwecken aus überzähligen Embryonen sowie nach therapeutischem Klonen bzw. gezielter Erzeugung zu Forschungszwecken als menschenwürderelevant erwiesen. Für die spätere Bewertung der einfachgesetzlichen Reglementierung dieser Methoden schließt sich die Frage nach der tangierten Grundrechtsdimension an. In Parallele zum Schwangerschaftsabbruch ist auch hier in beiden Fällen nicht von einer 927

Dederer AöR 2002 S. 24; ähnlich Starck JZ 2002 S. 1072. Herdegen JZ 2001 S. 776. 929 Zu den Grenzen des Rechts an den Grenzen des Lebens auch Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 157. 930 BVerfGE 39, 41. 931 Ebenso Tobias S. 118; so der Beschluss der Zivilrechtlichen Abteilung des 56. DJT 1986 (in: Verhandlungen 56. DJT, Bd. II, K240, 6. Beschluss): „Fehlt eine Implantationsmöglichkeit, sind sie (die verwaisten Embryonen) ihrem Schicksal zu überlassen“. Zitiert nach Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 73 f. Fn. 66. 928

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

primär staatlichen Gefährdungslage auszugehen. Die klassische Abwehrdimension hat mithin für die modernen biotechnischen Problemfelder nicht oberste Priorität932. Dies gilt jedenfalls solange die Forschung nicht staatlich betrieben bzw. unmittelbar oder mittelbar staatlich finanziert wird933. Ähnlich verhält es sich mit der positiv gerichteten Anspruchsdimension. Zwar gewährt Art. 1 I GG einen Achtungsanspruch, allerdings ist die Wirkrichtung im Sinne aktiver Leistungen in Gestalt eines konkreten staatlichen Handelns durch Zuwendungen für die fraglichen Fälle der Embryonenforschung nicht einschlägig. Aktualisiert wird dagegen die staatliche Schutzpflicht nach Art. 1 I 2 GG. In deren Rahmen ist der Staat verpflichtet, Eingriffen in die Menschenwürde von Seiten privater Dritter durch seine drei Gewalten aktiv und effektiv entgegenzutreten934. Sofern man, wie hier, von der Direktwirkung des Art. 1 I GG auch unter Privaten ausgeht935, so ist diese Dimension ebenfalls betroffen. Die Wirkweise entspricht dabei derjenigen der Abwehrdimension gegenüber staatlichen Eingriffen und statuiert damit eine Unterlassungsaufforderung gegenüber den eingreifenden privaten Subjekten. Greifbar und damit einer Bewertung zugänglich ist jedoch trotzdem vor allem die Schutzpflichtdimension, welche folglich im weiteren Verlauf der entscheidende Bewertungsmaßstab sein soll. dd) Zwischenergebnis zu Grundrechtsbeeinträchtigungen bei embryonaler Stammzellforschung Das Verfahren der Entnahme von Stammzellen aus embryonalen Keimzellen nach Spontanabort hat sich als nicht grundrechtsrelevant erwiesen. Ob es daher eine ernstzunehmende Alternative zu den beiden anderen Verfahren bildet, ist gleichwohl aufgrund der oben beschriebenen Schwierigkeiten dieser Methode936 zweifelhaft. Die Verwendung sog. überzähliger Embryonen stellt nach der hier vertretenen Auffassung sowohl einen Eingriff in das Lebensrecht nach Art. 2 II GG als auch in die Menschenwürde nach Art. 1 I GG dar937. Tangierte Grundrechtsdimension ist dabei hauptsächlich die staatliche Schutzpflicht, welche sich hinsichtlich der Menschenwürde explizit aus Art. 1 I 2 GG ergibt. Die Schutzpflicht zugunsten des 932

Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 73. Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 45; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 52. 934 BVerfGE 1, 104; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 38; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 8; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 15; Leibholz/Rinck Art. 1 GG Rn. 9; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 14; Badura S. 119 Rn. 32. 935 Ebenso Schmidt-Glaeser ZRP 2000 S. 397; von Münch JuS 1997 S. 250; Pap MedR 1986 S. 231. 936 Dazu Tobias S. 33; Lungstras S. 214. 937 So auch Vitzthum ZRP 1987 S. 36; Vitzthum ARSP Beiheft 33 S. 137; Vitzthum MedR 1985 S. 256; DFG Standpunkte S. 22; Laufs NJW 2000 S. 2717. 933

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

171

Lebens ist nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich jedoch aus Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung selbst sowie aus den staatstheoretischen Grundlagen sozialer Gemeinschaft938. Ebenso verhält es sich mit dem Verfahren des therapeutischen Klonens bzw. der gezielten Herstellung menschlicher Embryonen in künstlicher Befruchtung zu Forschungszwecken939. Auch dieses Vorgehen greift sowohl in das Lebensrecht nach Art. 2 II GG als auch in die Menschenwürde nach Art. 1 I GG ein. Ebenso aktualisiert sich die Bedeutung staatlicher Schutzpflichten zugunsten dieser beiden grundlegenden Rechtsgüter. 3. Gefährdungslagen am Ende des Lebens Der parallelen Untersuchungsmethode der vorliegenden Arbeit entsprechend schließt sich nun die Bewertung spezifischer Konfliktlagen im Hinblick auf Art. 1 I GG und Art. 2 II GG am Lebensende an. Wie schon der Lebensanfang bietet auch dieses andere Extrem menschlicher Existenz eine Vielzahl von Problembereichen. Im Interesse eines überschaubaren Gesamtumfangs der Arbeit bedarf es mithin einer Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Bisher wurden am Lebensanfang mit Abtreibung und embryonaler Stammzellforschung zwei relevante Fälle von Beeinträchtigungen menschlichen Lebens im Sinne einer Fremddisposition behandelt. Als Pendant hierzu liegt es nahe, am Lebensende verschiedene Sterbehilfekonstellationen zu bewerten. Diese bilden typische Fälle von Fremdverfügungen am Lebensende. Der Suizid als klassische Form der Selbstdisposition kann dabei aufgrund zahlreicher Spezialprobleme nicht eigenständiger Untersuchungsgegenstand sein, wird aber im Bereich einzelner Wertungen immer wieder hinsichtlich Parallelen oder Differenzen zur Sterbehilfe herangezogen werden. Ähnlich wie die Probleme embryonaler Stammzellforschung am Lebensanfang ist auch die intensive Diskussion um Sterbehilfe am Lebensende unter anderem auf eine rasch voranschreitende medizinische Entwicklung und die damit einhergehende zunehmende Verfügbarkeit des Lebens in seinen Extrembereichen zurückzuführen940. Eine weitere Parallele besteht darin, dass es sich auch bei den verschiedenen

938

Ähnlich Hofmann in: FS-Krause S. 122; Alexy S. 414 f.; Stern Staatsrecht III / 1 S. 948; Hermes S. 280; Dietlein S. 25; ähnlich Wahl/Masing JZ 1990 S. 560. 939 So auch Höfling in: Maio/Just S. 151; Schroth in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl S. 268; Laufs NJW 2000 S. 2717; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 176; Schreiber MedR 2003 S. 371; Denninger KritVJ 2003 S. 208; Vitzthum MedR 1985 S. 256; Herdegen in: GS-Heinze S. 365; Herdegen JZ 2001 S. 776; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 99; bei hypothetischer Schutzbereichseröffnung auch Neumann ARSP Beiheft 33 S. 149. 940 Schreiber NStZ 1986 S. 337; Schreiber NStZ 2006 S. 474; Fischer vor § 211 StGB Rn. 16; Eser in: Schönke/Schröder vor § 211 ff. StGB Rn. 21; Wessels/Hettinger Rn. 30; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG S. 96 Rn. 36; Ohly KritJ 2003 S. 107.

172

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Varianten der Sterbehilfe überwiegend um Grenzfälle handelt,941 bei deren Beurteilung gewichtige ethisch-moralische, religiöse, medizinisch-biologische und rechtliche Wertungen aufeinandertreffen942. Naheliegend ist aufgrund der spezifischen Schwächesituation an beiden Polen des Lebens das Erfordernis eines sensiblen Schutzes943. In methodischer Hinsicht erfolgt zuerst eine Begriffsklärung bezüglich der fraglichen Varianten der Sterbehilfe. Gemäß der bereits vom Lebensanfang her bekannten Struktur schließt sich eine Untersuchung im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Grundrechte aus Art. 1 I GG und Art. 2 II GG an, bevor es schließlich zur Festlegung der betroffenen Grundrechtsdimension kommt. a) Sterbehilfe aa) Begriffsbestimmung und Eingrenzung Unter Sterbehilfe im Allgemeinen werden alle Verhaltensweisen verstanden, die einem unheilbar Leidenden in mehr oder minder großer Todesnähe Beistand, Erleichterung, Schmerzlinderung und sonstige Hilfe gewähren944. Damit ist der hier interessierende Fragenkreis trotz der verbreiteten Bezeichnung mit dem historisch vorbelasteten Begriff der Euthanasie945 scharf von der Vernichtung sog. lebensunwerten Lebens aus einer rassisch-ideologischen Motivation heraus abzugrenzen946. Diese hat glücklicherweise in unserem Rechtskreis gegenwärtig keine praktische Relevanz947 und die Einordnung als Menschenwürdeverstoß dürfte als konsentiert gelten948. Stattdessen soll es vorliegend um Fälle von Hilfe und Erleichterung zu-

941 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG S. 96 Rn. 36 spricht vom „Grenzgebiet des rechtlich Erfassbaren“; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 157 spricht von den „Grenzen des Rechts“; ebenso Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 23; Hofmann in: FS-Krause S. 120. 942 Dreier in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 65; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 96; Kintzi DRiZ 2002 S. 256; Uhlenbruck ZRP 1986 S. 209; Fritsche S. 40. 943 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 96; Lindner ZRP 2006 S. 164. 944 Schreiber NStZ 1986 S. 338; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 86; Leonardy DRiZ 1986 S. 283. 945 Saliger KritVJ 2001 S. 392 f.; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 90; Hofmann in: FS-Krause S. 117; Kutzer ZRP 2003 S. 210 f.; Bobbert/Riedel Jahrbuch für Recht und Ethik 2008 S. 468 ff. 946 Ebenso Dölling MedR 1987 S. 6; Krey/Heinrich Rn. 8; Gössel/Dölling Rn. 36; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 90; Knopp MedR 2003 S. 380; Hoerster ZRP 1988 S. 3; Hoerster NJW 1986 S. 1792. 947 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 25. 948 Vgl. etwa Dölling MedR 1987 S. 6; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 24; Roxin in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler S. 94 ff.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

173

gunsten Todkranker beim Sterben gehen949. Diesbezüglich ist im Schrifttum eine Differenzierung nach vier Konstellationen gebräuchlich950. Die erste Fallgruppe bildet die sog. reine oder echte Sterbehilfe bzw. Euthanasie. Hierunter werden alle Hilfen beim Sterben verstanden, die nicht zu einer Lebensverkürzung führen. Intention ist eine Schmerzlinderung ohne Beeinträchtigung des Lebens, beispielsweise Medikation, die zur Trübung des Bewusstseins führen kann951. Darüber hinaus ist menschlicher und psychischer Beistand für den Kranken erforderlich, der in Zuwendung, Begleitung und Mitsorge, in Zuspruch und Pflege bestehen kann952. Für derartige Maßnahmen hat sich der Begriff der Palliativmedizin etabliert953. Eine zweite Gruppe stellt die sog. aktiv-direkte Sterbehilfe dar. Es handelt sich dabei um die gezielte und direkte Tötung eines anderen Menschen zur Verhinderung von Schmerzen im natürlichen Sterbeprozess954. Des Weiteren ist die sog. aktiv-indirekte Sterbehilfe zu nennen. Dabei geht es ebenfalls um die Schmerzbekämpfung bei unheilbar Kranken und schwer Leidenden, welche durch Medikamente erfolgt, selbst wenn dadurch der Eintritt des Todes beschleunigt werden kann. Dem Phänotyp nach handelt es sich um ein Verfahren aktiver Sterbehilfe, anders als bei der direkten Tötung ist jedoch die Lebensverkürzung nicht angestrebtes Ziel, sondern lediglich eine Nebenwirkung, die zugunsten der primären Schmerzlinderung in Kauf genommen wird955. Die Unterschiede liegen also im Bereich des subjektiven Moments956.

949

Ebenso Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 90; Gössel/Dölling Rn. 35. Zweifelnd BGH NJW 2010 S. 2967. Dort schlägt der BGH eine Orientierung an den Begriffen „Sterbehilfe“ und „Behandlungsabbruch“ unter Berücksichtigung der betroffenen Rechtsgüter vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Ordnung vor. 951 Schreiber NStZ 1986 S. 338 f.; Dölling MedR 1987 S. 6; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 23; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 90; Otto NJW 2006 S. 2218. 952 Schreiber NStZ 1986 S. 339; Schaefer S. 213; Leonardy DRiZ 1986 S. 283; Hirsch ZRP 1986 S. 239. 953 Überblick zu deren Umfang und Intention bei Oduncu MedR 2005 S. 516; Kutzer Patientenautonomie S. 36. 954 Schreiber NStZ 1986 S. 339; Dölling MedR 1987 S. 8; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 127; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 17; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; Fischer vor § 211 StGB Rn. 17; Kindhäuser S. 60 Rn. 1. 955 Schreiber NStZ 1986 S. 340; Dölling MedR 1987 S. 7; Rössner/Wenkel in: Dölling/ Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 18; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 26; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; Fischer vor § 211 StGB Rn. 18; Kindhäuser S. 60 Rn. 2; Ingelfinger JZ 2006 S. 824. 956 Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 95; Schreiber NStZ 2006 S. 474. 950

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Letzte Fallgruppe der Sterbehilfeszenarien ist die sog. passive Sterbehilfe957. Diese Gruppe bezeichnet das für eine konkrete Lebensverkürzung kausale Unterlassen erforderlicher Behandlungsmaßnahmen oder deren Abbruch958. Nach heute wohl überwiegender Auffassung wird auch das in den Medien derzeit sehr präsente Abschalten von intensivmedizinischen Apparaten als ein Unterfall passiver Sterbehilfe eingeordnet959. Über diese vier dargestellten Konstellationen hinaus findet sich im Schrifttum mitunter die Differenzierung zwischen Sterbehilfe im engeren und im weiteren Sinn. Dabei meint Ersteres Handlungen nach Eintritt in den irreversiblen Sterbevorgang. Letzteres bezeichnet hingegen Maßnahmen in dessen absehbarer Nähe, noch vor seinem unumkehrbaren Beginn960. bb) Betroffene Grundrechte Auf der Grundlage der soeben erfolgten Begriffsklärung schließt sich nun eine Bewertung der dargestellten Verfahren im Hinblick auf eine Beeinträchtigung von Art. 1 I GG und Art. 2 II GG an. Eine differenzierte verfassungsrechtliche Bewertung findet bisher im Schrifttum bis auf wenige Ausnahmen961 kaum statt962. Sofern dies doch geschieht, wird zumeist eine andere Perspektive gewählt als die hier bevorzugte. Vor allem in der Kommentarliteratur wird überwiegend direkt von den Gegenrechten her argumentiert; es wird also untersucht oder vielmehr festgestellt, inwiefern Rechte des Patienten oder der Ärzte für die Zulässigkeit der Sterbehilfe ins Gewicht fallen963. Hier wird im Sinne der bisherigen Untersuchungsstruktur die umgekehrte Perspektive gewählt. Es wird also herausgearbeitet, inwiefern die betreffenden Handlungsweisen eine Beeinträchtigung des Lebensgrundrechts oder der 957 Schreiber NStZ 1986 S. 341; Dölling MedR 1987 S. 8; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 100; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 27; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 92; Fischer vor § 211 StGB Rn. 19. 958 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 19; Kühl vor § 211 StGB Rn. 8; Holzhauer FamRZ 2006 S. 524; Oduncu MedR 2005 S. 440; Knopp MedR 2003 S. 379; Giesen JZ 1990 S. 936. 959 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 92; Krey/Heinrich Rn. 11; Kindhäuser S. 62 Rn. 7; Dreier JZ 2007 S. 321; zweifelnd zur Unterscheidung von aktivem Tun und Unterlassen BGH NJW 2010 S. 2967. 960 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 93; Kintzi MedR 2002 S. 258; Otto JURA 1999 S. 435. 961 Differenzierte Bewertungen etwa bei Knopp MedR 2003 S. 379 ff.; Hufen ZRP 2003 S. 248 ff.; Hufen NJW 2001 S. 849 ff. 962 Insofern ebenfalls kritisch Lindner JZ 2006 S. 373; Hofmann in: FS-Krause S. 121; Lüderssen JZ 2006 S. 692; Storr MedR 2002 S. 436. 963 Etwa Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 100; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 63 – 65; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 96; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 66; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 212; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 85; Lüttig ZRP 2008 S. 58; Schliemann ZRP 2006 S. 193; Holzhauer ZRP 2004 S. 43.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

175

Menschenwürde des Patienten darstellen. Dabei werden die besagten Gegenrechte dann auf der Ebene eines potentiellen Interessenausgleichs ins Spiel gebracht964. (1) Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG Die klassische Beeinträchtigung des Art. 2 II GG besteht im finalen Entzug des Lebens965. Aufgrund der Irreparabilität ist der Eingriffsbegriff bei Art. 2 II GG jedenfalls bei staatlichen Maßnahmen weiter zu fassen. Umfasst werden dementsprechend alle rechtlichen oder faktischen Maßnahmen, die den Tod eines Menschen bewirken, unabhängig von der Intention bei ihrer Vornahme966. Über unmittelbare Eingriffe hinaus können bereits einschlägige Grundrechtsgefährdungen eine Beeinträchtigung von Art. 2 II GG darstellen967. Von Bedeutung für die Festlegung des Verletzungsurteils ist es auch, sich den Schutzzweck des Lebensgrundrechts zu vergegenwärtigen, welcher in der Sicherung gegenüber externer Disposition besteht968. Im Hinblick auf das Lebensrecht unproblematisch sind demnach Fälle echter oder reiner Sterbehilfe969. Da es hierbei nicht einmal zu dem gesteigerten Risiko einer Lebensverkürzung kommt, liegt keine Beeinträchtigung des Lebens vor. Die diesem Verfahren immanente Bewusstseinstrübung kann allenfalls im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit relevant werden. Ihre Bewertung richtet sich insofern nach den Grundsätzen der ärztlichen Heilbehandlung970 und kann hier nicht Gegenstand einer vertieften Untersuchung sein. Anders verhält es sich mit der aktiv-direkten Sterbehilfe. Diese beinhaltet eine gezielte Lebensverkürzung von Seiten Dritter und bildet somit eine Beeinträchtigung des Art. 2 II GG971. An diesem Verletzungsurteil kann die positive Intention der Schmerzlinderung bzw. -verkürzung nichts ändern972. Art. 2 II GG bietet Rechtsgüterschutz, nicht Schutz vor bestimmten Modalitäten973. Eine Rechtsgutsbeein964

Lindner JZ 2006 S. 376 weist auf die beiden möglichen Perspektiven hin, entscheidet sich jedoch für seine Arbeit zugunsten des Fokus auf die Rechte, die für eine Zulässigkeit der Sterbehilfe positiv ins Feld geführt werden können; ebenso Hufen NJW 2001 S. 850 ff. 965 Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 93; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 33; Schwarz KritVJ 2001 S. 194. 966 Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 141, 151 f.; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 86; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 44; Lorenz in: HdStR Band VI Rn. 24. 967 Kloepfer in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 93; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 4. 968 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 II GG Rn. 81; Pieroth/Schlink Rn. 392; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25. 969 Knopp MedR 2003 S. 385; Hufen NJW 2001 S. 853. 970 Dölling MedR 1987 S. 6; Engisch Der Grenzbereich zwischen Leben und Tod S. 90. 971 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207; Birkner ZRP 2006 S. 54; Wagner ZRP 2005 S. 63; Knopp MedR 2003 S. 386. 972 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 49. 973 Hörnle ARSP 2003 S. 321.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

trächtigung im Sinne des vollständigen Entzugs liegt bei aktiv-direkter Sterbehilfe vor974. Ebenso stellt sich die aktiv-indirekte Sterbehilfe vor dem Hintergrund des Lebensgrundrechts dar975. Obgleich die Lebensverkürzung als solche hier nicht primärer Beweggrund ist, handelt es sich um eine aktiv veranlasste Einbuße von Rechtsgütern im Sinne externer Verfügung und somit um eine Beeinträchtigung des Art. 2 II GG976. Komplizierter gestaltet sich die Bewertung passiver Sterbehilfe. Hierbei ist insbesondere fraglich, ob eine Beeinträchtigung des Lebensrechts durch Unterlassen überhaupt möglich ist977. Die Definition des Schutzzwecks in Gestalt des Schutzes vor externer Verfügung legt ein eher aktiv geprägtes Verständnis der Beeinträchtigung nahe. Auch die Festlegung der Verletzungshandlung als Tötung durch finalen Entzug des Lebens spricht eher für das Erfordernis einer aktiven Einwirkungshandlung. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass diese beiden Verständnisse noch Ausdruck der klassischen Abwehrrichtung der Grundrechte gegenüber dem Staat sind. Wenngleich hier möglichst wenig der noch anstehenden Bewertung der adressierten Grundrechtsdimension vorgegriffen werden soll, ist doch bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass die Schutzpflichtdimension insofern weiter reicht. Nicht umsonst bezeichnet das BVerfG die staatliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens als umfassend978. Bei Vorliegen einer Handlung von Seiten Privater ist es für die Bestimmung der Beeinträchtigung nicht entscheidend, ob diese aktiv erfolgt oder durch ein kausales Unterlassen. Maßgeblich ist vielmehr das Resultat der Rechtsgutsbeeinträchtigung. Diese ist im Falle passiver Sterbehilfe durch Vorliegen eines für die Lebensverkürzung ursächlichen Unterlassens gegeben. Insofern stellt auch dieses Verfahren eine Beeinträchtigung des in Art. 2 II GG verbürgten Lebensrechts dar979. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass vorbehaltlich der sog. echten oder reinen Sterbehilfe die drei übrigen Verfahren eine Beeinträchtigung des durch Art. 2 II GG geschützten Lebensrechts darstellen. Es schließt sich nun die Frage an, inwiefern die betreffenden Gefährdungen daneben auch die Menschenwürde aus Art. 1 I GG tangieren. 974

Ebenso Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 39; Rilinger GA 1997 S. 418. Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207. 976 Eine Beeinträchtigung implizit bejahend Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 39; ebenso Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 63; Otto NJW 2006 S. 2221; a.A. ohne nähere Begründung Knopp MedR 2003 S. 386. 977 Dagegen Lorenz HdStR Band VI § 128 Rn. 49. 978 BVerfGE 39, 42. 979 Eine Beeinträchtigung implizit bejahend Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 39; ebenso Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 63; Hofmann in: FS-Krause S. 121; Stackmann MedR 2003 S. 494; Alberts NJW 1999 S. 836; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 51. 975

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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(2) Beeinträchtigung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG Gemäß dem vorliegend vertretenen Verständnis zum Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde gilt es gesondert festzustellen, ob eine eigenständige Beeinträchtigung der Menschenwürde vorliegt. Für die erstgenannte Konstellation echter Sterbehilfe sind keine Umstände erkennbar, die eine Beeinträchtigung hinsichtlich Art. 1 I GG darstellen980. Der individuelle Eigenwert der menschlichen Existenz wird bei dieser Variante der Sterbehilfe anerkannt und betont. Die Zuwendungen zum Zwecke einer Erleichterung des natürlichen Sterbevorgangs stellen einen solidarischen Akt der Gemeinschaft gegenüber dem schutzbedürftigen Individuum dar und bilden somit eher einen Ausdruck der Menschenwürde als deren Verletzung981. Diese Formen der Sterbebegleitung können durch die positive Wirkrichtung der Menschenwürde als Auftrag aus Art. 1 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG geboten sein. Bei den tatsächlich lebensverkürzenden Maßnahmen vermögen ein zusätzliches quantitatives oder qualitatives Moment die Tötung zugleich zu einer Menschenwürdebeeinträchtigung zu qualifizieren982. Der quantitative Gesichtspunkt wäre betroffen, wenn die Tötung nicht mehr die individuelle Konfliktsituation in den Blick nimmt, sondern entpersonalisiert und automatisiert vonstatten geht. Dadurch würde der Wert individueller Existenz so stark negiert, dass eine Menschenwürdebeeinträchtigung vorläge. Derartige Szenarien einer Tötungsmaschinerie haben jedoch in einem demokratisch verfassten Rechtsstaat keine Aktualität983. Entsprechend der eingangs vorgenommen Abgrenzung zur nationalsozialistischen Euthanasiebewegung ist davon auszugehen, dass es sich bei den hier zu bewertenden Fällen um Ausnahmekonstellationen handelt. Diesem Charakter entsprechend wird im medizinischen Kontext der einzelne Patient in seiner individuellen Leidenssituation in den Fokus gestellt und somit ebenfalls in seinem unverwechselbaren Wert von der Gemeinschaft ernstgenommen. Es verbleibt eine Einordnung nach qualitativen Merkmalen. Diese können ihrerseits entweder die Modalitäten der Tötungshandlung betreffen – die äußere Tatseite also. Daneben kann die Motivation der Tötung – die innere Tatseite – zu einer Würdewidrigkeit führen984. Zunächst ist auf die äußeren Umstände der Tötung einzugehen. Auch hierbei ist zu bedenken, dass es bei Sterbehilfe im vorliegenden Zusammenhang um Maßnahmen unter medizinischer Aufsicht geht. Bei den aktiven

980

Knopp MedR 2003 S. 385; Hufen NJW 2001 S. 853. Diese soziale Komponente der Menschenwürde im Zusammenhang mit Sterbehilfe ebenfalls betonend Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 96; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 54; Landau ZRP 2005 S. 51; Eibach MedR 2000 S. 15. 982 Zum Verhältnis von Menschenwürde und Lebensschutz in diesem Sinne Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 60. 983 Kintzi DRiZ 2002 S. 262. 984 Neumann in: Prittwitz/Manoledakis S. 60; Hörnle ARSP 2003 S. 324 ff. 981

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Einwirkungen geht es in erster Linie um erhöhte Medikation985. Diese führt im Falle aktiv-direkter Sterbehilfe unmittelbar zum Tod. Bei aktiv-indirekter Sterbehilfe stellt die Lebensverkürzung eine nicht primär intendierte Nebenwirkung zum Hauptanliegen der Schmerzlinderung dar. Bei Fällen passiver Sterbehilfe wird der Patient dem natürlichen Sterbeprozess überlassen986, obwohl möglicherweise unter Einsatz moderner Behandlungsmethoden eine gewisse Lebensverlängerung möglich wäre. Es zeigt sich, dass allen drei Konstellationen keine qualifizierenden Qualen oder Erniedrigungen immanent sind, die über die bloße Beeinträchtigung von Art. 2 II GG hinausgingen. Eine Qualifikation wäre anzunehmen, wenn die Todesqualen über das dem natürlichen Sterbeprozess innewohnende Maß hinaus gesteigert oder hinausgezögert würden oder die Tötung selbst mit einer Bloßstellung oder ähnlichen Umständen verbunden wäre. All dies ist nicht der Fall. Sämtliche Modalitäten sind nicht auf eine Erschwerung des normalen Sterbevorgangs, sondern auf dessen Abfederung und Erleichterung angelegt. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Sterbehilfe, jedenfalls im hier untersuchten Sinne, im Rahmen ärztlicher Betreuung erfolgt und schon aus diesem Grund möglichst schonend ausgerichtet ist. Zuletzt gilt gesondertes Augenmerk der verfolgten Intention987. Menschenunwürdig kann insoweit eine rassisch-ideologisch motivierte, selektive Tötung sein. Glücklicherweise entspricht auch dieses Szenario nicht (mehr) den praktisch relevanten Fällen. Eine Beeinträchtigung von Art. 1 I GG würden darüber hinaus alle Handlungsmotive darstellen, die nicht die Interessen des Patienten selbst in den Mittelpunkt stellen. An dieser Stelle fließen abermals vorweg Interessenabwägungen in die Bestimmung des Verletzungsvorgangs hinein988, was bereits oben mit dem Ausnahmecharakter von Art. 1 I GG begründet wurde. Gesellschaftliche Nützlichkeitserwägungen, wie die Ersparnis öffentlicher Mittel durch die Tötung Pflegebedürftiger, Interessen des behandelnden Personals, wie beispielsweise Arbeitsentlastung, oder etwa die Tötung zu Forschungszwecken oder zugunsten potentieller Organempfänger, ebenso zwecks Auszahlung einer Versicherungssumme – derartige fremdnützige Motive würden eine Tötung zum Menschenwürdeverstoß qualifizieren989. Nach allem ist jedoch davon auszugehen, dass bei den fraglichen Konstellationen ausschließlich aus der Perspektive des betroffenen Patienten abgewogen wird. Im Mittelpunkt stehen dessen konkrete Leidenssituation und sein Interesse an Schmerzfreiheit. Infolgedessen ist in den drei gängigen Formen der Sterbehilfe keine Beeinträchtigung der Menschenwürde zu erblicken990. 985

Dreier JZ 2007 S. 321; Kutzer Patientenautonomie S. 13. BGHSt 37, 379; Oduncu MedR 2005 S. 440. 987 Hörnle ARSP 2003 S. 325. 988 Dazu Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 43. 989 Vgl. auch Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 5; Neumann in: Prittwitz/Manoledakis S. 60; Duttge NStZ 2006 S. 482; Hirsch ZRP 1986 S. 241 leitet ein Verbot der Berücksichtigung von Drittinteressen aus Art. 2 II GG ab. 990 A.A. auch bei Tötung auf Verlangen Wilms/Jäger ZRP 1988 S. 44. 986

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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Zusammenfassend stellt folglich keine der vier zu Beginn dieses Kapitels definierten Varianten der Sterbehilfe eine Beeinträchtigung der Menschenwürde dar991. Dies gilt unter der vorliegend zugrunde gelegten Prämisse, dass die Einwirkung in einem medizinischen Kontext erfolgt und ausschließlich die individuellen Interessen des betroffenen Patienten berücksichtigt992. cc) Betroffene Grundrechtsdimension Da soeben das grundsätzliche Vorliegen einer Beeinträchtigung des Lebensrechts durch die praktisch relevanten Formen der Sterbehilfe bejaht wurde, ist im nächsten Schritt herauszuarbeiten, welche Grundrechtsdimension des Art. 2 II GG dadurch aktualisiert wird. Eine mögliche Direktwirkung unter Privaten ist in diesem Fall mangels Einschlägigkeit von Art. 1 I GG nicht relevant. Der allein maßgebliche Art. 2 II GG entfaltet keine unmittelbare Drittwirkung993. Ebensowenig von Bedeutung ist aus der hier verfolgten Forschungsperspektive der positiv-leistungsrechtliche Aspekt des Art. 2 II GG. Dieser Dimension könnte allerdings im Bereich der Gegenrechte auf Rechtfertigungsebene eine entscheidende Rolle im Sinne bestimmter Handlungsaufforderungen beim Umgang mit Patienten zukommen. Angesichts des hier zugrunde gelegten medizinischen Kontextes der Sterbehilfe ist davon auszugehen, dass es sich bei der handelnden oder unterlassenden Person um einen Arzt handelt. Sofern die Sterbehilfe in einem öffentlichen Krankenhaus erfolgt, ist dieser Arzt im öffentlichen Dienst angestellt. Seine Einwirkungshandlung ist damit einem grundrechtsverpflichteten Hoheitsträger zurechenbar994. In diesem Fall ist die klassische abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte995 betroffen996. Anders gestaltet sich die verfassungsrechtliche Wertung bei Einwirkungen Privater, beispielsweise durch Ärzte in privaten Kliniken oder durch Mitarbeiter privater Sterbehilfevereinigungen. In diesem Fall erfolgt die Beeinträchtigung nicht durch einen unmittelbar Grundrechtsverpflichteten. Stattdessen ist in diesem Fall die Schutz991 Ebenso Antoine S. 268; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 39 bezeichnet Sterbehilfe ebenfalls nicht als Kernfrage von Art. 1 I GG, nimmt aber gleichwohl eine Verfassungswidrigkeit diesbezüglich an; Kunig in: von Münch/Kunig bezweifelt die Relevanz von Art. 1 I GG im Bereich der Sterbehilfe, hält sie jedoch am ehesten bzgl. der aktiv-direkten Variante für möglich. 992 So auch Hörnle ARSP 2003 S. 328. 993 Katz Rn. 607; Sodan/Ziekow § 22 Rn. 17; Bultmann S. 184 f.; Gramm/Pieper S. 68. 994 Lindner JZ 2006 S. 375; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207. 995 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 72; Voss DRiZ 1997 S. 509; Ipsen DVBL 2004 S. 1382; Gramm/Pieper S. 68; Epping Rn. 14; Enders JURA 2003 S. 669; Haltern/Viellechner JuS 2002 S. 1197. 996 Lindner JZ 2006 S. 375; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

pflichtdimension des Art. 2 II GG angesprochen, die den Staat verpflichtet, angemessene Maßnahmen zugunsten eines effektiven Lebensschutzes zu treffen997. dd) Befund zur betroffenen Grundrechtsdimension Die Betrachtung des Meinungsstandes zur tangierten Grundrechtsdimension beim Schwangerschaftsabbruch einerseits und bei der Sterbehilfe andererseits ergibt einen interessanten Befund: Die Abtreibung wird ausnahmslos nicht als staatliche Beeinträchtigung bewertet998. Es wird nicht danach differenziert, ob das Handeln des Arztes einem Grundrechtsverpflichteten zurechenbar ist oder nicht. Stattdessen wird auf die Entscheidung der Schwangeren abgestellt und eine private Beeinträchtigung angenommen, die eine Aktualisierung der Schutzpflichtdimension nach sich zieht999. Anders gestaltet sich die Situation am Lebensende: Hier wird jedenfalls teilweise danach unterschieden, ob die Lebensbeendigung in einer staatlichen Einrichtung oder in einem privaten Kontext erfolgt. Dementsprechend ist im ersten Fall die Abwehrdimension der Grundrechte im Sinne einer Unterlassensanforderung betroffen und im zweiten Fall die Schutzpflichtdimension in Form einer Handlungsaufforderung an den Staat1000. Es fragt sich, woraus sich diese divergierende Einordnung der auf den ersten Blick parallel verlaufenden Sachverhalte ergibt. Eine potentielle Erklärung liefert eine nähere Betrachtung der jeweils beteiligten Parteien. An der Konstellation des Schwangerschaftsabbruchs sind drei Rechtsgutsträger beteiligt. Erstens die schwangere Frau, zweitens das Ungeborene und drittens der handelnde Arzt. Der Interessenwiderstreit des eigentlichen Schwangerschaftskonflikts herrscht jedoch in erster Linie zwischen der Schwangeren und dem Ungeborenen. In diesem zweipoligen Interessenkonflikt, in dem sich noch näher zu ergründende Positionen der Frau und das Lebensrecht des ungeborenen Kindes gegenüberstehen, fungiert der Staat als Unparteiischer bei Zuordnung der widerstreitenden Interessen, was der Schutzpflichtdimension entspricht. Den Ausschlag für die Entscheidung über Leben und Tod gibt die Bewertung der Interessen von Schwangerer und Ungeborenem, nicht eine Rechtsposition des Arztes. Bei der Sterbehilfe im hier zugrunde gelegten Sinne geht es dagegen um einen intrapersonalen Interessenkonflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und dessen Lebensrecht. In diesen isolierten Interessenstreit allein könnte der Staat nicht ordnend eingreifen; dies würde zum Grundrechtsschutz gegen den Be997

Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207, 215; Lorenz JZ 2009 S. 58 f. Allen voran durch das BVerfG in seinen beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff.; ebenso etwa bei Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 44; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 341. 999 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 52; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 45. 1000 Lindner JZ 2006 S. 375; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207, 215. 998

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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rechtigten selbst führen. Vor dieser Ausgangslage rückt damit die Funktion des ebenfalls beteiligten Arztes in den Blick. Dessen Einwirkungshandlung verdient stärkere Aufmerksamkeit als am Lebensanfang. Aus diesem Umstand folgen dann die Beachtlichkeit der Differenzierung nach staatlicher oder privater Klinik und die daraus resultierende Unterscheidung in der betroffenen Grundrechtsdimension. b) Zwischenergebnis zu Gefährdungslagen am Lebensende Die Untersuchung der verschiedenen Sterbehilfekonstellationen auf ihre verfassungsrechtliche Eingriffsqualität hin hat Folgendes ergeben: Es konnte keine Relevanz im Hinblick auf Art. 1 I GG festgestellt werden. Keine der vier untersuchten Konstellationen beeinträchtigt die Menschenwürde, sofern die Sterbehilfe in einem medizinischen Kontext erfolgt und ausschließlich auf die Interessen und die individuelle Situation des betroffenen Patienten eingeht1001. Mangels lebensverkürzender Wirkung tangiert die sog. echte oder reine Sterbehilfe auch nicht das Grundrecht aus Art. 2 II GG1002. Betroffen ist dieses jedoch durch die Maßnahmen aktiv-direkter, aktiv-indirekter und auch passiver Sterbehilfe, welche jeweils mit einer kausalen Lebensverkürzung von Seiten Dritter verbunden sind. Je nachdem ob die Einwirkungshandlungen bzw. das Unterlassen in einer staatlichen oder in einer privaten Einrichtung erfolgen, sind unterschiedliche Grundrechtsdimensionen des Art. 2 II GG angesprochen1003. In ersterem Fall geht es um die abwehrrechtliche Komponente, welche ein staatliches Unterlassen erfordert. Andernfalls gewinnt die staatliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens an Bedeutung, welche ein aktives Tätigwerden von Seiten des Staates erforderlich macht. 4. Relativierung über Disponibilität – Zur Frage des Grundrechtsverzichts Eines der Leitmotive dieser Arbeit ist die Untersuchung einer möglichen Relativierung von Lebensschutz und Menschenwürde in den Grenzbereichen des Lebens. Auf der Ebene der Rechtsgutsbeeinträchtigung führt dies zum Problemkreis des Grundrechtsverzichts. Es stellt sich die Frage, inwiefern eine Einschränkung des bislang angenommenen verfassungsrechtlichen Schutzes durch Disponibilität möglich ist. Aus diesem Grund bedarf es zunächst einiger einführender Überlegungen zur Figur des Grundrechtsverzichts im Allgemeinen. Die inhaltliche Befassung betrifft sodann die Möglichkeit des Verzichts bezüglich der fraglichen Rechtsgüter unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen Konfliktlagen an

1001 1002 1003

So auch Hörnle ARSP 2003 S. 328. Knopp MedR 2003 S. 385; Hufen NJW 2001 S. 853. Lindner JZ 2006 S. 375; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207, 215.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Lebensanfang und Lebensende. Zu klären ist dabei auch die mögliche Abhängigkeit von der tangierten Grundrechtsdimension. a) Allgemeine Grundlagen Angefangen bei der Terminologie, über die grundsätzliche Zulässigkeit, die konkreten Voraussetzungen bis hin zu potentiellen Rechtsfolgen ist im Bereich des Grundrechtsverzichts seit jeher vieles umstritten1004. Abgegrenzt wird das Institut regelmäßig von der bloßen Nichtausübung einer grundrechtlich geschützten Freiheit sowie von der sog. negativen Seite der Grundrechte1005. Gemeinsamer Kern der Veröffentlichungen zum Grundrechtsverzicht ist die Frage, ob der Einzelne eine bestimmte grundrechtlich gewährleistete Rechtsposition in einer konkreten Situation aufgeben kann1006. Vor allem im früheren Schrifttum wurde diese Möglichkeit unter Hinweis auf die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte in Art. 1 II GG oder auf die Gemeinschaftsbezogenheit der Grundrechte und die daraus resultierende fehlende Dispositionsbefugnis des Einzelnen abgelehnt1007. Die Gegenposition dazu bildeten diejenigen Autoren, die postulierten, der Grundrechtsverzicht sei eine Form von Grundrechtsausübung und damit durch das Freiheitsgrundrecht selbst gewährleistet1008. Weitere Ansätze stützen die Möglichkeit des Grundrechtsverzichts entweder auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG1009, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 I GG i.V.m. 2 I GG1010 oder unmittelbar auf den der Menschenwürde selbst immanenten Autonomiegedanken des Art. 1 I GG1011. Bleckmann gründet die Möglichkeit des Verzichts neben der allgemeinen Handlungsfreiheit auch auf die Funktion der Grundrechte als solcher1012. Diese dienten der Durchsetzung individueller Interessen in einem sozialen System. Im Verhältnis zu Dritten oder zum Staat seien oftmals ein Austausch und eine Interessenabwägung notwendig. Daher sei es erforderlich, dass der Einzelne in konkreten Situationen auf Rechtspositionen verzichten könne, um Kompromisse einzugehen, um so letztlich die Effektivität der Grundrechte zu maximieren1013. 1004

Dazu schon Pietzcker Der Staat 1978 S. 527; Bleckmann Staatsrecht II S. 321. Seifert JURA 2007 S. 101; Hufen S. 93 Rn. 42; Dreier in: Dreier Vorb. Rn. 130; Stern Staatsrecht III / 2 S. 905; Wilms/Jäger ZRP 1988 S. 42. 1006 Robbers JuS 1985 S. 925; Fischinger JuS 2007 S. 808; Malorny JA 1974 S. 475; Sachs S. 114 Rn. 34; Stern Staatsrecht III / 2 S. 906. 1007 Malorny JA 1974 S. 477 f. 1008 Fischinger JuS 2007 S. 809. 1009 Bleckmann Staatsrecht II S. 322. 1010 Seifert JURA 2007 S. 102; Stern Staatsrecht III / 2 S. 907. 1011 Pietzcker Der Staat 1978 S. 540 f. 1012 Bleckmann Staatsrecht II S. 326. 1013 Bleckmann Staatsrecht II S. 326. 1005

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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Diesen pauschalen Pro- oder Contra-Bewertungen wird heute überwiegend mit dem Hinweis entgegengetreten, die Möglichkeit des Verzichts sei für jedes Grundrecht nach seinem Sinn und Zweck gesondert zu bestimmen1014. Dabei spielt der Autonomiegedanke eine ebenso entscheidende Rolle wie die konkreten Umstände der fraglichen Gefährdungslage. Im Endeffekt sprechen sich zahlreiche Autoren für eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall aus1015. Im Zuge dieser Akzentuierung der Kontextbezogenheit wird mitunter darauf hingewiesen, dass ein Totalverzicht, also die endgültige und dauerhafte Aufgabe einer Grundrechtsposition, nicht zulässig sei1016. Im Lauf der Jahre haben sich einige wiederkehrende Voraussetzungen des Grundrechtsverzichts herausgebildet. Zunächst muss der Erklärende Grundrechtsträger bezüglich der fraglichen Rechtsposition sein1017. Er muss eine unzweideutig auf Aufgabe der Position gerichtete Erklärung abgeben, wobei dies ausdrücklich oder konkludent erfolgen kann1018. Als weiteres Merkmal wird die Freiwilligkeit des Verzichts besonders hervorgehoben1019. Zuletzt muss das fragliche Rechtsgut der Dispositionsbefugnis des Erklärenden unterliegen1020. Gerade der letzte Punkt ist Gegenstand zahlreicher Streitfragen. Hier ist auch der eingangs angesprochene Themenkomplex zu verorten, ob Grundrechte überhaupt der Dispositionsbefugnis des Individuums unterfallen. Die Antwort darauf hängt entscheidend vom zugrunde gelegten Grundrechtsverständnis ab1021. Daneben bildet die mögliche Disponibilität der Menschenwürde ein aktuelles Diskussionsfeld, auf welches hier im weiteren Verlauf einzugehen ist. Auch die Rechtsfolge im Falle eines zu bejahenden Grundrechtsverzichts wird uneinheitlich bestimmt. Während der wohl überwiegende Teil des Schrifttums das Vorliegen eines Eingriffs verneint1022, nehmen andere Autoren eine Rechtfertigung des Eingriffs an1023. Da hier Lebensrecht und Menschenwürde parallel untersucht werden und es im Bezug auf Art. 1 I GG nach allgemeinem Verständnis keine 1014

Robbers JuS 1985 S. 927; Pietzcker Der Staat 1978 S. 542; Seifert JURA 2007 S. 102; Epping Rn. 102; Pieroth/Schlink Rn. 136; Sachs S. 114 Rn. 37; Stern Staatsrecht III / 2 S. 893. 1015 Robbers JuS 1985 S. 931; Fischinger JuS 2007 S. 810; Seifert JURA 2007 S. 104; Stern Staatsrecht III / 2 S. 925; Bleckmann Staatsrecht II S. 323. 1016 Pietzcker Der Staat 1978 S. 531; Bleckmann Staatsrecht II S. 323; Malorny JA 1974 S. 478; Seifert JURA 2007 S. 100 f.; Fischinger JuS 2007 S. 808. 1017 Malorny JA 1974 S. 475; Seifert JURA 2007 S. 103; Stern Staatsrecht III /2 S. 913. 1018 Fischinger JuS 2007 S. 808; Seifert JURA 2007 S. 102. 1019 Robbers JuS 1985 S. 926; Fischinger JuS 2007 S. 809; Malorny JA 1974 S. 475; Pietzcker Der Staat 1978 S. 541; Seifert JURA 2007 S. 100; Pieroth/Schlink Rn. 136. 1020 Fischinger JuS 2007 S. 810; Malorny JA 1974 S. 475; Sachs S. 114 Rn. 37. 1021 Zu den Grundrechtstheorien Robbers JuS 1985 S. 927; Pietzcker Der Staat 1978 S. 540. 1022 Seifert JURA 2007 S. 101; Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 36; Epping Rn. 102. 1023 Fischinger JuS 2007 S. 813.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Rechtfertigungsprüfung gibt, wurde vorliegend die Einordnung auf der Ebene des Eingriffs gewählt. Im gesamten Verlauf der bisherigen Bearbeitung findet sich eine Differenzierung zwischen privater Beeinträchtigung und damit korrespondierender staatlicher Schutzpflicht sowie der staatlichen Beeinträchtigung und der damit einhergehenden Abwehrdimension des Grundrechts. Diese Unterscheidung verdient auch im Bereich des Grundrechtsverzichts Aufmerksamkeit. Erstaunlich erscheint es daher, dass sich nur wenige Stimmen diesbezüglich äußern. Fischinger ist der Auffassung, dass die tangierte Grundrechtsdimension im Ergebnis keine Konsequenzen für die Möglichkeit und die Voraussetzungen des Grundrechtsverzichts hat1024. b) Verfügbarkeit im Bereich der vorliegend untersuchten Rechtsgüter Nach der vermittelnden Ansicht, wonach die Disponibilität für jedes Grundrecht gesondert nach dessen Sinn und Zweck zu bestimmen ist, werden nachfolgend Menschenwürde und Lebensrecht unter diesem Aspekt näher betrachtet. Dabei wird in erster Linie der Meinungsstand im Schrifttum reflektiert. Eine eigene Bewertung der Verzichtsmöglichkeit findet dann eine Ebene spezieller bei der anschließenden Analyse der einschlägigen Gefährdungslagen im konkreten Fall statt. aa) Zur Disponibilität der Menschenwürde aus Art. 1 I GG In seinem viel beachteten Peep-Show-Urteil1025 hat das BVerfG unter anderem ausgeführt, dass es sich bei der Menschenwürde um einen objektiven, unverfügbaren Wert handle, der sich der Dispositionsbefugnis des Einzelnen entziehe1026. Dieser Auffassung haben sich zahlreiche Stimmen in der Literatur angeschlossen, die trotz grundsätzlicher Aufgeschlossenheit gegenüber der Figur des Grundrechtsverzichts mit der Sonderrolle der Menschenwürde und mit der Unantastbarkeitsformel argumentieren1027. Aus diesem Grund lehnen sie einen Verzicht auf die Gewährleistung des Art. 1 I GG entweder kategorisch oder jedenfalls hinsichtlich deren Kernbereich ab1028. Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Peep-Show-Urteil hat sich der Problemkreis des Grundrechtsschutzes gegenüber dem Berechtigten selbst bzw. des aufgedrängten Würdeschutzes entwickelt1029. Hierbei wird darauf hingewiesen, dass eine selbstbestimmte Persönlichkeitsentfaltung gerade ein spezifisches Moment der 1024

Fischinger JuS 2007 S. 812. BVerfGE 45, 187 ff. 1026 BVerfGE 45, 229. 1027 Dreier in: Dreier Vorb. Rn. 133; Epping Rn. 571; Fischinger JuS 2007 S. 810. 1028 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 13; Pieroth/Schlink Rn. 137; Epping Rn. 102; Robbers JuS 1985 S. 928; Gern NJW 1983 S. 1589 f.; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 2; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 71. 1029 Dazu Seifert JURA 2007 S. 103 f.; Höfling NJW 1983 S. 1585; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 151 ff. 1025

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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Menschenwürde ausmache und somit ihrerseits durch Art. 1 I GG gewährleistet sei. Wenn nun der Staat in Folge seiner Schutzpflicht zugunsten der Menschenwürde Maßnahmen ergreife, werde damit wiederum der Autonomiegehalt der Menschenwürde beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung betreffe sodann die Abwehrfunktion. Es kollidierten mithin Abwehr- und Schutzpflichtfunktion. Aufgrund der konstitutiven Bedeutung der Selbstbestimmung für die Gewährleistung der Menschenwürde sowie aufgrund der klareren Konturen der Abwehrdimension wird dieser der Vorrang eingeräumt. Infolgedessen gehen zahlreiche Autoren im Schrifttum von einer Verfügungsbefugnis bezüglich Art. 1 I GG aus1030. Einen vermittelnden Weg beschreiten diejenigen, die zwar angesichts der herausragenden Bedeutung der Menschenwürde eine Einwilligung in eine Beeinträchtigung ablehnen, das Problem aber dogmatisch vorverlagern. Stattdessen wird angenommen, dass das Vorliegen einer freiwilligen Einwilligung bereits in den Kontext der Eröffnung des Schutzbereiches der Menschenwürde hineinwirke und dieser folglich äußerst restriktiv zu definieren sei1031. bb) Zur Disponibilität des Lebensrechts aus Art. 2 II GG Ähnlich gespalten gestaltet sich der Meinungsstand hinsichtlich der Disponibilität des Lebensrechts. Zu beachten ist dabei eine klare Trennung zwischen der hier untersuchten Problematik des Grundrechtsverzichts auf der Eingriffsebene und möglichen Auswirkungen eines Einverständnisses des Beeinträchtigten auf der Ebene der Rechtfertigung. Die Befürworter der Disponibilität stellen unter anderem auf die Grundrechtsfunktion ab und argumentieren, dass das Lebensrecht in erster Linie eine individualbezogene Verbürgung ohne überwiegenden Gemeinschaftsbezug sei und folglich zur Verfügung des Inhabers stehe1032. Ablehnende Stimmen zu einem Verzicht bezüglich Art. 2 II GG führen die hohe Wertigkeit des Rechtsguts an oder berufen sich auf einen entgegenstehenden absoluten Lebensschutz. Dessen Herleitung unterbleibt jedoch1033. Wilms/Jäger postulieren ein eingeschränktes Verständnis zur Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts überhaupt und leiten daraus auch die Unzulässigkeit eines Verzichts auf das Recht 1030 Schmitt-Glaeser ZRP 2000 S. 400; Höfling NJW 1983 S. 1584; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 7; Leibholz/Rinck Art. 1 GG Rn. 3; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 75; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 1 I GG Rn. 36; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 152. 1031 Fischinger JuS 2007 S. 811; Stern Staatsrecht III / 2 S. 923. 1032 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 36; Wassermann DRiZ 1986 S. 293. 1033 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 308 spricht ohne nähere Erläuterung von einer erheblich eingeschränkten Verfügungsgewalt; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 51; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 207; Epping Rn. 104; mit den Hintergründen befasst sich Hoerster NJW 1986 S. 1787 f.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

aus Art. 2 II GG ab1034. Zuletzt findet sich auch im Bereich des Art. 2 II GG eine vermittelnde Lösung, welche das Problem nicht auf die Ebene des Schutzbereichs projiziert wie bei der Menschenwürde, sondern es auf die Rechtfertigungsebene verlegt1035. c) Verfügbarkeit im Bereich der vorliegend untersuchten Gefährdungslagen In Fortführung einer schrittweise erhöhten Konkretisierungsdichte erfolgt nun die Bewertung des Potentials eines Grundrechtsverzichts in den fraglichen Gefährdungslagen. Dabei wird mit Parallelen und Differenzen zwischen Lebensanfang und Lebensende ein weiteres Leitmotiv der Arbeit wieder in den Vordergrund gerückt. aa) Situation bei Beeinträchtigungen des Lebens in vivo Als erste Gefährdungslagen am Lebensanfang wurden pränidative Einwirkungen und der Schwangerschaftsabbruch im engeren Sinne untersucht. Beide wurden als Beeinträchtigung des Lebensrechts aus Art. 2 II GG eingestuft. Es stellt sich also die Frage der Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts in dieser konkreten Situation. Die spezifische Problematik besteht in diesem Fall darin, dass das ungeborene Leben als Grundrechtsträger nicht zu einer eigenen Willensäußerung in der Lage ist, die eine zwingende Voraussetzung für den Rechtsverzicht bildet. Grundsätzlich nehmen in derart gelagerten Fällen die Eltern die Interessen des Kindes wahr1036. Verfassungsrechtlich ist dieses Elternrecht in Art. 6 II 1 GG verbürgt. Im Prinzip bestünde damit die Möglichkeit einer Stellvertretung durch die Erziehungsberechtigten1037. Für die fraglichen Konfliktlagen ist jedoch zu bedenken, dass jedenfalls die Mutter eine unmittelbar am aufzulösenden Interessenkonflikt beteiligte Partei ist. Bei Annahme einer Stellvertretung würde sie die alleinige Entscheidung treffen im Widerstreit zwischen ihren eigenen Interessen und denjenigen des Kindes. Dies entspricht der aus dem Zivilrecht bekannten Situation, welche dem Verbot des Insichgeschäfts nach § 181 BGB zugrunde liegt. Auch hier soll eine entsprechende Interessenkollision bei Selbstkontrahierung ausgeschlossen werden1038. Ausgeschlossen wäre diese Interessenkollision im Falle einer Pflegerbestellung. Dieser könnte als neutraler Dritter die Interessen des Ungeborenen wahrnehmen. Hierbei ist jedoch die elementare Bedeutung des Lebensrechts zu berücksichtigen, auf dessen Aufgabe die Erklärung des Pflegers bei pränidativen Maßnahmen oder beim Schwangerschaftsabbruch gerichtet wäre. Faktisch würde die Entscheidung des

1034 1035 1036 1037 1038

Wilms/Jäger ZRP 1988 S. 42. Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 86. Harks NJW 2002 S. 718 f.; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 56. Sachs S. 115 Rn. 40; Seifert JURA 2007 S. 102. Dazu Rüthers/Stadler § 30 Rn. 54 ff.; Brox/Walker AT Rn. 584 ff.; Hirsch Rn. 867 ff.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

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Pflegers eine Fremddisposition über das Leben des Betreuten darstellen, welcher Sinn und Zweck des Lebensrechts gerade entgegenstehen. Eine dem Kindeswohl entsprechende Wahrnehmung der Entscheidungsmacht ist nicht gewährleistet, so dass für die fraglichen Fälle die Zulässigkeit der Stellvertretung und damit diejenige eines Grundrechtsverzichts insgesamt abzulehnen ist. bb) Situation bei Beeinträchtigungen des Lebens in vitro Als weitere Gefährdungslage am Lebensanfang wurde die embryonale Stammzellforschung einer Bewertung unterzogen. Dabei wurden sowohl die Verwendung sog. überzähliger Embryonen als auch die gezielte Herstellung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken als Beeinträchtigungen von Art. 2 II GG und Art. 1 I GG verstanden. Fraglich ist, welche Möglichkeiten die Figur des Grundrechtsverzichts diesbezüglich eröffnet. Auch in diesem Fall ist der Grundrechtsträger selbst nicht zu einer Willensäußerung im Stande. In Betracht käme eine Stellvertretung durch die Spender der Keimzellen. Anders als bei der Abtreibungsproblematik sind diese nicht unmittelbar Parteien des Interessenkonflikts; ihre eigenen Interessen werden nicht berührt. Der Rechtsgedanke des verbotenen Insichgeschäfts im Falle einer Stellvertretung steht mithin einem Verzicht nicht entgegen. Es ergibt sich jedoch ein anderes Problem. Die oben angesprochene Konstellation des Würdeschutzes gegen den Berechtigten selbst ist hier gerade nicht einschlägig. Sowohl Menschenwürde als auch Lebensschutz stellen das Individuum und dessen Entfaltung sowie seine Entscheidung in den Mittelpunkt1039. Art. 2 II GG dient gerade dem Schutz gegenüber externer Disposition1040. Die generelle Zulässigkeit eines Grundrechtsverzichts hinsichtlich Art. 1 I GG und Art. 2 II GG kann allenfalls im Sinne einer Selbstverfügung begründet werden, als Ausdruck des Respekts vor einer autonomen Entscheidung über das eigene Schicksal. Subsumiert man nun den vorliegenden Sachverhalt unter diese Prämissen, ergibt sich Folgendes: Rechtlich läge bei Annahme einer Stellvertretung eine Selbstverfügung vor, da die Erklärung des Stellvertreters dem Berechtigten als eigene zugerechnet wird. Rein faktisch hingegen, und darauf muss es hier im Sinne eines effektiven Schutzes entscheidend ankommen, liegt ein Fall von Fremddisposition vor. Der Erklärende verfügt über das Schicksal des Berechtigten. Angesichts des Charakters von Menschenwürde und Lebensrecht als höchstpersönliche Rechtsgüter ist die Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts unter Einschaltung eines Stellvertreters abzulehnen. Sinn und Zweck beider Verbürgungen stehen einer Stellvertretung in der Verzichtserklärung entgegen. 1039

von Mangoldt DÖV 1949 S. 263; Vitzthum MedR 1985 S. 252; Enders Verfassungsordnung S. 491; Hermes S. 195. 1040 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 II GG Rn. 81; Pieroth/Schlink Rn. 392; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 25.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Es bedarf folglich keiner Stellungnahme zur grundsätzlichen Disponibilität von Menschenwürde und Lebensrecht. Jedenfalls in der konkreten Konfliktlage ist die Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts zu verneinen. cc) Situation der Sterbehilfe am Lebensende Ein bedeutender Unterschied zur Situation am Lebensanfang besteht bei der Sterbehilfe darin, dass zumindest in einigen Fällen eine bewusste Willensäußerung des Grundrechtsträgers möglich ist. Dem Argument der Selbstbestimmung kommt damit ein wesentlich stärkeres Gewicht zu. Sofern der Rechtsinhaber aufgrund von Bewusstlosigkeit oder alters- und krankheitsbedingter Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit nicht zu einer aktuellen Willensäußerung im Stande ist, eröffnet dies weitere komplexe Problemfelder zur Beachtlichkeit des hypothetischen Willens, zum antizipierten Willen mittels Patientenverfügung oder auch zu Fragen des Betreuungsrechts. Möglicherweise ist diesbezüglich eine differenzierte Bewertung im Zusammenhang mit der Möglichkeit des Grundrechtsverzichts entbehrlich. Dies könnte sich aus einer näheren Betrachtung der allgemeinen Disponibilität des Lebensrechts vor dem Hintergrund von Charakter sowie Sinn und Zweck des Grundrechtsverzichts ergeben. Unter einem Grundrechtsverzicht wird die zeitlich begrenzte und für den Betroffenen überschaubare Aufgabe einer bestimmten Rechtsposition angesichts einer konkreten Gefährdungslage verstanden1041. Einhellig auf Ablehnung stößt dagegen der sog. Totalverzicht im Sinne einer dauerhaften und endgültigen Aufgabe einer bestimmten oder sämtlicher Rechtspositionen1042. Eine Begründung für diese Ablehnung sucht man vergeblich; als zu offensichtlich wird dieses Ergebnis offenbar von der Mehrheit der Autoren eingeordnet. Nur bei Fischinger findet sich der Hinweis, ein solcher Totalverzicht sei praktisch schwer vorstellbar1043. Bei näherer Betrachtung ergibt sich aus einigen impliziten Äußerungen die Begründung für die im Ergebnis zutreffende Ablehnung eines Totalverzichts. Im Kern geht es dabei um die bereits oben angeklungene Bedeutung und Funktion der Grundrechte. Jarass führt etwa aus, dass der objektive Gehalt eines Grundrechts einem Verzicht entgegenstehen könne, insbesondere dann, wenn die Beeinträchtigung von besonderer Dauer und Schwere sei1044. Der Betroffene müsse die Konsequenzen seiner Erklärung überblicken können, weshalb es nicht möglich sei, grundlegend auf eine Grundrechtsposition zu verzichten1045. Daneben erlangt auch 1041

Robbers JuS 1985 S. 925; Fischinger JuS 2007 S. 808; Malorny JA 1974 S. 475; Sachs S. 114 Rn. 34; Stern Staatsrecht III / 2 S. 906. 1042 Pietzcker Der Staat 1978 S. 531; Bleckmann Staatsrecht II S. 323; Malorny JA 1974 S. 478; Seifert JURA 2007 S. 100 f.; Fischinger JuS 2007 S. 808. 1043 Fischinger JuS 2007 S. 808. 1044 Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 36; Pieroth/Schlink Rn. 139. 1045 Jarass in: Jarass/Pieroth vor Art. 1 GG Rn. 36.

II. Tatsächliches Vorliegen einer Beeinträchtigung (Eingriff)

189

Art. 1 II GG Bedeutung. Wenngleich heute als konsentiert gilt, dass dieser der generellen Zulässigkeit eines Grundrechtsverzichts nicht entgegensteht, so führt doch ebenfalls Jarass aus, die Menschenrechte dienten nicht nur ihrem individuellen Träger, sondern seien auch Grundlage einer jeden guten Gesellschaft. Wegen ihrer zentralen Bedeutung seien sie unverzichtbar, was nicht ausschließe, auf einzelne Grundrechtsausübung zu verzichten1046. Im Ergebnis betonen diese Ausführungen die Gemeinschaftsbindung des Individuums und die korrespondierende Funktion der Grundrechte. In einem absoluten Ausmaß sind die Grundrechte also der Disposition des Trägers entzogen. Während in einer konkreten Konfliktsituation das Interesse an einer, ebenfalls durch die Grundrechte gewährleisteten, freien, individuellen Entscheidung überwiegt, setzt sich auf den Totalverzicht bezogen die überindividuelle Bedeutung durch. Es fragt sich, welche Konsequenzen dieses Ergebnis für das Lebensrecht hat. Zunächst einmal befindet sich der Grundrechtsträger in einer konkreten Konfliktsituation und es geht mit dem Leben auch um ein konkretes Rechtsgut. Zwar stellt der Akt der Sterbehilfe auch nur eine punktuelle Einwirkungshandlung dar, die Folgen sind dagegen weitreichend. Im Gegensatz zu anderen Freiheitsgrundrechten handelt es sich beim Lebensrecht um eine „Alles-oder-Nichts“-Entscheidung. Der Verzicht ist endgültig und die Folgen sind nicht zu revidieren. Sofern also nicht lediglich die Einwilligung in eine Rechtsgutsgefährdung, sondern wie im Fall der Sterbehilfe eine Einwilligung in die endgültige Verfügung vorliegt, handelt es sich stets um einen Totalverzicht. Wenn auch der Tötungsakt unmittelbar ausschließlich in das Lebensrecht eingreift, so muss doch ergänzend darauf abgestellt werden, dass das menschliche Leben die vitale Basis aller Freiheitsentfaltung ist und somit sämtliche grundrechtliche Freiheitsbetätigung für die Zukunft fortfällt. Nachdem jedoch im Sinne der obigen Ausführungen bereits ein Totalverzicht hinsichtlich eines bestimmten Rechts abzulehnen ist, kommt es darauf nicht mehr entscheidend an. Zusammenfassend wird hier somit ein Grundrechtsverzicht im Bereich des Lebensrechts generell abgelehnt, da es sich stets um einen unzulässigen Totalverzicht handeln würde. Den Verfechtern des Selbstbestimmungsrechts sei eingeräumt, dass damit im Sinne der vermittelnden Auffassung nichts über den Ausgang einer Interessenabwägung auf der Rechtfertigungsebene gesagt ist. Insofern ist dem zunächst nicht ganz eindeutigen Satz Jarass’ beizupflichten, eine Einwilligung schließe wegen der Bedeutung des Rechtsguts einen Eingriff nicht aus, könne aber auf der Ebene der Rechtfertigung relevant werden1047. Die Rechtsfigur des Grundrechtsverzichts hat sich somit auch im Zusammenhang mit der Sterbehilfeproblematik am Lebensende nicht als fruchtbar erwiesen.

1046 1047

Jarass in: Jarass/Pieroth Art.1 GG Rn. 27. Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 86.

190

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

d) Zwischenergebnis zum Aspekt des Grundrechtsverzichts Die voranstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass auch unter dem Aspekt des Grundrechtsverzichts keine Relativierung des Schutzes von Lebensrecht und Menschenwürde angesichts der Gefährdungslagen an den Grenzen des Lebens anzunehmen ist. Dies ist am Lebensanfang vor allem auf die fehlende Wahrnehmungsund Äußerungsfähigkeit des betroffenen Subjekts selbst zurückzuführen. Die Stellvertretung verbietet sich letztlich in beiden Fällen aufgrund von Sinn und Zweck der fraglichen Gewährleistungen, welche beide die individuelle Existenz in den Mittelpunkt rücken und gegenüber jeglicher Drittverfügung schützen wollen. Als eine möglicherweise relevante Besonderheit am Lebensende sind die potentielle Äußerungsfähigkeit und die damit einhergehende Gewichtigkeit der Selbstbestimmung angeklungen. Letztere findet unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsverzichts auf der Eingriffsebene ihre Grenzen in dem hier anzunehmenden Fall des Totalverzichts. Dessen Unzulässigkeit wiederum ist vor allem auf die weitreichenden Konsequenzen und die überindividuelle Dimension der Grundrechte zurückzuführen. 5. Ergebnisse zur Ebene der Grundrechtsbeeinträchtigung Im zurückliegenden Abschnitt wurden konkrete Gefährdungslagen an den Grenzen des Lebens untersucht. Dabei wurden zwei zentrale Feststellungen getroffen: Erstens liegt der Schwerpunkt der beeinträchtigten Rechtsgüter eindeutig beim Lebensrecht. Der Menschenwürde kommt in den ausgewählten Konfliktlagen insgesamt weniger Relevanz zu als gemeinhin angenommen. Lediglich hinsichtlich der Forschung an überzähligen Embryonen und deren gezielter Erzeugung zu Forschungszwecken konnte eine Würderelevanz festgestellt werden. Zweitens ist festzuhalten, dass im Bezug auf die betroffene Grundrechtsdimension der Schwerpunkt bei der staatlichen Schutzpflicht liegt. Nur bei Einschlägigkeit von Art. 1 I GG konnte daneben von einer unmittelbaren Direktwirkung ausgegangen werden. Dieser Komponente kommt allerdings für die weitere Interessenbewertung kein primäres Gewicht zu. Daneben hat sich bei der Sterbehilfeproblematik gezeigt, dass gegebenenfalls auch die Abwehrfunktion des Art. 2 II GG betroffen sein kann. Unter dem Gesichtspunkt der Relativierung von Lebensrecht oder Menschenwürde konnte auch auf der Ebene der Beeinträchtigung kein Ansatzpunkt für eine Einschränkung gefunden werden. Jedenfalls in den fraglichen Problemfeldern ist eine Disposition in Form des Grundrechtsverzichts aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Mit diesen Erkenntnissen sind die wesentlichen Weichen für die kommenden Untersuchungsschritte gestellt. Nachdem bislang die zu schützenden Rechtsgüter im Mittelpunkt standen, geht es nachfolgend um die gegenläufigen Interessen.

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung)

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Grundrechtsdogmatisch bildet dies die Ebene des Interessenausgleichs oder technisch gesprochen der Rechtfertigung. Wenngleich diese Terminologie bei Art. 1 I GG aufgrund dessen Unantastbarkeit allgemein abgelehnt wird1048, soll die anstehende Untersuchung aus folgendem Grund doch weiterhin parallel zu derjenigen des Lebensrechts verlaufen und auch so bezeichnet werden: Eines der Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, die mögliche Relativität von Lebensrecht und Menschenwürde angesichts der Grenzbereiche des menschlichen Daseins aufzuarbeiten. Zu diesem Zweck sollen auch bei der Menschenwürde keine Vorfestlegungen akzeptiert werden. Vielmehr sollen auch in diesem Bereich die entgegenstehenden Interessen jedenfalls beleuchtet werden; damit ist noch keine Entscheidung über eine Relativierung getroffen, es bleiben alle Optionen für eine umfassende Untersuchung offen1049.

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung) 1. Rechtfertigung einer Beeinträchtigung von Art. 2 II GG, Lebensrecht a) Zur Abwehrdimension des Lebensgrundrechts Bezogen auf die Abwehrfunktion des Art. 2 II GG gegenüber staatlichen Eingriffen ist das Lebensrecht nicht schrankenlos gewährleistet1050. Es unterliegt dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 II 3 GG. Aufgrund der hohen Bedeutung des geschützten Rechtsguts ist ein formelles Parlamentsgesetz im Sinne der Wesentlichkeitstheorie erforderlich1051. Gleichwohl zeigt sich in diesem Gesetzesvorbehalt, dass es sich trotz seiner hohen Wertigkeit beim Leben um ein relatives Rechtsgut handelt, das nicht bedingungslos Vorrang gegenüber anderen Rechtsgütern genießt1052. Gegenläufige Verfassungsgüter als verfassungsimmanente Schranken kommen gegenüber dem Lebensrecht nicht unmittelbar zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Betracht, sondern bedürfen ihrerseits der Konkretisierung in einem Gesetz1053.

1048

Rn. 4.

Sachs S. 178 Rn. 30; Hufen S. 155 Rn. 34; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG

1049 Ähnlich aufgeschlossen in der Terminologie zwecks Vollständigkeit der Untersuchung Pieroth/Schlink Rn. 365; Epping Rn. 572 – 574. 1050 Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 37. 1051 Hufen S. 224 Rn. 14; Epping Rn. 106; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 53; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 311; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 81; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 36. 1052 BVerfGE 88, 253 f.; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 37; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 81; Leibholz/Rinck Art. 2 GG Rn. 485. 1053 Hufen S. 224 Rn. 15; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 54.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Für die Beschränkung bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die wichtigste Schranken-Schranke1054. Dieser begrenzt seinerseits die Einschränkungsmöglichkeiten des Lebensgrundrechts. Kernstück der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Hierbei erfolgt eine umfassende Interessenabwägung, welche die widerstreitenden Interessen sowohl abstrakt als auch in der konkreten Situation bewertet. Es wird mithin eine möglichst schonende gegenseitige Zuordnung der beteiligten Interessen vorgenommen, deren Ausgang letztlich über die Zulässigkeit der Beeinträchtigung des Lebensrechts entscheidet1055. b) Zur Schutzpflichtdimension des Lebensgrundrechts Für private Beeinträchtigungen gelten das Lebensgrundrecht und damit auch dessen Gesetzesvorbehalt nicht unmittelbar. Stattdessen aktualisiert sich durch die Einwirkungshandlung Dritter die staatliche Schutzpflicht. Der Staat wird dadurch zu einem aktiven Tätigwerden zum Schutz des gefährdeten Lebens verpflichtet1056. Hierbei stehen dem Staat mehrere Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, wobei die Gestaltung der Rechtsordnung durch die Legislative im Mittelpunkt steht1057. Auch kommt dem Staat bei Erfüllung seiner Schutzpflicht ein weiter Einschätzungsspielraum zu1058. Dieser der aktiven Gestaltung vorgeschaltete Einschätzungsspielraum wird ebenfalls durch eine umfassende Interessenabwägung ausgefüllt1059. Der Staat ergreift seine Maßnahmen unter Abwägung der beteiligten Interessen und führt diese einem angemessenen Ausgleich zu. Entscheidende Bedeutung kommt dabei wiederum dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, diesmal allerdings in zwei Richtungen, zu. Da es sich nun um eine Dreieckskonstellation handelt, steht der Staat zwischen zwei Parteien1060. Der beeinträchtigten Partei schuldet er aufgrund seiner Schutzpflicht ein aktives Tätigwerden. Hierbei hat er das 1054 Hufen S. 225 Rn. 17; Epping Rn. 107; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 20 GG Rn. 81; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 57; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 37; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 312; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 164. 1055 Epping Rn. 107; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 58 f.; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 312; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 201; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 38. 1056 Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 208; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 45. 1057 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 332. 1058 BVerfGE 46, 164; 56, 80 ff.; 79, 202; 85, 212; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 209, 214; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 92; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 2 GG Rn. 50; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 180; Steiner S. 31. 1059 BVerfGE 88, 254; Hermes S. 199 ff.; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 44. 1060 Jarass in: FS 50 Jahre BVerfG II S. 40; Jarass AöR 1995 S. 351; Wahl/Masing JZ 1990 S. 553; Erichsen JURA 1997 S. 85; Stern Staatsrecht III / 1 S. 946; Isensee in: HdStR Band V § 111 Rn. 5; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Kirchhof/Isensee S. 50.

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung)

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sog. Untermaßverbot zu beachten1061. Die Schutzpflicht erfordert gegebenenfalls Maßnahmen gegenüber der beeinträchtigenden Partei. Dadurch greift der Staat in deren Rechtsgüter ein und tangiert somit die Abwehrdimension der Grundrechte. Diese Einwirkung wird ihrerseits durch das Übermaßverbot begrenzt1062. Das staatliche Handeln bewegt sich also zwischen Untermaßverbot einerseits und Übermaßverbot andererseits1063. In diesem verfassungsrechtlichen Rahmen erfolgt die Bewertung und Zuordnung der einschlägigen Interessenkonflikte1064. c) Zwischenergebnis Mittels der herausgearbeiteten Verortung des Interessenausgleichs ist es möglich, die beiden Grundrechtsdimensionen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und so die vielschichtige Materie ein wenig zu entzerren. Entscheidende Bedeutung kommt in jedem Fall der Abwägung gegenläufiger Interessen zu. Nachdem die Interessen der betroffenen Partei im Sinne der Beeinträchtigung bei der Untersuchung der konkreten Gefährdungslagen bewertet wurden, geht es nun auf der Ebene der Rechtfertigung um entgegenstehende Rechtsgüter. Diese können, wie sich zeigen wird, solche derselben Partei sein oder Interessen Dritter bilden. Im weiteren Verlauf sollen diese Gegenrechte zunächst dargestellt und bewertet werden, bevor sie schließlich einem Abwägungsergebnis in den konkret untersuchten Gefährdungslagen zugeführt werden. d) Darstellung der einschlägigen Gegenrechte Bei einer Gesamtschau der kollidierenden Rechtsgüter empfiehlt es sich erneut, nach den Gefährdungslagen an Anfang und Ende des Lebens zu differenzieren. Auch hierbei erlangt der Blick auf Parallelen und Differenzen der betreffenden Grenzsituationen Bedeutung. aa) Bei pränidativen Maßnahmen Im Falle pränidativer Maßnahmen besteht noch keine unmittelbare Leibes- oder Lebensgefahr für die betroffene Frau. Denkbar erscheint allenfalls ein Rückgriff auf ihr „Persönlichkeitsrecht“, das auch vom BVerfG in seinen beiden Entscheidungen

1061 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 92; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 50; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 89; Lungstras S. 37. 1062 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 46. 1063 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 333; Hain DVBL 1993 S. 982 ff.; Hermes/Walther NJW 1993 S. 2339; Denninger in: FS-Mahrenholz S. 561 ff.; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 51. 1064 Hermes S. 199 ff.; Leibholz/Rinck Art. 2 GG Rn. 485.

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

zum Schwangerschaftsabbruch angesprochen wird1065. Unklar bleibt dabei die exakte grundrechtsdogmatische Zuordnung dieser Rechtsposition der Frau. Eng damit verknüpft ist das Selbstbestimmungsrecht, dessen Herleitung das BVerfG ebenfalls schuldig bleibt1066. Im fünften Leitsatz der Entscheidung aus dem Jahr 1993 wird das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG zitiert1067, wobei sich nicht allein aufgrund der Terminologie die Frage aufdrängt, ob nicht vielmehr das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG gemeint ist. Die Erwähnung der Schranken der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und des Sittengesetzes1068 liefert keinen Aufschluss, da diese Schranken sowohl für das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG als auch für die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG gelten. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass es sich um zwei getrennt zu bewertende Grundrechte handelt1069. Letztlich kommt wohl dennoch beiden Gewährleistungen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten Bedeutung für die Thematik des Schwangerschaftsabbruchs, wie auch bereits für pränidative Maßnahmen, zu1070. Während das allgemeine Persönlichkeitsrecht eher passiv ausgerichtet ist und Schutz vor einem Eindringen in gewisse Rückzugsressorts gewährleistet, ist die allgemeine Handlungsfreiheit aktiv orientiert auf die Gestattung eines gewissen Handelns1071. Trotz fehlender ausdrücklicher Festlegung sind wohl auch die Ausführungen des BVerfG in seiner ersten Entscheidung so zu verstehen, dass Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG Schutz vor einer Verhaltensvorgabe im Intimbereich gewährt, dem die Schwangerschaft zugerechnet wird1072. Daneben gewährleistet der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG, aktiv gerichtet, die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch zu treffen1073. Diese Ausführungen lassen sich auf den vom BVerfG nicht behandelten pränidativen Zeitraum übertragen, so dass als Rechte der Frau für die Zulässigkeit pränidativer Maßnahmen Art. 2 I GG und Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG einschlägig sind.

1065 Ebenso untechnisch zitiert bei Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 103; Hoerster Abtreibung S. 35 spricht von „Selbstentfaltung“. 1066 BVerfGE 39, 1; ebenso Epping S. 49; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 216; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 20. 1067 BVerfGE 88, 203. 1068 BVerfGE 39, 43. 1069 Dreier in: Dreier Art. 2 I GG Rn. 23. 1070 Ebenso Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 58b; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 20; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 44 nennt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht; ebenso Antoni in: Hömig Art. 2 GG Rn. 11; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 83 nennt die allgemeine Handlungsfreiheit. 1071 Zur Abgrenzung Dreier in: Dreier Art. 2 I GG Rn. 23. 1072 BVerfGE 39, 42; ebenso Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 20. 1073 BVerfGE 39, 43.

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung)

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bb) Beim Schwangerschaftsabbruch Im Interesse einer umfassenden verfassungsrechtlichen Bewertung der relevanten Rechtsgüter beim Schwangerschaftsabbruch liegt es nahe, mit denjenigen Positionen zu beginnen, die das BVerfG in seinen beiden Entscheidungen zu dieser Materie1074 in die Abwägung eingebracht hat. Zu nennen ist dabei zuerst das Leben der Frau nach Art. 2 II GG, falls dieses unmittelbar durch die Schwangerschaft gefährdet wird1075. Daneben erwähnt das Gericht auch die körperliche Unversehrtheit der Frau, die ebenfalls durch Art. 2 II GG gewährleistet wird1076. Diese erfasst tatbestandlich die Gesundheit im engeren Sinne, die psychisch-seelische Gesundheit im weiteren Sinne und die körperliche Integrität unabhängig von der Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen1077. Ein wichtiger Begriff in beiden Entscheidungen ist derjenige der „Zumutbarkeit“1078. Das Gericht argumentiert, es seien Fälle denkbar, in denen es der Frau unzumutbar sei, die Schwangerschaft fortzusetzen. Sofern in diesen Fällen der Staat die Fortsetzung erzwinge, sei ihre Menschenwürde aus Art. 1 I GG betroffen1079. Große Bedeutung misst das BVerfG auch dem Selbstbestimmungsrecht der Frau bei1080, dessen Verankerung sowohl in der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG als auch im allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG soeben bei den pränidativen Maßnahmen hergeleitet wurde. Mit diesen durchweg elementaren Rechtsgütern ist der grobe Rahmen des Interessenkonflikts abgesteckt. Gleichwohl erlangen möglicherweise noch weitere Grundrechte Bedeutung. Kunig ist beispielsweise der Auffassung, dass ein Schwangerschaftsabbruch unter Umständen als Glaubens- oder Gewissensentscheidung der Frau nach Art. 4 I, II GG geschützt sein kann1081. Diesen Gedanken hat das BVerfG allerdings im fünften Leitsatz seiner zweiten Entscheidung ausdrücklich abgelehnt1082. Zumindest denkbar erscheint des Weiteren eine nähere Betrachtung des Elternrechts aus Art. 6 GG. Bislang wurden zahlreiche Berechtigungen der El1074

BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. BVerfGE 39, 49; 88, 254; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 103; Hoerster Abtreibung S. 35; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 83; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 44; Leibholz/Rinck Art. 2 GG Rn. 485. 1076 BVerfGE 39, 49; 88, 254; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 103; Hoerster Abtreibung S. 35; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 83; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 44; Leibholz/Rinck Art. 2 GG Rn. 485. 1077 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 33. 1078 BVerfGE 39, 48; 88, 256. 1079 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 103; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 83; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 20; Leibholz/Rinck Art. 2 GG Rn. 485; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 11. 1080 BVerfGE 39, 1. 1081 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 58b; Roellecke JZ 1991 S. 1048 f. 1082 BVerfGE 88, 203. 1075

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A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

tern aus dessen Abs. 2 entnommen. Zudem besteht das Elternrecht auch schon während der Schwangerschaft1083. Allerdings ist Art. 6 II GG bei näherer Betrachtung deutlich lebensbejahend ausgestaltet1084 und findet zudem seine Grenzen in der Gefährdung des Kindeswohls1085. Eine Rechtsposition der schwangeren Frau für eine Abtreibung kann damit aus Art. 6 II GG nicht abgeleitet werden. Dem entspricht jedenfalls implizit Sachs, wenn er formuliert, das Elternrecht erlange erst mit der Geburt überhaupt praktische Relevanz1086. Anders einzuordnen ist dagegen die Bedeutung von Art. 6 IV GG, der einen Anspruch der Schwangeren auf Schutz konstituiert. Dies kann zwar kaum auf eine Legitimation der Tötung des Ungeborenen zugespitzt werden, erlangt aber zumindest Relevanz für eine gewisse Betreuung und Beratung im Konflikt des Schwangerschaftsabbruchs1087. Diese Rechtsposition fällt also nicht unmittelbar für die hier fragliche Interessenabwägung ins Gewicht, spielt aber trotzdem als Rechtsposition der Frau in die Anforderungen an die Ausgestaltung der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch hinein. Über die bislang genannten Grundrechte hinaus ist noch ein weiterer Artikel von Interesse, der erst offenbar wird, wenn man von dem bislang behandelten Konflikt zwischen Leibesfrucht und schwangerer Frau einen Schritt zurücktritt. Gemeint ist die Berufsfreiheit des eingreifenden Arztes nach Art. 12 I GG1088. In einer Entscheidung hierzu1089 hat das BVerfG ausgeführt, dass die Mitwirkung eines Arztes sowohl im Interesse der Frau als auch in demjenigen des Ungeborenen liege und somit selbst die Vornahme eines rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs nicht dem Schutzbereich des Art. 12 I GG entzogen werden könne1090. Im Ergebnis bilden somit die Menschenwürde aus Art. 1 I GG, das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 I GG i. v.m. Art. 2 I GG, die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG, körperliche Unversehrtheit und das Lebensrecht aus Art. 2 II GG sowie der Schutzanspruch des Art. 6 IV GG als Rechtsgüter der Schwangeren, zudem die Berufsfreiheit des beteiligten Arztes nach Art. 12 I GG die maßgeblichen Gegenpositionen zum Recht der ungeborenen Kindes auf Leben aus Art. 2 II GG bei der Frage nach der verfassungsrechtlichen Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs.

1083

Sachs S. 339 Rn. 29; Roellecke JZ 1991 S. 1049. So auch Landau ZRP 2005 S. 51. 1085 Gröschner in: Dreier Art. 6 GG Rn. 109; Lorenz in: FS-Brohm S. 448; Brohm JuS 1998 S. 199. 1086 Sachs S. 339 Rn. 29. 1087 Siehe hierzu BVerfGE 88, 258 f. 1088 Sachs S. 407 Rn. 7; Dreier ZRP 2002 S. 380; Dreier JZ 2007 S. 268. 1089 BVerfGE 98, 265 ff. 1090 BVerfGE 98, 297. 1084

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung)

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cc) Bei embryonaler Stammzellforschung Zur verfassungsrechtlichen Einordnung embryonaler Stammzellforschung gibt es zwar bislang keine Verfassungsgerichtsentscheidung, dennoch bietet eine Vielzahl von Äußerungen im Schrifttum zu dieser Thematik die Möglichkeit, sich einen Überblick über die Zuordnung der konfligierenden Interessen zu verschaffen. In der weit überwiegenden Zahl der Beiträge wird der Grundkonflikt reduziert auf die Kollision von Lebensrecht und/oder Menschenwürde des Embryos mit der in Art. 5 III GG gewährleisteten Wissenschafts- und Forschungsfreiheit1091. Mitunter wird dabei bei der Subsumtion noch einmal zwischen Grundlagenforschung und konkreter Heilungsperspektive differenziert1092, aber über die grundsätzliche und primäre Relevanz von Art. 5 III GG besteht Einigkeit. Allerdings handelt es sich dabei nicht um das einzige Gegenrecht, das eine nähere Betrachtung verdient. Vereinzelt wird daneben auf die aus Art. 2 II GG herzuleitende staatliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit potentieller zukünftig durch die Forschung begünstigter Patienten abgestellt1093. Sofern auf die staatliche Schutzpflichtdimension eingegangen wird, gehen einige Autoren noch weiter und vertreten die Auffassung, die Menschenwürde künftiger Patienten könne es gebieten zu forschen1094. Dem ist entgegenzuhalten, dass konkrete Fallbeispiele, in denen unterlassene Forschung die Menschenwürde möglicher Begünstigter verletzt, nur schwer vorstellbar sind. Das Abstellen auf die Menschenwürde verfolgt wohl eher die Intention, ein durchschlagendes Gegenrecht in den Interessenkonflikt einzubringen und so über die Auflösung der dogmatisch ebenfalls umstrittenen Figur einer Kollision Würde gegen Würde doch noch zur Zulässigkeit von embryonaler Stammzellforschung zu kommen. Dass das Abstellen auf Art. 1 I GG nicht vollends überzeugt, wird auch daran deutlich, dass diejenigen Autoren, die den Gedanken aufwerfen, ihn alsbald aus unterschiedlichen Gründen wieder verwerfen1095.

1091

Herdegen JZ 2001 S. 776; Herdegen in: GS-Heinze S. 365; Pap MedR 1986 S. 234; Schwarz KritVJ 2001 S. 189; Ipsen JZ 2001 S. 995; Ipsen DVBL 2004 S. 1382; Enders JURA 2003 S. 673; Heun JZ 2002 S. 523; Dederer AöR 2002 S. 23 f.; Hofmann JZ 1986 S. 255; Vitzthum ARSP Beiheft 33 S. 127; Vitzthum MedR 1985 S. 250; Classen DVBL 2002 S. 141; Dederer JZ 2003 S. 987; Steiner S. 19 f.; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 32; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 14; Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 345a. 1092 Kirchhof in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 15. 1093 Hufen JZ 2004 S. 318; Hufen S. 166 Rn. 51; Kloepfer JZ 2002 S. 425; Heuermann/ Kröger MedR 1989 S. 177; Dederer JZ 2003 S. 989; Böckenförde JZ 2003 S. 813; Mertin ZRP 2006 S. 60; Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 53; Kirchhof in: Höffe/ Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 16; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 107; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 99; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 66, 68. 1094 Hufen JZ 2004 S. 318; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 177. 1095 Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 177.

198

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Hinsichtlich der Berufsfreiheit der Forscher aus Art. 12 I GG ist die Forschungsfreiheit als lex specialis zu betrachten1096. Es handelt sich dabei um einen von der Verfassung besonders ausgegliederten Ausschnitt der Berufsfreiheit1097. Allenfalls wenn die wirtschaftliche Verwertung absolut in den Vordergrund rückt, kann der Schwerpunkt bei Art. 12 I GG liegen1098. Davon kann im Falle der Stammzellforschung unter den Perspektiven von Grundlagenerkenntnissen und Heilauftrag allerdings nicht ausgegangen werden. Die allgemeine Handlungsfreiheit der Forscher aus Art. 2 I GG tritt ebenfalls hinter den spezielleren Art. 5 III GG zurück1099. Es handelt sich lediglich um ein subsidiäres Auffanggrundrecht1100. Weitere Rechtspositionen betreffen die Frage nach der Zuordnung des Rechtsguts Embryo und die damit verbundene Verfügungsbefugnis. Da es sich bei den Embryonen um menschliches Leben handelt, sind diese keine Sachen und somit auch nicht Zuordnungsobjekt des Eigentumsbegriffs. Eine Verfügungsbefugnis auf der Grundlage von Art. 14 GG scheidet damit aus1101. Ebenso scheidet eine Verfügungsbefugnis der Gametenspender kraft deren Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG aus. Mit Befruchtung entsteht ein eigenständiges Lebewesen, das nicht mehr der Rechtssphäre seiner genetischen Urheber angehört1102. Gleichwohl ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Eltern die Interessen des Ungeborenen kraft ihres Elternrechts aus Art. 6 GG wahrnehmen. Insoweit könnte sich daraus eine Verfügungsbefugnis ergeben. Dem steht jedoch wiederum der Telos des Elternrechts entgegen. Seine Ausübung ist auf das Wohl des Kindes angelegt und deckt damit nicht die Zulassung von Experimenten, die auf die Vernichtung des Embryos hinauslaufen1103. Im Ergebnis überzeugen konnte somit lediglich das Abstellen auf die Forschungsfreiheit aus Art. 5 III GG in der abwehrrechtlichen Dimension sowie auf die staatliche Verpflichtung zum Schutz von Leben und Gesundheit aus Art. 2 II GG. Diese drei Positionen bilden die maßgeblichen Grundrechtsgewährleistungen, die dem Lebensrecht und der Menschenwürde des Embryos im Kontext embryonaler Stammzellforschung gegenüberstehen.

1096

Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 5 GG Rn. 120. Pernice in: Dreier Art. 5 III GG Rn. 64. 1098 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 5 GG Rn. 120. 1099 Pernice in: Dreier Art. 5 III GG Rn. 64. 1100 Sachs S. 194 Rn. 41; Pieroth/Schlink Rn. 369; Epping Rn. 535. 1101 Lorenz in: FS-Brohm S. 450; Brohm JuS 1998 S. 199. 1102 Lorenz in: FS-Brohm S. 450. 1103 Lorenz in: FS-Brohm S. 448, 451; Brohm JuS 1998 S. 199; Hofmann JZ 1986 S. 257; Heuermann/Kröger MedR 1989 S. 176. 1097

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung)

199

dd) Bei Sterbehilfe Auch in der entgegengesetzten Perspektive, also für die Zulässigkeit der Sterbehilfe, wird das schwere Geschütz der Menschenwürde ins Feld geführt. Ausführungen zum „Sterben in Würde“ oder zum „menschenwürdigen Tod“ finden sich in nahezu allen Veröffentlichungen zu dieser Problematik1104. Dabei werden Horrorszenarien gezeichnet vom Patienten, der gegen seinen Willen zum Sklaven medizinischer Apparate gemacht wird und ein menschenunwürdiges Dasein als bloßes Objekt fristet. Unter diesen Prämissen wäre ein Würdeverstoß mit Sicherheit zu bejahen. Dennoch sollte auch bedacht werden, dass dies nicht den Normalfall intensivmedizinischer Versorgung bildet. Dem ärztlichen Standesethos entsprechend sollte davon ausgegangen werden, dass es nicht die Intention der behandelnden Ärzte ist, den Todeskampf des Patienten zu verlängern und so sein Leiden über das natürliche Maß hinaus zu steigern1105. Das Anbringen des Menschenwürdearguments erscheint auch in diesem Zusammenhang als das Bestreben, ein Gewinnerargument in die komplizierte Diskussion einzuführen, ungeachtet des Umstands, dass dieses für die überwiegende Mehrzahl der relevanten Fälle nicht einschlägig ist. Folglich sollte die Bedeutung des Art. 1 I GG für die bezeichneten Extremfälle zwar im Sinn behalten werden, die Kernproblematik der Sterbehilfe dreht sich aber meines Erachtens nicht um die Menschenwürde, sondern um andere, konsensfähige Grundrechtspositionen1106. Weitere wichtige Stichworte sind die Begriffe der Patientenautonomie oder des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Allgemeine Einigkeit besteht insoweit, als diese Rechte verfassungsrechtlich verbürgt sind1107. Hinsichtlich der exakten dogmatischen Zuordnung gibt es dagegen ein breites Meinungsspektrum bis hin zu Stimmen, die davon ausgehen, dass es auf diese Zuordnung gar nicht ankomme1108. Sofern man jedoch einen präzisen Ausgleich der widerstreitenden Interessen vornehmen möchte, was angesichts der Wertigkeit der beteiligten Positionen unerlässlich ist, erscheint es zwingend, eine Festlegung zu treffen, um der Untersuchung klarere Konturen zu verleihen. Zur verfassungsrechtlichen Grundlage der Patientenautonomie werden im Wesentlichen vier Positionen vertreten. Die erste rückt den Autonomiegedanken des Grundgesetzes ins Zentrum und stellt unmittelbar auf die 1104 Hirsch ZRP 1986 S. 240; Leonardy DRiZ 1986 S. 290; Otto JURA 1999 S. 437; Kintzi DRiZ 2002 S. 259; Holzhauer ZRP 2004 S. 43; Oduncu MedR 2005 S. 440; Otto NJW 2006 S. 2219; Lüderssen JZ 2006 S. 692; Knopp MedR 2003 S. 384; Uhlenbruck ZRP 1986 S. 214; Pieroth/Schlink Rn. 392; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 20; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 54; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 85; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 39; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 47. 1105 So auch Landau ZRP 2005 S. 51; Höfling JuS 2000 S. 114. 1106 Ähnlich Landau ZRP 2005 S. 53; Hufen NJW 2001 S. 850. 1107 Ablehnend Lüttig ZRP 2008 S. 58. 1108 So etwa Lindner JZ 2006 S. 376 f.; Knopp MedR 2003 S. 384; Hufen NJW 2001 S. 851.

200

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Menschenwürde aus Art. 1 I GG ab1109. Wie hier gezeigt, ist es aus den bereits eingangs genannten Gründen aber schwierig, außerhalb der evidenten Fälle konkrete Rechte im Bereich der Sterbehilfe aus Art. 1 I GG abzuleiten. Dies gilt auch für das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dessen Begründung nach der hier vertretenen Auffassung im Bereich speziellerer Grundrechtsgarantien zu suchen ist. Einen zweiten Ansatz bildet die Ableitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG1110. Dies erscheint insofern treffend, als es sich beim Willen des Patienten um eine Entscheidung handelt, die seinem engsten Persönlichkeitskern entspringt. Allerdings ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie bereits zuvor dargelegt, eher passiv ausgerichtet. Seinem Sinn und Zweck nach ist es damit nicht geeignet, den aktiven Entschluss für oder gegen das Leben zu legitimieren. Teilweise wird auch auf eine negative Komponente des Lebensrechts aus Art. 2 II GG abgestellt1111. Dafür wird angeführt, dass der Tod ein natürlicher Bestandteil der geschützten menschlichen Existenz sei1112. Wer Gegenteiliges behaupte verkehre das Recht zu leben in eine Pflicht zu leben. Diesem Ansatz wurde entgegengehalten, dass nicht ein Recht auf den Tod die maßgebliche Rechtsposition sei, sondern die vorangehende Entscheidung gegen das Leben oder für den Tod1113. Diese Entscheidung wird als durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG geschützt betrachtet1114. Dieser letzten Position soll hier gefolgt werden. Art. 2 I GG verbürgt ein umfassendes Freiheitsrecht, das auch die Selbstbestimmung des Trägers über seinen Körper umfasst. Damit ist nichts über den Ausgang der fraglichen Abwägung gesagt; es werden hier lediglich die kollidierenden Interessen aufgezeigt. Der verfassungsrechtlichen Beachtlichkeit des Patientenwillens, hier aus Art. 2 I GG, entspricht es auch, wenn oben eine Verfügungsbefugnis über das Leben in Gestalt eines 1109 Kutzer Patientenautonomie S. 23 f.; Hufen ZRP 2003 S. 249; Saliger MedR 2004 S. 237; Holzhauer ZRP 2004 S. 43; Holzhauer FamRZ 2006 S. 519; Schliemann ZRP 2006 S. 193; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 96; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 36 Stichwort „Sterbehilfe“; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 157; Lorenz JZ 2009 S. 59. 1110 Ingelfinger JZ 2006 S. 829; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 11; tendenziell auch Knopp MedR 2003 S. 384; Popp ZStW 2006 S. 61 nennt die Art. 1 I, 2 I und 2 II GG. 1111 BVerfGE 52, 171; Ingelfinger JZ 2006 S. 829; Landau ZRP 2005 S. 51; Otto JURA 1999 S. 436; Halliday/Wittek JZ 2002 S. 753; Höfling JuS 2000 S. 114; Höfling NJW 2009 S. 2852; Pieroth/Schlink Rn. 392; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 72 Stichwort „Selbstbestimmungsrecht des Patienten“; Lorenz Sterbehilfe S. 71; ablehnend Schreiber NStZ 2006 S. 475; ablehnend bzgl. der Parallele in der EMRK Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 1 GG Rn. 39. 1112 Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 66. 1113 Storr MedR 2002 S. 436. 1114 Landau ZRP 2005 S. 51; Uhlenbruck ZRP 1986 S. 214; Hufen S. 223 Rn. 13; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 100; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 212; Kreß ZRP 2009 S. 70; tendenziell auch Lindner JZ 2006 S. 37; Otto JURA 1999 S. 438; für eine Kombination aus Art. 1 I, 2 I und 2 II GG Schork S. 24 ff.

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung)

201

Grundrechtsverzichts zu Art. 2 II GG abgelehnt und dabei darauf hingewiesen wurde, dass der Patientenwille im Bereich der Rechtfertigung Bedeutung erlangen kann1115. Ein weiteres Gut, das für die Zulässigkeit von Sterbehilfe genannt wird, ist die ebenfalls in Art. 2 II GG garantierte körperliche Unversehrtheit1116. Diese statuiere ein Recht auf Freiheit von Schmerzen und könne im Todeskampf lebensverkürzende Maßnahmen der Sterbehilfe legitimieren1117. Ferner erscheint es jedenfalls denkbar, für einen Behandlungsverzicht auf die Achtung der Gewissensentscheidung des Betroffenen abzustellen, die diesem durch Art. 4 I GG zusteht1118. Die Patientenautonomie bildet den klaren Schwerpunkt der Gegenrechte am Lebensende. Daneben sind noch einige weitere Grundrechte der Vollständigkeit halber anzusprechen. Art. 6 I GG gewährleistet den Schutz von Ehe und Familie. Daraus wird von einigen Autoren abgeleitet, dass den Stimmen der Angehörigen bei Folgeproblemen, wie der Ermittlung des hypothetischen Patientenwillens oder bei Bestellung eines Betreuers, entscheidendes Gewicht zukommen solle1119. Es handelt sich somit um eine Rechtsposition, die nicht unmittelbar auf die Entscheidung pro oder contra Sterbehilfe einwirkt, die aber unter Umständen bestimmte Beteiligungsrechte statuiert und den Verfahrensablauf beeinflussen kann. Zu den möglicherweise betroffenen Grundrechten des Arztes oder sonstiger Sterbehelfer finden sich kaum Ausführungen im Schrifttum. Denkbar erscheint es, wie beim Schwangerschaftsabbruch auf die Berufsfreiheit des Arztes aus Art. 12 I GG abzustellen1120. Lindner greift stattdessen auf das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 I GG zurück und fügt an, andere einschlägige Grundrechte seien nicht ersichtlich1121. Ingelfinger spricht darüber hinaus auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals aus Art. 4 GG an1122. Dieser Gedanke lässt sich auf den behandelnden Arzt übertragen. In einem Fall, den der BGH zu entscheiden hatte, wurde die Gewissensfreiheit in umgekehrter Wirkrichtung eingebracht, also für die Weigerung, den Patientenwillen zu akzeptieren. Hierzu hat das Gericht ausgeführt, die Gewissensfreiheit gebe dem Pflegepersonal kein Recht, sich über den Patientenwillen hinwegzusetzen und damit in seine körperliche Unversehrtheit einzugreifen1123. 1115

So auch Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 86. Otto JURA 1999 S. 438; Knopp MedR 2003 S. 385; Hufen S. 174 Rn. 59; Lorenz in: HdStR Band VI § 128 Rn. 66. 1117 Hufen ZRP 2003 S. 250; Hufen NJW 2001 S. 852; Antoni in: Hömig Art. 2 GG Rn. 12. 1118 Hufen NJW 2001 S. 853. 1119 Landau ZRP 2005 S. 53; Knopp MedR 2003 S. 385; Hufen NJW 2001 S. 853. 1120 So auch Saliger ZRP 2008 S. 199. 1121 Lindner JZ 2006 S. 377. 1122 Ingelfinger JZ 2006 S. 829; ebenso Holzhauer FamRZ 2006 S. 527. 1123 BGH JZ 2006 S. 145. 1116

202

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Sofern man nun erwägt, allein Art. 4 GG für die Zulässigkeit von Sterbehilfe fruchtbar zu machen, muss dies angesichts des kollidierenden Rechtsguts Leben erst Recht scheitern. Auch ohne eingehende Interessenabwägung kann an dieser Stelle davon ausgegangen werden, dass die zuletzt angedachten Drittinteressen allesamt nicht geeignet sind, sich gegenüber dem betroffenen Lebensrecht des Patienten in einer Abwägung durchzusetzen1124. Es verbleiben damit ausschließlich die genannten Interessen des Patienten selbst, die in den Interessenausgleichsprozess einfließen. Konkret sind dies das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 I GG, die körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II GG sowie die Gewissensfreiheit nach Art. 4 I GG. Die Relevanz des Art. 1 I GG ist dabei der bisherigen Auslegungs- und Anwendungstendenz entsprechend zurückhaltend zu bewerten und bleibt selbst innerhalb des Grenzbereichs Sterbehilfe absoluten Extremfällen vorbehalten. Daneben spielt Art.6 I GG in die Anforderungen an eine eventuelle gesetzliche Verfahrensausgestaltung hinein, entscheidet jedoch nicht unmittelbar über den Ausgang zugunsten oder gegen die Zulässigkeit von Sterbehilfe. ee) Parallelen und Differenzen bezüglich der betroffenen Interessen Mit Abschluss dieses Arbeitsschrittes wären nun in den drei interessierenden Gefährdungslagen an den Grenzen des Lebens die widerstreitenden Interessen aufgezeigt. Während auf der Ebene des Eingriffs das Lebensrecht als beeinträchtigtes Gut im Mittelpunkt stand, kam der Menschenwürde nur eingeschränkte Bedeutung zu. Nun bei den Gegenrechten auf der Ebene der Rechtfertigung ist ein etwas breiteres Spektrum an Grundrechten angesprochen. Wenn man hierbei Lebensanfang und Lebensende auf Parallelen und Differenzen untersucht, ergibt sich ein interessanter Befund, der nahelegt, dass gerade diese drei Konfliktlagen hier nicht willkürlich gewählt wurden, sondern wegen ihrer außergewöhnlichen Vielfalt in ein besonderes Verhältnis zu setzen sind. Bei der embryonalen Stammzellforschung am Lebensanfang kollidiert das Lebensrecht des Embryos ausschließlich mit Fremdinteressen. Es geht also um die Abwägung menschlichen Lebens mit Rechtsgütern Dritter. Man kann von einem interpersonalen Konflikt sprechen. Die gegenteilige Situation ergibt sich bei der Sterbehilfe am Lebensende. Auch hier steht das Lebensrecht des Patienten auf dem Spiel. Abwägungsrelevant sind diesem gegenüber ausschließlich Eigeninteressen des Patienten. Es handelt sich demnach um einen intrapersonalen Rechtsgüterkonflikt. Gewissermaßen eine Mischform zwischen diesen beiden Extremen bildet die Konstellation des Schwangerschaftsabbruchs. Zwar lässt sich auch diese Interessenkollision auf eine Abwägung der Rechtsgüter von Schwangerer und Ungebore1124

Hirsch ZRP 1986 S. 241.

III. Ebene des Interessenausgleichs (Rechtfertigung)

203

nem zuspitzen, also auf diejenige eines interpersonalen Konflikts. Eine besondere Prägung erhält dieser Konflikt jedoch durch die spezifische biologische Situation der Schwangerschaft. Vielfach wird diese als „Zweiheit in Einheit“ beschrieben1125. Dem BVerfG ist darin zuzustimmen, dass es sich deutlich für eine Trennung der Rechtsgüter von Frau und Kind, also grundlegend für einen interpersonalen Widerstreit, entscheidet1126. Gleichwohl handelt es sich bei dieser Sonderkonstellation doch um einen situativen Faktor, der zwar nicht das Rechtsgut an sich abwertet, aber in die Abwägung einfließen kann und dort angemessen zu berücksichtigen ist1127. Schließlich hat sich gezeigt, dass auch im Bereich der Gegenrechte die Bedeutung der Menschenwürde durchaus begrenzt ist. Bei der Stammzellforschung konnte das Argument des Würdeschutzes künftiger Begünstigter als zu konturlos verworfen werden. Ähnlich verhielt es sich bei der Sterbehilfe. Auch hier bildet das Szenario vom menschenunwürdigen Todeskampf des Menschen als Sklave der Apparatemedizin nicht den Normalfall. Nur beim Schwangerschaftsabbruch ist mit dem BVerfG davon auszugehen, dass es zu Konfliktlagen kommen kann, in denen die Belastungen der Schwangeren sich auf ein unzumutbares Maß steigern können und somit der Bereich der Würderelevanz erreicht wird, wenn der Staat auf der Austragung der Schwangerschaft besteht. Gleichwohl ist auch in diesem Fall davon auszugehen, dass primärer Maßstab die übrigen genannten Interessen der Schwangeren sind und sich die Einschlägigkeit des Art. 1 I GG auf Extremfälle mit evidentem Verletzungsurteil beschränkt. 2. Ergebnis zu den widerstreitenden Interessen An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass der verfassungsrechtliche Rahmen der vorliegenden Untersuchung bereitet ist. Die Grundlegung zu den Rechtsgütern ist abgeschlossen, die konkreten Gefährdungslagen an den Grenzen des Lebens wurden aufgezeigt und die widerstreitenden Interessen herausgearbeitet. Die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und damit die Auflösung der dargelegten Interessenkollisionen erfolgt im Zuge der überwiegend einschlägigen staatlichen Schutzpflicht auf der Ebene des einfachen Rechts1128. In methodischer Hinsicht ergeben sich damit zwei potentielle Varianten für den weiteren Gang der Arbeit. Erstens wäre es möglich, eine Abwägung der verfassungsrechtlichen Güter vorzunehmen, um anschließend zu prüfen, ob die einfachgesetzliche Ausgestaltung diesem Resultat entspricht. Die zweite Variante bilden die Darstellung der einfachen Gesetzeslage und die darauf folgende Bewertung nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben. 1125

S. 427. 1126 1127 1128

BVerfGE 88, 253; aufgegriffen u. a. bei Dreier JZ 2007 S. 268; Satzger JURA 2008 Vgl. BVerfGE 39, 36; 88, 203. Ähnlich Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 102. BVerfGE 88, 254; Hermes S. 199 ff.; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 44.

204

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Beim erstgenannten Vorgehen würde die eigene Einschätzung zur Zuordnung der Rechtsgüter an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers gesetzt. Aufgrund des postulierten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers kann dieses Vorgehen jedoch nicht überzeugen. Vielmehr soll die zweite Variante gewählt werden, wobei es nur darum gehen kann, die gesetzlichen Regelungen auf evidente und unvertretbare Ergebnisse hin zu überprüfen. Es gilt also nachfolgend festzustellen, wie der Gesetzgeber mit dem Werkzeug des einfachen Rechts den verfassungsrechtlichen Widerstreit aufgelöst hat. Wenngleich folglich an dieser Stelle keine eigene Einschätzung zur Abwägung der kollidierenden Interessen erfolgen kann, so wird doch unter besonderer Berücksichtigung der soeben aufgezeigten Differenzen hinsichtlich der beteiligten Rechtsgutsträger eine erste Abwägungstendenz möglich. Nach allem bietet das Lebensende, sofern eine selbstbestimmte Entscheidung möglich ist, am ehesten Potential für eine Abstufung des rechtlichen Schutzes. Dies hängt damit zusammen, dass die Menschenwürde nicht originär betroffen ist und das Lebensrecht ausschließlich mit Interessen des Patienten selbst kollidiert (intrapersonaler Konflikt). Im Gegensatz dazu geht es bei embryonaler Stammzellforschung ausschließlich um Fremdinteressen (interpersonaler Konflikt) und es liegt ein Fall der Beeinträchtigung von Art. 1 I GG vor. Demnach besteht hier das geringste Potential für eine Relativierung. Zwischen diesen beiden Extremen anzusiedeln ist die Situation des Schwangerschaftsabbruchs. Die Konstellation des interpersonalen Konflikts spricht grundsätzlich gegen Einschränkungsmöglichkeiten. Allerdings ist auch hier nicht die Menschenwürde des Ungeborenen betroffen. Es erscheinen demnach situative Faktoren denkbar, die zu einer Relativierung führen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dies keine Eigenart früher menschlicher Existenz darstellt, sondern es sich beim Leben insgesamt um ein relatives Gut handelt1129.

1129 BVerfGE 88, 253 f.; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 37; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 81; Leibholz/Rinck Art. 2 GG Rn. 485.

B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz Gegenstand des folgenden Abschnitts ist der einfachgesetzliche Lebensschutz. Für dessen Erläuterung sind zunächst einige einleitende Worte zur generellen Normenhierarchie zwischen Verfassungsrecht und einfachem Gesetzesrecht erforderlich. Anschließend wird dann konkret zum für den Lebensschutz besonders bedeutsamen Instrument des Strafrechts übergegangen und dessen Ausgestaltung an den Grenzbereichen des Lebens untersucht.

I. Zum Verhältnis von Verfassungsrecht zu einfachem Recht 1. Generelles Rangverhältnis Die Verfassung eines Staates, im Falle Deutschlands das Grundgesetz, statuiert die rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens1. Auf ihr baut die gesamte rechtliche Ordnung auf2. Zugleich bildet die Verfassung die Quelle der Legitimation für die Staatsgewalt3. Das Grundgesetz enthält Aussagen über die Grundprinzipien der Herrschafts- und Wertordnung in der Bundesrepublik. In diesen fundamentalen Funktionen ist die Verfassung eines Staates Ausdruck eines ordnungsstiftenden und programmatischen Gründungs- und Gestaltungsakts mit konsensstiftender Wirkung4. Aus ihrer überragenden Bedeutung ergibt sich die Charakterisierung der Verfassung als Norm der Normen oder Gesetz der Gesetze5. Auf ihre legitimitätsstiftende Funktion ist es zurückzuführen, dass die Verfassung als bindende Norm und Maßstab für die Politik und die Ausübung staatlicher Gewalt im Allgemeinen fungiert6. Diese Verfassungsbindung der öffentlichen Gewalt ist im Grundgesetz in Art. 1 III GG und Art. 20 III GG explizit festgeschrieben7. Obwohl es sich beim Grundgesetz um eine unmittelbare Rechtsquelle handelt, bedürfen die Grundrechte aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades und der Dyna1 Maurer S. 521 Rn. 20; Katz S. 31 Rn. 74; Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Einleitung Rn. 87. 2 Katz S. 31 Rn. 73. 3 Stein/Frank S. 17. 4 Katz S. 43 Rn. 96; Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Einleitung Rn. 87. 5 Katz S. 31 Rn. 73; S. 43 Rn. 96. 6 Badura S. 15 Rn. 12; Katz S. 216 Rn. 420; Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Einleitung Rn. 87. 7 Maurer S. 13 Rn. 36; Badura S. 15 Rn. 13; Katz S. 5 Rn. 8.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

mik der Gefährdungslagen einer Konkretisierung8. Dem Gesetzgeber kommt dabei die Aufgabe zu, die Grundrechte auszuformen9. Dies erfolgt mit Hilfe des einfachen Gesetzes als zentrales Ordnungsinstrument dieser Umsetzung10. Die verfassungsrechtlichen Grundprinzipien wirken dabei permanent in die tägliche Rechtsanwendung hinein und der Gesetzgeber hat die Gesetze so zu gestalten, dass sie mit Inhalt und Wertsetzung des Grundgesetzes im Einklang stehen11. Das dargelegte Stufenverhältnis der Rechtsquellen erfordert für den Fall eines Widerspruchs Kollisionsregeln, die diesen auflösen12. Infolge ihres Grundlagencharakters ergibt sich ein Vorrang der Verfassung13. Das Grundgesetz geht somit jedem einfachen innerstaatlichen Gesetz vor. Im Falle der Unvereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben ist das Gesetz nichtig und damit unwirksam14. Die Wertentscheidung der Verfassung setzt sich also durch. Trotz dieses vertikalen Rangverhältnisses lässt sich insbesondere im Bereich staatlicher Schutzpflichten eine Wechselwirkung zwischen den beiden normativen Ebenen erkennen, um die es im Folgenden gehen soll. 2. Wechselwirkung a) Die Gesetzesebene als Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht Entsprechend der speziellen Formulierung des Art. 1 I 2 GG, der allgemeinen Formel des Art. 1 III GG sowie nach dem Sinn und Zweck staatlicher Schutzpflichten überhaupt richten diese sich an alle drei staatlichen Gewalten15. Primäre Relevanz kommt dabei der Schaffung einer Rechtsordnung durch den Gesetzgeber zu16. Unter Berücksichtigung seines Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums hat dieser die Wahl zwischen dem Erlass von Normen des repressiven Strafrechts, des präventiven öffentlichen Rechts oder dem Erlass von privatrechtlichen Regelungen

8

Berg S. 42 Rn. 65; Katz S. 5 Rn. 8. Ossenbühl in: HdStR Band V 3. Auflage § 100 Rn. 35. 10 Degenhart Rn. 119. 11 Ossenbühl in: HdStR Band V 3. Auflage § 100 Rn. 35 f.; Wahl in: FS-Eser S. 1252. 12 Ossenbühl in: HdStR Band V 3. Auflage § 100 Rn. 85; Maurer S. 520 Rn. 17. 13 Ossenbühl in: HdStR Band V 3. Auflage § 100 Rn. 34; Berg S. 33 Rn. 33; Schmalz S. 27 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 20 GG Rn. 32; Badura S. 7 Rn. 7; Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Einleitung Rn. 147; Wahl in: FS-Eser S. 1250. 14 Ossenbühl in: HdStR Band V 3. Auflage § 100 Rn. 93; Berg S. 33 Rn. 35; Degenhart Rn. 119; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 20 GG Rn. 33; Badura S. 535 Rn. 1; Sachs in: Sachs Art. 20 GG Rn. 95. 15 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 81; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 16; Dietlein S. 70. 16 Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 79; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 41; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 136; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 30. 9

I. Zum Verhältnis von Verfassungsrecht zu einfachem Recht

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etwa in Gestalt von Schadensersatzregelungen17. Aus dieser Perspektive betrachtet gibt also die Verfassungsebene, vorbehaltlich des Gestaltungsspielraums, den Rahmen für die Ebene des einfachen Gesetzes vor. Letztere ist Ausdruck und Konkretisierung einer bestimmten Wertentscheidung, die auf der Ebene der Verfassung festgelegt ist18. Insoweit wirkt das Grundgesetz auf die einfachgesetzliche Ebene ein. Die Wirkrichtung verläuft gemäß der allgemeinen Normenhierarchie vertikal von oben nach unten. b) Die konkretisierende Funktion der Gesetzesebene für die Grundrechte Allerdings erschöpft sich das Verhältnis dieser beiden Ebenen nicht einseitig in der Perspektive von oben nach unten. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind insbesondere im Bereich der Menschenwürde in hohem Maße abstrakt und unbestimmt19. Dieser Umstand kann zu Schwierigkeiten in der unmittelbaren praktischen Anwendung und damit zu einem Bedeutungsverlust führen. Aus diesem Grund dient das einfache Recht der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen20. Mit seiner Hilfe erfolgt eine Konturierung und Effektivierung der grundrechtlichen Gewährleistungen21. Die verfassungsrechtliche Ebene ist stets auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Grundkonsenses und Spiegelbild der politischen Situation zum Zeitpunkt ihres Erlasses22. In Anbetracht neuartiger Gefährdungslagen dient die einfachgesetzliche Ebene auch der Aktualisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Insoweit wirkt also die Gesetzesebene auf die höherrangige Verfassung zurück. Es handelt sich damit um eine vertikale Wirkung von unten nach oben23. Daraus ergibt sich ein komplexes Wechselwirkungssystem aus feststehenden Determinanten und entwicklungsoffener Konkretisierung durch gesetzgeberische Ausgestaltung24.

17 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 14, Art. 2 GG Rn. 91; Starck in: von Mangoldt/ Klein Art. 1 I GG Rn. 43, Rn. 92; Herdegen in: Maunz/Dürig Art. 1 I GG Rn. 74; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 32; Antoni in: Hömig Art. 2 GG Rn. 11; Bleckmann Staatsrecht II S. 236 ff.; Hermes S. 38 f. 18 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 16; Hermes S. 266; Badura S. 535 Rn. 1. 19 Berg Rn. 65. 20 Katz S. 5 Rn. 8. 21 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 75, 83. 22 Katz S. 42 Rn. 95. 23 Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 83. 24 Dazu auch Häberle Wesensgehaltgarantie S. 210 ff.; Lerche in: FS-Maunz S. 285 ff.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

3. Zur Frage des Durchgriffs der Verfassungsebene bei fehlender gesetzlicher Regelung Auch wenn die Frage vor Untersuchung der einfachgesetzlichen Ausgestaltung vorläufig nur hypothetischen Charakter hat, bietet sich ihre Klärung an dieser Stelle beim Zusammenspiel von Verfassung und einfachem Gesetz an: Entfaltet die verfassungsrechtliche Ebene Durchgriffswirkung, wenn eine einfachgesetzliche Regelung ganz fehlt oder hinter der verfassungsrechtlichen Vorgabe zurückbleibt? Grundsätzlich ist dies zu verneinen. Zwar handelt es sich bei den Grundrechten des Grundgesetzes im Gegensatz zu den Gewährleistungen der Weimarer Reichsverfassung um unmittelbar geltendes Recht25. Jedoch binden diese unmittelbar nur den Staat. Eine unmittelbare Drittwirkung wird abgelehnt, sofern diese nicht ausdrücklich vorgesehen ist26. Auch für die Schutzpflichtdimension ist von diesem grundlegenden Befund keine Ausnahme zu machen, so dass ein bestimmtes Verhalten Dritten gestattet ist, solange sein Verbot nicht gesetzlich ausgestaltet ist27. Dies gilt jedenfalls dann, wenn mit der Durchsetzung der Schutzpflicht ein Eingriff in die Freiheitssphäre eines Dritten verbunden ist, welcher wiederum dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt. Die grundrechtliche Schutzpflichtdimension begründet also keine Erweiterung staatlicher Eingriffsermächtigungen. Sie ist stattdessen in ihrer Durchsetzung von der einfachgesetzlichen Ausformung abhängig28. In diesem Sinne kann von einer Gesetzesmediatisierung der Schutzpflicht gesprochen werden29. Eine Sonderrolle nimmt insofern die Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG ein. Aufgrund ihres exzeptionellen Charakters und ihrer Sonderstellung im Verfassungsgefüge ist von einer Direktwirkung auch unter Privaten auszugehen30. Infolge der hohen Abstraktheit ist auch der Würdeschutz in erster Linie von der einfachgesetzlichen Konturierung abhängig. Wenn und solange jedoch der Staat hinsichtlich seiner Schutzpflicht untätig bleibt oder eine vorhandene gesetzliche Regelung auch unter Berücksichtigung der legislativen Einschätzungsprärogative hinter den Vorgaben der Verfassungsebene zurückbleibt, lässt sich eine Maßgabe unmittelbar aus der Verfassung selbst ableiten31. Menschenwürderelevanz hatte nach dem Stand der vorliegenden Untersuchung nur die Forschung an embryonalen Stammzellen. Sollten die gesetzlichen Regelungen der Vorgabe des Art. 1 I GG nicht

25

Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 31. Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 50 f. 27 Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 26; Dreier in: Dreier Vorbemerkungen Rn. 102. 28 Hermes S. 207; Dreier in: Dreier Vorbemerkungen Rn. 102; Isensee Grundrecht auf Sicherheit S. 42. 29 Antoine S. 202; Isensee Grundrecht auf Sicherheit S. 33; Wahl/Masing JZ 1990 S. 557 ff.; Pietrzack JuS 1994 S. 753. 30 Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 27; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 59; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 14. 31 So auch Wahl in: FS-Eser S. 1259. 26

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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gerecht werden, ließe sich ein Verbot gegenüber privater Forschung über eine Durchgriffswirkung des Verfassungsrechts begründen32.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz 1. Bedeutung des Strafrechts für den Lebensschutz a) Ultima-ratio-Charakter des Strafrechts Das Strafrecht lässt sich umschreiben als die Summe aller Vorschriften, die Voraussetzungen oder Folgen eines mit Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung bedrohten Verhaltens regeln33. Systematisch handelt es sich um einen Teilbereich des Öffentlichen Rechts, der jedoch aufgrund seiner großen Reichweite und besonderen Bedeutung als eigenständige Disziplin behandelt wird. Das Strafrecht stellt ein formelles Instrument der Sozialkontrolle dar, welches den Bürgern ein freies und friedliches Zusammenleben unter Wahrung der verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte gewährleisten soll34. Hauptaufgabe ist mithin der Rechtsgüterschutz35. Dass der Verfassungsgeber von einem Bestrafungsmonopol des Staates ausgeht, lässt sich unter anderem an der Zuweisung des Art. 74 Nr. 1 GG erkennen36. Im Strafrecht findet sich die von den Schutzpflichten her bekannte Dreieckskonstellation auf einfachgesetzlicher Ebene wieder. Hierbei stehen sich das beeinträchtigte Opfer, der eingreifende Täter sowie der regulierende Staat gegenüber. Da staatliches Strafen einen intensiven Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Bestraften darstellt, unterliegt es dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit37. Es darf demnach nicht mehr verboten und sanktioniert werden, als zur Erreichung eines friedlichen und freiheitlichen Zusammenlebens unbedingt erforderlich ist38. Innerhalb einer großen Bandbreite an staatlichen Reaktionsmöglichkeiten auf sozial abweichendes Verhalten bietet das Strafrecht das schärfste Mittel39. Es gilt grundsätzlich ein Vorrang des präventiven vor dem repressiven Schutz von Rechtsgütern40. Das Strafrecht

32 Eine Durchgriffswirkung im Verhältnis Staat-Bürger beschreibt Kunig in: von Münch/ Kunig Art. 1 GG Rn. 35. 33 Roxin AT I S. 1 Rn. 1. 34 Roxin AT I S. 16 Rn. 7. 35 Joecks vor § 1 StGB Rn. 4; Göppinger S. 619; Naucke Rn. 97. 36 Roxin AT I S. 13 Rn. 1. 37 Roxin AT I S. 40 Rn. 86; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 86. 38 Roxin AT I S. 16 Rn. 8; Naucke Rn. 93; Gropp GA 2000 S. 6 f. 39 Roxin AT I S. 41 Rn. 89; de Faria Costa GA 2007 S. 329. 40 BVerfGE 39, 52.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

kommt also erst zum Zuge, wenn der erstrebte Erfolg nicht auf anderem, weniger einschneidendem, Wege zu erreichen ist41. b) Mögliche Verengung des Einschätzungsspielraums hin zur Pönalisierungspflicht Grundsätzlich anerkannt ist ein weitreichender Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, dem es also freisteht, seine Schutzpflicht auch auf milderer Ebene als derjenigen des Strafrechts zu erfüllen42. Der Rahmen gerichtlicher Überprüfung ist insofern stark eingeschränkt43. Gleichwohl hat das BVerfG in den beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch44 sehr konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung des rechtlichen Lebensschutzes gestellt45. Allgemein orientiert sich die Intensität der vom Staat erwarteten Reaktion an der Wertigkeit der zu schützenden Güter sowie am Grad der ihnen drohenden Gefahren46. Letzteres entspricht dem aus dem Polizeirecht bekannten Gedanken von der Relativität des Gefahrenbegriffs. Nun handelt es sich beim menschlichen Leben, wie vom BVerfG immer wieder betont47, um einen Höchstwert in der Verfassungsordnung. Auch sind die ihm drohenden Gefahren an den Grenzbereichen des Lebens hinreichend konkret. Dies legt die Frage nahe, ob es möglicherweise zu einer Reduktion des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums dahingehend kommt, dass eine strafrechtliche Ausgestaltung des Lebensschutzes zwingend erforderlich wird. c) Spezifische Situation an den Grenzbereichen des Lebens Mit der Frage einer staatlichen Verpflichtung zum Einsatz des Strafrechts hat sich das BVerfG in seinen beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch intensiv befasst48. In der Entscheidung aus dem Jahr 197549 geht das Gericht zunächst davon aus, dass der Einsatz des Strafrechts angesichts der hohen Wertigkeit des Lebens jedenfalls legitim ist50 und wendet sich anschließend der Frage zu, ob dieser auch zwingend geboten ist. Bereits in dieser Entscheidung betont das Gericht, dass eine Gesamtbetrachtung des Regelungssystems entscheidend ist und es auf dessen 41

Roxin AT I S. 45 Rn. 97 f.; Eisenberg S. 181 Rn. 1. Antoine S. 207; Brüning/Helios JURA 2001 S. 162. 43 Antoine S. 209; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 50; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 89. 44 BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. 45 Sachs S. 208 Rn. 94. 46 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 90; Isensee Grundrecht auf Sicherheit S. 37; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 191. 47 BVerfGE 39, 42. 48 BVerfGE 39, 44 ff. 49 BVerfGE 39, 1 ff. 50 BVerfGE 39, 46. 42

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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tatsächlich bewirkten Schutz ankommt51. Maßgeblich ist folglich nicht die Schärfe, sondern die Effektivität des Schutzes52. Im Folgenden spricht es von einer relativen Pflicht zum Einsatz des Strafrechts, sofern andere Mittel nicht die gleiche Effektivität gewährleisten könnten53. Das ebenfalls aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleitende Untermaßverbot verbiete es, ein bestimmtes Schutzniveau zu unterschreiten. Wenn das Gericht sodann die Fristenregelung des fünften Strafrechtsreformgesetzes als verfassungswidrig verwirft, stellt es dabei in erster Linie auf generalpräventive Gesichtspunkte ab. So führt das BVerfG aus, ein generelles Unwerturteil komme in der Regelung nicht zum Ausdruck und es entstehe das Bild einer völligen strafrechtlichen Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs54. Später spricht es explizit von der generalpräventiven Bedeutung und den Fernwirkungen einer Strafnorm55. Die grundlegende Bedeutung des Strafrechts für den Lebensschutz betont das BVerfG auch in seiner zweiten Entscheidung aus dem Jahr 199356, wenn es ausführt, dass es dem Gesetzgeber nicht gestattet sei, auf den Einsatz des Strafrechts frei zu verzichten57. Diese unbestimmte Formulierung ist nach einer Gesamtschau der Ausführungen des Gerichts dahingehend zu interpretieren, dass es einen ersatzlosen Verzicht auf strafrechtliche Sanktionen ablehnt. Entsprechend rückt das Gericht – noch stärker als in seinem ersten Urteil – die Effektivität des Lebensschutzes in den Mittelpunkt58. Strafe ist nie Selbstzweck, sondern dient wie einführend erläutert dem Rechtsgüterschutz. Es ist zu berücksichtigen, dass es sich gerade an den Grenzbereichen des Lebens um besondere Konfliktlagen handelt, in denen die abstrakte Strafandrohung möglicherweise nicht entscheidend zu den Beteiligten durchdringt. Dies deckt sich mit den allgemeinen kriminologischen Befunden zur eingeschränkten Wirkung abstrakter Strafandrohungen59. In diesem Sinne setzt das BVerfG auf eine Auflösung des Interessenkonflikts im Dialog mit den Parteien, konkret mit der schwangeren Frau. Es gelangt demnach zu der Einschätzung, dass es vom legislativen Einschätzungsspielraum gedeckt sei, innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft anstelle von Pönalisierung auf eine lebensbejahende Beratung der Frau zu setzen. Es handle sich um eine vertretbare Einschätzung, dass diese Lösung in der spezifischen Situation des Schwangerschaftskonflikts dem Lebensschutz besser dienlich sei als eine Strafandrohung60. 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

BVerfGE 39, 46. Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 33; Pieroth/Schlink Rn. 409; Krey AT I Rn. 28. BVerfGE 39, 47. BVerfGE 39, 53. BVerfGE 39, 57. BVerfGE 88, 203 ff. BVerfGE 88, 257. BVerfGE 88, 262. Streng S. 30 f.; Schneider Kriminologie S. 790, 800 f. BVerfGE 88, 266 f.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

d) Zwischenergebnis zur Bedeutung des Strafrechts Nach Einschätzung des BVerfG handelt es sich folglich beim Strafrecht um ein bedeutsames, nicht jedoch um das einzige Mittel des Lebensschutzes. Zwar kann auf strafrechtlichen Schutz nicht vollständig verzichtet werden, gleichwohl ist aber ein möglichst effektives Gesamtkonzept anzustreben61. Dieses kann unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums nicht nur aus Strafnormen bestehen, sondern gestattet auch flankierende soziale Maßnahmen62. Einen zwingenden Automatismus zwischen Lebensschutz und dem Einsatz staatlichen Strafens sieht das Gericht nicht. Nachdem das BVerfG in diesen beiden Entscheidungen, in denen es sehr konkrete Vorgaben an die einfachgesetzliche Umsetzung der Schutzpflicht gemacht hat, den Gestaltungsspielraum der Legislative betont und respektiert, ist nicht davon auszugehen, dass sich in den Bereichen embryonaler Stammzellforschung oder Sterbehilfe ein solcher Automatismus ergibt. Auf der anderen Seite hat das Gericht auch betont, dass der Einsatz des Strafrechts jedenfalls ein legitimes Mittel angesichts der hohen Wertigkeit menschlichen Lebens sei63. Nachfolgend kann nun zur Betrachtung der konkreten Ausgestaltung des strafrechtlichen Lebensschutzes übergegangen werden. Dabei geht es zunächst um das grundsätzliche Tötungsverbot und dessen Ausnahmen, bevor der Fokus auf Anfang und Ende des einfachgesetzlichen Lebensschutzes gelegt wird. 2. Grundsätzliches Tötungsverbot a) Die Regelungen der §§ 211 ff. StGB Für geborene Menschen statuieren die §§ 211 ff. StGB ein grundsätzliches Tötungsverbot. Jenseits dieser positivrechtlichen Niederlegung handelt es sich hierbei um ein ethisches Prinzip, das kulturell verankert und universell anerkannt ist. Die Achtung des menschlichen Lebens bildet die fundamentale Voraussetzung eines sozialen Zusammenlebens64.

61

So auch Cremer DÖV 2008 S. 105 zur Verhältnismäßigkeitsprüfung bei staatlichen Schutzpflichten. 62 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 103. 63 BVerfGE 39, 46. 64 Eibach MedR 2000 S. 10; Dreier JZ 2007 S. 261; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 26 Rn. 1.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

213

b) Tötung anderer unter Billigung der Rechtsordnung Die Tötung eines anderen Menschen unter Billigung der Rechtsordnung beschränkt sich auf eng begrenzte Ausnahmefälle65. Prominentestes Beispiel ist die Tötung eines rechtswidrig Angreifenden in Notwehr oder Nothilfe nach § 32 StGB66. Diese Befugnis beruht auf dem Gedanken, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht, sondern diesem wehrhaft entgegentreten darf67. Neben der Bewährung der Rechtsordnung68 dient das Notwehrrecht dem Individualgüterschutz. Eine Güterabwägung findet infolge der beschriebenen Hintergründe grundsätzlich nicht statt. Sozialethische Einschränkungen des Rechts auch zur Tötung ergeben sich allenfalls bei grobem Missverhältnis zwischen bedrohtem und beeinträchtigtem Gut, das so weit reichen muss, dass die Bejahung des Notwehrrechts rechtsmissbräuchlich erschiene69. Einen weiteren Anwendungsfall bilden landesrechtliche Regelungen des Polizeirechts zum sog. finalen Rettungsschuss oder polizeilichen Todesschuss70. Dabei wird die Tötung eines Menschen als ultima ratio gestattet, sofern eine von diesem ausgehende Bedrohung für hochrangige Rechtsgüter nicht anders abzuwenden ist. Nicht von verwaltungsrechtlichen Befugnissen umfasst ist dagegen die Tötung Unschuldiger, wie die rege Debatte um das Luftsicherheitsgesetz zeigte71, das vom BVerfG als verfassungswidrig verworfen wurde. Aus einer Gesamtschau dieser Entscheidung wird deutlich, dass auch das BVerfG für Tötungen unter Billigung der Rechtsordnung einen strengen Maßstab anlegt. Schließlich verbleibt die rechtmäßige Tötung unter Soldaten im Krieg, die sich nach völkerrechtlichen Regelungen richtet72. Eine gerechtfertigte Tötung im Notstand nach § 34 StGB ist hingegen nicht möglich, da hierbei eine Güterabwägung erfolgt. Wie bereits auf verfassungsrechtlicher Ebene festgestellt, verbietet sich eine qualitative oder quantitative Ver65

Maurach/Schroeder/Maiwald Rn. 7; Mitsch JR 2006 S. 452. Dreier ZRP 2002 S. 377; Dreier JZ 2007 S. 263; Fischer § 212 StGB Rn. 17; Eser in: Schönke/Schröder § 212 StGB Rn. 7; Kühl § 212 StGB Rn. 4. 67 Zippelius JuS 1983 S. 662; Dreier JZ 2007 S. 263; Krey AT I Rn. 424; Herzog in: NK – StGB § 32 Rn. 1. 68 Duttge in: Dölling/Duttge/Rössner § 32 StGB Rn. 2; Krey AT I Rn. 424; Kindhäuser AT S. 140 Rn. 1; Kühl AT S. 113 Rn. 7. 69 Duttge in: Dölling/Duttge/Rössner § 32 StGB Rn. 25, 28; Krey AT I Rn. 486, 499; Kindhäuser AT S. 147 Rn. 36; Kühl AT S. 177 Rn. 178. 70 Zippelius JuS 1983 S. 662; Dreier ZRP 2002 S. 377; Dreier JZ 2007 S. 264; Fischer § 212 StGB Rn. 17; Kühl § 212 StGB Rn. 4; Jähnke in: LK – StGB § 212 Rn. 12 f. 71 Dazu Sinn NStZ 2004 S. 585 ff.; Dreier JZ 2007 S. 265 ff.; Pawlik JZ 2004 S. 1045 ff.; Hartleb NJW 2005 S. 1397 ff. 72 Maurach/Schroeder/Maiwald S. 33 Rn. 11 – 18; Jähnke in: LK – StGB § 212 Rn. 16 – 21; Dreier ZRP 2002 S. 377; Dreier JZ 2007 S. 262; Fischer § 212 StGB Rn. 17; Eser in: Schönke/Schröder § 212 StGB Rn. 7; Kühl § 212 StGB Rn. 4; Gössel/Dölling S. 39 Rn. 67. 66

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

rechnung von Menschenleben, so dass kein schützenswertes Rechtsgut denkbar ist, dass in einer Abwägung mit dem Leben wesentlich überwiegt73. Ebenso ausgeschlossen ist eine Rechtfertigung durch Einwilligung des Opfers, wie die Einwilligungssperre des § 216 StGB zeigt74. Von den bislang dargestellten Rechtfertigungsszenarien zu unterscheiden sind etwaige Entschuldigungsgründe, wie derjenige des § 35 StGB. Dabei bleibt es bei einem grundlegenden Unwerturteil. Die Tötung wird von der Rechtsordnung nicht gebilligt. Der Staat verzichtet lediglich aufgrund der Achtung vor einer individuellen Konfliktlage auf seinen Strafanspruch75. Dies betrifft etwa das Schulbeispiel vom Brett des Karneades76. In diesem Fall treiben zwei Schiffbrüchige auf einem Holzstück im Meer, das jedoch lediglich einen von ihnen zu tragen vermag. Wenn nun der eine Schiffbrüchige den anderen ins Wasser stößt und ihn so tötet, um selbst zu überleben statt gemeinsam zu sterben, so kann die Rechtsordnung dieses Verhalten nicht billigen. Der Staat verzichtet jedoch aufgrund der ausweglosen Entscheidungssituation des Handelnden auf eine Bestrafung. Es hat sich damit gezeigt, dass die rechtmäßige Tötung eines geborenen Dritten auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleibt. Die Tötung trifft hierbei nie einen Unbeteiligten, sondern stellt sich ausschließlich als Reaktion auf ein Handeln des Getöteten dar. 3. Strafrechtlicher Lebensschutz an den untersuchten Grenzbereichen Nach Darlegung des grundsätzlichen Tötungsverbots gilt nun besonderes Augenmerk den einfachgesetzlichen Regelungen an Anfang und Ende des Lebens. Ähnlich wie auf der Ebene des Verfassungsrechts soll untersucht werden, wann rechtlicher Schutz einsetzt bzw. endet und welche Intensität dieser Schutz inhaltlich hat. Eine weitere Differenzierung wird dahingehend vorgenommen, dass unterschieden wird zwischen einem wörtlichen Verständnis der geschriebenen Rechtslage und der tatsächlich praktizierten Rechtswirklichkeit. Hierbei möglicherweise auftretende Divergenzen können ein Indikator für eine Unvereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben und einfachgesetzlichen Reformbedarf sein.

73

Sinn NStZ 2004 S. 586; Dreier JZ 2007 S. 263; Fischer § 212 StGB Rn. 17; Eser in: Schönke/Schröder § 212 StGB Rn. 6; Duttge in: Dölling/Duttge/Rössner § 34 StGB Rn. 20; Krey AT I Rn. 573; Kindhäuser AT S. 156 Rn. 30. 74 Eser in: Schönke/Schröder § 212 StGB Rn. 6; Krey AT I Rn. 622; Gropp S. 192 Rn. 39; Rengier BT II S. 51 Rn. 1; Gössel/Dölling S. 39 Rn. 66; kritisch zum Begriff der Einwilligungssperre Popp ZStW 2006 S. 647. 75 Zu dieser Unterscheidung Dreier JZ 2007 S. 264; Krey AT I Rn. 529; Baumann/Weber/ Mitsch S. 310 Rn. 20; Duttge in: Dölling/Duttge/Rössner § 35 StGB Rn. 18; Krey AT I Rn. 715; Kindhäuser AT S. 190 Rn. 1. 76 Darstellung und Besprechung bei Baumann/Weber/Mitsch ab S. 553; Koriath JA 1998 S. 250 ff.; weitere Schulfälle zum Lebensnotstand bei Küper JuS 1981 S. 785 ff.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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a) Geschriebene Rechtslage aa) Am Beginn des Lebens Hinsichtlich der frühen menschlichen Existenz lassen sich mehrere zeitliche Abschnitte unterscheiden, in denen differenzierte Regelungen des strafrechtlichen Lebensschutzes bestehen. Diese Schutzgewährleistung ist dabei nicht auf das StGB beschränkt, sondern ist auch in Nebengesetzen normiert. (1) Rechtslage zwischen Befruchtung und Nidation Den ersten dieser Abschnitte bildet die Phase zwischen Befruchtung der Eizelle und deren Einnistung, der Nidation. Hierbei wird unterschieden zwischen der Bewertung der Situation bei natürlicher Befruchtung, also in vivo, und derjenigen bei künstlicher Befruchtung, also in vitro. (a) Schutz des Embryos in vitro durch das Embryonenschutzgesetz Dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen grundsätzlich die §§ 218 ff. StGB. Da es sich bei künstlicher Befruchtung jedoch nicht um eine Leibesfrucht im Sinne dieser Vorschriften handelt, hat der Embryonenschutz in diesen Fällen im Embryonenschutzgesetz vom 01. 01. 1991 eine spezielle Ausgestaltung auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts erfahren77. Der gesetzgeberische Handlungsbedarf zum Erlass des ESchG ergab sich durch neue technische Fähigkeiten zur extrakorporalen Befruchtung und damit einhergehende Fortschritte im Bereich der Humangenetik78. Zu den geschützten Rechtsgütern des ESchG gehören hochrangige Werte wie Leben und Körperintegrität des Embryos, Persönlichkeitsrechte der austragenden Frau oder des Gametenspenders sowie die Menschenwürde aller Beteiligten79. Positiv definiert wird der sachliche Anwendungsbereich des ESchG vor allem durch die Begriffsbestimmung in § 8 ESchG80. Nach dessen Abs. 1 gilt als Embryo im Sinne des Gesetzes die befruchtete Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an. Voraussetzung ist allerdings, dass diese entwicklungsfähig ist. Dafür spricht gemäß § 8 II ESchG binnen der ersten 24 Stunden nach Kernverschmelzung eine widerlegbare Vermutung81. Dem Embryo gleichgestellt wird auch jede dem Embryo entnommene totipotente Zelle mit Entwicklungspotential. Der Anwendungsbereich des ESchG ist damit ab Befruchtung eröffnet. In negativer Hinsicht wird dieser durch § 218 I 2 StGB begrenzt, dem sich in einem Umkehrschluss entnehmen lässt, dass 77

Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 4; Gössel/Dölling S. 120 Rn. 4. Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser vor § 1 ESchG Rn. 1. 79 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser vor § 1 ESchG Rn. 3. 80 Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 8 ESchG Rn. 3; Neidert ZRP 2002 S. 468. 81 Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 8 ESchG Rn. 32; Rössner/Wenkel in: Dölling/ Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 99. 78

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

mit abgeschlossener Implantation die §§ 218 ff. StGB einschlägig sind. In Konsequenz dessen beschränkt sich der Anwendungsbereich des ESchG auf Embryonen aus künstlicher Befruchtung in der Zeit zwischen Kernverschmelzung und Implantation sowie deren totipotente Zellen. Kernstück des Gesetzes sind die beiden zentralen Verbotsnormen der §§ 1 und 2 ESchG82. Dabei stellt § 1 ESchG einzelne Missbrauchstatbestände unter Strafe, die sich entweder auf den Vorgang der künstlichen Befruchtung selbst oder auf die missbräuchliche Verwendung eines bereits erzeugten Embryos beziehen. Flankierend verbietet § 2 ESchG umfassend eine Verwendung des Embryos zu anderen als zu Fortpflanzungszwecken. Die §§ 3 – 7 ESchG pönalisieren sodann eine Reihe fortpflanzungstechnischer oder humangenetischer Manipulationen und Zugriffe, die in Folge der erhöhten Verfügbarkeit des Embryos bei extrakorporaler Befruchtung möglich werden. Schließlich dient der straf- bzw. bußgeldbewährte Arztvorbehalt der §§ 9 – 12 ESchG dem Schutz des Lebens und der Gesundheit sowohl des Embryos als auch der austragenden Frau, indem sichergestellt werden soll, dass die Regeln ärztlicher Kunst beachtet werden. Nach allem lassen sich sechs Hauptanliegen des ESchG zusammenfassen83: Zunächst hat es den Zweck, gespaltene Mutterschaften zu verhindern. Eine solche liegt dann vor, wenn eine Eizelle nicht von der Frau stammt, auf die sie übertragen wird84. Als zweites wird die Intention deutlich, die extrakorporale Befruchtung für Fortpflanzungszwecke zu reservieren. Es geht also um deren Ermöglichung ebenso wie um ihre Begrenzung85. Drittens soll der Entstehung sog. überzähliger Embryonen vorgebeugt werden. Inhaltlich eng damit verbunden ist das Bestreben, fremdnützige Experimente auf Kosten des menschlichen Lebens auszuschließen. Ferner verfolgt das ESchG den Zweck, Einstiegen in die Eugenik entgegenzutreten. Schließlich soll auch die Selbstbestimmung über die eigene Fortpflanzung gewährleistet werden. An diesen einführenden Überblick zu Hintergrund, Anwendungsbereich und Schutzzweck des ESchG schließt sich nun eine eingehendere Befassung mit den einzelnen Regelungen an. Dabei werden gezielt diejenigen Normen betrachtet, die für die vorliegend untersuchte Praxis embryonaler Stammzellforschung von Relevanz sind. Besonderes Augenmerk kommt dabei den jeweils geschützten Rechtsgütern zu. Insoweit bildet § 1 I Nr. 2 ESchG die erste relevante Regelung. Sie lautet

82

Gesamtüberblick auch bei Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser vor § 1 ESchG Rn. 7; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 36 – 38. 83 Überblick bei Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser vor § 1 ESchG Rn. 4. 84 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 52. 85 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 35; Neidert ZRP 2002 S. 468.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 2. es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt.

Diese Regelung verfolgt zwei Ziele. Zum einen soll eine gespaltene Mutterschaft verhindert werden, zum anderen wird die künstliche Befruchtung zu jedem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft untersagt86. Verboten ist also insbesondere die gezielte Herstellung von Embryonen durch künstliche Befruchtung mit der Zielsetzung verbrauchender Forschung87. Nach den Gesetzesmotiven ging der Gesetzgeber davon aus, dass die gezielte Erzeugung menschlichen Lebens zu fremdnützigen Zwecken sowohl einen Verstoß gegen Art. 2 II GG als auch gegen Art. 1 I GG darstellt. Geschützte Rechtsgüter sind mithin das Leben als solches sowie die Menschenwürde88. Wenn mitunter formuliert wird, das ESchG diene nicht dem Lebensschutz, so ist das weder komplett falsch noch absolut zutreffend. Zwar wird nicht die unmittelbare Tötungshandlung sanktioniert. Stattdessen werden aber bereits im Vorfeld Handlungen pönalisiert, die in einem späteren Stadium zwingend die Tötung nach sich ziehen. Geschütztes Rechtsgut ist somit jedenfalls mittelbar das menschliche Leben, die Intention des Gesetzes der strafrechtliche Lebensschutz89. Tatbestandliche Handlung bei § 1 I Nr. 2 ESchG ist das Unternehmen der künstlichen Befruchtung der Eizelle90. In Ermangelung eines Befruchtungsvorgangs ist die Norm nicht einschlägig, wenn der Embryo mittels somatischer Kerntransplantation erzeugt wird91, wie dies etwa beim Verfahren des therapeutischen Klonens geschieht. Die nächste für die Stammzellforschung bedeutsame Regelung ist § 1 I Nr. 5 ESchG. Dieser lautet (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen

Die Vorschrift soll der Entstehung überzähliger Embryonen entgegenwirken92. Damit wird zunächst wie bei Nr. 2 ein doppelter Schutzzweck verfolgt. Zuerst sollen keine Embryonen für eine missbräuchliche Verwendung zur Verfügung stehen. 86

Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 2 ESchG Rn. 1. Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 2 ESchG Rn. 4. 88 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 2 ESchG Rn. 2; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 43. 89 Schroeder in: FS-Miyazawa S. 538 spricht von der „Lebensgerichtetheit des werdenden Lebens als Schutzobjekt“. 90 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 2 ESchG Rn. 8. 91 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 2 ESchG Rn. 13. 92 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 5 ESchG Rn. 1; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 46; Schroeder in: FS-Miyazawa S. 537. 87

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

Zweitens soll wiederum eine gespaltene Mutterschaft vermieden werden93. Aus der Formulierung „innerhalb eines Zyklus“ ergibt sich eine dritte, eigenständige Schutzrichtung: Es soll eine künstliche Befruchtung auf Vorrat unterbunden werden94. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die damit zwingend verbundene Kryokonservierung und der anschließende Auftauvorgang den Embryo schädigen können. Neben Leben und Menschenwürde des Embryos wird also zusätzlich dessen Gesundheit geschützt95. Die Tathandlung deckt sich mit der Regelung in Nr. 2 und besteht in der extrakorporalen künstlichen Befruchtung einer Mehrzahl menschlicher Eizellen96. Jedenfalls in seiner zweiten Variante ist § 1 I Nr. 6 ESchG für die Stammzellforschung maßgeblich. Die Norm hat folgenden Wortlaut (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 6. einer Frau einen Embryo vor Abschluss seiner Einnistung in die Gebärmutter entnimmt, um diesen auf eine andere Frau zu übertragen oder ihn für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck zu verwenden

Diese Vorschrift steht in enger Beziehung zur Regelung in § 1 I Nr. 2 ESchG97. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass Embryonen nicht nur aus extrakorporaler Befruchtung entstehen, sondern auch nach künstlicher oder natürlicher Befruchtung aus dem Mutterleib entnommen werden können98. Die besagte zweite Variante soll somit bereits im Vorfeld der Verwendung des Embryos zu fremdnützigen Zwecken entgegenwirken99. In diesem Sinne dient auch sie dem Schutz des Lebens und der Menschenwürde des Embryos. Daneben ist als Schutzobjekt die Gesundheit der Spenderin zu benennen, für die das Verfahren besondere Gefahren birgt100. Ebenfalls weit vorverlagert wird der Schutz durch § 1 II ESchG, der wie folgt lautet: (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. künstlich bewirkt, daß eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle eindringt, oder 2. eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle künstlich verbringt, ohne eine Schwangerschaft der Frau herbeiführen zu wollen, von der die Eizelle stammt.

93

Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 5 ESchG Rn. 2. Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 5 ESchG Rn. 3; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 46. 95 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 5 ESchG Rn. 5; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 46. 96 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 5 ESchG Rn. 18; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 56. 97 Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 6 ESchG Rn. 1. 98 Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 6 ESchG Rn. 1. 99 Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 6 ESchG Rn. 2. 100 Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 6 ESchG Rn. 1. 94

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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Die Norm ergänzt § 1 I Nr. 2 ESchG, setzt aber anders als dieser keine Befruchtung, deren Unternehmen oder das Entstehen eines Embryos nach der Definition des § 8 I ESchG voraus. Damit wird der strafrechtliche Schutz auf Vorstadien der Entstehung menschlichen Lebens ausgedehnt. Abgedeckt werden sollen hierdurch solche Handlungen vor dem Anwendungsbereich des § 1 I Nr. 2 ESchG, die nicht auf eine Befruchtung, sondern nur auf die Erzeugung von Vorkernen gerichtet sind. Zu diesem Zeitpunkt kann der Befruchtungsvorgang noch jederzeit durch das Verfahren der Kryokonservierung unterbrochen werden, so dass dies noch nicht den Beginn des Unternehmens einer Befruchtung nach § 1 I Nr. 2 ESchG darstellt101. In Gestalt eines konkreten Gefährdungsdelikts verfolgt die Regelung damit im Vorfeldstadium wie schon § 1 I Nr. 2 ESchG eine zweifache Schutzrichtung. Es gilt eine fremdnützige Verwendung, insbesondere verbrauchende Forschung, zu verhindern und daneben gespaltene Mutterschaften auszuschließen. Zudem soll bereits der Entstehung überzähliger Embryonen vorgebeugt werden. Sinn und Zweck der Regelung ist folglich der weit vorverlagerte, vorbeugende Schutz von menschlichem Leben und Menschenwürde102. Die zentrale Vorschrift bezüglich des Schicksals sog. überzähliger Embryonen findet sich in § 2 ESchG, dessen Abs. 1 und 2 folgenden Wortlaut haben: (1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, daß sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt.

§ 2 ESchG verbietet jede Verwendung des extrakorporal verfügbar gewordenen Embryos, die nicht seiner Erhaltung dient. Dies betrifft insbesondere die überzähligen Embryonen, an denen trotz ihres Charakters als ohnehin todgeweiht die verbrauchende Forschung durch die Entnahme von Stammzellen unter Strafe gestellt wird103. Die Regelung bildet folglich einen Auffangtatbestand, falls entgegen der Schutzintention des § 1 ESchG das Entstehen überzähliger Embryonen doch nicht verhindert werden konnte. In Abs. 1 kommt zuvörderst die Überlegung zum Ausdruck, dass menschliches Leben nicht zum Gegenstand fremdnütziger Zwecke gemacht werden darf. Geschützes Rechtsgut ist damit vor allem die Menschenwürde104. Dies unterstreicht 101 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 II ESchG Rn. 1; Rössner/Wenkel in: Dölling/ Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 49. 102 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 II ESchG Rn. 4; Rössner/Wenkel in: Dölling/ Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 49. 103 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 75; Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 1; Schroth JZ 2002 S. 171. 104 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 76.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

gerade die erste Modalität des Veräußerns als entgeltliche Weitergabe, welche im Gegensatz zu den drei übrigen Varianten auch dann eingreift, wenn durch Übertragung auf eine Frau eine Lebensperspektive eröffnet würde. Menschliches Leben soll nicht zur kommerziellen Ware werden105. Demgegenüber entfällt bei den anderen drei Varianten, im Falle eines der Erhaltung dienenden Zwecks, das tatbestandliche Verbot106. Ihre Schutzrichtung umfasst mithin ergänzend das Leben und die Gesundheit des Embryos107. Auch für § 2 ESchG gelten die Begriffsbestimmungen des § 8 I ESchG, was zu einigen Auslegungsschwierigkeiten führt. Entscheidendes Merkmal des Embryonenbegriffs im Sinne des Gesetzes ist die Entwicklungsfähigkeit. Damit setzen die Verbotstatbestände einen lebenden Embryo voraus. Tote menschliche Embryonen unterfallen hingegen nicht dem Schutz des § 2 I ESchG108. Dem Embryo gleichgestellt wird durch die Legaldefinition auch die ihm entnommene totipotente Zelle. Dagegen gehören die embryonalen Stammzellen selbst aufgrund ihrer Pluripotenz nicht zu den einbezogenen Tatobjekten109. Weiterhin erfordert § 8 I ESchG eine Befruchtung. Damit fallen diejenigen Embryonen eigentlich aus dem Anwendungsbereich heraus, die mittels neuartiger Klonierungstechniken entstanden sind. Dies betrifft insbesondere das Verfahren des Zellkerntransfers, wie es beim therapeutischen Klonen praktiziert wird. Jedoch herrscht weitgehende Einigkeit, dass § 8 I ESchG keinen Anspruch auf Vollständigkeit im Sinne einer abschließenden Definition erhebt. Für diese Ansicht spricht nicht zuletzt die noch näher zu erläuternde Regelung des § 6 I ESchG, welche als Tatobjekt ebenfalls einen Embryo voraussetzt110. Folglich werden auch geklonte Embryonen trotz fehlender Befruchtung in den Schutz des § 2 ESchG einbezogen. Es ist damit nach derzeitiger Gesetzeslage verboten, solchen Embryonen zu fremdnützigen Zwecken Stammzellen zu entnehmen. Somit statuiert § 2 I ESchG ein Verbot des therapeutischen Klonens zum Zwecke embryonenverbrauchender Forschung111. Innerhalb der vier möglichen Tathandlungen hat das Verwenden die größte praktische Relevanz. Es bildet einen umfassenden Auffangtatbestand für Fälle missbräuchlicher, aktiver Einwirkung auf das Schicksal des Embryos, sofern kein spezielleres Verwertungsverbot eingreift112. Zentrales Problem dieser Modalität und 105

Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 5. Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 6 bezeichnet sie als „Tendenzdelikte“; Schroeder in: FS-Lenckner S. 338 f. spricht von „Negativabsichtsdelikten“. 107 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 6. 108 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 12. 109 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 16. 110 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 22. 111 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 23; a.A. Faltus MedR 2008 S. 544 f. 112 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 83. 106

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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eine bedeutsame Weichenstellung für das Schutzniveau des ESchG insgesamt ist die Frage, ob das aktive Abtöten des Embryos in vitro durch Wegschütten, Wegwerfen oder sonstige aktive Vernichtung ein „Verwenden“ im Sinne des Paragraphen darstellt. Eine Festlegung ist hierbei nicht nur für den praktischen Umgang mit überzähligen Embryonen ausschlaggebend, sondern wirkt sich auch auf den Umfang des Schutzes des Embryos in vitro überhaupt aus, der nachfolgend zu demjenigen des Embryos aus natürlicher Befruchtung in Beziehung gesetzt werden soll. Die Antwort hängt entscheidend davon ab, ob man den Schwerpunkt auf den Satzteil „der Erhaltung dienend“ legt und somit den Lebensschutz in den Normzweck mit einbezieht oder eher auf das „Verwenden“ abstellt und somit den Würdeschutz in Gestalt eines Instrumentalisierungsverbots in den Vordergrund rückt. Der überwiegende Teil des Schrifttums nimmt an, dass das bloße Abtöten nicht von § 2 ESchG erfasst sei113. Leider fehlt es soweit ersichtlich an einer konsistenten Begründung dieser Annahme. Differenzierter geht Günther vor, der ausdrücklich das aktive Vernichten der noch lebenden, sich also noch weiter teilenden, befruchteten Eizelle als von § 2 ESchG umfasst betrachtet114. Damit drängt sich die Frage nach dem korrekten Umgang mit überzähligen Embryonen auf. Diese klärt sich dadurch, dass nach Günther ein Verwenden im Sinne des Tatbestands nicht durch Unterlassen zu verwirklichen sei. Es fehle hierfür jedenfalls an der Erfüllung der Entsprechungsklausel des § 13 I StGB. Ein Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen könne seinem Unrechtsgehalt nach nicht dessen aktiver Vernichtung gleichgestellt werden115. Der Arzt habe also den Embryo seinem Schicksal zu überlassen. Die Kultivierung im Reagenzglas sei bis zum Verlust der Teilungsfähigkeit einzustellen. Sobald dann kein lebender, weil entwicklungsfähiger Embryo im Sinne der Norm mehr vorliege, könne dieser straffrei entsorgt werden116. Erfolg verspricht eine Analyse der Norm unter Anwendung juristischer Auslegungsmethoden. Erster Anhaltspunkt ist dabei der Wortlaut. Dieser ist jedoch, wie eingangs erwähnt, in Abhängigkeit von der Akzentuierung der Leseart nicht eindeutig. Mehr Aufschluss bietet die systematische Einordnung. Zunächst wird zwar durch eine Bezugnahme auf die umstehenden Regelungen des ESchG das Problem nur verlagert, es folgt zwingend die Frage, was das ESchG überhaupt schützt. Stichhaltig ist dagegen eine andere Überlegung: Bei Regelung des Embryonenschutzes in vitro wurden gerade nicht die Lebensschutzbestimmungen des StGB ergänzt oder geändert, was ohne Probleme möglich gewesen wäre. Stattdessen wurden die Verbots113 DFG Standpunkte S. 73; Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung S. 91 Fn. 76 (man beachte den Widerspruch zu Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 49); Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 4; Gropp GA 2000 S. 4. 114 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 30. 115 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 83; Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 36. 116 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 37.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

normen in einem eigenständigen Gesetz des Nebenstrafrechts, aus dem Besonderen Teil des StGB ausgegliedert, geregelt. Diese Selbständigkeit bietet ersten Aufschluss, dass der Schwerpunkt der Schutzrichtung möglicherweise ein anderer ist als bei den Lebensschutzbestimmungen der §§ 211 ff. StGB. Es verbleibt die Entstehungsgeschichte des ESchG. Dabei sind den Gesetzesmaterialien die Motive des Gesetzgebers zu entnehmen117. Dort heißt es zu Beginn, der Zweck des Gesetzes bestehe darin, jeder Manipulation menschlichen Lebens bereits im Vorfeld zu begegnen118. Dass dort auf mögliche Manipulationen, nicht etwa auf Gefährdungen oder Beeinträchtigungen Bezug genommen wird, streitet eher für die Menschenwürde als Schutzgut denn für dasjenige des Lebensschutzes. Die Erläuterungen zum fraglichen § 2 I ESchG sind denkbar knapp. Dort heißt es nur, dahinter stehe die Überlegung, dass menschliches Leben nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden dürfe119. Auch dies entspricht wegen der Bezugnahme auf die Objektformel der klassischen Menschenwürdebestimmung. Auf die Lebensbeendigung wird gerade nicht eingegangen. Hinsichtlich des Zwecks des § 2 I ESchG sprechen gemäß der voranstehenden Analyse die gewichtigeren Argumente dafür, dass das menschliche Leben selbst jedenfalls nicht unmittelbares Schutzgut des ESchG im Sinne der Bewahrung vor Tötung ist. Stattdessen statuiert das Gesetz einen sehr weit vorverlagerten Schutz auf einer eher abstrakten Ebene. Der Terminus der „Lebensgerichtetheit des werdenden Lebens120“ erscheint vor diesem Hintergrund treffend. Erste Intention ist demgegenüber die Verhinderung von Missbrauchsgefahren moderner Technologien und die Verhinderung der Verdinglichung des Lebens, kurzum von Bedrohungen der Menschenwürde. Infolge dessen ist davon auszugehen, dass das bloße Abtöten kein Verwenden im Sinne des § 2 I ESchG darstellt und somit durch das ESchG nicht sanktioniert wird121. § 2 II ESchG untersagt die Aufzucht menschlicher Embryonen in der Retorte als unverantwortbare Variante des Humanexperiments122. Im Gegensatz zu Abs. 1 würde der Tatbestand oftmals leerlaufen, sofern man nicht das reine Geschehenlassen als Tathandlung einbeziehen würde. Folglich spricht hier der Gesetzeszweck dafür, auch ein Begehen durch Unterlassen nach § 13 StGB als vom Tatbestand umfasst zu betrachten123. 117

Vgl. BT-Drucksache 11 / 5460 S. 1 – 18. BT-Drucksache 11 / 5460 S. 1. 119 BT-Drucksache 11 / 5460 S. 10. 120 Schroeder in: FS-Miyazawa S. 538. 121 Ebenso DFG Standpunkte S. 73; Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung S. 91 Fn. 76; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 4; Gropp GA 2000 S. 4. 122 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 58. 123 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 86; Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 61. 118

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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Der letzte Tatbestand, der für die vorliegend untersuchten Verfahren von unmittelbarer Relevanz ist findet sich in § 6 I ESchG. Er betrifft das Klonen und lautet wie folgt: (1) Wer künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Foetus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Der Vorgang des Klonens wird verstanden als die künstliche Herstellung eines menschlichen Embryos, der in seinem Genom mit einem anderen menschlichen Lebewesen übereinstimmt124. Auslegungsprobleme der Norm ergeben sich aus dem Umstand, dass 18 Jahre nach ihrer Entstehung eine Vielzahl von technischen Verfahren bekannt sind, an die bei Entstehung der Norm noch nicht zu denken war. Angesichts der Undifferenziertheit der Regelung ist hier besonders auf die Auslegungsschranke des Art. 103 II GG zu achten125. Ein weiteres Problem des § 6 ESchG besteht in seiner Abhängigkeit von der Begriffsbestimmung des § 8 I ESchG, welche jedoch im Bezug auf den Klonprozess nicht wörtlich zutrifft. Wie bereits oben ausgeführt, ist allerdings davon auszugehen, dass die Begriffbestimmung insoweit nicht abschließend ist, wie sich schon aus dem Zusammenspiel von §§ 6 und 8 ESchG ergibt. Maßgeblich ist insofern die Schutzwürdigkeit des Embryos, welche durch die Art und Weise der Entstehung nicht verändert wird. Weitgehender Konsens besteht im Bezug auf das Verfahren des reproduktiven Klonens, bei dem das Ziel verfolgt wird, eine genetische Kopie eines bereits existierenden Menschen zu erstellen. Dieses Vorgehen wird als Verstoß gegen die Menschenwürde der Beteiligten aus Art. 1 I GG eingeordnet126. Mehr Anlass zur Diskussion bietet hingegen der sog. Zellkerntransfer, der dem therapeutischen Klonen zugrunde liegt. In dessen Rahmen bestehen Zweifel, ob der erzeugte Embryo tatsächlich über die gleiche Erbinformation verfügt wie der Spender der Zelle. Biologisch werden diese Zweifel durch die Tatsache ausgelöst, dass der hergestellte Embryo neben der DNS des implantierten Zellkerns auch solche des Eizellplasmas enthält und so von der Erbinformation des Spenders abweicht127. Eine Wortlautinterpretation im Sinne der Überlegung, § 6 I ESchG erfordere nur eine gleiche, nicht aber dieselbe Erbinformation128, ist insoweit wenig hilfreich129. Während einige Autoren ohne nähere Begründung im Zellkerntransfer einen Verstoß 124

Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 6 ESchG Rn. 1. Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 6 ESchG Rn. 5. 126 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 6 ESchG Rn. 4; Rössner/Wenkel in: Dölling/ Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 91; kritisch dazu Schroeder in: FS-Miyazawa S. 541. 127 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 6 ESchG Rn. 15. 128 Hilgendorf in: FS-Maurer S. 1160; Keller in: FS-Lenckner S. 486 ff. 129 Dazu ebenfalls kritisch Schroth JZ 2002 S. 172, der die Unterscheidung als spitzfindig bezeichnet. 125

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

gegen das Klonierungsverbot des § 6 I ESchG erblicken130, halten ihn andere für de lege lata zulässig131. Eine verbindliche Festlegung ist hier in erster Linie von biologischen Determinanten abhängig. Hinsichtlich der rechtlichen Bewertung gilt Folgendes: Die Herstellung des Embryos bleibt nicht Selbstzweck. Sie erfolgt allein in der Absicht, dem Produkt Stammzellen für Forschungszwecke zu entnehmen. Jedenfalls dieser Vorgang bildet eine fremdnützige Verwendung im Sinne des § 2 I ESchG und ist somit untersagt. Die Einordnung im Rahmen des § 6 I ESchG kann damit unterbleiben, wobei allerdings legislativer Klarstellungsbedarf evident ist. Eine weitere Regelungslücke ergab sich bei isolierter Betrachtung des ESchG aus folgendem Umstand: Die einem Embryo entnommenen Stammzellen sind ihrerseits pluripotent. Gemäß der Begriffsbestimmung des § 8 I ESchG fallen jedoch nur abgespaltene totipotente Zellen in den Anwendungsbereich des ESchG. Die Stammzellen selbst sind damit nicht Schutzgegenstand132. Wenn Wissenschaftler nun Stammzellen importierten, die im Ausland nach dortigen Recht legalerweise entnommen wurden, so war deren Verwertung zu Forschungszwecken im Inland sanktionslos möglich133. Diese weitreichende Schutzlücke war nicht mit der Intention des Verbots jeder fremdnützigen Verwendung von menschlichen Embryonen zu vereinbaren. Aus diesem Grund trat am 01. 07. 2002 das Stammzellgesetz in Kraft, welches den Schutz des ESchG an dieser Stelle ergänzen sollte. (b) Das Stammzellgesetz als Ergänzung134 Der Gesetzeszweck besteht ausweislich der Formulierung des § 1 StammZG darin, die kollidierenden Rechtsgüter von Menschenwürde, Lebensrecht und Forschungsfreiheit angemessen zuzuordnen135. § 4 I StammZG statuiert ein grundsätzliches Verbot des Imports und der Verwendung embryonaler Stammzellen. Abweichend davon ist für beide Vorhaben nach § 4 II StammZG eine behördliche Genehmigung möglich. Auf diese besteht nach § 6 IV StammZG ein Rechtsan130 Taupitz NJW 2001 S. 3434; Neidert ZRP 2002 S. 470; wohl auch Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 93. 131 Unter Hinweis auf Art. 103 II GG Schroth JZ 2002 S. 172; unklar insoweit Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 6 ESchG, der in Rn. 16 den Zellkerntransfer als von § 6 I ESchG gedeckt betrachtet zuvor jedoch unter Rn. 7 das therapeutische Klonen als durch § 6 I ESchG kriminalisiert bezeichnet; Faltus MedR 2008 S. 544 f. 132 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 16, 57; Taupitz NJW 2001 S. 3435; Schroth JZ 2002 S. 171; Lilie/Albrecht NJW 2001 S. 2776. 133 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 57; Taupitz ZRP 2002 S. 111; Neidert ZRP 2002 S. 467; Schroth JZ 2002 S. 172; Lilie/Albrecht NJW 2001 S. 2776; Gehrlein NJW 2002 S. 3681 zur verfassungsrechtlichen Perspektive des Stammzellimports Herdegen JZ 2001 S. 776. 134 Instruktiver Überblick bei Gehrlein NJW 2002 S. 3680 ff.; primär aus verfassungsrechtlicher Perspektive Dederer JZ 2003 S. 986 ff.; siehe auch Taupitz ZRP 2002 S. 111 ff. 135 Zum verfassungsrechtlichen Rahmen Dederer JZ 2003 S. 987 f.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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spruch, sofern die Voraussetzungen der §§ 4 II und 5 StammZG sowie eine Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung vorliegen. Zunächst einmal beschränkt § 4 II StammZG in mehrfacher Hinsicht die Herkunft der Stammzellen. In der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 01. 07. 2002 durften nach der Stichtagsregelung des § 4 II Nr. 1a StammZG nur solche Stammzellen verwendet werden, die vor dem 01. 01. 2002 im Ausland rechtmäßig gewonnen wurden136. Mit dieser Regelung sollte verhindert werden, dass Stammzellen auf Bestellung produziert werden und erreicht werden, dass nur auf ohnehin vorhandene Ressourcen zugegriffen wird (vgl. § 1 Nr. 2 StammZG). Faktisch handelte es sich bei diesem vorhandenen Bestand allerdings um gerade einmal 21 Zelllinien. Aufgrund von Fortschritten bei Gewinnung und Kultivierung konnten dagegen zwischen 2002 und 2007 etwa 500 Stammzelllinien erzeugt werden, die qualitativ wesentlich hochwertiger sind als die vor dem ursprünglichen Stichtag vorhandenen und somit für deutsche Forscher verfügbaren137. Vor dem Hintergrund der stark eingeschränkten Forschungsperspektive und damit einhergehender Beschneidungen internationaler Zusammenarbeit kam in der Folgezeit eine neue Debatte über das Stammzellgesetz, insbesondere die Stichtagsregelung, in Gang. Einige Stimmen im juristischen Schrifttum sprachen sich für eine flexible, nachlaufende Stichtagsregelung aus, mit welcher der Schutzzweck der Verhinderung von Stammzellgewinnung auf Bestellung ebenso gut zu erreichen sei138. Der Gesetzgeber entschied sich dagegen für eine einmalige Verschiebung und Beibehaltung des Systems einer starren Stichtagsregelung. In der Fassung vom 21. 08. 2008 verlangt § 4 II Nr. 1a StammZG nun, dass die Stammzellen vor dem 01. 05. 2007 gewonnen wurden139. Daneben werden nur solche Stammzellen freigegeben, die aus Embryonen gewonnen wurden, welche ursprünglich zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt wurden. Es geht also nur um überzählige Embryonen, nicht um gezielt zu Forschungszwecken hergestellte. Schließlich untersagt § 4 II Nr. 2c StammZG für die Überlassung die Zahlung eines Entgelts oder die Gewährung eines geldwerten Vorteils. Bloße Unkosten dürfen allerdings erstattet werden. Hinter dieser Regelung steckt der aus der Menschenwürde abzuleitende Gedanke, dass das Leben nicht Gegenstand der Kommerzialisierung und damit zur Handelsware werden soll. § 5 StammZG betrifft Einschränkungen des Forschungsvorhabens selbst unter mehreren Gesichtspunkten. So fordert § 5 Nr. 1 StammZG hochrangige Forschungsziele. § 5 Nr. 2a StammZG ordnet die Vorklärung des Forschungsvorhabens an tierischen Zellen an. In engem Zusammenhang damit regelt § 5 Nr. 2b StammZG, dass der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn nur anhand embryonaler Stammzellen zu verwirklichen sein darf. 136

BGBl I S. 2277. Kreß ZRP 2008 S. 53. 138 Kreß ZRP 2008 S. 54; Kreß ZRP 2006 S. 222; Taupitz JZ 2007 S. 117; gegen einen starren Stichtag auch Faltus MedR 2008 S. 549. 139 BGBl I S. 1708. 137

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

§ 8 StammZG sieht das Erfordernis einer Stellungnahme der Zentralen EthikKommission für Stammzellforschung vor. Diese ist besetzt mit vier Sachverständigen aus Ethik und Theologie sowie fünf Sachverständigen aus Medizin und Biologie. Hauptaufgabe dieses Gremiums ist die ethische Würdigung des jeweiligen Forschungsvorhabens. Angesichts des primär beratenden Charakters der Kommission kann sich die zuständige Behörde über deren Empfehlung hinwegsetzen. In diesem Falle ist die abweichende Einschätzung besonders zu begründen, § 6 V 3 StammZG. Das Verwaltungsverfahren zur Erteilung der Genehmigung regelt § 6 III StammZG. In einem schriftlichen Antrag an die zuständige Behörde ist das Forschungsvorhaben zu beschreiben und die Erfüllung der Voraussetzungen nach §§ 4 II und 5 StammZG darzulegen. Unter diesen Voraussetzungen hat die Behörde innerhalb von zwei Monaten über den Antrag zu entscheiden, § 6 V StammZG. Zum Zwecke der Vereinheitlichung ethischer und naturwissenschaftlicher Standards sowie im Sinne der gebotenen Transparenz werden die Angaben zum Forschungsvorhaben sowie zur Herkunft der verwendeten Stammzellen von der zuständigen Behörde in einem öffentlich zugänglichen Register geführt, § 11 StammZG. (c) Zwischenergebnis zum Schutz des Embryos in vitro Zusammenfassend lassen sich einige Grundaussagen des ESchG festhalten. Entsprechend der Legaldefinition eines Embryos oder ihm gleichgestellter totipotenter Zellen bietet es Schutz bereits ab Befruchtung. Insgesamt zielt es darauf ab, jegliche nicht der Erhaltung des Embryos dienende Verwendung auszuschließen. Ziel der künstlichen Befruchtungstechnologien soll ausschließlich die Herbeiführung einer Schwangerschaft sein. Im Einzelnen bedeutet dies, dass zunächst die gezielte Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken untersagt ist. Dies gilt auch für die Herstellung mittels des Verfahrens therapeutischen Klonens. Das Gesetz will darüber hinaus bereits das Entstehen überzähliger Embryonen verhindern. Sofern diese doch entstehen, wird ihr Verbrauch zu Forschungszwecken verboten. Eine Regelung, welche die bloße Lebensbeendigung des Embryos in vitro durch aktives Tun oder durch Unterlassen sanktioniert, enthält das ESchG nicht. Primäre Intention ist der Schutz vor Verdinglichung des menschlichen Lebens als Verletzung der Menschenwürde. Entsprechend dem auf der Verfassungsebene erarbeiteten Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde müssen zur Tötung als solcher qualifizierte Umstände hinzukommen, die eine Würdeverletzung begründen. Dies ist im Fall der Embryonenforschung die fremdnützige und fremdbestimmte Verzweckung menschlichen Lebens. Eine offene Flanke gegenüber den vergleichsweise restriktiven Regelungen zur Stammzellgewinnung im Inland bietet das Stammzellgesetz, das den Import im Ausland legal gewonnener Stammzellen reguliert. Mit dessen Regelungen werden der Stammzellforschung praktische Perspektiven eröffnet. Gleichzeitig sorgen je-

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doch einheitliche Standards und ein feststehendes Verwaltungsverfahren für die nötige Kontrolle und Transparenz. Damit besteht insgesamt bei weitem kein lückenloser, geschweige denn ein absoluter Schutz des Embryos in vitro. Dennoch ist sein Schicksal Gegenstand eines äußerst differenzierten Regelungssystems. (d) Schutz des Embryos in vivo Wie sich aus § 218 I 2 StGB ergibt, werden pränidative Einwirkungen bereits tatbestandlich vom strafrechtlichen Schutz ausgenommen. Eine Regelung zum Embryo in vivo enthält auch das ESchG. Der bereits oben angesprochene § 1 I Nr. 6 ESchG legt fest: (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 6. einer Frau einen Embryo vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnimmt, um diesen auf eine andere Frau zu übertragen oder ihn für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck zu verwenden

Auch mit dieser Regelung soll der Verwendung von Embryonen zu fremdnützigen Zwecken bereits im Vorfeld vorgebeugt werden140. Die Norm trägt dem Umstand Rechnung, dass das fragliche Verfahren mit besonderen Gefahren für die Spenderin verbunden ist141. Nicht der Erhaltung dienlich ist jeder Zweck, der den Gesundheitszustand des Embryos verschlechtert und/oder seine Überlebenschance verringert. Das ist im Regelfall jede Entnahme aus dem Mutterleib. Umfasst sind damit auch die Gewinnung von Stammzellen oder die sonstige Verwendung zu Forschungszwecken142. Mangels anderweitiger Regelungen besteht hingegen in der Phase zwischen Befruchtung der Eizelle und dem Abschluss ihrer Einnistung in der Gebärmuterschleimhaut kein strafrechtlicher Lebensschutz zugunsten des ungeborenen Lebens bei natürlicher Befruchtung gegenüber vorsätzlicher oder fahrlässiger Abtötung im Mutterleib143. (e) Bewertung und Begründung der unterschiedlichen rechtlichen Regelung in vivo und in vitro Auf den ersten Blick mag der große Unterschied zwischen dem differenzierten Regelungssystem hinsichtlich der Situation in vitro und dem einfachen Tatbestandsausschluss in vivo überraschen. Bei näherer Befassung zeigt sich jedoch, dass die inhaltliche Regelungsdichte und -intensität weniger stark divergiert als ge-

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Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 6 ESchG Rn. 2. Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 6 ESchG Rn. 1. 142 Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser § 1 I Nr. 6 ESchG Rn. 17. 143 Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 13; Dreier ZRP 2002 S. 379; Rudolphi/Rogall in: SK – StGB vor § 218 Rn. 41; Neidert ZRP 2002 S. 471; Losch NJW 1992 S. 2929. 141

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meinhin angenommen. Zudem lassen sich die verbleibenden Unterschiede durchaus plausibel begründen144. Zunächst einmal hat sich gezeigt, dass strafrechtlicher Schutz gegenüber aktiver Tötung oder passivem Sterbenlassen weder dem Embryo in vitro noch demjenigen in vivo gewährt wird. Insofern weicht die Rechtslage nicht voneinander ab. Der Schutz vor Verdinglichung ist dagegen beim Embryo in vitro sehr differenziert normiert, da dieser dem (fremdnützigen) Zugriff offen preisgegeben ist. In vivo findet ein solcher Schutz zunächst einmal nicht statt. Bei Entnahme aus dem Mutterleib wird die Verfügbarkeit und damit die Gefährdungslage gegenüber einer drohenden Verdinglichung aber derjenigen der Situation in vitro angeglichen. An dieser Stelle greift dann § 1 I Nr. 6 ESchG, der in diesem Fall auch den Embryo aus natürlicher Befruchtung gleichermaßen schützt. Damit zeigt sich, dass das Gegensatzpaar „schutzlos in vivo“ und „nahezu absoluter Schutz in vitro“145 nicht zutrifft. Dass der originäre Schutz in vitro höher bzw. stärker ausdifferenziert ist, liegt daran, dass hier Gefährdungen der Menschenwürde unmittelbar drohen. Dieses Ergebnis entspricht auch den verfassungsrechtlichen Befunden, wonach beim Schwangerschaftsabbruch ausschließlich eine Beeinträchtigung des Lebens vorliegt, wohingegen embryonale Stammzellforschung auch die Menschenwürde tangiert. Mit dieser Feststellung ist die Diskussion um Abweichungen des Schutzes in vivo und in vitro in der pränidativen Phase etwas entschärft. Inwiefern die Regelungen inhaltlich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang stehen oder durch diese zwingend geboten sind, gilt es in einem gesonderten Untersuchungsschritt zu klären. (2) Rechtslage zwischen abgeschlossener Nidation und Beginn der Geburt Mit abgeschlossener Einnistung oder Implantation in die Gebärmutter der Frau besteht kein Unterschied mehr zwischen der Situation in vivo und in vitro. Vielmehr handelt es sich um eine einheitliche Bewertung der Leibesfrucht als ungeborenes Leben146. Dessen Schutz dienen die §§ 218 ff. StGB. Aufgrund eines komplexen Zusammenspiels zwischen Strafbegründung und Straffreistellung auf verschiedenen Ebenen bietet es sich an, die Systematik des strafrechtlichen Schutzes nach einigen einführenden Worten gemäß dem Verbrechensaufbau nach Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld zu untergliedern.

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Dazu auch Losch NJW 1992 S. 2928 f. So bei Taupitz in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 27; ähnlich starke Gegensätze aufbauend Dreier JZ 2007 S. 270. 146 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 39; Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser vor § 1 ESchG Rn. 5; Neidert ZRP 2002 S. 468. 145

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(a) Allgemeines zu Rechtsgut und Systematik der §§ 218 ff. StGB Einigkeit besteht jedenfalls dahingehend, dass die §§ 218 ff. StGB das ungeborene Leben als Leibesfrucht schützen147. Den Beginn des Schutzes legt § 218 I 2 StGB im Sinne einer abgeschlossenen Nidation fest. Als weitere Schutzgüter werden teilweise die Gesundheit der Schwangeren oder deren Entscheidungsfreiheit genannt148. Eine Festlegung diesbezüglich kann für eine Untersuchung, die den Fokus auf den unstreitig intendierten Lebensschutz legt, dahinstehen. Strafbegründungsvorschrift ist § 218 I StGB, während § 218a StGB Gründe normiert, die die grundsätzliche Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs auf verschiedenen Ebenen ausschließen. § 218b StGB stellt Pflichtverletzungen bei Beachtung der Voraussetzungen des Abbruchs unter Strafe. Aufgrund der formellen Subsidiarität gegenüber § 218 StGB betrifft dies faktisch nur Ärzte als Täter149. Explizit als Sonderdelikt ausgestaltet ist § 218c StGB, der ebenfalls ärztliche Pflichtverletzungen betrifft. § 219 StGB regelt die Beratung der Schwangeren in Not- und Konfliktlagen, wohingegen §§ 219a StGB und 219b StGB Tatbestände darstellen, die ein Werbe- und Vertriebsverbot für Mittel des Schwangerschaftsabbruchs enthalten. Hierbei ist die gegenwärtige Gesetzesfassung der §§ 218 ff. StGB das Resultat eines erbitterten Diskurses in Gesellschaft und Parlament sowie der Vorgaben durch das zweite Schwangerschaftsabbruchsurteil150 des BVerfG151. (b) Objektiver Tatbestand Grundtatbestand ist § 218 I 1 StGB, wonach der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Unrecht bewertet wird und damit strafbar ist. Die Regelung lautet: (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Geschütztes Tatobjekt ist die lebende Leibesfrucht ohne Rücksicht darauf, ob sie ohnehin abgehen oder innerhalb des Mutterleibs absterben würde152. Entgegen der missverständlichen Terminologie ist Tathandlung und -erfolg nicht die bloße Beendigung der Schwangerschaft, sondern das Abtöten der Leibesfrucht, unabhängig davon ob diese innerhalb oder außerhalb des Mutterleibs stirbt153. Dies ergibt sich bereits aus der systematischen Einordnung des Schwangerschaftsabbruchs im 147 Joecks vor § 218 StGB Rn. 1; Gössel/Dölling S. 111 Rn. 2; Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 7. 148 Joecks vor § 218 StGB Rn. 3; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 130 Rn. 21; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 12; ablehnend Gössel/Dölling S. 112 Rn. 6; vermittelnd Wessels/Hettinger Rn. 224; Satzger JURA 2008 S. 425. 149 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner § 218b StGB Rn. 1. 150 BVerfGE 88, 203 ff. 151 Gössel/Dölling S. 114 Rn. 18; Satzger JURA 2008 S. 426. 152 Gössel/Dölling S. 120 Rn. 4; Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 19. 153 Joecks § 218 StGB Rn. 2; Gössel/Dölling S. 121 Rn. 5; Wessels/Hettinger Rn. 225; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 131 Rn. 28; Küper GA 2001 S. 516.

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16. Abschnitt des Strafgesetzbuchs, der Straftaten gegen das Leben regelt154. Der Tatbestand kann sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen, etwa bei Nichthinderung einer drohenden Fehlgeburt, verwirklicht werden155. Tatsubjekt ist jedermann einschließlich der Schwangeren selbst, wobei dieser gegenüber einer Fremdabtreibung zahlreiche Privilegierungen zugute kommen156. Ein Tatbestandsausschluss ergibt sich neben den bereits angesprochenen pränidativen Einwirkungen aus der Regelung des § 218a I StGB. Diese hat folgenden Wortlaut: (1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind.

Vom Tatbestand ausgenommen werden durch diese sog. Beratungsregelung also Tötungshandlungen innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft, die auf Verlangen der Schwangeren durch einen approbierten Arzt der Humanmedizin nach Vorlage einer Bescheinigung nach § 219 II StGB vorgenommen werden, dass sich die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen. Das BVerfG betrachtet den Abbruch unter diesen Voraussetzungen als tatbestandslos, aber gleichwohl rechtswidrig. Mit dieser, viel kritisierten157, Konstruktion bleibe das grundsätzliche Unwerturteil erhalten. Der Abbruch stehe zwar nicht unter Billigung der Rechtsordnung, wie dies bei Annahme eines Rechtfertigungsgrundes der Fall wäre, werde aber gleichwohl nicht bestraft. Die inhaltliche Ausgestaltung des Beratungsverfahrens regelt § 219 StGB i.V.m. dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG)158. Entsprechend den Vorgaben des BVerfG soll diese Beratung darauf ausgerichtet sein, die Schwangere zur Austragung des Kindes zu ermutigen und ihr diesbezüglich Perspektiven aufzuzeigen, § 5 I SchKG. Allerdings ist es für die Erteilung der Bescheinigung ausreichend, dass die Schwangere die Beratung passiv über sich ergehen lässt, wie sich aus dem undifferenzierten, keine weiteren Anforderungen aufstellenden Wortlaut des § 7 I SchKG ergibt.

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Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 9. Gössel/Dölling S. 121 Rn. 5; Satzger JURA 2008 S. 428; Kindhäuser S. 81 Rn. 5. 156 Gössel/Dölling S. 120 Rn. 4. 157 Dreier JZ 2007 S. 268 und ZRP 2002 S. 380 spricht von einem Etikettenschwindel; ebenfalls kritisch Wessels/Hettinger Rn. 236; Maurach/Schroeder/Maiwald S. 80 Rn. 2; Satzger JURA 2008 S. 430 nennt die Regelung einen „Eiertanz des Gesetzgebers“. 158 Ursprüngliche Fassung vom 27. 07. 1992 (BGBl I S. 1398). Zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. 08. 2009 (BGBl I S. 2990). 155

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Am 13. 05. 2009 hat der Bundestag eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes beschlossen, die am 01. 01. 2010 in Kraft getreten ist159. Die Neufassung umfasst eine Ausweitung des Beratungsangebots und gesteigerte Hinweispflichten des Arztes. So sieht § 2a I SchKG nach Auffälligkeiten im Zuge pränataler Diagnostik eine Verpflichtung des Arztes vor, die Schwangere auf ihren Rechtsanspruch hinsichtlich weiterer und vertiefender psychosozialer Beratung nach § 2 SchKG hinzuweisen160. Zudem enthält § 2a II SchKG eine entsprechende Hinweispflicht auch im Falle einer Indikationsfeststellung nach § 218a II StGB, also über die ZwölfWochen-Frist hinaus. Die schriftliche Feststellung des Vorliegens einer Indikation darf nicht vor Ablauf von drei Tagen nach Mitteilung der Diagnose im Sinne des Abs. 1 Satz 1 oder nach Beratung gemäß Abs. 2 Satz 1 vorgenommen werden, um eine gewisse Bedenkzeit zu gewähren und Kurzschlussentscheidungen auszuschließen. Entsprechend § 2 III SchKG hat sich der Arzt die Erfüllung dieser Pflichten von der Schwangeren schriftlich bestätigen zu lassen. Die neu eingeführten und ausgedehnten ärztlichen Hinweispflichten stehen unter Androhung eines Bußgeldes bis 5000 E bei ihrer Verletzung, § 14 SchKG. Auf eine Dokumentations- und Mitteilungspflicht hinsichtlich der Beweggründe der Schwangeren und der näheren Umstände der Indikation wurde aus datenschutzrechtlichen Bedenken verzichtet. §§ 15 ff. SchKG sehen lediglich eine allgemeine Erhebung zur Häufigkeit von Abbrüchen, zum Familienstand und Alter der Schwangeren oder zur Dauer der abgebrochenen Schwangerschaft vor. Gemäß § 218 IV StGB ist auch der versuchte Schwangerschaftsabbruch strafbar. Allerdings gilt dies nicht für die Schwangere selbst, sondern nur im Falle eines versuchten Fremdabbruchs. (c) Subjektiver Tatbestand In subjektiver Hinsicht erfordert eine Strafbarkeit nach § 218 I 1 StGB zumindest bedingten Vorsatz. Fahrlässiger Schwangerschaftsabbruch ist anders als die fahrlässige Tötung eines geborenen Menschen nach § 222 StGB tatbestandslos und damit straffrei. (d) Rechtswidrigkeit Auf der Ebene der Rechtfertigung ist zwischen allgemeinen Rechtfertigungsgründen und den speziellen Indikationen des § 218a II, III StGB zu unterscheiden. Der allgemeine Rechtfertigungsgrund der Notwehr des § 32 StGB scheidet schon seinem Sinn und Zweck nach aus, da von der Leibesfrucht kein Angriff im Sinne der Norm ausgeht161. Ob darüber hinaus insbesondere § 34 StGB und der Gedanke der rechtfertigenden Pflichtenkollision zur Rechtfertigung eines Schwangerschaftsab159 Darstellung und Bewertung der zugrundeliegenden Gesetzesentwürfe bei Hübner MedR 2009 S. 390 ff. 160 Zu Inhalt und Methoden der Beratung Woopen/Rummer MedR 2009 S. 130 ff. 161 Gössel/Dölling S. 123 Rn. 16; Dreier ZRP 2002 S. 380 f.

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bruchs herangezogen werden können oder ob die Indikationen insoweit abschließende Spezialregelungen bilden, ist umstritten. Allerdings zeigt sich auch hier bei näherer Betrachtung, dass die Fronten nicht derart verhärtet sind, wie es auf den ersten Blick erscheint. Teilweise wird vertreten, dass es sich zwar bei den Indikationen um Spezialfälle des § 34 StGB handle, deren Existenz jedoch einen Rückgriff auf die allgemeine Regel nicht grundlegend ausschließe. Vielmehr stünden beide Komplexe nebeneinander162. Demgegenüber gehen andere Stimmen im Schrifttum davon aus, dass es sich bei den Indikationsgründen um gesetzlich vorbewertete Anwendungsfälle des Notstandsgedankens handle. Diese Wertungen dürften nicht unterlaufen werden, indem bei Fehlen ihrer Voraussetzungen bzw. über ihren Anwendungsbereich hinaus auf die allgemeine Regel des § 34 StGB zurückgegriffen wird. Daher sei von einem grundsätzlich abschließenden Charakter der Indikationen auszugehen163. Sämtliche Vertreter dieses Gedankens lassen jedoch Ausnahmen zugunsten von § 34 StGB zu. Dies betrifft v. a. Fälle, in denen prozedurale Bedingungen einer Indikation fehlen. Einigkeit besteht insbesondere hinsichtlich der Verzichtbarkeit des Arzterfordernisses. Da dieses kein Medizinerprivileg darstellt, sondern dem Schutz der Mutter vor unsachgemäßen Eingriffen dient, müsse es dort verzichtbar sein, wo bei akuter Gefahr für Leib und Leben der Mutter bei Nichterreichbarkeit eines Arztes sonst überhaupt keine Hilfe möglich wäre164. Dem ist beizupflichten, weil in diesem Fall streng genommen nicht unmittelbar der Schwangerschaftsabbruch durch § 34 StGB gerechtfertigt wird, sondern nur die formellen Voraussetzungen einer Rechtfertigung durch Vorliegen einer Indikationslage gemäß § 218a II oder III StGB mittels § 34 StGB komplettiert werden. Offensichtlich vor diesem Hintergrund geht Merkel noch einen Schritt weiter und zählt auch das Vorliegen eines Attests nach § 218b StGB und die Zwölf-Wochen-Frist des § 218a III StGB zu den verzichtbaren prozeduralen Erfordernissen165. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Während es sich beim Attest tatsächlich um ein formelles und somit verzichtbares Erfordernis handelt, steht die Zwölf-Wochen-Regel jedenfalls in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem geschützten Rechtsgut und kann damit nicht über § 34 StGB ersetzt werden. Auch eine analoge Anwendung der Indikationsregel in Verbindung mit § 34 StGB, wie Merkel sie vorschlägt166, kommt hier nicht in Betracht, da die gesetzliche Regelung hinsichtlich der Zwölf-Wochen-Frist eindeutig ist.

162 Gössel/Dölling S. 123 Rn. 16; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner §§ 218, 218a StGB Rn. 12; Satzger JURA 2008 S. 430. 163 Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 37; Gropp in: MüKo – StGB § 218 Rn. 29; Kröger in: LK – StGB § 218 Rn. 42; Mitsch JR 2006 S. 452 f. 164 Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 37; Gropp in: MüKo – StGB § 218 Rn. 30; Kröger in: LK – StGB § 218 Rn. 42; Mitsch JR 2006 S. 453. 165 Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 137. 166 Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 138.

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Zusammenfassend ist also eine Anwendung der allgemeinen Rechtfertigungsgründe neben den Indikationslagen ausnahmsweise möglich. Dies betrifft allerdings in der Praxis äußerst seltene Extremfälle167. § 218a II StGB regelt die sog. medizinisch-soziale Indikation und hat folgenden Wortlaut: (2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.

In § 218a III StGB ist der Rechtfertigungsgrund der kriminologischen Indikation normiert. Diese lautet wie folgt: (3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

Als allgemeine Voraussetzungen der Rechtfertigung, die in beiden Fällen vorliegen müssen, lassen sich die Einwilligung der Schwangeren in den Eingriff, die Vornahme durch einen Arzt sowie das Angezeigtsein der Tötung nach ärztlicher Erkenntnis festhalten. Letzteres bezeichnet das objektive Vorliegen einer Indikationslage, wobei der Arzt subjektiv in deren Kenntnis handeln muss (subjektives Rechtfertigungselement oder Rettungswille). Die medizinisch-soziale Indikation ist dabei nicht an die Einhaltung einer Frist gekoppelt. Eine Abtreibung auf ihrer Grundlage ist also prinzipiell während der gesamten Schwangerschaft möglich168. Erfasst werden Störungen von erheblichem Gewicht und längerer Dauer, die der Schwangeren selbst unter Berücksichtigung der Pflicht zur Erhaltung des ungeborenen Lebens nicht zumutbar sind. Dies betrifft auch solche Gefahren, die ihr bei oder nach der Geburt drohen169. Praktische Relevanz hat diese Indikation v. a. im Bereich psychischer Beeinträchtigungen der Schwangeren wie bei Depressionen oder Suizidgefahr erlangt170. Ein Stück weit hat die Regelung des § 218a II StGB auch die nach geltendem Recht nicht mehr ausdrücklich vorgesehene embryopathische Indikation (§ 218a StGB a.F.) aufgefangen. Diesbezüg167

So ausdrücklich Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 37. Gropp in: MüKo – StGB § 218a Rn. 53; zum daraus resultierenden Problem des Schwangerschaftsspätabbruchs vgl. Deutsch ZRP 2003 S. 332 ff. 169 Satzger JURA 2008 S. 431; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 141 Rn. 62. 170 Satzger JURA 2008 S. 431; Kröger in: LK – StGB § 218a Rn. 40. 168

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lich darf allerdings nicht auf die zu erwartende Behinderung des Kindes als Abtreibungsgrund abgestellt werden. Stattdessen kommt es für die Bewertung maßgeblich auf die Perspektive der Schwangeren an. Es ist zu fragen, ob die psychische Beeinträchtigung der Mutter eines voraussichtlich behindert zur Welt kommenden Kindes eine medizinisch-soziale Indikation begründet171. Aufgrund der besonderen Schärfe, die in erster Linie aus der fehlenden zeitlichen Beschränkung resultiert, ist der Abbruch nur gerechtfertigt, wenn er die ultima ratio zur Beseitigung der Gefahr ist. Die Möglichkeit zur Abwendung der Gefahr auf andere, der Schwangeren zumutbare Weise lässt die Indikationslage und damit die Rechtfertigung entfallen. Ein bereits zeitlich fortgeschrittenes Schwangerschaftsstadium kann dabei trotz grundsätzlicher Unabhängigkeit von einer Frist die Zumutbarkeitsgrenze der Schwangeren erhöhen172. Die kriminologische Indikation des § 218a III StGB trägt den Belastungen Rechnung, die sich aus der Austragung einer auf einer rechtswidrigen Tat nach §§ 176 – 179 StGB beruhenden und damit aufgezwungenen Schwangerschaft ergeben173. Allerdings sind kaum Konstellationen vorstellbar, in denen die Voraussetzungen einer Rechtfertigung nach Abs. 3 vorliegen, nicht jedoch diejenigen des Abs. 2. Nur in diesen Fällen würde die kriminologische Indikation eigenständige Bedeutung erlangen174. Neben den eingangs dargestellten allgemeinen Voraussetzungen, die auch für Abs. 3 gelten, ist hier eine Zwölf-Wochen-Frist zu beachten. Der dogmatische Unterschied zur Beratungsregelung besteht in der Rechtsfolge. Ein beratener Abbruch binnen der ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach § 218a I StGB ist tatbestandslos aber rechtswidrig, auf der Grundlage von § 218a III StGB ist der Abbruch dagegen rechtmäßig. Für das Vorliegen der Indikationslage wird an die ärztliche Erkenntnis angeknüpft. Dies bedeutet, dass nach dessen Urteil dringende Gründe dafür sprechen müssen, dass die Schwangerschaft auf einer Tat nach §§ 177 – 179 StGB beruht. Auf welche Weise ein entsprechender Nachweis zu erbringen ist, lässt das Gesetz offen175 ; insofern steht dem Arzt ein gewisser Einschätzungsspielraum zu176. Hin171 Satzger JURA 2008 S. 431; Reichenbach JURA 2000 S. 627; Gössel/Dölling S. 123 Rn. 17; Joecks § 218a StGB Rn. 9; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 141 Rn. 63; Wessels/ Hettinger Rn. 234; Deutsch ZRP 2003 S. 334; Hillenkamp in: FS-Amelung S. 442; für eine ausdrückliche Wiedereinführung der embryopathischen Indikation Czerner ZRP 2009 S. 233 ff. 172 Satzger JURA 2008 S. 431; Joecks § 218a StGB Rn. 9; Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 34. 173 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 145 Rn. 75; Gössel/Dölling S. 125 Rn. 26; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner §§ 218, 218a StGB Rn. 18; Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 145. 174 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 145 Rn. 75. 175 Joecks § 218a StGB Rn. 12. 176 Fischer § 218a StGB Rn. 19; Gropp in: MüKo – StGB § 218a Rn. 75; Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 50.

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sichtlich des Vorliegens einer solchen Tat muss dagegen subjektive Gewissheit des Arztes bestehen177. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 218a II, III StGB oder eines allgemeinen Rechtfertigungsgrundes ist die Tat rechtmäßig. Sie steht damit unter Billigung der Rechtsordnung, was gerade für den Bezug von Sozialleistungen von Relevanz sein kann178. Trotz dieses Umstandes bestimmt § 12 I SchKG, dass niemand verpflichtet ist, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Ausnahmen sieht § 12 II SchKG bei Lebens- und schwerer Gesundheitsgefahr vor. Abs. 1 ist Konkretisierung der grundrechtlich verbürgten Gewissensfreiheit aus Art. 4 I GG179. (e) Schuld Schuldfragen beim Schwangerschaftsabbruch bestimmen sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Abtreibungsspezifische Besonderheiten ergeben sich hier nicht180. Für die Anwendung des entschuldigenden Notstands nach § 35 StGB ist kein Raum, sofern § 218a StGB oder ggf. § 34 StGB auf Rechtfertigungsebene greifen. Für eine Entschuldigung des Schwangerschaftsabbruchs wird abgesehen von extremen Fallkonstellationen kaum je Raum sein181. (f) Strafzumessungsgesichtspunkte und Strafausschließungsgründe Zunächst enthält § 218 II StGB einen Katalog mit Regelbeispielen, bei denen eine Strafschärfung möglich ist. Die Aufzählung lautet: (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder 2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht.

Entsprechend dem Grundcharakter der Regelbeispieltechnik handelt es sich dabei nicht um eine abschließende Formulierung. Es sind auch unbenannte Strafschärfungen möglich. Umgekehrt zieht das Vorliegen der genannten Fälle nicht zwingend eine Strafschärfung nach sich, sondern ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen182. Neben diesen besonders schweren Fällen bestehen drei persönliche Strafmilderungs- bzw. Strafausschließungsgründe zugunsten der Schwangeren. Einen Straf-

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Satzger JURA 2008 S. 431; Kröger in: LK – StGB § 218a Rn. 59. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 137 Rn. 46. 179 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 144 Rn. 70; Hillenkamp in: FS-Schöch S. 511 ff. 180 Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 143; Gropp in: MüKo – StGB § 218 Rn. 34. 181 Vgl. BGHSt 2, 242 ff.; Kröger in: LK – StGB § 218 Rn. 49. 182 Eser in: Schönke/Schröder § 218 StGB Rn. 57; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/ Rössner §§ 218, 218a StGB Rn. 21. 178

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milderungsgrund sieht § 218 III StGB vor, der den Selbstabbruch mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht. § 218a IV StGB enthält zwei persönliche Strafausschließungsgründe für die Schwangere. Nach S. 1 ist sie straffrei, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch nach Beratung im Sinne des § 219 StGB von einem Arzt, der personenverschieden vom beratenden Arzt ist, zwischen der zwölften und der 22. Schwangerschaftswoche vornehmen lässt. Dies entspricht inhaltlich den Voraussetzungen des Tatbestandsausschlusses nach § 218a I StGB, vorbehaltlich einer Verletzung der Zwölf-Wochen-Frist. Schließlich ermöglicht § 218a IV 2 StGB ein Absehen von Strafe in Situationen besonderer Bedrängnis der Schwangeren. Hierunter fallen Notsituationen, die zwar für eine Rechtfertigung nach der medizinisch-sozialen Indikation nicht ausreichen, aber gleichwohl über die Belastungen hinausgehen, die eine Schwangerschaft üblicherweiße mit sich bringt183. In diesen Fällen steht das Absehen von Strafe im Ermessen des Gerichts184. (g) Zwischenergebnis zum Schutz des ungeborenen Lebens durch die §§ 218 ff. StGB Nach allem lässt sich für den Schutz des ungeborenen Lebens in vivo durch die §§ 218 ff. StGB Folgendes festhalten: Der Schwangerschaftsabbruch und damit die Tötung menschlichen Lebens wird vom deutschen Strafrecht grundsätzlich als Unrecht und somit als strafbare Handlung bewertet. Gelockert wird diese grundsätzliche Pönalisierung durch ein komplexes Straffreistellungssystem. Wie weit diese Lockerung reicht und ob sie nicht die grundsätzliche Strafbarkeit sogar möglicherweise in der Praxis ins Gegenteil verkehrt, wird sich bei der Analyse der Rechtswirklichkeit zeigen. Über die beiden Indikationen des § 218a II, III StGB ist eine rechtmäßige Tötung unter Billigung der Rechtsordnung möglich. Dies gilt aufgrund der fehlenden Befristung in Abs. 2 unter Umständen für die gesamte Dauer der Schwangerschaft bis unmittelbar vor der Geburt. Besondere Privilegien sehen die §§ 218 ff. StGB für die Schwangere selbst vor. Dabei wird in sämtlichen Regelungen Wert darauf gelegt, dass der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird. Überhaupt wird insgesamt der Dialog mit der Schwangeren gesucht. Der Situation angemessen tritt der Staat der Schwangeren nicht obrigkeitlich unter starrer Strafandrohung gegenüber, sondern versucht, den Schwangerschaftskonflikt in Abstimmung mit der Frau zu lösen. Dies unterstreicht nicht zuletzt die differenzierte Ausgestaltung des Beratungsverfahrens im Schwangerschaftskonfliktgesetz. Hierin wird die Intention des Gesetzgebers erkennbar, für den Fall der Unvermeidbarkeit eines Abbruchs von der Laien- oder Selbstabtreibung wegzukommen, welche über die Tötung der Leibesfrucht hinaus erhebliche Gefahren für Leben und Gesundheit der Schwangeren bergen kann. Diesem Ziel tragen auch die §§ 13, 14 SchKG Rechnung, die den 183 184

Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner § 218, 218a StGB Rn. 29. Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 77.

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Schwangerschaftsabbruch außerhalb einer Einrichtung, welche die erforderliche medizinische Nachsorge gewährleistet, als Ordnungswidrigkeit einstufen. (3) Der strafrechtliche Lebensschutz durch §§ 211 ff. StGB (a) Zur Systematik der §§ 211 ff. StGB Die Zerstörung des Rechtsguts Leben wird durch die §§ 211 ff. StGB unter Strafe gestellt. Pönalisiert wird in den §§ 211 – 213 StGB und § 216 StGB die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen mit Strafrahmen zwischen sechs Monaten und lebenslanger Freiheitsstrafe. Nach § 222 StGB ist auch die fahrlässige Tötung strafbar und wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet. Umstritten ist das Verhältnis des Mordparagraphen § 211 StGB zu demjenigen des Totschlags in § 212 StGB. Während das überwiegende Schrifttum § 212 StGB als den Grundtatbestand der Tötungsdelikte und § 211 StGB als dessen Qualifikation einordnet185, geht die Rechtsprechung davon aus, es handle sich um eigenständige, einander ausschließende Straftatbestände mit unterschiedlichem Unrechtsgehalt186. Praktische Konsequenzen hat dieser Streit v. a. im Bereich der Teilnahme187. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung bedarf er keiner Entscheidung. § 213 StGB enthält minderschwere Fälle des Totschlags. Es handelt sich dabei um eine Strafzumessungsregel zu § 212 StGB, wobei auch unbenannte minderschwere Fälle möglich sind188. In § 216 StGB wird die Tötung auf Verlangen des Opfers unter Strafe gestellt. Die Regelung bildet eine Privilegierung gegenüber dem Totschlag nach § 212 StGB. Sanktioniert wird im Rahmen der §§ 211 ff. StGB jede objektiv zurechenbare Herbeiführung des Todeserfolgs. Der Erfolg kann dabei sowohl durch aktives Tun als auch durch ein ursächliches Unterlassen herbeigeführt werden. Nicht zuletzt aufgrund der Kontroverse um das Verhältnis von Mord und Totschlag sind die Tötungsdelikte seit Langem Gegenstand intensiver Reformüberlegungen189. (b) Zeitlicher Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB in Abgrenzung zu §§ 218 ff. StGB Für eine Untersuchung der rechtlichen Bewertung der Grenzbereiche menschlicher Existenz besteht eine wichtige Weichenstellung im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB. Diese Schutznormen zugunsten des Lebens gilt es vom Regelungssystem der §§ 218 ff. StGB abzugrenzen, welches dem Schutz der Leibesfrucht dient und diese als eigenständiges Rechtsgut einordnet. Zum Beginn des einfachgesetzlichen Lebensschutzes durch die §§ 211 ff. StGB werden verschiedene Auffassungen vertreten. 185 186 187 188 189

Kindhäuser S. 25 Rn. 2 f.; Küpper Rn. 1; Krey/Heinrich S. 10 Rn. 19. BGHSt 1, 371; 2, 255; 6, 329; 22, 377. Vgl. dazu etwa Kraatz JURA 2006 S. 613 ff. Gössel/Dölling S. 53 Rn. 1. Vgl. AE-Leben GA 2008 S. 193 ff.; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 156.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

Bei einem natürlichen Geburtsvorgang galt in Lehre und Rechtsprechung lange Zeit der Beginn der Geburt als maßgeblicher Zeitpunkt für die Abgrenzung der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu denjenigen der allgemeinen Tötungsdelikte190. Diese Auffassung wurde nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Reichgerichts191, des Bundesgerichtshofs192 sowie des Bundesverfassungsgerichts193 an § 217 StGB festgemacht, der folgenden Wortlaut hatte: (1) Eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

Aus dem Umstand, dass eine Tötung in der Geburt bereits den Tötungsdelikten zugeordnet wurde, folgerte man, dass mit deren Beginn das menschliche Leben im Sinne der Tötungsdelikte beginnt. Auch nachdem der Tatbestand des § 217 StGB durch das 6. StrRG von 1998 ersatzlos aufgehoben wurde, sah die herrschende Lehre zunächst keinen Anlass, von dieser Grenzziehung abzuweichen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sei es nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen, die Grenzziehung zwischen Schwangerschaftsabbruch und Tötungsdelikten in Frage zu stellen. Diese Wirkung sei schlicht übersehen worden. Ziel der Aufhebung sei demnach ausschließlich die Streichung einer nicht mehr als zeitgemäß empfundenen Privilegierung gewesen194. Küper ist der Auffassung, die Anknüpfung an den Zeitpunkt des Geburtsbeginns habe bereits gewohnheitsrechtlichen Rang erreicht195. Darüber hinaus sei die Abgrenzung auch sachgemäß. Mit Beginn der Geburt trete das Kind in eine Phase besonderer Gefahr ein und werde dem Zugriff von außen verstärkt ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund sei es erforderlich, den Schutz der §§ 211 ff. StGB und §§ 223 ff. StGB anzuwenden, welche anders als die Tatbestände des Schwangerschaftsabbruchs auch fahrlässige Verletzungshandlungen unter Strafe stellten196. Wiederum Küper misst nach Wegfall des § 217 StGB a.F. der Strafbegründungsnorm des § 218 I StGB entscheidende Bedeutung bei197. Demnach sei der Begriff der Schwangerschaft nunmehr der positiv-rechtliche Anknüpfungspunkt für eine Abgrenzung. Diese endet mit der Geburt. Da es sich bei der Geburt nicht um ein punktuelles Ereignis, sondern um einen Prozess handele, sei ein Zeitpunkt innerhalb 190 Kühl vor § 211 StGB Rn. 3; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 6; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 6; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 13; Jäger ZStW 2003 S. 775. 191 RGSt 1, 446 ff. 192 BGHSt 31, 350 f.; 32, 194 ff. 193 BVerfG NJW 1988 S. 2945. 194 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 13, vor §§ 218 ff. StGB Rn. 40; Kröger in: LK – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 33; Küper GA 2001 S. 531. 195 Küper GA 2001 S. 536. 196 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 8; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 13. 197 Küper GA 2001 S. 533; ebenso Kröger in: LK – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 33.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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der Geburt durch Gesetzesinterpretation des § 218 I StGB zu ermitteln. An dieser Stelle gebiete es die besondere Schutzbedürftigkeit in der Geburt, die Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs zugunsten eines weiten Anwendungsbereichs der Tötungsdelikte restriktiv auszulegen und somit auf den Geburtsbeginn abzustellen198. Als Geburtsbeginn wird im heutigen Schrifttum in Anlehnung an die medizinische Erkenntnis überwiegend das Einsetzen der Eröffnungswehen angesehen. Dabei ist es irrelevant, ob diese auf natürliche Weise einsetzen oder medikamentös herbeigeführt werden199. Bei einer Entbindung mittels Kaiserschnitts wird für den Geburtsbeginn zumeist auf das Öffnen des Uterus abgestellt200. Sowohl der Wegfall des § 217 StGB als auch die allgemein als unbefriedigend empfundene Situation einer fehlenden Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in der Schwangerschaft haben dazu geführt, dass es de lege lata zu abweichenden Interpretationen hinsichtlich des Beginns menschlichen Lebens im Strafrecht oder aber de lege ferenda zu Reformvorschlägen bezüglich dieser Zäsur kam. So geht beispielsweise Gropp davon aus, dass zwar die oben dargestellte herrschende Lehre dem derzeitigen Gesetzesstand entspricht201. Mit fortschreitenden technischen Möglichkeiten im Bereich pränataler Diagnostik und der steigenden Beherrschbarkeit des Geburtszeitpunkts habe jedoch die soziale Sichtbarkeit der Leibesfrucht zugenommen und die Geburt als Zäsur an Bedeutung verloren202. Vor dem Hintergrund des verfassungsgerichtlichen Postulats von der Gleichwertigkeit des ungeborenen Lebens erachtet Gropp de lege ferenda die extrakorporale Überlebensfähigkeit als entscheidenden Zeitpunkt für die Anwendung der Tötungsdelikte. Mit diesem Stadium ende die Abhängigkeit von der Mutter, welche die Sondersituation der Schwangerschaft charakterisiere203. Da dieser Zeitpunkt in Abhängigkeit von der individuellen Entwicklungssituation divergieren kann, empfiehlt er die Einführung einer abstrakten Grenze, ab welcher von der Lebensfähigkeit unwiderleglich auszugehen sei. Zu diesem Zweck schlägt Gropp die 20. Schwangerschaftswoche vor204. Diese Grenzziehung entspreche bereits der gängigen Abtreibungspraxis205.

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Küper GA 2001 S. 535 ff. BGHSt 32, 194; Kühl vor § 211 StGB Rn. 3; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/ Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 11; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 13. 200 Kühl vor § 211 StGB Rn. 3; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 7; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 13; Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 43. 201 Gropp in: MüKo – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 53. 202 Gropp in: MüKo – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 54; Gropp GA 2000 S. 9. 203 Gropp GA 2000 S. 10. 204 Gropp GA 2000 S. 13. 205 Gropp in: MüKo – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 54. 199

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

Nach derzeitigem Stand der Erkenntnis als überholt gelten können verschiedene früher vertretene Bestimmungen des Zeitpunkts des Geburtsbeginns bei natürlichem Verlauf. So wurde lange Zeit der Anfang der Austreibungsperiode auf das Einsetzen der Treib- und Presswehen festgelegt206. Auch die sog. Vorwehen als bloßes Vorzeichen der anstehenden Geburt sind insoweit nicht entscheidend. Cremer spricht sich aus medizinischer Sicht für ein Abheben auf den Blasensprung aus207. Einen anderen Ansatz als Gropp wählen Herzberg / Herzberg, die sich statt einer Ausdehnung der Tötungsdelikte dafür aussprechen, auf das Ende der Geburt als Beginn des Menschseins im Sinne des Strafrechts abzustellen208. Die Abgrenzung in Anknüpfung an § 217 StGB betrachten sie mit dessen Wegfall als hinfällig209. Das Argument besonderer Schutzbedürftigkeit weisen die Autoren ebenfalls zurück. Erhöhter Schutz sei zwar wünschenswert, könne aber nicht zu einer willkürlichen Gesetzesanwendung führen210. Für ihren Standpunkt führen Herzberg/Herzberg den Wortlaut des § 219 I StGB an, der von „ungeborenem Leben“ als Schutzgut der Beratungsregelung spricht211. Zudem entspreche diese Anknüpfung der zivilrechtlichen Regelung des § 1 BGB bezüglich der Rechtsfähigkeit. Entgegen der herrschenden Lehre sei ein nicht rechtsfähiger Mensch nicht denkbar212. Darüber hinaus ermögliche die von ihnen favorisierte Abgrenzung eine sachgerechte und konsistente Auflösung von Interessenkonflikten. Während die Vertreter des Geburtsbeginns etwa im Falle der umstrittenen Perforation den Kunstgriff vornähmen, eine Tötung über § 34 StGB zu rechtfertigen, sei dies unter Anwendung der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in sich stimmig möglich213. Zuletzt konstruieren die Verfasser den Fall, dass eine Frau verfrühte Eröffnungswehen erleidet, die medikamentös unterbunden werden. Auf der Grundlage der herrschenden Lehre verbleibe das Ungeborene damit unter Umständen noch längere Zeit als Mensch im Körper der Mutter, da ihm der einmal erlangte Mensch-Status nicht wieder aberkannt werden könne, und stünde mithin unter dem Schutz der §§ 211 ff. StGB214. Schließlich finden sich im juristischen und medizinischen Schrifttum einige abweichende Bewertungen des Geburtsbeginns bei künstlich herbeigeführter Entbindung. Sehr weitreichend ist dabei das Abstellen auf die Verabreichung der

206

Dafür nun wieder Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 9. Cremer MedR 1989 S. 304. 208 Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1106 ff. 209 Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1107. 210 Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1109; ebenso Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 8. 211 Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1110. 212 Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1110. 213 Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1111; Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 36 ff. 214 Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1111 f.; zustimmend Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 35. 207

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Narkose an die Schwangere215. An anderer Stelle wird auf das Öffnen der Bauchdecke als bedeutende Zäsur hingewiesen216. Zum Zwecke der Bewertung der dargestellten Positionen und zur Festlegung eines eigenen Standpunktes sind zunächst einige grundlegende Weichenstellungen zu treffen. Als Erstes muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich auf dieser einfachgesetzlichen Ebene um eine Zuschreibung von Schutz handelt, welche das Resultat der rechtlichen Bewertung eines Interessenkonflikts in einer bestimmten Situation ist. Es findet keine zwingende Vorgabe durch medizinisch-biologische Fakten statt, wenngleich eine Orientierung an diesen möglich und hilfreich ist. Ebenso hat sich gezeigt, dass sich unmittelbar aus dem Verfassungsrecht angesichts des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers keine verbindlichen Maßgaben ableiten lassen. Ausschlaggebend ist vielmehr die Interpretation des vorhandenen einfachen Gesetzeswerkes. Den Gegnern der herrschenden Lehre ist insoweit beizupflichten, als aus § 217 StGB jedenfalls nach seiner Aufhebung keine Rückschlüsse gezogen werden können. Dass dies nicht die Intention der Reform war, mag korrekt sein, ändert aber nichts an der Tatsache, dass die positiv-rechtliche Substanz der bisherigen Interpretation fortgefallen ist. Die Berufung auf eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Grenzziehung erscheint insofern problematisch, als sie potentiell gegenüber späteren Anknüpfungspunkten strafschärfend wirkt. Eine Gesetzänderung dahingehend, dass nunmehr ab extrakorporaler Lebensfähigkeit die Tötungstatbestände eingreifen, würde das Verhältnis zwischen Tötungsdelikten und Schwangerschaftsabbruch grundlegend ändern und Letzteren deutlich beschneiden. Es läge dann ab der 20. Woche kein Schwangerschaftsabbruch mehr vor, wobei eine Schwangerschaft in diesem Zeitpunkt unstreitig noch bestünde. Hinzu kommen einzelfallabhängige Schwankungen der Lebensfähigkeit. Gropp erkennt dieses Problem und empfiehlt eine abstrakte Regelung, nach welcher beispielsweise ab der 20. Woche eine unwiderlegliche Vermutung für die Lebensfähigkeit spricht. Eine derartige Regelung ist deshalb problematisch, weil es möglicherweise zur Bestrafung wegen Tötung eines lebensfähigen Menschen auf der Grundlage der gesetzlichen Fiktion kommt, während das Ungeborene tatsächlich im konkreten Fall noch gar nicht lebensfähig war. Nicht zu bestreiten ist Gropps Ansatz, die Geburt habe aufgrund der Möglichkeiten pränataler Diagnostik als Zäsur an Bedeutung verloren. Dennoch endet die spezifische Situation der Zweiheit in Einheit, welche den Schwangerschaftskonflikt prägt, erst mit der Geburt. Aufgrund dieser Überlegung erscheint es plausibel, vor der Geburt eine andere rechtliche Bewertung der Tötung vorzunehmen als nach dieser. Selbst wenn mit der Lebensfähigkeit bei einer erzwungenen Trennung die Abhängigkeit von der Mutter endet, so bleibt doch die biologische Situation bis zur Geburt diejenige einer Symbiose. Die Situation der Unabhängigkeit besteht gewissermaßen potentiell, nicht jedoch aktuell. 215 216

Cremer MedR 1993 S. 423. Lüttger in: FS-Heinitz S. 366; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 12.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

Die Konfliktsituation ändert sich mithin allein durch Eintritt der Leibesfrucht in das Stadium extrakorporaler Überlebensfähigkeit noch nicht entscheidend. Hinzukommt, dass sich die Geburt als Zäsur bislang als praktikables Abgrenzungskriterium erwiesen hat. Es handelt sich um einen besser zu bestimmenden Anknüpfungspunkt als denjenigen der Lebensfähigkeit. Schließlich bedarf es bei der hier bevorzugten Festlegung auf die Geburt der Entscheidung, ob deren Anfang oder deren Ende maßgeblich sein soll. Der Wortlaut des § 218 I StGB unter Bezugnahme auf die Schwangerschaft ließe beide Interpretationen zu. Die Überlegungen hinsichtlich einer gesteigerten Schutzbedürftigkeit im Vorgang der Geburt sprechen für die herrschende Lehre. Überzeugend erscheint auch die Überlegung, dass sich mit diesem Augenblick das bisherige Verhältnis einer Symbiose in dasjenige einer einsetzenden Loslösung wandle217. Damit endet die Sondersituation der Schwangerschaft. Die schlüssige Auflösung des Sonderproblems der Perforation hat nur auf den ersten Blick Gewicht. Nach Herzberg / Herzberg handelt es sich um einen gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch, der die Tötung erlaubt. Nach dem Großteil des Schrifttums handelt es sich um eine ausnahmsweise gerechtfertigte Tötung menschlichen Lebens über § 34 StGB. In beiden Fällen erfolgt eine Tötung unter Billigung der Rechtsordnung, es wird eine Relativierung des frühen Lebensrechts vorgenommen; die gewählte Bezeichnung ist dabei von sekundärer Relevanz, während das Resultat identisch ist. Es bleibt schließlich das Herzbergsche Fallbeispiel zu den verfrühten Wehen, die medikamentös unterbunden werden. Es ist wohl davon auszugehen, dass es sich dabei um äußerst seltene, wenn auch theoretisch denkbare Fälle handelt. Aus diesem Grund sollte, wenn auch von Herzberg / Herzberg vehement abgelehnt, gelten, dass die Eröffnungswehen nur dann maßgeblich sind, wenn sie im unmittelbaren Anschluss tatsächlich zur Geburt führen. Dies ist bei natürlichem Verlauf regelmäßig der Fall. Bei den erwogenen Frühwehen bleibt die Geburt aus. Nur diese beiden Alternativen sind denkbar. Die befürchteten Unsicherheiten in der Strafbarkeit sind nach allem nicht ersichtlich. Dieser Standpunkt entspricht im Übrigen auch der medizinischen Definition des Geburtsbeginns, welche auf das Einsetzen der Kräfte abstellt, die erfahrungsgemäß zum Endresultat der Geburt führen218. Darüber hinaus erscheint es bereits sprachlich unangebracht, bei medikamentös unterbundenen, verfrühten Eröffnungswehen vom Geburtsbeginn zu sprechen. Auf der Grundlage der vorstehenden Bewertung ist damit im Einklang mit herrschender Lehre und Rechtsprechung auf den Geburtsbeginn als Abgrenzungszeitpunkt zwischen den Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch nach §§ 218 ff. StGB und den Tötungsdelikten nach §§ 211 ff. StGB abzustellen. In Orientierung an den medizinischen Erkenntnissen erfolgt dieser Geburtsbeginn bei 217 218

Sinngemäß Jäger ZStW 2003 S. 775. Pschyrembel S. 665 f.

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natürlichem Verlauf mit Einsetzen der Eröffnungswehen. Bei künstlich herbeigeführter Entbindung mittels eines Kaiserschnitts ist auf die Öffnung des Uterus abzustellen. Andere Maßnahmen wie das Öffnen der Bauchdecke oder die Vornahme der Narkose haben noch keinen ausreichend spezifischen Bezug zur Geburt, sondern liegen noch zu weit in deren Vorfeld, als dass man bereits vom erforderlichen Ende der Schwangerschaft sprechen könnte. (c) Zwischenergebnis zum strafrechtlichen Lebensschutz durch §§ 211 ff. StGB Damit bildet der Beginn der Geburt in Gestalt des Einsetzens der Eröffnungswehen die Zäsur des strafrechtlichen Lebensschutzes am Lebensanfang. Ab diesem Zeitpunkt gelten die §§ 211 ff. StGB, die auch dem Schutz des erwachsenen Menschen dienen. Dabei handelt es sich um ein Regelungssystem, dass die Tötung eines anderen Menschen unter erhebliche Strafandrohung stellt. Ausnahmen, welche eine Tötung unter Billigung der Rechtsordnung darstellen, sind grundsätzlich nur unter den eingangs dargestellten, engen Voraussetzungen spezifischer Sondersituationen möglich, in denen vom Getöteten ein Angriff ausgeht. Ob von diesen strengen Grundsätzen am Lebensanfang weitere Ausnahmen gemacht werden, ist bei der noch ausstehenden Darstellung der Rechtswirklichkeit zu klären. In Wortlaut und Systematik der Tötungstatbestände, auf der Ebene des geschriebenen Rechts also, sind solche Ausnahmen jedenfalls nicht angelegt. (4) Grad des Lebensschutzes in den einzelnen Phasen Im Anschluss an eine chronologische Gesamtschau der Regelungen zum strafrechtlichen Lebensschutz am Lebensanfang stellt sich die Frage, welche Rückschlüsse sich aus diesen und vom Grad des gewährten Schutzes auf die Bewertung des geschützten Rechtsguts ziehen lassen. Einen interessanten Ansatz bietet dabei Horst Dreiers Gedanke vom wachsenden Lebensschutz219 zugunsten des vorgeburtlichen menschlichen Lebens und seine Folgerung daraus, es bestehe ein ansteigendes Lebensrecht. Diese Theorie verdient nähere Betrachtung und Einschätzung. (a) Zum Gedanken des wachsenden Lebensrechts Horst Dreier geht von einem kategorialen Unterschied in der Wertigkeit von geborenem und ungeborenem Leben aus220. Entscheidende Bedeutung kommt dabei seiner Ansicht nach der fundamentalen Zäsur der Geburt zu221. Dies belegt er unter anderem durch einen Hinweis auf die Regelung des § 1 BGB, welche die Rechtsfähigkeit des Menschen mit Vollendung der Geburt beginnen lässt222. Der Unter219 220 221 222

Zuerst in: Dreier ZRP 2002 S. 377 ff. Dreier ZRP 2002 S. 377. Dreier ZRP 2002 S. 379. Dreier ZRP 2002 S. 378.

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schied geht dabei nach Dreier jedoch nicht soweit, dass vor der Geburt überhaupt kein Schutz bestünde und unmittelbar nach ihr der volle Schutz. Eine entsprechende „Alles-oder-Nichts“-Lösung lehnt er ab. Stattdessen geht er davon aus, dass ein am fortschreitenden Wachstum der Leibesfrucht orientierter, zunehmender Schutz durch das Strafrecht bestehe223. Zu diesem Zweck nimmt Dreier einen chronologischen Abriss der Regelungen der §§ 218 ff. StGB ähnlich wie in der vorliegenden Untersuchung vor224. Er unterscheidet dabei die pränidative Phase, die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft, den Abschnitt zwischen zwölfter und 22. Woche sowie denjenigen zwischen 23. Woche und Geburt. Erst mit der Geburt sei von einem vollwertigen Lebensrecht auszugehen, das für alle geborenen Menschen gleichermaßen gelte und nur die auch hier dargestellten restriktiven Ausnahmen einer Tötung unter Billigung der Rechtsordnung zulasse225. Einige potentielle Einwände gegenüber seiner Argumentation nimmt Dreier vorweg und bezieht entsprechend Stellung. So sieht er in seiner Arbeitsweise keinen Verstoß gegen die Normenhierarchie zwischen Verfassung und einfachem Recht, sondern weist darauf hin, dass es sich um eine zulässige Form von Verfassungsauslegung mittels Interpretation des einfachen Rechts handle226. Auch das hohe Schutzniveau des ESchG in frühesten Entwicklungsphasen spricht Dreier als möglichen Einwand an. Allerdings hält er sich hierzu sehr bedeckt. Er entgegnet diesbezüglich nur, dass sich möglicherweise Gründe für die Ungleichbehandlung finden ließen. Anderenfalls bestünde die Möglichkeit einer Liberalisierung des geltenden Embryonenschutzes227. Als letzten möglichen Kritikpunkt erkennt Dreier die naheliegende Parallele zum Lebensende und weist insoweit die Forderung nach einem Pendant in Form eines abnehmenden Lebensrechts zurück. Das mit Geburt erlangte, volle Lebensrecht gelte bis zum Tod für alle geborenen Menschen gleichermaßen228. (b) Stellungnahme und Begründung des differenzierten Regelungssystems Im juristischen Schrifttum hat Rainer Beckmann sich intensiv mit Dreiers Ansatz befasst und ablehnend Stellung bezogen229. Nachfolgend soll Beckmanns Argumentation umrissen werden, bevor abschließend der eigene Standpunkt hinsichtlich Dreiers Überlegungen und der Einordnung der strafrechtlichen Regelungen am Lebensanfang formuliert wird. Beckmann kann der geltenden einfachgesetzlichen Rechtslage keinen kategorialen Unterschied zwischen geborenem und ungeborenem Leben entnehmen. Er 223 224 225 226 227 228 229

Dreier ZRP 2002 S. 378. Dreier ZRP 2002 S. 379 ff. Dreier ZRP 2002 S. 381. Dreier ZRP 2002 S. 382. Dreier ZRP 2002 S. 382. Dreier ZRP 2002 S. 383. Beckmann ZRP 2003 S. 97 ff.

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moniert, dass Dreier die Nennung der entsprechenden Kategorien schuldig bleibe230. Die Regelung des § 1 BGB beschränkt Beckmann klar auf das Zivilrecht und will aus ihr keine weitergehenden Wertungen für die übrige Rechtsordnung ableiten231. Dass die Tötung eines ungeborenen gegenüber der eines geborenen Menschen differenziert bestraft wird, räumt der Verfasser ein232. Zurückzuführen sei dies jedoch nicht auf unterschiedliche Kategorien des Schutzobjekts. Stattdessen sei das Strafmaß stets auch von tat- und täterbezogenen Merkmalen geprägt233. Die systematische Stellung der §§ 218 ff. StGB zeige, dass es sich um Normen zum Schutz des Lebens handle234. So habe auch das BVerfG in seinen Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch nicht die von Dreier angeführte Unterscheidung postuliert, sondern stets die Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens betont. Für das Gericht habe nicht die Härte des Strafmaßes, sondern die Effektivität der ergriffenen Maßnahmen primäre Relevanz gehabt235. Als Inkonsistenz in der Argumentation Dreiers betrachtet Beckmann den Umstand, dass Dreier selbst verbrauchende Embryonenforschung nicht unbegrenzt zulassen will. Wenn man aber mit Dreier aus den einfachgesetzlichen Regelungen den Schluss ziehe, dass das ungeborene Leben nicht Träger der Grundrechte aus Art. 1 GG und Art. 2 II GG sei, falle es mangels einschlägiger Gegenrechte schwer, die Beschränkung der Forschungsfreiheit nach Art. 5 III GG zu rechtfertigen236. Bei näherer Betrachtung der konkreten Regelungen in den §§ 218 ff. StGB räumt Beckmann ein, dass der rechtliche Schutz tatsächlich mit zunehmender Geburtsnähe ansteige. Dieser Schutz orientiere sich jedoch nicht am biologischen Entwicklungsfortschritt. Weder nach zwölf noch nach 22 Wochen sei ein qualitativer Sprung erkennbar, der es rechtfertige, einen entsprechenden Rückschluss zu ziehen237. Zuletzt kritisiert der Verfasser, dass Dreier die Unschlüssigkeit der Regelungen des EschG für sein Konzept erkenne, diesen Umstand jedoch nicht befriedigend auflöse238. Den von Dreier selbst erkannten und entsprechend vorweg erläuterten Kritikpunkten ist hinsichtlich ihrer Auflösung jedenfalls im Ergebnis weitestgehend zuzustimmen. Der Hinweis, seine Auslegung der Verfassung anhand des einfachen Rechts stelle eine legitime Methode der Verfassungsinterpretation, im Sinne eines Rückschlusses vom einfachen Recht auf den Willen des Verfassungsbers, dar, ist 230 231 232 233 234 235 236 237 238

Beckmann ZRP 2003 S. 97. Beckmann ZRP 2003 S. 97. Beckmann ZRP 2003 S. 97. Beckmann ZRP 2003 S. 98. Beckmann ZRP 2003 S. 98. Beckmann ZRP 2003 S. 98. Beckmann ZRP 2003 S. 99. Beckmann ZRP 2003 S. 100. Beckmann ZRP 2003 S. 100.

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nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen die Normenhierarchie zwischen Verfassung und einfachem Recht ist ihm insofern nicht vorzuwerfen. Im Hinblick auf die Regelungen des ESchG lässt sich der von Dreier offen gelassene Grund für die differenzierte Bewertung tatsächlich finden. Dieser besteht darin, dass das ESchG den Zweck des Lebensschutzes nur mittelbar und stark ins Vorfeld verlagert verfolgt. Stattdessen besteht sein Hauptzweck nach hier vertretenem Verständnis im Schutz des menschlichen Lebens vor fremdnütziger Instrumentalisierung und damit im Schutz der Menschenwürde. Diese wiederum ist nicht Schutzzweck der §§ 211 ff. StGB bzw. 218 ff. StGB, was die unterschiedliche Bewertung rechtfertigt. Da der Embryo jedoch nach Dreier gerade nicht Träger der Menschenwürde ist239, fallen seine Ausführungen zur Bedeutung des ESchG bewusst knapp aus. Dessen schlüssige Einordnung im Gesamtkonzept von Menschenwürdeund Lebensschutz gelingt ihm nicht. Das Pendant des abnehmenden Lebensrechts lehnt Dreier im Resultat korrekt, jedoch ohne weitere Begründung ab. Die vorliegende Untersuchung hat aber im Sinne Dreiers gezeigt, dass die spezifische Situation am Lebensanfang und am Lebensende nicht dergestalt vergleichbar sind, dass eine zwingende Parallele zu ziehen wäre. Dabei spielten die Begriffe der Potentialität einerseits und der Irreversibilität andererseits eine entscheidende Rolle. Beizupflichten ist den Ausführungen Dreiers auch insoweit, als dem ungeborenen Leben einfachgesetzlich nicht der gleiche Schutz zu Teil wird wie dem geborenen. Hierbei handelt es sich um eine inhaltlich nicht zu beanstandende Beobachtung. Ebenso stellt sich die Feststellung dar, mit zunehmender Geburtsnähe steige der strafrechtliche Schutz an. Etwas präziser ließe sich formulieren, dass der Begründungszwang für eine straflose Tötung zunimmt. Auf dieser in erster Linie beobachtenden und feststellenden Ebene ist das Konzept Dreiers nicht zu beanstanden. Nicht geteilt werden hier allerdings die Folgerungen, die daraus gezogen werden. Gerade die vermeintliche Zäsur der 22. Woche hat nach geltendem Recht nur noch eine sehr eingeschränkte Bedeutung, so dass von einer Zäsur kaum gesprochen werden kann. Auch die übrigen von Dreier gewählten Einschnitte, insbesondere derjenige der zwölften Woche, orientieren sich – wie Beckmann ausgeführt hat – nicht an biologischen Qualitätssprüngen. Der Schluss von der Höhe einer Strafandrohung auf die Wertigkeit des geschützten Rechtsguts ist nicht zwingend. Zu Recht weist Beckmann darauf hin, dass für das Strafmaß auch tat- und täterbezogene Merkmale eine Rolle spielen. Dies sind konkret im Falle des Schwangerschaftsabbruchs die Drucksituation der schwangeren Frau selbst sowie die biologische Situation der besonderen Verbundenheit zwischen Frau und Leibesfrucht. Die Regelungen der §§ 218 ff. StGB sind zu begreifen als situationsabhängige Auflösung eines Interessenkonflikts. Mit Fortschreiten der Schwangerschaft ändern sich die zugrunde liegende Situation und deren Zuordnung, nicht jedoch die 239

Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 71; Dreier DÖV 1995 S. 1038.

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grundsätzliche Wertigkeit der beteiligten Interessen. Ob der Schwangerschaftskonflikt mit der geltenden einfachgesetzlichen Rechtslage korrekt oder jedenfalls befriedigend aufgelöst ist, ist damit nicht gesagt. Jedenfalls lässt die Rechtslage nicht den Schluss zu, ungeborenes Leben habe einen geringeren Wert als das geborene. (5) Zwischenergebnis zum strafrechtlichen Lebensschutz am Beginn des Lebens Der Lebensschutz am Beginn des Lebens ist Gegenstand eines äußerst differenzierten und umfangreichen Regelungssystems. Die einschlägigen Normen sind neben dem StGB auf mehrere Nebengesetze verteilt. Ab Befruchtung wird kein Entwicklungsschritt komplett ausgeklammert. Erkennbar werden die besondere Akzentuierung von Arztvorbehalten sowie die detaillierte Ausgestaltung von Verfahrensregelungen. Letzteres betrifft etwa das Verwaltungsverfahren im StammZG ebenso wie das Beratungsverfahren im SchKG. Auf der Ebene des einfachen Rechts unterliegt der Lebensschutz einer gesteigerten Dynamik, wie die Nivellierung der Stichtagsregelung im StammZG oder die Erweiterung der Hinweispflichten im SchKG verdeutlichen. Insgesamt wird dabei die Tendenz erkennbar, dass sich das Regelwerk wegbewegt von einer starren Strafandrohung. Die Entwicklung ist ausgerichtet auf Dialog, Begleitung und Überwachung der fraglichen Vorgänge. Die Gesamtschau der bestehenden Regelungen ergibt keinesfalls das Bild eines lückenlosen oder gar absoluten Lebensschutzes. Dieses Resultat ist dem Umstand geschuldet, dass es sich bei den strafrechtlichen Regelungen um die Auflösung der auf verfassungsrechtlicher Ebene aufgezeigten Interessenkonflikte handelt. Erforderlich sind diesbezüglich Zuordnungen, die der individuellen Konfliktsituation gerecht werden. Angesichts der Relativität auch des gewichtigen Rechtsguts Leben wäre eine starre, einseitige Auflösung der Interessenkollisionen nicht sachgerecht. Im Rahmen der Tötung des ungeborenen Lebens nach §§ 218 ff. StGB wird ein steigender Legitimationsdruck für eine straflose Vornahme mit zunehmender Geburtsnähe erkennbar. Dieser ist allerdings – wie sich gezeigt hat – nicht an der biologischen Entwicklung festzumachen, sondern wiederum Ausdruck der spezifischen Bewertung der zugrunde liegenden Situation widerstreitender Interessen. Insgesamt wird anhand der in Konsequenz eines intensiven politischen und gesellschaftlichen Diskurses betriebenen Aktualisierungen gesetzlicher Regelungen und eines breit verzweigten Regelungssystems eine uneingeschränkte Ernstnahme des ungeborenen Lebens deutlich, so dass auf der Ebene des geschriebenen Rechts von einem kategorialen Unterschied gegenüber den Leben geborener Menschen im Hinblick auf die Wertigkeit des Rechtsguts nicht die Rede sein kann240.

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So aber Dreier ZRP 2002 S. 377.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

(6) Exkurs: Vergleich mit zivilrechtlichen Regelungen am Lebensanfang Im Rahmen einer Untersuchung rechtlicher Wertungen am Lebensanfang bietet es sich an, auch einen Blick auf den Beginn des Menschseins im Sinne des Zivilrechts zu werfen. Von Bedeutung ist dabei der Begriff der Rechtsfähigkeit, der überwiegend definiert wird als die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein241. Am Anfang des Lebens lassen sich drei Stadien unterscheiden. Entsprechend der Legaldefinition des § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit mit Vollendung der Geburt. Darunter ist die vollständige Trennung vom Mutterleib auf natürlichem oder künstlichem Weg zu verstehen242. In diesem Zeitpunkt muss das Kind gelebt haben, während es auf eine Lebensfähigkeit im Übrigen nicht ankommt243. Vor Vollendung der Geburt ist zu unterscheiden zwischen dem gezeugten, aber nicht geborenen Kind (nasciturus) und demjenigen, welches noch nicht gezeugt ist (nondum conceptus). Ersteres betrifft die Zeit zwischen erfolgter Nidation und Abschluss der Geburt244. Die zweite Variante umfasst jedenfalls auch die Phase zwischen Befruchtung und Nidation. Diese beiden Stadien vorgeburtlichen Lebens werden über eine Reihe von Sondervorschriften geschützt245, welche in ihrer Gesamtheit jeweils zum Status der beschränkten Rechtsfähigkeit bzw. Teilrechtsfähigkeit führen246. Dabei ist wiederum die Einbeziehung des noch nicht gezeugten Lebens weniger weitreichend als diejenige des nasciturus247. Es wird damit ein gesetzgeberisches Bestreben erkennbar, das ungeborene Leben nicht schutzlos zu lassen248. Auch hier wird keine frühe Lebensphase komplett ausgeklammert. Zusammenfassend ergibt sich eine zunehmend stärker werdende Rechtsstellung des frühen Lebens, die ihre Vollendung mit dem Abschluss der Geburt erfährt. Darin besteht eine Divergenz zu den bislang dargestellten verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Wertungen, welche die Befruchtung bzw. den Geburtsbeginn als wichtige Zäsuren umfassen. Im juristischen Schrifttum finden sich zu diesem Befund lediglich Aussagen dahingehend, dass sich die Bedeutung der vollendeten Geburt auf das Zivilrecht beschränkt und keine Auswirkungen auf den Status in den übrigen Rechtsgebieten hat249. Erklären lässt 241 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 6; Palandt/Ellenberger § 1 BGB Rn. 1; Brox/Walker AT Rn. 703; Larenz/Wolf S. 100 Rn. 2. 242 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 15; Brox/Walker AT Rn. 705; Larenz/Wolf S. 103 Rn. 11. 243 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 16; Palandt/Ellenberger § 1 BGB Rn. 2; Leipold AT S. 423 Rn. 7. 244 Palandt/Ellenberger § 1 BGB Rn. 8. 245 Zu diesen im Einzelnen Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 23 ff.; Palandt/Ellenberger § 1 BGB Rn. 6. 246 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 31, 45; Palandt/Ellenberger § 1 BGB Rn. 1; Leipold S. 424 Rn. 9 f. 247 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 45. 248 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 30; Brox/Walker AT Rn. 706; Larenz/Wolf S. 104 Rn. 15. 249 Beckmann ZRP 2003 S. 97; Lüttger JR 1969 S. 445 Rn. 1; von Mutius JURA 1987 S. 110; Brox/Walker AT Rn. 706.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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sich die festgestellte Unterscheidung mit den unterschiedlichen Sinngehalten der Rechtsgebiete. Im Bürgerlichen Recht geht es darum, Anspruchsinhaber und Subjekt im Privatrechtsverkehr zu sein. Hierbei ist es sinnvoll, auf die physische Trennung von der Mutter und die damit verbundene Eigenständigkeit des Rechtssubjekts abzustellen250. Dagegen geht es im Strafrecht um die Gewährung von Schutz durch den Staat. Es ist insofern sachgerecht, diesen Schutz weit zu fassen, da besondere Gefährdungslagen besonders dem Prozess der Geburt immanent sind. Diese auftretenden Gefährdungen sind gerade unabhängig von einer Trennung von der Mutter. bb) Am Ende des Lebens Anders als die Rechtslage am Lebensanfang sind die strafrechtlichen Regelungen zum Lebensschutz am Lebensende weit weniger differenziert und beschränken sich auf das StGB. Einschlägig sind die Tötungstatbestände der §§ 211 ff. StGB. Strafrechtliche Nebengesetze wie das Transplantationsgesetz oder das Transfusionsgesetz dienen dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit, dem Würdeschutz oder dem Schutz des Pietätsgefühls der Allgemeinheit251. Sie zählen damit nicht zu den hier zu untersuchenden Normen des Lebensschutzes. Im Mittelpunkt des Interesses steht stattdessen die Thematik des Anwendungsbereichs der Tötungstatbestände, welcher unmittelbar von der Festlegung des Todeszeitpunkts abhängt. Für postmortale Einwirkungen kann dann § 168 StGB einschlägig sein, welcher allerdings begriffsnotwendig nicht mehr den Lebensschutzvorschriften zuzurechnen ist252. Nach Klärung der zeitlichen Ausdehnung des Anwendungsbereichs gilt es, die inhaltliche Reichweite des Schutzes aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. (1) Bestimmung des Lebensendes im strafrechtlichen Sinne Einigkeit besteht darüber, dass es sich beim Sterben aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht um einen Prozess handelt253. Da der Todeseintritt als Zeitpunkt das Ende des Anwendungsbereichs der Tötungsdelikte markiert, ist dieser im juristischen Kontext normativ zu bestimmen. Zwar ist eine Orientierung an medizinisch-biologischen Fakten möglich, wenn nicht gar geboten, dennoch ist der juristische Todesbegriff in gewissem Maße das Ergebnis einer normativen Wertung254. Hiervon zu unterscheiden sind die Methoden der Feststellung des Todeseintritts, welche ihrerseits der Medizin angehören und nicht Gegenstand rechtlicher Festle-

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So auch Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 2 zu den Motiven des Gesetzgebers. Für das Transplantationsgesetz Rixen in: Höfling § 17 TPG Rn. 11; für das Transfusionsgesetz Flegel in: Lippert/Flegel § 5 TFG Rn. 1. 252 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 16. 253 Fischer vor § 211 StGB Rn. 5. 254 Fischer vor § 211 StGB Rn. 5; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 20. 251

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

gung sind255. Neu entbrannt ist die Diskussion um die Bestimmung des Todeszeitpunktes im Gesetzgebungsverfahren zum Transplantationsgesetz. Auch wenn § 3 TPG den Gesamthirntod als frühestmöglichen Zeitpunkt einer zulässigen Organentnahme festlegt, ist darin keine für das Strafrecht allgemein verbindliche Definition des Todeszeitpunktes zu sehen256. Inhaltlich stehen sich im Wesentlichen der früher aus der Medizin übernommene und lange Zeit auch in der Rechtswissenschaft vorherrschende klinische Tod in Gestalt des Herz-Kreislaufstillstandes, der heute überwiegend vertretene Gesamthirntod und das sog. Teilhirntodkriterium gegenüber. Die Argumentation verläuft dabei über weite Strecken parallel zu derjenigen, die hier bereits auf der Ebene des Verfassungsrechts dargestellt und bewertet wurde. Im Anschluss an die dort vertretene Linie erscheint auch auf der Ebene des einfachen Rechts das Kriterium des Gesamthirntodes als vorzugswürdig257. Darunter ist das irreversible Erloschensein der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung noch aufrechterhaltenen Herz- und Kreislauffunktion zu verstehen258. Diese Zäsur wird hauptsächlich auf zwei argumentative Säulen gestützt. Dies sind zum einen medizinisch-deskriptive Elemente zur Integrationsund Koordinationsfunktion des Gehirns sowie daneben anthropologische Erwägungen hinsichtlich der Bedeutung von Selbstbewusstsein, Willensfreiheit und Erkenntnisfähigkeit als Wesensmerkmale menschlicher Individualität259. Kein Argument dürfen dagegen entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben Zweckmäßigkeitserwägungen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Transplantationsmedizin sein260. Neben diesen Überlegungen wird hier vor allem dem Moment der Irreversibilität entscheidende Bedeutung beigemessen261. Unter der Prämisse, dass strafrechtlicher Schutz unter Androhung einer Sanktion als Grundrechtsbeeinträchtigung Dritter nur dort Legitimität besitzt, wo er Erfolg verspricht, ist bei Eintritt in die unumkehrbare Sterbephase der Schutzzweck hinfällig, womit auch der Anwendungsbereich der Lebensschutzvorschriften endet. Diese Argumentation ist nicht zu verwechseln mit der Situation vermeintlich Todgeweihter oder unheilbar Kranker. In beiden Fällen verbleibt eine Restlebenszeit, die nicht von Seiten Dritter qualitativ bewertet werden 255

Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 18; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 21, 23. 256 Kühl vor § 211 StGB Rn. 4. 257 Ebenso Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 9; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 25. 258 Fischer vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 16. 259 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 16. 260 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 17; Neummann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 27; insoweit mit weniger Bedenken Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 25. 261 Ebenso Fischer vor § 211 StGB Rn. 8; kritisch dazu Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 19.

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darf. Ein Eingreifen würde hier den natürlichen Verlauf abändern. Bei Eintritt der Irreversibilität können Dritte gerade keine Verfügung treffen, die die Natur nicht bereits getroffen hat. Folglich endet das Leben im Sinne des Strafrechts und damit der Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB mit Eintritt des Gesamthirntodes. (2) Strafrechtliche Bewertung spezifischer Konfliktlagen am Lebensende Es schließt sich nun in Fortführung der bisherigen Methodik die Untersuchung der strafrechtlichen Bewertung spezifischer Konfliktlagen am Lebensende an. Dies betrifft konkret die verschiedenen Formen von Sterbehilfe. Hierbei wird zunächst streng wörtlich der Tatbestand subsumiert, bevor dann jeweils für Lebensanfang und Lebensende die Auflösung der Konstellationen in der Rechtswirklichkeit dargestellt und bewertet wird. (a) Suizid als freiverantwortliche Selbsttötung Die Beendigung des eigenen Lebens steht nach deutschem Recht nicht unter Strafe. §§ 211 ff. StGB pönalisieren ausschließlich die Tötung eines anderen Menschen262. Obgleich sich dieser Umstand nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der §§ 211 und 212 StGB ergibt, lässt er sich doch rechtshistorisch und gesetzessystematisch begründen263. In Rechtsprechung und Lehre intensiv diskutierte Probleme rund um die Selbsttötung betreffen die Teilnahme am Suizid und damit eng zusammenhängend die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit des Suizids264. Allerdings unterscheidet sich der Suizid von den hier gewählten Untersuchungsgegenständen dadurch, dass er sich als eine Form der Selbstverfügung darstellt, während Stammzellforschung, Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe Fälle der Fremdverfügung bilden. Infolgedessen sollen und können die Detailprobleme der Selbsttötung hier nicht eingehend erläutert werden. Stattdessen soll die Straflosigkeit der Selbstverfügung allenfalls als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, um Parallelen und Differenzen gegenüber den vorliegend untersuchten Konfliktlagen aufzuzeigen und zu begründen. (b) Aktiv-direkte Sterbehilfe Die erste Fallgruppe von Relevanz bildet die aktiv-direkte Sterbehilfe. Hierunter ist die gezielte Tötung eines anderen Menschen zur Verhinderung von Leiden im

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Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 10. Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 30; Achenbach JURA 2002 S. 542 f.; Herzberg JA 1985 S. 133; Schroeder ZStW 1994 S. 566. 264 Dazu Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 11; Kühl vor § 211 StGB Rn. 10 ff.; Dölling in: FS-Maiwald S. 119 ff.; Herzberg JA 1985 S. 131 ff.; Achenbach JURA 2002 S. 542 ff. 263

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

natürlichen Sterbeprozess zu verstehen265. Für die allgemeine Eingrenzung des Problemfeldes der Sterbehilfe sei auf die Ausführungen auf der Ebene des Verfassungsrechts verwiesen. In allen hier zu untersuchenden Varianten der Sterbehilfe ist danach zu unterscheiden, ob diese mit oder ohne Einwilligung des Patienten vorgenommen wird. Ohne einen entsprechenden Willen des Patienten verwirklicht die aktiv-direkte Sterbehilfe den Tatbestand des § 212 StGB, bei zusätzlichem Vorliegen von Mordmerkmalen sogar den Mordtatbestand des § 211 StGB266. Bei ernstlichem Sterbeverlangen des Patienten ist dagegen der privilegierte Tatbestand der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB einschlägig267. (c) Aktiv-indirekte Sterbehilfe Den zweiten Anwendungsfall bildet die aktiv-indirekte Sterbehilfe. Dabei geht es ebenfalls um die Schmerzbekämpfung bei unheilbar Kranken und schwer Leidenden, welche durch Medikamente zur Linderung dieser Schmerzen erfolgt, selbst wenn dadurch der Eintritt des Todes beschleunigt werden kann. Dem Phänotyp nach handelt es sich um ein Verfahren aktiver Sterbehilfe, anders als bei der direkten Tötung ist jedoch die Lebensverkürzung nicht angestrebtes Ziel und Hauptwirkung, sondern lediglich eine Nebenwirkung, die zugunsten der primären Schmerzlinderung in Kauf genommen wird268. Die Unterschiede liegen also im Bereich des subjektiven Moments269. Da jedoch auch dolus eventualis ausreicht, um einen Tötungstatbestand zu verwirklichen, ergibt sich hinsichtlich der tatbestandlichen Bewertung keine Abweichung gegenüber der aktiv-direkten Sterbehilfe. Auch beim Todeseintritt als unbeabsichtigter, aber als möglich erkannter Nebenfolge einer aktiven Einwirkung sind ohne Einwilligung die §§ 212 StGB oder 211 StGB verwirklicht270. Bei entsprechendem Patientenwillen ist der Tatbestand des § 216 StGB einschlägig.

265 Schreiber NStZ 1986 S. 339; Dölling MedR 1987 S. 8; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 127; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 17; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; Fischer vor § 211 StGB Rn. 17; Kindhäuser S. 60 Rn. 1. 266 BGHSt 37, 376; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 129; Kutzer NStZ 1994 S. 111; Saliger KritVJ 2001 S. 433 f. 267 Fischer vor § 211 StGB Rn. 17; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 25; Kutzer NStZ 1994 S. 111. 268 Schreiber NStZ 1986 S. 340; Dölling MedR 1987 S. 7; Rössner/Wenkel in: Dölling/ Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 18; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 26; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; Fischer vor § 211 StGB Rn. 18; Kindhäuser S. 60 Rn. 2; Ingelfinger JZ 2006 S. 824. 269 Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 95; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 26 Schreiber NStZ 2006 S. 474. 270 Stürmer S. 7 f.; a.A. Tröndle ZStW 1987 S. 30.

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(d) Passive Sterbehilfe Letzte Fallgruppe der Sterbehilfeszenarien ist die sog. passive Sterbehilfe271. Diese Gruppe bezeichnet das für eine konkrete Lebensverkürzung kausale Unterlassen erforderlicher Behandlungsmaßnahmen oder deren Abbruch272. Strafrechtlich relevant im Sinne der Tötungsdelikte wird diese Modalität überhaupt nur bei Vorliegen einer Garantenstellung nach § 13 StGB, welche etwa dem behandelnden Arzt zukommt273. Im Falle einer solchen Garantenstellung und ohne eine Einwilligung des Patienten verwirklicht die passive Sterbehilfe den Tatbestand des Totschlags durch Unterlassen gemäß §§ 212, 13 StGB oder bei Hinzutreten von Mordmerkmalen denjenigen der §§ 211, 13 StGB274. Dogmatisch nicht unproblematisch ist die tatbestandliche Einordnung passiver Sterbehilfe bei zustimmendem Patientenwillen. Im Ergebnis herrscht wohl Einigkeit dahingehend, dass die Einwilligung zum Fortfall der Garantenstellung des Arztes führt275, womit sodann die Tatbestände der §§ 212, 13 StGB bzw. 211, 13 StGB nicht mehr verwirklicht sind. Auch eine Strafbarkeit nach §§ 216, 13 StGB wird gemeinhin unter dem Hinweis abgelehnt, die dort statuierte Einwilligungssperre betreffe nur aktive Einwirkungen von Seiten Dritter, nicht dagegen ein kausales Unterlassen276. Dieser Befund zur Tatbestandslosigkeit des einvernehmlichen Behandlungsverzichts gilt auch für den technischen Behandlungsabbruch durch einen Arzt, welcher überwiegend als Unterlassen qualifiziert wird277. (e) Zwischenergebnis zur strafrechtlichen Bewertung der Konfliktlagen am Lebensende Damit ist festzuhalten, dass es sich bei der passiven Sterbehilfe im Falle einer Einwilligung des Patienten um die einzige Sterbehilfekonstellation handelt, die nicht

271 Schreiber NStZ 1986 S. 341; Dölling MedR 1987 S. 8; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 100; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 27; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 92; Fischer vor § 211 StGB Rn. 19. 272 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 19; Kühl vor § 211 StGB Rn. 8; Holzhauer FamRZ 2006 S. 524; Oduncu MedR 2005 S. 440; Knopp MedR 2003 S. 379; Giesen JZ 1990 S. 936. 273 Kühl vor § 211 StGB Rn. 8; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 27; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 105; Helgerth JR 1995 S. 339; Dölling MedR 1987 S. 8. 274 Rösssner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 20; Stürmer S. 12. 275 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 105; Achenbach JURA 2002 S. 545 f.; Schmitt JZ 1979 S. 466; Stürmer S. 17; Dölling MedR 1987 S. 8; Albers MedR 2009 S. 144. 276 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 28; Neummann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 103; Arzt JR 1986 S. 310 f.; sinngemäß Leonardy DRiZ 1986 S. 285; kritisch zum Begriff der Einwilligungssperre Popp ZStW 2006 S. 647. 277 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 109; Kühl vor § 211 StGB Rn. 8a; zweifelnd zur Unterscheidung von aktivem Tun und Unterlassen BGH NJW 2010 S. 2967.

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den Tatbestand eines Tötungsdeliktes verwirklicht. Die weitere Untersuchung der Strafbarkeit steht noch aus. (3) Ausschluss einer Differenzierung bzw. Relativierung des Schutzes nach Lebensqualität Im Hinblick auf die Leitfrage nach einer möglichen inhaltlichen Relativierung des Lebensschutzes ist klarzustellen, dass es grundsätzlich kein geborenes Leben gibt, dass außerhalb des Schutzbereichs der Tötungsdelikte steht278. Der strafrechtliche Schutz ist dabei weder von der physischen Lebensfähigkeit oder der verbleibenden Lebenserwartung noch vom subjektiven Lebenswillen abhängig. Ebenso verbietet sich eine externe Bewertung anhand sozialer Funktionsfähigkeit oder gesellschaftlicher Wertschätzung279. Dieser Umstand ist Konsequenz der Garantie des Art. 2 II GG, welche eine solche qualitative Bewertung menschlichen Lebens nicht zulässt280. Demzufolge ist festzuhalten, dass der strafrechtliche Lebensschutz am Lebensende einer inhaltlichen Abwertung von dritter Seite nicht zugänglich ist und bis zum Ende seines Anwendungsbereichs die volle und nicht zu relativierende Wirkung entfaltet. (4) (Un-)Verfügbarkeit des Rechtsguts Leben im Strafrecht – zur Bedeutung des Patientenwillens Die tatbestandliche Subsumtion der Sterbehilfekonstellationen hat gezeigt, dass dem Patientenwillen richtungsweisende Bedeutung zukommt. Die Grundlagen und Grenzen dieses Selbstbestimmungsrechts im Hinblick auf die Behandlung am Lebensende werden nachfolgend erarbeitet. (a) Verfassungsrechtliche Grundlagen des Selbstbestimmungsrechts Dass dem Patientenwillen bezüglich seiner Behandlung am Lebensende Bedeutung zukommt, ist auf sein verfassungsrechtlich verbürgtes Selbstbestimmungsrecht zurückzuführen, welches in der oben aufgeworfenen Interessenkollision zu berücksichtigen ist. Die dogmatische Grundlage der Patientenautonomie auf verfassungsrechtlicher Ebene wird hier in Art. 2 I GG erblickt, der ein umfassendes Freiheitsrecht gewährleistet, von dem auch die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers über seinen Körper und sein Leben umfasst wird281. Andere Stimmen stellen stattdessen auf die Menschenwürde aus Art. 1 I GG282, das allgemeine Per278

Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 24. Kühl vor § 211 StGB Rn. 5; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 14. 280 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 14. 281 Ebenso Landau ZRP 2005 S. 51; Uhlenbruck ZRP 1986 S. 214; Hufen S. 223 Rn. 13; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 100; Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 212; tendenziell auch Lindner JZ 2006 S. 37; Otto JURA 1999 S. 438. 282 Kutzer Patientenautonomie S. 23 f.; Hufen ZRP 2003 S. 249; Saliger MedR 2004 S. 237; Holzhauer ZRP 2004 S. 43; Holzhauer FamRZ 2006 S. 519; Schliemann ZRP 2006 279

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sönlichkeitsrecht aus Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG283 oder auf eine negative Komponente des Lebensrechts nach Art. 2 II GG ab284. Teilweise wird auch vertreten, auf eine konkrete Zuordnung komme es nicht an285. Jedenfalls besteht Einigkeit, dass es sich um eine verfassungsrechtlich gewährleistete Position handelt286. (b) Grenzen der Selbstbestimmung Das Leben zählt zu den Individualrechtsgütern. Diese unterfallen grundsätzlich dem soeben herausgearbeiteten Selbstbestimmungsrecht des Inhabers und sind folglich auch einer Preisgabe durch diesen zugänglich. Eine derartige Disposition des Betroffenen rechtfertigt üblicherweise eine Beeinträchtigung durch Dritte287. Dass dem Lebensrecht insoweit eine Sonderstellung zukommt, zeigt die Einwilligungssperre des § 216 StGB288. Trotz ernstlichem Sterbeverlangen des Rechtsgutsinhabers führt die einverständliche Fremdtötung nicht zur Straffreiheit des Dritten, sondern lediglich zu einer Strafmilderung. Nach geltendem Recht steht damit das menschliche Leben nicht zur Disposition seines Trägers. Hier stößt das Selbstbestimmungsrecht an seine Grenzen. Wegen seiner verfassungsrechtlichen Gewährleistung bedarf die Regelung des § 216 StGB der Legitimation289. Forderungen nach ihrer Streichung und damit nach einer Freigabe der einverständlichen Fremdtötung290 werden vor allem vor dem Hintergrund der Nähe zur straffreien Suizidbeteiligung erhoben291. Für die Rechtfertigung der geltenden Rechtslage hinsichtlich § 216 StGB ist nach Erklärungsmodellen zu unterscheiden, die sich an

S. 193; Häberle in: HdStR Band II § 22 Rn. 96; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 1 GG Rn. 36 Stichwort „Sterbehilfe“; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 157; Olzen JR 2009 S. 355. 283 Ingelfinger JZ 2006 S. 829; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 11; tendenziell auch Knopp MedR 2003 S. 384. 284 BVerfGE 52, 171; Ingelfinger JZ 2006 S. 829; Landau ZRP 2005 S. 51; Otto JURA 1999 S. 436; Halliday/Wittek JZ 2002 S. 753; Höfling JuS 2000 S. 114; Pieroth/Schlink Rn. 392; Kunig in: von Münch/Kunig Art. 2 GG Rn. 72 Stichwort. „Selbstbestimmungsrecht des Patienten“; ablehnend Schreiber NStZ 2006 S. 475. 285 So etwa Lindner JZ 2006 S. 376 f.; Knopp MedR 2003 S. 384; Hufen NJW 2001 S. 851. 286 Ablehnend Lüttig ZRP 2008 S. 58. 287 Schneider in: MüKo – StGB § 216 Rn. 2. 288 Eser in: Schönke/Schröder § 216 StGB Rn. 13; Sternberg-Lieben S. 103; kritisch zum Begriff der Einwilligungssperre Popp ZStW 2006 S. 647. 289 Sternberg-Lieben S. 24 spricht von einem mittelbaren Grundrechtseingriff beim Verfügenden; auch Lindner JZ 2006 S. 375, Ingelfinger S. 176 betonen die Begründungsbedürftigkeit dieser Einschränkung. 290 So etwa durch Schmitt in: FS-Maurach S. 118; Hoerster ZRP 1988 S. 4; kritisch auch Kaufmann MedR 1983 S. 124; ausdrücklich gegen eine Streichung Dölling in: FS-Laufs S. 771 ff. 291 Auf die Begründungsbedürftigkeit der unterschiedlichen rechtlichen Bewertung weist Schroeder ZStW 1994 S. 566 f. hin; dazu auch Dölling in: FS-Laufs S. 766 ff.

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Allgemeininteressen orientieren, und nach solchen, welche individuell-paternalistische Motive verfolgen292. Unter Anknüpfung an eine paternalistische Wahrnehmung individueller Interessen des Verfügenden wird unter anderem auf den Schutz der Menschenwürde abgestellt. Der Patient dürfe sich nicht mittels seiner Entscheidung zum Objekt des Handelns eines Dritten machen293. Diesem Standpunkt ist in mehrfacher Hinsicht zu widersprechen. Zunächst wurde im Schrifttum mit Recht darauf hingewiesen, dass gerade die Autonomie des Einzelnen Ausdruck seiner Menschenwürde ist294. Dem entspricht es auch, wenn oben bei der Bewertung der Verletzungshandlung festgestellt wurde, dass eine konsensuale Fremdtötung im medizinischen Kontext gerade keine Beeinträchtigung des Art. 1 I GG darstellt295. Ein anderer Begründungsansatz stellt darauf ab, dass die Entscheidung des Sterbewilligen generell Zweifel an der Freiverantwortlichkeit seines Entschlusses nahelege. Die Abschiebung der Verantwortung über den todbringenden Akt offenbare ein psychisches Defizit des Sterbewillens296. Allerdings erscheint es nicht gerechtfertigt, eine solch pauschale Vermutung aufzustellen, welche im Einzelfall durchaus widerlegbar wäre297. Ähnlich verhält es sich mit der Begründung, § 216 StGB wolle den Verfügenden in Anbetracht der Irreversibilität seiner Entscheidung vor einem übereilten Entschluss bewahren298. Auch hier wäre es konsequent, im Einzelfall, in dem sich der Entschluss als wohl überlegt erweist, zur Straflosigkeit der Tötung auf Verlangen zu kommen299. Zuletzt wird angeführt, die straffreie Möglichkeit einer einvernehmlichen Fremdtötung könne zu einer informellen Drucksituation für den Patienten gegenüber seinem persönlichen Umfeld führen300. Diesem Ansatz wird jedoch entgegengehalten, dass er die unterschiedliche rechtliche Bewertung im Vergleich zur straflosen Anstiftung zum Selbstmord nicht erklären könne. In dieser Konstellation könne es zu einem vergleichbaren Druck kommen, der gleichwohl nicht zur Strafbarkeit der Suizidteilnahme führe301. Zusammenfassend erweisen sich die an Individualinteressen des Verfügenden orientierten Erklärungsansätze für sich genommen als wenig befriedigend. SternbergLieben begründet dies überzeugend mit der Überlegung, dass sich die konsentierte Fremdschädigung aus der Perspektive des Rechtsgutsinhabers als Selbstschädigung 292

Eingehend Ingelfinger S. 169 ff.; vgl. auch Schneider in: MüKo – StGB § 216 Rn. 3 – 8, diese Unterscheidung trifft auch Sternberg-Lieben S. 107 ff. 293 Wilms/Jäger ZRP 1988 S. 44. 294 Sternberg-Lieben S. 109. 295 Ebenso Sternberg-Lieben S. 110; implizit Bade S. 113 unten. 296 Roxin NStZ 1987 S. 348. 297 Schneider in: MüKo – StGB § 216 Rn. 6. 298 Schneider in: MüKo – StGB § 216 Rn. 8; Duttge MedR 2005 S. 708. 299 Diese Konsequenz zieht Jakobs in: FS-Kaufmann S. 470. 300 Geilen Euthanasie und Selbstbestimmung S. 27; Lorenz JZ 2009 S. 66. 301 Schroeder ZStW 1994 S. 569 f.

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durch eine Mittelsperson darstelle und folglich eine Strafbarkeit allein unter Berücksichtigung der Individualinteressen nicht zu legitimieren sei302. Entsprechend gilt das Augenmerk der nachfolgenden Untersuchung überindividuellen Interessen. Auch unter diesem Blickwinkel wird vereinzelt der Schutz der Menschenwürde als Rechtfertigung angeführt303. Noch mehr jedoch, als eine Beeinträchtigung der individuellen Würde abzulehnen ist, gilt dies für überindividuelle Ansätze. Wie sich auf der Schutzbereichsebene des Verfassungsrechts gezeigt hat, widersprechen diese den Grundgedanken des Art. 1 I GG. Eine zweite Überlegung geht dahin, dass die Norm der Tabuisierung einer Antastung fremden Lebens überhaupt diene304. Dem ist zu entgegnen, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Unantastbarkeit der Menschenwürde, nicht jedoch eine solche des menschlichen Lebens, fordern. Die festgestellte Grundrechtseinschränkung bedarf einer konkreten Verortung305. Als ein solcher Beweggrund werden Beweisschwierigkeiten angeführt. Es würden bezüglich des Vorliegens eines ernstlichen Sterbeverlangens Schutzbehauptungen des Täters Tür und Tor geöffnet.306 Diese Ansicht berücksichtigt nicht hinreichend, dass die befürchteten Beweisschwierigkeiten unabhängig davon bestehen, ob man nur eine Strafmilderung oder vollständige Straffreiheit vorsieht. Wenn man also, wie in § 216 StGB geschehen, dem Patientenwillen überhaupt Bedeutung hinsichtlich der Strafbarkeit beimisst, dann zeigt dies, dass mögliche Beweisschwierigkeiten nicht das schlagende Argument in der vorliegenden Diskussion sein können. Ebenfalls weit verbreitet sind die sog. Dammbruchargumente, die von einer rapiden Zunahme der Tötungen im Falle einer Freigabe ausgehen307. Zur Bewertung dieser Dammbruchargumente vor einem rechtsvergleichenden Hintergrund werden vollkommen gegensätzliche Positionen vertreten308. Aussagen, die Praxis etwa in den Niederlanden oder in Belgien habe derartige Befürchtungen widerlegt309, finden sich ebenso wie der Standpunkt, sie hätten sich bewahrheitet310. Mehr Überzeugungskraft birgt das ähnlich gelagerte Argument, § 216 StGB schütze das gesellschaftliche Interesse am Bestand des Tötungsverbots. Vertreter dieser Auffassung sehen die generelle Gefahr einer Erosion des Tötungsverbots. Sie möchten sozusagen bereits jedem Anfang einer Relativierung des grundsätzlich 302

Sternberg-Lieben S. 114. Otto DJT 1986 D 53 f. 304 Eser in: Schönke/Schröder § 216 StGB Rn. 1, 13. 305 Ähnlich Schroeder ZStW 1994 S. 567; Hoerster NJW 1986 S. 1792; Hoerster ZRP 1988 S. 3. 306 Arzt ZStW 1971 S. 36; Eser in: Schönke/Schröder § 216 StGB Rn. 1, 13 spricht von „Missbrauchsgefahr“. 307 Hirsch in: FS-Welzel S. 791; Hirsch in: FS-Lackner S. 613. 308 Kritische Würdigung und Relativierung ihrer Stichhaltigkeit bei Ingelfinger S. 193 ff. 309 Schneider in: MüKo – StGB § 216 Rn. 4. 310 Schroeder ZStW 1994 S. 568; Lorenz JZ 2009 S. 64. 303

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konsentierten Tötungsverbots wehren311. Dass solche generalpräventiven Aspekte zur Beschränkung individueller Selbstbestimmung dem System strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes nicht fremd sind, zeigt die Regelung des § 228 StGB, der eine rechtfertigende Einwilligung ausschließt, sofern die Tat trotz Vorliegens einer Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt312. Auch zur Begründung des § 228 StGB finden sich überindividuelle Positionen, die darauf abstellen, die Norm schütze das Interesse der Gemeinschaft an der Leistungsfähigkeit des Einzelnen für die Erfüllung seiner Aufgaben in der Gemeinschaft313. Diese Begründung verkehrt allerdings die Systematik grundrechtlicher Freiheitsgewährleistung ins Gegenteil. Wie die verfassungsrechtliche Grundlegung ergeben hat, besteht eines der Motive des Grundgesetzes darin, dass der Staat um des Einzelnen willen existiert und gerade nicht umgekehrt. Trotz der unbestrittenen Gemeinschaftsbindung des Individuums vermag allein die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft die Beschränkung individueller Freiheit nicht zu begründen314. In Konsequenz dessen kann auch eine isolierte Betrachtung überindividueller Interessen die Regelung des § 216 StGB nicht legitimieren. Überzeugend und konsequent im Sinne juristischer Methodik erscheint demgegenüber Schroeders Hinweis auf die Motive des Gesetzes315, die auf das allgemeine Sittengesetz abstellen, nach dem es sich beim Leben um ein unveräußerliches Gut handle316. Aus dieser Formulierung zieht er angesichts der Unbestimmtheit des Begriffes Sittengesetz Rückschlüsse auf die verfassungsrechtliche Ebene, wonach das Rechtsgut Leben nach Art. 2 II i.V.m. Art. 1 II GG unveräußerlich und somit unverzichtbar sei317. Dies entspricht im Kern der oben getroffenen Feststellung, dass die Position des Art. 2 II GG nicht zur Verfügung des Inhabers steht, da ein Verzicht auf das Lebensrecht zwangsläufig einen systemwidrigen Totalverzicht darstellt. Insofern ist also die Einwilligungssperre des § 216 StGB durch die Natur des Lebensrechts als vitale Basis jeglicher Freiheitsausübung verfassungsrechtlich vorgegeben. Dies rechtfertigt auch die Beschränkung der in der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG verankerten individuellen Selbstbestimmung. (c) Zur Bestimmung des Patientenwillens Wie die bisherige Untersuchung der Sterbehilfekonstellationen gezeigt hat, kommt dem Patientenwillen für das ärztliche Handeln wie auch für eine mögliche 311

In dieser Richtung Sternberg-Lieben S. 120; Ingelfinger S. 195. Fischer § 228 StGB Rn. 8. 313 Stree in: Schönke/Schröder § 228 StGB Rn. 5. 314 Diesen grundlegenden Hinweis gibt auch Sternberg-Lieben S. 115. 315 Schroeder ZStW 1994 S. 573. 316 Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund vom 14. 02. 1870 nebst Motiven und Anlagen S. 70. 317 Schroeder ZStW 1994 S. 574; ebenso Kühl § 216 StGB Rn. 1; instruktiv zu den beteiligten Interessen auf verfassungsrechtlicher Ebene Lindner JZ 2006 S. 375 ff.; zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen auch Dölling in: FS-Laufs S. 779 f. 312

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Strafbarkeit entscheidende Bedeutung zu. Die Ermittlung und Verbindlichkeit des Patientenwillens beschäftigt Rechtsprechung und Schrifttum mittlerweile seit Jahrzehnten, so dass es nur folgerichtig war, dass es Mitte 2009 zu einer gesetzgeberischen Klarstellung kam318. Im Falle eines aktuell entscheidungs- und äußerungsfähigen Patienten ergeben sich keine Schwierigkeiten. Die freiverantwortliche Entscheidung des Patienten ist für den Arzt verbindlich319. Er kann zwar, wie die Befassung mit § 216 StGB gezeigt hat, nicht in aktiv todbringende Maßnahmen mit rechtfertigender Wirkung einwilligen, aber er kann sich für einen Behandlungsverzicht entscheiden. Eine dennoch erfolgte Behandlung stellt einen nicht konsentierten Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten dar und wäre damit, unabhängig von ihrer Zielrichtung, als Körperverletzung zu bestrafen320. Komplizierter ist demgegenüber die Situation des aktuell nicht mehr entscheidungs- und/oder äußerungsfähigen Patienten. Für diesen Fall hat ein Betreuer oder ein vom Patienten zuvor bestimmter Vorsorgebevollmächtigter (§ 1896 II BGB) den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu ermitteln321. Ein Instrumentarium zur Feststellung ist die sog. Patientenverfügung, die gerade eine gesetzgeberische Regelung als Resultat lang andauernder Diskussion in Rechtsprechung und Wissenschaft erfahren hat. Es handelt sich dabei gemäß § 1901a I BGB um die vorweggenommene schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen hinsichtlich der Untersuchung seiner Gesundheit, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs für den Fall seiner späteren Entscheidungsunfähigkeit. Eine solche erklärt § 1901a I BGB für verbindlich, sofern der Betreuer erkennt, dass die Festlegung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Entscheidungsunfähigen zutrifft. Diese Verbindlichkeit entspricht der zuvor bereits von der Rechtsprechung eingenommenen Haltung322. Hinsichtlich der Prüfung nach §1901a I S.1 BGB sieht §1901b BGB einen Dialog zwischen Arzt und Betreuer vor323. Nach §1901b II BGB sollen auch nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen des Betreuten die Gelegenheit erhalten, sich zur Ermittlung des Patientenwillens zu äußern. Liegt eine dem ärztlich indizierten Eingriff kongruente Patientenverfügung vor, so ist eine Genehmigung des Betreuungsgericht nach §1904 BGB selbst dann nicht erforderlich, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der

318 Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts BGBl I S. 2286; zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens auch Höfling NJW 2009 S. 2849 f. 319 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 28a; Fischer vor § 211 StGB Rn. 19; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 105; Hirsch in: FS-Lackner S. 600. 320 BGHSt 37, 378; Sternberg-Lieben NJW 1985 S. 2734; Lorenz JZ 2009 S. 59 f.; Popp ZStW 2006 S. 642; Schmidt-Recla MedR 2008 S. 182. 321 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 28a. 322 BGHSt 40, 257; Sternberg-Lieben NJW 1985 S. 2737; DAV MedR 2009 S. 277. 323 BT-Drucksache 16 / 13314 S. 20.

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Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden Gesundheitsschaden erleidet324. Sofern eine entsprechende Patientenverfügung fehlt oder nicht der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation entspricht, hat der Betreuer bzw. Vorsorgebevollmächtigte anhand anderer Anhaltspunkte den tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen zu ermitteln. Als solche nennt das Gesetz frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. Hierbei zeigt die Formulierung „insbesondere“, dass es sich um eine nicht abschließende Aufzählung handelt. Auch dies stellt eine Übernahme der zuvor von Rechtsprechung und Wissenschaft erarbeiteten Kriterien dar325. Nur wenn sich konkrete Umstände für die Ermittlung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, soll mit gebotener Zurückhaltung und entsprechend dem Grundsatz in dubio pro vita auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen326. Wie der ebenfalls neu gefasste § 1904 IV BGB regelt, ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung einer bestimmten Maßnahme oder eines Unterlassens dann nicht erforderlich, wenn hinsichtlich des entsprechenden Patientenwillens Einvernehmen zwischen Betreuer und behandelndem Arzt besteht. Nur falls ein solches nicht vorliegt, ist die Genehmigung des Betreuungsgerichts bei Todesgefahr erforderlich. Dies wäre also im vorliegenden Kontext bei lebensverkürzendem Behandlungsverzicht und fehlendem Einvernehmen der Fall. Wie eingangs erwähnt, regelt die Patientenverfügung die Zustimmung zu oder das Untersagen einer Gesundheitsuntersuchung, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs. Für die Sterbehilfethematik betrifft die Patientenverfügung mithin den Behandlungsverzicht, nicht hingegen aktive, todbringende Einwirkungen327. Die dargestellte gesetzliche Neuregelung wurde vom Bundestag am 18. 06. 2009 verabschiedet und trat am 01. 09. 2009 in Kraft328. Wesentliche Neuerung ist die Ersetzung von § 1901a BGB sowie die entsprechende Neufassung des § 1904 BGB. (5) Zwischenergebnis zum strafrechtlichen Lebensschutz am Ende des Lebens Nach allem ist zum strafrechtlichen Lebensschutz am Lebensende Folgendes festzuhalten: Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Wertungen markiert auch auf einfachgesetzlicher Ebene das Hirntodkriterium das Lebensende im rechtlichen 324

Palandt/Diederichsen § 1904 Rn. 4. BGHSt 40, 263; Wunder MedR 2004 S. 319 ff.; DAV MedR 2009 S. 277. 326 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 28a; Helgerth JR 1995 S. 340; Schöch NStZ 1995 S. 155; Witteck KritVJ 2003 S. 175 f.; Beckmann MedR 2009 S. 586; Olzen JR 2009 S. 358. 327 Laufs NJW 1996 S. 763. 328 BGBl I S. 2286 f. 325

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Sinne und stellt damit das Ende des Anwendungsbereichs der Tötungsdelikte des StGB dar. Eine Bewertung der Sterbehilfekonstellationen hat ergeben, dass bei streng tatbestandlicher Subsumtion lediglich der einvernehmliche Behandlungsabbruch bzw. -verzicht straffrei wäre. Eine Relativierung des Lebensschutzes nach Lebensqualität, sozialem Nutzen oder Restlebensdauer findet, ebenfalls im Gleichlauf mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, nicht statt. Für die Behandlung am Lebensende und eine mögliche Strafbarkeit kommt dem Patientenwillen als Ausdruck seiner verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmung entscheidende Bedeutung zu. Dieser findet seine Grenze in der Regelung des § 216 StGB. Die aktuelle gesetzliche Regelung zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und zur Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens unterstreicht die hohe praktische Relevanz des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes. (6) Exkurs: Vergleich mit zivilrechtlichen Regelungen am Lebensende Wie bereits für den Lebensanfang erörtert, liegt auch am Ende des Lebens ein Abgleich mit den zivilrechtlichen Wertungen nahe. Anders als für den Beginn der Rechtsfähigkeit in §1 BGB gibt es zu deren Ende keine gesetzliche Regelung. Dennoch herrscht mit Blick auf den Zweck des Instituts der Rechtsfähigkeit Einigkeit, dass diese mit dem Tod eines Menschen endet. Dieser wird im Einklang mit wissenschaftlicher Erkenntnis und strafrechtlicher Wertung am Gesamthirntod festgemacht329. Über den Tod hinaus erkennt die Rechtsprechung die Fortwirkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch im Zivilrecht an, dessen Verletzung beispielsweise zu Schadensersatzansprüchen der Hinterbliebenen des Betroffenen führen kann330. Deshalb wird mitunter eine postmortale Teilrechtsfähigkeit angenommen, deren Wahrnehmung den nächsten Anverwandten oder denjenigen obliegt, die der Verstorbene zu Lebzeiten dazu berufen hat331. Eine solche postmortale Fortwirkung des Persönlichkeitsschutzes ist dem Strafrecht, wie § 168 StGB zeigt, ebenfalls nicht fremd332. Postmortalen Lebensschutz kann es demgegenüber schon begriffsnotwendig nicht geben333. Demzufolge ergeben sich weder hinsichtlich der Zäsur des Gesamthirntodes noch im Hinblick auf eine postmortale Ausdehnung von Schutzvorschriften Divergenzen zwischen zivil- und strafrechtlichen Wertungen, die einer näheren Begründung bedürften.

329 Sinngemäß bereits Wolf/Naujoks S. 240; ausdrücklich OLG Köln NJW – RR 1992 S. 1480; OLG FFM NJW 1997 S. 3099; BayObLG NJW – RR 1999 S. 1311; Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 21; Palandt/Ellenberger § 1 BGB Rn. 3. 330 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 50 f. 331 Schmitt in: MüKo – BGB § 1 Rn. 55. 332 Lenckner in: Schönke/Schröder vor §§ 166 ff. StGB Rn. 2; Bieler JR 1976 S. 227; Buschmann NJW 1970 S. 2084. 333 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 16.

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b) Rechtswirklichkeit Im Anschluss an die Darstellung der Gesetzeslage bei streng wörtlichem Verständnis soll nun untersucht werden, wie sich deren Durchsetzung in der Praxis gestaltet und wie ihre Konkretisierung bzw. Anwendung durch Literatur und Rechtsprechung geprägt wird. aa) Am Lebensanfang Am Lebensanfang wird dabei nach menschlichem Leben in vivo und demjenigen in vitro unterschieden. Ersteres betrifft die Situation der Schwangerschaft und einige Spezialfälle im Verlauf der Geburt oder unmittelbar danach. Der zweite Punkt betrifft die embryonale Stammzellforschung. (1) Menschliches Leben in vivo (a) Praktische Bedeutung der Beratungsregelung Von insgesamt 114500 registrierten Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr 2008 fielen laut Statistischem Bundesamt über 97 % unter die Beratungsregelung des § 218a I StGB334. Diesen Zahlen stehen 680.000 Lebendgeburten in demselben Zeitraum gegenüber335. Der Regelung des § 218a I StGB kommt damit eine gegenüber § 218a II und III StGB weit überwiegende praktische Bedeutung zu. Demnach kann die Schwangere innerhalb der ersten zwölf Wochen ohne Angabe eines Grundes nach einer Pflichtberatung im Sinne des § 219 StGB in Verbindung mit den Regelungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes336 den Abbruch durch einen Arzt vornehmen lassen. Hierbei dürfen der beratende und der abbrechende Arzt nicht identisch sein und zwischen Beratung und Abbruch müssen drei Tage liegen. Die Beratung ist lebensbejahend, wenn auch ergebnisoffen zu gestalten337. Bei Teilnahme der Schwangeren an der Beratung ist die Erteilung der Bescheinigung darüber obligatorisch, selbst bei bloßer Passivität der Schwangeren, § 7 I SchKG. Eine inhaltliche Kontrolle der Beratung durch die Strafgerichte ist aufgrund der gebotenen Vertraulichkeit nicht möglich. Eine fehlerhafte Beratung führt nicht zur Strafbarkeit, sondern hat allenfalls berufsrechtliche Relevanz338. Rechtsfolge eines Abbruchs nach Maßgabe des § 218a I StGB ist dessen Rechtswidrigkeit bei Straflosigkeit auf dem Wege eines Tatbestandsausschlusses. Nach den Vorgaben des BVerfG wird Nothilfe zugunsten des Kindes nach § 32 StGB trotz Annahme der Rechtswidrigkeit ausgeschlossen339. Daneben hat das Gericht bestimmt, dass Ver334

Statistisches Bundesamt Fachserie 12 Reihe 3. Statistisches Bundesamt Geborene und Gestorbene. 336 Ursprüngliche Fassung vom 27. 07. 1992 (BGBl I S. 1398). Zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. 08. 2009 (BGBl I S. 2990). 337 Gropp in: MüKo – StGB § 218a Rn. 13. 338 Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 6. 339 BVerfGE 88, 279; kritisch dazu Mitsch JR 2006 S. 452. 335

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träge mit dem Arzt oder einem Krankenhaus über den Abbruch wirksam sind340. Schließlich hat die Schwangere für die Zeit eines Abbruchs unter den Voraussetzungen der Beratungsregelung Anspruch auf Sozialhilfe und auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes341. Bei insgesamt über sechs Millionen Straftaten weist die Polizeiliche Kriminalstatistik im Jahr 2008 96 Delikte nach den §§ 218, 218b, 218c, 219a und 219b StGB aus342. Laut der Strafverfolgungsstatistik kam es demgegenüber weder im Jahr 2007 noch 2008 zu einer entsprechenden Verurteilung343. Aus diesen Umständen ziehen einige Stimmen im Schrifttum die Schlussfolgerung, das Regel-Ausnahme Verhältnis der §§ 218 ff. StGB, zwischen grundsätzlicher strafrechtlicher Missbilligung des Schwangerschaftsabruchs und Straffreiheit im Ausnahmefall, werde durch die Bedeutung von § 218a I StGB ins Gegenteil verkehrt344. Merkel führt an, dass die rechtliche Geltung einer Norm ein Mindestmaß an Akzeptanz und Durchsetzungskraft erfordere, und zieht aus der Praxis des Schwangerschaftsabbruchs nach Beratung die Konsequenz, dieser sei in Deutschland entgegen den Ausführungen des BVerfG tatsächlich rechtmäßig345. (b) Indikationsauslegung und -stellung Entsprechend dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut bilden die medizinisch-soziale Indikation des § 218a II StGB sowie die kriminologische Indikation des § 218a III StGB Rechtfertigungsgründe und führen somit im Ergebnis zur Straflosigkeit. Das Statistische Bundesamt unterscheidet nicht nach den beiden Varianten und gibt nur dahingehend Auskunft, dass von den 114500 Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr 2008 weniger als 3 % über die beiden Indikationen gerechtfertigt gewesen seien. Im Schrifttum finden sich Angaben, welche besagen, dass darunter etwa 2,5 % Fälle nach Abs. 2 sowie weniger als 0,5 % nach Abs. 3 seien346. Die kriminologische Indikation hat damit eine äußerst geringe praktische Relevanz. Für sie gilt eine Zwölf-Wochen-Frist. Der Unterschied zur Beratungsregelung des Abs. 1 besteht darin, dass es sich um eine rechtmäßige Tötung handelt im Gegensatz zu einer rechtswidrigen, aber tatbestandslosen Vornahme nach Abbruch im Anschluss an eine 340

BVerfGE 88, 295. BVerfGE 88, 312 ff. 342 PKS 2008 S. 40. 343 Strafverfolgungsstatistik für Deutschland – Verurteilungen nach Deliktsgruppen für die Jahre 2007 und 2008. 344 Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 1 f.; § 218a Rn. 1; Otto JURA 1996 S. 138 f.; Schroeder ZRP 1992 S. 409 f. 345 Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 63; ebenso Jakobs JR 2000 S. 407; Kröger in: LK – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 42 beurteilt die geltende Rechtslage positiv und geht davon aus, dass diese dem Rechtsbewusstsein weiter Teile der Bevölkerung entspricht. Eser in: Schönke/ Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 14 widerspricht Merkel ausdrücklich, aber ohne nähere Begründung. 346 Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 81 und 143. 341

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Beratung347. Die Existenz der kriminologischen Indikation wurde vom BVerfG im zweiten Schwangerschaftsabbruchsurteil 1993 nicht beanstandet348. Auch ist sie heute im juristischen Schrifttum weitestgehend unumstritten, was darauf zurückzuführen ist, dass es sich hier um einen Fall der aufgezwungenen Schwangerschaft handelt und die Schwangere damit ebenso wenig zur Entstehung der Konfliktsituation beigetragen hat wie das ungeborene Kind349. Jedenfalls eine gewisse praktische Relevanz hat dagegen die sog. medizinischsoziale Indikation nach Abs. 2. Diese enthält keine zeitliche Begrenzung, so dass ein gerechtfertigter Abbruch bis zum Einsetzen der Eröffnungswehen möglich ist. Im Übrigen ist dieser Rechtfertigungsgrund äußerst weit gefasst. Neben einer physischen Gefahr für Leben und Gesundheit der Schwangeren, welche aufgrund der modernen medizinischen Versorgung äußerst selten ist, spielen psychische Beeinträchtigungen eine entscheidende Rolle.350 Hierbei ist nicht nur der gegenwärtige Schwangerschaftskonflikt, sondern auch die künftige Situation der Schwangeren mit dem Kind zu berücksichtigen. Aufgrund der weit reichenden Möglichkeiten pränataler Diagnostik, die bereits geringe Schädigungen feststellen kann, bergen die Fälle der früheren embryopathischen Indikation besonderes Konfliktpotential. Der frühere § 218a II Nr. 1 StGB war auf Druck der Behindertenverbände und der Kirchen abgeschafft worden, da die Regelung nach deren Dafürhalten eine Diskriminierung behinderten Lebens darstellte351. Es war aber der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, dass Fälle der embryopathischen Indikation jedenfalls teilweise durch den neuen Abs. 2 aufgefangen werden sollten352. Dabei wird besonders hervorgehoben, dass nicht die Behinderung des Kindes der Grund für den Abbruch sein dürfe, sondern die sich aus der Behinderung ergebenden Folgen für die Schwangere353. Auch hier kommt dem Begriff der Zumutbarkeit entscheidende Bedeutung zu. Problematisch hierbei ist das Fehlen objektiver Faktoren354. Der Begriff der Zumutbarkeit aufgrund psychischer Belastungen ist einzelfallabhängig und stark subjektiviert. Gesellschaftlicher Druck in Gestalt der Erwartung, ein gesundes Kind zu gebären, wirkt hier auf die Schwangere ein355. Eser spricht von einer geringer werdenden Fehlertoleranz356. Kritische Stimmen im Schrifttum warnen vor einem 347

Kröger in: LK – StGB § 218a Rn. 58. BVerfGE 88, 213. 349 Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 46; Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 145. 350 Kröger in: LK – StGB § 218a Rn. 40; Gropp in: MüKo – StGB § 218a Rn. 41; Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 91 spricht von einem Anteil von über 90 % innerhalb der Fälle des § 218a II StGB. 351 Gropp in: MüKo – StGB § 218a Rn. 59. 352 BT-Drucksache 13 / 1850 S. 26. 353 Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 82. 354 Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 94. 355 Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 98. 356 Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 38; Eberbach JR 1989 S. 266. 348

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Automatismus zwischen positivem Befund in pränataler Diagnostik und darauf folgender Abtreibung357. Hinzu kommt, dass die Feststellung des Vorliegens einer Indikation der ärztlichen Erkenntnis unterliegt. Insofern wird dem behandelnden Arzt ein gewisser Einschätzungsspielraum eingeräumt, welcher gerichtlich nur sehr eingeschränkt, auf Vertretbarkeit hin, überprüfbar ist358. Aufgrund dessen werden Befürchtungen geäußert, dass die Diskriminierung behinderten Lebens, welche man eigentlich mit Abschaffung der embryopathischen Indikation verhindern wollte, doch in der täglichen Anwendung stattfindet, sich aufgrund des Fehlens einer zeitlichen Befristung noch ausweitet und es so zur unerwünschten selektiven Abtreibungspraxis kommt359. (c) Sonderproblem der Tötung durch Perforation Eine weitere Konfliktlage, die sich im Kontext der Schwangerschaft und Geburt stellen kann, ist die Tötung des Kindes durch Perforation. Dabei handelt es sich um die Tötung in der Geburt zur Rettung der Mutter360. Dieses Verfahren war früher in Fällen der Geburtsunmöglichkeit weiter verbreitet und war medizinisch entweder durch einen zu großen Kopf des Kindes oder einen zu engen Geburtskanal der Mutter indiziert. Zur Rettung der Mutter wurde der kindliche Kopf geöffnet, um ihn durch Auslaufen des Gehirns zu verkleinern361. Heute kommt dem Verfahren kaum noch praktische Relevanz zu, da regelmäßig auf die Möglichkeit einer für die Mutter ungefährlichen Entbindung durch Kaiserschnitt zurückgegriffen werden kann362. Gleichwohl lässt sich aus der früheren Diskussion der Thematik eine bestimmte Bewertung des Konflikts ableiten. Die juristische Brisanz der Konstellation besteht darin, dass das Kind mit Geburtsbeginn zum Menschen im Sinne des Strafrechts wird363 und sich damit in der Interessenkollision zwei lebende Menschen gegenüberstehen. Eine solche Konstellation ist üblicherweise nicht über Notstandserwägungen aufzulösen, da es am Überwiegen eines der beteiligten Interessen fehlt364. Gleichwohl besteht im Schrifttum weitestgehende Einigkeit, dass dieser Konflikt über den Gedanken des Defensivnotstandes zu Lasten des Kindes aufzulösen ist, dem 357 Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 38; Laufs MedR 1990 S. 231 f.; Laufs NJW 1998 S. 1753 f.; dagegen Gropp in: MüKo – StGB § 218a Rn. 60. 358 Kröger in: LK – StGB § 218a Rn. 47. 359 Tröndle NJW 1995 S. 3015; Beckmann MedR 1998 S. 160; dagegen Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 82 und 95 ff. 360 Ingelfinger S. 120. 361 Zur medizinischen Durchführung der Perforation ausführlich Stoeckels Lehrbuch der Geburtshilfe Teil III S. 1151 ff. 362 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 41; Ingelfinger S. 120. 363 So das herrschende Verständnis zur Abgrenzung der §§ 218 ff. StGB zu den §§ 211 ff. StGB bei Kühl vor § 211 StGB Rn. 3; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 6; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 6; Eser in: Schönke/ Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 13; Jäger ZStW 2003 S. 775. 364 Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder § 34 StGB Rn. 23; Ingelfinger S. 120.

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die Gefährdung von Leib und Leben der Mutter zugerechnet wird365. Seine Tötung in der Geburt wird damit als gerechtfertigt und demzufolge als von der Rechtsordnung gebilligt betrachtet. Dieser Ansatz hat unter Hinweis auf die angesprochene Nichtabwägbarkeit von Leben gegen Leben sowie auf die Unzulässigkeit einer Risikozurechnung zu Lasten des Kindes vereinzelte Kritik erfahren366. Die Kritiker der Rechtfertigungslösung gehen davon aus, dass die Lösung mittels einer übergesetzlichen Entschuldigung zu suchen sei367. Dabei räumen auch sie ein, dass diese Schuldlösung gegenüber einer Rechtfertigung zwar vorzugswürdig sei, im Ergebnis aber ebenfalls unbefriedigend bleibe368. (d) Sonderproblem der sog. Früheuthanasie Ebenfalls ein höchst komplexes und umstrittenes Themengebiet am Lebensanfang bildet die sog. Früheuthanasie. Hierbei geht es um die Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht bei schwer geschädigten oder extrem unreifen Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt369. Von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung ist die Früheuthanasie, weil sie sich zeitlich am Lebensanfang abspielt, es sich aber thematisch um Probleme der Sterbehilfe, also des Lebensendes, handelt. Kurz gesagt fallen damit Wertungsfragen von Lebensanfang und Lebensende zusammen. In der medizinischen Praxis wird jedenfalls das passive Sterbenlassen Neugeborener unter bestimmten Voraussetzungen für statthaft gehalten. Dies ist dann der Fall, wenn dem Kind nur ein Leben mit äußerst schweren Schädigungen zu ermöglichen wäre, für welche keine Besserungschancen bestehen370. Das strafrechtliche Schrifttum teilt diese Einschätzung, wobei jedoch eine dogmatisch konsistente Einordnung problematisch ist. Wenn mitunter darauf verwiesen wird, die Grundsätze der passiven Sterbehilfe seien unmittelbar oder sinngemäß anzuwenden371, so wurde dem die Unfähigkeit des Neugeborenen zur Willensbildung entgegengehalten. Anders als am Lebensende könne es auch für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens noch keine persönlichen Präferenzen des Kindes geben372. Die Eltern seien ebenso wenig befugt, stellvertretend eine Einschätzung zu treffen373. 365 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 41; Zieschang in: LK – StGB § 34 Rn. 74; Roxin in: FS-Jescheck S. 471. 366 Ingelfinger S. 121; Merkel Früheuthanasie S. 610 ff.; Herzberg/Herzberg JZ 2001 S. 1111. 367 Ingelfinger S. 121; Merkel Früheuthanasie S. 615 ff. 368 So Ingelfinger S.121. 369 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 130; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 124 ff. 370 Revidierte Fassung der Einbecker Empfehlungen MedR 1992 S. 206 f. 371 Kühl vor § 211 StGB Rn. 5; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 24. 372 Laber MedR 1990 S. 184 f.; Merkel ZStW 1995 S. 563 f.; dagegen Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 125. 373 Kaufmann JZ 1982 S. 484; Laber MedR 1990 S. 186; zur Einbeziehung der Eltern in den Entscheidungsprozess des Arztes Ulsenheimer MedR 1994 S. 428.

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Folglich finde stets eine objektive und damit externe Bewertung fremden Lebens statt, welche das Verfassungsrecht in Art. 2 II GG gerade ausschließe374. Aus diesem Umstand wird teilweise die Folgerung gezogen, es handle sich bei der Früheuthanasie um gesellschaftsnützliche Eugenik375. Ein anderer Ansatz besteht darin, den Notstandsgedanken des § 34 StGB anzuwenden und dort ausschließlich Interessen des Neugeborenen in die Abwägung einzustellen. Auch die Vertreter dieser Ansicht räumen ein, dass die Bestimmung und Gewichtung dieser Interessen bisher wenig erforscht sei und ohne eine Bewertung von dritter Seite nicht auskomme376. Immerhin wird darauf hingewiesen, dass auch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur passiven Sterbehilfe bei Unmöglichkeit der Ermittlung eines mutmaßlichen Willens den Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen und damit auf objektive Kriterien gebilligt habe377. Trotz vieler ungeklärter Fragen378 kann im Ergebnis die Tendenz festgehalten werden, dass sowohl in der medizinischen Praxis als auch im juristischen Schrifttum Einigkeit hinsichtlich der Zulässigkeit des passiven Sterbenlassens schwerstgeschädigter Neugeborener besteht. Eine aktive, todbringende Einwirkung wird dagegen konsequent angelehnt379. (e) Zwischenergebnis zum Umgang mit dem Leben in vivo am Lebensanfang Die Analyse der medizinischen Praxis sowie der Gesetzesauslegung durch Schrifttum und Rechtsprechung hat ergeben, dass der Tötung des frühen Lebens in vivo eine große praktische Relevanz zukommt. Dabei besteht Einigkeit hinsichtlich einer beachtlichen Zahl von Tötungen unter Billigung der Rechtsordnung, die in dieser Form für die Tötung Erwachsener nicht zu erzielen wäre.

374

Rixen GA 2002 S. 298 f. Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 32a; dagegen Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 124. 376 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 131; Merkel JZ 1996 S. 1152; Merkel Früheuthanasie S. 528 ff. 377 BGHSt 40, 263; entsprechender Hinweis bei Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 131. 378 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 24 betonen, dass angesichts der Komplexität der Situation keine pauschale Lösung möglich und eine Bewertung des Einzelfalls unerlässlich sei. 379 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 24; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 464 (allerdings für die Zulässigkeit aktiv-indirekter Lebensverkürzung); dazu auch Heinemann Frau und Fötus S. 257 f. 375

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(2) Menschliches Leben in vitro (a) Verschiebung der Stichtagsregelung Die Möglichkeit des Stammzellimports nach dem Stammzellgesetz hat eine Forschungsperspektive eröffnet, die das ESchG für eine Entnahme der Stammzellen im Inland gerade umfassend verbietet. Dies hat zur Folge, dass Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland in der Praxis stattfindet. Diese Forschungsperspektive wurde gerade mit der Verschiebung der starren Stichtagsregelung des § 4 II Nr. 1a StammZG auf den 01. 05. 2007380 noch einmal verbessert. Die Gesetzesmaterialien betonen dabei die Einmaligkeit dieses Vorgehens und zeigen auf, dass ein dynamisch nachlaufender Stichtag als Alternative erkannt, aber bewusst nicht gewählt wurde381. (b) Praktizierte Embryonenforschung in Deutschland Auskunft über Inhalt und Umfang der Stammzellforschung in Deutschland gibt der sog. Stammzellbericht, der entsprechend der Regelung des § 15 StammZG durch die Bundesregierung dem Bundestag vorgelegt wird382. Der aktuelle dritte Bericht betrifft den Zeitraum vom 01. 01. 2006 bis zum 31. 12. 2007383. Neben Angaben zu konkreten Forschungsprojekten in Deutschland enthält der Bericht auch solche zum allgemeinen Stand und Fortschritt der Stammzellforschung384. Dort wird unter anderem ausgeführt, dass Anfang 2008 500 humane embryonale Stammzelllinien bekannt waren, von denen etwa die Hälfte wissenschaftlich publiziert wurde385. Seit Einführung des Stammzellgesetzes wurden insgesamt 23 Forschungsprojekte genehmigt, welche durch 16 Forschungsgruppen bearbeitet werden386. In einer Pressemitteilung wird darauf hingewiesen, dass die Konsequenzen der Verschiebung des Stichtages angesichts des Berichtszeitraumes noch nicht erfasst sind und sich deren Auswirkungen folglich erst im anstehenden vierten Stammzellbericht niederschlagen werden387. Der Stammzellbericht unterstreicht die praktische Relevanz der Verfahrensregelungen des Stammzellgesetzes. Demgegenüber kommen die strafrechtlichen Bestimmungen des ESchG wie auch des StammZG offenbar nur äußerst selten zur Anwendung. Im Jahr 2010 hatte der Bundesgerichtshof ein Verfahren auf Grundlage des ESchG zu entscheiden. In diesem ging es allerdings um die Frage der Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik (PID)388. Dieses genannte Verfahren 380 381 382 383 384 385 386 387 388

vgl. BGBl I S. 1708. BT-Drucksache 16 / 7981 S. 3. Dazu auch Brewe S. 245. Dritter Stammzellbericht der Bundesregierung S. 3. Dritter Stammzellbericht der Bundesregierung S. 13 ff. Dritter Stammzellbericht der Bundesregierung S. 13. Dritter Stammzellbericht der Bundesregierung S. 3. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit Nr. 37 vom 06. 05. 2009. BGH NJW 2010 S. 2672 ff.

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ging auf eine Selbstanzeige des Angeklagten zurück, der für diese im juristischen Schrifttum ebenfalls umstrittene Frage Rechtsklarheit erlangen wollte389. (c) Zwischenergebnis zum Umgang mit dem Leben in vitro am Lebensanfang Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass Stammzellforschung in Deutschland eine praktische Rolle spielt. Der zahlenmäßige Umfang ist dabei derzeit noch überschaubar und die laufenden Projekte sind entsprechend dem strengen Verwaltungsverfahren des StammZG detailliert dokumentiert. Zu berücksichtigen ist bei den vorliegenden Zahlen der Umstand, dass vor Verschiebung des Stichtages gerade einmal 21 Stammzelllinien zur Verfügung standen, wohingegen nach dem neuen Stichtag ca. 500 Stammzelllinien bekannt und verfügbar sind390. Dieser Fortschritt in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht legt den Schluss nahe, dass die Zahl der Forschungsprojekte in Zukunft tendenziell zunehmen wird. Demgegenüber ergeben die verschwindend geringe Anzahl von Ermittlungsverfahren und Verurteilungen nach ESchG und StammZG das Bild einer niedrigen praktischen Bedeutung von deren strafrechtlichen Regelungen. bb) Am Lebensende Im Gegensatz zu den einschlägigen Normen des Lebensschutzes am Beginn des Lebens sind die Regelungen am Lebensende sehr überschaubar und eher unspezifisch im Hinblick auf die konkreten Konfliktfälle bei den verschiedenen Varianten der Sterbehilfe. Gleichwohl ist diese Thematik seit Langem Gegenstand intensiver Diskussionen in Rechtsprechung und Literatur, so dass sich hier im Rahmen einer Gesamtschau durchaus eine gewisse Grundtendenz erkennen lässt. (1) Zur Bewertung passiver Sterbehilfe Unter passiver Sterbehilfe werden gemeinhin die Nichtaufnahme oder der Abbruch einer medizinischen Behandlung verstanden, welche eine Lebensverkürzung zur Folge haben391. Ebenfalls in diesem Kontext behandelt wird die Thematik des tätigen Abbruchs durch das Abschalten lebenserhaltender technischer Geräte. Obgleich in der grundsätzlichen Bewertung sowie im Ergebnis ein breiter Konsens besteht, ist der Meinungsstand hinsichtlich passiver Sterbehilfe vergleichsweise schwer zu erfassen, da in Abhängigkeit vom Patientenwillen und von der Todesnähe 389 So die persönliche Auskunft des Angeklagten im Rahmen einer Tagung des Marsiliuskollegs der Universität Heidelberg. 390 Kreß ZRP 2008 S. 53. 391 Dazu BGH NJW 2010 S. 2963 ff., mit Kritik an der Unterscheidung nach aktivem Tun und Unterlassen; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 19; Kühl vor § 211 StGB Rn. 8; Holzhauer FamRZ 2006 S. 524; Oduncu MedR 2005 S. 440; Knopp MedR 2003 S. 379; Giesen JZ 1990 S. 936.

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zahlreiche Konstellationen unterschieden werden. Letztlich ergibt sich folgendes Bild: Wie bereits oben ausgeführt, ist im Falle eines entscheidungsfähigen Patienten dessen Wille für den Arzt verbindlich392. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Sterbeprozess bereits eingesetzt hat oder nicht. Lehnt der Patient die Weiterbehandlung ab, ist das Unterlassen der Weiterbehandlung zwingend geboten und erfüllt damit bereits nicht den Tatbestand einer Tötung durch Unterlassen mangels Garantenstellung des Arztes393. Die identische Bewertung ergibt sich für den tätigen Behandlungsabbruch durch einen Arzt; auch hier fehlt es bereits am Tatbestand einer Tötung394. Davon zu unterscheiden ist der einvernehmliche, tätige Abbruch durch einen Dritten. Als Unterbrechung eines rettenden Kausalverlaufs wäre dieses Handeln eigentlich als aktive Tötung zu begreifen. Sie wird gleichwohl im Kontext passiver Sterbehilfe behandelt. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass das Eingreifen des Dritten über die Notstandsregelung des § 34 StGB gerechtfertigt ist, weil es der Durchsetzung des Patientenwillens diene395. Die vierte Konstellation betrifft den Patienten, bei dem der irreversible Sterbevorgang eingesetzt hat. Unabhängig von seinem Behandlungswillen besteht hier Einigkeit, dass den behandelnden Arzt keine Rechtspflicht trifft, das zu Ende gehende Leben um jeden Preis zu erhalten. Mit Fehlen der entsprechenden Rechtspflicht entfällt folglich auch in diesem Fall bereits der Tatbestand einer Tötung durch Unterlassen396. Des Weiteren wurde oben ebenfalls bereits die Situation des aktuell entscheidungsunfähigen Patienten angesprochen. Sofern dieser im Gegensatz zur vorherigen Variante noch nicht in Todesnähe ist, kommt es für die weitere Behandlung auf den mutmaßlichen Willen an. Zu dessen Bestimmung ist zunächst auf Anhaltspunkte für den individuellen Patientenwillen abzustellen. Nur wenn dieser nicht zu ermitteln ist, kann auf allgemeine Wertvorstellungen zurückgegriffen werden397. Falls eine dieser beiden Möglichkeiten einen gegen eine Weiterbehandlung sprechenden Patientenwillen ergibt, wird das Unterlassen für gerechtfertigt gehalten. Dies wird entweder über das Instrumentarium der mutmaßlichen Einwilligung398 oder über die Notstandsregelung nach § 34 StGB konstruiert399. Auch wenn der 392 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 28a; Fischer vor § 211 StGB Rn. 19; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 105; Beckmann MedR 2009 S. 583. 393 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 105; Achenbach JURA 2002 S. 545 f.; Schmitt JZ 1979 S. 466; Stürmer S. 17. 394 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 109; Kühl vor § 211 StGB Rn. 8a. 395 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 111; BGH NJW 2010 S. 2965 f. stellt auf die Einwilligung ab, unter Zweifeln an der Unterscheidung nach aktivem Tun und Unterlassen. 396 Fischer vor § 211 StGB Rn. 19; Kühl vor § 211 StGB Rn. 8; Roxin in: Blaha/GutjahrLöser/Niebler S. 89; Popp ZStW 2006 S. 644. 397 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 28a; Helgerth JR 1995 S. 340; Schöch NStZ 1995 S. 155; Witteck KritVJ 2003 S. 175 f. 398 So Neumann in: NK – StGB vor § 211 StGB Rn. 116; Fischer vor § 211 StGB Rn. 21. 399 Merkel ZStW 1995 S. 570.

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Gesetzgeber bei der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung, in Anknüpfung an frühere Rechtsprechung400 und Lehre401, darauf hingewiesen hat, dass hierbei der Grundsatz in dubio pro vita zu gelten habe402, finden sich etwa bei Roxin relativierende Ansätze, die darauf hinweisen, der schwer leidende moribunde Patient habe objektiv kein Interesse, in diesem Zustand weiterzuleben, so dass ein dahingehender mutmaßlicher Wille nicht zu ermitteln sei403. Die sechste mögliche Variante bildet derjenige Fall, dass kein mutmaßlicher Wille zu ermitteln ist und der Arzt einen einseitigen Abbruch vornimmt. Zum einen betrifft dies nur Fälle, in denen der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat, da ansonsten ohnehin keine Rechtspflicht des Arztes zur Lebenserhaltung mehr besteht. Daneben dürfte die praktische Relevanz dieser Fälle insbesondere nach der aktuellen Neuregelung zur Bestimmung des Patientenwillens gegen null tendieren. Wenn kein mutmaßlicher Wille zu ermitteln ist, kann demnach auf allgemeine Wertvorstellungen zurückgegriffen werden. Gleichwohl geht etwa Eser in diesen Fällen davon aus, dass eine Rechtfertigung durch eine dem Notstand nach § 34 StGB vergleichbare Pflichtenkollision möglich ist, in deren Rahmen das Schmerzlinderungsinteresse überwiegt404. Damit ist festzuhalten, dass alle bislang angesprochenen Konstellationen passiver Sterbehilfe entweder als tatbestandslos oder gerechtfertigt angesehen werden. Es herrscht damit ein breiter Konsens zur Zulässigkeit passiver Sterbehilfe405. Eine letzte, äußerst brisante Fallgruppe bildet der Behandlungsabbruch bei einem Patienten ohne Todesnähe entgegen dem aktuell oder früher geäußerten Willen. Selbst für diesen Fall gibt es im Schrifttum relativistische Tendenzen. Ein Stichwort hierbei ist das sog. „übermäßige Behandlungsverlangen“406. Auch diejenigen, die einer solchen offensichtlichen Bewertung menschlichen Lebens von Seiten Dritter entschieden eine Absage erteilen407, äußern Zweifel, ob diese Linie angesichts des fortschreitenden demographischen Alterungsprozesses und begrenzter Ressourcen des Gesundheitswesens für die Zukunft durchzuhalten sein wird408. An dieser Stelle wird also mehr oder weniger offen über ein lebensverkürzendes Unterlassen aufgrund einer externen Bewertung menschlichen Lebens anhand von Drittinteressen nachgedacht.

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BGHSt 40, 257; zur Bedeutung des mutmaßlichen Patientenwillens schon BGHSt 32, 379; 37, 376. 401 Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor § 211 ff. StGB Rn. 21. 402 BT-Drucksache 16 / 11493 S. 2. 403 Roxin in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler S. 89; ebenso Neummann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 120; Ankermann MedR 1999 S. 390; Merkel ZStW 1995 S. 573. 404 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 29. 405 Fischer vor § 211 StGB Rn. 23; Dölling MedR 1987 S. 10. 406 Otto Grundkurs § 6 Rn. 33, ebenfalls aufgeworfen bei Otto JURA 1999 S. 439; Verrel JZ 1996 S. 228; Verrel JR 1999 S. 8. 407 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 30. 408 Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 119; Lorenz JZ 2009 S. 59.

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(2) Zur Bewertung aktiv-indirekter Sterbehilfe Auch bei aktiv-indirekter Sterbehilfe ist die primäre Motivation die Schmerzbekämpfung, welche durch Medikamente erfolgt, selbst wenn dadurch der Eintritt des Todes beschleunigt werden kann409. Die Möglichkeit einer hierdurch verursachten Lebensverkürzung wird erkannt und billigend in Kauf genommen, was folglich einem Handeln unter der Vorsatzform des dolus eventualis entspricht410. Als vorsätzliche aktive Fremdtötung, so hat die obige Untersuchung ergeben, ist angesichts der Einwilligungssperre des § 216 StGB bei strenger Gesetzessubsumtion die Zulässigkeit dieses Verfahrens grundsätzlich zu verneinen. Gleichwohl herrscht in der medizinischen Praxis sowie im juristischen Schrifttum und der Rechtsprechung ein weitgehender Konsens hinsichtlich der Zulässigkeit aktiv-indirekter Sterbehilfe und entsprechender Straffreiheit des Handelnden. Dieses Ergebnis wird auf unterschiedlichste Begründungen gestützt411. Mitunter wird aufgrund der Intention der Schmerzlinderung bereits die Tötungsrelevanz verneint und damit der Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB für nicht eröffnet gehalten412. Daneben finden sich Stimmen, die die Lebensverkürzung als sozialadäquat einstufen und folglich ebenfalls den Tatbestand einer Tötung ausschließen413. Auf subjektiver Ebene gibt es Bestrebungen, zur Straflosigkeit über die Verneinung des Tötungsvorsatzes zu gelangen414. Demgegenüber sucht der weit überwiegende Teil des Schrifttums wie auch die Rechtsprechung des BGH die Lösung auf der Ebene der Rechtfertigung. Dort wiederum wird unterschieden nach der Notstandsabwägung des § 34 StGB415, einer Kombination aus Notstandserwägungen und einer für sich genommen nicht ausreichenden Einwilligung des Betroffenen416, der Figur einer rechtfertigenden Pflichtenkollision417 oder derjenigen des erlaubten Risikos418. Zuletzt wird auch ein Strafausschluss auf der Schuldebene vertreten, indem eine entschuldigende Pflichtenkollision angenommen wird419. 409 Schreiber NStZ 1986 S. 340; Dölling MedR 1987 S. 7; Rössner/Wenkel in: Dölling/ Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 18; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 26; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; Fischer vor § 211 StGB Rn. 18; Kindhäuser S. 60 Rn. 2; Ingelfinger JZ 2006 S. 824. 410 Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 95; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 26 Schreiber NStZ 2006 S. 474; Leonardy DRiZ 1986 S. 286. 411 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 26; Kutzer NStZ 1994 S. 115; Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung NJW 1998 S. 3407. 412 Helgerth JR 1976 S. 45 f. 413 Herzberg NJW 1996 S. 3048 f. 414 Bockelmann S. 70 f. 415 BGHSt 42, 305 mit Besprechung Dölling JR 1998 S. 160 ff.; Kutzer NStZ 1994 S. 115; Schreiber NStZ 1986 S. 340 f.; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor § 211 ff. Rn. 103; Olzen JR 2009 S. 355. 416 Dölling MedR 1987 S. 7; Dölling in: FS-Gössel S. 212; zustimmend Oduncu S. 45. 417 Leonardy DRiZ 1986 S. 286 f. 418 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 26. 419 Schwalm BayÄbl 1975 S. 566.

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Bei einer Analyse des Meinungsstandes entsteht zunächst der Eindruck, dass dem Patientenwillen, abgesehen von der Kombination aus rechtfertigendem Notstand und Einwilligung, deutlich weniger Bedeutung beigemessen wird als noch zuvor bei der Legitimation passiver Sterbehilfe. Jedenfalls finden sich diesbezüglich merklich weniger differenzierte Beiträge. Dennoch betont unter anderem der BGH, der eine Rechtfertigung nach § 34 StGB präferiert, dass von der Zulässigkeit nur auszugehen sei, wenn die Entscheidung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht420. Im Ergebnis praktiziert der BGH damit ebenfalls die genannte Kombinationslösung421. Im Schrifttum ist es unter anderem Roxin, der explizit eine Strafbarkeit bei aktiv-indirekter Sterbehilfe entgegen dem Patientenwillen hervorhebt. Auch er nimmt allerdings eine gemilderte Strafbarkeit wegen Tötung in einem minderschweren Fall nach §§ 212, 213 StGB an422. Nach allem besteht also, vorbehaltlich der Ansicht zur Auflösung auf der Schuldebene, Einigkeit im Bezug auf die Zulässigkeit aktiv-indirekter Sterbehilfe bei dahingehendem, ausdrücklichen oder mutmaßlichen Patientenwillen. Bei einem Handeln entgegen dem Willen des Betroffenen bleibt es hingegen bei einer grundlegenden Strafbarkeit, wobei eine Milderung nach § 213 StGB erwogen wird. (3) Zur Bewertung aktiv-direkter Sterbehilfe Die letzte relevante Fallgruppe bildet die aktiv-direkte Sterbehilfe. Hierunter ist die gezielte Tötung eines anderen Menschen zur Verhinderung von Schmerzen im natürlichen Sterbeprozess zu verstehen423. Auch zu ihrer Bewertung wird danach unterschieden, ob es sich um eine einvernehmliche Fremdtötung, also eine solche auf Verlangen des Leidenden, oder eine Tötung ohne dessen Willen handelt. Letztere Fälle werden unter dem Stichwort der Mitleidstötung behandelt. Eine Freigabe, auch im Falle eines ausdrücklichen Sterbeverlangens wie etwa in den Niederlanden424 oder in Belgien425, steht derzeit in Deutschland nicht ernsthaft zur Debatte. Gleichwohl gibt es, wie schon bei der Befassung mit § 216 StGB gezeigt, vereinzelte Stimmen, die eine Abschaffung der Einwilligungssperre fordern und sich damit jedenfalls de lege ferenda für eine Freigabe der einvernehmlichen Fremdtötung aussprechen426. Noch weiter geht Jakobs, der davon ausgeht, dass bereits de lege lata bei einem 420

BGHSt 42, 301. So auch Dölling MedR 1987 S. 7; Dölling in: FS-Gössel S. 212. 422 Roxin in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler S. 87; ebenso die Bedeutung des Patientenwillens betonend Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 96 und 99. 423 Schreiber NStZ 1986 S. 339; Dölling MedR 1987 S. 8; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 127; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 17; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7; Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; Fischer vor § 211 StGB Rn. 17; Kindhäuser S. 60 Rn. 1. 424 Zur dortigen Rechtlage Janssen ZRP 2001 S. 179 ff. 425 Zur dortigen Rechtslage Khorrami MedR 2003 S. 19 ff. 426 So etwa Schmitt in: FS-Maurach S. 118; Hoerster ZRP 1988 S. 4; Kaufmann MedR 1983 S. 124. 421

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ernstlichen Todeswunsch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten überwiege und damit der Tatbestand eines Tötungsdelikts nicht verwirklicht sei427. Dem treten allerdings Rechtsprechung und große Teile des Schrifttums entgegen428. Gleichwohl findet eine gewisse Relativierung bereits auf der Tatbestandsebene dadurch statt, dass der BGH davon ausgeht, bei einer Mitleidstötung könne das Mordmerkmal der Heimtücke entfallen, so dass es jedenfalls nicht zu einer Strafbarkeit nach § 211 StGB kommt429. Eine Gruppe von Autoren neigt dagegen dazu, in Extremsituationen eine Rechtfertigung über die Notstandsregelung des § 34 StGB anzunehmen430. Das Interesse des Patienten an Schmerzfreiheit überwiege dabei sein Interesse an einem kurzen Weiterleben unter großem Leiden. Zur Wertigkeit des Rechtsguts Leben führen diese Autoren an, dass es bei der Notstandsabwägung nicht um Rechtsgüter, sondern um Interessen gehe431. Wieder andere Stimmen wollen für bestimmte Extremfälle einen übergesetzlichen Schuldausschließungsgrund annehmen und den handelnden Dritten so straffrei stellen432. Konkret dürfte es hier um die Situation schwer leidender Moribunder gehen, die zu einem Selbstmord physisch nicht mehr in der Lage sind und bei denen medikamentöse Schmerzlinderung nicht möglich ist. Weitere Ansätze zur Abfederung der hohen Strafandrohung der Tötungsdelikte finden sich auf der Rechtsfolgenseite. So herrscht Einigkeit, dass ein Handeln aus Mitleid zur Annahme eines sonstigen minderschweren Falles des Totschlags nach § 213 StGB führen kann433. Namentlich Roxin erwägt einen Schuldspruch unter Strafverzicht434. Dölling hält de lege ferenda eine Erweiterung des § 60 StGB, der ein Absehen von Strafe vorsieht, für eine denkbare Lösung der fraglichen Extremfälle435. Eine strafprozessuale Entsprechung findet § 60 StGB in § 153b StPO. Dieser bestimmt, dass im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 StGB bereits die Staatsanwaltschaft von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen kann. 427

Jakobs in: FS-Kaufmann S. 470; Jakobs Tötung auf Verlangen S. 31. Ebenso für die Unzulässigkeit aktiver Sterbehilfe Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung NJW 1998 S. 3406. 429 BGHSt 37, 376; zustimmende Besprechungen Langer JR 1993 S. 136 ff.; Roxin NStZ 1992 S. 35 f. 430 Analyse durch Ingelfinger S. 244 ff.; siehe auch Herzberg NJW 1986 S. 1639 f.; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 127; dieser Position ebenfalls zugeneigt Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; ablehnenend z. B. Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/ Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 17; Kühl vor § 211 StGB Rn. 7. 431 Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 127; Merkel ZStW 1995 S. 572. 432 Hirsch in: FS-Lackner S. 610; von Dellinghausen S. 349; ohne nähere dogmatische Zuordnung erwägt Kutzer MedR 2001 S. 78 die Straflosigkeit aktiv-direkter Sterbehilfe in „seltenen Ausnahmesituationen“. 433 Roxin in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler S. 91; Fischer § 213 StGB Rn. 13; Eser in: Schönke/Schröder § 213 StGB Rn. 14; BGHSt 27, 299. 434 Roxin in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler S. 93 f. 435 Dölling MedR 1987 S. 12; für die Anwendbarkeit von § 60 StGB auch bei vorsätzlichen Tötungsdelikten BGHSt 27, 298. 428

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es zwar Bestrebungen gibt, auch aktive Fremdtötungen im Sterbehilfekontext zu rechtfertigen und diesen somit die Billigung durch die Rechtsordnung zuzusprechen. Gleichwohl sucht der weit überwiegende Teil des Schrifttums die Auflösung dieser individuellen Grenzsituationen auf der Ebene der Schuld oder der Strafzumessung. Trotz der vorherrschenden Präferenz für eine Aufrechterhaltung des Verbots der Fremdtötung ist auch zu beachten, dass man von einem großen Dunkelfeld diesbezüglich ausgeht, das insbesondere aus der schwierigen Abgrenzung zur für straffrei gehaltenen aktiv-indirekten Sterbehilfe resultiert436. c) Divergenz zwischen geschriebenem Recht und Rechtswirklichkeit Angesichts der bei konsequenter Subsumtion strengen gesetzlichen Regelungen erscheint es durchaus überraschend, dass die Praxis sowie die Auslegung durch Rechtsprechung und Wissenschaft ein ganz anderes Bild der Situation des menschlichen Lebens an dessen Beginn und Ende zeichnet. Diese augenscheinliche Divergenz führt zu der Frage, ob tatsächlich eine Abstufung des Lebensschutzes an den Grenzbereichen stattfindet und, daran anschließend, wie eine solche mögliche Relativierung gegebenenfalls mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 1 I GG und Art. 2 II GG zu vereinbaren ist. Im Zuge dessen soll erneut ein Abgleich zwischen den Wertungen am Beginn und am Ende des Lebens vorgenommen werden. aa) Vorliegen einer tatsächlichen Relativierung des strafrechtlichen Lebensschutzes (1) Am Lebensanfang Am Lebensanfang kommt man sowohl im Bezug auf die Stammzellforschung als auch auf den Schwangerschaftsabbruch und die sich im Zuge der Schwangerschaft ergebenden Konfliktlagen nicht umhin festzustellen, dass dort tatsächlich eine Abstufung des Lebensschutzes erfolgt. Die Stichtagsregelung des StammZG wird zum Einfallstor für die Forschungsperspektive, die das ESchG gerade umfassend verbietet. Das Verbot der Stammzellentnahme im Inland bei gleichzeitigem Rückgriff auf ausländische Ressourcen sieht sich aus diesem Grund dem Vorwurf der Doppelmoral ausgesetzt437. Auch die Diskussion um die mittlerweile erfolgte Verschiebung des Stichtages offenbart den Zwiespalt zwischen Forschungsperspektive und internationalem Wettbewerb einerseits sowie dem effektiven Embryonenschutz andererseits438.

436

Fischer vor § 211 StGB Rn. 17a. Dazu Brewe S. 51; Taupitz in: FS-Hausheer S. 734 f. 438 Zu dieser Diskussion Kreß ZRP 2006 S. 219 ff.; Kreß ZRP 2008 S. 53 f.; Taupitz JZ 2007 S. 113 ff. 437

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

Noch deutlicher wird die Relativierung angesichts der Situation der Schwangerschaft. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche liegt alljährlich konstant über 100.000 Eingriffen439. Zwar wird der weit überwiegende Anteil davon als rechtswidrig gekennzeichnet. Dieser Umstand vermag aber nichts am Vorliegen von über 100.000 Tötungen jährlich zu ändern; hinzukommt, dass diese im Ergebnis ebenso straffrei bleiben wie die Abtreibung nach den beiden speziellen Rechtfertigungsgründen des § 218a II und III StGB. Ebenfalls zu berücksichtigen sind die Spezialfälle einer gerechtfertigten Tötung durch Perforation440 sowie die Annahme eines gerechtfertigten Sterbenlassens schwergeschädigter Neugeborener bei Früheuthanasie441. Im Vergleich zu den eingangs dargestellten engen und weniger alltäglichen Ausnahmen der gerechtfertigten Tötung eines erwachsenen Menschen tritt am Lebensanfang eine deutliche Häufung dieser Fälle auf. Hinzukommt, dass es sich in den Fällen der Tötung in Notwehr, im Krieg oder durch den polizeilichen Rettungsschuss jeweils um Konstellationen handelt, in denen vom Getöteten ein Angriff ausgeht. Dieser wird also für sein bewusstes Handeln verantwortlich gemacht. Dies ist bei den behandelten Konfliktsituationen am Lebensanfang gerade nicht der Fall. Damit ergibt sich folgender Befund: Es werden am Lebensanfang Abstufungen des Lebensschutzes gemacht, die im Falle eines erwachsenen Menschen nicht denkbar wären. Ob diese Abstufungen in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Prämissen legitim sind und ob sich Rückwirkungen auf die beteiligten Rechtsgüter ergeben, gilt es im Anschluss zu klären. (2) Am Lebensende Am Lebensende ist die Lücke zwischen geschriebenem Recht und Rechtspraxis noch größer. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Tötungsdelikte der §§ 211 ff. StGB abgesehen von § 216 StGB nicht spezifisch auf die Situation der Sterbehilfe zugeschnitten sind. Die dargestellten Fallgruppen und auch ihre Bewertung gehen ausschließlich auf eine Ausarbeitung durch Rechtsprechung und Literatur zurück442. Dies hat eine deutliche Zurückdrängung der Tötungstatbestände in der praktischen Durchsetzung zur Folge. Tabuisiert wird ausschließlich die aktivdirekte Fremdtötung. Selbst bei dieser wird jedoch eingeräumt, dass die Übergänge zur als zulässig betrachteten aktiv-indirekten Sterbehilfe fließend und das Dunkelfeld dementsprechend hoch seien. Darüber hinaus wird auch für die unstreitigen Fälle einer aktiv-direkten Fremdtötung und selbst bei Fehlen eines Tötungsverlangens des Leidenden ein Bestreben erkennbar, zur Straflosigkeit oder zu einer milderen Be439

Vgl. Angaben des Statistischen Bundesamtes, das jährlich eine Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen veröffentlicht. 440 Dazu Ingelfinger S. 120 f. 441 Dazu Kaufmann JZ 1982 S. 481 ff.; Laber MedR 1990 S. 182 ff.; Merkel Früheuthanasie 2001. 442 Bobbert/Riedel Jahrbuch für Recht und Ethik 2008 S. 485.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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strafung zu gelangen. Ansatzpunkte sind hier entweder die Schuld oder die Rechtsfolgenebene. Damit ergibt sich auch am Lebensende das Bild einer Relativierung des Lebensschutzes, die über die Ausnahmen der Tötung eines erwachsenen und gesunden Menschen hinausgeht. (3) Vergleich der beiden Grenzbereiche Lebensanfang und Lebensende Bei einem Vergleich der Situation an den beiden Grenzbereichen ergibt sich Folgendes: Am Lebensanfang findet sich sowohl im Bezug auf die Stammzellforschung als auch auf den Schwangerschaftsabbruch ein sehr differenziertes Regelungssystem, das zunächst einmal weitgehende Verbote statuiert. Von diesen grundsätzlichen Verboten werden dann im Zuge eines vielschichtigen und speziell auf die Konfliktlagen zugeschnittenen Regelungssystems verschiedene Ausnahmen gemacht. Für diese Ausnahmen finden sich im Stammzellgesetz und im Schwangerschaftskonfliktgesetz exakt normierte Verfahren. Diese Ausnahmen stehen also unter einer strengen Überwachung. Anders verhält es sich am Lebensende. Die Tötungsdelikte sind sehr allgemein gehalten und vorbehaltlich des § 216 StGB gerade nicht speziell auf das Problem der Sterbehilfe abgestimmt. Dementsprechend ergibt sich ein weiter Auslegungsspielraum in der Anwendung, der im Ergebnis zu einer weitgehenden Zurückdrängung der Tötungsdelikte in der praktischen Durchsetzung führt. Gleichwohl sind die Fallgruppen und ihre Bewertung über einen längeren Zeitraum ausgearbeitet worden und sind sie heute weitestgehend konsentiert. (4) Schlussfolgerung An den beiden Grenzbereichen menschlicher Existenz kommt es zu einer Vielzahl von Tötungen, die entweder unmittelbar unter Billigung der Rechtsordnung stehen oder jedenfalls im Ergebnis straflos bleiben bzw. hinter dem möglichen Strafmaß einer Tötung zurückbleiben. Dies führt zu dem Schluss, dass am Lebensanfang und am Lebensende Abstufungen des Lebensschutzes gemacht werden. Von einem absoluten Lebensschutz kann insofern nicht die Rede sein. Es schließt sich die Analyse der Vereinbarkeit dieser Befunde mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 1 I GG und Art. 2 II GG an. Im Zuge dessen wird eine mögliche Auswirkung auf die beteiligten Rechtsgüter ebenso untersucht wie ein eventueller einfachgesetzlicher Reformbedarf.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

bb) Vereinbarkeit der Befunde mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben (1) Bewertungsmaßstab Wie sich auf der Ebene des Verfassungsrechts ergeben hat, obliegt dem Staat sowohl für die Menschenwürde aus Art. 1 I GG443 als auch für das menschliche Leben nach Art. 2 II GG444 eine Schutzpflicht. Gefordert ist in erster Linie der Gesetzgeber, dieser Schutzpflicht durch das Instrumentarium der Gesetzgebung gerecht zu werden. Nachdem nun die Gesetzeslage und deren praktische Anwendung dargestellt wurden, gilt es zu klären, ob der Staat damit seinem Schutzauftrag gerecht wird. Hierbei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Zunächst handelt es sich beim menschlichen Leben trotz seiner hohen Wertigkeit um ein relatives Gut, wie der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 II 3 GG zeigt445. Demgegenüber ist die Menschenwürde absolut gewährleistet und nach der hier vertretenen Auffassung einer Abwägung nicht zugänglich. Die gesetzlichen Regelungen bzw. deren Durchsetzung sind Ausdruck einer situationsbezogenen Auflösung der aufgezeigten Interessenkonflikte446. Bei deren Bewertung kommt dem Gesetzgeber ein gewisser Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu447. Dabei ist das Strafrecht nur ein mögliches Mittel des Rechtsgüterschutzes448. Entscheidend ist nicht die Schärfe einer Regelung, sondern deren Effektivität449. Folglich sind die gesetzlichen Regelungen an beiden Enden des Lebens in ihrer Gesamtheit zu betrachten und ist zu fragen, ob sie ein wirksames Gesamtsystem ergeben. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum bewegt sich dabei zwischen dem Untermaßverbot einerseits und dem Übermaßverbot andererseits450. Beide Beschränkungen sind Ausdruck des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes451. Während sich das Untermaßverbot auf das zu schützende Gut bezieht und damit die Schutzpflichtdimension der Grundrechte 443 BVerfGE 1, 104; Höfling in: Sachs Art. 1 GG Rn. 38; Antoni in: Hömig Art. 1 GG Rn. 8; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 1 GG Rn. 15; Leibholz/Rinck Art. 1 GG Rn. 9; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 14; Badura S. 119 Rn. 32. 444 BVerfGE 7, 205; 39, 42; 53, 57; 56, 73, 78 f.; 77, 214 f., 229, 403; 79, 201 f.; 85, 212 f.; 92, 46; 96, 64; 97, 347; BVerfG NVwZ 1997 S. 158; NVwZ 1999 S. 541. 445 BVerfGE 88, 253 f. 446 Hermes S. 199 ff. 447 BVerfGE 46, 164; 56, 80 ff.; 79, 202; 85, 212; Starck in: von Mangoldt/Klein Art. 2 II GG Rn. 209, 214; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 92; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 2 GG Rn. 50; Di Fabio in: Maunz/Dürig Art. 2 II GG Rn. 41; Steiner S. 31. 448 Roxin AT I S. 41 Rn. 89. 449 Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 33; Pieroth/Schlink Rn. 409; Krey AT I Rn. 28. 450 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 333; Hain DVBL 1993 S. 982 ff.; Hermes/Walther NJW 1993 S. 2339; Denninger in: FS-Mahrenholz S. 561 ff.; Isensee in: Höffe/Honnefelder/Isensee/Kirchhof S. 51. 451 Wiedemann in: Umbach/Clemens Art. 2 II GG Rn. 342; Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 86; Starck JZ 1993 S. 817; Starck Verfassungsauslegung S. 88 f.; Hermes S. 253.

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betrifft, geht es beim Übermaßverbot um die Rechtsgüter, die bei Umsetzung der Schutzpflicht beeinträchtigt werden. Letzteres betrifft also die Abwehrdimension der Grundrechte. Eine Überprüfung des status quo muss sich letztlich auf die Einhaltung dieses Rahmens beschränken. Es geht also um eine Einschätzung der Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Entscheidungen452. (2) Situation am Lebensanfang Am Lebensanfang steht eine Vielzahl von Details zur Bewertung. Diese werden nachfolgend entsprechend der Entwicklung menschlichen Lebens abgearbeitet. (a) Anwendungsbereich des ESchG Den Anwendungsbereich des ESchG legt die Begriffsbestimmung in § 8 I ESchG fest. Wenn hier in der ersten Alternative der Embryo im Sinne des Gesetzes als die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an definiert wird, so steht diese Festlegung im Einklang mit dem hier vertretenen Verständnis zum Beginn von Würde- und Lebensschutz nach dem Grundgesetz. Dem wird in einer zweiten Alternative jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle gleichgestellt, die sich zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Ob es sich hierbei um schutzwürdiges menschliches Leben im Sinne der Art. 1 I GG und Art. 2 II GG handelt, wird im Schrifttum unterschiedlich bewertet. Während ein Teil der Autoren den Schutzbereich beider Grundrechte auch im Falle totipotenter Zellen als eröffnet betrachtet453, gehen andere davon aus, der Gesetzgeber gehe mit der zweiten Alternative des § 8 I ESchG über das durch seinen Schutzauftrag für Leben und Menschenwürde gebotene Schutzniveau hinaus454. Wenn auch die gegebene Entwicklungsperspektive für eine Anwendung der beiden Gewährleistungen spricht455, kann doch im Ergebnis eine Entscheidung dahinstehen. Auch diejenigen, die totipotente Zellen nicht als schutzwürdiges menschliches Leben betrachten, gehen davon aus, dass die Anwendung des ESchG zwar einerseits verfassungsrechtlich nicht zwingend vorgegeben, aber andererseits vor diesem Hintergrund auch nicht zu beanstanden sei456. Damit besteht im Ergebnis Einigkeit, dass auch die zweite Alternative des § 8 I ESchG mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Widerstreit von Lebensschutz und Menschenwürde auf der einen Seite und der Forschungsfreiheit aus Art. 5 III GG auf der anderen Seite im Einklang steht. 452

BVerfGE 46, 160; 49, 89; 50, 332 f.; 56, 71, 80.ff.; 77, 214 f.; 79, 201 f.; 85, 212 f.; 88, 251 ff.; 92, 46; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 GG Rn. 50; Kunig in: von Münch/ Kunig Art. 2 GG Rn. 56; Faßbender MedR 2003 S. 282. 453 Kloepfer JZ 2002 S.421; Faßbender MedR 2003 S. 281. 454 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 71. 455 So auch Kloepfer JZ 2002 S. 421; Faßbender MedR 2003 S. 281. 456 Dreier ZRP 2002 S. 382; Dreier JZ 2007 S. 270.

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Ebenso ist es umgekehrt nicht zu beanstanden, dass die Stammzellen selbst nicht dem Anwendungsbereich des ESchG unterfallen. Diese haben ihre Totipotenz bereits verloren und sind damit nur noch pluripotent. Mangels der entsprechenden Entwicklungsperspektive hin zu einem Individuum besteht insoweit auf verfassungsrechtlicher Ebene ein Konsens, dass es sich bei pluripotenten Zellen nicht um schutzwürdiges Leben im Sinne der Art. 1 I GG und Art. 2 II GG handelt457. (b) Verbot der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken § 1 I Nr. 2 ESchG verbietet die gezielte Herstellung von Embryonen zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Hierunter fällt auch die Erzeugung zur späteren Stammzellentnahme. Die Vorschrift sieht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Wie oben aufgezeigt wurde, kollidieren bei diesem Verfahren das Lebensrecht und die Menschenwürde des betroffenen Embryos mit der Forschungsfreiheit und dem staatlichen Schutzauftrag für Leben und Gesundheit potentiell Begünstigter. Das Abwägungsergebnis zwischen Lebensrecht und Forschungsfreiheit sowie künftigem Lebens- und Gesundheitsschutz kann hier dahinstehen. Die Menschenwürde ist absolut gewährleistet und einer Interessenabwägung nicht zugänglich. Die festgestellte Beeinträchtigung bedeutet zugleich eine nicht zu rechtfertigende Verletzung. Damit stellt das strafrechtliche Verbot eine legitime Einschränkung des Art. 5 III GG dar. Mit der Regelung des § 1 I Nr. 2 ESchG wird der Gesetzgeber seinem Auftrag zum Schutz der Menschenwürde gerecht. (c) Verbot der Verwendung von überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken Ferner bedroht § 2 ESchG die Verwendung sog. überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken ebenfalls mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe. Die verfassungsrechtliche Untersuchung des Eingriffs hat ergeben, dass die widerstreitenden Interessen hier die gleichen sind wie bei einer gezielten Herstellung zu Forschungszwecken. Während eine Beeinträchtigung des Lebensrechts außer Frage steht, wird die Menschenwürderelevanz des fraglichen Verfahrens von vielen Autoren bestritten458. Gleichwohl hat die obige Analyse ergeben, dass Art. 1 I GG hier durch die fremdnützige Verwendung menschlichen Lebens betroffen ist. Als interessanter Ansatz erwies sich die Überlegung Dederers, es komme mit Unmöglichkeit der Implantation zu einem Zweckfortfall, so dass eine Verletzung der Menschenwürde ausscheide459. Allerdings läuft dieser Gedanke auf die Annahme eines zwecklosen menschlichen Lebens hinaus, das seine Menschenwürde verloren hat. Diese Prämisse ist mit dem hier vertretenen Würdeverständnis nicht zu vereinbaren, so dass nicht von einem Zweckfortfall, sondern von einer Zweckänderung 457 458 459

Faßbender MedR 2003 S. 281; Classen DVBL 2002 S. 141. Hofmann JZ 1986 S. 258; Hufen JZ 2004 S. 318; Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 99. Dederer AöR 2002 S. 24; ähnlich Starck JZ 2002 S. 1072.

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auszugehen ist, dahingehend nach natürlichem Verlauf abzusterben. Infolgedessen kann auch hier die Abwägung des Lebensrechts dahinstehen. Die Beeinträchtigung der Menschenwürde ist nicht zu legitimieren und rechtfertigt somit die gesetzliche Einschränkung von Art. 5 III GG und Art. 2 II GG. Die weitreichenden Verbote des ESchG lassen sich im Vergleich mit den noch zu bewertenden Konfliktlagen damit begründen, dass dem Lebensrecht des Embryos ausschließlich fremde Interessen gegenüberstehen (interpersonaler Interessenkonflikt). Aus dieser Tötung zugunsten von Drittinteressen ergibt sich zusätzlich der Menschenwürdebezug, der die strikten Verbote erforderlich macht. (d) Geringe praktische Relevanz der Strafvorschriften des ESchG Fraglich ist, welche Konsequenzen die aufgezeigte geringe praktische Relevanz der Strafvorschriften des ESchG für die Einschätzung eines effektiven Lebensschutzkonzepts hat. Hierzu ist anzumerken, dass das Strafrecht nicht ausschließlich ein repressives bzw. reaktives Instrumentarium gegenüber abweichendem Verhalten ist, sondern durch die Existenz von Strafnormen bereits präventiv Wirkung entfaltet460. Die geringe Anzahl von Ermittlungs- und Hauptverfahren kann damit als Beleg für eine große Akzeptanz bzw. eine hohe Abschreckungswirkung des Verbots interpretiert werden. Eine andere Deutung könnte dahin gehen, dass ein hohes Dunkelfeld besteht und eine effektive Aufklärung durch die Strafverfolgungsbehörden nicht stattfindet461. Die tatsächliche Ursache der geringen Fallzahlen kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht ergründet werden. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann jedoch nicht von einer geringen Akzeptanz der Vorschriften ausgegangen und auf einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf geschlossen werden. Die bislang niedrige praktische Relevanz der Strafvorschriften des ESchG steht damit der Verfassungsmäßigkeit des Schutzkonzepts nicht entgegen. (e) Reformbedarf bezüglich der Regelungen des ESchG Wenngleich die obige Bewertung ergeben hat, dass das ESchG in seiner Grundausrichtung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist, so hat doch die inhaltliche Befassung im Detail gezeigt, dass das Alter der Regelungen, welche aus dem Jahr 1991 stammen, zu Anwendungsschwierigkeiten und Unklarheiten bei der Auslegung führt. Sowohl das aus den Schutzpflichten für Menschenwürde und Leben abzuleitende Beobachtungs- und Aktualisierungsgebot als auch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG erfordern insofern eine gesetzge-

460 Zu den Strafzwecken Dölling in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass S. 16 ff.; Streng S. 5 ff.; Meier S. 15 ff. 461 Zu Grundlagen und Problemen der Dunkelfeldforschung Eisenberg S. 128 ff.; Göppinger S. 489 ff. Zur beschränkten Aussagekraft statistischer Fallzahlen Eisenberg S. 147 ff.; Göppinger S. 482 ff.

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berische Klarstellung462. Für die vorliegend untersuchten Komplexe betrifft dies konkret folgende Punkte: Ihrem Wortlaut nach geht die Embryonendefinition des § 8 I ESchG von einer geschlechtlichen Vermehrung aus. Wenngleich hier vor allem im Zusammenspiel mit der Regelung des § 6 ESchG gezeigt wurde, dass es sich dabei um eine nicht abschließende Definition handelt, so sollte doch vor dem Hintergrund neuer Verfahren wie dem Zellkerntransfer, der eine ungeschlechtliche „Zeugung“ ermöglicht, eine gesetzgeberische Klarstellung hinsichtlich der Embryonendefinition getroffen werden. Dies gebietet bereits Art. 103 II GG463. Angesichts des Streits um die Einordnung des therapeutischen Klonens ist auch die Regelung des § 6 ESchG reformbedürftig. Hier ging es in erster Linie darum, ob das Verfahren des Zellkerntransfers vom Klonierungsverbot erfasst wird, da nach Ansicht einiger Stimmen im Schrifttum ein Unterschied zwischen gleicher und identischer Erbinformation besteht464. Die letzten hier angeklungenen Unklarheiten betreffen das Schicksal überzähliger Embryonen. Der korrekte Umgang mit diesem real existierenden Phänomen bedarf der Regelung. Eine Verwendung zu Forschungszwecken wird bereits de lege lata durch § 2 I ESchG verboten. Die weitere Analyse hat ergeben, dass das bloße Abtöten als solches nicht von § 2 I ESchG erfasst ist. Allerdings war dieses Resultat weder evident noch ist es unbestritten. Dies verdeutlicht etwa Günthers differenzierter Ansatz, der auf die fehlende Unterlassensstrafbarkeit abstellt465. Auch in diesem Bereich wäre mithin eine legislatorische Klarstellung hinsichtlich des korrekten Umgangs wünschenswert, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu erreichen466. In Anbetracht der raschen naturwissenschaftlichen Fortschritte ist auch künftig nicht auszuschließen, dass sich weiterer Reformbedarf ergeben wird. Staatliche Schutzpflichten wandeln sich nach einfachgesetzlicher Ausgestaltung in eine Überwachungspflicht467. Gerade auf dem Feld der modernen Naturwissenschaften ist eine letztverbindliche Regelung angesichts der Komplexität und Entwicklungsoffenheit der Thematik kaum zu erreichen, so dass gerade dieser Überwachungs- und Nachbesserungskomponente der staatlichen Schutzpflichten besondere Relevanz zukommt.

462

Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 68. Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 68; Günther in: GS-Keller S. 39. 464 Hilgendorf in: FS-Maurer S. 1160; Keller in: FS-Lenckner S. 486 ff.; kritisch Schroth JZ 2002 S. 172, der die Unterscheidung als spitzfindig bezeichnet. 465 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser § 2 ESchG Rn. 37. 466 Günther in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 76 ff. 467 BVerfGE 88, 269; Goerlich S. 74. 463

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(f) Zulässiger Stammzellimport nach dem StammZG Die Stammzellen selbst unterfallen ausweislich der Begriffsbestimmung des § 8 I ESchG nicht dessen Anwendungsbereich. Demnach wäre ein Stammzellimport nach dem ESchG zulässig, auch zu Forschungszwecken468. Diesen verbietet sodann § 4 I StammZG grundsätzlich. § 4 II StammZG sieht Ausnahmen von diesem Grundsatz vor und unterstellt diese einem strengen und detailliert geregelten Verwaltungsverfahren, welches § 6 StammZG näher umschreibt. In diesem Falle hat die Stammzellentnahme bereits im Ausland, nach dortigen Recht zulässig, stattgefunden. Mangels einer postmortalen Wirkung des Art. 2 II GG spielt das Lebensgrundrecht insofern keine unmittelbare Rolle469. Die verfassungsrechtliche Diskussion um den Stammzellimport beruht auf zwei Leitlinien, die allerdings beide nicht konsequent zu Ende gedacht werden. Nach der hier vertretenen Auffassung stellt die Tötung zu Forschungszwecken eine Beeinträchtigung der Menschenwürde dar. Dies gilt auch im Falle des Verbrauchs sog. überzähliger Embryonen, auf deren Stammzellen der Import nach dem StammZG beschränkt ist. Von dieser Prämisse ausgehend kreist die Befassung im Schrifttum um den Auslandsbezug von Art. 1 I GG oder um dessen postmortale Wirksamkeit470. Bei einer genaueren Betrachtung erweist sich diese letztgenannte Subsumtion unter die postmortale Wirkung als nicht korrekt. Zum Vergleich: Einer Leiche kommt postmortaler Würdeschutz zu471. Wenn man diese nun nach Eintritt des Todes in einer bloßstellenden Weise zur Schau stellt, so liegt darin eine Beeinträchtigung der postmortalen Menschenwürde. Anders verhält es sich beim Stammzellimport. Der Würdeverstoß erfolgt im Ausland durch die Tötung für Forschungszwecke. Die entnommenen Stammzellen selbst sind nicht Träger der postmortalen Würde472. Allein ihre Verwendung in Deutschland stellt keinen erneuten Menschenwürdeverstoß dar.473 Stattdessen geht es allein um die Frage, ob der Würdeverstoß durch die Tötung des Embryos im Ausland fortwirkt und damit jeden weiteren Umgang mit den Stammzellen ausschließt. Dies entspricht dem Gedanken der aus dem Strafprozessrecht bekannten fruit of the poisonous tree Doktrin474. Unabhängig davon, ob man die unmittelbare Auslandsgeltung der Menschenwürde bejaht, deren postmortale Relevanz annimmt oder möglicherweise über eine Fernwirkung des Würdeverstoßes nachdenkt, ergibt sich dasselbe Folgeproblem: Wenn man Art. 1 I GG in seiner praktischen Anwendung ernst nimmt, dann lässt sich selbst eine kontrollierte Freigabe des Imports nicht rechtfertigen. Diese beruht in jedem Fall auf einer Re468

Kloepfer JZ 2002 S. 423; Faßbender MedR 2003 S. 280. Kloepfer JZ 2002 S. 426. 470 So etwa bei Kloepfer JZ 2002 S. 427. 471 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 73; Dürig AöR 1956 S. 126; Podlech in: AK – GG Art. 1 I GG Rn. 49, 59; Maurer DÖV 1980 S. 10. 472 Schwarz MedR 2003 S. 163; Faßbender MedR 2003 S. 281. 473 Classen DÖV 2009 S. 696. 474 Dazu Hellmann Rn. 484; Volk § 28 Rn. 43; Kühne Rn. 912; Beulke Rn. 482. 469

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lativierung des Menschenwürdesatzes, unabhängig davon wie diese dogmatisch konstruiert wird. In diesem Falle würde der zulässige Import einen Kompromiss darstellen, wie man ihn bei einer absoluten Gewährleistung wie derjenigen des Art. 1 I GG nicht eingehen sollte. Es würde sich um einen primär pragmatisch ausgerichteten Ansatz handeln, in welchem der Zwiespalt zwischen Würdeschutz und internationaler Entwicklung bzw. Forschungsperspektive andererseits zum Ausdruck kommt475. Die Regelung ließe sich auch so interpretieren, dass man eine reale Entwicklung, die man nicht verhindern kann, jedenfalls kontrollieren möchte. Einem solchen Ansatz wäre unter Umständen das Lebensrecht, nicht jedoch die Menschenwürde zugänglich. Konsequenz wäre die Verfassungswidrigkeit des Stammzellgesetzes wegen einer unzureichenden Erfüllung der Schutzpflicht zugunsten der menschlichen Würde476. Die alternative Interpretation geht dahin, dass man Auslandsbezug, postmortale Wirkung oder Fernwirkung der Menschenwürde verneint. Dementsprechend wären weder Lebensrecht noch Menschenwürde unmittelbar betroffen. So ist offenbar Classen zu interpretieren, wenn er ausführt, das Importverbot sei verfassungsrechtlich nicht zwingend, vielmehr sei der Gesetzgeber diesbezüglich frei477. Ein solcher Ansatz würdigt den zugrundeliegenden Interessenkonflikt nur unzureichend. Denn sowohl das grundsätzliche Verbot als auch die Kontrolle eines zulässigen Imports stellen einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Forschungsfreiheit dar. Mangels entgegenstehender Rechtsgüter fiele diese Rechtfertigung schwer und ihr Nachweis wurde soweit ersichtlich bislang nicht erbracht. Konsequenz dieser Interpretation wäre folglich genau das gegenteilige Ergebnis, nämlich die Verfassungswidrigkeit des Stammzellgesetzes wegen eines nicht gerechtfertigten Verstoßes gegen Art. 5 III GG478. Mithin ist zunächst zu klären, welche der beiden grundlegenden Herangehensweisen überzeugen kann, um anschließend zu untersuchen, welche Konsequenzen sich daraus für die Regelungen des StammZG ergeben. Die Ablehnung der postmortalen Wirkrichtung des Art. 1 I GG wurde oben bereits begründet. Richtigerweise stellt sich die Frage nach der Fernwirkung eines möglicherweise in der Entnahme liegenden Menschenwürdeverstoßes. Dieser wiederum hängt ab von Geltung bzw. Reichweite des Art. 1 I GG, so dass man im Ergebnis zur Frage der Auslandswirkung der Grundrechte kommt. Die Regelung des Art. 1 III GG, welche besagt, dass die Grundrechte alle staatliche Gewalt als un475

So geht Kloepfer davon aus, dass der nachwirkende Schutz des Art. 1 I GG nicht ausreicht, um die Beschränkung des Art. 5 III GG vorzunehmen. Er stellt damit die (postmortale) Würde in eine Abwägung mit der Forschungsfreiheit ein und gibt Letzterer den Vorzug; ähnlich über die abgeschwächte Wirkung der Menschenwürde aufgrund des Auslandsbezuges Herdegen JZ 2001 S. 776. 476 Erstaunlicherweise zieht diese Konsequenz auf rechtlicher Ebene niemand. Eine Abstufung durch Abwägung der Menschenwürde wird hingenommen. 477 Classen DVBL 2002 S. 147; ebenso Herdegen JZ 2001 S. 776. 478 Diese Konsequenz zieht Schwarz MedR 2003 S. 158.

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mittelbar geltendes Recht binden, wird nahezu ausnahmslos so interpretiert, dass damit mangels einer weitergehenden Verpflichtungsbefugnis nur die inländische Staatsgewalt gemeint ist479. Entsprechende Einschätzungen finden sich zum räumlichen Geltungsbereich des Art. 1 I GG480. Auch eine in Ausnahmefällen mögliche Zurechnung des Handelns zur deutschen Staatsgewalt481 erscheint im Falle des Stammzellimports nicht möglich, da die Gewinnung durch die Stichtagsregelung gerade nicht auf Nachfrage erfolgt. Allerdings betrifft diese Festlegung zunächst nur die Abwehrdimension der Grundrechte. Bei der Schutzpflichtdimension geht es ja gerade um eine Verpflichtung der inländischen Staatsgewalt zum positiven Tätigwerden. Der Wortlaut des Art. 1 III GG steht demzufolge der Regelung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts nicht entgegen. Die Frage, ob ein solcher die Schutzpflicht des deutschen Gesetzgebers aktivieren kann, ist bislang nicht näher bearbeitet worden. Gleichwohl erscheint eine solche Annahme problematisch. Dieser läge nämlich ein Unwerturteil zugrunde, welches besagt, dass im Ausland nach deutschem Verfassungsrecht ein Menschenwürdeverstoß begangen worden sei, obwohl die fragliche Handlung nach dem nationalen Recht auf legalem Wege erfolgte. An dieser Stelle ist jedoch die Souveränität des betreffenden Staates zu respektieren482. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nationales Verfassungsrecht das Resultat individueller Verfassungsgeschichte und -entwicklung ist. Insofern steht es dem deutschen Gesetzgeber nicht zu, einen entsprechenden Auslandssachverhalt abweichend zu bewerten und ihn mit einem eigenen Unwerturteil zu versehen. Eine Aktivierung der staatlichen Schutzpflicht zugunsten der Menschenwürde bei zulässiger Stammzellentnahme im Ausland ist deshalb abzulehnen483. Ob sich aus ethischer Perspektive möglicherweise eine andere Beurteilung ergibt, wie dies im verbreiteten Vorwurf der Doppelmoral angesichts der Verbote des ESchG und dem zulässigen Stammzellimport nach dem StammZG484 anklingt, vermag die vorliegende juristische Untersuchung nicht einzuschätzen485. Bei einer rein rechtlichen Betrachtung ist die unmittelbare Würderelevanz des Stammzellimports zu verneinen. Der eingangs als zweites dargestellten Grundlinie ist damit der Vorzug zu geben. Es schließt sich die Problematik an, ob und wie eine Beschränkung der Forschungsfreiheit gleichwohl zu rechtfertigen ist. Diese lässt sich nur wie folgt erklären: ESchG und StammZG sind nicht isoliert zu betrachten, sondern als ein Gesamtkonzept von Lebens- und Würdeschutz. Das StammZG bildet eine flankie479

Dreier in: Dreier Art. 1 III GG Rn. 44; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 43; Pieroth/Schlink Rn. 201. 480 Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 135; a.A. Brugger S. 18 f. und S. 41 f. 481 Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 1 GG Rn. 43; BVerfGE 66, 60. 482 In diesem Sinne auch Schwarz MedR 2003 S. 163; Faßbender MedR 2003 S. 282 f. 483 Classen DVBL 2002 S. 147; Kloepfer JZ 2002 S. 426 f.; Herdegen JZ 2001 S. 776; der Ansatz eines globalen Lebensschutzkonzepts findet sich bei Lücke MedR 2002 S. 432 ff. Eine grenzüberschrittende Geltung der Menschenwürde lehnt allerdings auch er auf S. 434 ab. 484 Dazu Brewe S. 51; Taupitz in: FS-Hausheer S. 734 f. 485 Dies gibt auch Faßbender MedR 2003 S. 282 zu bedenken.

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rende Maßnahme zum ESchG und soll dort bestehende Schutzdefizite kompensieren. Es erscheint jedenfalls im Zuge des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums vertretbar, von einem Zusammenhang zwischen der Akzeptanz der Verbote nach dem ESchG und einer möglichen Forschungsperspektive nach dem StammZG auszugehen. Dementsprechend stellt das StammZG den Versuch dar, den Verboten des ESchG mehr Akzeptanz und damit mehr Effektivität zu verleihen. Bei einer solchen Betrachtung von EschG und StammZG als Gesamtkonzept, das sich im Rahmen des legislativen Gestaltungsspielraums bewegt, erscheinen die Beeinträchtigungen der Forschungsfreiheit gerechtfertigt, die sich aus dem grundsätzlichen Verbot und dem strengen Verwaltungsverfahren bei zulässigem Import ergeben. Bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung wird die Tendenz einer detaillierten Regelung des zugrundeliegenden Verwaltungsverfahrens sowie zum Erreichen einer erhöhten Sichtbarkeit der fraglichen Vorgänge deutlich. Der Gesetzgeber hat also die Absicht, diese Grenzsituationen und äußerst umstrittenen Wertungen am Lebensanfang offen zu legen und möglichst intensiv zu begleiten. Nach allem stellen die Regelungen des StammZG zum grundsätzlichen Verbot sowie zur beschränkten ausnahmsweisen Zulässigkeit eines Stammzellimports zu Forschungszwecken eine vertretbare Zuordnung der widerstreitenden verfassungsrechtlich verbürgten Interessen dar und genügen damit dem staatlichen Schutzauftrag zugunsten von Menschenwürde und Lebensrecht ebenso wie der Verpflichtung zur Respektierung der Forschungsfreiheit aus Art. 5 III GG in ihrem abwehrrechtlichen Gehalt486. (g) Stichtagsregelung des StammZG Der Zweck der Stichtagsregelung in § 4 II Nr. 1a StammZG besteht ausweislich des § 1 Nr. 2 StammZG in der Verhinderung einer Stammzellgewinnung im Ausland auf deutsche Bestellung hin. In der Fassung vom 21. 08. 2008 wurde eine einmalige Verschiebung dieses starren Stichtags auf den 01. 05. 2007 vorgenommen487. Taupitz weist darauf hin, dass das Gewicht der Forschungsfreiheit in der zugrunde liegenden Interessenabwägung zunimmt, je weiter dieser Stichtag in der Vergangenheit liegt. Unter Umständen könne die Stichtagsregelung verbotsgleiche Wirkung haben und so zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Forschungsfreiheit führen488. Aus diesem Grund schlagen Taupitz und einige andere Autoren die Einführung eines flexiblen, nachlaufenden Stichtags vor, mit welchem der Schutzzweck ebenso gut zu erreichen sei489. In Anbetracht des zugrunde liegenden Interessenkonflikts ist davon auszugehen, dass sowohl ein aktueller, starrer Stichtag als auch eine gleitende, nachlaufende 486

Im Ergebnis ebenso Faßbender MedR 2003 S. 283. BGBl I S. 1708. 488 Taupitz JZ 2007 S. 116 f. 489 Kreß ZRP 2008 S. 54; Kreß ZRP 2006 S. 222; Taupitz JZ 2007 S. 117; gegen einen starren Stichtag auch Faltus MedR 2008 S. 549. 487

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Regelung vom gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum bei Zuordnung der beteiligten Positionen gedeckt sind. Entgegen der zitierten Bewertung im Schrifttum hat auch die gegebenenfalls mehrmalige Verschiebung eines starren Stichtags ihre Vorzüge. Während die nachlaufende Regelung in erster Linie eine bequeme Lösung darstellt, wäre damit zugleich auch die Thematik aus dem Fokus der Aufmerksamkeit genommen. Im Gegensatz dazu hätte eine mehrmalige Aktualisierung eines starren Stichtages den Vorteil, dass die Problematik präsent bliebe und immer wieder Gegenstand einer aktuellen Bewertung wäre. Diese Überlegung wurzelt primär in der gesetzgeberischen Überwachungspflicht hinsichtlich bestehender Regelungen und dem daraus abzuleitenden Aktualisierungsgebot490. (h) Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB Zum Einsetzen des strafrechtlichen Lebensschutzes ergeben sich zwei Problemfelder, die im juristischen Schrifttum diskutiert werden. Dies ist zum einen die Divergenz zwischen dem Schutzniveau in vitro und in vivo. Daneben ist das Fehlen strafrechtlichen Schutzes in der pränidativen Phase begründungsbedürftig. Befürworter der Stammzellforschung weisen immer wieder darauf hin, es stelle einen Wertungswiderspruch dar, dass das ESchG weitgehende Verbote statuiere, wohingegen zugunsten des Lebens in vivo bis zur Nidation völlig auf Schutz verzichtet werde bzw. eine Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ohne weitere Begründung nach einfacher Beratung möglich sei491. Bei näherer Betrachtung der beteiligten Interessen lässt sich dieser vermeintliche Widerspruch allerdings plausibel begründen. Bei Darstellung der einfachgesetzlichen Rechtslage hat sich ergeben, dass das ESchG und die §§ 218 ff. StGB unterschiedliche Schutzgegenstände haben. Während das ESchG primär dem Menschenwürdeschutz dient, geht es in den Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch unmittelbar um den Lebensschutz492. Zudem sind die beteiligten Interessen unterschiedlich. Wie bereits ausgeführt, kollidieren mit dem Lebensrecht des Embryos bei Embryonenforschung ausschließlich Drittinteressen (interpersonaler Konflikt). In der Schwangerschaft ergibt sich dagegen eine Besonderheit aus deren medizinischbiologischer Situation. Zwar stehen sich auch hier Interessen von Kind und Mutter gegenüber, so dass man ebenfalls von einem interpersonalen Konflikt sprechen kann. Überlagert wird diese Polarisierung der Interessen jedoch von der spezifischen Verbindung der Beteiligten durch die Situation der Schwangerschaft („Zweiheit in Einheit“493). Diese Umstände rechtfertigen es durchaus, an die Embryonen490

BVerfGE 88, 269; Goerlich S. 74. Diesen Widerspruch sprechen Dreier ZRP 2002 S. 379 ff. insb. S. 382; Sendler NJW 2001 S. 2148 ff.; Kaiser in: Günther/Taupitz/Kaiser Einführung Rn. 27 an. 492 In diesem Sinne auch Classen DVBL 2002 S. 145. 493 BVerfGE 88, 253; aufgegriffen u. a. bei Dreier JZ 2007 S. 268; Satzger JURA 2008 S. 427. 491

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forschung einen strengeren Maßstab anzulegen als an den Schwangerschaftsabbruch. Ob die Regelungen der §§ 218 ff. StGB im Einzelnen dem Verfassungsauftrag zum Schutz des ungeborenen Lebens gerecht werden, ist im Anschluss zu klären. Einen grundsätzlichen Wertungswiderspruch zu den Regelungen des ESchG stellen sie in jedem Fall nicht dar. Ferner bedarf das Fehlen strafrechtlichen Schutzes bis zur Nidation der Begründung. Die pränidative Phase wird durch § 218 I 2 StGB per definitionem vom Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB ausgenommen. Abgesehen von der Regelung des § 2 I ESchG, welcher die Entnahme vor Einnistung zu einem nicht der Erhaltung dienenden Zweck unter Strafe stellt, herrscht damit für das Leben in vivo bis zur Nidation kein strafrechtlicher Schutz. Dieser Umstand ist vor der Annahme der Grundrechtsträgerschaft nach Art. 2 II GG schwerer zu erklären, als dies im Schrifttum allgemein angenommen wird494. Dort geht die Akzeptanz des § 218 I 2 StGB ohne großes Problembewusstsein einher mit der Annahme der Rechtsgutsqualität und auch der Grundrechtsträgerschaft nach Art. 2 II GG ab Befruchtung495. Zunächst wird darauf hingewiesen, die Situation in vitro und in vivo sei grundsätzlich verschieden496. Dabei geht es wohl in erster Linie darum, dass der Embryo in vitro einem erhöhten Zugriff ausgesetzt sei. Dem ist zwar im Ansatz zuzustimmen, und die zusätzliche Menschenwürderelevanz des Forschungskontexts rechtfertigt eine abweichende Bewertung der beiden Situationen. Allerdings rechtfertigt sie für sich genommen noch nicht den absoluten Verzicht auf irgendeinen Schutz gegenüber pränidativen Einwirkungen, welche nach hier vertretener Auffassung die Tötung menschlichen Lebens darstellen. Darüber hinaus wird versucht, das Fehlen strafrechtlichen Schutzes auf die Begriffe der Strafwürdigkeit, Strafbedürftigkeit und Straftauglichkeit zurückzuführen497. So geht etwa Eser davon aus, die Anerkennung der Schutzwürdigkeit vor Nidation habe nicht zwingend die Verfassungswidrigkeit eines strafrechtlichen Schutzverzichts zur Folge, da es über die Strafwürdigkeit einer Handlung hinaus auch auf die Strafbedürftigkeit und Straftauglichkeit ankomme498. Der Ansatz, in der pränidativen Phase würde ohnehin der Großteil der befruchteten Eizellen noch absterben, wurde bereits auf der Ebene des Verfassungsrechts mit dem Hinweis abgelehnt, dass das Walten der Natur nicht mit einem menschlichen Eingriff gleichgesetzt werden kann. Als ein weiteres Argument ist der Hinweis auf vermeintliche Beweisschwierigkeiten bei Durchsetzung eines strafrechtlichen Verbotes gebräuchlich499. Dem wird 494

S. 15. 495

Zweifel klingen an bei Merkel in: NK – StGB § 218 Rn. 14; ebenso Hirsch MedR 1987

So ausdrücklich Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 10. Gropp in: MüKo – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 39. 497 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 10; zustimmend Gropp in: MüKo – StGB vor §§ 218 ff. Rn. 39. 498 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 10, 35. 499 Hirsch MedR 1987 S. 14. 496

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jedoch meines Erachtens überzeugend entgegengehalten, dass ein einfaches Vertriebsverbot für nidationshemmende Mittel dem Konzept eines effektiven Lebensschutzes besser gerecht würde als ein völliger Verzicht500. Dieser ist also vor den verfassungsrechtlichen Vorgaben durchaus kritisch zu betrachten. Der entscheidende Unterschied gegenüber der Situation in vitro besteht einmal mehr in der unmittelbaren Beteiligung der Mutter. Anders als bei der Stammzellforschung stehen dem Embryo nicht nur externe Beteiligte gegenüber. Der Selbstbestimmung der Frau kommt im Falle pränidativer Einwirkungen in vivo entscheidendes Gewicht zu. Die Regelung des § 218 I 2 StGB lässt sich nur wie folgt interpretieren und legitimieren: Die Frau, die eine pränidative Einwirkung vornimmt, trifft eine bewusste Entscheidung gegen die Schwangerschaft. Das Leben mit einem Kind ist keine Option für sie. Konsequenz eines Verbots der pränidativen Einwirkung wäre mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine spätere Abtreibung nach Beratung i.S.d. § 218a I StGB. Um der Frau die physischen und psychischen Folgen eines solchen Schwangerschaftsabbruchs zu ersparen, stellt der Gesetzgeber es ihr frei, ihre bewusste Entscheidung gegen eine Schwangerschaft schon zu einem früheren Zeitpunkt umzusetzen. Um in der gebräuchlichen Terminologie zu bleiben, fehlt es damit tatsächlich an der Straftauglichkeit, da ein strafrechtliches Verbot nach Einschätzung des Gesetzgebers nicht zur Geburt eines lebenden Kindes, sondern zu dessen Abtreibung nach Nidation führen würde. Damit ist abermals die begrenzte Wirkung einer abstrakten Strafandrohung für den effektiven Lebensschutz angesprochen. Der Tatbestandsausschluss nach § 218 I 2 StGB ist somit Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Frau und dient zusätzlich deren Gesundheit nach Art. 2 II GG. Dass Selbstbestimmung und Gesundheit einerseits das Lebensrecht andererseits überwiegen, ist eine Feststellung, die bei einem interpersonalen Konflikt, wie er bei kollidierenden Interessen Erwachsener vorkommt, nicht statthaft wäre. In Anbetracht der biologischen Ausnahmesituation zwischen Mutter und Kind hält sie sich jedoch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums hinsichtlich Zuordnung der beteiligten Interessen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass das Lebensrecht des Ungeborenen in der Schutzpflichtdimension betroffen ist, während eine Verhaltensvorgabe an die Frau deren Grundrechte in der abwehrrechtlichen Dimension beeinträchtigen würde. Vor dem Hintergrund des Einschätzungsspielraums bei Erfüllung der Schutzpflicht und des Übermaßverbots hinsichtlich der Grundrechte der Frau ist es vertretbar, Selbstbestimmung und Gesundheit den Vorrang einzuräumen. Nur in diesem Sinne lässt sich die Regelung vor den verfassungsrechtlichen Vorgaben rechtfertigen. (i) Beratungsregelung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen, § 218a I StGB Wie die Angaben des statistischen Bundesamtes zeigen, macht die Beratungsregel des § 218a I StGB den weit überwiegenden Teil der Schwangerschaftsabbrüche aus. 500

Dreier ZRP 2002 S. 379.

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Nach ihr werden jährlich mehr als 100.000 Eingriffe innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen vorgenommen. Da das Vorliegen eines bestimmten Grundes in diesem Zeitraum nicht erforderlich ist, stehen sich im Extremfall allein die Entscheidungsfreiheit der Frau sowie das Lebensrecht des Ungeborenen gegenüber. Aus der weitgehenden Zurücknahme einer Strafandrohung kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber dem Selbstbestimmungsrecht ausnahmslos den Vorrang einräumt. Wie auch das BVerfG anerkennt, steht es dem Gesetzgeber frei, auf ein anderes Schutzkonzept als das des Strafrechts zurückzugreifen501. Unter Berücksichtigung der Sondersituation der Schwangerschaft erscheint es vertretbar anzunehmen, dass für diese Fälle die Wirkung abstrakter Strafandrohung an ihre Grenzen stößt. Die befürchtete Konsequenz wäre, dass die Frau nicht auf den Abbruch verzichtet, sofern er ihr gesetzlich untersagt wird, sondern ihn im Stillen und unter unprofessionellen, auch für sie selbst lebensgefährlichen Umständen vornimmt oder vornehmen lässt. Aus diesem Grund betont das BVerfG, dass ein Dialog mit der Schwangeren unerlässlich und mit dieser gemeinsam eine Lösung zu finden ist502. Die Pflichtberatung ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung lebensbejahend auszurichten und der Schwangeren sind Perspektiven im Falle der Entscheidung für das Kind aufzuzeigen. Der Ablauf der Beratung ist im SchKG detailliert ausgestaltet und die gesetzlichen Regelungen sind darauf angelegt, die Frau mit ihrem Schwangerschaftskonflikt in ein unterstützendes Umfeld zu führen und sie insoweit nicht allein zu lassen. Die hohe Zahl der jährlichen Abtreibungen legt gleichwohl die Frage nach der Effektivität des lebensbejahenden Beratungskonzepts nahe. Dem ist allerdings zu entgegnen, dass es nach dem Stand derzeitiger Erkenntnis an effektiven Alternativen fehlt. Eine Beratung und Unterstützung der Frau, die dieser Möglichkeiten des Lebens mit dem Kind aufzeigt, birgt jedenfalls potentiell die Möglichkeit, den Schwangerschaftskonflikt sowohl für die Frau als auch für das Kind befriedigend aufzulösen. Insofern erscheint es vor dem Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers jedenfalls vertretbar, dieses Schutzkonzept demjenigen der Strafandrohung vorzuziehen. Zu Recht wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass nicht die Härte, sondern die Effektivität einer Regelung entscheidend sei503. In diesem Zusammenhang kann Effektivität nicht absoluten Erfolg bzw. Schutz bedeuten. Es handelt sich um ein Dilemma, das nicht in jedem Einzelfall für alle Beteiligten zufriedenstellend aufgelöst werden kann504. Daher muss man möglicherweise einräumen, dass eine bessere Lösung im Sinne einer geringeren Anzahl von Abtreibungen schlicht nicht möglich ist. Wie bereits beim Stammzellimport wird auch hier eine Tendenz deutlich, Umstände, die man nicht verhindern kann, jedenfalls möglichst weitgehend zu überwachen und zu erkennen. Damit können immerhin Gefahren unterbunden 501 502 503 504

BVerfGE 88, 264 ff. BVerfGE 88, 266. Murswiek in: Sachs Art. 2 GG Rn. 33; Pieroth/Schlink Rn. 409; Krey AT I Rn. 28. So auch BVerfGE 88, 255 f.

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werden, die der Frau bei einer Laienabtreibung drohen. Hinzu kommt die psychische Unterstützung, welche der Gesundheit der Frau dienlich ist und die Erfolgsquote an Beratungen, die doch zur Austragung der Schwangerschaft führen. Nach allem ist davon auszugehen, dass ein effektiverer Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen nach derzeitigem Stand nicht möglich ist und die geltende Beratungsregelung der §§ 218a I, 219 StGB i.V.m. dem SchKG damit dem staatlichen Schutzauftrag zugunsten des menschlichen Lebens bestmöglich gerecht wird. (j) Medizinisch-soziale Indikation, § 218a II StGB Die medizinisch-soziale Indikation ermöglicht eine gerechtfertigte Abtreibung ohne zeitliche Begrenzung. Dabei wird unterschieden zwischen einer physischen und einer psychischen Gefährdung der Schwangeren. Aufgrund der medizinischen Fortschritte sind körperliche Gefahren für die Frau im Zuge der Schwangerschaft heute nur noch sehr selten505. Falls diese doch auftreten, so kollidieren das Lebensrecht des Ungeborenen und das Leben der Schwangeren oder deren Gesundheit. Eine Regelung einer Leben-gegen-Leben Kollision wie in § 218a II StGB wäre bei zwei geborenen Menschen nicht zulässig. Noch weniger könnte der Gesundheit eines Beteiligten der Vorrang gegenüber dem Leben eines anderen eingeräumt werden. An dieser Stelle ist jedoch abermals die spezifische Verbindung in der Situation der Schwangerschaft zu berücksichtigen. Während bei der Stammzellforschung von einem interpersonalen Interessenkonflikt gesprochen wurde und es sich am Lebensende im Falle der Sterbehilfe um einen intrapersonalen Konflikt handelt, stellt die Schwangerschaft gewissermaßen eine Mischform der beiden Extreme dar. Zwar stehen sich eigenständige Rechtsgutsträger gegenüber506. Diese sind aber in einer einmaligen Symbiose verbunden507. Diese Sondersituation rechtfertigt eine abweichende Bewertung gegenüber den genannten Fällen bei zwei geborenen Menschen. Hinzukommt auch hier der Umstand, dass es einerseits um die Erfüllung einer abstrakten Schutzpflicht und andererseits um ein konkretes Unterlassen im Sinne der abwehrrechtlichen Wirkrichtung geht. Insofern ist die Entscheidung für Leben und Gesundheit der Mutter im Rahmen der Regelung des § 218a II StGB vom gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum gedeckt. Eine größere praktische Rolle spielen psychische Beeinträchtigungen der Mutter508. Schwierigkeiten ergeben sich hier daraus, dass diese im Gegensatz zu körperlichen Symptomen schwerer festzustellen sind und ihre Wahrnehmung stark subjektiv geprägt ist. Gleichwohl stehen sich bei ihrem Vorliegen wie bereits in der ersten Alternative die Gesundheit der Frau und das Lebensrecht des Kindes gegenüber. Ausgeweitet wird der Anwendungsbereich der Regelung dadurch, dass auch die künftigen Lebensverhältnisse der Frau zu berücksichtigen sind. Es geht also 505 506 507 508

Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 85. BVerfGE 39, 1. BVerfGE 88, 253. Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 91.

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um deren Leben mit dem Kind. Problematisch sind hierbei insbesondere die früheren Fälle der embryopathischen Indikation, also die Erwartung eines behinderten Kindes. Nach einem solchen pränatalen Befund ist zwei Tendenzen vorzubeugen: Zuerst muss die korrekte Perspektive an der Situation der Frau unter Berücksichtigung der Behinderung des Kindes anknüpfen. Bewertet werden darf nicht umgekehrt das Leben des behinderten Kindes509. Diese Sichtweise ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 2 II GG nicht vereinbar und stellt eine unzulässige Diskriminierung behinderten Lebens im Sinne des Art. 3 III 2 GG dar. Bereits die Praxis, die Stärke der Behinderung als Indikator für die Situation der Frau zu betrachten, geht in diese Richtung und ist damit kritisch zu sehen. Darüber hinaus ist einem sog. Abtreibungsautomatismus510 vorzubeugen. Sollte ein positiver Befund in der pränatalen Diagnostik ausnahmslos zur Entscheidung gegen das Kind führen, so erwiese sich die geltende Regelung als ineffektiv. Derartige Anhaltspunkte bestehen allerdings nicht. Zu begrüßen ist insofern die Hinweispflicht auf eine mögliche Beratung auch jenseits der zwölften Schwangerschaftswoche, wie sie das geänderte SchKG nun vorsieht511. Gerade hier sollte versucht werden, der Schwangeren den gesellschaftlichen Druck zu nehmen, der dahin geht, ein gesundes Kind zu gebären512. Auch im Zuge dieser Beratung sind die positiven Aspekte des Lebens mit einem behinderten Kind und die mögliche Unterstützung aufzuzeigen. Nur so kann der zugrunde liegende Konflikt von Drittinteressen frei gehalten und so angemessen zugeordnet werden. Gerade die intensive Diskussion um die Änderung des SchKG und die vorausgegangenen Entwürfe513 zeigen, dass der Gesetzgeber seinen durch das BVerfG aufgegebenen514 Beobachtungs- und Nachbesserungsauftrag ernst nimmt515. Um einen möglichen Abtreibungsautomatismus offenzulegen, wäre es ratsam gewesen, Beweggründe der Schwangeren zu dokumentieren und auszuwerten. Die diesbezüglich erhobenen datenschutzrechtlichen Bedenken können nicht überzeugen, da eine anonyme Erhebung ohne weiteres möglich wäre. Auch auf diesem Feld ist also eine Entwicklung weg von der Strafandrohung und hin zur verfahrensmäßigen Ausgestaltung und zur unterstützenden Beratung erkennbar. Im Sinne der Ausführungen zur begrenzten Wirkung einer abstrakten Strafandrohung im Falle des spezifischen Schwangerschaftskonflikts möchte der 509 Satzger JURA 2008 S. 431; Reichenbach JURA 2000 S. 627; Gössel/Dölling S. 123 Rn. 17; Joecks § 218a StGB Rn. 9; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 141 Rn. 63; Wessels/ Hettinger Rn. 234; Deutsch ZRP 2003 S. 334; Müller MedR 2009 S. 312. 510 Dazu Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 38; Laufs MedR 1990 S. 231 f.; Laufs NJW 1998 S. 1753 f.; dagegen Gropp in: MüKo – StGB § 218a Rn. 60. 511 Ursprüngliche Fassung vom 27. 07. 1992 (BGBl I S. 1398). Zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. 08. 2009 (BGBl I S. 2990). 512 Zu diesem Phänomen Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 98. 513 Darstellung und Bewertung der Gesetzesentwürfe bei Hübner MedR 2009 S. 390 ff. 514 BVerfGE 88, 269. 515 Hillenkamp in: FS-Eisenberg S. 301 ff.; Woopen/Rummer MedR 2009 S. 131.

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Staat sich nicht drohend vor der Schwangeren aufbauen, sondern dieser zur Seite stehen und sie von Laienabtreibungen im Verborgenen in ein solidarisches gesellschaftliches Umfeld führen. (k) Kriminologische Indikation, § 218a III StGB Die kriminologische Indikation ermöglicht eine gerechtfertigte Tötung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen, wenn an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 StGB verübt wurde und nicht auszuschließen ist, dass die Schwangerschaft auf diese Tat zurückgeht. Hier stehen folglich dem Lebensrecht des Kindes die Entscheidungsfreiheit der Mutter und, da psychische Konsequenzen des Lebens mit der Schwangerschaft aus einem Sexualdelikt nicht auszuschließen sind, gegebenenfalls auch die Gesundheit der Schwangeren aus Art. 2 II GG gegenüber. Der Unterschied gegenüber der Beratungsregelung und der Situation bei einer medizinisch-sozialen Indikation besteht darin, dass es sich um eine der Frau aufgezwungene Schwangerschaft handelt, zu deren Vorliegen sie keinen freiwilligen Beitrag geleistet hat516. Teilweise wird auch in dieser Konstellation aus dem Umstand, dass das Lebensrecht des Ungeborenen in der Schutzpflichtdimension, die Rechtsgüter der Frau hingegen in der Abwehrdimension betroffen sind, ein Überwiegen der Letzteren abgeleitet. Vereinzelt ist auch zu lesen, eine Pflicht zur Austragung sei der Frau für diesen Fall unzumutbar. Ein dementsprechender staatlicher Zwang beeinträchtige ihre Menschenwürde517. Jedenfalls wird die kriminologische Indikation sowohl vom BVerfG518 als auch im juristischen Schrifttum519 für verfassungsmäßig erachtet. (l) Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB Das herrschende Verständnis von der Anwendung der §§ 211 ff. StGB ab Geburtsbeginn legt eine Zäsur zugrunde, die verfassungsrechtlich nicht zwingend vorgegeben ist. Um Leben i.S.d. Art. 2 II GG handelt es sich schon vor Geburtsbeginn. Auf der Ebene des Verfassungsrechts wird der Geburt, oftmals unter Hinweis auf die weit fortgeschrittenen Möglichkeiten pränataler Diagnostik, keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Der jedenfalls hinsichtlich der absoluten Strafandrohung niedrigere Schutz vor Geburtsbeginn rechtfertigt sich – wie gezeigt wurde – durch die besondere Verbundenheit von Mutter und Kind. Mit Einsetzen der Eröffnungswehen ist diese Situation auf Loslösung gerichtet520. Während des Ge516 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf S. 145 Rn. 75; Gössel/Dölling S. 125 Rn. 26; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner §§ 218, 218a StGB Rn. 18; Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 145. 517 Schulze-Fielitz in: Dreier Art. 2 II GG Rn. 83; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 2 GG Rn. 103. 518 BVerfGE 88, 213. 519 Eser in: Schönke/Schröder § 218a StGB Rn. 46; Merkel in: NK – StGB § 218a Rn. 145. 520 Jäger ZStW 2003 S. 775.

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burtsvorgangs ist das Kind zudem durch den ärztlichen Zugriff erhöhten Gefahren ausgesetzt, die es rechtfertigen, ab dessen Beginn den schärferen Maßstab der §§ 211 ff. StGB anzusetzen und auch fahrlässige Schädigungen unter Strafe zu stellen521. Im Ergebnis ist die Zäsur des Einsetzens der Eröffnungswehen als Beginn des Menschseins im Strafrecht verfassungsrechtlich zwar nicht zwingend geboten. Sie ist aber ebenso wenig zu beanstanden und trägt den Anforderungen an einen effektiven Lebensschutz hinreichend Rechnung. (m) Tötung in der Geburt durch Perforation Auch wenn sich das Erfordernis einer Tötung in der Geburt heute aufgrund der Möglichkeiten einer Entbindung durch Kaiserschnitt kaum noch ergibt522, soll die Perforation hier als spezieller Konfliktfall am Lebensanfang verfassungsrechtlich eingeordnet werden. Es kollidiert in diesem Fall das Leben des Kindes mit der Gesundheit oder dem Leben der Mutter. Mit Geburtsbeginn ist das Kind ein Mensch im Sinne des Strafrechts. Es handelt sich also um eine klassische Kollision von Leben gegen Leben. Auch die spezifische Verbundenheitssituation der Schwangerschaft hat sich aufgelöst oder befindet sich gerade in der Auflösung. Wenn von Vertretern der Rechtfertigungslösung angeführt wird, die Schwangerschaftssituation wirke noch fort523, so ist dem nicht zu folgen. Mit Einsetzen der Eröffnungswehen findet ein Statuswechsel im Sinne des Strafrechts statt, der sodann auch in der rechtlichen Bewertung konsequent umzusetzen ist. Die Annahme einer gerechtfertigten Tötung stellt eine externe Bewertung im Sinne des Vorranges des Lebens der Frau dar, welche Art. 2 II GG gerade ausschließt. Da es sich gleichwohl um einen Konflikt handelt, der vorbehaltlich der Möglichkeit des Kaiserschnitts nicht für beide Parteien befriedigend aufgelöst werden kann, ist die Lösung auf der Ebene der Schuld zu suchen524. Die Annahme einer Rechtfertigung als Billigung durch die Rechtsordnung stellt keine korrekte Einordnung der Situation dar. Das Lebensgrundrecht untersagt gerade eine solche externe Bewertung. Stattdessen ist die Schuld, als individuelle Vorwerfbarkeit im konkreten Einzelfall525 der dogmatisch korrekte Standort, um diese Konstellation aufzulösen. Insofern steht eine Entschuldigung mangels anderweitiger Handlungsoptionen nicht im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Postulat eines effektiven Lebensschutzes.

521

Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 8; Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 13. 522 Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 218 ff. StGB Rn. 41; Ingelfinger S. 120. 523 Roxin AT I S. 761 f. Rn. 79 f. 524 Ingelfinger S. 121; Merkel Früheuthanasie S. 615 ff. 525 Zum Schuldbegriff BGHSt 2, 200; instruktiv Roxin AT I S. 847 ff.; Wessels/Beulke Rn. 394 ff.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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(n) Früheuthanasie schwerstgeschädigter Neugeborener Anders gestaltet sich die Ausgangslage bei der Früheuthanasie. Hier ist die Verbindung zur Mutter unzweifelhaft vollständig beendet. Wie bereits oben angesprochen, geht es hier thematisch um die aufgezeigten Interessenkonflikte am Lebensende. Die Besonderheit besteht darin, dass das Neugeborene noch keinen eigenen Willen bilden kann und somit seine Selbstbestimmung nicht Teil der Abwägung ist. Stattdessen stehen sich das Lebensrecht und das aus der körperlichen Unversehrtheit abzuleitende Recht auf Freiheit von Schmerzen bzw. Leiden gegenüber. Solange wirklich nur diese beiden Positionen abgewogen werden, es sich also um einen intrapersonalen Interessenkonflikt handelt, bestehen keine Bedenken gegenüber dem Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen. Mithin ist die im Schrifttum verbreitete und auch hier getroffene Feststellung, es sei kein Rechtsgut denkbar, welches das Leben im Rahmen einer Notstandsabwägung wesentlich überwiege, dahingehend zu relativieren, dass jedenfalls kein entsprechendes Drittinteresse diese Voraussetzung erfüllt. Problematisch ist insofern, dass der Entscheidung darüber eine Bewertung des zu erwartenden Lebens von Seiten Dritter, namentlich der Ärzte, zugrunde liegt. Deshalb ist die Früheuthanasie entsprechend der revidierten Fassung der Einbecker Empfehlungen526 auf Extremfälle zu beschränken. Durch Unterlassen der Behandlung wird dann der Natur ihr Lauf gelassen, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Vor den Vorgaben des Art. 2 II GG nicht haltbar sind dagegen Tendenzen, welche auch externe Interessen in die Bewertung einstellen. Ausschlaggebend darf allein das Interesse des Kindes an der Freiheit von Schmerzen sein. Nicht zulässig ist hingegen eine Orientierung an wirtschaftlichen Interessen, also etwa am finanziellen Aufwand einer Behandlung. Ebenso wenig kann zu diesem Zeitpunkt die Einschätzung der Eltern zum Leben mit einem behinderten Kind den Ausschlag für dessen Tod geben. Schließlich ist auch gesellschaftsnützlichen Erwägungen im Sinne von Selektion und Eugenik vorzubeugen527. Hierin würde nicht nur eine Verletzung des Lebensrechts, sondern auch eine nicht zu rechtfertigende Beeinträchtigung der Menschenwürde liegen. Insgesamt ist die Früheuthanasie also auf Extremfälle zu beschränken, wobei auch hier ausschließlich das Interesse des Kindes an Schmerzfreiheit den Ausschlag für seinen Tod geben darf. Für diese Fälle steht die Annahme eines gerechtfertigten Unterlassens im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag des Staates für Leben und Menschenwürde. (o) Ergebnis zur Situation am Lebensanfang Im Ergebnis ergibt die verfassungsrechtliche Bewertung der einfachgesetzlichen Regelungen zum Schutz von Leben und Menschenwürde am Lebensanfang fol526 527

Revidierte Fassung der Einbecker Empfehlungen MedR 1992 S. 206 f. Diese Gefahr erblickt Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 32a.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

gendes Bild: Die entsprechenden Regelungen sind in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung vom gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum bei der Ausgestaltung gedeckt und folglich nicht zu beanstanden. Kritikwürdig sind dagegen einige Details und Auslegungstendenzen, denen in der praktischen Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben vorzubeugen ist. Bei den vergleichsweise jungen Regelungen am Lebensanfang ist ein gewisser gesetzgeberischer Trend erkennbar. Dieser geht dahin, von der Wirkung abstrakter Strafandrohung zurückzutreten und stattdessen eine detaillierte Ausgestaltung des zugrunde liegenden Verwaltungsverfahrens vorzunehmen. Nach der vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers verspricht diese konsensuale Auflösung im Ergebnis einen effektiveren Lebensschutz als das autoritäre Instrument des Strafrechts. Sowohl bei embryonaler Stammzellforschung als auch im Falle des Schwangerschaftskonflikts ist der Staat bemüht, die Sichtbarkeit der Problemfelder zu erhöhen und so seinem Schutzauftrag entsprechend Verantwortung für das menschliche Leben zu übernehmen. Angemessener Schutz ist hierbei nicht gleichzusetzen mit absolutem Schutz, der jegliche Tötung unterbindet. Ein solches Ziel ist weder durch das zugrunde liegende Rechtsgut des Lebens als nach der Verfassung relativ gewährleistete Verbürgung vorgegeben noch wäre es infolge der zugrunde liegenden Situationen, in denen spezifische Interessenkonflikte aufzulösen sind, zu erreichen. Zu messen ist das gesetzliche Regelwerk letztlich an seiner Effektivität, wobei auch dieser Begriff nicht absolut zu setzen ist. Angesichts der Konfliktsituationen am Lebensanfang kann es nur um den bestmöglichen, nicht um einen vollkommenen Schutz gehen. Für dessen Einschätzung sind die Regelungen in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenwirken zu betrachten. Die in verschiedenen Gesetzen niedergelegten Regelungen fügen sich zu einem schlüssigen Gesamtkonzept des Lebensschutzes zusammen, das auch als solches zu betrachten und zu bewerten ist. Trotz dieser positiven Grundtendenz verdient die einfachgesetzliche Ausgestaltung nicht ausnahmslos Beifall. So wäre es bei der Neuregelung des SchKG zu begrüßen gewesen, wenn eine statistische Erfassung der Beweggründe der Frau sowie der näheren Umstände der Indikationen vorgesehen worden wäre. Im Zuge seiner Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht hätte der Gesetzgeber so die Effektivität der Regelungen einschätzen und bestimmten Auslegungstendenzen vorbeugen können. Eine solche Tendenz, die in der praktischen Durchsetzung unbedingt auszuschließen ist, ist ein Anknüpfen an die Behinderung des ungeborenen Kindes als Grundlage für die Indikationsstellung einer gerechtfertigten Abtreibung. Ausschlaggebend darf allein die Situation der Frau sein. Alles andere wäre eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung behinderten Lebens, die letztlich in einer selektiven Abtreibungspraxis münden könnte. Kritisch zu bewerten ist auch ein möglicher Abtreibungsautomatismus zwischen positivem Befund in der pränatalen Diagnostik und nachfolgender Abtreibung. Wenn es zu einem solchen Zustand der Selektion tatsächlich käme, läge darin eine nicht zu rechtfertigende Beeinträchtigung der Menschenwürde, die zwingend eine Reaktion des Gesetzgebers erforderlich machen würde. Auch vor diesem Hintergrund wäre die statistische Erfassung der Beweg-

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gründe besonders wichtig, um dem Gebot eines effektiven Lebens- und Würdeschutzes gerecht zu werden. Zudem sollte die Beratungssituation genutzt werden, um der Frau positive Perspektiven aufzuzeigen und sie möglichst in ihrer Entscheidung von externem, gesellschaftlichen Druck im Sinne der Erwartungshaltung an ein gesundes Kind freizuhalten. Ähnlich verhält es sich bei der Konstellation der Früheuthanasie. Diese ist im Einklang mit der revidierten Fassung der Einbecker Empfehlungen528 auf absolute Ausnahmefälle zu beschränken. Dabei kommt es zu einer ansonsten nicht zulässigen externen Bewertung menschlichen Lebens durch Dritte. Bei dieser Bewertung ist darauf zu achten, dass ausschließlich Interessen des Kindes stellvertretend wahrgenommen werden. Keinen entscheidenden Einfluss dürfen hingegen externe Faktoren wie die Situation der Eltern oder finanzielle Aspekte haben. Auch bei Einhaltung dieser Vorgaben beschränken sich die zu tolerierenden Optionen auf ein Unterlassen intensivmedizinischer Behandlung. Hierbei wird der Natur ihr Lauf gelassen, was eine differenzierte Bewertung gegenüber einer aktiven menschlichen Verfügung rechtfertigt. Den vorzubeugenden Auslegungstendenzen ist die Vornahme einer externen Bewertung menschlichen Lebens gemeinsam. Vorbehaltlich der letztgenannten Konstellation der Früheuthanasie, bei der die rechtliche Dogmatik erkennbar an ihre Grenzen stößt529, fungiert die Menschenwürde als Schranken-Schranke im Rahmen der Interessenabwägung zwischen Lebensrecht und widerstreitenden Interessen. Die Tötung ist damit trotz des relativen Charakters des Art. 2 II GG bei einem Verstoß gegen die Menschenwürde nicht gerechtfertigt. Sofern die Bewertung zusätzlich auf einer Diskriminierung behinderten Lebens oder auf Selektionsgedanken beruht, ist die Menschenwürde auch in ihrem originären Gehalt angesprochen, so dass neben der Lebensbeendigung nach Art. 2 II GG zusätzlich ein Verstoß gegen Art. 1 I GG vorliegt, der unabhängig von einer Abwägung mit den entgegenstehenden Interessen nicht zu rechtfertigen ist. Unter diesen Prämissen sind Gesetzeslage und Rechtspraxis am Lebensanfang verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und halten sich innerhalb des durch Unterund Übermaßverbot abgesteckten Rahmens zur Auflösung der zugrunde liegenden Interessenkollisionen. Dabei beschränkt sich die Untersuchung auf eine rechtliche Bewertung und vermag nicht einzuschätzen, ob die Bewertung aus einer ethischen Perspektive möglicherweise abweichend ausfallen würde. (3) Situation am Lebensende Auch am Lebensende stehen unterschiedliche Konstellationen zur Bewertung. Die Vornahme dieser Bewertung mündet in der Frage, ob ein gesetzgeberischer

528 529

Revidierte Fassung der Einbecker Empfehlungen MedR 1992 S. 206 f. So auch Dreier in: Dreier Art. 1 I GG Rn. 157.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

Handlungsbedarf zur Reform der Tötungsdelikte unter besonderer Berücksichtigung der Thematik der Sterbehilfe besteht. (a) Anwendungsbereich der Tötungsdelikte Das herrschende Verständnis vom Ende des Anwendungsbereichs der §§ 211 ff. StGB mit Eintritt des Gesamthirntodes entspricht dem hier bezogenen Standpunkt zum Verlust des Grundrechts aus Art. 2 II GG. Vorbehaltlich ihrer anerkannten postmortalen Wirkrichtung bildet der Gesamthirntod auch für die Menschenwürde einen entscheidenden Einschnitt. Damit steht der Anwendungsbereich der Tötungsdelikte im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben und wird dem Erfordernis eines effektiven Lebensschutzkonzepts auch am Lebensende gerecht. (b) Passive Sterbehilfe Im Falle der passiven Sterbehilfe wurden bei der Frage nach der Strafbarkeit in Abhängigkeit vom Patientenwillen und der Todesnähe zahlreiche Konstellationen unterschieden. Diese sind auch in der verfassungsrechtlichen Untersuchung gesondert zu prüfen. Vergleichsweise unproblematisch ist die Situation des aktuell entscheidungs- und äußerungsfähigen Patienten, der eine Weiterbehandlung ablehnt. Korrekterweise ist in diesem Fall nicht zu fragen, ob der Patient negativ über sein Leben verfügen kann. Stattdessen würde die Weiterbehandlung einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II GG darstellen. Eine solche Rechtfertigung gelingt bei entgegenstehendem Patientenwillen nicht. Mitunter wird ein „Verbot der Zwangsbehandlung“ auch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG gestützt530. Infolgedessen hat der Arzt nicht nur keine Behandlungspflicht, was letztlich zu seiner Straffreiheit führt, sondern noch weiter gehend kein Behandlungsrecht531. Ebenso ist die Konstellation des tätigen Abbruchs durch den Arzt zu bewerten. Dieser beendet den nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten und stellt damit kein strafbares Unrecht dar. Auch beim tätigen Abbruch durch einen Dritten, der dadurch in einen an sich rettenden Kausalverlauf aktiv eingreift, ist zu berücksichtigen, dass diese Rettungsbemühungen dem Willen des Patienten widersprechen und somit ihrerseits verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren sind. Sofern das Eingreifen des Dritten der Durchsetzung des Patientenwillens dient, ist es gerechtfertigt. Anders als in den ersten beiden Konstellationen unter Beteiligung des Arztes, dessen Handeln schon im Ansatz nicht gefordert, ja sogar verboten ist, ist das Urteil bei einem Dritten weniger deutlich, so dass die Ebene der Rechtfertigung, auf der ein Interessenausgleich stattfinden kann, dogmatisch die korrekte Einordnung darstellt. Hier ist zu prüfen, ob die Handlung des Eingreifenden tatsächlich der Durchsetzung eines 530 531

Oduncu S. 46. AE-Sterbehilfe 1986 S. 14.

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entsprechenden Patientenwillens diente. Die Rechtfertigungslösung ist damit einem Tatbestandsausschluss, wie er beim Arzt vorgenommen wird, vorzuziehen. Die nächste Abwandlung besteht darin, dass der Sterbeprozess bereits unwiderruflich eingesetzt hat. Hier soll keine Rechtspflicht bestehen, das versiegende Leben um jeden Preis zu erhalten bzw. minimal zu verlängern532. Die Unabhängigkeit von einem Patientenwillen zeigt, dass dessen Selbstbestimmungsrecht nicht den Ausschlag für diese Bewertung gibt. Vielmehr hat sich schon eingangs auf verfassungsrechtlicher Ebene gezeigt, dass dem Gedanken der Irreversibilität des Sterbeprozesses für das Ende rechtlichen Schutzes maßgebliche Relevanz zukommt. Sofern hier der Natur ihr Lauf gelassen wird, ist der Legitimität rechtlichen Lebensschutzes der Boden entzogen. Diese ist nur dort anzunehmen, wo einer Regelung ein Mindestmaß an Wirkung zukommt, was bei unwiderruflichem Einsetzen des Sterbeprozesses im Hinblick auf den Lebensschutz gerade nicht der Fall ist. Deutlich problematischer gestalten sich die Fälle eines aktuell nicht entscheidungs- und äußerungsfähigen Patienten. Die Grundlinien von Gesetz und Rechtsprechung zur Ermittlung seines mutmaßlichen individuellen Willens tragen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten angemessen Rechnung. Angesichts der spezifischen Konfliktsituation erscheint es vertretbar, in einer individuellen Bewertung der konkreten Situation dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten den Vorzug gegenüber seinem Lebensrecht zu geben. Dafür spricht auch die Überlegung, dass Art. 2 II GG ein Lebensrecht, keine Lebenspflicht statuiert533. Auf grundsätzliche Bedenken gegenüber der Bedeutung des Patientenwillens in Anbetracht der elementaren Konfliktsituation am Lebensende sowie zu den einzelnen Stufen seiner Ermittlung wird unmittelbar im Anschluss eingegangen. Abzulehnen ist dagegen der verallgemeinernde Ansatz Roxins, der davon ausgeht, ein schwer Leidender könne keinen mutmaßlichen Willen zum Weiterleben haben534. Eine solch pauschale externe Bewertung einer Lebenssituation ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 2 II GG nicht zu vereinbaren. Grundlage der Entscheidung zum Behandlungsabbruch muss eine Bewertung des konkreten Einzelfalles und der individuellen Behandlungs-, Krankheits- und Lebenssituation sein. Ein anderer Interessenkonflikt als den bisher genannten Fällen liegt dem einseitigen Behandlungsabbruch zugrunde, sofern ein ausdrücklicher oder mutmaßlicher Patientenwille nicht zu ermitteln ist. Aufgrund der detaillierten Vorgaben zur Ermittlung des Willens dürften solche Fälle im Ergebnis eher selten sein. Gleichwohl sind sie in der Praxis nicht auszuschließen und sollen demzufolge hier eingeschätzt

532

Fischer vor § 211 StGB Rn. 19; Kühl vor § 211 StGB Rn. 8; Roxin in: Blaha/GutjahrLöser/Niebler S. 89. 533 Dieser treffende Hinweis findet sich bei Bade S. 112 f.; Lorenz JZ 2009 S. 60. 534 Roxin in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler S. 89; ebenso Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 120; Ankermann MedR 1999 S. 390; Merkel ZStW 1995 S. 573.

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werden535. Die Besonderheit besteht darin, dass sich nicht das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und dessen Lebensrecht in der Abwägung gegenüberstehen. Stattdessen widerstreiten hier das Lebensrecht und das ebenfalls aus Art. 2 II GG abzuleitende Recht auf Freiheit von Leiden. Dieser Konflikt wird sodann über eine externe Bewertung der Lebenssituation aufgelöst, die dem Art. 2 II GG prinzipiell fremd ist. Das Problem besteht – wie bereits am Lebensanfang in mehreren Fällen – in den mangelnden Alternativen536. Aufgrund dessen ist auch hier eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, dass Art. 2 II GG eine externe Qualifizierung ausschließt. Diese Ausnahme ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. So verbietet sich jedes schematische Vorgehen. Entscheidend ist die individuelle Situation des konkreten Patienten. Sofern sich dann die Abwägung tatsächlich auf den oben genannten Interessenkonflikt beschränkt, ist es im Hinblick auf das Konzept eines effektiven Lebensschutzes eine vertretbare Einschätzung, dem Recht auf Leidensfreiheit den Vorzug zu geben. Bedeutsam ist auch hier, dass es ausschließlich um Interessen des Patienten selbst und damit um einen intrapersonalen Konflikt geht. In diesem genießt das Lebensrecht keinen absoluten Vorrang. Die letzte im Schrifttum diskutierte Fallgruppe passiver Sterbehilfe bildet die Situation eines Behandlungsabbruchs ohne Todesnähe bei entgegenstehendem, aktuell oder früher geäußerten Patientenwillen. Stichwort zu dieser Thematik ist das „übermäßige Behandlungsverlangen“537. Derartigen relativistischen Tendenzen ist eine entschiedene Absage zu erteilen. Es ist nicht ersichtlich, welches kollidierende Interesse auf verfassungsrechtlicher Ebene eine Beschränkung des Lebensrechts rechtfertigen soll538. Klar ist, dass es sich um ein Drittinteresse handelt. Die einzige denkbare Gewährleistung, unter die der Sachverhalt überhaupt auch nur im Ansatz subsumiert werden könnte, wäre die Berufsfreiheit des Arztes aus Art. 12 GG. Allerdings wäre diesbezüglich im Rahmen der Rechtfertigung dem Lebensrecht des Patienten der Vorzug zu geben. Dieses ist einer verrechnenden Kosten/NutzenAnalyse nicht zugänglich. Im Falle einer solchen wirtschaftlichen Bewertung menschlichen Lebens läge nicht nur eine nicht zu rechtfertigende Beeinträchtigung des Lebensrechts, sondern auch eine solche der Menschenwürde aus Art. 1 I GG vor. Schon der Terminus des übermäßigen Behandlungsverlangens ist falsch; ein solches existiert nicht. Bei fehlender Todesnähe müssen alle erreichbaren und medizinisch indizierten Möglichkeiten zur Lebenserhaltung getroffen werden. Auch finanzielle Engpässe und fehlende Ressourcen bilden keine Rechtfertigung. Die hohe Wertigkeit des menschlichen Lebens und der staatliche Schutzauftrag diesbezüglich gebieten es, diese Ressourcen gegebenenfalls zu schaffen. Die genannten Fälle sind 535 Beckmann MedR 2009 S. 585; Wagenitz FamRZ 2005 S. 672 gehen von einer nicht zu unterschätzenden praktischen Relevanz dieser Konstellationen aus. 536 Ganz allgemein fordert auch Olzen JR 2009 S. 362 nur eine „bestmögliche Absicherung bei der Ermittlung des Patientenwillens“. 537 Otto Grundkurs § 6 Rn. 33, ebenfalls aufgeworfen bei Otto JURA 1999 S. 439; Verrel JZ 1996 S. 228; Verrel JR 1999 S. 8. 538 So auch Lorenz JZ 2009 S. 63.

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somit in verfassungsrechtlicher Hinsicht weder vor dem Hintergrund von Art. 2 II GG noch gegenüber der Menschenwürde aus Art. 1 I GG zu dulden. Dabei geht es um eine Kollision zwischen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung menschlichen Lebens und auf dieser Ebene nicht näher zuzuordnenden Drittinteressen. Diese vermögen das Lebensrecht nicht zu überwiegen. Noch weitergehend erfordert die staatliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens, die realen Bedingungen zu schaffen, damit Versorgungsengpässe erst gar nicht zu einer solchen Situation führen539. (c) Zur Ermittlung des Patientenwillens Während sich bei einem aktuell entscheidungs- und äußerungsfähigen Patienten kaum Schwierigkeiten ergeben, sieht sich die Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens auch unter verfassungsrechtlichen und rein tatsächlichen Gesichtspunkten Bedenken ausgesetzt. Nach dem neu eingeführten § 1901a BGB ist ein mögliches Instrument zur Bestimmung des Patientenwillens die sog. Patientenverfügung. In dieser trifft der zum Zeitpunkt des Abfassens noch Entscheidungsfähige eine Festlegung für seine in der Zukunft liegende Behandlung im Krankheitsfall und bei Entscheidungsunfähigkeit. Bei dessen Eintritt prüft der Betreuer dann ausschließlich, ob die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation der Patientenverfügung entspricht. Dabei kann es nur darum gehen festzustellen, ob eine solche Situation eingetreten ist, die sich der Verfügende zum damaligen Zeitpunkt vorgestellt hatte. Die Befolgung des Inhalts der Patientenverfügung sieht sich dem grundlegenden Einwand ausgesetzt, dass eine solch elementare Entscheidung über Leben und Tod nicht vorweggenommen werden könne. So bestätigen Demenzforscher, dass die Wahrnehmung des Lebens in der Krankheitssituation selbst oftmals eine ganz andere ist, als dies im gesunden Zustand eingeschätzt wurde oder als man dies aus der Perspektive eines außenstehenden, gesunden Menschen vermuten würde. Es stellt sich damit die Frage, ob das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht in Anbetracht der hohen Bedeutung des Lebens an seine Grenzen stößt540. Das Hauptproblem dieses Einwands besteht in den fehlenden Alternativen541. In der spezifischen Behandlungssituation müssen Ärzte und Angehörige aufgrund der fehlenden Äußerungsfähigkeit des Patienten eine Entscheidung treffen. Die Beachtung eines früher gebildeten Willens wird dem Selbstbestimmungsrecht in jedem Fall eher gerecht als eine vollständig auf externer Einschätzung basierende Entscheidung. Allerdings ist aufgrund der Tragweite der Entscheidung für den Behandlungsabbruch sorgfältig zu prüfen, ob die Behandlungssituation tatsächlich der Einschätzung der Patientenverfügung entspricht. Auch wenn es zur gesetzlichen 539 Diese Gefahr, welche von den beschränkten Ressourcen des Gesundheitswesens künftig ausgehen könnte, beschwört Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 119. 540 Problem aufgeworfen bei Albers MedR 2009 S. 139; Höfling NJW 2009 S. 2852; dagegen Schmidt-Recla MedR 2008 S. 184. 541 Ganz allgemein fordert auch Olzen JR 2009 S. 362 nur eine „bestmögliche Absicherung bei der Ermittlung des Patientenwillens“.

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Regelung noch keine entsprechenden Bewertungen gibt, so sollte doch in Anknüpfung an die frühere Rechtspraxis vermieden werden, dass eine Patientenverfügung schematisch befolgt wird. Im Mittelpunkt steht die individuelle Konfliktsituation. Bei deren Einschätzung sollte auch der zeitliche Abstand zur Abfassung der Verfügung berücksichtigt werden, welcher zwar die Verbindlichkeit grundlegend nicht abschwächt, der aber gleichwohl Anlass sein kann, eine mögliche Willensänderung in Erwägung zu ziehen und anhand des Einzelfalles besonders intensiv zu hinterfragen542. Nicht zu beanstanden ist demgegenüber die Vorgehensweise, bei Fehlen bzw. mangelnder Einschlägigkeit einer Patientenverfügung Anhaltspunkte für den individuellen Willen des Patienten zu suchen. Dies entspricht der Durchsetzung seines Selbstbestimmungsrechts und trägt damit dem der Sterbehilfe zugrunde liegenden Interessenkonflikt angemessen Rechnung. Bedenklich ist dagegen wiederum das Abstellen auf allgemeine Wertvorstellungen bei Unmöglichkeit der Ermittlung eines individuellen Willens543. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass diese Fälle aufgrund der zuvor durchzuführenden Schritte zur Ermittlung des Patientenwillens selten sein dürften. Gleichwohl ist ein solcher Rückgriff vor dem Hintergrund des Art. 2 II GG kritisch zu bewerten. Einem Rückgriff auf vermeintliche allgemeine Wertvorstellungen sind eine externe Bewertung und damit die inhaltliche Qualifizierung der individuellen Krankheitssituation immanent544. Es geht letztlich auch um die Einschätzung, ob ein bestimmtes Leben unter den gegebenen Umständen noch lebenswert ist. Eine solche qualitative Bewertung von Seiten Dritter ist mit den Vorgaben des Art. 2 II GG grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Ausschlaggebend sind letztlich auch in diesem Fall die fehlenden Handlungsalternativen. Die Situation verläuft parallel zu derjenigen im Falle der Früheuthanasie. Auch bei dieser ist ein individueller Wille nicht zu ermitteln. Aus diesem Grund ist eine Ausnahme vom Verbot der externen Bewertung zu machen, an die ein restriktiver Maßstab anzulegen ist. So besteht jedenfalls in Rechtsprechung und Schrifttum Einigkeit, dass diese Bewertung lebensbejahend auszurichten und in Zweifelsfällen dem Lebensschutz der Vorzug zu geben ist545. Hinzu kommt, dass auch hier dem Lebensrecht des Patienten ausschließlich dessen eigene Interessen gegenüber zu stellen sind (Situation des intrapersonalen Interessenkonflikts). Nicht ausschlaggebend dürfen demgegenüber Kostenfaktoren oder ähnliche Beweggründe sein. Insoweit ist wie am Lebensanfang einer selektiven Entscheidungspraxis vorzubeugen, die aufgrund der Schranken-Schranke der Menschenwürde eine nicht zu rechtfertigende Beeinträchtigung des Lebensrechts und zudem daneben einen ori542

Oduncu S. 56; Olzen JR 2009 S. 357. Dazu Eser in: Schönke/Schröder vor §§ 211 ff. StGB Rn. 28a; Helgerth JR 1995 S. 340; Schöch NStZ 1995 S. 155; Witteck KritVJ 2003 S. 175 f. 544 Kritisch auch Höfling NJW 2009 S. 2851. 545 BGHSt 40, 257; Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 21. 543

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ginären Verstoß gegen Art. 1 I GG darstellen würde. Unter diesen einschränkenden Vorgaben ist ein Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen als ultima ratio mangels anderweitiger Handlungsoptionen verfassungsrechtlich haltbar. (d) Zur Situation von Ärzten und Pflegepersonal Ein Einwand, der gegen die Praxis der Sterbehilfe vorgebracht werden kann, ist die belastende Situation für beteiligte Pflegekräfte und Ärzte. Diese müssten gegebenenfalls entgegen ihrer eigenen Einschätzung damit leben, einen Patienten nicht gerettet oder sogar durch eine aktive Handlung getötet zu haben. Unabhängig von möglichen Strafbarkeitsrisiken stellt dies eine moralische Belastung dar. In diesem Kontext gewährleistet die verfassungsrechtlich verbürgte Gewissensfreiheit nach Art. 4 I GG, dass niemand entgegen seiner Überzeugung verpflichtet werden kann, an aktiv-lebensverkürzenden Maßnahmen mitzuwirken. Sofern die vorliegende Untersuchung ergeben sollte, dass eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe im StGB oder in einem eigenen Gesetz notwendig erscheint, könnte dieser Thematik über eine § 12 I SchKG entsprechende Regelung Rechnung getragen werden546. Anders gelagert sind die Fälle eines Behandlungsverzichts oder -abbruchs aufgrund eines aktuellen, antizipierten oder mutmaßlichen Patientenwillens. Für diese Konstellationen würde eine Verweigerung des Unterlassens lebenserhaltender Maßnahmen einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten darstellen. Entsprechend hat der BGH entschieden, dass die Gewissensfreiheit eine solche Weigerung nicht rechtfertigen kann und eine Verpflichtung von Ärzten und Pflegepersonal besteht, die Entscheidung des Sterbewilligen zu akzeptieren547. (e) Aktiv-direkte Sterbehilfe In einer Bewertung der aktiv-direkten Sterbehilfe ist zwischen der einvernehmlichen Fremdtötung und der sog. Mitleidstötung ohne entsprechenden Patientenwillen zu unterscheiden. Für die einvernehmliche Fremdtötung ist die Regelung des § 216 StGB in zwei Richtungen rechtfertigungsbedürftig. Einmal betrifft dies die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen in Anbetracht des verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts. Diese Thematik wurde bereits oben untersucht und die Legitimität der Strafbarkeit begründet. Umgekehrt gilt es, vor den Anforderungen an ein effektives Lebensschutzkonzept die Privilegierung zu begründen, die sich in einer verminderten Strafandrohung gegenüber den §§ 211 und 212 StGB ausdrückt. Zu diesem Zweck ist auf die Begriffe der Strafwürdigkeit und der Straftauglichkeit abzustellen. Beide Gesichtspunkte sind im Falle einer einvernehmlichen Fremdtötung abgeschwächt. Die geringere Strafwürdigkeit ergibt sich nicht schon aus der Konfliktsituation des Handelnden, da die Privilegierung nicht nur nahen Angehörigen, sondern auch einem Fremden zugute kommt, der nicht in einem 546 Jedenfalls für die Beihilfe zur Selbsttötung sieht Lorenz Sterbehilfe in § 9 abgedruckt auf S. 96 eine entsprechende Regelung vor. 547 BGH JZ 2006 S. 144 f.

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persönlichen Näheverhältnis zum Getöteten steht548. Entscheidenden Einfluss haben dagegen die Intention der Leidenslinderung zugunsten des Patienten sowie dessen erklärter Rechtsgutsverzicht. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben kann dieser Gesichtspunkt zwar nicht zu vollständiger Straffreiheit führen. Gleichwohl ändert er das Bild und im Resultat die Strafwürdigkeit der Tat549. Weiteren Aufschluss bietet ein Blick auf die Strafzwecke. Sowohl spezial- als auch generalpräventive Aspekte der Bestrafung550 treten in diesem Falle zurück, da es sich um stark individualisierte Interessenkonflikte handelt. Aufgrund dieser Gesamtumstände erscheint es zweifelhaft, ob ein Strafappell die Beteiligten überhaupt erreicht. Insofern bestehen hier jedenfalls im Ansatz Parallelen zur Situation in der Frühphase der Schwangerschaft, wo ebenfalls davon ausgegangen wurde, das Instrumentarium der Strafandrohung stoße an seine Grenzen. Die Analyse hat damit ergeben, dass die Regelung des § 216 StGB unter Berücksichtung der zugrundeliegenden Interessen verfassungsrechtliche Legitimität besitzt. Gesondert zu bewerten sind die im Schrifttum aufgeworfenen Extremfälle der Suizidunfähigkeit bei klarem Sterbewillen551. Üblicherweise wird die strafbare Fremdtötung von der straffreien Suizidteilnahme abgegrenzt552. Für die Strafbarkeit nach § 216 StGB wird unter anderem angeführt, der Umstand, dass der Sterbewillige seinen Tod nicht selbst in die Hand nehme, offenbare Zweifel an der Ernstlichkeit seines Entschlusses553. Dieser Ansatz und diese Option des Freitodes ohne Konsequenz der Strafbarkeit eines Beteiligten fallen in der genannten Konstellation gerade weg. Insofern hat der Patient hier keine Möglichkeit mehr, sein Selbstbestimmungsrecht durchzusetzen. Bei einem klaren und ausdrücklich geäußerten Sterbewunsch stellt die Fremdtötung rein physisch betrachtet noch immer eine externe Verfügung dar. Auf psychischer Ebene handelt es sich dagegen um eine Selbstverfügung554. Für diese Fälle wird angenommen, dass bei Strafbarkeit der Fremdtötung das Lebensrecht zu einer Lebenspflicht würde555. Die Bestrafung der einvernehmlichen Fremdtötung wird aufgrund dessen als besonders unbillig empfunden, so dass versucht wird, zur Straffreiheit des Handelnden zu gelangen. Dogmatisch werden

548 549

Rn. 1.

Schneider in: MüKo – StGB § 216 Rn. 1. Schneider in: MüKo – StGB § 216 Rn. 1; Eser in: Schönke/Schröder § 216 StGB

550 Allgemein zu den Strafzwecken der Spezial- und Genralprävention Dölling in: Kröber/ Dölling/Leygraf/Sass S. 16 ff.; Streng S. 13 ff. 551 Hirsch in: FS-Lackner S. 610; von Dellinghausen S. 349; ohne nähere dogmatische Zuordnung erwägt Kutzer MedR 2001 S. 78 die Straflosigkeit aktiv-direkter Sterbehilfe in „seltenen Ausnahmesituationen“. 552 Eser in: Schönke/Schröder § 216 StGB Rn. 11; Ingelfinger S. 224 ff. 553 Roxin NStZ 1987 S. 348. 554 Sternberg-Lieben S. 114 spricht von einer Selbstverfügung durch eine Mittelsperson. 555 Dazu Bade S. 112 f.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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diese Fälle auf der Ebene der Rechtfertigung556 oder auf der Ebene der Schuld557 verortet. Verfassungsrechtlich erscheint es vertretbar, in diesen Fällen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten den Vorzug zu geben, da es eine Lebenspflicht nach Art. 2 II GG tatsächlich nicht gibt. Zur beschränkten Entfaltung der Strafzwecke gilt das zuvor Gesagte. Der angestrebte Strafausschluss sollte allerdings auf der Ebene der Schuld verortet werden. Die Rechtmäßigkeit als Ausdruck der Billigung durch die Rechtsordnung wäre insofern der falsche Standort. Es handelt sich nicht um ein Phänomen, das allgemein von der Rechtsordnung in einer bestimmten Weise bewertet wird, sondern um spezifische Grenzfälle. Diese bedürfen einer individuellen Interessenbewertung im Einzelfall. Im Zuge der strafrechtlichen Deliktsprüfung ist die Schuld als Frage nach dem individuellen Unwerturteil im konkreten Einzelfall558 der geeignete Standort dieser Einschätzung. Anders sind die beteiligten Interessen im Falle der sog. Mitleidstötung verteilt. Hier fehlt es an einem entsprechenden Sterbewunsch des Patienten. Die Lebensverkürzung wird dennoch unter der Motivation begangen, ihm weiteres Leiden zu ersparen und einen schmerzvollen Tod zu verhindern. Das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen spielt damit in dieser Konstellation keine Rolle. Demgegenüber liegt eine Beeinträchtigung des Lebensrechts des Patienten vor. Die Mitleidstötung basiert auf einer externen Bewertung der Lebenssituation des Getöteten. Für das Handeln des Eingreifenden kann allenfalls dessen allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG angeführt werden, welche allerdings im Rahmen der Interessenabwägung eine Fremdtötung nicht zu rechtfertigen vermag. Aufgrund der Beeinträchtigung des Lebensrechts von Seiten Dritter ist der Staat folglich gehalten, auch die Mitleidstötung unter Strafe zu stellen. Damit ist zu fragen, wie sich Ansätze für eine mildere Bestrafung nach § 213 StGB559 oder Rechtsfolgenlösungen wie ein Absehen von Strafe nach § 60 StGB560 begründen lassen. Dieser Umstand ist verfassungsrechtlich beim Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers zur Erfüllung seiner Lebensschutzpflicht zu verorten und betrifft inhaltlich die Einschätzung der Wirkung des Strafrechts als Instrument der Sozialkontrolle sowie den Begriff der Strafwürdigkeit. Letzterer ist dadurch angesprochen, dass die Mitleidsmotivation der Tat ein anderes Gepräge verleiht, als dieses den Tötungsdelikten üblicherweise zugrunde liegt. Zwar 556 Analyse durch Ingelfinger S. 244 ff.; siehe auch Herzberg NJW 1986 S. 1639 f.; Neumann in: NK – StGB vor § 211 Rn. 127; dieser Position ebenfalls zugeneigt Schneider in: MüKo – StGB vor §§ 211 ff. Rn. 91; ablehnenend z. B. Rössner/Wenkel in: Dölling/Duttge/ Rössner vor §§ 211 ff. StGB Rn. 17; Kühl vor §211 StGB Rn. 7. 557 Hirsch in: FS-Lackner S. 610; von Dellinghausen S. 349. 558 Zum Schuldbegriff BGHSt 2, 200; instruktiv Roxin AT I S. 847 ff.; Wessels/Beulke Rn. 394 ff. 559 Roxin in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler S. 91; Fischer § 213 StGB Rn. 13; Eser in: Schönke/Schröder § 213 StGB Rn. 14; BGHSt 27, 299. 560 So für Extremfälle Dölling MedR 1987 S. 12; für die Anwendbarkeit von § 60 StGB auch bei vorsätzlichen Tötungsdelikten BGHSt 27, 298.

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

verstößt der Handelnde gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit fremden Lebens, allerdings tut er dies nicht aus Motiven heraus, die in seiner eigenen Person begründet liegen. Stattdessen besteht sein Antrieb in der Linderung von Leiden zugunsten des Betroffenen. Mit dem verfassungsrechtlich in Art. 2 II GG gewährleisteten Recht auf Leidensfreiheit nimmt er folglich im Ergebnis ein Interesse des Patienten wahr. Rechtsfolgenlösungen, wie das Absehen von Strafe sind stark vom Einzelfall abhängig. Bei nahestehenden Personen im Familienkreis kann eine Bewertung der Tat beispielsweise ergeben, dass aufgrund der Einmaligkeit der Konfliktsituation keine Wiederholungsgefahr besteht. Auch generalpräventive Aspekte treten in Anbetracht der individuellen Konfliktlage zurück; es fehlt an der Möglichkeit, die Situation zu verallgemeinern. Hinzu kommt auch in diesem Fall die begrenzte Wirkung des Strafrechts. So ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich die Beteiligten des Unrechts ihrer Tat bewusst sind und im Normalfall nicht gegen das Tötungsverbot verstoßen würden. Angesichts der persönlichen Konfliktsituation erreicht sie jedoch der Appell einer abstrakten Strafandrohung nicht. Die dargestellten Aspekte einer verminderten Strafwürdigkeit und einer abgeschwächten Bedeutung der allgemeinen Strafzwecke rechtfertigen es damit, im Einzelfall zu einer milderen Bestrafung oder zur Straffreiheit zu kommen, ohne dass damit die Vorgaben eines insgesamt effektiven Lebensschutzkonzeptes in Frage gestellt wären. Dogmatisch ist aufgrund der starken Einzelfallbezogenheit der fraglichen Konstellationen die Rechtsfolgenseite der geeignete Ort. Diese Zuordnung ist so auch im StGB selbst zutreffend angelegt, wenn § 46 II StGB allgemein vorschreibt, dass die Beweggründe und Ziele des Täters bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Die Annahme des erfüllten Tatbestands und das allgemeine Unwerturteil auf der Ebene der Rechtswidrigkeit bestärken die grundsätzliche Geltung des Verbots der Unantastbarkeit fremden Lebens und stellen klar, dass durch die externe Verfügung und Bewertung eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Lebensrechts vorliegt. (f) Aktiv-indirekte Sterbehilfe Bei aktiv-indirekter Sterbehilfe geraten die beiden Grundanliegen der Schmerzlinderung sowie des Lebensschutzes in Widerstreit561. Bei Vorliegen eines entsprechenden Patientenwillens kollidieren dessen verfassungsrechtlich verbürgte Interessen auf Freiheit von Leiden als Teil der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 II GG sowie sein Lebensrecht ebenfalls nach Art. 2 II GG. Sofern der Patient selbst in Kenntnis der möglicherweise lebensverkürzenden Wirkung um die schmerzlindernde Medikation bittet, ist es verfassungsrechtlich vertretbar, innerhalb der Interessenabwägung der Leidensfreiheit den Vorrang zu geben. Es geht ausschließlich um Interessen des Patienten, wobei das Lebensrecht nicht absolut zu setzen ist und auch nicht zu einer Lebenspflicht verkehrt werden darf. Da primäres Anliegen die Leidenslinderung ist und die Lebensverkürzung nur eine unbeabsichtigte, mögliche Nebenfolge darstellt, trifft der Patient nicht negativ eine Ver561

Oduncu S. 45.

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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fügung über sein Leben, sondern entscheidet sich stattdessen positiv für Leidensfreiheit bzw. -linderung. Zur dogmatischen Begründung dieses Resultats reicht bereits die Rechtfertigung nach § 34 StGB aus. Aufgrund der ausschließlichen Beteiligung von Eigeninteressen des Rechtsgutsträgers ist es mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar, das Leben im Rahmen der Interessenabwägung zurücktreten zu lassen. In diesem Kontext gilt der obige Hinweis zur Konstellation der Früheuthanasie, dass im Rahmen des § 34 StGB lediglich externe Interessen das Lebensrecht nicht wesentlich zu überwiegen vermögen. Selbstverständlich mildert ein entsprechender Patientenwunsch den Unrechtsgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat zusätzlich ab. Folglich ist es ebenso vertretbar, zur Straffreiheit aufgrund einer Kombination von Notstandserwägungen und der Einwilligung zu kommen, die ihrerseits für sich genommen die Straffreiheit nicht begründen könnte562. Sofern ein entsprechender Patientenwille nicht vorliegt, aber die Motivation primär in der Linderung von Leiden besteht, gilt grundsätzlich das bei aktiv-direkter Sterbehilfe zur Mitleidstötung Gesagte. Hinzu kommt hierbei, dass der Unrechtsgehalt der Tat noch schwächer einzuschätzen ist, da mit dem Eventualvorsatz eine schwächere Vorsatzform hinsichtlich des Todeserfolges vorliegt. Die Vorsatzform ist zwar für die Strafzumessung nicht als solche, wohl aber im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters ein relevanter Faktor, der die Strafe mildern oder schärfen kann563. Damit ist auch in dieser Konstellation die Annahme der Strafbarkeit nach § 213 StGB oder die völlige Straffreiheit im Einzelfall mittels einer Lösung auf der Rechtsfolgenseite vor den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu beanstanden. (g) Allgemeinheit der gesetzlichen Regelungen/Reformbedarf Die Darstellung der Praxis bezüglich der Sterbehilfe hat ergeben, dass die allgemeine Fassung der Tötungsdelikte zu einer weitgehenden Zurückdrängung ihrer praktischen Durchsetzung auf diesem Gebiet führt. Gerade eine Bewertung im Anschluss an die differenzierten Regelungen am Lebensbeginn wirft die Frage auf, ob hier Reformbedarf dahingehend besteht, die Fallgruppen der Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. Besondere Bedeutung könnte dabei einer verfahrensmäßigen Absicherung zukommen, wie es beim Stammzellimport oder bei der Schwangerschaftsberatung bereits der Fall ist. Entsprechende Bestrebungen zur Reform der Tötungsdelikte gibt es seit Jahren. Es wurde bereits ein Alternativentwurf Sterbehilfe564 ausgearbeitet, der mittlerweile in einer überarbeiteten Fassung vorliegt565. Daneben veröffentlichte Lorenz 2008 den Entwurf eines eigenen Sterbehilfegeset562

Dölling MedR 1987 S. 7; Dölling in: FS-Gössel S. 212; zustimmend Oduncu S. 45. BGH StV 1990 S. 304; 1993 S. 72; Rössner/Kempfer in: Dölling/Duttge/Rössner § 46 StGB Rn. 27. 564 AE-Sterbehilfe 1986. 565 AE-StB GA 2005 S. 553 ff. 563

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

zes566. Beide Ansätze konnten sich allerdings bislang nicht durchsetzen. Bei der vorliegenden Bewertung kann es nicht um eine Reform der Tötungsdelikte im Allgemeinen567, wie sie etwa hinsichtlich des Verhältnisses von Mord und Totschlag diskutiert wird568, gehen, sondern ausschließlich um die Konstellationen der Sterbehilfe im Besonderen. Trotz der aufgezeigten Divergenz zwischen Gesetzeslage und Rechtspraxis wird hier eine Reform für nicht erforderlich bzw. dem Lebensschutz nicht dienlich erachtet. Die Fallgruppen der Sterbehilfe und ihre rechtliche Bewertung stehen weitestgehend seit Jahren fest. Insoweit kann durchaus von einem Zustand der Rechtssicherheit gesprochen werden. Eine ausdrückliche Regelung dessen, was ohnehin bereits praktiziert wird, könnte ein falsches Signal im Hinblick auf die Abschwächung des Lebensschutzes darstellen. Konsequenz könnte gerade der befürchtete gesamtgesellschaftliche oder vom persönlichen Umfeld ausgehende Druck569 sein, der die Entscheidung des Patienten negativ zu beeinflussen vermag. In Konsequenz dessen würde der besondere Charakter der Sterbehilfekonstellationen, der gerade im intrapersonalen Interessenkonflikt besteht, um eine externe Perspektive erweitert. Hinzukommt, dass diejenigen Extremfälle, die einer Klärung bedürften, so speziell sind, dass sie einer gesetzlichen Regelung nur schwer zugänglich wären570. Zu diesem Zwecke wäre ein eigenes Sterbehilfegesetz auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts notwendig, welches dann aber gerade das oben angemahnte falsche Signal bezüglich des Lebensschutzes darstellen würde. Folglich ist hinsichtlich der verschiedenen Sterbehilfekonstellationen an der derzeitigen Gesetzeslage und dem daran anknüpfenden Rechtszustand festzuhalten. Für die Umsetzung in der Rechtspraxis ist den aufgezeigten relativistischen Tendenzen im Hinblick auf externe Bewertung und den Einfluss von Drittinteressen vorzubeugen, die nun abschließend noch einmal zusammengefasst werden. (h) Ergebnis zur Situation am Lebensende Der verfassungsrechtliche Abgleich der gesetzlichen Regelungen am Lebensende und ihrer praktischen Umsetzung ergibt folgendes Bild: In ihrer Grundausrichtung ist die Situation des Lebensschutzes mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 1 I 2 GG und Art. 2 II GG vereinbar. Das staatliche Lebensschutzkonzept ist dabei ein anderes als dasjenige am Lebensanfang. Während der Gesetzgeber bei Schwangerschaftsabbruch und Stammzellforschung auf eine detaillierte Ausgestaltung und Kontrolle des zugrunde liegenden Verwaltungsverfahrens Wert legt und 566

Lorenz Sterbehilfe. Vgl. AE-Leben GA 2008 S. 193 ff. 568 Dazu Schneider in: MüKo-StGB vor §§ 211 ff. Rn. 140 ff.; Fischer vor § 211 StGB Rn. 1; Eser DJT 1980 D106 ff.; Beckmann GA 1981 S. 345 ff.; Küpper in: FS-Kriele S. 785 ff.; Kreß NJW 1998 S. 644. 569 Zu diesem Problem Geilen Euthanasie und Selbstbestimmung S. 27. 570 Gegen diesen Einwand AE-Sterbehilfe 1986 S. 4. 567

II. Strafrechtlicher Lebensschutz

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mit stellenweise weitgehenden Verboten arbeitet, ist das Konzept am Lebensende eher von einer gewissen gesetzgeberischen Zurückhaltung geprägt. Die gesetzlichen Regelungen sind sehr allgemein gehalten, was zu großen Anwendungsspielräumen und im Ergebnis zu einer Zurückdrängung der Tötungstatbestände in der praktischen Durchsetzung führt. Dieser Befund ist unterschiedlichen Umständen geschuldet und im Resultat verfassungsrechtlich vertretbar. Zum einen ergeben sich am Lebensende noch weniger Konstellationen mit einem Würdebezug, als dies etwa bei der Stammzellforschung am Lebensanfang der Fall ist. Schon aus diesem Grund liefert die Schutzpflicht keine verbindliche Handlungsanweisung im Sinne einer konkreten staatlichen Maßnahme, sondern erlaubt einen situationsabhängigen Interessenausgleich. Die zugrunde liegenden Interessenkollisionen sind geprägt durch den Charakter der Intrapersonalität. Anders als am Lebensanfang kollidieren nicht Interessen unterschiedlicher Rechtsgutsträger, sondern ein und derselben Person. Dieser Umstand rechtfertigt eine starke Zurücknahme des staatlichen Strafens als Instrument der Sozialkontrolle. Das Lebensschutzkonzept am Lebensende trägt grundsätzlich der Autonomie des Betroffenen Rechnung und respektiert dessen Entscheidung als Ausdruck einer gelebten Persönlichkeit. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der erwachsene Mensch im Normalfall selbst Entscheidungen treffen kann. Nur dort, wo dies aktuell nicht mehr der Fall ist, es also bei staatlichem Eingreifen nicht zu einer Bevormundung käme, wird die Schutzverpflichtung wieder intensiver und es bestehen Parallelen in der tatsächlichen Situation und in der rechtlichen Bewertung zum Lebensanfang. Doch selbst in diesen Fällen ist zu berücksichtigen, dass es sich in den fraglichen Konstellationen um stark individualisierte Konfliktfälle handelt. Daraus resultiert eine abgeschwächte Bedeutung der allgemeinen Strafzwecke. Wie bereits in einigen Situationen am Lebensanfang wird hierbei die begrenzte Wirkungskraft des Strafrechts überhaupt offenbar. Wenn am Lebensende einige Ausnahmen von dem Grundsatz gemacht wurden, dass menschliches Leben einer externen Bewertung nicht zugänglich ist, so ist dies auf die mangelnden Alternativen in Anbetracht der spezifischen Konfliktlagen zurückzuführen. Insofern ist einzuräumen, dass das Schutzniveau zwar nicht einem lückenlosen, geschweige denn einem absoluten, aber wohl dem bestmöglichen Schutz entspricht. In der praktischen Anwendung zu beachten ist in erster Linie, dass ein schematisches Vorgehen nicht möglich ist. Grundlage einer Entscheidung über Leben und Tod muss stets die individuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen sein. Allein dessen Interessen sind in eine Abwägung einzustellen und einander zuzuordnen. Auszuschließen sind dagegen externe Einflüsse in Gestalt von Drittinteressen. Dies betrifft namentlich beispielsweise Kostenfaktoren oder die Zumutbarkeit der Situation für Ärzte und Angehörige. Hierbei handelt es sich um Interessen, die in einer verfassungsrechtlichen Abwägung hinter der Bedeutung des Lebensrechts zurücktreten müssen. Schließlich wird hier ein gesetzgeberischer Klarstellungsbedarf nicht gesehen, da eine spezielle gesetzliche Regelung sich in Bezug auf ein effektives Lebensschutzkonzept sogar als kontraproduktiv erweisen könnte. Gleichwohl steht es dem

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B. Einfachgesetzlicher Lebensschutz

Gesetzgeber frei, im Zuge seines Einschätzungsspielraums bei Umsetzung seiner Verpflichtung zum Lebensschutz entsprechende Regelungen zu treffen, sofern die soeben dargelegten Grundsätze als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Rahmens berücksichtigt würden.

C. Konsequenzen der Befunde für die Bedeutung von Menschenwürde und Lebensschutz an den Grenzbereichen menschlicher Existenz I. Rückwirkungen des einfachen Rechts und von dessen Anwendung auf die Verfassungsebene Die einfachgesetzliche Situation sowie deren praktische Umsetzung wurden ausführlich dargelegt. Wenn diese soeben an den verfassungsrechtlichen Vorgaben gemessen wurden, so entspricht dies der klassischen Perspektive zwischen Verfassungsrecht und einfachem Recht von oben nach unten1. Umgekehrt ist jedoch auch zu fragen, ob sich aus den Befunden zur Rechtswirklichkeit Rückwirkungen auf die Verfassungsebene, also von unten nach oben ergeben. Möglicherweise führen die Zustände der Rechtspraxis dazu, dass die strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Status des frühen Lebens und zum Schutz am Lebensende relativiert werden müssen. Auf Verfassungsebene wurde davon ausgegangen, dass Menschenwürde und Lebensschutz auf einer ersten Stufe des „Ob“ bereits mit erfolgter Befruchtung einsetzen. Auf der zweiten Stufe des „Wie“ wurde herausgearbeitet, dass es sich dabei bereits von Anfang an hinsichtlich beider Gewährleistungen um den vollwertigen Schutz im Sinne einer subjektiven Grundrechtsträgerschaft der befruchteten Eizelle handelt. Am Lebensende wurde angenommen, dass das Lebensrecht aus Art. 2 II GG bis zum Eintritt des Gesamthirntodes im Sinne eines vollwertigen Schutzes greift. Für die Menschenwürde ergab die Untersuchung einen über den Gesamthirntod hinausreichenden Schutz im Sinne einer postmortalen Wirkrichtung. Reinhard Merkel beispielsweise zieht aus der Situation des beratenen Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a I StGB, für den er zu dem Schluss kommt, dieser sei entgegen seiner Kennzeichnung als grundsätzlich rechtswidrig tatsächlich rechtmäßig, die Schlussfolgerung, das ungeborene Leben könne nicht Schutzobjekt der Grundrechte sein2. Dieser Ansatz gibt Anlass, die verfassungsrechtlichen Prämissen erneut auf ihre Haltbarkeit und auf eine möglicherweise erforderliche Korrektur hin zu untersuchen. Im Ergebnis ist die Argumentation Merkels allerdings unter methodischen und inhaltlichen Gesichtspunkten abzulehnen. In methodischer Hinsicht spielt zunächst 1 Badura S. 15 Rn. 12; Katz S. 216 Rn. 420; Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Klein Einleitung Rn. 87. 2 Merkel ZfL 2008 S. 41.

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C. Konsequenzen der Befunde für die Bedeutung von Menschenwürde

der Vorrang der Verfassung3 eine entscheidende Rolle. In der Normenhierarchie bildet die Verfassung als höchststehende Rechtsquelle den Ausgangspunkt. An ihr ist das einfache Recht zu messen, das im Falle seiner Unvereinbarkeit verfassungswidrig und damit nichtig ist4. Für die Situation des Schwangerschaftsabbruchs, den Merkel seiner Argumentation zugrunde legt, hat dies folgende Konsequenz: Richtigerweise wäre die Schlussfolgerung, die nach Merkels Einschätzung zu treffen wäre, die Verfassungswidrigkeit des Abtreibungsrechts. Stattdessen akzeptiert Merkel die Situation des einfachgesetzlichen Schwangerschaftsabbruchsrechts und richtet umgekehrt das Verfassungsrecht an den Vorgaben des einfachen Rechts neu aus. Dabei ist also nicht die Verfassung der Maßstab für das einfache Recht, sondern Letzteres wird umgekehrt zum Prüfstein für die Verfassung. Selbst wenn man einräumt, dass sich aus der Schutzpflichtdimension der Grundrechte, insbesondere bei der Menschenwürde, einige Besonderheiten gegenüber der üblichen Normenhierarchie ergeben, überzeugt dieses Ergebnis der Relativierung des verfassungsrechtlichen Status jedenfalls inhaltlich nicht. Auch in der vorliegenden Arbeit wurde im Falle der Menschenwürde von einer gewissen Wechselwirkung zwischen den Ebenen des Verfassungsrechts und des einfachen Rechts und damit von einer beschränkten Rückwirkung von unten nach oben ausgegangen. Auch wenn Merkel seine Argumentation richtigerweise nicht auf die Menschenwürde stützt, so lässt deren Einordnung hier zumindest den methodischen Ansatz eher nachvollziehbar erscheinen. Gleichwohl geben die Rechtslage und deren praktische Umsetzung auch inhaltlich keinen Anlass, die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu revidieren. So lassen sich aus den vorliegenden Ergebnissen hinsichtlich der hier untersuchten Problemfelder der embryonalen Stammzellforschung, des Schwangerschaftsabbruchs und der Sterbehilfe keine Rückschlüsse auf die Wertigkeit eines bestimmten Rechtsguts ziehen. Es wurde in der vorliegenden Untersuchung besonderer Wert darauf gelegt, die zugrunde liegenden Situationen und Interessenkonflikte herauszuarbeiten. Deren Bewertung hat ergeben, dass die geltende Gesetzeslage sich als eine vertretbare, situationsabhängige Auflösung dieser Konflikte darstellt. Kurz: Nicht das Rechtsgut wird bewertet, sondern die Konfliktsituation. Diese hat in den drei untersuchten Fällen jeweils einen anderen Charakter, der eine abweichende Bewertung rechtfertigt und plausibel macht. Zuspitzen lassen sich diese Situationen einmal auf die Konstellation eines interpersonalen Konflikts bei embryonaler Stammzellforschung. Der Umstand, dass dem Lebensrecht des Embryos ausschließlich Drittinteressen gegenüberstehen, rechtfertigt weitgehende Verbote zu seinem Schutz und eröffnet zusätzlich den Menschenwürdebezug. Demgegenüber fallen am Lebensende bei den Sterbehilfekon3

Ossenbühl in: HdStR Band V 3. Auflage § 100 Rn. 34; Berg S. 33 Rn. 33; Schmalz S. 27 Rn. 3; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 20 GG Rn. 32; Badura S. 7 Rn. 7; Hopfauf in: SchmidtBleibtreu/Klein Einleitung Rn. 147; Wahl in: FS-Eser S. 1250. 4 Ossenbühl in: HdStR Band V 3. Auflage § 100 Rn. 93; Berg S. 33 Rn. 35; Degenhart Rn. 119; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 20 GG Rn. 33; Badura S. 535 Rn. 1; Sachs in: Sachs Art. 20 GG Rn. 95.

II. Spezifische Bedeutung des strafrechtlichen Lebensschutzes

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stellationen vorwiegend eigene Interessen des Patienten ins Gewicht. Es handelt sich um einen intrapersonalen Konflikt. Die Bedeutung der Menschenwürde ist hier auf Ausnahmefälle beschränkt. Folglich ist eine gewisse staatliche Zurückhaltung bei Androhung und Vollstreckung von Strafen zu legitimieren. Zwischen diesen beiden Extremen liegt die Situation des Schwangerschaftsabbruchs. Zwar stehen sich grundsätzlich eigenständige Rechtsgutsträger gegenüber. Dennoch sind diese in der einmaligen biologischen Situation der Schwangerschaft miteinander verbunden. Dieser Umstand rechtfertigt ein wiederum abweichendes Schutzkonzept, das in erster Linie auf den Dialog mit der Schwangeren setzt. Den Zuordnungen dieser Konstellationen ist jedenfalls unter den hier angemahnten Auslegungsrichtlinien keine Bewertung des menschlichen Lebens als Rechtsgut immanent. Stattdessen handelt es sich um Interessenkonflikte, die in einer bestimmten Weise aufgelöst werden müssen. In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Situation erfolgt diese Auflösung, wie die Untersuchung gezeigt hat, vertretbar. Eine Rückwirkung auf den verfassungsrechtlichen Status ist demgegenüber nicht anzunehmen. Es bleibt mithin bei den Einschätzungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 1 I GG und Art. 2 II GG am Lebensanfang und am Lebensende.

II. Spezifische Bedeutung des strafrechtlichen Lebensschutzes an den Grenzen des Lebens 1. Am Lebensanfang Der strafrechtliche Lebensschutz am Lebensanfang betrifft sowohl das Leben in vivo als auch dasjenige in vitro. Das gesetzgeberische Schutzkonzept ist dabei als ein Gesamtsystem aus ESchG und StammZG bzw. den Regelungen des StGB sowie denen des SchKG zu begreifen. Dem Strafrecht als schärfstem legislativem Instrumentarium kommt für den Zweck des Lebensschutzes gewichtige Bedeutung zu. Trotz einer erkennbaren Tendenz zu anders gelagerten Schutzkonzepten wird das Strafrecht diese Rolle auch in Zukunft behalten. Wie sich gezeigt hat, besteht zwar kein zwingender Automatismus zwischen dem staatlichen Auftrag zum Lebensschutz und dem Erfordernis einer Strafandrohung. Gleichwohl hat bereits das BVerfG festgestellt, dass ein vollständiger Verzicht auf strafrechtlichen Lebensschutz vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht nicht statthaft wäre5. Diese Vorgabe betrifft nicht eine konkrete Situation, sondern ist abermals im Kontext des benannten Gesamtkonzepts zu sehen. Allerdings hat die Untersuchung auch ergeben, dass in Anbetracht der spezifischen Konfliktsituationen, welche sich am Lebensanfang ergeben, die Wirksamkeit des Strafrechts an ihre Grenzen stößt. An diesen Punkten tendiert der Gesetzgeber dazu, flankierende Maßnahmen einer detaillierten Verfahrensgestaltung zu treffen. Gerade neuere Gesetzesentwicklungen wie der Erlass des StammZG oder die Änderung des SchKG signalisieren in diesen 5

BVerfGE 88, 257.

314

C. Konsequenzen der Befunde für die Bedeutung von Menschenwürde

Bereichen eine Abkehr von der starren Strafandrohung hin zu konsensualen Lösungsansätzen. Auch über diese Maßnahmen hinaus birgt der Lebensanfang Konfliktsituationen, in denen aufgrund fehlender Handlungsalternativen Ausnahmen vom verfassungsrechtlich vorgegebenen Verbot der externen Bewertung menschlichen Lebens gemacht und zugelassen werden. Selbst diese Ausnahmen sind als Teil eines effektiven Lebensschutzsystems zu verstehen, das zwar keinen lückenlosen oder absoluten Schutz gewähren kann, wohl aber eine bestmögliche Auflösung der zugrunde liegenden Interessenkollisionen intendiert. 2. Am Lebensende Der strafrechtliche Lebensschutz am Lebensende wird durch die §§ 211 bis 216 StGB gewährleistet. Diesen liegt ein anderes Lebensschutzkonzept zugrunde als den Regelungen am Lebensanfang. Die praktische Durchsetzung der hohen Strafandrohung erfährt dabei unter verschiedenen Gesichtspunkten Einschränkungen. Auch eine Gesetzesentwicklung ist kaum erkennbar, so dass man von einer gewissen gesetzgeberischen Zurückhaltung auf diesem Sektor sprechen kann. Sofern der Gesetzgeber doch, wie zuletzt hinsichtlich der Ermittlung des Patientenwillens geschehen, tätig wird, so ist auch am Lebensende die Tendenz erkennbar, eher Verfahrensregelungen auszugestalten als mit dem Werkzeug der bloßen Strafandrohung zu arbeiten. Der Hauptgrund für diese noch weitergehende Zurückdrängung des Strafrechts als am Lebensanfang liegt in der Bedeutung der Selbstbestimmung des Betroffenen. Sofern der Patient zu einer eigenen Entscheidung im Stande ist, wird ihm so weit als möglich die gebührende Achtung vor einer gelebten Persönlichkeit erwiesen und es soll nicht zu einer staatlichen Bevormundung kommen. Erst wo diese Faktoren mangels Entscheidungs- oder Äußerungsfähigkeit nicht greifen, ergeben sich wieder Parallelen zum Lebensanfang und es besteht ein gesteigertes Schutzbedürfnis. Auch am Lebensende erreicht die Wirkung des Strafrechts in einigen Fällen ihre Grenzen. Konsequenz ist allerdings weniger als am Lebensanfang der Einsatz flankierender Maßnahmen, sondern eher eine gewisse Milde in der Durchsetzung des Strafanspruchs angesichts der zugrunde liegenden Konfliktsituation. Eine weitere Parallele zum Lebensanfang besteht darin, dass sich auch am Lebensende Ausnahmen vom Verbot externer Bewertung menschlichen Lebens in Ermangelung von Handlungsalternativen ergeben. In der praktischen Durchsetzung sollte das Hauptaugenmerk darauf gerichtet werden, den zu bewertenden Interessenkonflikt von Drittinteressen freizuhalten und ausschließlich auf die individuelle Krankheits- und Lebenssituation im konkreten Einzelfall abzustellen. Die hohe Wertigkeit des Lebens fordert hier eine sorgfältige Ermittlung der Umstände und Interessen und verbietet ein schematisches Vorgehen. Im Rahmen des staatlichen Schutzauftrags wäre eine legislative Klarstellung der derzeitigen Rechtspraxis möglich. Soweit ersichtlich würde eine solche Kodifikation ähnlich wie die bereits bewirkten Reformen am Lebensanfang primär auf Verfahrensausgestaltung abzielen

III. Spezifische Bedeutung an den Grenzen des Lebens

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und nicht auf eine Ausweitung oder Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes6. Insgesamt ergäbe sich damit auch an diesem Pol des Lebens ein gemischtes Schutzkonzept aus Strafen und Überwachen. Eine dahingehende Klarstellung wird vorliegend jedoch aus den oben dargelegten Gründen nicht für erforderlich oder ratsam gehalten. Vielmehr erscheint die derzeit praktizierte gesetzgeberische Zurückhaltung angesichts der Einmaligkeit der zugrunde liegenden, individuellen Konfliktlagen durchaus angebracht, jedenfalls aber nachvollziehbar und von der Einschätzungsprärogative bei Erfüllung der Schutzpflicht gedeckt.

III. Spezifische Bedeutung der Menschenwürde an den Grenzen des Lebens Für die gesamte Untersuchung kann festgehalten werden, dass die praktische Bedeutung der Menschenwürde und damit deren entscheidender Einfluss auf den Ausgang einer Interessenkollision geringer ist als gemeinhin postuliert. Bei der Analyse aller drei untersuchter Konfliktlagen wurde sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern eines bestimmten Vorgehens das Menschenwürdeargument ins Feld geführt. Letztlich erwies sich dessen Relevanz jedoch als deutlich geringer als dies zunächst zu erwarten war. Zu erklären ist die Heranziehung des Menschenwürdearguments mit dem Streben nach etwas Absolutem, dem diskussionsbeendenden Gewinnerargument. In Wahrheit werden über eine solche Herangehensweise jedoch jegliche Diskussion sowie eine darauf aufbauende sachliche Interessenbewertung unterbunden. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass in Bezug auf die hier zu bewertenden Problemfälle am Beginn und am Ende des Lebens der Lebensschutz nach Art. 2 II GG primärer Maßstab ist. 1. Am Lebensanfang Für die Situation des Schwangerschaftsabbruchs beschränkt sich die Relevanz der Menschenwürde auf Extremfälle, in denen neben der Beeinträchtigung des Lebensrechts zusätzlich ein Menschenwürdeverstoß vorliegt. Diese Qualifikation ergibt sich dabei nicht aus den physischen Begleitumständen der Vornahme des Abbruchs, da hier in allen Konstellationen von einem medizinischen Kontext ausgegangen wird. Stattdessen kann sich der Menschenwürdebezug allenfalls aus der Intention der Lebensbeendigung heraus ergeben. Dies betrifft namentlich eine Behinderung als Abtreibungsgrund im Falle eines Abtreibungsautomatismus nach pränatalem Befund, zugespitzt also eine selektive Abtreibungspraxis. In diesen Fällen wäre bereits die Beeinträchtigung des Lebensrechts als solche nicht zu rechtfertigen, da die Menschenwürde hier als absolute Schranken-Schranke fungiert. 6 So sind jedenfalls AE-Sterbehilfe 1986 und Lorenz Sterbehilfe zu interpretieren; auch Popp ZStW 2006 S. 660 f. spricht von einer „Vorliebe für prozedurale Lösungen“.

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C. Konsequenzen der Befunde für die Bedeutung von Menschenwürde

Daneben läge ein originärer Menschenwürdeverstoß vor, der allerdings im Falle der beschriebenen Situation keine eigenständige Bedeutung hätte. Anders verhält es sich bei der embryonalen Stammzellforschung. Dies ist das einzige Problemfeld, bei dem hier in Folge der Tötung zu fremdnützigen Zwecken die Einschlägigkeit des Art. 1 I GG bejaht wurde. Ähnlich wie in den genannten Extremfällen des Schwangerschaftsabbruchs ergibt sich die qualifizierte Tötung dabei aus der Tötungsmotivation heraus und führt so zu einer eigenständigen Verletzung der Menschenwürde. Bei einer derartigen Bewertung des verfassungsrechtlichen Rahmens embryonaler Stammzellforschung setzt sich letztlich die Absicht des historischen Verfassungsgebers durch, mit Einführung des Art. 1 I GG die Bedeutung der individuellen menschlichen Existenz zu akzentuieren und diese vor einer externen Verfügung zu schützen. Jedenfalls im Hinblick auf die untersuchten Problemfelder am Lebensanfang kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Menschenwürderelevanz auf evidente Fälle beschränkt. Gerade die Annahme eines Menschenwürdeverstoßes im Falle des Verbrauchs überzähliger Embryonen war dogmatisch keinesfalls einfach herauszuarbeiten und ist darüber hinaus nicht unumstritten. Indem die Analyse gezeigt hat, dass das ESchG in erster Linie dem Würdeschutz dient und es den Lebensschutz nur sehr mittelbar bzw. weit vorgelagert verfolgt, wird deutlich, dass die praktische Relevanz der Menschenwürde zwar geringer ist als verbreitet angenommen wird, sie aber dennoch existiert und durch den Gesetzgeber in Umsetzung seiner Schutzpflicht ernst genommen wird. 2. Am Lebensende Die Steuerungskraft des Art. 1 I GG bezüglich des Problemfeldes der Sterbehilfe im medizinischen Kontext ist sowohl für als auch wider deren Zulässigkeit sehr beschränkt. Im pflegerischen Umgang mit dem Sterbenden lassen sich noch bestimmte Maßgaben ableiten, etwa, dass dieser in seinem Leiden nicht bloßzustellen ist. Hierbei sollte es sich allerdings um konsentierte Befunde handeln, die im besagten medizinischen Kontext nicht in Frage stehen dürften. Für das Pro oder Contra der Tötung als solcher dagegen sind andere Rechte des Patienten, wie dessen Lebensrecht, Selbstbestimmung oder sein Recht auf Freiheit von Leiden entscheidend. Die spezifische Bedeutung der Menschenwürde besteht hierbei allein darin, den Einfluss von Drittinteressen etwa in Gestalt einer Kosten/Nutzen-Bewertung menschlichen Lebens auszuschließen. Wie schon im Falle einer selektiven Abtreibungspraxis läge auch diesbezüglich bereits eine nicht zu rechtfertigende Beeinträchtigung des Lebensrechts vor. Auf der Ebene des Interessenausgleichs käme hier die Menschenwürde als absolute Schranken-Schranke ins Spiel. Der daneben festzustellende originäre Menschenwürdeverstoß bliebe damit ohne eigenständige, weitergehende Bedeutung.

IV. Endgültige Feststellungen nach Art. 1 I GG

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IV. Nach allem: Endgültige Feststellungen zum Menschenwürdesatz nach Art. 1 I GG Die Betrachtung der Grenzbereiche menschlicher Existenz unter verfassungsrechtlichen, einfachgesetzlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten ergibt im Ergebnis folgende Befunde zur spezifischen Bedeutung des Menschenwürdesatzes: Dessen originäre Bedeutung im Bezug auf die Problemfelder der embryonalen Stammzellforschung, des Schwangerschaftsabbruchs und der Sterbehilfe ist vergleichsweise gering. Größere Bedeutung kommt Art. 1 I GG dagegen im Kontext des Lebensschutzes in seiner Funktion als absolute Schranken-Schranke auf der Ebene der Rechtfertigung einer Beeinträchtigung des Lebensrechts zu. Hier kann die Menschenwürderelevanz zu einem Verletzungsurteil führen, welches unter ausschließlicher Berücksichtigung des Art. 2 II GG nicht zustande käme. Die Untersuchung von Lebensanfang und Lebensende hat daneben ergeben, dass es für diese Sondersituationen keinen spezifischen Würdebegriff gibt. Vielmehr gelten die allgemeinen Wertungen. In Anbetracht der Schwächen sämtlicher Würdekonzepte hat sich ein hier vertretenes, wertgeprägtes Würdeverständnis als am ehesten praktikabel erwiesen. Auch eine Relativierung des Rechtsguts Menschenwürde angesichts der konkreten Konfliktlagen konnte nicht festgestellt werden. Anzumahnen ist allerdings auf der Ebene des Schutzbereichs ein zurückhaltender Umgang mit dem Menschenwürdesatz. Dieses Vorgehen vermag zunächst seine hochstehende Bedeutung zu wahren und eröffnet darüber hinaus die Perspektive einer sachlichen Diskussion und eines sachgerechten Interessenausgleichs. Jedenfalls für die hier untersuchten Problemfelder hat sich das Lebensrecht weitestgehend als primärer Maßstab erwiesen und bewährt. In den genannten Fällen hatte die Menschenwürde vor allem die Funktion, gewisse Auslegungstendenzen zu unterbinden. Im Gesamtgefüge der Verfassung bildet Art. 1 I GG einen Fixpunkt, der einen absoluten Rahmen um das Alltagsgeschehen setzt und so für Stabilität der Verhältnisse sorgt. Grundsätzlich allerdings stellt eine pluralistische Gesellschaft ein relatives Wertgefüge dar, das auf eine sachgerechte Interessenzuordnung abzielt. Sofern ein Sachverhalt doch einmal die Menschenwürderelevanz nahe legt, stellt die Feststellung des Eingriffs eine sorgfältig zu prüfende Wertungsfrage dar. Dieser Umstand führt letztlich doch zu einer begrenzten Relativität des Würdebegriffs, welche jedoch durch dessen inhaltliche Konturierung beschränkt wird. Der Nutzen der Menschenwürdegewährleistung besteht hierbei im Sinne des Verfassungsgebers in der Betonung des individuellen Wertes menschlicher Existenz, welcher im Zusammenhang mit Fragen des Lebens eine Bewertung der konkreten Situation im Einzelfall und eine Erfassung der individuellen Interessen erforderlich macht. Dieser Vorstellung entspricht es auch, wenn die Menschenwürde hier in einer grundlegenden Weichenstellung als Wert, der mit dem Dasein des Individuums gegeben ist, und nicht als eine Zuschreibung im Sinne eines externen Prozesses verstanden wird. Wendet man nach diesen Überlegungen den Blick noch ein letztes Mal auf die untersuchten Problemfelder, so ergibt

318

C. Konsequenzen der Befunde für die Bedeutung von Menschenwürde

sich folgendes Bild: Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe betreffen eine Lebensbeendigung mit dem Ziel des Todes. Embryonale Stammzellforschung dagegen betrifft eine Tötung mit dem Ziel einer anschließenden nützlichen Verwendung. Das menschliche Leben wird dabei zum Gebrauchsgegenstand degradiert. Obgleich menschliches Leben nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu quantifizieren ist, wird in diesem Fall der nicht aufzuwiegende Wert individueller, menschlicher Existenz in den Hintergrund gerückt. Hierin besteht die Menschenwürderelevanz. Letztendlich bezeichnet der Begriff der Menschenwürde die Anerkennung und Ernstnahme des Individuums durch die Gemeinschaft sowie die sich daraus ergebende wechselseitig geschuldete Achtung innerhalb der menschlichen Solidargemeinschaft. Sie betrifft also den ureigenen Wert menschlicher Individualität im gesellschaftlichen Kontext.

Schlusswort I. Abschließende Reflexion der Befunde Angesichts der Quantität und der inhaltlichen Komplexität der einzelnen Untersuchungsgegenstände fällt es schwer, ein abschließendes Resümee zu ziehen. Mit Blick auf den lang andauernden wissenschaftlichen Diskurs in Bezug auf die thematisierten Probleme wäre es geradezu vermessen zu behaupten, alle offenen Fragen gelöst zu haben. Diesen Anspruch erhebt die vorliegende Arbeit dementsprechend auch nicht. Das Hauptanliegen bestand vielmehr darin, mit der parallelen Betrachtungsweise von Lebensanfang und Lebensende eine neue Perspektive zu eröffnen, die gewählten Themen möglichst dogmatisch präzise im Sinne juristischer Methodik einzuordnen und so die Diskussion zu bereichern. Um doch den dramaturgischen Spannungsbogen zu Ende zu führen, soll nachstehend noch einmal auf die eingangs in der Einleitung formulierten Leitfragen und deren Rolle im Verlauf der Arbeit eingegangen werden. Es hat sich gezeigt, dass die Grenzbereiche des Lebens Extremsituationen bergen, die zu zahlreichen Abweichungen in der rechtlichen Bewertung gegenüber dem Rest des Lebens führen. Für das Verständnis dieser Divergenzen ist es von besonderer Bedeutung, sich die Interessenkonflikte vor Augen zu führen, welche den rechtlichen Wertungen zugrunde liegen und in der spezifischen Konstellation eine situationsabhängige, nicht in erster Linie an der Wertigkeit von Rechtsgütern orientierte, Auflösung erfordern. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass an den Polen menschlicher Existenz stellenweise die Grenzen der Steuerungskraft des Rechts erreicht werden. In diesen Fällen kann nicht idealer, sondern nur bestmöglicher Schutz erstrebt werden. Hinsichtlich des Verhältnisses von Menschenwürde und Lebensrecht ist davon auszugehen, dass es sich in erster Linie um zwei getrennt voneinander zu beurteilende Gewährleistungen handelt. Für die untersuchten Problemfelder bildet das Lebensrecht den primären Bewertungsmaßstab, während der Menschenwürde quantitativ eine geringere Bedeutung zukommt. Der Hauptanwendungsfall besteht hierbei in der Funktion der Menschenwürde als absolute Schranken-Schranke bei der Prüfung von Eingriffen in das Lebensrecht. In diesem Zusammenhang verbietet die Menschenwürde eine zahlenmäßige Verrechnung von Menschenleben, welche bei ausschließlicher Anwendung der relativen Schranken-Schranke des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter bestimmten Umständen zu rechtfertigen wäre. Originäre Menschenwürdeverletzungen sind demgegenüber jedenfalls in dem hier zugrunde gelegten medizinisch-wissenschaftlichen Kontext sehr selten und erlangen aufgrund der vorherigen Prüfung des Lebensgrundrechts kaum eigenständige Bedeutung.

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Schlusswort

Die Untersuchung von Lebensanfang und Lebensende hat gezeigt, dass zahlreiche Parallelen der Situationen, insbesondere in Gestalt der Abhängigkeit von Dritten und einer geminderten sozialen Erkennbarkeit, bestehen. Dennoch haben sich auch entscheidende Differenzen ergeben, die unterschiedliche rechtliche Bewertungen und ein divergierendes Lebensschutzkonzept an den beiden Grenzbereichen rechtfertigen. Während am Lebensanfang dem Begriff der Potentialität bei fehlender Willensbildungsfähigkeit zentrale Bedeutung zukommt, findet dieser sein qualitatives Äquivalent am Lebensende in der Selbstbestimmung und dem Moment der Irreversibilität des Sterbevorgangs, welchen entscheidender Einfluss auf die Legitimität rechtlichen Schutzes beizumessen ist. Die Bearbeitung von Fragen der Abstufung hat ergeben, dass die Menschenwürde unter keinem Gesichtspunkt der juristischen Prüfung ein Einfallstor für eine entsprechende Relativierung bietet. Auch das Lebensrecht ist jedenfalls in qualitativer Hinsicht keiner entsprechenden Degradierung zugänglich. Sofern gezwungenermaßen Ausnahmen vom Verbot der externen Bewertung gemacht werden, dürfen ausschließlich Interessen des betroffenen Subjekts Berücksichtigung finden. Der Einfluss der Menschenwürde besteht hierbei darin, die Einmaligkeit menschlicher Existenz zu akzentuieren. Diese Feststellung ist gleichwohl nicht mit einem absoluten Vorrang des Lebensrechts gleichzusetzen. Sofern allerdings das Lebensrecht in einer Abwägung zurücktritt, kommt darin keine Abwertung des Rechtsguts Leben zum Ausdruck, sondern es ist dies der zugrunde liegenden Situation geschuldet. Nach allem hat sich gezeigt, dass die Menschenwürde auch gegenüber modernen Entwicklungen von praktischer Relevanz ist. Es verbleibt ein Unterschied zwischen Verfügungen der Natur und denjenigen des Menschen. Trotz gestiegener Möglichkeiten darf der Mensch nicht alles tun, was er zu vollbringen vermag. Diesen Umstand mahnt die Positivierung des Art. 1 I GG an exponierter Stelle an und steckt so die absoluten Grenzen menschlichen Handelns materiell-rechtlich ab. Die einfachgesetzliche Umsetzung staatlicher Schutzpflichten ermöglicht dabei eine Reaktion auf moderne Entwicklungen und bietet eine praktische Handhabe der bewusst unbestimmten verfassungsrechtlichen Vorgaben.

II. Ausblick Was schließlich noch bleibt, ist ein Ausblick darauf, was künftig für die Bedeutung von Menschenwürde und Lebensschutz an den Grenzen des Lebens zu erwarten ist. Es darf mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der technische Fortschritt weiter vorangetrieben werden wird. Die Verfügbarkeit des Lebens und mit ihr der Einfluss des Menschen auf natürliche Abläufe insgesamt wird damit noch weiter steigen. Weil sich im Zuge dessen die dargestellten Interessenkonflikte zunehmend verschärfen, steigt zugleich das Bedürfnis nach einer neutralen Vermittlungsinstanz. Angesprochen ist damit die staatliche Verantwortung zur Regulierung von Konflikten zwischen Privaten basierend auf verfassungsrechtlichen Schutz-

II. Ausblick

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pflichten. Neben den ursprünglichen Schutzpflichten werden insbesondere die Überwachungs- und Nachbesserungspflicht an Relevanz gewinnen, da sich technischer Fortschritt immer rascher vollzieht und einfachgesetzliche Regelungen damit schnell überholt sind. Auch ist in absehbarer Zeit davon auszugehen, dass sich neue Perspektiven etwa in Form von Heilungschancen praktisch realisieren lassen, die bislang nur theoretisch denkbar sind. Mit diesen Möglichkeiten steigt unter Umständen der Anreiz, ihnen Menschenleben zu opfern. Diese Aussicht darf allerdings nicht dazu führen, dass Menschen anderes menschliches Leben mit einem Preis versehen. Die Rolle der Menschenwürde wird auch künftig darin bestehen, derartigen Tendenzen vorzubeugen, indem der individuelle Wert eines menschlichen Lebens verdeutlicht und an die mitmenschliche Solidarität innerhalb der Spezies homo sapiens appelliert wird. Fortschritt und steigende menschliche Gestaltungsmöglichkeiten sind im Grundsatz äußerst erstrebenswert, jedoch nicht um jeden Preis. Der Preis individueller menschlicher Existenz ist nicht zu beziffern, jedenfalls wäre er zu hoch, als dass Dritte diese einem anderen Zweck als dem natürlich vorgesehenen Weg des Durchlebens und Entwickelns einer einzigartigen Biographie zuführen dürften.

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Sachwortverzeichnis Abgrenzung – §§ 211 ff. zu §§ 218 ff. StGB Abwehrdimension – Art. 1 I GG 51 – Art. 2 II GG 92 Alles-oder-nichts-Lösung – Art. 1 I GG 82

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Beginn des Lebensschutzes – Befruchtungsthese 104 – Nidationsthese 106 Beginn des Würdeschutzes – Befruchtungsthese 73 – BVerfG 71 – Geburt 75 – Nidation 74 Beratungsregelung 230, 289 dignitas 32 Dreier 123, 243 Drittwirkung – Art. 1 I GG 55 – Art. 2 II GG 102 Durchgriffsgedanke 134 Dürig – Objektformel 43 – Wertesystem 133 Eingriff – Grundrechtsdogmatische Vorklärung 143 – Privat 144 – Staatlich 143 Einschätzungsprärogative 99 Einwilligungssperre 255 Embryo in vitro – Lebensschutz Art. 2 II GG 110 – Stammzellforschung 156 – therapeutisches Klonen 157 – überzählige Embryonen 157 – Würdeträgerschaft 79

Embryonenverbrauchende Forschung Ende des Lebensschutzes 111 Ende des Würdeschutzes 80 Entkoppelung 134 Entwicklungsoffenheit 28 Forschungsfreiheit 197 Früheuthanasie 266, 295 Fünf-Komponenten-Theorie

42

Gattungswürde 45, 83 Gewissensfreiheit 195, 201, 303 Grenzbereiche 59 Grundrechtscharakter – Art. 1 I GG 48 Grundrechtsträgerschaft – Art. 1 I GG 67 Grundrechtsverzicht 181 Heuß

38

Ideengeschichte 31 imago-dei 32 Indikationen – embryopathische 233 – kriminologische 233, 293 – medizinisch-soziale 233, 291 Individuelle Würde 31 Inflation des Art. 1 I GG 56 Interessenausgleich 191 Interpersonaler Konflikt 202 Intrapersonaler Konflikt 202 Irreversibilität 129 Kant 35 Kommunikationstheorie 41 Kongruenz 134 Konkretisierungsbedürftigkeit Kulturtheorie 42

28

157

358

Sachwortverzeichnis

Leistungsorientierten Theorien Luhmann 40 Mitgifttheorien

40

39

Naturwissenschaftliche Grundlagen – Lebensanfang 67 – Lebensende 70 Normenhierarchie 205 Normhintergrund – Art. 1 I GG 25 – Art. 2 II GG 88 Objektformel 43 Objektive Wertordnung 95 Patientenautonomie 199, 254, 301 Patientenverfügung 258 Perforation 265, 294 Potentialität 129 Pränidative Beeinträchtigungen 147 Rechtfertigung 191 Rechtsfähigkeit – Beginn 248 – Ende 261 Reformbedarf – Embryonenschutzgesetz 281 – Stammzellgesetz 286 – Tötungsdelikte 307 Relativierung – Lebensschutz am Lebensanfang 275 – Lebensschutz am Lebensende 276 Schutzpflichtdimension – Art. 1 I GG 52 – Art. 2 II GG 93 Schwangerschaftsabbruch – Einfachgesetzliche Regelung 227 – Grundlagen 148 – Rechtswirklichkeit 262 – Verfassungsrechtliche Bewertung 149 Schwangerschaftskonfliktgesetz 230 Sozialstaatsgebot 53, 94

Stammzellforschung 279 – Einfachgesetzliche Regelung 216 – Grundlagen 156 – Perspektiven 159 – Rechtswirklichkeit 268 – Verfassungsrechtliche Bewertung 159 Stammzellgesetz 224 Sterbehilfe – Bewertung 298, 303, 306 – Einfachgesetzliche Regelung 251 – Grundlagen 172 – Rechtswirklichkeit 269 – Verfassungsrechtliche Bewertung 174 Stichtagsregelung 225, 268, 286 Strafrechtlicher Lebensschutz – §§ 211 ff. StGB 212, 237 – §§ 218 ff. StGB 227 – Pönalisierungspflicht 210 – Regelungen des Stammzellgesetzes 224 – Ultima ration Charakter 209 Subjektive Komponente 44 Suizid 251 Therapeutisches Klonen 157 Todesbegriff – Gesamthirntod 113 – im Strafrecht 249 – Kardiopulmonal 111 – Klinischer 112 – Teilhirntod 113 Verhältnismäßigkeit – Übermaßverbot 100 – Untermaßverbot 100 Vorwirkungen – Art. 1 I GG 84 Wachstumsmodelle – Art. 1 I GG 83 – einfachgesetzlich 243 Wechselwirkung 133, 206, 311 Zweiheit in Einheit

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