Memoria an der Zeitenwende. Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation (ca. 1505-1555) 9783050048420, 9783050040950

In seinem Buch untersucht B. Scheller die Geschichte der Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vom Beginn des Stiftungspr

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German Pages 350 [336] Year 2004

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Memoria an der Zeitenwende. Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation (ca. 1505-1555)
 9783050048420, 9783050040950

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Benjamin Schell er Memoria an der Zeitenwende

Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft Reihe 4 Band 28 Studien zur Fuggergeschichte Band 37 Herausgegeben von Johannes Burkhardt

Stiftungsgeschichten Band 3

Herausgegeben von Michael Borgolte

Benjamin Scheller

Memoria an der Zeitenwende Die vor

Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen

und während der Reformation

(ca. 1505-1555)

Akademie Verlag

Gedruckt mit

Unterstützung der Fuggerschen Stiftungen.

Abbildung auf dem Einband: Fuggerkapelle, Epitaphienwand (siehe Seite 96 in diesem Buch)

ISBN 3-05-004095-5 ISSN 1615-7893

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2004 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -

-

Einbandgestaltung: Jochen Baltzer, Berlin

Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Gedruckt in Deutschland

Inhalt

Vorwort.11

Einleitung.13 1. Jakob

Fugger macht sein Testament.13

2. Die drei großen

3.

Stiftungen Jakob Fuggers.15

Stiftungsgeschichte als allgemeine Geschichte.16

4. Von der Rechtsgeschichte zur Kulturgeschichte: Der Stiftungsbegriff in der Forschung.17

a) b) c) 5.

Stiftungsbegriff.17 Der sozialgeschichtliche Stiftungsbegriff..18 Der subjektive Sinn des Stiftungshandelns, oder: Stiftungsgeschichte als Kulturgeschichte.20 Stiftungsgeschichte als Verknüpfung von Mikro- und Makrogeschichte.22 Der rechtshistorische

a) Stiftungen im historischen Wandel.22 ot) Stiftungszweck.22

ß) Stiftungsorganisation.22 y) Stiftungsmotiv.23 b) „Kulturrevolution" und konkrete soziale Zusammenhänge: Die Reformation und die mittelalterlichen Stiftungen.24 c) Die Stiftungen Jakob Fuggers und die Reformation in Augsburg.27 6. Gang der Untersuchung, Quellen und Literatur.29

6_Inhalt ERSTER TEIL: DIE STIFTUNGEN JAKOB FUGGERS DES REICHEN BIS 1521.31 Der Stifter und seine Familie: Die Fugger von der Lilie bis

I.

zum

Tod Jakob Fuggers.33

1. Eine Aufsteigergeschichte: Die Fugger bis zur Generation Jakob Fuggers ..33 2.

Aufstieg in die Führungsschicht: Die Fugger bis zur Generation Jakobs

des Reichen.34 3.

„Sonderstruktur": Die Fugger ab 1494.38

4. Die Fugger von der Lilie und ihre Geschäfte unter der Leitung Jakob

Fuggers.42 Die

II.

Grabkapelle bei St. Anna.47

1. Stifter und Empfänger: Beziehungen der Fugger zu den Karmelitern von St. Anna.47 2.

Vertragliche Regelung nach Beginn der Planungen: Die Stiftungsurkunde von

1509.48

3.

Baugeschichte und Ausstattung.53

4.

Vorläufiger Abschluß der Kapellenstiftung: Der Stiftungsbrief von

5. Stifter oder Empfanger? Die Initiative

zur

1521.... 55

Stiftung.57

6. Gebaut „auf königliche Art": Bauliche Gestalt, Kosten und Kritik.61 7. Die Stiftermemoria.64

a) Die Fuggerkapelle als „Vehicle of Salvation".65 a) Der Altar.66

P) Die gestifteten Liturgien.70 y) Die Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger.72 b) Ein Handelsgeschlecht repräsentieren: Die profane Fuggermemoria in der Grabkapelle bei St. Anna.80

Inhalt_7 Die Prädikatur bei St. Moritz.101

III.

1. Eine Prädikatur wird errichtet.101 2. Zeche und Kapitel im Konflikt, oder: Herrschaft gegen Genossenschaft zum

3. Das zum

ersten.104

Kapitel gegen Jakob Fugger, oder: Herrschaft gegen Genossenschaft

zweiten.106

4. Die Rolle der Pfarrgemeinde.114

5. Seelenheil und Pfarrherrschaft:

Stiftungszweck und Stiftungsmotiv.120

a) Pfarrseelsorge und Werkheiligkeit, oder: doppelte Seelenheilstiftung.120 b) Herr der Pfarrei: Die profane Repräsentation Jakob Fuggers in der Prädikaturstiftung.124 IV.

Die Fuggerei.127 1. Die Fuggerei als die

Stiftung Jakob Fuggers.127

2. Der Stiftungsprozeß: Baugeschichte, Stiftungszweck und Verwaltung der Siedlung.128

a) Den Rahmen setzen: Grundstückserwerb und Vertrag mit dem Rat.128 b) Der Stiftungsbrief von 1521.129 c) Baugeschichte und bauliche Gestalt.130 3. Prävention und Disziplinierung: Der Stiftungszweck der Fuggerei und das neue Konzept von Fürsorge und Armut.132 a) Armensiedlung und Armenhaus.132 b) Neue Armut Neue Arme: Die Hausarmen.134 c) Neue Arme -Neue Armenfürsorge.136 d) Die Fuggerei: Wohnstiftung „neuen Typs".138 a) Das „Ganze Haus" auf 45 m2: die Haushalte in der Fuggerei.138 ß) Räumliche Struktur und richtiges Betragen: die disziplinierende Dimension der Fuggerei.145 -

8_Inhalt 4.

Kompensation für „frühkapitalistisches Gewinnstreben"? Die Motive für die Stiftung der Fuggerei.151

a) „Kompensation von Gewissensnot?": Werkheiligkeit und liturgische Stiftermemoria in der Fuggerei.152 b) „Zum Nutzen dieser Stadt": Die profane Memoria der Fugger in der Fuggerei.156 V.

Zwischen stand: Die

Stiftungen Jakob Fuggers im Jahr 1521.169

ZWEITER TEIL: DIE STIFTUNGEN JAKOB FUGGERS DES REICHEN 1521 BIS 1547/48.173

I.

Reformation in 1.

Augsburg (bis 1547/48).175

Augsburg als Schauplatz der Reformationsgeschichte.175

2. Der mute und mitlere

Weg: Die Reformation in Augsburg bis 1534.176

3. Die Ratsreformation in Augsburg 1534 bis 1547/48.178 4. Die Fugger in der Augsburger Reformationsgeschichte bis 1548.179

a) Die Fugger und die Reformation.179

b) II.

Von Jakob

zu

Anton: der Generationenwechsel im Handelsgeschlecht.181

Abbruch der Beziehungen: Die Grabkapelle der Fugger bei St.

Anna.185 1. St. Anna und die Reformation in

Augsburg.185

2. Die Reformation bei St. Anna und die Ausstattung der Fuggerkapelle.188

a) Die Abkehr vom ursprünglichen Bildprogramm der Epitaphien.188 b) Der Verzicht auf das Gitter.195 III.

Zwischen katholischem Patronatsherrn und evangelischer Gemeinde: Die Prädikatur bei St. Moritz 1521-1548.205 1. Die Reformation bei St. Moritz und die

Fuggersche Prädikatur.205

9

Inhalt

2.

Prediger zwischen katholischem Patronatsherrn und evangelischer Gemeinde.205

a) Johannes Speiser 1521-1524.205 b) Ottmar Nachtigall 1525-1528.211 3.

IV.

Zwinglianischer Zechpfleger gegen katholischen Patron: Herrschaft und Genossenschaft zum (vorläufig) letzten.217

„Ausbau statt Abbau": Die Fuggerei

1521-1548.225

1. Krank sein heißt arm sein; gesund sein heißt arbeiten können: das Holzhaus in der Fuggerei.225 2. Immer noch im Trend: Die Fuggerei vor dem Hintergrund der Augsburger Armenpolitik nach der Reformation.230

V.

Zwischen stand: Die

Stiftungen Jakob Fuggers bis 1548.235

DRITTER TEIL: DIE STIFTUNGEN JAKOB FUGGERS DES REICHEN 1548 BIS 1555.239

I.

Zwischen Restauration und Bikonfessionalität: die Augsburger Reformationsgeschichte 1548-1555.241 1. Katholische Restauration in der evangelischen Stadt: Augsburg 1548-1552.241 2. Auf dem Weg zur institutionalisierten Bikonfessionalität: Augsburg 1552-1555.244 3. Die

Fugger in den Augsburger Reformationsjahren

1548-1555.245

a) Die Fugger und das Augsburger Reformationsgeschehen der Jahre

1548-1555.245

b) Entscheidung für den Adel: Familie und Firma 1548-1555.246 II.

Die Neuordnung der 1. Die Urkunde

vom

Stiftungen durch Anton Fugger 1548.249

31. Juli 1548.249

2. Das Rechnungswesen der Stiftungen vor 1548.251 3. Das

Rechnungsbuch der Stiftungen von 1548.253

Gedächtnistransfer Die Kapelle bei St. Anna.257

III.

-

Wiedererrichtung mit Hindernissen

IV.

Die Prädikatur bei St. -

Moritz.263

Geregelter Betrieb und zusehends konfessionelle Prägung Die Fuggerei.271

V.

-

(Vorläufiger) Endstand

VI.

Die -

Stiftungen Jakob Fuggers

1555.277

Schlußbetrachtung.279

Transkriptionen wichtiger Quellen.285 1.

Grabkapelle bei St. Anna.286

2. Prädikatur bei St. Moritz.291

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis.309 Quellen- und Literaturverzeichnis.311 1.

Ungedruckte Quellen.311

2. Gedruckte

Quellen und Literatur.312

Abbildungsverzeichnis.341 Verzeichnis der Tabellen.343 Personen-und

Ortsregister.345

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001/2002 von der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde für den Druck teilweise überarbeitet; dabei wurde versucht, zuletzt erschienene Literatur zu zentralen Aspekten der Arbeit zu berücksichtigten. Unter den vielen Menschen, denen ich an dieser Stelle danken möchte, ist an erster Stelle mein akademischer Lehrer und Doktorvater Professor Dr. Michael Borgolte zu nennen, der die Untersuchung angeregt und gefördert hat, seinem Doktoranden die Freiheit ließ, auch eigene Wege zu beschreiten und seinem Mitarbeiter bzw. Assistenten stets den nötigen Raum für die eigenen Vorhaben gewährte. Schließlich und endlich danke ich ihm für die Aufnahme der Arbeit in die „Stiftungsgeschichten". Dank gebührt auch Herrn Professor Dr. Johannes Helmrath und Herrn Professor Dr. Frank Rexroth, die das Zweit- bzw. Drittgutachten übernahmen. Ihrer genauen Lektüre verdanke ich viele wichtige Hinweise und Anregungen. In verschiedenen Stadien seiner Entstehung wurde das Manuskript vollständig oder in Teilen von meinen Kollegen Dr. Wolfgang Eric Wagner (jetzt Rostock), Claudia Moddelmog MA. und Tillmann Lohse sowie von meiner Frau Nicole Dolif-Scheller gelesen. Ihnen sei für ihre Anregungen und ihre Kritik ebenso gedankt wie den Teilnehmern des Forschungskolloquiums von Herrn Professor Borgolte, denen einer Arbeitstagung am Istituto Storico Italo-Germanico in Trient im April 2002 sowie des transatlantischen Medieval History Seminars an der Humboldt-Universität zu Berlin im Oktober 2002 und der Arbeitstagung des Brackweder Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte an der Universität Bamberg im November 2002, denen ich einzelne Kapitel als Vortrag präsentieren durfte. Auf Seiten der institutionellen Förderer der vorliegenden Arbeit sei an erster Stelle die Studienstiftung des deutschen Volkes genannt, die mich während meines Studiums und während der Anfangsphase der Promotion mit einem Stipendium unterstützte. Dem Fürstlich und Gräflich Fuggerschen Familienseniorat danke ich für einen Druckkostenzuschuß, der schwäbischen Forschungsgemeinschaft und Herrn Professor Dr. Johannes Burkhardt für die Aufnahme der vorliegenden Arbeit in die „Studien zur Fuggergeschichte" sowie Herrn Franz Karg M.A. für vielfältige Hilfen und die freundliche Aufnahme und Unterstützung im Fürstlich und Gräflich Fuggerschen Familien- und Stiftungs-Archiv. Gastfreundschaft bei Forschungsaufenthalten gewährten mir Klaus Konrad und Lars Birken-Bertsch. Herrn Manfred Karras vom

12

Vorwort

Verlag Berlin danke ich für die angenehme Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Ein besonderer Platz unter den Menschen, denen ich an dieser Stelle danken möchte, gebührt meiner Frau Nicole. Trotz vielfältiger Beanspruchungen durch Beruf, Studium und Familie gab sie mir unzählige Male die Möglichkeit, meine Gedanken über die Stiftungen Jakob Fuggers im Gespräch mit ihr zu verfertigen. Ihr und unserer Tochter Elisabeth soll dieses Buch gewidmet sein. Akademie

Berlin, 14. März 2004

Benjamin Scheller

Einleitung

1.

Jakob Fugger macht sein Testament

Am 22. Dezember 1525 wußte Jakob Fugger, genannt der Reiche, Bürger zu Augsburg, Kaiserlicher Rat und „Regierer" der weltberühmten Fuggerschen Handelsgesellschaft, daß er nicht mehr lange zu leben hatte. Schon seit über einem Jahr litt er an „einem Gewächs an seinem Leib unterhalb des Nabels".1 Eine Operation hatte er abgelehnt. Zu schwach, um das Bett zu verlassen, ließ er sich in einen Raum neben der Hauskapelle des Fuggerschen Stadtpalais am Augsburger Weinmarkt tragen. In Anwesenheit zweier Notare und seiner Neffen Hieronymus, Raymund und Anton sowie zahlreicher Zeugen und Freunde setzte er dort sein Testament auf, mit dem er ein älteres Testament vom August 1521 unwirksam machte.2 In den vier Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte sich nämlich erwiesen, daß Hieronymus Fugger im Handel nit sonders brauchsamb war. Die Neffen Raymund und Anton bekamen deshalb als Ausgleich für ihre größere Mühe einen höheren Anteil an den Gewinnen der Handelsgesellschaft zugewiesen. Anton Fugger wurde zu deren künftigen Regierer bestellt. Doch nicht nur weltliche Angelegenheiten wurden neu geregelt. Auch in den letzten Dingen galt es nun, gewandelte Verhältnisse zu berücksichtigen. Hatte Jakob Fugger als überzeugter Anhänger der alten Kirche vier Jahre zuvor vielleicht noch gemeint, daß die Lehre Martin Luthers nur eine der Häresien sein würde, derer sich die katholische Kirche in ihrer langen Geschichte immer wieder einmal zu erwehren hatte, so mußte er 1525 in Rechnung stellen, daß sich der neue Glaube auch in seiner Vaterstadt Augsburg etabliert hatte, auch wenn bis zur offiziellen Einführung der Reformation durch den Rat noch einmal neun Jahre vergehen sollten.3 Bereits die Invocatio des Testaments von 1525 läßt sich als Versuch interpretieren, die Gültigkeit des neuen Testaments auch unter gewandelten religiösen Verhältnissen zu sichern.4 War das erste Testament noch im Namen der Haillegen, unteilbarn Drtvaltikait, auch der gebererin des almechtigisten undd hailigisten junckfrauen Marien und aller Gotes hailigen ausgestellt worden, so wurde im Testament von 1525 konfessionell indifferent nur noch die Heylige(), untailbarQ Tryfaltigkait angerufen.5 Sein Begräbnis und die damit verbundenen Zeremonien wollte Jakob Fugger durchaus in den -

-

1 2 3 4 5

Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 576. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 641 f.; Ders., Die Fugger (1999), 153 f ; Simnacher, Fuggertestamente (1960), 48. Zur Augsburger Reformationsgeschichte s. u., Zweiter Teil, 1.1., Anm. 1. Simnacher, Fuggertestamente ( 1960), 48 f. Fuggertestamente, ed. Preysing, 51, 74.

Einleitung

14

überkommenen Formen begangen wissen. Begraben werden wollte er in der Fuggerschen Grabkapelle bei den Karmelitern von St. Anna in Augsburg. Das Begräbnis sollte man in den traditionellen Formen begehen: mit besincknus, sibennden, dreyssigsten, meßlesen, almuesen geben, jartägen und anndern sachen? Zu diesem Anlaß und dann wieder zum sibennden, zum dreyssigsten und an den Jahrtagen sollten Geldspenden verteilt werden, um so die Gebetshilfe der Beschenkten zu erhalten.7 Anders als 1521 entfiel hierfür allerdings eine längere theologische Begründung. Im ersten Testament hatte es noch geheißen, daß die Gebetshilfe der Lebenden für die Toten jenen zur Erlösung, zu ewiger Ruhe und ewigen Freuden gereichen solle und weiterhin dazu, daß sie vom kercker des fegfeurs erläßt würden.8 Vier Jahre später entfiel dieser Bezug. Fugger verlieh nur noch allgemein seiner Hoffnung Ausdruck, das ewige Leben zu erlangen. Kleriker und Arme in Augsburg und in den Fuggerschen Herrschaften wurden mit Almosen bedacht, damit sie mit irem gebett gegen Gott meiner seel zu hiljf unndd trost ingedennckh sein? Beinahe alle Kirchen und Klöster Augsburgs bedachte Fugger in dieser Weise, ebenso sämtliche Fürsorgeeinrichtungen der Stadt, auch den gemeinen Almosensäckel, den der Rat 1522 eingeführt hatte. Außerdem sollten seine Neffen noch einmal bis zu 4.000 Gulden nach eigenem Gutdünken armen unnd nottürfftigen leuden zukommen lassen, alles umb Gotts willen. Insgesamt kann man die Geldspenden, die Fugger bei seinem Tod verteilt haben wollte, auf ca. 6.000 Gulden schätzen. Zwar verzichtete er im Testament von 1525 auf die formelhafte Anweisung, daß sein Begräbnis samt den zugehörigen Zeremonien geschehen solle, wie mein und meinsgleichen stand zugehört, die in seinem ersten Testament wie in allen Fuggertestamenten des 16. Jahrhunderts noch angeführt worden war.10 Das Ausmaß der Almosen, die anläßlich des Todes Jakob Fuggers vergeben wurden, und der durch sie initiierten Totenfeierlichkeiten mußte seinen Augsburger Mitbürgern, und nicht nur diesen, jedoch zweifelsfrei deutlich machen, wer hier gestorben war. Der Eindruck war so groß, daß der venezianische Gesandte Contarini am 1. Januar 1526 in seine Heimatstadt berichtete, Fugger habe 26.000 Gulden per l'amor di Dio verteilen lassen." Die Seelenheilschenkungen, die Jakob Fugger anläßlich seiner Totenfeierlichkeiten gemacht wissen wollte, sind somit ein Ausweis jener doppelten außerweltlich-innerweltlichen Strategie, die über weite Strecken des Mittelalters charakteristisch für das Totengedenken war: das Seelenheil zu sichern und dabei gleichzeitig den irdischen Rang des Verstorbenen deutlich werden zu lassen.

6 7 8 9 10 11

Fuggertestamente, ed. Preysing, 75.

Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 642 f. Fuggertestamente, ed. Preysing, 54; vgl. Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 473.

Fuggertestamente, ed. Preysing, 11. Fuggertestamente, ed. Preysing, 54. Pölnitz, Jakob Fugger JJ (1951), 592; Simnacher, Fuggertestamente (1960), 88.

Einleitung

2.

Die drei großen

15

Stiftungen Jakob Fuggers

Die

Sorge um sein Seelenheil und die Dokumentation seines Ranges hatte Jakob Fugger jedoch nicht erst auf dem Sterbebett bewegt. Sein Streben, sich der Fürbitte der Lebenden zu versichern und seinen und seiner Familie „Stand" dauerhaft zu repräsentieren, reichte weit über den Zeitraum zwischen seinem Ableben und dessen erstem Jahrtag hinaus. Zusammen mit seinen Brüdern Georg und Ulrich und nach deren Tod 1506

bzw. 1510 im Verein mit deren Söhnen hatte er eine Reihe von Stiftungen ins Leben gerufen. Von diesen Stiftungen erachtete er drei als besonders bedeutend: eine Grabkapelle im Westchor der Augsburger Karmeliterkirche St. Anna, in der er ja auch beigesetzt werden wollte, eine Prädikatur an der Kollegiat- und Pfarrkirche von St. Moritz, der Pfarrei, deren Pfarrkind Jakob Fugger war, und eine Armensiedlung in der Augsburger Jakobervorstadt, später gemeinhin als die „Fuggerei" bezeichnet. Die Angelegenheiten dieser drei Stiftungen hatte Fugger 1521 parallel zu seinem ersten Testament in einem eigenen Stiftungsbrief geregelt.12 Dieser Stiftungsbrief markierte einen vorläufigen Abschluß eines „work in progress". Er regelte die Verhältnisse dreier Stiftungen, die in einem längeren Stiftungsprozeß errichtet worden waren. Gleichzeitig ergänzte Fugger in ihm die Stiftungskapitalien der drei Stiftungen nochmals um 10.000 Gulden aus dess hanndells gemainen ungetailten hab vnd gut}3 In seinem Testament von 1525 verpflichtete Fugger seine Erben dann abermals, die Anordnungen des Stiftungsbriefs von 1521 getrewlich zu befolgen. Bezüglich der Grablege bei St. Anna allerdings gab er ihnen Vollmacht, die Verhältnisse neu zu regeln, dieweyl dieser zeit das wesen inn offtbemelten closter zu Unnser Frauen brüeder und auch an anndern orten, sich annderst als dann vor erzaigt}4 Die Augsburger Karmeliter von St. Anna waren bereits früh zur evangelischen Lehre übergetreten, und anders als 1521 sah sich Fugger vier Jahre später offensichtlich genötigt einzukalkulieren, daß dies auf absehbare Zeit so bleiben würde.15 Seine Neffen sollten deshalb das Recht haben, die Stiftungserträge, die Fugger den Brüdern bei St. Anna zugewiesen hatte, anderen Klerikern zukommen zu lassen, damit diese das liturgische Gedächtnis an den Stifter und seine Familie wachhielten. Die Kapelle selbst jedoch, die zu seiner, seiner Brüder und aller ihrer Nachkommen Ehre und Gedächtnis erbaut worden war, sollte erhalten bleiben. Hierüber sollten Fuggers Erben mit den Mönchen oder anderen Verwaltern des Klosters verhandeln und gegebenenfalls eine neue Stiftungsurkunde

anfertigen lassen.16 Für Jakob Fugger selbst standen die Grabkapelle bei St. Anna, die Prädikatur bei St. Moritz und die Fuggerei also in einem engen Zusammenhang. Darüber hinaus hatten die Fugger parallel zur Grabkapelle bei St. Anna eine weitere Grabkapelle in der Dominikanerkirche gestiftet, wobei beide Projekte aufeinander bezogen waren. In der For12 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing. 13 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 109. 14 Fuggertestamente, ed. Preysing, 78. 15 S. u., Zweiter Teil, El. 16 Simnacher, Fuggertestamente ( 1960 ), 96.

16

Einleitung

schung sind diese Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der einzelnen Stiftungen Jakob Fuggers bisher allerdings kaum beachtet worden. Es gibt hierzu praktisch keine Arbeiten. Aufsätze von Max Jansen aus dem Jahr 1910 und von Götz Frh. von Pölnitz von 1971 bieten allenfalls einen knappen Überblick.17 Ebenfalls kursorisch ist die Abhandlung Hans Liermanns von 1955, die darüber hinaus ausschließlich rechtshistorischen Fragen nachgeht.18 In der tour d'horizon zur Geschichte der Fugger im 16. und 17. Jahrhundert, die Franz Karg 1993 vorgelegt hat, findet sich der jüngste kurze Abriß zur Geschichte ihrer Stiftungen19. Jenseits dieser knappen Überblicksdarstellungen erweisen sich die Forschungen zu den Fuggerschen Stiftungen als vielfaltig aufgesplittert. Wichtige Ergebnisse sind verstreut in den umfangreichen Biographien, die Götz Frh. von Pölnitz über Jakob und Anton Fugger verfaßt hat.20 Stärker komprimiert behandelt Norbert Lieb die Fuggerschen Stiftungen unter kunsthistorischen Auspizien in seinem zweibändigen Werk über die Fugger und die Kunst.21 Vor allem kunst- bzw. architekturhistorisch sind auch die Einzelstudien zur Kapelle bei St. Anna und zur Fuggerei.22 Andere SpezialStudien zu einzelnen Stiftungen widmen sich ebenfalls historischen Teilaspekten wie der Sozialgeschichte und der kirchlichen Rechtsgeschichte.23 Einzig und allein Otto Gerhard Oexle hat eine Stiftung Jakob Fuggers, die Grabkapelle bei St. Anna, aus allgemeinhistorischer Perspektive betrachtet.24 Weder die Motive für die Stiftungen, noch ihre Zwecke und Organisation sind daher grundlegend erforscht. Eine erneute wissenschaftliche Beschäftigung mit den Stiftungen Jakob Fuggers steht also zuallererst vor der Herausforderung, diese bisher vernachlässigten, zentralen stiftungsgeschichtlichen Dimensionen zu untersuchen und sie in eine umfassende Darstellung des Stiftungswerks zu integrieren.

3.

Stiftungsgeschichte als allgemeine Geschichte

Doch es sind nicht allein inhärente Desiderata eines Forschungsfeldes, das sich bis dato allem unter familiengeschichtlichen Gesichtspunkten entwickelt hat, die eine erneute Beschäftigung mit den Stiftungen Jakob Fuggers fruchtbringend erscheinen lassen.25 Sie ist vielmehr geeignet, einen wichtigen Beitrag zu einer problemorientierten Stiftungsforschung zu leisten und diese gleichzeitig an zentrale Problemfelder der gevor

17 18 19 20 21 22 23 24 25

Jansen, Wohltätigkeitssüftungen der Fugger (1910); Pölnitz, Die Fuggerschen Stiftungen ( 1971 ). Liermann, Rechtsgeschichte der Fuggerschen Stiftungen (1955).

Karg, Die Fugger im 16. und 17. Jahrhundert (1993).

Pölnitz, Jakob Fugger I u. H (1949-51); Ders., Anton Fugger 1-3/1 (1958-71); Ders.lKellenbenz, Anton Fugger 3/2 (1986). Lieb, Die Fugger und die Kunst I u. H ( 1952/58). Weidenbacher, Fuggerei (1926); Tietz-Strödel, Fuggerei (1982); Halm, Daucher und die Fuggerkapelle (1926); Bushart, Fuggerkapelle (1994). Kellenbenz, Sozialgeschichtliche Bedeutung der Fuggerei (1971); Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892). Oexle, Memorial-Kapelle der Fugger (1998); Ders., Kulturelles Gedächtnis (2000). Vgl. hierzu Karg, Fugger als Forschungsthema ( 1996).

17

Einleitung

genwärtigen historiographischen Debatte anzuschließen. Diese zeichnet sich aus durch die Suche nach Methoden und Formen der Darstellung, die die Dichotomien von Sozial- und Kulturgeschichte, von Mikro- und Makrohistorie überwinden.26 Die Untersuchung von Stiftungsgeschichte im allgemeinen und der Geschichte der Stiftungen Jakob Fuggers im besonderen ist ein solcher integrativer Zugriff auf die historische Wirklichkeit, der Soziales und Kulturelles, Klein und Groß in ihren gegenseitigen Wirkungen zu einer „allgemeinen Geschichte" verbindet. Neuere Überlegungen zur begrifflichen Erfassung der vorreformatorischen Stiftungen nämlich haben den Stiftungsbegriff sozialhistorisch neu formuliert. Sie haben damit gleichzeitig das Tor aufgestoßen für eine Betrachtungsweise, die Stiftungen als sozial- und kulturgeschichtliche Phänomene erfaßt und die Wechselbeziehungen dieser beiden Dimensionen der Geschichte in ihnen aufzeigt. Zudem untersuchen stiftungsgeschichtliche Arbeiten seit jüngstem zunehmend StiftungsVollzug und Stiftungswirklichkeit.27 Damit gerät das spannungsvolle Verhältnis

Stifterintentionen und historischem Wandel in das Blickfeld und somit die Beziehung von konkretem Handeln individueller Akteure und übergreifenden Strukturen und Prozessen. Für einen solchen integrativen Zugriff stellen die Stiftungen Jakob Fuggers ein ideales Untersuchungsobjekt dar. von

4. a)

Von der Rechtsgeschichte zur Kulturgeschichte: Der Stiftungsbegriff in der Forschung Der rechtshistorische

Stiftungsbegriff

Lange Zeit hat in der historischen Forschung zu den Stiftungen ausschließlich ein juristischer Stiftungsbegriff vorgeherrscht, der im Kern auf das 19. Jahrhundert zurückgeht. Ihm zufolge werden Stiftungen vor allem als Institutionen gefaßt.28 Eine Stiftung entstehe, indem ein (oder mehrere) Stifter ein Vermögen zur Verfugung stellt bzw. stellen, aus dem dauerhaft, über das Dasein des Stifters hinaus, ein von diesem bestimmter Zweck erfüllt wird.29 Von der Schenkung, die eine einmalige Vergabung darstellt, die zweckgebunden sein kann, aber nicht sein muß, unterscheidet sie sich also durch Zweckgebundenheit und Dauer. „Angelpunkt" des modernen Stiftungsverständnisses ist 26 27

28

29

Vgl. Davis, shapes of social history ( 1990); Schulze, Einleitung (1994), 12. Straub, Theodor, Hausstiftungen der Witteisbacher (1978); Besold-Backmund, Stiftungen und Stiftungswirklichkeit (1986); Heidrich, Die kirchlichen Stiftungen (1990); Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen (1992); Jakobi (Hrsg.), Stiftungen und Armenfürsorge (1996); Wagner, Universitätsstift und Kollegium (1999); Borgolte (Hrsg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten (2000); Ders., Das Grab in der Topographie der Erinnerung (2000); Ders., Die Dauer von Grab und Grabmal (2000). Vgl. Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht ( 1988), 76; Ders., „Totale Geschichte" (1993), 7 f.; Schulze, Art Stiftungsrecht (1990), 1980; Hermann, Handbuch des Stiftungsrechts (2002), 230-241; Ebersbach, Handbuch des Stiftungsrechts (1972), 15. Borgolte, „Totale Geschichte" (1993), 8.

18

Einleitung

die Denkfigur der Juristischen Persönlichkeit". Denn nur die Unsterblichkeit juristischer Personen kann nach moderner Auffassung die Dauer der Stiftung gewährleisten. Je nachdem ob Stiftungen an bereits bestehende Anstalten angelehnt werden, die den Stiftungsvollzug treuhänderisch gewährleisten, oder ob man Stiftungen eigens mit Stiftungsorganen ausstattet, werden unselbständige und selbständige Stiftungen mit eigener Rechtspersönlichkeit unterschieden. Das Spezifische an der Stiftung als juristischer Person ist dabei, daß sie als „nichtverbandmäßige" juristische Person erachtet wird.30 Dies bedeutet, daß als Substrat der juristischen Persönlichkeit nicht wie bei der Korporation ein Personenverband betrachtet wird, sondern das Stiftungsvermögen oder der

Stiftungszweck.31

b)

Der sozialgeschichtliche

Stiftungsbegriff

Dem rechtshistorischen ist in jüngster Zeit ein Stiftungsbegriff zur Seite gestellt worden, den man als sozialhistorischen bezeichnet hat, und mit dem sich bisher vernachlässigte Dimensionen des mittelalterlichen Stiftungswesens in den Blick nehmen lassen. Dabei knüpft er durchaus an das ältere Konzept an. Auch der sozialgeschichtliche Stiftungsbegriff hält am Kriterium der Dauer als Unterscheidungsmerkmal von Stiftung und Schenkung fest und macht dies zum Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen. Der entscheidende Unterschied besteht in einer Verlagerung der Perspektive von der Institution auf die Akteure, um so die sozialgeschichtliche Dimension der mittelal-

terlichen Stiftungen zu profilieren. Ausgangspunkt hierfür ist die Frage, wie die Zeitgenossen im Mittelalter Stiftungen konzipiert haben. Dabei fällt zunächst auf, daß es im Mittelalter das Konzept der nichtverbandmäßigen juristischen Persönlichkeit nicht gab.32 Bereits Otto von Gierke hatte Ende des 19. Jahrhunderts darauf hingewiesen, daß sämtliche Zweige der mittelalterlichen Jurisprudenz die Stiftungen entweder zu den kirchlichen Einrichtungen oder aber als pía corpora zu den collegia rechneten und somit zu den Korporationen.33 Konsequent hatte Gierke konstatiert, daß im Mittelalter eine Stiftung immer ein „sozialer

Schöpfungsakt" gewesen ist.34 Darüber hinaus konnte jedoch gezeigt werden, daß den Zeitgenossen nicht nur keinerlei Konzept einer nichtverbandmäßigen juristischen Persönlichkeit zur Verfügung 30 31

Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988), 76; Ebersbach, Handbuch des Stiftungsrechts (1972), 15. Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988), 84 f.; Ebersbach, Handbuch des Stiftungsrechts (1972), 15; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts (2002), 238.

32

33

34

Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988), 82; Schulze, Art. „Stiftungsrecht" (1990), 1985; vgl. Ders., Historischer Hintergrund (1989). Gierke, Genossenschaftsrecht (1881), 198 u. ö.; Ders., Deutsches Privatrecht (1895), 646 f.; vgl. Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988), 82; Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts (2002), 29 mit Anm. 24. Gierke, Deutsches Privatrecht (1895), 651; vgl. Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechtsund sozialhistorischer Sicht (1988), 85.

Einleitung

19

stand. Stiftungen im Mittelalter wurden vielfach überhaupt nicht juristisch personifiziert. Statt dessen faßte man natürliche Personen und Personengruppen als Träger von Stiftungen.35 Diese Beobachtung hatte bereits die rechtshistorische Forschung gemacht.

So hatte etwa Siegfried Reicke in bezug auf die mittelalterlichen Hospitäler darauf verwiesen, „daß neben dem hospitale selbst in den Quellen die Bruderschaft, die fraterni-

tas oder die congregatio, oder die im Spital betreuten pauperes und infirmi, die armen und siechen Leute, als Träger der Stiftung erscheinen".36 Es blieb jedoch Michael Borgolte vorbehalten, das Problem zu formulieren, das sich aus diesem Befund ergibt: Wie konnten die Stiftungen Dauer gewinnen, wenn als ihre Träger natürliche und damit sterbliche Personen betrachtet wurden? Die Antwort auf diese Frage lautet mit Otto Gerhard Oexle: durch die Vorstellung von der „Gegenwart der Toten". Oexle konnte zeigen, daß die Toten im Mittelalter als Personen in rechtlichem Sinn betrachtet wurden. Sie galten als rechtsfähig und somit als Subjekte sozialer Beziehungen. Die Toten waren so „unter den Lebenden gegenwärtig".37 In den Stiftungen des Mittelalters kam diese Vorstellung aufgrund des Motivs zum Tragen, das sie bei allen unterschiedlichen Stiftungszwecken gemeinsam hatten38: Sie waren „Stiftungen für das Seelenheil" (Karl Schmid).39 Als frommes Werk waren sie zum einen an Gott selber gerichtet, der den Geber dafür mit dem ewigen Leben belohnen sollte. Vor allem aber wurden vielfach die Personen, die durch eine Stiftung gefordert wurden, zur Fürbitte für den Stifter verpflichtet. Ob Priester, Altaristen, Mönche, Stiftsherren, Spitalinsassen, Professoren oder Studenten, sie alle sollten mit Gebeten und der Teilnahme an Messen das Gedächtnis an den Stifter zu Lebzeiten und vor allem nach dessen Tod wachhalten. Künstler sicherten die Memoria des Stifters mit Inschrift oder Bild.40 Neben der liturgischen Memoria, die das Heil der Seele sichern half, dienten Stiftungen dabei auch der profanen Memoria, die den irdischen Ruhm des Stifters mehren und über seinen Tod hinaus bewahren sollte. Durch ihr memoriales Handeln, aber nicht nur durch die Nennung des Stifternamens im Totengedenken vor allem bzw. Totengebet, vergegenwärtigten die Destinatäre und Organe der Stiftung also den -

-

Stifter.

Als sozialhistorisch hat man diesen spezifisch mediävistischen Stiftungsbegriff deshalb bezeichnet, weil durch die Vergegenwärtigung des Stifters soziale Beziehungen zwischen Stifter und Stiftungsdestinatären entstanden, die immer wieder aktualisiert werden und über den Tod des Stifters hinaus andauern konnten. Verstehen läßt sich die soziale Beziehung zwischen dem Stifter und denjenigen, die er mit dem Vollzug seiner Stiftung beauftragt hatte, als Gabentausch im Sinne des französischen Ethnologen Mar35 36 37

38 39 40

Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht ( 1988), 83. Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988), 83 unter Verweis aufReicke, Stiftungsbegriff und Stiftungsrecht im Mittelalter (1933), 272 f. Oexle, Gegenwart der Toten (1983), 22; vgl. Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988), 88; zum Toten als Rechtssubjekt bereits Brunner, Der Totenteil (1898); Ders., Das rechtliche Fortleben (1907); Ders., Die Klage (1910). Borgolte, Stiftungen des Mttelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988), 90-92; Ders., „Totale Geschichte" (1993), 7; Kamp, Rolin (1993), 9-18. Schmid, Stiftungen ftir das Seelenheil (1985). Borgolte, „Totale Geschichte" (1993), 12.

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20

eel Mauss, also als eine Form des Austauschs, durch die soziale Bindungen zwischen den tauschenden Personen und Personengruppen etabliert werden: „Die Gabe stiftet soziale Gemeinschaft, die Gegen-Gabe bestärkt und bekräftigt sie".41 Sieht man hierin den Kern des „soziale(n) Mechanismus" der mittelalterlichen Stiftung, dann ist es sinnvoll, das fur die Stiftung zentrale Kriterium der Dauer nicht an das Vermögen zu knüpfen, sondern an die Dauer der sozialen Beziehung zwischen Stifter und jenen, die er bedacht hatte. Das heißt: an die Dauer des memorialen Handelns.42 Unmittelbar hieran schließt sich dann auch die Frage an, welche Form die soziale Beziehung zwischen Stiftern und Empfangern hatte, ob sie eher horizontal oder vertikal war, ob ein Stifter über seinen Tod hinaus über die Empfänger seiner Wohltaten zu herrschen trachtete, oder ob er den Personen und Personengemeinschaften, die er bedachte, genossenschaftliche Freiheit einräumte und in welchem Verhältnis dies zum Erfolg der intendierten Dauer einer Stiftung stand.43 Ein sozialgeschichtliches Verständnis der mittelalterlichen Stiftungen macht es keinesfalls obsolet, nach der genuin juristischen Dimension von Stiftungen, vor allem nach rechtlichen Strategien, die die Dauer von Stiftungen sichern sollten, zu fragen.44 Ein sozialhistorischer Stiftungsbegriff soll den juristischen nicht ersetzen. Vielmehr besteht seine Funktion darin, vernachlässigte Dimensionen der mittelalterlichen Stiftungen untersuchen zu können. Neben die Institutionengeschichte tritt so eine Geschichte der Menschen und „ihrer Sorge um Memoria und Gegenwart unter den Lebenden".45

c)

subjektive Sinn des Stiftungshandelns, oder: Stiftungsgeschichte als Kulturgeschichte Der

Zwar waren die Ansätze zur Neuformulierung des Stiftungsbegriffes als sozialhistorisch konzipiert. Genausogut kann man sie jedoch als kulturgeschichtlich bezeichnen. Da sie die Perspektive von den Strukturen auf die Akteure verschoben und die Vergegenwärtigung der Toten als das alles überwölbende Motiv für das Handeln der Stifter wie der Destinatäre identifizierten, erschlossen sie nämlich auch die „kulturelle" Dimension der mittelalterlichen Stiftungen und erkannten diese geradezu als konstitutiv. Mit Clifford Geertz lassen sich Kulturgeschichte und Sozialgeschichte als „verschiedene Abstraktionen der gleichen Phänomene" betrachten.46 Unter Kultur versteht Geertz im Anschluß 41

42 43

44 45 46

Oexle, Memoria und Memorialüberliefening (1976), 88; Mauss, Die Gabe (1989), v. a 38; Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht (1988); Ders., „Totale Geschichte" (1993), 12. Lusiardi, Stiftung und städtische Gesellschaft (2000), 51. Vgl. hierzu Borgolte, Stiftungen des Mittelalters im Spannungsfeld von Herrrschaft und Genossenschaft (1994); Ders., König als Stifter (2000); Wagner, Universitätsstift und Kollegium (1999); Ders., Von der Stiftungsurkunde zum Anniversarbucheintrag (2000). Vgl. Neiske, Rechtssicherung und Praxis spätmittelalterlicher Gedenkstiftungen (1986); Goez,

Mißtrauische Stifter (2000). Borgolte, Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht ( 1988), 94. Geertz, Dichte Beschreibung ( 1983), 99.

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21

Max Weber „das Geflecht von Bedeutungen, in denen Menschen ihre Erfahrung interpretieren und nach denen sie ihr Handeln ausrichten." Die soziale Struktur „ist die Form, in der sich das Handeln manifestiert, das tatsächlich existierende Netz der sozialen Beziehungen. (...) Die eine hat mit sozialem Handeln unter dem Aspekt seiner Bedeutung für die Handelnden zu tun, die andere mit eben diesem Handeln unter dem Gesichtspunkt seines Beitrages zum Funktionieren eines sozialen Systems".47 Überträgt man diese Überlegungen auf den mediävistischen Stiftungsbegriff, dann ist dieser kulturgeschichtlich, da er von der Bedeutung ausgeht, die Stiftungen als Form sozialen Handelns für Stifter und Destinatäre hatten: Sicherung der Memoria für erstere, Vergegenwärtigung der Toten durch memoriales Handeln für letztere.48 Genauso sehr ist er jedoch sozialhistorisch. Lenkt er doch den Blick auf die Wechselbeziehung zwischen Stiftern und Empfangern, auf die sozialen Gebilde, die durch Stiftungen geschaffen werden und die sozialen Zusammenhänge, in denen Stiftungen etabliert und vollzogen werden. Dabei zeigt er gleichzeitig das Wechselverhältnis der beiden Dimensionen. Zum einen ist die soziale Beziehung zwischen Stiftern und Destinatären ohne die kulturelle Dimension nicht zu denken, beruht sie doch auf deren subjektiv memorialem Handeln. an

Auf der anderen Seite formte Memoria wiederum soziale Strukturen. War Memoria im Mittelalter doch von größter Bedeutung, wenn es um die Konstituierung und Fortexistenz sozialer Gruppen ging.49 Maurice Halbwachs hat gezeigt, daß das Gedächtnis der Einzelnen wie der Gruppen abhängig ist von Rahmen, die seine bzw. ihre Erinnerung organisieren.50 In diesem Sinne läßt sich eine Memorialstiftung als Setzung eines solchen Rahmens verstehen, durch den die Erinnerung der Nachkommenden an die Vorangehenden organisiert wird. Stiftungen waren immer auch Ausdruck der Sicht des Stifters auf diejenigen, deren Gedenken er mit seiner Stiftung sichern wollte, also seiner selbst und der Gruppe, der er sich zugehörig fühlte. Sie wollte der Stifter in der Art und Weise erinnert wissen, wie sie durch die Memoria repräsentiert wurden.51 Gestiftete Memoria gehört also zu jenen Abbildungen des Sozialen, die die neue Kulturgeschichte als Repräsentationen bezeichnet hat und die das abgebildete Soziale genauso formieren wie vermeintlich objektive Strukturen.52 Stiftungsgeschichte als Geschichte des menschlichen Strebens nach Memoria und der sozialen Gebilde, die aus diesem entstanden, ist deshalb ein Ansatz, in dem sich Kulturgeschichte und Sozialgeschichte in geradezu exemplarischer Weise ergänzen und durchdringen.

47 Ebd. 48 Vgl. auch Oexle (Hrsg.), Memoria als Kultur (1995). 49 Oexle, Liturgische Memoria und historische Erinnerung

50 51 52

schichte des Adels (1990).

(1982); Ders., Bemerkungen

zur

Ge-

Halbwachs, Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen (1985), 364; vgl. Assmann, Kulturelles Gedächtnis (1997), 36. Vgl. die Beiträge in OexlelHülsen-Esch (Hrsg.), Repräsentation der Gruppen ( 1998). Chartier, Kulturgeschichte ( 1989), 11.

22

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5.

Stiftungsgeschichte als Verknüpfung von Mikro- und Makrogeschichte

a) Stiftungen im historischen Wandel Ansatz, der mikro- und makrohistorische Perspektive in besonderer Weise aufeinander bezieht, wird Stiftungsgeschichte dann, wenn man sich der Erforschung der Stiftungswirklichkeit im historischen Wandel zuwendet. Denn Stiftungen und historischer Wandel standen und stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander. Stiftungen sind wie erwähnt immer auf Dauer, ja auf Ewigkeit hin angelegt. Dies unterscheidet sie von der einfachen Schenkung. Gleichzeitig sind sie jedoch durch die Verhältnisse der Zeit geprägt, in der sie entstehen, und auf verschiedenen Ebenen mit ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Umwelt verwoben: durch Zweck, Organisation und Motiv. Zu einem

a) Stiftungszweck Bereits Marlene Besold-Backmund konnte zeigen, wie Stiftungen durch ihre Zwecke in einem spannungsreichen Verhältnis zu ihrer sozialen Umwelt standen. Stiftungen wurden ins Leben gerufen, um zeitgenössische Bedürfnisse zu befriedigen und aktuelle, drängende Probleme zu beheben.53 Stiftungen seien somit „Manschetten" gewesen, die an den neuralgischen Knotenpunkten des sozialen Beziehungsnetzes einer Gesellschaft angebracht wurden, um diese zu verstärken. Damit hat Besold-Backmund gleichzeitig auf das inhärente Spannungsverhältnis von Stiftungen und ihrer sozialen Umwelt aufmerksam gemacht: „Während sich das Geflecht der sozialen Beziehungen (...) im Laufe der Zeit wandelte, blieben in der Stiftung die auf eine bestimmte Situation zugeschnittenen Manschetten erhalten".54 Vor allem in Zeiten des beschleunigten historischen Wandels mußte die Spannung so groß werden, daß die „Manschetten" neu angepaßt werden mußten oder aber zerrissen.

ß) Stiftungsorganisation Stifter hatten in den allermeisten Fällen konkurrierende Interessen verschiedener Akaus unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern zu berücksichtigen. Zu stiften in der Regel ein interaktiver Prozeß, an dem eine Reihe von Akteuren und sozialen war teure

53 Schon ein kursorischer Überblick über das weite Feld der Stiftungsforschung vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt der Stiftungszwecke. Hier seien nur einige genannt; für Gottesdienst und religiösen Kultus vgl. Fuhrmann, Kirche und Dorf (1995); Dies., Dorfgemeinde und Pfründstiftung (1989); Vavra, Kunstwerke als religiöse Stiftung (1987); Dies., Pro remedio animae (1990); Schleif, Donatio et Memoria (1990); zur Sozialfürsorge vgl. Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit (1996); Rexroth, Armut und Memoria (1994); Knefelkamp, Heilig-Geist-Spital (1989); zum Bildungswesen vgl. Rexroth, Oxford (1999); Ders., Städtisches Bürgertum und landesherrliche Universitätsstiftung (1993). 54 Besold-Backmund, Stiftungen und Stiftungswirklichkeit ( 1986), 8.

23

Einleitung

Gruppen teilhatten.55 Diese für den Prozeß, in dem Stiftungen errichtet wurden, formulierte Einsicht läßt sich auch auf die Stiftungswirklichkeit übertragen. Auch am Vollzug von Stiftungen hatten oftmals verschiedene Gruppen und Akteure teil. Der Grad ihrer Beteiligung konnte dabei unterschiedlich intensiv sein. Bereits die rechtshistorische Forschung hatte ja unselbständige Stiftungen, die an bestehende Anstalten angelehnt waren, von selbständigen unterschieden, die eigene Stiftungsorgane hatten.56 Durch die Beteiligung verschiedener Gruppen und Akteure am Stiftungsvollzug ergibt sich somit eine weitere Dimension der Verflechtung von Stiftungen mit ihrer sozialen Umwelt, die im Wandel zu Spannungen fuhren konnte. y)

Stiftungsmotiv

Die Umwelt, auf die Stiftungen bezogen waren, läßt sich jedoch nicht nur sozial, sondern auch kulturell konzipieren. Durch ihr Motiv, die dauerhafte Sicherung der Stiftermemoria, waren die mittelalterlichen Stiftungen eingebettet in eine spezifische Erinnerungskultur, die nicht zuletzt von ganz bestimmten Konzepten der jenseitigen Welt geprägt war. Jan Assmann hat Memoria allgemein als Ausdruck einer „Ethik des Aneinanderdenkens und Füreinanderhandelns" bezeichnet.57 Memoriales Handeln beruhte im Mittelalter auf der Überzeugung, daß Menschen hierdurch ihr postmortales Schicksal oder das anderer zum Besseren wenden könnten. Diese grundlegende Annahme läßt sich für das gesamte Mittelalter nachweisen.58 Trotzdem war diese Sinnformation keineswegs statisch, ihre spezifischen Ausprägungen wandelten sich im Mittelalter ständig. Besondere Bedeutung hatte in diesem Zusammenhang die „Geburt des Fegefeuers", mit der sowohl der Ort, an dem die Seelen nach ihrem Tode der Hilfe der Lebenden teilhaftig werden können, als auch die individuellen Voraussetzungen dafür neu definiert wurden.59 Die Folgen dieses neuen Jenseitskonzepts für das Stiftungswesen werden gegenwärtig noch diskutiert. Es zeichnet sich jedoch ab, daß ältere Forschungsmeinungen, die davon ausgingen, daß die Geburt des Fegefeuers gleichsam den Tod der Stiftungen verursachte, zumindest überzogen waren.60 Ralf Lusiardi hat am Testierverhalten der Bürger des spätmittelalterlichen Stralsund gezeigt, daß sich die Seelenheilsicherungsstrategie der Stiftung bis zum Ende des Mittelalters ungebrochener Beliebtheit erfreute. Zwar läßt die Jenseitsvorstellung des Fegefeuers als einer „zeitlichen Hölle" (Jacques Le Goff) von ihrer inneren Logik her kumulative, zeitlich begrenzte Vergabungsstrategien erwarten, die etwa durch kumulative Totenmessen eine rasche Erlösung von den zeitlichen Sündenstrafen bewirken sollten. Die Empirie des Testierverhaltens entspricht dieser Logik jedoch nur begrenzt.61 Daß die dauerhafte Gebetshilfe, wie sie durch Stiftungen begründet wurde, auch nach der Etablierung des -

55 Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen ( 1992), 4 f. 56 S. o.,4.a. 57 Assmann, Stein und Zeit ( 1988), 98; vgl. Oexle, Memoria als Kultur (1995), 31. 58 Angenendt, Theologie und Liturgie (1984). 59 Le Goff, Geburt des Fegefeuers (1990). 60 Vgl. diese Auffassung bei Schmitt, Wiederkehr der Toten (1995), 16-18, 61 Lusiardi, Stiftung und städtische Gesellschaft (2000), 139; vgl. Ders., Fegefeuer und

richt (2000).

-

Weltenge-

Einleitung

24

Fegefeuerkonzepts noch immer gewünscht wurde, mag auch damit zusammenhängen, daß den stiftenden Laien trotz aller Kanonisierungsversuche der Theologen und deren Vermittlung in der Predigt vieles nicht klar war, etwa ob die Fürbitte den Seelen im Fegefeuer zugute kommt, indem sie die Dauer ihrer Leiden verkürzt, oder ob sie diese

Leiden nur lindert.62 Nicht ganz zu unrecht hat man konstatiert, daß die mittelalterlichen Jenseitsvorstellungen sich durch Reichtum im Detail bei gleichzeitiger mangelnder Folgerichtigkeit im System auszeichneten.63 Durch Motiv, Organisation und Zweck standen Stiftungen also in Wechselbeziehung zu ihrer sozialen und kulturellen Umwelt. Da sie immer auf Dauer angelegt waren, Gesellschaft und Kultur sich jedoch wandelten, war diese Wechselbeziehung gleichzeitig ein Spannungsverhältnis. Nimmt man dieses Spannungsverhältnis zum Ansatzpunkt, lassen sich verschiedene Ebenen historischen Geschehens, Mikro und Makro, aneinander anschließen. Stiftungen im historischen Wandel zu untersuchen, verbindet Einzelintentionen konkreter historischer Akteure mit übergreifenden Strukturen und Prozessen und versucht, sie in ihren Wechselbeziehungen zu beschreiben und zu analysieren.64 Somit erscheint sie als ein Zugang zur Geschichte, der der Pluralität der Erfahrungen gerecht zu werden versucht, ohne sich in Beliebigkeit zu verlieren.65

und konkrete soziale Zusammenhänge: Die Reformation und die mittelalterlichen Stiftungen

b) „Kulturrevolution"

Fragt man nach der Stiftungswirklichkeit unter den Bedingungen des historischen Wandels, dann ist aus der Perspektive der Mittelalterforschung eine Epoche von besonderem

Interesse: die der Reformation.

Nimmt man das Motiv in den Blick, dem Stiftungen ihre Existenz verdankten, dann erscheint sie geradezu als „Kulturrevolution". Denn mit der Reformation wurde die Sinnformation, auf der Stiftungen bis zu diesem Zeitpunkt beruht hatten, erstmals auf breiter Front grundsätzlich in Frage gestellt, und damit wurde zugleich auch die Kontinuität der sozialen Beziehung zwischen Stiftern und Destinatären in jeder einzelnen Stiftung prekär. Ob Luther, Zwingli oder Calvin, sie alle verwarfen die Annahme, daß durch gute Werke konkrete Sünden gebüßt werden könnten und beschriften in der Frage, wie sich der Sünder rechtfertigen könne, radikal neue Wege.66 Da sich nach ihrer 62 Franz, Messe im deutschen Mittelalter ( 1902), 57. 63 Jezler, Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge (1994), 13; Lusiardi, Fegefeuer und Weltengericht (2000), 109. 64 Vgl. hierzu die Beiträge in Schulze, Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie (1994); vgl. dazu Oexle, Nach dem Streit (1995); außerdem Medick, Weben und Überleben (1996), 1337; Schlumbohm, Mikrogeschichte Makrogeschichte (1998); zum Verhältnis von Mikro- und Makrogeschichte zuletzt Jussen, Name der Witwe (2000), 19-23. 65 Vgl. hierzu zuletzt Borgolte, Vor dem Ende der Nationalgeschichten? (2001), 588 f. 66 Die protestantische Rechtfertigungslehre kann hier nicht umfassend dargelegt werden. Vgl. zu ihr allgemein Blickte, Reformation im Reich (2000), 48, 55, 64; McGrath, Justification and the Reformation (1990). -

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25

Lehre der Einzelne allein durch den Glauben rechtfertigte, erübrigten sich Seelenmessen und die Sorge für die Toten.67 Auch andere Formen memorialen Handelns gerieten unter Druck. So kollidierte die Vergegenwärtigung der Stifter im Medium der Kunst mit der protestantischen Bilderkritik.68 Dort, wo der reformierte Glaube Fuß faßte, vollzog sich somit ein kultureller Wandel, der jenen Sinn, den Stifter und Destinatäre ihrem Stiftungshandeln traditionell beigemessen hatten, radikal in Frage stellte und damit die Kontinuität der Stiftungen als sozialer Beziehung zwischen Stiftern und Destinatären

und gleichzeitig als Repräsentationen ihrer Stifter gefährdete.69 Führten die Obrigkeiten von Territorien und Städten die Reformation ein, dann wurden zahlreiche alte Stiftungen aufgehoben und ihr Vermögen neuen Zwecken zugeführt. Das galt vor allem für die Fülle von Anniversarstiftungen. Ein wichtiger Zweck war dabei eine neuartige, zentralisierte Armenfürsorge. Reformierte Räte und Territorialherren faßten das Vermögen einer Vielzahl von Stiftungen in sogenannten „gemeinen Almosenkästen" zusammen. Dessen Erträge kamen dann neuen Empfängern zu, die von der jeweiligen Obrigkeit bestimmt wurden.70 Stifterbilder wurden aus den Kirchen entfernt. Doch auch Stiftungen, deren Vermögen nicht angetastet wurde, erlebten aus Stifterperspektive einen gravierenden Kontinuitätsbrach, wenn etwa Spitäler den Meßpfründner verloren, der zuvor die Seelenmessen für die Stifter gehalten hatte.71 Darüber hinaus wurden in den evangelischen Städten vielfach neue Friedhöfe angelegt, die außerhalb der Stadtmauern lagen, so daß Lebende und Tote nun auch räumlich klar voneinander getrennt wurden.72 Aber auch dort, wo die Obrigkeit nicht eingriff, konnte der Vollzug von Stiftungen gefährdet werden, wenn etwa monastische oder geistliche Gemeinschaften zum neuen Glauben übertraten und dann den Gebetsverpflichtungen nicht mehr nachkamen, die sie oder ihre Vorgänger einst Stiftern gegenüber eingegangen waren. Denn die mittelalterlichen Stiftungen waren ja nicht nur durch ihr Motiv auf die mittelalterliche Erinnerangskultur bezogen, sondern auch durch ihren Zweck und ihre Organisation in konkreten sozialen Zusammenhängen situiert. Es waren diese Zusammenhänge, in denen sich der kulturelle Wandel der Reformation auf die Stiftungen auswirkte, und das heißt auf die angestrebte Dauer der Stiftungen. Die Auswirkung des kulturellen Wandels der Reformationszeit auf den Vollzug konkreter Stiftungen ist bis vor kurzem kaum erforscht worden. Jene Forschungen, die Stiftungsgeschichte überhaupt über die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit hinaus betreiben, sind oftmals durch ihren institutionengeschichtlichen Ansatz 67

68

Othenin-Girard, .Helfer' und .Gespenster' (1998), v. a. 186-191; Göttler, Kunst des Fegefeuers (1996), 16 f., 37; Berger, Spital und Seelhaus (1993/96), 97; Buck, Reformation, Purgatory and Perpetual Rents (1985), 28. Chistensen, Art and the Reformation (1980); Eire, Reformation Critique (1990); Michalski, Re-

formation and the visual arts (1993); Karant-Nunn, „Gedanken, Herz und Sinn" (1999), 76-80. 69 Duffy, Stripping of the Altars (1992); Gordon/Marshall, Introduction (2000), 9-12. 70 Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts (2002), 133 f., 147; Schindling, Reformation in den Reichsstädten (1980); Jiltte, Obrigkeitliche Armenfürsorge (1984), 42, 149; Sachße/Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge (1998), 31. 71 Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts (2002), 139. 72 Koslofsky, Trennung der Lebenden von den Toten (1995); Ders., „Pest" „Gift" „Ketzerei"

(1999).

-

-

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kaum für die Problematik des kulturellen Wandels sensibilisiert. Dies gilt sowohl für die rechtshistorische Forschung, als auch für die Fülle von Arbeiten zu einzelnen Stiftungen, das heißt vor allem zu Hospitälern. Da auch diese Forschungen explizit oder implizit mit dem rechtshistorischen Stiftungsbegriff operieren, der Stiftungen als nichtverbandmäßige Rechtspersonen faßt, verstehen sie Stiftungen nicht als Handlungszusammenhang, sondern als Anstalten. Folgerichtig dominiert bei ihnen der Eindruck eben anstaltlicher Kontinuität des Stiftungswesens auch über die Reformation hinaus. Zur Problematik des Stiftungsvollzugs aus der Perspektive des Stifters unter den Bedingungen kulturellen Wandels steuern sie allenfalls am Rande einige Beobachtungen -

-

bei.73

Erst jüngere Arbeiten verfolgen die Geschichte einzelner Stiftungen zunehmend auch über die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit hinaus und fragen nach Kontinuität und Wandel des Stiftungsvollzugs im kulturellen Umbruch der Reformationszeit.74 Exemplarisch seien hier drei Arbeiten angeführt. Heinrich Dormeiers Untersuchung zur Geschichte des St. Rochusaltars an der Nürnberger St. Lorenzkirche, den der Nürnberger Handelsherr Peter Imhoff d. Ä. am Ende des 15. Jahrhunderts gestiftet hatte, umfaßt den Zeitraum „vor und während der Reformation". Dormeier geht von der Initiative des Stifters aus, bettet dessen Stiftungen aber gleichzeitig in ihr religiöses, wirtschaftliches, rechtliches und soziales Umfeld ein. So kann er die Folgen des reformatorischen Umbruchs in Nürnberg für den Stiftungsvollzug und die Reaktion der Stiftungsorgane, in diesem Fall die Familie des Stifters, auf diese Folgen detailliert nachzeichnen.75 Joachim Berger untersuchte zwei Memminger Stiftungen sogar von ihrer Gründung bis zum Untergang des alten Reichs und kam zu dem interessanten Ergebnis, daß dies „die Entwicklung der Reichsstadt Memmingen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit wie in einem Brennglas zu bündeln" vermöge.76 Eine andere Arbeit zu einer Memminger Stiftung konnte zeigen, welche Aushandlungsprozesse zwischen dem evangelischen Rat der Stadt und dem altgläubigen Erben der Stifter abliefen, bis sich die protestantische Stadt einen Bereich angeeignet hatte, der durch den Vollzug einer vorreformatorischen Stiftung auch nach der Reformation lange Zeit immer noch als katholisch definiert war.77 Trotz ihrer unterschiedlichen Fragerichtungen bieten die in diesen Arbeiten geschilderten Stiftungsgeschichten einige Anhaltspunkte für die Vermutung, daß Stiftungszweck und Stiftungsorganisation große Bedeutung dafür hatten, wie sehr mittelalterliche Stiftungen vom kulturellen Wandel der Reformationszeit erfaßt wurden, ob die Kontinuität des Stiftungsvollzugs als Folge der Reformation ganz abbrach, oder ob der Wunsch des Stifters, über seinen Tod hinaus unter den Menschen gegenwärtig zu bleiben, trotz gewandelter kultureller Rahmenbedingungen zumindest noch eine Zeitlang gewahrt werden konnte. 73 74 75 76 77

Vgl. zuletzt Queckenstedt, Die Armen und die Toten (1997), v. a. 267; Knefelkamp, Heilig-GeistSpital(1989). Vgl. etwa die Beiträge in Borgolte (Hrsg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten (2000).

Dormeier, St. Rochus, die Pest und die Imhoffs (1985), 53-57.

Berger, Spital und Seelhaus ( 1993/96).

Scheller, Streit um die Vöhlinsche Prädikatur (2000).

Einleitung

27

Die Untersuchung von Stiftungswirklichkeit im kulturellen Wandel der Reformation verspricht somit zum einen Einsichten für die stiftungsgeschichtlich zentrale Frage, wie Stiftungen die für sie charakteristische Dauer gewinnen konnten bzw. welches die Ur-

sachen dafür waren, wenn die Kontinuität des Stiftungsvollzugs abbrach. Damit verspricht sie zum anderen einen stiftungsgeschichtlichen Beitrag zu der Frage, inwieweit die Reformation ein „Systembruch" mit der mittelalterlichen Gesellschaft und Kultur

c)

Die

Stiftungen Jakob Fuggers und die Reformation in Augsburg

Für eine solche

Untersuchung sind die Stiftungen Jakob Fuggers ein besonders geeigUntersuchungsobjekt. Dies liegt zum einen an ihrer Umwelt, der Reichsstadt Augsburg, zum anderen an den Stiftungen selbst. Die Augsburger Reformationsgeschichte hatte ihre ganz besondere Prägung, denn hier konnte sich eine katholische Minderheit auf Dauer behaupten. Und mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde diese Bikonfessionalität auf eine dauerhafte rechtliche Grundlage gestellt. Bis dahin jedoch waren Spannungen und Konflikte zwischen den Konfessionen häufig, und die politischen Kräfteverhältnisse verschoben sich netes

mehrfach. Obwohl die Reformation bereits früh in allen Schichten der Augsburger Bürgerschaft und auch bei vielen Angehörigen des Klerus Fuß gefaßt hatte, wurde sie offiziell erst am 22. Juli 1534 eingeführt, nachdem die evangelischen Prädikanten den Rat bereits im Januar 1533 dazu gedrängt hatten.79 Nachdem Kaiser Karl V. 1546 den Schmalkaldischen Bund besiegt hatte, zu dem Augsburg seit 1536 gehörte, schlug das Pendel dann aber zur anderen Seite aus. Gestützt auf den Kaiser forderte der Augsburger Bischof Kardinal Otto Truchseß von Waldburg den Rat im Sommer 1547 auf, den katholischen Kultus wieder zuzulassen und einige Kirchen zurückzugeben. Am 2. August 1548 erzwang der Kaiser sogar, daß der Rat die Repräsentanten der alten Kirche vollständig wieder in ihre angestammten Rechte einsetzte. Diese Restauration des alten Glaubens war jedoch nur von kurzer Dauer. Mit dem Passauer Vertrag vom August 1552, dessen entscheidende Bestimmungen in den Augsburger Religionsfrieden von 1555 eingingen, wurde die Koexistenz beider Konfessionen in der Stadt dann dauerhaft geregelt. Man kann davon ausgehen, daß sich das zentrale stiftungsgeschichtliche Problem der Dauer unter den konfessionell uneindeutigen bzw. wechselhaften Rahmenbedingungen in einem ganz besonderen Licht zeigt. Ist ein besonderes Verhältnis von Kontinuität und Wandel doch das zentrale Charakteristikum der Augsburger Reformationsgeschichte mit ihren vielfältigen Brüchen. Dies brachte zudem verstärkt Gleichzeitigkeiten des

Ungleichzeitigen, „Überschichtungen von Veränderungstrends (...)

mit resistenten Ele-

hierzu die Kontroverse zwischen Jussen, Epochen-Imaginationen (1998) und Hamm, Wie innovativ war die Reformation (2000); vgl. außerdem die Beiträge inMoellerl'Buckwalter (Hrsg.), Die frühe Reformation als Umbruch (1998), v. a. Schilling, Reformation Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réformes? 79 Hierzu und zum Folgenden vgl. u., Zweiter Teil, 1.1-3; Dritter Teil, 1.1 f. 78

Vgl.

-

28

Einleitung

älteren Kulturzuständen" mit sich.80 Da das eine im Licht des gleichzeitig existierenden anderen in besonderem Maße an Profil gewinnt, erschließen sich besondere Erkenntnischancen.81 Die Stiftungen Jakob Fuggers lassen sich mit Edoardo Grendi als ein Fall des „außergewöhnlichen Normalen" bezeichnen.82 Gemeint ist damit der nicht zuletzt überbedeutende Einzelfall, „der im Lichte statistischer lieferungsmäßig Repräsentativitätskriterien zwar als bloßer Ausnahme- oder Grenzfall erscheinen mag, der durch seine vertiefenden und kontextualisierenden Untersuchungen historischer Zusammenhänge jedoch Einblicke hinter die Oberfläche historischer Erscheinungen bietet und damit auch einen neuen Blick auf das in der Geschichte menschlich Mögliche menten

aus

-

-

gestattet".83

Die Überlieferung zu den Stiftungen Jakob Fuggers ist in der Tat außergewöhnlich. Sie läßt es zu, Stiftungswirklichkeit in ihrer gesamten Breite zu untersuchen. Neben den Dokumenten, die den Entstehungsprozeß der Stiftungen reflektieren, wie Stiftungsurkunden, Testamenten oder päpstlichen Bullen, sind hier in überreichem Maß Quellen zum Vollzug dieser Stiftungen vorhanden, die großteils noch nie systematisch ausgewertet wurden: Rechnungen, Briefe, Prozeßurkunden, juristische Gutachten, Steuerbücher und eine städtische Chronistik, in der die Stiftungen Jakob Fuggers immer wieder Beachtung finden. Auch als Ausnahme- oder Grenzfall im erwähnten Sinne müssen sie in mehrfacher Weise betrachtet werden. Grenzfall sind sie schon durch den Zeitpunkt, zu dem sie ins Leben gerufen wurden: unmittelbar bevor bzw. während sich der neue Glaube in Augsburg zu verbreiten begann und trotzdem noch den vorreformatorischen Konzepten von Werkheiligkeit, stellvertretender Buße und Memoria verhaftet. Ausnahmefall sind sie sowohl in den Augen der Zeitgenossen als auch der heutigen Beobachter im Vergleich zu anderen Stiftungen: Die Kapelle bei St. Anna durch ihren künstlerischen Rang; die Fuggerei als Wohnstiftung von allein räumlich bis dato ungeahnten Dimensionen; die Prädikatur bei St. Moritz als Ausdruck eines über das übliche Maß hinausreichenden Einflusses eines Laien auf gottesdienstliche Angelegenheiten. Ausnahme- und Grenzfall sind sie schließlich und endlich durch die Bedeutung des Stifters und seiner Familie. Es ist zu vermuten, daß die Stiftungen der katholischen Minderheit in der mehrheitlich evangelischen Reichsstadt Augsburg eine alltäglich erfahrbare, sichtbare Grenze zwischen den Konfessionen markierten.84 Manifestierten sie doch in ihrem Stiftungsvollzug Glaubensinhalte, ja letzte Werte, über die zwischen Altgläubigen und Anhängern der neuen Lehren schärfster Dissens bestand. Daß solcher Stiftungsvollzug den Widerstand der Evangelischen hervorrief, und daß auf der andern Seite diejenigen, die dezidiert am alten Glauben festhielten, der Gefahrdung dieses Stiftungsvollzugs gleichfalls ihren Widerstand entgegensetzen mußten, war gleichsam überdeterminiert. Die 80 81 82 83 84

Hardtwig, Alltagsgeschichte heute ( 1994), 24. Roper, Das fromme Haus ( 1995 ), 9 f. Medick, Mikro-Historie (1994), 46 f., unter Bezug auf Grendi, Micro-analisi (1977), 512. Medick, Mikro-Historie ( 1994), 47. Scheller, Streit um die Vöhlinsche Prädikatur (2000), 278.

e

storia sociale

Einleitung

29

Untersuchung der Stiftungswirklichkeit stellt deshalb auch einen Beitrag zu der Frage dar, wie das Zusammenleben zweier Konfessionen in Augsburg sich in einem konkreten Handlungszusammenhang vollzog. Die Fugger waren während der Augsburger Reformation die exponiertesten und auch mächtigsten Vertreter des alten Glaubens, und es waren nicht zuletzt Rücksichten auf sie, die den Rat der Stadt Augsburg lange Zeit jene abwartende Religionspolitik verfolgen ließ, die vielen Anhängern der neuen Lehre ein Dorn im Auge sein mußte. Es ist anzunehmen, daß die Stiftungen Jakob Fuggers daher in besonderem Maße vom kultu-

rellen Umbrach der Reformationszeit betroffen waren, daß sie in besonderem Maße ein Feld darstellten, in dem Spannungen und Widersprüche dieser Zeit erfahren wurden. In seinem zweiten Testament von 1525 hatte Jakob Fugger bereits auf den Wandel reagieren müssen, den die Reformation seiner Vaterstadt gebracht hatte. Vier Jahre nachdem seine Stiftungen durch einen Stiftungsbrief eine Ordnung erhalten hatten, sah sich der Stifter genötigt, diese um eine Öffnungsklausel zu ergänzen, um so seinen Erben zu ermöglichen, den Stiftungsvollzug den gewandelten Rahmenbedingungen anzupassen. Inwieweit ihnen dieses in den dreißig Jahren nach dem Tod Jakob Fuggers gelang und welche Anstrengungen sie hierzu im Wechsel der konfessionellen Kräfteverhältnisse unternahmen, wie sich Beziehungen der Fugger zu den Destinatären ihrer Stiftungen gestalteten und welche Folgen dies für ihre Repräsentation in ihren Stiftungen hatte, darum soll es in dieser Arbeit gehen.

6.

Gang der Untersuchung, Quellen und Literatur

Untersucht werden sollen in dieser Arbeit die drei Fuggerschen Stiftungen, deren Verhältnisse Jakob und seine Neffen 1521 in ihrem Stiftungsbrief regelten. Die Untersuchung gliedert sich in drei Hauptteile. Im ersten soll der Entstehungsprozeß der Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521 geschildert werden. Dieses Jahr markiert den (vorläufigen) Abschluß der drei wichtigsten Stiftungsprojekte, die Jakob Fugger seit ca. 1505 unternommen hatte und damit den Status Quo dieser Stiftungen vor der Reformation. Im zweiten Teil sollen die Auswirkungen des Wandels, der durch die Etablierung der neuen Lehre in Augsburg verursacht wurde, auf die Stiftungen der Fugger untersucht werden. Er umfaßt die Jahre von 1521 bis 1548. Der dritte Teil der Arbeit umfaßt die Jahre 1548 bis 1555. Hier muß es darum gehen, welche Folgen die katholische Restauration in Augsburg als Folge des „geharnischten Reichstags" von 1548 und die Regelung des Zusammenlebens von Katholiken und Protestanten in der bikonfessionellen Reichsstadt Augsburg durch den Religionsfrieden von 1555 für die Stiftungen Fuggers hatte. Als Parameter der Untersuchung dienen Stiftungsmotiv, Stiftungszweck und Stiftungsorganisation. An ihnen soll das Verhältnis von Stiftungsentwurf und Wirklichkeit gemessen werden. Dabei ist das Gewicht, das auf diese stiftungsgeschichtlich zentralen Aspekte gelegt wird, von Fall zu Fall unterschiedlich, je nach Komplexität und Quellenlage des entsprechenden Parameters beim jeweiligen Fall. Da die Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen den Stiftungen Jakob Fuggers und ihrer Umwelt eine zentrale Rolle in dieser Arbeit spielt, ist der Untersuchung der Stif-

30

Einleitung

fungen Jakob Fuggers in allen drei Teilen jeweils ein Kapitel zu den Rahmenbedingun-

gerufen bzw. vollzogen wurden, vorangestellt. Im ersten Teil wird hierbei die Familiengeschichte der Fugger von der Lilie bis 1521/25 behandelt, in den Teilen zwei und drei die Augsburger Reformationsgeschichte und die Geschichte der Fugger. Jeder der drei Haupteile der Arbeit wird durch eine Zwischenbetrachtung der Stiftungswirklichkeit zum jeweiligen Zeitpunkt resümiert. Eine Schlußbetrachtung bündelt noch einmal die leitenden Gesichtspunkte und schließt die Arbeit ab. Die Untersuchung stützt sich zu einem wesentlichen Teil auf archivalische Quellen, die bisher teils noch überhaupt nicht, teils nur sehr oberflächlich aufgearbeitet worden sind. Von diesen werden zentrale Dokumente als Transkriptionen in einem Anhang der Forschung erstmals zugänglich gemacht. Dies gilt vor allem für sämtliche Kapitel zur Prädikaturstiftung bei St. Moritz sowie für die Gesamtgeschichte der Stiftungen nach 1548. In den Kapiteln zur Geschichte der Grabkapelle bei St. Anna sowie zur Fuggerei bis 1548 beruht die Arbeit stärker auf bereits gedruckt vorliegenden Quellen, darunter natürlich so bekannte Dokumente wie der Stiftungsbrief von 1521 und die Testamente Jakob Fuggers. Aber auch hier konnten bisher unedierten Texten noch wichtige Einsichten abgewonnen werden.85 Trotz ihrer auf Synthese abzielenden Anlage kann diese Arbeit natürlich keinen Anspruch darauf erheben, die untersuchten Fuggerstiftungen in ihrer materialen Totalität zu erfassen. Vor allem was deren kunsthistorische Dimension angeht, muß sie selektiv sein und kann nur jene Aspekte beleuchten, die für die gewählte Fragestellung relevant sind. Die einschlägige Literatur wurde dementsprechend konsultiert. Dies gilt auch für die Literatur zur Geschichte der Fugger, der Geschichte der Stadt Augsburg und vor allem der allgemeinen Reformationsgeschichte. Die Fragestellung der Arbeit bringt es zwangsläufig mit sich, daß aus der Perspektive des Mittelalters die etablierte Epochengrenze zur Neuzeit überschritten wird. Für letztere ist der Autor kein Spezialist. Das Risiko, das es bedeutet, disziplinäre Grenzen zu verletzten, ist ihm bekannt. Die Erkenntnischancen des gewählten Ansatzes, der Mittelalter und Reformationszeit einmal nicht unter der Fragestellung der „Vorgeschichte" aufeinander bezieht, sondern wenn nach dem Weiterleben des Mittelalters unter gewandelten Rahmenbedinman so will gungen fragt, lassen es lohnend erscheinen, es einzugehen. gen, unter denen sie ins Leben

-

-

85 Die Benutzung gedruckter und archivalischer Quellen bringt es mit sich, daß die Schreibweise der Quellenzitate im Text nicht einheitlich ist. Zitate aus edierten Quellen folgen der Schreibweise der jeweiligen Edition. Zur Schreibweise bei archivalischen Quellen s. u., Transkriptionen wichtiger Quellen mit Anm. 1.

ERSTER TEIL: DIE STIFTUNGEN JAKOB FUGGERS DES REICHEN BIS 1521

I. Der Stifter und seine Familie: Die Fugger von der Lilie bis zum Tod Jakob Fuggers

1.

Eine Aufsteigergeschichte: Die Fugger bis ration Jakob Fuggers

zur

Gene-

Der zentrale Aspekt der Familiengeschichte der Fugger ist ohne Zweifel ihr rasanter sozialer Aufstieg, der die Familie binnen dreier Generationen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts an die Spitze der städtischen Einkommenspyramide und in die städtische Führungsschicht brachte, aus der sie jedoch' ebenso rasant wieder herauswuchsen. Jakob Fugger spielte dabei eine führende Rolle. Die Familiengeschichte unter dem leitenden Aspekt des sozialen Aufstiegs zu beschreiben bietet darüber hinaus den Vorteil, daß hierbei gleichzeitig eine Fülle von anderen Feldern ins Blickfeld gerät, die gleichsam mit den Horizont bilden, vor dem die Stiftungen Jakob Fuggers erst ihr spezifisches Profil erhalten: Wirtschaft, die Augsburger Stadtgesellschaft, Beziehungen der Fugger zu wichtigen Akteuren. Beruhte doch sozialer Status in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt auf einem komplexen Set von sozialen Lagemerkmalen: ökonomischen der wirtschaftlichen Situation, sozialen vor allem dem Konnubium und symbolischen das heißt der „Ehre".2 Sozialer Aufstieg gelang durch erfolgreiche Akkumulation und Konversion dieser spezifischen Kapitalien, ein Prozeß, der sich grundsätzlich über mehrere Generationen erstreckte.3 -

-

-

1 Die beste

2 3

Darstellung der frühen Fuggergeschichte ist immer noch Jansen, Anlange der Fugger (1907), hier 8-10; vgl. hierzu aber auch Ehrenberg, Zeitalter der Fugger (1896), 85-87; Rieckenberg, Art. Fugger (1961); Kellenbenz, Art. Fugger (1989); zur Geschichte der Fugger ab ca. 1500 vgl. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949); Ders., Jakob Fugger TJ (1951); Ders., Die Fugger (1999); Jansen, Jakob Fugger (1910); Schad, Frauen des Hauses Fugger (1989); Nebinger, Standesverhältnisse des Hauses Fugger ( 1986). Isenmann, Deutsche Stadt ( 1988), 250-253. Isenmann, Deutsche Stadt (1988), 250, der sich dabei auf Bourdieu bezieht; vgl. etwa Bourdieu, Klassenstellung und Klassenlage (1974); Ders., Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital (1983); Ders., Sozialer Sinn (1993).

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

34

2.

Aufstieg in die Führungsschicht:

Die

Generation Jakobs des Reichen

Fugger bis

zur

Fugger 1459 als siebter Sohn Jakob Fuggers d. Ä. und seiner Frau Barbara Basinger Welt kam, war seine Familie in der zweiten Generation in Augsburg ansäsAls Jakob

zu

sig und hatte bereits einen bemerkenswerten sozialen Aufstieg erreicht. Die Geschichte der beiden ersten Generationen der Fugger in Augsburg ist geprägt von der Akkumulation der beiden Kapitalsorten, die die entscheidenden Motoren des sozialen Aufstiegs in der spätmittelalterlichen Stadt waren und die vielfach in Wechselwirkung miteinander standen: sozialem und ökonomischem Kapital.4 Als sich Hans Fugger, der Großvater Jakobs des Reichen, 1367 in der Reichsstadt Augsburg niederließ, brachte er bereits ein ansehnliches Vermögen von 20 Pfund mit. Seinen weiteren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg beförderte er durch zwei Ehen mit Töchtern von Webermeistern. Die erste schloß er 1370 mit Klara Widolf, die zweite mit Elisabeth Gfattermann 1381. Letztere

verschaffte ihm den Zutritt zum Zwölferausschuß der Weberzunft. 1386 wurde er Zunftmeister der Weber. Gegen Ende seines Lebens belief sich sein städtisches Vermögen auf ca. 2.000 fl., sein Handwerksbetrieb hatte sich zum kaufmännischen Unternehmen ausgeweitet. Sechs Jahre vor seinem Tod im Jahr 1403 hatte er ein repräsentatives Haus an der wichtigsten Geschäftsstraße Augsburgs für einen Preis von 500 rheinischen Gulden gekauft.5 Nach seinem Tod wurden die Geschäfte zunächst von seiner Witwe Elisabeth weitergeführt. Nach deren Tod im Jahr 1436 übernahmen die Söhne Andreas (f 1457/58) und Jakob (d. Ä.) (f 1469) das Geschäft, das sie noch beinahe zwanzig Jahre lang gemeinsam betrieben. Nach dem Jahr 1454 trennten sich dann ihre Wege. Andreas wurde zum Stammvater der Fugger „vom Reh" (nach dem Wappen, das sie 1462 verliehen bekommen hatten), deren steiler ökonomischer und sozialer Aufstieg 1499 mit ihrem Bankrott zu einem abrupten Ende kam.6 Im Vergleich dazu erscheinen die Geschäfte Jakobs d. Ä. und seines Zweiges der Familie zunächst weniger dynamisch, dafür aber um so nachhaltiger. Sein Vermögen wuchs weiter, und bei seinem Tod im Jahr 1469 versteuerte er ein Vermögen zwischen 7.350 und 14.700 fl. Damit lag er auf dem siebten Platz in der Augsburger Vermögenshierarchie.7 Zwar sind die Belege nicht sehr dicht, doch rechtfertigen sie die einhellige Überzeugung der Forschung, daß die beiden ersten Generationen der Fugger in Augsburg ihr Vermögen einem erfolgreichen Engagement in Textilhandel und -verlag verdankten und somit der ersten großen Barchentkonjunktur des 14. und 15. Jahrhunderts.8 Augsburg lag am Rande des oberschwäbischen Leinwandgebietes, dessen Zentrum der Bodensee 4 5

Isenmann, Deutsche Stadt (1988), 253; Schubert, Einfuhrung in die Grundprobleme (1992), 122 f. Jansen, Anfänge der Fugger (1907), 8-23; Kellenbenz, Art. Fugger (1989), 1010; Rieckenberg, Art.

6

Jansen, Anfänge der Fugger (1907), 21^15; Kellenbenz, Art. Fugger (1989), 1010; Rieckenberg,

7 8

Fugger (1961), 707; Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 5-8

Art. Fugger (1961), 708. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 10; Strieder, Kapitalismus (1904), 17 f. Jansen, Anfänge der Fugger ( 1907), 10.

i. Der Stifter und seine Familie

35

war. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vollzog die Stadt maßgeblich die Innovationswelle der Barchentweberei mit. Die Verbindung von Venedig-Handel und Textilherstellung auf der ländlich-regionalen Rohstoffbasis des Flachsgarns bot hierfür günstige Voraussetzungen: Über Venedig wurde Baumwolle aus dem östlichen Mittelmeerraum, vor allem aus Syrien, importiert und dann mit dem Leinengarn zum Mischgewebe des Barchent nach oberitalienischem Vorbild verarbeitet. Um 1370 hatte sich das neue Gewebe durchgesetzt.9 Diese „industrielle Revolution des Spätmittelalters" hatte gravierende Auswirkungen auf das soziale Gefüge in Augsburg: „Die Barchentweberei mit ihren Hilfsgewerben als Leitsektor der wirtschaftlichen Entwicklung hatte neuen Führungskräften zum Durchbrach verholfen, was die Zusammensetzung der bürgerlichen Oberschicht wesentlich veränderte".10 Der Durchbruch in die Augsburger Oberschicht, „aus der gehobenen Mittelklasse zur anerkannten Spitzenklasse", gelang den Fuggern in der dritten Generation, das heißt den Söhnen Jakobs d. Ä." Von diesen waren bei seinem Tod bereits zwei verstorben, 1473 starb mit Peter Fugger ein weiterer Sohn. Dies war der Grand dafür, daß der jüngste und gleichnamige Sohn Jakobs d. Ä., den man wie seinen älteren Bruder Markus zunächst zum Kleriker hatte ausbilden lassen, seine Pfründe im fränkischen Stift Herrieden aufgab und in den Handel eintrat.12 Dieser wurde damit zunächst von drei Brüdern geführt: Ulrich, Georg und Jakob. Nach dem Tod der beiden älteren (1510 und 1506) war es der jüngste, der die Geschäfte quasi als Alleinherrscher der Firma führte. In dieser Zeit sollten Reichtum und soziales Geltungsbewußtsein der Fugger die Maßstäbe kaufmännischer Führungsschichten in der Reichsstadt Augsburg weit übertreffen. Einen wichtigen Schritt machten die Brüder Ulrich, Marx, Peter, Georg und Jakob Fugger 1473, als Kaiser Friedrich III. ihnen das Lilienwappen verlieh, nach dem dieser Zweig der Fugger fortan die Fugger von der Lilie genannt wurde.13 Deren Hausüberlieferang zufolge muß man diese Wappenverleihung wohl als Gegengabe dafür verstehen, daß die Fugger erstmals einem Habsburger aus einer prekären finanziellen Lage heraushalfen. Im Vorfeld des Trierer Reichstags von 1473, auf dem Friedrichs Sohn Maximilian mit der burgundischen Erbtochter Maria verlobt werden sollte, fehlten dem Kaiser die nötigen Mittel, um sein Gefolge für den festlichen Anlaß angemessen einzukleiden. Bei einem Aufenthalt in Augsburg im April des Jahres wurde ihm Ulrich Fugger als redlicher und habhafter Mann empfohlen, der sich dann auch tatsächlich bereit gefunden habe, das kaiserliche Gefolge aus seinen Tuchvorräten an Seiden- und Wollstoffen auszustatten. Die Verleihung des Wappens läßt sich somit als eine erste erfolgreiche Konversion von ökonomischem in symbolisches Kapital verstehen, ein Tauschakt, dem unter Jakob Fugger später noch weitere dieser Art folgen sollten. Es ist wohl kein Zufall, daß die Fugger wenige Jahre später erstmals als Stifter hervortraten. Auf Initiative der Empfänger hin beteiligten sie sich 1478 am Neubau der Stifts- und

Pfarrkirche St. Ulrich und Afra, indem sie den Bau zweier

Seitenkapellen finanzierten,

9 Kießling, Augsburgs Wirtschaft (1985), 175. 10 Kießling, Augsburgs Wirtschaft (1985), 177. 11 Pölnitz, Die Fugger (1999), 41. 12 Pölnitz, Die Fugger ( 1999), 50 f. 13 Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 14; Jansen, Anfänge der Fugger ( 1907), 47.

36

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

denen sie eine mit einem Altar ausstatteten.14 Der Neubau der Kirche war ein gemeinsames Projekt führender Akteure der Reichsstadt. Der Bischof von Augsburg, der Abt von St. Ulrich und der Rat der Stadt hatten den Bau gefördert, indem sie Sammelbriefe ausgestellt hatten. Die Gewölbe im Inneren sowie die Kapellen in den Abseiten wurden von wohlhabenden Augsburger Bürgern aus patrizischen Familien und solchen, die mit ihnen verschwägert waren, finanziert.15 Daß man die Fugger einlud, sich hieran zu beteiligen, darf als Zeichen sozialer Akzeptanz verstanden werden.16 In derselben Zeit nahm nämlich auch die soziale Integration der Fugger in die Führungsschicht der Reichsstadt durch Konnubium ihren Anfang. Es begann jene Serie von Eheschließungen, an deren Ende, bis auf eine Ausnahme, alle Kinder Jakobs d. Ä. mit Ehepartnern aus Familien verheiratet sein sollten, die zur sogenannten „Gesellschaft der Mehrer" gehörten. Den Anfang machte 1479 Ulrich Fugger, der Veronika Lauginger heiratete. Im selben Jahr wurde die Ehe seiner Schwester Barbara mit Conrad Meuting d. J. geschlossen. In den Jahren 1485 und 1486 schlössen Walburga und Georg Fugger Ehen mit Wilhelm Rem und Regina Imhof Als letzter schloß 1498 schließlich auch Jakob Fugger die Ehe mit Sybilla Arzt.17 Durch die Forschungen von Jörg Rogge ist mittlerweile geklärt, daß merern gesellschafl ursprünglich die Selbstbezeichnung der Mitglieder der Augsburger Herrentrinkstube war, die sich 1478 neue Statuten gegeben hatte, und erst seit 1548 die Bezeichnung für einen Zwischenstand zwischen Kaufmannschaft und Patriziat.18 Stubenfähig und damit auch zugelassen zu den repräsentativen Geschlechtertänzen, mit denen diese Zugehörigkeit dokumentiert wurde, waren einerseits die Nachkommen der patrizischen Familien, die sich 1383 zur Geschlechtergesellschaft zusammengeschlossen hatten, auf der anderen Seite die Abkömmlinge derjenigen Geschlechterfamilien, die 1368 in eine Zunft eingetreten waren, um weiter Handel treiben zu können. Darüber hinaus konnte die Zugehörigkeit durch Konnubium, also durch die Ehe mit einem Angehörigen einer stubenfahigen Familie, erworben werden.19 Wenn ein männliches Mitglied eine nicht stubenfahige Frau heiratete, erhielt diese mit der Hochzeit automatisch die Zugangsberechtigung. Heiratete dagegen eine stubenfahige Frau einen Mann, der dies bis dahin nicht gewesen war, durfte er erst nach von

14 FA 79.1; Jansen, Anfange der Fugger (1907), 178 f., vgl. ebd., 66; Lieb, Die Fugger und die KunstI (1952), 333 f.; vgl. ebd., 48; vgl. auch Hartig, Sankt Ulrich und Afra (1923), 36 f. 15 Bischoff, Burkhard Engelberg ( 1999), 196-204; Hartig, Sankt Ulrich und Afra ( 1923), 36 f. 16 Das Verhältnis von Stiftungstätigkeit und sozialem Aufstieg ist bisher noch nicht systematisch erforscht worden; vgl. aber Dirlmeier, Führungsschicht (1983), 95; Kamp, Rolin (1993), 262; Schmid, Stifter und Auftraggeber (1994), 506; Schwarz, Stiftskirche St. Galli (1996/97), v. a. 203 f.;Müller, Sozialfunktion (1999). 17 Zu den Laugingem vgl. Geffcken, Art. Lauginger (1985); Reinhard (Hrsg.), Augsburger Eliten (1996), 456^t63; zu den Meuting vgl. Wiedenmann, Art. Meuting (1985); Reinhard (Hrsg.), Augsburger Eliten (1996), 532-541; zu den Rem vgl. Geffcken, Art. Rehm (1985); Reinhard (Hrsg.), Augsburger Eliten (1996), 677-691; zu den Imhof vgl. Geffcken, Art. Imhof (1985); Reinhard (Hrsg.), Augsburger Eliten (1996), 358-370; zu den Arzt vgl. Reinhard (Hrsg.), Augsburger Eliten (1996), 12 f.; zu den Ehen insgesamt Nebinger, Standesverhältnisse (1986), 262. 18 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen (1996), 188 f.; Häberlein, Tod auf der Herrenstube (1998), 152, Anm. 20. 19 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen ( 1996), 186 f.

/. Der Stifter und seine Familie

37

ainer gemain wähl der gesotten an den Veranstaltungen der Stube teilnehmen. Dies war wahrscheinlich jedoch ein reiner Formalakt.20 Die Fuggerschen Ehen, die ein Jahr nach Beginn ihrer ersten Stiftung einsetzten, verschafften den Fuggern eben diese Stubenfähigkeit und integrierten sie damit sozial in die Augsburger Führungsschicht. Auf einer Darstellung eines Augsburger Geschlechtertanzes, der auf 1500 datiert wird, ist vorn in der Mitte Sybilla Arzt zu sehen, die Ehefrau Jakob Fuggers, mit der Beschriftung „Jakob Fuggerin"21; ein sichtbarer Ausdruck, daß die dritte Generation der Fugger die Zugehörigkeit erreicht hatte zu der erbarkeit, so zue der trinkstuben und tanz gehöret?1 Damit ist offensichtlich, daß die immer wieder unreflektiert wiederholte Behauptung, den Fuggern sei an der Wende zum 16. Jahrhundert seitens der Augsburger Oberschicht die soziale Anerkennung verweigert worden, schlichtweg falsch ist. Gestützt hatte sich diese Annahme auf eine Begebenheit, die das Fuggersche Ehrenbuch berichtet. Seiner Aussage zufolge soll Jakob Fugger der Trinkstubengesellschaft 1495/96 angeboten haben, einen Neubau der Herrenstube zu finanzieren, wenn er dafür außen an dem Gebäude sein Wappen anbringen dürfe. Die Stubengesellschaft jedoch lehnte dieses Angebot ab.23 Es kann allerdings keine Rede davon sein, daß den Fuggern damit „der gesellschaftliche Aufstieg in der Reichsstadt" versagt worden wäre.24 Denn der Stubengesellsellschaft blieb bei genauer Betrachtung gar nichts anderes übrig, als Jakob Fuggers Angebot abzulehnen. Wappenfragen waren im damaligen Augsburg eine sensible Angelegenheit. Felicitas Fugger, die zweitjüngste Tochter Ulrich Fuggers, beteiligte sich 1516/17 mit 1.000 fl. an einem Neubau des Dominikanerinnenklosters St. Katharina, in das sie mit 13 Jahren eingetreten war. Im Chor des Neubaus wurde daraufhin das Fuggersche Lilienwappen angebracht. Dies jedoch rief dem Chronisten Wilhelm Rem zufolge großen Unmut hervor. Die anderen Nonnen hätten befürchtet, man könnte dereinst meinen, Felicitas Fugger habe den Neubau der Kirche ganz allein bezahlt.25 Ähnliches haben wohl auch die Trinkstubenherren befürchtet. Hätten sie Jakob Fugger gestattet, sein Wappen an einem von ihm finanzierten Neubau der Herrenstube anzubringen, dann hätte dies die Fugger als eine Familie repräsentiert, die innerhalb der führenden Familien Augsburgs eine herausgehobene Position einnahm, obwohl es erst wenige Jahre her war, daß ein Fugger überhaupt zur Herrenstube zugelassen worden war, und Jakob Fugger selbst die Stubengerechtigkeit zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht besaß. Daß die Trinkstube Jakob Fuggers Angebot ablehnte, bedeutete also, daß sie einen übersteigerten Anspruch auf soziale Geltung zurückwiesen und nicht, daß sie ihm eine Position innerhalb der städtischen Führungsschicht prinzipiell verweigerten. Dies zeigt sich auch daran, daß Jakob Fugger vier Jahre später, nachdem er Sybilla Arzt 20 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen ( 1996), 190. 21 Boockmann, Lebensgefühl und Repräsentationsstil (1994), 43 mit Abb. 5. 22 So die Selbstbezeichnung der Stubenmitglieder in der Stubenordnung von 1481, nach: Dirr, Studien zur Zunftverfassung (1913), 230; vgl. Rogge, Für den Gemeinen Nutzen (1996), 189; zur Bedeutung der Zulassung zu Fest und Tanz als Statussymbol allgemein vgl. Maschke, Unterschichten (1980), 324. 23 Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 283; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 25. 24 Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 24. 25 Rem, ed. Hegel/Roth, 82 f.; vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 28; Baxandall, Kunst der Bildschnitzer (1985), 94; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 25.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

38

geheiratet hatte, anstandslos zur Trinkstube zugelassen wurde. Wir sehen ihn dann auch mehrfach für die Stubengesellschaft agieren.26

„Sonderstruktur": Die Fugger ab

3.

1494

Begebenheit von 1495/96 ist also nicht als Ausweis für mangelnde soziale Anerkennung der Fugger durch die Augsburger Oberschicht zu interpretieren. Vielmehr dokumentiert sie einen sozialen Ehrgeiz, der über die Integration in die Augsburger Führungsschicht hinausging. Wahrscheinlich muß man bereits hier den Beginn jener Entwicklung der Fugger zu einer „Sonderstruktur" innerhalb der Reichsstadt Augsburg ansetzen, von der Olaf Mörke gesprochen hat.27 Hierunter versteht die Forschung zur Augsburger Gesellschaft in Spätmittelalter und Früher Neuzeit Familien, die sich durch „umfangreiche Gütererwerbungen, kaiserliche Standeserhebung, Heiraten mit dem Landadel und einen an adeligen Vorbildern orientierten Lebens- und Repräsentationsstil" auszeichnete.28 Im Fall der Fugger tritt hierzu noch eine auffällige Abstinenz gegenüber politischen Führungsaufgaben in der Stadt.29 Zeitgleich mit der „Wappenaffare" tätigten die Fugger 1495 ihre erste bemerkenswerte Investition in Landbesitz, suburban in Göggingen vor den Toren Augsburgs gelegen, auf dem sie bis 1502 ein Schlößchen mit einem Garten, in dem ein Weiher lag, errichten ließen.30 Den entscheidenden Grundstock Fuggerschen Territorialbesitzes aber bildeten die Herrschaften Kirchberg-Weißenhorn, Schmiechen und Biberach, die Jakob Fugger in den Jahren 1507, 1509 und 1514 pfandschaftsweise aus der Hand König MaDie

ximilians für eine Gesamtsumme von über 50.000 fl. erwarb. Alle diese alten ritterlichen Sitze ließ Jakob Fugger bald nach der Erwerbung baulich instandsetzen, verbessern und erweitern.31 Eine Folge der Gütererwerbungen waren in gewissem Sinne die Standeserhöhungen Jakob Fuggers, der 1511 in den Adels- und 1514 in den Grafenstand erhoben wurde, eine Ehre, die 1526 auch seinem Neffen Anton widerfuhr; wobei zu bemerken ist, daß die städtische „Nobilitierung", die Aufnahme in das Patriziat, erst 1538 erfolgte.32 Der Erwerb der Grafschaft Kirchberg und der Herrschaften Pfaffenhofen, Weißenhorn und Wullenstetten hatte Jakob Fugger Probleme mit dem landsässigen Adel eingebracht, der dort begütert war. Dieser weigerte sich, ihn als Lehnherrn anzuerkennen, da nach hergebrachtem Lehmecht kein Adeliger verpflichtet war, einen Nicht-Adeligen als Lehnsherrn anzuerkennen. Mandate Maximilians I. von 1507 und 1509, in denen er den Adel aufforderte, Fugger anzuerkennen, ignorierten die Herren. In diesem Zusammen26 27 28 29 30 31 32

Rogge, Für den Gemeinen Nutzen (1996), 210. Mörke, Die Fugger im 16. Jahrhundert ( 1983). Häberlein, Tod auf der Herrenstube ( 1998), 163. Mörke, Die Fugger im 16. Jahrhundert (1983), 143-146. Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 88 f. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 120-122; Düvel, Güterwerbungen Jakob Fuggers (1913). Mörke, Die Fugger im 16. Jahrhundert (1983), 152.

/. Der Stifter und seine Familie

39

hang entstand der Plan, Jakob Fugger zu nobilitieren. Fugger bat den Kaiser, ihn in den Adel zu erheben, damit er so standesmäßig mit seinen präsumptiven Lehnsleuten gleichgestellt werde. Am 8. Mai 1511 kam Maximilian I. dieser Bitte nach und erhob Jakob und seinen Neffen Ulrich II. in den Adel des Reichs. Diese standesmäßige Gleichstellung hatte zunächst allerdings den gegenteiligen Effekt und löste eine Welle von Anfeindungen aus. Da briefadelige Gleichheit vom ansässigen Adel nicht akzeptiert wurde, war Jakob Fugger schließlich genötigt, sich um einen höheren Rang zu bemühen, nämlich um die Erhebung in den Grafenstand, die am 17. Juli 1514 erfolgte. Die Konflikte zwischen Fugger und den widerspenstigen Adeligen schwelten allerdings noch beinahe zehn Jahre weiter und wurden erst im April 1524 durch einen Vertrag beendet.33

Es ist zwar offensichtlich, daß zwischen den Gütererwerbungen Jakob Fuggers und seinen Standeserhöhungen ein Zusammenhang bestand. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese allein dadurch zu erklären ist, daß Fugger so seine Probleme mit seinen adeligen Lehnsleuten beheben wollte.34 Bereits der Gütererwerb selbst gehörte ja zu den typischen Merkmalen eines repräsentativen, am Adel orientierten Lebensstils.35 Ein sozialer Ehrgeiz, der über die Zugehörigkeit zur reichsstädtischen Führungsschicht hinausweist, läßt sich auch an den Ehepartnern erkennen, die die dritte Generation der Fugger für ihre Nachkommen auswählte. Unter diesen befanden sich einerseits Angehörige von Mehrer- und Patrizierfamilien, andererseits auch Adelige. Bereits 1497 hatte Ulrich Fuggers Tochter Anna den ungarischen Adeligen und Montanindustriellen Georg Thurzo von Bethlenfalva, einen Geschäftspartner der Fuggergesellschaft, geheiratet. Georg Fuggers Sohn Raymund erhielt 1513 eine Frau aus der gleichen Familie zur Ehefrau. In den Jahren 1503 und 1512 heirateten dann zwei weitere Töchter Ulrich Fuggers, Ursula und Sybilla, mit Philipp vom Stein zu Jettingen bzw. Hans Marx von Bubenhofen zu Justingen Mitglieder der Reichsritterschaft in Schwaben.36 Es ist wohl kaum ein Zufall, daß der soziale Ehrgeiz der Fugger bei diesen Eheschließungen nicht nur in der Wahl der Ehepartner zum Ausdruck kam, sondern auch in der Art und Weise, wie diese gefeiert wurden. Hiermit provozierte das Fuggersche Geltungsbewußtsein abermals Abwehrreaktionen. So beklagte Wilhelm Rem 1497 anläßlich der Hochzeit von Anna Fugger mit Georg Thurzo adeliche Sitten, das vor nie mehr hie geschehen was?7 Wie bei der Wappenaftäre drei Jahre zuvor, übertraten die Fugger auch hier den Rahmen dessen, was für die reichsstädtische Oberschicht bisher üblich gewesen war.38 Die Kosten für die Hochzeit des jüngeren Ulrich Fugger schätzte Rem auf 7.000 fl., die ebenfalls aufwendige Hochzeit des Kaufmanns Lucas Rem von

33

Nebinger, Standesverhältnisse (1986), 267; Düvel, Güterwerbungen Jakob Fuggers (1913), 127.

34 35 36 37 38

Nebinger, Standesverhältnisse ( 1986), 266. Kießling, Stadt und ihr Umland ( 1989), 107. Nebinger, Standesverhältnisse (1986), 263 f Rem, ed. Hegel/Roth, 272. Mörke, Die Fugger im 16. Jahrhundert (1983), 147 f.

125-

40

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

1518 soll 991 Gulden und 10 Schilling gekostet haben, ein Dimensionsunterschied, der nicht unangefochten blieb, und den der Chronist als hojfart charakterisiert.39 Zur innerstädtischen Repräsentation der Fugger gehörten außerdem ihre Wohnbauten. Bereits im Jahr 1488 hatten sie ein neues Anwesen am Augsburger Rindermarkt erworben. Es lag im bevorzugten Wohngebiet zwischen dem Perlach, dem Markt-Mittelpunkt der Reichsstadt, und dem Gögginger Tor an der wichtigen Straße in das schwäbische Vorland. Die Kosten hatten 2.032 rheinische Gulden betragen, also das Vierfache dessen, was hundert Jahre zuvor das Haus am Judenberg gekostet hatte. Das Haus bezogen die drei Brüder Ulrich, Georg und Jakob, nachdem sie es von 1490 bis 1493 hatten umbauen lassen. Außerdem diente es als Verwaltungs-, Lager- und Versandbau der Fuggerschen Handelsgesellschaft.40 Bereits 1511 jedoch erwarb Jakob Fugger ein neues Anwesen am Augsburger Weinmarkt, wo er seit seiner Heirat mit Sibylla Arzt 1498 im Haus seiner Schwiegermutter gewohnt hatte. Zunächst kaufte er für 3.573 fl. das bereits von ihm bewohnte Arztsche Haus, dann das im Norden angrenzende Nachbaranwesen für 2.400 fl. Bald nach dem Kauf der beiden Häuser, zu denen 1520 und 1523 noch die im Westen und Süden angrenzenden hinzu gekauft wurden (letzteres kostete 13.000 fl.), ließ Jakob Fugger sie zu einer einheitlichen Behausung

umgestalten.

In besonderer Weise repräsentativ war dieses neue Fuggersche Anwesen schon durch seine Lage. Der Weinmarkt war Festplatz des patrizischen Augsburg und empfing die von Süden die Stadt betretenden Einzüge „als erste festliche Raumfermate".41 Wichtigste gestalterische Mittel einer geradezu „herrschaftlichen Wirkung" des Weinmarktanwesens waren die Deckung der Dächer mit Kupfer und die Bemalung der Fassade. Anfang Oktober 1515 erhielt Jakob Fugger von Kaiser Maximilian I. gegen ein Darlehen die Erlaubnis, ungarisches Kupfer zollfrei einzuführen. Es sollte dazu dienen, das Schloß Wellenburg vor Augsburg, die neue Stiftskirche bei Heilig Kreuz in Augsburg und nicht zuletzt Jakob Fuggers eigenes Haus am Weinmarkt zu bedachen. Letzteres wurde damit zum ersten Profanbau in Deutschland, dessen Dach mit Kupfer gedeckt war. Dem Bericht des Italieners Antonio de Beatis zufolge, der als Begleiter des Kardinals Luigi d'Aragona 1517 nach Augsburg kam, war der palazo de li Fochari zur Straßenseite hin mit „Geschichtsbildern mit vielem Gold und vollkommensten Farben" geschmückt.42 Wie die zum Weinmarkt hin gelegene Fassade war auch die Wandarchitektur des sogenannten „Damenhofs" vollständig mit Fresken geschmückt, darunter eine Reihe von Darstellungen, die bezeichnenderweise Taten Kaiser Maximilians I. zum Gegenstand hatten. Entstanden zum Zeitpunkt des größten Erfolges der Habsburgischen Hausmachtpolitik, im Jahr des Wiener „Fürstenkongresses" von 1515, als Jakob Fugger den (auf einem Fresko abgebildeten) Schatz des Kaisers in den Händen hatte, brachten die Fresken des Damenhofs die besondere Königsnähe Jakob Fuggers zum Ausdruck. Beinahe zeitgleich, im Jahr 1516, übernahm auch der Rat der 39 Rem, ed. Hegel/Roth, 66; Tagebuch des Lucas Rem, ed. Greif/, 48 f.; vgl. 16. Jahrhundert (1983), 152. 40 Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 32 f. 41 Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 95. 42 De Beatis, ed. Pastor, 96; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 95.

Mörke, Die Fugger im

/. Der Stifter und seine Familie

41

Stadt Augsburg diese Form, Königsnähe zu repräsentieren, und ließ die Außenseiten des Augsburger Rathauses mit einer Habsburgerreihe und mit Schlachtendarstellungen

bemalen.43

Bereits Olaf Mörke hat darauf verwiesen, daß die Fugger im 16. Jahrhundert kaum politische Führungsaufgaben wahrnahmen und damit eines Lagemerkmales entbehrten, das die Zugehörigkeit zu städtischen Führungsschichten im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit wie kein anderes dokumentierte: die Teilhabe an der politischen Herrschaft.44 Vor allem diese Abstinenz gegenüber politischen Führungsaufgaben belege die Sonderrolle der Fugger in der Augsburger Gesellschaft. Übersehen hat Mörke jedoch, daß dies eine bewußter Verzicht war, der zum Verständnis gehörte, das Jakob Fugger seit seiner Nobilitierung von seinem Status in der Stadt hatte. Ein Dokument, das Paul von Stetten überliefert, und das, soweit ich sehe, bisher von der Forschung nicht beachtet wurde, macht dies deutlich.45 In einem Schreiben an den Rat informierte Fugger diesen im Jahr 1508, daß Maximilian I. sich fürgenommen habe, ihn zu ainem Herrn zu machen. Er wolle jedoch, dieweil er allwegen hie gewesen vnnd gewonnt hob, weiterhin in der Stadt wohnhaft bleiben und auch sein Bürgerrecht behalten und bittet die Ratsherren in diesem Zusammenhang um zwei Gunsterweise, die auch vom Kaiser befürwortet würden. Zum einen darum, in Zukunft sein Vermögen nicht mehr selbst durch Eidschwur deklarieren zu müssen, da er wegen des Ausmaßes seiner Geschäfte, die auch in ander weg anndern kaufflewten vngleich seyen, nicht immer überblicke, wie groß sein Vermögen jeweils gerade sei. Dennoch wolle er natürlich Steuern zahlen, und zwar wie Ime deßhalb ain maß gesetzt werde, vnnd er sich mit Inen vergleichen muege. Dieses Privileg räumte ihm der Rat jedoch erst 1516 ein.46 Zum anderen bat Fugger darum, nach seiner Standeserhöhung nicht mehr Zunfiß Rat vnd gericht besitzen zu müssen. Er bat also um die Entbindungen von seinen Pflichten als Mitglied der Kaufleutezunft, für diese in den Großen Rat zu gehen und an der zunftinternen Gerichtsbarkeit mitzuwirken.47 Ein Grund für diesen Wunsch wird nicht genannt. Wie bei der Bitte, von der Pflicht, das Vermögen selbst deklarieren zu müssen, entbunden zu werden, wird das Ausmaß der Geschäftstätigkeit der Fuggergesellschaft ein Rolle gespielt haben. Fehlende Abkömmlichkeit ist ja eine klassische Ursache dafür, sich nicht an politischen Führungsaufgaben beteiligen zu können oder zu wollen.48 Es zeigt sich also, daß die Repräsentation der Fugger als „Sonderstruktur" in einem besonderen Status begründet war, den Jakob Fugger anläßlich seiner Nobilitierung selbst angestrebt hatte. Dieser war bewußt zwischen städtisch-kaufmännischer Führungsschicht und Adel angesiedelt, man könnte ihn als stadtsässigen „Handelsherrn"

Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 112-116. Mörke, Die Fugger im 16. Jahrhundert (1983), 143-146; Ders./Sieh, Gesellschaftliche Führungsgruppen (1985), 302; Isenmann, Deutsche Stadt (1988), 252. 45 Stetten, Geschichte der adelichen Geschlechter (1762), 418 f. 46 Ciasen, Steuerbücher (1976), 25; vgl. Rogge, Für den Gemeinen Nutzen (1996), 295. 47 Zur Augsburger „Zunftverfassung" vgl. zuletzt i?ogge, Für den Gemeinen Nutzen (1996), 12-27. 48 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1972), 170, 546, 830. 43 44

42

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

bezeichnen.49 Eine wesentliche Grundlage dieses Sonderstatus

Bedeutung der Fuggerschen Handelsgesellschaft,

4.

war die herausragende anndern die kaufflewten vngleich war.

Die Fugger von der Lilie und ihre Geschäfte unter der Leitung Jakob Fuggers

Die wirtschaftliche Grundlage des Sonderstatus der Fugger, der sich in ihrer aufwendigen herrschaftlichen Repräsentation niederschlug, bildete ein enormer Vermögenszuwachs. In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts wuchs das Fuggersche Vermögen um 67 Prozent. Jakob Fugger versteuerte nun ein Vermögen, das zwischen 100.000 und 200.000 fl. betrug.50 Zwar geriet die Gesellschaft 1509 in eine Liquiditätskrise, als nach dem Tod des Kardinals Melchior von Meckau, der ein Hauptgeldgeber der Firma gewesen war, Papst Julius II. Anspruch auf dessen Erbe erhob. Diese überstand die Firma jedoch durch Intervention Kaiser Maximilians I. zu ihren Gunsten, so daß sie keine nachhaltigen negativen Folgen harte.51 In den Jahren von 1511 bis 1527 steigerten sich die Gewinne der Firma um 927 Prozent, also um durchschnittlich 54,5 Prozent im Jahr. Bei der ersten Inventur der Firma nach Jakob Fuggers Tod von 1527 standen Passiva von rund 870.000 Gulden Aktiva von 3 Millionen Gulden gegenüber. Das Vermögen der Fuggerschen Handelsgesellschaft betrug somit über 2 Millionen Gulden rheinisch.52 Dieses Vermögen wurde im wesentlichen auf zwei besonders gewinnträchtigen Geschäftsfeldern erworben, auf die Ulrich, Georg und Jakob Fugger seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts ihre Geschäftstätigkeit verlagert hatten: das Bank- bzw. Kreditgeschäft, darunter das mit der Kurie, und das Montangewerbe. Diese beiden Sektoren standen durchaus in Beziehung zueinander. So ließen sich die Fugger, wie auch andere im Montangeschäft aktive Gesellschaften, Nutzungs- und Schürfrechte als Sicherheit für ihre Kredite verschreiben. Die Beteiligung der Fugger an den Geldüberweisungen nach Rom wurde noch durch Georg Fugger von der Nürnberger Faktorei aus aufgebaut. Bereits zu Beginn der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts war die Familie an der Kurie repräsentiert. Markus Fugger ist dort 1471 erstmals als Skriptor beim päpstlichen Supplikenregister belegt. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod 1478 gingen immer wieder Gebühren für Pfründen und andere Abgaben durch seine Hände.53 Danach gibt es zwar bis 1495 keine expliziten Nachrichten für Geschäfte der Fugger mit der Kurie, neuere personengeschichtliche Untersuchungen haben jedoch plausibel machen können, daß die Fugger in diesem Jahr nicht wieder bei Null anfingen, sondern sich auf ein Netzwerk von Kurialen stützen 49 50 51

Vgl. hierzu auch Stollberg-Rilinger, Gut vor Ehre (1996), 44 f.

Riebartsch, Augsburger Handelsgesellschaften (1987), 342. Pölnitz, Streit um den Nachlaß (1940); Pölnitz, Die Fugger (1999), 102-104; Kellenbenz, Art Fugger(1989), 1011; Pölnitz, Art. Jakob Fugger (1961), 711. 52 Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 650. 53 Schulte, Fugger in Rom (1904), 10 f.; Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 20, H (1951), 5 f.; vgl. Tewes, Luthergegner (1995), 283.

/. Der Stifter und seine Familie

43

konnten, mit denen sie eng verbunden waren.54 Um die Wende zum 16. Jahrhundert nahm die Fuggersche Handelsgesellschaft bei der Überweisung von Gebühren für Pfründen und sonstige Abgaben aus den Diözesen nördlich der Alpen von Deutschland über Frankreich, Polen und Südosteuropa bis zur Wallachei einen führenden -

Platz ein. Seit 1500 kam dann noch das Geschäft mit dem Ablaß hinzu. In den letzten Jahren Julius' II., den ersten beiden Leos X. (ca. 1509-1515) und dann noch einmal von 1518 bis 1521 leitete die Gesellschaft außerdem die Münzprägung auf der römischen Münze.55 Vertreten wurden die Geschäfte der Familie in Rom immer wieder durch Angehörige der Familie. Markus Fugger d. J., ein Sohn Georg Fuggers, war wie sein gleichnamiger Onkel Kurialer und ist von 1503 an bis zu seinem Tod 1511 in Rom nachgewiesen. Aber auch Jakob Fugger selbst und sein Neffe und Nachfolger Anton Fugger absolvierten Lehrjahre in Rom. Im Metallgeschäft, zunächst im Salzburger Land, engagierten sich die Fugger seit ca. 1480.56 Treibende Kraft dabei war Jakob Fugger, der nach Lehrjahren in Rom und Venedig ab 1485 den Einstieg der Firma in das Montangeschäft forcierte.57 Sie beteiligte sich vorerst in bescheidenem Ausmaß am Bergbau, indem sie Kredite an kleine Gewerken des Erzstifts Salzburg vergab. Dabei gelang es ihr, die Judenburger Unternehmer, die dieses Geschäft bis dahin beherrscht hatten, zu verdrängen und auch deren Geschäftsverbindungen mit Venedig zu übernehmen. Im Jahr 1484 übergab ihr die Signoria die vormals Judenburger Kammer im Fondaco dei Tedeschi.58 Aus dem Handel mit Tiroler Kupfer und Silber entwickelten sich die Kreditgeschäfte mit den Habsburgern. 1488 brachte die Firma Fugger für ein Darlehen von 150.000 fl. an Herzog Sigmund den Münzreichen die Edelmetallausbeute in Tirol unter ihre Kontrolle. Ein Jahr zuvor hatte der Herzog einen Krieg mit Venedig mit einem Frieden beendet, der ihn verpflichtete, eine Entschädigungssumme von 100.000 Gulden zu zahlen. Da er diesen Betrag nicht aufbringen konnte, sprangen die Fugger mit einem Kredit ein, für dessen Tilgung die Tiroler Landschaft bürgte. Als Sicherheit verpfändete diese dabei die Silbererträge von fünf Gewerken.59 Es war das erste „Mischgeschäft aus Metallkontrakt und Kredit, das auf Jahrzehnte hinaus die eigentlich typische Form der Augsburger großkapitalistischen Abschlüsse darstellen sollte".60 Ahnliche Geschäfte mit dem Herzog folgten, und vier Jahre nach ihrem ersten Engagement in Tirol kontrollierten die Fugger praktisch das gesamte Tiroler Silbergeschäft. Als sie Sigmund in einer Krise seiner Herrschaft die finanzielle Unterstützung entzogen, blieb diesem nichts anderes übrig, als am 16. März 1490 seinen Thronverzicht zu erklären. Sein Erbe war König Maximilian, der mit seinem Herrschaftsantritt auch in die Rechtsnachfolge in den Ver-

54 Tewes, Luthergegner ( 1995), 283-288, 306. 55 Schulte, Fugger in Rom ( 1904), 207-210. 56 Kießling, Augsburgs Wirtschaft ( 1985), 178. 57 Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 30; Ders., Die Fugger ( 1999), 56 f. 58 Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 30; Unger, Fugger in Hall (1967), 32; Kalus, Fugger in der Slowakei (1999), 47. 59 Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 30 f.; Unger, Fugger in Hall (1967), 34; Kalus, Fugger in der Slowakei (1999), 47. 60 Pölnitz, Kaiser und seine Augsburger Bankiers (1962), 39, nach: Kießling, Augsburgs Wirtschaft (1985), 177.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

44

trägen Sigmunds mit den Fuggern eintrat.61 Damit

waren die Finanzbeziehungen zu für die Haus zum Sigmund Ausgangsbasis Habsburg geworden, die in den spektaKarl 1519 und für kulären Wahlkrediten für V. Ferdinand I. 1531 gipfelten.62 Mitte der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts gründeten die Fugger mit dem Bergbauspezialisten Johann Thurzo den „Ungarischen Handel" zur Ausbeutung der slowakischen Buntmetallvorkommen, nachdem sie sich bereits zuvor auch schon im Tiroler Kupferbergbau engagiert hatten. Anders als in Tirol, wo der Bergbau auf der Höhe der Zeit war und nur durch das finanzpolitische Unvermögen des Landesfürsten an dessen Gläubiger fiel, war der slowakische Bergbau mangels technischen Wissens und einer risikoscheuen Betreiberschicht an einem Tiefpunkt angekommen. Die Ausbeutung der ergiebigen Kupfervorkommen war nur durch erheblichen Kapitaleinsatz zu bewerkstelligen. Diesen Kapitaleinsatz riskierte Jakob Fugger und bekam so den europäischen Kupfermarkt in die Hand. Denn mit der Ausbeute des slowakischen Kupfers gelang es der Firma Fugger, das Tiroler Kupfersyndikat zu sprengen und dann durch die Kontrolle sowohl des slowakischen als auch des Tiroler Kupferbergbaus eine monopolartige Stellung auf dem europäischen Kupfermarkt zu erringen. „Der Aufstieg Jakob Fuggers vom reichen Augsburger Kaufmann zum reichsten Mann Europas mit ganz erheblichem Einfluß auf die politischen Entscheidungsträger seiner Zeit ist in erster Linie den Erträgen aus dem Kupferhandel (...) zu verdanken".63 Parallel zu dieser Erschließung neuer Geschäftsfelder stellten die Fugger ihre Handelsgesellschaft auf eine neue, willkürrechtliche Basis. Die Erbengemeinschaft wurde so in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt, die auf Verträgen beruhte. Gleichzeitig erhielten die Binnenverhältnisse der Handelsgesellschaft sukzessive eine neue Struktur. 1494 schlössen die Brüder Jakob, Georg und Ulrich den ersten Gesellschaftsvertrag ab, den sie 1502 erneuerten. Nach dem Tod Georgs (1506) und Ulrichs (1510) gaben deren Söhne Anton, Raymund und Ulrich 1510 Erklärungen über den Fortbestand der Gesellschaft ab. Zwei Jahre später regelte die Urkunde Jakob Fuggers über seinen Handel und seine Gesellschaft mit seinen Neffen die Verhältnisse der Gesellschaft in einer Weise, wie sie auch nach dem Tod Jakobs Bestand haben sollte. Durch diese Verträge erhielt die Handelsgesellschaft nach und nach zwei charakteristische strukturelle Eigenschaften. Zum einen wurde der Kreis der Gesellschafter auf die männlichen Mitglieder der Familie eingeschränkt. Zum anderen wurde die Fuggersche Handelsgesellschaft zu einer „herrschaftlich geordnete(n) Unternehmung", die Jakob Fugger als Regierer eine geradezu absolute Kontrolle des Geschäfts gab; eine Stellung, die nach seinem Tod 1525 sein Neffe Anton erben sollte.64 Bis zur Generation Jakob Fuggers des Reichen gelang den Fuggern durch die Akkumulation von ökonomischem und sozialem Kapital der Aufstieg in die reichsstädtische Führungsschicht. Doch kaum dort angekommen, begannen sie unter der Ägide Jakob zur

61 62 63 64

Unger, Fugger in Hall ( 1967), 35. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 418^441; Ders., Königswahl Ferdinands I. (1951/52). Kalus, Fugger in der Slowakei ( 1999), 275. Peterka, Gesellschaftsverträge Jakob Fuggers (1913); Bauer, Unternehmung und Unternehmungsformen (1936); Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers (1938); Hildebrandt, Untemehmensstrukturen im Wandel (1997).

/. Der Stifter und seine Familie

45

Fuggers seit Mitte der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts diesen Rahmen bereits wieder zu sprengen. Eine Lebensführung, die an adeligen Vorbildern orientiert war, und ein enormer Reichtum ließen sie in der Reichsstadt Augsburg zu einer „Sonderstruktur" werden. Jakob Fugger forcierte diesen Prozeß bewußt, als er sich im Zuge seiner Standeserhöhung von bürgerlichen Pflichten wie Steuererklärung und Teilnahme an Gericht und Rat befreien ließ. In ihrer Sonderstellung zwischen Adel und Stadt könnte man die Fugger von der Lilie mit Jakob dem Reichen an der Spitze als „stadtsässige Handelsherren" Betonung auf „Herren" bezeichnen. Parallel hierzu durchliefen die Binnenverhältnisse in der Fuggerschen Handelsgesellschaft einen Prozeß der dessen Ende sie eine erhielVerherrschaftlichung, an quasi monarchische Verfassung ten, mit Jakob Fugger an der Spitze. -

-

II. Die

1.

Grabkapelle bei St. Anna

Stifter und Empfänger: Beziehungen der den Karmelitern von St. Anna

Fugger

zu

Um das Jahr 1505 ging Jakob Fugger zusammen mit seinen Brüdern Georg und Ulrich die erste seiner drei großen Stiftungen an. Es war die Grabkapelle bei den Augsburger Karmelitern von St. Anna. Die Karmeliter besaßen in Augsburg seit spätestens 1275 eine Niederlassung. Gut vierzig Jahre, bevor die Fugger dort ihre Kapelle stifteten, war das Kloster samt Klosterkirche wiederaufgebaut worden, nachdem es 1460 Opfer eines Brandes geworden war. Einen beträchtlichen Teil der Baukosten hatten dabei wohlhabende Bürger aufgebracht.1 Die Karmeliter von St. Anna waren während des 15. und frühen 16. Jahrhunderts neben den Dominikanern die bei weitem bevorzugten Empfanger für Stiftungen aus dem Kreis der trinkstubenfahigen Unternehmerfamilien patrizischer oder zünftischer Herkunft.2 In den meisten Fällen handelte es sich dabei um Anniversarstiftungen, von denen über einhundert überliefert sind.3 Außerdem sind insgesamt sechs Kapellenstiftungen belegt. Die erste von diesen, die sogenannte Goldschmiedekapelle, wurde 1420 durch den Kramer Konrad Hirn und seine Frau Afra gestiftet.4 Verwalter dieser Kapelle war in den Jahren 1429 und 1441/42 der Goldschmied und Münzmeister Franz Basinger, also der Großvater mütterlicherseits von Georg, Ulrich und Jakob Fugger.5 Im 15. Jahrhundert stifteten außerdem noch die Familien Rem (1449) und Meuting (1450) Kapellen.6 Mit diesen beiden Mehrer-Familien waren die Fugger zum Zeitpunkt ihrer Kapellenstiftung verschwägert.7 Im Jahr 1501 stiftete Gastel Haug eine Kapelle, 1508 Georg Regel und seine Frau Barbara Lauginger, eine Verwandte der Ehefrau Ulrich Fuggers.8 Zu diesem Zeitpunkt hatten die Planungen für die Stiftung der Fuggerkapelle bereits begonnen. 1

2 3 4 5 6 7 8

Schott, Geschichte des Carmeliterklosters I (1878), 259-262; Schiller, Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 36 f. Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 266.

Schott, Geschichte des Carmeliterklosters I-IV ( 1878-80). Schott, Geschichte des Carmeliterklosters JJ (1879), v. a. 93-95. Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 376.

St. Annakirche

(1939);

Schott, Geschichte des Carmeliterklosters JU ( 1879), 191-199. Nebinger, Standesverhältnisse des Hauses Fugger (1986), 262. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters IV (1880), 173-182, 194-200; vgl. Bischoff, Burkhard Engelberg (1999), 125 f.; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 331-333, 372; Nebinger, Standesverhältnisse des Hauses Fugger (1986), 262.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

48

Der Stiftungsprozeß dauerte hier über 15 Jahre. Da in seinem Verlauf Georg und Ulrich Fugger, in den Jahren 1506 und 1510, starben, war es schließlich Jakob, der zusammen mit seinen Neffen in dem großen Stiftungsbrief von 1521 die Stiftung vorläufig zum Abschluß brachte.

2.

Vertragliche Regelung nach Beginn Die Stiftungsurkunde von 1509

der

Planungen:

Der Stiftungsprozeß der Grabkapelle der Fugger in der Klosterkirche der Augsburger Karmeliter fand seinen ersten schriftlichen Niederschlag in einer auf Latein verfaßten Urkunde vom 7. April 1509.9 In ihr bringt der Aussteller, der Prior des Karmeliterklosters Dr. Johannes Starck, latinisiert: Fortis, seine und des Konvents Absicht zum Ausdruck, die Kirche, die sich als zu eng, zu kurz und völlig ungenügend zum täglichen Gottesdienst für das dort versammelte Volk erwiesen habe, zu erweitern und zu verlängern. Da ihnen aber die Möglichkeiten und die Mittel fehlten, ein derart kostspieliges Werk zu errichten und zu erbauen, hätten die berühmten Herren Ulrich und Jakob Fugger, leibliche Brüder und Bürger von Augsburg, gemeinsam mit ihrem verstorbenen leiblichen Bruder Georg, hiesigem Bürger, zu dessen Lebzeiten beschlossen, in der Kirche der Karmeliter eine überaus prächtige Kapelle mit großen und beachtlichen Mitteln zu errichten und zu bauen, durch die die Kirche beträchtlich erweitert würde. Nach dem Tode des genannten Georg Fugger hätten sich dann die genannten Brüder Ulrich und Jakob entschlossen, diesen Willen und Beschluß fortzusetzen und auszuführen, gewillt, so den Bau der Kapelle zu vollenden und alle und jegliche Absprachen wie

zugesagt zu erfüllen.10

9 Zuletzt ediert bei Bushart, Fuggerkapelle (1994), 413-415 (Beüage I) (mit falscher Datumsangabe); vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 376-379; Halm, Daucher und die Fuggerkapelle (1921), 101-103. 10 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 413 (Beilage I): Quod cum nos alias Ecclesiam nostrum quae arda et curta ac nimis breuis pro populo ad divina inibi audiendum quottidie congregato existebat longare et ampliare proposuißemus: sed quia facultas idfaciendi nobis non suppetabat non habentes ut tarn pretiosum opus erigere et construere possemus Idcirco famosi viri Vlricus et Iacobus Fugger fratres germani dues Augusten(ses): una cum valido quondam Georgio Fugger due ibidem dum in humanis ageret eorum similiter Germano pietate moti nos magnis laboribus et expensis supportare et ut diuinis eo deuotius et frequentius aßistamus in hoc qietos reddere cupientes ad laudem et gloriam omnipotentis DEI gloriosaeque Virginis Mariae genitricis suae, ac totius Curiae coelestispro ipsorum et progenitorum omniumque Christi fidelium animarum salute et remedio dicta in Ecclesia nostra valde speciosam Capellam per quam ipsa Ecclesia multum longatur cum magnis et notabilibus expensis constuere et aedificare illamque pretiosiori modo quo fieri solet (...) expediré, decorare et erigere decreverunt: Et deinde praefato quondam Georgio sicut altissimo placuit ab hac luce sub lato praefati Vlricus et Iacobus Fugger fratres uoluntatem et decretum ipsorum ac dicti quondam Georgij eorum fratris (...) continuari et exequi volentes ad structuram Capellae huiusmodi perfidendum ac omnia ac singula praemissa ut

II. Die Grabkapelle bei St. Anna

49

Da Georg Fugger bereits am 14. März 1506 gestorben war, müssen die Fugger die Absicht, bei den Karmelitern eine Kapelle zu stiften, 1509 bereits seit mehr als drei Jahren gehabt und mit dem Kloster verabredet haben. Dies belegen auch die späteren Zeugnisse des Gesellschaftsvertrags Jakob Fuggers mit seinen Neffen von 1512 sowie Jakob Fuggers Stiftungsbrief von 1521." Spätestens 1506 müssen darüber hinaus auch schon konkretere Bauplanungen bestanden haben. Dies ergibt sich aus der Aussage einer Nürnberger Gerichtsakte von 1529 über das Gitter der Fuggerkapelle. Ihr zufolge hatten die Brüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger bei dem Nürnberger Meister Peter Vischer d. Ä. ain messing getter und werk in Auftrag gegeben und ihm dafür über 1437 fl. im voraus bezahlt.12 „Dieses Gitter (...) konnte aber vor 1506 nur in Auftrag gegeben und anbezahlt werden, wenn der Bau zu diesem Zeitpunkt mindestens planerisch soweit gediehen war, daß Größe und Grundtypus bekannt waren".13 Auch auf Seiten der Empfänger hatte es schon seit längerem Pläne gegeben, die Klosterkirche zu erweitern, die 1505 in ein definitives Stadium eingetreten waren. In diesem Jahr schloß der Prior der Karmeliter, Johannes Starck, einen Vergleich mit dem Bürger Gastel Haug, dessen

Anwesen an die Nordwestseite der Kirche anstieß und der im Westen des nördlichen Seitenschiffs der Klosterkirche eine Kapelle besaß. Er sah in den Bauplänen des Klosters seine Interessen beeinträchtigt. In dem Vergleich ließ sich Starck das Recht zusichern, das Mittelschiff der Kirche nach Westen zu erweitern, ein Kirchenfenster auf Höhe der anderen in die Mittelwand einzusetzen und die westliche Abschlußwand des nördlichen Seitenschiffes der Haugschen Kapelle abzubrechen.14 Die Stiftungsurkunde der Fuggerkapelle vom 7. April 1509 muß somit als eine definitive vertragliche Regelung zwischen Kirche und Stiftern verstanden werden, die zu einem Zeitpunkt abgefaßt wurde, da die Verhandlungen über den Beginn oder die Fortsetzung des Baus der Kapelle, die gleichzeitig die Klosterkirche nach Westen hin erweiterte, in ein entscheidendes Stadium eingetreten waren.15 Die ausgefertigte Urkunde ist nicht im Original überliefert. Von den erhaltenen Abschriften liegt die in einem Kopialbuch des Karmeliterklosters enthaltene dem Austeilungszeitpunkt am nächsten, da dieses Kopialbuch nur bis zum Jahr 1525 geführt wurde.16 Mit dieser weitgehend textidentisch sind spätere Abschriften aus dem 18. Jahrhundert aus dem Fuggerarchiv, die die meisten Arbeiten zur Grabkapelle der Fugger

praemittiturfaciendum se obligarunt et ordinationem fecerunt modi etformis infra dicendis; vgl. ebd. 18 f.

11 12 13 14

Vertrag 30.12.1512, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 304; Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. KellenbenzIPreysing, 104; vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 417 f., 422 (Beilagen HI und VI). Bushart, Fuggerkapelle (1994), 433 f. (Beilage IX). Bushart, Fuggerkapelle (1994), 17; vgl. dagegen Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 135. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 15 f.; vgl. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters IV (1880),

181 f. 15 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 18 f., 413^115 (Beüage I); zu Verhandlungen zwischen Stiftern und Empfängern bei mittelalterlichen Stiftungen vgl. Schmid, Stifter und Auftraggeber (1994), 512; Wagner, Universitätsstift und Kollegium (1999), 28 f.; exemplarisch für einen solchen Verhandlungsprozeß bei einer Kapellenstiftung Schwarz, Stiftskirche St. Galli in Hannover

(1996/97).

16

Schott, Geschichte des Carmeliterklosters I (1878), 268; IV (1880), 211-215.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

JO

benutzen.17 Im Original ist allerdings ein Konzept der Urkunde erhalten, das zwar nicht datiert

ist, aber in seiner Eigenschaft als Konzept vor der Ausstellung der Urkunde angefertigt worden sein muß und somit das früheste Zeugnis für die Stiftung der Kapelle bei St. Anna darstellt.18 Von der Forschung ist es bisher nicht beachtet worden, obwohl sich aus ihm Rückschlüsse auf die Rollenverteilung zwischen Stiftern und Empfangern im Stiftungsprozeß ziehen lassen.19 In der Urkunde bekundeten die Stifter ihr Mitgefühl mit dem Kloster, das sie bewogen habe, den Konvent mit großen Mühen und Ausgaben zu unterstützen, auf daß dieser sich um so eifriger und häufiger dem Gottesdienst widme, zum Lob und Ruhm des allmächtigen Gottes, der glorreichen Jungfrau Maria und aller Heiligen, zum Heile ihrer, ihrer Vorfahren und aller christgläubigen Seelen. Sie verpflichteten sich, die Kapelle mit großen und bemerkenswerten Kosten zu errichten und in aufwendigerer Weise als üblich mit Altären, Gestühlen, Ornaten und anderem gottesdienstlichen Bedarf auszustatten. Dafür erhielten sie das Recht, in der Klosterkirche eine Grablege für sich und ihre Erben und Nachkommen anzulegen, und zwar an welchem Ort im Kircheninneren -

-

ihnen beliebte, sowohl in der Kapelle als auch außerhalb. Damit einher ging, daß die Stifterfamilie ihre Wappen in der Kirche an den Wänden anbringen, aufhängen oder sie dort anmalen lassen durfte, und zwar ebenfalls, wo es ihnen für richtig erschien, innerhalb oder außerhalb ihrer Kapelle, in der darüber hinaus jeden Tag mindestens eine Messe zelebriert werden sollte. Den meisten Raum nahmen jedoch die vielfaltigen und detaillierten Bestimmungen ein, mit denen die Stifter den dauerhaften Bestand ihrer Stiftung sichern und gegen etwaige Ansprüche Dritter verteidigen wollten. Vor allem am Wappenschmuck der Kapelle durfte nichts verändert werden. Die Wappen durften weder ab- oder umgehängt werden, noch durften Dritte ihre Wappen dort anbringen, nicht einmal dann, wenn die Fugger einmal im Mannesstamm ausgestorben und Seitenverwandte aus weiblicher Linie in die Rechtsnachfolge der Stifter eingetreten sein sollten. Genausowenig war es erlaubt, daß andere als die Stifter selbst bzw. ihre Nachkommen sich in der Kapelle begraben ließen oder dort Benefizien stifteten. Die Kapelle sollte mit einem engmaschigen Gitter umgeben werden, zu dessen Tür Stifter und Konvent je einen Schlüssel bekamen, um damit zur Zeit der Gottesdienste, die in der Kapelle gesungen werden sollten, oder zu anderen Zeiten die Kapelle zu öffnen, ohne daß darin etwas verändert, beschmutzt oder zerstört würde. Um die Kapelle herum durften im Abstand von sieben Augsburger Werkschuhen keine baulichen Veränderungen durchgeführt werden. Prior und Konvent von St. Anna bekamen für sich und ihre Nachfolger untersagt, Bestrebungen zuzustimmen, die die Rechte der Stifter beeinträchtigen könnten. Selbst im Falle, daß durch den Bau der Kapelle ältere Rechte Dritter an Kirchenstühlen beeinträchtigt würden, die einstmals dort gestanden hatten, wo nun die Fuggerkapelle gebaut werden sollte, mußten Konvent und Prior solche Ansprüche abweisen und die Stifter und ihre Nachkommen faceré et relinquere in praees

missis

quietos.

Bushart, Fuggerkapelle (1994), 413^115 (Beüage I); Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 376-379; Halm, Daucher und die Fuggerkapelle (1921), 101-103. FA 81.1; s.u., Beilage 1.

17 FA 81.1 ;

18 19 S.u.,H5.

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

51

Hiermit übernahmen Prior und Konvent ein nicht genau bestimmbares, unter Umständen durchaus materielles Risiko, denn solche rechtlich begründeten Ansprüche Dritter hätten sich ja wahrscheinlich nur durch eine wie auch immer geartete Entschädi-

gung kompensieren lassen. Eindeutig materiell in Haftung nahmen die Stifter die Empfänger für den baulichen Unterhalt ihrer Kapelle. Zwar brachten sie zum Ausdruck, daß sie diesen künftig aus ihrem eigenen Besitz finanzieren wollten. Für den Fall, daß dies nicht geschehen sollte, wurden jedoch Prior und Konvent verpflichtet, die Kapelle aus ihrem und dem Besitz des Klosters zu unterhalten. Diesen setzten die Empfanger darüber hinaus als Pfand für ihre Zusage ein, alle Bestimmungen der Urkunden, die sie beträfen, auf ewig ausführen und einhalten zu wollen. Im Falle, daß sie dies nicht taten, durften die Stifter sie durch den Papst oder den Bischof von Augsburg qua Sperrung ihrer Einkünfte und der Kirchenzehnten sowie anderer Rechtsmittel dazu zwingen lassen. Darüber hinaus verzichteten Prior und Konvent ausdrücklich in möglichen Konflikten mit den Stiftern auf Jedwede Hilfe des kanonischen und des weltlichen Rechts, auch auf alle Immunitäten, die unserem Orden durch Privileg und Gnadenerweise zugestanden wurden und alle und jede defensiones". Außerdem erklärten sie sich dazu bereit, alle Abmachungen durch den Papst bestätigen zu lassen.20 Dies geschah am 19.

November des Jahres.21 20

Bushart, Fuggerkapelle (1994), 413-415 (Beilage I): Idcirco famosi viri Vlricus et Iacobus Fugger fratres germani Ciues Augusten(ses): una cum valido quondam Georgio Fugger due ibidem dum in humanis ageret eorum similiter Germano pietate moti nos magnis laboribus et expensis supportare et ut diuinis eo deuotius et frequentius aßistamus in hoc qietos reddere cupientes ad laudem et gloriam omnipotentis DEI gloriosaeque Virginis Mariae genitricis suae, ac totius Curiae coelestis pro ipsorum et progenitorum omniumque Christi fidelium animarum salute et remedio dicta in Ecclesia nostra valde speciosam Capellam per quam ipsa Ecclesia multum longatur cum magnis et notabilibus expensis constuere et aedificare illamque pretiosiori modo quo fieri solet (...) expediré, decorare et erigere decreverunt: Et deinde praefato quondam Georgio sicut altissimo placuit ab hac luce sublato praefati Vlricus et Iacobus Fugger fratres uoluntatem et decretum ipsorum ac dicti quondam Georgij eorum fratris (...) continuari et exequi volentes ad structuram Capellae huiusmodi perficiendum ac omnia ac singula praemissa ut praemittitur faciendum se obligarunt et ordinationem fecerunt modi et /ormis infra dicendis.'Inprimis quod ipsi habeant in praetacta capella;/acere sepulturam propriam pro se haeredibus et successoribus suis in quacunque parte eis placita et conveniente tarn in quam extra eandem

Capellam ac totiens quotiens neceßitas ipsos et succeßores suos inibi sepeliendi et sepulchra apeexigit reseruata tarnen dictis /undatoribus/acuítate quod ipsi donec in humanis extiterint quibuscunque eis placitis indulgere possint ibidem sepulturam quodque in Capella eorum praedicta intus et extra eandem totiens quotiens eis placuerit et post eorundem decessum successores sui nominis etprogeniei et armorum masculini sexus arma et clipeos ipsorum muris appendere et annectere seu ibidem depingere possint et ualeant: Praeterea ipsi et haeredes ac successores sui sanguinis et nominis ac armorum masculini sexus quamdiu in humanis erunt, et deinceps postquam nullus ipsorum huiusmodi superstiterit alii ex ipsorum genealogía, ipsis a latere coniuncti utriusque sexus et inter illos proximiores perpetuis fiituris temporibus inuiolabiliter gaudere et in his liberam /acultatem habere debeant absque impendimento et contradictione cuiuscunque, saluo quod iidem coniuncti arma et clipeos supradictas tarn appensos quam depictos alterare seu amoveré minime debeant, ñeque suos seu aliquos alios ibidem appendere sive depingere poßint. (...) Item quamuis ipsi intendant disponere et ordinäre vt dicta Capella de bonis eorum in structuriendi

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

52

Auffällig an der Stiftungsurkunde der Fuggerkapelle bei St. Anna ist die scharfe Asymmetrie zwischen Stiftern und Empfängern. Prior und Konvent der Karmeliter von St. Anna wurden im Stiftungsvollzug regelrecht zu willigen Vollstreckern der stifterlichen Anordnungen. Dabei nahmen sie schwer kalkulierbare materielle Risiken auf sich und verzichteten dabei sogar ausdrücklich auf die Möglichkeit, in Konflikten mit den Stiftern Rechtsmittel einzulegen. Im Falle, daß die Empfänger ihren Pflichten nicht nachkamen, wurden die Risiken geradezu existentiell, da ihnen die Stifter dann durch den Papst bzw. den Bischof von Augsburg ihre Einkünfte aus Besitz und Kirchenzehnten sperren lassen konnten. Daß der Papst quasi zur obersten Instanz in der Aufsicht des Stiftungsvollzugs eingesetzt wurde, der die Stiftungsurkunde zur Bestätigung vorgelegt ris et aedificiis armis appensis seu depictis ac alias in esse conservetur, tarnen in eventum quod id nonfieret debeamus nos pro tempore existentes Prior et Conventus esse astricti et obligati de bo-

nis nostris communibus propriis aedificia et structuras arma et alia pro divino cultu ac eorum memoria inibi manutenere et in esse conservare et nihilominus id de consensu et volúntate eorum et suorum successorum faceré, nullum propterea eis in praemissis praesertim ratione nominis et armorum suorum in ipsa Capella (quorumcunque aliorum armis seclusis) appendendorum seu depingendorum praeiudicium generando. Item quod nos debeamus et teneamur ordinäre et praeesse vt singulis diebus perpetuis futuris temporibus, in dicta Capella ad minus vna missa ce-

lebretur,

et

hoc

non

ad alicuius alterius intendentis

beneficium inibi fundare, requisitionem seu

instantiam quoniam praeter ipsos et successores ipsorum Nemo habeat in eadem Capella quiddam disponere, ordinäre seu fundare cuiusmodi potestatem, quibuscunque dictorum fundatorum nominis beneficium inibi aut aliquid aliud in augmentum divini cultus fundandi dedimus.Item quodneque ab anteriori parte ñeque a latere, versus Monasterium eiusdem Capellae stalla aliqua

sedes

aliaque aedificia uel structurae seu sepultura a quoquam praeter eos construantur nedebeant, nisi, post septem calceorum mensurae opificum ciuitatis Augusten(sis) ab ipsa Capella interuallum seu interstitium (...) Verum si aliqui praetenderent se aliquid iuris in seu

que construí

antiquis stallis seu sedibus olim ibidem positis habuisse et idcirco sedes nouas ibidem poneré uelle, quominus praefati Fugger et sui successores libere in praemissis disponere possent, quo casu nos eisdem resistere ius et concessionem ipsorum ipsis a nobis libere attributam prout nos id faciendi polliciti sumus habere potestatem contra quoscunque defenderé, disbrigare, manutenere et evincere debeamus et teneamur ac eos et successores suos faceré et relinquere in praemissis quietos. Item quod nos et nostri successores auctoritate Domini nostri Papae immo domini nostri

Augusten(sis) pro tempore existentis per arrestationem bonorum nostrorum et Monastery nostri ac censuarum Ecclesiasticarum aliorumque iuris remediorum ad observantiam omnium et singulorum praemissorum cogi et compelli possimus et debeamus. (...) Renunciamus quoque in praemissis omnibus et singulis iuris canonici et ciuilis auxilio, quibuscunque exceptionibus gra-

tiis priuilegüs et indultis etiam ordini nostro qualitercunque concessis ac omnibus aliis et singulis defensionibus per quae contra praemissa uel eorum aliqua dicere faceré uel venire possemus et praesertim iuri dicenti generalem renunciationem non valere nispraecesserit specialis. (...)DePrior et Conuentus praediciti tenore praesentium in confirmationem omnium et sinpraemissorum a Domino nostro Papa aut alio quocunque ad id potestatem habenti

mum nos

21

gulorum fiendam consensum praebemus praefatisque Ulrico et lacobo Fugger ex nunc plenum damus mandatum acfacultatem per se uel procuratores et ab eisdem substitutos eorum confirmationem huiusmodi impetrandum et expediendum prout etiam coram Notario et testibus procuratores nostros ad id faciendum fecimus et constituimus serie Instrumentorum desuper confectorum. (...); vgl. ebd. 16 f. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 415^117 (Beilage II); vgl. ebd. 32.

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

53

bekam, ist ebenfalls als Stärkung der Position der Stifter zu verstehen. Hatten die Fugger doch gute Kontakte zur Kurie.22 Stellt man diese Asymmetrie zugunsten der Stifter in Rechnung, dann ist es um so erstaunlicher, daß die Urkunde keine Angaben über den Kaufpreis machte, den die Fugger für das Recht zahlen mußten, eine Kapelle samt Grablege in der Kirche zu errichten. Dieser wurde von Prior und Konvent erst 1516 quittiert und betrug 500 fl. Damit übertraf er deutlich die Summen von 36 bzw. 100 fl., die 1501 bzw. 1508 Gastel Haug und Georg Regel für die Genehmigung entrichten mußten, bei den Karmelitern Kapellen zu errichten.23

3.

Baugeschichte und Ausstattung

Mit den Bauarbeiten für die Fuggerkapelle muß Bruno Bushart zufolge spätestens 1509 begonnen worden sein. Drei Jahre später waren sie mit hoher Wahrscheinlichkeit abgeschlossen.24 Die wesentlichen Ausstattungsarbeiten dauerten dann noch einmal fünf Jahre. In einer Stuckkartusche unterhalb der Seitenfenster der Kapelle ist das Datum 1512 angebracht. Auch die Orgel muß zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt gewesen sein. Dies geht aus der einstigen Inschrift am Prospekt des Rückpositivs hervor: RÖ KAY MAST ORGELMACHER IHAN VON DOBRAW / 1512. Andere Elemente der Ausstattung müssen zu diesem Zeitpunkt jedoch noch gefehlt haben. Denn im Gesellschaftsvertrag Jakob Fuggers mit seinen Neffen vom Dezember 1512 wurde die Absicht zum Ausdruck gebracht, die Kapelle notdurftiglich zu vollenden, das heißt sie mit allem auszustatten, was der Stiftung entsprechend vonnöten war.25 In der Ratifizierungsurkunde des Gesellschafts Vertrages vom Oktober 1513 überließen es die Neffen Jakob, die nötigen Ausgaben zu machen, die zum „vollkommenen Bau der angefangenen Kapelle zu Unserer Lieben Frauen Brüder und zu einer löblichen Stiftung" nötig waren.26 Zum Jahr 1517 berichtet dann der Chronist Wilhelm Rem, daß in diesem Jahr des Jacob Fuggers Kappel zu Unser Frauen Brieder gar ausgemacht gewesen wäre.27 Im Mai desselben Jahres besuchte der Italiener Antonio de Beatis, der sich als Begleiter des Kardinals Luigi d'Aragona auf dessen Deutschlandreise in Augsburg aufhielt, die Kapelle. Seinem Bericht zufolge war diese zu diesem Zeitpunkt zumindest mit dem Altar, 22 S. o., 1.4. bei Anm. 53. 23 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 33; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 136; vgl. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters HI (1879), 191-199. 24 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 29 f.; vgl. Bischoff, Burkhard Engelberg (1999), 125; Schindler, Hans Daucher (1985), 27; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 135; Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 215 f., 266. 25 Vertrag 30.12.1512, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 417 f. (Beilage JJT), 30; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 136. 26 FA 61.2.2.1.1; vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 30; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 136. 27 Rem, ed. Hegel/Roth, 82; vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 31; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 136.

304;'

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

54

der fast die gesamte Stirnseite der Kapelle einnehme und aus Marmorfiguren gearbeitet sei, dem Chorgestühl aus Eichenholz mit Propheten- und Sibyllenfiguren und der Orgel ausgestattet. Auch von Bildern spricht de Beatis. Möglicherweise meinte er damit die gemalten Orgelflügel.28 Damit bleibt in de Beatis' Bericht ein wesentliches Element der reichen Ausstattung der Kapelle unerwähnt: die Epitaphien. Ihre Einordnung in die Baugeschichte wird dadurch erschwert, daß, anders als für die Altarstiftung bei St. Ulrich und Afra, für die Kapelle der Fugger bei den Karmelitern keine Verträge zwischen Stiftern und den beteiligten Künstlern überliefert sind. Schriftlich überliefert ist einzig und allein der Auftrag an Peter Vischer d. Ä. für das ursprünglich geplante Messinggitter, das die Kapelle zur Kirche hin abschließen sollte, dann aber nicht ausgeführt und durch eine steinerne Balustrade ersetzt wurde.29 Die kunsthistorische Forschung hat allerdings mit den ihr eigenen Methoden immer wieder versucht, die Meister zu identifizieren, die mit der Planung und der Ausführung der Kapelle und ihrer reichen künstlerischen Ausstattung betraut waren.30 Den Plan für das Bauwerk und seine Ausstattung, der den Bauarbeiten zugrunde gelegen hat, soll dem jüngsten Vorschlag Bruno Busharts zufolge Albrecht Dürer entworfen haben.31 Dürer ist mit seinen Entwürfen für die Innenepitaphien (1506/1510) neben dem Kupferschmied Peter Vischer d. Ä. und dem Orgelbauer Jan von Dobrau der einzige sicher in einer Tätigkeit für die Fuggerkapelle nachweisbare Künstler.32 Ein Großteil der bildhauerischen Arbeiten wird der Werkstatt des Augsburger Bildhauers Adolf Daucher zugeschrieben: der Altar, die Epitaphien, das Gestühl und die Brüstung samt den Putti.33 Als Maler der Orgelflügel hat man wiederholt Jörg Breu vorgeschlagen.34 Architektur und Ausstattung waren wohl von Anfang an aufeinander bezogen, so daß man die Kapelle wiederholt als „Gesamtkunstwerk" bezeichnet hat.35 Dennoch wurden die ursprünglichen Planungen im Verlauf des Stiftungsprozesses mehrfach geändert. Zum Teil lassen sich diese Änderungen zeitlich exakt verorten, wie etwa der Einbau der Orgel, die ursprünglich nicht vorgesehen war.36 Andere lassen sich mangels Überliefe-

-

Beatis, ed. Pastor, 96 f.; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 420 f. (Beilage V), 31; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 136. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 191. Vgl. hierzu den Kommentar von Baxandall, Kunst der Bildschnitzer (1985), 360: „Der Versuch, die verschiedenen Bildwerke einzelnen Meistern zuzuschreiben, hat eine ungeheure Literatur hervorgebracht, worin normale Kriterien der Wahrscheinlichkeit weitgehend verlassen wurden"; vgl. hierzu auch Eser, Hans Daucher (1996), 43. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 99-111; formuliert hatte die „Dürerthese" bereits Büchner-Suchland, Hans Hieber (1962), 86 f.; zu Busharts Neuformulierung derselben vgl. Bischoff, Burkhard Engelberg, (1999), 126 f.; Eser, Hans Daucher (1996); Ders., Rezension: Bushart, Fuggerkapelle (1995/96), 279; Strieder, Rezension: Bushart, FuggerkapeUe (1994), 700-702. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 115-134; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 187. Vgl. jedoch die Liste der Attributionen bei Eser, Hans Daucher (1996), 43 f.; vgl. auch Bushart, Fuggerkapelle (1994), 215-230, 305, 310 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 187-249. Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 252; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 187. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 363; Oexle, Memorial-Kapelle der Fugger (1998), 347. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 85.

28 De 29 30

31

32 33 34 35 36

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

55

dagegen nur hypothetisch datieren, vor allem die Programmwechsel in der Ikonographie der Epitaphien oder die Anbringung der Orgelflügel.37 Die Bau- und Ausstattungsarbeiten verliefen allem Anschein nach nicht ohne Anfechtungen. Anhaltspunkte dafür bietet eine zweite päpstliche Bestätigungsbulle, die Papst Leo X. am 27. Februar 1517 ausgestellt hat.38 Auf Bitten Jakob Fuggers hin wurden die Zusicherungen und Privilegien von 1509 auf die Seitenräume der Kapelle ausgedehnt, die in der Urkunde von 1509 und der ersten Bulle noch nicht erwähnt worden waren. Sie werden in der Bulle „vollmundig" (Bushart) als Kapellen bezeichnet. Gleichzeitig wird behauptet, sie seien erst nach dem Tod Ulrich Fuggers, das heißt nach 1510, errichtet worden. Bruno Bushart zufolge könne dies aus baustatischen Gründen nicht zutreffen39. Dies hängt jedoch davon ab, ob man ihm bezüglich des von ihm hypothetisch erschlossenen Beginns der Bauarbeiten spätestens 1509 folgen will.40 Plausibel erscheint jedoch, daß die Fugger mit der zweiten päpstlichen Bestätigungsbulle Ansprüche Dritter abwehren wollten. In der Urkunde von 1509 hatten die Fugger vorgesehen, daß, falls vormalige Besitzer von Kirchenstühlen im Westteil der Kirche Ansprüche geltend machen wollten, Prior und Konvent diese zurückweisen sollten.41 Offenbar waren solche Anspräche bezüglich der Abseiten mittlerweile erhoben worden, rung

und Prior und Konvent von St. Anna hatten sie nicht zurückweisen können oder wollen. Denn damit, die Rechte der Fugger auf die Abseiten zu überwachen, werden in der päpstlichen Bulle der Dekan und der Propst des Kollegiatstifts von St. Moritz beauftragt. Jakob Fugger sah sich also veranlaßt, eine Instanz außerhalb des Klosters zur Sicherung der Bestimmung zu installieren. Und dies kann ja nur bedeuten, daß er sich diesbezüglich nicht mehr auf Prior und Konvent von St. Anna verlassen wollte.

4.

Vorläufiger Abschluß der Kapellenstiftung: Stiftungsbrief von 1521

Der

Dem Stiftungsbrief von 1521 zufolge wurde die Kapelle am 17. Januar 1518 geweiht. Patrozinien des Altars wurden der Fronleichnam, also das Corpus Christi, Maria sowie der Apostel Matthäus.42 Bruno Bushart und Götz Frh. von Pölnitz gehen davon aus, daß anläßlich der Weihe auch die Leichname von Georg und Ulrich Fugger, die zunächst auf dem Friedhof von St. Moritz bestattet worden waren, in die Kapelle überführt wurden.43 Im Jahr 1521 waren die sterblichen Überreste von Jakob Fuggers Brüdern definitiv bereits bei St. Anna bestattet. Denn in seinem ersten Testament vom 27. August 37

Bushart, Fuggerkapelle (1994), 143,159,168,259-261.

38 FA 81.1 ; Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 418-420 (Beilage IV). 39 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 31. 40 Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 18, 31-33. 41 Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 414 (Beilage I). 42 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. KellenbenzIPreysing, 104.; Bushart,

Fuggerkapelle (1994), 422 (Beilage VI). 43 Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 35; Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 380.

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Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

dieses Jahres bestimmte Jakob Fugger, er wolle under die capell zu meinen gebruedern Ulrichen undJörigen Fuggern saligen begraben undbestätet werden.44 Da Ulrich und Georg Fugger nicht in der Kapelle bei St. Anna bestattet werden konnten, bevor diese geweiht war, bot sich der Termin der Weihe zur Überführung an. Zu ihrem vorläufigen Abschluß kam die Kapellenstiftung der Fugger bei den Karmelitern bei St. Anna drei Jahre nach der Weihe. Denn im Stiftungsbrief vom 23. August des Jahres regelte Jakob Fugger schließlich mit Einverständnis seiner Neffen den liturgischen Memorialdienst, der in der Kapelle für die Stifter erbracht werden sollte.45 Auf diesen wird unten noch genauer einzugehen sein. Hier ist diesbezüglich nur von Interesse, daß in der Urkunde erwähnt wird, daß ein für die Samstagabende vorgesehenes Salve Regina in der Kapelle bereits praktiziert wurde, und daß mit Bernhard Rem bereits ein Organist angestellt war, dem von zwei Balgtretern assistiert wurde. Offensichtlich waren die gottesdienstlichen Leistungen, die im Stiftungsbrief geregelt wurden, zum größten Teil schon Usus, als er verfaßt wurde. Wie die Stiftungsurkunde von 1509 erweist sich der Stiftungsbrief von 1521 damit als eine schriftliche Regelung von Leistungen, die bereits zuvor verabredet und erbracht wurden, möglicherweise schon seit 1518, als die Kapelle geweiht worden war. Mit den liturgischen Memorialleistungen mußte natürlich auch ihre Finanzierung, das heißt vor allem die Bezahlung derjenigen, die sie erbrachten, geregelt werden.46 Der Organist sollte jährlich ein Gehalt von fünfzig Gulden erhalten, nach dem Muster eines Vertrags, den die Fugger mit dem zu diesem Zeitpunkt angestellten Organisten Bernhard Rem abgeschlossen hatten. Die Balgtreter sollten als Entlohnung jedes Jahr einen Winterrock bekommen. Prior und Konvent erhielten alle Jahre 80 fl. ausgezahlt und zwar vierteljährlich zu den Quatembern. Außerdem sollten die Mönche zu jedem Quatember, wenn sie die Jahrtage der Stifterfamilie begingen, dreieinhalb Gulden bekommen. Davon sollten sie jedem von ihnen drei Viertel guetten zimlichen Weins kaufen und einen möglichen Rest zur Besserung ihrer Mahlzeiten verwenden. Zu den Fastenzeiten sollen vnd wollen die Stifter dem Prior und dem Konvent von St. Anna außerdem ein Faß Neckarwein zukommen lassen. Die Kosten für die Kerzen und Lichter, mit denen der Altar das ganze Jahr über und besonders zu den Jahrtagen der Stifterfamilie geschmückt werden soll, übernahmen ebenfalls die Stifter. Jakob Fugger und seine Neffen verpflichteten sich, das Kapital, das zur Finanzierung von all dem nötig war, in ewigen Zinsen vnndgültten anzulegen. Prior und Konvent von St. Anna wurde über dieses Stiftungskapital jegliche gewalt noch macht, noch ainich Verwaltung verwehrt. Statt dessen sollte es in der Kontrolle der Stifter und ihrer Nachkommen bleiben. Diese sollten die Erträge kassieren und alle Quatember an die Mönche auszahlen. Für den Fall, daß diese ihre verabredeten Pflichten vernachlässigten, behielten sich die Stifter vor, ihnen die Bezahlung zu kürzen oder ganz einzubehalten und die einbehaltenen Stiftungserträge anderweitig vmb gottes willen zu verwenden. 44 Fuggertestamente, ed. Preysing, 54; Bushart, FuggerkapeUe (1994), 426 (Beüage VU). 45 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 105 f.; Bushart, Fuggerkapelle 423 (Beilage VI); s. u., JJ.7.a.ß. 46 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 106 f.; Bushart, FuggerkapeUe 423 f. (Beilage VI).

(1994), (1994),

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

57

Die starke, ja praktisch kaum anfechtbare Stellung, die sich die Stifter gegenüber den Empfängern bereits in der Urkunde 1509 und durch die zwei päpstlichen Bullen von ebenfalls 1509 und 1517 gesichert hatten, wurde hier also nochmals untermauert. Die juristischen Zwangsmittel, die sich die Stifter vorbehalten hatten, um die bauliche Gestalt und die Ausstattung der Kapelle dauerhaft so bewahrt zu sehen, wie sie es festgelegt hatten, fanden nun bezüglich der Memorialleistungen ihre Parallele darin, daß die Fugger auch hier gleichsam das Heft in der Hand behielten. Indem sie das Stiftimgskapital kontrollierten, hatten sie auf der einen Seite ein wirksames Druckmittel gegenüber den Mönchen. Sie konnten diesen die Einkünfte aus der Stiftung sperren, falls sie die verabredeten Pflichten versäumen sollten. Gleichzeitig konnten die Stifter so den kontinuierlichen Vollzug der Memorialdienste sichern, da sie die Stiftungserträge anderen Empfangern zukommen lassen konnten, von denen man davon ausgehen durfte, daß sie dann die entsprechenden liturgischen Leistungen für die Stifter erbrächten. Die Regelungen des Stiftungsbriefs von 1521 unterstrichen also nochmals den herrschaftlichen Charakter der Beziehung zwischen Stiftern und Empfängern in der Kapellenstiftung der Fugger bei St. Anna in Augsburg.

5.

Stifter oder Empfänger? Die Initiative zur Stiftung

Angesichts dieser ausgeprägten Asymmetrie zwischen Stiftern und Empfängern

ver-

wundert es, daß die Initiative dazu von letzteren ausgegangen sein soll. Dem Wortlaut der Narratio der Urkunde von 1509 zufolge hatten die Karmeliter von St. Anna geplant, ihre Kirche, die sich als zu eng, zu kurz und völlig ungenügend zum täglichen Gottesdienst für das dort versammelte Volk erwiesen habe, zu erweitern und zu verlängern. Da ihnen aber hierzu die Mittel fehlten, hätten sie sich an die Brüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger gewandt. Diese hätten dann beschlossen, in der Kirche der Karmeliter eine Kapelle zu errichten.47 Daß die Karmeliter geplant hatten, ihre Kirche zu erweitern, und daß diese Planungen spätestens 1505 in ein definitives Stadium eingetreten waren, belegt der erwähnte Vergleich des Klosters mit seinem Nachbarn Gastel Haug.48 Dennoch hat Bruno Bushart jüngst den Wahrheitsgehalt der Narratio der Urkunde von 1509 mit einem Fragezeichen versehen: „Wir wissen nicht, ob das expansionsbedachte Kloster die viri famosi Ulrich, Georg und Jakob Fugger von sich aus um die Finanzierung des Erweiterungsbaus ihrer Kirche angegangen hatte, oder ob diese, etwa als Folge ihrer Nachbarschaft, sich die Baulust der Karmeliter zunutze zu machen verstanden".49 Begründet hat Bushart dies mit Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Motivs. Ihm zufolge sei der Raumbedarf des Klosters durch die Kapellenstiftung der Fugger nicht nur nicht gedeckt worden. Vielmehr sei die Urkunde von 1509 als eine Raumabtretung an die Fugger zu verstehen, die den Raumbedarf der Karmeliter sogar 47 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 413 (Beilage I), 18 f. 48 S. o., n.2 bei Anm. 14; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 15 klosters IV (1880), 181 f. 49 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 319.

f.; Schott, Geschichte des Carmeliter-

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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regelrecht konterkariert hätte. Die Urkunde von 1509 habe dies „verschleiert".50 Im folgenden soll deshalb überprüft werden, inwieweit der Raum der Fuggerkapelle für „private" Zwecke der Stifter und ihrer Nachkommen genutzt wurde und inwieweit er dem Kloster und dem „Volk" zugute kommen konnte. Es wird sich zeigen, daß Busharts Zweifel nur zu berechtigt waren. In der Stiftungsurkunde von 1509 brachten die Fugger ihre Absicht zum Ausdruck, die Kapelle durch ein Gitter vom restlichen Kirchenraum abzutrennen. Zum Tor dieses Gitters sollten sowohl die Stifter als auch der Prior des Konvents je einen Schlüssel bekommen ad dictos (!) fores ipsius Capellae aperiendum, und zwar so, daß die Kapelle „zu den Zeiten der Gottesdienste, die in dieser Kapelle gesungen werden sollen oder zu anderen Zeiten" durch den Prior oder die Stifter geöffnet wird, „solange als Sorge getragen wird, daß in der Kapelle nichts abgenutzt, verschlechtert, verunstaltet

oder verschmutzt wird und sie sauber und in ihrem Bestand erhalten wird".51 An dieser Stelle ist ein Vergleich mit dem Konzept der Urkunde aufschlußreich. Die Forschung hat vielfach betont, daß Stiftungsurkunden keinen einseitigen Akt zum Ausdruck brachten, sondern das Ergebnis von Verhandlungsprozessen zwischen Stiftern und Empfängern darstellten.52 Bei der Kapellenstiftung der Fugger bei St. Anna wird dies bereits dadurch deutlich, daß zwischen dem Beginn der Bauplanungen und deren erster schriftlicher Fixierung mehr als drei Jahre vergingen.53 Weitere Aufschlüsse über den Verhandlungsprozeß zwischen den beteiligten Parteien ermöglicht der Vergleich des Konzepts der Stiftungsurkunde mit deren Ausfertigung. Ein Streitpunkt zwischen Empfangern und Stiftern tritt dabei deutlich zutage: Es ist die räumliche Nutzung der

Kapelle.

Bereits bei oberflächlicher Betrachtung fallt ein Unterschied zwischen Konzept und Ausfertigung der Stiftungsurkunde von 1509 ins Auge: die Perspektive. Die Stiftungsurkunde ist von der Empfangerseite ausgefertigt. Das Konzept jedoch nimmt die Perspektive der Stifter ein. In der Narratio der Stiftungsurkunde ist davon die Rede, daß Ulrich und Jakob Fugger sich nach dem Tod Georg Fuggers entschlossen hätten, ihren gemeinsam gefaßten Beschluß, die Kapelle errichten zu lassen, umzusetzen und zu diesem Zweck eine ordinatio erlassen hätten, deren Bestimmungen in die Urkunde eingegangen seien.54 Es liegt nahe, das vorliegende Konzept als einen Entwurf oder eine Abschrift dieser ordinatio zu verstehen, die die Stifter dem Kloster zukommen ließen.55 50 Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 319. 51 Bushart, FuggerkapeUe (1994), 414 (Beilage I): in finem quod tempore divinorum officiorum in ipsa Capella decantandorum seu aliis temporibus per nos vel eos aperiatur dummodo provideatur quod in eadem Capella nil deterioretur annihiletur difformetur seu maculetur, eademque munda et in

esse

conservetur.

Schmid, Stifter und Auftraggeber (1994), 512; Wagner, Universitätsstift und KoUegium (1999), 28 f.; exemplarisch für einen solchen Verhandlungsprozeß bei einer Kapellenstiftung Schwarz, Stiftskirche St. Galü in Hannover (1996/97). 53 Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 18 f., s. o., n.2. 54 Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 413 (Beilage I). 55 Damit läßt sich die Enstehung des Konzepts auf den Zeitraum zwischen 1506 (Tod Georg Fuggers) und dem 4. April 1509 (Ausstellungsdatum der ausgefertigten Urkunde) datieren; s. u., Bei52

lage 1.

//. Die

Grabkapelle bei St. Anna

59

Auch sie sah das Gitter vor, das die Kapelle vom restlichen Kirchenraum abtrennen sollte und bestimmte, daß die Priore und die Stifter bzw. deren Nachkommen je einen Schlüssel zur Tür dieses Gitters bekommen sollten. Dies bedeutete jedoch nicht, daß Stifter und Empfänger die Kapelle gleichberechtigt nutzen durften. Denn die Fugger

bestimmten weiter, daß die Kapelle „zu den Zeiten der Gottesdienste, die in dieser Kirche gesungen werden sollen", nach ihrem Gutdünken geöffnet und nach dem Ende der Gottesdienste geschlossen würde und abgeschlossen bliebe.56 Die Befugnis, die Kapelle außerhalb der Gottesdienstfeiern zu öffnen, lag also allein bei den Stiftern und ihren Nachkommen. Da unter den „Gottesdiensten, die in dieser Kirche gesungen werden sollen", wohl schon damals die liturgische Stiftermemoria verstanden wurde, die sich die Fugger 1509 noch zu stiften vorbehielten und 1521 schließlich einrichteten, sah die im Konzept vorliegende ordinatio der Stifter also vor, daß die Kapelle ausschließlich für die Zwecke der Stifter genutzt werden sollte.57 Die Bestimmungen in der ausgefertigten Urkunde erscheinen im Vergleich dazu auf den ersten Blick weniger restriktiv. In ihr entfielen die Einschränkungen, daß die Öffnung der Kapelle allein im Gutdünken der Stifterfamilie liegen sollte, und es wird außerdem vage von einer Öffnung „zu anderen Zeiten" gesprochen. Man muß wohl davon ausgehen, daß diese milderen Formulierungen Folge des Einspruches der Empfangerseite waren. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Dominanz der Stifterinteressen bezüglich der Nutzung hierdurch mehr als nur graduell modifiziert wurde. Wurde doch die Erlaubnis, die Kapelle zu anderen Zeiten als zu den Memorialgottesdiensten für die Stifter zu nutzen, gleich wieder durch den Zusatz eingeschränkt „solange als Sorge getragen wird, daß in der Kapelle nichts abgenutzt, verschlechtert, veranstaltet oder verschmutzt wird", der im Konzept noch nicht vorkam. Im Stiftungsbrief von 1521 kehrten die Stifter dann auch zu den eindeutig restriktiven Formulierungen ihrer ursprünglichen ordinatio zurück. Nachdem die litur-

gischen Leistungen, die die Empfänger der Stiftung erbringen sollten, aufgezählt wurden, heißt es dort: Die gemelten prior vnd Conuent sollen auch die Cappellen zue aller Zeit verspört halten vnd allein offnen, so sy, wie obsteet den gotzdiennst darinn begeen ...58 Es fällt schwer, in einer dermaßen beschränkten Nutzung den Bedarf des Konvents

nach mehr Kirchenraum für das „zum täglichen Gottesdienst (...) dort versammelte Volk" befriedigt zu sehen, von dem in der Narratio der Stiftungsurkunde die Rede ist.59 Zwar sahen die Gottesdienste, die Jakob Fugger 1521 zusammen mit seinen Neffen stiftete, auch eine Beteiligung des „Volks" vor, allerdings eben nur an bestimmten, von

Ideoque volumus, ut dies modernus et pro tempore existentes priores unam habeant nosque et succesores nostri altera ad dictas (!)fores ipsius capellae aperiendum habeamus claves in finem, quod tempore divinorum officiorum in ipsa ecclesia decantandorum de nostro beneplácito aperiatur eademque munda et in esse conservetur et postfinem huiusmodi officiorum divinorum claudatur et clausa habeatur reservata potestate nobis, heredibus et successoribus nostris ipsam capellam extra divinorum officiorum solemnia aperiendi, prout nobis expediré videbitur, s. u., Beilage 1.

56 FA 81.1:

57 Zur liturgischen Memoria in der Fuggerkapelle s. u., H7.a.ß. 58 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. KellenbenzIPreysing, 106; Bushart, 59

(Beüage VI). Bushart, Fuggerkapelle (1994), 413 (Beilage I).

Fuggerkapelle (1994), 423

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

60

den Stiftern festgelegten Zeremonien.60 Eine gottesdienstliche Nutzung der Kapelle durch Dritte außerhalb dieser von den Stiftern veranstalteten Religiosität war dagegen unerwünscht. Norbert Lieb hat zu Recht darauf hingewiesen, daß „die Funktion der Kapelle in sich selbst erfüllt" war, „wenn die Familie im Kapellenraum oberhalb der Gruft dem Totengottesdienst beiwohnte".61 Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß der Vergleich des Konzepts der ordinatio der Stifter und der ausgefertigten Urkunde eindeutig zeigt, daß die Fugger mit ihrer Kapellenstiftung niemals vorhatten, den Raumbedarf des Klosters, der in der Stiftungsurkunde als Motiv von Prior und Konvent genannt wurde, zu befriedigen. Damit erweist sich dieses als vorgeschoben, womit auch fragwürdig wird, ob die Initiative tatsächlich bei den Empfangern der Stiftung gelegen hat. Sollten die Karmeliter sich wirklich mit der Bitte an die Fugger gewandt haben, daß diese ihre Kirche durch eine Kapelle erweitern mögen, dann wurde dies durch Jakob Fugger und seine Brüder in einer Weise uminterpretiert, die einem solchen Interesse des Klosters kaum gerecht wurde. Und dies muß der Empfangerseite durch den Wortlaut der ordinatio der Stifter auch von Beginn des schriftlich überlieferten Stiftungsprozesses an bewußt gewesen sein. Von einer wirklichen Initiative der Empfänger kann demzufolge kaum die Rede sein. Allenfalls von einem Anstoß, der die Stifter motivierte, in ihrem Sinne tätig zu werden. Die restriktiven Formulierungen, die die ordinatio der Stifter bezüglich der Nutzung der FuggerkapeUe aufwies, wurden zwar in der Urkunde, die zur Ausfertigung gelangte, abgemildert. Im Stiftungsbrief von 1521 jedoch kehrten die Stifter zum restriktiven Nutzungskonzept ihrer ursprünglichen ordinatio zurück. Damit wurde die FuggerkapeUe dem angesprochenen Bedarf nach einer größeren Kirche für die Zwecke des Gottesdienstes für das „Volk" nicht gerecht. Warum aber gestatteten Prior und Konvent den Fuggern eine Kapelle zu bauen, die dem Kloster entgegen dem in der Stiftungsurkunde genannten Motiv gar nicht zugute kam? Indizien für eine mögliche Erklärung ergeben sich, wenn man den Blick auf den Vertragspartner der Fugger richtet, den Prior der Karmeliter Johannes Starck. Dieser war eine schillernde Persönlichkeit, dessen Amtsführung als Prior wie als Generalvikar der Karmeliter durch ein großes Bedürfnis nach Repräsentation geprägt war. Viereinhalb Jahre, nachdem er die Stiftungsurkunde für die Fuggerkapelle ausgestellt hatte, wurde Starck als Prior der Karmeliter abgelöst, seines Amtes als Generalvikar enthoben und gefangengesetzt. Auf einem außerordentlichen Provinzialkapitel in Augsburg wurde ihm im Januar 1514 der Prozeß gemacht. In einem Schuldbekenntnis gestand er, daß er den Augsburger Konvent durch seinen ruhmsüchtigen Prunk und Lebensstil mit bis zu 4.000 fl. verschuldet und außerdem die Ordensprovinz durch Güter gefährdet habe, die die Konvente ständig belasteten.62 An den finanziellen Lasten, die Starcks Amtsführung verursachte, hatten die Augsburger Karmeliter von St. Anna noch lange zu tragen. Auf dem Generalkapitel von 1514 gewährt die Provinz dem Kloster jährlich 60 fl., 1517 sogar ein Subsidium von 194 fl. und noch zwei Jahre später war Hans 60 S. u.,U.7.a.ß. 61 Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 175. 62 Deckert, Oberdeutsche Provinz der Karmeüter 20.

(1961), 324; vgl. Bushart, FuggerkapeUe (1994),

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

61

Baumgartner d. Ä. mit 200 fl. für die Tilgung von Schulden behilflich.63 Es erscheint also durchaus denkbar, daß der Wunsch, seine Kirche durch eine prächtige Kapelle aufzuwerten in der Stiftungsurkunde von 1509 heißt es, sie solle valde speciosaf.) sein, mit beträchtlichen Kosten errichtet werden und in prächtigerer Weise als üblich mit Zierden ausgestattet werden Starck dazu bewogen, mit den Fuggern einen Stiftungsvertrag zu schließen, der dem Konvent längerfristig nicht eben zum Vorteil gereichte.64 Zudem fallt auf, daß die Karmeliter nach der Ablösung Starcks versuchten, ihre Interessen gegenüber den Fuggern stärker wahrzunehmen. So mußte Jakob Fugger am dritten Dezember 1516 endlich den Kaufpreis von 500 fl. für das Recht, die Kapelle zu bauen, an das Kloster entrichten. Ungefähr in die gleiche Zeit fiel der erwähnte Konflikt um die Nutzung der Abseiten, die in einer päpstlichen Bulle, die Papst Leo X. am 27. Februar 1517 ausstellte, den Stiftern zugesprochen wurden.65 -

-

6.

Gebaut „auf königliche Art": Bauliche Gestalt, Kosten und Kritik

Mit der starken Position der Stifter im Stiftungsvollzug korrespondierte eine exponierte künstlerische Stellung der Fuggerkapelle. Von den zum Zeitpunkt ihres Baus in Augsburg vorhandenen Kapellen unterschied sich die Fuggerkapelle bei St. Anna vor allem in zweierlei Hinsicht: durch ihre Lage in der Kirche und durch ihre architektonischen Formen und Baumaterialien. Die in Augsburg übliche Form der Kapelle war die Seitenschiffkapelle.66 Im Gegensatz dazu hatte die Fuggerkapelle bei St. Anna durch ihre Lage im neuen Westchor der Klosterkirche eine exponierte Stellung.67 Von außen betrachtet war die Fuggerkapelle zwar eine unauffällige Erweiterung der Klosterkirche der Karmeliter nach Westen. Im Inneren kontrastierte sie jedoch stark mit der übrigen Kirche. „Während sich das Mittelschiff als schmuckloser hoher Kastenraum mit flacher Felderdecke zu erkennen gibt, der durch die im Unterteil verblendeten, zu Beginn des 16. Jahrhunderts vermutlich sogar noch engeren Fenster mäßig erleuchtet wurde, eröffnete der damals voll zur Geltung kommende, rosettenbesetzte Bogen mit dem Fuggerwappen am Scheitel unbehindert den Einblick in einen reich durchlichteten Festraum in Art eines rechteckigen Westchors. Auch die gesteigerte Höhe und Weite der Arkaden, das umlaufende Gesims, die größeren Fenster sowie das einer voll erblühten Rose ähnliche Gewölbe hoben die Eigenständigkeit des Raumes hervor".68 63 64 65 66 67 68

Deckert, Oberdeutsche Provinz der Karmeliter (1961), 21, 325; Schott, Geschichte des Carmeliterklosters rV (1880), 229; vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 373, Anm. 27. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 413 (Beilage I). S. o.,n.3beiAnm. 38. Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 334. Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 147 f. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 63; vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 150-153, 186.

62

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Trotz zurückhaltender Architekturformen und Dekor erweckt die Kapelle den Eindruck eines edel ausgestatteten Raumes. Dies liegt vor allem an den erlesenen Materialien und der für sie charakteristischen Farbigkeit. Bestimmend für das Erscheinungsbild des Raumes sind hierbei der helle Grund von Wänden und Decke, auf dem Linien und Formen ihre Wirkung entfalten können. Bruno Bushart hat den erzielten Effekt mit einer kolorierten Federzeichnung verglichen, auf der sich die farbigen Teile von der weißen Fläche abheben. Verursacht wird diese farbige Gesamtwirkung vor allem durch das unterschiedliche Steinmaterial, durch das sich die Fuggerkapelle deutlich von älteren Augsburger Bauten wie St. Ulrich und Afra oder St. Georg mit ihren getünchten, oft farbig gefaßten Backsteinmauern, den Schmuckformen aus gebranntem Ton oder den Kapitellen und Gewänden aus weichem Sandstein abhebt.69 In der Kunstgeschichte firmierte sie lange Zeit als erster Renaissancebau nördlich der Alpen, und noch Bruno Bushart hat jüngst auf die vielfaltigen Beziehungen der Fuggerkapelle zur italienischen Kunst hingewiesen.70 Auch den Zeitgenossen war dies bereits aufgefallen. Auf welsche Art, derzeit gar neuerfunden, so hatte der Augsburger Chronist Clemens Jäger den Bau und die Ausstattung der Kapelle beschrieben.71 Auch der Reichtum der Ausstattung übertraf das in Augsburg übliche Maß bei weitem. Hier muß vor allem die Orgel erwähnt werden, die auch von den Zeitgenossen immer wieder hervorgehoben wurde72, aber auch die Epitaphien mit ihrer kalkulierten Fernwirkung innerhalb der Kirche als „mächtige(r) Flügelaltar in der Tiefe der Kapelle".73 Wie erwähnt, waren Architektur und Ausstattung der Kapelle von Anfang an aufeinander bezogen. Hierbei spielte nicht zuletzt das Fuggersche Lilienwappen eine Rolle, das im Gewölbe, auf dem Fußboden und auf Teilen der Ausstattung wie den Epitaphien und dem Gestühl beständig wiederkehrt.74 Vor allem als „Gesamtkunstwerk" übertraf die Fuggerkapelle „sämtliche Parallelunternehmen in Augsburg an Größe, Aufwand, Ausstattung und geistigem Anspruch".75 Man hat sie deshalb immer wieder mit anderen herausragenden Grabmalprojekten ihrer Zeit verglichen, wie der Capella Iulia, der von Papst Julius II. geplanten Grabkapelle in St. Peter zu Rom, und der Grablege, die Maximilian I. für sein eigenes Begräbnis plante.76 Unbeachtet blieben dabei jedoch die erstaunlichen Parallelen zu einem weiteren herausragenden Grabkapellenprojekt des frühen 16. Jahrhunderts: der Capilla Real der katholischen 69 70

Bushart, FuggerkapeUe (1994), 78; vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 165. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 358-364; vgl. aber Baer, Die italienischen Bau- und Omament-

formen (1993), 281. Zitiert nach Bushart, FuggerkapeUe (1994), 37; zur Bedeutung von „welsch" für Kunstwerke um 1500 unter Bezug auf die FuggerkapeUe vgl. Baxandall, Kunst der Bildschnitzer (1985), 141. 72 Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), W); Bushart, FuggerkapeUe (1994), 36. 71

73 74 75 76

Bushart, FuggerkapeUe(1994), 161; vgl. Lieb, DieFuggerunddieKunstl(1952), 168. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 275. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 343. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 263; Oexle, Memorial-Kapelle der Fugger (1998), 350-353; Ders., KultureUes Gedächtnis (2000), 33^12; zu den Grabmalprojekten Maximilians I. vgl. Schmid, „Andacht und Stift" (1984); Wiesflecker, Maximilian I. Bd. 4 (1981), 432-438; zur Capella Iulia Frommel, „Capella Iulia" (1977), sowie zuletzt Bredekamp, Sankt Peter (2000), 1641; Satzinger, Mchelangelos Grabmal Julius JJ. in S. Pietro in Vincoli (2001).

63

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

Könige Spaniens in Granada, die 1504 gestiftet wurde.77 Architektonisch verband diese wie die Fuggerkapelle spätgotische Formensprache mit der der Renaissance. Vor allem die gotischen Gewölbe der Kapelle ähneln dem der Fuggerkapelle sehr.78 Von dem Kapellenschiff wurde ein Altarraum, in dem sich die Grabmäler befanden, durch ein prächtiges Gitter abgetrennt, wie es auch bei der Fuggerkapelle ursprünglich vorgesehen war.79 Es wäre unter kunstgeschichtlichen Gesichtspunkten sicherlich lohnend, der Frage nachzugehen, ob diese Ähnlichkeiten Resultat tatsächlicher Beziehungen sind. Immerhin wurde in der Capilla Real in Granada, an deren Ausstattung Künstler aus Burgund und Italien mitwirkten, mit Philipp dem Schönen ein Sohn Maximilians I. aus seiner Ehe mit Bianca Sforza begraben. Karl V., dessen Kaiserwahl Jakob Fugger finanzierte, ist dort am Altar abgebildet.80 Die älteste erhaltene Beschreibung der Fuggerkapelle stammt überdies von einem Begleiter eines spanischen Kardinals. Die Kosten für die prachtvolle Kapelle der Fugger waren beträchtlich. Jakob Fugger selbst soll sie Antonio de Beatis zufolge gegenüber dem Kardinal d'Aragona mit 23.000 Gulden beziffert haben.81 Das Fuggersche Ehrenbuch, das der Augsburger Chronist Clemens Jäger 1545 im Auftrag Hans Jakob Fuggers verfaßte, beziffert die Kosten auf 16.000 fl.82 Dieselbe Summe überliefert Clemens Sender.83 In der Fuggerschen Gesellschaftsrechnung von 1546 sind 11.964 Gulden angegeben.84 Aufgrund von Vergleichsfallen schätzt Bruno Bushart die Kosten auf ca. 15.000 fl.85 Zum Vergleich: Die Kosten

für den gesamten Neubau des von 1498 bis 1503 errichteten Dominikanerinnenklosters St. Katharina hatten knapp 11.000 fl. betragen. In den Neubau des Dominikanerklosters St. Magdalena 1513 bis 1515 sollen 14.000 bis 18.000 fl. investiert worden sein.86 Daraus ist ersichtlich, daß auch der finanzielle Aufwand, den die Fugger für die Stiftung ihrer Grabkapelle betrieben, das in Augsburg damals Übliche weit übertraf. Damit zogen sie abermals Argwohn und Kritik auf sich innerstädtische wie außerstädtische. So berichtet Wilhelm Rem in seiner Chronik zum Jahr 1518, daß in Augsburg manche die Kosten der Kapelle auf 30.000 fl. schätzten, ein guter Handwerker jedoch meine, sie habe nicht mehr als 8.000 fl. gekostet und er könne eine vergleichbare für 6.000 Gulden bauen.87 Es gab in Augsburg also Personen, die das Bedürfnis ver-

77 78 79 80

81 82 83 84

85 86 87

Zu ihr vgl. Pita Andrade (Hrsg.), El libro de la Capüla Real ( 1994). Hierzu Pita Andrade, La Arquitectura y la Decoración del templo ( 1994). Martinez Justica, María José, Las Rejas ( 1994). Bereits 1499 hatten die Fugger im Auftrag Maximilians I. der Gattin Philipps des Schönen, Johanna, anläßlich der Geburt der Infantin Eleonore kostbare Brokate verehrt. Spätestens seit dieser Zeit unterhielten sie also Beziehungen zum spanischen Königshof; vgl. Kellenbenz, Die Fugger in Spanien und Portugal I (1990), 62. De Beatis, ed. Pastor, 96 f.; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 421 (Beilage V). Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 380. Sender, ed. Hegel/Roth, 168. FA 2.1.22a, 7; vgl. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 38 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 137. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 41. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 39. Rem, ed. Hegel/Roth, 82.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

64

spürten, die Kosten der Kapelle kleinzureden, offensichtlich, um damit den mit ihr verbundenen Geltungsanspruch zu bestreiten. Berühmt geworden ist die Kritik Ulrichs von Hütten, der in seinem 1521 erschienenen Dialog Praedones die Fugger als Diebe bezeichnete und die Repräsentation der Fugger in ihrer Grabkapelle als regium in morem karikierte.88

Will man den Stiftungsprozeß der Fuggerkapelle und das in diesem Prozeß entstandene Werk auf eine kurze Formel bringen, dann lautet diese: herrschaftliche Übertrumpfung. Als Stifter übertrumpften die Brüder Fugger, an ihrer Spitze Jakob, Prior und Konvent von St. Anna. Am Ende stand eine Stiftung, die zu den Bedingungen der Stifter vollzogen wurde. So wie sie im Stiftungsprozeß ihre Vertragspartner übertrumpften, so übertrumpften die Fugger mit ihrer Kapelle die Augsburger Oberschicht. Dies betraf die Kosten für die Kapelle, ihre Lage im Chor, den Reichtum ihrer Ausstattung und die Qualität der künstlerischen Ausführung.89 Es erstaunt deshalb nicht, daß Jakob Fugger mit dieser Übertrumpfungsgeste abermals Kritik auf sich zog.

7.

Die Stiftermemoria

Stiftungen entsprangen immer dem Wunsch des Stifters, sein Nachleben zu gestalten, und zwar sein irdisches wie sein jenseitiges. Der Begriff der Memoria umfaßt diese beiden Dimensionen: Durch liturgische Memoria sollte, wie Dante formuliert hat, „des Himmels Urteil (...) gebeugt werden" (Purgatorio VI., 31).90 Durch profane Memoria suchte der Stifter seinen Ruhm auf Erden dauerhaft zu sichern und stiftete so einen Rahmen, der das Gedächtnis der Nachlebenden organisierte und die Nachkommen zur Nachahmung und Übertrumpfung anspornte.91 Die jüngere kunsthistorische Forschung hat zeigen können, daß beides in besonderem Maße für die Stiftung von Grabmälern zutraf. Grabmäler waren einerseits „Vehicles of Salvation", andererseits Orte der Repräsentation.92 Die Frage, welches die Motive der Fugger für ihre Grabmalstiftung bei den Karmelitern von St. Anna waren, lautet also zum einen: In welcher Weise wollten die Stifter das Werk ihrer Erlösung befördern und welcher Mittel bedienten sie sich dazu: architektonischer, ikonographischer und liturgischer. Zum anderen: Welche Be88

Hütten, Praedones, ed. Backing, 91; vgl. Baxandall, Kunst der Bildschnitzer (1985), 146; Bushart,

Fuggerkapelle (1994), 37. 89 Letzteres betont Bischoff, Burkhard Engelberg ( 1999), 130. 90 Dante Alighieri, La commedia, ed. Lanza (1996), 324: che decreto de cielo orazion pieghi; Schwarz, Image und Memoria (1997), 175.

vgl.

91 Oexle, Art. Memoria, Memorialüberlieferung (1993). 92 Die Wendung des „Vehicle of Salvation" nach Long, Salvation through Meditation (1995); vgl. Schwarz, Liturgie und Illusion (2000), 176; Ders., Image und Memoria (1997), 175 f.; Borgolte, Das Grab in der Topographie der Erinnerung (2000); Ders., Die Dauer von Grab und Grabmal

(2000); Ders., Petrusnachfolge und Kaiserimitation (1995); Michalsky, Memoria und Repräsentation (2000); Dies., Strategien dynastischer Memoria (2000); Körner, Grabmonumente (1997); Schmidt, Typen und Büdmotive des spätmittelalterlichen Monumentalgrabes (1990), 23; Kroos, Grabbilder, Grabbräuche ( 1984); Wischermann, Grabmal, Grabdenkmal und Memoria ( 1980).

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

65

dürfnisse nach profaner Memoria, nach Repräsentation ihres irdischen Standes artikulierten sich in der Kapelle und welches Bild von sich und ihrer Familie entwarfen sie mit ihrem Grabmal?

a)

Die Fuggerkapelle als „Vehicle of Salvation"

Der Kern des theologischen Programms der Fuggerkapelle erschließt sich aus ihrem Patrozinium. Nach Aussage des Stiftungsbriefs von 1521 war die Kapelle drei Jahre zuvor in der Ehre des zarten Fronleichnams vnsers Herren Jhesu Christe geweiht worden. Hinzu traten noch Maria und der Evangelist Matthäus als zusätzliche Altarpatrozinien.93 Die Farben, in denen die Fuggerkapelle gehalten ist, lassen sich als Verweis auf das Patrozinium interpretieren. Weiß und Gelb, Gold und Silber sind die Farben des Fronleichnamsfestes.94 Weiß und Gold sind die Farben, in denen das Gewölbe und die Wände der Fuggerkapelle gehalten sind. Mit dieser Wahl reihten sich die Fugger ein unter die vielen Stifter, die damals die verbreitete Eucharistiefrömmigkeit beförderten und mit ihrem Totengedenken verbanden.95 Um die Sakramentsverehrung als Kern ordneten sich alle anderen Motive an, die in der Fuggerkapelle angeschlagen wurden. Dies waren zum einen die „erwünschten himmlischen Zustände" (Renate Kroos), wie sie etwa die Flügel der großen Orgel zum Ausdruck bringen, deren linker die Auferstehung Christi und deren rechter den Einzug Maria in den Himmel zeigt.96 Auch am Epitaph Ulrich Fuggers ist die Auferstehung Christi abgebildet.97 Zum anderen war es das liturgische Totengedenken, das Jakob Fugger und seine Neffen im Stiftungsbrief von 1521 schriftlich festlegen ließen.98 Gleichzeitig durchdrangen sich in der Verehrung der Eucharistie die liturgische und die eschatologische Dimension von Architektur, Ikonographie und Gottesdienst der bzw. in der Fuggerkapelle in einer besonderen Weise.99 Denn das Sakrament der Eucharistie verweist einerseits auf das heilsgeschichtliche Thema von Christi Opfertod am Kreuz, andererseits jedoch auf die Liturgie des Meßopfers. Als „Vehicle of Salvation" propagierte die Fuggerkapelle die Erlösung durch das Opfer bzw. die Reinigung von Sünde durch das Opfer: zum einen durch das Opfer Christi am Kreuz, durch das er die Menschheit von der Erbsünde befreite, zum anderen durch die Aktualisierung des Opfers Christi im Meßopfer, durch das diejenigen, die seiner Früchte teilhaftig werden, auch noch nach ihrem Tod ihre irdischen Sünden büßen konnten. Der Schwerpunkt lag dabei eindeutig auf letzterem. Die 93

94 95 96

97 98 99

Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 104; Bushart, FuggerkapeUe (1994), 421 (Beilage VI). Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 87. Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 145-150. Kroos, Grabbüder, Grabbräuche (1984), 343; Bushart, FuggerkapeUe (1994), 243; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 181. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 134-138; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 169. Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 102 f.; Bushart, FuggerkapeUe (1994), 423 (Beilage VI). Zu dieser Differenzierung vgl. Schmidt, Typen und Bildmotive des spätmittelalterUchen Monumentalgrabes (1990), 26.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

66

als „Vehicle of Salvation" diente vor allem der individuellen Erlösung Davon, daß deren oberstes Ziel eine „uneingeschränkte Heilswirkung ihrer

Fuggerkapelle der Stifter.

Stiftung" gewesen wäre, kann keine Rede sein.100 Dies soll im folgenden anhand einer Analyse dreier Elemente und ihrer Wechselbeziehungen gezeigt werden, die für die Funktion der Fuggerkapelle als „Vehicle of Salvation" zentral waren: des Altars, der gestifteten Liturgien und der Epitaphien. Die anderen Elemente der Ausstattung der Fuggerkapelle werden demgegenüber nur am Rande behandelt, da sie in diesem Zusammenhang keine vertiefenden Erkenntnisse vermitteln. a)

Der Altar

Das zentrale Stück ihrer Ausstattung hat die Kapelle, die dem Altarssakrament geweiht ist, in ihrem Altar (Abbildung 1). Ihn schmückt eine freistehende Fronleichnamsgruppe. An seiner Predella finden sich drei Reliefs, die Szenen aus der Passionsgeschichte zeigen. Der Altar, der spätestens 1518 zur Weihe der Kapelle fertiggestellt gewesen sein muß, mitsamt der Fronleichnamsgruppe, wird einem Meister aus der Werkstatt des Augsburger Bildhauers Adolf Daucher, möglicherweise dessen Sohn Hans Daucher, zugeschrieben.101 Den künstlerischen Stil der Plastik hat man als „italianisierend" bzw. als „Mischung heimischer und venezianisch-paduanischer Stilelemente" charakteri-

siert102

In der Mitte der Fronleichnamsgruppe steht der sterbende Christus mit den Embleseines Opfertodes: den Stigmata durch Nägel und Lanze, der Dornenkrone und dem Lendentuch. Ein hinter ihm stehender Engel hält ihn und schickt sich gleichzeitig an, ihn emporzutragen: „Mit weit ausgreifendem Schritt stemmt dieser den entgleitenden Fronleichnam hoch, indem er ihm mit ehrfürchtig verhüllten Händen, doch kraftvoll unter die Arme greift. (...) Körper und Gewand spannen sich, als wolle der jünglingshafte Engel den zusammengebrochenen Körper hinwegtragen nach oben, wohin sein Kopf weist".103 Man kann die Fronleichnamsgruppe des Altars in der Fuggerkapelle somit als Engel-Pietà bezeichnen.104 Zur Rechten Christi steht Maria, die zweite Patronin der Kapelle, zur Linken der Evangelist Johannes, denen Christi letzte Worte am men

Kreuz galten.

Das Mysterium der Eucharistie besteht bekanntlich darin, daß sie der wahrhaftige Leib und das Blut Christi ist, während sie gleichzeitig als Brot und Wein erscheint. Die bildliche Darstellung des Altarsakraments in der Fronleichnamsgruppe auf dem Altar der Fuggerkapelle bei St. Anna zeigt dessen verborgene Essenz.105 Dabei verweist sie jedoch zugleich auf die Aktualisierung dieser Essenz in der Meßfeier. Denn die Engel100 101

So Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 325. Eser, Hans Daucher (1996), 261 f.; Bushart, FuggerkapeUe (1994), 215-230; Lieb, Die Fugger

und die Kunst I (1952), 206-210. Zitate bei Eser, Hans Daucher (1996), 259 und Bushart, FuggerkapeUe (1994), Baxandall, Kunst der Bildschnitzer (1985), 142, 361. 103 Bushart, FuggerkapeUe (1994), 203; vgl. Eser, Hans Daucher (1996), 254 f. 104 Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 212; Eser, Hans Daucher (1996), 255. 105 Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 207. 102

227; vgl. auch

II. Die Grabkapelle bei St. Anna

67

Pietà war „das Bildzeichen der Eucharistie und als solches eine Meß-Allegorese".106 Ganz in diesem Sinne hat man den Engel als den ángelus missus der Messe interpretiert. Nach der Wandlung bittet der Priester um Einigung der Gläubigen mit dem Opfer Christi mit den Worten: „Dein heiliger Engel möge dieses Opfer zu Deinem himmlischen Altar emportragen vor das Angesicht Deiner göttlichen Majestät, damit wir, die wir gemeinsam vor diesem Altar das hochheilige Fleisch und Blut Deines Sohnes empfangen, mit allen Gnaden und Segen des Himmels erfüllt werden".107 Es ist aber auch eine Interpretation denkbar, die stärker die Zweckbestimmung der Fuggerkapelle bei St. Anna in Rechnung stellt, einerseits Zielort von Bestattungsriten zu sein und andererseits für alle Zukunft zum Totengedächtnis in Liturgie und Gebet aufzurufen.108 Vor allem in den Gebeten der Totenliturgie wurden die Engel oft evoziert, und gerade in der Totenmesse galten die Engel als anwesend.109 An Grabmälern wurden sie oft selbst als Zelebranten der Messe dargestellt und standen somit stellvertretend für die Priester.110 Man hat daraufhingewiesen, daß das dreifach gefältelte lange Grabtuch, das die Hände des Engels verhüllt, an das Velum des Priesters erinnert, mit dem dieser die Monstranz mit der Hostie anfaßt.111 Der Engel der Fronleichnamsgrappe am Altar der Fuggerkapelle repräsentiert somit auch den Priester, der an eben diesem Altar die Messe für die toten Mitglieder der Stifterfamilie feiert; daß er sich anschickt, den sterbenden Christus emporzutragen, verweist auf den Moment der Elevation der Hostie während der Meßfeier.112 Das linke Relief der Altarpredella zeigt die Kreuztragung: Christus ist unter der Last des Kreuzes und unter den Schlägen der Soldaten zusammengebrochen, Veronika reicht ihm das Schweißtuch, Simon von Kyrene hilft ihm, das Kreuz zu tragen, Maria, von Johannes gestützt, folgt Christus, begleitet von frommen Frauen auf dem Leidensweg. Das mittlere Relief zeigt die Kreuzabnahme Christi und im Hintergrund das Ungleichzeitige gleichzeitig darstellend das Geschehen auf Golgatha selbst. Auf dem dritten schließlich ist Christus in der Vorhölle abgebildet (Abbildung 2).113 In der linken Hand das Kreuzesbanner, zieht Christus mit der rechten Hand als erste der harrenden Seelen Eva empor. Links unter einem Torbogen stehen die Väter des Alten Testaments, an ihrer Spitze Johannes der Täufer, der mit der Linken Adam umfangen hält und mit der Rechten auf den Erlöser deutet.114 Das linke und das mittlere -

-

106 107 108 109 110 111 112 113 114

Belting, Bellini Pietà, 21 (1985); Ders., Bild und sein Publikum (2000), 122; vgl. hierzu auch Cope, Chapel of the Sacrament (1979), 26. Mersmann, Schmerzensmann (1952), XIV; vgl. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 203 f. sowie 393, Anm. 495, für andere Deutungen. Schmidt, Typen und BUdmotive des spätrnittelalteriichen Monumentalgrabes (1990), 24; vgl. hierzu auch Borgolte, Dauer von Grab und Grabmal (2000), 133. Schwarz, Liturgie und Illusion (2000), 175. Schmidt, Typen und BUdmotive des spätmittelalterlichen Monumentalgrabes (1990), 28. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 204; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 214. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 214; vgl. hierzu Cope, Chapel of the Sacrament (1979), 40; Belting, Bild und sein Publikum (2000), 110-114. Eser, Hans Daucher (1996), 234 f. Eser, Hans Daucher (1996), 239 f.; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 206 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 222-224; Halm, Daucher und die Fuggerkapelle (1921), 75-78.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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Relief lassen sich als Thematisierung des Opfers Christi verstehen, in dem Sinne, daß die Passion Christi gleichsam dessen Ursprung bildete; ein Konzept, das in der Kunst oft angewendet wurde.115 Die Darstellung Christi in der Vorhölle wird in der Ikonographie in der Regel als Thematisierung des Erlösungswerks Christi im allgemeinen interpretiert.116 Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich dies nicht noch präzisieren läßt, vor allem wenn man bedenkt, daß der Altar mitsamt seinen Reliefs in den Kontext einer Grablege gehört. Das Problem lautet dann: Erlösung in welchem Sinne, das heißt: wessen Erlösung wovon? Geht es um die Erlösung der Menschheit von der Erbsünde durch das Opfer Christi? Oder geht es um die partikulare Erlösung ganz konkreter Personen von ihren Sünden durch die ihnen applizierte Aktualisierung des Opfers in der Messe? Maurice Cope hat die Darstellungen der Höllenfahrt Christi in venezianischen Sakramentskapellen des 16. Jahrhunderts im traditionellen Sinne interpretiert.117 Um eine Antwort auf die formulierte Frage zu versuchen, ist es lohnend, diese Fälle vergleichend heranzuziehen. Tintoretto malte zwischen 1565 und 1568 also knapp zwei Generationen nach der Entstehung des Altars für die Fuggerkapelle für die Sakramentskapelle der Kirche S. Cassiano in Venedig auch eine Höllenfahrt Christi (Abbildung 3). Sie zeigt „the salvation of the first group of people which resulted from Christ's sacrifice." Damit sei Cope zufolge die Erlösung aller (man muß wohl ergänzen: von der Erbsünde) thematisiert worden. Unterstrichen werde dies dadurch, daß unter den Seelen in der Vorhölle auch die Stifter abgebildet sind."8 Warum ausgerechnet die Inklusion der Stifter als Individuen deutlich mache, daß hier die Erlösung aller gemeint war, läßt sich nicht nachvollziehen. Schlüssiger ist es, die Darstellung der Stifter als Ausdruck ihrer Hoffnung auf ihre ganz individuelle Erlösung zu interpretieren, die sie durch das von ihnen gestiftete „Vehicle of Salvation" erlangen wollten. Auch unter den Bildern am Hochaltar von S. Niccolô dei Frari in Venedig befindet sich auf der linken Seite eine Höllenfahrt Christi, gemalt von Palma il Giovane (Abbil-

-

dung 4).119

Wie Tintoretto

plazierte Palma il Giovane Portraits, wahrscheinlich die von Stiftern, Vorhölle. Hier interpretiert Cope das Bild als Darstellung der als who partake in the Eucharist".120 Dies waren aber zuallerofthose „reward Erlösung erst die Stifter, denen die Früchte der Messen, die sie gestiftet haben, zugute kamen. unter den Seelen in der

Die Darstellung Christi in der Vorhölle im Kontext einer Sakramentskapelle thematisierte also die individuelle Erlösung von zeitlichen Sündenstrafen, die dadurch erreicht werden konnte, daß man das Meßopfer für sich feiern ließ.

115 116 117 118

119 120

Cope, Chapel of the Sacrament ( 1979), 145 f. Lucchesi Palli, Art. Höllenfahrt Christi ( 1972), 323; vgl. aber Schiller, Ikonographie der chistlichen Kunst (1981), 58-61. Cope, Chapel of the Sacrament ( 1979), 164. Cope, Chapel of the Sacrament (1979), 164 f.; vgl. zu diesem Bild auch Schiller, Ikonographie der chistlichen Kunst (1981), 65 f.; BernarilVecchi, L'opera completa del Tintoretto (1978), Nr. 178,111; zu den Stiftern vgl. Hills, Piety and Patronage (1983), 36 f. Rinaldi, Palma il Giovane ( 1984), Nr. 113,232. Cope, Chapel of the Sacrament ( 1979), 171 -175.

77. Die Grabkapelle bei St. Anna

69

Dies erhärtet ein weiterer Vergleich. Ein Altarbild aus der Michaelskapelle in Niede1525 datiert wird, zeigt auf der rechten Seite, was während der Meßfeier nach verbreiteter Vorstellung passierte. Oben sieht man einen Priester, der die Messe zelebriert. Auf der unteren Hälfte sieht man das Resultat dieser frommen Handlung: Engel bringen den im Fegefeuer schmachtenden Seelen die Hostie dar und erlösen sie so von ihren zeitlichen Sündenstrafen.121 Während der Messe schickt der Herr den Seelen, die im Fegefeuer leiden, also seinen Leib, und diese werden darum erlöst (Abbildung 5).122 Bedenkt man, daß der Leib des Herrn entweder als die Hostie, die ihn in der Messe repräsentierte, oder eben als Christus selbst dargestellt werden konnte, dann wird die Ähnlichkeit dieser Darstellung mit den Darstellungen Christi in der Vorhölle schlagend deutlich. Wie Christus nach seinem Kreuzestod die Seelen aus der Vorhölle befreite, so befreit der Leib des Herrn die Seelen derer, die seiner teilhaftig werden, aus dem Reinigungsort. Hinzuweisen ist hierbei auch auf die Ähnlichkeit in der Gebärdensprache. Die Engel ergreifen die armen Seelen am Handgelenk, um sie aus den Flammen zu ziehen. „Es ist dieselbe Geste, mit der in der Ikonographie der Höllenfahrt Jesus den ersten Menschen Adam (bzw. Eva, B.S.) aus dem Limbus zieht".123 Die Darstellung der Befreiung der Väter aus der Vorhölle durch Christus fungierte also als Metapher für die Befreiung der Seelen aus dem Kercker des Fegefeuers, wie sie sich Jakob Fugger in seinem Testament von 1521 erhoffte, und die durch die Feier der Messe für die Toten erreicht werden sollte.124 Auf den venezianischen Darstellungen des 16. Jahrhunderts von Christi Höllenfahrt finden sich unter den harrenden Seelen jeweils die Stifter, plaziert am rechten unteren Bildrand. An eben dieser Stelle sieht man auf dem Relief an der Predella des Altars der Fuggerkapelle zwei Männer, den Blick nach links oben zu Christus aufgerichtet. Sollten diese beiden Männer auch hier die Stifter, genauer die Brüder Ulrich und Georg, die 1506 und 1510 verstorben waren, repräsentieren, wie sie am Reinigungsort Linderung ihrer Sündenstrafen durch die Anschauung des Herrn gewinnen? Denkbar wäre dies durchaus. Auch unter den vielen Personen, die auf den Orgelflügeln und am Gestühl der Fuggerkapelle abgebildet sind, hat man neben dem eindeutig identifizierbaren Jakob immer wieder weitere Mitglieder der Familie Fugger vermutet.125 Aber auch ohne gesi-

rolang, Südtirol, das auf ca.

cherte

Stifterportraits gilt: Die Ikonographie des Altars zeigt diesen weniger als „Zeug-

Jezler (Hrsg.), Himmel, Hölle, Fegefeuer (1994), Nr. 97, 290; vgl. Göttler, Kunst des Fegefeuers (1996), 286 f. 122 Franz, Messe im deutschen Mittelalter (1902), 240 f.; Lang, Sacred Games (1997), 342. 123 Göttler, Kunst des Fegefeuers (1996), 302 (Zitat), 284. 124 Fuggertestamente, ed. Preysing, 54; Göttler, Kunst des Fegefeuers (1996), 301, sieht die Beziehung der Ikonographie von Christus in der Vorhölle und Fegefeuer als chronologische Abfolge in dem Sinne, daß letztere auf ersterer „aufbaut". Schiller, Ikonographie der chistlichen Kunst (1981), 58 f., dagegen postuliert in umgekehrter chronologischer Reihenfolge eine Beeinflussung der Ikonographie der Höllenfahrt Christi durch die Fegefeuervorstellung. Man muß wohl von Wechselbeziehungen zwischen beiden Konzepten ausgehen. 125 Bushart, FuggerkapeUe (1994), 243; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 181 f.; Ders., Die Fugger und die Kunst II (1958), 53, Abb. 75 f. (Raymund Fugger), 291 f., Abb. 260 f. (Anton 121

Fugger).

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

70

nis der fortwährenden Liebe Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott"126 im allgemeinen, denn als Visualisierung eines Konzepts von individueller Erlösung durch zielgerichtetes Opfer. Damit verwies bereits der Altar mit seiner Ikonographie auf die liturgische Stiftermemoria, die in der Fuggerkapelle ihren Ort finden sollte.

ß)

Die gestifteten Liturgien

Bereits in der Stiftungsurkunde von 1509 hatte es geheißen, daß die Mönche von St. Anna in der Fuggerkapelle jeden Tag mindestens eine Messe feiern sollten.127 Hieran hielt auch der Stiftungsbrief von 1521 fest. Gleichzeitig erweiterte er diese Bestimmung. Im Zentrum des Kultes der Kapelle bei St. Anna stand auf den Weihetitel Beeine gesungene feierliche Messe de corpore Christi, die jeden zug nehmend Donnerstag sowie an Maria Himmelfahrt, den Sonntagen nach St. Antonius, nach der Kirchweihe und nach St. Matthäus gehalten werden sollte.128 An jedem ersten Donnerstag des Monats sollte in diese Feier auch „das Volk", einbezogen werden. Dem löblichen Amt sollte dann zu einer Zeit, die dem Volk zur Andacht am bequemsten sei ein Umgang in der Kirche und eine Prozession mit dem Allerheiligsten bis zur Kapelle vorangehen. Die Messe de corpore Christi war also zumindest an jedem ersten Donnerstag im Monat eine sogenannte „Aussetzungsmesse"; das Sakrament wurde in feierlicher Form zum Altar der Fuggerkapelle gebracht und dort für die Dauer der Messe „ausgesetzt".129 Zu dieser wöchentlichen Messe de corpore Christi sollte außerdem das Anniversargedächtnis der Stifter treten. Alle Quatember sollte eine Messe mit Vigilie und morgendlichem Seelamt mit Gang über die Gräber gehalten werden. Als drittes stifteten die Fugger noch ein Salve Regina, das alle Samstagabende nach der Vesper gesungen werden sollte. Außerdem sollten Prior und Konvent in den Fronfasten einen gelerten vnd taugenlichen Prediger anstellen. Möglicherweise dachten die Fugger hierbei an die Inhaber ihrer Prädikatur.130 Auf dem Altar sollten das ganze Jahr und vor allem an den Jahrtagen Kerzen und Lichter brennen. Sämtliche Messen und das Salve Regina sollten mit Orgelmusik zelebriert werden.131 Die hier von den Fuggern praktizierte Verbindung von Sakramentsverehrung und Totenmemoria war an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in den meisten Städten Deutschlands, Österreichs und der deutschen Schweiz gängige Praxis. Stifter waren meistens Gilden und Bruderschaften, seltener einzelne Personen, der Rat und die Bürger der Stadt. Die Messen de corpore Christi wurden wie die von den Fuggern gestiftete Messe, die am ersten Donnerstag des Monats zelebriert wurde meistens zu Zeiten -

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-

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126

Bushart, FuggerkapeUe (1994), 205; vgl. aber Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 211: ,,1m Altar der FuggerkapeUe münden beide Quellflüsse, Totenandacht und Kult der Eucharistie,

127 128 129 130 131

Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 413 (Beilage I). Zu den Messen „de corpore Christi" vgl. Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 140-142. Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 142. S. u.,m. Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 105 f.; Bushart, FuggerkapeUe (1994),

ineinander."

422 f.

(Beilage VI).

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

71

denen auch Arbeiter und Handwerker teilnehmen konnten, das heißt am Morgen. Bei den Messen und Umgängen war es üblich, Verse und Antiphonen zu singen, die auch sonst bei der Elevation sehr beliebt waren und teils dem Festoffizium, teils der Festmesse entnommen waren.132 Die im Stiftungslibell vorgesehene Orgelbegleitung war dabei typisch.133 Exakt diese Situation ist auf einer der Tafeln der Flügelbilder an der kleinen Orgel in der Fuggerkapelle inszeniert. Sie zeigt einen Knabenchor, der aus zwei großen Choralbüchern singt. Auf deren aufgeschlagenen Seiten läßt sich der Anfang eines Hymnus erkennen, er lautet Ave ve-..., was man wohl zu Ave

gesungen,

an

frühen

verum

corpus ergänzen

Obwohl sie

darf.134

häufig belegt ist, hat sich die Forschung bisher schwer getan, diese Verbindung von Sakramentsverehrang und Totenmemoria zu erklären, ja die Formen der Eucharistiefrömmigkeit selbst stießen auf Unverständnis. So schüttelte Peter Browe 1933 gleichsam schriftlich seinen Kopf: „Diese Sitte, das Allerheiligste vorzuzeigen und dabei eucharistische Antiphonen und Versikel zu singen, bestand wohl bei den meisten Donnerstagsmessen, und so wurde eine Art sakramentaler Andacht in den Opfergottesdienst hineingelegt, die mit seinem Wesen gar nichts gemein hat".135 Hier ist nicht der Ort, die Motive für die Sakramentsverehrang ausführlich zu untersuchen.136 Will man ihre vielfaltigen Aspekte jedoch auf einen Nenner bringen, dann läßt sich wohl sagen, daß die geweihte Hostie als Symbol fungierte, in dem sich die heilsfördernde Kraft der Messe gleichsam konzentrierte. Deutlich wird dies an der weit verbreiteten Praxis, die Messe nur für den Moment der Elevation der Hostie zu besuchen und dann wieder zu verlassen; eine Praxis, die von der Kirche einerseits kritisiert, auf der anderen Seite aber auch befördert wurde, indem man im Augenblick der Elevaso

tion bestimmte Glocken läuten ließ.137 Die Hostie zu schauen erscheint so als ein Kondensat der Messe. Die Früchte derer derjenige teilhaftig wurde, der die Hostie schaute, ähnelten folgerichtig denen der Messe: Die Schau der Hostie reinigte die Seele von Sünden. So nützte sie dem Seelenheil und wendete Schaden vom Körper ab.138 Von hier aus erschließt sich die Attraktivität der Verbindung von Sakramentsverehrung und liturgischem Totengedächtnis: Wenn sich in der geweihten Hostie die heilsbefördernde Kraft der Messe gleichsam konzentrierte, dann mußte eine Messe de corpore Christi ein besonders wirksames Heilmittel sein. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob den toten Fuggern, die in der Kapelle bei den Karmelitern von St. Anna bestattet werden sollten, dieses Heilmittel überhaupt zugutekommen konnte. Im Stiftungslibell von 1521 ist nur bezüglich der Totenmessen zum 132 133 134 135 136

Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 149. Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 145-150. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 248; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 184 f. Browe, Verehrung der Eucharistie ( 1933), 157. Dies leisten weder Rubin, Corpus Christi (1991), noch Browe, Verehrung der Eucharistie

137

Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 169; Rubin, Corpus Christi (1991), 151 f.; Franz, Messe im deutschen Mittelalter (1902), 101; Lang, Sacred Games (1997), 337; Höger, Famili-

138

Browe, Verehrung der Eucharistie (1933), 169; Franz, Messe im deutschen Mittelalter (1902), 22, 36 f.; Rubin, Corpus Christi (1991), 153.

(1933).

enkapellen (1976), 53.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

72

davon die Rede, daß sie für die Eltern Jakob Fuggers, für sich und seine Brüder und Neffen vnd aller der selebn geschistergit vnnd Nachkumen seelen, so aus diesem geschlecht verschiden sein vnd noch verschaidenn werden gehalten werden sollten.139 Was aber war mit den Messen de corpore Christi*! Wurden auch diese den Stiftern und ihrer Familie appliziert? Karl Joseph Merk hat daraufhingewiesen, daß im Mittelalter auch „Nichttotenmessen" einen beträchtlichen Anteil am liturgischen Totengedächtnis hatten.140 Und Philippe Ariès hat postuliert, daß die römische Messe ganz allgemein immer Totenmesse sei.141 In ihrem Memento werde nicht für alle Gläubigen gebetet, sondern nur für wenige Verstorbene, die für diese Gelegenheit ausgewählt, dem Zelebranten anempfohlen und von diesem gebilligt worden seien. Unter solchen ausgewählten Personen dürfte man dann auch die Stifter der Messe erwarten. Der Ort solcher Totengedächtnisorationen in den „Nichttotenmessen" war das sogenannte Kollektengedächtnis. Es läßt sich seit dem Übergang vom 11. zum 12. Jahrhundert nachweisen und war im Mittelalter weit verbreitet.142 Es gibt jedoch Indizien dafür, daß diese Praxis an der Wende zum 16. Jahrhundert nicht mehr überall selbstverständlich war. Ein Missale des Dominikanerordens von 1496 etwa rubriziert am Ende der Totenmessen: „Es soll gewußt werden, daß es nicht erlaubt ist, in Totenmessen, ob im Konvent oder außerhalb, irgendwelche orationes zu sagen, außer für Verstorbene oder gemeinsame für Lebende und Verstorbene. Gleichfalls ist es nicht erlaubt, in den anderen Messen Kollekten für Verstorbene zu sprechen, es sei denn der Tote ist anwesend".143 Die Einfügung von Totenorationen in die Tagesmesse wurde also auf Messen beschränkt, die praesente cadavere gelesen wurden! Wollte man also sicher gehen, daß das konzentrierte Heilmittel der Messe de corpore Christi den Verstorbenen wirklich zugute kam, dann mußte man deren Feier so kontextualisieren, daß sie zur Messe praesente cadavere wurde. Diesen Kontext schufen die Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger.

Anniversargedächtnis

Die Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger Von allen Ausstattungsstücken der Fuggerkapelle haben die Epitaphien seit jeher die größte Aufmerksamkeit gefunden. Dies liegt zum einen an der Prominenz des Künstlers, der die Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger entworfen hat und gleichzeitig auch noch einer der wenigen Künstler ist, deren Mitwirkung an der Fuggerkapelle die kunsthistorische Forschung überhaupt sicher identifizieren konnte: Albrecht Dürer.144

y)

139

Jakob Fuggers

Stiftungsbrief, ed. KellenbenzIPreysing, 106; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 423 (Beilage VI). Merk, Meßliturgische Totenehrung ( 1926), VII.

140 141 Ariès, Geschichte des Todes (1995), 199. 142 Merk, Meßliturgische Totenehrung (1926), 56. 143 Merk, Meßliturgische Totenehrung (1926), 58, mit Anm. 2: Sciendum est, quod in missis pro defunctis sive in conventu sive extra non debent dici alique orationes nisi pro defunctis vel communes pro vivis et defunctis. Similiter in missis aliis non debent dici collecte pro defunctis nisi presens defunctusfuerit. 144 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 115-134; über die Maße spekulativ: Perrig, Albrecht Dürer (1987), 59-71.

77. Die

Grabkapelle bei St. Anna

73

Zum anderen werfen Ikonographie und Entstehungsgeschichte eine Reihe von Problemen auf. Hier ist vor allem der Bruch im ikonographischen Programm der Epitaphien zu nennen, der die Epitaphien für Jakob Fugger von denen für seine Brüder Ulrich und Georg scheidet. Hinzu treten Probleme der chronologischen Einordnung. Gänzlich unbeleuchtet blieb allerdings bisher die Funktion der Epitaphien im Kontext der Grabkapelle als „Vehicle of Salvation" der Stifterfamilie. Die Epitaphien der Fuggerkapelle sind das neben dem Altar wichtigste Element der Ausstattung. Die vier Reliefepitaphien beherrschen das Erdgeschoß der Westseite, und die raumbildende Gesamterscheinung der Kapelle wird maßgeblich durch die Zusammenwirkung von Architektur- und Relief-Komposition bestimmt. Von den vier Epitaphien verweisen die beiden inneren durch ihre Inschriften auf Ulrich und Georg, die beiden äußeren auf Jakob Fugger (Abbildung 6).145 Die Epitaphien für Ulrich (links) und Georg (rechts) sind analog aufgebaut und gliedern sich in drei Zonen (Abbildungen 7 und 8). Jeweils in der unteren Zone ist in der Mitte eine gerahmte rechteckige Tafel angebracht, die eine Inschrift trägt. Diese ruft zunächst den „besten und größten Gott" bzw. „Gott den Unsterblichen" an und gibt dann das Todesjahr und das (im Falle Ulrich Fuggers unkorrekte) Lebensalter der Verstorbenen und führt außerdem die Tugenden an, durch die sie sich zu Lebzeiten auszeichneten.146 Seitlich der Inschriftentafel erscheinen an beiden Epitaphien jeweils ein Paar geflügelter Putti. Am Epitaph Ulrich Fuggers reiten sie allesamt auf Delphinen, im Falle des Epitaphs Georg Fuggers jeweils der vordere und äußere. In der darüberliegenden Zone der Epitaphien ist jeweils ein Leichnam dargestellt, auf einer niedrigen geschlossenen Tumba liegend. Die dritte Zone bildet am Epitaph Ulrich Fuggers eine Reliefdarstellung der Auferstehung Christi. An Georg Fuggers Grabmal ist hier Simson im Kampf gegen die Philister zu sehen, im Hintergrund kann man als Nebenszenen den Kampf Simsons mit den Löwen und Simson mit den Stadttoren von Gaza erkennen.147 In einem frühen Entwurf, der auf ca. 1506 datiert wird, hatte Dürer diese Begebenheit noch in das Zentrum der Darstellung gerückt und damit jenes Motiv aus der Simsongeschichte, das oftmals als das typologische Gegenstück zur Auferstehung Christi betrachtet wurde.148 Völlig anders als die beiden mittleren Grabmäler sind die beiden Außenepitaphien komponiert, die den Inschriften zufolge dem Andenken Jakob Fuggers geweiht sind. Der Hauptteil der Epitaphien zeigt heraldische Motive in einem einheitlichen Blickfeld. Auf beiden eröffnet sich in Fortsetzung der äußeren Rahmenarchitektur der Einblick in eine zentralperspektivisch verkürzte Säulenhalle. In ihrem Inneren sind jeweils zwei stehende Krieger in antikischen Rüstungen, zwei nackte gefesselte Sklaven und zwei bzw. links vier Putti im Hintergrund, Trophäen in der Mitte und darüber das Fugger-

wappen 145 146 147 148 149

zu

sehen.149

Bushart, FuggerkapeUe (1994), 134; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 168. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 155 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 168 f. Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 169 f. Winkler, Zeichnungen Dürers (1937), Nr. 484; vgl. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 115-125; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 235.; Bulst, Art. Samson ( 1972), 36 f. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 142 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 171.

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Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Es ist offensichtlich, daß zwischen dem Sinngehalt der inneren Epitaphien und dem der äußeren ein starker Kontrast besteht. Werden erstere von einer liturgisch-eschatologischen Konzeption geprägt, die es noch zu erläutern gilt, so sind für die Ikonographie letzterer „die Embleme für Macht und Größe des Fuggerschen Geschlechts, die Meditation über Ruhm, Tod und Vergänglichkeit" entscheidend.150 Dies hat der Ikonographie der Epitaphienfolge als Ganzes das harsche Urteil Bruno Busharts eingetragen, sie sei „enttäuschendes Stückwerk". Im Vergleich mit der Ikonographie der übrigen Elemente der Ausstattung und der Gesamtheit der Kapelle könne das Bildprogramm der Epitaphien nicht bestehen. 151 Unabhängig davon, ob man diesem Urteil folgen will, stechen die „Ungereimtheiten", auf die Bruno Bushart und Norbert Lieb verweisen, ins Auge. So steht die Auferstehung Christi am Epitaph Ulrich Fuggers links der Mitte vor der alttestamentarischen Philisterschlacht. Dabei werden Motive einander gegenübergestellt, die sich typologisch nicht entsprechen. Auffällig ist auch die Diskrepanz zwischen den vier Epitaphienfeldern, der Dreizahl der Stifter, deren Andenken sie gewidmet sind und der Beschränkung der dargestellten Toten auf zwei Leichname. Dies alles führt zu der Schlußfolgerung, daß das Bildprogramm der Epitaphien, so wie es sich heute darstellt, nicht das ursprüngliche war, „sondern die wenig glückliche Folge eines Programmwechsels oder gar mehrerer".152 Damit stellt sich allerdings die Frage nach den Ursachen und dem Zeitpunkt dieses bzw. dieser Programmwechsel(s). Einen ersten Wechsel im Bildprogramm deutet der Wechsel des Motivs für das Hauptfeld des Epitaphs für Georg Fugger an. Simson mit den Stadttoren von Gaza wird durch Simson im Kampf mit den Philistern ersetzt. Dies läßt sich sicher auf 1510 datieren. Denn diese Jahreszahl trägt eine mit Monogramm gekennzeichnete Federzeichnug Dürers mit der Philisterschlacht.153 Geplant war möglicherweise, der Simsongeschichte größeren Raum im Bildprogramm der Epitaphien einzuräumen. Eine doppelseitige Zeichnung im Schweizer Landesmuseum in Zürich gibt sich als Derivat der Dürerentwürfe für die Fuggerkapelle zu erkennen. Sie zeigt auf der Vorderseite Simson im Kampf mit den Philistern. Auf der Rückseite zeigt sie sechs weitere Studien zur Simsongeschichte.154 Sollte die Simsongeschichte nun ins Zentrum des Bildprogramms der Epitaphien treten? Simson ist einer der wichtigsten alttestamentarischen Typen Christi. Seine Lebensgeschichte ist eine Vorausdeutung auf Christi Passion.155 Die Simsongeschichte hätte sich also hervorragend geeignet, nochmals das für die Theologie der Fuggerkapelle wichtige Thema der Passion Christi zu inszenieren und dabei gleichzeitig eine Doppelung der Motive der Passionsszenen an der Altarpredella zu vermeiden. Sollte ein solcher Programmwechsel um 1510 intendiert gewesen sein, so wurde er nicht ausgeführt. Statt dessen wurde mit den eher profanen Motiven der Außenepitaphien ein vollkommener Bruch mit der ursprünglichen Thematik vollzogen. Die Forschung hat diesen gravierenden Programmwechsel weder datieren noch 150 151 152 153 154 155

Bushart, FuggerkapeUe (1994), 143, 167. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 159. Ebd.; vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 236 f. Winkler, Zeichnungen Dürers ( 1937), Nr. 488; vgl. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 120. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 165-167. Bulst, Art. Samson ( 1972).

II. Die Grabkapelle bei St. Anna

75

erklären können. Bruno Bushart hat allerdings zeigen können, daß die vier Inschriften der Epitaphien als Ganzes auf jeden Fall nach 1525 entstanden sein müssen.156 Die naheliegende Frage, ob dann nicht auch der Bruch des Bildprogramms der Epitaphien auf diese Zeit datiert werden kann, hat er jedoch nicht gestellt. Ihr soll weiter unten nachgegangen werden.157 Hier muß zunächst die ursprüngliche Funktion der Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger im Rahmen der liturgischen Stiftermemoria bestimmt werden. Nur von dort aus läßt sich der Programmwechsel erklären. Entscheidend für die Funktion der Epitaphien Ulrich und Georg Fuggers für die liturgische Stiftermemoria in der Grabkapelle bei St. Anna waren zwei Aspekte, die miteinander zusammenhingen: die Darstellung der Toten als Leichname und daß die Grabmäler den Typus des Wandgrabmales „imitieren".158 Vor allem ersteres ist bemerkenswert, da diese Form der Darstellung nördlich der Alpen völlig ungebräuchlich war, im Gegensatz zu Italien, wo sie seit Beginn des 14. Jahrhunderts äußerst verbreitet war.159 Es sind denn auch italienische Grabmäler, an denen die jüngere kunsthistorische Forschung die Funktion dieses Grabmaltyps in der liturgischen Stiftermemoria hat deutlich machen können.160 Die Darstellung der Toten auf den Epitaphien, die Ulrich und Georg Fugger gewidmet sind, hält eine Situation kurz nach dem Eintreten des Todes fest. Beiden Toten ist das Kinn herabgesunken, ihre Arme sind über der Brust gekreuzt worden. Sie sind bereits in Leichentücher eingehüllt, die auch den Kopf umfangen. Am Epitaph Ulrich Fuggers ist das Tuch oberhalb der Füße gebunden, an dem Georg Fuggers versperrt ein Becken, aus dem Flammen emporschlagen, den Blick auf die Unterschenkel des To-

ten.161

Hans Körner hat am Beispiel des Grabmals Papst Clemens' IV. in Viterbo zeigen können, daß dieser Darstellungsmodus als Leiche den Dargestellten in eine konkrete Zuständlichkeit situierte, nämlich in den Kontext der Missa pro defunctis, in der über

dem

stigte

die Absolution gesprochen wurde. Das Grabbild verfealso den Zustand der Totenmesse praesente cadavere und verlieh ihm Dauer.162

aufgebahrten Leichnam

156 Bushart, FuggerkapeUe (1994), 157 f.; s. u., Zweiter Teil, II.2.a. 157 S.u., Zweiter Teil, n.2.a. 158 Panofsky, Grabplastik (1994), 75 f. 159 Bushart, FuggerkapeUe (1994), 129-131, der damit Panofskys Behauptung korrigiert, die toten Fugger-Brüder seien als transis dargestellt. Transis definiert Körner, Grabmonumente (1997), 159, als „schauerliche Bilder" der Toten als „verwesender oder skelettierter Leichnam". Davon kann bei den Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger keine Rede sein; vgl. auch Halm, Daucher und die FuggerkapeUe ( 1921 ), 60. 160 Körner, Grabmonumente (1997); Schmidt, Typen und Bildmotive des spätmittelalterlichen Monumentalgrabes ( 1990); vgl. auch Kroos, Grabbräuche Grabbilder ( 1984). 161 Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 169 f., 225; zu diesem Darstellungsmodus auch Bauch, Grabbild (1976), 252 f. 162 Körner, Grabmonumente (1997), 124; vgl. Ders., Individuum und Gruppe (1998), 108-114; Ders., Praesente cadavere (1990); Schmidt, Typen und Bildmotive des spätmittelalterlichen Monumentalgrabes (1990), 25; Wischermann, Grabmal, Grabdenkmal und Memoria (1980), 11; Michalsky, Strategien dynastischer Memoria (2000), 63; zur Sterbeliturgie vgl. Angenendt, Theologie und Liturgie (1984), 184; Uli, Begräbnis, Verdammung und Erlösung (1994), 62. -

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

76

Aufbahrung ist offensichtlich an den Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger dargestellt. Hinzuweisen ist hier auf die Kissen. Es gehörte zu den Pflichten der Angehörigen oder der geistlichen Gemeinschaft, die den Toten aufbahrte, Diese Situation der

diesen auf Decken und Kissen zu betten.163 Auch das Flammenbecken zu Füßen des Toten am Epitaph Georg Fuggers läßt sich als Abbildung der Lichter lesen, die wie im Stiftungslibell von 1521 gefordert bei den Totenmessen für die Stifter aufgestellt werden sollten (Abbildung 9).164 Auf die liturgische Funktion der Epitaphien für Georg und Ulrich Fugger verweisen noch weitere Elemente ihrer Ikonographie. An erster Stelle stehen hier die Putti, die teilweise auf Delphinen reitend in der Sockelzone der Epitaphien die Inschriften flankieren. Die Gegenwart der Engel in der Messe wurde im Mittelalter angenommen, in Texten der Totenliturgie treten sie häufig auf. Ihre Gegenwart muß deshalb bei einer Meßfeier praesente cadavere besonders bewußt gewesen sein. Michael Viktor Schwarz weist in diesem Zusammenhang auf das Gebet In paradisum deducant te Angelí hin.165 Es ist wohl kein Zufall, daß die Kinderengel an den Epitaphien für Georg und Ulrich Fugger auf Delphinen reiten. Galten diese doch als Träger der Seelen der Verstorbenen.166 Engel und Delphine symbolisieren also den erhofften Erfolg des liturgischen Totengedächtnisses: die Erlösung von den zeitlichen Sündenstrafen und den Einzug der Seelen der toten Stifter in das Paradies (Abbildung 10). Hiermit korrespondiert die auf dem Epitaph für Ulrich Fugger dargestellte Himmelfahrt Christi, der, begleitet von Engeln, das leere Grab zurücklassend, in den Himmel einzieht. Folgerichtig wird man die Satyrgestalten, die zu Füßen und am Kopf der Leichname zurückweichen, sich die Haare raufen und den Kopf verbergen, als Repräsentation jener Dämonen interpretieren, die nach verbreiteter Vorstellung im Fegefeuer die Sünder strafen und die nun um den Verlust der ihnen entrissenen Seelen trauern.167 Auch auf die Darstellung von Simson mit den Torflügeln von Gaza, die ursprünglich am Epitaph für Georg Fugger angebracht werden sollte, sei hier noch einmal verwiesen. Diese Begebenheit wurde in der Sakralkunst oft als typologisches Pendant zur Auferstehung Christi verstanden, und in diesem Sinne wurde sie bisher auch am Epitaph für Georg Fugger interpretiert.168 Daneben existierte aber auch die Interpretation dieser Begebenheit als Vorausdeutung auf die Höllenfahrt Christi. Überhaupt besaß die Simsongeschichte hierzu eine große Affinität, da auch der Kampf mit dem Löwen als Vorausdeutung auf die Höllenfahrt Christi gelesen wurde.169 Diese beiden Begebenheiten sind als Nebenszenen auch noch auf dem schließlich ausgeführten Relief zu sehen. Damit verwies auch dieses auf das Gesamtthema der Fuggerkapelle: die Errettung der -

-

163 164 165

Schmidt, Typen und Bildmotive des spätmittelalterlichen Monumentalgrabes (1990), 67, 74; Kroos, Grabbräuche Grabbilder (1984), 289. S. o., n.7.a.ß bei Anm. 131; vgl. Kroos, Grabbräuche Grabbilder (1984), 287, 306, 320-325. Schwarz, Liturgie und Illusion (2000), 175; vgl. auch Kroos, Grabbräuche Grabbilder (1984), -

-

288.

-

166 167

Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 169. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 171; Halm, Daucher und die Fuggerkapelle (1921), 64; Franz,

168 169

Halm, Daucher und die Fuggerkapelle (1921), 64; vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 115 f. Bulst, Art. Samson ( 1972), 36 f.

Messe im deutschen Mittelalter (1902), 220 f.

II. Die Grabkapelle bei St. Anna

77

Seelen der Stifter durch den Leib des Herrn, an dem sie durch die Messen, die in ihrer Kapelle praesente cadavere gefeiert werden, teilhaben sollten. Die Leichenbildnisse an den Epitaphien vertraten also die Toten und wurden in der Feier der Messe „aktualisiert". Körner geht davon aus, daß solche Aktualisierung nicht allein die Messen betraf, die zur Anniversarfeier zelebriert wurden, sondern daß man darauf abzielte, tendenziell jedes Meßopfer, zu dem das Grabbild in räumlichem Zusammenhang stand, in den Kontext des Grabmals mit einzubinden: „Das Grabbild bemächtigt sich so des jeweiligen liturgischen Vollzuges, und macht ihn (zumindest intentional) zu einem Teil seiner Realität, verleiht ihm den Charakter einer fortdauernden Totenmesse".170 Überträgt man dieses Ergebnis auf die Grabkapelle der Fugger, dann bedeutet dies, daß hier die Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger als Vertreter der Toten diesen auch die Früchte der Messen de corpore Christi zukommen ließ, da diese in den Kontext des Grabmals mit eingebunden und gleichsam zu Totenmessen

praesente cadavere wurden. Stellt man außerdem die von Merk beobachtete Tendenz in

Rechnung, daß an der Wende zum 16. Jahrhundert das Kollektengebet für Verstorbene in „Nichttotenmessen" nur noch gebetet wurde, wenn diese praesente corpore zelebriert wurden, dann hatten die Grabmäler für Ulrich und Georg Fugger die Funktion, die Verbindung von Eucharistieverehrung und Totenmemoria, die als besonders heilswirksam erachtet wurde, für die Zukunft dauerhaft zu sichern. Es ist deshalb nur folgerichtig, daß die Epitaphien italienische Wandgrabmäler „imitierten".171 Für Italien hat man konstatiert, daß die Sichtbarkeit des Grabes sich dort eng mit den Gnadenerweisen verbunden zu haben scheint, die von der Feier der Messe an

dem vom Grabmal aus sichtbaren Altar ausgingen.172 Auch diesen Befund wird man wohl auf die Fuggerkapelle übertragen dürfen. Denn anders als heute wandten Altar und Fronleichnamsgruppe ihr Gesicht ursprünglich nicht in das Kirchenlanghaus, sondern in den Kapellenraum hinein: „Die Altargruppe stand Auge in Auge mit der Epitaphwand".173 Geht man davon aus, daß die Toten an den Epitaphien die toten Stifter vertreten, dann konnten so auch diese gleichsam den Leib des Herrn schauen. Bruno Bushart hat allerdings Zweifel daran geäußert, daß die Toten an den Epitaphien die toten Stifter vertreten sollten. Er sieht diese Interpretation im Widerspruch dazu, daß die Zahl der in der Kapelle zu bestattenden Familienmitglieder angeblich von Anfang an offen gewesen sei. Deshalb müsse das ursprüngliche Bildprogramm „mehr oder weniger unabhängig" von Person und Zahl der dort Bestatteten oder noch zu Bestattenden gewesen sein. Bestätigt werde diese Annahme auch durch die Tatsache, daß die Inschriften erst nach dem Tod Jakob Fuggers „verfaßt und verteilt wurden", ohne dabei auf die darüber befindlichen, älteren Darstellungen bezogen zu werden.174

170

171 172 173

Körner, Grabmonumente (1997), 127; vgl. Ders., Individuum und Gruppe (1998), 108-114; Ders., Praesente cadavere ( 1990).

Pano/sky, Grabplastik ( 1994), 75 f.

Körner, Grabmonumente (1997), 73; zum Nischengrab vgl. auch Bauch, Grabbild (1976), 67. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 175; vgl. Eser, Hans Daucher (1996), 251; Bushart,

FuggerkapeUe (1994), 199.

174

Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 160.

78

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Dem ist zunächst einmal entgegenzuhalten, daß es wohl kaum ein Zufall war, daß die beiden Epitaphien, die nach den ursprünglichen Entwürfen geschaffen wurden, Inschriften erhielten, die sich auf diejenigen aus dem Kreis der Stifter bezogen, die bereits gestorben waren, bevor das ursprüngliche Bildprogramm abgeändert wurde. Außerdem bleibt festzuhalten, daß mit der Vierzahl der Epitaphienfelder auch die Anzahl der Grabkammern in der Gruft korrespondiert: Es sind vier. Daraus hatte der Autor des Protokolls einer Gruftbesichtigung von 1942 geschlossen: „Nach der Größe des Raumes und der Einteilung desselben ergibt sich, daß die Erbauer nicht mehr wie (!) vier Särge hier unterbringen wollten. Denn mit den vier dort stehenden Särgen ist die Gruft vollständig belegt".175 Es liegt also nahe zu vermuten, daß ursprünglich ein direkter Bezug der vier Epitaphien und der auf ihnen dargestellten Leichname, auf vier Personen aus dem Kreis der Stifterfamilie intendiert war. Und es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß die Leichname in der Gruft der Fuggerkapelle in Tücher eingewickelt sind. Die virtuellen Leichname auf den Epitaphien repräsentieren also die reellen Toten in der Gruft so, wie sie bestattet sind.176 Der vermeintliche Widerspruch zwischen der begrenzten Zahl der Epitaphien und der offenen Zahl der Familienmitglieder, die in der Kapelle bestattet werden konnten, ist leicht zu klären. Hatte Jakob Fugger doch mit einer päpstlichen Bulle vom 22. Februar 1517 die Privilegien für die Fuggerkapelle auch auf deren Abseiten übertragen lassen. Damit bestand die Möglichkeit, auch diese Seitenräume, deren Schlußsteine mit dem Fuggerwappen sie als zur Kapelle gehörig kennzeichnen, mit Altären und Gestühl auszustatten und für Begräbnisse zu nutzen.177 Jakobs Neffen Ulrich d. J., Hieronymus und Anton hatten in den Jahren 1516 und 1517 testamentarisch die Kapelle bei St. Anna zu ihrer letzten Ruhestätte bestimmt. Und es erscheint nicht unplausibel, daß hierdurch die vorher nur latente Notwendigkeit, mehr als vier Personen in der Kapelle beizusetzen, gleichsam konkret geworden und Jakob Fugger dazu veranlaßt worden war, nun auch die Abseiten der Kapelle für die Fugger zu reklamieren, was dann auf den Widerstand des Klosters stieß.178 Sei es, wie es sei, auf jeden Fall besteht eine eindeutige Beziehung zwischen den Epitaphien, von denen schließlich nur zwei so ausgeführt wurden wie ursprünglich geplant, und den Personen, die in der Kapelle beigesetzt werden sollten. Die vier Epitaphien sollten vier Personen repräsentieren, die in der Gruft unter dem Altar liegen sollten. Damit stellt sich allerdings die Frage, wem das vierte Epitaphienfeld zugedacht sein sollte. Drei der vier Felder waren offensichtlich für die Epitaphien der Stifter bestimmt. Norbert Lieb hat die vorsichtige Vermutung geäußert, daß man ursprünglich vielleicht dem 1478 in Rom gestorbenen Marx Fugger ein Epitaph widmen wollte.179 Eine Vermutung, die Bushart zu Recht verworfen hat.180 M. E. ist es denkbar, daß ursprünglich 175 176

177 178 179 180

Zitiert nach Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 160. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 162; vgl. Uli, Begräbnis, Verdammung und Erlösung

(1994), 62. Fuggerstestamente, ed. Preysing, 15, 28, 41; Bushart, FuggerkapeUe (1994), 160, 419 (Beilage IV), 70; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 136, 380.

S. o.,II.3beiAnm. 38. Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 235 f. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 160.

77. Die Grabkapelle bei St. Anna

79

ein Epitaph und ein Platz in der Gruft für den Vater der drei Stifter, Jakob d. Ä., gedacht waren. Dies hätte mit der Integration der Generation der Eltern der Stifter in die Fuggermemoria korrespondiert, die in den Bestimmungen bezüglich der liturgischen Memoria in der Kapelle bei St. Anna zum Ausdruck kommt.181 Es war Jakob d. Ä. gewesen, der einst seine Geschäfte von denen seines Bruders Andreas getrennt und damit die eigenständige Linie der Fugger begründet hatte, die wenige Jahre nach seinem Tod das Lilienwappen verliehen bekam und deren Memoria und Ruhm die Kapelle bei St. Anna sichern und mehren sollte. Wie Ulrich und Georg Fugger zunächst auch, war er auf dem Friedhof von St. Moritz beigesetzt worden, so daß man seine sterblichen Überreste gleichzeitig mit denen seiner Söhne hätte überführen können. Daß dies nicht geschah, ist kein Argument dagegen, daß es nicht ursprünglich geplant gewesen sein kann. Auch der Enkel Jakobs d. Ä., Ulrich d. J., hatte sich in seinem Testament von 1516 noch ausbedungen, in der Fuggerkapelle bei St. Anna beigesetzt zu werden. Als er neun Jahre später starb, begrub man ihn jedoch in Schwaz in Tirol.182 Die Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger, die als einzige so ausgeführt wurden, wie sie ursprünglich geplant waren, gehören also zum Typ des „liturgischen Grabmonuments".183 Der marmorne Körper der Toten visualisierte die Gegenwart des Toten in der Liturgie. Damit ermöglichten sie es den Teilnehmern der Gottesdienste, den Toten „als liturgisches Subjekt" zu begreifen: „Sie feiern nicht für ihn, sondern genießen die Anschauung, mit ihm zu feiern".184 Die toten Mitglieder der Familie Fugger hatten so an den Früchten der Messen teil, und da das liturgische Grabmal die Situation der Totenmesse praesente cadavere verstetigte, galt dies auch für die Tagesmessen und die Messen de corpore Christi, die auf Anordnung der Stifter in der Grabkapelle gehalten werden sollten. Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß im Vordergrund ihrer Ikonographie „das Gedächtnis an Christi Opfertod und Triumph" gestanden habe, „nicht aber das der drei Fuggerbrüder".185 Als „Vehicle of Salvation" propagierte die Fuggerkapelle ein Konzept von individueller Erlösung, das Sakramentsverehrung und liturgische Memoria in einer spezifischen Weise miteinander verschränkte. Der Leib des Herrn wurde als konzentriertes, hochwirksames Heilmittel für die Seelen begriffen. Seine besonders in der Sakramentsverehrung entfaltete Wirkung konnte den toten Stiftern durch ihre Vergegenwärtigung im liturgischen Grabmonument zugute kommen. Denn durch dieses wurden neben den Anniversarmessen auch die wöchentlichen Messen de corpore Christi gleichsam zu Totenmessen, die die Sünden der toten Mitglieder der Stifterfamilie postum büßten, um ihnen so die ewige Seligkeit zu ermöglichen. Bei aller künstlerischen Avanciertheit erscheint die Theologie der Grabkapelle der Fugger bei St. Anna damit keineswegs als neu, sondern vielmehr konventionell und lange etablierten Formen von Frömmigkeit verhaftet.186 Es ist bereits erwähnt worden, daß die Verbindung von liturgischer Toten181 182 183 184 185 186

S. o.,

II.7.a.ß bei Anm.

139.

Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 160. Panofsky, Grabplastik ( 1994), 66. Schwarz, Liturgie und Illusion (2000), 174 f. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 163. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 325; Blickte, Reformation im Reich (2000), 23, 27 f.

80

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

memoria und Eucharistiefrömmigkeit im späten Mittelalter weit verbreitet war. Auch in der näheren Umwelt der Fuggerschen Grabkapelle ist sie belegt. In der Kirche von St. Anna hatten bereits 1508 Georg Regel und seine Frau Barbara ihre Grabkapelle als „Heiliggrabkapelle" eingerichtet.187 Und Jakob Fuggers Schwester Regina stiftete 1512 zu „Trost und Hilfe" ihres im Jahr zuvor verstorbenen Sohnes Markus neben einem Anniversargedächtnis eine ewige Messe de corpore Christi.m Zum Zeitpunkt, als Jakob Fugger und seine Neffen mit dem Stiftungsbrief den Vollzug der liturgischen Stiftermemoria regelten und damit die Kapellenstiftung bei den Karmelitern zu einem vorläufigen Abschluß brachten, war das in dieser artikulierte Verständnis von Erlösung jedoch zum Gegenstand schärfster Kritik geworden. Ein Jahr zuvor hatte Luther seine Schrift De captivitate Babylonicae Ecclesiae publiziert und in ihr die Auffassung von der Messe als gutem Werk und Opfer scharf kritisiert. Sie sei das dritte Gefängnis, in dem die Kirche sich befinde.189 Daß sich diese Sicht in der Folgezeit auch in Augsburg weitgehend durchsetzte, sollte für die weitere Geschichte der Fuggerschen Kapellenstiftung bei den Karmelitern von St. Anna in Augsburg nicht ohne Folgen bleiben.

b)

Ein Handelsgeschlecht repräsentieren: Die der Grabkapelle bei St. Anna

profane Fuggermemoria

in

Stiftungen hatten immer auch eine profane Dimension. Im allgemeinen wird dies mit dem Begriff der „Repräsentation" umschrieben.190 Auch wenn dieser dabei nicht immer sehr reflektiert gebraucht wird, erscheint er dennoch besonders geeignet. Er bezeichnet zum einen das landläufige Verständnis von Repräsentation als Zurschaustellung von herausragenden Eigenschaften, sei dies Reichtum, Macht, Würde oder alles zusammen. Zum anderen bezeichnet Repräsentation aber auch ein Abbild des Sozialen, das formend auf dieses zurückwirkt. '" Um beides und um die Wechselbeziehung zwischen beidem soll es gehen, wenn nun danach gefragt wird, wie sich die Fugger in der Grabkapelle bei St. Anna repräsentierten: Welche Bedürfnisse nach profaner Memoria, nach Repräsentation ihres irdischen Standes artikulierten sich in der Kapelle? Und welches Bild von sich und ihrer Familie entwarfen sie mit ihrem Grabmal? Götz Frh. von Pölnitz hat als profanes Motiv für die Kapellenstiftung die Demonstration finanzieller Solvenz gesehen. Damit hätte Jakob Fugger die Liquiditätskrise verdecken wollen, in die die Gesellschaft nach dem Tod Melchiors von Meckau geraten war.192 Dies ist jedoch schon deshalb unwahrscheinlich, weil die Planungen für die Kapelle spätestens 1506 bereits begonnen hatten, der Kardinal aber erst 1509 starb. Otto 187 188 189

Schott, Geschichte des Carmeliterklosters TV ( 1880), 194 f. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 277 f.; H (1951), 264. Angenendt, Missa specialis (1983), 216; Jürgensmeier, Eucharistie in der Barockfrömmigkeit (1971), 103.

190 Vgl. hierzu den Abriß bei Michalsky, Memoria und Repräsentation (2000), 22-31. 191 Chartier, Kulturgeschichte ( 1989), 11. 192 Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 233; vgl. Ders., Streit um den Nachlass des Kardinals Melchior von Brixen (1940).

77. Die Grabkapelle bei St. Anna

81

Gerhard Oexle hat deshalb recht, wenn er betont, daß es bei der Stiftung der Kapelle um mehr ging.193 Oexle sieht die Stiftung der Grabkapelle bei St. Anna im Zusammenhang mit Jakob Fuggers Streben, in den Adelsstand erhoben zu werden. Das wichtigste pro-

Grabkapellenstiftung hätte darin bestanden, Adel zum einen zu dokuallem aber diesen regelrecht erst hervorzubringen: „Das zentrale Motiv im Bereich profaner Gründe für die Stiftung der Memorialkapelle bei St. Anna dürfte der Wunsch nach Erreichung der Adelsqualität gewesen sein, nämlich die Schaffung von ,Geschlecht, Namen und Wappen', von nomen et progenies et arma, wie der Stiftungsvertrag sagt, in der Begründung einer in die Zukunft hinein sich erstreckenden Linie von Nachkommen, welche durch die von den drei Brüdern gestiftete und den Mönchen anvertraute Memoria ein Geschlecht, eine progenies und genealogía werden sollte."194 Oexle zufolge stand also die prospektive, auf die Zukunft gerichtete Dimension von Memoria im Zentrum. Diese hätte formend auf die Wahrnehmung der Familie einwirken sollen, und zwar dergestalt, daß diese ein Adelsgeschlecht werden würde: „Es ging dabei um die ,ständische' Qualität. Es ging um Adel".195 Die Stiftung der Grabkapelle St. Anna läßt sich sicherlich als „herrschaftliche" Geste interpretieren. Sie fügte sich damit ein in die „sonderstrukturellen" Repräsentationsformen, mit denen die Fugger seit Mitte der neunziger Jahre immer stärker den Rahmen dessen sprengten, was bei den führenden Familien in Augsburg üblich war und was von den Zeitgenossen immer wieder kritisiert wurde. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Jakob Fugger mit dieser Repräsentation nach „Adel" strebte. Es ist oben gezeigt worden, daß Fugger nicht auf volle Aristokratisierung abhob. Im Zuge seiner Nobilitierung äußerte er 1508 ja den ausdrücklichen Wunsch, dennoch das Bürgerrecht zu behalten und weiterhin in der Stadt ansässig zu bleiben, um so seinen Handelsgeschäften in Augsburg weiterhin nachgehen zu können. Jakob Fugger strebte für sich also einen Zwischenstatus zwischen städtischem Großkaufmann und Adeligem an.196 Daß die These, die Grabkapelle bei St. Anna bringe Jakob Fuggers Streben nach Adel zum Ausdruck, zu allgemein formuliert ist, zeigt der globale Verweis auf die herrschaftslegitimierende Funktion von Herkunft.197 Welche Herrschaft sollte die in der Grabkapelle bei St. Anna konstruierte Herkunft denn dereinst legitimieren? Um städtische Herrschaft von Stadtadeligen kann es Jakob Fugger nicht gegangen sein. Bat er doch 1508 ausdrücklich darum, von Ratsämtern in Zukunft befreit zu werden.198 Ging es um adelige Herrschaft auf dem Land? Wenn Jakob Fugger beabsichtigt hätte, den Status seiner Familie als Grundherren durch die Konstruktion alten Herkommens zu legitimieren, dann hätte er es wohl an den Orten getan, an denen es darauf ankam: in den Fuggerschen Herrschaften selbst.199 Schließlich und endlich läßt die Behauptung, die Fuggerfane Motiv der

mentieren,

vor

193 194 195 196 197

Oexle, Kulturelles Gedächtnis (2000), 31. Oexle, Memorial-Kapelle der Fugger ( 1998), 354; Ders., Kulturelles Gedächtnis (2000), 47. Oexle, Kulturelles Gedächtnis (2000), 44.

198 199

S. o., 1.3 bei Anm. 45 f. S.o., 1.3 bei Anm. 31.

S. o., 1.3 bei Anm. 45 f.

Oexle, Memorial-Kapelle der Fugger (1998), 40; unter Bezug auf Assmann, Kulturelles dächtnis (1997), 71: „Herrschaft braucht Herkunft".

Ge-

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

82

kapelle bei St. Anna hätte „Adel" repräsentieren sollen, außer Betracht, welche Adressaten diese denn eigentlich hatte. Als Bestandteil des Kirchenraums von St. Anna hatte die Fuggerkapelle sicherlich einen „öffentlichen oder halböffentlichen Charakter".200 Daß sie dabei nicht nur mit den anderen Kapellen bei den Karmelitern oder in anderen Augsburger Kirchen um die Aufmerksamkeit der Kirchenbesucher wetteiferte, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß Jakob Fugger sie auswärtigen Gästen vorführte. Gleichzeitig jedoch war die Fuggerkapelle ein liturgisch eigenständiger Raum, der geistig und künstlerisch in sich selbst organisiert war und der scharf vom restlichen Kirchenraum abgegrenzt wurde. „Wenn die Familie im Kapellenraum oberhalb der Gruft in dem beidseitig aufgestellten Gestühl zwischen Epitaphienwand und Altar dem Totengottesdienst beiwohnte, war die Funktion der Kapelle kultisch in sich selbst erfüllt".201 Daß die Familie der Stifter also die primären Adressaten der Kapelle waren, gilt es zu beachten, wenn man danach fragt, was diese repräsentieren sollte. Dabei läßt sich das Modell der Geschlechter-Memoria durchaus fruchtbar machen, begreift man es nicht als Rahmen, in den die Tatsachen gleichsam eingepaßt werden, sondern als heuristisches Mittel, um die Quellen zu befragen. Dann birgt es einen wichtigen Hinweis zum Verständnis der profanen Memoria, die Jakob Fugger in der Kapelle bei St. Anna initiieren wollte. Er liegt im Begriff des Geschlechts, auch wenn das Geschlecht, das durch die Memoria in der Grabkapelle bei St. Anna konstruiert werden soll, nicht im eigentlichen Sinne ein Adelsgeschlecht ist, wie im folgenden zu zeigen sein wird. Hierzu soll zunächst erläutert werden, was unter einem Geschlecht zu verstehen ist. Danach soll gezeigt werden, daß die Fugger als Familie und Handelsgesellschaft sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts die Struktur eines Geschlechts gaben, und schließlich warum Jakob Fugger diesen Strukturwandel durch die Begründung einer entsprechenden Memoria in der Grabkapelle bei St. Anna flankieren lassen und befördern wollte. Ganz allgemein formuliert versteht man unter Geschlecht eine Verwandtengemeinschaft und Verwandtengemeinschaften sind ja immer auch Besitz- und Erbengemeinschaften -, in der den männlichen Mitgliedern bezüglich der Verfügungsgewalt über den Besitz ein Vorrang gegenüber den weiblichen eingeräumt wird. Dies gilt vor allem für die Erbfolge, die sich im Mannesstamm, der sogenannten agnatischen Deszendenz, vollzieht. Damit ist das Geschlecht zu unterscheiden von der loser gefügten Verwandtengemeinschaft der Sippe, bei der die weibliche kognatische Verwandtschaft keine geringere Rolle spielt als die agnatische und bei der die Regeln der Erb- und Nachfolge -

-

-

weniger eindeutig waren.202 200 201

Göttier, Religiöse Stiftungen als Dissimulation? (2000), 302 f. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 175; vgl. auch Eser, Hans Daucher (1996), 251, der

einem „ursprünglich geschlossenen, von außen kaum wahrnehmbaren Einklang der Kapellenausstattung" spricht; bereits Höger, Familienkapellen (1976), 98, hat am Beispiel Florentiner Familienkapellen die Frage nach dem Betrachterstandpunkt aufgeworfen. Schmid, Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie (1983); Ders., Weifisches Selbstverständnis (1968); vgl. hierzu Borgolte, Sozialgeschichte des Mittelalters (1996), 198; Oexle, von

202

Aspekte der Geschichte des Adels ( 1990); Wunder, Geschlechter und Geschlecht (2002),

15-18.

II. Die Grabkapelle bei St. Anna

83

Fragt man danach, wie in der Stiftung der Fuggerschen Grabkapelle bei St. Anna die genealogía konzipiert wurde, deren Memoria sie bewahren sollte, dann fällt auf, daß hier das agnatische Prinzip klar dominierte. Deutlich wird dies bereits an den Regelungen zur Erbfolge. Sämtliche Rechte an der Kapelle reservieren die Stifter sich und ihren „Erben und Nachkommen ihres Namens und Stamms und ihres Wappens, die männlichen Geschlechts" sind. Erst nach dem Aussterben der Fugger von der Lilie im Mannesstamm dürfen „weiter entfernte Verwandte beiderlei Geschlechtes und von diesen die Nächstverwandten" über die Kapelle verfügen, allerdings mit der ausdrücklichen und signifikanten Einschränkung, daß sie „weder die Wappen und Schilde, die angebracht oder angemalt wurden, in irgendeiner Weise verändern oder abnehmen dürfen, noch ihre eigenen oder irgendwelche anderen dort anbringen oder aufmalen können".203 Doch nicht nur bezüglich der Erbfolge sollte in der Fuggerkapelle bei St. Anna das agnatische Prinzip gelten, sondern auch bezüglich der Personen, die dort ihre letzte Ruhestätte finden sollten. Aus den Bestimmungen bezüglich des Rechts, in der Kapelle Gräber anzulegen und sich dort begraben zu lassen, geht zwar nicht vollkommen eindeutig hervor, daß nur die Stifter und ihre männlichen Nachkommen in der Kapelle begraben werden sollten.204 Begraben wurden in der Kapelle bei St. Anna auf jeden Fall nur männliche Mitglieder der Familie: neben den Brüdern Jakob, Georg und Ulrich noch Ulrichs Sohn Hieronymus sowie Raymund Fugger, der älteste Sohn Georg Fuggers.205 Der Befund der Testamente legt ebenfalls nahe, daß die Kapelle bei St. Anna als Grablege für die männlichen Stifter und ihre agnatische Deszendenz gedacht war. In seinem ersten Testament vom 14. Februar 1516 bestimmt Ulrich d. J. die Kapelle zu seiner letzten Ruhestätte. Den gleichen Wunsch äußern Anton und Hieronymus Fugger

in ihren Testamenten vom 3. Mai und vom 30. Juli 1517.206 Besonders bemerkenswert erscheinen jedoch die Bestimmungen im ersten Testament Jakob Fuggers vom 27. August 1521. Sich selbst wollte Jakob Fugger in der Kapelle bei den Karmelitern bestattet sehen, in der seine Brüder Georg und Ulrich zu diesem Zeitpunkt bereits begraben waren. Seiner Ehefrau, Sybilla Arzt, dagegen räumte er das Recht ein, sich in einer FuggerkapeUe bei den Augsburger Dominikanern bestatten zu lassen.207 Zwar wurde dies nie realisiert, da Sybilla Arzt bald nach dem Tod Jakob Fuggers wieder heiratete. Im 203

204

205 206 207

Bushart, FuggerkapeUe (1994), 413 (Beilage I): Praeterea ipsi et haeredes ac successores sui sanguinis et nominis ac armorum masculini sexus quamdiu in humanis erunt, et deinceps postquam nullus ipsorum huiusmodi superstiterit alii ex ipsorum genealogía, ipsis a latere coniuncti utriusque sexus et inter illos proximiores perpetuis futuris temporibus inuiolabiliter gaudere et in his liberam facultatem habere debeant absque impedimento et contradictione cuisuscunque, saluo quod ijdem coniuncti arma et clipeos supradictos tarn appensos quam depictos alterare seu amoveré minime debeant, ñeque suos seu aliquos alios ibidem appendere sive depingere poßint. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 413 (Beilage I): Inprimis quod ipsi habeant in praetacta capella faceré sepulturam propriam pro se haeredibus et successoribus suis in quacunque parte eis placita et conveniente tarn in quam extra eandem Capellam ac totiens quotiens neceßitas ipsos et succeßores suos inibi sepeliendi et sepulchra aperiendi exigit. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 160. Fuggerstestamente, ed. Preysing, 15, 28,41 ; Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 160. Fuggerstestamente, ed. Preysing, 59; Schad, Frauen des Hauses Fugger (1989), 169.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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Jahr 1535 wurde jedoch Raymund Fuggers Gattin Katharina Thurzo in der Kapelle bei den Dominikanern begraben, während man ihn selbst, der im gleichen Jahr starb wie seine Frau, in der Kapelle bei St. Anna beisetzte.208 Diese Kapelle in der Dominikanerkirche samt Begräbnisrecht hatten die Fugger 1512 als Gegenleistung dafür zugesichert bekommen, daß sie den Neubau des Predigerklosters finanziell unterstützten.209 Sie war eine Seitenkapelle im westlichen Seitenschiff der Kirche.210 Dabei übernahmen die Fugger einfach eine Kapelle, die zuvor einem gewissen Hans Umbach gehört hatte, mitsamt einer Anniversarstiftung, die er 1466 für seine verstorbene Schwester gemacht hatte.2" Die hier festgelegten liturgischen Memorialdienste wurden nun auf die Fugger übertragen. Nach Vollendung des Kirchenneubaus im September 1515 stellten Prior und Konvent der Dominikaner Jakob Fugger und seinen Neffen am 3. Dezember 1516 einen Brief aus bezüglich der ihnen wunschgemäß zugeteilten Kapelle und sicherten ihnen das Recht zu, sie mit Altartafeln, Kirchenstühlen, Grabsteinen und anderem auszustatten und mit ihrem Wappen zu schmücken.212Die Kosten für den Bau der Kapelle dürften bei ca. 1.500 fl. gelegen haben. Einem „Gedächtnisbuch" des Priors Johannes Fabri zufolge hatten die Fugger den Bau zunächst mit 500 und später noch einmal mit 550 fl. unterstützt.213 Mit diesen 1.050 fl. hatte Jakob den größten Beitrag zu den insgesamt 5.560 fl. geleistet, mit denen Augsburger Bürger den Neubau der Kirche unterstützten. Hinzu kamen noch die Kosten für die Ausstattung der Kapelle. Johannes Fabri hatte seit 1509 geplant, eine neue Kirche für seinen Konvent zu bauen, und man darf davon ausgehen, daß er die Fugger frühzeitig um finanzielle Unterstützung gebeten hatte.214 Das bedeutet, daß die Fugger im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts parallel zwei Kapellen errichten ließen. Von diesen war eine von vornherein als Grablege für die männlichen Angehörigen der Fugger von der Lilie vorgesehen, die andere für die Frauen.215 Dabei ist offensichtlich, welchem der beiden Projekte größerer Stellenwert beigemessen wurde. Der Befund Bruno Busharts, daß die Fuggerkapelle bei St. Anna „sämtliche Parallelunternehmen in Augsburg an Größe, Aufwand, Ausstattung und geistigem Anspruch" übertroffen hat216, gilt ohne Einschränkung auch im Vergleich zu der Fuggerschen Frauengrabkapelle bei den Dominikanern. Während die Kapelle bei St. Anna im Westchor der Kirche eine exponierte Lage hat, fügt sich die Kapelle bei den Dominikanern als Seitenkapelle in das bauliche Gesamtgefüge ein. Für 208 209 210 211 212 213 214 215

Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 140; Ders, Die Fugger und die Kunst II (1958), 26; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 35 mit Anm. 93. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 132-134; Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 266. Wiedenmann, Dominikanerkirche ( 1917), 2 8 f. FA5.1.4,7r-8v. FA. 5.1.1, 199v-200r; s. u„ Beilage 2. Gedächtnisbuch Dr. Fabers, ed. Dirr, 172. Wiedenmann, Dominikanerkirche (1917), 13; Siemer, Geschichte des Dominikanerklosters St. Magdalena ( 1936), 68-71 ; Dillis, Johannes Faber ( 1956), 97-102. Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 160; Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 278 f. hat die These aufgestellt, daß die Kapelle bei den Dominikanern als ,Aushilfe" dienen sollte, bis die Kapelle bei St. Anna

216

fertiggestellt gewesen sei. Dies ist angesichts der geschilderten Tatsachen haltlos.

Bushart, Fuggerkapelle (1994), 263.

77. Die

Grabkapelle bei St. Anna

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eigens ein liturgisches Programm ersonnen und umgesetzt, in letzterer wurden bestehende Memorialeistungen einfach übernommen. Auch die Kosten für die Kapelle bei St. Anna übertrafen die für die Kapelle bei den Dominikanern um ein Vielfaches. An alldem wird deutlich: Die Kapelle bei St. Anna hatte die Funktion, auf symbolischer Ebene ein Geschlecht im Sinne der agnatischen Deszendenz von dem weiteren, das heißt kognatischen, Verwandtenkreis der Fugger von der Lilie abzuheben. Die Tragweite dieses Befundes wird erst deutlich, wenn man bedenkt, daß Frauen bei den Fuggern bis zur Generation der Eltern Jakob Fuggers immer wieder eine gewichtige Rolle gespielt hatten. So hatte Hans Fuggers Witwe Elisabeth nach dessen Tod im Jahr 1403 mehr als dreißig Jahre die Geschäfte der Handelsgesellschaft geführt. Erst nach ihrem Tod im Jahr 1436 übernahmen die Söhne Andreas (f 1457/58) und Jakob (d. Ä.) (f 1469) das Geschäft.217 Auch Barbara Basinger, die Mutter Jakob Fuggers, führte nach dem Tod Jakobs d. Ä. 1469 zunächst die Geschäfte und konnte bis zu ihrem Tod 1497 das von ihrem Ehemann hinterlassene Vermögen verdoppeln.218 Die Augsburger Steuerbücher führen bis zum Jahr 1509 die Steuersumme an, die die Söhne Barbara Basingers, Ulrich, Georg und Jakob Fugger, für das von ihnen geerbte Vermögen ihrer Mutter zahlen müssen. Offensichtlich gehörte das Vermögen Barbara Basingers bis zu diesem Zeitpunkt zum Gesellschaftskapital des Fuggerschen Handels und hatte auch zu ihren Lebzeiten dazu gehört.219 In den ersten beiden Generationen war die Familie Fugger also eine Haus- und Handelsgemeinschaft; die Fuggersche Handelsgesellschaft hatte damit den Charakter einer Ganerbengemeinschaft, in der auch weibliche Mitglieder eine wichtige Rolle spielen konnten. Damit spiegelte sie die Augsburger Rechtswirklichkeit wider, die Frauen im allgemeinen, vor allem aber Witwen, weitgehende wirtschaftliche erstere wurde

Selbständigkeit zugestand.220 Dies änderte sich jedoch mit dem ersten Gesellschaftsvertrag, den Ulrich, Georg und Jakob 1494 abschlössen und der die Serie von Gesellschaftsverträgen begründete, mit denen die Handelsgesellschaft auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Mit diesen Verträgen wurde eine willkürrechtlich begründete Betriebsgemeinschaft von der übrigen Erbengemeinschaft abgesondert. Gleichzeitig erhielt sie sukzessive eine „monarchische Struktur": Die Handelsgesellschaft sollte von „wenigen, aber stark bevorrechteten" Mitgliedern geführt werden, und diese waren Männer.221 Von zentraler Bedeutung waren in diesem Prozeß die Verträge zwischen Ulrich, Georg und Jakob Fugger bezüglich der Fuggerschen Unternehmungen in Ungarn und der „liegenden Güter" der Fugger 217 218 219 220

221

Schad, Frauen des Hauses Fugger (1989), 9-12. Schad, Frauen des Hauses Fugger (1989), 12 f.; Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 10; Jansen, Anfänge der Fugger (1907), 2M5. Strieder, Kapitalismus (1904), 18-21, 178 f. Simnacher, Fuggertestamente (1960), 41 f.; vgl. Schad, Frauen des Hauses Fugger (1989), 13; vgl. auch Heer, Augsburger Bürgertum (1955), 127 f.; zu den ökonomischen Handlungsspielräumen von Frauen im späten Mittelalter vgl. Wiesner, Spinning out Capital (1987), v. a 245 f.; Uitz, Die Frau im Berufsleben ( 1986), 441 ; Maschke, Die Familie in der deutschen Stadt ( 1980), 38 (mit weiteren Augsburger Beispielen). Peterka, Gesell Schafts vertrage Jakob Fuggers (1913), 396; Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers (1938), 196.

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Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

23. und 24. Dezember 1502.222 In diesen wurde erstmals die agnatische Erbfolge die für Handelsgesellschaft der Fugger festgeschrieben. Nach dem Wortlaut des Vertrages über die Unternehmungen der Fugger in Ungarn sollten die neuerworbenen und noch zu erwerbenden Anteilrechte an den ungarischen und anderen Berg- und Hüttenwerken bey uns und auch zu ainem vorauss bei unsern männlichen ehelichen leibs erben und bey unserm namen und stammen absteigender Uni mannlichs geschlechts, die da weltlich sind, bleiben. Im Fall, daß einer der Teilhaber ohne männliche Erben verstarb, sollte sein Anteil an die anderen Teilhaber fallen. Erst dann, wenn überhaupt kein männlicher, ehelicher Abkömmling der drei Brüder mehr vorhanden sein sollte, durften die weiblichen Mitglieder der Familie die Erbfolge antreten.223 Dies war die gleiche Erbfolgeregelung, die sieben Jahre später auch für die Rechte der Fugger in der Kapelle bei St. Anna festgelegt wurde. In einem weiteren Vertrag, den die Brüder einen Tag später abschlössen, wurden diese Bestimmungen auch auf andere Wertobjekte, insbesondere Immobilien, übertragen. Bestimmte Häuser und Grundstücke, die die drei Brüder gemeinsam geerbt oder gekauft hatten und auch solche, die sie in Zukunft kaufen würden, sollten allein ihren männlichen Nachkommen, die im Handel tätig waren, im Erbgang zufallen. Das gleiche sollte für kostbaren Hausrat gelten, den man zum repräsentativen Schmuck der Häuser verwendet hatte.224 Damit war die Handelsgesellschaft der Fugger als Personen-, Handels- und Besitzgemeinschaft klar von der restlichen Verwandtschaft abgegrenzt und ihr Vermögen dem allgemeinen Erbgang entzogen. Gleichzeitig wurde jedoch die Verfügungsgewalt der Erben über ihr ererbtes Vermögen stark eingeschränkt: Sie mußten ihr gesamtes im Geschäft liegendes Kapital, mitsamt dem erzielten Profit zu Gewinn und Verlust in den Fuggerschen Unternehmungen liegen lassen. Mit den Bestimmungen, die den männlichen Familienmitgliedern eine Vorzugsstellung einräumten, ging eine Neuordnung der Binnenverhältnisse unter den Gesellschaftern einher. War die Gesellschaft 1494 noch genossenschaftlich verfaßt gewesen, so wurde nun für die Zukunft das herrschaftliche Prinzip eingeführt. Nach dem Tod eines der drei Brüder sollten in Zukunft für alle Zeiten zwei Gesellschafter, die dem Namen und dem Stamme nach zu den Fuggern gehören mußten, alleinige Geschäftsführer sein. Die anderen Gesellschafter waren diesen gegenüber zu Gehorsam verpflichtet: Dieselben zween Verwalter sollen auch macht haben alle erben und andere die im handel seindt zuegebrauchen im handel zue aller nothurft wie es die zween für gut ansehen™ Diese Asymmetrie konnte sogar noch verschärft werden. Denn für den Fall, daß zwei der ursprünglichen Gesellschafter vorzeitig sterben sollten, wurde dem überlebenden dritten eine Vorzugsstellung gegenüber seinem Kollegen in der Geschäftsführung einvom

222 223 224 225

Verträge 23.12.1502/2 u. 24.12.1502, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 270-281; 281-286. Vertrag 23.12.1502/2, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 273; Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers (1938), 197. Vertrag 24.12.1502, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 281-286; Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers (1938), 197 f. Vertrag 23.12.1502/2, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 278; vgl. Peterka, Gesellschaftsverträge Jakob Fuggers (1913), 405 f.

77. Die Grabkapelle bei St. Anna

geräumt. Er sollte ganz vollen gewalt haben

87

...,

attain den handel zueverwesen

ime der ander sein mitverwalter (...) nichts darein

Damit

reden}26

(...) und

der Boden bereitet für die alles beherrschende Rolle, die Jakob Fugger nach dem Tod Georgs (1506) und Ulrichs (1510) in der Fuggerschen Handelsgesellschaft haben sollte. Bald nach Ulrichs Tod ließ Jakob die Söhne seiner Brüder einen Eid auf das Evangelium leisten, daß sie sich seiner alleinigen Gewalt unterstellten. Zwei Jahre später, am 30. Dezember 1512, gab er dieser Stellung dann vertragliche Gestalt. „Die Neffen mußten während der gesamten Vertragszeit das gesamte von ihren Vätern im Handel investierte Kapital samt dem Gewinn in dem Handelsverband lassen. Zu sagen hatten sie nichts".227 Die Töchter seiner Brüder wurden auf der Basis einer Schätzungsbilanz ausgezahlt und hatten diese Regelungen bereits 1511 vertraglich anerkannt.228 In seinem Testament schrieb Jakob Fugger die beherrschende Stellung der Geschäftsführung auch für die Zukunft fest, allerdings wieder auf zwei Personen verteilt, wie es schon der Vertrag von 1502 vorgesehen hatte. Nach seinem Tod sollten die beiden ältesten Neffen an seine Stelle treten und zwar mit der gleichen, absoluten Machtbefugnis, auch gegenüber den direkten Erben Jakobs.229 Diesen sollten die „Regierer" bezüglich des Handelsvermögens keine Rechenschaft schuldig sein. Damit wurde auch hier abermals das Prinzip wirksam, daß der Erbgang der weiblichen Erben zugunsten der abgesonderten Betriebsgemeinschaft des Fuggerschen Handels eingeschränkt sein sollte, denn einziger Erbe Jakob Fuggers war seine Ehefrau Sybilla war

Arzt.230

Es ist deutlich geworden, daß die drei Brüder Jakob, Ulrich und Georg die Fuggersche Haus-, Geschäfts- und Besitzgemeinschaft seit 1494, vor allem aber seit 1502, grundlegend umstrukturierten. Von der Ganerbengemeinschaft sonderten sie sich als Personen-, Betriebs- und Vermögensgemeinschaft ab, die auf den Prinzipien „Herrschaft" und „agnatische Erbfolge" basierte. Diese könnte man als Handelsgeschlecht bezeichnen. Es ist dieses Handelsgeschlecht, das die Kapelle bei St. Anna repräsentieren sollte. Sie diente vor allem der Memoria der drei Brüder Jakob, Ulrich und Georg Fugger und ihrer agnatischen Deszendenz, daneben möglicherweise auch der Jakobs

d.Ä.

In der Kapelle sollte zuvörderst also die Memoria jener Männer der Familie Fugger gepflegt werden, die als personales Substrat der Handelsgesellschaft von der sonstigen Verwandtschaft geschieden waren. Dies wird nicht zuletzt auch daran deutlich, daß diejenigen, derer in der Kapelle gedacht werden sollte, neben dem Fuggerschen Lilienwappen durch ein zweites Emblem repräsentiert wurden: das Fuggersche Handelszeichen (Abbildung ll).231 Das Dreizack mit dem Ring war im Pflaster der Kapelle fünfmal in Messing eingelegt und machte deutlich, daß das Geschlecht, dessen hier gedacht wurde, ein Geschlecht von Kaufleuten war. 226 227 228 229 230 231

Vertrag 23.12.1502/2, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 280. Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers ( 1938), 200. Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 53 f. Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers (1938), 201. Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers (1938), 199-201. Zum Handelszeichen vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 27 f.

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Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Was aber war nun genau das Motiv dafür, den rechtlichen und wirtschaftlichen Strukturwandel der Familie Fugger zu einem Handelsgeschlecht auch symbolisch mitzuvollziehen und eventuell sogar zu befördern? Die Fugger waren nicht die einzige Kaufmannsfamilie, die im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts ihren Handel zur „herrschaftlich geordnete(n) Unternehmung" (Clemens Bauer) ausbildeten und dabei den Gesellschafterkreis von einer weiteren Verwandtschaft auf eine „Klein- oder Kernfamilie" beschränkte, die in der Regel aus Brüdern und deren Söhnen bestand.232 „An die Stelle einer Erwerbsgemeinschaft, deren Mitglieder Arbeit und Kapital einbrachten, trat immer mehr die hierarchisch gegliederte Unternehmung mit einem geschäftsführenden Gesellschafter (,Regierer') an der Spitze." Keine Gesellschaft allerdings erhielt eine so dezidiert „monarchische Struktur" wie die der Fugger.233 Rainhard Hildebrandt sieht die Ursache für diesen Strukturwandel in einem größeren „Bedürfnis, die Firmenorganisation und die Entscheidungsstrukturen effizienter zu gestalten." Ein zu großer Kreis von Gesellschaftern habe die Willensbildung innerhalb des Unternehmens und die Koordination der Geschäftspolitik kompliziert, die Zersplitterung der Gewinne befördert und somit die Eigenkapitalbasis der Gesellschaften gefährdet. Alle diese Nachteile hätten sich vermeiden oder zumindest weitgehend reduzieren lassen, „wenn die Firmenorganisation gestrafft, der Gesellschafterkreis verkleinert und die Geschäftstätigkeit in der Hand eines geschäftsführenden Gesellschafters als ,Regierer' konzentriert" worden wären.234 Dieses Motiv läßt sich im Vertrag Jakob, Ulrich und Georg Fuggers über den ungarischen Handel von 1502 in der Tat feststellen. Dort wird als Ziel der Vertragsbestimmungen auch genannt, es solle vermieden werden, daß solcher handel durch weitläuffigkait in Zerrüttung und verderben, und wir oder unser erben dardurch darumb kommen möchten. Dem vorangestellt ist jedoch ein anderes Motiv, dessen Vorrang auch

daran deutlich wird, daß es in den Verträgen noch mehrfach erwähnt wird. Abgeschlossen wurde der Vertrag zuallererst, damit unser name und stamme und unser männlich erben und nachkommen in bestendigern wesen und destbass in und bey dem handel bleiben mögen ...235 Es ging also darum, die dauerhafte Fortexistenz des Handelsgeschäfts in der Familie zu sichern.236 Damit war ein Strukturproblem vormoderner Handelsgesellschaften angesprochen. Diese waren allesamt Personengesellschaften, das heißt Träger der Gesellschaft war nicht die Fiktion der juristischen Persönlichkeit, son-

232

233 234

235

Hildebrandt, Untemehmensstrukturen im Wandel (1997), 96-99; vgl. Ders., Diener und Herren (1996), 155-159; zu ähnlichen Tendenzen bei der ländlichen Bevölkerung im 16. Jahrhundert vgl. Davies, Die Geister der Verstorbenen (1989). Hildebrandt, Untemehmensstrukturen im Wandel (1997), 99. Hildebrandt, Untemehmensstrukturen im Wandel (1997), 102; vgl. auch Strieder, Geschäftsund Familienpolitik Jakob Fuggers (1938), 196: „Schon der Übergang zur offenen Handelsgesellschaft des Jahres 1494 war zu dem Zweck geschehen, um zu verhindern, daß allzu viele

Verwandte in die Geschäftsführung hineinreden könnten." Vertrag 23.12.1502/2, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 272; vgl. ebd. 277: Item damit aber sollich unser handel und Ordnung in guettem und bestendigern wesen bleib Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers ( 1938), 196. ...

236

77. Die Grabkapelle bei St. Anna

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dem eine Gruppe von natürlichen Personen, in der Regel Verwandte.237 Der Weiterbestand eines solchen Unternehmens war davon abhängig, daß die Erben im Sinne der Gründer die Geschäfte weiterführten. Und hierauf zielte die „Geschäfts- und Familienpolitik" (Jakob Strieder) Jakob Fuggers und seiner Brüder ab. Die Konzentration der Erbfolge auf die männlichen Mitglieder beugte einer Zersplitterung des Vermögens vor und sicherte so die Grundlage des Betriebs. Im gleichen Sinne ist die Pflicht der Erben Ulrichs und Georgs zu verstehen, ihr gesamtes ererbtes Vermögen mitsamt dem erzielten Profit zu Gewinn und Verlust als Kapital in der Handelsgesellschaft liegen zu lassen. Auch die starke Stellung der Geschäftsführung sollte der Kontinuität des Betriebs dienen, wobei durch das Kollegialitätsprinzip eine gegenseitige Kontrolle verankert wurde, die wohl ebenfalls verhindern sollte, daß zukünftige „Regierer" den Bestand des Unternehmens gefährdeten. Aber reichte dies aus, um die Kontinuität des Betriebs auch über den Tod seiner Gründer hinaus zu sichern? Mit der Stiftung der Grabkapelle bei den Karmelitern von St. Anna trat zum rechtlichen und ökonomischen Zwang und zur gegenseitigen Kontrolle noch der moralische Appell. Die Kapelle wurde als Ort der Memoria der Fuggerschen Handelsgesellschaft konzipiert, jener von der restlichen Verwandtschaft geschiedenen Personen-, Handelsund Vermögensgemeinschaft, die Jakob und seine Brüder 1494 begründet und seit 1502 zu einem Handelsgeschlecht mit agnatischer Erbfolge und herrschaftlicher Struktur umgebaut hatten. Jan Assmann hat Memoria als Ausdruck einer „Ethik des Aneinanderdenkens und Füreinanderhandelns" bezeichnet.238 In der Kapelle bei St. Anna sollten für alle Zukunft die Nachkommen der Stifter derer und ihrer Leistung gedenken, und dieses Gedenken sollte sie anspornen, so zu handeln, daß sie sich des Vermächtnisses der Stifter würdig erweisen würden. Die Memoria in der Grabkapelle sollte also das Ihre dazu beitragen, daß name und stamme der Fugger in Gestalt der männlichen Erben und Nachkommen der Stifter in bestendigern wesen und destbass in und bey dem handel bleiben mögen ...239 Hatte die Memoria in der Fuggerkapelle darüber hinaus auch eine herrschaftslegitimierende Funktion, im Sinne des Diktums „Herrschaft braucht Herkunft"?240 Jakob Strieder hat die Asymmetrie, die in der Fuggerschen Handelsgesellschaft zwischen Geschäftsführung und den restlichen Gesellschaftern herrschte, in starke Worte gebracht: „In der schärfsten Form unter Ausschaltung aller verwandtschaftlichen Gefühle", habe sich Jakob Fugger nach dem Tode seines Bruders Ulrich 1510, „die Untertänigkeit seiner Neffen unter seine absolute Alleinherrschaft" bekräftigen lassen. „Selten hat ein Herrscher einen Kronprinzen so tief gedemütigt, wie dieser König im Reiche des Geldes dies hier seinen Neffen und Nachfolgern gegenüber tat".241 Und Otto Peterka hat betont, daß gegenüber den Regierern die Stellung der anderen Gesellschaf-

Lutz, Rechtliche Struktur (1976), Bd. I, 458^160; vgl. Stromer, Organisation und Struktur deutscher Unternehmungen (1968), sl;Ders., Struktur der Handelsgesellschaften (1968), 154. 238 Assmann, Stein und Zeit (1988), 98. 239 Vertrag 23.12.1502/2, ed. Jansen, Jakob Fugger (1910), 272. 237

240 241

Assmann, Das kulturelle Gedächtnis ( 1997), 71. Strieder, Geschäfts- und Familienpolitik Jakob Fuggers (1938), 199.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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„inhaltlich fast zu der von Handelshilfspersonen" herabgedräckt gewesen sei.242 „Herabgedräckt" daran sei erinnert wurden außerdem die weiblichen Mitglieder der Familie und ihre Nachkommen. Aus vormals vermögensrechtlich gleichberechtigten Mitgliedern der Verwandten-, Haus- und Betriebsgemeinschaft waren nun minderberechtigte „Seitenverwandte" geworden, die sich mit dem Anteil am Familienvermögen zu begnügen hatten, den ihnen das Oberhaupt des wirtschaftlich, rechtlich und symbolisch von der restlichen Verwandtschaft geschiedenen Handelsgeschlechts zuteilte. Wenn die Memoria in der Fuggerkapelle Herrschaft durch Herkunft legitimieren sollte, dann war es die Herrschaft uneingeschränkt waltender „Regierer", denen sich die übrigen Mitglieder der Familie für alle Zukunft fügen sollten. ter

-

242

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Peterka, Gesellschaftsverträge Jakob Fuggers (1913), 405 f.

//. Die

Grabkapelle bei St. Anna

Abbildung 1: FuggerkapeUe, Altar mit Fronleichnamsgruppe und Passionsreliefs

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Abbildung 2: FuggerkapeUe, Altarpredella, Christus in der Vorhölle

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//. Die

Grabkapelle bei St. Anna

Abbildung 3: Tintoretto, Christus in der Vorhölle, S. Cassiano, Venedig

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Erster Teil: Die

Stiftungen Jakob Fuggers



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bis 1521

II. Die

Grabkapelle bei St. Anna

Abbildung 5: Unbekannter Meister, Altarbild, St. Michaelskapelle, Niederolang, Südtirol

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Erster Teil: Die

Stiftungen Jakob Fuggers bis

1521

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77. Die

Grabkapelle bei St. Anna

Abbildung 7: FuggerkapeUe, Epitaph für Ulrich Fugger

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Erster Teil: Die

Abbildung 8: FuggerkapeUe, Epitaphfür Georg Fugger

Stiftungen Jakob Fuggers bis

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77. Die

Grabkapelle bei St. Anna

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Abbildung 9: FuggerkapeUe, Epitaph Georg Fugger (Detail)

Abbildung 10: FuggerkapeUe, Epitaph Georg Fugger (Detail)

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Abbildung 11: Fuggerkapelle, Fußboden

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III. Die Prädikatur bei St. Moritz

1.

Eine Prädikatur wird errichtet

Am 23. Januar 1517 stellte Papst Leo X. auf der Basis einer Supplik, die ihm pro parte dilecti filii Iacobi Fugger civis Augustensis überreicht worden war, eine Bulle aus. Da das Predigtamt von den dortigen Stiftsherren vernachlässigt worden und es deshalb zu Mißhelligkeiten zwischen Kapitel und Pfarrgemeinde gekommen sei, verfügte er, daß ein Kanonikat der Augsburger Stiftskirche St. Moritz, das durch Resignation des Kanonikers Bernhard Arzt erledigt sei, zukünftig stets einem Magister oder Lizentiaten der Theologie oder einem Doktor oder Lizentiaten beider oder eines der Rechte zu übertragen sei. Dieser sollte dann verpflichtet sein, das Predigtamt zu verwalten. Und zwar sollte er immer vormittags an allen Sonn- und Festtagen predigen, am Tag des Mauritiusfestes sowie in der Advents- und Fastenzeit, ohne daß er dafür die Erlaubnis des Kapitels oder des Pfarrvikars brauchte alles nach Anordnung Jakob Fuggers und seiner Erben im Mannesstamm. Diese nämlich sollten in Zukunft das Patronatsrecht auf die nunmehr in ein Predigtamt umgewandelte Chorherrnpfründe innehaben, da Jakob Fugger es durch eine Zustiftung von 50 fl. jährlichen Zinses aufgewertet habe; sollte der Prediger aufgrund seines Amtes ausschließlich mit Predigen und dem dazu nötigen Studium beschäftigt sein, so sollte er trotzdem alle Einkünfte aus seiner Chorherrnpfrände, darunter auch einen Anteil an den Präsenzgeldern der Chorherren, erhalten. Sollte er gezwungen sein, das Predigtamt wegen Alter, Krankheit oder weil er den Pfarrkindern nicht mehr erwünscht sein sollte, aufzugeben, mußte er das Kanonikat resignieren, sollte dafür jedoch eine jährliche Pension von 100 fl. aus den Einkünften desselben bekommen. ' Leo X. errichtete also auf Bitten Jakob Fuggers eine Prädikatur an der Augsburger Pfarr- und Stiftskirche St. Moritz und dotierte diese mit einer der Chorherrnpfründen eben dieser Stiftskirche.2 Gleichzeitig übertrug er Jakob Fugger das Patronatsrecht auf dieses Predigtamt mit der Begründung, dieser habe die Einkünfte des Kanonikats um jährlich 50 fl. gebessert. Eine entsprechende Urkunde stellte Jakob Fugger mit Verspätung am 14. August 1517 aus. Der gegenwärtige Inhaber dieser Prädikatur, Dr. -

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1 FA 80.1, s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34 f., 42 f. (2. Beilage). 2 Eine Geschichte der Stifts- und Pfarrkirche St. Moritz in Augsburg fehlt; vgl. aber Backmund, Die Kollegiat- und Kanonissenstifte (1973), 40^15; Schröder, Stadt Augsburg (1975), 136-138; Jahn, Augsburg Land (1984), 334-343.

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Johannes Speiser, und alle zukünftigen verweser solcher predicatur sollten die 50 Gulden jedes Jahr am St. Michaelstag einnehmen.3 Kann man diesen Vorgang als Stiftung und Jakob Fugger somit als Stifter der Prädikatur bei St. Moritz bezeichnen?4 Der klassischen Definition zufolge entsteht eine Stiftung bekanntlich, indem ein Stifter ein Vermögen zur Verfügung stellt, aus dem dauerhaft ein von ihm bestimmter Zweck erfüllt wird.5 Im Falle der Prädikatur bei St. Moritz, so wie sie Leo X. auf die Bitte Jakob Fuggers hin errichtet hatte, wurde die Erfüllung des Stiftungszwecks jedoch allenfalls zum Teil aus dem Vermögen finanziert, das Jakob Fugger zur Verfügung gestellt hatte. Die eigentliche Dotation der Prädikatur bildete die Chorherrnpfründe der Kirche St. Moritz, deren Einkünfte mehr als das Doppelte der 50 fl. betragen haben müssen, die Jakob Fugger nach Wortlaut der Papstbulle aus eigenem Vermögen stiftete. Dies macht die Pensionsregelung für den Prediger deutlich. Sollte dieser wegen Alter oder Krankheit amtsunfahig werden, dann sollte er weiterhin 100 Gulden jährlich aus den Einkünften der Pfründe bekommen. Jakob Fugger war also streng genommen nur ein „Zustifter" zur Dotation der nunmehrigen Prädikatur. Dennoch hatte er die vollen Stifterrechte: das Patronatsrecht und das mit diesem verbundene Präsentationsrecht.6 Es war also offensichtlich nicht allein die Tatsache, daß er ein bestimmtes Vermögen zur Verfügung stellte, die Jakob Fugger zum Stifter der Prädikatur bei St. Moritz machte. Wodurch aber erwarb er dann den Status des Stifters der Prädikatur? Michael Borgolte hat darauf verwiesen, daß nicht allein ein wirtschaftliches Gut einen Geber zum Stifter machte, sondern ein „interaktiver Prozeß".7 Und damit fallt das Augenmerk auf die weiteren Parteien, die in den Stiftungsprozeß der Prädikatur involviert waren; zuerst auf das Kapitel der Stifts- und Pfarrkirche von St. Moritz in Augsburg. Dieses war davon maßgeblich betroffen. Daß Jakob Fuggers Prädikatur mit einem der Kanonikate von St. Moritz dotiert wurde, bedeutete für das Kapitel von St. Moritz den Verlust der Verfügungsgewalt über eines seiner Kanonikate, und dies bedeutete eine schwere Verletzung eines seiner zentralen Rechte als Genossenschaft: des Rechtes auf Selbstergänzung.8 Doch damit nicht genug. Gänzlich unerwähnt bleibt in der Urkunde, daß mit der Prädikatur nicht nur ein Kanonikat des Stiftes St. Moritz verbunden wurde, sondern daß diesem außerdem noch die dortige Pfarrei, über die bisher ebenfalls 3 FA 4

80.1; s. u., Beilage 5; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 37 mit Anm. 25. Eine moderne Geschichte der spätmittelalterlichen Prädikaturstiftungen fehlt, vgl. Neidiger, Stiftung eigener Predigtpfründen (2002); Machilek, Mitwirkung der Laien (1999); Schmid, Anfänge der Domprädikaturen (1994); Menzel, Predigt und Predigtorganisation (1991), 369-373; Mai, Predigtstiftungen des späten Mittelalters (1968); Rauscher, Prädikaturen in Württemberg (1908); so-

wie zuletzt die Fallstudie von Scheller, Streit um die Vöhlinsche Prädikatur (2000). 5 Borgolte, „Totale Geschichte" ( 1993), 8. 6 Zum Patronatsrecht vgl. Landau, lus Patronatus 1975; Ders., Art. Patronat (1996); Sieglerschmidt, Territorialstaat und Kirchenregiment (1987), 99; vgl. auch Leisching, Art. Patronatsrecht (1984); Puza, Art. Patronat, -srecht: Westen ( 1993); Schulze, Art. Stiftungsrecht (1990). 7 Borgolte, Rolle des Stifters ( 1985), 109. 8 Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (1972), 317; vgl. Wagner, Universsitätsstift und Kollegium

(1999), 32.

///. Die Prädikatur bei St. Moritz

103

das Kapitel von St. Moritz verfügt hatte, inkorporiert wurde. Denn auch dies hatte Papst Leo X. Jakob Fugger zugestanden, wie eine Bulle beweist, die ebenfalls am 23. Januar 1517 ausgegangen war.9 Mit der Errichtung der Prädikatur bei St. Moritz wurde die Stellung des dortigen Stiftskapitels also schwer beschädigt. Und es verwundert daher nicht, daß es alles versuchte, um die Errichtung der Prädikatur zu verhindern. Die Folge war ein konfliktträchtiger Stiftungsprozeß, dessen Nachzeichnung für die Beantwortung der Frage, wie Jakob Fugger der Status des Stifters zuwuchs, von entscheidender Bedeutung ist, und der das sei hier bereits erwähnt mit der Ausstellung der Bulle über die Errichtung der Prädikatur durch Leo X. am 23. Januar 1517 noch nicht beendet war. Neben dem Stifter und den von ihm Geschädigten erscheint in der Bulle über die Errichtung der Prädikatur am Rande noch eine beteiligte Partei: die Pfarrgemeinde von St. Moritz. Als ein Motiv für die Prädikaturstiftung werden Unstimmigkeiten zwischen Pfarrgemeinde und Stiftskapitel genannt, die wegen der Vernachlässigung der Predigt durch letzteres entstanden seien. Und bei den Gründen, aus denen ein Prädikant genötigt sein könnte, auf sein Amt zu verzichten, wird neben Alter und Krankheit auch erwähnt, daß er der Pfarrgemeinde nicht mehr genehm sein könnte. Offensichtlich war das Projekt einer Prädikaturstiftung also aus einem Konflikt zwischen dem Stiftskapitel und der Pfarrgemeinde erwachsen, und dies fand seinen Niederschlag auch darin, daß die Inhaber der Prädikatur der Pfarrgemeinde erwünscht sein sollten. Dieser Konflikt wiederum stand in der Tradition älterer Auseinandersetzungen zwischen Gemeinde und Stiftskirche und wurde etwa von Jakob Fugger im Verlauf des Konflikts mit dem Kapitel auch immer wieder als dessen logische Fortsetzung dargestellt; eine Auffassung, in der ihm die historische Forschung gefolgt ist.10 Um zu klären, wie Jakob Fugger den Status des Stifters der Prädikatur erwarb, welche anderen Parteien dabei wie beteiligt waren und wie sich der Stiftungsvollzug gestaltete, der das Ergebnis eines konflikthaften Stiftungsprozesses bildete, soll im folgenden zunächst die Vorgeschichte des Konflikts um die Stiftung der Prädikatur geschildert werden. Im Anschluß daran soll zunächst die Auseinandersetzung zwischen Jakob Fugger und dem Kapitel von St. Moritz untersucht werden, bevor der Anteil der Pfarrgemeinde bestimmt wird. Die Analyse des Geschehens wird die Prädikatur bei St. Moritz als einen stiftungsgeschichtlichen Sonderfall erweisen, dessen spezifische Konstruktion für die weitere Geschichte der Pfarrei St. Moritz während der Reformation gravierende Folgen hatte. -

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9 FA 80.1 ; Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz ( 1892), 35. 10 Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 302-305; Immenkötter, Augsburger Pfarrzechen als Träger der Kirchenreform (1990); vgl. auch Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34; Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 368 f.

104

2.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Zeche und Kapitel im Konflikt, oder: Herrschaft gegen Genossenschaft zum ersten

Wenige Jahre bevor Jakob Fugger daran ging, eine Predigerstelle mit einem Kanonikat der Stiftskirche St. Moritz und der dortigen Pfarrei verbinden zu lassen, wurde die Pfar-

rei St. Moritz schon einmal von einem Konflikt erschüttert. In diesem standen sich das Stiftskapitel und die Pfarrgemeinde, vertreten durch ihre Pfarrzeche, gegenüber." Auf den ersten Blick stritten hier also zwei Genossenschaften miteinander. Tatsächlich jedoch war der Streit zwischen Stiftskapitel und Pfarrgemeinde ein Konflikt von Herrschaft und Genossenschaft. Waren doch in Augsburg die Pfarreien ursprünglich in typischer Weise in eine herrschaftliche Struktur integriert. Alle Pfarreien, mit Ausnahme der Heilig.-Geist-Pfarrei, waren einer Stiftskirche, darunter auch das Domstift, oder einem Kloster inkorporiert.12 Die für die Pfarrseelsorge zuständigen Leutpriester wurden daher von den Stiften und Klöstern bestellt; in der Dompfarrei vom dortigen Kapitel, bei den Klöstern vom jeweiligen Abt bzw. der jeweiligen Äbtissin, bei den Stiften St. Georg, Heilig Kreuz und auch St. Moritz vom jeweiligen Propst. Dieser herrschaftlichen Struktur der Pfarreien traten jedoch seit dem späten 13. Jahrhundert zunehmend Genossenschaften der Pfarreiangehörigen gegenüber, die sich bis zur zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in allen Pfarreien der Stadt etablierten: die Zechen. Als erste in Augsburg ist zum Jahr 1284 die Zeche der Pfarrei St. Ulrich, bereits vier Jahre später, 1288, ist auch eine Zeche bei St. Moritz belegt. Diese war somit die Zweitälteste in Augsburg.13 Ihre Aufgabe hatten die Zechen zunächst in der Verwaltung von Vermögen, das zu Stiftungszwecken an die Pfarrkirchen floß und das von den Einkünften geschieden werden sollte, die zum Unterhalt des Pfarrers dienten.14 Im Verlauf des 15. Jahrhunderts zogen die Zechen dann mehr und mehr Kompetenzen an sich. Die Zeche von St. Moritz ergriff 1412 zusammen mit der Pfarrgemeinde die Initiative zur Erweiterung des Friedhofs. Sie erwarben ein Grundstück samt Haus und Hof und tauschten es gegen ein anderes, das neben dem Kirchhof lag und dem Kapitel gehörte. Dieses wurde dann verwendet, um den Friedhof zu vergrößern. In Zukunft trag die Zeche die Kosten für den Friedhof und bezahlte den Totengräber. 1466 regelten Kapitel und Zeche erstmals gemeinsam die Schulangelegenheiten.15 Daß die Zeche ihre Kompetenzen sukzessive erweiterte, stieß seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auf faßbaren Widerstand des Kapitels. Das Resultat waren Streitigkeiten, die auf verschiedenen gerichtlichen und außergerichtlichen Ebenen ausgetragen wurden.16 Besonders scharf mußte ein Konflikt dann verlaufen, wenn die Zechen versuch-

Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 111-113. 12 Immenkötter, Augsburger Pfarrzechen als Träger der Kirchenreform ( 1990), 304. 13 Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche ( 1971 ), 102. 11

Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 103; vgl. Schröcker, Kirchenpflegschaft (1934), 93. 15 Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 108 f.; Immenkötter, Augsburger Pfarrzechen als Träger der Kirchenreform (1990), 309. 16 ATie/S/wg, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 110 f. 14

777. Die Prädikatur bei St. Moritz

105

ten, bestimmenden Einfluß auf das seelsorgerische Kerngeschäft der Pfarreien, Messe und Predigt, zu gewinnen, das heißt, wenn sie versuchten, die Anstellung des hierfür zuständigen Personals in die eigene Hand zu nehmen.17 Im Jahr 1511 war es in der Pfar-

rei von St. Moritz soweit. Bereits 1456/57 und dann wieder 1468/70 waren unter den regelmäßigen Ausgaben der Zeche Löhne für einen Mesner erschienen, so daß man vermuten kann, daß die Zeche schon seit Mitte des 15. Jahrhunderts in irgendeiner Form an der Bestellung des Mesners beteiligt war.18 Als sie jedoch 1511 selbständig einen Mesner bestellte, traf dies auf den erbitterten Widerstand des Stiftskapitels. Die Folge war mit den Worten eines Zeitgenossen ain vergiffter handel wie man ihn langer zeitt in Augsburg nit gesehen noch gespürtt hatte.19 Da sich Dekan und Kapitel offensichtlich geweigert hatten, dem Mesner die Kirchenschlüssel auszuhändigen, ließ die Zeche sie dazu durch den Rat auffordern. Dekan und Kapitel betrachteten dies als einen Akt der Unterwerfung und lehnten ab. Gleichzeitig machten sie geltend, daß der Mesner auch Angestellter des Stifts sei. Deshalb sei es ihre Befugnis, ihn aufzunehmen. Ein erster Schlichtungsversuch, bei dem auch Jakob Fugger zu den Vertretern der Zeche gehörte, schlug fehl, worauf die Auseinandersetzung eskalierte. Die Zeche begann ihrem Mesner ein „Schlafhäuslein" auf dem Kirchhof zu bauen, ohne die Erlaubnis des Kapitels einzuholen. Die Pfarrgemeinde trat in einen „Opferstreik"; das heißt, sie zog Opfergaben und Lichterstiftungen von der Kirche St. Moritz ab und wandte sie anderen Kirchen zu. Daß der Pfarrer Hans Fischer, der im Jahr zuvor bestallt worden war, nach Meinung der Pfarrgemeinde außerdem die Stolgebühren willkürlich festsetzte, trug ebenfalls nicht zur Deeskalation bei. Eine Einigung bezüglich der Gebühren stellte folgerichtig einen ersten Schritt in Richtung einer gütlichen Lösung des Streits zwischen Kapitel und Zeche dar. Am 19. Dezember 1511 konnte vor Bischof, Domkapitel und Rat, die alle mäßigend auf die beiden streitbefangenen Parteien eingewirkt hatten, schließlich ein Vertrag auf der Grundlage eines Vergleichs geschlossen werden. Beide Parteien sollten in Zukunft einen Mesner bestellen. Die Zeche sollte alle Gerechtsame der Pfarrei verwalten. Darin eingeschlossen waren Besoldung, Einsetzungs- und Entlassungsrecht des Pfarrmesners. Beide Mesner sollten jeweils der Gegenseite schwören, sie in ihren Rechten nicht zu beeinträchtigen. Die Gefälle der Pfarrei wurden so aufgeteilt, „daß alle im Chor und durch die Chorgeistlichkeit und ihr Gesinde fallenden Gelder sowie die Reichnisse der Geistlichen um die Jahreswende an den Stiftsmesner, die übrigen Gefälle, insbesondere aus den Pfarrgottesdiensten, und die Reichnisse der Laien der Pfarrmesner erhielt".20 Als Ausgleich für die größeren Einnahmen gab die Zeche dem Stift 240 fl., die angelegt werden sollten, so daß die Zinsen die Einkünfte des Stiftsmesners verbessern würden. Die Zeche erhielt die Schlüssel zu Kirche, Kreuzgang und Truhe. Das „Schlafhäuslein" des Mesners auf dem Kirchhof wurde legalisiert, doch mit

17 Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche ( 1971 ), 119. 18 A:íe/?/íMg,BürgerlicheGesellschaftundKirche(1971), 108 f. 19 Zitat nach Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 111. 20 Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 113.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

106

der Einschränkung, daß dadurch keine Freiheiten beeinträchtigt werden dürften.21 Mit diesem Kompromiß war das Gleichgewicht zwischen Stiftskapitel und Zeche in den Pfarrangelegenheiten wieder hergestellt. Dieses Gleichgewicht blieb jedoch prekär, denn die Pfarrgemeinde war weiterhin unzufrieden mit der Amtsführung des Pfarrers Fischer. Vor allem, daß Fischer die Predigt vernachlässigte, war der Pfarrgemeinde ein Dorn im Auge. Noch einmal gelang es Bischof und Domkapitel, ein Abkommen zwischen dem Stift St. Moritz und der Pfarrgemeinde zu vermitteln. Die Gemeinde durfte selbst einen Prediger bestimmen und berief 1511 den Basler Kanoniker Dr. Johannes Speiser.22 Das Kapitel überließ ihm die kommissarische Verwaltung der Pfarrei, während der Kanoniker Johannes Fischer eigentlicher Vikar der Pfarrei blieb. Bezahlt wurde der Prediger von der Pfarrgemeinde, die hierzu jährlich 100 fl. aufbrachte.23 Dieses Abkommen zwischen Kapitel und Pfarrgemeinde war allerdings auf vier Jahre befristet. Nachdem diese vier Jahre verstrichen waren, wollte die Pfarrgemeinde, daß Johannes Speiser auch in Zukunft Predigtamt und Pfarrei versehen sollte. Dabei stieß sie jedoch auf den Widerstand des Kapitels von St. Moritz. Der Schilderung der Ereignisse zufolge, die Jakob Fugger 1518 dem päpstlichen Legaten Cajetan und dem Kaiser gab, hatten die Chorherren Speiser die Predigt nach Ablauf der vier Jahre verboten und die Pfarrei von „Tagelöhnern" verwalten lassen. Später erlaubten sie ihm zwar wieder zu predigen, allerdings nur nachmittags, so daß die meisten Pfarreiangehörigen die Predigt nicht hören konnten.24 Dies war die Lage, als der Plan entstand, eine Prädikatur zu errichten und diese mit einem Kanonikat und der Pfarrei zu verbinden.

3.

Das Kapitel gegen Jakob Fugger, oder: Herrschaft gegen Genossenschaft zum zweiten

Am 23. März 1515 wurde durch Jakob Fugger an der Kurie eine erste Supplikation im Namen der Pfarrgemeinde von St. Moritz vorgebracht.25 Das Kanonikat Bernhard Arzts, Chorherr bei St. Moritz, möge in Zukunft einem Doktor der Theologie oder einem Lizentiaten der Rechte verliehen und mit dem Predigtamt verbunden werden. Gleichzeitig 21 22 23

24

Kießling, Bürgerliche GeseUschaft und Kirche (1971), 111-113; vgl. Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 267; Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 33 f. FA 80.3.1, lr.; Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 33 f., behauptet in Unkenntnis dieser Quelle, Speiser sei 1512 nach Augsburg gekommen. FA 5.2.1a; dies berichtet Jakob Fugger im Juli 1518 dem päpstlichen Legaten Cajetan. Auch hier ist Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34, zu korrigieren, der behauptet, die Pfarrgemeinde habe Speiserjährlich 1000 fl. bezahlt. FA 5.2.1a; undatierte Konzepte bzw. Kopien (Juli 1518); vgl. Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 385 f.

25

Original in FA 5.2.1a; Kopien in FA 5.1.6 und 5.1.7 sowie in StAA KWA B 74; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 303; vgl. auch Zoepfel, Bistum Augsburg (1969), 158-161.

III. Die Prädikatur bei St. Moritz

107

bot Jakob Fugger an, die Einkünfte dieses Kanonikats um 50 fl. jährlich zu mehren, damit er und seine Erben ex vera fundatione et dotatione auf ewige Zeiten den Patronat auf die nunmehrige Predigerpfründe innehaben sollten. Bernhard Arzt war ein Schwager Jakob Fuggers. Er hatte das Kanonikat 1511 erlangt und resignierte es im Mai 1516

in die Hände des Papstes.26 Das Kapitel hatte mittlerweile allerdings von Fuggers Plänen erfahren und ergriff Maßnahmen, mit denen es die „feindliche Übernahme" des Kanonikats verhindern wollte. Am 20. Juni 1516 versammelte der Dekan Bartholomäus Ridler die Kapitulare und zwei Kanoniker, die nicht dem Kapitel angehörten. Gemeinsam beschworen sie ein Statut. Keiner der Kanoniker dürfe zustimmen, daß das Patronatsrecht auf sein Kanonikat an einen Laien übertragen oder daß sein Kanonikat mit einer predicatura erigenda vereinigt werde. Wenn er diesbezüglich eine Verfügung des Papstes erhalten sollte, werde er sie nicht anwenden. Außerdem dürfe der Pleban seine Pfarrei weder resignieren, permutieren oder sonst auf irgendeine Weise aufgeben und so dazu beitragen, daß diese Pfarrei einem anderen Kanonikat oder einer Pfarrei inkorporiert würde.27 Drei Tage später nahm das Kapitel Johannes Speiser als Kanonikus auf. Gleichzeitig ernannte ihn das Kapitel zum vicarius provisor der parrochialis ecclesia. Hierbei mußte Speiser sich auch dem Statut vom 20. Juni unterwerfen.28 Es ist offensichtlich, daß die Bestimmungen des Statuts sich direkt gegen die Pläne Jakob Fuggers richteten, der das Kanonikat Bernhard Arzts mit einer Prädikatur verbinden und auf dieses das Patronatsrecht erwerben und ausüben wollte. Deshalb erstaunt es zunächst, daß ausgerechnet Fugger für Speiser die Gebühr bezahlte, die fällig wurde, wenn ein Kanoniker bei St. Moritz seine Pfründe in Besitz nahm. Bis zum 4. Juni 1517 zahlte die Fuggersche Handelsgesellschaft Speiser außerdem quartalsweise seine Bezüge, wobei er in der Abrechnung als pfarrer zu SantMaurizen bezeichnet wird.29 Daß Speiser die Pfründe Bernhard Arzts in Besitz nahm, geschah also offensichtlich mit Zustimmung Jakob Fuggers.30 Gegenüber dem Kaiser sollte er zwei Jahre später berichten, er habe diesbezüglich mit dem Kapitel verhandelt. Dabei sei er davon ausgegangen, daß dieses seinem neuen Chorbruder die Predigt und die Pfarrei anvertrauen würde. Statt dessen aber hätte Speiser wegen seines Eides zu predigen aufhören müs-

26 Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz ( 1892), 34. 27 StAA KWA B 74; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 303. 28 StAA Kirchen und Klöster: St. Moritz I6 und I7; KWA B 74; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34 mit Anm. 14. 29 FA 5.2.1a; Konto der Prädikatur vom 28.2.1519. Die Gebühren bei Einnahme der possess betrugen 47 Gulden, von denen 15 an die chorales der Kirche gingen und der Rest an die Kirchenfabrik; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 41 (1.

Beilage).

30 Auf Betreiben Jakob Fuggers hatte am 14.6.1516 Christoph von Stadion das Kanonikat verliehen bekommen. Noch bevor die Urkunde darüber ausgestellt war, resignierte er es bereits wieder. Ersteres war nötig, um eine anderweitige Verleihung des Kanonikats zu verhindern, das Bernhard Arzt vor über einem Monat in die Hände des Papstes resigniert hatte. Letzteres wohl, um es für eine Vergabe an Speiser frei zu machen; vgl. FA 5.2. la. u. 80.1, s. u., Beilage 4.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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Pfarrgemeinde mit großem Ärger aufgenommen worden wäre, auch Speiser später zumindest gestattet hätte, nachmittags zu predigen.31 Jakob Fugger hatte also einerseits beim Papst suppliziert, das Kanonikat Bernhard

sen,

was

in der

wenn man

Arzts möge mit einer Prädikatur verbunden und das Patronatsrecht auf ihn und seine Erben übertragen werden. Parallel dazu hatte er mit dem Kapitel verhandelt. Dabei jedoch hatten ihn dieses und sein Kandidat für die Prädikatur vorerst einmal düpiert. Zwar erhielt Johannes Speiser das Kanonikat. Doch nur unter der Bedingung, keines-

falls zuzustimmen, daß das Patronatsrecht auf sein Kanonikat an einen Laien übertragen oder daß sein Kanonikat mit einer Prädikatur, die noch aufgerichtet werden würde, vereinigt werde. Damit war den Plänen Fuggers, der Predigttätigkeit Speisers, der bei der Gemeinde sehr beliebt war, einen institutionellen Rahmen zu geben, vorerst ein Riegel vorgeschoben. Statt dessen kam diese nun sogar ganz zum Erliegen. Der vorläufige Erfolg der Kapitelherren von St. Moritz hatte allerdings eine Achillesferse: Die Verleihung des Kanonikats verstieß gegen das Kirchenrecht. Da Bernhard Arzt es in die Hände des Papstes resigniert hatte, stand diesem die Verleihung zu und nicht dem Ka-

pitel.32

Am 5. Oktober 1516 verlieh Papst Leo X. das Kanonikat auf Ersuchen Jakob Fuggers an einen Heinrich Vittel, am 24. Oktober an Johannes Zink und am 12. Dezember an Hektor Mülich.33 Aus Schreiben Fuggers an seinen Neffen Ulrich d. J., der zu diesem Zeitpunkt zur Vertretung der Fugger in Rom gehörte, und an Johannes Zink geht eindeutig hervor, daß diese Verleihungen den Zweck hatten, durch die Besetzung mit „Strohmännern" eine anderweitige Vergabe des Kanonikats solange zu verhindern, bis Fugger glaubte, seine Pläne umsetzen zu können. Gleichzeitig machen sie deutlich, wie konspirativ er dabei vorging. Seinem Neffen trägt Jakob Fugger am 16. September 1516 auf, einen Prokurator zu nehmen und das Kanonikat ad manus fidèles stellen zu lassen. Dafür habe er an Heinrich Vittel gedacht, dass mir die prunndpey dem Vitl gewiss sind. Danach sollte durch neue Prokuratoren, die von der vorigen übergab kain wissen haben, das Kanonikat auf Johannes Zink übertragen werden. Dieser wiederum solle es dann gsentieren unnd übergeben zu ainer praedicatur?4 Am 23. Januar 1517 wurden schließlich die entsprechenden Bullen für Jakob Fugger ausgefertigt. Zu den bereits erwähnten Bullen über die Errichtung der Prädikatur bzw. die Vereinigung derselben mit der Pfarrei bei St. Moritz trat dabei außerdem ein perinde valere, das die Gültigkeit der Verfügungen, die in den beiden anderen Bullen zugunsten Jakob Fuggers getroffen worden waren, unter allen Umständen garantierte und gegen den Vorwurf der Subreption immunisierte.35 Dies war auch nötig wie sich noch zeigen wird. -

31

32 33 34 35

FA 5.2.1a; Brief Jakob Fuggers an Kaiser Maximilian (zwischen 26.9.1517 und 13.1.1518); zur Datierung vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38 mit Anm. 32; vgl. auch Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 386. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz ( 1892), 34 mit Anm. 15. Originalsuppliken vom 5.10., 24.10. sowie 12.11.1516 in FA 5.2.1a; Kopien in FA 5.1.6 und 5.1.7; vgl. FA 80.1, s. u., Beilage 4. FA 5.2.1a; Schreiben vom 16.9.1516; vgl Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34. FA 80.1; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34 f.

777. Die Prädikatur bei St. Moritz

109

Das Kapitel hatte sich in der Zwischenzeit ebenfalls nach Rom gewandt, um dort für sich günstige Bullen zu erwirken. Dem Plan Jakob Fuggers, den Patronat auf eines ihrer Kanonikate zu erwerben und dieses gleichzeitig mit einer Prädikatur und der Pfarrei von St. Moritz zu vereinen, begegneten die Stiftsherren, indem sie nun ihrerseits versuchten, die Pfarrvikarie in die mensa capitularis inkorporieren zu lassen und so die Besetzung dem Kapitel zu sichern. Gegenüber der Kurie begründeten sie dies damit, daß sich so Störungen vermeiden ließen, die daraus resultierten, daß die Kirche von St. Moritz sowohl Stiftskirche als auch Pfarrkirche sei. Da das Kapitel im Verlauf des Konflikts mehrfach betonte, daß es zu den Gewohnheiten und dem Herkommen des Stifts St. Moritz gehörte, die Pfründen samt der zugehörigen Pfarrei durch das Kapitel capelariter zu verleihen, muß man hierin wohl den Versuch sehen, „Gewohnheit und Herkommen" zusätzlich durch päpstliches Privileg abzusichern.36 Am 24. Juli 1517 erging die entsprechende Bulle.37 Damit hatten sich beide Parteien für den „Krieg", so hatte Jakob Fugger den Streit mit dem Stift St. Moritz bezeichnet, gerüstet.38 Am 21. August 1517, gut anderthalb Jahre, nachdem er die ersten Schritte unternommen hatte, eröffnete Jakob Fugger sozusagen die Schlacht. Doch dabei handelte er sich nochmals eine Niederlage ein. Es sollte allerdings die letzte sein. Am 21. August 1517 insinuierte der Notar Oswald Werntz dem Kapitel von St. Moritz vier Urkunden: zum einen die päpstlichen Bullen über die Errichtung der Prädikatur und die Verbindung derselben mit einem Kanonikat, auf das fortan Jakob Fugger bzw. dessen Erben das Patronatsrecht besitzen sollten sowie über die Verbindung derselben mit der Pfarrei von St. Moritz. Hinzu traten noch die Urkunde über die Stiftung von 50 fl. jährlichen Zinses sowie eine Präsentationsurkunde Jakob Fuggers für Speiser auf das Kanonikat, das Bernhard Arzt resigniert hatte.39 Speiser jedoch berief sich auf seinen Eid und lehnte die Präsentation ab. Zwar hatte die Bulle über die Übertragung des Patronatsrechts auf das Kanonikat die Klausel enthalten non obstantibus (...) dicte ecclesie Sancti Mauritii iuramento, confirmatione apostólica vel statutis et consuetudinibus ...; Speiser jedoch meinte, seinen Eid nicht brechen.40 Wahrscheinlich fürchtete er die soziale Ächtung des Kapitels, die ihm als demjenigen drohte, der die Statuten der Genossenschaft verletzte. Das Kapitel legte wegen Verletzung seines Rechts, frei über die Pfarrvikarie zu verfügen, das ihm der Papst gerade erst eingeräumt hatte, Berufung nach Rom ein. Dieser Appellation gab die Kurie statt. Die Entscheidung wurde dem palatii apostolici causarum auditor Nikolaus von Arrezzo übertragen, der am 20. September

quavis firmitate alia roboratis

seiner eernhalber könne

er

36 FA 5.2.1a; Kopie der Klage des Kapitels von St. Moritz vor dem Rat der Stadt Augsburg vom 26.9.1517. 37 StAA Kirchen und Klöster: St. Moritz I8; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 37. 38 FA 5.2.1a; Schreiben an den Fugger-Faktor in Rom, Johannes Zink, vom 28.2.1517; vgl. auch Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 372. 39 StAA Kirchen und Klöster: St. Moritz I9; Kopien in FA 5.2.1a; 5.1.6; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 37; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 303. 40 FA 80.1; s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 37; StAA Kirchen und Klöster: St. Moritz I6.

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Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

an beide Parteien erließ.41 Damit hatte das Kapitel den Angriff Jakob auf seine Autonomie als Genossenschaft ein zweites Mal abgewehrt. Dies Fuggers sollte aber nur ein vorübergehender Erfolg bleiben. Während das Verfahren in Rom schwebte, bemühten sich beide Parteien um einflußreiche Gönner, zwecks Förderung ihrer Sache. Das Kapitel bat zunächst den Bischof von Augsburg um Hilfe. Der Bischof möge es mit Rat und Tat unterstützen und ihm erlauben, daß es den Streit vor den Rat der Stadt Augsburg brächte.42 Christoph von Stadion, der mittlerweile Bischof geworden war, war einverstanden, und am 26. September 1517 legten Vertreter des Kapitels von St. Moritz, unterstützt durch drei Kanoniker des Domstifts, dem Rat ihre Position dar. Jakob Fugger verantwortete sich daraufhin vor dem Rat.43 Ein Dekret, mit dem sich der Rat auf die Seite einer der Parteien gestellt hätte, erging jedoch nicht. Zu Beginn des Jahres 1518 wandte sich das Kapitel von St. Moritz dann an die Herzöge von Bayern. Die Kanoniker erinnerten diese daran, daß die Stiftskirche dereinst von ihren Vorfahren gestiftet worden sei und nahmen sie somit als Patrone in die Pflicht.44 Die Herzöge von Bayern verwandten sich daraufhin tatsächlich für das Kapitel und forderten Jakob Fugger auf, seine Sache in Rom solange nicht mehr zu verfolgen, bis sie zum bevorstehenden Reichstag persönlich nach Augsburg kämen. Dort wolle man dann eine gütliche Lösung suchen.45 Jakob Fugger ging hierauf jedoch nicht ein. Er antwortete zunächst überhaupt nicht. Erst als ihm die Herzöge durch Ulrich Arzt nochmals schrieben, wies er die Vorwürfe des Kapitels zurück und riet den Herzögen, lieber ihn in seinem Gott gefalligen Projekt, als die Kapitelherren in ihrem „Eigennutz" zu unterstützen.46 Einen starken Kontrast zu dem selbstbewußten Ton, den Fugger gegenüber dem bayerischen Herzog anschlug, bilden seine gleichzeitigen Klageworte, die er intern an seinen Neffen Anton richtete, der seit Februar 1518 die Fugger in Rom vertrat. Sie offenbaren, daß Jakob Fugger zu diesem Zeitpunkt ein Scheitern des Projekts für möglich hielt. Spotlich oder schimpflich drohte ihm der Handel mit den Kapitelherren zu werden. So beschwerte er sich in einem Brief vom 22. März 1518. Außerdem klagte er darüber, daß ihn in Augsburg in der Angelegenheit niemand mehr beraten wolle. Fugger sah sich im Streit mit dem Kapitel von St. Moritz in seiner Heimatstadt offensichtlich isoliert. Um so mehr bedrängte er seinen Neffen, dieser solle sich zusammen mit

1517 die Zitation

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42 43 44

45 46

StAA Kirchen und Klöster: St. Moritz I11; Kopien in FA 5.2.1a; 5.1.6; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 37; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 305; Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 368 f. StAA KWA B 75; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 305. FA 5.2.1a; Kopien der Verhandlung vor dem Rat; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38; Kießling, Burgerüche Gesellschaft und Kirche (1971), 305. StAA Archiv des Historischen Vereins H 240; mehrere undatierte Schreiben (ca. Februar 1518); FA 5.2.1a; Kopie eines undatierten Schreibens; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38,35 mit Anm. 21. FA 5.2.1a; Schreiben vom 23.3.1518; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38. FA 5.2.1a; Schreiben vom 18.4.1518; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38; Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 387.

111

///. Die Prädikatur bei St. Moritz

Fuggerschen Faktor und Kurialen, Johannes Zink, eine Audienz bei Leo X. verschaffen, um dem Papst persönlich noch einmal das Anliegen nahezubringen.47 Diese Audienz erlangte Anton Fugger Ende April, und am 23. Juni 1518 erging in Rom dem

schließlich ein päpstliches Breve, das den Rechtsstreit, der noch gar nicht ausgetragen worden war, für beendet erklärte und dem Kapitel perpetuum silentium auferlegte. Die Verfügungen, die Jakob Fugger in Rom erlangt hatte, erhielten damit Rechtskraft.48 Das Kapitel appellierte nun zwar noch an den Kaiser und an die Stände des Reichs. Sie sollten Fugger dazu veranlassen, die Bullen herauszugeben. Doch auch hiermit hatten sie keinen Erfolg.49 Den Ausschlag zugunsten Jakob Fuggers so sah dieser es zumindest selbst hatte die Intervention Maximilians I. gegeben.50 Fugger war es bereits im Herbst 1517 gelungen, den Kaiser als Förderer seiner Sache zu gewinnen. Auf ein Schreiben Fuggers hin hatte dieser seinen Orator an der Kurie angewiesen, sich für den Handelsherrn zu verwenden. Gleichzeitig bat Maximilian den Erzbischof von Mainz, also den Metropoliten jener Erzdiözese, zu der das Bistum Augsburg gehörte, nichts in der Angelegenheit zu unternehmen, ohne daß er davon erführe.51 Probleme bereitete Fugger jetzt nur noch sein Kandidat für die Prädikatur. Johannes Speiser weigerte sich weiterhin beharrlich, eine Präsentation anzunehmen.52 Dies um so mehr, als er auf Wegen, die nicht ganz klar zu erkennen sind Fugger stellte sie gegenüber dem päpstlichen Legaten Cajetan als Resultat von Umtrieben seiner Gegner dar zum Weihbischof an der Domkirche von Konstanz ernannt worden war.53 Jakob Fugger sah sich nun erst einmal genötigt, sich nach einem anderen Geistlichen umzusehen, der sich auf die Prädikatur präsentieren lassen würde. Diesen fand er schließlich in der Person des Ingolstädter Professors Johannes Eck, der ein Jahr später als schärfster Widersacher Martin Luthers berühmt werden sollte.54 Noch bevor das Verfahren in Rom zugunsten Jakob Fuggers entschieden war, ließ Eck sich im März 1518 auf das Kanonikat präsentieren, was das Kapitel zu diesem Zeitpunkt unter Hinweis auf das schwe-

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5.2.1a; Schreiben vom 22.3.1518; Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 387; Ders., Anton Fugger 1(1958), 43 f. FA 80.1; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38 f.; Pölnitz, Jakob Fugger H (1951), 387; Ders., Anton Fugger 1 (1958), 48 f. FA 5.2.1a; Undatierte Abschriften der Appellation des Kapitels sowie der Erwiderung Jakob Fuggers hierauf (Ende Juli/Anfang August 1518 bzw. Ende August/September); vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 39. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38 f. FA 5.2.1a; Schreiben Jakob Fuggers an Kaiser Maximilian I (zwischen 26.9.1517 und 13.1.1518);

47 FA 48

49

50 51

vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38. 52 FA 5.2.1a; Befragungen Speisers vom 9.10.1517 und vom 13.1.1518; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 39. 53 FA 5.2.1a; undatiertes Protokoll eines Gesprächs mit dem päpstlichen Legaten; zur Ernennung Speisers zum Konstanzer Weihbischof vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 38. 54 Zu Eck vgl. Pölnitz, Beziehungen des Johannes Eck (1940); Iserloh, Johannes Eck (1981); Tewes, Luthergegner (1995), 259; Wurm, Eck und der oberdeutsche Zinsstreit (1997), v. a. 210-213.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

112

bende Verfahren zurückwies.55 Eine zweite Präsentation am 25. Juli 1518 nahm das Kapitel unter Protest hin. Nur aus Furcht vor den angedrohten Strafen das päpstliche Breve vom Juni hatte ihnen mit Pfrändenverlust gedroht und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, wollten die Kanoniker dem Papst gehorchen, an den sie nichtsdestotrotz noch einmal appellierten. Eck hatte das Kanonikat allerdings noch keine drei Wochen in Besitz, als er es schon wieder aufgab. Am 15. August 1518 ernannte er die Prokuratoren, die in seinem Namen Kanonikat, Pfarrei und Prädikatur resignieren sollten.56 Mittlerweile nämlich hatte sich in der Pfarrgemeinde von St. Moritz Widerstand dagegen geregt, daß ein anderer als Speiser die Prädikatur übernehmen sollte. Jakob Fugger ergriff daraufhin Maßnahmen, um zu verhindern, daß Speiser Weihbischof in Konstanz würde. Dies geht aus den Protokollen eines Prozesses hervor, den Speiser über zehn Jahre später, im Jahr 1529, vor dem Gericht des Burggrafen von Augsburg gegen die Erben Jakob Fuggers wegen nicht erhaltener Lohnzahlungen anstrengte. Vor Gericht wurden dabei von Speiser und von einer Reihe von Zeugen auch verschiedene Etappen der Entstehungsgeschichte der Prädikatur geschildert. Georg Vittel, wahrscheinlich ein Verwandter jenes Heinrich Vittel, der kurzzeitig das Kanonikat übertragen bekommen hatte, sagte aus, er wisse, daß Jakob Fugger in der sach (alls herr Johann Speyser weichbischof zu Costenz worden sey) auf anhallten ettlicher aus der pfarrmenning zu SantMauritzen allhie zu Augspurg bey kayserlicher maiestet und annderswo sich vil bemuet bis er ine daselbs widerumb erledigt hob, das er prediger alhie belyben?1 Speiser selbst gab zu Protokoll, daß er, nachdem er sieben oder acht Jahre in Augsburg gewesen sei Speiser war 1511 in die Reichsstadt gekommen habe wegziehen wollen. Jakob Fugger jedoch habe dies verhindert, indem er von Kaiser Maximilian ein arrestarius erwirkt und ihn arrestiert habe.58 Es erscheint nachvollziehbar, daß Speiser an einer Alternative zur Übernahme der Prädikatur samt Kanonikat, die ihn in Gegensatz zum Kapitel von St. Moritz bringen mußte, durchaus interessiert war. Jakob Fugger jedoch verhinderte auf Drängen der Pfarrgemeinde, daß Speiser Weihbischof in Konstanz werden konnte, indem er auch hierbei seine Beziehungen zum Kaiser spielen ließ. Dies beeindruckte Speiser offensichtlich so sehr, daß er seinen Widerstand gegen eine Präsentation auf das Kanonikat und der damit verbundenen Prädikatur samt Pfarrei aufgab. Vielleicht wurde dies für ihn dadurch einfacher, daß Fugger bei der Resignation Ecks, zu der er seine Zustimmung gegeben hatte, auf sein Präsentationsrecht ausnahmsweise verzichtete und dem Papst anheimstellte, Speiser auf das Kanonikat zu präsentieren.59 Auch das Kapitel leistete nun keinen Widerstand mehr. Am 24. September 1518 erschien Johannes Speiser im Kapitelsaal des Stifts St. Moritz, wo sich -

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80.1; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 39; vgl. Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 384. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 39; Pölnitz, Beziehungen des Johannes Eck (1940), 701 f.; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 305; Wurm, Johannes Eck (1997), 212. FA 80.3.1, 98r. FA 80.3.1, lv. FA 5.2. la; undatiertes Konzept; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St.

55 FA 56

57 58 59

Moritz (1892), 39.

777. Die Prädikatur bei St. Moritz

113

zu diesem Zeitpunkt jedoch nur vier Kanoniker aufhielten. Diesen präsentierte er eine Prozeßbulle de canonicatu et praebenda ecclesie praedicte Sancti Mauricii de quibus alias honestissimo viro domino Johanni Mayr de Egkh doctori esset provisum und verlangte, daß sie ihn iuxta litteras apostólicas zu Kanonikat und Präbende zulassen sollten. Die vier Kanoniker entgegneten ihm; daß der Dekan und die Mehrheit der Kapitulare nicht da seien. Sie wollten jedoch die Prozeßbulle, bzw. eine Kopie davon, an den Dekan schicken, damit dieser sie lesen könne. Dieser würde danach zweifellos ein Kapitel einberufen, um ihm antworten zu können. So geschah es dann auch. Am nächsten Tag berief der Dekan, Bartholomäus Ridler, obwohl es Samstag war, ein Kapitel ein, damit die Sache nicht herausgezögert würde. Dort beschlossen der Dekan und die Mehrheit der Kapitulare von St. Moritz, Speiser den Besitz nach Wortlaut der päpstlichen Bulle zu gewähren.60 Zum 1. Oktober 1518 dann verzeichnet das Konto der Prädikatur, das die Fuggersche Handelsgesellschaft führte, auf der Sollseite die Summe von 49 fl.: Die zalt mir par die posses daselbs zu Sant Mauritzen fur doctor Johan

Speyser eynzenemen.61 Im Streit um die Errichtung der Prädikatur, die mit der Pfarrei und einem Kanonikat von St. Moritz verbunden wurde, hatte Jakob Fugger also seinen Herrschaftsanspruch mit allen Mitteln gegen das Kapitel durchgesetzt. Allerdings hatte dies eines beträchtlichen Aufwandes an Zeit und Kosten bedurft. Über dreieinhalb Jahre vergingen zwischen der päpstlichen Bewilligung der ersten Supplik und dem Zeitpunkt, zu dem Johann Speiser schließlich das Kanonikat in Besitz nahm. Als in der Fuggerschen Handelsgesellschaft am 28. Februar und am 22. November 1519 die Kosten der Prädikaturerrichtung abgerechnet wurden, standen auf der Sollseite beinahe 2.000 fl., von denen der Löwenanteil auf die Ausgaben der Fuggerschen Faktorei in Rom entfiel, also auf Portokosten und die kurialen Taxen, die für die Beförderung des Anliegens in der kurialen Verwaltung fällig wurden. Ins Auge springt außerdem ein Posten von 380 fl. zum 10. Juli 1518, für den kein Verwendungszweck angegeben ist und zu dem es heißt: Die zalt wir dem bischoffvon Augspurg in goldt auffbefelch und Ordnung herr Jakobs Fuggers.62 Die Kanoniker hatten vielleicht also nicht ganz Umecht, wenn sie gegenüber dem Augsburger Rat beklagten, daß Fugger ihnen die lehenschaft auf das Kanonikat mit seinem reichtum entfremde.63 Den Ausschlag zugunsten von Jakob Fugger hatten allerdings dessen gute Beziehungen zu Papst und Kaiser gegeben. Es war also nicht nur ökonomisches Kapital, mit dem Jakob Fugger den Patronat auf Kanonikat, Prädikatur und Pfarrei erwarb und damit seinen Status als Stifter, sondern auch soziales Kapital. Dieses wiederum hatte er jedoch aus ökonomischem Kapital konvertiert. Die Fuggerbank in Rom beherrschte das deutsche Ablaß-, Servitien- und Annatengeschäft mit der 60 FA

5.1.6, 61r-62v; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz

(1892), 39.

61 FA 5.2.1a; Konto der Prädikatur vom 20.2.1519. 62 FA 5.2.1a; Konto der Prädikatur vom 20.2.1519 bzw. 22.11.1519; zu den kurialen Taxen vgl. Ulbrich, Päpstliche Provision (1998), 221-229. 63 FA 5.2.1a; Klage des Kapitels von St. Moritz vor dem Rat vom 26.9.1517; vgl. hierzu aber die Bewertung von Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 39.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

114

Kurie.64 Und Jakob Fugger gehörte auch schon seit langem

zu den wichtigsten Geldgeim Vorfeld jenes Reichstags, auf dem Maximilians Enkel Karl bern des Kaisers. Nun, zum römischen König gewählt werden sollte und der nur zustande kam, weil die Gesellschaft der Fugger ihn finanzierte, konnte Jakob Fugger sicherlich in besonderem Maße davon ausgehen, daß der Kaiser sich den Bitten des Mannes geneigt zeigen würde, dessen finanzielle Unterstützung Karl V. die Kaiserwürde einbringen sollte.65

4.

Die Rolle der Pfarrgemeinde

In der bisherigen

Schilderung des Konflikts, den die Prädikaturstiftung auslöste, ist die St. Moritz, anders als in der vorangegangenen Auseinandersetzung Pfarrgemeinde um den Mesner, nur am Rande vorgekommen. Dies liegt daran, daß sie in den urkundlichen Quellen, die den Rechtsstreit zwischen Jakob Fugger und dem Kapitel dokumentieren, ebenfalls nur am Rande Erwähnung findet. Damit scheint im Widerspruch zu stehen, daß Jakob Fugger in den vielfältigen Rechtfertigungsschriften, die er im Verlauf der Auseinandersetzung mit dem Kapitel von St. Moritz anfertigen ließ, immer wieder betonte, daß all sein Handeln nur dem Wohle der Pfarrgemeinde diente und gleichsam in deren Auftrage erfolgte. Als Widerspruch hatten dies zumindest die Kapitelherren von St. Moritz wiederholt dargestellt. In einem Schreiben an die Herzöge von Bayern wurden sie besonders deutlich. Fugger gebe vor, er handele nicht allein für sich, sondern im Auftrag gemains pfarrfolcks zue Sant Mauritzen. Betrachte man jedoch eigentlich alle handlung, so sei darin allein von Fugger die Rede und nirgendwo von der Pfarrgemeinde. Fugger habe ja schließlich auch das Patronatsrecht allein sich selber und seinen Erben übertragen lassen. Wie könne er dann behaupten, der Streit sei eine Angelegenheit der ganzen Pfarrgemeinde und nicht seine eigene?66 Hatten die Stiftsherren damit recht? Handelte Jakob Fugger im Streit mit den Kapitelherren von St. Moritz auf eigene Rechnung und schob die Interessen der Pfarrgemeinde nur vor? Der Widerspruch, den die Chorherren von St. Moritz angesprochen hatten, ist in der Tat evident. Die erste Supplik war pro parte devotorum oratorum universorum (...) parrochianorum parrochialis et ecclesie collegiate Sancti Mauritii Augustensis vorgebracht worden.67 Dem stand allerdings gegenüber, daß es in der Bulle über die Errichtung der Prädikatur heißt, sie sei pro parte dilecti filii Iacobi Fugger civis Augustensis ausgestellt worden. Und das Patronatsrecht auf die mit dem Kanonikat verbundene von

Prädikatur sollte eidem Iacobo suisque heredibus et successoribus in perpetuum vorbehalten bleiben. Von den parrochiani ist nur noch am Rande in der Narratio der Bulle

64 Te wes, Luthergegner (1995), 317. 65 Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 487; Wiesflecker, Maximilian I. Bd. 4 ( 1981 ), 405-415, v. a 410. 66 StAA Archiv des Historischen Vereins H 240. 67 Original in FA 5.2.1a; Kopien in FA 5.1.6 und 5.1.7 sowie in StAA KWA B 74; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 303.

///. Die Prädikatur bei St. Moritz

115

die Rede und bei der Regelung des Pensionsanspruchs des Prädikanten. Dort wird als ein möglicher Grund, aus dem dieser sein Amt aufgeben könnte, neben Alter und Krankheit auch die Möglichkeit genannt, daß er den Angehörigen der Pfarrei nicht mehr erwünscht sein könnte.68 Darüber hinaus gab es noch eine weitere Ungereimtheit, auf welche die Kapitelherren ebenfalls immer wieder hinwiesen. Sie betraf die Zustiftung zum Kanonikat der Prädikatur. Fugger gebe vor, er habe die Einkünfte des Kanonikats, das mit der Prädikatur und der Pfarrei verbunden wurde, um jährlich 50 fl. gemehrt. Das sei jedoch nicht wahr. Kein Mensch könne sagen, das Fugker sein leben lang weder haller noch pfennig werd gels zu bemelten pfriend ye geben haben wol. Es sei vielmehr so gewesen, daß Fugger bei der Pfarrgemeinde von St. Moritz neunhundert Gulden und bei einem ihrer Chorherren noch einmal hundert Gulden gesammelt habe, ain predicatur daselbs zu stiffen.69 In der Bulle vom 23. Januar 1517 über die Errichtung der Prädikatur heißt es in der Tat, daß Fugger die Einkünfte der Chorherrnpfründe de bonis sibi a deo collatis um 50 Gulden rheinisch gemehrt hätte.70 Daß er 1.000 fl. erhalten hatte, belegt dagegen unzweifelhaft die Abrechnung der Prädikatur vom 28. Februar 1519. Dort stehen auf der Habenseite zum 6. November 1515 einmal die Summe von 800 fl. mit dem Zusatz: die hat uns Marx Wirsung par bezalt und dazu noch 200 fl.: soll uns Martin Weyss von wegen gemelter predicatur auff Sant Jörgentag nechst künfftig laut seynes schuldbrieffs.n Daß Fugger auch Geld von den Kapitelherren bekommen hätte, läßt sich hieraus nicht entnehmen. Auf jeden Fall aber hatte er eine Summe von der Pfarrgemeinde erhalten, die sich nach dem damals üblichen Zinssatz jährlich mit 50 fl. rentierte und damit mit der Summe, um die Fugger der Bulle zufolge die jährlichen Einkünfte des Prädikatur-Kanonikats gemehrt hatte. Daß Fugger an der Kurie die Herkunft des Stiftungskapitals der Prädikatur in der Tat falsch angegeben hatte, legt auch das Konzept eines Schreibens an die Herzöge von Bayern nahe. Dort heißt es in der ersten Fassung bezüglich der Erträge der Prädikatur: dazu noch 50 fl. lassen gestift. Dies wurde dann durchgestrichen und durch dazu ich von ein eigene geld noch 50 fl gestiftet ersetzt!72 Daß die Kapitelherren von St. Moritz immer wieder versuchten, Jakob Fugger an diesem Punkt zu fassen zu bekommen, lag auf der Hand. War das Patronatsrecht auf das Kanonikat, das mit Prädikatur und Pfarrei verbunden worden war, doch bereits in der ersten Supplik ex vera fundatione et dotatione begründet worden!73 Das Kapitel versuchte also, die Legitimität von Fuggers Patronatsrecht anzugreifen, indem es immer wieder darauf verwies, daß nicht er, sondern die Pfarrgemeinde das Kapital für die Zustiftung aufgebracht hatte. 80.1; s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34 f., 42 f. (2. Beilage).

68 FA

69 StAA Archiv des Historischen Vereins H 240. 70 FA 80.1 ; s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34 f., 42 f. (2. Beilage). 71 FA 5.2.1a. 72 FA 5.2.1a.; Schreiben vom 22.4.1518. 73 Original in FA 5.2.1a; Kopien in FA 5.1.6 und 5.1.7 sowie in StAA KWA B 74; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche ( 1971 ), 303.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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Hätte damit also eigentlich der Pfarrgemeinde das Patronatsrecht auf die Prädikatur und damit der Status des Stifters gebührt? Hatte Jakob Fugger diesen etwa unter Vortäuschung falscher Tatsachen usurpiert? Betrachtet man den Stiftungsprozeß von seinem Ende her, kann hiervon keine Rede sein. Die 1.000 fl., die die Pfarrgemeinde aufgebracht hatte, deckten gerade einmal die Hälfte der Kosten, die anfielen, bis der Widerstand des Kapitels gegen die Errichtung der Prädikatur endlich gebrochen war.74 Hinzu kamen noch die 50 fl. ewigen Zinses, um die das Kanonikat des Predigers gemehrt werden sollte, die Jakob Fugger schließlich selbst dotierte75. Es ist allerdings fraglich, ob Fugger dies auch von Anfang an vorhatte. Wahrscheinlicher ist, daß die 1.000 fl. der Pfarrgemeinde ursprünglich für die Erlangung der Bullen und die Zustiftung gedacht waren. Da der Widerstand des Kapitels jedoch hartnäckiger war als ursprünglich angenommen und die Kosten für das Verfahren an der Kurie entsprechend höher, mußte Fugger die Zustiftung schließlich selbst finanzieren.76 Doch auch wenn man den Anfang des Stiftungsprozesses ins Auge faßt, wird die Vermutung, Fugger habe die Pfarrgemeinde des Patronats auf Kanonikat, Prädikatur und Pfarrei gleichsam beraubt, widerlegt. Denn die Gemeinde wußte von Anfang an, daß Jakob Fugger den Patronat erhalten sollte. Der Chronist Wilhelm Rem berichtet von einem Abkommen zwischen Fugger und der Zeche der Pfarrei St. Moritz. Sie hätten verabredet, man solle Fugger 1.000 fl. geben. Er würde dann in Rom erreichen, daß ihm der Patronat auf die Pfarrei übertragen werde. Daraufhin habe man von etlichen burgern und andern 1.000 Gulden gesammelt und sie Fugger gegeben unter der Bedingung, daß der von Fugger präsentierte Prediger der zech fueglich sein solle und daß kein Prediger gegen den Willen der Zeche präsentiert werden solle.77 Auch Hieronymus Imhof weiß 1529 von einer Übereinkunft: Das herrn Jacoben Fugger seligen gegeben worden seyen tausent gulden und habs sich herr Jacob Fugger dagegen bewilligt, die pfarr unnd predicatur dessgleichs ein Chorherren pfruendt alles zu Sannt Mauritzen in ains zu-

sammenzupringen.™ Am Anfang des Stiftungsprozesses

stand also ein Vertrag zwischen Pfarrgemeinde und Jakob Fugger. Er hatte zum Inhalt, daß erstere die Zustiftung zum Prädikatur-Kanonikat finanzieren wollten. Fugger sollte dafür in Rom zuwege bringen, daß ein Kanonikat der Stiftskirche St. Moritz mit der dortigen Pfarrei und der Prädikatur verbunden 74 FA 75 FA

5.2.1a; Konto der Prädikatur vom 20.2.1519 bzw. 22.11.1519. 80.1; s. u., Beilage 5; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz

(1892), 37 mit Anm. 25. spricht zum einen, daß in dem erwähnten Konzept des Schreibens an die Herzöge von Bayern ursprünglich stand lassen gestift, was zeigt, daß die 1000 fl. aus der Pfarrgemeinde als Stiftungskapital gedacht waren. Außerdem beschwerte sich Jakob Fugger später mehrfach über

76 Dafür

die hohen Kosten des Streits mit dem Kapitel; vgl. FA 5.2. la. 77 Rem, ed. Hegel/Roth, 93 f.: Item es hett die gestalt: es was ain pfarrer, der gefiel dem pfarrfolck nit wol; also ward der Fugger mit der zech zu sant Morizen ains, wan man im 1M ft. geb, so well ers zu Rom zuwegen bringen, daß ers zu verleichen hab; auff söllichs samlet man von etlichen burgern und andern 1 Mfl, die gab man dem Fugger, doch in der gestalt, wan [der] Fugger ain prediger machen wöl, der sol der zech fueglich sein, und sol wider der zech willen kainer gemachtwerden; vgl. Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 303. 78 FA 80.3.1, 95v.

777. Die Prädikatur bei St. Moritz

117

werden sollte. Auf dieses sollte Fugger die Stifterrechte des Patronats- und des damit verbundenen Präsentationsrechts erhalten, die in den offiziellen Dokumenten als Resultat einer Fundation beschrieben wurden. Die Gemeinde in Gestalt ihrer institutionalisierten Vertretung, der Pfarrzeche, bekam dafür zum einen ein Mitwirkungsrecht bei der Besetzung der Prädikatur eingeräumt, das man vielleicht als Nominationsrecht, zumindest aber als Vetorecht bei der Nomination, bezeichnen kann. Zum anderen sollte die Pfarrzeche auch die Amtsführung des Predigers kontrollieren dürfen. Die Pfarrgemeinde sollte also gleichsam als zusätzliches Stiftungsorgan neben den Inhaber des Patronatsrechts treten, wodurch der Stiftungsvollzug ein genossenschaftliches Element erhielt. Nun ist jedoch in den entsprechenden Passagen der Bulle über die Errichtung der Prädikatur nirgendwo davon die Rede, daß die Pfarrgemeinde berechtigt sei, bei der Bestellung des Predigers mitzuwirken. Daß unter den Ursachen für einen Amtsverzicht des Predigers auch die Möglichkeit genannt wird, daß er den Angehörigen der Pfarrei nicht mehr erwünscht sein könnte, ist vielleicht als Niederschlag der Bedingung zu werten, daß der Prediger der zech fueglich sein solle.79 Allerdings ist dies sehr vage gehalten, und eine Instanz oder ein Verfahren, durch die die Pfarrgemeinde einen solchen Amtsverzicht erzwingen könnte, kommt in der Bulle nicht vor. Das genossenschaftliche Element im Stiftungsvollzug, die Mitwirkung der Zeche bei der Bestellung des Predigers und ihre Befugnis, seine Amtsführung zu beaufsichtigen, hatte also im Unterschied zum herrschaftlichen, den Rechten des Patronatsherrn, nur informellen Charakter. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zwischen dem Ausgang des Konflikts um den Mesner und dem des Konflikts um den Prediger. Hier wie da ging es zwar um den Einfluß der Pfarrgemeinde auf die Bestellung eines Geistlichen, der für die Pfarrseelsorge große Bedeutung hatte. Am Ende des Streits um den Mesner im Jahr 1511 hatte jedoch ein schriftlich verbürgtes Recht der Pfarrgemeinde in Gestalt ihrer institutionellen Vertretung, der Pfarrzeche, gestanden, den Pfarrmesner präsentieren zu dürfen. Die Mitwirkungsrechte bei der Besetzung von Pfarrei, Prädikatur und Kanonikat, die der Gemeinde aus dem Sieg im Konflikt mit dem Kapitel von St. Moritz erwuchsen, den Jakob Fugger in den Jahren 1515 bis 1518 geführt hatte, waren demgegenüber nur informell und beruhten auf Absprachen mit Fugger. Dessen Patronatsrecht dagegen war schriftlich fixiert und einklagbar. Warum hatten sich die Pfarrgemeinde bzw. die Pfarrzeche damit begnügt, obwohl sie es doch waren, die das Projekt, zumindest anfangs, finanziert hatten? Warum hatten sie nicht versucht, das Patronatsrecht für die Pfarrzeche zu erwerben? Universitatesparrochianorum konnten im späten Mittelalter durchaus Träger von Patronatsrechten, auch auf Pfarreien, sein.80 Eine Antwort auf diese Frage erscheint möglich, wenn man sich die spezifische Konstruktion des Predigtamts vor Augen hält. Dieses bestand aus der Verbindung einer Prädikatur mit einem Kanonikat und der Pfarrei von St. Moritz. Die Verbindung von Predigtamt und Pfarrei läßt sich relativ leicht aus den Erfahrungen der Pfarrgemeinde 79 FA 80.1; s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34 f., 42 f. (2. Beilage). 80 Jakobi, Patronale juristischer Personen (1912), 96; Kurze, Pfarrerwahlen ( 1966).

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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mit dem Pfarrvikar der Kapitulare von St. Moritz erklären. Hatte dieser doch Speiser in seiner Ausübung des Predigtamtes mehrfach schwer behindert bis hin zum Verbot zu predigen. Indem man Prädikatur und Pfarrei verband, wurde dies für die Zukunft unmöglich gemacht. Warum aber wurde die Prädikatur mit einem Kanonikat der Kirche von St. Moritz verbunden? Hierzu ist eine weitere Verabredung aussagekräftig, die wie die Verabredung zwischen der Pfarrgemeinde und Jakob Fugger ebenfalls nicht in die offiziellen Dokumente, die in Rom ausgestellt wurden, einging. Als Johannes Speiser 1518 die Chorherrnpfründe in Besitz nahm, die nunmehr zur Prädikatur gehörte, schloß er mit Jakob Fugger unter Beteiligung der Pfarrgemeinde einen Vertrag bezüglich seiner Ein-

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künfte ab, der auch in den Stiftungsbrief Jakob Fuggers von 1521 einging. Dabei wichen sie von den Bestimmungen der Papstbulle über die Errichtung der Prädikatur in einer Weise ab, daß in dieser geradezu falsche Tatsachen vorgespiegelt wurden. In der Bulle hatte es geheißen, daß der Inhaber der Prädikatur, sollte er diese resignieren müssen, mit ihr auch des mit ihr verbundenen Kanonikats verlustig gehen und fortan lebenslang eine Pension von 100 fl. aus den Einkünften des Kanonikats erhalten sollte.81 Dem Vertrag zufolge, den Fugger nun mit Speiser abschloß, sollte dieser im Fall, daß er sein Amt niederlegen würde, jedoch das Kanonikat mit seinen gesamten Einkünften behalten dürfen. Dafür allerdings verzichtete Speiser ab sofort für sich und seine Nachkommen auf jene 50 fl. jährlich, um die die Einkünfte der Chorherrnpfründe durch eine Dotation von 1.000 fl. vermehrt worden waren. Diese wollte Fugger bzw. seine Erben ansparen und gegebenenfalls zur Besserung der Prädikatur verwenden.82 Vor allem sollten mit den angesparten Stiftungserträgen Rücklagen gebildet werden, für den Fall, daß der Prediger und Pfarrer aus Alters- oder Krankheitsgründen sein Amt nicht mehr ausüben konnte. Dann sollte ein Nachfolger in Predigtamt und Pfarrei eingesetzt werden, der so lange sein Einkommen aus diesen Rücklagen und den Erträgen des Stiftungskapitals bezog, bis das Kanonikat frei würde. Daraufhin sollten die Erträge der Zustiftung wieder gespart werden für den nächsten Notfall.83 Die Prädikatur war somit also doppelt dotiert, hauptsächlich mit dem Kanonikat, hinzu traten als Notfallversicherung Einkünfte von 50 fl. jährlich. Der Grund dafür, daß man die Prädikatur mit einem Kanonikat verbunden hatte, bestand also darin, daß man so gleichsam zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Das Kanonikat sicherte die Versorgung des Predigers im „Normalfall". Gleichzeitig konnte man die Zustiftung als Notfallversicherung verwenden für den Fall, daß der Prediger zwar amtsunfähig, das Kanonikat aber noch nicht frei war.

Als Jakob Fugger und die Pfarrzeche übereinkamen, daß ersterer in Rom erreichen sollte, daß die Prädikatur sozusagen mit einem Kanonikat der Stiftskirche St. Moritz dotiert werden sollte, wogegen letztere ein Kapital von 1.000 fl. aufbringen wollten, 81 FA 80.1 ; s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 42 f. (2. Beilage). 82 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. KellenbenzIPreysing, 108 f.; vgl. auch FA 5.2.1a: Ain kurtzer instruction und underricht wie die predicatur zuo Sant Mauritzen zu Augsburg gstifft worden ist

(undatiert).

83 FA 80.3.1, 95v.

777. Die Prädikatur bei St. Moritz

119

verabredeten sie also, sich die Stifterrolle zu teilen. Die Pfarrei sollte die „Notfallversicherung" stiften. Und nur weil der Konflikt mit den Kapitelherren so langwierig und kostspielig wurde, daß er die dafür zur Verfügung gestellte Summe verbrauchte, dotierte schließlich Jakob Fugger die jährlichen Einkünfte von 50 fl., die angespart und im Notfall zur Sicherung der Pfarrseelsorge verwendet werden sollten. Den Patronat auf die Prädikatur erhielt Jakob Fugger, denn dieser stiftete die Prädikatur, indem er durch den Papst eine der Chorherrnpfründen des Stifts St. Moritz umwidmen ließ. Die vera fundatio der Prädikatur durch Jakob Fugger, mit der das Patronatsrecht begründet wurde, war allerdings eine doppelte Fiktion. Zum einen, weil ursprünglich nicht Fugger, sondern die Pfarrgemeinde das Kapital der Zustiftung aufgebracht hatte, und zum anderen, weil die Erträge dieser Zustiftung aufgrund der Konstruktion der Prädikatur dem Inhaber des Kanonikats niemals zukommen sollten. Der Status Jakob Fuggers als Stifter der Prädikatur beruhte juristisch streng genommen also auf der Vortäuschung falscher Tatsachen durch ihn und die Pfarrgemeinde, die im Stiftungsprozeß als „partners in crime" agierten. Die Verbitterung der Kapitelherren darüber, daß Jakob Fugger durch die Intervention des Kaisers bei der Kurie erreichte, daß der Streit mit dem Kapitel für beendet erklärt wurde, bevor er ausgetragen worden war, erscheint vor diesem Hintergrund nicht ganz unverständlich. Die Betrachtung des Stiftungsprozesses der Prädikatur bei St. Moritz erweist diese also als einen stiftungsgeschichtlichen Sonder-, ja Grenzfall. Die formalen Rechtsakte, die in der urkundlichen Überlieferung zutagetreten, wurden flankiert durch informelle Absprachen zwischen Jakob Fugger und der Pfarrgemeinde einerseits, Fugger, der Pfarrgemeinde und dem Prediger andererseits. Resultat war ein intendierter Stiftungsvollzug, in dem die Herrschaft des Patronatsherrn, die sich Jakob Fugger für sich und seine Erben sicherte, einerseits durch die Mitwirkung der Pfarrgemeinde bei der Bestellung des Predigers und bei der Kontrolle von dessen Amtsführung eingeschränkt wurde. Andererseits waren dem Herrschaftsanspruch des Patronatsherrn jedoch auch Grenzen durch den Status des Prädikanten gesetzt. Durch die Verbindung von Kanonikat und Prädikatur, die Fugger mit allen Mitteln erfolgreich gegen das Kapitel durchgesetzt hatte, verfügte der Fuggersche Prediger als Inhaber eines Kanonikats über Einkünfte, die nicht aus der Stiftung selbst stammten und somit auch nicht an den Stiftungsvollzug gekoppelt waren. Diese müssen bei deutlich über 100 fl. jährlich gelegen haben, und damit war der Inhaber der Prädikatur von den Einkünften aus der eigentlichen Prädikaturstiftung unabhängig.84 Diese waren ja auch gar nicht für die laufenden Einkünfte des Predigers bestimmt, sondern dienten gleichsam als Versicherung, die eine kontinuierliche Pfarrseelsorge gewähren sollte. Dem Patronatsherrn der Prädikatur fehlte damit jedoch eines der wichtigsten Druckmittel, das Stifter gegenüber Destinatären haben, für den Fall, daß diese die Stiftung nicht in ihrem Sinne vollziehen: ihnen die Bezüge zu streichen. Diese Eigenheit seiner Prädikaturstiftung sollte dem Stifter und seinen Erben später noch zu schaffen machen.

84 Denn dies war die Pensionssumme, die der Bulle von 1517 zufolge Pfründe gezahlt werden sollte. Sie muß also mehr wert gewesen sein.

aus

den Einkünften der

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

120

Seelenheil und Pfarrherrschaft:

5.

Stiftungsmotiv

Stiftungszweck

und

a) Pfarrseelsorge und Werkheiligkeit, oder: doppelte Seelenheilstiftung Die

spezifische Rollenverteilung zwischen Pfarrgemeinde und Jakob Fugger in Stiftungsprozeß und -Vollzug findet ihren Ausdruck auch im Zweck der und den Motiven für die Prädikaturstiftung. An erster Stelle steht hier allerdings das genossenschaftliche Moment. Stiftungszweck der Prädikatur war, der Pfarrgemeinde eine adäquate Pfarrseelsorge dauerhaft zu sichern, indem man die Verfügungsgewalt über die dafür entscheidenden Ämter in die eigene Hand bekam. Daß hierbei das Bedürfnis nach einer guten Predigt im Zentrum stand, entsprach

durchaus dem Trend der Zeit. Nach einzelnen Vorläufern im 14. Jh. kam es im 15. Jahrhundert in Oberdeutschland zu einem regelrechten Boom von Prädikaturstiftungen. Bis 1530 wurden in den Diözesen Konstanz, Würzburg, Regensburg, Augsburg, Bamberg, Eichstätt, Speyer und Worms mehr als 160 nachweisbare Prädikaturen an Spital-, Pfarr- oder Stiftskirchen gestiftet.85 In Augsburg hatte wenige Jahre, bevor der Stiftungsprozeß bei St. Moritz begann, Bischof Friedrich von Zollern am Domstift 1505 eine Prädikatur errichtet, bezeichnenderweise auch dort gegen den Widerstand des Kapitels.86 Viele dieser Prädikaturen rief man ins Leben, um die gestiegenen religiösen Bildungsinteressen der Laien zu befriedigen.87 Gebildete Laien aus dem urbanen Milieu forderten eine Predigt, in der sie auf ihrem intellektuellen Niveau angesprochen wurden. An der Prädikatur von St. Moritz läßt sich dieser Stiftungszweck besonders gut erkennen.

Die Stiftungsurkunden spätmittelalterlicher Prädikaturen forderten von den Inhabern hohe akademische Qualifikationen. Für die Domprädikaturen in der Regel den Magister der Theologie; an Stifts- und Pfarrkirchen konnte auch ein Bakkalaureat oder Lizentiat der Theologie ausreichen.88 Um sich für die Prädikatur an der Stifts- und Pfarrkirche von St. Moritz in Augsburg zu qualifizieren, mußte man ebenfalls einen Magister oder Lizentiat der Theologie aufweisen, oder aber einen Doktor oder ein Lizentiat in beiden oder einem der Rechte vorweisen. So steht es in der Bulle Leos X. über die Errichtimg der Prädikatur. Diese betont außerdem, daß dies mit einem entsprechenden Bildungsgrad auf Seiten der Adressaten korrespondierte. Die Parrochianen der Pfarrei St. Moritz seien in der Mehrzahl gelehrte und edle Männer, so sei es von Seiten Jakob Fuggers versichert worden.89 85 86 87 88 89

Neidiger, Stiftung eigener Predigtpfründen (2002), 158; vgl. auch Machilek, Mitwirkung der Laien (1999); Mai, Predigtstiftungen des späten Mittelalters (1968). Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche ( 1971 ), 301 f. Meuthen, Charakter und Tendenzen des deutschen Humanismus (1983), 225; vgl. Neidiger, Stiftung eigener Predigtpfründen (2002), 173. Neidiger, Stiftung eigener Predigtpfründen (2002), 146. FA 80.1, s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34 f., 42 f. (2. Beilage).

777. Die Prädikatur bei St. Moritz

121

Daß diese Beschreibung der Pfarrgemeinde von St. Moritz den Tatsachen entsprach, erweist eine Durchsicht der Zeugenreihe aus dem bereits erwähnten Prozeß, den Speiser 1529 gegen Jakob Fuggers Erben anstrengen sollte.90 Unter den Honoratioren der Pfarrei St. Moritz, die in diesem Zusammenhang befragt wurden, finden sich eine ganze Reihe von herausragenden Vertretern des gebildeten Augsburger Bürgertums.91 Aus Familien, die akademisch bzw. humanistisch Gebildete in ihren Reihen hatten, stammten Jakob Fugger selbst, Ulrich Arzt, Lukas Meuting sowie Konrad Rehlinger.92 Johann Rehlinger, der als Stadtschreiber und Ratskonsulent wirkte, war promovierter Jurist.93 Selbst die Universität besucht hatten außerdem die Ärzte Ulrich Jung und Sigmund Grimm sowie der Apotheker Marx Wirsung.94 Grimm gehörte zum Umkreis der Sodalitas Konrad Peutingers und gründete zusammen mit Wirsung 1517 eine Druckoffizin, die im vorreformatorischen Augsburg zur wichtigsten Publikationsstätte humanistischer Literatur avancierte. So publizierten Grimm und Wirsung zum einen neuentdeckte Texte lateinischer Kirchenväter, zum anderen Werke antiker Autoren wie Cicero und Plautus sowie von Humanisten wie Petrarca und Hütten.95 Die religiösen Bildungsinteressen innerhalb der Pfarrgemeinde von St. Moritz wären mit humanistisch jedoch wohl zu einseitig beschrieben; das lassen Hinweise auf die Inhalte, die man von dem Inhaber der Prädikatur erwartete, vermuten. Zwar sind bis 1523 keine Predigten Johannes Speisers bekannt96, dafür ist jedoch belegt, daß er 1504 in Basel eine revidierte Fassung des Rosetum exercitiorum spiritualium des Jan Mombaer zum Druck gebracht hatte.97 Mombaer war der letzte große Vertreter der Devotio Moderna im ausgehenden Mittelalter, und sein Rosetum, das erstmals 1494 erschienen war, war eines ihrer einflußreichsten Werke.98 Gattungsmäßig gehörte es zu den sogenannten Rapiarien, war also ein geistliches Tagebuch mit Lesefrüchten der erbaulichen Lektüre und gab als solches Auszüge kirchlicher Autoritäten auf dem Gebiet der Asketik. Es richtete sich vor allem an theologisch geschulte Adressaten, denen es die breite Palette der christlich-asketischen Tradition erschließen wollte, durch

90 FA 80.3.1; s. o.,UI.3. bei Anm. 57. 91 Vgl. hierzu Kießling, kulturelle Zentralität Augsburgs (1983); Beilot, Humanismus

Bildungswe-

Buchdruck und Verlagsgeschichte (1985); zum Humanismus in Augsburg jetzt Müller/Ziesak, Veit Bild und der Humanismus (2002). FA 80.3.1, 98v; Kießling, kulturelle Zentralität Augsburgs (1983), 558, 568 f. FA 80.3.1, 98v; Kießling, kulturelle Zentralität Augsburgs (1983), 575 f. FA 80.3.1, 98v; Kießling, kulturelle Zentralität Augsburgs (1983), 565 f. Künast, „Getruckt zu Augspurg" (1997), v. a. 99, 237; Beilot, Humanismus Bildungswesen -

sen

-

92 93 94 95

Buchdruck und Verlagsgeschichte (1985), 344 f.; Kießling, kulturelle Zentralität Augsburgs (1983), 565 f.; zu Grimm vgl. auch Radlkofer, Augsburger Ärzte (1893), 37 f. 96 S. hierzu u., Zweiter Teil, UJ.2.a. 97 Mauburnus, Rosetum, red. Speiser ( 1504). 98 Zur Devotio Moderna grundlegend Post, Modem Devotion (1968), v. a. 543-548 (zu Mombaer und dem Rosetum); vgl. weiter Iserloh, Art. Devotio Moderna (1989); Dijk, Art. Devotio Moderna (1995); Baere, Art. Maubumus (1997); Staubach, Pragmatische Schriftlichkeit (1991); Laarmann, Art. Mauburnus (1993); Schuppisser, Schauen mit den Augen des Herzens (1993). -

-

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

122

eine tabula de modo praedicandi nicht zuletzt dem Prediger, der Stoff für die Feste und Sonntage des Kirchenjahrs suchte!99 Man kann also davon ausgehen, daß Speiser mit der Theologie der Devotio Moderna

vertraut war. Und vielleicht war es ja dies, was den doctor Speyser der pfarrmenngin so wol vermainet sein ließ.100 Betonte diese Reformbewegung doch die innerweltliche

Askese, die einem jeden durch meditative Vergegenwärtigung der Passion Christi im je

konkreten Alltag ein tugendhaftes Leben in der Nachfolge Christi ermöglichte. Und damit korrespondierte sie mit den Bedürfnissen eines gebildeten Bürgertums, das ein „ehrenhaftes Leben in Gott und Welt" anstrebte und das keinen Widerspruch zwischen bürgerlicher Tätigkeit und religiöser Haltung sehen wollte.101 Hierzu paßt durchaus, daß Johannes Speiser wie der spätere Interimskandidat für die Prädikatur, Johannes Eck, zu denjenigen gehörte, die den fünfprozentigen Zins kirchenrechtlich und moralisch für unbedenklich hielten, und dies im Vorfeld der Disputation von Bologna auch von der Kanzel bei St. Moritz öffentlich erklärte.102 Hierin allein Günstlingsdienste für Jakob Fugger sehen zu wollen, verbietet sich. War es doch die Pfarrgemeinde und nicht Fugger, die im Verlauf des Stiftungsprozesses unbedingt an Speiser festhalten wollte. Großbürgerliche Interessenpolitik und Kirchenreform vertrugen sich im vorreformatorischen Augsburg auch in den Augen anderer Angehöriger der Pfarrgemeinde von St. Moritz.103 Nimmt man hinzu, daß neben der Predigt auch andere seelsorgerische Bedürfnisse eine Rolle spielten, etwa die Versorgung mit dem Beichtsakrament, dann war die Prädikatur bei St. Moritz bereits auf der Ebene des Stiftungszwecks eine Seelenheilstiftung. Nutznießer der Prädikatur war zuerst die Pfarrgemeinde von St. Moritz als ganze. Die Prädikatur diente ihrem Seelenheil, indem sie ihre seelsorgerische Betreuung gewährleistete. Ganz in diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn in der ersten Supplik zur Errichtung der Prädikatur als deren Zweck angegeben wird, sie solle parochianorum animarum saluti et spirituali consolationi dienen.104 Noch deutlicher wurde Jakob Fugger in der Stiftungsurkunde über die 50 fl. ewigen Zinses, in der es heißt, sie geschehe ihm und dem gemmainen pfarr folck zu Sant Maurizen zu nuz unnd gueter underweisung.m In dem Stiftungszweck, die Pfarrseelsorge zu gewährleisten, klingt hier offen99 100

101 102

103 104 105

Schuppisser, Schauen mit den Augen des Herzens (1993), 210. FA 80.3.1, 96v; die Frage, was dies über das Verhältnis von Humanismus und Devotio Moderna im Augsburg des frühen 16. Jahrhunderts aussagt, kann hier nicht erörtert werden. Grundsätzlich zu dieser Problematik vgl. Post, Modem Devotion (1968); Oberman, Werden und Wertung (1977), v. a. 56-71 mit Anm. 17. Heer, Augsburger Bürgertum (1955), 133; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 310. Wurm, Eck und der oberdeutsche Zinsstreit ( 1997), 173 f.

Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche ( 1971 ), 311. Original vom 23.3.1515 inFA 5.2.1a; Kopien in FA 5.1.6 und 5.1.7 sowie in StAA KWA B 74; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 34; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 303. FA 80.1; s. u., Beilage 5; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 37 mit Anm. 25.

III. Die Prädikatur bei St. Moritz

123

gleichzeitig das legitimierende Moment des gemeinen Nutzens an, der hier allerdings rein religiös außerweltlich verstanden wird.106 Damit ist die heilsfördernde Wirkung der Stiftung aber noch nicht vollständig erfaßt. An die Passage bezüglich des Nutzens für Fugger und die Pfarrgemeinde schließen sich in der Stiftungsurkunde Jakob Fuggers über die 50 fl. nämlich die Worte an auch zu trost und hayl unnsern unnd unser nachkomen seelen. Neben dem Seelenheil der Pfarrgemeinde im allgemeinen sollte die Prädikaturstiftung also auch noch dem Heil Jakob Fuggers und seiner Nachkommen im besonderen dienen. Jakob Fuggers Vorzugsstellung gegenüber der Gemeinde spiegelt sich also auch in einer besonderen individuellen heilsfördernden Wirkung für ihn und seine Nachkommen wider, die ihm aus der Werkheiligkeit der Prädikatur, deren Errichtung er durchgesetzt hatte, erwuchs.107 Zum gemeinnützigen Zweck trat also noch ein durchaus „eigennütziges" Motiv auf Seiten Jakob Fuggers. Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß der Charakter der Prädikatur als gutes Werk von den Kapitularen von St. Moritz bestritten wurde, die meinten, dies könne nicht gelten, wenn sie zum Schaden und Nachteil eines anderen gestiftet werde: Man soll nit den ain altar abdecken unnd den andren da mit sichtlich

bedecken?^

Sollte die Prädikatur dem Seelenheil ihres Patronatsherrn und seiner Erben darüber hinaus auch noch durch einen liturgischen Memorialdienst des Prädikanten förderlich sein? Dafür spricht auf den ersten Blick nicht viel. Anders als manch andere Prädikaturstiftung war die Prädikatur bei St. Moritz nicht mit einem Meßstipendium verbunden.109 Fugger ließ außerdem den Inhaber von Kanonikat und Prädikatur durch päpstliche Verfügung vom Chorgebet befreien, das mit seiner Chorherrnpfründe verbunden war, sofern dieses mit seinen Pflichten als Prediger und mit den damit einhergehenden Studien kollidierte.110 Vor Kaiser und Ständen äußerte Fugger sogar ganz explizit: Mehr ist gelegen an derpfarre mit predigt und beichthören denn an des ganzen kapitels chorsingen.'u Ist also auch die Zweckbestimmung der Prädikatur bei St. Moritz ein Beispiel für die „Trennung des Predigers vom Liturgen"?112 Hierzu ist zumindest anzumerken, daß auch in der Predigt zum Gebet für bestimmte Personen aufgerufen werden konnte.113 Für das zeitgenössische Augsburg ist dies auch überliefert.114 Kann man sich vorstellen, 106 107

108 109 110 111

112 113 114

„gemeinnützigen" Seelsorgestiftungen, allerdings ohne Berücksichtigung von Prädikaturen, vgl. Staub, Memoria im Dienst von Gemeinwohl und Öffentlichkeit (1995). Schmid, Stiftungen für das Seelenheil (1985); zur Werkheiligkeit von Prädikaturstiftungen im späten Mittelalter vgl. Rauscher, Prädikaturen (1908), 156 f. Zu

StAA Archiv des Historischen Vereins H 240.

Vgl. hierzu Scheller, Streit um die Vöhlinsche Prädikatur (2000), 257,260. FA 80.1; s. u., Beilage 4; vgl. Schröder, Erwerbung des Patronatsrechtes auf die Pfarrei St. Moritz (1892), 42 (2. Beilage). FA 5.2.1a; Verantwortung vor Kaiser und Ständen (undatiert); vgl. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 381. Menzel, Predigt und Predigtorganisation ( 1991 ), 372 f. Die Predigt als Medium des Totengedächtnisses ist wenig erforscht; vgl. aber Merk, Meßliturgische Totenehrung (1926), 58 mit Anm. 3; vgl. auch D'Avrny, Death and the Prince (1994). So teilt etwa im Dezember 1516 der Humanist und Mönch bei St. Ulrich, Veit Bild, den Pfarrern der Stadt brieflich mit, daß ein Mitbruder demnächst seine Prirniz feiere und bittet sie, dies von

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

124

daß der Prediger bei St. Moritz es versäumt hätte, die Gläubigen zum Gebet für einen verstorbenen Patronatsherrn aufzurufen? Am Sterbebett Jakob Fuggers zumindest sehen wir 1525 Ottmar Nachtigall, den Nachfolger Johannes Speisers als Prediger bei St. Moritz, die Exequien für Fugger vollziehen."5 Offensichtlich galten auch hier besondere Rechte für den Mann, der sich als eigentlichen Stifter der Prädikatur sah. Betrachtet man Zweck und Motive, dann durchdringen sich in der Prädikaturstiftung bei St. Moritz avancierte und lang überkommene Elemente mittelalterlicher Frömmigkeit. Das gestiegene Bedürfnis nach Wortgottesdienst hat man oftmals als Vorboten der Reformation interpretiert und die Prädikaturen sogar als „Einbruchsteilen der Reformation" bezeichnet."6 Zieht man nun noch in Betracht, daß bei der Errichtung der Prädikatur von St. Moritz, die Pfarrzeche eine wichtige Rolle spielte und die Stiftung von Fugger als „gemeinnützig" apostrophiert wurde, dann böte sich dem entwicklungsgeschichtlich denkenden Historiker gar eine Charakteristik der Prädikaturstiftung als „Einbruchsteile der Gemeindereformation" an. Die Stiftung so zu deuten, hieße jedoch beiseite zu schieben, daß für den Stifter die überkommenen Ideen der Werkgerechtigkeit und wahrscheinlich auch der Gebetshilfe, die für die mittelalterlichen Stiftungen seit jeher von zentraler Bedeutung waren, ebenfalls eine große Rolle spielten. Daß sich im Verlauf der Augsburger Reformation jene, die in den Jahren 1515 bis 1518 die Prädikaturstiftung gemeinsam betrieben hatten, in entgegengesetzten Lagern wiederfanden, die Zeche auf Seiten der neuen, Jakob Fugger und seine Erben dagegen auf Seiten der alten Lehre, warnt vor entwicklungsgeschichtlichem Determinismus.117

b)

Herr der Pfarrei: Die

dikaturstiftung

profane Repräsentation Jakob Fuggers

in der Prä-

Daß die Prädikaturstiftung neben ihrer heilsfördernden Wirkung auch noch eine profane Dimension hatte, zeigt bereits Jakob Fuggers Sorge, die er im März 1518 gegenüber seinem Neffen Anton äußerte, als er fürchtete, der Streit mit dem Kapitel könne für ihn spotlich und schimpflich werden."8 Das Patronatsprojekt war für Fugger also eine Prestigefrage geworden. Im Prestigestreben ist wohl auch das Motiv dafür zu sehen, daß Jakob Fugger den Patronat auf die Prädikatur anstrebte. In den Auseinandersetzungen zwischen Pfarrgemeinde und dem Kapitel von St. Moritz spielte Jakob Fugger unter den Honoratioren der Pfarrgemeinde eine führende Rolle. Dies gilt bereits für den Streit um die Bestellung des Pfarrmesners, als Jakob Fugger zu denen gehörte, die für die Pfarr-

der Kanzel herab zu verkünden und das Volk zum Gebet einzuladen; vgl. Schröder, Veit Bild (1893), 202. 115 Pölnitz, Jakob Fugger I ( 1949), 656. 116 Machilek, Mitwirkung der Laien (1999), 222; vgl. aber Neidiger, Stiftung eigener Predigtpfründen (2002), 287. 117 Immenkötter, Augsburger Pfarrzechen als Träger der Kirchenreform (1990); vgl. auch Scheller, Streit um die Vöhlinsche Prädikatur (2000). 118 S. o., m.3. bei Anm 47.

777. Die Prädikatur bei St. Moritz

125

Vertrag mit dem Kapitel ausgehandelt hatten."9 Noch exponierter war Fuggers Stellung innerhalb der Pfarrgemeinde von St. Moritz dann natürlich während des Konflikts um die Prädikatur. Folgt man Wilhelm Rem, dann war die Initiative zu diesem Projekt von Fugger ausgegangen.120 In das repräsentative Haus Jakob Fuggers am Weinmarkt wurden die Pfarrangehörigen später gerufen, wenn dieser sie über den Stand der Dinge informieren wollte.121 Das Patronatsrecht auf die Prädikatur institutionalisierte diese herausgehobene Position und stellte sie auf Dauer. Als Inhaber desselben agierte Jakob Fugger als Herr. So apostrophiert ihn denn auch 1518 Johannes Speiser in der Widmung seiner Übersetzung des Berichts Jakob Mennels über die Ernennung Albrechts von Brandenburg zum Kardinal als meinefn) besondern günstigen lieben herrén}22 In für Stiftungen charakteristischer Weise sicherte der Patronat die Vergegenwärtigung dieses Status über den Tod des Stifters hinaus. Indem seine Erben das Patronatsrecht auf Prädikatur, Kanonikat und Pfarrei ausübten, trat der Stifter in Person des jeweiligen Inhabers des Patronatsrechts immer wieder als Herr in Beziehung zum Destinatär der Stiftung.123 Da mit der Prädikatur auch die Pfarrei verbunden war, würden solange, wie die Fugger von der Lilie im Mannesstamm bestanden, Jakob Fugger und seine Erben gleichzeitig als Herren nicht nur des Predigers, sondern gleichsam der Pfarrei insgesamt vergegenwärtigt werden. Auch die Stiftung der Prädikatur bei St. Moritz befriedigte also jenen sozialen Ehrgeiz, der über die bloße Zugehörigkeit zu den führenden Familien der Stadt hinausstrebte. In seiner Konkretisierung als Pfarrreipatronat sollte dieser jedoch in den Reformationsjahren schärfsten Widerspruch erfahren. zeche den

119 120

121 122 123

Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche ( 1971 ), 303. Rem, ed. Hegel/Roth, 9 3 f. : Item es hett die gestalt: es was ain pfarrer. der gefiel dem pfarrfolck nit wol; also ward der Fugger mit der zech zu sant Morizen ains, wan man im 1 Mfi. geb, so

well ers zu Rom zuwegen bringen, daß ers zu verleichen hab. FA 80.3.1, lOlv. Mennel, Von dem Eerlichen vnd seltzamesten geschieht, übers. Speiser (1518). Zu dieser wiederkehrenden Vergegenwärtigung des Stifters im Stiftungsvollzug Wagner, Landesfürsten und Professoren als Universitätsstifter (2002), v. a. 293 f.

vgl. jetzt auch

IV. Die Fuggerei

1.

Die Fuggerei als die

Stiftung Jakob Fuggers

Die Armensiedlung in der Augsburger Jakobervorstadt, für die in den Quellen 1531 erstmals die Bezeichnung „Fuggerei" nachgewiesen ist, gilt sowohl in der Forschung als auch im allgemeinen historischen Bewußtsein als die Stiftung Jakob Fuggers.1 Faßt man den Stiftungsprozeß der Fuggerei ins Auge und vergleicht ihn mit denen der Grabkapelle bei St. Anna und der Prädikatur bei St. Moritz, dann erscheint diese Einschätzung nicht unberechtigt. Die Grabkapelle war ursprünglich ein Gemeinschaftswerk der Brüder Ulrich, Georg und Jakob. Erst nachdem die beiden älteren gestorben waren, wurde Jakob zur allein entscheidenden Stifterpersönlichkeit. Die Prädikatur war Resultat gemeinsamen Bemühens der Pfarrgemeinde von St. Moritz und Jakob Fuggers. Bei beiden früheren Stiftungen hatten Interessen und Ansprüche anderer den Stiftungsprozeß teilweise maßgeblich beeinflußt: bei der Grabkapelle die des Konvents von St. Anna, bei der Prädikatur vor allem die der Pfarrgemeinde, des Kapitels von St. Moritz und die des Prädikanten. Im Unterschied dazu erscheint die Stiftung der Fuggerei geradezu als Idealtyp eines autokratischen Stiftungsaktes, bei dem der Stifter aufgrund der gewählten Rahmenbedingungen kaum Rücksichten auf Interessen Dritter nehmen mußte. Als Jakob Fugger die Stiftung der „Häuser im Kappenzipfel" anging, waren seine beiden Brüder bereits verstorben. Als alleiniger „Regierer" der Handelsgesellschaft konnte er über das Gesellschaftsvermögen verfügen wie er wollte.2 Der Ort, den Fugger als Bauplatz für die Armensiedlung auswählte, die Jakobervorstadt, war der jüngste Stadtteil Augsburgs und verhältnismäßig dünn bebaut.3 Hier konnte er als Stifter weitgehend uneingeschränkt schalten und walten sieht man einmal von der Notwendigkeit ab, sich mit den Anrainern der Baugrundstücke bezüglich ihrer Rechte und der Stadt Augsburg bezüglich der fälligen Steuern zu einigen. -

-

-

Bezeichnung mit falscher Datierung Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 63; s. dazu u., Zweiter Teil, IV.2 bei Anm. 51; zur Hervorhebung der Fuggerei aus der Stiftungstätigkeit Jakob Fuggers vgl. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 351 („Lieblingsschöpfung"); Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 250.

1 Zur

2 S. o., 1.4 bei Anm. 64, U.7.b bei Anm. 226. 3 Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 64 f.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

128

2. a)

Der Stiftungsprozeß: Baugeschichte, und Verwaltung der Siedlung Den Rahmen setzen: Grundstückserwerb und

Stiftungszweck

Vertrag mit dem Rat

Von der ersten Nachricht, die sich ihm zuordnen läßt, bis zur schriftlichen Ordnung durch den Stiftungsbrief vom 23. August 1521 dauerte der Stiftungsprozeß der Armensiedlung gute siebeneinhalb Jahre. Ein Zeitraum, der verhältnismäßig kurz erscheint. Vor allem, wenn man bedenkt, daß in ihm 48 Häuser errichtet wurden. Die erste diesbezügliche Nachricht datiert auf den 26. Februar 1514. Jakob Fugger erwarb für 900 fl. von Anna Strauß, der Witwe Hieronymus Welsers, ein Grundstück mit vier Häusern und einem Garten mit Sommerhaus.4 Zwei Jahre später kamen drei weitere Häuser mit Garten dazu, die Fugger am 10. März 1516 für 440 rheinische Gulden kaufte.5 In keinem der beiden Kaufverträge ist die Rede davon, wozu die Grundstücke verwendet werden sollten. Ein Vergleich der Namen der Anwohner, die in den Verträgen, den Vorbesitzerurkunden und in späteren Spruchbriefen über Grenzstreitigkeiten genannt werden, mit den in den entsprechenden Rubriken der Augsburger Steuerbücher hat jedoch die Abschnitte der Fuggerei identifiziert, die auf den jeweiligen Grundstücken

gebaut wurden.6

Ebenfalls 1516 schloß Jakob Fugger einen Vertrag mit dem Rat der Stadt Augsburg, in dem die Stiftungsabsicht erstmals explizit gemacht wurde und der in vielen wichtigen Fragen bereits die Regelungen des Stiftungsbriefs von 1521 vorwegnahm.7 In dem Vertrag ging es um die Besteuerung der entstehenden Stiftung und die rechtliche Zuordnung derjenigen, die sie bewohnen sollten. Jakob Fugger verpflichtete sich und seine Erben, für die Armensiedlung die städtischen Steuern zu bezahlen, die für Liegenschaften fällig wurden. Erlassen bekam er dafür die Steuer auf das, was er aufobgemelt paue und besserung derselben heusere, hofsach, garten und flecken ferrer von barem gelt legen wurde und auf erbauens und besserung, die hiermit in Zukunft finanziert werden würden. Mit diesen sperrigen Worten ist offensichtlich das Kapital gemeint, mit dem Jakob Fugger 1521 die Fuggerei ausstattete zu vnderhaltung vndt handthabung der Stiftungen vnd Bösserung der hewser." Dieses Kapital zu stiften, hatte er also schon 1516 vor, und was damit finanziert werden würde, sollte also steuerfrei bleiben. Außerdem wurden die Fuggereibewohner für alle Zeiten oberkait vnd gerichtszwanck der Stadt Augsburg unterstellt. Mit diesen Vertragsgegenständen hing zusammen, daß Fug4 Kaufbrief 1514, ed. Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg (1926), 108; vgl. ebd., 9; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 250; Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 46. 5 Kaufbrief 1516, ed. Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg (1926), 106 f.; vgl. ebd., 9; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 250; Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 46 f. 6 Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 47. 7 Vertrag mit dem Rat von 1516, ed. Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg (1926), 108 f.; vgl. ebd., 52; Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 46. 8 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 111; vgl. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 33 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 250.

IV. Die Fuggerei

129

zusicherte, daß die Verwaltung der Fuggerei niemals in die Hände einer geistlichen Institution gelangen sollte ein Passus, der im Stiftungsbrief ger der Stadt außerdem

wiederholt wurde. Hätte sich hieraus doch die Gefahr ergeben, daß die Fuggerei der Steuer- und Gerichtshoheit der Stadt entzogen würde.9 In dem Vertrag mit der Stadt verlieh Jakob Fugger außerdem seiner Absicht Ausdruck, seiner Stiftung ain Ordnung zu geben. Dies geschah fünf Jahre später mit dem Stiftungsbrief von 1521. -

b)

Der

Stiftungsbrief von 1521

Gegenstand dieses Stiftungsbriefs sind zum einen der Stiftungszweck, außerdem noch die dauerhafte Finanzierung und die Verwaltung der Armensiedlung. Die Häuser der Armensiedlung sollten für einen jährlichen Mietzins von einem Gulden rheinisch Fromen Armen taglönem vnd handtwerckern Bürgern vnd Jnwonern dieser stat vermietet werden. Bereits im Vertrag mit der Stadt von 1516 hatte Jakob Fugger diesen Zweck seiner Stiftung und mit diesem noch ein weiteres Kriterium benannt, durch das sich diese Armen qualifizieren mußten: Sie durften offenlich das almusen nit succhen.™ Sie durften also keine Bettler sein. Als Gegenleistung wurden die Bewohner der Armensiedlung zum Gebet für den Stifter und seine Familie verpflichtet. Täglich sollten sie ein Pater-Noster, ein Ave-Maria und einen Glouben für Jakob und seine Brüder, seine Eltern sowie aller vnser geschwistergit vnd nachkomen seilen zu hilffvnd trost beten, also für die gleichen Mitglieder der Familie Fugger, für die in der Kapelle bei St. Anna Messen gelesen werden sollten." Hierzu mußten die Bewohner sich schriftlich verpflichten. Für den Vollzug der Stiftung nach dem Wortlaut des Stiftungsbriefs sollte nach dem Willen Jakob Fuggers in Zukunft eine Verwaltung zuständig sein, die zwei Ebenen hatte. Die eine bestand aus zwei Vertretern der Fugger von der Lilie, für die zweite sollten zu diesen zwei familienexterne Exekutoren hinzutreten. Die erste Verwaltungsebene war sozusagen für das Tagesgeschäft zuständig. Abwechselnd sollten die ältesten männlichen Nachkommen seiner Brüder Ulrich und Georg Fugger die Häuser vermieten. Zum Zeitpunkt, als der Stiftungsbrief aufgesetzt wurde, waren dies Jakobs Neffen Ulrich d. J. und Raymund Fugger.12 Auch sollten alle Unterlagen über die Stiftung in ihren Händen bleiben. Außerdem sollten sie einen Pfleger bestellen, der für den baulichen Erhalt der Häuser und die Wahrung der Ordnung in der Siedlung zuständig sein sollte. Als Behausung dieses Pflegers wurde das Torhaus der Siedlung ausgewiesen. Im Fall, daß einer der beiden Neffen starb, sollte jeweils ihr Bruder bzw. der älteste männliche Nachkomme an seine Stelle treten. Wenn eine der beiden Linien erlosch, sollte die Verwaltung jeweils auf die andere übergehen. Nur wenn die männlichen Linien ausstürben, sollten männliche Nachkommen treten. Auch

hier

galt

also wie bei der

aus

den Linien der Töchter

Grabkapelle

an deren Stelle bei St. Anna wieder das agnatische

9 Gilomen, Renten und Grundbesitz ( 1994), 13 9. 10 Vertrag mit dem Rat von 1516, ed. Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg (1926), 108. 11 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 107 f. 12 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 107.

130

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Prinzip. Aber anders als zwölf Jahre zuvor in der Stiftungsurkunde der Kapelle bei St. Anna, die dem ältesten männlichen Nachkommen die Alleinherrschaft bezüglich der Kapelle eingeräumt hatte, sollte hier das Kollegialitätsprinzip gelten. Die zweite Verwaltungsebene der Fuggerei war für die Aufsicht über das Stiftungskapital zuständig. Die beiden ältesten männlichen Vertreter der Georg- und der UlrichLinie der Fugger von der Lilie wurden hierzu durch zwei familienfremde Exekutoren zu einem Quadrumvirat ergänzt. Hierzu bestellte Jakob Fugger die beiden Ratsmitglieder Johann und Georg Rehlinger. Ohne deren Wissen durften die beiden Verwalter aus der Familie keinerlei Anordnung bezüglich des Stiftungskapitals treffen. Nach dem Tod eines der familienfremden Exekutoren sollten die drei übrigen einen anderen kooptieren. Für den Fall, daß die Fugger von der Lilie einmal ausstarben, sollte das Exekutoren-Quadrumvirat weiterbestehen, dann natürlich gänzlich aus Familienfremden beschickt. Damit hatte die Fuggerei als einzige Fuggersche Stiftung ein transpersonales Stiftungsorgan erhalten, das die Existenz der Stiftung auch über die physische Fortexistenz des Geschlechts der Fugger von der Lilie hinaus gewähren konnte. In der Verwaltung der Fuggerei hatte das Geschlecht der Fugger von der Lilie also auf der einen Seite eine ähnlich beherrschende Stellung wie in der Verwaltung der Kapelle bei St. Anna. Auf der anderen Seite jedoch wurden durch das Kollegialitätsprinzip und durch die Hinzunahme von familienfremden Exekutoren Instanzen etabliert, die verhinderten, daß Vertreter der Stifterfamilie gänzlich unkontrolliert schalten und walten konnten. Offensichtlich sah Jakob Fugger die Rolle seiner Familie in der Stiftung ambivalent. Auf der einen Seite sah er bei ihr wohl den Vollzug der Stiftung am besten gewahrt, auf der anderen Seite muß er bei seiner Familie jedoch auch Gefahren für diesen gesehen haben. Wo diese lagen, machen die Bestimmungen darüber, wie die Häuser vermietet werden sollten, deutlich. Zum einen sollten sie abwechselnd durch die

beiden Verwalter aus der Familie verliehen werden. Zum anderen bestimmte Jakob Fugger in der Stiftungsurkunde ausdrücklich, daß sie nicht um Miet, gab, schank vermietet werden durften. Bei anderen Formen der Wohnstiftungen wurden Behausungen oftmals aus Gefälligkeit und gerade an Verwandte vermietet.13 Eben dies wollte Jakob Fugger offensichtlich auf jeden Fall verhindern.

c) Baugeschichte und bauliche Gestalt Als Jakob

Fugger seiner Armensiedlung mit dem Stiftungsbrief eine schriftliche Ordnung gab, war diese baulich schon weitgehend fertiggestellt und auch bereits bewohnt. Zunächst jedoch hatte es gegolten, tabula rasa zu machen. Die Gebäude, die auf den 1514 und 1516 gekauften Grundstücken standen, mußten abgerissen werden.14 Die ersten Häuser der Fuggerei waren 1517 schon gebaut. Zu diesem Jahr verzeichnen die Augsburger Steuerbücher zwischen den Ortsangaben anfang des fuggers hewser und

13 14

Rexroth, Milieu der Nacht ( 1999), 265. Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg ( 1926),

16.

IV. Die Fuggerei

131

damit haben desfuggers hewser ein end 42 Steuerpflichtige.15 Die Gesamtzahl der Bewohner war natürlich wesentlich höher. Denn die Kopfsteuer erfaßte ja nur das Oberhaupt eines Haushalts. Die Zahl der fertigen Häuser der Fuggerei betrug 22. Ein Jahr später war die Zahl der steuerpflichtigen Bewohner bereits auf 66 angewachsen, und es waren 34 Häuser fertiggestellt.16 Ab 1519 waren die Häuser numeriert, und es wurden 40 Häuser mit 81 Besteuerten angeführt.17 Auch in den folgenden Jahren wuchs die Zahl der Häuser samt Bewohnern weiter: 1520 waren es 45 Häuser, 1521 dann 48 und 1522 schließlich 52 Häuser mit 102 Besteuerten.18 Seit diesem Jahr wurde die Fuggerei als eigener Steuerbezirk geführt. Aus den Zahlen läßt sich entnehmen, daß die Baugeschichte der Armensiedlung zwei Phasen aufweist: eine erste von 1517 bis 1520, in der die Zahl der Häuser zügig von Null auf 45 anwächst und eine zweite, langsamere, in der binnen drei Jahren nur noch sieben Häuser dazukommen.19 Der Stiftungsbrief wurde also zu einem Zeitpunkt ausgestellt, als die Gründungsphase abgeschlossen war und sich das Wachstumstempo verlangsamte. Folgerichtig verpflichtete Jakob Fugger in ihm seine Neffen, den Bau der Siedlung zu vollenden, falls er vorher sterben sollte.20 Wahrscheinlich bestand zu diesem Zeitpunkt noch der Plan, die Siedlung auf insgesamt 53 Häuser auszuweiten. Denn in den gleichlautenden lateinischen Inschriften, die 1519 über den drei Torhäusern der Fuggerei angebracht wurden, wird die Zahl von 106 Behausungen genannt. Noch in seinem zweiten Testament von 1525 verpflichtete Jakob Fugger seine Neffen dazu, bestehende und zukünftige Häuser zu unterhalten. Man kann also vermuten, daß Fugger diesen Plan bis zu seinem Tod nicht aufgegeben hatte. Wenn dem so war, dann wurde er nicht umgesetzt. Nach 1522 kamen keine neuen Häuser dazu.21 Baumeister der Fuggerei war der Maurer Thomas Krebs, der 1522 erstmals als Beauftragter Jakob Fuggers gegenüber den geschworenen Werkleuten der Stadt Augsburg auftritt und später als Werkmeister am Bau der Fuggerei nachweisbar ist. Wie groß sein Anteil am Entwurf der Fuggerei war, läßt sich mangels Quellen nicht genau bestimmen. Pläne oder gar Modelle für den Bau der Fuggerei sind nicht erhalten. Marion TietzStrödel hält den Anteil des Baumeisters an der geistigen Urheberschaft der Armensied-

15 StAA Steuerbücher, 1517, 16v, 17r. Die Anzahl der fertiggesteUten Häuser läßt sich exakt erschließen, da die Steuerzahler in den Augsburger Steuerbüchern nach Häusern aufgeführt wurden. Vgl. Ciasen, Augsburger Steuerbücher (1976), 21: „Jedesmal wenn die Steuerherren und Schreiber vor ein neues Haus kamen, schreiben sie ein Item auf den linken Rand vor den Namen des ersten Steuerzahlers. Wenn ein Item auf dem linken Rand erscheint, wissen wir, daß die Bewohner eines neuen Hauses aufgeführt werden." Da dies in der bisherigen Literatur zur Fuggerei übersehen wurde, finden sich dort teilweise nur ungenaue Angaben über die Anzahl der fertiggestellten Häuser, die anhand der Zahl der Steuerpflichtigen geschätzt wurden. Diese sind zu korrigieren. 16 StAA Steuerbücher, 1518,16r-16v. 17 StAA Steuerbücher, 1519,17r-17v. 18 StAA Steuerbücher, 1520,17r-18r, 1521,17v-18r, 1522,17r-19v. 19 Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 47 f.; Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg (1926), 85 f. 20 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 107. 21 Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 49 f.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

132

lung für gering: „Vielmehr ist in ihm der rationell denkende, handwerklich geschulte Ausführende einer übergeordneten Stifteridee zu sehen ,.."22 Das grundlegende Bauprinzip der Fuggerei beruhte auf der Aneinanderreihung einstöckiger Typenhäuser entlang gerade geführter Gassen. Diese Gassen wurden zu den angrenzenden Straßen hin durch Tore bzw. Torhäuser abgeschlossen (Abbildungen 1214).23 Die Bauform des Reihenhauses nutzte das Baugrandstück optimal aus, sparte einerseits durch gemeinsame Scheidewände und die durchlaufenden Dachstühle Baukosten und erleichterte andererseits den baulichen Unterhalt durch reduzierte Außenflächen (Abbildung 15). Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wurde außerdem dadurch optimiert, daß Bauelemente wie Fenster, Türen, Deckenbalken, Dachstuhlneigung und Haustiefe weitgehend genormt waren. Von der Grundform des Typenhauses wurde nur dort abgewichen, wo eine möglichst rationelle Nutzung des Bodens dies erforderte.24 Die meisten Häuser der Fuggerei, nämlich 43 von 52, sind einstöckige Zweiparteienhäuser, die horizontal in zwei Wohneinheiten, ein ebenerdiges Untergeschoß und ein Obergeschoß, unterteilt sind. Die Wohnfläche einer Wohneinheit beträgt etwa 45 qm, die sich auf drei Wohnräume und eine Küche verteilen (Abbildung 16). Praktisch den gleichen Obergeschoßgrandriß hat ein Zinshaus in der Augsburger Zwerchgasse 11 und 9, das etwa aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt. Es kann deshalb vermutet werden, daß der Baumeister der Fuggerei sich von diesem anregen ließ.25 Mit einer Ausnahme hat jedes Haus einen Hintergarten bzw. -hof, der im 16. Jahrhundert nicht zu Erholungszwecken, sondern für praktische Zwecke wie die Kleintierhaltung

genutzt wurde.26

3.

Prävention und Disziplinierung: Der Stiftungszweck der Fuggerei und das neue Konzept von Fürsorge und Armut

a) Armensiedlung und Armenhaus Die Fuggerei läßt sich als Weiterentwicklung einer Form von Wohnstiftung verstehen, die in der Forschung als Armenhaus bezeichnet wird.27 Armenhäuser lassen sich seit dem 14. Jahrhundert nachweisen und waren entweder als anstaltsartige Gebäude konstruiert, in denen die Insassen Wohnzellen bewohnten, die zu beiden Seiten eines Mit22 23 24 25 26 27

Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 103; allgemein zur Rolle von Baumeistern im damaligen Augsburg vgl. Bischoff, Burkhard Engelberg (1999), 28-64. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 69-71,15;Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 252 f. Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 75 f. Pfaud, Bürgerhaus in Augsburg (1976), 89; vgl. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 129-133. Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 79-84. Rexroth, Armut und Memoria (1994), 343; Ders., Milieu der Nacht (1999), 253 f.; Ropertz, Wohnstiftungen (1977), 184.

IV. Die Fuggerei

133

telganges lagen, oder aber als „Reihung kleiner selbständiger Wohnhäuser entlang eines Wohnganges oder um einen Hof'.28 Lange Zeit hat die Forschung das Armenhaus in die Geschichte institutionalisierter, „geschlossener" Armenfürsorge eingeordnet und damit in die Geschichte der Spitäler.29 Die Forschung zur Geschichte der Fuggerei ist hierbei keine Ausnahme. Otto Nübel, dessen Arbeit zu mittelalterlichen Beginen- und Sozialsiedlungen in den Niederlanden den Untertitel „eine Studie zur Vorgeschichte der Fuggerei" trägt, hat darin diese „Spitalthese" wieder und wieder angeführt.30 Auch Marion Tietz-Strödel sieht die Fuggerei in der Tradition des Spitals.31 Dabei hatte man die architektonischen und funktionalen Eigenheiten der Armenhäuser, die sie von den Spitälern unterschieden, durchaus erkannt. Baulich trat an die Stelle des hallenartigen Spitalraumes nämlich die „Gruppierung selbständiger Kleinstwohnungen", die entweder als Zellen von einem Gang abgingen oder an einem Hof aufge-

reiht waren, von dem aus sie meistens auch erschlossen wurden.32 Zu einem Armenhaus im Stile des ersten Typs konnte prinzipiell jedes größere Wohnhaus umgebaut werden. Und viele dieser Armenhäuser sind auch so entstanden. Die Wohnhöfe dagegen wurden vielfach in einem geplant und angelegt. Vier verschiedene Dispositionen lassen sich dabei unterscheiden: Der„Collegetyp" (1) bildete eine vierflüglige Anlage, bei denen die Wohnungen, die man zu ununterbrochenen Zeilen aufreihte, einen meist quadratischen Hof allseitig einschlössen. Man findet ihn vor allem in England und teilweise in den Niederlanden. Die frühen niederländischen Hofjes (2) waren dreiflüglig. Die vierte Seite wurde durch eine Mauer, seltener durch eine kleine Kapelle abgeschlossen. In der Regel lagen diese allseitig umschlossenen Wohnhöfe im Inneren größerer Baublöcke und waren durch einen schmalen Torweg, der zur Straße mit einer unscheinbaren Pforte verschlossen war, mit der Straße verbunden. In den Niederlanden und in Norddeutschland verbreitet waren Wohnstiftungen, die als zwei gegenüberliegende Zeilen von Reihenhäusern angelegt waren (3), wobei manchmal ein am Ende des Hofraums stehendes Torgebäude oder eine Kapelle den räumlichen Abschluß bildeten.33 Wenig beachtet wurde bisher schließlich die seltenste Form, die sich ebenfalls in den Niederlanden nachweisen läßt. Diese bestand aus einer Reihenhausanlage (4), die nicht über den Hof, sondern über die Straße erschlossen wurde, an der sie lag. Auch sie war jedoch auf den gemeinsamen Hof, der hinter den Einzelhäusern lag, orientiert.34 Anders als die städtischen Spitäler, die Massenunterkünfte für Kranke, Fremde oder ortsansässige Arme waren, die dort nur zeitweise verbleiben durften, waren Armenhäuser außerdem als dauerhafte Wohnungen (in der Regel weniger) Armer konzipiert, die den Bewohnern ein Leben ermöglichten, das auf der einen Seite von der Gemeinschaft 28 29 30

Ropertz, Wohnstiftungen ( 1977), 193 f. Rexroth, Milieu der Nacht ( 1999), 253 f. Nübel, Beginen- und Sozialsiedlungen (1970), XI, 208, 211

(1977), 190. 31 Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 135. 32 Ropertz, Wohnstiftungen ( 1977), 195. 33 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau ( 1976), 187 f. 34 Herold, Wohnstiftungen in Brügge ( 1931 ), 26.

u.

ö.;

vgl. Ropertz, Wohnstiftungen

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

134

geprägt war, auf der anderen Seite jedoch auch eine eigenständige Privatsphäre aufwies.35 Armenhäuser wurden bemerkenswert oft für 12 bzw. 13 Personen eingerichtet, die dort ein brüderliches bzw. schwesterliches Leben nach dem Vorbild Christi und der Apostel führen sollten. Dieses Gemeinschaftsleben konnte von der gemeinsamen Einnahme der Mahlzeiten in einem Speiseraum, über den gemeinsamen Besuch kanonischer Hören bis hin zur Einkleidung in mönchsartige Kutten und der gemeinsamen Teilnahme an Prozessionen reichen.36 Das Leben im Armenhaus ging jedoch nicht vollkommen in der Gemeinschaft auf. Denn den Bewohnern wurde dort gleichzeitig auch ein individuell abgegrenzter Wohnbereich zugestanden, der zwar unter Umständen nur aus einem Raum bestand, innerhalb der Gesamtanlage jedoch volle Eigenständigkeit

besaß.37

Mittlerweile hat die Forschung gezeigt, daß der Unterschied zwischen der geschlosArmenfürsorge im Spital und geschlossener Armenfürsorge im Armenhaus kein gradueller, sondern ein qualitativer war, der wiederum auf einem neuen Konzept von Armut und Armenfürsorge beruhte.38 Die Wohnsituation im Armenhaus, die dem einzelnen Bewohner ermöglichte, seine Privatsphäre zu wahren, korrespondierte damit, daß eine Wohnung im Armenhaus nur einer ganz bestimmten Gruppe von Bedürftigen vorbehalten war: den sogenannten Hausarmen. Für hausarme leut so der Chronist Clemens Sender, hatte auch Jakob Fugger die Häuser im Kappenzipfel gestiftet.39 senen

b)

Neue Arme: Die Hausarmen

Neue Armut -

Die Kategorie des Hausarmen war Resultat eines tiefgreifenden Wandels in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Armut, der sich seit dem 14. Jahrhundert vollzog. Bis dahin war der Arme ganz allgemein „als Verkörperung des lebendigen, armen Christus" wahrgenommen und in eine besondere Nähe zu Gott gerückt worden.40 Als solcher war er bevorzugtes Ziel tätiger christlicher Nächstenliebe, wobei die Armenalmosen das Ziel hatten, offensichtliche Not zu lindern.41 In der Epoche der Großen Pest jedoch begann man mehr und mehr zwischen „wirklich" bedürftigen und solchen, die der Fürsorge nicht bedurften bzw. nicht für würdig erachtet wurden, zu unterscheiden.42 Die 35 Zu diesem 36 37

Doppelcharakter vgl. Rexroth, Milieu der Nacht (1999), 255; Turck, Leidener Wohnstiftungen (1989), 78, 94 f., verabsolutiert einseitig den Gemeinschaftsaspekt. Vgl. etwa Goldmann, Geschichte der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung (1965); Turck, Leidener Wohnstiftungen (1989), 71. Ropertz, Wohnstiftungen (1977), 195; OrmelWebster, English Hospital (1995), 136-146; vgl. Rexroth, Milieu der Nacht ( 1999), 254 f.

38 39 40 41

Rexroth, Armut und Memoria (1994), 343; Ders., Milieu der Nacht (1999), 253 f. Sender, ed. Hegel/Roth, 168. Lusiardi, Stiftung und städtische Gesellschaft (2000), 223. Mollat, Die Armen im Mittelalter (1987), 26-29, 96-106; Rexroth, Armut und Memoria (1994),

42

Hunecke, Überlegungen zur Geschichte der Armut (1983), 491; Oexle, Armut, Armutsbegriff und Armenfürsorge (1986), 88-90; Hippel, Armut (1995), 103 f.; Rexroth, Armut und Memoria

346.

(1994), 340.

IV. Die Fuggerei

135

Ursachen hierfür waren einerseits objektive wirtschaftliche Tatsachen, andererseits der Legitimitätsbedarf neuer Formen politischer Herrschaft. Man muß wohl von einem tatsächlichen langfristigen Anstieg der Zahl der Armen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ausgehen. In Augsburg hatte der Durchbruch der Stadt zur führenden Metropole des Textilhandels in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und zu der des Montangeschäfts in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einer scharfen Polarisierung zwischen Arm und Reich geführt. In den Augsburger Steuerbüchern betrug der Anteil der habnits, also derjenigen Bürger, die keine Vermögens-, sondern nur die Kopfsteuer zahlten, an der Gesamtzahl der Steuerzahler von 1396 bis zur Wende zum 16. Jahrhundert zwischen 43,6 und 65,9 Prozent. Dem gegenüber standen sehr große Vermögen Weniger, die sich während des 15. Jahrhunderts in den Händen einer immer kleineren Gruppe konzentrierten. „Eine derart extreme Entwicklung der Vermögensstruktur und die ihr zugrundeliegenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten zogen naturgemäß nach sich, daß materielle Armut eine weitausgreifende Realität in der Stadt war".43 Hinzu trat ein neuer Regelungsanspruch der städtischen Obrigkeiten in allen städtischen Angelegenheiten, der die Kategorisierung von Armen maßgeblich forcierte.44 Jörg Rogge hat folgerichtig in den reglementierenden Maßnahmen des Augsburger Rats den Ausdruck von dessen zunehmendem Herrschaftsanspruch gesehen.45 Parallel zu einer stärkeren Reglementierung der Zünfte, deren Forderungen nach politischer Mitsprache in den Augen des Rats den städtischen Frieden gefährdeten, begann die Obrigkeit seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die Almosenvergabe zu regulieren. Die Bettelordnungen der Stadt Augsburg unterschieden zunächst zum einen zwischen „ehrlichen" und „betrügerischen", zum anderen zwischen ortsansässigen und fremden Bettlern.46 Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde schließlich nur noch städtisch konzessionierten, ansässigen Bettlern gestattet, in der Stadt um Almosen zu bitten. Die anderen versuchte die Stadt in die jeweiligen Grundherrschaften abzuschieben.47 „Offensichtlich war die Präsenz von Bettlern im öffentlichen Raum eine Gefahr für die langsam immer mehr an Boden gewinnende bürgerliche (Arbeits-)Moral. Der Rat wollte verhindern, daß sich Bürger dem harten Arbeitsleben entzogen, weil der Almosenerwerb eine echte Alternative zur Arbeit darstellte."48 Die damit einhergehende Unterscheidung zwischen ehrlichen und betrügerischen Bettlern zeigt, daß die neue soziale Frage eine moralische Bewertung von Armut zur Folge hatte. Neue Armut brachte auch

43

Kießling, Pfennigalmosen ( 1990), 52 f. ; vgl. auch Rogge, Für den Gemeinen Nutzen ( 1996),

102-

105.

44 45 46

47 48

Bog, Über Arme und Armenfürsorge (1985); zu Augsburg Rogge, Für den Gemeinen Nutzen (1996), 219. Rogge, Für den Gemeinen Nutzen ( 1996), 229. Zu dieser Unterscheidung vgl. zuletzt Rexroth, Milieu der Nacht (1999), 20; vgl. auch Geremek, Armut (1988), 36,61 f. Die Augsburger Bettelordnungen von 1459, 1491 und 1498 sind gedruckt bei73;'i/e, Armenpflege der Reichsstadt Augsburg (1904), 162 f., 163-166, 166. Kießling, Pfennigalmosen (1990), 54 f.; vgl. Ders., Bürgertum und Kirche (1971), 218. Rogge, Für den Gemeinen Nutzen ( 1996), 229.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

136

auf der konzeptionellen Seite

neue

Arme hervor. Es

dige Arme.49

gab nunmehr würdige und unwür-

Kategorie des Hausarmen, die in Deutschland seit der Wende vom 13. zum Jahrhundert, in Augsburg seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, belegt ist, wird dies

An der

14.

besonders deutlich. Als Hausarme bezeichnete man arbeitende oder zumindest arbeitswillige Arme, die einen eigenen Haushalt führten, denen aber ohne eigenes Verschulden die Pauperisierung und damit der Verlust der Haushälterexistenz drohte.50 Die Ursachen für solche unverschuldete Not konnten vielfältig sein. Es gab lebenszyklische Gründe wie Alter und damit einhergehende Gebrechlichkeit, die es dem Einzelnen unmöglich machten, weiterhin selbständig seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, oder wirtschaftliche Krisen, vorübergehende oder andauernde, durch die das durch die eigene Arbeit erwirtschaftete Einkommen nicht ausreichte. Als arbeitender Armer wurde der Hausarme vom Bettler unterschieden, der nicht arbeitete.51 Die Kategorie des Hausarmen offenbart also auf der einen Seite ein neues Bewußtsein für die Ursachen von Armut und sozialem Abstieg. Auf der anderen Seite war ihr eine moralische Bewertung eingeschrieben. Denn an der gefährdeten Haushälterexistenz hing die spezifische soziale Anerkennung, die „Ehre" des Betroffenen, was sich ja nicht zuletzt daran zeigt, daß das Bürgerrecht daran geknüpft war, daß jemand einen selbständigen Hausstand führte.52 Deshalb war die Unterscheidung von Hausarmen auf der einen und Bettlern auf der anderen Seite nicht nur eine technische, sondern vielmehr eine moralische Grenzziehung. Eine andere Bezeichnung für den Hausarmen war folgerichtig: „verschämter Armer", in dem Sinn, daß er sich schämte zu betteln. Als Kategorie implizierte der verschämte Hausarme somit immer seine Negativfolie: den unverschämten Bettler. Der Hausarme ist noch Mitglied einer Mehrheitsgesellschaft der Ehrenhaften.53 Auf der anderen Seite der Grenze reiht sich dagegen der Bettler ein unter die Unehrenhaften. -

-

c)

-

-

Neue Arme -

Neue Armenfürsorge

Folgerichtig hatten die neuen Fürsorgemaßnahmen, die den Hausarmen zugute kamen, einen Doppelcharakter. Sie waren einerseits Ausdruck eines neuen präventiven Verständnisses von Armut, das die Ursachen gleichsam bei der Wurzel packen wollte. Damit einher ging jedoch eine immer wieder aktualisierte moralische Grenzziehung: zwischen Verschämten und Unverschämten, Ehrenhaften und Ehrlosen. Am Beispiel des spätmittelalterlichen London hat Frank Rexroth zeigen können, daß Fürsorgeinstitutionen für die Hausarmen „Institutionen an der Grenze" waren. Sie sollten diesen ermöglichen, im sozialmoralischen Gefüge der Stadt auf der richtigen Seite dieser Grenze zu verbleiben. Dies jedoch bedeutete, daß die Fürsorge mit einer verschärften 49 Hierzu zuletzt Schubert, Der „starke Bettler" (2000). 50 Isenmann, Deutsche Stadt ( 1988), 188. 51 Isenmann, Deutsche Stadt ( 1988), 261 ; Kießling, Pfennigalmosen Nacht (1999), 280. 52 Isenmann, Deutsche Stadt (1988), 93. 53 Kießling, Pfennigalmosen (1990), 61.

( 1990), 55; Rexroth, Milieu der

IV. Die Fuggerei

137

sozialen Kontrolle verbunden war. Denn nur wer diese Grenze noch nicht überschritten hatte, war der Hilfe würdig. Deshalb lag es nahe, Fürsorge mit mehr oder minder sanftem Zwang zu verbinden war doch der Hausarme als Anrainer der Moralgrenze nur einen Schritt von der falschen Seite entfernt. Es waren also nicht allein fürsorgerische Maßnahmen, mit denen die verschämten Armen an der Grenzüberschreitung gehindert werden sollten. Mehr oder minder offene Repression war nicht nur bei den Fürsorgemaßnahmen der städtischen Obrigkeit die Kehrseite der Medaille, sondern auch bei den Armenstiftungen der städtischen Oberschicht.54 Die Bewohner von Armenhäusern genossen keine Selbstbestimmung. Sie unterstanden der Aufsicht des Stifters bzw. der von ihm eingesetzten Organe. Und ihre Lebensführung wurde durch disziplinierende Vorschriften reglementiert, die in den Ordnungen der Armenhäuser festgelegt waren. Sie sollten nicht fluchen, trinken, betteln oder spielen. Wenn sie das Haus verließen, sollten sie nur auf direktem Weg, ohne umherzuschweifen ihr Ziel ansteuern und auf ebenso direktem Weg wieder zurückkehren.55 In Augsburg lassen sich Stiftungen für Hausarme seit dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts zunächst im Bereich der sogenannten offenen Armenfürsorge feststellen. Das zugrundeliegende Prinzip war dabei, daß Hausarme eine Beihilfe zu ihrem Lebensunterhalt bekamen, sei dies in Form von Nahrungsmitteln, Kleidern oder als sogenannte Aussteuerstiftung. So konnten sie trotz Mangels ihre Ehre als Haushälter wahren.56 Besonders typisch waren hierbei die sogenannten „Almosen der Schüsseln", die sich seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts häuften. Diese Nahrungsbeihilfen waren oftmals befristet und dienten somit offensichtlich zur Überbrückung temporärer Notlagen. Aus den Erträgen der Almosenstiftungen des Gilg Schneider und des Jakob Haustetter von 1476 bzw. 1488/96 sollten Bedürftige jeweils für 17 bzw. 13 Wochen Nahrungsmittel erhalten. Danach sollten die Pfleger neue Bedürftige auswählen.57 Alle Dritteljahre mußten die Pfleger der Stiftung neue Kandidaten auf ihre Bedürftigkeit hin überprüfen. Kategorisierung und Kontrolle gingen also bereits bei diesen Hausarmenstiftungen deutlich sichtbar Hand in Hand. Im Bereich der geschlossenen Armenfürsorge schlug sich das neue Verständnis von Armut erstmals im 14. Jahrhundert in den Stiftungen sogenannter Seelhäuser nieder. Im Seelhaus zu wohnen, war armen, ehrbaren, unverheirateten Frauen vorbehalten. Eines der ersten dieser Art stiftete 1353 eine Mechthild Ruf für zehn guot erber unversprochen arm frouwen. Hinzu traten mit der Zeit noch mindestens fünf ähnliche Einrichtungen für insgesamt etwa 70 Bewohnerinnen.58 Eine Männern vorbehaltene Wohnstiftung für Hausarme war die sogenannte St.-Antons-Pfründe, die Lorenz Egen 1410 stiftete, -

54 55 56

57 58

Rexroth, Mlieu der Nacht ( 1999), 248. Rexroth, Armenhäuser in England (2002). Kießling, Pfennigalmosen (1990), 46, weist daraufhin, daß diese Form der Fürsorge im Zusammenhang mit der Entstehung der Zünfte entsteht; vgl. Rexroth, Milieu der Nacht (1999), 262-264, zur Rolle der Zünfte bei der Verwaltung von Armenhäusern im spätmittelalterlichen London Das Stadtbuch von Augsburg, ed. Meyer, 270-286; vgl. Kießling, Pfennigalmosen (1990), 47 f.; Ders., Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 223. Herberger, Seelhäuser (1879), 283-296; Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche (1971), 225-227; Lengle, Spitäler, Stiftungen und Bruderschaften (1985), 202.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

138

und der sein Sohn Peter, der später geadelt wurde und sich dann von Argon nannte, 1445 eine detaillierte Ordnung gab.59 Die Stiftung gehörte zum Typ des Armenhauses, in dem die Insassen einzelne Zellen in einem Haus bewohnten. Aufgenommen wurden zwölf Männer, die wegen Alter und Krankheit nicht mehr in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, und die einen einwandfreien Leumund hatten.

d)

Die Fuggerei:

Wohnstiftung „neuen Typs"

Eine Weiterentwicklung solcher Wohnstiftungen für Hausarme, die es zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch in Augsburg gab, war die Fuggerei zunächst einmal in quantitatidurch ihre schiere Größe. Armenhäuser gewährten jeweils wenigen Bever Hinsicht dürftigen Wohnraum, deren Zahl das apostolische Dutzend nicht überstieg. Dies war so typisch für Armenhäuser, daß es in den Kriterienkatalog eingegangen ist, mit dem diese Form der Stiftung definiert und von der des Spitals unterschieden wird.60 Die Fuggerei dagegen hatte (und hat) mehr als 100 Wohneinheiten, war also für eine sehr große Zahl von Bedürftigen konzipiert. Wenn man so will, verband sie damit das Charakteristikum der großen Zahl, das für die undifferenzierte spitalitische Fürsorge früherer Zeiten typisch war, mit dem neuen Verständnis von Armut und Fürsorge. Bedeutender als dieser quantitative sind jedoch die qualitativen Unterschiede zwischen der Fuggerei und den zeitgenössischen Wohnstiftungen für Hausarme. -

a)

Das Ganze Haus „

"

auf 45 m2: die Haushalte in der Fuggerei

Der erste dieser Unterschiede bestand in der Struktur der Haushalte der Bewohner. Soweit der Forschungsstand hierüber Aussagen zuläßt, bestand die Klientel von Armenhäusern im späten Mittelalter in der Regel aus alleinstehenden alten Menschen.61 Unter diesen waren vor allem Witwen prominent.62 Männer, die von Altersarmut bedroht waren, durften unter Umständen auch zusammen mit ihren Ehefrauen Wohnungen in Armenhäusern beziehen.63 Auch in die Fuggerei wurden alte Menschen aufgenommen. Darüber hinaus jedoch bestand eine große Zahl der Haushalte in der Fuggerei aus jüngeren Hausarmen, die sich noch im arbeitsfähigen Alter befanden, verheiratet waren und Kinder hatten. Dies legt bereits die Größe der Wohnungen in der Fuggerei nahe. Anders als die „Einzimmerwohnungen" der Armenhäuser für Alleinstehende waren die Wohneinheiten hier mit ihren drei Zimmern offensichtlich für größere Haushalte gedacht. Das zweite Te5 9 Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche ( 1971 ), 227 f. 60 Rexroth, Milieu der Nacht ( 1999), 255. 61 Ropertz, Wohnstiftungen (1977), 210; Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 31. 62 Dies zeigen die Beispiele von Turck, Leidener Wohnstiftungen (1989); Herold, Wohnstiftungen in Brügge (1931), 23; Radke, Wohnstifte in Lübeck und Köln (1925), 38; vgl. auch Ropertz,

Kleinbürgerlicher Wohnbau (1976), 175. 63 Rexroth, Mlieu der Nacht (1999), 255; Zwölfbrüderstiftung (1965), v. a. 22-28.

vgl.

auch

Goldmann, Geschichte

der Mendelschen

IV. Die Fuggerei

139

stament Jakob Fuggers von 1525 erwähnt explizit, daß in der Fuggerei auch Familien mit Kindern lebten. Diesen wurden höhere Legate ausgesetzt als denen ohne Kinder.64 Will man mehr über die Bewohner der Fuggerei erfahren, dann sind die Augsburger Steuerbücher im Untersuchungszeitraum praktisch die einzige Quelle. Grundlage der Besteuerung war im damaligen Augsburg der einzelne Haushalt. Deshalb erscheint in der Regel nur der Vorstand des Haushalts im Steuerbuch.65 Verfolgt man jedoch die Eintragungen über einen längeren Zeitraum, so erscheinen oftmals auch andere Bewohner, Nachkommen oder Witwen, so daß sich Rückschlüsse über die Struktur eines Haushaltes gewinnen lassen. Hinzu treten Erwähnungen von Berufen, manchmal auch von Verwandtschaftsverhältnissen. Da alle diese Informationen jedoch unregelmäßig sind, reichen sie nicht aus, um exakte statistische Aussagen über Haushaltsstrukturen in der Fuggerei zu machen. Sie genügen jedoch, um einen Eindruck von den dort vorhandenen Lebensformen zu gewinnen. In einem Fall liegt für den Untersuchungszeitraum mit dem Protokoll eines Nachbarschaftsstreits eine Parallelquelle vor, aus der sich weitere interessante Rückschlüsse darüber gewinnen lassen, wer in der Fuggerei wie mit wem

zusammenlebte.66

Die Steuerbücher der Jahre 1517 bis 1521 zeigen zunächst, daß die überwiegende Mehrheit der Fuggereibewohner, die von den Augsburger Steuerherren erfaßt wurden, Männer waren. Die Fuggerei bestätigt in diesen Jahren also die Regel, daß Männer den Haushalten vorstanden (Tabelle 1).

Bew./Jahr_1517__1518__1519__1520__1521 gesamt_40__66_81_95_105 männlich_35_58_72__83_93_

weiblich

|

Tabelle 1: In den Steuerbüchern

5

1

8

[

91

121

12

erfaßte Fuggereibewohner 1517 bis 1521 nach Geschlecht

Die Altersstruktur der Fuggerei zu bestimmen, fallt schwerer. Der Zusatz „alt" hinter einigen Einträgen im Steuerbuch belegt eindeutig, daß sich unter den Fuggereibewohnern der Gründungsjahre auch Menschen in fortgeschrittenem Lebensalter befanden.67 Es spricht jedoch einiges dafür, daß dies eher die Ausnahme als die Regel war und daß Menschen im erwerbsfähigen Alter mit Familie die Mehrzahl der Haushalte bildeten. Anhaltspunkte dafür liefert eine Analyse der nachweisbaren Verweildauer der Fuggereibewohner. Von 119 Bewohnern, die zwischen 1517 und 1521 in die Steuerbücher eingetragen wurden, läßt sich für 47, und damit für 39,58 Prozent sicher nachweisen, daß sie mindestens 11 Jahre in der Armensiedlung Jakob Fuggers lebten (Tabelle 2). Diesen stehen zwar 51 gegenüber, die es nur auf höchstens 5 Jahre Verweildauer brachten. Letztere Zahlen sind jedoch schwächer zu gewichten, da man davon ausgehen muß, daß es neben dem Exitus noch andere Gründe gab, die Fuggerei nach einigen 64 Fuggertestamente, ed. Preysing, 11; Simnacher, Fuggertestamente ( 1960), 89. 65 Ciasen, Augsburger Steuerbücher ( 1976), 16. 66 StAA Bauamtsprotokolle 1534-1553,1, 117v-122r. 67 Vgl. z.B. StAA Steuerbücher, 1517, 16v: Martin Butz; 1519, 17r: Ulrich Betz; Bacher.

1521, 18r: Jörg

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

140

Jahren zu verlassen. Für jene bemerkenswert große Zahl von Bewohnern, die mehr als zehn Jahre in der Fuggerei lebten, gilt dagegen, daß sie, setzt man eine durchschnittliche Lebenserwartung voraus, zum Zeitpunkt, als sie eine Wohnung in der Fuggerei

bezogen, noch im erwerbsfähigen Alter waren. VerwdVJ.

-5

-10

-15

-20

-25

Anzahl

51

21

19

11

10

Tabelle 2: Verweildauer der zwischen 1517 und 1521 in den Steuerlisten bewohner

>25

ges. 119

erfaßten Fuggerei-

Daß eine kurze Verweildauer in der Tat mit einem hohen Eintrittsalter korrespondierte und eine lange mit einem niedrigen, zeigt ein Vergleich der Fuggerei mit der Mendelschen Zwölfbräderstiftung in Nürnberg. Denn für diese läßt sich zumindest ersteres eindeutig nachweisen. Die 1388 ins Leben gerufene Mendelsche Zwölfbräderstiftung war ein typisches Armenhaus und als solches ausdrücklich alten Männern vorbehalten.68 Ihr sogenanntes Hausbuch überliefert für neun Bewohner zwischen 1501 und 1503 das Alter, in dem sie starben. Dieses lag bei sieben dieser neun Fälle bei über 80 Jahren. Zusätzlich gibt es für insgesamt 91 Bewohner dieses Armenhauses, die in den Jahren von 1503 bis 1549 starben, die Verweildauer an (Tabelle 3).69 Diese betrug bei gerade einmal bei zwölf Bewohnern mehr als zehn Jahre. Daß hohe Eintrittsalter der Bewohner korrespondiert also eindeutig damit, daß nur gut 13 Prozent von ihnen noch länger als zehn Jahre im Armenhaus lebten, bevor sie starben. Der Umkehrschluß, daß ein deutlich höherer Anteil von Bewohnern mit hoher Verweildauer dafür spricht, daß von diesen viele bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Lebenszyklus eine Wohnung in einer Wohnstiftung bezogen, erscheint somit berechtigt. VerwdVJ. Anzahl

21

38

-10 20

Tabelle 3: Verweildauer der zwischen 1503 und 1549

Zwölfbrüderstiftung

-15

-20

-25 1

ges. 91

gestorbenen Bewohner der Mendelschen

Über die Berufe, die die Hausarmen in der Fuggerei ausübten, liegen zwar nur gelegentliche Nachrichten vor. Diese entsprechen jedoch genau den diesbezüglichen Bestimmungen des Stiftungsbriefs von 1521. Man darf deshalb wohl von davon ausgehen, daß das faßbare Spektrum repräsentativ ist. Der Stiftungsbrief hatte eine Behausung in

der Fuggerei Armen taglönern vnd handtwerckern vorbehalten.70 Und dies spiegelt sich auch in den Quellen über die diesbezügliche Stiftungswirklichkeit. In den Steuerbüchern wurden mehrere Bewohner als Tagewerker erfaßt. An Handwerken lassen sich in der Frähzeit der Fuggerei Schuster, Zimmermann, Metzger, Schlosser bzw. Schmied, Maurer und Drechsler fassen. Namen wie Lautenmacher, Geiger, Schneider können 68 Goldmann, Geschichte der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung ( 1965), 8. 69 Schneideru. a., Handschrift des Mendelschen Brüderbuchs (1965), 137-150. 70 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 107.

141

IV. Die Fuggerei unter Umständen

Tagelöhnern Söldner.71

auch Berufsbezeichnungen gewesen sein. Zwischen Handwerkern und standen die Weber. Hinzu traten noch Stadtknechte, Boten, später auch

Daß diese frommen und

armen Tagelöhner und Handwerker nicht alleinstehend wazeigen. So sind für insgesamt 20 von 116 Personen, die zwischen 1517 und 1521 in der Fuggerei von den Augsburger Steuerherren erfaßt wurden, Kinder in den Steuerbüchern eindeutig belegt. Aus den Steuerbüchern lassen sich Nachkommen allerdings nur in Sonderfällen erschließen, entweder wenn erwachsene Kinder im Haushalt ihrer Eltern lebten und dennoch von den Steuerherren erfaßt wurden, weil überprüft werden sollte, ob sie nicht trotzdem steuerpflichtig waren, oder wenn der Sohn den Haushalt des Vaters übernahm. Die wahrscheinlich zahlreichen Fälle, in denen Söhne den elterlichen Haushalt verließen, bevor sie steuerpflichtig wurden, und diesen später auch nicht übernahmen, erscheinen naturgemäß nicht in den Steuerbü-

ren, läßt sich ebenfalls

chern. Man muß also

von

einer wesentlich höheren Anzahl

unter den Bewohnern der Häuser

am

von

Familien mit Kindern man explizit in den

Kappenzipfel ausgehen, als

Steuerbüchern fassen kann. Einen äußerst plastischen Eindruck davon, wie groß ein Haushalt in der Fuggerei sein und aus welchen Personen er zusammengesetzt sein konnte, vermittelt ein Bauamtsprotokoll von 1552. Dieses protokollierte einen Streit der Witwe des Metzgers Georg Haffner mit ihren Nachbarn. Dieser Georg Haffner bezog nach Ausweis der Steuerbücher 1517 das Haus Nr. 4 in der Fuggerei und ist dort bis 1529 nachweisbar. Er gehörte also mit zu den ersten Bewohnern der Fuggerei. Das gleiche galt wohl auch für seine Ehefrau, die ab 1529 als Steuerzahlerin in Haus Nr. 4 ihren Mann ablöst und dort bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nachweisbar ist. Die Haffners hatten wahrscheinlich keine Kinder. Weder in den Steuerbüchern noch in dem Protokoll von 1552 werden solche erwähnt. Vor allem letzteres ist aussagekräftig, denn in dem Protokoll werden eine ganze Reihe von Personen genannt, die zum Haushalt der Haffners gehörten.

Daß sie keine leiblichen Nachkommen hatten, heißt nicht, daß im Haushalt der Haffkeine Kinder lebten. Sie hatten nämlich Georg Haffners Neffen Michael Haffner bei sich aufgenommen, als dieser sechs Jahre alt war, und dieser hatte dann, so gab er es 1552 zu Protokoll, einige Jahre bei ihnen gelebt. Da von 1518 bis 1528 im Haus Nr. 4 der Fuggerei auch eine Lucia Hafïherin steuerte, die an einer Stelle als Schwägerin des Georg Haffner bezeichnet wird, darf man wohl davon ausgehen, daß Michael Haffner 1518 zusammen mit seiner Mutter zu seinem Onkel gezogen war.72 ners

71

72

Steuerbücher, 1517, 16v: Werlin Klein (Schuster), Hans von Wasserburg (Weber), Jos Singer (Drechsler); 1521, 18r: Hans Rehlinger (Tagelöhner); 1524 17r: Veit Schneider (Tagelöhner); 1525, 18v: Hans Eckardin (Schusterwitwe); 1529, 19v: Veit Schneider (Weber); 1533, 19r: Michel Förster (Bote); 1534, 19v: Lienhard Ott (Schmied); 1542, 16r: Elay Weygellin (Söldner); 1544,22v: Paul Vogel (Söldner); 1550 31r: Hans Widman (Bote), Hans Widman (Maurer); StAA StAA

Bauamtsprotokolle 1534-1553,1, 118r: Erasmus Amman (Stadtknecht), (Zimmermann), Lienhart Heimbauer (Weber). StAA Bauamtsprotokolle 1534-1553,1, 120r.

118v: Stefan Menhofer

142

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Bei den Haffners wohnten jedoch nicht nur Blutsverwandte. Das Protokoll von 1552 erwähnt auch einen Tagewerker namens Jörg Kroner, der zu diesem Zeitpunkt seit über zwanzig Jahren „in der Haffnerin Behausung um ein Zins wohnhaft" war.73 Da 1529 Lucia Haffnerin nicht mehr als Steuerzahlerin in Haus Nr. 4 der Fuggerei erscheint, in diesem Jahr also wahrscheinlich mit ihrem mittlerweile erwachsenen Sohn dort wegzog und im Jahr darauf Georg Haffner durch seine Witwe als Haushaltsvorstand abgelöst wurde, also wahrscheinlich verstorben war, drängt sich der Eindruck geradezu auf, daß Walburga Haffnerin daraufhin einen Raum ihrer mittlerweile zu groß gewordenen

Wohnung „untervermietete".74 Die Wohnung in Haus Nr. 4 der Fuggerei war dabei jedoch nicht nur die Wohn-, sondern gleichzeitig auch die Arbeitsstätte der Haffhers. Das Protokoll erwähnt nämlich drei Bedienstete der Haffners. Die Weberin Appolonia Güntherin hatte Walburga Haffner gedient. Für Georg Haffner hatten der Metzger Peter Hefelin und der Zimmermann Hans Vogler gearbeitet, letzterer nach eigener Aussage im Garten mit Zeunen vnnd Thillen wie ain Handwerksmann.75 Dieser Garten, in dem der Zimmermann Vogler Koben, Stallungen oder Gehege für die Tiere baute und reparierte, die der Metzger Haffner mit Hilfe seines Gesellen Peter Hefelin schlachtete, war wohl der Garten hinter Haus Nr. 4 in der Fuggerei. Dies macht der Anlaß des Nachbarschaftsstreits wahrscheinlich. Es ging nämlich um die Entsorgung von unseubrigkeit bzw. Khot. Offensichtlich waren die Mengen, die bei den Haffners anfielen und die diese, wie die anderen Bewohner auch, in den Lauteriech warfen, der vor ihrer Behausung durch die Sau(!)-gasse floß, größer als bei anderen Fuggereibewohnern, ein Indiz dafür, daß neben den Ausscheidungen der Haffhers hier noch die ihrer Schlachttiere eine Rolle spielten.76 Dafür spricht auch, daß der Tagewerker Lienhard Ziegler, den Khot, den er vor dem Haus, in dem Walburga Haffherin wohnte, aus dem Bach räumte, bei dieser im Garten bei der Schlacht, also der Schlachtbank deponierte.77 Nicht nur die Haffners, sondern sämtliche Anwohner der Saugasse und der Hinteren Gasse kippten ihre Abfalle in den Lauteriech, der durch diese Gassen floß. Von Zeit zu Zeit mußte der Bach jedoch geräumt werden, wahrscheinlich weil die Strömung die Abfallmengen nicht mehr bewältigte und der Bach sich zu stauen drohte, mit unangenehmen Folgen. In diesem Fall hatte der Tagewerker oder Fuggereibewohner, dem der Pfleger dies übertragen hatte, den Abfall, den er aus dem Bach räumte, bei jenen Bewohnern abzuladen, vor deren

Haus er ihn aus dem Bach geräumt hatte. Diese sollten ihn dann auf einem anderen als dem Wasserweg aus der Fuggerei schaffen lassen. Die Haffners hatten sich diesem Verursacherprinzip offensichtlich immer wieder zu entziehen versucht. Auch hatten die auf dem Hof der Haffners deponierten Abfallmengen dazu geführt, daß die Mauer baufällig geworden war. Dies hatte dann den Nachbarschaftsstreit ausgelöst.

73 74 75 76 77

StAA Bauamtsprotokolle 1534-1553,1, 121r. StAA Steuerbücher, 1529,19r, 1530,19r. StAA Bauamtsprotokolle 1534-1553,1, 121v-122r. Zur Entwässerung der Fuggerei vgl. Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 95. StAA Bauamtsprotokolle 1534-1553,1, 120r.

IV. Die Fuggerei

143

Will man die Lebensform der Haffners in der Fuggerei auf eine Formel bringen, dann könnte man diese als das „Ganze Haus" auf 45 Quadratmetern bezeichnen.78 In seiner Wohnung in Haus Nr. 4 der Fuggerei lebte und wirtschaftete der Metzger Georg Haffner als selbständiger Handwerker zusammen mit Frau und Verwandten sowie Gesellen bzw. Dienern. Daß er letztere anstellen und bezahlen konnte, macht deutlich, daß er sich als Hausarmer dennoch eines gewissen Wohlstandes erfreut haben muß. Wie repräsentativ war Georg Haffher für die Hausarmen in der Fuggerei? Der Zusammenhang von Wohnen und Arbeiten, der sich für die Haffhers belegen läßt, ist sicherlich nur teilweise verallgemeinerbar. Für einige der Handwerker, die sich in der Fuggerei nachweisen lassen, ist es allerdings durchaus vorstellbar, daß sie wie Georg Haffner ihr Gewerbe in ihrer Behausung in der Fuggerei ausübten, so etwa für den Schuster Werner Klein, oder den Drechsler Jos Singer.79 Auch bei zumindest einigen der Weber, die in der Fuggerei lebten, darf man sich sicher sein, daß sie zu Hause arbeiteten. In den Häusern Nr. 19 und Nr. 21 der Fuggerei hatte man die hintere Schlafkammer zum dazwischenliegenden Haus Nr. 20 hin durch einen tieferliegenden, 3,50 m hohen überwölbten Raum erweitert, der offensichtlich als Weberdunk gedacht war.80 Allerdings arbeiteten die Weber, vielleicht auch die Schuster und Schmiede, in der Fuggerei wohl nicht als selbständige Handwerksmeister, sondern im Verlagssystem bzw. Lohnwerk und dürften somit wohl kaum Diener beschäftigt haben.81 Dies gilt natürlich erst recht für die Tagelöhner und die Boten. Doch darf man wohl davon ausgehen, daß es auch bei diesen verbreitet war, Verwandte oder nichtverwandte Personen bei sich wohnen zu lassen. Gerade für die weniger wohlhabenden Hausarmen wird es einerseits attraktiv gewesen sein, ihr Einkommen durch Untervermietung aufzubessern, und andererseits die Notwendigkeit größer gewesen sein, Bedürftige Familienangehörige bei sich aufzunehmen. In den Steuerbüchern sind denn auch vielfach für eine Wohneinheit mehrere steuernde Parteien verzeichnet. Ein Indiz dafür, daß solchermaßen erweiterte Haushalte keine Seltenheit waren. Was die materiellen Umstände betrifft, so läßt sich zumindest sagen, daß die Haffners, die dauerhaft Diener beschäftigten, wie die allermeisten Fuggereibewohner nur die Kopfsteuer zahlten und damit wohl nicht einmal zu den wohlhabendsten Hausarmen in der Fuggerei gehörten. Es gab nämlich immer eine verschwindend kleine Gruppe von zwei bis vier Haushalten, die Steuern auf Vermögen zu entrichten hatten, auch wenn diese eher gering waren. Es hat aber wohl auch ärmere Haushalte als den der Haffners gegeben. Zumindest aus späteren Phasen des Untersuchungszeitraums sind Fälle belegt, in denen Bewohner den Hauszins erlassen bekamen.82 Wiederholt vermerken die Steuerherren, daß ein verstorbener Fuggereibewohner keine Habe hinterlassen habe, die versteuert werden müßte.83 Es ist also innerhalb der Fuggerei von einem nicht unbe78 Zur Problematik des Konzepts des „Ganzen Hauses" vgl. Groebner, Ökonomie ohne Haus (1993), 20 sowie zuletzt Weiß, Brunner und das Ganze Haus (2001). 79 S.o. bei Anm. 71. 80 Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg ( 1926), 41 ; Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 88. 81 Groebner, Ökonomie ohne Haus (1993), 116 f. 82 FA 66.2.3, 72v. 83 StAA Steuerbücher, 1536, 21r.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

144

trächtlichen Einkommensspektrum auszugehen, das offensichtlich mit den unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten der verschiedenen Berufe Hand in Hand ging, die sich für die Fuggereibewohner nachweisen lassen. Daß neben Witwen, Tagelöhnern und unselbständigen Lohnwerkern auch selbständige Handwerksmeister, die Gesellen beschäftigten, als arm galten, paßt in das Bild, daß die jüngere Forschung von der Lage der Handwerker und Tagelöhner in der Stadt des 15. und 16. Jahrhunderts gezeichnet hat. Auch die relativ Wohlhabenden unter ihnen waren in dem Sinn arm, daß sie keine ausreichenden Rücklagen bilden konnten. In Phasen der auch nur saisonalen Teuerung oder gar konjunktureller Krisen gerieten sie deshalb schnell in Gefahr, in jene „Ökonomie ohne Haus" abzurutschen, deren Angehörige nicht mehr als Teil der städtischen Mehrheitsgesellschaft galten.84 Genau hier setzte die spezifische Hausarmenfürsorge der Fuggerei an. Worin ihr nervus rerum bestand, hatte Jakob Fugger bereits 1516 im Vertrag mit dem Rat festgestellt. Die Fuggerei sollte dazu dienen, daß den armen und bedürftigen Handwerkern destbas und on sunder merklich beschwerdt der haußzins zum thail ersetzt würde, so daß sie ir gemech und behausung bequemlicher gehaben und bewonen mögend Offensichtlich konnten viele Hausarme im damaligen Augsburg nur mit Mühe das Geld aufbringen, um ihre Behausung zu finanzieren. Und wahrscheinlich war genau dies der Grund dafür, daß sie sich in Versuchung sahen zu betteln. Damit jedoch hätten sie die Grenze zwischen Ehrbaren und Unehrenhaften überschritten, selbst wenn sie noch einen eigenen Haushalt führten. Schätzungen zufolge betrug der Mietzins für eine Behausung, die der Wohnsituation in der Fuggerei vergleichbar gewesen wäre, zwischen zwei und vier Gulden rheinisch im Jahr.86 Wer in der Fuggerei wohnte, konnte seine finanzielle Belastung durch Mietzins also erheblich, um 50 bis 75 Prozent, verringern. Der Hauszins betrug dort mit 1 fl. jährlich allerdings immer noch ungefähr den geschätzten Monatsverdienst eines Tagelöhners.87 Es ist also durchaus berechtigt, die Fuggerei als Ausdruck einer präventiven Armenfürsorge zu beschreiben.88 In ihr eine Wohnung zu erhalten, sollte nicht Hilfe zum Überleben für die Ärmsten sein, sondern Hilfe zu einem standesgemäßen Leben für diejenigen, die noch auf der richtigen Seite der Grenze zwischen unehrenhaften Armen und ehrbaren Hausarmen waren, die noch nie gebettelt hatten. Sie wollte Jakob Fugger vor dem Überschreiten dieser Grenze bewahren. Der präventive Charakter der Fuggerei zeigte sich jedoch nicht nur dort, wo ihr Stiftungszweck in der Fürsorge bestand. Sozialer Abstieg wurde in den Augen vieler Zeitgenossen ja nicht nur durch äußere Not, sondern auch durch lasterhaftes Betragen verursacht. Viele Bettler, so erhoben sich gerade um 1500 vielerorts Stimmen, hätten ihre Situation ihrem Hang zum Müßiggang und ihrer Arbeitsscheu zuzuschreiben.89 Aus 84 85 86

87 88 89

Groebner, Ökonomie ohne Haus (1993), 61-113. Vertrag mit dem Rat von 1516, ed. Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg ( 1926), 108. Dirlmeier, Untersuchungen (1978), 241-250; vgl. Kießling, Pfennigalmosen (1990), 51; vgl. auch

Fouquet, Große Städte Kleine Häuser (1998), 425. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 32. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 9. Schubert, Der „starke Bettler" (2000), mit vielen Beispielen aus dem oberdeutschen Raum; vgl. auch Jütte, Abbild und soziale Wirklichkeit des Gaunertums (1988). -

145

IV. Die Fuggerei

diesem Grund hatten Hausarmenstiftungen neben der karitativen ja auch immer eine disziplinierende Seite. Die Fuggerei bildete da keine Ausnahme. Im Stiftungsbrief von 1521 heißt es, daß der Pfleger, den die Stiftungsexekutoren einsetzen sollten, zusehen

sollte, daß nichts vnerbars oder schandtlichs gestattet werde.90 Als 28 Jahre später der Pfleger Moritz Kronecker seinen Vertrag mit den Stiftungsexekutoren erneuerte, hieß es in diesem folgerichtig, er solle darauf achten, daß in der Fuggerei wie vonn alter her

gebreuchlich ist, kain vnzüchtig oder vntauglich leben oder wesen vonn Yemanden gefiert werde.91 Doch nicht nur der Pfleger sollte in der Armensiedlung Jakob Fuggers für einen tugendhaften Lebenswandel der Bewohner sorgen. Dazu beitragen sollte auch die architektonische Form und die räumliche Struktur der Fuggerei selbst.

ß)

Räumliche Struktur und der Fuggerei

richtiges Betragen:

die

disziplinierende

Dimension

zweite, entscheidende qualitative Unterschied zwischen der Fuggerei und den Armenhäusern bestand in der räumlichen Struktur der Armensiedlung Jakob Fuggers. Während die Armenhäuser sowohl der Privatsphäre als auch dem Gemeinschaftsleben der Bewohner Raum boten, oftmals im Sinne der vita communis, fehlte in der Fuggerei dieser Gemeinschaftsaspekt. Jenseits der Privatsphäre gab es in ihr keinen Ort für die Bewohner. Durch diese Verschiebung des Gewichts allein auf die Privatsphäre der Bewohner war es in der Fuggerei der Raum selbst, der die Bewohner disziplinieren und somit dazu beitragen sollte, daß die Hausarmen in Jakob Fuggers Armensiedlung auf der richtigen Seite der Grenze zwischen Ehrbaren und Unverschämten verblieben. Diese Funktion des Raums wurde dabei noch durch andere architektonische Eigenheiten der Fuggerei unterstützt. Bevor dies im folgenden gezeigt werden soll, erscheinen zwei Bemerkungen nötig. Zum ersten erscheint es wichtig zu betonen, daß die hier versuchte räumliche Analyse der Armensiedlung Jakob Fuggers vielerorts an Beobachtungen zu räumlichen Verhältnissen innerhalb und architektonischen Einzelelementen der Fuggerei anknüpft, die bereits die architektur- und kunsthistorische Forschung gemacht hatte, dies allerdings, ohne sie aufeinander zu beziehen und in Hinsicht auf den Stiftungszweck zu interpretieren. Des weiteren bedarf es einiger knapper Worte zum Konzept der „Disziplinierung" und zum Begriff „privat". Es ist hier nicht der Ort, um das vielschichtige Konzept der Disziplinierung in all seinen Facetten zu erläutern und die Forschungskontroversen über den Zusammenhang von Disziplinierung und Armenfürsorge nachzuzeichnen.92 Es ist jedoch nötig, darauf hinzuweisen, daß es hier nicht um Disziplin im Sinne von Gerhard Oestreichs Konzept Der

90 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 108. 91 FA 5.1.2., 4v. 92 Zuletzt zusammenfassend Schilling, Profil und Perspektiven (1999); vgl. Dinges, Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung? (1991); Jütte, Prolegomena zu einer Sozialgeschichte (1991).

146

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

der „Sozialdisziplinierung" gehen soll.93 Dessen etatistische, zentristische Disposition ist zu Recht kritisiert worden.94 Statt dessen soll hier an Gedanken von Michel Foucault angeknüpft werden. Foucault hat auf den pluralen, multiplen Charakter der Disziplin hingewiesen, die eben nicht Ergebnis einer, sondern zahlreicher Projektionen sei. Gleichzeitig hat er gezeigt, daß Disziplin nicht nur repressiv, sondern auch produktiv ist. Sie unterdrückt unerwünschte Eigenschaften und modelliert die erwünschten. Ein zentrales Ziel ist dabei, eine Ökonomie der Verausgabung und des Exzesses durch eine Ökonomie des kontinuierlichen Betriebs zu ersetzen, man darf ergänzen: sowohl auf der Makroebene von gesellschaftlichen Funktionssystemen, als auch auf der Mikroebene der individuellen (Affekt-)Ökonomie. Disziplinierung ist für Foucault doppelte Subjektivierung: „Subjektivierung im Sinne einer Unterwerfung unter Kontrolle und Abhängigkeit und Subjektivierung im Sinne einer Bindung an die eigene Identität qua Bewußtsein und Selbsterkenntnis".95 Dabei haben neben diskursiven auch nichtdiskursive, zum Beispiel räumliche Praktiken als Methode, Individuen zu diszipliniertem Verhalten zu bringen, große Bedeutung.96 Zuletzt bleibt noch anzumerken, daß auch die Implikationen der Begriffe „privat" bzw. „Privatsphäre" hier nicht erschöpfend diskutiert werden können. Es versteht sich von selbst, daß ein modernes Verständnis von „Privatsphäre" nicht einfach auf die Verhältnisse im frühen 16. Jahrhundert übertragen werden kann. Deshalb sei hier klar gesagt, was im folgenden mit „Privatsphäre" gemeint ist. Es geht hier nicht um das abstrakte Gegensatzpaar „privat" und „öffentlich", sondern um die Sphären von privat und gemeinsam bzw. gemeinschaftlich, im Sinne der vita communis, wie sie die spätmittelalterlichen Armenhäuser kannten. Privatsphäre wird hier verstanden als Raum, der nur einem klar definierten Nutzerkreis offen steht, eben den Bewohnern einer Wohnung in der Fuggerei.97 Es sei aber dennoch daraufhingewiesen, daß jüngere architekturhistorische Arbeiten gezeigt haben, daß die räumliche Grenze zwischen privat und öffentlich bereits im späten Mittelalter vielerorts schärfer gezogen wurde.98 Auf der Ebene des einzelnen Hauses fallt zunächst das ins Auge, was die Fuggerei räumlich mit den sonstigen zeitgenössischen Wohnstiftungen für Hausarme gemeinsam hatte. Diese waren immer so angelegt, daß die Bewohner weiterhin ihren Status als selbständige Haushälter mit eigener, klar abgegrenzter Privatsphäre wahren konnten: „Wer durch Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit oder berufliches Mißgeschick wirtschaftlich abhängig geworden war, sollte nicht zugleich den sozialen Niedergang bis auf die Stufe der lohnabhängigen Nichtbürger erleiden, sollte nach den Begriffen seiner Zeit 93

94 95 96 97 98

Vgl. hierzu Breuer, Sozialdisziplinierung (1986), v. a. 52-56; Finzsch, Elias, Foucault, Oestreich (1996), 10 f.; Schilling, Profil und Perspektiven (1999), 4; vgl. auch die Beiträge in Jaritz (Hrsg.), Diziplinierung im Alltag (1997). Breuer, Sozialdisziplinierung ( 1986), 65; Schilling, Profil und Perspektiven ( 1999), 9. Breuer, Produktive Disziplin (1992), 42 (Zitat), 43^15. Foucault, Überwachen und Strafen (1976); vgl. hierzu Breuer, Sozialdisziplinierung (1986), 59, 65; Ders., Produktive Disziplin (1992), 44. Zum Problem aus urbanistischer Perspektive vgl. Dijskstra, Public spaces (2000); vgl. allgemein Melville/von Moos (Hrsg.), Das Öffentliche und Private (1998). Vgl. etwa Friedman, Palaces and the Street (1992).

IV. Die Fuggerei

147

auch weiterhin ,Haus halten'".99 Ganz in diesem Sinne wurden die Wohnungen in den Häusern der Fuggerei konzipiert.100 Entscheidend dafür, daß eine Wohneinheit ein Haus repräsentieren konnte, war ja bereits bei den Zellen der frühen Armenhäuser ihre Eigenständigkeit, die die Privatsphäre des Bewohners wahrte. Dieser Grundsatz kam auch bei den Fuggereihäusern zum Tragen, in denen ja immer zwei Parteien wohnten. Deshalb wurden die Eingänge zu den Wohnungen so angelegt, daß jede der beiden Mietparteien, ohne der anderen zu begegnen, direkt von der Straße aus ihre Wohnung erreichen konnte. Die beiden Türen liegen zwar nebeneinander an der vorderen Hausfront (Abbildung 15). Aber an eine der beiden schließt sich direkt ein in das Haus eingebauter steiler Treppenlauf an, über den man direkt von der Haustür ins Obergeschoß gelangt. „Durch diese Trennung der Wohneingänge wird die Privatsphäre im Rahmen der Serienbauweise gewahrt und den Bewohnern das Gefühl der Eigenständigkeit

vermittelt".101

Nimmt man die Anlage als ganze ins Auge, dann erschließt sich der entscheidende Unterschied zwischen der Fuggerei und den Armenhäusern: Sie hat keinen zentralen Platz.102 Damit fehlt ihr ein Ort, der die Gemeinschaft der Bewohner repräsentiert. Während bei den Armenhäusern die einzelnen Wohneinheiten um einen zentralen Hof oder Gang angeordnet sind, werden die Wohneinheiten der Fuggerei durch gerade geführte Gassen erschlossen. Die zentrale Kreuzung der beiden Hauptachsen Herren- und Mittelbzw. Ochsengasse wurde dabei nicht zu einem Platz erweitert. Den Brunnen, der auf modernen Photografien zu sehen ist, erhielt die Kreuzung erst Anfang des 17. Jahrhunderts (Abbildungen 17 und 18). Daß der Hof bzw. Platz in den zeitgenössischen Armenhäusern tatsächlich ein Zentrum der Kommunikation der Bewohner war, legen, bei allen methodischen Vorbehalten gegen ihre Benutzung als Quelle, moderne Photografien nahe. Viel Grün läßt etwa bei den niederländischen Hofjes den Aufenthalt im Freien attraktiv erscheinen. Und folgerichtig finden sich vor den Häusern oftmals Bänke. Das Bild, wie die Bewohner abends vor ihren Behausungen sitzen und mit ihren Nachbarn plaudern, steigt förmlich vor dem geistigen Auge auf (Abbildungen 19 und 20). Ein weiterer und vielleicht methodisch unproblematischerer Beleg dafür, daß der Hof bzw. Platz bei den Armenhäusern tatsächlich als Raum vorgesehen war, der von den Bewohnern gemeinschaftlich genutzt werden konnte, liefert die Betrachtung von Armenhäusern, die bezüglich ihrer räumlichen Struktur auf den ersten Blick als Ausnahme von der Regel erscheinen. Ein solches ist das 1480 gestiftete Armenhaus de Moor in Brügge (Abbildung 21).103 Diese Wohnanlage ist nämlich nicht um einen Hof herum angeordnet, sondern als Häuserzeile entlang einer geraden Straße, und ähnelt so von Rexroth, Milieu der Nacht ( 1999), 279 f. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 31 f.; Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau (1976), 230, spricht von einer Fiktion der eigenen, selbständigen Wohneinheit"; vgl. auch Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg ( 1926), 31. 101 Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 77. 102 Dies hat bereits Herold, Wohnstiftungen in Brügge (1931), 81, bemerkt; vgl. auch Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau (1976), 233. 103 Zum folgenden Herold, Wohnstiftungen in Brügge (1931), 26 f., 40-44. 99

100

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

148

ihrem Ordnungsprinzip her den Zeilen der Fuggerei. Wie in dieser werden die Häuser von der Straße bzw. Gasse aus betreten. Allerdings ist der Raum hinter den Häusern nicht in einzelne Höfe aufgeteilt, die den jeweiligen Wohneinheiten zugeordnet sind. Er bildet statt dessen einen allen Häusern gemeinsamen Hof, auf den diese auch orientiert sind. Auch hier steht der Privatsphäre also räumlich der Gegenpol der Gemeinschaft entgegen. Bedenkt man, daß diese Wohnstiftungen „Hofjes" genannt wurden und werden, dann zeigt sich, daß der Raum, in dem Gemeinschaft erfahren wurde, diese offensichtlich auch als ganze repräsentierte. Die Kreuzung der beiden Hauptgassen in der Fuggerei dagegen simuliert allenfalls ein gemeinschaftliches Zentrum. Anders als bei den Höfen der Armenhäuser gibt es keine umschließende Wand, die die Blicke auf das Zentrum hin orientierte und dort zur Ruhe kommen ließe. Die Hausecken an der Kreuzung von Herrengasse und Mittlerer bzw. Ochsengasse lenken statt dessen den Blick auf allen vier Seiten in die Gassenzeilen, und den Blicken sollten die Menschen folgen: „Eine Kreuzung ist immer bestimmt durch die Straße, den Verkehrsweg und damit von Unruhe, Hin- und Weggehen".104 Daß die Kreuzung nicht zum Verweilen einladen sollte, wurde noch dadurch verstärkt, daß die Hauptachsen der Fuggerei, die dort aufeinandertreffen, symbolisch durch herrschaftliche Instanzen besetzt waren. Blickte man von der Mittleren und Ochsengasse in Richtung Westen, so fiel der Blick auf die Silhouette des Rathauses und den Perlachturm, „die sich hoch über dem Siedlungstor erheben als Repräsentanten politischer und wirtschaftlicher Macht" (Abbildung 17).105 Die Herrengasse war, wie es ihr Name zum Ausdruck bringt, symbolisch durch den Stifter bzw. dessen Organ, den Pfleger, beherrscht, der im Verwalterhaus am Tor zur Jakober Straße residierte. Damit kontrollierte er zum einen den Übergang zur Welt außerhalb der Fuggerei. Zum anderen hatte er von dort aus die Gasse im Blick, an der ein Drittel der Häuser der Fuggerei lagen

(Abbildung 18).106

Da der räumlichen Struktur der Fuggerei im Unterschied zu den zeitgenössischen Armenhäusern der Gegenpol des Gemeinschaftslebens abging, erhielt die Privatsphäre eine andere Bedeutung. Es ging nicht mehr allein darum, den Bewohnern Privatsphäre zu gewähren, um ihnen so zu ermöglichen, weiterhin Haus zu halten. Sie wurden gleichzeitig geradezu auf ihre Privatsphäre verwiesen und so von den anderen Bewohnern förmlich abgegrenzt. Folgt man Michel Foucault, dann erhielt auf diese Weise der Raum selbst eine disziplinierende Funktion. Jakob Fuggers Armensiedlung war bei aller Fürsorge für Hausarme auch Disziplinarraum für diese. Die Verteilung der Bewohner im Raum, wie in der Fuggerei praktiziert, kann man mit Foucault als „Parzellierung" bezeichnen. Sie funktioniert nach dem Prinzip: „Jedem Individuum seinen Platz und auf jeden Platz ein Individuum." Die Logik, die einem dergestalt parzellierten Raum zugrunde liegt, ist eine

„Antidesertions-, Antivagabondage- und Antiagglomerationstaktik.

104 105

Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 230. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 68; im

106

16. Jahrhundert

war

Photographien freilich noch das alte Augsburger Rathaus. Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg (1926),

17.

Es

geht

gegen

dies anders als auf den modernen

IV. Die Fuggerei

149

Ungewissen Verteilungen, gegen das unkontrollierte Verschwinden von Individuen, gegen das diffuse Herumschweifen, gegen ihre unnütze und gefährliche Anhäufung".107 Bereits Josef Weidenbacher hatte vermutet, daß die getrennten Wohnungseingänge der Häuser in der Fuggerei nicht nur den Zweck hatten, den Bewohner „das Gefühl des ,Eigenheims'" zu geben, sondern auch die Kontrolle zu ermöglichen, „wer im Haus und in den Wohnungen aus- und eingeht".108 Und mit der gefährlichen Anhäufung von armen Handwerkern hatte man in Augsburg bereits 50 Jahre zuvor so seine Erfahrungen gemacht. Im Jahr 1466 hatten sich die Augsburger Bäcker und Weber geweigert, ein Ungeld zu entrichten, das der Rat in diesem Jahr beschlossen hatte. Der Widerstand artikulierte sich dabei auf Versammlungen der Handwerker in ihren Zunfthäusern, zu denen der Rat sie durch die Zunftmeister hatte zusammenrufen lassen. Das Ungeld sollte nämlich zunftweise durch Männer eingenommen werden, die von den Handwerkern selbst dazu gewählt werden sollten. Bemerkenswert ist in unserem Zusammenhang der Kommentar des Chronisten Hektor Mülich zu diesem Verfahren, der eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Anhäufung von Armen zum Ausdruck bringt: und was ain torhait, das arm volck zu(o)samen [zuo] vorderen und on etwas haim zuo setzen, die

dann der verdorben man kert sich zuo dem bösen.109 Das diffuse Herumschweifen schließlich war in den Augen der Zeitgenossen das Merkmal, das den unwürdigen vom würdigen Armen unterschied. Anders als der seßhafte Hausarme zog der Bettler umher. Wer sich allzu lange auf der Straße aufhielt, den konnte man nicht mehr vom Bettler unterscheiden, der von Haus zu Haus ging, an die Tür klopfte und um Almosen bettelte und das, obwohl der Augsburger Rat dies schon 1459 verboten hatte.110 Der parzellierte Raum der Fuggerei sollte die Bewohner jedoch nicht nur von etwas ab-, sondern sie auch zu etwas anhalten. Zutage tritt dies, wenn man nochmals Anlage und Funktion der Höfe in der Fuggerei betrachtet. In den Armenhäusern diente der große Hof als Gemeinschaftszentrum und damit dem Aufenthalt der Bewohner. Auf modernen Photografien prägt der Hof als Garten oder Grünanlage optisch die gesamte Anlage (Abbildungen 19 und 20). In der Fuggerei dagegen gibt es nur einzelne Höfe, gleichsam als Verlängerung der Privatsphäre in das genau vom Nachbarn abgegrenzte Freie. Die Höfe liegen (mit Ausnahme der Hinteren Gasse, wo es sich aus anlagetechnischen Gründen nicht vermeiden ließ) hinter den Hausreihen, so daß sie im Straßenbild der Fuggerei optisch nicht in Erscheinung treten.1" Der Eindruck eines gewissen Grau in Grau, den ältere Photographien der Fuggerei von den gepflasterten Gassen und den gemauerten durchlaufenden Hauswänden vermitteln (Abbildungen 17 und 18), ist wohl relativ authentisch, denn die Häuser waren ursprünglich mit gelbgrauem Augsburger Maurersand verputzt und haben erst seit dem Biedermeier den

heutigen ockergelben Verputz."2

107 Foucault, Überwachen und Strafen ( 1976), 183. 108 Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg (1926), 33. 109 Mülich, ed. HegellRoth, 209. 110 Schubert, Der „starke Bettler" (2000); Ciasen, Armenpflege in Augsburg ( 1984), 67. 111 112

Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 81; vgl. Ropertz, Wohnstiftungen (1977), 204. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 92.

750

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Die Anlage der Höfe fügt sich somit zunächst in die Antivagabondagelogik des parzellierten Raums ein und verstärkt sie in doppelter Hinsicht. Da die Höfe hinter den Häusern situiert sind, wird der Raum vor den Häusern auch optisch auf seine transitorische Funktion als Straße reduziert, auf der man nur so lange verweilt, wie man benötigt, um an seinem jeweiligen Ziel anzukommen. Darüber hinaus wurden die Fuggereibewohner, wollten sie sich einmal außerhalb ihrer vier Wände aufhalten, abermals auf die private Sphäre verwiesen und von den anderen Bewohnern der Siedlung abgegrenzt. Josef Weidenbacher hat außerdem darauf hingewiesen, daß „das Vorhandensein von Vorgärten (...) den Nachteil gehabt (hätte), daß die Straßen und Hauseingänge unübersichtlich geworden und die Kontrolle erschwert worden wären". "3 Die Funktion der Höfe schließlich macht deutlich, wozu die Bewohner durch die Parzellierung des Raums angehalten werden sollten. Denn diese waren ja so klein, daß sie nicht zum Aufenthalt darin einluden, sondern vor allem für praktische Zwecke nutzbar waren. Der Metzger Haffner hielt und schlachtete dort seine Tiere.114 In den Höfen erscheint also zusammen mit der Privatsphäre die Arbeitswelt. Die disziplinierende Seite des Raums offenbart hier eine entscheidende zusätzliche Dimension, die für den Stiftungszweck der Fuggerei zentral ist: Der Architektur der Siedlung war jenes Arbeitsethos, das den Kern des Konzepts des Hausarmen bildete, förmlich eingeschrieben. Der parzellierte Raum der Fuggerei sollte ihre Bewohner also in zweierlei Hinsicht disziplinieren. Zum einen lenkte er sie auf die Reproduktion ihres Status als Hausarme durch Arbeit. Zum anderen hinderte er sie am Müßiggehen und so daran, nicht mehr von ihrer negativen Folie, den Bettlern, unterscheidbar zu sein, die auf der andern Seite der Grenze zwischen Ehrbaren und Unverschämten lokalisiert wurden. Daß die Fuggerei nicht nur durch Parzellierung als Disziplinarraum funktionieren sollte, ist bereits angeklungen. Hinzu tritt zum einen noch die Übersehbarkeit, wenn nicht der gesamten Siedlung, so doch ihrer beiden Hauptachsen. Bei der Mittleren bzw. Ochsengasse ist dies eine symbolische, sie wurde durch das Augsburger Rathaus und den Perlachturm übersehen. Die Herrengasse dagegen wurde durch den Pfleger der Fuggerei übersehen, der als Vertreter der Herren, also der Stifter, an ihrem Anfang neben dem Tor zur Jakober Straße residierte. Es ist wohl nicht nur im übertragenden Sinne zu verstehen, wenn es im Stiftungsbrief von 1521 heißt, der Pfleger solle zusehen, daß nichts Unehrenhaftes oder Schändliches geschehe.115 Zum anderen hatte die Fuggerei ein architektonisches Element mit den Armenhäusern vom Typus des Armenhofs gemeinsam, von denen sie sich sonst durch ihre parzellierte Raumstruktur unterschied: Sie war ummauert. Marion Tietz-Strödel hat zu Recht betont, daß dies weder einen fortifikatorischen Zweck hatte, denn die Jakobervorstadt war befestigt, noch den, eine quasi-klösterliche Lebensführung der Bewohner zu gewährleisten, denn anders als bei vielen Armenhäusern für alleinstehende Männer und Frauen wurde eine solche von den Familien, die die Fuggerei bewohnten, nicht verlangt. Ihrer Interpretation, daß die Mauer vor allem Bedeutungsträger war, wird man nur eingeschränkt folgen. Sicherlich symbolisierte sie eine Grenze zwischen Ordnung 113 114 115

Weidenbacher, Fuggerei in Augsburg ( 1926), 29. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 81.

Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 108.

151

IV. Die Fuggerei

und Unordnung bzw. genauer: zwischen ehrbarer Armut und unehrenhafter. Doch war diese Grenze nicht nur symbolisch. Denn zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang waren die drei Tore der Mauer geschlossen. Dann also, wenn die Gefahr, den Pfad der Tugend zu verlassen am größten war, wurde die Grenze zwischen ehrbaren und unehrenhaften Armen zu einer physischen Realität, sieben Werkschuh hoch und mit einem Dornenkranz bedeckt.116 Es verwundert daher nicht, daß die Bestimmungen bezüglich des Lebenswandels der Fuggereibewohner in Jakob Fuggers Stiftungsbrief im Vergleich zu den Ordnungen von Armenhäusern denkbar knapp ausfallen. Wird in jenen den Bewohnern ausführlich untersagt, zänkisch oder unkeusch zu sein, zu fluchen, zu spielen, zu trinken oder zu betteln"7, so fehlen derartig genaue Bestimmungen dort vollständig. Es heißt eben nur, daß der Pfleger, den die Stiftungsexekutoren einsetzen sollen, zusehen solle, daß nichts vnerbars oder schandtlichs gestattet werde.118 Detailliertere Bestimmungen konnte sich Jakob Fugger sparen, denn für Zank, Fluchen und Unkeuschheit bot die Fuggerei praktisch keinen Raum, waren diese Laster doch nur in der Gemeinschaft mit anderen möglich. Und wenn ein Bewohner jemals in die Versuchung kommen sollte, nach Feierabend das Wirtshaus zu besuchen, um dort dem Trank oder dem Spiel zu frönen, dann mußte er sich sputen, um sich nicht bei Einbruch der Dunkelheit unversehens und dann wohl auch dauerhaft auf der falschen Seite der Grenze zwischen Ehrbaren und Unverschämten wiederzufinden. -

-

4.

für „frühkapitalistisches Gewinnstreben"? Die Motive für die Stiftung der Fuggerei

Kompensation

Zu den Thesen, die seit Jahrzehnten zum Gemeingut der Forschung gehören, zählt jene, daß die Stiftungen spätmittelalterlicher Fernkaufleute aus einer spezifischen Konfliktlage dieser Gruppe und ihres „frähkapitalistischen Gewinnstrebens" mit der überkommenen christlichen Ethik, besonders dem kirchlichen Zinsverbot, zu erklären seien."9 Ihre Stiftungen seien deshalb von dem Motiv getragen gewesen, einerseits einen besonderen „berufsspezifischen" Gewissenskonflikt zu beruhigen und andererseits der Kritik an ihrer Wirtschaftsweise durch soziales Engagement die Schärfe zu nehmen. 12°

116 117

Tietz-Strödel, Fuggerei ( 1982), 36, 73 mit Anm. 1. Goldmann, Geschichte der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung ( 1965 ), 9 f.

118 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 108. 119 Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts (2002), 165; Maschke, Berufsbewußtsein 413. 120

Kießling, Pfennigalmosen (1990), 59.

( 1980), 409-

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

152

a) „Kompensation

von Gewissensnot?": Stiftermemoria in der Fuggerei

Werkheiligkeit

und

liturgische

Auch Jakob Fugger hat man ein spezifisches „Bedürfnis nach Bereinigung des eigenen Konflikts zwischen der so rigoros angewandten neuzeitlichen Wirtschaftsmoral und der nach wie vor tiefen Verwurzelung in der mittelalterlichen Ethik" als Motiv für die Stiftung der Fuggerei zugeschrieben.121 Als Belege hierfür hat man jedoch nur eine unter-

Religiosität Fuggers anführen können, die daraus resultiert habe, daß ursprünglich im fränkischen Stift Herrieden verpfründet gewesen sei, sowie seine persönliche Verwicklung in den zeitgenössischen Zinsstreit. Ob sich hieraus ein besonderer berufsspezifischer Gewissenskonflikt Jakob Fuggers ableiten läßt, erscheint fraglich. Auf der einen Seite belegt die Tatsache, daß jemand im späten Mittelalter von seinen Eltern zu einem Leben als Weltgeistlicher bestimmt wurde, noch keine besondere Verwurzelung in christlicher Ethik.122 Daß Jakob Fugger in den Jahren 1514 und 1515 dafür sorgte, daß Johannes Eck seine Ansichten zum Zinsproblem, die die Geschäfte der großen Bankiers als vereinbar mit dem kanonischen Recht einstuften, bei mehreren Disputationen vortragen konnte, ist zudem kein Beleg für eine besondere Gewissensnot Fuggers. Ging es hierbei doch gar nicht um die Frage des Seelenheils, sondern darum, ob die entsprechenden Verträge juristisch anfechtbar waren oder stellte besondere

er

nicht.123

Positive Zeugnisse, die eine berufsspezifische Gewissensnot belegten, wie etwa das des Kölner Kaufmanns Johann Rinck, der 1512 in seinem Testament bemerkte, daß bisweilen die hendele der kaofmannschaft der seien und consciencien sorchlich syn, gibt es von Jakob Fugger nicht.124 Die Worte, mit denen er 1521 die Stiftung der Fuggerei im Stiftungsbrief motivierte, waren konventionell: Gott zu lob undeem, auch armen taglönern vnd hanndtwerkhern zu hilff.115 Als Beleg für eine besondere frühkapitalistische Gewissensnot lassen sie sich kaum lesen. Betrachtet man die Inschrift, die an allen drei Toren der Fuggerei angebracht wurde, dann ergibt sich sogar ein diametral entgegengesetzter Eindruck. In dieser bringt Fugger nämlich seinen Dank an Gott für die mit dessen Hilfe erworbenen Reichtümer zum Ausdruck.126 Sein Reichtum ist also Resultat göttlicher Begnadung und nichts, was ihn in besonderem Maße der stellvertretenden Buße bedürftig machte. Daß Jakob Fugger sich und seine Brüder des Gebets der Armen versichern wollte, gehört also weniger in die Geschichte des „Frühkapitalismus" als in die Geschichte der Wechselbeziehungen von Caritas und Memoria seit dem späten Mittelalter. Daß die 121 122 123 124 125 126

Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 22 mit Anm. 3. Daß sich keine Prägung Jakob Fuggers durch seine Zeit im Stift Herrieden belegen laßt, betont Pölnitz, Die Fugger (1999), 51. Vgl. hierzu Wurm, Eck und der oberdeutsche Zinsstreit (1997); Pölnitz, Beziehungen des Johannes Eck (1940), 690-700. Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs (1923), 302, Nr. 198; vgl. Maschke, Berufsbewußtsein (1980), 412. Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 107. S. u., 4. b. bei Anm. 140.

IV. Die Fuggerei

153

oben skizzierte Entstehung eines Konzepts selektiver Caritas und das Aufkommen der Stiftungen, die auf diesem Konzept beruhten, auch in Wechselbeziehung mit dem Aufkommen bestimmter Praktiken von Frömmigkeit im späten Mittelalter stand, hat man mit guten Gründen angenommen. Dabei behielten die Zeitgenossen die Grundüberzeugung, das Gebet der Armen sei in besonderer Weise heilsfördernd, grundsätzlich bei. Es mußten jetzt allerdings die richtigen Armen sein. Man hat zwei Ebenen der Wechselbeziehung zwischen der selektiven Hausarmenfürsorge im Armenhaus und der Geschichte spätmittelalterlicher Frömmigkeit identifiziert. Daß im Armenhaus, anders als im Spital, Arme dauerhaft untergebracht waren, bringt zum einen eine besondere Wertschätzung eines ständigen Gebets durch eine angebbare Gruppe von Armen zum Ausdruck. Auch auf der Ebene des liturgischen Stiftergedenkens hielt also eine Ökonomie der Kontinuität Einzug. Damit einher ging zum anderen eine Förderung des individuellen Gebets durch arme Laien. „Es ist so gesehen gut möglich, daß die Ausbreitung der domus elemosinae in Europa eng mit der seit dem 15. Jahrhundert um sich greifenden Praxis des Rosenkranzbetens verknüpft war".127 Diese verknüpfte in charakteristischer Weise den traditionellen Gedanken der meßbaren Gebetsleistung mit dem Ideal einer verinnerlichten Gotteserfahrung in der Meditation. Beides zusammen bringt einen Zusammenhang von Disziplin und Frömmigkeit zum Ausdruck. Die Stiftermemoria im Armenhaus bestand aus einem disziplinierten Gebet, da sie von einer Ökonomie des kontinuierlichen Betriebs und von doppelter Subjektivierung geprägt war. Solche Memoria erforderte ganz bestimmte Träger. Denn wer trank, fluchte oder spielte, wessen Affektökonomie also eine der Verausgabung und des Exzesses war, von dem konnte man wohl weder erwarten, daß er kontinuierlich seinen Gebetsverpflichtungen nachkam, noch daß er diese zu verinnerlichen in der Lage war.

Auch in der Fuggerei war die Stiftermemoria die Sache der Hausarmen. Doch hatte dies in der Fuggerei wiederum seine ganz besondere Ausprägung, die mit den Besonderheiten der Fuggerei bezüglich ihrer Bewohner und deren Verteilung im Raum korrespondierte. Vergleicht man die Bestimmungen über das Stiftergebet in der Fuggerei mit denen von Armenhäusern vor allem vom Typus des Bruderhauses, dann fällt zunächst eines auf: Jakob Fuggers Hausarme mußten wesentlich weniger beten. Die Gebetsleistungen, die man etwa den Bewohnern der Augsburger St.-Antons-Pfründe auferlegte, waren umfangreich. Die Armen sollten zum einen täglich am Stundengebet der Dominikanermönche teilnehmen. Außerdem sollten sie am Grab des Stifters in der Kapelle des Bruderhauses morgens wie abends 15 Pater-Noster und 15 Ave-Maria für diesen sprechen. Vor und nach jeder Mahlzeit waren nochmals jeweils drei dieser Gebete fallig. Weiterhin bestand Anwesenheitspflicht bei allen Messen, die in der hauseigenen Kapelle gelesen wurden, insbesondere an den Jahrtagen von Angehörigen der Stifterfamilie. Zu diesem Anlaß erhöhte sich die Zahl der Pater-Noster und Ave-Maria auf jeweils fünfzig.128 Ganz anders die Verhältnisse in der Fuggerei. Bezüglich des Memorialdienstes, den die Bewohner der Fuggerei für den Stifter und seine Familie zu erbringen hatten, 127 128

Rexroth, Milieu der Nacht (1999), 277. Das Stadtbuch von Augsburg, ed. Meyer, 276 f.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

154

schrieb der

Stiftungsbrief von 1521 nur vor, daß ainyeder mensch, Jung oder alt, so es aue maria vnd ain gloubefn) altäg Sprechen soll?29 Damit erscheinen die Memorialleistungen der Stiftungsdestinatäre auf ein Minimum beschränkt. Der geringe Umfang der Gebete, den die Bewohner für den Stifter zu sprechen hatten, hing sicherlich mit der besonderen Klientel der Fuggerei zusammen. Während in Armenhäusern ja alleinstehende ältere Menschen zu Memorialgemeinschaften zusammengefaßt wurden, lebten in der Fuggerei überwiegend Handwerker und Tagelöhner mit ihren Familien. Erstere, die keiner Erwerbsarbeit mehr nachgingen, konnte man natürlich in einem viel höheren Maß mit Memorialleistungen belasten als letztere, die noch aktiv im Arbeitsleben standen und darüber hinaus eben auch noch mit vermag, ain patter noster,

familiären Pflichten wie der Kinderaufzucht belastet waren.Daß der einzelne Bewohner der Fuggerei wesentlich weniger für den Stifter beten mußte als der Bewohner eines Armenhauses, wurde allerdings durch die deutlich höhere Zahl der Bewohner kompensiert. In einem Armenhaus lebten in der Regel zwölf bzw. dreizehn Personen, in der Fuggerei dagegen, geht man von durchschnittlich vier bis fünf Personen pro Haushalt aus, schätzungsweise 400 bis 500 Menschen, die täglich für den Stifter beteten. Der entscheidende Unterschied zwischen der Stiftermemoria im Armenhaus und der in der Fuggerei bestand deshalb nicht in der Zahl der Gebete, die der Stifter täglich erhielt, sondern in der Art und Weise des liturgischen Stiftergedenkens. Die Hausarmen im Armenhaus gedachten des Stifters sowohl einzeln in ihren Wohnungen als auch gemeinschaftlich. Armenhäuser waren oft mit einer eigenen Kapelle ausgestattet, und auch wo sie fehlte, hatten die Armen vielfach gemeinsam liturgische Aufgaben zu übernehmen, etwa am Stundengebet in einer geistlichen oder monastischen Gemeinschaft oder an Prozessionen teilzunehmen. Oftmals kleidete man sie einheitlich in mönchsartige Kutten ein, faßte die Hausarmen also regelrecht zu Memorialgemeinschaften zusammen.130 Anders in der Fuggerei. Ihre Bewohner bildeten auch als Träger der Stiftermemoria keine Gemeinschaft. Eine semireligiose Lebensführung konnte man von arbeitenden Armen nicht verlangen. Ein Zentrum für eine gemeinschaftliche Stiftermemoria hatte die Fuggerei bis 1581 nicht. Erst in diesem Jahr erhielt sie eine eigene Kapelle. 131 Die Kapelle bei St. Anna hing mit der Fuggerei nur insofern zusammen, als sie 1521 mit gemeinsamen Stiftungskapitalien ausgestattet wurden und später folgerichtig auch gemeinsam verwaltet wurden. Nicht jedoch in dem Sinne, daß den Armen wie bei der erwähnten und einer Fülle von ähnlichen Stiftungen im Stiftungsbrief vorgeschrieben worden wäre, das Grab des Stifters dort aufzusuchen und an diesem für ihn zu beten.

Statt dessen sollten die Armen nur einzeln, jeder für sich für den Stifter beten. Auch im Gebet verwies Jakob Fugger die Bewohner der Fuggerei also ausschließlich auf den Innenraum ihrer Privatsphäre. Dieser Verzicht auf das gemeinschaftliche Gebet der Armen brachte es freilich mit sich, daß man nicht kontrollieren konnte, ob die Bewohner der Fuggerei ihrer Pflicht zum Stiftergebet auch nachkamen. Verließ sich Fugger hier auf die produktive Wirkung der Disziplinierang, der die Bewohner in der Fuggerei 129 130 131

Jakob Fuggers

Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 107 f.

Rexroth, Milieu der Nacht ( 1999), 277. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 29.

IV. Die Fuggerei

155

unterlagen? Vertraute er darauf, daß die Hausarmen durch sie nicht nur zur Arbeit, sondern auch zu Selbstdisziplin bezüglich ihrer Memorialpflichten angehalten würden? Sich auf die Rechtschaffenheit anderer verlassen zu müssen, war Jakob Fugger als Regierer einer großräumig agierenden Handelsgesellschaft gewöhnt. Deren Augsburger Zentrale konnte das Geschäftsgebaren ihrer Faktoren in der Ferne, in Spanien, der Slowakei oder Italien ja nicht beaufsichtigen, sondern mußte auf deren Gewissenhaftigkeit vertrauen. Zwar mußten die Faktoren einmal im Jahr Rechnung legen, aber ob sie in der Zwischenzeit in die Kasse griffen, um so einen aufwendigen Lebensstil, gar Trinkgelage und Bordellbesuche zu bezahlen, konnte niemand kontrollieren. Wenn offenbar wurde, daß die Kasse nicht stimmte, konnte man den Verantwortlichen zwar entlassen, mußte den Verlust dann aber abschreiben. Deshalb achtete man bei der Rekrutierung von Handelsdienern auf deren Charakter. In den Verschreibungen der Handelsdiener, die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts überliefert sind, verpflichten diese sich zu einem gottesfürchtigen und ehrbaren Lebenswandel, zu Fleiß, Treue und Gehorsam. Auch diese Disziplin war produktiv. Hielt sich ein Handelsdiener daran, konnte er zum Kassierer, Buchhalter oder sogar zum Faktor aufsteigen.132 Es gibt im Umkreis der großen Augsburger Handelsgesellschaften einige Beispiele für eine Mentalität der Rechtschaffenheit, die auf Selbstkontrolle beruhte. Das Mittel dazu war, sich selbst im wahren Sinne des Wortes Rechenschaft abzulegen. Lucas Rem etwa, der 1481 geborene Gesellschafter und Buchhalter der Welser, hat insgesamt zehn Bücher bzw. Registraturen hinterlassen, in denen er auf verschiedene Weise über sein Leben Buch führte und die so „buchhalterische Organisationsprinzipien mit ihrem Charakter als Ego-Dokumente verschmelzen".133 Auch der Hauptbuchhalter Jakob und Anton Fuggers, Matthäus Schwarz, legte sich in vielfältiger Weise schriftlich über sich selbst Rechnung ab und kontrollierte sich so beständig selbst.134 Setzte Fugger solche

Rechenschaft und Selbstkontrolle auch bei den ehrbaren und frommen Handwerkern und Tagelöhnern voraus, die in die Fuggerei aufgenommen wurden? Reichte ihm dies, um sicher zu gehen, daß er von jedem einzelnen von ihnen die Gegengabe des Gebets erhalten würde? Einmal im Jahr, am Tag der Kirchweihe von St. Jakob, der Pfarrei, zu der die Fuggerei gehörte, verteilte deren Pfleger an die Bewohner von Jakob Fuggers Armensiedlung eine Geldspende, das sogenannte Kirchtaggeld.135 Es ist kaum vorstellbar, daß bei dieser Gelegenheit, am Weihetag der Kirche, die mit Jakob Fugger den Namenspatron teilte, die Armen nicht ein Gebet für den Stifter sprachen, wenn ihnen der Pfleger das Almosen übergab. Zumindest einmal im Jahr konnte sich sein Vertreter also persönlich davon überzeugen, daß die Hausarmen des Stifters gedachten.

132 133 134 135

Hildebrandt, Diener und Herren (1996), 166. Groebner, Kleider des Körpers des Kaufinanns (1998), 340. Groebner, Kleider des Körpers des Kaufmanns (1998), 338-340. FA 66.2.3, 72v.

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

156

b) „Zum Nutzen dieser Stadt": Fuggerei

Die

profane

Memoria der

Fugger

in der

Der Stifter wurde jedoch nicht nur liturgisch durch das Gebet der Armen, sondern auch profan durch seine Stiftung als ganze vergegenwärtigt. Artikulierte sich hier die Absicht, „kapitalistische" Wirtschaftspraxis und bzw. oder die exponierte soziale Stellung zu legitimieren?136 Die Kritik an dem Geschäftsgebaren der großen Handelsgesellschaften war von den Reformschriften des späten Mittelalters bis zu den Reformatoren gleichsam der basso continuo der politischen Publizistik. In den Jahren vor und nach 1521 war sie besonders vehement. 1512 hatte ein Reichstag erstmals Vorschriften erlassen, die sich gegen die sogenannten Monopole richteten, wie nach damaligem Sprachgebrauch „alle frühkapitalistischen Erscheinungsformen der Wirtschaft, die negativ auffallen", bezeichnet wurden, also auch gegen die Fuggersche Handelsgesellschaft. Und auch Karl V., der seine Wahl zum römischen König ja der finanziellen Unterstützung der Fugger wesentlich verdankte, hatte in seiner Wahlkapitulation 1519 versprechen müssen, gegen die großen Handelsgesellschaften vorzugehen.137 Die Kritik an spezifischen Geschäftspraktiken, neben dem „Wucher" vor allem dem „Fürkauf', also dem Horten von Waren, um sie erst in Zeiten der Teuerung zu verkaufen, verband sich oftmals mit der Kritik an den aufwendigen Repräsentationsformen der reichen Handelsherren. Auf die Kritik, auf die die adelichen Sitten der Fugger in der reichsstädtischen Öffentlichkeit Augsburgs stießen, ist bereits hingewiesen worden.138 Es ist in diesem Zusammenhang durchaus erwähnenswert, daß die Fuggerei in der zeitgenössischen Chronistik nicht nur von den Autoren gelobt wurde, die Jakob Fugger ohnehin freundlich gesinnt waren, sondern auch von solchen, die ihn sonst kritisierten.139 Daß die Fuggerei tatsächlich als Reaktion auf die zeitgenössische Kritik an den großen Handelsherren, deren bedeutendster und exponiertester Jakob Fugger war, zu verstehen sein könnte, legt die Inschrift nahe, die 1519 gleichlautend an den drei Toren der Armensiedlung angebracht wurde:

„1519. Die Brüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger aus Augsburg, die davon überzeugt sind, zum Nutzen dieser Stadt geboren zu sein und sich verpflichtet fühlen, ihr

allerhöchsten und gütigen Gott empfangenes Vermögen diesem wieder zu erstatten, haben aus Frömmigkeit und zum Vorbild hochherziger Freigebigkeit 106 Behausungen mit allen Einrichtungen ihren fleißigen, aber in Armut arbeitenden Mitbürgern geschenkt, gestiftet und geweiht".140 vom

136 137 138 139 140

Kießling, Pfennigalmosen (1990), 59.

Schulze, 16. Jahrhundert ( 1987), 119. S.o., 1.3 bei Anm. 37. Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 104.

M.D.XrX./VDALR. GEORG. JACOB. FVGGERI. AVGVST7GERMANI. FRATRES. QVA. BONO. REIP. SE. NATOS./QVA. FORTVNAM. MAXIMAR. OPVM./D.OM. ACCEPTAM./IN. PRIMIS. REFERENDVM. RATI. OB. PIETATEM. ET./EXIMIAM. IN EXEMPLVM. LARGITATEM./AEDES. C. VI. CVM. OPERE. ET. CVLTV.

IV. Die Fuggerei

157

Wenn hier das heilsame Wirken der drei Fuggerbrüder für den Nutzen ihrer Heimatstadt an erster Stelle genannt wird, könnte man dies geradezu als Rekurs auf die Argumentation interpretieren, mit der der Augsburger Stadtschreiber Konrad Peutinger, mit dem die Fugger in enger Beziehung standen, in eben jener Zeit die Vorwürfe der AntiMonopolbewegungen gegen die großen Handelsgesellschaften zu widerlegen versuchte. Als einer der ersten ökonomischen Denker verteidigte dieser in seinen Gutachten die Nützlichkeit des Gewinnstrebens der Kaufleute für das Allgemeinwohl und vertrat die Ansicht, daß gesellschaftliche Harmonie nicht durch obrigkeitliche Setzung von Normen entstehe, sondern dadurch, daß der Einzelne seine Interessen verfolge: „'Propria utilitas' (...) schafft die ,commoditas publica' (...), heißt es sinngemäß bei Peutinger".141 Auf jeden Fall aber bezog Jakob Fugger seine Stiftung damit auf einen zentralen Wert der reichsstädtischen Gesellschaft dieser Zeit, in der der „gemeine Nutzen" zu der zentralen Legitimationsformel politischen Handelns geworden war.142 Und es ist wohl kein Wunder, daß in diesem Zusammenhang auch das Arbeitsethos, das der Konzeption des Hausarmen innewohnte, ausdrücklich angesprochen wurde. Gleichzeitig hob die Inschrift aber auch die larguas der Brüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger hervor und damit eine zentrale Verhaltensnorm, die für Adelige, ob städtische oder außerstädtische, verpflichtend war.143 Die Sorge für die Armen gehörte ja zu den traditionellen Obliegenheiten des Herrn. Wenn man so will, repräsentierte die Fuggerei die Fugger also abermals als wohlhabende Familie von Handelsherren, die einerseits reichsstädtischen und andererseits adeligen Imperativen gehorchte, und damit jenen Sonderstatus zwischen Kaufmannsfamilie und Adelsgeschlecht, den die Fugger in Augsburg seit Mitte der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts angestrebt hatten. Es erscheint deshalb als geradezu folgerichtig, daß Jakob Fugger im Stiftungsbrief von 1521 festlegte, daß diese Stiftung hinfüro in ewig Zeyt Jacoben Fuggers vnnd weylend Vlrichen vnd Jorigen seiner geprüder verlassen Sun Stifftung genannt werden sollte.144 Die Stiftung sollte also nach den Personen benannt werden, die jenes Fuggersche „Handelsgeschlecht" begründet hatten bzw. es weiter führen sollten, das bereits mit der Kapelle bei St. Anna einen Ort prospektiver Memoria erhalten hatte.145 Anders als die Grabkapelle bei St. Anna, die vor allem die zentrifugalen Elemente des Status dieses Handelsgeschlechts, die aus der reichsstädtischen Oberschicht hinausstrebten, zur Schau stellte, hatte die Armensiedlung Jakob Fuggers in der Repräsentation der Fugger jedoch eine eher zentripetale Funktion und koppelte diese an die reichsstädtischen Normen und Werte rück. In dieser Eigenschaft hatte die Fuggerei für Jakob Fuggers Bedürfnis nach dauerhafter Vergegenwärtigung offensichtlich einen hohen Stellenwert. Denn als einzige der drei StiftunMVNICJPIBVS./SVIS. FRVGL SED. PAVPERIE. LABORANTIBVS./D.D.D.; Übersetzung in Anlehnung an Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 48 f.; Pölnitz, Jakob Fugger II (1951), 374. 141 Schulze, 16. Jahrhundert (1987), 120 f.; Bauer, Peutinger (1965), 262; Lutz, Peutinger (1958), 136 f. 142 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen ( 1996). 143 Tietz-Strödel, Fuggerei (1982), 25. 144 Jakob Fuggers Stiftungsbrief, ed. Kellenbenz/Preysing, 111. 145 S. o.,n.7.b.

755

gen Jakob

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

Fuggers erhielt sie eine Verwaltung, die eine Fortexistenz der Stiftung auch nach einem Aussterben der Fugger von der Lilie garantierte und damit das Andenken des Stifters jenseits der Existenz seiner Nachkommen.

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Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

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Abbildung 19: Leiden, St. Anna Hoffe (gesti. 1487-1507, Hofansicht)

1521

IV. Die

Fuggerei

Abbildung 20: Gent, Kinder Alyns Stiftung (gesti. 1507), Hofansicht

167

168

Erster Teil: Die

Stiftungen Jakob Fuggers bis

Abbildung 21: Brügge, Godshuis de Moor (gesti. 1480), Grundrißplan

1521

V. Zwischenstand: Die Fuggers im Jahr 1521

Stiftungen

Jakob

Mit dem Stiftungsbrief vom 23. August 1521 markierte Jakob Fugger einen vorläufigen Abschluß seiner drei Stiftungsprojekte. Diese waren zu diesem Zeitpunkt unterschiedlich lange betrieben worden und hatten unterschiedliche Grade an Vollendung erreicht. Am längsten hatte der Stiftungsprozeß der Grabkapelle bei St. Anna gedauert, fur die erste Planungen spätestens 1506 begonnen haben müssen. Diese Stiftung erhielt 1521 mit der schriftlichen Festlegung der liturgischen Memoria ihren Abschluß, wobei man davon ausgehen muß, daß diese zu jener Zeit bereits vollzogen wurde. Die Prädikatur bei St. Moritz hatte Jakob Fugger zusammen mit der dortigen Pfarrgemeinde in einem konfliktreichen Stiftungsprozeß in der kurzen Zeit von drei Jahren von 1515 bis 1518 errichtet. Hier schrieb der Stiftungsbrief von 1521 noch einmal die Absprachen zwischen dem gegenwärtigen Stiftungsdestinatär, dem Prediger Speiser, und dem Patronatsherrn der Prädikatur fest. Die Fuggerei war, als Jakob Fugger 1521 in dem Stiftungsbrief ihre Verfassung schriftlich niederlegte, als einzige der drei Stiftungen noch nicht ganz vollendet. Die letzten Häuser der Armensiedlung wurden erst zwei Jahre später errichtet. Allerdings waren bereits 1519 die Stifterinschriften an den Toren angebracht worden, so daß man davon ausgehen muß, daß die Armensiedlung Jakob Fuggers damals in ihrer baulichen Gestalt im wesentlichen fertiggestellt war. Betrachtet man Stiftungen aus der Perspektive des Stifters und seines Wunsches nach Memoria und Gegenwart unter den Lebenden, dann fällt unter den Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen als erstes die Grabkapelle bei den Karmelitern von St. Anna ins Auge. Denn die dauerhafte Sicherung von Memoria war deren einziger Daseinsgrund, sowohl in ihrer liturgischen als auch in ihrer profanen Dimension. Stiftungsmotiv und Stiftungszweck fielen hier gleichsam in eins. Die liturgische Memoria der Fugger von der Lilie an diesem Ort verband Totengedächtnis und Sakramentsverehrung in traditioneller spätmittelalterlicher Manier und setzte dieses Konzept architektonisch und künstlerisch aufwendig um. Die profane Memoria repräsentierte einerseits als Übertrumpfungsgeste abermals den Sonderstatus der Fugger in der Reichsstadt Augsburg, der zwischen städtischem Handelsbürgertum und Aristokratie angesiedelt

symbolisch die Herauslösung einer wirtschaftlich und rechtlich von dem restlichen Familienverband geschiedenen Betriebsgemeinschaft, deren agnatische und monarchische Struktur die Grabkapelle bei St. Anna so gegenüber den minderberechtigten Mitgliedern der Familie legitimieren sollte. Bei der Stiftung der Fuggerei erscheint die liturgische Dimension der Memoria auf den ersten Blick vergleichsweise gering ausgeprägt. Der liturgische Memorialdienst der Stiftungsdestinatäre, also der Bewohner der Fuggereihäuser, war auf wenige tägliche war, und flankierte andererseits

170

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

beschränkt, da diesen als arbeitenden Armen, die noch im Erwerbsleben standen, keine umfangreichen Memorialleistungen auferlegt werden konnten. Der geringe Umfang der Gebete, die der einzelne Bewohner für den Stifter sprechen mußte, wurde allerdings durch die hohe Einwohnerzahl der Bewohner kompensiert. Da die Gebete täglich von einer angebbaren Gruppe von Armen gesprochen wurden, hielt auch auf der Ebene des liturgischen Stiftergedenkens eine Ökonomie der Kontinuität Einzug. Und so stand die Stiftermemoria in engem Zusammenhang mit dem Stiftungszweck der Fuggerei: der disziplinierenden Fürsorge für ehrbare Arme. Der Zweck der Stiftung prägte außerdem die bauliche Gestalt der Armensiedlung. Ihrer Architektur wurde einerseits das bürgerliche Arbeitsethos, das einen integralen Bestandteil des Konzepts des Hausarmen bildete, förmlich eingeschrieben. Andererseits machte sie mit ihrer Ummauerung die Grenzziehung zwischen ehrbaren und unehrenhaften Armen physisch faßbar. Die Fuggerei fügte sich damit ein in die damaligen Maßnahmen zur Förderung kategorisierter Armer, die städtische Obrigkeit und stiftende Oberschicht ergriffen und die durch ihre janusköpfige Verbindung von Fürsorge und Disziplin charakterisiert Gebete

waren.

Auf der Ebene profaner Memoria schuf Jakob Fugger mit der Fuggerei einen Ort, an dem sich das Gedächtnis der Fugger von der Lilie als eines Geschlechts anlagern konnte, das aus der städtischen Führungsschicht durch aristokratischen Lebensstil und ökonomische Potenz herausragte, dabei aber reichsstädtischen Normen verbunden blieb. Das Streben nach einer dauerhaften Memoria in diesem Sinne erscheint bei der Stiftung der Fuggerei sogar als besonders ausgeprägt, da sie als einzige der Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen eine Verwaltung erhielt, die den Bestand der Stiftung auch über die physische Existenz der Stifterfamilie hinaus garantieren sollte. Am wenigsten vom Wunsch nach liturgischer Memoria war von den Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen die Prädikatur bei St. Moritz geprägt. Nicht zuletzt, weil diese Stiftung aus dem gemeinschaftlichen Bedürfnis der Pfarrgemeinde von St. Moritz erwachsen war, die Pfarrseelsorge zu sichern, trat hier der Wunsch nach Förderung des individuellen Seelenheils hinter der Seelenheilsorge für die Allgemeinheit zurück. Dennoch ist er auch hier nicht verschwunden. Als Stifter der Prädikatur nahm Jakob Fugger deren Werkheiligkeit für sich in Anspruch. Darüber hinaus gibt es Indizien dafür, daß der Inhaber der Prädikatur dem Patronatsherrn in besonderen Fällen auch mit Gebetshilfe dienstbar war. Vor allem aber stellte das Patronatsrecht auf die Prädikatur, die Jakob Fugger mit der Pfarrei von St. Moritz hatte verbinden lassen, einen exponierten Status Jakob Fuggers und seiner Erben in der Pfarrgemeinde auf Dauer. Bei jeder Neubesetzung des Predigtamtes mußte die Beziehung von Stifter und Destinatär aktualisiert und die herausgehobene Stellung der Fugger in der Pfarrei als deren „Herren" erneut repräsentiert werden. Um den Wunsch des Stifters nach Memoria und den Vollzug ihres jeweiligen Zwecks dauerhaft zu sichern, brauchten die Stiftungen sogenannte Organe, die mit den Empfängern der Stiftungserträge, den Destinatären, in Beziehung traten und so im Geiste des Stifters wirkten. Je nachdem, wieweit die Verfügungsgewalt dieser Organe gegenüber den Destinatären der Stiftung ging, konnte diese Beziehung stärker herrschaftlich oder stärker genossenschaftlich ausgeprägt sein. Das wichtigste Stiftungsorgan der Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen bildeten der Stifter und seine

V. Zwischenstand: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521

171

männlichen Erben. Ihnen räumte Jakob Fugger im Stiftungsvollzug eine starke Position ein, so daß man seine Stiftungen im wesentlichen als herrschaftlich bezeichnen kann. Am deutlichsten war dies beim (intendierten) Stiftungsvollzug in der Grabkapelle bei St. Anna ausgeprägt. Hier erhielt die Stifterseite gegenüber den Empfangern eine starke, praktisch kaum anfechtbare Stellung. Während die bauliche Gestalt und die Ausstattung der Kapelle durch die Androhung juristischer Zwangsmaßnahmen, gegen die die Empfänger ausdrücklich auf alle Rechtsmittel verzichteten, dauerhaft bewahrt werden sollten, wurde eine Kontrolle des Vollzugs der liturgischen Memoria dadurch erreicht, daß der Stifter und seine Erben die Verfügungsgewalt über das Stiftungskapital behielten und ermächtigt wurden, die Erträge aus dem Stiftungskapital gegebenenfalls anderen Empfängern zukommen zu lassen. Der Vollzug der Fuggereistiftung wurde im Kern analog zu dem der Kapellenstiftung bei St. Anna konzipiert. Auch hier sollten die männlichen Erben über das Stiftungskapital verfügen. Außerdem waren sie für die Aufnahme der Destinatäre, der von ihnen bestellte Pfleger für die Aufsicht über deren Lebenswandel zuständig. Das herrschaftliche Prinzip wurde hier jedoch um zwei Kontrollmechanismen ergänzt. Zum einen um das Kollegialitätsprinzip innerhalb der Stifterfamilie. Zum anderen traten in wichtigen Fragen zu den Vertretern der Familie zwei familienfremde Stiftungsexekutoren. Wie erwähnt hatte die Fuggerei damit Stiftungsorgane erhalten, die einen dauerhaften Stiftungsvollzug auch jenseits der physischen Fortexistenz der Stifterfamilie sichern konnten. Herrschaftlich war im Kern auch der Stiftungsvollzug der Prädikatur bei St. Moritz strukturiert: durch das Institut der Patronatsherrschaft, die sich Jakob Fugger für sich und analog zu den Regelungen bei der Grabkapelle bei St. Anna seinen ältesten männlichen Erben vorbehalten hatte. Die Herrschaft des Stifters wurde jedoch durch zwei genossenschaftliche Elemente beschränkt. Zum einen hatte die Pfarrgemeinde ein informelles Mitspracherecht bei Nomination und Kontrolle der Amtsführung des Predigers. Auf der anderen Seite hatte der Prädikant als Inhaber eines Kanonikats Einkünfte, die nicht vom Vollzug der Stiftung abhängig waren. Damit fehlte der Stifterseite das Druckmittel, dem Destinatär die Einkünfte gegebenenfalls sperren zu können, welches sie bei der Kapelle von St. Anna gegenüber den Mönchen besaß. Stiftungen wurden zumeist in einem interaktiven Prozeß errichtet, in dem neben den Motiven des Stifters die Interessen anderer Personen und Personengruppen auf verschiedene Weise wirksam werden konnten. Hieran gemessen erscheint von den Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen allein die Fuggerei als untypisch. Sie entstand als Folge eines geradezu autokratischen Stiftungsakts, bei dem der Stifter aufgrund der von ihm gewählten Rahmenbedingungen kaum Rücksichten auf Interessen Dritter nehmen mußte. Bei der Stiftung der Grabkapelle bei St. Anna dagegen mußte sich der Stifter -

gegen Widerstände auf Seiten des Konvents durchsetzen. Der

-

Stiftungsprozeß der Prädikatur bei St. Moritz schließlich war in herausragender Weise durch die Beteiligung ganz verschiedener Personen und Personengruppen geprägt. Auf der Stifterseite wirkten Jakob Fugger und die Pfarrgemeinde zusammen, ihre Interessen konnte Fugger nur aufgrund seines überlegenen sozialen Kapitals gegen den Widerstand des Kapitels von St. Moritz durchsetzen. Dieser richtete sich dagegen, daß Jakob Fugger die Prädikatur gleichsam mit einer der Chorherrnpfränden der Stiftskirche dotieren wollte. Die Folge

Erster Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers bis 1521

172 war

ein

Stiftungsprozeß voller Konflikte, und damit eine Vorahnung der Konflikte um Fuggers des Reichen, die in der Zeit der Reformation aufbrechen

die Stiftungen Jakob sollten.

ZWEITER TEIL: DIE STIFTUNGEN JAKOB FUGGERS DES REICHEN 1521 BIS 1547/48

I. Reformation in Augsburg (bis

1.

1547/48)

Augsburg als Schauplatz der Reformationsgeschichte

Kaum eine Stadt spielte in der Geschichte der Reformation eine so bedeutende Rolle wie Augsburg. ' In Augsburg gelangte die Reformation an ihren ersten „Wendepunkt", als im Oktober 1518, ein Jahr nach der Veröffentlichung der Thesen und wenige Monate nach Eröffnung des Ketzerprozesses, Luther und der Kardinallegat Cajetan im Fuggerschen Palais am Weinmarkt drei Gespräche führten, an deren Ende beide Seiten bewußt den Weg der Konfrontation gingen.2 Im Jahr 1530 fand in Augsburg der Reichstag statt, auf dem Philipp Melanchthon in Vertretung Luthers die Confessio Augustana ausarbeitete.3 Nach dem Sieg Karls V. über den protestantischen Schmalkaldischen Bund war es 1547/48 abermals die Stadt am Lech, in der der Kaiser „einen wahrhaft imperialen" Reichstag abhielt und den protestantischen Reichsständen das sogenannte Augsburger Interim diktierte, das die Rekatholisierung des Reichs zum Ziel hatte.4 Das Scheitern dieses Planes und die Festschreibung eines Kompromisses zwischen Altgläubigen und Lutheranern markierte dann 1555 der Augsburger Religionsfrieden, der das Ende des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit bildet.5 Das reformatorische Geschehen in der Reichsstadt selbst hatte seine ganz eigene Prägung, die es von dem in anderen oberdeutschen Reichsstädten unterschied und die Stadt letztendlich auf den Weg einer dauerhaften Bikonfessionalität führte.6 Dabei läßt sich die Zeit bis 1548 in zwei Phasen unterteilen. Die erste bildet den Zeitraum vom Bekanntwerden von Luthers Thesenanschlag 1517 bis zur offiziellen Einführung der Reformation durch den Rat 1534/37.7 Die zweite Phase umfaßt das darauffolgende gute

1 Eine moderne Darstellung der Geschichte Augsburgs in der Zeit der Reformation fehlt. Die einzige Gesamtdarstellung ist daher immer noch Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte I-IV (1901-11); vgl. aber die Beiträge in Gottlieb, Geschichte der Stadt Augsburg (1985); v. a. Immenkötter, Kirche

zwischen Reformation und Parität (1985); den besten Überblick geben Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997) und Schilling, „Ruhe im Sturm" (1994); eine Reformationsgeschichte Augsburgs aus geschlechtergeschichtlicher Sicht istRoper, Das fromme Haus (1995).

2 Schilling, „Ruhe im Sturm" (1994), 24 f.; Selge, Augsburger Begegnung (1969). 3 Reinhard (Hrsg.), Bekenntnis und Geschichte ( 1981 ). 4 Schilling, „Ruhe im Sturm" (1994), 25. 5 Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 39. 6 Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 40; zu den bikonfessionellen Reichsstädten vgl. allgemein Warmbrunn, Zwei Konfessionen (1983). 7 Gößner, Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation (1999).

176

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

Jahrzehnt bis zur Wiederzulassung des katholischen Kultus während des Reichstags 1547/48.

2.

Der mute und mitlere Augsburg bis 1534

Augsburger

Weg: Die Reformation in

Die reformatorische Botschaft wurde in Augsburg schnell und bereitwillig rezipiert. Als Multiplikatoren dienten dabei zum einen eine enorme Zahl von Druckschriften. Augsburg war zu dieser Zeit eines der wichtigsten Kommunikationszentren der Reformation.8 Zum anderen wurden die neuen Lehren auch in der Predigt verbreitet, so daß sich schnell evangelische Gemeinden bildeten: im Karmeliterkloster St. Anna, bei den Franziskanern, am Kollegiatstift St. Moritz, in den Pfarreien St. Ulrich, Heilig Kreuz und St. Georg. Bis 1520/21 wurde sogar am Domstift evangelisch gepredigt.9 Dabei entfaltete sich mit der Zeit ein breites theologisches Spektrum, nachdem neben Luther und den Wittenbergern mit Zwingli die Schweizer Prägung ein schärferes Profil gewonnen hatte, was vor allem in der Abendmahlfrage zu Kontroversen führte.10 Zu Beginn der dreißiger Jahre geriet die lutherische Richtung gegenüber der von Straßburg ausgehenden oberdeutschen Ausformung des Bekenntnisses ins Hintertreffen. Und erst mit dem Augsburger Religionsfrieden wurde im protestantischen Teil der Bevölkerung die konfessionelle Einheit auf lutheranischer Basis hergestellt." Unter den Laien verbreitete sich die neue Lehre am schnellsten bei den breiten Handwerkerschichten.12 Mit den Webern an der Spitze traten sie nahezu geschlossen zum Protestantismus über. Am 6. August 1524 kam es sogar zu einem Handwerkeraufstand. Den Anlaß hierzu hatte die Entlassung Johannes Schillings, des Lesemeisters des Barfüßerklosters, durch den Rat gebildet. Schilling hatte im Zusammenhang von Predigten über das Lukas-Evangelium offenbar Parallelen zwischen kirchlicher Hierarchie und der städtischen Herrschaftsstruktur gezogen und die Legitimität der Ratsobrigkeit angezweifelt. Diese hatte ihn daraufhin abberufen und aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Die hierdurch verursachte Eskalation konnte der Rat zwar durch behutsames Taktieren auffangen, es war aber deutlich geworden, daß die neue Lehre auch eine politische Dimension besaß.13 Auf den Druck der Handwerker hin sollte der Rat 1537 schließlich offiziell die Reformation einführen.14 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Reformation allerdings auch bei den Eliten etabliert, wobei die Verbreitung des neuen

8 9 10 11 12 13 14

Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 26. Schilling,,,Ruhe im Sturm" ( 1994), 26; Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 23 f. Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 25; zu den beiden genannten theologischen Strömungen vgl. Blickte (2000), Reformation im Reich, 46-72. Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 25,39. Roper, Das fromme Haus (1995), 39. Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 24. Schilling, „Ruhe im Sturm" ( 1994), 27.

7. Reformation in Augsburg

Glaubens entlang

von

177

(bis 1547/48) sozialen

Führungsschicht bewirkte.15

Beziehungsnetzen eine Spaltung der reichsstädtischen

Man hat die Frühreformation in Augsburg als „Gemeindereformation" charakterisiert, in dem Sinne, daß die Initiative zur Reformation von „unten" ausging. Der Rat dagegen blieb zurückhaltend und versuchte lange Zeit einen „mittleren Weg" zu steuern, den der Ratsschreiber Konrad Peutinger propagierte, und der von den Eliten getragen wurde, auch wenn sie unterschiedlichen religiösen Lagern angehörten.16 Augsburg war zum einen eng mit den Interessen des habsburgischen Kaisers verzahnt, der einerseits nach wie vor als oberster Stadtherr den Status der Kommune gewährleistete. Zum andern standen die maßgeblichen Exponenten dreier der großen Beziehungsnetze der Augsburger Führungsschicht die Fugger, Welser und Herbrot unabhängig von ihrer religiösen Zuordnung in engen Geschäftsbeziehungen mit Karl V., so daß es eine gemeinsame wirtschaftliche Interessenlage der städtischen Elite gab. Auch mit den sie umgebenden altgläubigen Territorialherren wollte die Stadt jeden Konflikt vermeiden. Nicht zuletzt, weil die Stadt kaum über eigenes Territorium verfügte und so für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen auf ihr Umland angewiesen war. Folgerichtig hielt sich Augsburg bei den großen Entscheidungen auf Reichsebene zwischen 1526 und 1530 merklich zurück. So schloß sich die Stadt nach dem Speyerer Reichstag 1529 nicht der Protestation der evangelischen Stände an. Statt dessen nahm der Rat den Reichstagsabschied an, der darauf abzielte, das alte kirchliche System aufrechtzuerhalten.17 Gleichzeitig bedeutete die Neutralitätspolitik des Rats jedoch auch, daß er die Ausbreitung der neuen Lehre in der Stadt tolerierte und als Konzession an die evangelische Bevölkerung durch einzelne Maßnahmen durchaus beförderte. Zwar hatte der Rat 1520 ein Mandat erlassen, das den Druck von Schriften verbot, die die „Irrungen, die sich halten zwischen den Geistlichen und Doktoren der heiligen Schrift" beträfen.18 In der Praxis fand eine Zensur jedoch kaum statt.19 Frühe proreformatorische Maßnahmen des Rates hat man darin gesehen, daß 1522 eine Almosenordnung eingeführt wurde, die erstmals in einer Reichsstadt die zentrale Verteilung von Mitteln an Bedürftige regelte, womit der Rat allerdings eine Politik fortsetze, die er bereits vor der Reformation begonnen hatte.20 Außerdem nahm der Rat 1524 die evangelischen Prediger Johannes Frosch, Urbanus Rhegius, Stephan Agrícola und Michael Keller auf, besoldete sie und gab so dem Drängen der Gemeinde nach evangelischer Predigt nach.21 -

-

15 Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik (1986); vgl. Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 26 f; Schilling, „Ruhe im Sturm" (1994), 26. 16 Gößner, Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation (1999), 46-52. 17 Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 28. 18 Gößner, Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation ( 1999), 36. 19 Künast, Luther und der Buchdruck (1996), 69; Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 26. 20 Gößner, Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation (1999), 39-41; Rogge, Für den Gemeinen Nutzen ( 1996), 225-227. 21 Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 25.

178

3.

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

Die Ratsreformation in Augsburg 1534-1547/48

An ihr Ende gelangte die Politik des „mittleren Weges" mit Beginn der dreißiger Jahre. Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 hatte die Stadt zunächst noch versucht, eine eindeutige konfessionelle Parteinahme zu vermeiden, und sich weder der Confessio

Augustana, geschweige denn der oberdeutschen Tetrapolitana oder der katholischen Confutatio angeschlossen. Nach dem Reichstagsabschied vom 22. September 1530 zugunsten der alten Kirche drängte Karl V. jedoch auf ein klares Bekenntnis. Die Bürgermeister beschieden ihm daraufhin, daß sie Kaiser und Reich in allen weltlichen Angelegenheiten Gehorsam zeigen wollten, bezüglich der Glaubensfrage jedoch könnten

sie den Abschied nicht annehmen. Damit hatte sich die Stadt außenpolitisch gezwungenermaßen den evangelischen Reichsständen angeschlossen.22 Innenpolitisch erfolgte die Entscheidung für die Reformation dann knapp vier Jahre später. Nachdem die reformatorischen Prediger den Rat im Januar 1533 aufgefordert hatten, die altgläubige Lehre und Predigt in der Stadt zu beseitigen, setzte dieser zunächst einen Ausschuß zur Beratung der Religionsfrage ein.23 Die Mitglieder dieses Ausschusses fertigten daraufhin Gutachten an. Der Rat holte noch zusätzliche Gutachten von auswärts ein, und am 22. Juli 1534 beschloß der Große Rat schließlich ein erstes Reformationsmandat. Die Predigt wurde nunmehr einzig und allein den vom Rat besoldeten Prädikanten vorbehalten. Gleichzeitig wurde der katholische Gottesdienst auf die acht Kirchen der Stifte beschränkt. Damit hatte der Rat erstmals formal die Kirchenhoheit in der Stadt für sich beansprucht und im Sinne der neuen Lehre ausgeübt. Zwei Jahre später trat Augsburg schließlich dem Schmalkaldischen Bund bei. Damit hatte sich der Rat abgesichert für den nächsten Schritt, Augsburg zu einer ausschließlich evangelischen Stadt zu machen. Am 17. Januar 1537 befahl der Große Rat die endgültige Abschaffung der „papistischen Abgötterei". Nun wurden alle noch vorhandenen Klöster aufgelöst und ihr gesamter Grundbesitz eingezogen. Die Messe wurde verboten. Die noch intakten geistlichen Korporationen, darunter das Kapitel von St. Moritz, gingen daraufhin ins Exil. Damit hatte die durchaus beträchtliche katholische Minderheit jeden Rückhalt in der kirchlichen Struktur der Stadt verloren. Allerdings bemühte sich die protestantische Führung der Stadt darum, die katholischen Familien nicht aus der Stadt zu drängen und den Frieden zu wahren. Die Beziehungen zum Kaiser wurden nie abgebrochen, und auch an freundschaftlichen Beziehungen zum Herzog von Bayern und zum in Dillingen residierenden Bischof hatte die Stadt großes Interesse. War die Stadt doch immer noch auf ein gutes Verhältnis zu den umliegenden Territorialgewalten angewiesen, da sie mangels eigenen Territorialbesitzes keinen direkten Einfluß auf die Verhältnisse in ihrem Umland nehmen konnte.24

22 23 24

Gößner, Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation (1999), 56-61; Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 28 f. Gößner, Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation (1999), 90-96; Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 29 f. Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 30-32.

I. Reformation in Augsburg (bis 1547/48)

179

Während der Frühphase des Schmalkaldischen Krieges, als die protestantischen Truppen in Schwaben zunächst sehr erfolgreich operierten, verfolgte die Stadt deshalb eine „systematische Okkupations- und Säkularisierungspolitik", durch die sie gleichzeitig die Reformation in ihr Umland zu exportieren versuchte.25 Nach dem fehlgeschlagenen Donaufeldzug des Herbstes 1546 mußte Augsburg aber bereits im Januar 1547 den Kaiser um Gnade bitten, der nichtsdestotrotz die Stadt von seinen Truppen besetzen ließ und ihr hohe Reparationszahlungen auferlegte. Nachdem Karl V. den Schmalkaldischen Krieg drei Monate später siegreich beendet hatte, sollte es noch härter für die protestantische Stadt kommen. Nicht Expansion der Reformation stand nun auf der Tagesordnung, sondern Reduktion.26

4. a)

Die Fugger in der schichte bis 1547/48

Augsburger Reformationsge-

Die Fugger und die Reformation

Daß die Fugger bereits früh Gegner der Reformation waren, davon kann man heute ebenso ausgehen wie davon, daß die Reformatoren früh Gegner der Fugger waren.27 Für Luther bildeten sie als Organisatoren des Ablaßhandels gleichsam den Stein des Anstoßes. Außerdem machte sich der Reformator die Kritik am „Wucher" der großen Handelsgesellschaften ab 1519 in einer Reihe von Schriften zu eigen. Mitte August 1520 griff Luther in der Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation" den Focker zu Augspurg offen an.28 Es ist daher kein Wunder, daß dieser von Anfang an diejenigen unterstützte, die die Ausbreitung der neuen Lehre bekämpften, auch wenn Jakob Fugger durchaus aufgeschlossen für zeitgenössische Reformforderungen wie etwa die nach Wortgottesdienst war, die er selbst mit der Prädikaturstiftung bei St. Moritz gefördert hatte.29 Bereits 1518 fand das Verhör Luthers durch den päpstlichen Legaten Cajetan im Fuggerschen Anwesen am Augsburger Weinmarkt statt.30 Außerdem bildete die Fuggersche Handelsgesellschaft mitsamt ihren Faktoreien das organisatorische Rückgrat im

25

Lutz, Augsburg und seine politische Umwelt (1985), 427; vgl. Kießling, Augsburg in der Refor-

mationszeit (1997), 26 f. 26 Kießling, Augsburg in der Reformationszeit ( 1997), 37. 27 Die Behauptung von Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 409, Jakob Fugger sei bis 1521 kein Gegner der Reformation gewesen, hat Tewes, Luthergegner (1995), widerlegt, indem er in aufwendiger prosopographischer Analyse die auffälligen personalen Verflechtungen der Fugger und ihrer Gesellschaft mit den frühen Luthergegnem in Deutschland aufzeigte. 28 Burkhard, Luther und die Augsburger Handelsgesellschaften (1996), 50; Gier/Schwarz (Hrsg.), Reformation und Reichsstadt ( 1996), 58-60; Tewes, Luthergegner (1995), 339. 29 Häbler, Stellung der Fugger zum Kirchenstreit (1898), 481; zur Stiftung der Prädikatur s. o., Erster Teil, m. 30 Häbler, Stellung der Fugger zum Kirchenstreit (1898), 478.

180

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

Netzwerk der frühen Luthergegner.31 Luthers Hauptgegner im Reich, Johannes Eck, konnte sich der Unterstützung durch Jakob Fugger sicher sein.32 Und als Kardinal Lorenzo Campeggi 1524 nach Deutschland kam, um die Acht gegen Luther vollstrecken zu lassen, residierte er selbstverständlich bei Jakob Fugger in Augsburg.33 Auch in Augsburg selbst versuchte Jakob Fugger, der nach der Aussage Clemens Senders ganz wider die Lutherey war, die Ausbreitung der neuen Lehre zu behindern.34 Am 28. August 1520 war es Jakob Fugger, der zusammen mit Konrad Peutinger den Druckern der Stadt Augsburg jenen Befehl des Rats verkündete, sie sollten sich eidlich verpflichten, daß sie in den „Irrungen, die sich halten zwischen den Geistlichen und Doktoren der heiligen Schrift" ohne das Wissen und wider den Willen des Rats nichts drucken würden. Auch 1521 war Jakob Fugger Mitglied der städtischen Zensurkommis-

sion.35

Die öffentliche Meinung in der mehrheitlich evangelischen Reichsstadt war gegenüber den Fuggern entsprechend negativ. Wilhelm Rem berichtet von Gerüchten, die in der Stadt umliefen, über Fuggersche Machenschaften gegen den neuen Glauben und seine Anhänger. Im April 1522 etwa hieß es, Jakob Fugger stecke hinter der Flucht des Ulmer Franziskanermönchs Heinrich von Kettenbach. Er hätte auf diesen ein Kopfgeld von 2.000 Gulden ausgesetzt gehabt.36 Auch während des Schilling-Aufstandes 1524 sahen viele Anhänger des neuen Glaubens in Jakob Fugger den spiritus rector der Entlassung des Predigers durch den Rat. Jakob Fugger empfand die Stimmung in der Stadt gegen ihn in dieser Situation als so bedrohlich, daß er die Stadt verließ und sich nach Biberach begab.37 Es sollte nicht das letzte Mal sein, daß ein Fugger während der Augsburger Reformationsjahrzehnte die Stadt verließ und sich auf einen seiner Landsitze

zurückzog.

Der Ausbruch des Bauernkrieges bestärkte Jakob Fugger in seiner Gegnerschaft gegenüber den religiösen Neuerungen, sah er doch in Luther den Verursacher des bäuerlichen Widerstands. Daß Fugger die Niederschlagung der Bauernheere in den Jahren 1524 und 1525 durch Kredite finanzierte, muß für ihn deshalb ebenso ein Dienst am alten Glauben gewesen sein, wie es objektiv seinen eigenen Interessen als Grundherr diente, dessen Herrschaften durch die Bauernheere bedroht waren.38 Nach dem Tod Jakob Fuggers nahmen seine Erben weiterhin eindeutig Partei für die Sache des alten Glaubens. Als Hauptfinanzier Karls V. bewilligte Anton Fugger diesem die nötigen Kredite für seine militärische Anstrengungen gegen die Protestanten.39 In Augsburg selbst wurde die Parteinahme der Fugger für den Katholizismus weiterhin 31 Tewes, Luthergegner (1995), 258. 32 Anders als Pölnitz, Beziehungen des Johannes Eck ( 1940), 702, behauptet, brachen sie nach 1518 keinesfalls ab; vgl. Tewes, Luthergegner (1995), 335. 33 Pölnitz, Jakob Fugger tt* (1951), 469 f. 34 Sender, ed. Hegel/Roth, 169 f. 35 Pölnitz, Jakob Fugger H (1951), 470; vgl. Rem, ed. Hegel/Roth, 137. 36 Rem, ed. Hegel/Roth, 171 f.; vgl. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 493 f. 37 Rem, ed. Hegel/Roth, 206; vgl. Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 571 f.; Häbler, Stellung der Fugger zum Kirchenstreit (1898), 582. 38 Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 580-588. 39 Vgl. Kirch, Die Fugger und der Schmalkaldische Krieg (1915).

7. Reformation in Augsburg

181

(bis 1547/48)

sichtbar, daß dessen wichtigste Vertreter praktisch immer bei den Fuggern residierten, wenn sie die Reichsstadt aufsuchten. Ab 1531 ließ Anton Fugger im Anwesen am Weinmarkt deshalb ein repräsentatives Wohn- und Festquartier errichten, das sogenannte kaiserliche palatium, das nach Montaignes Bericht von 1580 die prächtigsten Räumlichkeiten aufwies, die er je gesehen hatte.40 Die kaiserlich-katholische Partei hatte im Anwesen der Fugger fortan also einen festen Stützpunkt. Bei Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges 1546 entzog sich Anton Fugger der Aufforderung des Augsburger Rats, daß alle Bürger sich in Voraussicht des Kriegseintritts in der Stadt einzustellen hätten.41 Er begab sich über Donauwörth nach Regensburg zu Karl V. Das Jahresende erlebte er in Schwaz in Tirol. In den Jahren 1533 bis daran

1536 hatte er bereits drei Jahre ausschließlich auf seinem Schloß in Weißenhorn verbracht. Auch sein Neffe Hans Jakob Fugger verließ Augsburg und kam erst in die Stadt zurück, als sich die Niederlage der Schmalkaldener abzeichnete.42

b)

Von Jakob

zu

Anton: der Generationenwechsel im Handelsgeschlecht

Neben dem allgemeinen Umbruch der Reformationszeit ist ein familiengeschichtlicher Umbruch das prägende Ereignis in der Geschichte der Fugger von der Lilie in den Jahren von 1521 bis 1548: der Generationenwechsel in der Führung von Geschäft und Familie. Nach dem Tod Jakob Fuggers in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 1525 traten die Söhne Georg Fuggers, Raymund und Anton, die Nachfolge an. Formal herrschte Gleichberechtigung zwischen den Vettern. Anton Fugger oblag jedoch de facto die Führung der Handelsgeschäfte. Raymund Fugger bekam die Verwaltung der weltlichen und geistlichen Lehen der Fugger von der Lilie übertragen.43 Der einzige noch lebende Sohn Ulrich Fuggers, Hieronymus, blieb ohne Funktion in der Firma, auch wenn diese ab 1532 „Raymundus, Antonius und Hieronymus, die Fugger, Gebrüder und Vettern" hieß. Nach dem Tod Raymund Fuggers am 3. Dezember 1535 war Anton Fugger einziges Oberhaupt der Familie und Gesellschaft, in der er fortan gegenüber den Söhnen seines verstorbenen Bruders Raymund Hieronymus war nicht vereine ähnlich heiratet gewesen und hatte keine Nachkommen hinterlassen autokratische Stellung innehatte, wie zuvor sein Onkel Jakob Fugger gegenüber ihm, seinem Bruder und seinen Vettern.44 Das Kernstück der Fuggerschen Geschäftstätigkeit blieb auch unter Anton Fugger bis in die vierziger Jahre die ungarische Kupferpacht zusammen mit dem Tiroler Metallhandel und dessen Verzweigungen bis nach Kärnten.45 Allerdings mußte die Firma in den zwanziger Jahren auf diesem Gebiet auch ihre bisher größte Krise überstehen. In Ungarn hatte es 1524 eine Inflation gegeben, für die weite Teile der Bevölkerung, des -

-

40 41 42 43 44 45

Lieb, Die Fugger und die Kunst JJ ( 1958), 181. Häbler, Stellung der Fugger zum Kirchenstreit ( 1898), 490. Lieb, Die Fugger und die Kunst JJ ( 1958), 70 f. Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger 3/2 (1986), 310; Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 642, 650. Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger 3/2 ( 1986), 357-359. Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger 3/2 ( 1986), 310.

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

182

Adels und der übrigen Stände die Fugger und ihren ungarischen Geschäftspartner, Alexis Thurzo, verantwortlich machten. Im September dieses Jahres beschloß eine ungarische Reichs Versammlung, die Fugger aus Ungarn auszuweisen. König Ludwig II., der selbst hohe Schulden bei der Gesellschaft hatte, schloß sich dieser Forderung an. Im Juni 1525 beschlagnahmte man den Fuggerschen Besitz in Ofen, Pest und Neusohl und verhaftete die dortigen Faktoren.46 Es war noch Jakob Fugger, der daraufhin in seinen letzten Lebensmonaten ein Bündnis zusammenbrachte, dem unter anderem Erzherzog Ferdinand von Österreich, der König von Polen, der Schwäbische Bund, Papst und Kaiser sowie ein Teil der Kurfürsten und der Reichsstände angehörten, um die ungarische Krone unter Druck zu setzen. Ende November 1525 intervenierte dieses Bündnis in Budapest. Die Entscheidung des Konflikts im Sinne der Fugger erlebte Jakob Fugger dann nicht mehr. Am 15. April 1526 unterzeichnete Ludwig von Ungarn schließlich unter dem Druck der Pro-Fugger-Allianz einen neuen Vertrag, der Anton Fugger, nunmehr ohne Beteiligung der Thurzos, die Bergwerkspacht für weitere 15 Jahre zugestand. Dieser gewährte ihm als Gegenleistung einen neuen Kredit zur Finanzierung der Türkenabwehr, der allerdings zu spät kam. Ludwig II. ertrank auf der Flucht nach der Schlacht von Mohács. Die ungarische Krone gelangte somit an Ferdinand, den Bruder Karls V.47 Einen neuen Schwerpunkt des Fuggerschen Unternehmens bildete ab 1525 das Spaniengeschäft. Am 1. Januar 1525 Übertrag Karl V. den Fuggern die Pacht der Liegenschaften der drei spanischen Ritterorden, der sogenannten Maestrazgos, zu denen auch die gewinnträchtigen Quecksilberminen von Almadén gehörten.48 Dieses Geschäft stand wahrscheinlich in Wechselbeziehung zur Finanzierung von Karls V. Kaiserwahl. Auf jeden Fall wurden die Verbindungen der Fugger zu den Habsburgern dadurch noch enger.49 Anton Fugger wurde in der Folgezeit mehr und mehr zum Bankier der politischen Vorhaben Karls V. Die Geschäfte mit der Kurie dagegen verloren infolge der Reformation an Bedeutung. Als die Fugger mit der Kurie 1519 die Ablässe der Jahre 1517 bis 1519 abrechneten, waren die erlösten Summen aus Deutschland stark zurückgegangen.50 Neben dem Ablaßhandel verlor auch das Pfrändengeschäft in der Folgezeit zusehends an Bedeutung. In den Geschäften mit der Kurie dominierten ab 1521 Wechsel- und Darlehensgeschäfte.51 Drei Jahre später verloren die Fugger die päpstliche Münze. Nach dem Sacco di Roma schließlich wurde die Fuggersche Faktorei in Rom aufgelöst.52 Als Anton Fugger 1527 die Abrechnung für die vergangenen sechs Jahre erstellen ließ, errechnete die Fuggersche Buchhaltung nach Abzug aller Gewinnentnahmen ein

46 Kalus, Fugger in der Slowakei (1999), 119-121. 47 Kalus, Fugger in der Slowakei (1999), 121-124; Pölnitz, Jakob Fugger I (1949), 613 f. 48 Kellenbenz, Fugger in Spanien und Portugal I (1990), 245-247, 271 f.; vgl. Ders., Maestrazgo-

pacht(1967).

49 50 51 52

Pölnitz, Die Fugger (1999), 149. Pölnitz, Jakob Fugger II ( 1951 ), 412. Pölnitz, Jakob Fugger II ( 1951 ), 547. Schulte, Fugger in Rom ( 1904), 240 f.

I. Reformation in Augsburg

(bis 1547/48)

183

„rechtes" Gesellschaftskapital von 1.602.319 fl.53 Bis zur nächsten Inventur, sechs Jahre später, wuchs dieses auf 1.801.070 Gulden an. Daß diese Summe 1536 nicht übertroffen

wurde, lag wahrscheinlich an der Bildung stiller Reserven. Im Jahr 1546 betrug das Vermögen der Fuggergesellschaft dann nach allen Abzügen 4.724.844 Gulden.54 Damit hatte die Gesellschaft den Höhepunkt in der Vermögensentwicklung erreicht. Dennoch begann Anton Fugger nun, das Geschäftsvolumen der Fuggergesellschaft schrittweise zu verringern. Im Jahr 1546 löste er den Ungarischen Handel auf, der 1541 noch einmal verlängert worden war.55 Seit Mitte der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts war der Anteil der Gewinne aus slowakischem Kupfer in den Fuggerschen Bilanzen gesunken. Ungarn war in jener Zeit von den Einfällen der Türken bedroht. Der Schmalkaldische Krieg zwang Anton Fugger zu großen Kreditanstrengungen zugunsten Karls V., wobei deren Refinanzierung ungewiß war. Zudem hatte Fugger den Eindruck, daß die kommende Generation den Belastungen des Firmenbetriebs nicht mehr ausreichend gewachsen sein würde.56 Außerdem lassen sich in dieser Zeit Bestrebungen beobachten, die Spannung zwischen stadtbürgerlicher Kaufmanns- und adeliger Herrenexistenz zugunsten letzterer aufzulösen. Die Familienpolitik Anton Fuggers war seit Ende der dreißiger Jahre bewußt auf den Adel hin orientiert. Er bemühte sich, sowohl die ihm anvertrauten Kinder seines verstorbenen Bruders Raymund als auch seine eigenen ausschließlich mit Adeligen zu vermählen. Die erfolgreiche Abwicklung und Finanzierung solcher Eheprojekte bildete den Schwerpunkt seiner Familienpolitik. Den Anfang machte 1538 die Ehe von Raymund Fuggers Tochter Regina mit Hansjakob Frh. zu Mörsperg. Zehn Jahre später waren alle fünf Töchter Raymund Fuggers sowie seine Söhne Hans Jakob und Christoph mit Angehörigen des Adels von Tirol, Österreich und Ostbayern verheiratet. Bis 1566 hatten dann auch Anton Fuggers eigene Töchter und seine Söhne Markus, Hieronymus und Jakob adelige Ehepartner.57 Die entsprechenden Hochzeiten feierte man zumindest teilweise auf den Fuggerschen Landschlössern.58 Im Jahr 1543 wurde mit Raymunds Tochter Sybilla erstmals eine Fuggerin als „wohlgeboren" apostrophiert, eine Bezeichnung, die den hochrangigen alten Adelsfamilien vorbehalten war.59 Karl V. hatte Anton, Raymund und Hieronymus Fugger 1526 zunächst die nichterbliche Grafenwürde verliehen, die auch schon Jakob Fugger innegehabt hatte.60 Vier Jahre später dann, am 15. November 1530, wurden Raymund, Anton und Hieronymus Fugger sowie ihre leiblichen Nachkommen in den erblichen rittermäßigen Adels-, Grafen-, Banner- und Freiherrnstand erhoben. Damit einher ging die Verleihung einer Reihe von Sonderrechten, vor allem das der Wappenmehrung. Fortan führten die Fugger geviertelte Wappenschilde, in denen zum bisherigen Lilienwappen das alte Kirch53 54 55 56 57 58 59 60

Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger 3/2 ( 1986), 371. Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger 3/2 ( 1986), 372 f. Kalus, Fugger in der Slowakei (1999), 274-276. Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger 3/2 ( 1986), 374. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik ( 1986), 94. Marke, Die Fugger im 16. Jahrhundert (1983), 155; Koutná, Feste und Feiern (1994), 100.

Nebinger, Standesverhältnisse des Hauses Fugger (1986), 271-273. Nebinger, Standesverhältnisse des Hauses Fugger ( 1986), 268.

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

184

berger Wappenbild der Mohrin mit der Mitra bzw. die Jagdhörner

von MarstettenWeißenhorn traten.61 1534 erhielten sie auch noch das Münzrechtprivileg.62 Raymund und Anton Fugger bauten den Fuggerschen Besitz an Landgütern und Herrensitzen weiter aus. Allein Anton Fuggers Erwerbungen übertrafen den Umfang derer Jakob Fuggers bei weitem.63 Die bedeutendste Erwerbung Anton Fuggers und einen neuen Schwerpunkt Fuggerschen Landbesitzes bildete dabei die Herrschaft Babenhausen südöstlich von Weißenhorn, ein Komplex, der sich vom Tal der Günz bis an die untere Hier erstreckte. Ende 1538 kaufte Anton Fugger die Lehenschaft über Schloß und Markt Babenhausen für 36.000 Goldgulden von Herzog Ulrich von Württemberg. Lehnsherr des zu dieser Herrschaft gehörenden Brandenburg war das Erzhaus Österreich. Inhaber der Herrschaft Babenhausen samt Brandenburg waren die Ritter von Rechberg, die mit den Fuggern verschwägert waren. Diese überließen sie Anton Fugger 1539 für 68.000 fl. Auch in Babenhausen ließ Anton Fugger ein Schloß bauen. Hierfür fielen nochmals Kosten von 36.000 fl. an.64 Die Arrondierung des Fuggerschen Landund Herrschaftsbesitzes in Schwaben erschien modernen Beobachtern dabei so systematisch, daß man spekuliert hat, Anton Fugger habe einen territorialpolitischen Verband zwischen flier, Lech, Donau und Bodensee schaffen wollen.65

61 62 63 64

Lieb, Die Fugger und die Kunst II (1958), 69. Lieb, Die Fugger und die Kunst H ( 1958), 265. Lieb, Die Fugger und die Kunst II (1958), 207. PölnitzIKellenbenz, Anton Fugger 3/2 (1986), 352; Lieb, Die Fugger und die Kunst II (1958),

65

Pölnitz, Die Fugger (1999), 306; Ders./Kellenbenz, Anton Fugger 3/2 ( 1986), 353.

246 f.

II. Abbruch der

Beziehungen:

Die Grabka-

pelle der Fugger bei St. Anna

1.

St. Anna und die Reformation in Augsburg

Grabkapellenstiftung Jakob Fuggers, im Karmeliterkloster St. Anna, faßte der neue Glaube frühzeitig Fuß, und es wurde daraufhin „der Ausgangs- und Mittelpunkt für die Ausbreitung der Reformation in Augsburg während der ersten Hälfte der zwanziger Jahre".1 Prior Johannes Frosch kannte Luther von seinem Studium in Wittenberg (1514-1516) her, und als der Reformator sich 1518 anläßlich des Reichstags zum Verhör durch den Legaten Cajetan in Augsburg einfand, logierte er bei den Mönchen von St. Anna.2 In den frühen zwanziger Jahren predigten hier neben Johannes Frosch, der sein Amt als Prior 1523 resignierte, Urbanus Rhegius (ab 1523/24) und Stephan Agrícola die neue Lehre.3 Den entscheidenden Einschnitt in der Geschichte des Klosters markierte das Jahr 1525. Am Weihnachtstag dieses Jahres wurde bei St. Anna erstmals in Augsburg das Abendmahl in beiderlei Gestalt gereicht. Bereits zuvor hatte Johannes Frosch geheiratet und mit einem Teil der Mönche Orden und Kloster verlassen. Damit war das Schicksal der Karmeliter in Augsburg besiegelt. Zwar formierten die verbliebenen acht Mönche noch einmal einen Konvent.4 Das weitgehend leerstehende Klostergebäude wurde jedoch ab 1531 von der Stadt genutzt, um dort die erste Lateinschule einzurichten. Bereits 1534 übergaben der letzte Prior und sein Konvent

Am Ort der

dann das Kloster gegen eine Leibrente dem Heilig-Geist-Spital.5 Die Kirche blieb daraufhin bis 1548 geschlossen, scheint jedoch zumindest zeitweise immer wieder für lutherische Gottesdienste geöffnet worden zu sein.6 Den Einschnitt des Jahres 1525 macht auch die Betrachtung des Stiftungswesens bei St. Anna deutlich. Denn mit diesem Jahr hörten die Augsburger Bürger auf, bei den Karmelitern zu stiften.7 Doch nicht nur der Zufluß neuer Stiftungen, auch der Vollzug alter Stiftungen brach nun teilweise ab. Die Gottesdienste in der Hirnschen Kapelle 1 2 3 4 5 6 7

Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte I ( 1901 ), 5 3. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters I (1878), 259; Hahn, St. Anna-Kirche (1997), 73; Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 23. Hahn, St. Anna-Kirche (1997), 73; Kießling, Augsburg in der Reformationszeit (1997), 24 f. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte I (1901), 290. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters V ( 1882), 265-268. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte II (1903), 90 f.; Hahn, St. Anna-Kirche (1997), 74. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters I (1878), 268; Ders., Geschichte des Carmeliterklosters IV (1880), 232.

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

186

wurden zwar bis zur Auflösung des Klosters 1534 von den Mönchen gemäß den Auflagen der Stifter vollzogen.8 Daß 1526 ein Wilhelm von Sandizell das Kapital eines Jahrtages zurückforderte, den er 1522 gestiftet hatte, zeigt jedoch, daß dies nicht für alle Stiftungen bei St. Anna galt.9 Wahrscheinlich versuchte der dezimierte Konvent nunmehr, einen Teil der Belastungen mit Memorialdiensten abzustreifen, da er mit nur noch acht Mönchen nicht mehr in der Lage war, alle Stiftungen gemäß den Auflagen der Stifter zu vollziehen. Ein Jahr später gestattete man den Stiftern bei St. Anna, für liturgische Zwecke gestiftete Gegenstände wie Meßgewänder u. ä. wieder an sich zu

nehmen.10

war diese zwiespältige, aus der Perspektive der damaligen Akteure offene Situaauf die Jakob Fugger mit den Anordnungen reagierte, die er in seinem zweiten tion, Testament vom 22. Dezember 1525 bezüglich der Grabkapelle bei St. Anna traf, Dieweyl dieser zeit das wesen inn offibemelten closter zu Unnser Frauen brüeder und auch an anndern orten, sich annderst als dann vor erzaigt.u Die Kapelle selbst, die zu seiner, seiner Brüder und aller ihrer Nachkommen Ehre und Gedächtnis erbaut worden war, sollte erhalten bleiben. Hierüber sollten Jakob Fuggers Erben mit den Mönchen oder anderen Verwaltern des Klosters verhandeln und gegebenenfalls eine neue Stiftungsurkunde anfertigen lassen.12 Offensichtlich hielt Fugger also bereits 1525 für möglich, was dann neun Jahre später tatsächlich eintreten sollte, nämlich daß die Aufsicht über die Klosteranlage mitsamt der Klosterkirche nicht mehr bei den Karmelitern selbst liegen und das heißt, daß sich der Konvent unter dem Einfluß der Reformation auflösen könnte. Folgerichtig erteilte er seinen Neffen Vollmacht, die Stiftungserträge, die sie den Brüdern bei St. Anna zugewiesen hatten, gegebenenfalls anderen Klerikern zukommen zu lassen, damit diese dann das liturgische Gedächtnis an den Stifter und seine Familie wachhielten, ein Recht, das sich der Stifter bereits 1521 grundsätzlich vorbehalten hatte, und das nun aktuell zu werden drohte. Glaubt man dem Bericht Clemens Senders, dann soll Fugger seine Neffen außerdem darum gebeten haben, ihn an einem anderen Ort als in der mit so viel Aufwand errichteten Grabkapelle bei St. Anna seine letzte Ruhe finden zu lassen, wa sich begeben wurde, das endtlich die Lutherey bey den Carmeliten beleyben wurde.n Auf dem Sterbebett versuchte Jakob Fugger also, sich iluden Fall abzusichern, daß sich die neue Lehre bei St. Anna dauerhaft durchsetzen könnte, und legte fest, wie dann mit dem Bau der Kapelle, der liturgischen Memoria und seinem Leichnam verfahren werden sollte. Gleichzeitig jedoch blieb er dabei, daß er in der Grabkapelle bei St. Anna beigesetzt werden wollte, und ordnete außerdem noch an, daß sein Begräbnis dort nach altgläubigem Ritus begangen werden sollte, mit besincknus, sibennden, dreyssigsten, meßlesen, almuesen geben, jartägen und anndern

Es

8 9 10 11 12 13

Schott, Geschichte des Carmeliterklosters JJ ( 1879), 99. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters IV (1880), 231. Schott, Geschichte des Carmeliterklosters V ( 1882), 261.

Fuggertestamente, ed. Preysing, 78.

Simnacher, Fuggertestamente (1960), 96. Sender, ed. Hegel/Roth, 169 f.

77. Die

Grabkapelle bei St. Anna

187

es dort 1525 ja noch immer Mönche, die die überkommenen Praktiken des Totenkults vollzogen. Jakob Fuggers Hoffnung, bei St. Anna dauerhaft das liturgische Gedächtnis seiner und seiner Familie gewahrt zu sehen, sollte sich jedoch schnell als trügerisch erweisen. Nach dem Zeugnis der Urkunde, die Anton Fugger und seine Miterben fast 23 Jahre nach Jakob Fuggers Tod ausstellten, um dem Vollzug seiner drei großen Stiftungen eine neue schriftliche Grundlage zu geben, wurde die liturgische Memoria für Jakob Fugger bei St. Anna niemals gefeiert. Die angestrebte Gabentauschbeziehung zwischen dem Stifter und den von ihm vorgesehenen Empfangern, in der spirituelle Leistungen im Austausch für materielle erbracht werden sollten, war also nie zustanden gekommen. Die für den Memorialdienst vorgesehenen Stiftungserträge behielten Jakob Fuggers Erben deshalb ein. Sie verwendeten sie bis 1548 allerdings nicht, um andernorts dauerhaft die Memorialgottesdienste feiern zu lassen, wie es der Stiftungsbrief von 1521 und das Testament von 1525 vorgesehen hatten. Statt dessen wurden die Stiftungserträge angespart.15 Auch Jakob Fuggers sterbliche Überreste blieben in der Gruft unterhalb der Kapelle bei St. Anna und wurden nicht, wie er es sich Clemens Sender zufolge gewünscht haben soll, an einen anderen Ort transloziert.16 Vielleicht hofften Anton Fugger und seine Miterben ja, daß der katholische Kultus bei St. Anna einmal restauriert werden würde. Zumindest hielten Raymund und Hieronymus Fugger auch an ihrem Wunsch fest, in der Kapelle der ehemaligen Karmeliterkirche beigesetzt zu werden, nachdem die Kirche 1534 geschlossen worden war und fanden dort in den Jahren 1535 bzw. 1538 ihre letzte Ruhestätte.17 Dies war in der weitgehend evangelischen Stadt allerdings nur möglich, indem man dabei auf die traditionellen Begräbnisrituale verzichtete und die Trauerfeierlichkeiten in der Fuggerschen Herrschaft Weißenhorn abhielt.18 Raymund Fugger konnte nur aufgrund einer Ausnahmegenehmigung des Rats in der Fuggerkapelle beigesetzt werden. Heimlich, on preng und Hecht, trug man ihn durch den Garten hinter dem Kloster in die Grablege.19 Rechnungen über Instandsetzungsarbeiten an den Gewölberosen der Kapelle und der Orgel aus den Jahren 1543 bis 1547/48 belegen, daß Jakob Fuggers Erben, auch als der Protestantismus in Augsburg auf dem Höhepunkt seiner Macht war, weiterhin für den Erhalt der Kapelle sorgten, wie dieser es 1525 in seinem Testament angeordnet hatte.20 Die organisatorische Einheit von Grabmal und Gebetsgedenken und damit von liturgischer und profaner Memoria war damit jedoch erst einmal zerbrochen.

sachen?4 Schließlich gab

14 Fuggertestamente, ed. Preysing, 75. 15 FA 81.3; s. u., Dritter Teil, n.3 bei Anm. 28. 16 Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 158. 17 Schott, Geschichte des Carmeliterklosters IV ( 1880), 207 f. 18 Lieb, Die Fugger und die Kunst II (1958), 329, 336. 19 Breu, ed. Hegel/Roth, 69; Lieb, Die Fugger und die Kunst II ( 1958), 26 f. 20 FA 1.2.1a, 60r, 62v, 63r, FA 2.1.22a, 7; FA 66.1.1,4r; Lieb, Die Fugger und die Kunst II

268,449.

(1958),

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

188

2.

Die Reformation bei St. Anna und die der Fuggerkapelle

Ausstattung

Dies hatte auch Auswirkungen auf die Kunstgeschichte der Kapelle, verstanden als die Geschichte des Kunstwerkes.21 Betrachtet man die künstlerische Ausstattung der Fuggerschen Grabkapelle bei St. Anna in Augsburg, so fallen zwei Abweichungen von den ursprünglichen Konzepten ins Auge: der bereits erwähnte Bruch im Bildprogramm der Epitaphien sowie der Einbau einer Balustrade anstelle des anfangs geplanten Gitters.22 Es gibt eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, daß dieser Umbruch in der Kunstgeschichte der Kapelle in Beziehung zum Wandel der Reformation stehen könnte. Ihnen soll im folgenden erstmals systematisch nachgegangen werden.

a)

Die Abkehr vom ursprünglichen Bildprogramm der Epitaphien

und Sinngehalt der äußeren Epitaphien der Fuggerkapelle, deren Inschriften an Jakob Fugger erinnern, kontrastieren stark mit den inneren Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger. Die Epitaphien für die beiden älteren Brüder Jakobs, die er um 15 bzw. 19 Jahre überlebte, waren liturgische Grabmäler, die im Gesamtkonzept der Grabkapelle als „Vehicle of Salvation" die Funktion hatten, den Seelen der Stifter die Früchte aller am gegenüberliegenden Altar zelebrierten Messen zugute kommen zu lassen. Für die Ikonographie der Außenepitaphien dagegen waren „die Embleme für Macht und Größe des Fuggerschen Geschlechts, die Meditation über Ruhm, Tod und

Ikonographie

Vergänglichkeit" entscheidend.23 Der Hauptteil dieser Epitaphien zeigt heraldische Motive in einem einheitlichen Blickfeld. Auf beiden eröffnet sich in Fortsetzung der äußeren Rahmenarchitektur der Einblick in eine zentralperspektivisch verkürzte Säulenhalle. In ihrem Inneren sind jeweils zwei stehende Krieger in antikischen Rüstungen zu sehen, außerdem zwei nackte gefesselte Sklaven und zwei bzw. links vier Putti im Hintergrund, Trophäen in der Mitte und darüber das Fuggerwappen (Abbildungen 22 und 23).24 Damit verlassen die Außenepitaphien den ursprünglichen, liturgischen Kontext der Grabkapelle. Claudia Baer zufolge sind sie „eigentlich keine Grabmäler", sondern vielmehr „Ehrenplatten" für Jakob Fugger.25 Bruno Bushart hat sie als allegorische Denkmäler bezeichnet.26 Als solche entwickeln die Epitaphien für Jakob Fugger allerdings kein eigenes Programm. Statt dessen präsentieren sie ein und dieselbe allegorisch-heraldische Aussage in doppelter Ausfertigung. Dies und andere konzeptionelle Unebenheiten lassen es sehr wahr21 Borgolte, Die Dauer von Grab und Grabmal (2000), 129 f. 22 S. o., Erster Teil, U.7.a.y bei Anm. 152-156; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 159, 175, 186 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 170 f., 138 f. 23 S. o., Erster Teil, U.7.a.y bei Anm. 150; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 143, 167. 24 TJiwWi, Fuggerkapelle (1994), 142 f.; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 171. 25 Baer, Die italienischen Bau- und Omamentformen (1993), 270. 26 Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 167.

//. Die Grabkapelle bei St. Anna

189

scheinlich erscheinen, daß die

Programmwechsels war.27

Bildfolge der Epitaphienwand die Folge eines

Die Forschung hat diesen Programmwechsel nicht erklären können und erstaunlicherweise bisher auch nicht in Erwägung gezogen, daß dieser die Folge der gewandelten Verhältnisse bei St. Anna infolge der Reformation gewesen sein könnte. Dabei erinnert der „Themenwechsel" in der Ikonographie der Epitaphien stark an die Art und Weise, wie Jakob Fugger 1525 auf diesen Wandel reagierte.28 Dieses Jahr bedeutete für die traditionelle Stiftungspraxis bei St. Anna, die durch die Reformation bereits theoretisch in Frage gestellt war, einen tiefen Einschnitt. Der Vollzug liturgischer Memoria war damit fragwürdig geworden. In seinem Testament vom 22. Dezember 1525 stellte sich Jakob Fugger dieser Situation. Er enthielt sich auf der theoretischen Ebene des Verweises auf die erhoffte Erlösung aus dem Fegefeuer, die er in seinem ersten Testament von 1521, das parallel zum Stiftungsbrief abgefaßt worden war, noch zum Ausdruck gebracht hatte. Gleichzeitig gab er seinen Neffen auf der praktischen Ebene Vollmacht, die Erträge, die für den Vollzug der liturgischen Memoria vorgesehen waren, anderen Empfängern zukommen zu lassen, falls die Mönche von St. Anna ihren diesbezüglichen Pflichten in Zukunft nicht mehr nachkommen (können) sollten. In dieser Situation mußte die Fortsetzung des ursprünglichen Bildprogramms der Epitaphien, das bis zu diesem Zeitpunkt nur an den Grabmälern für Ulrich und Georg Fugger umgesetzt worden war, problematisch erscheinen. Waren diese doch liturgische Grabmäler, die auf den Vollzug der liturgischen Stiftermemoria in der Grabkapelle bezogen waren. Ein neues Bildprogramm war aber ebenfalls schwer vorstellbar, da die hierfür nötigen religiösen Gewißheiten nicht mehr vorhanden waren, daher die Wiederholung derselben allegorisch-profanen Aussage in doppelter Form: „In fast aufdringlicher Eintönigkeit betonen sie die Polarität von irdischer Vergänglichkeit und unsterblichem Ruhm, von Tod, Trauer, Macht, Sieg, Ehre, alles unter dem stets gegenwärtigen Zeichen der Fuggerlilie und der sechsblättrigen Rose".29 Da das postmortale Schicksal in seiner außerweltlichen Dimension ungewiß geworden war, erscheint die irdische Vergänglichkeit nunmehr nur noch durch den innerweltlichen Ruhm bezwingbar. Dieser profane Sinngehalt der Außenepitaphien korrespondiert auffällig mit dem Wunsch Jakob Fuggers, daß die Grabkapelle bei St. Anna auch dann noch Ehre und Gedächtnis der Stifter perpetuieren sollte, wenn dort die liturgische Stiftermemoria nicht mehr gehalten werden würde. In seinem Testament vom 22. Dezember 1525 verpflichtete er seine Neffen ja, die Kapelle auch dann noch baulich zu erhalten, wenn die Mönche dort die Gottesdienste für die Stifter nicht mehr feiern sollten. Die Kapelle sollte also auch als rein profanes Denkmal der Fugger weiterbestehen. Bei alledem hatte Jakob Fugger 1525 die Hoffnung jedoch noch nicht völlig aufgegeben, daß der überkommene Kultus bei St. Anna eine Zukunft haben könnte. Dies wird daran deutlich, daß er sich trotz seiner Bedenken dort bestatten und seine Funera27 S. o., Erster Teil, n.7.a.v bei Anm. 152-156; Bushart, FuggerkapeUe (1994), 159. 28 Hitchcock, German Renaissance-Architecture (1981), 9, behauptet zwar, daß die Außenepitaphien erst 1525, nach Jakob Fuggers Tod, installiert wurden, ohne hierfür jedoch Argumente vorzutragen. 29

Bushart, FuggerkapeUe (1994),

143.

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

190

lien nach altgläubigem Ritus feiern ließ. Diesen Zwiespalt Hoffnung auf liturgisches Gedächtnis auf der einen und Unsicherheit, ob dieses in Zukunft gewährleistet sein würde, auf der anderen Seite bringt die nunmehr ikonographisch gespaltene Epitaphienwand dann auch zum Ausdruck. Die Innenepitaphien sprechen weiterhin von der Hoffnung auf individuelle Erlösung, die äußeren von irdischem Ruhm symbolisiert durch Rüstungen, Helme, Waffen, Posaunen, Banner etc. und gleichzeitig von dessen -

-

-

Vergeblichkeit.30 Erklärt

man

den

-

Programmwechsel

in der

Ikonographie

als Reaktion auf den Wan-

del, den die Reformation bei St. Anna verursachte, dann ergibt sich daraus eine Datierung desselben auf einen Zeitpunkt um 1525. Denn dies war das Jahr, in dem die alte Stiftungs- und Memorialpraxis bei St. Anna fragwürdig wurde, worauf Jakob Fugger

mit seinem Testament reagierte. Sieht man das zwiespältige Bildprogramm der Epitaphien als Ausdruck der Zerrissenheit, in der sich Jakob Fugger auf dem Sterbebett befand und der er durch die Bestimmungen bezüglich der Grabkapelle bei St. Anna vom 22. Dezember 1525 zu begegnen versuchte, dann liegt eine Datierung für den Programmwechsel nahe, die damit in engem zeitlichen Zusammenhang steht. Damit hätten auch die Epitaphien für Jakob Fugger teilgehabt an jenem generellen Wandel der Ikonographie von Grabmälern in Deutschland, den Jeffrey Chipps Smith für die Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts konstatiert hat. Als Folge der Reformation sei es bei den Grabmälern dieser Zeit zu einer „simplification in terms of design and themes" gekommen.31 „The sole decorative embellishment that emerges during this period is the frame, which increases both in size and complexity. A classical canon of forms, though often eclectically applied, supersedes traditional Gothic motifs".32 In ihrer Aussage seien dabei auch die Grabmäler, die katholische Stifter in Auftrag gaben, theologisch neutral gewesen. Bereits Norbert Lieb hat bemerkt, daß die Außenepitaphien im Gegensatz zu den Innenepitaphien, deren Stil in Komposition und Ornamentik der Unterteile in engem Zusammenhang mit dem italienischen Quattrocento stünde, im ganzen zum Manierismus tendierten. Dies erschien ihm „besonders auffallig", da er davon ausging, diese seien bereits 1517 fertiggestellt gewesen.33 Und bis heute ist es ungeteilte Forschungsmeinung, daß alle vier Epitaphien anläßlich der Weihe der Kapelle am 17. Januar 1518 „mit größter Wahrscheinlichkeit bereits fertiggestellt und in die Wand eingelassen waren".34 Ein positiver Beleg hierfür ist allerdings nicht vorhanden. Wie erwähnt, gibt es keinerlei Urkunden oder Akten bezüglich des Baus der Fuggerkapelle und ihrer Ausstattung, mit Ausnahme der Gerichtsakten über den Vergleich zwischen den Fuggern und Vischer wegen des Gitters. Daß Wilhelm Rem berichtet, des Jacob Fuggers Kappel zu Unser Frauen Brieder sei 1517 gar ausgemacht gewesen35, bedeutet nicht, daß die Ausstat30 31 32 33 34 35

73i«Wf, Fuggerkapelle (1994), 168. Smith, German Sculpture (1994), 155. Smith, German Sculpture ( 1994), 152. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 231. Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 157; vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 231. Rem, ed. Hegel/Roth, 82; vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 3\;Lieb, Die Fugger und die Kunst

1(1952),

136.

77. Die

Grabkapelle bei St. Anna

191

rung schon vollständig gewesen wäre. Die Orgelflügel etwa wurden definitiv erst nach 1517 angebracht.36 Die Beschreibung der Kapelle durch Antonio de Beatis, der sich im Mai als Begleiter des Kardinals Luigi d'Aragona auf dessen Deutschlandreise in Augsburg aufhielt, erwähnt die Epitaphien überhaupt nicht. Nur ganz allgemein ist von excellente pictura die Rede. Dies muß sich keineswegs auf die Grabmäler beziehen, und selbst wenn man es so lesen möchte, belegt es nicht, daß schon alle vier Epitaphien im Mai 1517 fertiggestellt und in die Wand eingelassen gewesen wären.37 Indizien für eine Datierung der Außenepitaphien auf die Zeit nach Jakob Fuggers Tod liefert ein anderes Kunstwerk: das Gebetbuch des Fuggerschen Hauptbuchhalters Matthäus Schwarz, das der Augsburger Miniaturmaler Narziß Renner in einem längeren Prozeß ab 1520 anfertigte. Die Randleisten zweier Textseiten dieses Gebetbuches weisen auffällige Ähnlichkeiten mit den Außenepitaphien der Fuggerkapelle auf: „Die erste zeigt Motive aus der Kuppelhalle, die gebauchten Säulen, Arkaden und Zugstangen des vorderen Joches, den zurückspringenden Sockel mit den trauernden Putti zuseiten der Inschriftenkartusche, die linke der Flammenvasen und vor allem die Wappenherolde. Auf dem zweiten Blatt erscheinen die mit dem Rücken aneinander geketteten Sklaven zuseiten der Rüstung samt den rückwärtigen Puttenköpfen wieder" (Abbildungen 24 und 25).38 Insgesamt fünf Seiten des Gebetbuches weisen die Jahreszahl 1521 auf, drei von ihnen außerdem die Initialen N. R., die Georg Habich 1910 als Narziß Renner aufgelöst hat; eine trägt die Jahreszahl 1522.39 Man geht davon aus, daß diese Jahreszahlen das Entstehungsjahr der entsprechenden Seite festhalten, so daß bereits hieran deutlich wird, daß an dem Schwarzsehen Gebetbuch über einen längeren Zeitraum hinweg gearbeitet wurde. Es ist allerdings keineswegs sicher, daß die Jahreszahlen in den betreffenden Jahren selbst oder erst später angebracht wurden. Denn als zunftgebundener Maler hätte Narziß Renner erst ab 1525 selbst signieren dürfen!40 Für die Anfertigung der Randleisten muß man gleichfalls einen deutlich späteren Zeitpunkt als 1521/22 annehmen. Denn bei der Fertigung des Buchs teilte sich der Illuminist Renner die Arbeit mit dem Schreiber Georg Mittner. Renner malte zunächst die Vollbilder auf Einzelblätter, Mittner hängte sie dann in Lagen von Pergamentblättern ein, die der Länge der einzelnen Gebete entsprachen. Erst das geheftete Buch mit dem ausgeschriebenem Text wurde dann mit Randleisten und Schlußvignetten geschmückt. Der Schreiber erhielt diese Seiten also erst nach 1522. Dieser mußte sie dann noch mit Pergamentblättern zusammenbinden, auf die er danach die Gebete schrieb. Nachdem diese Arbeitsschritte abgeschlossen waren, erhielt dann wieder der Illuminist das Buch, um die beschrifteten Seiten mit Randleisten zu versehen. Nimmt man für diese Arbeits36 Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 85. 37 De Beatis, ed. Pastor, 96 f.; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 420 f. (Beilage V.), 31; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 136. 38 Es sind dies 17r und 55r, vgl. Habich, Gebetbuch des Matthäus Schwarz (1910), 24; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 152. 39 Es sind dies 7v; 16v; 25v, 35v u. 38v (1521) sowie 54v (1522); vgl. Habich, Gebetbuch des Matthäus Schwarz (1910), 11 f., 15, 21. 40 Fink, Die Schwarzsehen Trachtenbücher (1963), 56.

192

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

schritte eine Zeitspanne von gut drei Jahren an allein die Anfertigung der Vollbilder hatte offensichtlich mindestens zwei Jahre gedauert -, dann kann der Zeitpunkt, an dem die Motivik der Außenepitaphien in das Gebetbuch einging, auf jeden Fall um das Jahr -

1525 gelegen haben. Für diese Datierung

sprechen zudem noch weitere Anhaltspunkte. Es stellt sich nämlich die Frage, auf welchem Weg die Motivik der Außenepitaphien Eingang in das Gebetbuch des Fuggerfaktors fand. Ließ Narziß Renner sich von den fertiggestellten und in die Kapellenwand eingelassenen Epitaphien inspirieren? Oder stammt die MotivÄhnlichkeit zwischen den betreffenden Randleisten im Gebetbuch und den Epitaphien daher, daß er auf der Basis eines Entwurfs für die Epitaphien arbeitete? Nimmt man letzteres an, dann verdichten sich die Indizien dafür, daß Raymund Fugger eine Hauptrolle beim Programmwechsel in der Ikonographie der Epitaphien spielte.41 Denn es ist ein Erbteilungsinventar des Nachlasses von Raymund Fuggers gleichnamigem Sohn, das 1576 einen steinernen Entwurf für ein Fuggersches Epitaph erwähnt.42 Als Abformung dieses Entwurfs gilt ein Basler Gipsrelief, das motivisch eng mit dem linken Außenepitaph der Fuggerkapelle verwandt ist, noch größere Ähnlichkeiten jedoch mit den beiden Randleisten im Schwarzsehen Gebetbuch aufweist (Abbildung 26).43 Das hieße, der Illuminist hätte einen Entwurf als Vorlage für die Epitaphien benutzt, der später im Haus von Raymund Fugger vererbt wurde. Auf enge Beziehungen zwischen dem Miniaturmaler und Raymund Fugger verweist außerdem noch eine weitere Seite im Schwarzsehen Gebetbuch. Folio 9v zeigt das gleiche Motiv wie die Rückseite einer Medaille auf Jakob Fugger, das Hans Schwarz für eine Medaille auf Raymund Fugger übernahm: Die beiden Fugger als Neptun und Merkur auf dem Meer.44 Diese Indizien für eine bestimmende Rolle Raymund Fuggers bei der Entstehung der Außenepitaphien erhärten eine Datierung derselben auf die Zeit nach Jakob Fuggers Tod am 28. Dezember 1525. Raymund Fugger hatte Jakob Fuggers zweitem Testament zufolge die Hauptverantwortung für die weltlichen und geistlichen Lehenschaften der Fugger übertragen bekommen.45 Und zu letzteren gehörten auch die Stiftungen. So war es der älteste lebende Sohn Georg Fuggers, der nach dem Tod seines Onkels das Stiftungskapital, das dieser für den Unterhalt von Fuggerei und Kapelle sowie der liturgischen Memoria dort vorgesehen hatte, bei der Stadt Ulm anlegte.46 Die Datierung der Außenepitaphien auf die Zeit nach 1525 bedeutet, daß man in Erwägung ziehen muß, daß die beiden Epitaphienpaare zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden und in der Kapelle angebracht wurden. Und auch hierfür gibt es durchaus Anhaltspunkte. Die Außenepitaphien wurden wahrscheinlich aus einem anderen Material hergestellt als die Innenepitaphien. Beide Epitaphienpaare wurden wohl aus ita41 Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 152 f. 42 Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 238. 43 Vgl. dazu zuletzt Baer, Die italienischen Bau- und Omamentformen (1993), 125 mit Anm. Eser, Hans Daucher (1996), 197-199; Bushart, Fuggerkapelle (1994), 153. 44 Habich, Gebetbuch des Matthäus Schwarz ( 1910), 20. 45 S. o, I.4.b bei Anm. 43. 46 S. u., Dritter Teil, JJ.3 bei Anm. 25.

44;

//. Die

Grabkapelle bei St. Anna

193

lienischem Marmor gefertigt. Dieser aber ist unterschiedlicher Provenienz. Die Plattenstärke der Außenepitaphien ist deshalb geringer als die der Innenepitaphien. Außerdem scheint zunächst nur ein Epitaphienpaar in der Kapelle angebracht worden zu sein. Denn die Backsteinmauer hinter den Innenepitaphien ist gut verputzt, hinter den beiden Außenepitaphien dagegen ist sie unverputzt.47 Sollten die Bogenfelder mit der verputzten Wand zunächst leer geblieben sein, dann bedeutet dies, daß die Epitaphien für Ulrich und Georg Fugger vorläufig außen angebracht waren und versetzt wurden, als die nunmehrigen Außenepitaphien in die äußeren Bogenfelder eingelassen wurden. Die Einzelplatten der Innenepitaphien sind zumindest so bemessen, „daß sie sich in die vorgegebene Rahmenarchitektur einpassen und nötigenfalls sogar in eine anderes Bogenfeld versetzen ließen".48 Daß es nach 1525 auf jeden Fall einen größeren Eingriff in die Epitaphienwand gab, belegen schließlich die Inschriften der Epitaphien. Denn die Inschriften an allen vier Epitaphien entstanden samt und sonders erst nach Jakob Fuggers Tod.49 Dies belegt eindeutig, daß an den Epitaphien für Georg und Ulrich Fugger nach 1525 noch etwas geändert wurde, denn entweder tragen die Innenepitaphien bis 1526 überhaupt keine Inschriften, oder aber sie erhielten neue. Daß alle vier Inschriften erst nach Jakob Fuggers Tod entstanden, läßt sich aus dem Wortlaut der Inschriften erschließen. Die für Georg Fugger am rechten der beiden Innenepitaphien lautet: „Gott dem Unsterblichen geweiht! Georg Fugger von Augsburg, ausgezeichnet durch die verdienstvolle Tugend der Freigebigkeit, gleichmütig bei jeglichem Geschick, den Freunden und dem Vaterland herzlich zugetan, ist hier, zum großen Schmerze aller Guten, beigesetzt. Möge Dir die Erde leicht sein! Er erreichte ein Alter von 52 Jahren, 8 Monaten, 8 Tagen und starb im Jahr 1506".50 Das linke Innenepitaph erhielt für Ulrich Fugger folgende Inschrift: „Gott, dem besten, Höchsten (zur Ehre)! Ulrich Fugger von Augsburg, der in dem goldenen Mittelmaß seinen mildtätigen leiblichen Brüdern Georg und Jakob nicht nachstand und haushälterischen Sinn mit Billigkeit gegen alle und der treuesten Anhänglichkeit an die heiligen Gebräuche verband, liegt hier begraben. Er erreichte ein Alter von 72 Jahren, 3 Monaten und starb im Jahr 1510".51 47 48 49 50

Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 229. Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 134. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 157 f. DE(O) IMMORT(ALI) S(ACRVM)

•/ GEORGTVS FVGGER VIRTVTE INSIGNIS/IN VTRAQ(UE) : FORTVNAM EQVANIMUS AMICORVM ET •/ PATR(IAE) : STVDIOSISS(IMVS) : BONORVM OMNTVM IN PRIMIS •/ MERORE HIC SITVS EST S(IT) T(IBI) T(ERRA) I(statt L Levis)/ VTXIT ANNOS LU/ MfENSES) HI D(IES) VDT •/ OBUT M D VI •; Übersetzung nach Schott, Geschichte des Carmehterklosters TV (1882), 207 f.; vgl. Bushart, FuggerkapeUe (1994), 155; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 169. 51 DEO OPT(IMO) MAX(IMO):/ VDALRICVS FVGGER AVGVSTANVS:/ AVREA MEDIOCRITATE MVNIFICIS GEORGIO ET/ IACOBO GERMA(NIS) : FRATRTBVS NON POSTHABENDUS/ OECONOMJE OMNIS ATQ(VE) EQVITATIS SACRORV(M)QVE:/ RITWM SERVANTISSIMVS H(IC) S(EPVLTVS) E(STV VKIT •



AVGVST(ANVS):/MVNIFICIA BENEMERENDI •

























=





















































Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

194

Fugger am linken Außenepitaph lautet: Gott! Jakob Fugger von Augsburg, die Zierde seines Standes „Dem besten, größten und Volkes, kaiserlicher Rat unter den erhabenen Maximilian und Karl dem Fünften, in Erwerbung ungewöhnlicher Reichtümer, an Freigebigkeit gegen jedermann, an Sittenreinheit und Seelengröße keinem nachstehend, ist, wie er im Leben keinem zu vergleichen war, auch nach dem Tode nicht unter die Sterblichen zu zählen".52 Am rechten Außenepitaph schließlich wird an Jakob Fugger in einem Distichon mit den Worten erinnert: „Jakob Fugger. Anderen verhaßt ist der Tod, Dir war er hold und erfreulich. Und wir staunen darob Leben und Rettung zugleich. Vielen hast Du gelebt und des Lebens Werke vollendet. Und entfliehst dem Geschick, ehe sein Pfeil Dich erreicht. Er erreichte ein Alter von 67 Jahren und starb im Jahr 1525.53 Das entscheidende inhaltliche Argument dafür, daß nicht nur die Inschriften an den Außenepitaphien, sondern auch die an den beiden inneren erst nach dem Tod Jakob Fuggers entstanden sind, ist, daß Ulrich Fugger „treueste Anhänglichkeit an die heiligen Gebräuche" nachgerühmt wird. Denn als eine besondere Tugend konnte dies erst erscheinen, nachdem diese „heiligen Gebräuche" durch die Reformation massiv in Frage gestellt worden waren. Das heißt zum einen: Die Inschrift kann nicht vor der Etablierung des neuen Glaubens in Augsburg zu Beginn der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts entstanden sein. Zum anderen bedeutet es aber auch, daß man die Tugend der Treue zum alten Glauben dem 1510 verstorbenen Ulrich Fugger eigentlich nicht zuschreiben konnte. Für ihn hatte sich die Glaubensfrage noch nicht stellen können, da er Jahre vor der Reformation starb. Von hier aus erscheint Bruno Busharts These einleuchtend, daß die Inschriften nicht so sehr individuelle Eigenschaften der drei Stifter beschreiben, als vielmehr ein Tugendideal zum Ausdruck bringen, daß auf drei Personen verteilt wurde. Denn wenn die Treue zum alten Glauben einem der Stifter als Individuum hätte zugeschrieben werden müssen, dann wäre es Jakob und nicht Ulrich gewesen. Jakob Fugger war es, der mit den Worten Clemens Senders ganz gegen die Die Inschrift für Jakob

-

-

ANN(OS) : LXXHI M(ENSES) W OBUT M D X •; Übersetzung nach Schott, Geschichte des Carmeliterklosters IV (1882), 207 und Bushart, Fuggerkapelle (1994), 155 f.; vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 168. D(EO) 0(PTIMO) M(AXIMO)/ IACOBVS FVGGER AVGVSTANVS •/ OMNTVM SVI ORDNIS AC NATIONIS ORNAMENTVM/ MAXIMIL(IANi) : ET CAROLI V IMPP(= IMPERATORVM) •/ A(VGVSTORVM) CONSILIO •/ DrvrTIAR(VM) : INVSITAR(VM) : PARTV LIBERALITATE IN 0(MN)ES •/ VITAE INTEGRITATE AMMI : NVLLI SECVNDVS/ CVM NEMINI CONFERENDVS VTVENS MAGNITVLXINE) FVEPJT/ POST OBITVM INTER MORTALES REFEREND(VS) : NON ERAT •; Übersetzung nach Schott, Geschichte des Carmeliterklosters IV (1882), 208; vgl. Bushart, Fuggerka•

52

































.













pelle (1994), 156; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 170. 53 IACOBO FVGGERO/ INVIDA MORS ALUS VNI TIBI CANDIDA ET AEQVA/ ET : QVOD MIREMVR : VTTA SALVSQVE FVTf/ VDCISTI MVLTIS ET VITAE MVNERA OBISTI/ MIGRAS CVM NON DVM WLNERA SORTIS HABES/ VTXIT A(NNOS) LXVH MENSES W OBUT MD- XXV; Übersetzung nach Schott, Geschichte des Carmeliterklosters IV (1882), 209; vgl. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 156; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 170 f. •









































77. Die Grabkapelle bei St. Anna

195

„Lutherei" war.54 Die Pietät gegenüber den überkommenen religiösen Bräuchen, die in der Inschrift für Ulrich Fugger hervorgehoben wird, muß deshalb wohl als „Tugend" verstanden werden, die alle drei verstorbenen Stifter auszeichnete. Sie konnte jedoch erst nach der Reformation als solche wahrgenommen und hervorgehoben werden. Gleichfalls „kollektiv" zu verstehen waren Tugenden wie Freigebigkeit, Gleichmut, Freundes- und Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit und Wohltätigkeit.55 Allerdings wird man wohl nicht so weit gehen, zu behaupten, daß individuelle Merkmale und Eigenschaften überhaupt keine Rolle gespielt hätten.56 Die Inschrift am linken Außenepitaph rühmt Jakob Fugger als kaiserlichen Rat unter Maximilian I. und Karl V. und hebt gleichzeitig seine Fähigkeit hervor, „ungewöhnliche Reichtümer" zu erwerben. Vor allem letzteres ist sicherlich als individuelle „Tugend" Jakob Fuggers gesehen und als solche betont worden. Die Inschriften legten somit sicherlich das Gewicht stärker auf die kollektive Memoria der drei Fuggerbrüder. Sie haben allerdings das Konzept individueller Memoria noch nicht völlig aufgegeben. Damit wird auch an ihnen der Zwiespalt deutlich, der die Fuggerkapelle als Gedächtnisstätte als Folge der Reformation nunmehr durchzog. Das Konzept partikularer Erlösung durch die traditionellen Heilsmittel war fragwürdig geworden und damit auch die Memoria für individuelle Stifterpersönlichkeiten in (steinernem) Bild und Gebet. An seine Stelle trat eine profanisierte Memoria, die dauerhaften irdischen Ruhm und humanistische Tugend, die die drei Stifterbrüder Fugger insgesamt auszeichnete, betonte, ohne jedoch das ältere Konzept ganz und gar zu verdrängen. Als Kunstwerk bringt die Epitaphienwand der Fuggerkapelle mitsamt ihren Inschriften deshalb bis heute wie kaum ein anderes den Umbruch seiner Entstehungszeit zum

Ausdruck.

b)

Der Verzicht auf das Gitter

Am zweiten August 1529 schlössen Anton, Raymund und Hieronymus Fugger als Erben von Jakob, Ulrich und Georg Fugger mit den Erben des Nürnberger „Rotschmiedes" Peter Vischer d. Ä. einen Vergleich. In diesem verzichteten sie auf 1.437 Gulden, 11 Schilling und 8 Heller, die Vischer von den Brüdern Jakob, Ulrich und Georg als Anzahlung für ein Messinggitter erhalten hatte, das er für die Kapelle der Fugger bei den Karmelitern in Augsburg anfertigen sollte, sowie auf die bereits fertiggestellten Teile dieses Gitters, welches wegen irrungn, mißverstanntnussen und zwitracht zwischen den Auftraggebern und dem Künstler unvollendet geblieben war. Die Ursache der Mißhelligkeiten sei gewesen, daß die mergedachten herrn Fucker selig und die bestimpten herrn Reymundus, Anthonius undIheronimus, die Fucker vermaint haben, das solche getter und werk dermaßen nit, wie dasselb durch maister Feter, den alten seligen, furgenommen und angefangen worden und darauf verner volbracht hat sollen werden, verdingt worden sein solt, deßhalben dann also das mergemelt messing getter

54 55 56

Sender, ed. Hegel/Roth, 169 f. Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 157 f. Bushart, Fuggerkapelle (1994), 158.

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

796

und werk nit ganz

wer..."

ausgemacht

noch volendet worden, sondern

unvolzogen plieben

Noch im selben Jahr boten die Erben Vischers die bereits angefertigten Teile des Gitters dem Rat der Stadt Nürnberg als Bruchmessing zum Kauf an. Im Jahr darauf erwarb dieser es für 940 Gulden, 5 Pfund und 6 Schilling. Dabei machte er Vischers Erben, die seine Werkstatt weiterführten, zur Auflage, die fehlenden Teile für einen günstigen Preis zu ergänzen, sollte der Rat sich dazu entschließen, das Gitter aufzustellen. Eben dies beschloß der Rat dann 1536. Aber es dauerte noch einmal vier Jahre, bis Hans Vischer das Gitter 1540 fertigstellte. Aus seinen Abrechnungen geht hervor, daß

die beiden Seitenteile des Gitters fertig vorlagen und er nur den Mittelteil neu gießen mußte. Außerdem mußten vier ebenfalls fertige Reliefs eingeschmolzen und neu gegossen werden. Als die Erben Jakob Fuggers 1529 auf die Anzahlung für das Gitter und dessen bereits fertiggestellte Teile verzichteten, machten diese also bereits den Löwenanteil des geplanten Werks aus.58 Aus der Vertragsurkunde von 1529 ist nicht ersichtlich, wann der Konflikt zwischen Auftraggebern und Künstler begann. Daß es in ihr heißt, Anton, Raymund und Hieronymus sowie die herrn Fucker selig hätten die Fertigstellung des Gitters nicht mehr gewünscht, könnte man streng wörtlich genommen so verstehen, daß „Irrungen, Mißverständnisse und Zwietracht" zwischen Vischer und den Fuggern begonnen haben müßten, als außer Jakob Fugger noch wenigsten einer seiner Brüder am Leben war. Das hieße, der Beginn des Streits müßte vor 1510 gelegen haben. Denn in diesem Jahr starb Ulrich Fugger, nachdem Georg Fugger bereits 1506 gestorben war. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich, da zu diesem Zeitpunkt eine Fertigstellung des Gitters auch in Teilen überraschen würde, bedenkt man, daß mit dem Bau der Kapelle erst nach 1509 begonnen wurde und daß Hans Vischer allein vier Jahre brauchte, bis er von 1536 bis 1540 das fehlende Mittelteil und die Reliefs für das nunmehrige Nürnberger Rathausgitter gegossen hatte. Die summarische Nennung der herrn Fucker selig unter den unzufriedenen Auftraggebern muß daher wohl als allgemeine Erwähnung der Auftraggeberseite bis zum Tod Jakobs verstanden werden, aus der sich allerdings der Aufschluß gewinnen läßt, daß der Konflikt zwischen Auftraggebern und Künstler noch zu Lebzeiten Jakob Fuggers ausbrach, denn sonst hätte man keine „seligen Herren Fugger" erwähnen brauchen. Auch über die genaue Ursache der irrungn, mißverstanntnussen und zwitracht zwischen den Auftraggebern und dem Künstler schweigt sich die Vertragsurkunde von 1529 aus. Philipp Maria Halm hat die These formuliert, daß sie in Fehlern in der Ausführung des Gitters zu suchen sei, und zwar habe das Gitter nicht den geforderten Maßen entsprochen.59 Wie Bruno Bushart jedoch zu Recht betont hat, ist es schwer vorstellbar, daß die Fugger 1529 einen Vergleich mit den Erben des Künstlers geschlossen hätten, der ausschließlich zu ihren Lasten ging, wenn die „Irrungen" nicht wenigstens zum Teil auch ihnen anzulasten gewesen wären. Gleichzeitig hat er allgemein auf 57 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 433 f. (Beilage IX), 175; Lieb, Die Fugger und die Kunst I (1952), 138 f. 58 Bushart, Fuggerkapelle (1994), 175, 184; Lieb, Die Fugger und die Kunst 1(1952), 139. 59 Halm, Daucher und die Fuggerkapelle (1921), 35.

77. Die Grabkapelle bei St. Anna

197

Situation hingewiesen, die bei St. Anna infolge der Reformation entstanden warum die Fugger darauf verzichteten, das Gitter einbauen zu lassen, kann jedoch nicht befriedigen, weil er ausschließlich aus der Per-

die

neue

war.60 Seine Antwort auf die Frage,

spektive der Stifter argumentiert und damit einen in diesem Fall entscheidenden Faktor außer Betracht läßt: die Gemeinde von St. Anna und ihr Bedürfnis, die Fuggersche Grabkapelle für ihren Gottesdienst zu nutzen. Bereits zum Zeitpunkt, als die Brüder Jakob, Ulrich und Georg Fugger ca. 1505 daran gingen, ihre Kapelle bei St. Anna zu stiften, hatte nach dem Wortlaut der Stiftungsurkunde von 1509 bei der damaligen Klosterkirche großer Bedarf nach einer Erweiterung der Kirche bestanden, da sie für die Gläubigen, die in sie strömten, zu klein geworden war. Dieser Raumbedarf jedoch wurde, anders als in der Stiftungsurkunde suggeriert, durch die Fuggerkapelle keineswegs befriedigt. Vielmehr legten die Stifter von Anfang an fest, daß die Kapelle durch ein Gitter vom Schiff der Klosterkirche abgetrennt werden sollte. Zu den Türen in diesem Gitter sollte

zwar auch der Prior einen anderen Zwecken öffnete, als zu Daß mit diesem erhalten. er zu die Schlüssel Kapelle den privaten Memorialgottesdiensten für die Stifter und ihre Familie, die ausschließlich deren individueller Heilssicherung dienten, hatten diese jedoch ausdrücklich untersagt.61 Als mit der Reformation eine evangelische Gemeinde bei St. Anna entstand, begann diese allem Anschein nach, die Kapelle für ihre Gottesdienste zu nutzen. Dabei war vor allem die Orgel das Objekt der Begierde. Bereits 1523 war der Fuggersche Organist, Bernhard Rem, zum neuen Glauben übergetreten.62 Johannes Frosch ist auch als Komponist evangelischer Kirchenlieder hervorgetreten, war also zumindest an Musik im Gottesdienst interessiert.63 Für die vierziger Jahre belegen Rechnungen immer wieder Reparaturarbeiten an der Orgel. Am 24. Mai 1543 zahlten die Fugger an den Schlosser Hans Wagner 18 kr., damit er an der Orgel ein abgebrochenes Schloß ersetzte; 36 Kreuzer erhielt er dafür, daß er bei den Bälgen der Orgel eine neue Tür samt Schlössern anbrachte.64 In den Jahren 1547/48 wurden 56 kr. an der Orgel der Fuggerkapelle verbaut.65 Daß immer wieder Reparaturen an der Orgel nötig waren, deutet daraufhin, daß diese in dieser Zeit kontinuierlich in Gebrauch war, und zwar offensichtlich nicht durch die Fugger. Die Reparaturen an den Schlössern lassen sich kaum anders erklären. Dies ist überraschend, denn es bedeutet, daß auch in der Zeit, als die St. Annakirche von 1534 bis 1548 offiziell geschlossen war, dort noch Gottesdienste stattfanden. Bisher war diesbezüglich nur bekannt, daß die Kirche von 1545 bis 1547 für die italienischen Predigten Bernardino Ochinos aus Siena im Rahmen lutheranischer Gottesdienste geöffnet wurde.66 Die Reparaturen, die 1543 nötig waren, deuten aber daraufhin, daß auch in dieser Zeit die Orgel und damit auch die Kirche genutzt wurde. Als die Kirche von St.

60 Bushart, FuggerkapeUe ( 1994), 186 f. 61 S. o., Erster Teil, Ü.5 bei Anm. 57. 62 Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte I (1901), 114; Gier/Schwarz (Hrsg.), Reformation und Reichsstadt (1996), 45 f. 63 Simon, Johannes Frosch ( 1953), 186. 64 FA 1.2.1a, 62v-63r, vgl. Lieft, Die Fugger und die Kunst H (1958), 268,448. 65 FA 66.1.1, 3r, vgl. Lieb, Die Fugger und die Kunst II (1958), 268,448. 66 Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte II ( 1903), 90 f.

Zweiter Teil: Die Stiftungen Jakob Fuggers 1521 bis 1547/48

198

Anna 1548 den Protestanten zugeteilt wurde, richtete sich das Interesse der Gemeinde wiederum auf die Nutzung der Orgel. Aber erst 1572 gestatteten die Fugger der Gemeinde, die kleine Orgel zu nutzen. Für die große Orgel mußte jedesmal der Schlüssel in der Fuggerschen Kanzlei abgeholt werden.67 Mit der Reformation hatte sich also die nunmehr evangelische Kirchengemeinde den Raum der Fuggerkapelle zumindest teilweise angeeignet und damit gewissermaßen das seit langem vorhandene Bedürfnis nach Erweiterung des Kirchenraumes endlich befriedigt. Dabei bildete die Orgel offensichtlich die Hauptattraktion. Es erscheint kaum vorstellbar, daß die Fugger Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts die Kapelle wie ursprünglich geplant durch ein Gitter vom restlichen Kirchenraum hätten abschließen lassen können, ohne den von Anfang an vorhandenen Konflikt um die Nutzung des Kapellenraumes, den die Gemeinde nunmehr zu ihren Gunsten entschieden hatte, eskalieren zu lassen. War Jakob Fugger durch seine engen Beziehungen zu Papst, Kaiser und katholischen Großen sowie sein Bekenntnis zum alten Glauben doch in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts ohnehin ständig Zielscheibe protestantischer Kritik. Und wie eine evangelische Gemeinde reagieren konnte, wenn man sie an der Ausübung ihres Gottesdienstes hinderte, hatte 1524 der Schilling-Aufstand gezeigt, der Jakob Fugger sogar vorübergehend aus der Stadt getrieben hatte. Daß es offensichtlich diese Rahmenbedingungen waren, die die Stifterseite davon Abstand nehmen ließ, das Gitter einzubauen, dafür spricht auch, daß die Fugger die Kapelle 1558, also nachdem der Augsburger Religionsfrieden 1555 das Verhältnis von Protestanten und Katholiken in Augsburg pazifiziert hatte, doch noch durch ein Gitter von der Kirche abschlössen.68 Bis dahin jedoch war die Kapelle vom Mittelschiff nur durch eine wesentlich weniger prohibitive Marmor-Balustrade abgeschrankt. Diese Brüstung war etwa mannshoch, hatte links und rechts des Altars je einen Durchgang und war mit sechs Putti geschmückt. Bruno Bushart hat diese als Genien interpretiert, deren „Gehabe" Bezüge zu den Tugenden aufweise, die den Fuggerbrüdern in den Inschriften der Epitaphien zugeschrieben werden, und damit als Zeugnis für die Profanisierung der Fuggermemoria in der Kapelle als Folge der Reformation.69 Den Einbau der Brüstung samt Putti hat man mit guten Gründen auf den Zeitraum von 1525 bis 1528 datiert.70 Damit steht auch der (vorläufige) Verzicht auf das Messinggitter im Zusammenhang mit dem Versuch Jakob Fuggers von 1525, sich auf die gewandelten Verhältnisse bei St. Anna einzustellen. In diesem Fall bedeutete dies, die Kapelle de facto für die Zwecke der dortigen Gemeinde zu öffnen, und das hieß für den evangelischen Got-

tesdienst.

67 68

Schiller, St. Annakirche (1939), 46. Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 41,187; Lieb, Die Fugger und die Kunst I ( 1952), 140; Ders., Die

69

Bushart, Fuggerkapelle (1994), 316;

Fugger und die Kunst JJ (1958), 169. 212.

70

Bushart, Fuggerkapelle ( 1994), 310 f.

zu

den Putti ausführlich Eser, Hans Daucher

(1996),

208-

//. Die

Grabkapelle bei St. Anna

Abbildung 22: Fuggerkapelle, linkes Außenepitaph

199

200

Zweiter Teil: Die

Abbildung 23: Fuggerkapelle, rechtes Außenepitaph

Stiftungen Jakob Fuggers

1521 bis 1547/48

//. Die

Grabkapelle bei St. Anna

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202

Zweiter Teil: Die

Stiftungen Jakob Fuggers

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