Redaktion Und Memoria: Die Lutherbilder Der 'Tischreden 9783161590375, 9783161590382, 3161590376

Die sogenannten "Tischreden" werden in der Luther- und Reformationsforschung vorrangig als "Materialsamml

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Titel
Vorwort
Inhalt
I. Kapitel: Methodische Grundlegung
1. „Tischreden“ als Gegenstand der neueren Forschung
2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik
2.1. „Überlieferungsimmanente“ Zeugnisse
2.2. Hinweise des externen Kommunikationskontextes
2.3. Explizierende Auswertung
3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“
II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition
1. Die Kodizes F und H/H 74 als Repräsentanten der „Wellerschen Tradition“
1.1. Zu den Handschriften
1.1.1. Zum Gothaer Kodex F
1.1.2. Zum Hamburger Doppelkodex H/H 74
1.1.3. Aufriss bzw. thematische Schwerpunkte
1.2. Zum Urheber der in F und H/H 74 greifbaren Tradition
1.2.1. Zur Bezogenheit der Tradition auf Freiberg und den „Wellerschen Kreis“
1.2.2. Der „Wellersche Kreis“ und die ApophthegmataÜberlieferung
1.2.3. Thematische Konvergenzen mit der nach Loci geordneten Sammlung
1.2.4. Die durch Nachtragsstücke ergänzte Gothaer „Prachthandschrift
1.2.5. Diskussion von potenziellen Gegenargumenten
1.2.6. Konsequenzen
2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“
2.1. Polemisch-identitätsstiftende Aspekte
2.1.1. Heilsgeschichtliche Deutung von Luthers Tod
2.1.2. Luther als „Kämpfer gegen das Papsttum“
2.1.3. Luther als Gegner des Interims
2.1.4. Luther als Gegner einer Konzilsteilnahme
2.1.5. Bekräftigung des „Lutherischen Vermächtnisses“: Lehre und Werk
2.1.6. Luther als Kritiker Melanchthons?
2.2. Didaktisch-pastorale Aspekte
2.2.1. Luther als Exempel des Umgangs mit dem „tägliche[n] Creutz und Anfechtung“
2.2.2. Luther als Exempel des „frommen“ Familienvaters
2.3. Enkomiastisch-polemische Aspekte
2.3.1. Luthers „Tugendhaftigkeit“
2.3.2. Luthers „Märtyrertum“
3. Luthermemoria in der „Krisensituation“
III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“
1. Die Handschrift Halle als Repräsentantin der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“
1.1. Zur Entstehung der Tradition
1.2. Zur Handschrift
1.3. Zur Bezogenheit auf Lauterbach
1.4. Aufriss bzw. thematische Schwerpunkte
2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“
2.1. Enkomiastische Aspekte
2.1.1. Heilsgeschichtlich-prophetische Erhöhung Doktor Martin Luthers
2.1.2. Luthers „Tugendhaftigkeit“
2.1.3. Luthers „Märtyrertum“
2.2. Selbstreferenziell-identitätskonturierende Aspekte
2.2.1. Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation
2.2.2. Konfessionspolemische Abgrenzungen
2.2.3. Melanchthon als Autorität neben Luther
2.2.4. Differenzierter Rekurs auf Luthers Werk
2.3. Didaktisch-pastorale Aspekte
2.3.1. Sittlich-moralische Orientierung
2.3.2. Luther als Exempel (für Amtsträger) in „lebensbedrohenden“ Erkrankungen
2.3.3. Luther als Exempel des „frommen“ Haushalters
3. Luthermemoria im Kontext „konfessionskultureller Verfestigung“
IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition
1. Die Tischredenausgabe Aurifabers
1.1. Zu den Druckausgaben
1.2. Zur Kritik an Aurifabers Tischredenausgabe
1.3. Zum Aufriss
2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe
2.1. Aurifabers eschatologisch-prophetisch motivierte Bemühungen um Luthers Lehre und Werk
2.1.1. Die „Wittenberger Frühzeit“
2.1.2. Die Zeit als Feldprediger
2.1.3. Aurifabers Wirken am Weimarer Hof
2.1.4. Die 1560er Jahre
2.1.4.1. Zur Frage eines „Mansfelder Sonderbewusstseins“
2.1.4.2. Der erste Band der Eislebener Lutherausgabe (1564)
2.1.4.3. Der zweite Briefband (März 1565)
2.1.4.4. Der zweite Band der Eislebener Lutherausgabe (April 1565)
2.1.4.5. Aurifabers Antwort auf die Angriffe Walthers
2.1.4.6. Zur Tischredenausgabe (1566)
2.1.4.7. Zum Proprium der Verortung in den 1560er Jahren
2.2. Aurifabers aktualisierende „Relecture“ der handschriftlichen Apophthegmata-Überlieferungen
2.2.1. Zur identitätskonturierenden Dimension
2.2.1.1. Zur Deutung von Luthers Tod
2.2.1.2. Aurifabers prinzipieller Antipapalismus
2.2.1.3. Zur Frage der Autorität von Philipp Melanchthon
2.2.1.4. Zur Positionierung in Bezug auf Luthers Werke
2.2.1.5. Bleibende Abgrenzung von Erasmus von Rotterdam
2.2.1.6. Zum Umgang mit innerprotestantischen Gegnern
2.2.1.7. Zur Rezeption des Motivs der Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation
2.2.1.8. Aurifabers genuine Schwerpunktsetzungen
2.2.2. Zur didaktisch-pastoralen Dimension
2.2.2.1. Luthers „dogmatisch-frommer“ Umgang mit Krankheiten, Anfechtungen und Sterben
Exkurs: Aurifabers genuiner amtstheologisch-praktischer Fokus auf das Predigtamt
2.2.2.2. Luther als „dogmatisch-frommer“ Paterfamilias
2.2.2.3. Bedingter Rekurs auf Luther in Bezug auf sittlich-moralische Orientierung
2.2.3. Zur „enkomiastischen“ Dimension
2.2.3.1. Zum Nebenmotiv der „Tugendhaftigkeit“ Luthers
2.2.3.2. Zur strikt fokussierten Rezeption von Luthers „Märtyrertum“
2.2.3.3. Nichtrezeption der „heilsgeschichtlichen“ Deutung Luthers als Person
3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung der Lehre
V. Kapitel: Resümee
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
1. Ungedruckte Quellen
2. Gedruckte Quellen
2.1. Apophthegmata Lutheri („Tischreden“)
2.2. Andere Quellen
Literaturverzeichnis
Register
1. Bibelstellen
2. Personen
3. Orte
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Redaktion Und Memoria: Die Lutherbilder Der 'Tischreden
 9783161590375, 9783161590382, 3161590376

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Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism, and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Johannes Helmrath (Berlin), Matthias Pohlig (Berlin), Eva Schlotheuber (Düsseldorf)

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Ingo Klitzsch

Redaktion und Memoria Die Lutherbilder der „Tischreden“

Mohr Siebeck

Ingo Klitzsch, geboren 1976; Studium der Evangelischen Theologie in Neuendet­telsau, Jerusalem (Dormition Abbey), Heidelberg, Jena, Erlangen; Wissenschaftlicher Mit­ arbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Universität Jena; 2008 Promotion; Lehrauftrag für Bayerische Kirchengeschichte an der Augustana-Hochschule Neuen­ dettelsau; seit 2011 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Kirchen- und Dog­ mengeschichte an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau; 2019 Habilitation an der Universität Tübingen; seit 2019 Privatdozent an der Universität Tübingen.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sowie den Freundinnen und Freunden der Augustana-Hochschule ISBN 978-3-16-159037-5 / eISBN 978-3-16-159038-2 DOI 10.1628/978-3-16-159038-2 ISSN 1865-2840 / eISSN 2569-4391 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­ nal­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abruf­ bar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Für Johanna und Samuel

Vorwort Die Frage der Luther-Memoria beschäftigt mich seit den Anfängen meines Studiums. Im ersten Semester hielt ich im Rahmen des kirchengeschichtlichen Proseminars ein Referat über Luthers Bild in der Geschichte. Insofern schließt sich mit der vorliegenden Studie, die im Mai 2018 fertiggestellt und im Januar 2019 an der Eberhard Karls Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen worden ist, in gewisser Weise ein Kreis. Für den Druck wurde die Arbeit durchgesehen und geringfügig überarbeitet. Entstanden ist diese Habilitationsschrift im Rahmen einer Kooperation zwischen den kirchenhistorischen Lehrstühlen der Tübinger theologischen Fakultät und der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. Mein erster Dank geht daher an zwei Personen zugleich, Herrn Prof. Dr. Volker Leppin und Frau Prof. Dr. Gury Schneider-Ludorff, für die konstruktiv-kritische wissenschaftliche Begleitung, Förderung und Anteilnahme über all die Jahre. Insbesondere Frau Prof. Dr. Gury SchneiderLudorff, deren Assistent ich während dieser Zeit war, möchte ich darüber hinaus für die Gewährung von Freiräumen und Schaffung von Rahmenbedingungen danken, die es mir erlaubten, mein Forschungsprojekt trotz einschneidender privater Widerfahrnisse abzuschließen. Herrn Prof. Dr. Leppin danke ich zudem – gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Matthias Pohlig – für die so wohlwollende Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Spätmittelalter, Humanismus, Reformation“. Bedanken möchte ich mich weiterhin bei Frau Dr. Litz (Stadtarchiv Ulm) für die äußerst kompetente Hilfe bei Problemen beim Entziffern der Handschriften. Herrn PD Dr. Stefan Michel (Leipzig) sei an dieser Stelle insbesondere für die an Georg Rörer erinnernde Bereitschaft gedankt, Wissen und Quellen mit mir zu teilen. Danksagen möchte ich auch den Mitgliedern des Tübinger Oberseminars, die meine Beschäftigung mit der manchmal wirklich wie „Treibsand“ anmutenden Quellenüberlieferung von den ersten Suchbewegungen hin zur vorliegenden Formgebung mit Fragen und Kommentaren förderten. Der Kärrnerarbeit des Korrekturlesens haben sich Frau Dr. Gudrun Litz und Herr Prof. em. Dr. Berndt Hamm sowie Frau Andrea Töcker mit großer Umsicht und Genauigkeit angenommen. Letztere hat zudem mit

VIII

Vorwort

der gleichen Sorgfalt den Satz erstellt. Allen Dreien gilt hierfür mein herzlicher Dank! Zu danken habe ich zudem für großzügige Druckkostenzuschüsse, namentlich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschland und den Freundinnen und Freunden der Augustana-Hochschule, sowie für die freundliche und kompetente Begleitung der Drucklegung durch den Verlag Mohr Siebeck. Zum lebensgeschichtlichen Kontext dieser Arbeit gehört ebenso, dass ich in den Widerfahrnissen, insbesondere nach dem Hausbrand, mannigfaltige und überraschende Unterstützung vieler hier nicht namentlich zu nennender Menschen erhalten habe. Ihnen allen sei abschließend auch an dieser Stelle von Herzen gedankt! Gewidmet sei das Werk in liebender Erinnerung an Katharina meinen beiden Kindern. Neuendettelsau, 8. Dezember 2019

Ingo Klitzsch

Inhalt Vorwort ....................................................................................................... V

I. Kapitel: Methodische Grundlegung ............................................ 1 1.

„Tischreden“ als Gegenstand der neueren Forschung ........................... 1

2.

Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik ....................16 2.1. 2.2. 2.3.

3.

„Überlieferungsimmanente“ Zeugnisse ...............................17 Hinweise des externen Kommunikationskontextes ............24 Explizierende Auswertung ...................................................50

Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“ .....................70

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition ........................................84 1.

Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten der „Wellerschen Tradition“ ......................................................................84 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3.

Zu den Handschriften ..........................................................86 Zum Gothaer Kodex F .........................................................86 Zum Hamburger Doppelkodex H / H 74 ............................97 Aufriss bzw. thematische Schwerpunkte ........................... 101

1.2.

Zum Urheber der in F und H / H 74 greifbaren Tradition ............................................................................. 106 Zur Bezogenheit der Tradition auf Freiberg und den „Wellerschen Kreis“ ..................................................... 107 Der „Wellersche Kreis“ und die ApophthegmataÜberlieferung ...................................................................... 115 Thematische Konvergenzen mit der nach Loci geordneten Sammlung ........................................................ 125 Die durch Nachtragsstücke ergänzte Gothaer „Prachthandschrift .............................................................. 151 Diskussion von potenziellen Gegenargumenten ............... 161 Konsequenzen .................................................................... 169

1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.2.5. 1.2.6.

X 2.

Inhalt

Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“ .......... 170 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.1.5. 2.1.6. 2.2. 2.2.1.

3.

Polemisch-identitätsstiftende Aspekte .............................. 171 Heilsgeschichtliche Deutung von Luthers Tod ................. 173 Luther als „Kämpfer gegen das Papsttum“ ........................ 180 Luther als Gegner des Interims .......................................... 190 Luther als Gegner einer Konzilsteilnahme ......................... 201 Bekräftigung des „Lutherischen Vermächtnisses“: Lehre und Werk .................................................................. 206 Luther als Kritiker Melanchthons? .................................... 223

2.2.2.

Didaktisch-pastorale Aspekte ............................................ 241 Luther als Exempel des Umgangs mit dem „tägliche[n] Creutz und Anfechtung“ ............................... 242 Luther als Exempel des „frommen“ Familienvaters ........... 261

2.3. 2.3.1. 2.3.2.

Enkomiastisch-polemische Aspekte .................................. 269 Luthers „Tugendhaftigkeit“ ............................................... 270 Luthers „Märtyrertum“ ...................................................... 278

Luthermemoria in der „Krisensituation“ ........................................... 302

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“ .............. 306 1.

Die Handschrift Halle als Repräsentantin der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ ................................................. 306 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.

2.

Zur Entstehung der Tradition ............................................ 307 Zur Handschrift .................................................................. 313 Zur Bezogenheit auf Lauterbach ........................................ 315 Aufriss bzw. thematische Schwerpunkte ........................... 319

Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ ......................................................................................... 325 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3.

Enkomiastische Aspekte .................................................... 327 Heilsgeschichtlich-prophetische Erhöhung Doktor Martin Luthers ...................................................... 328 Luthers „Tugendhaftigkeit“ ............................................... 340 Luthers „Märtyrertum“ ...................................................... 343

2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4.

Selbstreferenziell-identitätskonturierende Aspekte .......... 351 Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation ... 352 Konfessionspolemische Abgrenzungen ............................. 363 Melanchthon als Autorität neben Luther .......................... 378 Differenzierter Rekurs auf Luthers Werk .......................... 387

Inhalt

2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 3.

XI

Didaktisch-pastorale Aspekte ............................................ 397 Sittlich-moralische Orientierung ....................................... 397 Luther als Exempel (für Amtsträger) in „lebensbedrohenden“ Erkrankungen ................................. 404 Luther als Exempel des „frommen“ Haushalters ............... 410

Luthermemoria im Kontext „konfessionskultureller Verfestigung“ .... 417

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition ................................... 421 1.

Die Tischredenausgabe Aurifabers ................................................... 421 1.1. 1.2. 1.3.

2.

Zu den Druckausgaben ....................................................... 421 Zur Kritik an Aurifabers Tischredenausgabe ...................... 428 Zum Aufriss ........................................................................ 430

Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe .................. 436 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3.

Aurifabers eschatologisch-prophetisch motivierte Bemühungen um Luthers Lehre und Werk ........................ 437 Die „Wittenberger Frühzeit“ ............................................. 437 Die Zeit als Feldprediger .................................................... 439 Aurifabers Wirken am Weimarer Hof ................................ 441

2.1.4. 2.1.4.1. 2.1.4.2. 2.1.4.3. 2.1.4.4.

Die 1560er Jahre ................................................................. 451 Zur Frage eines „Mansfelder Sonderbewusstseins“ ........... 452 Der erste Band der Eislebener Lutherausgabe (1564) ....... 458 Der zweite Briefband (März 1565) .................................... 460 Der zweite Band der Eislebener Lutherausgabe (April 1565) ........................................................................ 462 2.1.4.5. Aurifabers Antwort auf die Angriffe Walthers .................. 464 2.1.4.6. Zur Tischredenausgabe (1566) ............................................ 467 2.1.4.7. Zum Proprium der Verortung in den 1560er Jahren ......... 472 2.2.

Aurifabers aktualisierende „Relecture“ der handschriftlichen Apophthegmata-Überlieferungen ......... 474

2.2.1. 2.2.1.1. 2.2.1.2. 2.2.1.3. 2.2.1.4. 2.2.1.5. 2.2.1.6. 2.2.1.7.

Zur identitätskonturierenden Dimension .......................... 476 Zur Deutung von Luthers Tod ........................................... 476 Aurifabers prinzipieller Antipapalismus ............................ 482 Zur Frage der Autorität von Philipp Melanchthon ........... 486 Zur Positionierung in Bezug auf Luthers Werke ............... 490 Bleibende Abgrenzung von Erasmus von Rotterdam ........ 494 Zum Umgang mit innerprotestantischen Gegnern ........... 495 Zur Rezeption des Motivs der Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation ................................. 496

XII

Inhalt

2.2.1.8. Aurifabers genuine Schwerpunktsetzungen ....................... 498 2.2.2. Zur didaktisch-pastoralen Dimension ................................ 505 2.2.2.1. Luthers „dogmatisch-frommer“ Umgang mit Krankheiten, Anfechtungen und Sterben .......................... 505 Exkurs: Aurifabers genuiner amtstheologisch-praktischer Fokus auf das Predigtamt ................................................... 517 2.2.2.2. Luther als „dogmatisch-frommer“ Paterfamilias ............... 523 2.2.2.3. Bedingter Rekurs auf Luther in Bezug auf sittlich-moralische Orientierung ........................................ 531 2.2.3. Zur „enkomiastischen“ Dimension .................................... 533 2.2.3.1. Zum Nebenmotiv der „Tugendhaftigkeit“ Luthers ........... 534 2.2.3.2. Zur strikt fokussierten Rezeption von Luthers „Märtyrertum“ .................................................................... 545 2.2.3.3. Nichtrezeption der „heilsgeschichtlichen“ Deutung Luthers als Person .............................................................. 551 3.

Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung der Lehre ......................................................... 552

V. Kapitel: Resümee .......................................................................... 557 Abkürzungsverzeichnis .................................................................... 575 Quellenverzeichnis ............................................................................ 577 1. 2.

Ungedruckte Quellen ...................................................................... 577 Gedruckte Quellen .......................................................................... 578 2.1. Apophthegmata Lutheri („Tischreden“) ............................ 578 2.2. Andere Quellen .................................................................. 580

Literaturverzeichnis ........................................................................... 590 Register .................................................................................................. 629 1. 2. 3.

Bibelstellen ....................................................................................... 629 Personen ........................................................................................... 629 Orte .................................................................................................. 634

I. Kapitel:

Methodische Grundlegung

I. Kapitel: Methodische Grundlegung Bis in die Gegenwart gehören die sog. „Tischreden“ zum bekanntesten auf Luther bezogenen Schrifttum. Dass es dennoch einer grundsätzlichen „methodischen Grundlegung“ bedarf, wird im ersten Schritt anhand eines Überblicks über die „neuere“ Forschung dargelegt (1). Die daraus resultierende Doppelfrage nach der Gattung und den Rahmenbedingungen einer angemessenen Methodik wird im zweiten Schritt aufgegriffen (2). Auf dieser Grundlage kann die Leitfrage dieser Studie, der ihr zugrundeliegende Quellenbestand sowie deren Entfaltung dargelegt werden (3).

1. „Tischreden“ als Gegenstand der neueren Forschung Über Jahrhunderte hinweg war die als „Tischreden“ bezeichnete Überlieferung primär in der von Aurifaber verantworteten Druckfassung bzw. deren Überarbeitung durch Stangewald und Selnecker präsent.1 Erste Ansätze einer kritischen Edition sind mit der von Karl Eduard Förstemann und Heinrich Ernst Bindseil verantworteten vierbändigen Ausgabe (1844– 1848) greifbar, insofern in dieser die drei alten Druckausgaben verglichen und Unterschiede verzeichnet worden waren. Als kritische Forschung im engen Sinne wurde die „Tischredenforschung“ seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etabliert, als man die hinter der Aurifaberschen Druckfassung stehende Handschriftenüberlieferung entdeckte und sukzessive Zu den frühen Ausgaben s. insbesondere Schilling, Bibliographie. Einen guten Gesamtüberblick zu den „Tischreden“ bzw. der „Tischredenforschung“ bieten v.a. die Publikationen von Junghans (JUNGHANS, Tischreden; Junghans, Geschichte) sowie darauf aufbauend exemplarisch die neueren kurzen Überblicke BARTMUß, Tischreden; KLITZSCH, Table talk. Bezüglich Aurifabers Druckfasssung wird im Rahmen dieser Arbeit ein neuer Zugang entfaltet werden (s. Kapitel IV). Die hohe Wertschätzung der „Tischreden“ (in der Druckfassung Aurifabers) verdeutlicht Bräuer, der diesbezüglich sogar von einer „pseudohagiographisch[en] Überlieferung“ spricht (BRÄUER, Tisch, bes. 116–123.131f.; Zitat: ebd., 120). Durch die folgenden methodischen Überlegungen wird u.a. die Inadäquatheit des Begriffs „Tischreden“ deutlich. Deshalb wird er im Folgenden immer in Anführungszeichen gesetzt. Am Ende der Überlegungen zur Gattung und Methodik wird eine alternative Begrifflichkeit vorgeschlagen (s. S. 69f.). 1

2

I. Kapitel: Methodische Grundlegung

edierte.2 Eine Aufarbeitung des damit zur Verfügung stehenden Wissens boten die englischsprachige Monographie von Preserved Smith aus dem Jahr 1907 und die zunächst unabhängig davon entstandene französischsprachige großangelegte Aufsatz-Studie von Christiani, 1911 abgeschlossen.3 Noch parallel zu den ersten Editionen erstellte Albert Friedrich Hoppe auf dieser Grundlage 1887 eine „gereinigte“ Neuausgabe des „Tischreden-Bandes“ der Walchschen Ausgabe, der ursprünglich schlicht Aurifabers Text in der Gestalt des Druckes von 1568 zugrunde gelegen hatte.4 Erst mit der vornehmlich von Ernst Kroker verantworteten kritischen Edition, d.h. der Tischreden-Abteilung der Weimarer Ausgabe, wurde im Rahmen einer „Gesamtausgabe“ die Orientierung an der Aurifaber-Ausgabe endgültig aufgegeben. Diese ist aufgrund ihres „Neuansatzes“ sowie ihrer Stellung als bis heute gültige Edition exkursartig vertiefter darzustellen, bevor die methodischen Impulse der damaligen Forschungsdiskussion aufgegriffen werden. Im Hintergrund der Weimarer Edition stand die als idealtypisch anzusehende Unterscheidung verschiedener Überlieferungsstufen, d.h. (1.) den (in Kurzschrift erfolgten) „Mitschriften“, (2.) den diese ausarbeitenden und glättenden „Nachschriften“, in die jedoch auch „Mitschriften“ anderer einfließen konnten, so dass der Übergang zu den „Sammlungen“ (3.) fließend ist.5 Primäres Ziel Krokers war es, die sogenannten „Urschriften“ in Gestalt der „besten Handschriften“ der Forschung zur Ver2 Am Anfang stand die Veröffentlichung der nach Loci geordneten Lauterbachschen Tradition (BINDSEIL, Colloquia; 1863–1866), wenig später folgten die Nachschriften Lauterbachs (SEIDEMANN, Tagebuch; 1872). Seidemanns überraschender Tod im Jahr 1879 verhinderte die Fertigstellungen weiterer Editionen (vgl. SMITH, Table Talk, 68). Wohl auch deshalb folgte erst 1885 die Edition der Cordatischen Überlieferung nach der Zellerfelder Handschrift (vgl. WRAMPELMEYER, Tagebuch) sowie 1888 der „Tischreden“ Schlaginhaufens auf Grundlage der Münchner Handschrift Clm. 943 (PREGER, SCHLAGINHAUFEN). Hinzu kamen die Editionen der Nürnberger Mathesiushandschrift (LOESCHE, Analecta; 1892) bzw. der Leipziger (KROKER, Mathesischen Sammlung; 1903). 3 Vgl. SMITH, Table Talk bzw. CHRISTIANI, Propos. Unter Berücksichtigung des Forschungsstandes vermittelt Smith einen bis heute hilfreichen Überblick, insbesondere bezüglich der verschiedenen Mitschreiber. Hervorzuheben sind zudem die Hinweise auf die Rezeption der „Tischreden“ in der Literatur (ebd., 85–98). Christiani bietet trotz der Kürze über Smith hinaus auch Überlegungen zur angekündigten kritischen Edition der „Tischreden“ (CHRISTIANI, Propos, 436–448) und widmet der Frage nach dem Quellenwert breiteren Raum (s. S. 5 mit Anm. 18). 4 Vgl. W2 22. Im Rahmen dieser Überarbeitung wurden u.a. Duplikate ausgeschieden, die „ursprüngliche“ Ordnung wieder hergestellt, die lateinischen Texte auf Grundlage der „neuen“ Quellen erneut übersetzt und weitere „Fehler“ behoben (vgl. ebd., 41–55.61f.). 5 Vgl. JUNGHANS, Tischreden, 166–169 sowie BEYER, Tischreden, bes. 392f.

1. „Tischreden“ als Gegenstand der neueren Forschung

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fügung zu stellen.6 Da die „Mitschriften“ selbst nur in Rudimenten greifbar waren (und sind),7 zielte diese eher missverständliche Bezeichnung auf die Ebene der „Nachschriften“.8 „Sammlungen“ wiederum wurden aufgrund dieses Fokus oftmals nicht vollständig wiedergegeben, sondern zertrennt. Insgesamt ergab sich so für die ursprünglich sechs Bände umfassende, in den Jahren 1912–1921 erstellte Abteilung „Tischreden“ (WA.TR 1–6) eine Untergliederung in 20 Abschnitte und 8 Anhänge, durch die mit unterschiedlicher Plausibilität Überlieferungen bestimmten Personen zugeschrieben wurden.9 Kroker konnte für diese Zuschreibungen zum einen auf die mit deutlichem Abstand zu den „Mitschriften“ entstandenen Vorworte Aurifabers und Stangewalds sowie Mathesius’ Lutherhistorien rekurrieren, in denen bestimmte Personen als „Mitschreiber“ benannt wurden.10 Zu Krokers Editionszielen vgl. die abschließenden summarischen Ausführungen in WA 6, XXXVIIIf. 7 Bedingt Einblick in diese Entwicklungsstufe gewährt uns die von Clemen edierte Niederschrift Crucigers (CLEMEN, Aurifaber, 92.99; s.a. den Hinweis Krokers auf Ms. Bos. o. 17D, wo sich „erst[e] Niederschriften Rörers fänden, „rasch hingeworfene Notizen, kleine Exzerpte aus Luthers Gesprächen, Gedankensplitter“ (WA.TR 5, XXXIX). 8 Beyer spricht deshalb hier zu Recht zurückhaltender von „Quellgrund“ (BEYER, Tischreden, bes. 391f.; Zitat: s. S. 13). 9 S. hierzu die Ausführungen von Schäufele (SCHÄUFELE, Überlieferung, bes. 117– 123), der die Krokerschen Zuschreibungen zu Recht differenziert betrachtet und Krokers Umgang mit den Sammlungen problematisiert. Im Rahmen der vorliegenden Studie wird zurückhaltender von „Trägerkreisen“ bzw. „Tradenten“ oder mit bestimmten Namen verbundenen „Traditionen“ gesprochen. 10 Namentlich genannt werden seitens Aurifaber der Pirnaer Superintendent Anton Lauterbach (1502–1569), die beiden Nürnberger Prediger Veit Dietrich (1506–1549) und Hieronymus Besold (1522–1562), der Köthener Superintendent Johannes Schlaginhaufen (ca. 1498–1560), der in Joachimsthal wirkende Verfasser der Lutherhistorien Johannes Mathesius (1504–1565), zudem Aurifabers ehemalige Weimarer „Kollegen“ Georg Rörer (1492–1557) und Johann Stoltz (ca. 1514–1556) sowie der Ohrdrufer Superintendent Jakob Weber (1532–1578) und Aurifaber selbst (vgl. TR, fol. )( 4r–v) – s.a. S. 308–310. Stangewald teilt mit Aurifaber folgende Personen: Anton Lauterbach, Veit Dietrich, Johannes Mathesius und Georg Rörer. Auf die Nennung von Hieronymus Besold, Johann Schlaginhaufen, Johannes Stoltz und Jakob Weber verzichtet er, ergänzt dafür aber Hieronymus Weller (1499–1572; vgl. STANGEWALD, Jena 1591, fol. aiiv–aiiir). Mathesius nennt neben seiner Person Veit Dietrich, Hieronmus Besold, Hieronymus Weller und Antonius Lauterbach sowie Georg Rörer in Bezug auf „schrifften vnnd rathschlegen, vnd sonderlich was bey der dolmetschung der Bibel geredt war“. Hinzu kommen der Freiberger Caspar Heydenreich (1516–1586) und der Hamburger Georg Plato (zu diesem s. WA.TR 4, XXVI) als Mitschreiber sowie der österreichische Edelmann Ferdinand von Maugis (1520; evtl. zwischen 1545–1550 gestorben. Näheres zu den wenig bekannten biographischen Daten s. MECKELNBORG / SCHNEIDER, Homer, 36–38) in Bezug auf Schriftauslegungen (vgl. zu diesen Ausführungen insgesamt Ma6

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Die von hier zu gewinnende Liste konnte zum anderen von den Handschriften her ergänzt werden.11 Dennoch führte Krokers Fokus auf die „Haupttradenten“ dazu, dass den vielen unbekannteren bzw. unbekannten, „punktuellen“ Mitschreibern kaum Beachtung geschenkt wurde.12 Deshalb wird i.d.R. bis heute eine Frühphase von 1531–1533, in der mehrere gleichzeitig mitschrieben, eine Zwischenphase 1534/35, in der nicht regelmäßig mitgeschrieben wurde, sowie die zweite Phase von 1536–1539, in der Anton Lauterbach der Hauptträger der Überlieferung war, und eine dritte Phase in den 40er Jahren, in der wiederum verschiedene „Mitschreiber“ greifbar sind, unterschieden.13 Dass die Bände der Edition als „work in progress“ herausgegeben wurden, hatte weiterhin den negativen Nebeneffekt, dass z.B. einzelne Einschätzungen der Wertigkeit von Handschriften bzw. Zuordnungen in den Folgebänden korrigiert werden mussten.14 Spätere Nachträge bzw. Korrekturen sind in den Bänden WA 48 bzw. WA 59 – und damit in der Abteilung Schriften – greifbar. In WA 48 flossen die Forschungen von Johannes Haußleiter zum Gothaer Kodex Chart. A 402 ein. Zudem wurden die Forschungen Milchsacks zum Codex Alectriandri kritisch rezipiert.15 In WA 59 folgten weitere materiale Ergänzungen, zudem bot Johannes Schilling eine Bibliographie der Tischredenausgaben.16 Nach diesen grundlegenden Ausführungen zur Weimaraner Edition ist nun auf die damalige Forschungsdiskussion zurückzukommen. Die bereits durch die Einzeleditionen verstärkt in den Blick geratene Frage nach dem Quellenwert der Überlieferungen beantwortete Smith in seiner bereits erwähnten Monographie noch eher zurückhaltend: thesius, LH, 275,19–276,3; Zitat: ebd., 276,1–3). Bedingt können auch die Holzschnitte der Frankfurter „Raubdrucke“ von Aurifabers Tischredenausgabe herangezogen werden – zu diesen s. S. 32f. 11 Dies gilt insbesondere für Conrad Cordatus (1480–1546), der in den Aufzählungen keine Erwähnung fand. Weiterhin finden sich in den Handschriften namentliche Verweise auf Sammler bzw. Sammlungen (s. hierzu bereits W2 22,3f.). 12 Zu verweisen ist z.B. auf die beiden Böhmen, Burggraf Borziwog von Dohna und Hyneck Perknowsky (s. KROKER, Tischgenossen) aber auch auf Gäste, wie z.B. den Glauchauer Pfarrer Bartholomäus Wagner (s. WA.TR 4, XXX) oder auf Mitglieder der im Haushalt Luthers angesiedelten Bursen (zu diesen s. TREU, Haushalt, 284; HELING, Haus, 12; HELING-GREWOLLS, Quelle, 299f.). 13 Vgl. die Ausführungen Krokers in den jeweiligen Vorworten zu den Sachabteilungen der Edition in der WA bzw. Junghans’ Zusammenfassung derselben (JUNGHANS, Tischreden, 166f.; bedingt auch NESER, Wohnhaus, hier: 51) sowie KROKER, Bora, 166f. 14 Dies kann insbesondere an Georg Rörer (s. S. 6 mit Anm. 21) bzw. am Gothaer Kodex Chart. A 402 (s. WA.TR 6, XIX Anm. 2) gezeigt werden. 15 Vgl. MILCHSACK, Tischreden. 16 Vgl. WA 59, 729–746.747–780.

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„[…] it is not as a repertory of dates and figures, or as a chronicle of important historical events, that the Table Talk has its value. This lies rather in the brilliant picture it gives of the opinions, the motives, the reading, the daily life and personal attitude of the greatest German of his age, and in their portrayal of contemporary social life and habit.“17

Gerade mit Blick auf die entstehende Edition plädierte zudem Christiani für einen begrenzten Quellenwert der „Tischreden“, im Vergleich mit den Briefen und anderen Schriften Luthers, selbst den – von anderer Hand – edierten Predigten, und zwar insbesondere in Blick auf Luthers Kindheit, die Romreise und seine Zeit als Mönch.18 Solche kritischen Impulse wurden in den Folgejahren, vor dem Hintergrund der Weimarer Edition, hinten angestellt. Exponiert und gewissermaßen „autoritativ“ verdichtet findet dies seinen Niederschlag in Krokers – v.a. in Auseinandersetzung mit Scheels zweibändiger Lutherbiographie erfolgten – nachdrücklichem Plädoyer für die historische Verlässlichkeit der „Tischreden“.19 Schwang bei Kroker vermutlich auch die Verteidigung seines wissenschaftlichen „Lebenswerkes“ mit, trug wohl insgesamt eine gewisse „Euphorie“, dass man nun dank der kritischen Edition der „Urschriften“ eine weitere verlässliche Quelle zur Beantwortung offener Fragen der Lutherforschung habe, dazu bei, dass die Diskussion in der Forschung nicht weitergeführt wurde.20 Mit dem Fokus auf die „historische Verlässlichkeit“ gerieten im Kon17 SMITH, Table Talk, 103. Als zentrales Kriterium hebt er den zeitlichen Abstand zwischen dem in den „Tischreden“ Überlieferten und dahinter stehenden Ereignis hervor (ebd., 102f.). 18 Vgl. CHRISTIANI, Propos, 448–458; Zitat: ebd., 460: „Nous ne croyons pas cependant […] que l’on puisse, avec les seuls Propos de table, reproduire exactement la physionomie des premières années du Réformateur. Nous avons, pour ces années-là, d’autres documents plus propres à nous éclairer et il y aurait souvent à craindre de mélanger la paille au bon grain, si l’on attachait trop d’importance aux petites historiettes racontées par Luther à sa table, entre 1531 et 1546, au sujet de son enfance, des son entrée et de son séjour au couvent, de sa première messe, de ses lectures et découvertes dans la Bible, de son voyage à Rome, de ses premières luttes et de ses adversaires.“ 19 Ebenso harsch attackierte Kroker einzelne kritische Äußerungen Wolfs (vgl. WOLF, Quellenkunde, 190–195). Im Zentrum stand jedoch Scheel (vgl. KROKER, Quelle; WA.TR 5, XIV–XXI). S.a. die summarische Darstellung von Junghans (JUNGHANS, Tischreden, 173f.) sowie unten S. 43. Man wird dabei auch zu beachten haben, dass sich Kroker damit zugleich gegen katholische Lutherkritiker, namentlich Grisar und Denifle, wandte (vgl. KROKER, Quelle, 103; zu diesem Kommunikationskontext s.a. SCHUBERT, Frühentwicklung, bes. 2–8). 20 Vgl. COHRS, Chronologie, hier: 169: „Doch mögen diese Untersuchungen ein Zeichen der Freude sein über die jetzt schon in so erheblichem Umfange und bald ganz in sicherer Überlieferung der Forschung erschlossene Tischredenquelle.“ In den vorangegangenen Ausführungen zur Chronologie und Entstehungsgeschichte von Luthers Genesisvorlesung bzw. Von den Konziliis und Kirchen ging er dennoch methodisch

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text der Edition zugleich auch die Überlieferungsträger verstärkt in den Blick. Zu verweisen ist zum einen noch im Kontext der entstehenden kritischen Edition auf die Diskussion über den Anteil von Georg Rörer an der Tischredenüberlieferung,21 zum anderen auf die Versuche in den 1920er Jahren, die Zuverlässigkeit der einzelnen Tradenten zu gewichten.22 Das damit implizit begründete primär positivistische Verständnis der Überlieferung prägte über viele Jahrzehnte den Umgang mit den „Tischreden“,23 letztlich bis hin zur Konsequenz, dass diese materialiter in der vorsichtiger vor, wenn er die „Tischreden“ erst in zweiter Linie, d.h. zur Vertiefung der aus anderen Quellen gewonnenen Einsichten heranzog. S.a. Cohrs’ Rezension der bisher vorliegenden Bände der Tischredenabteilung aus dem Jahr 1916, in der er mit der Edition einen „Markstein in der Tischredenforschung, mindestens den Abschluss einer zweiten Periode dieser Forschung“ sieht (COHRS, Tischreden, hier: 265). Hermelink betont in seiner Rezension insbesondere, dass durch die chronologische Anordnung „ein ganz neues zeitgeschichtliches Verständnis jedes Ausspruchs möglich ist“ (vgl. HERMELINK, Tischreden, hier: 327). Mit anderem Fokus argumentierte Haußleiter in seiner Rezension der ersten vier Bände der kritischen Edition ähnlich emotional: „Dem, der Luther lieb hat, lacht eben doch oft das Herz im Leibe, wenn er den geistesgewaltigen, glaubensstarken Reformator im Hausrock über alle möglichen Anliegen, Zustände, Personen, Ereignisse vertraulich sich äußern hört“ (vgl. HAUßLEITER, Gesamtausgabe, hier: 249). Selbst in katholischen Kreisen wurde Krokers Edition sehr wohlwollend aufgenommen (vgl. NIKOLAUS, Gesamtausgabe). Ähnlich wie Cohrs im zuerst genannten Artikel nützte Theobald die „Tischreden“, um Entstehung, Auslegung, Bedeutung etc. des Kleinen Katechismus’ zu überprüfen (vgl. THEOBALD, Katechismus). Eher zurückhaltend reagierte Boehmer in seiner in mehreren Auflagen erschienenen Luther-Studie (BOEHMER, Luther, 149–152). 21 Kroker hatte sich zwar mit den Handschriften Georg Rörers im Vorfeld der Edition intensiv auseinander gesetzt (vgl. den dreiteiligen, zwischen 1907/08 und 1910/11 erschienenen Aufsatz: KROKER, Rörers Handschriftenbände) zuerkannte Rörer in der Edition dann jedoch – zu Unrecht – eine sehr geringe Rolle. Erst durch die Forschungen von Freitag (FREITAG, Anteil, bes. 182–188) revidierte er sein Urteil zumindest ansatzweise (vgl. WA.TR 6, XVI–XVIII). Für eine stärkere Rolle Rörers plädiert neuerdings mit guten Gründen Michel (MICHEL, Bearbeitungen). 22 Vgl. WAHL, Überlieferung, der nach „inneren Gründen“ den Wert der Leistung von Veit Dietrich, Ludwig Rabe unter Rekurs auf Schlaginhaufen und die Sammlung von „Veit Dietrich / Medler“ zu erheben versuchte, mit dem Ergebnis, dass Dietrich im Allgemeinen am Besten mitschreibe, Rabe nur mit Vorsicht zu benutzen sei. Ihm folgt in der von ihm betreuten Dissertation Gerhard Breuninger, in deren Zentrum Conrad Cordatus steht (vgl. BREUNINGER, Untersuchungen). Wenn Breuninger in Bezug auf Dietrich zu dem Ergebnis kommt, dass dieser als „Abschreiber“ „häufig Kürzungen oder Umarbeitungen vor[nehme]“, relativiert dieser letztlich das Ergebnis von Wahl (vgl. ebd., 24). Zur Frage der Zuverlässigkeit der Tradenten bzw. „Glättung“ der Abschreiber s.a. STOLT, Sprachmischung, 17–33. 23 Zur Prägekraft von Krokers Artikel vgl. BRÄUER, Tisch aus dem Jahr 2001, der in dieser Studie die Frage nach der Zuverlässigkeit der „Tischreden“ – unter Verweis auf KROKER, Quellen – mit den Worten zusammenfasste: „Das Mißtrauen gegen die Zu-

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Forschung immer präsent waren, jedoch kaum in Spezialliteratur, die ihrerseits wiederum ebenso vorrangig thematisch zugespitzt war. In gewisser Weise ist dies in der Überlieferung selbst begründet, insofern dieser eine erhebliche thematische Vielfalt eignet. Zudem dürften die vielen thematischen, i.d.R. unabhängig voneinander entstandenen Spezialstudien dazu beigetragen haben, dass sich in methodischer Hinsicht kaum ein Forschungskonsens abzeichnete. Insofern mag es kein Zufall sein, dass als Ausnahme die nicht-thematisch fokussierten Forschungen der Germanistin Birgit Stolt hervorzuheben sind, der die Einsicht zu verdanken ist, dass die in den handschriftlichen Überlieferungen greifbare „Sprachmischung“ ihren Anhalt in den zeitgenössischen bzw. Luthers Sprachgewohnheiten hatte.24 Der ansonsten weitestgehend vorherrschende thematische Fokus kann zunächst anhand der Vielzahl von Auswahlausgaben verdeutlicht werden, deren wissenschaftlicher Anspruch qua Gattung sehr unterschiedlich ausfiel. Im Vordergrund standen selbst in den zumindest nicht ausschließlich populären Bänden nicht die Wiedergabe eines möglichst zuverlässigen Textes, sondern thematische Querschnitte, mit biographischem bzw. historischem Fokus sowie bezogen auf „Anschauungen“ und Lehre Luthers.25 verlässigkeit der Tischreden insgesamt hat sich durch die jüngere Forschung aufs Ganze gesehen als unbegründet erwiesen“ (BRÄUER, Tisch, 131). 24 S. zunächst die Dissertation aus dem Jahr 1964, d.h. STOLT, Sprachmischung sowie die auf Einwände von Joachim Schildt (vgl. z.B. SCHILDT, Sprachform) reagierende Studien STOLT, mixtim; STOLT, Luther-Kontroversen, hier: 402–409; s.a. noch STOLT, Rhetorik, 6–18. Zur Sprachmischung in den „Tischreden“ s. jedoch bereits Kroker (KROKER, Quelle, 92–94) und Meyer (MEYER, Sammlungen, 4). Zum Latein der „Tischreden“ s. auch die Hinweise von LÖFSTEDT, Notizen. 25 Zu den populären Einzelausgaben s. JUNGHANS, Geschichte, 17–19. Diese Übersicht wäre inzwischen durch weitere – im Kontext der Lutherdekade erschienene – Titel zu ergänzen, vgl. exemplarisch: MAESS, Plaudereien (erstmals 2010); SCHILLING, Vergnügen (2011); LEHNERT / TRIEGEL, Tischreden (2016); SCHOLZ, Tumult (2016). Von den entsprechenden Bänden der bekannteren Werkausgaben bot nur die Clemensche Ausgabe aus dem Jahr 1930 den Text in der lateinisch-deutschen „Mischsprache“, die den Handschriften eignet und von hier der Krokerschen Edition (vgl. Cl 8, bes. VIIf.). Als Adressaten dieser „Studenten-Lutherausgabe“ werden Theologen, Historiker, Germanisten, Psychologen, Pädagogen benannt (vgl. ebd., VII; deren wissenschaftliche Rezeption belegt indirekt Javors Hinweis auf einen möglichen Niederschlag von Luthers Seneca-Lektüre in einer Tischrede – unter Rekurs auf die Clemensche Ausgabe). Reinhard Buchwald intendierte mit seiner Ausgabe von 1938 sogar explizit – auf der Grundlage von Krokers Edition –, Aurifabers Ausgabe in einer „neuen Gestalt“ zu bieten. Dazu erstellte er einen „Mischtext“, d.h. er schob die von Kroker getrennt edierten Sammlungen der vermuteten zeitlichen Reihenfolge folgend ineinander und vereinte zudem die einzelnen Parallelüberlieferungen zu einem Ganzen, wobei er zusätzlich die lateinischen Anteile ins Deutsche übertrug (vgl. BUCHWALD, Gespräch, XI.XXXV–XXXIX). Von hier aus war Heinrich Fausels Schritt nur konsequent, in

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In den z.T. auch rezensierten Bänden ist das positivistische Verständnis geradezu paradigmatisch zu greifen, in der Regel verbunden mit der Vorstellung einer den „Tischreden“ in besonderer Weise inhärierenden „Unmittelbarkeit“,26 die wohl insgesamt als implizit prägendes Motiv im Hintergrund anzunehmen ist.27 Analog zu den „Auswahlausgaben“ finden sich thematisch eng geführte kleinere Publikationen, die ebenfalls nicht primär als Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs verstanden werden können. In diesen soll primär Luther „selbst“ auf Grundlage seines Werkes, d.h. Schriften, Briefe, Preseiner Lutherdarstellung, die ursprünglich 1940 im Rahmen der Calwer LutherAusgabe erschienen war, neben Briefen v.a. „Tischreden“ florilegienartig – wiederum nur auf Deutsch – zusammenzustellen (FAUSEL, Luther). Die Münchener Lutherausgabe rekurrierte wie die Alandsche Ausgabe erst ab der dritten – ebenfalls von Fausel verantworteten – Auflage auf die kritische Edition Krokers, gab diese jedoch ebenso „rein“ Deutsch wieder (vgl. Mü3 Erg 3 [1963] bzw. LD3 9 [1960]). 26 Für Buchwald galt: „nirgends, auch nicht in seinen Briefen, läßt uns Luther so tief in sein Wesen und sein Leben blicken“ (BUCHWALD, Gespräch, XVIII). Dass Luthers Erinnerungen nicht immer „zuverlässig“ waren, war ihm bewusst, ihm ging es jedoch um das „Miterleben“, „wie die Erlebnisse in der Erinnerung fortgelebt, wie sie Bausteine geworden sind zum Aufbau der reifen Persönlichkeit“ (BUCHWALD, Gespräch, XIX). Analog basierte Fausels Lutherdarstellung auf der Vorstellung, dass Luther dort „unmittelbarer, vielleicht auch unbekümmerter spricht als in der theologischen Abhandlung, der Vorlesung, der Predigt, absichtsloser und freier als anderswo, und doch immer aus der Mitte der Sache heraus“ (FAUSEL, Luther, 5). Auch im Hintergrund des von ihm verantworteten „Tischredenbandes“ der 3. Auflage der Münchener Ausgabe stand eine eher unkritische Wertschätzung der „Tischreden“, wie die Einführung zeigt: „Wir können bei den Urschriften mit einer relativ guten, durch Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Sachtreue der Nachschreiber gesicherten Überlieferung rechnen. Ist dies richtig, dann bedeuten die Tischreden eine erhebliche Bereicherung unsrer Lutherkenntnis. Ihr unbestreitbarer sachlicher Wert liegt einmal in ihrer Unmittelbarkeit“ (FAUSEL, Einführung, 283). Ein Abgleich mit der kurz vorher getroffenen Aussage, dass die Abschriften „je nach dem subjektiven Urteil des Schreibers verschieden gefärbt und betont [sind], weshalb auch Verschiedenheiten im Wortlaut, selbst sachliche Widersprüche nicht selten sind“ (FAUSEL, Einführung, 280) erfolgte nicht. Dieselbe eher unkritische Wertschätzung der „Tischreden“ eignet auch Alands Auswahledition, der besonders betonte, dass es sich hier um „wirkliche ‚Reden‘“ handle, durch die der „ganze Luther“ spreche (LD3 9, 8.10); vgl. auch die Rede vom „unschätzbare[n] Material“ [ebd., 7]). Analog zu den Vorgängerausgaben führten auch hier quellenkritische Einsichten (vgl. LD 9, 291.293) nicht zu einer Relativierung dieser oder ähnlicher Vorstellungen. 27 S. in dieser Hinsicht exemplarisch Volz, der im entsprechenden Artikel von Kindlers Literaturlexikon den Status der „Tischreden“ als „unschätzbare Quelle für die Lutherforschung“ damit begründete, dass es sich um „spontane Äußerungen im vertrauten Freundeskreis handelt, bei denen sich der Reformator – etwa bei Urteilen über Zeitgenossen – keine Zurückhaltung aufzuerlegen brauchte und offen seine Meinung sagen konnte“ (ebd., 392).

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digten und Tischreden zu Wort kommen, so dass es sich vornehmlich um (kommentierte) „Quellensammlungen“ im weiten Sinne handelt, z.B. in Bezug auf Luthers letzte Tage,28 auf seine Seelsorge,29 auf seine Äußerungen zum Bergbau30 bzw. auf die Themen „Schule und Unterricht“,31 „Martin Luther und das Geld“32 sowie „Ethik und Moral“33. Jedoch teilen auch breit angelegte monographische Abhandlungen diesen vornehmlich material bedingten Rekurs auf die „Tischredenüberlieferung“ als eine Quelle neben anderen. Hinzuweisen ist zunächst grundsätzlich auf biographische Darstellungen Luthers, in denen die „Tischredenüberlieferung“ insbesondere für die frühen Jahre Luthers eine wichtige Quelle darstellt.34 Daneben treten zudem thematische Studien, exemplarisch sei verwiesen auf die Arbeiten zu Bernhard von Clairvaux,35 zu den „böhmischen Brüdern“,36 zu Türken und Islam,37 zum Zusammenleben von Mann und Frau38 sowie zu Katharina von Bora.39 Den Biographien wie den genannten Studien eignen – im unterschiedlichen Maße – hermeneutische Reflexionen, jedoch wird dabei der Gattung und den einzelnen Tradenten in methodischer Hinsicht kaum Rechnung getragen und die Überlieferung i.d.R. zu unkritisch auf Luther selbst zurückgeführt.40

KNOLLE, Tage; erschienen 1946. BRANDT, Seelsorge; erschienen 1973 bzw. inhaltlich unverändert als Taschenbuch 1983. 30 REIZIG / MÜLLER, Bergbau; erschienen 2000. 31 ENDERMANN, Schule; erschienen 2006. 32 TREU, Geld; erschienen 2010. 33 WEIGELT, Moral; erschienen 2011. 34 Vgl. exemplarisch den Anmerkungsapparat zu den Kapiteln „Kindheit und Jugend“, „Krise und Zuflucht im Kloster“ der von Heinz Schilling verfassten Lutherbiographie (SCHILLING, Rebell, 643–647); s.a. die Anmerkungen der entsprechenden Kapitel bei Leppin (LEPPIN, Luther, 351–363; s.a. das Parergon LEPPIN, Luther privat sowie LEPPIN, Teufel) bzw. der immer noch gewichtigen Studie von Brecht (BRECHT, Luther, I, 455–469). Dass die „Tischreden“ diesbezüglich eine wichtige Quelle darstellen, verdeutlichen zudem implizit Staats Forschungen zum Geburtsjahr Luthers (vgl. STAATS, Geburtsjahr [1984]). 35 BELL, Divus Bernhardus, bes. 341–360; erschienen 1993. 36 ROHDE, Brüder, bes. 113f.; erschienen 2006. 37 EHMANN, Türken, bes. 358–361; erschienen 2008. 38 RIECKMANN, Hochzeit, bes. 170–174; erschienen 2009. 39 KRAMER, Katharina, bes. 165–196; erschienen 2016. 40 Als Eckpunkte des methodischen Spektrums können die Arbeiten von Rohde und Kramer angeführt werden. Während Rohde gänzlich auf methodische Reflexion verzichtet, weist die 2016 publizierte Arbeit von Kramer erste Ansätze einer kritischen Auswertung der „Tischredenüberlieferung“ auf, insofern Tradenten gesondert – nach Krokers Abteilungen – berücksichtigt werden. Dennoch wird v.a. das zu Findende nacherzählt („Inhaltliche Aspekte“) und neuere Forschungsliteratur zu den „Tischre28 29

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Dieser Befund hat seinen Anhalt in weiten Teilen der explizit den „Tischreden“ gewidmeten Literatur, wie nun im Folgenden zu zeigen sein wird. Auch diese ist vornehmlich thematisch fokussiert. Zudem fällt auf, dass fast ausschließlich Artikel und kaum monograpische Abhandlungen erschienen sind. Zu nennen wären in primär „biographischer“ Perspektive die Beiträge von Heinz-Otto Burger (1973) bzw. Karl Dienst (1996), die im Abstand von über 20 Jahren jeweils Luther im „Spiegel“ der „Tischreden“ darstellen wollten.41 Zu ergänzen wäre in dieser Hinsicht zudem Alexander Bartmuß’ Beitrag aus dem Jahre 2007, der die „Tischredenüberlieferung“ unkritisch in Bezug auf „Luthers Kindheit und Jugend“ auswertete.42 Dass es im Rahmen dieser biographisch motivierten Studien auch erste Ansätze eines kritischeren Zuganges gab, wurde kaum rezipiert. Zu verweisen ist zum einen auf die Studie von Harry G. Haile aus dem Jahr 1977, der vehemente Kritik an der Auseinandersetzung um Luthers Turmerlebnis auf Grundlage einer Tischrede aus der Cordatischen Sammlung übte und philologische Redlichkeit einforderte.43 Zum anderen ist Battafaranos Untersuchung von Luthers Romreise aus dem Jahr 2001 hervorzuheben, insofern er von „erinnernden ‚Tischreden‘“ spricht und diese als Zeugnisse a posteriori deutet. Als solche könnten sie jedoch als „authentische Worte des Reformators“ angesehen werden, so das die Überlieferung an sich auch von ihm keiner Quellenkritik unterzogen wurde.44 Zudem wurden die „Tischreden“ auch in der Spezialliteratur insbesondere in Bezug auf einzelne Zeitgenossen Luthers bzw. Gruppierungen respektive mentalitätsgeschichtlich ausgewertet.45 Hier ist neben einem Artikel von Heinrich Fausel zu Johannes Brenz aus dem Jahr 196546 und einem Philipp von Hessen gewidmeten Beitrag von Fritz Wolff aus dem Jahr 199347 v.a. auf französische Publikationen zu verweisen, zunächst auf die Arbeiten von Nicole de Laharpe. Am Anfang stand ihre Dissertation von 1997 (publiziert 2002), in der sie „stéréotypes nationaux“, d.h. die in den“ auch nur in Gestalt der Abhandlung von Junghans aus dem Jahr 2000 (= JUNGHANS, Tischreden) berücksichtigt. 41 Vgl. BURGER, Spiegel; DIENST, Spiegel; bedingt auch BURGER, Tischredner. 42 Vgl. BARTMUß, Kindheit. 43 Vgl. HAILE, Spoof. 44 Vgl. BATTAFARANO, Romreise, bes. 214–217. 45 Ähnlich bereits Flügel im Jahr 1903, der – vor der Erstellung der kritischen Edition – u.a. auf Grundlage Aurifabers, d.h. der Frankfurter Edition von 1567, Kontakte Luthers mit Engländern bzw. Informationen Luthers über England zusammenstellt (vgl. FLÜGEL, References). 46 FAUSEL, Brenz. Auch in diesem Beitrag betont Fausel den besonderen Quellenwert der „Tischreden“ von ihrer „Unmittelbarkeit“ her (vgl. ebd., 69). 47 Vgl. WOLFF, Landgraf.

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der Überlieferung der „Tischreden“ greifbaren Bilder von Deutschland, Städten und Regionen, Italien sowie „den“ Juden und Türken, nachzeichnete.48 Zudem stellte sie die Äußerungen zu Katharina von Bora (1999)49 und Martin Bucer (2003)50 zusammen. Hinzu kommen Publikationen von Marc Lienhard aus dem Jahr 1999 zum Frauenbild51 bzw. – stärker theologisch motiviert – von Matthieu Arnold aus dem Jahr 2010 zum Marienbild,52 die beide am Promotionsverfahren von Laharpe beteiligt waren. Insgesamt dürften diese französischen Beiträge als Niederschlag der Forderung eines verstärkten Rekurses auf die „Tischreden“ (und Briefe) in biographischer – und theologischer – Perspektive zu verstehen sein, für den insbesondere Arnold selbst eintrat, wie sein programmatischer Artikel aus dem Jahr 2007 zeigt: „Une biographie de Luther qui sache exploiter la richesse de la correspondance et des ‚Tischreden‘ ne se bornera donc pas à y puiser des données factuelles destinées à compléter la chronologie de Luther; elle explorera les relations entre Luther et son environnement, immédiat ou plus lointain, et la manière dont ces relations influencent la perception que le Réformateur a (ou veut donner) de soi, de sa mission et de son œuvre.“53

Methodische Anfragen an den Quellenwert traten hier wie in Bezug auf die genannten thematisch fokussierten Publikationen insgesamt in den Hintergrund.54 Vgl. LAHARPE, Image; s.a. die Kurzfassung von 1998: LAHARPE, L’image sowie die weitere Extrapolation aus dem Jahr 2006: LAHARPE, Juden. 49 Vgl. LAHARPE, Catherine. 50 Vgl. LAHARPE, Porträt Bucers. 51 Vgl. LIENHARD, Femme. 52 Vgl. ARNOLD, Marie. 53 Vgl. ARNOLD, Correspondance, hier: 123. In Bezug auf die theologische Dimension schränkt er ein: „à condition que l’on ne se borne pas à considérer lettres et propos de table comme des succédanés de traités théologiques plus amples et plus solidement charpentés“ (ebd., 127). S.a. den die deutsche und französische Forschung vergleichenden Überblicksartikel Arnold, Biographie. 54 Thematisiert – und sogleich mit Blick auf die Predigtüberlieferung relativiert – werden von Arnold im Kontext seines Plädoyers der späte Zeitpunkt der Aurifaberschen Edition (!), dass sie nicht von Luthers Hand seien, dass sie auf den „Alten Luther“ zurückzuführen seien; Mehrfachüberlieferungen werden als Chance bezeichnet (vgl. ARNOLD, Correspondance, 116f.). Laharpe maß methodischen Überlegungen kaum Gewicht zu, so dass letztlich vorrangig „synoptische“ Auswertungen von entsprechenden Aussagen der „Tischreden“ dargeboten werden. Differenzierter agierte Wolff, der die Aussagen zu Philipp von Hessen im jeweiligen Kontext wahrnahm und zeitlich untergliederte. Die Weimarer Ausgabe sollte laut Wolff „mit steter kritischer Aufmerksamkeit benutzt werden. In der Regel wird man davon ausgehen können, daß hier Luthers eigene Worte im Kern und manchmal bis in die Formulierungen hinein richtig wiedergegeben oder doch rekonstruierbar sind. Dies ist nachprüfbar bei solchen 48

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Neben diese thematischen „Querschnitte“ traten zudem Publikationen, die einzelne „Tischreden“ mit primär „gegenwartsbezogenem“ Interesse ins Zentrum stellten. Mit praktisch-theologischem Fokus wandte sich Jürgen Henkys im Jahr 1983, ausgehend von einer „Tischrede“, der Frage nach der „theologischen Existenz“ zu.55 Aus dem Jahr 2002 stammt die kurze Auslegung einer auf das Selbstverteidigungsrecht der Christen bezogenen „Tischrede“ seitens Hövelmann unter der Rubrik „Luther – für heute entdeckt“ der Zeitschrift Luther.56 Eine Auslegungsgeschichte ganz eigener Art weisen „Tischreden“ auf, in denen vom „Wechselbalg“ bzw. „Kielkropf“ die Rede ist, was – oftmals zu undifferenziert – als Aussage Luthers über Menschen mit Behinderung angesehen wurde.57 Erste Impulse zu einem – über die thematische Auswertung – hinausgehenden Interesse an der „Tischredenüberlieferung“ gingen von der von Helmar Junghans verfassten Einführung zur Sonderedition der Weimarer Ausgabe aus dem Jahr 2000 aus.58 In dieser wurde der aktuelle Stand der Forschung in Erinnerung gerufen und zugleich eine Neubewertung der Aurifaberschen Druckfassung als „Lutherrezeption eines Gnesioluthera-

Äußerungen, die sich in ähnlichem Wortlaut oder im gleichen Sinne auch in der sonstigen schriftlichen Überlieferung, wie in Luthers Briefen, wiederfinden lassen“ (WOLFF, Landgraf, hier: 26). 55 Vgl. HENKYS, Existenz bzw. WA.TR 3, 312,12–14 [Nr. 3425]. 56 Vgl. Hövelmann, Christen bzw. WA.TR 2, 593,35–594,21 [Nr. 2666b]. 57 Kritisch hierzu nimmt Petersen in seiner Studie von 2014 Stellung – unter vorgeblichen Rekurs auf die „Tischreden“ Nr. 4513 und 5207, faktisch aber Texte Aurifabers auswertend, zudem ohne jeglichen Rekurs auf aktuelle Literatur zu den „Tischreden“ (PETERSEN, Wechselbälge). Methodisch unbefriedigend ist wohl der Versuch, die Problematik mittels Verweis auf die Gattung „Tischreden“ zu lösen, die „Luthers Worte [sic!] zu Gelegenheitsäußerungen [mache]. Und diese können vor Luthers Theologie nicht bestehen“ (ebd., 52). Dennoch belegt er eindrücklich die weite Verbreitung und scharfe Kritik an diesen „Tischreden“ insbesondere in diakonischsonderpädagogischer Literatur. Neben Petersen wandte sich Thomas Hörnig in der 2017 publizierten Druckfassung seiner Antrittsvorlesung an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg dem Motiv zu: Er verfolgte die Rezeptionsgeschichte der „Tischrede“ Nr. 5207 unter kurzen Vergleich des Textes bei Mathesius und der beiden Fassungen von Aurifaber (ebd., 26), wobei diese „Tischrede“ primär den Ausgangspunkt für eine das Motiv kontextualisierende und die Rezeptionsgeschichte in den Blick nehmende Studie darstellte. Methodische Impulse des von ihm rezipierten, von Bärenfänger, Michel und Leppin verantworteten Sammelbandes – zu diesem s.u. – spielen in Konsequenz kaum eine Rolle. Die von ihm auf Grundlage der Register zur WA bzw. WA.TR angeführte Übersicht (ebd., 23f.) zeigt, dass mit anderem Fokus, das Thema auf breiterer Quellenbasis auswertbar wäre und Luthers eigene Position und eine davon zu unterscheidende Rezeption seitens der Tischgenossen letztlich weiterhin ein Forschungsdesiderat darstellt. 58 S. JUNGHANS, Tischreden.

1. „Tischreden“ als Gegenstand der neueren Forschung

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ners“ angedeutet bzw. als Forschungsdesiderat benannt.59 Als weiteres Indiz einer zunehmenden Sensibilisierung kann die auf Junghans aufbauende Darstellung der „Gattung“ „Tischreden“ seitens Michael Beyer im von Albrecht Beutel herausgegebenen „Luther Handbuch“ (Erstausgabe von 2005) angeführt werden. In Bezug auf die Gattung führt Beyer eingangs aus: „Mit der Bezeichnung Tischreden wird eine der bekanntesten und zugleich kompliziertesten Gattungen der mehrhundertjährigen literarischen Lutherüberlieferung durchaus zutreffend und zugleich missverständlich umschrieben. Aufzeichnungen von Gesprächen an Luthers Tisch – und zwar nicht nur seiner Gesprächsbeiträge – bzw. deren erste Sammlungen sind der historische Quellgrund der Gattung. Unter Luthers Tischreden läuft jedoch ebenfalls eine von Luther nicht autorisierte, weil erst im zweiten Jahrzehnt nach seinem Tod begonnene und zuerst 1566 gedruckte Edition auf der Grundlage einer bewusst vorgenommenen, systematisierenden Redaktion jenes Quellgrundes.“60

Eine vertiefte positive Bestimmung der Gattung konnte im Rahmen dieses Handbuchbeitrages zwar nicht geleistet werden, jedoch bietet Beyer v.a. drei wichtige Hinweise.61 Wenn er exemplarisch auf Handschriftentitel zurückgreift, um zu folgern, „dass gleichzeitig von vielen Interessierten eine neue Gattung von besonders eingängiger reformatorischer Literatur auf die Bahn gebracht wurde, die im Verständnis der Zeit ebenso legitim wie nutzbringend schien“62,

dann ist in Bezug auf die Frage nach der Gattung insbesondere der Impuls zu gewinnen, den Angaben der Handschriften bei der Beantwortung derselben mehr Raum zu gewähren. Ebenso konstruktiv anregend sind die nicht weiter verfolgten Hinweise auf die „Attischen Nächte“ des Aulus Gellius bzw. auf Schriften von Erasmus von Rotterdam.63 Den Horizont neuer Perspektiven eröffnete dann insbesondere ein Arbeitsgespräch auf dem Alten Schloss in Dornburg bei Jena im April 2010, das sich mit „Luthers Tischreden als historische Quelle und editorische Aufgabe“64 befasste, dessen Ergebnisse von Katharina Bärenfänger, Stefan Michel und Volker Leppin unter dem Titel „Martin Luthers TischVgl. JUNGHANS, Tischreden, 163. BEYER, Tischreden, 391. Mit der Rede vom „Quellgrund“ korrigiert Beyer zu Recht Kroker, der diesbezüglich von „Urschriften“ spricht. 61 Dass der fundierte Beitrag bereits an sich einen „Fortschritt“ darstellt, zeigt der exemplarische Vergleich mit älteren Einführungen: vgl. aus kirchenhistorischer Perspektive LOHSE, Einführung, 117f. bzw. aus germanistischer Perspektive WOLF, Einführung, bes. 150f. 62 BEYER, Tischreden, 397. 63 Vgl. BEYER, Tischreden, 397. 64 BÄRENFÄNGER / MICHEL / LEPPIN, Vorwort, V. 59 60

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

reden. Neuansätze der Forschung“ im Jahr 2013 publiziert wurden.65 Im Hintergrund stand insbesondere die Aufarbeitung der Sammlung Georg Rörers im Rahmen eines von der DGF geförderten Kooperationsprojektes zwischen der Thüringischen Universitäts- und Landesbibliothek und dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena.66 In diesem Kontext geriet die „Tischredenüberlieferung“ neu in den Blick, zum einen mit dem Fokus auf überlieferungshistorische und editorische Probleme und zwar im Vergleich mit Melanchthons „Dicta“,67 zum anderen als „wichtigst[e] Form der Monumentalisierung Luthers“68. Als Forschungsdesiderate werden die Beantwortung der Frage der Gattung in literarischer und theologischer Perspektive und darauf aufbauend der Vergleich mit den Apophthegmata Patrum bzw. Collationes und von hier die Verhältnisbestimmung von Luthermemoria und Hagiographie sowie die Erstellung einer Synopse, um Stilisierungen nachzeichnen zu können, benannt.69 Hinzu kommt der Verweis auf die Gedächtnis- und Erinnerungsforschung.70 Diese Impulse wurden im Tagungsband fortgeführt, dessen Einleitung präzise das methodische Grundproblem eines wissenschaftlichen Umgangs mit den „Tischreden“ benennt: „Dabei ist es wohl allgemein anerkannt, dass die letztlich immer noch von Aurifabers Methode geleitete Verwendung als Materialsammlung hermeneutisch-methodisch unbefriedigend ist; eine klare Verständigung darüber, wie nun tatsächlich mit den Versatzstücken aus dem Alltag und den zahlreichen Erinnerungstücken umgegangen werden kann, ist aber noch nicht erreicht.“71

Entsprechend bietet dieser Band in Gestalt von zwei Artikeln „hermeneutisch-methodische Erwägungen“. Sehr grundsätzlicher Art sind die Überlegungen von Katharina Bärenfänger. Sie unterscheidet die vorliegende „Tischredenüberlieferung“ von einer „nachtextlichen“ Rezeption sowie von der „vortextlichen“ „Sache Luthers“ und einer transtextlichen theologischen Applikation.72 Zudem werden von Volker Leppin Ergebnisse der 65 Zum Band als Ganzes s. meine Rezension in ZBKG 84 (2015) 254–258. Im Folgenden werden insbesondere die davon ausgehenden Impulse hervorgehoben. 66 Vgl. den Sammelband, MICHEL / SPEER, RÖRER aus dem Jahr 2012. 67 Vgl. BARTMUß, Dicta. Näheres zu den „Dicta Melanchthonis“ s. S. 46–50. 68 Vgl. LEPPIN, Leitung, hier: 282. Grundgelegt waren diese Überlegungen bereits im Kontext der Auseinandersetzung um den Thesenanschlag im Jahr 2007 (vgl. den Sammelband OTT / TREU, Thesenanschlag bzw. den Beitrag Leppin, Monumentalisierung, bes. 74–76). 69 Vgl. LEPPIN, Leitung, 282f. 70 Vgl. LEPPIN, Leitung, 284f. 71 BÄRENFÄNGER / MICHEL / LEPPIN, Perspektiven, 2. 72 Vgl. BÄRENFÄNGER, Umgang, bes. die zusammenfassende Abbildung 1 (ebd., 30). Zu den Konsequenzen der folgenden Ausführungen zur Gattung und Methodik in Bezug auf dieses Modell s. S. 59.

1. „Tischreden“ als Gegenstand der neueren Forschung

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Gedächtnis- und Erinnerungsforschung für die biographische Auswertung exemplarisch fruchtbar gemacht. Es werden in Bezug auf „Luthers Widerstand gegen das Predigtamt und die Promotion“, „Staupitz’ Prädestinationsratschlag“ sowie das „Turmerlebnis“ Wachstums- und Deutungsprozesse in Gestalt von „heilsgeschichtlicher Konstruktion“, „theologischer Überlagerungen“ bzw. „anekdotischer Zuspitzung“ nachgezeichnet.73 Zugleich wird das Problem einer biographisch orientierten „Tischredenanalyse“ deutlich: „Zu guten Teilen sind sie [d.h. die „Tischreden“; I.K.] mehr ein Dokument der LutherMemoria als der Biographie Luthers selbst. Und doch bleiben sie als Quelle für die biographische Lutherforschung unverzichtbar. Die Einsicht in ihre Schwierigkeit spricht nicht gegen ihren Gebrauch, sondern unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Arbeit an ihnen.“74

Unabhängig von diesen Einsichten bietet der Band des Weiteren in Gestalt der Sympotik75, der „Dicta Melachthonis“76 sowie bedingt der Fabel77 erste Hinweise auf die Frage nach der Gattung. Nicht ohne Bezug auf beide Stränge sind die Ausführungen zur „thematisch[en] Bearbeitung der Tischreden“ durch Georg Rörer, insofern von hier deutlich wird, dass verstärkt mit redaktionellen Anteilen zu rechnen ist.78 Ein weiteres Ergebnis des „Arbeitsgesprächs“ ist die Einsicht, dass selbst die in der WA greifbare Edition bei allen Verdiensten Krokers aus heutiger Sicht schwerwiegende Mängel aufweist, die von Wolf-Friedrich Schäufele konzise benannt wurden: Zum einen basiert diese auf einer zu schmalen Handschriftenbasis – den damals vorliegenden 55 Handschriften, von denen gut 40 berücksichtigt wurden, stehen heute (mindestens) 110 gegenüber. Zum anderen sind die Krokersche Rekonstruktion des Überlieferungsgeschehens und die Zuordnungen in unterschiedlichem Maße plausibilisierbar. Zum dritten verhindert Krokers Konzentration auf die ipsissima vox Lutheri, dass die verschiedenen Überlieferungen als Zeugnisse ihrer Zeit ernst genommen werden können.79 In Konsequenz wird für eine EDV-gestützte Neuedition plädiert, in der der scheinbare Gegensatz zwischen einer Edition der „Handschriften in ihrer je konkreten Gestalt“ und

LEPPIN, Erinnerungssplitter. LEPPIN, Erinnerungssplitter, 61. 75 MÜLLER, Tischgespräche. 76 BARTMUß, Gruppenidentität. 77 ZIMMER, Kampfmittel. Diese Studie fragt letztlich strikt material fokussiert nach dem Niederschlag von Fabeln in der „Tischredenüberlieferung“. 78 MICHEL, Bearbeitungen. 79 Vgl. SCHÄUFELE, Überlieferung, bes. 117–125. Zur breiteren Handschriftenbasis s. insbesondere die weiteren Beiträge: SCHÄUFELE, Beständeübersicht; KOCH, Dessau; GEHRT, Gotha. 73 74

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

der „Rückgang auf die einzelnen Überlieferungselemente“ überwunden wird.80 Der damit skizzierte aktuelle Forschungsstand steht im Hintergrund der vorliegenden Studie.81 Im nächsten Schritt werden daran anknüpfend Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik erarbeitet.

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik Zu den Desideraten der „Tischreden“-Forschung gehören, wie der vorangegangene Forschungsüberblick aufgezeigt hat, ein wissenschaftlicher Konsens, wie „methodisch verantwortet“ mit diesen Überlieferungen umzugehen ist. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als grundlegenden Diskussionsbeitrag und zielen auf die Benennung methodischer Rahmenbedingungen für den Rekurs auf die „Tischredenüberlieferung“. Da die Frage der „Methodik“ nicht unabhängig von der Frage nach der „Gattung“ beantwortet werden kann, muss letztere in grundsätzlicher Weise mit berücksichtigt werden. Dazu wird primär das zeitgenössische Verständnis der Überlieferungen in den Blick genommen. Im Hintergrund steht die literatursoziologisch und rezeptionsästhetisch fundierte, aber auch aus erinnerungskultureller Perspektive zu verifizierende These, dass „Gattungen weder nur subjektive Schöpfungen von Autoren noch bloß nachträgliche Ordnungsbegriffe, sondern selber in einem historisch-funktionalen Kontext von Produktion und Rezeption eingebettet [sind]. Gattungen sind demnach selber historisch entstanden und vergangen: Sie haben in einer bestimmten Epoche sowohl die Produktion als auch die Rezeption von Texten gesteuert, weil sie als habitualisierte Festschreibungen die Produktions- und Rezeptionserwartungen geprägt haben.“82

80 Vgl. SCHÄUFELE, Überlieferung, 124f. Zur konkreten Gestalt der Neuedition s.a. die Beitrage WILHELMI, Vorüberlegungen; GLASER, Editionsphilologie. 81 Erste Niederschläge dieses differenzierten Umgangs mit der „Tischredenüberlieferung“ stellen die folgenden Publikationen dar: LEPPIN, Roma; SCHÄUFELE, Herberge; KLITZSCH, Juden. Noch im Entstehen begriffen ist die Dissertation von Katharina Bärenfänger zu Luthers Aussagen über Kind und Kindheit in den „Tischreden“. S. zudem auch die Ergebnisse des Seminars „Der ‚frühe‘ Luther im Spiegel seiner Tischreden / The ‚early‘ Luther as reflected in the Table Talks“ des 13. Internationalen Kongress für Lutherforschung, Wittenberg 2017 (vgl. KLITZSCH, Seminarbericht). Bartmuß’ auf Mathesius als „Tischgenosse“ Luthers bezogener Aufsatz bleibt, trotz Hinweise auf Erkenntnisse des Arbeitsgespräches, wie z.B. die Sympotik, zu sehr den Ausführungen Krokers verhaftet. Hinzu treten jedoch Hinweise auf Mathesius als Sammler von Dicta Melanchthonis (vgl. BARTMUß, Mathesius). 82 POHLIG, Gelehrsamkeit, 155; dort auch Näheres zur dahinterstehenden literaturwissenschaftlichen Debatte. Zur erinnerungskulturellen Verifizierung dieser These s. S. 65f.

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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Die „Produktion“ und „Rezeption“ dessen, was gemeinhin als „Tischreden“ bezeichnet wird, setzte noch zu Luthers Lebzeiten ein, spätestens Anfang der 1530er Jahre. In diesen Prozessen konvergierten verschiedene Traditionsstränge und Entwicklungen. Um diese zu erhellen, werden in einem ersten Schritt die Zeugnisse von Conrad Cordatus und Johannes Mathesius analysiert, die jeweils aus „überlieferungsimmanenter“ Perspektive einen spezifischen Einblick in die Entstehung und das Verständnis der Überlieferung ermöglichen (2.1). In einem zweiten Schritt wird darauf aufbauend der Anspruch der Handschriftenüberlieferung und deren Kommunikationskontext entfaltet (2.2). Im dritten Schritt sind die methodischen Impulse dieser Überlegungen zu vertiefen (2.3). 2.1. „Überlieferungsimmanente“ Zeugnisse Nach seinem Selbstzeugnis will Conrad Cordatus (1480–1546), der spätere Superintendent von Stendal, der erste gewesen sein, der regelmäßig und kontinuierlich an Luthers Tisch mitgeschrieben hätte und dessen Beispiel andere gefolgt wären. Man wird diesen – erst in der überarbeiteten Version seiner Überlieferungen aus dem Jahr 1536/37 – greifbaren Bericht nicht absolut zu setzen haben, dennoch bietet er für das Verständnis der als „Tischreden“ bezeichneten Überlieferung sowie eine angemessene Auslegungsmethodik erste wichtige Hinweise, wobei der apologetische Charakter der Ausführungen angesichts der vorgeblichen Kritik Melanchthons in Rechnung zu stellen ist:83 So führte Cordatus aus, dass seine ursprünglichen Notizen auf einer Schreibtafel („tabellae“; „tabulae“) erfolgten.84 Vor dem Tisch stehend oder als Tischgenosse („conviva“) habe er alles („omnia“), was er gehört habe, mitgeschrieben.85 Luther selbst 83 WA.TR 2, 310,4–311,4 [Nr. 2068]. Cordatus war seit 1532 Pfarrer im nahe Wittenberg gelegenen Niemegk. Die Überarbeitung wird 1536/37 datiert. Insofern mag die mitschwingende Kritik an Melanchthon auch im Zusammenhang mit Cordatus’ Konflikt mit Melanchthon und Cruciger über die Rechtfertigungslehre stehen. Zu diesem Streit s. FÜHRER, Schmalkaldischen Artikel, 32–40. Zu Cordatus selbst s.a. Kähler, Cordatus. Cordatus’ Anspruch, der „Erste“ gewesen zu sein, wird – gerade vor dem Hintergrund der Ausführungen zur Kompilationsliteratur (s. S. 24–26) – z.B. durch den Sammeleifer des ab 1529 als „amanuensis“ Luthers fungierenden Veit Dietrich relativiert, der spätestens ab dem Coburgaufenthalt 1530 greifbar ist (s. KLAUS, Dietrich, 68–75). Zudem ist auf die frühen Bemühungen um Luthers Werk im Allgemeinen zu verweisen (s.a. S. 19). 84 Vgl. WA.TR 2, 310,4.9 [Nr. 2068]. 85 Vgl. hier wie im Folgenden WA.TR 2, 310,14–311,4 [Nr. 2068]: „Ego quidem semper intelligebam audax facinus esse, quoties vel stabam ante mensam vel sederem conviva et scriberem omnia, quae audiebam; at pudorem vincebat utilitas [Hervorhebung; I.K.]. Doctor autem nunquam ne verbo quidem significavit ei hoc factum meum displicere. Immo viam aliis feci, quod idem auderent, maxime M⌊agister Vitus Theodo-

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habe – im Unterschied zu Melanchthon – diese Praxis nicht kritisiert. Insgesamt habe Cordatus so den Weg für andere wie Veit Dietrich und Johannes Schlaginhaufen geebnet. Von diesem Zeugnis her ist die erste Überlieferungsstufe am Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit angesiedelt, wobei sie – aufgrund des Schreibmaterials – zugleich die Notwendigkeit der Überarbeitung in sich trug, wenn sie dauerhaft bewahrt werden wollte. Ebenfalls auf Überarbeitung weist die zudem geäußerte Hoffnung auf Vereinigung des Gesammelten.86 Als Movens bzw. Apologie führte Cordatus zum einen den „Nutzen (utilitas)“ an, zum anderen kommunizieren seine Ausführungen eine hohe Wertschätzung der „verba Lutheri“. Dies zeigt z.B. die Bezeichnung der Überlieferungen als „Krümchen (mica)“. Diese ist über die Perikope von der Syrophönizierin (Mk 7,28par) biblisch-heilsgeschichtlich zurückgebunden.87 Zudem wurden Luthers „Worte“ über die Orakel des Apollo gestellt und zwar alle, nicht nur das Ernste und Theologische, sondern auch Kurzweiliges („ludicra“) und Unbedeutendes („levia“). Dem „Tisch“ kam implizit zentrale Bedeutung zu, insofern durch diesen „Sitz im Leben“ eine unmittelbare Nähe zu Luther suggeriert wurde. Zugleich wird von hier deutlich, dass eine prinzipiell im Unterricht bzw. Hörsaal angesiedelte Praxis auf das „vertraute“ Gespräch übertragen worden war, was anfänglich laut Cordatus noch einer Legitimation bedurfte und insofern zeitgenössisch nicht schlicht in einer Linie mit den frühen Predigtmitschriften gesehen wurde, die ab 1522 greifbar sind.88 Dennoch ricus et Ioan⌊nes Turbicida, quorum micas [Hervorhebung; I.K.] (ut spero) illis meis coniunxero. Omnis multitudo piorum gratis mihi erit. Haec ideo volui ascribere, quia valde confundebar poetica Philippi. Nunc autem nemo nos imitatur. Porro qui me invito haec describit, tantum tali animo describat, quali ego simplici ac candido, et laudet mecum verba Lutheri [Hervorhebung; I.K.] magis quam Apollinis oracula, verba, inquam, non tantum illa seria et theologica, verum etiam in speciem ludicra et levia.“ Streng genommen bezieht sich Melanchthons im Vorhergehenden pointiert in Gestalt eines Distichons geäußerte Kritik nicht auf das Mitschreiben generell, sondern auf die eingangs genannte Thematik. Das Distichon lautet: „Omnia non prodest, Cordate, inscribere chartis, Sed quaedam tacitum dissimulare decet“ (WA.TR 2, 310,12f. [Nr. 2068]). 86 Dies war letztlich anachronistisch bzw. überbetonte den Anteil von Cordatus, da der Austausch der Mitschriften von Anfang an erfolgt war und sich auch in seiner Sammlung niedergeschlagen hatte. 87 Durch dieses Bild wird verdeutlicht, dass auch die „Heiden“ am „Heil“ Anteil haben. 88 Vgl. in dieser Hinsicht die nur aus der Frühphase – v.a. von Veit Dietrich – überlieferten expliziten Aufforderungen Luthers an die „Mitschreibenden“ etwas zu notieren: WA.TR 1, 72,12–14 [Nr. 152]; 102,20–24 [Nr. 246]; 202,1–7 [Nr. 463]; WA.TR 2, 123,5–12 [Nr. 1525].

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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wird durch diesen Hinweis deutlich, dass die Entstehung bzw. Überlieferung der „Tischreden“ auch im Kontext der frühen Bemühungen um Luthers Werk zu verstehen ist, zumal es hier ab 1528 zu einer verstärkten „Systematisierung“ und „Professionalisierung“ kam.89 Während dieses Zeugnis in die „Anfangsphase“ der „Tischredenüberlieferung“ gestellt ist und den Akt des Mitschreibens erkennen lässt, bezieht sich Mathesius in der 12. Predigt der Lutherhistorien auf die dritten Phase, d.h. die Mitschriften der 1540er Jahre, und schildert mit einem Abstand von über 20 Jahren u.a. eine Art „Tischritual“. Gab bereits der Bericht des Cordatus’ Anlass zur hermeneutischen Skepsis, so ist die auf das Jahr 1540 zielende Predigt des Mathesius in erheblich höherem Maße als stilisiert anzusehen. Ein Blick in das posthum 1566 edierte Werk als Ganzes90 macht deutlich, dass das am Tisch Gehörte bei Mathesius explizit den Dem entgegen steht das externe Zeugnis Luthers, in dem dieser sich gegen die vorschnelle Publikation von „Mitgeschriebenem“ wehrt (vgl. Luthers Vorrede zu den 1537 erschienenen Coniunculae quaedam D. Mart. Lutheri amico cuidam praescriptae (WA 45, 421–423), das bereits von Cordatus selbst durch die Aufnahme in die „Zellerfelder Handschrift“ mit der „Tischredenüberlieferung“ in Verbindung gebracht wurde. Die in der Predigt vom Sonntag Jubilate des Jahres 1531 bzw. einer Version derselben zu findende beiläufige Relativierung von Aussagen über Tisch mag demgegenüber als Reflex der für Luther neuen Situation anzusehen sein, dem die eingangs genannten Zeugnisse der „Mitschreiber“ gegenüberstehen (vgl. WA 34/I, 347,14–348,1: „In S⌊ancto Aug⌊ustino sunt multi loci, quos locuta ca⌊ro et sang⌊uis, Et ego multa verba loquor, quae non sunt verba dei, non sunt recht, praesertim extra rem praedicandi, Si uber tisch“). Auf den „Hörsaal“ als Verstehenshorizont verweist zudem die in der Leipziger Mathesius-Handschrift überlieferte Forderung von Luthers Ehefrau, Katharina von Bora, nach einer Bezahlung für die „Lehre“ – vgl. WA.TR 4, 704,18–23 [Nr. 5187]: „Haec dixit circa festum Bartholomei 1540. D⌊octor non caupo theologiae. Cum quidam interrogaret D⌊octorem de loco, r⌊espondit ioco Doctorissa: D⌊omine Doctor, non gratis docete eos! Iam colligunt multa. Sed Lauterbach collegit plurima et utilia. Subiecit D⌊octor: Ego 30 annos gratis docui et praedicavi. Quare nunc in decrepita aetate inciperem vendere aliquid?“ Die Predigtmitschriften sind in erheblichen Maße auf Georg Rörer zurückzuführen, daneben sind aber auch Stephan Roth, Georg Spalatin, Caspar Cruciger und Veit Dietrich zu nennen (s. ZSCHOCH, Rede, bes. 125–128; MICHEL, Kanonisierung, bes. 113f.117–125). 89 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 111–135, 126. 90 Die einzelnen Predigten wurden ab dem 10. November 1562 über den Zeitraum von maximal 2,5 Jahren gehalten. Mathesius selbst unterzeichnete noch am 5. Oktober 1565 das Vorwort, erlitt aber zwei Tage später einen tödlichen Schlaganfall. Die Drucklegung erfolgte 1566. Zu diesem Werk s. weiterhin die grundlegende Monographie VOLP, Lutherhistorien; s.a. die Dissertation Boettchers (BOETTCHER, Memory, bes. 248–344) und die daraus hervorgehende deutschsprachige Studie BOETTCHER, Predigten sowie BACKUS, Life writing; WARTENBERG, Kindheit; WOLGAST, Biographie;

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Rang eines – scholastisch gesprochen – „Autoritätsargumentes“ erlangt hatte.91 Dies schlug sich auch in der berühmten, noch darzustellenden Schilderung nieder. Nimmt man deren Kontext in der Predigt wahr, wird deutlich, dass es Mathesius um die Wechselbeziehung von Luthers „ampt und lehr“ und seinem tugendhaften Leben ging, die Schilderung also in einem anderen Sinne „verzweckt“ war als die des Cordatus.92 In den Blick gerieten deshalb Luthers „hauswesen, tugenden vnd schöne reden“.93 Das dahinter stehende „Motto“ „Ein schöner oder weyser Spruch eines grossen vnnd heyligen Mannes ist traun wol zu mercken, vnd heyliger leut exempel leren, trösten vnd vermanen auch vnd schmücken sehr lustig ein predig“94

deutet an, dass Mathesius das Folgende vor dem Hintergrund der zeitgenössisch beliebten Sammlungen der Dicta et facta virorum illustrium verstand und neben den „dicta“ auch den „facta“ Raum zugestehen wollte.95 Dass Mathesius damit einen strikt christlichen Bezugsrahmen verband, wird im Vorspann greifbar. Nicht antike pagane Personen stehen im Zentrum, sondern Luther wird eingefügt in die Reihe der Apostel und Kirchenväter (Bartholomäus, Andreas, Lukas bzw. Augustin) sowie alttestamentlicher Gestalten (Salomo und Elias).96 Mathesius’ damit verbundene Klage, dass oftmals die Schüler die Sprüche ihrer als Werkzeuge des Heiligen Geistes verstandenen Lehrer nicht „trewlicher“ aufgeschrieben hätten,97 lieferte implizit eine auf dieses Verständnis aufbauende Begründung einer Sammlung von „Aussagen“ und „Taten“ Luthers.

KOHNLE, Reformatoren. Wichtige Akzente setzte neuerdings Beyer, u.a. durch den Hinweis, dass die CA zumindest nicht das einzige Leitmotiv darstelle (BEYER, Mathesius). Zum aktuellen Stand der Mathesius-Forschung s. KOHNLE / STEIGER, Mathesius und v.a. den Sammelband KOHNLE / DINGEL, Mathesius. 91 Vgl. z.B. Mathesius, LH, 15,28–33: „[…] was ich in der Kirchen und Schul zu Wittenberg, auch an Doctor Luthers tisch, inn vilen guten gesprechen gehöret vnd in seinen büchern gelesen vnd von vil guten leuten, so umb in von anfang vnd an seinem Tische gewesen, mit warheyt vernommen habe“ – s.a. ebd., 56,19f.; 141,18f.; 145,7f.; 147,26–28; 165,17–33; 168,4; 262,32f.; 270,14; 307,9–11; 308,8–10; 351,31f.; 364,17f. – Mathesius hoffte sogar, im Jenseits „ewig sein [d.h. Luthers; I.K.] Tischgesell [zu] bleiben“ (ebd., 353,11). 92 Vgl. Mathesius, LH, 275,1–14. 93 Mathesius, LH, 276,4–10. S.a. ebd., 277,11–27. 94 Mathesius, LH, 276,11–14. 95 Zur Rezeption bzw. Bedeutung der Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus im Humanismus s. BRÜCKNER, Historien, 86–92; MOOS, Antwort, 51f.; REHERMANN, Exempelsammlungen, 584f. 96 Mathesius, LH, 276,15–277,11. 97 Mathesius, LH, 276,28–31.

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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Seinem Vorwort entsprechend wandte Mathesius sich erst nach Ausführungen zu Werken und der Tugendhaftigkeit Luthers dessen „Tischgesprächen“ zu.98 Und selbst diese Schilderung wird noch mit einem impliziten Lob der intellektuellen Tugend Luthers eröffnet, insofern berichtet wurde, dass dieser ein lateinisches Werk Oekolampads simultan auf Deutsch vorgelesen hätte, so dass sich die Anwesenden wunderten.99 Der ebenfalls vorangehende Hinweis auf das „alt Kloster silentium“ und die „schwer[en] vnnd tief[en] gedancken“, die Luther „offtmals“ mit an den Tisch genommen habe, dürfte nicht ohne historisch-realen Anhalt sein, dennoch grenzte Mathesius Luthers Tischsituation so aber zugleich von sittlich-moralisch zweifelhaften Symposien ab.100 Das an Luthers Tisch Genossene waren dessen „Aussagen“, die von Mathesius als „condimenta mensae“ eingeführt wurden, die den Anwesenden „lieber [gewesen] waren denn alle würtze vnd köstliche speyse“101. Insgesamt wurde so nicht nur eine reale Tischsituation beschrieben, sondern zugleich die antike bzw. zeitgenössische sympotische Literatur als weiterer Traditionshintergrund insinuiert. Die „tatsächliche“ Gesprächssituation führte Mathesius gleichsam in Gestalt eines hierarchisch abgestuften „Rituals“ ein: „Wenn er vns wolte rede abgewinnen, pfleget er ein anwurff zu thun: Was höret man newes? die erste vermanung liessen wir fürüber gehen. Wenn er wider anhielt: Ir Prelaten, was newes im lande? Da fiengen die alten am tische an, zu reden. Doctor Wolff Seuerus, so der Römischen Königlichen Maiestat Preceptor gewesen, saß oben an; der bracht was auff die ban, wenn niemand frembdes verhanden, als ein gewanderter Hofmann. Wens gedöber, doch mit gebürlicher zucht vnd ehrerbietigkeyt, angieng, schossen andere bißweylen jhren theyl auch darzu, biß man den Doctor anbracht; offtmals legte man gute fragen ein auß der schrifft, die löset er fein rund vnnd kurtz auff, vnnd da einer ein mal part hielt, kondt ers auch leyden vnd mit geschickter antwort widerlegen. Offtmals kamen ehrliche leut von der Vniuersitet, auch von frembden orten an Tisch, da gefielen sehr schöne reden vnnd historien. Ich will hie kürtzlich etlicher gedencken, vielleicht möchten sie ein mal all zusammen kommen, wie es traun ein sehr schöne vnnd nützliche arbeyt were, Noctes & dies Albiacas, oder Miscellanea D[octoris Lutheri schreiben.“102

Zwar ist der am Ende der Schilderung stehende Wunsch, dass diese „Aussagen“ zusammenkämen, mit Blick auf die reiche Handschriftentradition bzw. Aurifabers kurz vor dem Abschluss stehende Druckfassung streng Vgl. Mathesius, LH, 277,3–279,12. Vgl. Mathesius, LH, 279,13–31. Adressatenspezifischer dürfte der am Ende stehende Hinweis auf den „Sächsischen Renckefuchs“, den Luther ebenfalls mit an den Tisch gebracht hätte, als „wercklich gedicht vnnd contrafactur des hoflebens“ gewesen sein. 100 Vgl. Mathesius, LH, 279,32–280,2. 101 Mathesius, LH, 280,3–5. 102 Mathesius, LH, 280,6–25. Zur zeitgenössischen Tischordnung s. Ottomeyer, Tischordnung. 98 99

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genommen anachronistisch, doch ist die Begrifflichkeit bzw. das verwendete Bild in Bezug auf die Produktions- und Rezeptionserwartungen bzw. die Gattung weiter erhellend. Zum einen spielte Mathesius – wie Michael Beyer angezeigt hat – mit der Formulierung „Noctes & dies Albiacas“ auf die berühmten und zur Zeit Luthers beliebten Attische Nächte des Aulus Gellius, einem Miszellanwerk aus dem 2. Jahrhundert, an.103 Insofern an der Elbe nicht nur die Nächte, sondern auch die Tage in den Blick gerieten, würde dieses von Mathesius erhoffte Werk durch das Wittenberger Äquivalent zugleich überboten. Somit führte Mathesius die Linie des Cordatus, nach dem Luther höher als die Orakelsprüche des Apolls einzuschätzen sei, fort. Zudem sprach Mathesius von einer „Miscellanea“ und ordnete das vorgeblich noch zu erstellende Werk somit nun explizit der Kompilationsliteratur zu.104 Im Folgenden bot Mathesius eine Auswahl aus dem Jahr 1540, ergänzt durch „etlich[e] Tischreden [Hervorhebung; I.K.], so zu andern zeyten fallen“105 bzw. Reden, die Luther „offt in seinen büchern gebrauchet“106, aber auch „D. Staupicij guter reden“107 oder „gute Deutsche reim“ Luthers108 sowie Aussagen, die hilfreich waren, „da sich allerley fragen und disputationen erregten“, d.h. wohl in den späteren innerlutherischen Streitigkeiten.109 Somit deutet Mathesius eine breite Extension der „Tischreden“ und eine auf konkrete Anwendung zielende Funktionalität an. Im evtl. nachträglich ergänzten zweiten Teil,110 in dem primär Luthers „teglich[er] wandel vnnd wesen“ thematisiert werden, wurde das Bild weiter abgerundet. Hier finden sich u.a. Beispiele für Aussagen, die Luther

103 BEYER, Tischreden, 397. Zu diesem um 170 n.Chr. abgeschlossenen Werk s. FISCHELL, Gellius. Zur zeitgenössischen (humanistischen) Rezeption s.a. die Indizien REHERMANN, Exempelsammlungen, 584.598. SCHADE, Promptuarium, 654 sowie BERTHOLD, Gellius. Zudem zeigen die Erwähnungen in Erasmus’ Adagia (vgl. WEISS, Gelius, XV) bzw. in den sog. Nachschriften Lauterbachs und Wellers (WA.TR 3, 352,5 [Nr. 3487]), dass das Werk Teil des damaligen „kulturellen Gedächtnisses“ war. 104 S. in dieser Hinsicht auch den „vorläufigen“ Abschluss: „Wir wollen dißmals beschliessen, Gott wird ein mal einen erwecken, der diß theuren Mannes sprüch, gleichnus, sprichwörter, reim, historien vnd andere zufell vnd guten bericht zusamen lese, wie es für die Deutschen ein sehr schön buch were, wenn zumal unser Keyser, Könige, Fürsten vnd Herrn weyse vnnd vernünfftige sprüche darzu kemen“ (Mathesius, LH, 296,33–297,6). 105 Mathesius, LH, 290,29f. 106 Mathesius, LH, 292,10. 107 Mathesius, LH, 294,6. 108 Mathesius, LH, 295,22. 109 Mathesius, LH, 296,1. 110 Mathesius, LH, 297,7–306,9. Zur Frage der Ursprünglichkeit s. VOLZ, Lutherhistorien, 18.

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als Gast anderswo getroffen habe.111 Weiterhin werden die unterschiedlichsten Auslöser für „Tischreden“ vor Augen geführt.112 Zudem griff Mathesius den Faden in der 13. Predigt wieder auf, in der er von den Reden Luthers etwas melden wolle, „so nach gelegenheit der zeyt vnnd hendel desmals vber tische gefallen“113.

Die damit angedeutete thematische Vielfalt verdeutlicht erneut die Nähe der „Tischreden“ zur Kompilationsliteratur. Wenn Mathesius aber Luther im Kontext seiner Ausführungen als „Mann […] voller gnade vnnd heyligen Geystes“ beschreibt und daraus folgert, „[d]rumb alle, so bey jm, als bey einem Propheten Gottes vmb rath ansuchten, die funden, was sie begerten“114,

so wird mit dieser starken Betonung der Autorität Luthers die Tradition der Dicta in Richtung der Apophthegmata Patrum transzendiert, deren Urhebern eine vergleichbare Verehrung zuteil wurde, zumal als (geistlichen) Ratgebern.115 Blickt man abschließend noch einmal auf die Schilderung von Cordatus, so fand eine Verschiebung statt. Es geht Mathesius nicht mehr um die – zu legitimierende – Praxis und damit die Ebene der „Mit-“ und „Nachschriften“, sondern primär um eine zu publizierende Zusammenschau und damit die Ebene der Sammlungen. Diese wird in den Kontext (zeitgenössischer) Kompilationsliteratur gestellt, d.h. konkreter: in den Kontext der sympotischen Literatur, v.a. aber in den Kontext der Dicta et facta virorum illustrium bzw. der Apophthegmata – immer konzentriert auf die eine Person Martin Luther. Diesen anhand der beiden Berichte erhobenen Aspekten soll nun im Folgenden nachgegangen werden. Um nicht das Verständnis der „Nachschreiber“ bzw. „Sammler“ selbst zu übergehen, werden dabei Hinweise der Handschriftenüberlieferung zu berücksichtigen sein.116

Vgl. Mathesius, LH, 298,10–300,3. Vgl. Mathesius, LH, 300,4–303,11. 113 Mathesius, LH, 307,10f. 114 Mathesius, LH, 289,23–25. 115 Näheres hierzu s. S. 40–45. 116 Materielle Grundlage ist die von Schäufele erstellte Handschriftenübersicht, die der Forschung in vielerlei Hinsicht gute Dienste leistet (SCHÄUFELE, Beständeübersicht). Die nur von hier aufgegriffenen Handschriften werden nicht eigens im Quellenverzeichnis ausgewiesen. 111 112

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2.2. Hinweise des externen Kommunikationskontextes Nimmt man die Titel bzw. Überschriften der aktuell der Forschung bekannten Handschriften in den Blick, so wiesen diese das Überlieferte für Zeitgenossen zweifellos als der Kompilationsliteratur zugehörig aus.117 Zum einen durch die vornehmlich angeführten Begriffe „Colloquia“, „Dicta“ sowie „Apophthegmata“ oder „Sententiae“. Selten zum anderen durch „metaphorische Figuraltitel“, d.h. die Rede von „Thesaurus“, die jedoch zusätzlich inhaltlich entfaltet wurden.118 Insbesondere aber zum dritten durch die Betonung des „Sammel- und Auszugscharakters“, manchmal durch entsprechende „Schlagworte“, d.h. „Collectanea“119 oder Farrago120, v.a. aber durch Partizipien wie „excerptus“121, „exceptus“122, „zusammengeschrieben“123, „conscriptus“124, „colligirt“125, „collectus“126 oder das in der ersten Person Perfekt formulierte „exscripsi“127. Nimmt man zudem die materiell-formale Seite mit in den Blick, d.h. das bereits in den Nachschriften greifbare Bedürfnis nach stärkerer Sys117 Vgl. die Systematisierung von BRÜCKNER, Historie, 82f. Zur Kompilationsliteratur s. neben dem genannten Werk von Brückner insbesondere REHERMANN, Exempelsammlungen; BUCK, Tradition, 133–150, bes. 141–148 sowie die weiterführende Studie MOOS, Antwort. 118 Vgl. Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. A 180d: „Colloquia Lutheri conscripta a quibusdam, et alia quaedam addita sunt. Thesaurus theologiae“; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11847, fol. 2: „Aurea Dicta, Expositiones Sacrarum Sententiarum, Solutiones quaestionum, Consilia, Iudicia, Carmina, Historiae, et id genus vtilissimus multarum rerum thesaurus, tam ex libris quam ore Reuerendi Patris Martin. Luth. exceptus, sub prandio, coena et aliis familiaribus colloquiis, ac priuatis conuiuiis etc.“; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 878 Helmst., fol. 1r: „XI. THESAVRVS Memorabilium.“ 119 Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 263, [Vorderdeckel] – erst vom 1745 verstorbenen Besitzer Ernst Salomon Cyprian hinzugefügt: „Collectanea ex ore et scriptis Lutheri et Melanchthonis excepta“. 120 Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 402, fol. 1r. 121 Dinkelsbühl, Stadtarchiv, B 85; Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. B 1482; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 20 994 4°; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 20. 2. – 20. 6. Aug. 4°. 122 Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. germ. Oct. 442; Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 263; Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. IV 115aa, Bd. 1; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11847; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 722 Helmst. 123 Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. qu. 97. 124 Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. A 180d. 125 Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. B 153, fol. 83r. 126 Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 114 in scrinio. Cod. Theol. 1690; München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 943; Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. V, App. 75. 127 Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. A 180, fol. 253r.

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tematisierung bzw. Strukturierung,128 ist das als „Tischreden“ Bezeichnete auch von den Handschriften her kommend vor dem Hintergrund der zeitgenössisch so virulenten Kompilationsliteratur zu verstehen. Die von Aurifaber verantwortete erste Druckfassung bringt dies dann ausdrücklich im Vorwort zur Sprache, wenn dort in Bezug auf Sammlungen und Aufzeichnungen anderer von „zusammen getragen“, von „in gewisse Locos communes distribuiret und verfasset“, von „gemehret und gebessert“, von „genomen / vnd in diesen Tomum gesetzet“ die Rede ist.129 Zwar ist die Methode des Kompilierens an sich nicht neu, doch muss mit Brückner – für das 16. Jahrhundert – „die Fülle der Publikationen und ihre zielstrebige Ausrichtung sowie das Aufbereiten von Massen neuen Materials“130

hervorgehoben werden. Insofern erscheint die „Produktion“ von entsprechenden Werken auf Grundlage von Luthers sog. „Tischreden“ als wenig verwundernder Umgang mit den gesammelten „Aussagen“. Dies gilt insbesondere auch vor der progymnasmatisch fundierten Praxis, sich „Merkheftchen“ anzulegen, die auch von Luther wie Melanchthon selbst bezeugt bzw. anempfohlen worden war.131 Somit ist die Entstehung der „Tischredenüberlieferung“ letztlich im wissenschaftlichen „Repertoire“ der Tradenten grundgelegt. Vor diesem Hintergrund ist es zudem kaum verwunderlich, dass schon in den frühen Handschriften nicht nur das „gesprochene“ Wort, sondern auch handschriftliches Luthergut wie Notizen, Briefe, Bucheinzeichnungen etc. sowie Auszüge aus Gedrucktem greifbar sind.132 Jedoch bedarf es weiterer Konkretionen, um das Proprium der „Tischredenüberlieferung“ zu erfassen. Im nächsten Schritt soll deshalb Dieses ist z.B. an Randglossen und Überschriften, aber auch redaktionellen Zusammenfügungen bzw. Trennungen von „Einheiten“ fassbar und gipfelt letztlich in nach Loci geordneten Sammlungen. 129 Vgl. TR, fol. )( 4r–v. 130 BRÜCKNER, Historien, 84. 131 Zu Luther und Melanchthon s. BRÜCKNER, Historien, 47f.; WA.TR 2, XXVI. Zur Praxis der „Merkheftchen“ im Allgemeinen s. BRÜCKNER, Historien, 63 sowie PAULSEN, Geschichte, 362; BUCK, Tradition, 141–148; POHLIG, Gelehrsamkeit, 235f.; SCHENDA, Prodigienliteratur, 9. 132 Vgl. in dieser Hinsicht auch die vom spanischen Humanisten Juan Luis Vives im Jahr 1523 verfasste, äußerst detaillierte Anleitung für Lernende, wie so ein „Heftchen“ zu erstellen sei: „Compone tibi librum chartae purae iustae magnitudinis, quem in certos locos ac uelut nidos partieris: in uno eorum annotabis uocabula usus quotidiani, uelut aniini, corporis, actionum nostrarum, ludorum, uestium, temporum, habitaculorum, ciborum: in altero vocabula rara, exquisita: in alio idiomata et formulas loquendi, uel quas pauci intelligunt, vel quibus crebro est utendum: in alio sententias: in alio festive: in alio argute dicta: in alio proverbia: in alio scriptorum difficiles locos,et quae alia tibi aut institutori tuo uidebuntur“ (zitiert nach BUCK, Tradition, 145). 128

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die v.a. von Mathesius gelegte Spur der Sympotik verfolgt werden, zumal vor dem Hintergrund des historisch-funktionalen Verständnisses von Gattungen. Die „Tischredenüberlieferung“ wurde produziert und rezipiert vor dem Hintergrund der zeitgenössisch literarisch äußerst populären Fiktion einer Entstehung von Texten aus einer Gesprächs- oder Erzählrunde und damit der Konstruktion eines bestimmten Gesprächsortes, nicht selten – unter Rekurs auf antike Symposienliteratur – des „convivium“.133 Weite Verbreitung fand diese Fiktion im 16. Jahrhundert durch die „Colloquia familiaria“ des Erasmus von Rotterdam, dem nach der Bibel am häufigsten gedruckten zeitgenössischen Werk, das von der nichtautorisierten Erstausgabe von 1518 bis zur letzten autorisierten Fassung von 1533 stetig angewachsen und überarbeitet worden war, so dass die „lateindidaktischen“ Schülerübungen zu einem Werk gelehrter Dialogliteratur avancierten.134 Hinsichtlich der Sympotik ist auf die sechs mit „convivium“ überschriebenen Texte zu verweisen,135 die thematisch das Spektrum sprachlicher Variationshäufungen („convivium profanum“), philosophischer Fragen und poetischen Wettstreits („convivium poeticum“), Bibelauslegung und Christusglaube paganer antiker Autoren („convivium religiosum“), antike Exempelerzählungen („convivium sobrium“ / ΝΗΦΑΛΙΟΝ ΣΥΜΠΟΣІΟΝ), Schwänke („convivium fabulosum“) sowie eine Art Lehre vom richtigen convivium („dispar convivium“) abdecken. Damit ist angedeutet, dass es durchaus thematische Konvergenzen mit der „Tischredenüberlieferung“ gäbe. Wie naheliegend diese Fiktion als Rahmen von Kompilationswerken zeitgenössisch war, belegt des Weiteren z.B. das mit „Convivalium Sermonum liber“ überschriebene Werk des in Basel als Diakon wirkenden Johannes Gast (gest. 1552), zumal sich die mit dem Titel insinuierte „Tischsituation“ im Werk selbst kaum niederschlug. Dieses wurde im Jahr 1541 erstmals publiziert, wuchs bis zu seinem Tod zu einem dreibändigen S. hierzu RÖCKE, Literatur, bes. 468; WACHINGER, convivium, hier 259f. Den Traditionshintergrund skizziert neben Wachinger auch Müller, Tischgespräche, verzichtet jedoch auf Folgerungen für das Verständnis der „Tischredenüberlieferung“. Gegenüber Wachinger (a.a.O., 279–286) wird in den folgenden Ausführungen der Blick über Mathesius hinaus geweitet und den unterschiedlichen Überlieferungsstufen Rechnung getragen. 134 Zu diesem Werk s. WORSTBROCK, Erasmus, 723–727; BÖMER, Schülergespräche, 71–94; AUGUSTIJN, Erasmus, 143–152; RIBHEGGE, Erasmus, 125–129 sowie die Einleitung zur Auswahlausgabe von Welzig (ERASMUS, Schriften, Bd. 6, VII–XXVII). Neben die weit verbreitete Reprintausgabe (LB 1, 629–890) tritt die kritische Edition von Halkin e.a., in der die verschiedenen Stufen greifbar sind (Opera Omnia Desiderii Erasmi, I–3). 135 Vgl. WACHINGER, convivium, 260–266. 133

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Werk an und war – wie insbesondere die Auflagenstärke zeigt – ebenfalls sehr populär.136 Inhaltlich bot es in alphabetischer Anordnung heitere und ernste Aussprüche, Geschichten und Anekdoten, gesammelt aus 13 antiken bzw. zeitgenössischen Autoren und einer Sammlung.137 Trotzdem wird man mit Blick auf die handschriftliche „Tischredenüberlieferung“ die „Tischsituation“ wohl kaum als Ganzes als Fiktion zu interpretieren haben. Dagegen sprechen nicht nur die überlieferungsimmanenten Berichte von Cordatus und Mathesius mit ihrer Rückbindung an die „Tischsituation“, sondern auch, dass diese zusätzlich vor dem Hintergrund weiterer Traditionen bzw. Zeugnisse plausibilisierbar ist.138 Diesbezüglich ist zum ersten auf die Tradition „humanistischer Gelehrtenzirkel“ zu verweisen.139 Selbst das Mitschreiben am Tisch verließ nicht den in diesem Kontext üblichen Rahmen, wie ein Blick auf die Nürnberger „sodalitas Staupitiana“ bzw. die Notizen des Ratsschreibers Lazarus Spengler zeigen, überschrieben mit: „Etlich Nutzlich leren und facecien, die der Erwirdig vnd gaistlich herr Johann von Staupitz doctor vicarius Augustiner ordens, etlichen erbern personen, die mit Ime die malzeit genomen mundtlich also Vber tisch mitgetailt hat.“140

Zum zweiten sind Konvergenzen mit (antiken) Klerikermahlgemeinschaften greifbar.141 In Bezug auf Luther gerät hier v.a. der Bericht des polnischen Botschafters am Hof Karl V., Johannes Dantiscus, in den Blick. Dieser hatte Luther im Jahr 1523 und deshalb auch noch im Kreis seiner Ordensbrüder im Anschluss an das Abendessen als nicht nur ernsthaften „Tischredner“ erlebt: 136 Zum Werk s. BURCKHARDT, Tätigkeit, 149.152.177–190; zu Gast selbst s.a. BURCKHARDT, Tagebuch, 47–110. 137 Eine Auflistung der Quellen bietet z.B. die zweite Auflage von 1542 (vgl. GAST, Convivalium, fol. [Z 4r]: „AVTORVM NOMINA EX QVIBUS EA DESVMPTA. || 1 Erasmus. || 2 Gellius. || 3 Luscinius. || 4 Barlandus. || 5 Keyserspergius. || 6 Sabellicus. ||7 Margarita fecetiarum. || 8 Plutarchus. || 9 Suetonius. || 10 Diogenes. || 11 Alfonsus. || 12 F. Patrarcha. || 13 Bebelius. ||14 Poggius.“ 138 Einzelne Überlieferungsstücke, in denen die dialogische „Tischsituation“ besonders deutlich aufscheint (vgl. z.B. das lange in Caspar Crucigers Haus lokalisierte Gespräch Luthers mit Melanchthon: WA.TR 5, 133,7–140,13 [Nr. 5428]), können hingegen nur bedingt als Argument herangezogen werden, da sich in deren besonderen Stilisierung eben gerade das fiktive Moment verstärkt niedergeschlagen haben könnte. 139 Zu den frühen „sodalitates“ s. BERNSTEIN, Frühhumanismus, 68–72. Zu Luthers Anbindung an humanistische Gelehrtenkreise s. BURGER, Humanismus, bes. 301 [Lit!]. S.a. die Hinweise auf die in Erfurt sich um Luthers Lehrer Trutfetter sammelnde „Tischgenossenschaft“, zu der zumindest andere spätere Wittenberger gehörten (PLITT, Trutfetter, 39f.49). 140 Vgl. STAUPITZ, Deutsche Schriften, 42–49; Zitat: ebd., 42. S.a. OBERMAN, Geleit, VII. 141 Vgl. hierzu MÜLLER, Tischgespräche, 68f.

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„Non facile a quolibet aditur; me tamen non grauatim admisit, uenique cum Melancthone [sic!] ad eum in fine cenae, ad quam sui ordinis quosdam fratres adhibuerat, qui quia albis tunicis erant induti sed militarem in modum fratres esse noscebantur, crinibus uero a Rusticis nil differebant. Assurrexit et quodammodo perculsus manum dedit et locum sedendi assignauit. Consedimus; habiti sunt per 4 fere horarum spacium usque in noctem uarii de uariis rebus inter nos sermones [Hervorhebung; I.K.; …]. Consedentes cum eo non Iocuti sumus solum, uerum etiam uinum et ceruisiam hilari fronte bibimus, ut ibidem mos est, uideturque in omnibus bonus socius, Germanice: Ein gutt Geselle.“142

Den „theoretischen“ und „praktischen“ Hintergrund solcher Tischgespräche bildeten zum dritten zeitgenössisch Werke wie die äußerst populäre Mensa philosophica.143 Zum vierten hatte die in Anspruch genommene „Tischsituation“ einen „realen“ Anhalt in Luthers Haushalt. Einzelne Überlieferungsträger berichten, wie sie an Luthers Tisch gekommen sind.144 Dabei wird man mit Kroker zu unterscheiden haben zwischen dem Refektorium, in dem die große Schar der zum Haushalt gehörenden Personen – wohl bereits über 30 – und Gästen Platz fand, und der Wohnstube, in der ein deutlich „kleinerer Kreis“ zusammen kam.145 Dass dieser große Haushalt vice versa als Grund wahrgenommen werden konnte, Luthers „familiaria colloquia“ gering zu achten, bezeugt Georg Helts Schreiben an Fürst Georg von Anhalt vom 23. Februar 1542: „Haud scio optime, Princeps Georgi, quid censeam de vestrae G. secessu ad viteberge oppidum. Domum d.d. Lutheri inhabitat miscellanea et promiscua turba adulescentibus studiosis puellis, viduis anibus castis pueris constans et ob id multa inquietudo. multi itaque boni viri nomine Reuerendi Patris indolescunt. Si d.d. Lutheri spiritus in omnibus habitaret commodum et amoenum hospicium, ipsius domus preberet vestre gratiae in aliquot dies vt v.g. se illius viri familiaribus colloquiis oblectaret sed ut nunc est

Der Brief als Ganzes ist ediert in HIPLER, Kopernikus, 71–74; Zitat: ebd., 73. Zur Deutung als „Vorstufe“ der „Tischreden“ s. SCHILLING, Luther, 293.342. 143 Zu diesem Werk und seinem Traditionshintergrund s. WACHINGER, Convivium, 266–279; RAUNER / WACHINGER, Mensa. Es ist um 1479/80 entstanden, erlebte elf Inkunabelauflagen und elf Ausgaben im 16. und frühen 17. Jahrhundert und ist folgenden Themen gewidmet: „[…] primus erit de harum rerum natura quas per modum cibi vel potus in mensa sumimus, secundus erit de natura et moribus eorum cum quibus in mensa sumus, vt in verbis mense eorum moribus honeste et vtiliter conformemur, tertius de questionibus mensalibus quibus in mensa philosophie exercitamur, quartus de honestis iocis et solatijs quibus in mensa hilariter iocundamur“ (Prohemium; zitiert nach WACHINGER, Convivium, 267). 144 Vgl. z.B. Hieronymus Besold an Veit Dietrich, 11. April 1542: KAWERAU, Briefe, 44–47, 45 [Nr. 96]; Mathesius, LH, 275,14–17. 145 S. Kroker, Örtlichkeit, bes. 102–106; Kroker, Arbeitsstube, 302f.; ausführlicher zu den einzelnen Personen: Kroker, Bora, 162–193. 142

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status et conditio rei familiaris d. doctoris non suaserim vt v. gra. in ipsius aedibus diuersetur.“146

Aufgrund dieser Indizien für einen „historischen Anhalt“ der „Tischsituation“ ist in Bezug auf die „Tischredenüberlieferung“ kaum damit zu rechnen, das diese – der erwähnten zeitgenössischen „Mode“ folgend –, primär als literarische Fiktion anzusehen ist. Dass der „Tischredensituation“ dennoch, unabhängig von der Frage nach der Historizität bzw. Fiktionalität, mit Blick auf die Frage nach der Gattung und einer ihr angemessenen Methodik kaum Raum zugestanden werden muss, zeigt die Handschriftenüberlieferung. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die „Tischsituation“ nur in ca. einem Drittel der Titel bzw. Zwischenüberschriften der bekannten Handschriften niedergeschlagen hat. Diese Belege könnten – zumal mit Blick auf das erwähnte Werk von Gast – zumindest z.T. als Angabe eines „fiktiven“ Entstehungsortes und damit als Rezeptionsanleitung verstanden werden. Jedoch wird dieser „Impuls“ in der Regel zugleich durchbrochen, etwa durch die Verbindung mit „ex ore“ oder Vergleichbarem sowie durch Ausweitung des „historischen Ortes“. Insofern das „ex ore“ auch ganz ohne Bezug auf die „Tischsituation“ zu den wesentlichen Elementen gehört, scheint insgesamt daher eher die autoritative Legitimation des Gesammelten im Vordergrund zu stehen. Insofern spiegelte sich hier primär ein anderes, ebenfalls bei Cordatus und Mathesius greifbares Motiv wider. Der Ausweitung des „historischen Ortes“ entspricht, dass bereits eine oberflächliche Lektüre des in den Handschriften Gesammelten erkennen lässt, dass dieses nicht auf die „Tischsituation“ eng geführt werden kann. Neben Luthers „Tisch“ treten die Schlafstube, der Klosterhof, das Klostergärtchen, aber auch der Baumgarten am Saumarkt, die Straßen Wittenbergs, andere Bürgerhäuser, die Kirchen und die Universität sowie Mitschriften auf Reisen, Jagdausflügen etc.147 Diese von der Handschriften146 Georg Held an Georg von Anhalt. 23. Februar 1542 (zitiert nach KOLDE, Analecta, 378). Dieses Bild von Luthers Tisch gewinnt zudem an Eindrücklichkeit, wenn man den aus demselben Jahr überlieferten Bericht des italienischen Flüchtlings Vermigli über die Tischgemeinschaft von Bucer in den Blick nimmt. Dieser bezeugt einerseits die „Normalität“ des gelehrten „Tischgespräches“, andererseits lässt dieser – trotz topischer Prägung – eine stärkere Rückbindung an die klerikale Tradition erkennen, wenn darin die „Gastfreundlichkeit“ und „Erbaulichkeit“ betont und die Mahlzeiten als von Bibellektüre und davon ausgehenden „frommen und heiligen“ Gesprächen geschildert werden (s. hierzu BAINTON, Frauen, 93f.). 147 Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. germ. Oct. 442, fol. 78R: „[…] ex ore D. Martini Lutheri in mensa et conuiuiis ab eo narrata“; Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. B 153, fol. 83r: „[…] Die Jn mensa eius, etwann gefallen […]“; Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 114 in scrinio: „[…] ab eo [d.h. Luthero; I.K.] aliquando in mensa obiter factae […]“;

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überlieferung her gewonnenen Einwände gegen eine signifikantere Rolle der sympotischen Tradition müssen nun jedoch v.a. hinsichtlich der von Aurifaber erstellten öffentlichen Druckfassung in gewisser Weise relativiert werden. Aurifabers Druckfassung – zumal unter Einbeziehung der Frankfurter „Raubdrucke“ – ging einen Schritt weiter als Mathesius.148 Bei Letzterem dürften die Anklänge an die Tradition der Sympotik primär damit zusammen hängen, dass er in seiner 12. Predigt der 1565 redigierten LutherhisNürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 20 994 4°: „Excerpta haec omnia in mensa ex ore […]“; Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. V, App. 75, [Titelblatt]: „Collecta ex Colloquijs habitis cum D. Martino luthero, in mensa […]“; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 722 Helmst., „[…] ex ore Doctoris Martini Lutheri in mensa ab eo narrata“. Nur Georg Rörer spricht in Zwischenüberschriften geradezu kategorisierend von „SERMONES IN MENSA“ (Ms. Bos. q. 24s, fol. 45v; s.a. 24f, fol. 1r: „Post finem sermonum in mensa“. Ein „ex ore“ ohne Bezug auf die Tischsituation weisen folgende Handschriften auf: Dinkelsbühl, Stadtarchiv, B 85, fol. 84v: „Sequuntur quaedam consilia Lutheri et alia ex ore eius excerpta in privates colloquiis; Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. A 180d, fol. 120r: „Dicta quaedam ex ore Doctoris Martini in familiarib: colloquijs annotata.“; analog: Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 380, [Titel]; B 15. fol. Ir; B 148, [Aufschrift]; s.a. Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. B 1482: „Item Varii Sermones Domestici Ex Ore Lvtheri, Philippi Aliorumque Ervditorum excerpti“; Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. IV 115aa, Bd. 1, fol. 83v: „Sermones domestici excepti ex ore Doct[oris] Marth[ini] Lutheri.“; s. bedingt auch Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 263, Titel auf Vorderdeckel [sekundär]: „Collectanea ex ore et scriptis Lutheri et Melanchthonis excepta“. Zur autoritativen Legitimation s. des Weiteren das „fideliter transscripta“ der Titel der bereits in Bezug auf die Ausweitung des „historischen Ortes“ angeführten nach Loci geordneten Lauterbachschen Tradition. Dass diese autoritative Rückbindung im Umfeld Lauterbachs wichtig gewesen zu sein scheint, bezeugt auch das „descriptus ex autográpho Domini Antonii Lautenbachii“ der Handschrift Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. B 169, fol. 1r. Zur Ausweitung des „historischen Ortes“ s. insbesondere die Zeugen der nach Loci geordneten Lauterbachschen Tradition: Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Außenstelle Franckesche Stiftungen, D 116 2°, Titelblatt: „[…] in mensa prandij et coenae et in peregrinationibus obseruata et fideliter transscripta“ (vgl. auch Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Mss. A 91 und 92; Gotha, Universitätsund Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 262, fol. 2r; Wolfenbüttel, HerzogAugust-Bibliothek, Cod. Guelf. 72 Extr., [Titelblatt]) sowie Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11847, fol. 2: „[…] tam ex libris quam ore Reuerendi Patris Martin. Luth. exceptus, sub prandio, coena et aliis familiaribus colloquiis, ac priuatis conuiuiis etc.“; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 20. 2: „[…] excerpta maximam partem ex ore eiusdem domi in mensa et alias […]“; Cod. Guelf. 878 Helmst. fol. 2r: „[…] so er vber Tisch vnnd sonst geredet […]“ sowie Kroker, Örtlichkeit. 148 Zu Mathesius s. S. 19–23.

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torien die Zeit schildert, an der er an Luthers Tisch gekommen war. Bei Aurifaber hingegen wurde die „Tischsituation“ exponiert im Titel mittels der Begriffe „Tischreden“ bzw. „Tischgesellen“ als „Sitz im Leben“ insinuiert: „Tischreden oder Colloquia Doct[or] Mart[in] Luthers / So er in vilen Jaren / gegen gelarten Leuten / auch frembden Ge =/ sten / und seinen Tischgesellen gefuret / Nach den Heubtstücken unserer Christlichen Lere zusammen getragen.“149

Aurifaber rekurrierte damit auf eine bei Georg Rörer grundgelegte und in Weimar verbreitete Sprachregelung. Ersterer konnte in seinen Heften nicht ausschließlich, aber auch von „SERMONES IN MENSA“ sprechen.150 Zudem überhöhte er diesen Begriff 1551, im Kontext seiner Bemühungen um eine thematische Ordnung der Lauterbachschen Tradition, panegyrisch-monumentalisierend zu „sermones convivales Viri Dei“.151 Eine Notiz ernestinischer Räte von 1556 sprach dann in Bezug auf das abgeschlossene Werk deutlich nüchterner von „4 Bucher D. Marthini Tischreden [Hervorhebung; I.K.]“, ohne dass der Begriff in der damit bezeichneten, nach Loci geordneten und in der Ephorie Pirna entstandenen Lauterbach-Hänelschen Tradition selbst greifbar gewesen wäre.152 Dennoch mag Aurifaber diese Tradition, die zu seinen Hauptquellen gehörte, als Hofprediger in Weimar unter diesem Titel kennengelernt haben. Da er dort zudem auch mit Rörer im Kontext der Jenaer Werkausgabe zusammengearbeitet hat, mag er die Begrifflichkeit auch von Rörer selbst übernommen haben. Dass Aurifaber darüber hinaus aber auch von „Colloquia“ sprach, könnte auf seine zweite Hauptquelle zurückzuführen sein, d.h. der ungefähr zeitgleich mit Rörers Brief abgeschlossenen, vermutlich dem Kreis um Weller zuzuschreibenden Tradition, die mit „FARRAGO L[ITE]RARVM AD AMICOS ET COL || loquiorum in mensa R[everendi] P[atris] Domini Martini Lutheri || sacrae theologiae doctoris etc.“153

149 TR, fol. ) 1r. Die folgenden Ausführungen zu Aurifaber und seinen Hauptquellen werden in den Kapiteln II–IV dieser Studie vertieft. 150 S. nochmals Ms. Bos. q. 24s, fol. 45v und 24f, fol. 1r. Zur Verwendung des Begriffs „sermones“ in Bezug auf „Tischgespräche“ s. bereits den Bericht des Dantiscus’ aus dem Jahr 1523 (Zitat: s. S. 28). 151 Georg Rörer an Anton Lauterbach. Wittenberg, 26. Februar 1551: FLEMING, Briefwechsel, 35–37, 37 [Nr. 6]. 152 ThHStAW, EGA, Reg. O 774, 44. Zur vom Kreis um Lauterbach gewählten Begrifflichkeit s. S. 35 mit Anm. 173. Evtl. ist auch Mathesius Rede von „Tischreden“ in seiner 12. Predigt von Rörer bzw. Weimar her geprägt (vgl. nochmals Mathesius, LH, 290,29). Zu dieser Tradition s. Kapitel III. 153 Chart. A 402, fol. 01r. Zu dieser Tradition und ihrem Urheberkreis s. Kapitel II.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

überschrieben worden war. Diese sprach, obwohl sie in erheblichem Maße auf Rörers „Hefte“ rekurrierte, nicht von „Tischreden“ bzw. „sermones in mensa“, sondern wählte den bei Rörer ebenfalls zu findenden Begriff „Colloquia“154 und spitzte diesen auf die Tischsituation („in mensa“) zu, um neben den Briefen einen zweiten Hauptinhalt der Sammlung zu benennen. Von hier könnte der Begriff „Colloquia“ von Aurifaber als lateinisches Äquivalent zum deutschen Begriff „Tischreden“ verwendet worden sein. Dass er auf die Wiedergabe des „in mensa“ verzichtete, ist insofern bedeutsam, als der Begriff „Colloquia“ an sich – wie zu zeigen sein wird – stärker andere Implikationen aufweist. Insgesamt zeigen diese Ausführungen, dass der Begriff „Tischreden“ – entgegen der weitverbreiteten Ansicht – nicht auf Aurifaber selbst zurückgeht. Jedoch war Aurifaber der erste, der den Begriff „Tischreden“ pointiert als Titelbestandteil aufgriff. Insofern die Rede von „gelarten Leuten“ und „frembden Gesten“ sowie der Begriff „Colloquia“, den er in den Folgeausgaben voranstellte, offener sind, deutet sich an, dass der Rekurs auf die „Tischsituation“ auch von ihm nicht absolut gesetzt wurde.155 Vereindeutigt wurde das v.a. von Aurifaber pointiert insinuierte Bild dann jedoch durch die von Peter Schmid (gest. 1593) und dann v.a. Sigmund Feyerabend (1528–1590) verantworteten Frankfurter „Raubdrucke“ der Aurifaberschen Ausgabe.156 Abgesehen vom Oktavdruck von 1567 zierte das Titelblatt ein Holzschnitt von Luthers Tafelrunde. Insbesondere die „Erstfassung“157 greift typologisch auf Darstellungen des biblischen Abendmahls zurück.158 Luther sitzt zentral in der Tischmitte, links und rechts von ihn haben jeweils drei nicht namentlich genannte aber wohl mit Caspar Cruciger (1504–1548), Paul Eber (1511–1569), Philipp Melanchthon (1497–1560) bzw. Justus Jonas (1493–1555), Johannes Bugenhagen (1485–1558) und Johannes Forster (1496–1556) zu identifizierende Personen Platz genommen, alle die Hände zum (Tisch-)Gebet gefaltet.159 Davor stehen, mit dem Rücken zum Betrachter vier Kinder, der Größe

S. S. 34 mit Anm. 166. In den Folgedrucken stellte Aurifaber dann den Begriff „Colloquia“ voran. 156 Zu diesen Ausgaben und ihren Herausgebern s. S. 423 Anm. 5. Insofern Feyerabend (1528–1590) selbst gelernter Formschneider war, ist es nicht ausgeschlossen, dass er in die Planungen unmittelbar involviert war. 157 Dieses Titelblatt geht zurück auf einen Entwurf von Jost Amman, aufgeführt vom Formschneider HSF (s. O’DELL, Titelblätter, 38). 158 Vgl. KRUSE, Luther-Illustrationen, 92–94. Dennoch wird man den Holzschnitt nicht als Abendmahlsdarstellung im strikten Sinne anzusehen haben. Zu deutlich sind die Differenzen: z.B. die kleinere Zahl der „Jünger“, das Fehlen eines „Verräters“ und eines „Lieblingsjüngers“. 159 Colloquia Frankfurt 1567, ) ia bzw. Schilling, Bibliographie, 764. 154 155

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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nach angeordnet.160 Oberhalb des Tisches befindet sich ein Bücherregal. Worum es sich bei dem aufgeschlagenen Werk handelt, ist nicht erkennbar. Unabhängig davon erzeugt dieses Bild eine ganz gezielte Lektüreanweisung. Der fromme Luther im Kreis seiner „Kollegen“ und Familie. Dass die versammelten „Wittenberger“ Größen zur Überlieferung der „Tischreden“ kaum beigetragen haben, wird der Fiktion untergeordnet. Ab der zweiten Folio-Ausgabe, datierend 1568, wird dieses Bild ersetzt durch einen von Frauengestalten und Girlanden umrahmten querovalen Holzschnitt:161 Luther sitzt nun am Tischende. Durch den Perspektivenwechsel steht er aber weiterhin im Zentrum und mit ihm Melanchthon, der als einziger neben ihm dort platziert wurde. Über ihnen wiederum ein Regal mit Büchern. Die um den Tisch sitzenden Personen werden nun zudem in einer Umschrift identifiziert. Neu hinzugekommen ist Veit Dietrich (1506–1549), und damit eine Person, die einerseits tatsächlich sehr um die Überlieferung der Werke Luthers bemüht war, von der sogar eine eigenhändig angefertigte „Tischredenhandschrift“ überliefert ist,162 die andererseits seit 1535 als Pfarrer in Nürnberg amtierte, also nur in der Frühphase der Überlieferung ein Tischgenosse Luthers war. Damit wird noch klarer, dass es nicht um Abbildung einer historischen Realität, sondern um die eines Idealbildes ging. Die typologische Anspielung auf „Jesu Abendmahl“ ist im neuen Holzschnitt nicht mehr greifbar, statt eines Gebetes wird das gemeinsame Gespräch dargestellt; Blumen und Vorhänge lassen den Raum wohnlicher erscheinen. Die Kinder, nun alle sechs, sind am Rande im Seitenprofil dargestellt und lauschen mit einer Ausnahme „andächtig“ den Worten an Luthers Tisch.163 Auf diese Weise haben die Frankfurter Verleger das Bild bzw. die Gattung nachhaltig und marktförmig verstärkt in Richtung Sympotik zugespitzt. Im Nachdruck selbst hat sich dies aber nicht niedergeschlagen. Insofern wird diese Gattungstradition methodisch auch in Bezug auf die Druckausgabe Aurifabers, zumal die Erstfassung von 1566, letztlich nicht zu berücksichtigen sein.164 VielDie Stilisierung lässt sich auch an den Kindern ablesen. Luther hatte insgesamt sechs Kinder, jeweils drei Mädchen und Jungen. Dargestellt sind aber vier Jungen. Zu Luthers Kindern vgl. BÄRENFÄNGER, Kinder (Lit!). 161 Colloquia Frankfurt 1568, ( ia bzw. SCHILLING, Bibliographie, 766. Auch dieses Titelblatt geht vermutlich auf Jost Amman zurück; das Monogramm des Formschneiders, L.B., findet sich unter dem Bücherregal (s. O’Dell, Titelblätter, 66). 162 Zu Veit Dietrich bzw. der Handschrift s. S. 85 Anm. 7 bzw. S. 167 mit Anm. 359. 163 Auch bei diesem Holzschnitt wurden zu viele Jungen dargestellt; zu Luthers Kindern s. S. 33 Anm. 160. 164 Dass sich erstmals bei ihm ein Stück findet, in dem eine Verhaltensregel für das convivium geboten wird, das in seiner Hierarchisierung an Mathesius’ Darstellung erinnert, stellt in seiner Punktualität und Grundsätzlichkeit kein Gegenargument dar, zumal es ohne Bezug auf Luther auskommt und dem nachträglich ergänzten Anhang 160

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

mehr waren für die Entstehung und Sammlung und damit die handschriftlichen Überlieferungen sowie von hier aus die Druckfassung Aurifabers andere Traditionen prägender. Dies soll nun entfaltet werden unter Rekurs auf die von den Tradenten primär verwendete Begrifflichkeit, d.h. „Colloquia“ bzw. „Dicta“ sowie „Apophthegmata“ oder „Sententiae“. Ganz basal insinuiert die Nomenklatur der Tradenten, dass die damit bezeichnete Überlieferung vornehmlich markante „Aussagen“ wiedergibt. Dadurch, dass die Begriffe cum grano salis materialiter auf dasselbe Überlieferungsgut bezogen sind, wird zudem nahegelegt, dass keine allzu formalisierten literaturtheoretischen Definitionen zugrunde gelegt werden können. Die damit indirekt angedeutete Unschärfe des Sprachgebrauches im 16. Jahrhundert knüpft letztlich an die antike Praxis an: „dictum“ war das lateinische Äquivalent für das griechische „apophthegma“, „sententia“ stand ursprünglich für „gnome“, konnte aber auch die eng mit den Apophthegma verwandte „Chrie“ bezeichnen.165 Dennoch können v.a. in Bezug auf die Colloquia auf der einen Seite und die „Dicta“, Apophthegmata oder Sententiae“ auf der anderen Seite unterschiedliche Traditionshintergründe aufgezeigt werden. Neben den Begriff „Sermones in mensa“ findet sich in Rörers Nachschriften ebenso der Begriff „Colloquia“ als Kategorisierung für das Folgende,166 so dass er auch in dieser Hinsicht als früher Zeuge herangezogen werden kann. In eine ähnliche Richtung weist Veit Dietrich, der das Gesammelte mit „ἐκ διαλογισμῶν“ überschreiben kann,167 dessen Bedeutungsspektrum auch die „Unterredung“ mit umfasst. Insofern nur wenige Belege für „Colloquium“ vorrangig als Beschreibung der Entstehungssituation zu verstehen sind,168 lässt die Handschriftentradition tendenziell zugehört (vgl. TR, fol. 621b: „De conviviis. Plutarchus in conuiualibus sermonibus saget. Conuiuium debere esse sicut alphabetum, in quo aliquos debere esse vocales, ut gubernatores, Doctores, Sacerdotes. Alii semiuocales, vt reliqui honesti viri, Erliche Leute. Iuniores debent esse muti, die sollen allein zuhören“). 165 Vgl. DORMEYER, Literaturgeschichte, 160; KLAUSER, Apophthegmata, 545f. Zu den Unschärfen bzw. Problemen einer strikt definitorischen Bestimmung der literarischen Klein- und Kleinstformen im Allgemeinen s. WACHINGER, Kleinstformen. 166 Vgl. Ms. Bos. q. 24s, fol. 110r. 167 Vgl. WA.TR 1, XXIX. Ohne Bezug auf ein dialogisches Moment ist jedoch die von Dietrich ebenfalls verwendete Kategorisierung als „Louqe,rou enqumhma,tia“ (vgl. ebd., XXVIII). 168 Vgl. Dinkelsbühl, Stadtarchiv, B 85, fol. 84v: „[…] in privates [sic!] colloquiis“; Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 380, Titel: „[…] in familiaribus colloquiis annotata“ – s.a. Chart. B. 15, fol. Ir; B 148; Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. V, App. 75, Titelblatt: „Collecta ex Colloquijs habitis […]“; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11847, fol. 2: „[…] sub prandio, coena et aliis familiaribus colloquiis, ac priuatis conuiuiis etc.“

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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erkennen, dass damit vorrangig die Vorstellung einer Gattung verbunden war. Z.T. rekurrieren die Handschriften ausschließlich auf diesen Begriff, um das Folgende zu charakterisieren,169 z.T. wird dieser weiter spezifiziert: z.B. auf den „Abend“ („serotinus“)170 oder mittels positiver Implikation der laut Cordatus von Melanchthon noch als Grund gegen das Mitschreiben angeführten Vertrautheit („familiaris“; „arcanus“)171 oder zurückgebunden an die „Tischsituation“ („in mensa“).172 Häufig treten aber weitere Begriffe hinzu, am differenziertesten in den Handschriften der nach Loci geordneten Lauterbachschen Tradition, in der eine äußerst breite Aufzählung erfolgt: „colloquia“, „meditationes“, „consolationes“, „iudicia“, „sententiae“, „narrationes“, „responsa“, „facetiae“. Dieser differenzierten Inhaltsbeschreibung entspricht die ebenfalls differenziertere Beschreibung des realen „historischen Ortes“.173 Die hier nur mittels Nennung an erster Stelle angedeutete Zentralität des Begriffs „Colloquia“ als „Gattungsbegriff“ wird an anderen Traditionen klarer greifbar, die nur einen zweiten Begriff daneben aufführen.174 Wiederum andere Traditionen machen deutlich, dass der Begriff geradezu synonym zu „Dicta“ bzw. „Apophthegmata“ verwendet wurde. So findet sich z.B. in der Berliner Handschrift Ms. theol. lat. qu. 97 einerseits der Vermerk

169 Vgl. Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. III 20aa, fol. Ir: „Colloquia reverendi in Chr[ist]o Patris D[octoris] M[artini] L[utheri] piae memoriae […]“. 170 Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. B 169, fol. 1r: „Colloquia Serotina“. 171 Vgl. Leipzig, G. Hirzel, Titel: „Familiaria colloquia“ – ähnlich in deutscher „Übersetzung“: Wittenberg, Lutherhaus, Ag 4° 45, Vorsatzblatt: „Etliche gesprech des Hern Doctor Martin Luthers, so ehr mit seinen freunden gehalten […]“; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 20. 2. – 20. 6. Aug. 4°: „Quinque libri vel volumina arcanorum consiliorum et colloquiorum D. Martini Lutheri […].“ 172 Chart. A 402, fol. 1r. S.a. S. 23. 173 Vgl. Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Außenstelle Franckesche Stiftungen, D 116 2°, Titelblatt: „COLLOQUIA, MEDITACIONES || CONSOLACIONES, IVDICIA || SENTENCIAE, NARATION= || ES [sic!], RESPONSA, FACETI= || AE, DOMINI DOCTO= || RIS MARTINI LVTHERI, PIAE || ET SANcTAE MEMORIAE, IN || MENSA PRANDII ET || CAENAE ET PEREGRINA= || TIONIBVS OBSERVA= || TA, ET FIDELI= || TER TRANSSCRIPTA || ANNO 1 5 6 0“ – s.a. die weiteren Überlieferungen: Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Mss. A 91 und 92; Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 262, fol. 2r; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 72 Extr., [Titelblatt] bzw. S. 30 Anm. 147. 174 Vgl. Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. germ. qu. 1875, Vorblatt: „Meditationes et Colloquia D. Lutheri“; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 20. 2. – 20. 6. Aug. 4°: „Quinque libri vel volumina arcanorum consiliorum et colloquiorum D. Martini Lutheri […]“; Cod. Guelf. 878 Helmst., fol. 2r: „Gedanckspru(o)che vnnd Colloquia“.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

„Finis Colloquiorum familiarium D. Lutheri“,175

andererseits lautet der Titel: „Herliche Schöne vnnd Liebliche Apophtegmata [Hervorhebung; I.K.], des Ehrwirdigen vnnd Hochgelarthenn Hernn Docto. Martinj Lutherj, zusammengeschriebenn, Per Dominum Doctorem Conradum Cordatum. Haec varia et utilissima dicta [Hervorhebung; I.K.] sanctissimi Viri Doctoris Martini Lutheri […].“176

Ähnliches gilt für die Dresdner Handschrift Ms. A 180d.177 Damit haben zumindest einzelne Traditionsträger die bereits erwähnte antike Tendenz zur eher undifferenzierten, d.h. synonymen Verwendung auf den Begriff „Colloquium“ ausgeweitet. Fragt man darüber hinaus nach dem zeitgenössischen Kommunikationskontext, so geraten erneut die „Colloquia familiaria“ des Erasmus in den Blick.178 Es ist angesichts der Verbreitung und öffentlichkeitserzeugenden „Anstößigkeit“ dieses Werkes im 16. Jahrhundert kaum möglich, dass die Traditionsträger, die diesen Titel z.T. wörtlich übernommen haben, sich dieser Bezugnahme nicht bewusst gewesen wären, zumal Luther selbst zu den heftigen Kritikern gehörte.179 Z.T. hat sich diese Kritik auch in der „Tischredenüberlieferung“ niedergeschlagen, insbesondere in der Frühphase der Mitschriften.180 Anfänglich mag dabei die Absicht mitgeschwungen haben, dass eine Einführung in Wittenberg verhindert werden sollte.181 Doch deutet die von Mathesius aus dem Jahr 1540 überlieferte

175

Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. qu. 97, fol.

133v. Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. qu. 97, fol. 1. Dort wird auf dem Titelblatt von „Colloquia Lutheri […]“ gesprochen, die Überlieferung dann im Kodex als „Dicta quaedam ex ore Doctoris Martini in familiarib: colloquijs annotata“ entfaltet (Dresden, Landesbibliothek, Ms. A 180d, Titelblatt bzw. fol. 120r). 178 Zu diesem Werk s. S. 26f. 179 Zur Kritik an diesem Werk s. WORSTBROCK, Erasmus, 726; AUGUSTIJN, Erasmus, 143–146. 180 Vgl. WA.TR 1, 55,32–40 [Nr. 131] – Zitat: ebd., 38f.: „Deinde in suis colloquiis adolescentes malis opinionibus inficit. Gott wehr yhm!“; s.a. ebd., 397,1–10 [Nr. 817] – Zitat: ebd., 2–5: „Moriens prohibebo filiis meis, ne colloquia eius legant, ubi sub fictis et alienis personis impiissima loquitur ac docet ad oppugnandam ecclesiam et fidem christianam data opera sic excogitata“ (vgl. auch die Parallele in der Cordatischen Überlieferung: WA.TR 3, 136,28–137,2 [Nr. 2999]). Die Kenntnis des Werkes zeigen auch die auf das „Fischessen“ (s. LB 1,787–810) bezogenen Überlieferungen: WA.TR 2, 153,22–24 [Nr. 1618] sowie die Parallele WA.TR 3, 220,4–6 [Nr. 3205]. 181 Bereits 1526 war das Werk in die kursächsische Schulordnung eingeführt worden. 1533 erfolgte – trotz Luthers Kritik – die Aufnahme in die Wittenberger Schulordnung (vgl. BÖMER, Schülergespräche, 92f.). 176 177

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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Anspielung auf das „Convivium religiosum“ an, dass im Hintergrund ein fundamentaler theologischer Dissens stand: „D⌊octor dixit: Arrogavit sibi divinitatem, quam voluit detrahere Christo, quem in colloquiis contulit cum Priapo, in catechismo illusit et maxime in detestando libro farraginum. Contempsit omnes prae se et reputavit pro stultis et anseribus fatuellis et oblectamentis, qui non intelligeremus eius amphibologiam.“182

Zugleich belegt diese Anspielung, dass Erasmus’ Werk zumindest einzelnen Tradenten bekannt war und damit „produktionssteuernd“ wirken konnte. Es mag schiere Konvergenz sein, doch findet selbst die von Mathesius in Bezug auf Luthers „Tischreden“ in seiner 12. Predigt geprägte Vorstellung von der „Tischwürze (condimenta mensae)“183 in eben diesem Dialog der Colloquia eine Entsprechung, wenn dort der Austausch von einem der Gesprächspartner wie folgt kommentiert wird: „Quoniam sciebam prandium fore dilutum & insipidum, idcirco hanc procuravi nobis condituram.“184

Unabhängig davon klassifiziert die Rede von den „Colloquia Lutheri“ das damit Bezeichnete zumindest implizit als „Gegenentwurf“. Der Titel kommunizierte wiederum zumindest implizit den Anspruch, eine angemessenere respektive „wahre“ Lehre und „Zeitdiagnose“ aus dem Munde Luthers – auch in Bezug auf Sittenfragen – darzubieten.185 In methodischer wie formaler Hinsicht konvergiert die „Tischredenüberlieferung“ aber sehr viel deutlicher mit einem anderen Werk des Erasmus’, den zunächst sechs, dann acht Bände umfassenden „Apophthegmata“. Die Erstauflage war im März 1531 erschienen und damit in dem Jahr, in dem nach dem Zeugnis von Cordatus die Mitschriften am „Tisch“ Luthers eingesetzt hätten. Deren Titel lautet: „APOPHTHE||GMATVM, SIVE SCITE DICTORVM || Libri Sex, ex optimis quibus[que], utrius[que] linguae autori||bus Plutarcho praesertim excerptorum, cum breui com/ || moda[que] explicatione, quae tum lucem addit obscuris || tum dicti sensum argutiam[que], nonnumquam & usum || indicat, per DES. ERASMVM ROTERODA/||MVM Opus non minus bonae frugis quam || uoluptatis allaturum stu182 WA.TR 4, 573,4–21 [Nr. 4899] – Zitat: ebd., 573,16–20. Die Anspielung zielt auf LB 1,673DE. 183 Mathesius, LH, 280,3–5. 184 LB 1,677C. 185 Aufgrund der Abhängigkeit des von den Traditionsträgern überlieferten „Materials“ von „Äußerungen“ Luthers hat sich die Intention des „Gegenentwurfes“ bei den entsprechenden Handschriften nicht in der konkreten Gestalt einer expliziten Aufnahme und Zurückweisung der Colloquia von Erasmus niederschlagen können. Dass Erasmus exponiert als „Gegner“ Luthers im Blick war, zeigt z.B. die Handschrift Chart. A 402, die im Titel von „Colloquia in mensa“ spricht und zugleich – obwohl sie lange nach Erasmus Tod entstanden war –, einen Erasmus gewidmeten Locus aufweist.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

diosis. Nunc primum excusum. BASILEAE, IN OFFICINA FROBE||NIANA, ANNO M.D.XXXI.“186

Die Prägekraft dieses Werkes wird indirekt daran ersichtlich, dass Erasmus von der Forschung der „zweite Rang“ im „Kanon der Apophthegmatiker“ zugeschrieben wurde, nach Plutarch, auf den er aufbaute.187 Im Widmungsschreiben an den jungen Herzog Wilhelm von Cleve (1516– 1592) beschrieb Erasmus das Werk eingangs wie folgt: „Proin ex optimis quibusque auctoribus collegi, quae Graeci vocant Apophthegmata, hoc est egregie dicta […].“188

Zugleich wurde das Werk als „Zweckliteratur“, zumal als leicht verständliche, vorgestellt, deren Fokus auf Fragen der Moral („de moribus“), der Staatsverwaltung („de Republica administranda“) sowie der Kriegsführung („deque bello gerendo“) lag, wobei aber auch das Unterhaltsame nicht zu

186 ERASMUS, Apophthegmata [VD16 E 2035]. Zu diesem Werk in der Forschung insgesamt eher wenig beachteten Werk s. den Überblick von EIKELMANN, Erasmus, 709–712 sowie die Ausführungen von VERWEYEN, Apophthegma, bes. 96–102. Cytowska bietet einen guten thematischen Überblick und hebt v.a. die moralische Dimension des Werkes hervor (CYTOWSKA, Apophthegmata). Meer weist auf die Beziehungen zu anderen Werken hin, um von hier dann die Propria zu entfalten (MEER, Mirror). 187 Vgl. VERWEYEN, Apophthegma, 100. Verweyens Dissertation ist immer noch das Standardwerk in Bezug auf die Gattung „Apophthegmata“ im Allgemeinen. Jedoch konzentriert er sich bezüglich der Definitionsfindung vornehmlich auf das 17. Jahrhundert (vgl. VERWEYEN, Apophthegma, 20–78). In Konsequenz streift er die „Tischredenüberlieferung“ nur am Rande, wenn er Aurifabers Druckausgabe im Rahmen der Vorgeschichte zum „deutschen Gattungsstrang“ thematisiert und in die „Nachbarschaft“ der Apophthegmata stellt, jedoch als „intellektuell“ weniger anspruchsvoll und von anderen Intentionen bestimmt (ebd., 117–120). Damit setzt er erst auf der letzten Entwicklungsstufe der „Tischredenüberlieferung“ ein. Wenn im Folgenden auf Erasmus und später auf die Apophthegmata patrum zur Konturierung derselben rekurriert wird, so erfolgt dies vor dem Hintergrund der Ausführungen Verweyens zum „Europäischen Gattungsstrang“ (vgl. ebd., 79–108). Neben Verweyen s. MOOS, Kunst, bes. 43–48; KLAUSER / LABRIOLLE, Apophthegma; bedingt auch die Studie Gemolls, die insbesondere in Bezug auf die Ableitung zahlreicher Literaturgattungen aus den Apophthegmata sehr umstritten ist und die Tradition der Apophthegmata Patrum außen vor lässt (vgl. GEMOLL, Apophthegma). Eine für das 16. Jahrhundert wohl zu starke Formalisierung eignet den für die neutestamentliche Exegese formulierten Gattungsunterscheidungen Bergers (BERGER, Formen, 142–152; BERGER, Hellenistische Gattungen, bes. 1049–1074.1092–1110). Trotzdem geraten diese – wie weitere neutestamentliche Werke – insbesondere in methodischer Perspektive nochmals in den Blick (s. S. 56f.). Zu den Apophthegmata Patrum s. zudem S. 40 Anm. 196. 188 LB IV, 87f.

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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kurz komme.189 In Bezug auf die Gattung wird zudem die bei Plutarch grundgelegte Tendenz zur Biographik greifbar, wenn Erasmus ausführt: „Habent enim Apophthegmata peculiarem quamdam rationem & indolem suam, ut breviter, argute, salse, & urbane cujusque ingenium exprimant.“190

Weiterhin deutete Erasmus die – ebenfalls bereits bei Plutarch greifbare – Unschärfe des unter dem Titel „Apophthegmata“ Gesammelten an: „De titulo nihil refert anxium esse, quum in his quae collegit Plutarchus sub Apophthegmatum nomine, multa sint quae alius mallet σκώμματα, λοιδόρια, ἀσεῖα, ἐυτράπελα, sive γελοῖα dicere.“191

An der weiteren Unterscheidung seien antike Gelehrte, u.a. Cicero und Quintilian, gescheitert, so dass Erasmus hier unbefangener vorgehen wollte. Dies zeigt sich auch in der folgenden Konkretion: „Optimum Apophthegmatis genus est, quod paucis verbis sensum non vulgarem significat potius quam exprimit, quale nemo facile possit studio fingere, quodque quo propius ac diutius contemplere, hoc magis ac magis delectat. Universum autem hoc genus quod proverbia, sententias, insigniter dicta factaque complectitur […].“192

Am Ende des Widmungsbriefes steht die Mahnung, „dum in his versaris, memento te non Christianorum, sed Ethnicorum Apophthegmata legere, videlicet ut legas cum judicio“193.

Zudem verwies Erasmus darauf, dass er sich dieses Kompilationswerk – trotz des von der Gattung her unvermeidbaren Rekurses auf Vorlagen – redaktionell zu eigen gemacht habe: „Sed totum opus quodammodo meum feci, dum & explanatius effero quae Graece referuntur, interjectis interdum quae apud alios auctores addita comperissem, additis item permultis quae in hoc opere non habebantur, ubique veluti scholiis indicans vel sensum vel usum Apophthegmatis, in his dumtaxat quae lucis aliquid desiderabant, sed hoc ipsum breviter, ne ab Apophthegmatum natura degenerarem.“194

Vgl. LB IV, 87f. bzw. 91f. LB IV, 87f. – s. hierzu MEER, Mirror, 87f. Zur Rezeption der antiken Grundlagen der Biographie seitens der Humanisten bzw. zum bei Plutarch grundgelegten Zusammenhang mit Aussprüchen s. DIHLE, Grundlagen; BERSCHIN, Plutarch; SÜHNEL, Plutarch, bes. 143–145 sowie VERWEYEN, Apophthegma, 80–87. 191 LB IV, 89f. 192 LB IV, 89f. Dies schlägt sich z.B. auch in der Überschrift des ersten Buches nieder, wenn er von „Apophthegmata lepideque dicta […] spricht (vgl. ebd., 93f.). Analog bereits im Titel der Erstauflage (Zitat s. S. 32f.). 193 LB IV, 91f. 194 Vgl. LB IV, 89f. Dasselbe methodische Vorgehen ist in der Überschrift zum ersten Buch greifbar, wenn er dort das „selecta“ mittels „cum interpretatione commoda, dicti argutiam aperiente“ ausdeutet (vgl. ebd., 93f.). Generelle Charakteristika dieser 189 190

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

Teil dieser redaktionellen Aneignung ist auch, dass die einzelnen Apophthegmata weitestgehend einer festen Grundstruktur folgend wiedergegeben wurden, die von Philips wie folgt benannt wird: „1. Schilderung der Situation. 2. Herausforderung des Akteurs durch eine Frage. 3. Seine Reaktion. 4. Erläuterung des Textes durch Erasmus.“195

Jedoch ist mit Blick auf die „Produktion“ und „Rezeption“ der „Tischredenüberlieferung“ über Erasmus hinaus noch eine weitere, zum von Rehermann identifizierten „europäischen Gattungsstrang“ der Apophthegmata gehörende Tradition zu berücksichtigen: die Apophthegmata Patrum, d.h. Spruchsammlungen der Mönchsväter bzw. Heiligen.196 Diese waren ursprünglich im östlichen Mönchtum beheimatet, fanden aber ab dem frühen 5. Jahrhundert in lateinischer Übersetzung den Weg in den Westen und zwar mit spezifischen Zuspitzungen: Zum einen stand – bis in die Gliederung hinein – die Lehre im Vordergrund, so dass eine Annäherung an die Gattung der Facta et dicta memorabilia erfolgte. Zum anderen wurden die „Sprüche“ in die Vitas patrum inkorporiert.197 In dieser Gestalt waren die Verba seniorum im gesamten Mittelalter bis zur frühen Neuzeit weit verbreitet, wie die Handschriftenüberlieferung belegt.198 Dazu dürfte die Benediktsregel beigetragen haben, in der diese als Lektüre nach dem Tisch vorgeschrieben sind: „[…] si tempus fuerit prandii, mox surrexerint a cena, sedeant omnis in unum et legat unus collationes uel uitas patrum aut certe aliud, quod aedificet audientes […].“199

Die konkrete Form der Apophthegmata Patrum ist ebenso vielgestaltig wie die Inhalte, so dass keine enge Definition zugrunde gelegt werden kann und der Literaturwissenschaftler Verweyen von einem „Kaleidoskop“ der „Formen“ und „Gehalte“ spricht.200 Das zentrale „Logion“ wird oftmals ausgelöst durch die Frage, wie man gerettet werde, aber auch durch Fraredaktionellen Anteile hat Cytowska zusammengestellt (vgl. Cytowska, Apophthegmata, 125f.). 195 Vgl. PHILIPS, Einleitung, 13f. 196 Zu den Apophthegmata Patrum, der vielfältigen Überlieferung und den unterschiedlichen Prinzipien der Anordnung s. BOUSSET, Apophthegmata, 1–208; GUY, Note; HEUSSI, Ursprung, 133–153; MÜLLER, Weg, 16–40, bedingt auch SCHULZ / ZIEMER, Wüstenväter, 122–130.310–324. 197 Vgl. BERSCHIN, Biographie, I, 132f.189f. Darauf, dass mit diesem Begriff „Vitas patrum“ unterschiedliche Werke bezeichnet wurden, verweist BATLLE, Adhortationes, 1–7. 198 Vgl. die umfassende Darstellung BATLLE, Adhortationes. 199 Regula Benedicti XLII,3: CSEL 75, 114. 200 Vgl. MÜLLER, Weg, 33–37, die ihrerseits auf HEUSSI, Ursprung, bes. 146–151 sowie BOUSSET, Apophthegmata, 76–93, aufbaut; s.a. VERWEYEN, Apophthegma, 88– 91, 90.

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gen nach konkreten Problemen und Sachverhalten. Daneben treten kleine Dialoge, Erzählungen – auch biographischer Art –, Gleichnisse, Parabeln, Bibelzitate bzw. -auslegungen sowie – seltener – Berichte von Entrückungen, Visionen oder Wundern; z.T. finden sich auch Dubletten. Insofern bezeugen die Apophthegmata Patrum noch stärker als das Werk des Erasmus eine große Offenheit der Gattung. Dass diese Gattung nicht nur zeitgenössisch, sondern im Umfeld Luthers besonders präsent war und damit tatsächlich „produktionssteuernd“ in Bezug auf die „Tischredenüberlieferung“ gewirkt haben konnte, zeigen die – aufgrund anderer theologischer Bewertung des Mönchtums und der Heiligen entwickelten – reformatorischen Sammlungen.201 Bereits 1539 entstand das mit „Farrago praecipuorum exemplorum“ überschriebene Oktavbändchen des Lübecker Superintendenten Hermann Bonnus.202 Ein besonderes Interesse galt den „Mönchsweisheiten für ein christliches Leben als Quintessenz einer kurzen Erzählung, Episoden, nicht Viten stehen im Mittelpunkt“203.

Zudem ist auf zwei von Luther angeregte Werke aus dem Jahr 1544 zu verweisen, zu denen dieser eigene Vorworte beisteuerte: Georg Majors Vitae Patrum204 bzw. ein als Trostschrift konzipiertes analoges Sammelwerk Georg Spalatins.205 Ermöglicht wurde die Rezeption über das Motiv der „Reinigung“.206 Entscheidender für die „Tischredenüberlieferung“ ist, dass zu deren Entstehungskontext somit Kompilationswerke gehörten, in denen insbesondere Dicta et facta der Väter bzw. Heiligen benutzerfreundlich angeordnet zusammengestellt worden waren, faktisch unter Konzentration auf die „dicta“.207 Über die erasmische Ausprägung hinaus setzen die Apophthegmata patrum insbesondere folgende Akzente: Zum einen handelt es sich um „binnenchristliche“ Apophthegmatik. Als solche zielen sie auf „spirituelle Pädagogik“ und die Memoria ihrer „herausragend[en] Weis[en] und Lehrer“.208 Oder noch pointierter formuliert: Vgl. zu den genannten Werken: BRÜCKNER / BRÜCKNER, Zeugen, 531–536. BONNUS, Farrago [VD16 B 6631]. 203 BRÜCKNER / BRÜCKNER, Zeugen, 532. Leider bietet das Werk keine Praefatio, aus der Bonnus’ Zugang erhoben werden könnte. 204 Major, Vitae patrum [VD16 M 2205]. 205 Spalatin, Consolatoria [VD16 S 7424]. 206 Vgl. WA 54, 111,18; 113,8; 114,30–34. Zu diesem Motiv s.a. STEIGER, Exempla, 46–48. Zu Luthers Rezeption der Vitas Patrum s.a. BATLLE, Adhortationes, 296f. 207 Vgl. WA 54, 109,9f.; 111,20; s.a. ebd., 113,8; 114,30 bzw. MAJOR, Vitae Patrum, fol. 226v: „SECUNDA || PARS CONTINENS || PATRUM SELE= || cta facta ac dicta me= || morabilia“. Zur Tendenz der faktischen Konzentration auf die „dicta“ s. BRÜCKNER, Historie, 86 mit Anm. 279. 208 Vgl. MÜLLER, Tischgespräche, 78. 201 202

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„Die ‚Väterworte‘ führen ihrer Struktur nach, wie Wilhelm Bousset gezeigt hat, religions-geschichtlich an eine Nahtstelle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit heran: zum Typus heiliger, ‚orakelhafter‘ Aussprüche und ‚Urworte‘ charismatischer Persönlichkeiten.“209

Folglich konvergierte ein Verständnis der Sammlungen vom Hintergrund der Apophthegmata Patrum her mit der massiven autoritativen „Aufladung“ der Aussagen Luthers, die bereits am Zeugnis des Cordatus und damit in Bezug auf die (vorgeblichen) Anfänge der Mitschriften herausgearbeitet worden ist. Hinzu kommt, dass vom „Kaleidoskop“ der Formen und Gehalte auch die breite Extension des als „Tischreden“ Bezeichneten zusätzlich begründet werden könnte. Zum anderen weisen die „Vätersprüche“ einen komplexen Entstehungsund Rezeptionsprozess auf, der – lässt man den zeitlichen Faktor außen vor – weitestgehend mit der „Tischredenüberlieferung“ konvergiert, wie die folgende Aussage Guys zeigt: „Les collections d’Apophtegmata [sic!] Patrum ayant été incessamment recopiées, traduites et remaniées durant tout le Moyen-Age, il arrive que la même pièce se retrouve dans plusieurs collections sous une forme plus ou moins transformée.“210

Gerade solche „Mehrfachüberlieferungen“ können für Aneignungsprozesse sensiblisieren, insofern laut Guy drei Entwicklungsstufen zu unterscheiden sind: 1. treue Wiedergabe der mündlichen und persönlichen Unterweisung des Meisters an den Schüler; 2. redaktionelle Konzentration auf den Lehrgehalt unter Streichung des mündlichen und persönlichen Charakters; 3. Verwendung in neuen Kontexten, die zur Umdeutung des ursprünglichen Sinnes führt.211

Dass tatsächlich diese „binnenchristliche“ Variante – zumindest bei einigen Tradenten – mitschwang, kann nun anhand der Handschriftenüberlieferung gezeigt werden, v.a. wenn der zeitgenössischen „Äquivalenz“ von „Apophthegmata“, „Dicta“ und „Sententiae“ Rechnung getragen wird. Zu verweisen ist zum einen noch einmal auf die Berliner Handschrift, in der laut Titel „Herliche Schöne vnnd Liebliche Apophtegmata [Hervorhebung; I.K.], des Ehrwirdigen vnnd Hochgelarthenn Hernn Docto. Martinj Lutherj“ bzw. „varia et utilissima dicta [Hervorhebung; I.K.] sanctissimi Viri Doctoris Martini Lutheri“212

209 MOOS, Kunst, 46. Dies gilt letztlich unabhängig vom aktuellen Forschungsstreit, nach dem die ursprüngliche mündliche Tradierung der Überlieferung hinterfragt wird (s. hierzu MÜLLER, Weg, 20–27). 210 GUY, Note, 63. 211 Vgl. GUY, Note, bes. 6. 212 Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. qu. 97, fol. 1.

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zusammengestellt worden sind. Nun stellt diese Abschrift der Cordatischen Tradition aus dem Jahr 1566/67 ein relativ spätes Zeugnis dar, doch tritt ihm mit der sog. „Sammlung Khumer“ ein früheres zur Seite: „Laus Deo. Anno Domini 1554 dominica post Exaltationis crucis, quae erat 17. dominica post Trinitatis, haec apotegmata [Hervorhebung; I.K.] exscripsi et finem imposui CK.“213

Hinzu kommen noch eine undatierte, auf mehrere Hände zurückgehende Zwickauer Handschrift214 und bedingt das sog. Lauterbachsche Tagebuch von 1538.215 Anhand den beiden erstgenannten wird die hohe autoritative „Aufladung“ Luthers greifbar („sanctissimus vir“; „reverendus pater“), wobei insbesondere die Rede von „pater“216 in Verbindung mit „Apophthegma“ 213 Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. A 180, fol. 253r; s.a. den Titel: „Apo[ph]t[h]egmata Reverendi Patris Martini Lutheri“. 214 Zwickau, Ratsschulbibliothek, Cod. ms. LXX, Titel: „Adiaphoristica et Lutheri quaedam Apophthegmata“. 215 Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. I 423, Einbandrücken: „Apophthegmata Lutheri“. 216 Dieser Ehrentitel war insbesondere nach Luthers Tod weit verbreitet. Verstärkt wird er von Justus Jonas aufgegriffen: Vgl. a) Briefe Jonas’, z.T. noch zu Lebzeiten Luthers verfasst: Z.B. das Schreiben an Fürst Georg vom 20. März 1545: BrWJJ 2,153 [Nr. 749]: „Libellus rev. patris d. Mart. Lutheri edetur intra octiduum [d.h. Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet; I.K.], et scripsit filius meus m. Ionas, quod rev. pater Martinus mihi mittet transferendum latine“). Nicht selten aber auch in Verbindung mit Erwähnung von Luthers Tod: Z.B. in einem Schreiben an Melanchthon (CR 6,86): „ex obitu reverendi patris D. Doctoris Martini“. Dabei kann diese Anrede noch gesteigert werden in „obitu reverendissimi et charissimi patris nostri doctoris Martini“ (BrWJJ 2, 185 [Nr. 789]), s.a. Jonas an Kurfürst Johann Friedrich, 18. Februar 1546: BrWJJ 2,177 [Nr. 781]: „vnser aller liber vatter doctor Martinus Lutherus“. Im Kontext des Schmalkaldischen Krieges kann Jonas dann Johann Friedrich I. „allerley rede vnd wortte rvdi d. doct. Martini, so disse zeiten belangen, welche ich von ime gehortt, vormelden“ (BrWJJ 2,210 [Nr. 822]); b) seine Leichenpredigt auf Luther: vgl. Jonas, Leichenpredigt, 34: „Predigt […] vom Tode und Absterben unsers lieben Vaters D. Martini“; s.a. ebd., 36.41.44.47). Coelius bezeichnet Luther demgegenüber in seiner Leichenpredigt als „lieber Herr und Vater in Christo, D. Martin Luther“ (Coelius, Leichenpredigt, 55). Bugenhagen verwendet ebenfalls den Titel „Vater“, verbindet ihn aber mit dem Adjektiv (herz)lieb (s. Bugenhagen, Leichenpredigt, 88.91.92.95.97. Bei Melanchthon ist die Anrede dann gesteigert zu „reverendus vir D. Martinus Lutherus carißimus pater et praeceptor noster“ (Melanchthon, Oratio in funere, 214). c) den „offiziellen“ Bericht von Luthers Sterben: Hier wird Luther durch Jonas und andere, z.B. Coelius, gemeinsam als „reverende pater“ angesprochen – s. WA 54, 490,32; 491,16; 492,10; 496,29. Diese Anreden werden von Coelius in seiner Predigt bestätigt (s. COELIUS, Leichenpredigt, 63.64). Neben die bisher Genannten treten zudem – vielleicht nicht zufällig mit Jonas eng vertraute Personen – wie Hieronymus Weller (vgl. z.B. Hieronymus Weller an Justus Jonas. 23. April 1549: BrWJJ 2, 276 [Nr. 899]:

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die Tradition der „Vätersprüche“ bzw. eine Analogisierung Luthers mit den „Mönchsvätern“ insinuiert. Insofern neben die Handschriftentradition zudem analoge briefliche Belege treten,217 wäre zu fragen, ob Überlieferungen, wie z.B. der Gothaer Kodex Chart. A 402, die den Ehrentitel „Pater“ zwar ohne „Apophthegmata“, aber mit „Colloquia“ verbunden aufweisen, nicht auch diesen Verstehenshorizont bewusst alludieren.218 Vor diesem Hintergrund mag es kein Zufall sein, dass in Bezug auf die Rede von „Dicta“ bei einem Überlieferungsstrang die autoritative Legitimation des Gesammelten im Vordergrund steht.219 Z.T. werden die „dicta“, wie anhand des oben zitierten Titels der Berliner Handschrift greifbar, geradezu panegyrisch-monumentalisierend erhöht.220 Die Rede von „Aurea Dicta“ wiederum erscheint, zumal auch diese zurückgebunden ist an die Rede vom „reverendus pater“, geradezu als Anspielung auf die „Etenim cum tuae erga me summae benevolentiae, tum vero illius dulcissimae consuetudinis nostrae et conversationis in aedibus r. patris nostri d. Lutheri memoriam mihi renovarunt“ – s.a. WELLER, Opera, I,405; WELLER, Schrifften, I,876; II,42) oder Anthonius Otho (s.u. Anm. 217). Aufgrund der mit dieser Begrifflichkeit ausgedrückten Wertschätzung Luthers verwundert es wenig, dass diese auch bei Aurifaber greifbar ist (vgl. z.B. exponiert den Titel seines ersten Briefbandes: „EPISTOLARUM || REVERENDI PATRIS || Domini D. Martini Lutheri […]“ (BrA 1, fol. A 1r). 217 Anthonius Otho an Jonas. Nordhausen, 1550 (?): BrWJJ 2,299f. [Nr. 913], hier: ebd., 300: „Dum igitur tempus habeo, per Christum obsecro et obtestor, ut aliquando S. patris Lutheri εὐαγγελικώτατὸς cursus Iona, Iona inquam praecone orbi et praecipue ecclesiae Dei praecantetur. Scio et rectissime scio, iusta precor, nescessaria posco, sacra flagito, deo non desinam, non quiescam, quousque iudicium convertatur in misericordiam. Scriptum est enim: [… Lk 11,8]. Idem eciam faciam ipse ego ille περὶ τῶν τοῦ ἁγίου Λουθέρου ἀποφθεγμάτων, κλασμάτων, Iona, Iona inquam collectore. Quid? audivi, gustavi, exilii (?) memini, quiescat et abeat, qui petere vetat. Es molestus? nihil audio. Venis importuno tempore? utinam. Date igitur quae volo et abibo“; s.a. Antonius Otho an Justus Jonas, Nordhausen, 17. Mai 1549: BrWJJ 2,277–279. 278 [Nr. 900]. 218 Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 402, fol. 1r: „[…] COL || loquiorum in mensa R[everendi] P[atris] Domini Martini Lutheri || sacrae theologiae doctoris etc.“; s.a. Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. III 20aa, fol. Ir: „Colloquia reverendi in Chr[ist]o Patris D[octoris] M[artini] L[utheri] piae memoriae […]; ebd., fol. 1r. 219 D.h. die „dicta“ werden als „annotata“ bzw. „narrata“ und zwar „ex ore“ und „in familiaribus colloquiis“ expliziert (vgl. S. 29f. Anm. 147 bzw. Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. A 180d, fol. 120r; Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 380, [Titel]; B 15, fol. Ir; B 148, [Aufschrift] bzw. Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. germ. Oct. 442, fol. 78r. 220 Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. qu. 97, fol. 1. Ähnlich: ebd., Ms. germ. Oct. 442, fol. 78r: „dicta insignia“. Die Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 722 Helmst. spricht auf fol. 2r nur von „quaedam insignia“, was in der Handschrift durch Zwischenüberschriften mittels „Iudicia et sententiae Lutheri“ (ebd., fol. 275) aber auch „Dicta Lutheri“ (ebd., fol. 281r; 329r) expliziert wird.

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„Legenda aurea“.221 Parallel finden sich Ansätze eines Überlieferungsstrangs, der sich stärker an der humanistischen Variante orientiert, was in der Übernahme des Titels des antiken Modells, d.h. der Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus greifbar ist, jedoch unter Voranstellung der „Dicta“ und z.T. erst nachträglich ergänzt.222 Ein Zeuge betont ähnlich wie Erasmus die „Vertrautheit“.223 Von „Sententiae“ spricht dann insbesondere die auf Ludwig Rabe zurückgehende Tradition. Inwiefern diese von der zeitgenössischen Nähe des Begriffs zu den Apophthegmata herkommt224 oder eher noch den traditionellen Hintergrund in Blick hat, nach dem damit ein kurzes Exzerpt aus der Väterliteratur bzw. erläuternde Aussagen zeitgenössischer Magister in Bezug auf dogmatische bzw. biblische Fragen zu verstehen sind,225 kann nicht abschließend geklärt werden. Für eine Nähe zu den „Apophthegmata“ spricht jedoch die explizite Rückbindung an die Oralität implizierende „Tischsituation“: „D. Martini L. Sententiae, Die Jn mensa eius, etwann gefallen vnnd durch den anhaeldischenn Cantzler Luodwig Raben, allso zusammen colligirt.“226

Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11847, fol. 2: „Aurea Dicta […] tam ex libris quam ore Reuerendi Patris Martin. Luth. […].“ Diese Allusion wird durch die Nennung weiterer Begriffe zur Umschreibung der inhaltlichen Extension nicht aufgehoben. Vielmehr spiegelt diese die Offenheit bzw. Breite der Gattung Apophthegmata Patrum wider (zum vollständigen Titel s. S. 24 Anm. 118). 222 Zu den entsprechenden Handschriften s. S. 48 Anm. 240. Zur Rezeption bzw. Bedeutung des Werkes von Valerius Maximus im Humanismus s. die auf S. 20 in Anm. 95 genannte Literatur. 223 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 943, fol. 2r: „Martini Lutheri Privata Dicta, Consilia, Iudicia, Vaticinia, Item Epistolae, Sales, Consolationes hinc inde collectae Anno 1567.“ 224 S. o. S. 34f. 225 Näheres hierzu s. KLITZSCH, Scholastische Theologie, 45f. 226 Gotha, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha Chart. B 153, fol. 83r; s.a. die Abschrift im sechsten Teil der Hamburger Handschrift (Staats- und Universitätsbibliothek) Cod. 114 in scrinio – ediert von Kroker in WA 2, 253–272. Noch offener ist der – wohl auf späterer Hand zurückzuführende – Titel der undatierten Dessauer Handschrift Z 6, Nr. 897 (Dessau, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau), der „Luther, Briefe, Sentencien, Epitaphium. 1530–1546“ lautet. Die Repräsentanten der nach Loci geordneten Lauterbachschen Tradition weisen die „Sententiae“ ebenfalls der „Tischsituation“ zu, dort treten aber verschiedene weitere Begriffe hinzu (vgl. Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Außenstelle Franckesche Stiftungen, D 116 2°, Titelblatt sowie die weiteren Überlieferungen: Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Mss. A 91 und 92; Gotha, Universitätsund Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Chart. A 262, fol. 2r; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 72 Extr., [Titelblatt] – Zitat: S. 35 Anm. 173). 221

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Die Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 30. 3. Aug. 4° kennt zudem eine analoge panegyrisch-monumentalisierende Aufladung, wenn von „insignes quaedam sententiae“ gesprochen wird. Die schlicht anmutende Zwischenüberschrift „verba M. Lutheri“227 könnte ergänzend als Reminiszenz der Verba seniorum anzusehen sein, so dass auch hier ein direkter Rezeptionshinweis in Richtung Apophthegmata Patrum vorläge. Insofern zeigt die Handschriftenüberlieferung, dass zumindest teilweise der Anspruch erhoben wurde, ein äquivalentes Werk bzw. ein Werk äquivalenter Autorität zu publizieren, das ganz auf Luther als Zentralgestalt, den „pater“ der Anhänger der Wittenberger Reformation, konzentriert worden war. Den „verba Lutheri“ konnte insofern in der noch zu Luthers Lebzeiten einsetzenden „Tischredenüberlieferung“ eine Dignität zuerkannt werden, durch die das Prinzip des αὐτος ἔφα auf die Spitze getrieben wurde, bis hin zur Spitzenaussage „Tunc dixit pater noster Lutherus […]“228.

In Ergänzung zur damit abgeschlossenen, positiven Konturierung der Gattung „Tischreden“ sind aufgrund der dargestellten Traditionen zudem folgende Abgrenzungen vorzunehmen: zum einen von den „Dicta Melanchthonis“, zum anderen, damit zusammenhängend, von der „Exempelliteratur“ im strikten Sinne sowie zum dritten von Florilegiensammlungen. Die wissenschaftliche Erforschung der sog. „Dicta“ bzw. „Exempla Melanchthonis“ steht noch ganz am Anfang.229 Dennoch deutet sich zum einen eine große Nähe zwischen diesen und den „Tischreden“ an, bis in die Überlieferungszusammenhänge hinein.230 Angesichts der in Bezug auf die Kompilationsliteratur dargestellten Methodik ist es wenig verwunderDie Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 722 Helmst. unterscheidet in ihren Zwischenüberschriften: „Iudicia et sententiae Lutheri“ (ebd., fol. 275) und „Dicta Lutheri“ (ebd., fol. 281r.329r), was kaum zur weiteren Konturierung des Rekurses auf den Begriff „sententia“ beiträgt. 227 Vgl. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 30. 3. Aug. 4°, fol. 49v: „Insignes quaedam sententiae D. Martini Lutheri hinc inde in libros scriptae“ bzw. ebd., fol. 134r. 228 WA.TR 3, 361,14 [Nr. 3502]. 229 Vgl. hier und im Folgenden die verschiedenen Publikationen von Alexander Bartmuß, die auch dessen Suchbewegungen im Kontext seiner im Entstehen begriffenen Dissertation widerspiegeln: BARTMUß, Melanchthon erzählt; BARTMUß, Loci; BARTMUß, Dicta; BARTMUß, Gruppenidentität – bedingt auch BARTMUß, Mathesius, bes. 61f. Zur Vernachlässigung der „Dicta Melanchtonis“ seitens der Forschung s. exemplarisch die kurzen Ausführungen Krokers (Kroker, Anekdoten) bzw. den Beitrag Walz, der vornehmlich eine Wiedergabe einzelner „Dicta“ darstellt (WALZ, Dicta). 230 S. besonders BARTMUß, Gruppenidentität.

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lich, dass Beides z.T. in derselben Handschrift überliefert ist und es auch „Tradenten“ gibt, die von der „Tischredenüberlieferung“ her bekannt sind. Zum anderen zeichnen sich deutliche Unterschiede ab: Weniger von Belang ist der zeitliche Aspekt, d.h., dass die auf Melanchthon bezogenen Sammlungen erst ab 1550 greifbar sind, was wohl in nicht geringem Maße auf die durch die innerprotestantischen Streitkreise aufgeworfene Frage nach der Autorität Melanchthons zurückzuführen sein dürfte. Stärker wiegt hingegen, dass von den Tradenten selbst das Gesammelte anders eingeordnet wird. Dies kann am Beispiel der zweibändigen Sammlung von Johann Reckemann verdeutlicht werden, der ab 1554 in Wittenberg studierte.231 Im ersten Band finden sich ab fol. 83v „Sermones domestici excepti ex ore Doct[oris] Marth[ini] Lutheri. Anno 1530“232,

im zweiten Band hingegen „Historiae collectae Wittebergae ex lectionibus D[omini] praeceptoris Philippi Melanthonis“233.

Der damit angedeutete unterschiedliche „Sitz im Leben“, d.h. „häusliches Umfeld“ / „öffentliche Vorlesung“, ist mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen zu den „Tischreden“ nicht überzubewerten.234 Beispielsweise rekurriert Simon Sulcerus in seiner Epistola Dedicatoria zu Johannes Manlius’ weit verbreiteten Druckfassung der „Dicta Melanchthonis“ neben Vorlesungen explizit auf „familiaria colloquia“235 sowie Tischmetaphorik.236 Entscheidender ist vielmehr, dass der Begriff der „Historiae“ ein S. BARTMUß, Gruppenidentität, 84f.; SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 164f. Zitiert nach SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 164. Die Jahreszahl ist in „1540“ zu korrigieren. 233 Zitiert nach SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 164. In analoger Weise ist die Sammlung von Ulrich Wendenheimer aus dem Jahr 1557 überschrieben: „Historiae quaedam recitate a preceptore Phil. Mel. inter publicas lectiones“ (zitiert nach BARTMUß, Gruppenidentität, 82). 234 Stärker gewichtet Bartmuß diesen Aspekt (vgl. BARTMUß, Gruppenidentität, 81; BARTMUß, Melanchthon erzählt, 38). Zu hinterfragen wäre jedoch v.a. die angelegte Unterscheidung „privat / öffentlich“. 235 Vgl. MANLIUS, Locorum communium collectanea, fol. [α 8v]. Zum Werk und dessen Verbreitung, zu der auch die von Johann Huldreich Ragor erstellte Übersetzung beitrug, s. WACHINGER, Dekalog, 251–255.258–261; REHERMANN, Predigtexempel, 176–180.217–220; BARTMUß, Dicta, 224f.; BARTMUß, Melanchthon erzählt, passim sowie insbesondere BARTMUß, Loci. Auf die Manlische Sammlung greift dann 1566 Nikolaus Ericeus zurück, der in seinem Werk verschiedene Autoren bzw. Schriften kompiliert – namentlich hervorgehoben werden Luther und Melanchthon (vgl. Ericeus, Sylvvla sententiarum). Dies zeigt, dass in den 1560ern ein hohes Interesse an entsprechenden Sammlungen vorhanden war. 236 Vgl. Manlius, Locorum communium collectanea, fol. β 2v: „Collegit ergo has (d.h., lucubrationes Philippi; I.K.) veluti ex divite mensa reliquias […].“ 231 232

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sehr viel engeres Auswahlkriterium darstellt und das Gesammelte deutlicher in Richtung Exempel einordnet. Diese Tendenz prägt dann auch Manlius’ Locorum communium collectanea, die erstmals 1562 publiziert wurde und nach Brückner „in gewisser Weise das erzählerische Gegenstück zu den Colloquia Lutheri dar[stellt]“237.

Dort sind primär „Beispiele“, „Anekdoten“, „Zitate“ Melanchthons, ergänzt durch eigene „Lesefrüchte“ Manlius’, nach Loci und – im zweiten Band – nach dem Dekalog zusammengestellt und zudem mittels vorangestelltem „Stichwortregister“ auffindbar. Insofern sind diese Überlieferungen deutlicher als die „Tischredenüberlieferung“ in den Kontext der Exempelsammlungen zu stellen, zumal auch Zitate antiker Schriftsteller aufgegriffen wurden.238 Demgegenüber haben die vorangehenden Ausführungen gezeigt, dass die „Tischredenüberlieferung“ – zumal in ihrer Breite – kaum vornehmlich als „Materiensammlung“ für Predigten, Vorträge, Publikationen etc. bzw. die „häusliche Katechese“ verstanden werden kann. Deshalb wurde der Begriff „Exempelsammlungen“ als Bezeichnung trotz punktueller Anklänge an die zeitgenössische Mode der Dicta et facta virorum illustrium bewusst nicht aufgegriffen,239 zumal auch die Handschriftenüberlieferung nicht erkennen lässt, dass die „Tischreden“ verstärkt als Exempelliteratur verstanden worden wären.240 Letztlich konvergiert diese Abgrenzung der BRÜCKNER, Historien, 60. Zu den protestantischen Exempelsammlungen s. REHERMANN, Predigtexempel; REHERMANN, Exempelsammlungen; s.a. POHLIG, Gelehrsamkeit, 235–245; WACHINGER, Dekalog sowie STEIGER, Exempla. 239 Anders: GEHRT, Gotha, 195; BARTMUß, Tischreden, 688.691; BARTMUß, Mathesius, 54f. 240 Nur wenige Beispiele greifen im Titel explizit – jedoch unter Voranstellung der „dicta“ – auf die Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus’ zurück (s. S. 45). Damit sind diese tendenziell der Exempelliteratur zugehörig. Doch muss selbst dieser Bezug relativiert werden. Der Begriff „exemplum“ an sich findet sich nur im Cod. Guelf. 1169 Helmst.: „Exempla insignia factorvm dictorvmqve memorabilivm, et principvm et privatorvm, collecta ex lectionibus D. praeceptoris Philippi Melanthonis at aliorvm“ (Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 1169 Helmst., Titel), ist aber – wie der Titel zeigt – primär an Melanchthon und wiederum dessen Vorlesungen zurückgebunden. „Tischreden“ Luthers finden sich nur auf wenigen Seiten (vgl. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 179f.). Ebenso bietet die mit „Memorabilia dicta et facta Lutheri“ betitelte Leipziger Handschrift neben „Tischreden“ der „Sammlung Platos“ Anekdoten Melanchthons, Bugenhagens u.a. (vgl. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 163f. bzw. Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. IV 115a, Titel), so dass der Rekurs auf das Modell des Valerius Maximus’ jeweils auch inhaltlich begründet ist. Der dritte Zeuge, eine Nachschrift der Mathesischen Sammlung, die dessen Schüler Georg Nigrinus für den Eigenbedarf erstellt hat, wird kaum ursprünglich auf dem Rücktitel 237 238

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„Tischredenüberlieferung“ von den Exempelsammlungen mit den Ausführungen Rehermanns, der diese in seiner Studie zu den protestantischen Predigtexempel nicht berücksichtigt241 bzw. in der Studie zu den Exempelsammlungen selbst die späten Druckausgaben der „Tischreden“ (gemeinsam mit Manlius’ Sammlung) gewissermaßen zur Vorgeschichte gehörend versteht.242 Die erste große protestantische Exempelsammlung stellt laut Rehermann Hondorffs Promptuarium Exemplorum aus dem Jahr 1568 dar, das zahlreiche weitere Auflagen erlebte.243 Wenn zu dessen Quellen neben antiken Autoren zugleich zeitgenössische gehören und dazu auch die „Colloquia, Meditationes, Consolationes, D. Mart. Lutheri“ gerechnet werden, was weniger auf Aurifabers Druckausgabe als die nach Loci geordnete Lauterbachsche Tradition verweist, dann zeigt dies, dass die „Tischredenüberlieferung“ selbst von solchen Sammlungen ausgewertet wurde, ohne als „Teilsammlung“, d.h. als Ganzes, in die Sammlung eingegangen zu sein.244 Dem korrespondiert die sich in der Literaturwissenschaft abzeichnende Tendenz zum „funktionalen“ Verständnis von „Exempel“ – unter Eingrenzung auf „Narratives“.245 Insofern konnten einzelne „Stücke“ der „Tischredenüberlieferung“ als Exempel herangezogen werden, ohne dass die „Exempelhaftigkeit“ zu den produktionsbestimmenden Aspekten gerechnet werden müsste.

als „D. Mart. Lutheri dicta et facta memorabilia a coaevo collecta. MS.“ bezeichnet worden sein. Im Codex selbst wird der Inhalt mittels „ex colloquiis sev scriptis … D. M[artini] L[utheri]. 1550“ benannt (vgl. Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Theol. 1690, Rückentitel bzw. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 154). Ähnliches gilt für die Münchner Handschrift: vgl. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 939, 3. Vorsatzblatt: „Dicta et facta R[everendi] D[omini] D[octoris] Martini Lutheri et aliorum, imprimis reformatorum“ (vgl. Schäufele, Beständeübersicht, 168f. mit HALM / LAUBMANN, Catalogus, 212). 241 Vgl. REHERMANN, Predigtexempel. 242 Vgl. REHERMANN, Exempelsammlungen, 588–594; Zitat: ebd., 628: „Erste Anstöße für protestantische ‚Geschichten‘-Sammlungen gab die zeitgenössische Mode der Dicta et facta virorum illustrium, nun bezogen auf die Wittenberger Reformatoren in den Colloquia Lutheri-Sammlungen (AURIFABER / STANGWALD, REBENSTOCK) und den Collectanea locorum communium, nach angeblichen Aussprüchen Melanchthons (MANLIUS / RAGOR).“ 243 HONDORFF, Promptuarium Exemplorum [VD16 H 4729]. Zu diesem Werk s. SCHADE, Promptuarium; WACHINGER, Dekalog, 245–251.261–263; REHERMANN, Predigtexempel, bes. 38–43.180–197.221–227. 244 Vgl. das Autorenverzeichnis: HONDORFF, Promptuarium Exemplorum, fol. Hand 3v–Hand iiiiv bzw. exemplarisch ebd., fol. 73v.84r.86r. 245 Zur Strittigkeit der Gattungsdefinition bzw. des sich abzeichnenden Kompromisses vgl. den von Haug und Wachinger herausgegebenen Sammelband sowie dort insbesondere die Ausführungen von DAXELMÜLLER, Narratio, hier: 77–81 und HAUG, Rahmen, bes. 264f.; zur Frage s.a. MOOS, Topik.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

Prinzipiell methodisch-formal eng verwandt mit der „Tischredenüberlieferung“ sind die Lutherflorilegien. Beide gehören zur Kompilationsliteratur, doch ist als entscheidendes Differenzkriterium die unterschiedliche Genese respektive Materialbasis anzusehen. Lutherflorilegien basieren auf Auszügen aus Schriften Luthers, sind letztlich im Kontext der beiden großen Werkausgaben zu verorten und als Antwort auf die Krise des Schmalkaldischen Krieges bzw. des Interims und der daraus resultierenden Streitkreise zu verstehen.246 Die „Tischredenüberlieferung“ setzte demgegenüber sehr viel früher an, beruht auf selektiven, mit hohem redaktionellen Anteil versehenen Nachschriften bzw. Abschriften derselben, deren ursprünglicher Anlass ein „gesprochenes Wort“ Luthers darstellte. Exzerpte aus publizierten Schriften konnten ebenso wie Abschriften von handschriftlichen Notizen Luthers etc. hinzutreten, waren aber nicht die vorrangige Basis. Damit sind die „Tischredenüberlieferungen“ vor dem zeitgenössischen Hintergrund hinreichend konturiert, um die damit aufgezeigten methodischen Impulse explizierend auswerten zu können. 2.3.

Explizierende Auswertung

Im Vorangehenden wurden zunächst überlieferungsimmanente Hinweise, dann der externe Kommunikationskontext in Bezug auf das als „Tischreden“ Bezeichnete ausgewertet. Dabei ist deutlich geworden, dass ein strikt formgeschichtlicher Zugang, der auf eine enge Definition zielt, vor dem zeitgenössischen Hintergrund kaum möglich ist. Vielmehr ist die Überlieferung grundlegend von der Kompilationsliteratur her zu verstehen und muss auch von hier – mit unterschiedlichen Zuspitzungen – methodisch ernst genommen werden. Nicht minder grundlegend ist die Einsicht, dass die aufgezeigten Einflüsse, d.h. die (fiktive) Sympotik, die implizite Auseinandersetzung mit Erasmus, die „Apophthegmatik“ im Allgemeinen bzw. die Apophthegmata Patrum im Besonderen, die verschiedenen Überlieferungen in unterschiedlichem Maße prägten. Z.T. ist dies diachron, d.h. von verschiedenen Überlieferungsstufen her zu begründen, z.T. von den unterschiedlichen Überlieferungsträgern her. Vor diesem Hintergrund ist nun noch einmal die Entstehungsgeschichte in methodischer Perspektive in den Blick zu nehmen. Zunächst ist da246 Vgl. den grundlegenden Artikel KOCH, Lutherflorilegien, der sich auf solche Schriften konzentriert, „die Luthers Gestalt als ganze – eventuell unter einem bestimmten Aspekt – vorstellen wollen, indem sie Auszüge aus seinen Werken bieten und ihn so selbst sprechen lassen wollen“ (ebd., 105). S.a. die darauf aufbauende Studie Sommers, der sich auf Sammlungen von Prophezeiungen Luthers konzentriert (vgl. SOMMER, Prophet) sowie KAUFMANN, Ende, bes. 373–381.

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rauf zu verweisen, dass von den frühen Trägern kaum bereits vorliegende Texte, sondern primär selbst angefertigte „Mitschriften“ von „Äußerungen“ Luthers kompiliert wurden. Diese nur in Ansätzen überlieferten „Mitschriften“247 wie deren Überarbeitungen, d.h. die „Nachschriften“, sind somit prinzipiell als „reportationes“ anzusehen. Man wird insofern bereits auf dieser von Kroker als „Urschriften“ bezeichneten Überlieferungsstufe nur mit Vorbehalt von einem „direkten“ Zugang zu den „authentischen“ Lutherworten sprechen können. Zu beachten ist v.a. der kategoriale Unterschied zwischen „mündlich“ und „schriftlich“. Mit Blick auf die mediävistischen Forschungen zu scholastischen „reportationes“ ist deshalb prinzipiell festzuhalten: „Es ist für die Rekonstruktion und Interpretation eines Textes mit entscheidend, ob es sich um eine der vielen studentischen Mitschriften oder um eine endredigierte, autorisierte Fassung handelt.“248

Nun waren von den bekannten „Mitschreibern“ zumindest die Hauptträger der Überlieferungen, wie Kroker apologetisch betont, keine „Schüler“ oder „Studenten“, sondern „verständige und gelehrte Männer“.249 Dennoch wird man die „Mit-“ bzw. „Nachschriften“, anders als Kroker postuliert, nicht auf gleicher Ebene anzusiedeln haben wie Editionen von Predigten Luthers aufgrund von Mitschriften, die sich Luther zudem oftmals durch Vorworte zu eigen machte.250 Dies gilt weniger aufgrund der sich in den Texten unterschiedlich niederschlagenden Bilingualität der „Mitschreiber“ (und Luthers)251, als vielmehr aufgrund der, entgegen der Behauptung des Cordatus’, alles mitgeschrieben zu haben, „Punktualität“. Das, was mitgeschrieben wurde, war selektiv und im hohen Maße interessengeleitet, keine „Wortprotokolle“, wie z.B. anhand von „Mehrfachüberlieferungen“ desselben Überlieferungsstückes oder der im Zug der Überarbeitung ergänzten Einleitungen deutlich wird.252 Zudem ist mit Blick auf Einsichten der Forschungen zur Rezeptionsästhetik bzw. der Erinnerungsforschung darauf zu verweisen, dass die „Selektivität“ und „SubjektiS. hierzu S. 3 Anm. 7. RENTSCH, Quaestio, 74. S. hierzu auch MEIER, Zeugniswert, bes. 7f. 249 Vgl. KROKER, Quelle, 95. 250 Gg. KROKER, Quelle, 94f. 251 Zur Sprachmischung s. die auf S. 7 in Anm. 24 benannte Literatur. 252 Vgl. KROKER, Quelle, 103–106. Die Interessengeleitetheit wird am eindrücklichsten in der Sammlung Rabes deutlich, der laut Kroker v.a. dann mitschrieb, wenn „das Gespräch auf die Fürsten, den Adel, die Bürger oder den Bauernstand [kam; …]; theologische Stoffe fesseln ihn weniger, literarische gar nicht“ (WA.TR 2, XIXf.). Wahl verweist zusätzlich darauf, dass Rabes Mitschriften auch eine „soziale Tendenz“ eignet (vgl. WAHL, Überlieferung, 35–38). Bekannt ist auch die Neigung von Cordatus, zu ungunsten von Luthers Ehefrau, Katharina von Bora, nachzuschreiben (vgl. BREUNINGER, Untersuchungen, 28.62). 247 248

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

vität“ der Aneignung im Prozess des Hörens und Mitschreibens selbst angelegt sind.253 Hinzu kommen unterschiedliche Sprachformen der Mitschreiber, d.h., dass damit gerechnet werden muss, dass in der ostmitteldeutschen Lautgestalt Gehörtes von oberdeutsch „Sozialisierten“, wie z.B. Georg Rörer und Veit Dietrich, in die eigene Sprachform umgesetzt wurde.254 Ohne Stolts These von der „Mischsprache“ als solche zurückweisen zu wollen, bleibt somit die apodiktisch formulierte kritische Anfrage von Schildt prinzipiell bestehen: „[…] nichts rechtfertigt die Gleichsetzung der Sprache der Tischredennachschriften mit dem wirklich gesprochenen Lutherwort.“255

Deshalb wird man auch Krokers These, die „deutschsprachigen“ Anteile der „Tischreden“ seien „im wesentlichen wirklich wortgetreu“, kaum zustimmen können.256 Hinzu kommen die redaktionelle Überarbeitung der Mitschriften zu Nachschriften sowie die – nicht minder redaktionell überarbeiteten – Ergänzungen durch Abschriften der Nachschriften anderer.257 D.h. man kommt nicht umhin, bereits auf dieser Ebene die Frage nach den redaktionellen Anteilen stärker zu gewichten. Dass dies selbst für den als „zuverlässig“ geltenden Veit Dietrich gilt, hat Breuninger implizit aufgezeigt, wenn er darauf hinweist, dass dieser als Abschreiber „häufig Kürzungen oder Umarbeitungen vor[nehme]“258.

Eine Vorstellung davon, wie weitreichend diese Eingriffe sein konnten, vermittelt zudem die in der „Zellerfelder Handschrift“ Calvör Ze 20 greif253 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 128f. Zur Rezeptionsästhetik vgl. allgemein den Sammelband WARNING, Rezeptionsästhetik sowie im Speziellen ENGEMANN, Homiletik, 88–95, der exemplarisch anhand der Predigt die Komplexität von Kommunikationsprozessen verdeutlicht. Zur Erinnerungsforschung s. an dieser Stelle insbesondere FRIED, Schleier. Dieser betont, ausgehend von den neurologischen Grundlagen des Erinnerns, die Notwendigkeit einer hermeneutischen Skepsis gegenüber historischen Quellen. Zur kulturwissenschaftlich ausgerichteten Gedächtnisforschung und ihrer Bedeutung für die Frage nach der Gattung bzw. Methodik s.u. S. 60–69. 254 Vgl. SCHILDT, Sprachform 140 – dort jedoch auf Predigtnachschriften bezogen als Argument ausgeführt. 255 SCHILDT, Sprachform, 146. Letztlich räumt dies auch Stolt selbst – zumindest bedingt – ein, wenn sie ausführt: „Selbstredend sind die Aufzeichnungen nicht von der gleichen Authentizität wie ein Tonband. In vielen Fällen, jedenfalls bei längeren Texten, wird es sich um Konzentrate oder Destillate handeln. Es gibt jedoch keine Quelle, die die damals gesprochene Sprache besser widerspiegelt als diese, näher kann man ihr nicht kommen“ (STOLT, Rhetorik, 9). Zu den Forschungen Stolts und der Kontroverse mit Schildt s. nochmals S. 7 Anm. 24. 256 Gg. KROKER, Quelle, 103. 257 Vgl. KROKER, Quelle, 112. 258 BREUNINGER, Untersuchungen, 24.

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bare, von Cordatus selbst wohl 1536/37 vorgenommene Überarbeitung seiner Sammlung.259 Verwiesen werden kann des Weiteren auf Michels summarische Charakterisierung von Rörers redaktionellen Eingriffen in den von ihm edierten Text der Asterisci: „Rörer konstruierte einen idealen Luthertext für seine Zeit. Dabei schrieb er Gedanken fort und aktualisiert sie vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen und Erlebnisse mit Luther. Er war bemüht, ein Lutherbild zu zeichnen, das bereits 1518 die volle reformatorische Höhe erreicht hatte.“260

Man wird zumindest damit rechnen müssen, dass Rörer in Bezug auf die mit seinem Namen verbundene „Tischredenüberlieferung“ ähnlich vorgegangen ist. Die damit plausibilisierte Notwendigkeit, mit redaktionellen Eingriffen zu rechnen, gilt umso mehr für die späteren „Sammlungen“, die bereits vorhandene Überlieferungen abschreiben, verbinden, systematisieren und strukturieren und dazu einzelne „Stücke“ auftrennen bzw. zusammenfügen. Dass selbst auf der Ebene der großen Sammlungen selektiv vorgegangen wurde, belegt eindrücklich Aurifaber, der darauf verwies, dass er über deutlich mehr Material verfügt habe als das faktisch Publizierte.261 In den Ausführungen zur (fiktiven) Sympotik wurde bereits dargelegt, dass deren faktischer Niederschlag zu gering ist, als dass dieser in methodischer Hinsicht verstärkt zu beachten wäre. Dennoch wird von hier deutlich, dass einerseits mit Fiktionalem, andererseits z.T. damit einhergehend auch mit „Unterhaltsamem“ zu rechnen ist. Insofern ist es wenig angemessen, „Anekdotenhaftes“ etc. mittels der Kategorien „Fälschung“ oder „Täuschung“ zu beschreiben.262 Doch sind diese Einsichten flankierend von der zeitgenössischen Apophthegmatik her zu gewinnen. Nicht ohne inneren Konnex zur fiktiven Sympotik ist das mittels des Begriffs „Colloquium“ Insinuierte, insofern auch hier zum einen ein in weiten Teilen analoges fiktionales Bild der Entstehung der Überlieferung aufschien. Zum anderen deutet die unterschiedlich ausgeprägte Anspielung auf Erasmus an, dass ein nach außen gerichteter polemischer Impetus im Hintergrund mitschwang, das Gesammelte somit zudem als strikt positionell zu verstehen wäre. Dies ist nun von der Apophthegmatik her zu vertiefen.

Vgl. den 5. Abschnitt von Krokers Edition, d.h. WA.TR 2, 273–3,308; zu der Handschrift s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 131f. 260 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 148f.; Zitat: ebd., 149. 261 Vgl. TR Frankfurt 1568, fol. A 2r; Zitat s. S. 427. 262 Vgl. hierzu die Zuspitzungen Krokers in seiner Auseinandersetzung mit Scheel über die Historizität der „Tischreden“ (KROKER, Quelle, 101). Zu dieser Auseinandersetzung s. S. 5 mit Anm. 19. 259

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

Bezüglich der Apophthegmatik sind insbesondere dem Widmungsschreiben von Erasmus zentrale Impulse in methodischer Perspektive zu entnehmen. Zunächst kann von hier geradezu programmatisch die „Produktion“ und offene Nomenklatur der „Tischredenüberlieferung“ erhellt werden. Gesammelt wurden von deren Tradenten – letztlich die Mahnung Erasmus’ positiv aufgreifend – nicht pagane „Apophthegmata“, sondern „Aussagen“ Luthers. Diese konnten von Erasmus her zeitgenössisch als „Apophthegma“, „Sententiae“ oder „Dicta (et Facta)“ bezeichnet werden. Hinsichtlich der Tendenz der Apophthegmatik zur Biographik gilt einerseits, dass diese der rein auf Luther bezogenen „Tischredenüberlieferung“ verstärkt zukommt, zumal den nach Loci geordneten Sammlungen, die einen auf Luther selbst bezogenen Locus aufweisen.263 Zudem sind letztere erstmals Anfang der 1550er Jahre greifbar, in einem Kontext, in dem eine über die Leichenpredigten und Melanchthons Reden hinausgehende „Luther-Biographie“ als Desideratum im Raum stand.264 Andererseits wird man diese Tendenz nicht überzubewerten haben, da die „Tischredenüberlieferungen“ kaum als „Biographien“ zu verstehen sind. Dies kann z.B. am von Melanchthon etablierten Gattungsformular „biographische Reden“ verdeutlicht werden. Die dort genannten Elemente „Patria, Sexus, Natales, Ingenium, Educatio, Disciplina, Doctrina, Res gestae, Praemia rerum gestarum, Vitae exitus, Opinio post mortem“ werden – aufgrund der Genese der „Tischredensammlungen“ nur konsistent – lediglich bedingt aufgegriffen.265 Dies gilt selbst für die auf Luther im Besonderen bezogenen Loci. In aphoristischer Weise wurden für diese einzelne Aussprüche „Luthers“ ausgewählt und zu einem disparaten Gesamt redaktionell verbunden, ohne, dass eine fortlaufende Erzählung entstand. Zwar sind z.T. thematische Blöcke erkennbar, jedoch weisen diese Loci keine durchgehenden klaren Binnenuntergliederungen und keine durchgehenden „roter Fäden“ oder „Plots“ auf. Obwohl die „Tischreden263 Vgl. DORMEYER, Literaturgeschichte, 160: „Im Unterschied zur reinen Spruchsammlung erzeugen aber die Apophthegmen, wenn sie um eine einzige Person kreisen, den Grundstock einer Biographie.“ Zu diesen nach Loci geordneten Sammlungen s. S. 74f. 264 Vgl. exemplarisch Anthonius Otho an Jonas, Nordhausen 1550 (?): BrWJJ 2,300 [Nr. 913] – Zitat: S. 44 Anm. 217. Zu den Texten, die der „Lutherbiographik“ i.w.S. zugerechnet werden s. S. 70–73 Anm. 340. 265 Vgl. MELANCHTHON, Elementorum Rhetorices libri duo (CR 13,448). Zudem plädiert Melanchthon für einen chronologischen Aufriss und stellt sich damit in die Tradition Plutarchs (vgl. SCHEIBLE, Reden, 80–83). Zur zeitgenössischen Biographik s. zudem IJSEWIJN, Biographie; HÄHNER, Biographik, 35–55. Noch weniger können die „Tischreden“ aufgrund der bisherigen und noch folgenden Überlegungen zur Gattung und Methodik angemessen mittels der modernen Kategorie der „Autobiographie“ verstanden werden.

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überlieferungen“ also nicht der Biographik i.e.S. zuzurechnen sind, gehen von der Tendenz zur Biographik verschiedene methodische Impulse aus. Zentral ist die Einsicht, dass die Konzentration auf die Person Luthers die Überlieferung an Prozesse der Etablierung und Fixierung der Autorität Luthers zurückbindet, die nach Eike Wolgast Koordinaten eines „verbindlichen evangelischen Lutherbildes“ abstecken.266 Hinzu kommen die – gedächtniskulturell weiter zu vertiefenden – Hinweise auf Prozesse der (konfessionellen) Identitätsstiftung267 bzw. die Schnittstelle zwischen „faktischer Erinnerung“ und „mythologisierter Geschichte“.268 Weiterhin wird von der Apophthegmatik noch einmal verstärkt auf die zentrale Bedeutung der Frage nach den redaktionellen Anteilen verwiesen. Dies gilt zum einen, insofern diese – insbesondere von Erasmus her kommend – geradezu zur Gattung gehören und die „Nostrifizierung“ des Gesammelten seitens der Tradenten widerspiegeln. Zum anderen zeigt eine vergleichende Lektüre, dass zwischen den von Erasmus überlieferten „Apophthegmata“ und den „Aussprüchen“ Luthers in formaler Hinsicht eine hohe Konvergenz vorliegt. Insofern wird man damit zu rechnen haben, dass die von Philips benannte vierteilige Grundstruktur269 sich auch in der Überlieferung des „Luthergutes“ niedergeschlagen hat. Doch selbst wenn man die Apophthegmatik nicht als (implizit) prägend im Hintergrund annimmt, kommt man nicht umhin, die Einleitungen zu den Einzelüberlieferungen mit Kroker weitestgehend als im Zuge der „Überarbeitung der ersten Niederschrift“ hinzugefügt zu verstehen.270 D.h. über Kroker hinaus, dass bei jeglicher Interpretation der Rahmen der Einzelüberlieferung primär als Hinweis auf den Fokus des Traditionsträgers zu verstehen und kritisch auf seine Historizität zu prüfen ist. Dies gilt um so mehr vor dem progymnasmatischen Hintergrund, insofern „Sentenzen unterschiedlichster Art einen narrativen Rahmen zu geben […] eine Hauptaufgabe der Grammatikschule und des Rhetorikunterrichts [war]“271. 266 Vgl. WOLGAST, Biographie, bes. 41f. Bereits von den antiken Grundlagen der Biographik her wird deutlich, dass diesbezüglich virtutes und vitia in den Blick genommen werden (vgl. ALBRECHT, Sueton, hier: 323). 267 Vgl. APPOLD, Mylius. In dieselbe Richtung weisen Gumbrecht und Scheuer: Ersterer betont, dass Biographik als Anlass die Infragestellung der zu beschreibenden persönlichen Identität bedürfe (GUMBRECHT, Identität), zweiterer verweist darauf, dass diese in Krisenzeiten Konjunktur hätte und versteht diese als „didaktische Literaturform“ (SCHEUER, Biographie, 30). 268 Vgl. KLEIN, Lebensbeschreibung, hier: 83. 269 S. S. 40. 270 Vgl. KROKER, Quelle, 106. 271 DORMEYER, Literaturgeschichte, 160. Dass die antiken Standards auch in Wittenberg prägend waren, lässt sich am 1518 neu geordneten Lehrprogramm der Wittenberger Universität ablesen, insofern dort Quintilians Rhetoriklehrbuch – von Luther

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

Ebenso auf den Überlieferungsträger und seinen Kommunikationskontext verweist zudem das Motiv der „Zweckhaftigkeit“ als Movens einer solchen Sammlung. D.h. weder die „Mitschrift“ noch die „Nachschrift“ oder die Sammlungen, insbesondere nach Luthers Tod entstandene, waren funktions- bzw. intentionslos, selbst wenn keine Publikation anvisiert war. Die Fragen, vor welchem Kommunikationskontext und mit welcher Intention die einzelne Überlieferung aufgenommen wurden, treten damit in den Vordergrund. Dem korrespondiert, dass der Tradent mit dem Aufgenommenen implizit ein hohes Aktualisierungspotential verbindet, das Verweyen in seiner Studie zu den Apophthegmata wie folgt auf den Punkt bringt: „Das Gesammelte erschiene als ortlos, wenn es der Adressat nicht aktualisieren würde, in dem Sinne, daß er es auf seine eigene Wirklichkeit bezöge.“272

Die so entstandenen Sammlungen sollen folglich in neue Kontexte hinein sprechen, die den ursprünglichen historischen Ort transzendieren. Dies kann mit Blick auf den Entstehungs- bzw. Rezeptionsprozess der Apophthegmata Patrum vertieft werden, insofern unter Rekurs auf die von Guy in Bezug auf „Mehrfachüberlieferung“ erarbeiteten Entwicklungsstufen273 verstärkt damit zu rechnen ist, dass mit der Transzendierung des ursprünglichen „historischen Ortes“ zugleich eine bewusste Generierung von „neuem“ Sinn und damit eine produktive Aktualisierung erfolgte. Dabei werden zugleich die Fragen nach dem Niederschlag einer an Luther orientierten „spirituellen Pädagogik“ sowie erneut nach der Förderung der Memoria Luthers in den Blick zu nehmen sein.274 Je stärker den Überlieferungen die Tendenz einer „Überhöhung“ innewohnt, desto mehr wird die Supposition der „Historizität“ der Einzelüberlieferung zugunsten der des „Topischen“ hinten anzustellen sein. Weiterhin mit Blick auf den veränderten „historischen Ort“ und die damit einhergehende Sinnstiftung können insbesondere Einsichten der neutestamentlichen Forschung zur Apophthegmatik für in die Überlieferungen eingegangene „Konflikte“ selbst – mitaufgenommen wurde (s. KNAPE, Rhetorik, hier: 605 [Lit!]). Zur Rezeption der Progymnasmata im 16. Jahrhundert s.a. KRAUS, Progymnasmata, hier 167–177 [Lit!]. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass gerade vor dem Hintergrund der progymnasmatischen „Merkheftchen“ auch „Nichtmündliches“ und z.T. auch nicht von Luther Stammendes aufgenommen worden war. 272 VERWEYEN, Apophthegma, 99. 273 S. S. 42. Dafür, dass die Analogie trotz der zeitlichen Differenz auch auf die Frage der Dubletten auszuweiten ist, d.h., dass in Betracht zu ziehen ist, dass Luther Zugeschriebenes evtl. nicht ursprünglich, zumindest aber nicht ausschließlich, mit seinem Namen verbunden war bzw. ist, bieten die weiter zu vertiefenden Forschungen zu den sog. „Dicta“ Melanchthons erste Hinweise (s. hierzu S. 34–36 bzw. BARTMUß, Gruppenidentität). 274 Vgl. MÜLLER, Tischgespräche, 78.

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und „Autoritätsfragen“ sensibilisieren.275 Dazu ist es nicht notwendig, konkrete Klassifizierungen der neutestamentlichen Apophthegmata, z.B. deren Unterscheidung seitens Bultmann in „Streit-“, „Schulgespräche“ und „Biographische Apophthegmata“, auf die „Tischredenüberlieferung“ anzuwenden.276 Vielmehr ist der dahinter stehende Impuls konstruktiv aufzugreifen, die Überlieferung nach dem Niederschlag von theologischen Streitfragen, Problemen, Bedürfnissen etc. und von hier Fragen der Identität und Lehre sowie der Luther zugewiesenen Funktion zu befragen. Methodisch ist zu berücksichtigten, dass die verschiedenen Überlieferungen der „Tischreden“ unter einem spezifischen Rekurs auf Luther vor dem Hintergrund der Abgrenzung von „Altgläubigen“ sowie anderen „protestantischen“ bzw. „innerlutherischen“ Gruppierungen entstanden sind. Ganz grundlegend ist mit den vorangegangenen Überlegungen insgesamt die Notwendigkeit deutlich geworden, dass eine Analyse der „Tischreden“ verstärkt die einzelnen handschriftlichen Überlieferungen bzw. Traditionen in den Blick zu nehmen hat. Bei den handschriftlichen Zeugen sind die jeweiligen Schwerpunkte und Intentionen auf der Textebene primär induktiv zu erheben. Bei den Druckfassungen kann zusätzlich auf Vorworte o.Ä. zurückgegriffen werden. Falls Beigaben wie Bilder, Gedichte etc. vorhanden sind, sind auch diese als Indizien mit zu berücksichtigen. Die Überlieferungen selbst sind zunächst synchron als Einheit zu betrachten, so dass Krokers Edition in der WA, bei der bewusst der gegensätzliche Weg gewählt worden war,277 auf dieser Ebene der Analyse Erkenntnisse eher verstellt als ermöglicht. Zur weiteren Konturierung sind jedoch ebenso Parallelüberlieferungen heranzuziehen, wobei von den Überlegungen zur Gattung her, insbesondere mit Blick auf die Kompilationsliteratur im Allgemeinen und die Apophthegmatik im Besonderen, auf die wertende Unterscheidung Krokers in „ursprüngliche, abgeleitete und scheinbare Parallelen“ zu verzichten ist.278 Durch synoptische Vergleiche sind Gemeinsamkeiten und be275 Zu diesen Impulsen bzw. der neutestamentlichen Apophthegmata-Forschung vgl. exemplarisch die immer noch klassische Studie BULTMANN, Tradition, 8–73 mit dem von Gerd Theißen verfassten Forschungsausblick (ebd., 409–452, hier: 433–435); BERGER, Formen, 142–152, bes. 145–148.150–152; DORMEYER, Literaturgeschichte, 159–166, bes. 165f. sowie EBNER / HEININGER, Exegese, 209–240, bes. 221f.225–230. 276 Zu alternativen Lösungsversuchen s. wiederum exemplarisch den Forschungsüberblick von Gerd Theißen (in: BULTMANN, Tradition, 434f.); s.a. BERGER, Hellenistische Gattungen, 1107f. 277 S. WA 6, XXXVIIIf. 278 S. hierzu die Ausführungen Krokers (WA.TR 1, XVf.) bzw. Stolts scharfes Urteil, dass diese Unterscheidung „als gescheitert angesehen werden“ müsse (STOLT, Tischreden, 138).

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

sonders die jeweiligen Propria zu erheben, so dass Wachstums- und damit einhergehende Deutungsprozesse kenntlich gemacht werden können.279 Auf der gleichsam zu berücksichtigenden Ebene der Überlieferungsträger gilt aufgrund der aufgezeigten Notwendigkeit, den redaktionellen Anteilen mehr Gewicht zuzuerkennen, dass diese weniger als schiere „Stenographen“ bzw. „Abschreiber“ denn als eigenständige (theologische) Interpreten bzw. „Autoren“ zu verstehen sind. Vice versa stellen deren „Mit-“ bzw. „Nachschriften“ und Sammlungen primär Zeugnisse spezifischer Lutherrezeptionen bzw. -bilder dar und können nur bedingt als Quelle einer „ipsissima vox Lutheri“ angesehen werden.280 Insofern bedarf es zum Verständnis der einzelnen Überlieferungen vornehmlich einer Kontextualisierung in Bezug auf den jeweiligen Tradenten- bzw. Trägerkreis, d.h. die Urheber und ihre Adressaten, und erst in zweiter Linie in Bezug auf Luther selbst.281 Dazu ist nicht zwangsläufig die namentliche Identifikation des „Nachschreibers“ notwendig. Unter Rekurs auf Impulse der neutestamentlichen Forschungen zu den Evangelien ist es prinzipiell hinreichend, wenn einzelne Traditionen aufgrund von Tendenzen und Lokalkolorit voneinander abzugrenzen sind. Deshalb wird in dieser Studie zurückhaltender von „Trägerkreisen“ bzw. „Tradenten“ oder mit bestimmten Namen verbundenen „Traditionen“ gesprochen, die Namen so gleichsam als „Chiffren“ verstanden.282 Zudem wird so ernst genommen, dass es sich aufgrund des Austausches der „Mit-“ und „Nachschrif-

279 Vgl. diesbezüglich nochmals die Studien LEPPIN, Erinnerungssplitter; LEPPIN, Roma. 280 S. hierzu nochmals die Hinweise auf die redaktionellen Eingriffe S. 50–53. Diesbezüglich ist nun zu ergänzen, dass Kroker seinen eigenen Ansatz relativiert, insofern er neben den bereits erwähnten „Predigtmitschriften“ am Ende zusätzlich auf „andere tagebuchähnliche Niederschriften“ (KROKER, Quelle, 131) als Vergleichspunkt verweist. Auf diese Weise legt er streng genommen selbst die dargestellte Folgerung nahe. Gerade Tagebücher sind hervorragende „Ego-Dokumente“ jedoch in Hinblick auf den Verfasser (vgl. SCHULZE, Ego-Dokumente, hier: 21) und damit die Mit- und Nachschreiber bzw. Sammler. 281 Mit dieser Ergänzung eines „formgeschichtlichen“ Zugangs durch den „redaktionsgeschichtlichen“ werden bewusst Impulse der Exegese aufgegriffen: s. exemplarisch den Forschungsausblick von Theißen: BULTMANN, Tradition, 413f. Erste Ansätze dieses Zugriffs auf die „Tischreden“ finden sich bei Michel in seiner Studie zu Rörers Überlieferung, der ebenfalls von exegetischen Überlegungen her kommend die Notwendigkeit betont, den „Stellenwert“ der „Tischredensammler“ wie der „Redaktoren“ höher einzuschätzen (vgl. MICHEL, Bearbeitung, hier 236–240). Zur unterschiedlichen Plausibilität der Krokerschen Zuschreibungen von Überlieferungen an bestimmte Personen s. S. 3f. 282 S. bereits den Hinweis S. 3 Anm. 9.

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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ten“ letztlich von Anfang an um „Gemeinschaftsprodukte“, nicht Werke eines „Solitärs“ handelt.283 Gegenüber dem von Katharina Bärenfänger vorgeschlagenen Modell284 wird die Frage der Rezeption also verstärkt bereits auf der Ebene der „Tischredenüberlieferung“ selbst zu beachten sein und nicht erst „nachtextlich“. Analoges gilt für die Frage der „Applikation“, letztlich selbst in der von Bärenfänger von Ebeling her begründeten „existentiellen“ Zuspitzung,285 die an sich primär als eine kontingente Begründung der Notwendigkeit der historischen Rückfrage nach dem – exegetisch gesprochen – „historischen Luther“ anzusehen ist. Zudem sind die unterschiedlichen Überlieferungsstufen verstärkt zu berücksichtigen. Je nach Überlieferungsstufe ist mit einer mehrfachen Brechung zu rechnen. Zunächst auf der Ebene Luthers, dann auf der Ebene der „Mit-“ bzw. „Nachschreiber“ sowie auf den weiteren Ebenen der „Sammlungen“.286 Daneben tritt die Notwendigkeit eines Abgleichs mit „externen“ Quellen, wie exemplarisch Schäufele in seiner Studie zu einem Teilaspekt des Niederschlags des Wormser Reichstages in der „Tischredenüberlieferung“, d.h. der Einladung auf die Ebernburg, deutlich macht.287 Insgesamt wird folglich die Frage nach dem historischen Quellenwert der „Tischredenüberlieferung“ kritischer als von Kroker zu beantworten sein.288 Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen zur Gattung wird man tatsächlich wie Krokers „Hauptgesprächspartner“ Scheel mit Anekdoten, Legenden, Überarbeitungen, Erweiterungen und Einschaltung fremder Motive, Kompilationen wie der Schaffung von „Milieus“ zu rechnen haben.289 Dies wird jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen sein und zwar bereits auf der Ebene der Nachschriften. Des Weiteren ist bezüglich der Möglichkeit, die „ipsissima vox Lutheri“ aus den „Tischreden“ zu rekonstruieren, gerade mit Blick auf exegetisch-hermeneutische Einsichten und insbesondere die Frage nach dem „historischen Jesus“ in ihren verschiedenen Phasen,290 eher eine skeptische Haltung einzunehmen, zumal angesichts der aktuellen unbefriedigenden Editionslage.291 Dies gilt 283 Der Gefahr, dass der „Trägerkreis“ nur in der Funktion des „impliziten Autors“ und damit als Funktion des „Textes“ greifbar ist, wird durch den Rekurs auf externe Schriften des „Kreises“ zu begegnen sein. 284 S. S. 14f. bzw. BÄRENFÄNGER, Umgang. 285 Vgl. BÄRENFÄNGER, Umgang, 43f. mit Anm. 51. 286 Ähnlich bereits KROKER, Quelle. 287 Vgl. SCHÄUFELE, Herberge, bes. 611–615. 288 S. S. 5 mit Anm. 19. 289 Vgl. diesbezüglich KROKER, Quelle, 101; s.a. WA.TR 5, XIV–XXI. 290 Zu den Problemen bzw. verschiedenen Phasen der Frage nach dem „historischen Jesus“ s. THEIßEN / MERZ, Jesus, hier: S. 21–33. 291 Zur Editionslage s. S. 15f.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

umso mehr, als aufgrund der Nähe der „Tischredenüberlieferung“ zur Apophthegmatik, mit der das Motiv der Förderung der „Memoria“ einhergeht, davon auszugehen ist, dass diese „[z]u guten Teilen […] mehr ein Dokument der Luther-Memoria als der Biographie Luthers selbst [darstellt]“292.

Damit ist erneut angedeutet, dass im Rahmen dieser methodischen Überlegungen, die kulturgeschichtlich ausgerichtete Erinnerungsforschung zu berücksichtigen ist.293 Der Fokus wird dabei auf der Frage nach einer der Gattung „Tischreden“ angemessenen Methodik liegen. Deshalb geraten insbesondere die Konzepte des „Kulturellen Gedächtnisses“ bzw. der „Erinnerungskulturen“, zumal unter Rekurs auf literaturwissenschaftliche erinnerungskulturelle Einsichten, in den Blick.294 LEPPIN, Erinnerungssplitter, 61. Die in den Geisteswissenschaften seit ca. Mitte der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre greifbare verstärkte Beschäftigung mit Konzepten, die Erinnerung und Gedächtnis ihrer kollektiven Dimension bzw. kulturwissenschaftlichen Relevanz nach untersuchen, ist grundlegend mit den Namen Pierre Nora („Lieux de mémoire“) bzw. Aleida und Jan Assmann („Kulturelles Gedächtnis“) verbunden, zudem ist auf den interdisziplinären Gießener Sonderforschungsbereich 434 „Erinnerungskulturen“ (1997– 2008) zu verweisen. Im Hintergrund stehen jedoch die Studien von Maurice Halbwachs bzw. Aby Warburg aus den 1920er Jahren – vgl. zur Thematik insgesamt den Forschungsüberblick ERLL, Gedächtnis, 15–39. Dort auch erste Hinweise auf die unterschiedlichen Disziplinen, d.h. Geschichts- und Sozialwissenschaften, Kunst und Literaturwissenschaft sowie psychologische Gedächtnisforschung (ebd., 41–108; bei Zitaten aus diesem Werk wird auf die Wiedergabe der Auszeichnung als Fettdruck verzichtet); s. diesbezüglich zudem den breiten Überblick HÜBENTHAL, Markusevangelium, 77–150. Darauf, dass insbesondere mit Blick auf die Entstehung der „Tischredenüberlieferung“ die Texte auch von den neurologischen Grundlagen des Erinnerns her kaum als „ipsissima vos Lutheri“ anzusehen sind, wurde bereits verwiesen (s. S. 52 Anm. 253 bzw. FRIED, Schleier). Zur stärker medienorientierten Gedächtnisforschung s. die Publikationen der Reihe „Media and Cultural Memory / Medien und Erinnerung“, insbesondere den ersten Band ERLL / NÜNNING, Medien. Aus kirchengeschichtlicher Perspektive ist exemplarisch auf den grundsätzlichen Artikel von Tim Lorentzen zu verweisen, dessen enges Verständnis von „kirchengeschichtlicher Erinnerungsforschung“ als „Erforschung kirchlicher Geschichtspolitik“ in Bezug auf die „Tischreden“ Erkenntnisse eher verhindert (vgl. LORENTZEN, Gedächtnis, hier: 689). Stärker angeknüpft werden kann demgegenüber an Hans-Peter Hasse. Dieser spricht mit Blick auf die Antrittsrede des Wittenberger Theologieprofessors Martin Oberndorfer von lutherischer Memorialkultur als „Krisenbewältigung“ (HASSE, Krisenbewältigung). Zudem ist in Bezug auf die „Tischreden“ nochmals auf die Arbeiten Leppins zu verweisen (vgl. LEPPIN, Leitung; LEPPIN, Erinnerungssplitter). 294 Damit wählt diese Studie dezidiert einen anderen Zugriff als Hund, der in seiner, dem Augustana-Jubiläum von 1830 gewidmeten Habilitation einen „Beitrag leisten [möchte] zum Transfer der Fragestellungen der historischen Jubiläumsforschung in die Kirchen- und Theologiegeschichte“ und deshalb (mittelbar) an Pierre Noras Konzept 292 293

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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Das von Aleida und Jan Assmann in Fortführung von Maurice Halbwachs’ Theorie vom „sozialen Gedächtnis“ entfaltete Konzept des „kulturellen Gedächtnisses“295 kann mit Blick auf die folgenden Analysen insbesondere in Bezug auf den Trägerkreis weiter sensibilisieren. Die nähere Beschreibung des mit dem Begriff „kulturelles Gedächtnis“ Bezeichneten erfolgt in Abgrenzung vom „kommunikativen Gedächtnis“.296 Letzteres sei interaktiv im Alltag fundiert und deshalb weniger geformt, beruhe auf Erfahrungen und Hörensagen und damit Zeitzeugen, mit der Konsequenz, dass es einen mitwandernden Zeithorizont von 80–100 Jahren aufweise. Das „kulturelle Gedächtnis“ sei demgegenüber im hohen Maße geformt, werde in Schriftkulturen in „Formen symbolischer Repräsentation (Monumente), Ansprachen, Kommemorationsriten“297 von spezialisierten Trägern inszeniert und beziehe sich auf einen Fernhorizont, die absolute Vergangenheit einer mythischen Urzeit. Damit ist angedeutet, dass zwischen der jeweils erinnerten Zeit prinzipiell eine ebenfalls als mitwandernd vorgestellte Lücke klafft, ein „floating gap“. Jedoch kann mit Erll darauf verwiesen werden, dass für die Unterscheidung der beiden GedächtnisFormen nicht der Zeitaspekt, sondern der Modus, in dem erinnert wird, das Entscheidende sei: „fundierend“ („kulturelles Gedächtnis“) bzw. biographisch („kommunikatives Gedächtnis“).298 Aufgrund dieser modalen Begründetheit resultiert zum einen, dass „in einem gegebenen historischen Kontext dasselbe Ereignis Gegenstand des kulturellen und des kommunikativen Gedächtnisses zugleich sein kann“299.

Zum anderen ist von hier der „Fernhorizont“ der „absoluten Vergangenheit“ zu relativieren und vielmehr ebenso mit „ad hoc Transformationen von kaum vergangenen Ereignissen zu fundierender Geschichte“300 der „Erinnerungsorte“ anknüpft (HUND, Augustana-Jubiläum, bes. 11–15; Zitat: ebd., 13). 295 Zu diesem Konzept s. exemplarisch die zusammenfassende Studie ASSMANN / ASSMANN, Gestern und die Monographien von Jan Assmann (ASSMANN, Kulturelle Gedächtnis; ASSMANN, Religion) bzw. Aleida Assmann (ASSMANN, Erinnerungsräume); s.a. die frühe Studie Assmann, Identität. Eine gute Zusammenfassung dieser Theorie und ihrer Genese bietet ERLL, Gedächtnis, bes. 30–36.126–136. 296 Vgl. insbesondere die zusammenfassende Übersicht in ASSMANN, kulturelle Gedächtnis, 56. Als Vergleichspunkte werden Inhalt, Formen, Medien (Codes, Speicherung), Zeitstruktur und Träger genannt. S.a. ERLL, Gedächtnis, 30f. 297 ASSMANN / ASSMANN, Gestern, 121. 298 Vgl. ERLL, Gedächtnis, 129f. bzw. ASSMANN, kulturelle Gedächtnis, 51f.: „Das kollektive Gedächtnis funktioniert bimodal: im Modus der fundierenden Erinnerung, die sich auf Ursprünge bezieht, um im Modus der biographischen Erinnerung, die sich auf eigene Erfahrungen und deren Rahmenbedingungen – das ‚recent past‘ – bezieht.“ 299 ERLL, Gedächtnis, 130.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

zu rechnen. Diese beiden Konkretionen ermöglichen es, die in den „Tischredenüberlieferungen“ greifbare Luthermemoria trotz des geringen zeitlichen Abstandes zum Erinnerten im Sinne der Theorie des „kulturellen Gedächtnisses“ zu interpretieren. D.h., das „Erzählte“ kann auch vor dem Horizont „fundierender Geschichten“ einer Gruppe wahrgenommen werden, wobei der von Assmann diesbezüglich verwendete Begriff des „Mythos“ nicht einseitig im Sinne des Fiktiven zu verstehen ist, da er auch das Faktische umfasst.301 In methodischer Hinsicht geraten von hier zwei miteinander verwobene Themenkomplexe besonders in den Blick, zum einen Fragen der Identität, zum anderen der Bereich der Werte und Normen: „Mythos ist eine Geschichte, die man sich erzählt, um sich über sich selbst und die Welt zu orientieren, eine Wahrheit höherer Ordnung, die nicht einfach nur stimmt, sondern darüber hinaus auch noch normative Ansprüche stellt und formative Kraft besitzt.“302

Diese Themenbereiche können zudem mittels der von Aleida Assmann eingeführten Konkretion, d.h. die Unterscheidung von „Speichergedächtnis“ und „Funktionsgedächtnis“, weiter begründet werden.303 Diese beiden Gedächtnis-Formationen stehen nicht im Gegensatz. Vielmehr bilde das „Speichergedächtnis“ eine „amorphe Reserve“ noch nicht oder nicht mehr im Funktionsgedächtnis aktualisierter Elemente: „Auf kollektiver Ebene enthält das Speichergedächtnis das unbrauchbar, obsolet und fremd Gewordene, das neutrale, identitätsabstrakte Sachwissen, aber auch das Repertoire verpaßter Möglichkeiten, alternativer Optionen und ungenutzter Chancen. Beim Funktionsgedächtnis dagegen handelt es ich um ein angeeignetes Gedächtnis, das aus

ERLL, Gedächtnis, 131. Vgl. ASSMANN, Kulturelle Gedächtnis, 75–78.138–144; s.a. ERLL, Gedächtnis, 130. 302 ASSMANN, Kulturelle Gedächtnis, 76; s.a. die von Halbwachs her gewonnenen Merkmale der Raum-, Zeit- und Identitätskonkretheit sowie der Rekonstruktivität (a.a.O., 37–42; ASSMAN, Identität, 13–15). Darauf aufbauend führt Wodianka weitere Differenzierungen zwischen Mythos, Erinnerung und Geschichte ein – s. insbesondere die Ausführungen zu Nähe und Distanz, dreifach unterschieden in „identifikatorisch“, „zeitlich“ und „modal“ (vgl. WODIANKA, Mythos, bes. 36–43). Zum Nexus von Erinnerung und Identität s.a. den Forschungsüberblick NEUMANN, Literatur, hier: 151– 163. Zur Kritik an der Rede von „kollektiver Identität“ s. ERLL, Gedächtnis, 122–124 sowie EIBACH / SANDEL, Einleitung, 14–16. 303 Zu den Unterschieden zwischen diesen „Gedächtnis-Formationen“ s. ASSMANN / ASSMANN, Gestern, 119–129, bes. die summarische Übersicht (ebd., 123) sowie ASSMANN, Erinnerungsräume, 133–142; s.a. ERLL, Gedächtnis, 34–36. Diese verweist zu Recht darauf, dass damit eine Ausweitung der Extension des „kulturellen Gedächtnisses“ einher geht auf „alle Objektivationen einer gegebenen Kultur, die von der Gesellschaft aufbewahrt werden […]“ (ebd., 35). 300 301

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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einem Prozeß der Auswahl, der Verknüpfung, der Sinnkonstitution […] hervorgeht.“304

Mit Blick auf die bereits für die Ebene der „Mitschriften“ aufgezeigte bewusste selektive Rezeption und Aneignung der „Tischreden“ können die Sammlungen, insbesondere die nach Loci geordneten, dem Bereich des „Funktionsgedächtnisses“ zugerechnet werden. Zu dessen zentralen Merkmalen gehören „Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsbezug“305.

In methodischer Hinsicht kann von hier folglich der Identitätsbezug der Überlieferungen in seiner Bezogenheit auf Werte und Normen weiter konturiert werden. Dazu gerät zunächst das Amalgamat von „Subjektbindung“ und „-konstituierung“ in den Blick: „Als Konstrukt ist das Funktionsgedächtnis an ein Subjekt gebunden, das sich als solches konstituiert, indem es sich als dessen Träger oder Zurechnungssubjekt versteht. Subjekte konstituieren sich durch ein Funktions-Gedächtnis, d.h. durch selektives und bewußtes Verfügen über Vergangenheit. Solche Subjekte mögen Kollektive, Institutionen oder Individuen sein – in allen Fällen besteht derselbe Zusammenhang zwischen Funktions-Gedächtnis und Identität.“306

Insofern stellen selbst die „Tischredenüberlieferungen“, die evtl. wirklich nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt waren, kein Gegenargument für eine bewusste Formung dar, sondern begründen vielmehr schlicht eine – von der Kategorie des „Funktionsgedächtnisses“ her zu verstehende – Memoria unter anderen. Dieser Aspekt kann in Bezug auf die „Tischreden“ zudem anhand der von Assmann benannten Motive der „Legitimation“ bzw. „Delegitimation“ vertieft werden. Damit ist nämlich die Frage aufgeworfen, inwiefern durch die Überlieferung ein „offizielles“ bzw. „inoffizielles Gedächtnis“, letzteres als „kritische oder subversive Gegenerinnerung“, begründet wird.307 Das damit angedeutete vielgestaltige Nebeneinander verschiedener Ausprägungen der „Memoria“ kann in einem zweiten Schritt durch das im Gießener Sonderforschungsbereich SFB 434 begründete Modell der „Erinnerungskulturen“ weiter erhellt werden. Dieses zielt

ASSMANN, Erinnerungsräume, 137. ASSMANN, Erinnerungsräume, 134. 306 ASSMANN / ASSMANN, Gestern, 123. 307 Vgl. ASSMAN / ASSMANN, Gestern, 124–127; ASSMANN, Erinnerungsräume, 138f. – dort wird als drittes, in Bezug auf die „Tischredenüberlieferung“ weniger zentrales Motiv die Distinktion benannt, womit „symbolisch[e] Äußerungsformen, die zur Profilierung einer kollektiven Identität eingesetzt werden“ (ASSMANN / ASSMANN, Gestern, 126), in den Blick geraten. 304 305

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„auf die Pluralität von Vergangenheitsbezügen, die sich nicht nur diachron in unterschiedlichen Ausgestaltungen des kulturellen Gedächtnisses manifestiert, sondern auch synchron in verschiedenartigen Modi der Konstitution der Erinnerung, die komplementäre ebenso wie konkurrierende, universale wie partikulare, auf Interaktion wie auf Distanz und Speichermedien beruhende Entwürfe beinhalten können. An die Stelle einer Definition des kulturellen Gedächtnisses tritt insofern eine Topologie der Erinnerungskulturen, die es erlauben soll, eine der Historizität des Gegenstandes angemessene Flexibilität der Gegenstandskonstitution zu entwickeln.“308

Nach diesem Modell können die einzelnen Überlieferungen mit ihren jeweiligen Träger(kreise)n und spezifischen Lutherrezeptionen respektive Lutherbildern in ihrer jeweiligen Eigenheit differenzierter als Niederschläge verschiedener „lutherischer Erinnerungskulturen“ verstanden werden.309 Dazu hilft zudem die als „Topologie der Erinnerungskulturen“ bezeichnete Matrix des Forschungsprogramms, die drei Ebenen aufweist: 1. die Rahmenbedingungen des Erinnerns; 2. die Ausformung spezifischer Erinnerungskulturen; 3. das konkrete Erinnerungsgeschehen.310 Insofern die „Tischreden“ in ihrer Genese vornehmlich auf das zweite Drittel des 16. Jahrhunderts konzentriert sind, werden die Rahmenbedingungen weitestgehend geteilt. Dennoch fallen in diese Phase – lokal unterschiedlich verlaufende – Prozesse von Institutionalisierung311 sowie entscheidende Einschnitte, insbesondere Luthers Tod und der verlorene Schmalkaldische Krieg, woraus – ausgehend vom Interim – verschiedene Streitkreise erwachsen.312 Insofern kann diese erste Ebene insbesondere für die Fragen nach dem „Zeitbewusstsein“ der „Träger“ sowie die jeweilige „Herausforderungslage“ sensibilisieren, die definiert ist

308 Zu den Propria dieses Zugangs s. SANDL, Historizität (Zitat: ebd., 100) sowie ERLL, Gedächtnis, hier 36–39. 309 Damit wird die synchrone Pluralität besonders betont. Erste – stark diachron motivierte – Konturen protestantischer Erinnerungskulturen bietet der Sammelband EIBACH / SANDL, Protestantische Identität. 310 Zur „Topologie“ vgl. SANDL, Historizität, 101–111 mit Abbildung 1 (ebd., 100). Das im Konzept von Jan und Aleida Assmann mittels der Begriffe „kommunikatives“ und „kulturelles Gedächtnis“ Bezeichnete wird in gewisser Weise auf der dritten Ebene durch die Unterscheidung „erfahrene“ / „nicht erfahrene Vergangenheit“ aufgegriffen (vgl. ERLL, Gedächtnis, 38). 311 In der Regel wird der Übergang der „‚Reformation‘ von einer Bewegung zu einem die Gestalt der Kirche in Städten und Territorien dauerhaft verändernden Formierungsprozess“ mit dem „Schwellenjahr 1530“ illustriert (KAUFMANN, Kultur, 127) und damit parallel zur Entstehung der ersten Überlieferungen der „Apophthegmata Lutheri“. 312 Einen ersten Überblick über die Streitkreise bietet Irene Dingel im ersten Band der Editionsreihe Controversia et Confessio (C&C 1,13–32).

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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„durch die Krise von Erklärungs- und Interpretationsmustern angesichts gesellschaftlicher Umbrüche“313.

Von der zweiten Ebene, die durch die Aspekte Erinnerungshoheit, Erinnerungsinteressen, Erinnerungstechniken sowie Erinnerungsgattungen umschrieben wird, ist bereits Einiges angeklungen. Wenn mittels des Aspekts der „Erinnerungshoheit“ eine Skala eröffnet wird, deren Pole eine „hegemoniale Erinnerungskultur“ bzw. die „Konkurrenz von Erinnungsgemeinschaften und gruppenspezifischen Kollektivgedächtnissen“314 darstellen, ist die „Tischredenüberlieferung“ am zweitgenannten Pol anzusiedeln. Von hier wird bei Analysen der Aspekt der „Erinnerungsinteressen“ nicht minder „gruppenspezifisch“ zu entfalten sein. Dass der Frage der Gattung eine zentrale Rolle zukommt, ist bereits deutlich geworden und kann nun weiter vertieft werden. Durch die Zugehörigkeit zur Kompilationsliteratur im Allgemeinen und der Apophthegmatik im Besonderen ist mit der Gattung der Aspekt der „Erinnerungstechnik“ eng verbunden. Die dritte Ebene des konkreten Erinnerungsgeschehens, auf der „die Äußerungsformen und Inszenierungsweisen des vergangenheitsbezogenen Sinns“315

im Vordergrund stehen, macht deutlich, dass zwischen „Gedächtnis“ und der aktualisierenden „Erinnerung“, d.h. den Formen der Darstellung und Inszenierung, zu unterscheiden ist. Diese grundsätzlichen Rahmenbedingungen sollen im nächsten Schritt aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vertieft werden, wobei zunächst der Fokus auf die „Gattung“ in erinnerungskultureller Perspektive gelegt wird.316 Einleitend ist zu betonen, dass die „Tischreden“ kaum als „Literatur“ i.e.S. verstanden werden können. Dennoch sind unter Rekurs auf – weitestgehend im Kontext des Gießener SFB zu verortende – literaturwissenschaftliche Ausprägungen der Erinnerungsforschung weitere KonkretioSANDL, Historizität, 105. SANDL, Historizität, 106. 315 SANDL, Historizität, 108. 316 Zu den vielfältigen Verflechtungen zwischen Literatur und Gedächtnis s. die Sammelbände ERLL / GYMNICH / NÜNNING, Literatur sowie ERLL / NÜNNING, Gedächtniskonzepte und dort jeweils insbesondere die systematisierenden Einleitungen von Erll und Nünning (ERLL / NÜNNING, Überblick; ERLL / NÜNNING, Einführender Überblick) sowie ERLL, Gedächtnis, 73–94. Zu den Gattungen im Besonderen s. ERLL / NÜNNING, Überblick, 10–14; ERLL / GYMNICH / NÜNNING, Einleitung, viif. und die Beiträge der dritten Sektion des damit eingeleiteten Bandes; ERLL / SEIBEL, Gattungen sowie die konstruktive Rezeption dieser literaturwissenschaftlichen Überlegungen in Bezug auf neutestamentliche Exegese respektive der beiden Gattungen Evangelien und Gleichnisse seitens Ruben Zimmermann (vgl. ZIMMERMANN, Formen). 313 314

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nen für das Verständnis der Überlieferungen und die Frage nach einer adäquaten Methodik zu erheben. Z.B. kann mittels dieser – in Fortführung von Jan Assmann – dafür sensibilisiert werden, dass Erinnerungskulturen „nicht nur einen Vorrat von ‚Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten‘ [teilen; …], sondern auch einen Bestand an ‚Wiedergebrauchs-Formen‘.“317

Diese „Wiedergebrauchs-Formen“ sind selbst wiederum, zumal wenn es sich um stark konventionalisierte Gattungen handelt, ein Produkt von intertextuellen Bezügen und damit literarischen Gedächtnisprozessen.318 Entscheidender ist nun jedoch, dass Gattungen im Sinne konventionalisierter „Formulare“ Vergangenheitsversionen kodieren.319 Von hier aus kann die zu Beginn der methodischen Überlegungen angeführte These konkretisiert werden, dass Gattungen Produktion und Rezeption steuern:320 „Gattungsmerkmale leiten als Inhalte des literarischen Gedächtnisses und als zu Schemata verdichtete Bestände des – von Leserschaft und Autoren geteilten – kollektiven Gedächtnisses Sinnstiftungsstrategien und Erwartungen in bestimmt Bahnen.“321

D.h. zugespitzt, dass bereits die Entscheidung für eine Gattung die Botschaft eines Textes mitprägt, insofern mit diesen – auf Zuschreibung zurückzuführende, also nicht an sich inhärierende – ideologische Implikationen und Sinnstiftungen einhergehen: „Wiedergebrauchs-Formen sind daher bedeutungsgeladenen [sic!] Träger von Ideologien des kulturellen Gedächtnisses, d.h. von Vergangenheitsversionen, Geschichtsbildern, Konzeptionen kollektiver Identität sowie von Wert- und Normvorstellungen.“322

ERLL / SEIBEL, Gattungen, 189 bzw. ASSMANN, Identität, 15. Vgl. ERLL / NÜNNING, Überblick, 11; ERLL, Gedächtnis, 81. 319 Vgl. ERLL, Gedächtnis, 81.176f.; ERLL / NÜNNING, einführender Überblick, 6. In Anknüpfung an Erll (vgl. ERLL, Gedächtnis, 81) bzw. unter Berücksichtigung von Humphreys Kritik an der Rede von „Gedächtnisgattungen“, der diese damit begründet, dass prinzipiell allen Gattungen ein memorialer Aspekt inhäriert (vgl. HUMPHREY, Gattung, hier: 74), ist zumindest davon auszugehen, dass einigen Gattungen, wie z.B. Autobiographie, Biographie, Epos, die „Funktion“ Erinnerung zu kodieren in besonderer Weise zukommt. Dass dies in analoger Weise für die der Kompilationsliteratur im Allgemeinen und der Apophthegmatik im Besonderen verpflichteten „Tischredenüberlieferung“ gilt, ist aufgrund der vorangegangenen Ausführungen hinreichend plausibilisiert. 320 S. S. 16. 321 ERLL / NÜNNING, Überblick, 11. 322 ERLL / SEIBEL, Gattungen, 191 [Fettdruck des Originales wurde durch Kursivierung ersetzt]; s.a. ERLL / NÜNNING, Überblick, 13 bzw. zum sinnstiftenden Potential von Formen: NÜNNING, Semantisierung. 317 318

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Insofern wird man angesichts der Zugehörigkeit der Überlieferungen zur Kompilationsliteratur im Allgemeinen und der Apophthegmatik im Besonderen z.B. die Frage nach der Etablierung bzw. Fixierung der Autorität Luthers vice versa die nach dem Lutherbild, inklusive ethisch-moralischer Implikationen, auch in gedächtniskultureller Perspektive verstärkt zu berücksichtigen haben. Will man den Beitrag dieser „Form“ stabilisierter Erinnerung zum „kollektiven Gedächtnis“ der jeweiligen Träger näher spezifizieren, gerät zudem die stärker „medienorientierte“ Zugangsweise in den Blick. Laut Erll sind unter Medien „Vermittlungsinstanzen und Transformatoren zwischen individueller und kollektiver Dimension des Erinneren“323

zu verstehen. D.h. zunächst ganz basal, dass in dieser Hinsicht die „Tischredenüberlieferung“ dazu beiträgt, dass individuelle Erinnerungen kollektiv relevant werden können. Neben diese basale Einsicht treten unter Rekurs auf die Funktionen der Medien weitere, wobei insbesondere die Funktion der Speicherung von Inhalten des kollektiven Gedächtnisses sowie die der Zirkulation dieser Inhalte, d.h. die Ermöglichung von kultureller Kommunikation in temporaler wie lokaler Hinsicht, in den Blick zu nehmen ist.324 Für letztere gilt zudem, dass sie „eng an spezifische erinnerungkulturelle Herausforderungslagen geknüpfte [sind] und […] dabei zumeist auch didaktische und ideologische Funktionen erfüllen“325.

Entscheidend ist nun, dass – aufbauend auf diese beiden Funktionen – von Erll des Weiteren verschiedene Arten von Texten klassifiziert werden, d.h. „kulturelle“ bzw. „kollektive Texte“. Die Rede von „kulturellen Texten“ ist bereits im Assmannschen Konzept grundgelegt.326 Damit wird ein „Rezeptionsrahmen“ bzw. eine „Zugangsweise“ umschrieben, der bzw. die den so bezeichneten Texten eine hohe „Verbindlichkeit“, eine „unhintergehbare und zeitlose Wahrheit“ zuschreibt und in Konsequenz „Verehrung, wiederholtes Studium und Ergriffenheit“ einfordert.327 Die stark religiös konnotierte Begrifflichkeit hat ihren Anhalt wohl auch daran, dass die Bibel als das „Paradigma“ schlechthin des „kulturellen Textes“ angese-

ERLL, Medium, 251. Vgl. ERLL, Medium, 254–256; ERLL, Gedächtnis, 151–154. Nicht weiter vertieft wird an dieser Stelle die zusätzlich genannte Funktion, Anlass zu bieten, Erinnerungen abzurufen (mediale cues). 325 ERLL, Medium, 255. 326 Vgl. bes. den Artikel ASSMANN, Kulturelle Texte. S.a. ERLL, Medium, 260–262; ERLL, Gedächtnis, 187f. 327 Vgl. ASSMANN, Kulturelle Texte, 234.242. 323 324

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hen wird.328 In medialer Perspektive steht bei solchen Texten nach Erll die Funktion der Speicherung im Vordergrund.329 Für Texte, die in ihrer Funktion als Zirkulationsmedien in den Blick geraten, prägte sie hingegen den Begriff „kollektive Texte“.330 Diese „erzeugen, perspektivieren und zirkulieren Inhalte des kollektiven Gedächnisses“331.

Obwohl sie oftmals der „Populärliteratur“ zuzurechnen wären, vermittelten sie ebenso wie „(hoch)kulturelle Texte“ kollektive Identitäten, Geschichtsbilder, Werte und Normen.332 Ihr Referenzpunkt seien die „Sinnhorizonte“ des gegenwärtigen kollektiven Gedächtnisses: „Kollektive Texte müssen ‚passen‘, anschließbar sein an die Sinnhorizonte, kulturspezifischen Schemata und Narrationsmuster sowie Imaginationen der Vergangenheit in der zeitgenössischen Erinnerungskultur.“333

Diese für literarische Werke i.e.S. entwickelten Kategorien von Texten ermöglichen es insofern, den Beitrag der „Tischredenüberlieferung“ klarer zu fassen, als diese in ihrer Rolle für die Luthermemoria differenzierter gewürdigt werden kann. Erst Aurifabers Tischredenausgabe wird durch die Rezeptionsgeschichte in die Nähe „kultureller Texte“ gestellt. Die ersten Nachschriften sowie die Sammlungen selbst, auch Aurifabers Druckfassung, sind zunächst eher als Zirkulationsmedien der zeitgenössischen, auch innerprotestantisch unterschiedlich entfalteten Luthermemoria zu verstehen. Zugleich heißt dies, dass bei Analysen derselben zudem ein besonderes Augenmerk auf „didaktische“ bzw. „ideologische“ Aspekte in memorialer Hinsicht zu richten sein. Zudem gilt, dass auch in Bezug auf die bereits benannte „Erzeugung“ bzw. „Perspektivierung“ der Inhalte des kollektiven Gedächtnisses letztlich die von Assmann in Bezug auf das Funktionsgedächtnis eingeführten Motive der „Legitimation“ bzw. „Delegitimation“ greifen, wenn kollektiven Texten die Funktionspotenziale der Affirmation oder Verstärkung bzw. der Dekonstruktion und Revision eignen.334 Fragt man abschließend nach dem methodischen Ertrag dieser Ausführungen zur kulturgeschichtlich ausgerichteten Erinnerungsforschung, so wurden einerseits die bereits angeführten Grundpfeiler bekräftigt.335 Eine Analyse der „Tischredenüberlieferung“ wird die einzelnen Traditionen Vgl. ASSMANN, Kulturelle Texte, 237. Vgl. ERLL, Medium, 262. 330 Vgl. ERLL, Medium, 262–264; ERLL, Gedächtnis, 188–193. 331 ERLL, Medium, 262. 332 ERLL, Medium, 262f. 333 ERLL, Medium, 264. 334 Vgl. ERLL, Medium, 266. 335 S. bes. S. 57–60. 328 329

2. Rahmenbedingungen einer gattungsadäquaten Methodik

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bzw. deren Träger(kreise) verstärkt in den Blick zu nehmen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass mit den unterschiedlichen Gedächtnisprozessen auch Prozesse der Identitätsbildung einhergehen, zurückgebunden an Werte und Normen bzw. deren Weitergabe, d.h. Didaktisches und Ideologisches, aber auch an die Gattung. Dies impliziert, dass es sich um plurale Prozesse handelt. Es kommt zu verschiedenen „Erinnerungskulturen“ bzw. „Erinnerungskonkurrenzen“. Der medienorientierte Zugriff sensibilisiert zudem für das Wirkungspotential der „Tischredenüberlieferung“ in diesen Prozessen. Zugleich wird von hier – wie letztlich insgesamt aus erinnerungskultureller Perspektive – die Frage nach der „ipsissima vox Lutheri“ hintangestellt. Die einzelnen Sammlungen sind vor diesem Hintergrund primär Spiegel von Luthererinnerungen respektive Lutherbildern und als solche zugleich Momentaufnahmen nachlutherischer Identitätsbildungsprozesse, die mit Prozessen der Institutionalisierung korrelieren. Im abschließenden Schritt dieser explizierenden Auswertung der bisherigen Analysen ist nun die Nomenklatur in den Blick zu nehmen. Prinzipiell gilt auch hier die aufgezeigte Notwendigkeit einer verstärkten Orientierung an den einzelnen schriftlichen Überlieferungen bzw. Traditionen. Die in den jeweiligen Titeln und Zwischenüberschriften verwendete Begrifflichkeit stellt ein (erstes) Indiz für die jeweils im Vordergrund stehende Gattungstradition dar, das jedoch zugleich von der zeitgenössischen „Synonymität“ von „Apophthegma“, „Dicta“, „Sententiae“ und z.T. auch „Colloquia“336 relativiert wird. Insofern ist die Frage nach einem gemeinsamen „Oberbegriff“ zulässig. Deutlich geworden ist, dass der üblicherweise verwendete Begriff „Tischreden“ das Proprium der damit bezeichneten Überlieferung im Allgemeinen und selbst im Besonderen nur bedingt zum Ausdruck bringen kann. Zwar hat auch dieser Begriff seinen Anhalt in den frühen Überlieferungen, insofern dort lateinische Äquivalente greifbar sind,337 doch ist er rezeptionsgeschichtlich so sehr auf Aurifaber fokussiert, dass er gegenwärtig in Bezug auf die handschriftliche Überlieferung, insbesondere die einzelnen „Stücke“, implizit Aurifabers Ausprägung unangemessen auf diese transferiert und deshalb z.B. zu Unrecht zwischen „fremden Material“ und „Tischreden“ unterschieden wird. Sucht man nach einer alternativen wissenschaftlichen, die einzelnen Traditionen in angemessener Weise umgreifenden Bezeichnung, wären an diese mindestens die folgenden Bedingungen zu knüpfen. Diese müsste erstens die Rückbindung an die Kompilationsliteratur im Besonderen, zweitens die redaktionellen Anteile, drittens die breite thematische und 336 337

S. bes. S. 34–36.44–46. S. S. 31.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

viertens formale Extension abdecken können, sowie fünftens für memoriale Vorgänge und sechstens für theologische Zuspitzungen offen sein, ohne diese per se ausschließlich zu implizieren. In dieser Hinsicht bietet sich primär der Begriff „Apophthegma“ an, der im Unterschied zum Begriff „Tischreden“ keine „semantische Hülle“ darstellt.338 Deshalb werden im Folgenden die handschriftlichen Überlieferungen als „Apophtegmata Lutheri“ bzw. der einzelne dort zu findende „Ausspruch“ als „Apophthegma“ bezeichnet. Der Begriff „Tischreden“ wird dadurch wieder geschärft, dass er auf Aurifabers und die diesen aufgreifenden Druckausgaben beschränkt wird.

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“ Auf Grundlage des aktuellen Forschungsstandes resultiert aus den vorausgegangenen Überlegungen zur Methodik als zentrale Frage die nach den redaktionell und memorial begründeten „Lutherbildern“ der sog. „Tischreden“ bzw. „Apophthegmata Lutheri“. Somit ordnet sich die vorliegende Studie in einen mannigfaltigen Forschungsstrom ein, der zudem die breite Extension des „Bildbegriffs“ widerspiegelt. Anhand von Texten und gemalten Bildern wurde ein äußerst vielfältiges Tableau von „idealisierenden Porträts, […] überschwänglichen Epitheta, […] euphorisierenden Stilisierungen des gottgesandten Propheten, des Theanders, des Gottesmannes, des christomorphen Märtyrers, des paulomorphen Gottesknechts, des neuen Daniels, des dritten Elia, des seit tausend Jahren kundigsten Schriftauslegers und des geweissagten Reformators“339

erhoben. Die Ursprünge dieser „Bilder“ liegen zeitlich nicht selten bereits in den frühen 1520er Jahren und weisen teilweise Konvergenzen mit Luthers Selbstverständnis auf.340 Zudem zeichnet sich in den 1540er / 1550er 338 GEHRT, Gotha, 194. Der Begriff „Apophthegmata“ wurde ebenso von BÄRENFÄNGER / MICHEL / LEPPIN, Einleitung, 3f., als Alternative vorgeschlagen. 339 KAUFMANN, Anfang, 266. Zur breiten Extension des Bildbegriffs s.a. MICHAEL,

Bilder, 101 mit Anm. 1; Zitat: ebd.: „Unter den Begriff des Bildes fallen in der deutschen Sprache heute und auch schon bei Luther ganz unterschiedliche Dinge: Zweioder dreidimensionale Bildwerke, innere Vorstellungsbilder sowie komplexe Gesamtheiten von Vorstellungen und Wertungen, verschiedene Formen sprachlicher Veranschaulichung, dazu biblischer Ereignisse (insbesondere im Hinblick auf typologische Verhältnisbestimmungen) und etwa auch die Sakramente kann Luther als ‚Bilder‘ (imagines) bezeichnen.“ 340 Aus der Vielfalt der Studien sei exemplarisch zunächst verwiesen auf die älteren, auf einen Gesamtüberblick zielenden Monographien, d.h. ZEEDEN, Urteil; STEPHAN, Wandlungen sowie mit Schwerpunkt auf die Zeit ab den Frühidealismus BORNKAMM, Spiegel. Neben diese treten verschiedene, auf die Reformationszeit bezogene Spezial-

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“

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Jahren eine Verschiebung ab, der Subtilität,* aber auch Intensität und Tenstudien, in denen verstärkt auch „künstlerischen Bildwerken“ Rechnung getragen wird: Vgl. z.B. die – etwas zu einseitig unter dem Interpretament der „Popularisierung“ stehenden – Arbeiten von Robert W. Scribner aus den 1980er Jahren (SCRIBNER, Sake; SCRIBNER, Incombustible; SCRIBNER, Luther-Myth), die an Ausführungen von Brückner und Gruppe anknüpfen konnten (BRÜCKNER / GRUPPE, Sage). Die Vielfalt der „(Sprach)Bilder“ verdeutlicht zudem der den frühen Flugschriften gewidmete Beitrag Körsgen-Wiedeburg, Flugschriften; s. punktuell auch die Dissertation OELKE, Konfessionsbildung, bes. 231–239. Zu verweisen ist des Weiteren auf die systematisierenden Studien von Robert Kolb, der zum einen dem Verständnis Luthers als „prophet, teacher, hero“ in den Jahren 1520–1620 (KOLB, Prophet; s.a. die kurze Vorstudie: KOLB, Umgestaltung) bzw. als „Heiliger“ (KOLB, Saints) nachgeht – s. in dieser Hinsicht auch bedingt den Beitrag KASTEN, Luther-Mythos, in dem die Germanistin „Sakralisierungstendenzen“ in Bildnissen und Luthers „Selbstentwürfen“ nachgeht. Thomas Kaufmann wiederum geht ganz grundsätzlich unter dem Interpretament der „Heroisierung“ den frühen „Lutherbildern“ bis 1524/25 nach (KAUFMANN, Anfang, 266–333; Näheres hierzu s. S. 79f.). Zudem entfaltet er in seiner der Magdeburger „Hergotts Kanzlei“ gewidmeten Studie u.a. auch das dieser Gruppe eignende Lutherbild (vgl. KAUFMANN, Ende, 367–381). Matthias Pohlig wiederum konzentriert sich in seiner Dissertation in Bezug auf das „Lutherbild“ auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts mittels der von Weber her kommenden Dichtomie Charisma / Tradition, d.h. „zwischen einer Einordnung Luthers in die Geschichte und seiner Zeichnung als charismatische Gestalt“ (vgl. POHLIG, Gelehrsamkeit, 53f.100–132; Zitat: ebd., 116). Aus medialer Perspektive greift Sandl die Thematik auf (SANDL, Medialität, bes. 225–284.457– 477). Dabei versteht er die Frage nach der historischen Persönlichkeit Luthers als Frage des „reformatorischen Sinns, als dessen Generator er [d.h. Luther; I.K.] fungierte“ (ebd., 226). Zudem deutet Sandl vor dem Hintergrund seines Verständnisses der Reformation als Zeitenwende die Rede von Luther als Propheten als „heilsgeschichtliche Signatur“ und endzeitliche Kontinuitätsstiftung (ebd., 283). Weiterhin entfaltet er auf drei Ebenen (1. Sinn der Reformation; 2. Textcorpus; 3. Umgang mit den Lutherschriften), wie Luther nach 1550 „neu erfunden [wurde], um das Erbe der Reformation zu definieren“ (ebd., 460). Einen weiteren Zugang eigener Art stellt Ropers Kurzstudie zu Luther als „feisten Doktor“ dar, in deren Fokus nicht nur die Frage steht, „warum Luther als dick abgebildet wurde […], sondern auch […], wie seine Körperlichkeit – seine Massigkeit, seine Verdauung, seine Analität – mit seinem Charakter, seinen Ansichten über den Teufel und der allmählich entstehenden Identität des Luthertums zusammenhing“ (ROPER, Doktor, hier: 7). Einige kleinere Studien sind zudem auf Luthers Prophetentum und von hier „Prophezeiungen“ Luthers bezogen (vgl. noch einmal KOCH, Lutherflorilegien; SOMMER, Prophet; diese Studien sind zu ergänzen durch die Habilitationsschrift LEPPIN, Antichrist, bes. 130–150 sowie v.a. aufgrund des Materialreichtums immer noch PREUß, Prophet). Nicht nur diesbezüglich ist – mit weiten Teilen der genannten Studien – darauf zu verweisen, dass diese Bilder auch ihren Anhalt in Luthers (ambivalenten) Selbstdeutungen haben; zu dieser Thematik s. zudem: HOLL, Urteile; CAMPENHAUSEN, Selbstbewußtsein; LOHSE, Selbsteinschätzung. Dafür, dass in dieser Hinsicht auch Luthers Kleidung zu berücksichtigen ist, sensibilisieren RUBLACK, Dressing up, hier: 97–101; KRENTZ, Kleidung. Ein besonderes Augenmerk galt weiterhin Texten, die der „Lutherbiographik“ i.w.S. zugerechnet werden – vgl. im Besonderen WOLGAST, Biographie; POHLIG, Gelehrsamkeit, 107–117;

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

denz nach.341 Trotz aller Elaboriertheit des Forschungsstandes fällt auf, BACKUS, Life writing; VANDIVER e.a., Lives sowie die Arbeiten von Boettcher, die sich der Thematik aus memorialer Perspektive zuwendet: vgl. BOETTCHER, Luther; s.a. BOETTCHER, Predigten; BOETTCHER, Spangenberg sowie die Ausweitung dieser Studien auf Lutheralterbilder (BOETTCHER, Trägheit) bzw. das Verständnis der lutherischen Konfession des 16. Jahrhunderts (BOETTCHER, Lutherans); s.a. WARTENBERG, Kindheit; IMMENKÖTTER, Luther-Biographien; PLITT, Lutherbiographien. Legte bereits der Historiker Scribner den Fokus auf ein Verständnis der Bilder als „Propaganda“ (vgl. SCRIBNER, folk, xxi–xxix), wurde dieser Impuls aus kunstgeschichtlicher Perspektive flankiert, insofern v.a. Warnke aufgezeigt hat, wie gezielt von Spalatin und Cranach in der Frühphase der Reformation ein „image“ Luthers gestaltet wurde (WARNKE, Image; s.a. KÖHLER, Bildnis). Zu den „künstlerischen Bildwerken“ i.A. s. Erstüberblicke wie HEAL, Ikonographie; SÖRRIES, Ikonographie; KRUSE, LutherIllustrationen. Aufgrund der im Anhang zu findenden zahlreichen Abbildungen ist auch für die Reformationszeit auf die vornehmlich auf das 19. Jahrhundert bezogene Dissertation von Holsing zu verweisen (HOLSING, Luther) – s.a. FICKER, Älteste Bildnisse; FICKER, Bildnisse; PREUß, Lutherbildnisse; TREU, Luther-Bilder; THULIN, Cranach-Altäre. Erste Konturen der Auswirkungen von Reformation und Humanismus auf die Bildproduktion erhebt Schuster in seinem Beitrag (SCHUSTER, Ewigkeit). Den Urhebern der späteren „Apophthegmata Lutheri“-Sammlungen lagen nicht wenige der folgenden Texte zumindest potenziell vor, so dass diese zum „Kommunikationskontext“ ihrer Luthermemoria bzw. Lutherbilder gehörten. Zunächst ist auf Luthers Vorrede zum ersten Band der Lateinischen Schriften der Wittenberger Ausgabe seiner Werke, dem „großem Selbstzeugnis“ (vgl. STRACKE, Selbstzeugnis bzw. WA 54, 179–187) zu verweisen. Daneben treten die „offiziellen“ von Michael Coelius, Justus Jonas und Johannes Bugenhagen verfassten Leichenpredigten (ediert in FÖRSTEMANN, Denkmale, 54–74 [Nr. 18].33–51 [Nr. 14].87–98 [Nr. 28]) sowie verschiedene Texte Melanchthons (Bericht im Kolleg: ediert in SCHUBART, Berichte, 22–24 [Nr. 21]; Oratio in funere: beide Fassungen ediert in BRÄUER, Überlieferung, 210–214.214–218; Declamatio de Luthero et aetatibus ecclesiae: CR 11, 783–788; die als Vorrede zum zweiten Band der Wittenberger Ausgabe der Lateinischen Werke Luthers konzipierte Historia Lutheri: CR 6,155–170 [Nr. 3478] – zu den ab 1548 greifbaren Sammeleditionen weiter Teile dieser Texte Melanchthons vgl. WENGERT, Biography und bedingt WEINACHT, Melanchthon). Weiterhin thematisierte Ludwig Rabus Luther im 1556 erstmals erschienenen vierten Band seiner Märtyrergeschichte und orientierte sich dabei an Melanchthon, bot primär aber eine chronologische Übersicht und edierte zentrale Texte Luthers mit Kurzkommentar (vgl. RABUS, Historien, fol. ir–cccxliiijv; die Dissertation DEDEKE, Märtyrerbücher, ist nicht mehr greifbar; s.a. aber neben den bereits genannten Überblickstiteln bes. POHLIG, Gelehrsamkeit, 348–360). Die Zweitedition aus den 1570ern kannte bereits die am weitesten verbreitete „Biographie“, die 1566 posthum edierten Lutherhistorien des Mathesius (zu diesem Werk s. S. 19f. Anm. 90). Von Spangenbergs zwischen dem 11. November 1562 und dem 18. Februar 1574 gehaltenen Predigten gehören zumindest noch die ersten zum Entstehungskontext, zumal diese anfänglich separat gedruckt worden waren (zu diesen Predigten ist über die Überblickswerke sowie insbesondere die Studien von Boettcher hinaus noch auf HERMANN, Lutherpredigten und WOLF, Originalität zu verweisen. Noch vor diesen beiden Predigtzyklen entstanden die Aufzeichnungen des 1559 verstorbenen Matthäus Ratze-

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“

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dass die „Apophthegmata Lutheri“ höchstens am Rande berücksichtigt wurden.342 Insofern können mit der vorliegenden Studie die bisherigen Forschungen in doppelter Weise konstruktiv fortgeführt werden: einerseits die zum „Lutherbild“, andererseits die zu den sog. „Tischreden“ bzw. „Apophthegma Lutheri“. Dazu wird ein alternativer Weg beschritten, insofern methodisch ernst genommen wird, dass diese Überlieferungen erst in zweiter Linie auf das „authentisch“ Lutherische, auf die „ipsissima vox Lutheri“ zu befragen sind. Entstehung sowie die plurale Überlieferungssituation weisen diese Quellen zudem gegenüber anderen zeitgenössischen „Repräsentationsformen“ Luthers343 als in besonderer Weise formbare bzw. „gruppenspezifisch“ geformte Medien der Luthermemoria aus, durch die vielfältige Luther-Bilder bewahrt bzw. produziert wurden. Diese sind methodisch in der entfalteten Weise zu erheben. Der Fokus wird somit auf – primär redaktionell begründeten – aktualisierenden Rezeptionen und damit „Vergegenwärtigungen“ Luthers liegen. Das von der Forschung bereits erarbeitete differenzierte Tableau von Vorstellungen, Epitheta etc. wird vorausgesetzt, steht aber nicht im Zentrum. Vielmehr werden primär Aspekte der vitalen und vielschichtigen Aneignungsprozesse vor ihrem jeweiligen historischen Ort erhellt und die jeweiligen Träger(kreise) durch Analyse der redaktionellen Beiträge als eigenständige (theologische) Interpreten bzw. „Autoren“ ernst genommen. Insofern konvergiert diese Studie dem Grundanliegen nach mit Thomas Kaufmanns Konzept der „kontextuellen Reformation“, das sich ebenfalls „einer konsequenten Historisierung des Gegenstandes verpflichtet“ weiß und berücksichtigt, bergers, die ebenfalls „biographisches“ Material enthalten, jedoch erst 1850 von Neudecker erstmals publiziert wurden (vgl. NEUDECKER, Geschichte; s.a. VOLZ, Lutherpredigten, 36). Das prägendste altgläubige Gegenbild verfasste Johannes Cochlaeus mit seinen Lutherkommentaren, erstmals 1549 publiziert (zur Forschungsliteratur s. S. 139 Anm. 239). Einen breiteren Überblick über das Gesamt der katholischen „LutherImagination“ bietet Burschel, nach dem Luther als „Häretiker-Typus neuer oder doch zumindest gesteigerter Qualität“ ausgewiesen worden sei (vgl. BURSCHEL, Monster; Zitat: ebd., 47). 341 Vgl. SCRIBNER, Incombustible, 47–53; KAUFMANN, Konfession, 67f. 342 Vgl. Kolbs kurze Ausführungen, die Aurifabers Druckausgabe sowie deren Überarbeitungen durch Stangewald und Selnecker als Ausdruck von Luthers „Prophetentum“ verstehen (vgl. KOLB, Prophet, 152–154). Roper verengt in ihrer Studie die „Tischredenüberlieferung“ auf Aurifabers Druckausgabe (ROPER, Doktor). Susan Boettcher, mit deren Dissertation die vorliegende Studie den memorialen Zugriff – wenn auch mit anderem theoretischen Rahmen, d.h. unter Rekurs auf das Assmannsche Konzept sowie den Gießener SFB – wie den Untersuchungszeitraum 1546–1566 teilt, lässt die auf Aurifabers Druckfassung zugespitzten „Tischreden“ explizit außen vor (vgl. BOETTCHER, Luther, 7.345). 343 Vgl. KAUFMANN, Reformationsgedenken, 287–291 [Lit!].

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

„dass auch die Art und Weise, wie die Nachrichten über die Texte von Luther und anderen Akteuren aufgenommen wurden, in mehr oder minder starkem Maße von den Kontexten, Lebensumständen und Erwartungshorizonten derer abhingen, die sie aufnahmen“344.

Nicht minder weiß sie sich zurückgebunden an Irene Dingels Ausführungen zu den „Strukturen der Lutherrezeption“, die bereits das Spannungsfeld von Rezeption, Identität und Lutherbild eröffnen und diesbezüglich prägnant ein „Doppeltes“ betonen: „1. Die rückschauende Identifikation mit dem Reformator leitet eine rezeptionsgeschichtliche Entwicklung ein, die das Objekt der Rezeption dabei seiner eigenen Zeit entfremdet und in neue Zusammenhänge einfügt. 2. Dieser Identifikationsprozeß definiert zugleich – auf der Ebene der Rezipienten – neue Identitäten, obwohl die Rezipienten, wenn sie auf Luther rekurrieren, gerade den althergebrachten, auf Luther zurückgehenden Normen und Mustern, eben dem wahren und unverfälschten Luther, treu bleiben wollen, ohne das Objekt der Rezeption umzuprägen oder neu zu definieren. Die bereits sehr früh einsetzende Rezeption prägte dabei – durchaus unbeabsichtigt und ohne daß man sich dessen bewußt wurde – ein gewandeltes, den jeweiligen Bedürfnissen angepaßtes Lutherbild sowie eine über Luther hinausgehende lutherische Theologie und gestaltete damit zugleich kirchliches und gesellschaftliches Leben.“345

Auf ganz basaler Ebene ist nochmals zu betonen, dass die einzelnen Überlieferungen jeweils als „Ganze“ zu betrachten sind, inklusive der Beigaben, so dass z.B. auch künstlerische „Bildnisse“ oder „Gedichte“ zu berücksichtigen sind. Aufgrund der „Mängel“ der Krokerschen Edition, wie dessen Entscheidung, Quellen „auseinanderzureißen“, oder seinen z.T. hoch hypothetischen Zuschreibungen sowie die Konzentration auf wenige Handschriften,346 werden die in I 2. entfalteten methodischen Rahmenbedingungen in dieser Studie exemplarisch anzuwenden sein. Dabei liegt es nahe, den Fokus auf nach Loci geordnete Sammlungen zu legen, die einen eigenen, auf Luther im Besonderen bezogenen Locus aufweisen. Diese Loci lassen aufgrund der Genese die auf Luther bezogenen memorialen Interessen der jeweiligen Urheberkreise in besonderer Weise erkennen. Obwohl in den übrigen Loci weitere Facetten des Lutherbildes greifbar oder vertieft werden, sind diese Loci für die Frage nach dem jeweiligen Vgl. KAUFMANN, Anfang, bes. 18–23; Zitat: ebd., 18. Zu mit dem historiographischen Anspruch einer „Kontextualisierung“ grundsätzlich einhergehenden methodischen „Problemen“ s. POHLIG, Gelehrsamkeit, 18–23. Zugleich bedeutet „Kontextualisierung“ aber nicht, wie Sandl eine „Zeitgeschichte“ zu schreiben und deshalb weitestgehend auf Quellenkritik zu verzichten (gegen SANDL, Medialität). 345 Vgl. DINGEL, Lutherrezeption, hier: 32. S.a. DINGEL, Ablehnung. Dort wird – in Bezug auf Diskussionen im Anschluss an das Konkordienwerk – exemplarisch deutlich, wie stark die theologische „Selbstverortung“ auf die Rezeption des Bildes von Luther als Propheten zurückwirkte. 346 S.a. S. 15f. 344

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“

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Lutherbild der Sammlungen sammlungsimmanent die entscheidenden.347 Insofern entspricht es dem Duktus und Aufriss der Handschriften, sich bei den folgenden Analysen primär auf diese zu konzentrieren und zwar unter der im Vorangehenden begründeten Prämisse, dass diese nicht „Luther an sich“, sondern „Luther über sich selbst“ – aus einer bestimmten Sicht für einen bestimmten „Rezipientenkreis“ in einer bestimmten Situation vermitteln. Dieser Zugriff ist prinzipiell bereits in der Gattung der Apophthegmata grundgelegt, insofern diese auf Aktualisierung zielen. Zudem sensibilisiert der medienorientierte Zugriff für das Wirkungspotential. Deshalb können die hinter der Rezeption liegenden Intentionen bzw. die aktualisierenden Vergegenwärtigungen Luthers, in offen zu legenden unterschiedlichem Maße, methodisch verantwortet plausibilisiert werden. Einen solchen auf Luther im Besonderen bezogenen Locus weisen zum einen die in der Anfang der 1550er zu datierenden Gothaer Handschrift Chart. A 402 sowie in dem etwas später abgeschlossenen Hamburger Doppelband Sup. ep. 4° 73 bzw. Sup. ep. 4° 74 greifbare „Wellersche“ Tradition,348 zum anderen die erstmals in der Handschrift D 116 2° greifbare Lauterbach-Hänelschen Tradition auf.349 Daneben wird in dieser Studie zum dritten Aurifabers Druckfassung treten.350 Dies ist gesondert zu begründen, insofern diese keinen entsprechenden Locus kennt: Zum einen damit, dass im alphabetisch geordneten „Register vnd Summarischer Inhalt“ dieses Werkes ein äquivalentes Lemma aufgeführt wird. Zum anderen rekurrierte Aurifaber grundlegend auf beide genannten handschriftlichen Traditionen. Zum dritten stellt seine Ausgabe den wirkungsgeschichtlichen Fluchtpunkt der „Apophthegmata Lutheri“ dar. Aus diesen Gründen wird die Ausgabe auch im Rahmen dieser Studie – als Schlusskapitel – aufgegriffen. Für jede der genannten Überlieferungen wird das jeweilige (memoriale) Proprium der Träger(kreise) und ihres Lutherbildes aufzuzeigen sein. Dazu wird jeweils zunächst die Handschrift und ihr „Träger(kreis)“ mit seinem Kontext bzw. seiner „mentalen Welt“351 vorzustellen sein. Terminologisch geraten hier – durch den primären zeitlichen Fokus auf die Phase nach Luthers Tod – die aktuell in der Forschung zu Recht kritisch hin347 Dem korrespondiert, dass diesen verstärkt eine Tendenz zur Biographik eignet – s. hierzu S. 54f. 348 S. Kapitel II. 349 S. Kapitel III. 350 S. Kapitel IV. 351 Zu diesem Begriff vgl. KAUFMANN, Ende, bes. 429–484. Diese bestehe „in bestimmten Grundannahmen, Ängsten und Feindbildern, Identitätsmustern, Erinnerungen, ‚Techniken‘ der Zeit- und Wirklichkeitsdiagnostik, der Überzeugungsarbeit und der Gemeinschaftsstiftung […].“

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

terfragten – nur z.T. zeitgenössisch grundgelegten – Unterscheidungen von „Gnesioluthertum“ bzw. „Flacianern“ auf der einen Seite und „Philippisten“ bzw. „Melanchthonianern“ oder „Kryptocalvinisten“ auf der anderen in den Blick. Der Kritik wird Rechnung getragen, indem diese primär als „Verabredungs-“ bzw. „Orientierungsbegriffe“ verstanden werden, die im Rahmen der folgenden Analysen – mit Blick auf die unstrittig zeitgenössisch vorhandenen unterschiedlichen Zentren, d.h. Wittenberg bzw. Magdeburg und später Jena – exemplarisch inhaltlich gefüllt werden müssen.352 Damit ist zumindest implizit angedeutet, dass zur Frage nach dem Lutherbild zugleich die Frage nach dem damit einhergehenden Verständnis von Melanchthon zu stellen ist.353 Im Analyseteil i.e.S. werden dann auf den Ausführungen zum Kontext aufbauend – sofern möglich – detaillierte synoptische Vergleiche mit den früheren Nachschriften auszuwerten sein, so dass auch diese Überlieferungsstufe berücksichtigt wird. In Bezug auf Aurifaber geht damit insofern ein Methodikwechsel einher, als die Frage der Rezeption der in den zuvor analysierten handschriftlichen Tra-

352 Vgl. Dingels Einleitung (C&C 1, 10f.), die zudem zu Recht darauf verweist, dass es in den Streitkreisen nach Luthers Tod zu „themen- und problemspezifisch motivierten Gruppenbildungen“ kam und deshalb eine apodiktische Unterscheidung von „Gnesioluthertum“ von den „Philippismus“ zu kurz greife. Diese Impulse aufgreifend, werden die Begriffe in der vorliegenden Studie trotz der begründeten Kritik von Thomas Kaufmann, der sich dezidiert gegen die Verwendung der Begriffe „Gnesiolutheraner“ – und weniger strikt – „Flacianismus“ ausgesprochen hatte (vgl. KAUFMANN, Ende, 74– 76 Anm. 123; KAUFMANN, Anfänge, 209–212; für die Jahre nach 1574 lehnt Ludwig den Begriff ab und ersetzt ihn durch „orthodoxe Lutheraner“: LUDWIG, Philippismus, 16), weiterhin verwendet, jedoch in Anführungszeichen gesetzt. S.a. die Kritik von Slenczka an Kaufmanns strikter Ablehnung (SLENCZKA, Schisma, 29–36). Auffällig ist zudem, dass die Gruppe der „Philippisten“, die im Anschluss an Barton oftmals weiter unterteilt wird in „Melanchthonianer“ und „Philippisten“, weniger scharf konturiert erscheint (zu den Begrifflichkeiten s. den Forschungsüberblick LUDWIG, Philippismus, 8–16 sowie den grundlegenden Beitrag KOCH, Philippismus und BARTON, Erbe, 10f.). Zum Begriff des „Kryptocalvinismus“ s. neben Ludwig (a.a.O.): JUNGHANS, Kryptocalvinisten; HASSE, Zensur, 138f. sowie HUND, Wort, bes. 14–42.674, der an dem Begriff als Ausdruck einer angestrebten Lehrkonkordie mit den Calvinisten festhalten möchte. Zur weiteren Binnendifferenzierung s.a. DINGEL, Concordia, 17–19. Ähnlich kritisch zu der im Vorangehenden umrissenen Terminologie äußert sich, den aktuellen Stand angemessen zusammenfassend, MICHEL, Kanonsierung, 2f. 353 Diesem wurde in der Forschung bisher deutlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt – vgl. MICHEL, Kanonisierung, 15. Einen ersten, das 16. bis 19. Jahrhundert umfassenden Forschungsüberblick bietet WARTENBERG, Melachthonbiographien; s.a. Pohligs Ausführungen zum Melanchthongedächtnis (POHLIG, Gelehrsamkeit, 125– 132); DINGEL, Freunde und den auf die Rezeption Luthers und Melanchthons in der Schülerrezeption bezogenen Sammelband DINGEL, Memoria; v.a. in materialer Hinsicht gerät die Dissertation Koblers in den Blick (KOBLER, Melanchthonbildes).

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“

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ditionen greifbaren Aspekte in den Vordergrund rückt und die Ergebnisse mit den mittels des Lemma greifbaren Facetten abzugleichen sein werden. Zudem wird auf Grundlage der Überlegungen zur Gattung und Methodik der Rahmen dieser „zeitgenössischen“ Rezeptionen und ihrer Bilder weit angesetzt werden. Es sind die ineinandergreifenden und vielschichtigen Fragen nach Memoria, nach Identität, nach der Luther zuerkannten Autorität und nach dahinter aufscheinenden Fermenten von Institutionalisierungsprozessen zu berücksichtigen. Diesbezüglich kann auf verschiedene historiographische Deutungsversuche rekurriert werden, deren Praktikabilität hinsichtlich der „Apophthegmata Lutheri“ im Rahmen dieser Studie weiter auszuweisen sein wird. Zunächst ist auch in dieser Hinsicht auf die bereits erwähnte Studie von Irene Dingel zurückzugreifen. Unter dem Interpretament der „Lutherrezeption“ entfaltet sie anhand von Joachim Westphals Äußerungen im Kontext des interimistischen sowie adiaphoristischen Streites ein „Vorverständnis“, das „allen Gnesiolutheranern als ein sozusagen ‚apriorischer Konsens‘ eigen war“ bzw. gewesen sei. Dieser enthalte folgende Aspekte: 1. Martin Luther gilt als Werkzeug Gottes; 2. Luther und seine Bücher werden als Garanten der Wahrheit angesehen; 3. Luther als ausschließliche, reformatorische Autorität; 4. Die sichere Überzeugung, die eigene Zeit und ihre Ereignisse zutreffend deuten und recht einordnen zu können; 5. Die Überzeugung von der überzeitlichen Geltung der Aussagen Luthers; 6. Den Konsens hinsichtlich der normsetzenden Funktion der Rechtfertigungslehre.354

Diese Motivik ist des Weiteren durch das von Johannes Hund mit Blick auf dieselben Streitkreise eingebrachte Motiv der „Prophetenfortschreibung“ zu ergänzen.355 Dieses ist vom Begriff her exegetisch grundgelegt.356 Hund versteht darunter den „direkte[n], aktualisierende[n] Anschluss an den endzeitlichen Gottesmann Luther“, durch den „der Kirche ihre Identität und Richtung […] in allen Wirren der Endzeit“ gegeben werden soll.357

Vgl. DINGEL, Lutherrezeption. Vgl. HUND, Autorität, 289–302, bes. 290–295. Die Studie als Ganze ist der Doppelfrage nach „Autorität und Identität“ gewidmet und entfaltet diesbezüglich drei idealtypische Antworten: 1. werde aus „gnesiolutheranischer“ Perspektive Luther als „endzeitlicher Prophet“ zum „Identitätsstifter“; in diesem Zusammenhang steht die Rede von der „Prophetenfortschreibung“. Aus „philippistischer“ Perspektive werde 2. vor dem Hintergrund der Nähe zwischen Melanchthon und Calvin ein „Programm einer europäischen Identität“ entworfen. 3. sei im Vorfeld der Konkordienformel nach 1574 die Lehreinheit zwischen Luther und Melanchthon postuliert worden. 356 S. STECK, Prophetenauslegung; STECK. Abschluss, 61–72; KREUCH, Jesajabuch, bes. 2–4. 357 HUND, Autorität, 290. 354 355

78

I. Kapitel: Methodische Grundlegung

Den forschungsgeschichtlich jüngsten Ansatz hat Stefan Michel im Rahmen seiner Habilitationsschrift entfaltet, in der er den auf die genannten Problemkreise bezogenen Klärungsprozess als „Kanonisierung“ explizierte, worunter „die Ermittlung und inhaltliche Festschreibung der Werke Luthers gemeint ist, die auch zukünftig bewahrt und für den theologischen Diskurs herangezogen werden sollten“358.

Durchgeführt wurde dieser Ansatz für die Lutherbibel, die beiden großen Werkausgaben des 16. Jahrhunderts sowie die Lehrnormierung im Bekenntnis. Die „Tischreden“ (Aurifabers) wurden – ebenso wie die Briefe – als für die Kanonisierung ungeeignet außen vor gelassen.359 Dennoch wird damit zu rechnen sein, dass die von Michel beschriebenen Konservierungs- und Normativierungsprozesse – in unterschiedlicher Weise – ihren Niederschlag in den „Apophthegmata Lutheri“ gefunden haben, zumal unter Berücksichtigung von Wolgasts Ausführungen zur Werkausgabe und deren „Kanonisierung“, insofern dieser – mit Blick auf die Zeit nach Luthers Tod – von einer „Substitution“ des Prinzips des αὐτος ἔφα sowie einer „Quasi-Papalisierung“ spricht.360 Mit dem z.T. eng verwandten Interpretament der „Normativierung“ der Schriften Luthers zielt Thomas Kaufmann prinzipiell ebenso wenig auf die „Apophthegmata Lutheri“, insofern es von ihm als auf die „wahre Lehre“ bezogen verstanden wird und deshalb „textliche und sachliche Authentizität und Eindeutigkeit“361 erforderte. Dazu standen die „vielfältigen, nichtnormativ regulierten Formen“ der Lutherüberlieferung in Spannung und damit jene Überlieferungen, zu denen auch die handschriftlichen „Apophthegmata Lutheri“ zu zählen sind. Der damit bezeichnete „kriteriologische“ Rekurs auf Luthers Werke als „norma normans“ ist ebenfalls schon zu Luthers Lebzeiten greifbar und gehört somit zumindest zum Entstehungskontext der Überlieferungen.362 Das von Helmar Junghans eingeführte Interpretament der „gloria Lutheri“ ist von seiner Genese zeitlich auf die Frühzeit, d.h. die Phase bis zur Leipziger Disputation, und materialiter weitestgehend auf Humanisten bezogen. Mit diesem Fokus nahm Junghans Aspekte der frühen „Verherrlichung Luthers“ durch (humanistische) Anhänger in den Blick. Diese 358 MICHEL, Kanonisierung, hier: 298. Zu den im Folgenden dargestellten vier weiteren Interpretamenten s.a. ebd., 13–15. 359 MICHEL, Kanonsierung, 300. 360 Vgl. WOLGAST, Biographie, 43. 361 Vgl. KAUFMANN, Kultur, 6–74; Zitat: ebd., 69. 362 Im Hintergrund des von Stefan Michel und Thomas Kaufmann Beschriebenen scheint zudem das Konzept der Reformation als „normativer Zentrierung“ von Berndt Hamm auf (HAMM, Prozeß; HAMM, Religiösität).

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“

79

seien v.a. in der persönlichen Begegnung grundgelegt und geprägt mittels humanistischer Rhetorik und hätten auf Luthers „Selbstverherrlichung“ zurückgewirkt.363 Dass den „Apophthegmata Lutheri“ immer auch eine „enkomiastische“ Dimension eignet, haben die vorangehenden Analysen bereits angedeutet. Insofern ist damit zu rechnen, dass diese zumindest unter Brechung der Engführung auf humanistische Rhetorik in den benannten Sammlungen zu greifen sein wird. Explizit auf die Frühzeit, d.h. die Phase bis zur Abendmahlskontroverse bzw. dem Bauernkrieg, bezogen ist demgegenüber das wiederum von Thomas Kaufmann – ausgehend von Hegels Heroenbegriff – entwickelte Interpretament der „Heroisierung. In den Blick genommen werden neben Texten auch bildliche Darstellungen Luthers.364 Es geht Kaufmann um „solche sprachlichen Äußerungen oder bildlichen Darstellungen, die Luther als Täter und bei einer Tätigkeit darstellen, die den habituellen Kontext und die Konventionen des Gelehrtentums und des Mönchsstandes konterkarieren oder überschreiten und ihn innerhalb eines narrativen Zusammenhanges – etwa als Sieger über das Papsttum, als zu Unrecht verfolgten Lehrer des Evangeliums usw. – und, im Falle der Bilder, zumeist innerhalb eines Personenensembles exponieren. Die heroisierenden Darstellungen situieren Luther mittels biblisch-heilsgeschichtlicher, antikisierender oder der zeitgenössischen Lebenswelt entstammender Motive in einem Imaginarium, das seine Überlegenheit durch körperliche Stärke oder achtungsgebietende szenische Präsenz zum Ausdruck bringt.“365

Insofern Kaufmann mit der „Leistung“ Luthers zugleich auf dessen „heilsame Wirkungen“, auf das „pro me“ zielt, sind die Übergänge zum Hagiographischen als fließend zu verstehen.366 Wenn er neben dem Kampf gegen das Papsttum zudem die enge Verbindung mit den „euphorischen Reaktionen der Humanisten“ betont, zeichnet sich ab, dass er das Junghanssche Interpretament mit im Blick hat. Trotz der Konzentration des die Vielzahl der sprachlichen und bildlichen Bewertungen bewusst selektierenden Interpretaments367 auf die Frühzeit bis 1524/25, kennt Kaufmann auch „später[e] konfessionell[e] Heroisierungen“, die jedoch unter das – noch dazustellende – Interpretament der „Monumentalisierung“ fielen: Vgl. JUNGHANS, Luther, 288–319. Weitere Zeugnisse für die „Verherrlichung“ bietet MOELLER, Berühmtwerden, bes. 24–32. 364 Vgl. KAUFMANN, Anfang, 266–333. Ähnlich rekurriert bereits Pohlig auf den Begriff (POHLIG, Gelehrsamkeit, 100–107). Vom Konzept des „vir heroicus“ her kommend, hatte zudem Kolb den Heroenbegriff hinsichtlich der „Lutherbilder“ aufgegriffen, aber ohne eine analoge zeitliche Begrenzung und in enger Anbindung an seine anderen Leitbegriffe, d.h. „Lehrer“ und „Prophet“ (vgl. KOLB, Luther, bes. 26f.). 365 KAUFMANN, Anfang, 267. 366 Vgl. KAUFMANN, Anfang, 268. 367 Vgl. KAUFMANN, Anfang, 266f.330. 363

80

I. Kapitel: Methodische Grundlegung

„Die Zukunft gehörte nicht dem heroisierten, sondern dem monumentalisierten Luther, nicht mehr dem tapferen Kämpfer, sondern dem siegreichen Bekenner und trutzfesten, unerschütterlichen Vorbild und Kirchenlehrer. Er wurde in der Tradition der nunmehr ganz dominierenden Cranachschen Darstellungsweise zu einem maßgeblichen Moment lutherischer Konfessionskultur.“368

Dennoch wird zu fragen sein, inwiefern sich in den „Apophthegmata Lutheri“ nicht trotzdem „heroisierende“ Strategien niedergeschlagen haben, zumal dieses Interpretament „lokal“ bzw. „regional“ zu verifizieren sei.369 Als Indikatoren können – unter Rekurs auf Kaufmann – eine klare Ausrichtung auf Luther als unbeugsamen – aber dabei auch martyriumsbereiten –370 Streiter gegen die Scholastik,371 gegen die Mängel des Kirchenwesens372 oder die römische Übermacht373 bzw. national grundiert gegen die „listigen und verschlagenen Italiener“374 gelten. Weiterhin wäre auf Hinweise auf eine positive Würdigung von Luthers „immodestia“ zu achten375 sowie auf einen konstitutiven Rekurs auf Luthers Verurteilungen durch Papst, Kaiser und Reich.376 Das Interpretament der „Monumentalisierung“ ist das einzige, das ausdrücklich für die „Apophthegmata Lutheri“ in Anspruch genommen wurde. Auch dieses war ursprünglich von Wolgast in Bezug auf die Wittenberger Werkausgabe eingeführt worden. Durch die Verbindung mit dem Begriff „Historisierung“ scheint ein memorialer Aspekt auf, daneben tritt aber auch eine enkomiastische Füllung.377 Volker Leppin übertrug diesen Begriff primär unter Rekurs auf seine memoriale Dimension u.a. auf die „Apophthegmata Lutheri“, die als „wichtigst[e] Form der Monumentalisierung“ bezeichnet werden.378 Im Hintergrund steht die komplexe Frage nach der Autorität Luthers angesichts der „Diskrepanz zwischen faktischer realpolitischer und symbolischer Bedeutung Luthers“379 bei gleichzeitiger Unstrittigkeit seiner „fortdauernd[en] theologisch[en] Bedeu-

KAUFMANN, Anfang, 331. S.a. ebd., 269f. Vgl. KAUFMANN, Anfang, 330. 370 Vgl. z.B. KAUFMANN, Anfang, 329. 371 Vgl. z.B. KAUFMANN, Anfang, 271. 372 Vgl. z.B. KAUFMANN, Anfang, 271. 373 Vgl. z.B. KAUFMANN, Anfang, 273. 374 KAUFMANN, Anfang, 281. 375 Vgl. KAUFMANN, Anfang, 278f. 376 Vgl. KAUFMANN, Anfang, 285. 377 Vgl. WOLGAST, Biographie, bes. 42f.52–54. Doch spricht bereits Zeeden bezüglich „Luthers Amt und Person im Urteil der lutherischen Orthodoxie“ von „religiöse[r] Monumentalisierung“ (ZEEDEN, Luther, VII). 378 Vgl. LEPPIN, Leitung, 282 bzw. S. 14 Anm. 68. 379 LEPPIN, Leitung, 278. 368 369

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“

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tung“380. Wolgast wie Leppin zielen mit diesem Interpretament auf eine zeitgenössische Wahrnehmung Luthers, die bereits zu Luthers Lebzeiten ihren Anfang nahm und insbesondere ab Ende der 1530er Jahre greifbar sei. Dies konkretisierend, sieht Thomas Kaufmann das im Vorangehenden dargestellte Interpretament der „Heroisierung“ 1524/25 von der „Monumentalisierung“ abgelöst, so dass der Bezug auf die Wittenberger Bemühungen um das Luthererbe letztlich transzendiert wird.381 Jedoch kann die Unterscheidung von der Erinnerungsforschung her weiter geschärft werden. „Monumentalisierung“ kann in dieser Hinsicht verstanden werden als auf die Kommunikation mit der Nachwelt zielende Zeichensetzung.382 Von hier aus gilt für Texte, dass diese als Monumente zu verstehen sind, wenn sie „über die Eigenschaft der Stilisierung hinaus eine an die Mit- und Nachwelt gerichtete Botschaft kodieren. Monument ist, was dazu bestimmt ist, die Gegenwart zu überdauern und in diesem Fernhorizont kultureller Kommunikation zu sprechen.“383

Letzteres wäre bei den folgenden Analysen als Differenzkriterium zu einer rein „enkomiastischen“ bzw „heroisierenden“ Stilisierung im Sinne von Junghans bzw. Kaufmanns Interpretament zu berücksichtigen. Damit ist zugleich benannt, dass zumindest die soeben genannten Interpretamente mit im Blick bleiben werden, bedingt auch die der „Kanonisierung“ und der „Normativierung“, wobei letzteres mit Sandl gleichsam als „Monumentalität des Sinns seiner Schriften“ verstanden werden könnte.384 Zeitlich wie inhaltlich weist die vorliegende Studie des Weiteren Berührungen zum „Konfessionalisierungsparadigma“ auf.385 Dieses bis heute einflussreiche „Paradigma“ wurde von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling parallel und dennoch unabhängig voneinander ab den 1970er 380 LEPPIN, Leitung, 278. Er greift in diesem Kontext auch auf den Weberschen „Charisma“-Begriff zurück. 381 S. S. 79f. 382 Vgl. ASSMANN, Monument, 13f. 383 ASSMANN, Monument, 14. 384 SANDL, Medialität, bes. 472–477.474. 385 Z.B. sind bereits in diesem Prozesse der „Identitifikation nach innen und Demarkation nach außen“ als zentrales Moment benannt worden (vgl. LORENTZEN, Gedächtnis, 682). Aufgrund seiner großen Prägekraft ist die diesbezügliche Literatur sehr breit gestreut. Vgl. deshalb exemplarisch zur Grundlegung den Aufsatz SCHILLING, Reich sowie den Sammelband RUBLACK, Lutherische Konfessionalisierung. Hilfreiche Forschungsüberblicke, in denen auch die Kritikpunkte an diesem „Paradigma“ vertiefter entfaltet werden, zentral – wie bereits angedeutet – die etatistische aber auch modernisierungstheoretische Zuspitzung, bieten z.B. SCHINDLING, Grenzen; EHRENPREIS / LOTZ-HEUMANN, Reformation, 62–79; KLUETING, Zweite Reformation; BROCKMANN / WEIß, Konfessionalisierungsparadigma – bes. der Beitrag des katholischen Kirchenhistorikers HOLZEM, Augenaufschlag.

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I. Kapitel: Methodische Grundlegung

Jahren entwickelt. Im Zentrum standen die Vorstellung gleicher bzw. vergleichbarer Vorgänge in den drei Konfessionen, Äquivalenzen und Kontexteinbettungen, zunächst sehr einseitig verstanden als obrigkeitlich „von oben“ gesteuerte Prozesse unter Vernachlässigung der jeweiligen konfessionellen Propria bzw. der theologischen Perspektive. Dies wurde zu Recht aus kirchenhistorischer Perspektive kritisiert, exponiert von Thomas Kaufmann. Er stellte diesem Paradigma das – aus lutherischer Perspektive – vor einem dezidiert „kulturgeschichtlichen“ Hintergrund formulierte Konzept der „Konfessionskulturen“ entgegen.386 Er versteht darunter „den Formungsprozeß einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein, in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war. Im Unterschied zur komparatistischen Perspektive der neueren Konfessionalisierungsforschung […,] ist [s]ein Anliegen darauf ausgerichtet, die ‚Innenperspektive‘ der Konfessionen, ihre Selbstdeutungen, ihre Wirkungen in der gesellschaftlichen und kulturellen Lebenswelt […] einzubeziehen.“387

Da dieses Konzept zudem auf die „konfessionsinterne Pluralität im lutherischen Protestantismus“ zielt,388 konvergiert es mit den bisherigen methodischen Überlegungen, zumal in diesem Kontext u.a. die Konzentration auf eine Person, d.h. die zentrale Rolle Luthers, als „Alleinstellungsmerkmal“ der lutherischen Konfession hervorgehoben wird: „Die lutherische Konfessionskultur ist auch als permanente Rezeptionsgeschichte der in sich spannungsreichen, nur mittels präzisierender hermeneutischer Strategien theologisch aneignungsfähigen literarischen und symbolischen Hinterlassenschaften Luthers zu verstehen.“389

Vgl. KAUFMANN, Sammelbericht; KAUFMANN, Universität, bes. 23–31; KAUFKrieg; KAUFMANN, Transkonfessionalität sowie die eigene Gegenposition zusammenfassend konturierend: KAUFMANN, Kultur, 3–26. Kritisch hierzu bzw. stärker die Gemeinsamkeiten der beiden Konzepte betonend, äußert sich Pohlig (s. POHLIG, Luthertum, bes. 74–79). 387 KAUFMANN, Krieg, 7. 388 S. KAUFMANN, Transkonfessionalität, 15 sowie KAUFMANN, Konfession, 16–21. Konvergierend betont Boettcher die ursprünglich starke lokale Differenzierung der Memoria (vgl. BOETTCHER, Lutherans, bes. 122.126). 389 KAUFMANN, Konfession, 19f., 20. Aus den genannten Gründen kann Kaufmanns Konzept unmittelbarer als Holzems Konzept der „Konfessionsgesellschaften“, das ebenfalls als kirchenhistorische Weiterentwicklung des „Konfessionalisierungsparadigmas“ zu verstehen ist (vgl. nochmals HOLZEM, Augenaufschlag sowie bereits HOLZEM, Konfessionsgesellschaft und neuerdings die darauf aufbauende zweibändige monographische Studie HOLZEM, Christentum) auf die „Apophthegmata Lutheri“ angewendet werden. 386

MANN,

3. Zur Leitfrage: Die „Lutherbilder“ der sog. „Tischreden“

83

Insofern wird auch zu fragen sein, inwiefern Ergebnisse der folgenden Quellenanalysen von diesem Interpretament her gewinnbringend zu deuten sind. Insgesamt beruht die vorliegende Studie folglich auf den beiden Polen „Redaktion“ und „Memoria“. Es werden klassische Einsichten der Exegese mit erinnerungskulturellen Impulsen verbunden. Auf diese Weise sollen in klassischer Nomenklatur exemplarisch „Lutherbilder der sog. Tischreden“ bzw. kontextuelle Vergegenwärtigungen Luthers in den als Kompilationsliteratur im Allgemeinen bzw. „Apophthegmata“ im Besonderen zu verstehenden Überlieferungen der „Aussagen“ Luthers i.w.S. erhoben werden. Um die jeweiligen Ergebnisse auch in ihren Besonderheiten herausstellen zu können, werden unter Rekurs auf die erarbeiteten methodischen Rahmenbedingungen bei den Analysen der im Zentrum stehenden Quellen jeweils drei Perspektiven unterschieden werden: erstens eine auf die Gruppe, zweitens eine auf die Gläubigen respektive Amtsträger und drittens eine auf Luther an sich bezogene Memoria Luthers und damit erstens primär „identitätsbildende“ Aspekte, zweitens primär „didaktisch-pastorale“ Aspekte, in denen sich auch Institutionalisierungsprozesse niedergeschlagen haben, sowie drittens primär „enkomiastische“ Aspekte. Dieses grobe Raster wird jeweils von den Quellen her zuzuspitzen sein. Dabei wird auch auf die im Vorangehenden entfalteten historiographischen Interpretamente zu achten sein.

II. Kapitel:

Die „Wellersche“ Tradition

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition Grundlage der folgenden Analysen zur Luthermemoria bzw. zum Lutherbild der „Wellerschen“ Tradition ist die früheste nach Loci geordnete Sammlung von Apophthegmata, wie sie durch den Gothaer Kodex Chart. A 402 (= F)1 und den damit eng verwandten zweiteiligen Hamburger Kodex Sup. ep. 4° 73 (= H) bzw. Sup. ep. 4° 74 (= H 74)2 repräsentiert wird. Der Fokus wird zunächst auf der in der methodischen Grundlegung als zentral ausgewiesenen Kontextualisierung liegen. Aufbauend auf den Forschungen von Johannes Haußleiter werden in einem ersten Schritt die Kodizes an sich und in ihrer Bezogenheit auf Freiberg bzw. den „Wellerschen“ Kreis vorzustellen sein (1). Im zweiten Schritt wird die Luthermemoria bzw. das Lutherbild dieser Tradition entfaltet (2).

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten der „Wellerschen Tradition“

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten Mit dem Gothaer Kodex F und dem Hamburger Doppelband H / H 74 gerät eine spätere Stufe der Apophthegmata-Überlieferung in den Blick: Nicht mehr die „Originalmitschriften“ oder die daraus erstellten „Nachschriften“ der Tischgenossen Luthers, sondern eine jüngere, zudem nach

1 Zum Kodex s. bes. WA 48, 365–719; HAUßLEITER, Rätsel; HAUßLEITER, Lutherana; GEHRT, Katalog, II, 742–746; GEHRT, Gotha, 197.204f. sowie NIEWÖHNER, Beschreibung; s.a. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 143; MITSCHERLING, Gotha, 206f.; JACOBS / UKERT, Beiträge, Bd. 3, 304f.; UKERT, Luther’s Leben, Bd. 2, 316; LÖSCHE, Analecta, 30 (Nr. 25); WA TR 1, XIX; WA TR 5, XXVIIf.; WA.B 14, 59f. (Nr. 122); CR 1, XCVI (Nr. 29). Bei Zitaten aus der Handschrift wird auf die Wiedergabe des doppelten Schluss-„n“ verzichtet. 2 Zu diesem s. bes. WA 48, 714–717.365f.601f. sowie KRÜGER, Supellex (zu den Apophthegmata s. ebd., 588a–620b; aufgrund der engen Orientierung an Haußleiters Umschreibung des Inhalts von F ist diese Übersicht an einzelnen Stellen fehlerhaft); s.a. WA.B 14, 76f.; SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 155f., LOESCHE, Analecta, 31. Mein nachdrücklicher Dank geht an die Mitarbeitenden des Handschriftenlesesaals der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Herrn Dr. Stork und Frau Sommer, für die langfristige Ausleihe der Mikrofiche-Kopie des Doppelkodexes.

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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Loci gegliederte „Sammlung“,3 die jedoch augenscheinlich auf frühe Träger der Überlieferung rekurriert.4 Ursprünglich fanden die Handschriften kaum Beachtung in der Forschung. Erst aufgrund der Untersuchungen von Johannes Haußleiter, der die Gothaer Handschrift als „Codex Besoldi“ identifizierte, gerieten die Kodizes stärker in den Blick und ihr Inhalt wurde im 1927 erschienenen Nachtragsband WA 48 verzeichnet.5 Haußleiters Deutung eröffnet ein komplexes Gefüge. Unterschieden wird zwischen Sammler(n) und Schreiber sowie zwischen „Grund-“ und „Nachtragsstücken“. Die anfängliche, ausschließliche Rückführung auf den Nürnberger Hieronymus Besold (1522–1562) revidierte Haußleiter später.6 Zum einen durch zusätzliche Rückbindung der Tradition an Veit Dietrich (1506–1549):7 Der ebenfalls in Nürnberg wirkende Dietrich habe den Grundstock der Sammlung gelegt und 1548 abgeschlossen. Seine Sammlung habe Besold – wie der Urheber der Hamburger Handschrift – von einem Schreiber kopieren lassen, und zwar dergestalt, dass von Anfang an Raum für Ergänzungen vorgesehen war, aber auch nachträglich zusätzlich geschaffen wurde.8 Zum anderen führte Haußleiters verstärkte Zu diesem klassischen Bild der Genese s. S. 2. Vgl. WA 48, 366f. Die im ersten Band der „Tischredenabteilung“ der WA edierten Apophthegmata-Traditionen Dietrichs, Rörers und Medlers sind in F wohl über eine Abschrift der Sammlung Rörers eingegangen. Daneben treten die Sammlungen Schlaginhaufens, Cordatus’ und die auf Weller zurückgeführten Apophthegmata, greifbar im 3., 5. und 6. Abschnitt der von Kroker verantworteten „Tischredenabteilung“ der Weimarer Lutherausgabe sowie die Heydenreich und Besold zugeschriebene Tradition (Abschnitt 11 und 12). 5 Vgl. HAUßLEITER, Rätsel sowie die Fortführung seiner Überlegungen in WA 48, 365–368.718f. 6 Eine monographische Untersuchung von Leben und Wirken des Nürnberger Besold ist leider noch ein Forschungsdesiderat. Insofern ist man v.a. auf kleinere Lexikonartikel verwiesen. Ergiebige Quellen sind zudem die Briefe Besolds und die Briefsammlung Melanchthons. Biographische Notizen wie ein vorläufiges Werkverzeichnis bietet MEINHOLD, Genesisvorlesung, 42–44.439f. 7 Das klassische Werk zu Veit Dietrichs Leben und Werk ist immer noch die Habilitationsschrift von Bernhard Klaus aus dem Jahre 1958 (Klaus, Dietrich). In den dortigen Ausführungen zu Dietrich als Luthers „Hausgenosse“ bzw. zur ApophthegmataSammlung wird F nicht erwähnt (vgl. ebd., 88–96). Ausführlicher setzt sich noch Peter Meinhold in seiner, Luthers Genesisvorlesung gewidmeten Studie mit Dietrich auseinander (MEINHOLD, Genesisvorlesung, bes. 53–105). 8 Vgl. WA 48,365f. Leider konnte sein ursprünglicher Plan, den Nachweis für die Zuordnung der Grundstücke an Veit Dietrich im Rahmen des 7. Bandes der Abteilung „Tischreden“ zu erbringen, nicht realisiert werden (vgl. WA 48,304). Noch während des Drucks von WA 48 wurde umdisponiert, so dass auch die Apophthegmata des Gothaer Kodex dort Aufnahme fanden (vgl. WA 48, V). Auch der Nachlass Haußleiters im Greifswalder Archiv bietet keine weiteren Hinweise. Dieser besteht, abgesehen von einem Buch Delitzsch’, ausschließlich aus Vorlesungsmanuskripten. Der stellver3 4

86

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Beschäftigung mit dem Hamburger Doppelkodex dazu, dass er die Tradition zusätzlich mit Freiberg in Verbindung brachte.9 Diese Impulse werden im Folgenden zu gewichten sein. Deshalb wird bei der Vorstellung der Handschriften (1.1) die Frage der Urheberschaft zunächst als offen angesehen, um dann in Anknüpfung an die Thesen Haußleiters eine Rückbindung der Tradition an den Kreis um den Freiberger Hieronymus Weller zu plausibilisieren (1.2). 1.1.

Zu den Handschriften

Aufgrund der einleitenden Ausführungen liegt bei der folgenden Vorstellung der Kodizes ein Fokus auf Indizien, die für die Frage nach der Urheberschaft relevant sind. Zunächst wird die Gothaer Handschrift F in den Blick genommen. 1.1.1.

Zum Gothaer Kodex F

Abgesehen vom Deckelaufdruck „M.B.“10 ist über Vorbesitzer von F nichts bekannt. Sicher ist lediglich, dass die Handschrift vor 1817 in die Herzogliche Bibliothek Gotha gelangte.11 Die Signaturangabe „Catal. Mss. p. III.“ auf dem Titelblatt verweist zudem auf ein im späten 18. / frühen 19. Jahrhundert von verschiedenen Händen angelegtes Verzeichnis. Evtl. wurde F bereits in der Amtszeit des Bibliothekars Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) im Kontext des Reformationsjubiläums von 1717 in die Herzogliche Bibliothek aufgenommen.12 Die 93 Sachabteilungen, denen die Apophthegmata zugeordnet sind, werden durch den „Index locorum“ im Anschluss an das Titelblatt erschlossen, wo diese übersichtlich zweispaltig notiert sind, mit Nummerierung und Folioangaben versehen.13 Der Kodex tretenden Archivleiterin, Frau Barbara Peters, sei an dieser Stelle für ihre Hilfe herzlich gedankt! 9 WA 48,717. 10 Näheres hierzu s. S. 152f.159–161. 11 Vgl. UKERT, Luther’s Leben, Bd. 2, 316. 12 Für diese Informationen danke ich herzlich der stellvertretenden Leiterin der Forschungsbibliothek Gotha, Frau Cornelia Hopf. Als Indiz für diese frühe Aufnahme verweist sie auf die angrenzenden Signaturen, die unter Cyprian aufgenommen worden waren. Da diese nicht in dessen 1714 erschienenen Catalogus zu finden sind, könne der Zeitraum evtl. weiter auf 1717–1722 eingegrenzt werden. Zu Cyprians gezielter Erweiterung der reformationshistorischen Bestände der Gothaer Bibliothek s. GEHRT, Gotha, 192. 13 Vgl. Chart. A 402, fol. I ra–va. Zur Umschreibung des Inhalts der jeweiligen Loci s. WA 48, 371–384; Näheres zum Aufriss s. II 1.1.3. Zwischen dem Index und der tatsächlichen Ausführung im Kodex gibt es einige Unstimmigkeiten: A) Nr. 64b. De scandalo (3 Grundstücke) wurde nachträglich im Index ergänzt und bei der Nummerierung nicht berücksichtigt, aber mit Folioangabe versehen; B) Nur im Index aufge-

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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ist in (mindestens) zwei Stufen entstanden.14 Der vor dem Binden erstellte Grundstock – im Ganzen 1431 Apophthegmata – wurde im gebundenen Zustand ergänzt, von derselben Hand, aber mit anderer Tinte und mit anderem Duktus. Diese „Nachtragsstücke“ – im Ganzen 595 Apophthegmata – finden sich am Ende einzelner Loci, auf fünf zunächst freigelassenen Seiten am Anfang15 sowie am Schluss des Kodex.16 Vermutlich waren die vorderen Seiten ursprünglich eher nicht für Apophthegmata vorgesehen, sondern für weitere Gedichte und Ähnliches.17 Zudem wurden nachträglich zu diesem Zweck weitere Blätter eingefügt,18 obwohl vor anderen Loci häufig die freien Seiten ungenutzt geblieben sind. Verweise ordnen diese Ergänzungen den jeweiligen Loci zu. Dass F aktuell nicht mehr im ursprünglichen Umfang erhalten ist, wird zum einen an solchen internen Verweisen deutlich,19 zum anderen bricht das letzte Nachtragsstück auf fol. 474v mitten im Satz ab.20 Die Sammlung der „Grundstücke“ wurde frühestens Anfang 1548 vollendet, da das jüngste Stück der „Grundstücke“, aber auch des gesamten Kodex vom 12. Januar dieses Jahres datiert.21 Es wurde aufgrund des Inhaltes dem Locus „De Satanae illusionibus et praestigiis“ zugeordnet. Es

führt sind: Nr. 74. De nobilibus et aulicis (11 Grundstücke); 75a. De militibus et rusticis [et mundo; von Haußleiter aufgrund des Inhalts ergänzt] (26 Grundstrücke); C) Im Index wie im Kodex fehlt Nr. 75b. De principibus et nobilibus (31 Nachtragsstücke). 14 Vgl. WA 48, 365f. 15 Vgl. Chart. A 402, fol. III–VII. 16 Vgl. Chart. A 402, fol. 457r–474v. 17 Zu den Akrosticha und dem Gedicht auf St. Christoph s. S. 95–97. 18 Es handelt sich um die Blätter Chart. A 402, fol. 55ar–55cv; 360ar–360b; 383a– 383br; 412ar–412bv; 423ar–423bv. 19 Haußleiter schätzt den Verlust auf „mindestens 6 oder 8 Blätter“ (vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 6). 20 Vgl. Chart. A 402, fol. 474v bzw. WA.TR 5,211,1–6 bzw. 1–16 [Nr. 5519] – dieses Nachtragsstück gehört zum 35. Abschnitt („De adversariis verbi vel falsa ecclesia“). In H ist der Text – zusätzlich mit drei weiteren Nachtragsstücken – vollständig überliefert (vgl. WA 48,602,3–6). 21 Da andere Teile bzw. die Loci-Einteilung bereits vorher in Angriff genommen worden sein könnten, ist damit nicht zwangsläufig der terminus post quem des Grundstocks benannt. Insofern das noch darzustellende zentrale Interesse an Luthers Tod auch den Grundstock des 32. Locus von F eignet, liegt es jedoch nahe, dass die Zusammenstellung dieser „Apophthegmata“ erst nach dem 18. Februar 1546 in Angriff genommen worden ist. Zudem spräche der mit diesem Fokus einhergehende – ebenso noch zu entfaltende – antiinterimistische Impetus dafür, bereits den Grundstock als Reaktion auf das im Juni 1548 auf dem Augsburger Reichstag verabschiedete, als „Interim“ bezeichnete Reichsgesetz zu verstehen. Diese weitere Annäherung an den terminus post quem konvergierte trefflich mit der Datierung des „jüngsten Stückes“.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

handelt sich um ein Antwortschreiben Melanchthons an Andreas Hügel,22 in dem es um von den Teufeln verursachte Ärgernisse geht; nach Rücksprache mit den Kollegen werden konkrete Anweisungen zum Umgang mit evtl. falschen Exorzisten und falschen Wundern gegeben. Dieses Schreiben wird in F gerahmt durch die anekdotenhafte, gegen Mönche gerichtete Erzählung von einem Bauern, der „corporaliter“ vom Teufel besessen gewesen sei23 sowie Luthers Antwort an den Pfarrer zu Süptitz bei Torgau, der durch einen Poltergeist schwer geplagt wurde, gefolgt durch die Andeutung weiterer analoger exempla.24 Beide Rahmenstücke datieren aus den 1530ern und damit deutlich früher. Die Aufnahme des Briefes scheint also rein thematisch bedingt gewesen zu sein. Mit Blick auf die sorgfältige Gestaltung und Ausstattung stellt der Gothaer Kodex im Vergleich mit anderen Apophthegmata-Handschriften eine regelrechte „Prachthandschrift“ dar. In F ist jedes Apophthegma klar durch freie Zeilen vom nächsten abgegrenzt und beginnt mit einem Großbuchstaben. Der Sprachwechsel zwischen Deutsch und Latein wird mittels unterschiedlicher Schrift kenntlich gemacht. Der Rand wird sauber eingehalten. Insgesamt sind nur wenige Korrekturen zu finden.25 Diese klare Struktur der Grundstücke26 wird in den Nachtragsstücken27 etwas relativiert. Die Ränder und Abstände zwischen den Stücken werden verkleinert – vermutlich um Platz zu gewinnen. Verbesserungen finden sich auch am Rand.28 Dennoch bleibt der Kodex auf Übersichtlichkeit und Benutzerfreundlichkeit ausgerichtet. Dies belegen auch interne Verweise auf die weiteren Ergänzungsstücke.29 Hinzu kommen die aufwendige äußere Ge22 Chart. A 402, fol. 239r–v bzw. CR 6,779f [Nr. 4122]. Hügel hatte in Wittenberg studiert und war dort ab der zweiten Hälfte der 1530er Jahre bis zu seinem Wechsel nach Brandenburg-Neustadt im Jahr 1548 mit mehreren Unterbrechungen – u.a. begleitete er Justus Jonas 1541 nach Halle (WA.B 9, 376 Anm. 12 mit Nachtrag WA.B 13, 294; s.a. DELIUS, Ergänzungen, S. 137 [Nr. 2]) – als Diakon tätig und deshalb Luther gut bekannt. Die Auseinandersetzungen um das Interim führten ihn bereits 1549 von Brandenburg-Neustadt nach Jena; zur Person s. im Besonderen WA.B 6, 547 Anm. 4 sowie MBW 12,333f. 23 Chart. A 402, fol. 239r bzw. WA.TR 2, 55,24–28 [Nr. 1338] – dort datiert auf 1. Januar bis 23. März 1532. 24 Chart. A 402, fol. 239v–240r bzw. WA.TR 4, 634,8–635,10 [Nr. 3814] – dort datiert auf den 5. April 1538. 25 Vgl. exemplarisch Chart. A 402, fol. 107r; 112v. 26 Vgl. exemplarisch Chart. A 402, fol. 100r–113v. 27 Vgl. exemplarisch Chart. A 402, fol. 113v–115v; 470v–473v. 28 Vgl. exemplarisch Chart. A 402, fol. 114r; 472r. 29 Vgl. exemplarisch den Verweis auf die weiteren Ergänzungsstücke auf den letzten Seiten des Kodex am Ende von fol. 115v mittels „De eodem loco vide infra fo: 470“; ein analoger Hinweis findet sich auf fol. 470v: „Lutherus de seipso [kleiner] de eodem sup fo: 115“.

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staltung bzw. die schmückenden Beilagen, die zugleich einen ersten Einblick in die „mentale Welt“ und bedingt auch das Lutherbild der Urheber ermöglichen. Der Folioband ist gebunden mit blindgeprägtem Schweinsledereinband auf Holzdeckeln. Bereits die Buchdeckel lassen die aufwendige Gestaltung erkennen. Florale Motive schmücken auf der Vorder- wie Rückseite den äußeren Rand. Das so gerahmte Mittelfeld wiederum weist in seiner inneren Rahmung männliche Figuren mit Bart und Strahlenkranz im Halbporträt auf. Die dazugehörigen Unterschriften helfen nur bedingt bei der Identifikation, zumal die starke Beschädigung des Einbandes deren Entzifferung stark erschwert. Da es sich um mindestens sechs Personen handelt, und auch Unterschriften wie „Ecce Agnus Dei“ oder „De fructu ventris tui“ nur bedingt auf Evangelisten hinweisen, dürfte diese Zuordnung kaum zutreffen. Man könnte an „Reformatoren“ denken, ohne dass hier Gewissheit zu erlangen wäre.30 Zudem finden sich auf der Vorderseite in der oberen Leiste dieses Feldes – wie eingangs erwähnt – die Buchstaben „M“ und „B“, in der unteren Leiste die Jahreszahl „1551“. In der Innenseite der Deckel sind jeweils kolorierte Holzschnitte eingeklebt, im Vorderspiegel ein weniger bekanntes Lutherbildnis von Sebastian Adam, dem „besondern gunstigen freund“31 Luthers, aus dem Jahr 1546.32 Der ab 1538 in Wittenberg greifbare Maler stellte Luther deutlich gealtert, feist mit verquollen wirkenden Augen dar. In den wie zum Gebet gefalteten Händen hält Luther ein kleines geschlossenes Büchlein, der Kopf ist unbedeckt. Insoweit wirkt das Bildnis nahezu wie eine Dublette des Cranachschen Altersbildes von 1546 – mit dem Unterschied, dass 30 Diese Zuordnung wird von Niewöhner, der als einziger in seiner Beschreibung des Kodex auf die Bilder am Buchdeckel verweist, ins Spiel gebracht, aber zugleich ohne Begründung zurückgewiesen (s. NIEWÖHNER, Beschreibung, 1). 31 So Luther selbst in seiner persönlichen Widmung eines Exemplars von in Schmalkalden gehaltenen Predigten – zitiert nach SEIDEMANN, Maler, 180. 32 Diese Angaben können den Schildern entnommen werden, die von zwei auf den Kapitellen stehenden Puti an Schnüren gehalten werden. Links befindet sich das Malerzeichen, ein verschlungenes SA, rechts die Jahreszahl 1546. Melanchthons briefliche Mitteilung an Veit Örtel von Windsheim vom 21. Dezember 1546 zeigt, dass dies nicht nur Luthers Todesjahr, sondern auch das des Malers war: „Cruciger lasse ihm anzeigen ex hac vita mortali evocatum esse ad aeternam Dei et Christi et prophetarum et apostolorum consuetudinem amicum nostrum, virum integerrimum Sebastianum pictorem“ (zitiert nach WA.B 9, 613 Anm. 5). Zu Sebastian Adam s. SEIDEMANN, Maler sowie den Artikel im Allgemeinen Künstlerlexikon ([o. A.], Adam); WA.B 9, 612f. Anm. 5; WA 35, 595; WA 48, 255.368. In der Dessauer Handschrift Georg Hs. 108 wird Adam zwar kaum als „Mitschreiber“, aber zumindest als „Hörzeuge“ greifbar (s. KOCH, Dessau, 187–189, 188: „Hec Verba excepit Sebastianus N. pictor Wittenbergensis ex ore Martinj in presentia Pastoris a Belgern, qui missus erat ad Lipsienses Vt illic cum alijs fideliter p(rae)dicaret verbum dei. Anno. 1.5.3.9.“

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S⌊ebastian A⌊dam: Kolorierter Holzschnitt von Martin Luther mit memento-moriSymbolik. 1546. Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Chart. A 402, Vorderspiegel.

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Luther bei Cranach nach links blickt.33 Jedoch wird das Cranachsche Bild von Adam in einen ganz anderen Kontext gestellt: Adams „Luther“ steht hinter einem Tisch, der an einen Altar erinnert. Auf dem „Altar“ befinden sich – von links nach rechts – ein geöffnetes Gefäß, ein aufgeschlagenes Buch, auf dem zentral und das untere Bilddrittel dominierend ein Totenkopf liegt, sowie ein mit zwei Bügeln verschlossenes Buch, auf dem ein (noch nicht abgelaufenes) Stundenglas steht. Hier wird sehr deutlich auf memento-mori-Symbolik zurückgegriffen. Hinter dem – seitlich am Betrachter vorbeischauenden Luther – öffnet sich ein länglicher Raum. Links sind Wandnischen mit Büchern erkennbar, rechts Fenster. Die rechte vordere Säule ist mittig mit der Lutherrose geschmückt. Über Luthers Kopf schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube und von einem Strahlenkranz umgeben. Durch diese Darstellung wird Luther exponiert in einen hagiographischen Kontext gestellt.34 Ein zweites Exemplar dieses „Gedächtnisbildes“35 ist nicht bekannt, so dass evtl. von einer Auftragsarbeit ausgegangen werden kann, ob bereits in Hinblick auf den wohl erst 1551 fertiggestellten Band, ist nicht zu entscheiden. Auf der Innenseite des Rückdeckels findet sich ein Bildnis Herzogs Johann Friedrich I. von Sachsen. Durch den Text über dem Bild wird es auf das vierte Jahr von dessen Gefangenschaft, die am 24. April 1547 ihren Anfang nahm, datiert. Das Alter des Fürsten wird mit 48 Jahren angegeben, der ganze Druck auf „Anno Christi 1551“ datiert. Für die zeitgenössische Propaganda entscheidend ist insbesondere die klar erkennbare Narbe auf der linken Wange, die von seiner Verwundung in der Schlacht von Mühlberg herrührt. Unter dem Bild folgen Verse, die Paul Eber zugeschrieben werden und besonders die Kriegsnarbe thematisieren bzw. Johann Friedrich zum verletzten Heros stilisieren.36 Der Betrachter dieses – auf Lukas [Cranach d.J.] zurückgeführten – Bildes wird zudem zur Fürbitte aufgerufen:

Das Bildnis Cranachs d.J. ist z.B. abgebildet in BRECHT, Luther, III, 231. Zur Wiederaufnahme dieser bereits in den frühen 1520er Jahren verbreiteten Motivik s. SCRIBNER, Lutherlegenden, 378f. Dennoch ist der Duktus in Adams Bild ein anderer, insofern es den deutlich gealterten Luther zeigt und seinen Tod bereits voraussetzt. 35 Zu dieser Einordnung vgl. FICKER, Bildnisse, 144 [Nr. 327]. 36 Eber selbst ist von den Vorgängen gut unterrichtet, wie sein Schreiben an Melanchthon vom Tag nach der Schlacht von Mühlberg zeigt (CR 6,510–512 [Nr. 3855]; MBW Nr. 4725). Zu Paul Eber, der in den Frankfurter „Raubdrucken“ auf dem Titelblatt unter den „Tischgenossen“ Luthers aufgeführt ist (vgl. S. 23f.), s. neuerdings die Beiträge des von Daniel Gehrt und Volker Leppin verantworteten Sammelbandes (GEHRT / LEPPIN, Eber). Zum Gedicht im Besonderen s. den dortigen Beitrag von Stefan Rhein (RHEIN, Dichter, hier: 220f.). 33 34

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„PAVL EBER || CERNIS IN ADVERSA FACIE NUNC VVLNVS HONESTUM, || QUOD DVX SAXONIAE CAPTVS ET EXVL HABET. || HOC PIVS ACCEPIT RECTI SIBI CONSCIVS HEROS, || PRO LEGE ET PATRIA FORTIA BELLA GERENS. || HVIVS VBI ADSPICIES PICTOS IN IMAGINE VVLTVS, || QUALES HEIC LVCAE DAT TIBI DOCTA MANVS, || QVICVNQVE ES PIETATIS AMANS, VT LENIAT ILLI || AERVMNAS, CREBRA VOCE PRECARE DEUVM.“37

Im Unterschied zum Vorderspiegel gibt es für dieses Bild zahlreiche Parallelen. Es handelt sich um ein Exemplar der im Kampf gegen das Interim eingesetzten Propaganda-Bilder, die z.T. sogar Eingang in Kirchen fanden.38 Mit der Aufnahme diese Bildes in den Kodex deutet sich über das Motiv des Kampfes gegen Interim und Papst auch eine tiefere Verbundenheit mit dem „geborenen Kurfürsten“39 Johann Friedrich an, zumal im rechten oberen Bereich des Bildnisses handschriftlich biographische Daten ergänzt wurden: Neben der Übernahme der Kurfürstenwürde 1532 und der Gefangenschaft im Jahr 1547 werden auch seine Freilassung im Jahr 1552 wie sein Tod 1554 erwähnt.40 Nimmt man beide Bildnisse zusammen, so spiegeln diese implizit das konfessionspolitische Anliegen der Ernestiner, Johann Friedrich I. neben Luther als Symbolfigur zu etablieren.41 Auf dem Titelblatt wird der Kodex zunächst – mit roter Tinte und von der Hand des Schreibers – als

Chart. A 402, hinterer Spiegel. Vgl. CHRISTENSEN, Princes, 92–101. Dort ist u.a. auch ein mit der Version in F eng verwandtes Bild Cranachs abgebildet. Dieses datiert zwar ebenfalls auf das Jahr 1551, stellt laut Text aber den Fürsten im Alter von 49 Jahren im fünften Jahr der Gefangenschaft dar (ebd., 90). Allein dadurch wird deutlich, wie verbreitet diese Propaganda-Bilder waren. Zur Genese und den verschiedenen Bildvarianten dieser „Johann-Friedrich-Heroisierung“ s.a. FLÜGEL, Bildpropaganda, 81–85.91–95 sowie REINITZER, Tapetum, 20–38; SCHMIDT, Kampf, 67–71; MÜLLER, Märtyrer. Zur medialen Aufarbeitung der Niederlage s. HAUG-MORITZ, Konstruktion. 39 Dieser „Titel“ geht auf seinen engen Berater Nikolaus von Amsdorff zurück (s. hierzu: HERMANN, Kurfürsten, 242). 40 Chart. A 402, hinterer Spiegel: „1532 ist er Chfr [d.h. Kurfürst; I.K.] || worden im 29ten johr || seins alters || 1547 ist er gefangen || worden und a(ls) cfr. [d.h. Kurfürst; I.K.] entsezt || 1552 wurd [zu ergänzen: er; I.K.] || [Wort durchgestrichen] ausgelest || 1554 gestorben || dz alter || 5i [d.h. 51; I.K.]ten jahr“ – Frau Dr. Litz, Stadtarchiv Ulm, sei ganz herzlich für die freundliche Hilfe bei der Transkription gedankt! 41 Vgl. GEHRT, Konfessionspolitik, 74–81. S. in diesem Kontext auch das 57 Strophen umfassende Trostlied für Johann Friedrich von Sachsen, verfasst vom Rektor der Dessauer Lateinschule und späteren Dessauer Geistlichen, Joachim Greff (GREFF, Trostlied). 37 38

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„FARRAGO L[ITE]RARVM AD AMICOS ET COL || loquiorum in mensa R[everendi] P[atris] Domini Martini Lutheri || sacrae theologiae doctoris etc.“42

vorgestellt. In derselben Farbe folgt als Art Untertitel Luthers berühmter Hexameter: „Pestis eram vivus, moriens ero mors tua, Papa.“43

Dieses „evangelische Hoffnungswort“44 wurde in der Zeit des Interim häufig zitiert, nicht nur von harschen Interimsgegnern wie Erasmus Alber und Flacius,45 sondern auch von eher gemäßigten Personen wie Georg Rörer46 oder Justus Jonas und weiteren Verfassern von Luthers Leichenpredigten.47 Durch die exponierte Stellung und farbliche Hervorhebung Chart. A 402, fol. 01r. Chart. A 402, fol. 01r. Dieses „Vaticinium ad papam“ hat eine lange Geschichte. In F hat bereits die spätere Form Eingang gefunden, bei der in den vorderen Versfüßen nicht mehr „ero“, sondern „eram“ sowie nicht mehr „vivens“, sondern „vivus“ stehen. Dieser Reimspruch geht auf Luther selbst zurück. Erste Belege datieren noch aus der Wartburgzeit. Laut Mathesius sei der Hexameter auf der Rückreise von der Coburg 1530 in Spalatins Haus entstanden (MATHESIUS, LH, 398,4–8) – zur Genese und Verbreitung dieses Lutherwortes vgl. WA 35,597f.; PREUß, Prophet, 144–146; KNOLLE, Prototyp, 228–235 sowie KAUFMANN, Ende, 374 mit Anm. 769 (Lit!); KAUFMANN, Konfession, 210f. mit Anm. 10 (Lit!). 44 KAUFMANN, Ende, 374. 45 Belege z.B. bei KAUFMANN, Ende, 374 Anm. 769. 46 Vgl. neben Ms. Bos. q. 24f, fol. 192v (WA.TR 1,410,25f. [Nr. 844]), Rörers handschriftlichen Eintrag dieses Verses in der Biblia sacra 1542 (s. WA 48,280). 47 Justus Jonas widmete in seiner Leichenpredigt der Frage nach der von Luthers Tod ausgehenden „antipapistischen“ Wirkung einen ganzen Hauptteil: „Zum dritten eine Vermahnung gethan und angezeigt, daß der tod D. Martin Luthers werde gewißlich, wie aller Propheten Tod, eine sonderliche Kraft und nachfolgend Wirkung hinter sich haben wider die gottlosen, verstockten, verblendeten Papisten etc.“ (JONAS, Leichenpredigt, 35. Entfaltet ebd., 48–51). Der Hexameter selbst wird am Ende dieses Hauptteils und auch der Predigt selbst im Kontext eines Bußrufs an die „Papisten“ explizit als „Epitaphium und Prophecey“ eingeführt und vertieft gedeutet: „[…] Wo nicht, wie ihnen Luther bey seinem Leben ein Pestis gewesen, sie mit Schreiben und Predigen viel gedränget und geänstiget: so wird er nach dem Tod ihnen gewißlich ein Tod und endliche Tilgung der ganzen Möncherey und ander Abgötterey und Gräuel seyn“ (JONAS, Leichenpredigt, 51). Die Deutung als „Epitaphium und Prophecei“ teilt Jonas mit Bugenhagen, der jedoch den Hexameter nicht wie Jonas in mit F identischer Reihenfolge der Worte wiedergab und damit zudem keinen Bußruf verband, sondern dazu aufrief, um dessen Erfüllung zu bitten (s. BUGENHAGEN, Leichenpredigt, 97f.). In beiden Fällen handelt es sich um den Abschluss der Predigten. Bei Coelius begegnet der Hexameter hingegen weniger exponiert und nur indirekt als Ausdeutung des EliaElisa-Motivs, wobei Luthers inspirierte Bücher als Elias Mantel gedeutet wurden: „Denn ob er nach dem Leib gestorben, so lebt er aber nach seinem Geist und in seinen Büchern, er wird auch, wills Gott, mit seinen Schriften nach seinem Tod des Papsts Tod sein, wie er bei Leben seine Pestilenz gewest ist“ (COELIUS, Leichenpredigt, 61). 42 43

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wird es geradezu zum Motto des Gothaer Kodex erhoben, das Luther zumindest implizit auch in einen prophetischen Kontext stellt. Dies ist aber zu konkretisieren, insofern der Vers ebenso auf die biblische Geschichte von Simson anspielt, der als eigentlich schon besiegter Held durch seinen Tod die Feinde mehr schädigte als durch seine vorhergehenden Taten.48 Neben die Allusion auf Simson tritt aber auch eine christologische Dimension, wie z.B. Luthers Schrift von 1521 Auf des Bocks zu Leipzig Antwort zeigt: „Ich hoff, mir soll auch noch geschehen, das ich auch, wie Sampson, mehr unglucks yhnenn thu ym todt denn ym leben, Denn Christus sterben hatt auch mehr than denn sein lebenn, wie er sagt Johannes 12. ‚das weyssen korn bleybt allein, ßo es nit ynn die erden fellet und erstirbt, wenn es aber storben ist, ßo bringt es viel fruchtʻ.“49

Insgesamt verbinden sich mit dem Hexameter somit wichtige Motive in verdichteter Form, die – wie gezeigt werden wird – auch in der nach Loci geordneten Sammlung greifbar sind: Zum einen eine dezidierte antiinterimistische und antipapalistische Ausrichtung. Insofern Luther selbst diesen Hexameter – schon 1537 in Schmalkalden – als sein „Epitaphium“ bezeichnete50 und er in diesem Sinne dann auch in den Leichenpredigten aufgegriffen wurde,51 verdeutlicht der Hexameter zum anderen die dem Kodex als Ganzes und dem Locus „Lutherus de seipso“ im Besonderen eignende memoriale Dimension. Auf den Hexameter folgen auf dem Titelblatt weitere Verse – nun in schwarzer Tinte –, von denen der erste evtl. 48 Vgl. Ri 13,1–16,31, bes. 16,23–30. Auf die Bedeutung der Simson-Geschichte für Luther und den Hexameter verweist bereits PREUß, Prophet, 145f. 49 WA 7, 282,23–27 – unmittelbar vorher werden zudem auch Huss und Abel als weitere Beispiele angeführt. Neben Joh 12 muss auch Hos 13,14 („De manu mortis liberabo eos, de morte redimo eos: ‚Ero mors tua o morsʻ, morsus tuus ero inferne, consolato abscondita est ab oculis meis“ – wie der Vers in der Vulgata-Fassung lautet) berücksichtigt werden: „Die Belege dieses ungenau ‚Vaticinium ad papamʻ genannten Wortes dokumentieren, daß Luther mit dem Hosea-Wort lebte, mit seiner Hilfe sein eigenes reformatorisches Selbstbewußtsein aussprach, und das nicht nur im Blick auf mögliche Analogie zum Martyrium, sondern auch als Verschlüsselung der im Spruch Hoseas sich kristallisierenden reformatorischen Christuspredigt“ (KRAUSE, Vers, 137). 50 S. WA.TR 3, 390,15–18 [Nr. 3543A] bzw. die Parallele ebd., 392,1 [Nr. 3543B] – dieses Apophthegma wurde jedoch in keiner Fassung in F aufgenommen. Ratzeberger berichtet nach Luthers Tod – im Unterschied zum „offiziellen“ Bericht –, dass Luther den Hexameter in Eisleben mit Kreide an die Wand geschrieben habe (vgl. RATZEBERGER, [Geschichte], 138). Würde dies zutreffen, wäre der Vers noch stärker von Luther her als „Vermächtnis“ und „Zuspruch“ legitimiert. 51 Vgl. insbesondere BUGENHAGEN, Leichenpredigt, 97; JONAS, Leichenpredigt, 51 – bedingt auch COELIUS, Leichenpredigt, 61. Im wörtlichen Sinne als Epitaph wird der Hexameter im vorgeblichen Schreiben des Eislebener Apothekers Johann Landau an Georg Wizel in Regensburg [Eisleben 1546, vor dem 9. Juni] aufgegriffen (ediert in: SCHUBART, Berichte, 80 [Nr. 78]).

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auf den Schreiber von F zurückgehen könnte, trotzdem aber wie nachträglich ergänzt erscheint. Er lautet: „DE OBITV EIVSDEM DISTICHON || Magniloquus subijt coelestia tecta Lutherus || anno quo Paulus papa rebellis [o]bit.“52

Der Stil des Distichons lässt auf einen humanistisch gebildeten Verfasser schließen. Inhaltlich wird hohe Wertschätzung Luthers mit antipapalistischer Polemik verbunden. Im vorliegenden Gesamt des Titelblatts bezieht sich das „eiusdem“ der Überschrift auf das „papa“ des Hexameters, legt dieses also weiter aus. Insofern bewahrheitet sich an dem als „rebellis“ verunglimpften Paul III. die Botschaft des Hexameters. Da dieser erst am 10. November 1549 gestorben ist,53 überrascht die Parallelisierung von Luthers im Perfekt formulierten erhabenen Eingehen in die himmlischen Gemächer mit dem im Präsens formulierten Abscheiden Papst Paul III., das durch das gewählte Tempus als noch „gegenwärtig“ ausgezeichnet wird. Dass Luther 1546 gestorben war, dürfte auch dem Verfasser bewusst gewesen sein, so dass das „anno quo“ gegenüber der antipapalistischen Aussageintention nicht zu sehr zu gewichten sein dürfte. Im Hintergrund dieser Fokussierung auf Paul III. könnte die im Zusammenhang des interimistischen Streites verbreitete Überzeugung stehen, dass Karl V. im Schmalkaldischen Krieg nur in dessen Auftrag gehandelt habe.54 Dem „rebellis“ kontrastiert das „magniloquus“. Auch dieses kann vom Hexameter her hinreichend begründet werden, insofern dieses das „Große“, von Luther Ausgesagte darstellte, evtl. öffnet es aber auch die Perspektive hin auf die folgende Sammlung von „Apophthegmata Lutheri“. Auf das Titelblatt und den bereits erwähnten „Index locorum“ folgen „epische“ Werke aus der Feder von Erasmus Alber (ca. 1500–1553), einem äußerst überzeugten Interim-Gegner, der sich selbst als „e schola Lutheri theodidactus“ bezeichnete und mit zu den treuesten Lutherverehrern und Anhängern seiner Lehre gehörte:55 zwei Akrosticha auf den Namen „Mar52 Chart. A 402, fol. 01r. Zu den im Anschluss notierten, deutlich späteren Ergänzungen s. JACOBS / UKERT, Beiträge, 304f. sowie NIEWÖHNER, Beschreibung, 3. 53 Kaum im Blick gewesen sein dürfte, dass Paul III. somit an Luthers Geburtstag gestorben war. 54 Vgl. z.B. C&C 1,555 bzw. den zweiten Teil von Erasmus Albers Dialogus vom Interim aus dem Jahr 1548 sowie C&C 1, 945 bzw. das anonym erschienene Lied auf das Interim (ebd., 951–953). 55 Vgl. bes. KÖRNER, Urteil, aber auch KÖRNER, Alberus, 12f. und KAUFMANN, Ende, passim. Zu Alber s. zudem KOHLS, Alber; HAMMANN, Alber; GAß, Alberus und v.a. immer noch trotz notwendiger Korrekturen nochmals KÖRNER, Alberus. Die Bezeichnung „e schola Lutheri theodidactus“ war ursprünglich eine Verballhornung Albers seitens Erasmus’ von Rotterdam, die Alber jedoch als Ehrentitel verstand, wie er in dem erst posthum edierten Werk Wider die verfluchte Lehre der Carlstader selbst ausgeführt hat (vgl. ALBER, Carlstader, fol. Ar–v). In F fällt dieser „Titel“ zudem

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tin Luther“ sowie das Gedicht „Von s Cristoff“. Die Aufnahme der Akrosticha weist darauf hin, wie gezielt in F die Memoria Luthers mit dem Kampf gegen das Interim bzw. das Papsttum und seine Anhänger verbunden ist.56 Das lateinische Akrostichon ist thematisch zweigeteilt:57 Die „Auflösung“ des Vornamens „Martinus“ macht plakativ die „finstere Zeit“ vor dem Auftreten Luthers deutlich: Christus wäre unbekannt gewesen, die Römer wollten das Haupt der Kirche sein, Gerechtigkeit und Glaube wären ebenso unbekannt gewesen wie die Unterscheidung, von Glauben und Werken, der „Bauch“ habe im Vordergrund gestanden. Demgegenüber betont die „Auflösung“ des „Lutherus“ gewissermaßen spiegelbildlich, dass durch Luther das Wort, Christus und dessen Lehre wieder in die Welt kamen, Rom hingegen brenne lichterloh. Im deutschen Akrostichon58 steht beim Vornamen Luthers Streit mit dem Papst im Vordergrund bzw. das „Wüten“ des Papstes in Deutschland. Beim Nachnamen handelt es sich geradezu um ein Lobgebet, das endet mit dem Aufruf, Gott die Ehre zu geben. Das deutsche Reimgedicht auf Christopherus wiederum ist in F im Anschluss an die Akrosticha abgedruckt.59 Es lautet: „Von S. Cristoff ist kein geschicht, || Sondern ein fein christlich gedicht. || Das Bilt bedeut ein Christen Mann, || Der sich uf Gott verlaßen kan. || Durchs mehr soltu [trubsal]60 vorstan, || Dadurch mus man in himmel gahn. || Der baum in seiner rechten hand, das ist || Das liebe wort von Jehsu Christ, || Daran der Christen glaub sich helt || Vnd vberwindet darmit die welt. 1. Joh. 5 || Des helff vns Gott durch seinen Sohn, || Dis sey die summa kurtz darvon.“61

dadurch ins Auge, dass er vom Schreiber nachträglich und unvollständig zwischen den Akrosticha und dem Gedicht eingefügt worden ist (s. Chart. A 402, fol. IIv: „Erasmus Alberus [e schola] Lutheri theodidactus“. 56 Dieselben Akrosticha finden sich – mit der vollständigen und deshalb sinnhaften Unterschrift – als Beilage in Erasmus Albers Zehen Dialo=||gi: F[ue]r die Kinder/ so an=||fangen zu reden/ vnd verne=||men k[oe]nnen; diese waren wohl in Lübeck 1552 fertig gestellt worden (ALBER, Dialogi bzw. KÖRNER, Alberus, 148–150; KÖRNER, Urteil, 589). 57 Chart. A 402, fol. IIr – ediert in HAUßLEITER, Rätsel, 101 Anm. 1. 58 Chart. A 402, fol. IIr–v – ediert in HAUßLEITER, Rätsel, 102 Anm. 1. 59 Auch dieses Werk findet sich in Albers Kinderschriften wieder (vgl. WA 48,678). In seiner Vorrede zur Fabelausgabe nimmt er einen Gedanken des Gedichtes ebenso auf, wenn auch unter Verweis auf eine andere Bibelstelle (ALBER, Tugent, fol. A4r: „Von Sanct Christoffeln / der mit dem kind Christo durchs ungestümme Meer geht / bedeut / das ein Christen durch viel trübsal in Gottes Reich kompt / Actorum am vierzehenden cap“). 60 In F ausgelassen – vgl. WA 48, 678 Anm. 3. 61 Chart. A 402, fol. 03v. Das Gedicht selbst weist Konvergenzen mit einem als „Predigtauszug“ deklarierten Stück in den Tischreden Aurifabers auf (WA.TR 6, 308f. [Nr. 6990]); evtl. steht im weiteren Hintergrund beider Texte Luthers Predigt vom 25. Juli 1529 (vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 7; WA 48, 678 bzw. WA 29, 497–505). Von dieser

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Inhaltlich wird hier Christopherus – in Anknüpfung an Luther – als Bild für den Christen gedeutet, der im Vertrauen auf Gott durch das irdische Trübsal hindurch in Gottes Reich eingeht. Als Stütze dient ihm das Wort Gottes. Als biblische Grundlage wird 1Joh 5 [Vers 4] genannt. Die Aufnahme dieses Textes scheint nun weniger naheliegend als bei den Akrosticha. Evtl. gibt aber Mathesius einen Einblick in den damaligen Rezeptionshorizont, wenn er – jedoch einige Jahre nach der Entstehung von F – in seinen Lutherhistorien wie folgt auf dieselbe Predigt Bezug nimmt: „Wie er [d.h. Luther; I.K.] desmals an S. Jacobs tag Sanct Christophels legenden lieblich auff alle Prediger vnd Christenleute zoge, die Jesum Christum in jrem hertzen vnd armen trügen vnd jr gewissen bewarten, den leuten hülffen vnd drüber lauter vndanck von der welt vnd falschen Brüdern verdienten.“62

Insgesamt lassen die Ausstattung des Bandes wie die am Band beteiligten Personen, und damit sind neben dem oder den Sammlern auch die Maler und die Dichter gemeint, die Handschrift zu einem wahren „Schatz“ werden. Einen solchen konnte vermutlich nur eine gut vernetzte Person bzw. ein gut vernetzter Personenkreis zusammenstellen. Charakteristisch ist die ergebene Lutheranhängerschaft sowie die harsche Gegnerschaft zum Papsttum bzw. Interim. 1.1.2. Zum Hamburger Doppelkodex H / H 74 Als zweiter Träger der Tradition ist der zweiteilige Hamburger Kodex H / H 74 greifbar, überschrieben mit „Ad historiam reformationis spectantia“. Der erste Band umfasst 438 Blätter, der zweite 459 – jeweils im Quartformat. Wie der Index in H mit seinen Verweisen auf die Nachtragsstücke in H 74 deutlich macht, müssen beide Bände als Einheit angesehen werden. Das jüngste aufgenommene Stück ist ein Brief Melanchthons vom 5. August 1552.63 Zu diesem Zeitpunkt dürfte F schon fertig vorgelegen haben. Die wenigen bekannten Fakten über die Besitzer der Hamburger Handschriftenbände setzen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein und zeigen den Weg der Handschrift nach Hamburg über Naumburg, Greifswald und die Uffenbach-Wolfsche Bibliothek auf.64 Hinweise bezüglich der Frage des Urhebers sind von hier kaum zu gewinnen.

ist zumindest im zweiten, selbstständigen Teil der Hamburger Handschrift eine „rein“ deutsche Fassung überliefert (ebenfalls ediert in WA 29, 497–505). In F fehlt der Text jedoch ebenso wie Aurifabers „Predigtauszug“. Luther hat sich mehrmals auf die Christopherus Legende bezogen. Zur Popularität dürften zudem Melanchthons Elementa rhetorices beigetragen haben – s. hierzu: STEIGER, Christophorus, bes. 16–38. 62 MATHESIUS, LH, 162,28–33. 63 Sup. Ep. 4° 74, fol. 374v–375r; s.a. WA 48, 716,35–37. 64 S. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 155; WA 48, 717.

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Mit Haußleiter ist die „weitgehende Verwandtschaft“65 zwischen F und dem Hamburger Doppelkodex zu betonen. Diese manifestiert sich zunächst in der fast gänzlich übereinstimmenden Loci-Einteilung.66 Zudem weisen auch die Hamburger Bände „Grundstücke“ und „Nachtragsstücke“ auf, und die Texte stimmen in der Regel bis in den Wortlaut überein. Jedoch war H nicht wie F von Anfang an auf Ergänzung hin angelegt. Zumindest war in H kein freier Raum eingeplant, so dass die Nachtragsstücke im Randbereich bzw. am Ende des zweiten Bandes H 74 ergänzt wurden. Dieser enthält ansonsten anderes „Material“ wie Luthers Praelectiones in aliquot psalmos (1530), eine lateinische Predigtreihe (1525/26) sowie eine Sammlung von Briefen Luthers von der Feste Coburg. Folglich weist der Hamburger Doppelband gegenüber F einerseits eine deutlich breitere Extension auf, andererseits verbindet beide im gemeinsamen Bestand eine große Nähe. Trotz der zeitlichen Hinweise lässt sich das Verhältnis der beiden Kodizes nicht mittels einer einseitigen direkten Abhängigkeit der Hamburger Bände von F erklären, da jene immer wieder auch als Korrektiv von Abschreibefehlern, insbesondere Auslassungen, herangezogen werden können. Verkompliziert wird die Sachlage durch die Notwendigkeit, zwischen „Grund-“ und „Nachtragsstücken“ zu unterscheiden. Insofern liegt Haußleiters – nicht immer ganz kohärenter – Versuch, hier eine differenziertere Lösung zu finden, nahe: Einerseits plädiert er v.a. in Bezug auf die Grundstücke für eine gemeinsame Vorlage und betont so die Unabhängigkeit, ohne F gänzlich den Einfluss auf die Hamburger Handschriften abzuspre-

65 Vgl. WA 48, 715,8–18, 8. Jedoch bietet H auch Sondergut: Neben den Scholien Luthers zum 1. Joh.-Brief (vgl. WA 48, 715,19f. bzw. ebd., 313–323), wäre auf einzelne Apophthegmata zu verweisen (s. WA 48, 705,23–707,15). 66 Vgl. den Index: Sup. Ep. 4° 73, fol. 1v–2r. In H entfällt außer der Nummerierung z.B. Apophthegma Nr. 7133 bzw. „De locis exhortatoriis“ (in F ein eigener Locus, nämlich Nr. 53) als eigene Kategorie, im Kodex ist es aber enthalten (Sup. Ep. 4° 73, fol. 187v). Zudem kennt H nach der Kategorie „Artes liberales“ (in F Nr. 85) die zusätzliche Kategorie „De philosophia“; diese findet sich in F nur im Kodex (Chart. A 402, fol. 422v). Weiterhin folgen nach den „Literae commendatitiae“ – Nr. 93 in F – drei weitere Rubriken. Doch verlassen auch diese letztlich nicht den von F vorgegebenen Rahmen. Zwei dieser Überschriften finden sich in F zwar nicht im Index, aber im Kodex selbst („De Maria et eius cognatis“: Chart. A 402, fol. 299v bzw. Sup. Ep. 4° 73, fol. 270r; „De stultis morionibus“: Chart. A 402, fol. 436v bzw. Sup. Ep. 4° 74, fol. 431v). Bei der dritten Rubrik „De Metallica“ greift der Verweis auf „[fol.] 429“ ins Leere. Evtl. handelt es sich um einen Nachtrag zum Locus „De natura herbarum et elementorum“ (Nr. 88). Doch konnte die Überschrift auch nicht in H 74 verifiziert werden.

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chen.67 Andererseits argumentiert er mittels Rekurs auf gemeinsame Quellen und betont dabei den Einfluss von F auf die Hamburger Bände.68 Bei diesen Überlegungen müssen neben dem Inhalt jedoch noch weitere Indizien herangezogen werden. Abgesehen von der breiteren Extension liegt ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen beiden Handschriften im Formalen. Während der Schreiber von F zwar nicht immer fehlerfrei, aber mit großer Sorgfalt abschrieb,69 werden in den Hamburger Bänden die „Apophthegmata Lutheri“ in „elender Schrift und wüstem Chaos“ dargeboten – wie Loesche vermerkte.70 Dies gilt zumindest in Bezug auf die Nachtragsstücke, da in H ähnlich wie in F die ursprüngliche Sammlung der Grundstücke ein sorgfältigeres Schriftbild aufweist und Verweise eingefügt wurden. Doch auch was die „Ausstattung“ betrifft, bleiben die Hamburger Bände hinter F zurück. Letztlich sind die mit Schweinsleder überzogenen Holzdeckel der einzige Schmuck: Neben floralen Motiven sind dort Wappen- und Portraitmedaillons römischer Dichter dargestellt.71 Auf eine Ausschmückung durch Bilder oder Gedichte wurde verzichtet. Nicht einmal ein Titelblatt ist vorhanden. Insgesamt weisen diese Äußerlichkeiten auf unterschiedliche Funktionen bzw. Nutzungsinteressen der beiden – in (mittelbarer?) Abhängigkeit von einander – ergänzten Abschriften. Dennoch legen die plausible An67 Z.B. WA 48, 602,12–16: „Die Texte in F und H stehen selbständig nebeneinander; zahlreiche gemeinsame Fehler sind aus der gleichen Vorlage geflossen. Daß auch H 74 im allgemeinen nicht von F abhängt, tritt besonders deutlich hervor, wenn wir in H 74 einen Satz lesen, der in F übersprungen ist (vgl. Nr. 5525, 5575, 5581). In einzelnen Fällen zeigt sich indes ein Einfluß von F auf H 74.“ S. a. WA 48, 715,13–18: „So sah sich der Schreiber genötigt, als er sich, wie es scheint, unter dem Einfluß des cod. Bes. entschloß, Nachtragsstücke einzuschalten, mit denselben den oberen und unteren Rand der Blätter zu beschreiben oder die Schlußblätter des zweiten Teils der Sammlung H 74 dafür in Anspruch zu nehmen. […] Bei manchen Stücken ist die Abhängigkeit vom cod. Bes. nicht zu verkennen.“ Zur gemeinsamen Vorlage der Grundstücke s.a. WA 48, 304.365. 68 WA 48, 719,10–16: „Gleichwohl behauptet die ältere Handschrift gegenüber den Hamburger Handschriften eine autoritative Stellung. Beide Sammlungen sind aus den gleichen Quellen [Hervorhebung; I.K.] geschöpft; aber wie schon der index locorum beweist, der in H 73 erst nach Vollendung von H 74 nachgetragen wurde, hat der cod. Bes. die Führung. Auch in der Unterscheidung von Grundstücken und Nachtragsstücken ging der cod. Bes. voran. An einzelnen Stellen ist die direkte Abhängigkeit der Hamburger Handschriften, namentlich der Nachtragsstücke in H 74, vom cod. Bes. nachgewiesen.“ S.a. WA 48, 601,33–36: „Das Verhältnis zwischen F und der in zwei Quartbänden vorliegenden Hamburger Handschrift H 73 (= H) und H 74 […] ist ein sehr nahes; die Handschriften haben die gleichen Vorlagen [Hervorhebung; I.K.] benützt und weisen daher meist wörtlich übereinstimmende Texte auf.“ 69 S. S. 86–89. 70 Vgl. LOESCHE, Analecta, 31. 71 Vgl. KRÜGER, Katalog, Bd. I, XLVIII.

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nahme einer gemeinsamen Vorlage, verbunden mit der nicht minder plausiblen Annahme eines zumindest partiellen Einflusses von F auf den Hamburger Doppelband und v.a. die daraus resultierende enge inhaltliche Verwandtschaft ein Doppeltes nahe: Zum einen ist die Hamburger Parallelhandschrift nicht als eigene Tradition zu würdigen und deshalb auch nur punktuell in Ergänzung zu F heranzuziehen, um die Frage nach der Luthermemoria bzw. dem Lutherbild dieser Tradition zu beantworten. Zum Anderen wird man diese Bände mit Blick auf den Urheber der – beiden gemeinsamen – Apophthegmata-Sammlung auszuwerten haben. Fragt man mit diesem Fokus nach ersten Indizien, gerät zumal eine mit „Genealogiae“ überschriebene Doppelseite in den Blick, die nach Hausleiter „[e]inigen Anhaltspunkt für den Interessenkreis des Schreibers“72 gebe. Auf der Vorderseite sind biographische Daten aus dem Leben Luthers aufgelistet. Auf der Rückseite findet sich die nun im Zentrum stehende dreigeteilte „Tafel“. Deren erster Abschnitt listet zeitgenössische theologische Größen sowie Kaiser Karl V. namentlich unter Angabe des Geburtsjahres auf: „1497 Natus est Philippus Melanchton [sic!] 1493 Natus est Iustus Ionas 1479 Natus est Iohan Bugenhagen 1501 Natus est Caspar Creutziger 1496 Natus est Iohannes Agricola 1500 Natus est Carolus V. Imperator.“73

Augenscheinlich ist nicht das zudem oft falsche Geburtsjahr der Anordnungsgrund.74 Vielmehr dürfte die „Bedeutung“ der genannten Theologen für den Urheber die Reihenfolge bestimmt haben. Abgetrennt durch Linien folgen im zweiten und letzten Drittel Angaben zu den sächsischen Herzögen Albrecht und Heinrich:75 ihrer Verheiratung bzw. dem Beilager und den Geburtstagen der Kinder. Die Erwähnung Herzog Albrechts und seiner Gemahlin Sidonia (Zedena), der Tochter des Böhmenkönigs weist auf die Anfänge der Albertinischen Linie. Herzog Heinrich wiederum war deren zweiter Sohn, der erste Sohn, Georg der Bärtige, findet keine Erwähnung. Im Hintergrund steht vermutlich Heinrichs – nicht ohne Mitwirken seiner Ehefrau Katharina von Mecklenburg erfolgte – Hinwendung zum Luthertum, die dazu führte, dass unter seiner Regentschaft ab 1539 WA 48, 716. Vgl. Sup. Ep. 4° 74, fol. 259v bzw. WA 48, 716,41–46. 74 Bugenhagen ist 1485, nicht 1479 geboren, Cruciger 1504, nicht 1501, Agricola 1492/94, nicht 1496. Zudem wurde nicht vermerkt, dass Cruciger 1548 verstorben war. 75 Zu den folgenden Ausführungen s. die genealogische Übersicht im von Helmar Junghans herausgegebenen Sammelband zur Reformation in Sachsen (JUNGHANS, Jahrhundert, Beilage II). 72 73

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auch im Albertinischen Sachsen die Reformation eingeführt worden war. Insofern die Hamburger Handschriften Anfang der 1550er Jahre entstanden sind, hätte es rein genealogisch betrachtet nahegelegen, dass auch der Nachfolger und aktuelle Amtsinhaber, d.h. Heinrichs Sohn Moritz, eine vergleichbare Erwähnung erhalten hätte. Ihn übergeht die Liste aber ebenso stillschweigend wie Herzog Georg. Somit drückt diese Liste einerseits eine hohe Verbundenheit mit der albertinischen Linie der Wettiner aus, trifft zugleich aber innerhalb dieser Linie eine bewusste Auswahl, als deren Kriterium sich die positive Haltung der Herzöge zur Reformation abzeichnet. Insofern wäre Haußleiters Folgerung, dass der „Schreiber“ der Hamburger Handschriften in besonderer Weise dem albertinischen Sachsen verbunden war, wohl zu konkretisieren. Aufhorchen lassen zudem Haußleiters weitere Folgerungen. Zum einen betont er, dass der Schreiber wohl „in einem näheren Verhältnis zu Justus Jonas gestanden“ habe, was Haußleiter an Freiberg und den Wellerschen Kreis denken lässt – verwiesen wird explizit auf Johann Lindener.76 Vermutungsweise führt er deshalb die Handschriften H und H 74 auf Kaspar Heydenreich, den Hofprediger Katharinas von Mecklenburg, zurück.77 Vielleicht ist aber gerade vor dem Hintergrund der „Theologenliste“ auch Heydenreichs Freiberger „Kollege“ Hieronymus Weller stärker in Betracht zu ziehen. Zum einen sei auf seine Aufzählung der bei seiner Promotion Anwesenden verwiesen, in der gegenüber der Liste von H 74 nur Agricola fehlt.78 Zum anderen finden sich in Wellers Werken auf die in der Handschrift genannten Theologen – wiederum mit Ausnahme von Agricola – bezogene Iudicia Wellers.79 Die damit angedeutete konstruktive Fortführung der Thesen Haußleiters wird in 1.2 weiter verfolgt werden. Zunächst soll jedoch die in beiden Überlieferungen greifbare Tradition nach ihrem Aufbau und inhaltlichen Schwerpunkten vorgestellt werden, zumal von hier zugleich weitere Indizien für eine enge Verbindung der Tradition zu Hieronymus Weller zu gewinnen sind. 1.1.3. Aufriss bzw. thematische Schwerpunkte80 Nimmt man die Anzahl der gesammelten Stücke als erstes Indiz für die Wichtigkeit von Loci und damit Themen für die Urheber bzw. Träger der Tradition, so zeichnet sich ein verstärktes Interesse ab an 1. der SchriftZu Lindener bzw. den Münchener Handschriften Clm. 937 und Clm. 939 s. S. 117f. Vgl. WA 48, 717,4–12; 601,36–602,2. 78 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 176b – namentlich genannt werden Luther, Melanchthon, Jonas, Cruciger, Bugenhagen, Amsdorf, Rörer, Hausmann. 79 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 170f. 80 Vgl. im Folgenden Chart. A 402, fol. 02ra–02va sowie Sup. Ep. 4° 73, fol. 1b–2a mit WA 48, 371–384. 76 77

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auslegung81, 2. Ehefragen82, 3. Aussagen Luthers über sich selbst83 sowie 4. dem Thema „Trost“.84 Zudem bietet die in der Gothaer Handschrift wie dem Hamburger Doppelkodex greifbare Tradition v.a. eingangs einen deutlichen Schwerpunkt auf der „Lehre“ (doctrina). Die „dogmatische“ Eröffnung folgt einem theologisch stringenten Aufbau. Bedingt finden sich Anklänge an Melanchthons Loci communes,85 doch werden diese selbst bei der Engführung auf den „lehrhaften“ Teil transzendiert, so dass dieses Werk höchstens am Rande prägend gewirkt haben dürfte. Vielmehr scheint ein von außen an die „Texte“ herangetragenes Ordnungsschema verwendet worden zu sein, dass sich v.a. der zeitgenössischen Methodik der Wissensstrukturierung verdankte und dabei u.a. primär eingangs „dogmatische“ Themen aufgriff.86 Der lange lehrhafte Einstieg wird eröffnet mit Loci zur Gotteslehre, trinitarisch entfaltet (Nr. 1–6). Es folgt die Rubrik Schöpfung (Nr. 7f.) ergänzt durch Äußerungen Luthers zu Wundern (Nr. 9). Ausgehend von dem Abschnitt „De peccato“ (Nr. 10), werden dann zentrale Aspekte der lutherischen Rechtfertigungslehre differenziert in den Blick genommen (Nr. 11–1887). Im Anschluss wird der „Theologia“ ein eigenes Kapitel gewidmet (Nr. 19). Ähnlich propädeutisch muten die auf die „Facultates et studia“ (Nr. 84) sowie „artes liberales“ (Nr. 85) bezogenen Loci an. Evtl. ist daher auch das bereits erwähnte hohe Interesse an der Schriftauslegung nicht nur schlicht dem protestantischen „sola scriptura“ zuzurechS. die Loci Nr. 21. Summae aliquot librorum in bibliis (42 Stücke: 23 Grundstücke + 19 Nachtragsstücke); Nr. 22. Expositio aliquot locorum scripturae (146 Stücke: 109 Grundstücke + 37 Nachtragsstücke); Nr. 23. In epistolam ad Titum scholia (3 Stücke: 1 Grundstück + 2 Nachtragsstücke). 82 S. die Loci Nr. 68. De matrimonio (+ et educatione H) (78 Stücke: 61 Grundstücke + 17 Nachtragsstücke); Nr. 69. De casibus matrimonii (58 Stücke: 45 Grundstücke + 13 Nachtragsstücke). 83 S. den Locus Nr. 32. Lutheri dicta quaedam de se ipso (104 Stücke: 68 Grundstücke + 36 Nachtragsstücke). 84 S. den Locus Nr. 60. Consolationes pro tentatis, infirmis, et quibus defuncti amici (79 Stücke: 72 Grundstücke + 7 Nachtragsstücke). In F wie H wird in der „Ausführung“ dann dieser Abschnitt mit dem vorhergehenden (Nr. 59. De tentatione et eius commodis: 25 Grundstücke) zusammengefasst – vgl. WA 48, 378f. 85 Zu den verschiedenen Fassungen vgl. CR 21, IX–XVI. 86 S. die Ausführungen zur Kompilatorik im 1. Kapitel (bes. S. 24–26). Zu Melanchthons von der Schrift in Bezug auf die Schrift gewonnenen Loci und deren Bedeutung für die Theologie vgl. die Hinweise von SCHEIBLE, Melanchthon, 140–142 sowie den sich kritisch mit älteren Ansätzen – wie JOACHIMSEN, Loci – auseinandersetzenden Artikel JUNGHANS, Loci; s.a. KNAPE, Melanchthon, bes. 129–131; KAUFMANN, Chemnitz, bes. 183–191.232–235. 87 Vgl. die Loci Nr. 11: De decalogo; Nr. 12: De lege; Nr. 13: De euangelio; Nr. 14: De fide et incredulitate et spe; Nr. 15: De gratia et remissione peccatorum; Nr. 16: De iustificatione et contrariis; Nr. 17: De bonis operibus; Nr. 18: De merito. 81

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nen, sondern auch einem gewissen (theologischen) Bildungsimpetus. Nach dem der Bibel gewidmeten Locus Nr. 20 folgen Loci, die Aussagen zu einzelnen biblischen Büchern bzw. Stellen zusammenstellen (Nr. 21– 23). Abgeschlossen wird dieser Themenkomplex mit Ausführungen Luthers über das „Wort Gottes“ (Nr. 24). Im nächsten thematischen Komplex werden die Sakramente – inklusive Buße – behandelt (Nr. 25–27). Ausführungen Luthers zum wahren bzw. falschen Kult schließen sich an (Nr. 28f.). Der im Rahmen dieser Untersuchung besonders im Zentrum stehende Abschnitt „Lutherus De Seipso“ (Nr. 32) wiederum ist eingebettet in einen Themenkomplex, der sich auf „Autoritäten“ bezieht.88 Dabei macht bereits die Anordnung das Luther zuerkannte Gewicht deutlich. Voran gehen die Kategorien „De prophetis et apostolis“ (Nr. 30) bzw. „De sanctis patribus post apostolos“ (Nr. 31), so dass Luther wie bei Melanchthon in die „series doctorum ecclesiae et testium veritatis Dei“ eingefügt wird.89 Es folgt ein den Konzilien gewidmeter Locus (Nr. 33). Über die Ekklesiologie (Nr. 34f.), inklusive Aussagen zur „falsa ecclesia“ (Nr. 35), erfolgt der Übergang zu einem Komplex, in dem vorrangig eine Auseinandersetzung mit „Gegnern“ stattfindet. Dazu wären zum einen die Loci zu religiös-ethnischen Gruppen wie „Juden“ (Nr. 36) oder „Türken“ (37) zu rechnen. Zum anderen geraten „innerprotestantische“ Gruppierungen in den Blick, d.h. „Sakramentarier“, „Wiedertäufer“ und Müntzer (Nr. 45) sowie die nuancierter betrachtete Reformbewegung der Waldenser (Nr. 46). Zum Dritten findet eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Papsttum als solchem (Nr. 38f.) bzw. den „Papistae“ statt, wobei diese Gruppe nicht nur an sich (Nr. 40f.), sondern auch anhand einzelner Vertreter differenzierter thematisiert wird. Z.B. wird dem bereits 1536 verstorbenen Erasmus von Rotterdam ein eigener Locus gewidmet (Nr. 43).90 Weitere Gegner Luthers werden eher summarisch genannt (Nr. 44: „De Emsero, Eccio et similibus“). Tatsächlich wird in diesem Locus ein breites Spektrum an Personen angesprochen – neben die Genannten treten namentlich Johannes Cochlaeus (1479–1552), der Wie88 Letztlich wäre auch die nur ein Grundstück umfassende Kategorie „De commentariis“ (Nr. 47) hier mit zu berücksichtigen. Luther warnt hier vor einer Hintanstellung der Bibel (vgl. Chart. A 402, fol. 167r [WA 48, 581,2–12] bzw. WA.TR 4, 432,13–25 [Nr. 4691]). 89 Vgl. die bekannten Reihen in Melanchthons sog. Historia Lutheri (CR 6, 166–168) sowie in seiner Leichenrede auf Luther (vgl. MELANCHTHON, Oratio in funere, 214f.) – s. hierzu: WOLGAST, Biographie, 54–56; POHLIG, Gelehrsamkeit, 270–276; FRAENKEL, Testimonia, 52–109. 90 An ihm und seiner Einschätzung durch Luther zeitigt F ein besonderes Interesse, das sich auch im Abschnitt „Luther über sich selbst“ niedergeschlagen hat (s. S. 212– 217).

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ner Bischof Johannes Fabri (1478–1541) sowie der Kanoniker Georg Witzel (1501–1573), aber auch ein Kanoniker von Saltza oder allgemein Nonnen und Mönche.91 Inhaltlich gefüllt wird die Auseinandersetzung mit Loci zu den Gelübden (Nr. 42), den Zeremonien (Nr. 48) oder abzuschaffenden Missbräuchen (Nr. 49).92 Zudem ist ein weiterer, den Kodex bestimmender Zug hervorzuheben, nämlich die konkrete Ausrichtung auf Fragen, die mit dem kirchlichen Amt verbunden sind – theoretisch wie praktisch und in kirchenleitendorganisatorischer Hinsicht. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang zunächst auf das bereits angeführte Thema der Ehe (Nr. 68f.). Zu ergänzen sind die Loci, die den Visitatoren (Nr. 50), der „vocatio“ (Nr. 51), dem „ministerium“ (Nr. 52) bzw. den „ministri“ (Nr. 54) gewidmet sind. Somit eignet der Sammlung ein hohes Interesse an Fragen des Kirchen- und Ehegerichtswesens. Hinzu kommen stärker auf die Predigt bezogene Sachgruppen wie die „loci exhortatorii“ (Nr. 53) oder die Allegorie (Nr. 56); hierzu wäre bedingt wohl auch der Locus „De prophetia et vaticiniis“ (Nr. 55) zu zählen. Des Weiteren finden sich Rubriken, die im Bereich der Seelsorge anzusiedeln sind – ganz prägnant in Gestalt der in der Ausführung dann zusammengefassten Loci „De tentatione et eius commodis“ (Nr. 59) und „Consolationes pro tentatis, infirmis, et quibus defuncti amici“ (Nr. 60). Wiederum zumindest implizit wären der Locus „Kreuz und Zorn Gottes“ (Nr. 57) sowie die dem „Teufel“ (Nr. 58) oder der Auseinandersetzung mit dem „Gewissen“ (Nr. 61) bzw. mit „Krankheiten und Heilmitteln“ (Nr. 90) gewidmeten Loci und noch einmal die „Ehefragen“ (Nr. 68f.) ebenfalls dieser seelsorgerlichen Dimension zuzurechnen. Der Übergang zu Fragen der Frömmigkeit ist fließend, wie Rubriken über „Demut und Anmaßung“ (Nr. 62), über das „Gebet“ (Nr. 63), „Engel“ (Nr. 64a), den „Anstoß“ (Nr. 64b) sowie „Wohlergehen und Erfolg“ (Nr. 65) und „Träume“ (Nr. 66) zeigen. Wieder eher in den Bereich der Seel91 Vgl. WA 48,376,32–34 bzw. die dort subsummierten Stücke. Näheres hierzu s. S. 142–145. Nach der aus den Verweisen im Index ersichtlichen Locuseinteilung wäre des Weiteren noch der Täufer und Antitrinitarier Johannes Campanus (1500–1574) zu nennen, auf den die beiden letzten Apophthegmata bezogen sind (vgl. Chart. A 402, fol. 158v–159r [WA 48, 511,10–24; 391,31] bzw. WA.TR 2, 640,21–641,2 [Nr. 2759b]; WA.TR 1, 41,33–42,12 [Nr. 112; 113]). Dieser würde inhaltlich aber besser zum folgenden Locus Nr. 45 „De Sacramentariis, Anabaptistis et Monetario“ passen. Insofern der Locus im Text von F (und H) ohne Überschrift beginnt, scheint es naheliegend, dass dem Schreiber hier beim Nachtragen der Verweise aufgrund der fehlenden Überschrift ein Irrtum unterlaufen ist. 92 Etwas verloren wirkt in diesem Kontext die nur ein Grundstück umfassende Kategorie „De commentariis“ (Nr. 47). Ähnliches Werben für die Bibel und die Vernichtung seiner eigenen Schriften findet sich bereits unter den „Aussagen Luthers über sich selbst“ (s. S. 217–223).

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sorge deuten die Rubrik „Lüge“ (Nr. 67), ergänzt im letzten Drittel durch die Loci „Borgen, Wucher und Spiel“ (Nr. 78), „Reichtümer“ (Nr. 79) oder „Bier und Trunkenheit“ (Nr. 80). Zu kurz griffe es, in diesen Loci einen bloßen Reflex eines ethischen Rigorismus’ zu sehen. Deren Apophthegmata eignet eine differenziertere Haltung. Die genannten Themen werden grundsätzlicher aufgearbeitet und somit dem Besitzer zur eigenen Anleitung bei der Amtsführung zur Verfügung gestellt. Die damit einhergehende besondere Bezogenheit auf Luther als Person und Autorität spiegelt sich nicht minder eindrücklich in jenen Loci, die dem Kodex geradezu einen enzyklopädischen Charakter verleihen und z.T. auch bereits angesprochen wurden: Man kann sich mittels des Kodex „aus dem Munde Luthers“ informieren über „Regionen und Völker“ (Nr. 81), „Städte“ (Nr. 82), „Sprachen“ (Nr. 83), die „natura animantium“ (Nr. 87) und „natura herbarum et elementorum“ (Nr. 88), wie gesehen aber auch die „Facultates et studia“ (Nr. 84) bzw. „Artes liberales“ (Nr. 85), „Krankheiten und Heilmittel“ (Nr. 90). Dass in dem so angedeuteten „quasi-enzyklopädischen“ Block der Übergang zu dogmatischen Themen fließend ist, zeigen die Loci, die den „dona naturalia“ (Nr. 86) oder der „natura hominis“ (Nr. 89) sowie der „Totenauferstehung“ bzw. dem „Jüngsten Tag“ (Nr. 91) gewidmet sind. Aus dogmatischer Perspektive überrascht es freilich, dass diesem Locus noch eine Sammlung von „Scherzen“ (Nr. 92) folgt – somit wird der ernste dogmatische Gehalt durchbrochen mit leichterer Lektüre. Die Ausführungen zur Gattung haben jedoch gezeigt, dass gerade auch Solches mit umfasst wird.93 Neben die bisher genannten Schwerpunkte tritt als weiterer, größerer thematischer Block ein der „Politik“ im Sinne von politia gewidmeter. Diese wird zunächst allgemein thematisiert (Nr. 70). Im Zentrum steht dann aber die Obrigkeit in differenzierter Weise: die Magistrate (Nr. 71), die Könige Israels (Nr. 72), der Kaiser, die Fürsten, die Adligen und Höflinge, die Krieger und die Bauern (Nr. 73–75b). Es folgen ein dem Krieg gewidmeter Locus (Nr. 76), thematisch eng geführt auf den Türkenkrieg und die „Wurzener Fehde“,94 sowie der Locus „Verteidigung und Rache“ (Nr. 77). Aufmerksamkeit zieht zudem der letzte Locus auf sich. Es handelt sich um eine thematisch zugespitzte Briefsammlung, die nur aus Grundstücken besteht.95 Unter der Überschrift „Literae commendatitiae et testimonia“ Vgl. S. 39. Zu diesem innerwettinischen Konflikt s. WARTENBERG, Entstehung, 78f.; WARTENBERG, Verhältnis, 155. 95 Vgl. WA 48, 384. Aus diesem Rahmen fällt nur das Apophthegma Nr. 7192 – vgl. Chart. A 402, fol. 455b [WA 48,705,11–22]. Beantwortet wird die Frage: „An, qui vera crimina de alio dicit, puniendus sit.“ 93 94

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(Nr. 93) sind hier zum einen von Luther und z.T. auch von Melanchthon verfasste „Empfehlungsschreiben“ und „Zeugnisse“ gesammelt, zum anderen – eine kleine Sammlung von Briefen Luthers an Staupitz aus den Jahren 1518–1522, ergänzt durch einen Brief Luthers an Linck. Die Empfehlungsschreiben bezeugen Luthers (und Melanchthons) Einsatz für Pfarrer und Prediger, z.T. bei Stellenbewerbungen, bedürftige Studenten, aber auch Waisen, Kranke, Reisende oder Verfolgte sowie Luthers Bitte an den Kurfürsten, Melanchthon nach Frankreich ziehen zu lassen, damit das dortige Morden ein Ende nehme. Dabei scheint es höchstens am Rande um die genannten Personen zu gehen. Ein reines „historisches“ Interesse an der Sicherung lutherischer Briefe oder des Ordinationszeugnisses von Jakob Siegel96 könnte kaum die Konzentration auf die Gattung Empfehlungsschreiben und Zeugnisse plausibilisieren, so dass wohl von einem konkreten „aktuellen“ Bedürfnis her auszugehen ist. Die kleine Teilsammlung der Briefe an Staupitz bzw. dem an Linck97 und – wohl zu ergänzen wäre der an Kurfürst Friedrich von der Wartburg –98 geben einen Einblick in die Frühphase der Auseinandersetzung Luthers mit dem Papst. Bei diesen „testimonia“ verbindet sich evtl. das „historische“ Interesse mit dem Anliegen, Luther als Kämpfer gegen das Papsttum vor Augen zu führen. 1.2.

Zum Urheber der in F und H / H 74 greifbaren Tradition

Die folgenden Ausführungen zum Urheber von F greifen Haußleiters Beobachtung, dass der Hamburger Doppelband in besonderer Weise mit Freiberg verbunden ist, konstruktiv auf. Es soll gezeigt werden, dass bereits der Handschrift F bzw. der dieser und dem Hamburger Doppelkodex gemeinsamen Vorlage ein besonderer Bezug auf Freiberg und von hier auf Hieronymus Weller oder allgemeiner auf den „Wellerschen Kreis“ sowie mittelbar auf Justus Jonas eignet.99 Insofern wäre die Tradition als „Wellersche Tradition“ zu verstehen und die ursprüngliche These Haußleiters zu revidieren, nach der Hieronymus Besold (und Veit Dietrich) als Urheber der Gothaer Handschrift anzusehen sind.100 Vgl. WA.B 12, 452f. [Nr. 4330,2] bzw. Chart. A 402, fol. 443v–444r. Chart. A 402, fol. 444b–451b. 98 Vgl. WA.B 2, 467–470 [Nr. 457] bzw. Chart. A 402, fol. 439v–441r. Es handelt sich hier um eine Abschrift der überarbeiteten „offiziellen“ Fassung. 99 Durch den Rekurs auf den bereits in der Forschung etablierten und in seiner Extension relativ offenen Begriff des „Wellerschen Kreises“ wird eine – angesichts der Komplexität der Überlieferung – zu strikte Zuordnung an eine Einzelperson vermieden. 100 Durch diesen Fokus auf die Gothaer Handschrift beschränken sich die Belege im Folgenden in der Regel auf F. Die entsprechenden Stellen von H / H 74 können WA 48 entnommen werden. 96 97

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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Diese alternative These ist sukzessive zu plausibilisieren. Zunächst soll die Bezogenheit der Tradition auf Freiberg bzw. Weller expliziert werden (1.2.1). Darauf aufbauend ist zu klären, inwiefern die Annahme einer „Wellerschen Apophthegmata-Tradition“ sinnvoll ist (1.2.2). Im Anschluss wird geprüft, ob der an den Loci ablesbare Grundstock der Tradition inhaltlich mit Weller in Verbindung gebracht werden kann (1.2.3). Eine analoge Untersuchung erfolgt für die Nachtragsstücke bzw. die durch diese ergänzte Gothaer Handschrift (1.2.4). Anschließend sind potenzielle Gegenargumente aufzugreifen (1.2.5), so dass differenziert die Konsequenzen für die weiteren Analysen gezogen werden können (1.2.6). 1.2.1.

Zur Bezogenheit der Tradition auf Freiberg und den „Wellerschen Kreis“

Stadt und Amt Freiberg waren nach der Leipziger Teilung (1485) der albertinischen Linie zugefallen. Der weiterhin lukrative Bergbau wurde jedoch von beiden wettinischen Geschlechtern verwaltet. Ab 1505 wurde das Amt Freiberg – gemeinsam mit dem Amt Wolkenstein – von Heinrich von Sachsen (1473–1541) eingeschränkt selbstständig regiert und wurde zur Residenzstadt. Bei der maßgeblich von Katharina von Mecklenburg (1487–1561), der Gattin Heinrichs, vorangetriebenen Einführung der Reformation in diesem Gebiet, kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit den Ernestinern.101 Obwohl Freiberg, zumal zur Entstehungszeit von F, politisch primär albertinisch geprägt war, gab es im Kontext des Schmalkaldischen Krieges eine Minderheit, die Johann Friedrich I. unterstützte.102 Insofern Heinrich als Grablege den Freiberger Dom gewählt hatte und seine Witwe das ursprünglich als Wittum bestimmte Amt Wolkenstein gegen je ein Haus in Freiberg, Dresden und Torgau eingetauscht hat,103 waren die politischen Urheber der Freiberger Reformation weiterhin vor Ort „präsent“. Ein erstes Indiz dafür, dass der im Gothaer Kodex wie in den Hamburger Handschriften greifbaren Tradition tatsächlich ein besonderer Bezug auf Freiberg bzw. dem „Wellerschen Kreis“ eignet, stellen die in dieser enthaltenen Briefe dar. Rein quantitativ betrachtet weisen die meisten aufgenommenen Schreiben als Empfänger Personen mit Freiberger Hin101 Nach dem Tod seines Bruders Herzog Georg (1471–1539) wählte Heinrich bei der dann ermöglichten Einführung der Reformation im gesamte Herzogtum jedoch einen eigenen, „albertinischen“ Weg. Zur Einführung der Reformation in Freiberg bzw. im Herzogtum Sachsen s. JUNGHANS, Ausbreitung, 61f.; WARTENBERG, Entstehung; WARTENBERG, Einwirkung; KANDLER, Kirchengeschichte, 54–69.103f.; KANDLER, Freiberg, 376. 102 S. MÖLLER, Theatrum, II, 235–244. 103 WERL, Katharina, 326.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

tergrund auf:104 Als Adressat von insgesamt elf Briefen steht Hieronymus Weller (1499–1572)105 quantitativ zwar nur an zweiter Stelle,106 dennoch wird sich zeigen, dass er geradezu als „Katalysator“ der vorliegenden Apophthegmata-Tradition fungierte. Weller selbst weilte ab der zweiten Hälfte der 1520er Jahre für mehrere Jahre an Luthers Seite in Wittenberg, bis er 1539 die theologische Lektur an der Freiberger Stadtschule annahm. Er nahm in dieser Funktion intensiven Anteil an den krisenhaften Erfahrungen von Luthers Tod, von der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg sowie dem Kampf um das Interim und den daraus resultierenden theologischen Streitkreisen. In seinem Werk räumte er Luther und insbesondere dessen Schriften einen äußerst hohen Stellenwert ein. Die in der vorliegenden Tradition zunächst in F greifbaren Briefe Luthers an seinen häufig von „Anfechtungen“ geplagten, „schwermütigen“ ehemaligen Hausgenossen und Lehrer seines Sohnes Johannes sind einerseits primär als seelsorgerlich einzustufen.107 Andererseits werden zugleich amtstheologische Die auf den ersten Blick evtl. niedrig anmutenden Zahlen gewinnen zusätzliches Gewicht dadurch, dass Personen ohne Freiberger Kontext oftmals nur einmal als Adressaten greifbar sind. 105 Zu Hieronymus Weller s. LEDL, Lernen, bes. 12–21; KANDLER, Freunde, 102– 107; MÜLLER, Weller; DINGEL, Weller sowie die einzige – leider veraltete monographische Studie NOBBE, Weller, bes. 1–46. Seine Werke sind in einer zweibändigen, in lateinische und „teutsche“ Schriften unterschiedenen Gesamtausgabe aus dem Jahr 1702 greifbar. 106 Ebenfalls elf Briefe sind an Georg Spalatin gerichtet, z.T. von Melanchthon bzw. Bugenhagen verfasst – vgl. Chart. A 402, fol. 191r; 191r–v; 191v–192r; 221r–v; 260r– 261r; 276r; 321r; 332r–333r; 333rv; 333v–334r; 334v–335r. Es folgen zwei Personen mit sieben Briefen: Der Nürnberger Wenceslaus Linck (Näheres hierzu s. S. 111f. Anm. 129) bzw. Johannes Staupitz, d.h. die bereits am Ende von II 1.1.3 erwähnte Briefsammlung von Staupitzbriefen im 93. Locus (ebd., fol. 444v–451v). Justus Jonas ist v.a. in seiner Funktion als Propst gemeinsam mit den Kanoniker des Allerheiligenstiftes zu Wittenberg in insgesamt vier Briefen greifbar (vgl. ebd., fol. 174r–v; 174v–176r; 176r– 177v; 336r–v), der Pirnaer Superintendent Anton Lauterbach ebenfalls (vgl. ebd., fol. 72v–73r; 82r; 261v–262r; 370r). Diese Liste ist zu ergänzen durch Briefe an Fürsten. Rein quantitativ wird Friedrich der Weise mit sechs Schreiben am häufigsten erwähnt, mehrheitlich aber im 93. Locus. Insofern wird damit weniger ein besonderer Bezug auf die Ernestiner greifbar als auf wichtige obrigkeitliche Aussagen von Luthers Landesherrn (vgl. Chart. A 402, fol. 388v; 388v–389v; 439v; 439v–441v; 441v–442r; 442r–443v). Jeweils drei Schreiben haben Kurprinz Joachim von Brandenburg / Joachim II. von Brandenburg (vgl. ebd., fol. 377v–378r; 379r–380r; 180v–182r) bzw. Fürst Joachim zu Anhalt (ebd., fol. 250v– 251v; 251v–252v; 252v–253r) als Adressaten. Zweimal wird Kurfürst Johann von Sachsen erwähnt (ebd., fol. 385r–387r; 390r–391v; hinzu kommt ein nicht mittels Überschrift als Brief gekennzeichneter, eigenhändiges Schreiben von Herzog Johannes 1532, das einzige Nachtragsstück – vgl. ebd., fol. 373v–374r). 107 S. besonders Chart. A 402, fol. 248v–249r = WA.B 5, 374f. [Nr. 1593]; 247v– 248v = WA.B 5, 518–520 [Nr. 1670]; 249r–v = WA.B 5, 547 [Nr. 1684]. Das besonde104

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Probleme vor Ort thematisiert, z.B. in Bezug auf die Visitation des gesamten Herzogtums,108 Verhalten einzelner Pfarrer,109 die Haltung gegenüber Bordellen110 oder die Taufe noch nicht geborener Kinder.111 Es finden sich des Weiteren auch sehr private Empfehlungen Luthers, die nur bedingt von allgemeinen Interesse sind, wie z.B. bezüglich der Hochzeitsfeier seines Briefpartners112 oder der von der Coburg übermittelte Rat, den 1530 erhaltenen Ruf nach Dresden anzunehmen.113 Nicht übernommen aus der Korrespondenz zwischen Luther und Weller wurde hingegen (politisch) „Anstößiges“.114 Dass der einzige Brief von Melanchthon an Hieronymus Weller den Tod eines anderen Freiberger Theologen thematisiert bzw. Luthers Schweigen auf die von Weller übermittelte Todesnachricht erklärt, ist gewiss kein Zufall.115 Der enge Lutherfreund Nikolaus Hausmann (1478/79–1538) war als 60-Jähriger zum Superintendent seiner Geburtsstadt Freiberg berufen worden, erlitt aber bei seiner Antrittspredigt auf der Kanzel einen Schlaganfall und verstarb an den Folgen.116 Insofern re Interesse an der Familie Weller wird punktuell auch in den Nachtragsstücken deutlich, insofern dort ein ebenfalls seelsorgerliches Schreiben Luthers an Wellers Schwester, Barbara Lißkirchen, aufgenommen worden ist (Chart. A 402, fol. 285v = WA.B 6, 86–88 [Nr. 1811]). Zu den primär seelsorgerlich motivierten Schreiben Luthers an Hieronymus Weller (und seine Geschwister) s. KANDLER, Freunde, 102–107; KANDLER, Briefe. 108 Chart. A 402, fol. 187r = WA.B 9, 73f. [Nr. 3453]. 109 Chart. A 402, fol. 211v = WA.B 6, 133 [Nr. 1833]. 110 Chart. A 402, fol. 314v = WA.B 9, 228f. [Nr. 3532]. 111 Chart. A 402, fol. 68r = WA.B 6, 554f. [Nr. 2069]. 112 Chart. A 402, fol. 309r = WA.B 7, 487f. [Nr. 3056]; 309v = WA.B 7, 495 [Nr. 3062]. 113 Chart. A 402, fol. 190v = WA.B 5, 609f. [Nr. 1714]. 114 Z.B. Luthers Ablehnung einer Fürsprache für Weller beim Dresdner Hof, da er dort zu unbeliebt sei (WA.B 9, 157f. [Nr. 3505]) oder Luthers Kritik an der „Heuchelei der Meißener“ im Kontext der „Wurzener Fehde“ (WA.B 10, 51f. [Nr. 3743]) oder Luthers Zornbrief gegen die „Juncker zu Meißen“ (WA.B 10, 113 [Nr. 3774]). Ebenso wenig fand der Brief Luthers Eingang, in dem Wellers problematische Situation in Freiberg thematisiert wurde (WA.B 9, 464f. [Nr. 3638]) oder Schwierigkeiten bei der Besetzung der Freiberger Superintendentur nach Hausmanns plötzlichen Tod (WA.B 8, 347f. [Nr. 3286]) sowie das Empfehlungsschreiben für Christoph Strobel, dem späteren Schlossprediger, mit dem Seitenhieb gegen jene, die einen solchen Diener des Wortes nicht liebten (WA.B 8, 357 [Nr. 3292]). 115 Chart. A 402, 277v = CR 3, 604–606 [Nr. 1749]. 116 Zum plötzlichen Tod Hausmanns s. WA.B 8, 346f. sowie die Schilderung Bernhards von Dölen, dem Prediger von St. Petri, in seinem Schreiben an Justus Jonas vom 4. November 1538 (BrWJJ 1, 300f. [Nr. 396]). Weller selbst – betont mit Luther – in apologetischer Absicht, es komme auf das heilige Leben an, nicht das „Wie“ des Sterbens (vgl. WELLER, Opera, III+IV, 77; Schrifften, II, 103.105). Zu Hausmann s. LAU, Hausmann; KANDLER, Kirchengeschichte, 59.84; KANDLER, Freunde, 111.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

verwundert es wenig, dass keines der dreizehn bzw. elf Schreiben an ihn117 – er ist damit der am häufigsten greifbare Empfänger – als Freiberger Amtsinhaber adressiert ist und nur punktuell ein konkreter Bezug auf Freiberg vorliegt.118 Jedoch gehört die Familie Hausmann zu den wichtigen Familien der Stadt, so dass der Bezug v.a. über die Person und nicht die Themen geht. Dafür spricht zum einen, dass zusätzlich zwei Trostbriefe an seinen Bruder Valentin, der in Freiberg als Bürgermeister amtierte, aufgenommen sind.119 Zum Anderen eignet Hieronymus Weller bzw. dem Kreis um ihn eine besondere Bezogenheit auf Nikolaus Hausmann und von hier ein verstärktes Interesse an seiner Memoria, wie insbesondere eine auf Georg Steinhart bzw. Johann Lindener zurückgehende Apophthegmata-Sammlung belegt.120 Neben Weller und Hausmann tritt von den Theologen zudem Caspar Heydenreich (1516–1586), der zur Abfassungszeit von F als Freiberger Hofprediger amtierte.121 Zwar enthält F nur ein einziges Schreiben von Luther an ihn, inhaltlich tröstet Luther Heydenreich wegen eines kurz nach der Geburt verschiedenen Sohnes, doch stellt dieses Grundstück zugleich das einzige Schreiben Luthers an den Freiberger dar,122 und auch von Melanchthon sind nur Schreiben überliefert, die Ende der 1550er Jahre und damit nach Abschluss von F datieren. Unter den Briefen findet sich des Weiteren Luthers Schreiben an Freiberger Bürger, in dem der vom Kartenmaler Matthias Lotther in Freiberg ausge-

117 Chart. A 402, fol. 116v; 157r; 169r–v; 173r–v; 173v–174r; 177v–178r; 182v–183r; 207r–v; 207v–208r; 208r–v; 324v–325r; 325r–v. Hinzu kommt ein Herzog Georg kritisierender Brief, der nur mit „epistola“ überschrieben ist: ebd., 164r = WA.B 4,18f. [Nr. 973] sowie ein Schreiben, das in F fälschlicherweise mittels „Ad eundem“ ebenfalls Nikolaus Hausmann zugeschrieben wird, obwohl es an seinen Bruder Valentin gerichtet sein muss: vgl. ebd., 208r–v = WA.B 6, 233–235 [Nr. 1888]. 118 S. jedoch Chart. A 402, fol. 182v [WA.B 5, 38,24–26]: „Freibergensibus tuis in caussa sacramenti nihil possum utilius scribere, quam nouissimum libellum meum contra Misnensis episcopi mandatum praesertim ultimum quaternionem“ – zum Hintergrund s. WA.B 5, 39 Anm. 18. 119 Chart. A 402, fol. 249v–250r; 250r–v. 120 Vgl. exemplarisch Wellers Praefatio zur 2. Auflage seiner Perikopenauslegung von 1551 (WELLER, Opera, II, 6f.) sowie seine Verteidigung von Hausmanns plötzlichem Tode (WELLER, Opera, III+IV, 77. S.a. NOBBE, Weller, 75–79 sowie exemplarisch die auf Hausmanns Tod bezogenen Briefe Melanchthons an Weller: CR 3,607 [Nr. 1751]; 604–606 [Nr. 1749]; 772 [Nr. 1847]. Die Apophthegmata-Sammlung findet sich in der Handschrift Clm. 939. Diese enthält in ihrem Schlussteil „Erinnerungen eines Freibergers (Lindener?) an Nikolaus Hausmann“ (WA.TR 2, XIII). Näheres zu dieser Handschrift s. S. 117 Anm. 153. 121 Vgl. Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen, III, 27. Zu Kaspar Heydenreich selbst s.a. WA.TR 5, XXIIIf.; WA.B 10, 372 Anm. 10. 122 Vgl. Chart. A 402, fol. 269v bzw. WA.B 11,75f.

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löste religiöse Eklat thematisiert wird.123 Zudem wird der Freiberger Rahmen im engen Sinne transzendiert und zwar Richtung des mit der Genealogie in H 74 angedeuteten albertinisch, proreformatorisch zugespitzten Hintergrunds.124 Insofern nach dem Tod von Herzog Georg sein Bruder Heinrich nicht mehr allein für Freiberg zuständig war, verwundert dies wenig. Genannt seien exemplarisch das Schreiben des Leipziger Bürgermeisters Wolf Wiedemann vom 25. April 1533125 und Luthers ausweichendes Antwortschreiben vom 27. April.126 Diese deuten die heftige Kontroverse zwischen Luther und Herzog Georg an, in deren Verlauf Luther des Aufruhrs beschuldigt wurde und an deren Ende die Ausweisung der Leipziger Protestanten stand.127 Zudem findet sich in F ein Beleg für die aus protestantischer Sicht positive Umkehrung dieses Vorgangs, nämlich Luthers Bedenken für Heinrich von Sachsen, in dem der Wittenberger dem Herrscher von Freiberg und zur Abfassungszeit 1539 neuen Landesherrn Ratschläge zum Umgang mit den Äbten, dem Stift Meißen und den Untertanen von Äbten und Bischöfen im Herzogtum Sachsen gibt.128 Alle die genannten Schreiben sind Teil des Grundstocks. Laut Haußleiter wären diese somit dem Nürnberger Veit Dietrich zuzuschreiben und von dessen Landsmann Hieronymus Besold übernommen worden. Dies ist möglich, doch überrascht ein solch starker Bezug auf Freiberg vor einem Nürnberger Horizont zumindest, zumal – bei allem methodischem Vorbehalt gegenüber einer argumentatio e silentio – in der vorliegenden Apophthegmata-Tradition kein einziges Schreiben von Luther, Melanchthon oder einer anderen Person an Dietrich und / oder Besold greifbar ist. Hinzu kommt, dass auch über die anderen genannten Adressaten nur schwerlich ein verstärkter Bezug auf Nürnberg zu plausibilisieren ist.129 Vgl. Chart. A 402, fol. 212v–214r bzw. WA.B 7,365–367 [Nr, 2296] – zu diesem Konflikt, der das Verhältnis von Luther und Herzog Heinrich empfindlich belastete und so auch die Einführung der Reformation in Freiberg gefährdete s. WARTENBERG, Einwirkungen, 96–99; KANDLER, Freiberg, 378f.; KANDLER, Freunde, 107–109. 124 S. S. 100f. 125 Vgl. Chart. A 402, fol. 109v bzw. WA.B 6, 456f. [Nr. 2011]. 126 Vgl. Chart. A 402, fol. 109v bzw. WA.B 6, 457 [Nr. 2012] – der ursprüngliche Briefkopf wird durch ein schlichtes „Responsio“ ersetzt. 127 Zum Kontext s. die Einleitung zu Luthers Verteidigungsschrift (WA 38, 86–91) bzw. die Schrift „Verantwortung der aufgelegten Aufruhr. 1533“ (WA 38, 96–107.108– 127). S.a. SEIDEMANN, Beiträge, 125–141. 128 Chart. A 402, fol. 183r–184r bzw. WA.B 8, 482–484 [Nr. 3353]. 129 Zu nennen sind das noch näher zu betrachtende Schreiben Luthers an Thomas Zink, ein Schreiben an den ehemaligen Abt Friedrich Pistorius (Chart. A 402, fol. 310r–311r) sowie ein Brief an den Nürnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler (Chart. A 402, fol. 178r–180r). Hinzu kommen sieben Stücke, die an Luthers ehemaligen Ordensgenossen Wenzeslaus Linck (1483–1547) „adressiert“ sind. Bei drei davon handelt es sich um nachträgliche Einschübe in einen Brief an den seit 1525 in Nürnberg als 123

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Dies gilt insbesondere auch für den an Thomas Zink in Hofheim gerichteten Trostbrief vom 22. April 1532, der in FH mit „Ad ciuem Nurembergensem“ überschrieben ist.130 Zinks Sohn war in Wittenberg ein Schüler Dietrichs gewesen und wenige Tage vorher verstorben.131 Insofern liegt hier ein Bezug auf den Sebalder Pfarrherrn nahe, zumal sich dieses Schreiben auch in einer weiteren Dietrichschen Handschrift findet.132 Daneben treten jedoch weitere handschriftliche Zeugen, von denen keiner einen Bezug auf Nürnberg herstellt. Besonders im Vergleich mit der Überlieferung Rörers wird das Proprium dieser trotz allem zugleich als Anonymisierung zu wertenden Überschrift deutlich. So bietet Rörer zwei Überschriften. Ursprünglich ganz allgemein als „Trostschrifften D[octor] m[artin] L[uthers] an Eltern, so trauern und leid tragen vber ire verstorbene kinder“ eingeführt, lautet die korrigierte Fassung dann – wohl in Vorbereitung der Jenaer Edition – „[…] an ein guten freund, dem sein son zeitlich mit Tod abgangen“133. In FH erfolgt demgegenüber keine inhaltliche Rubrizierung, vielmehr eine bürgerrechtliche, die Haußleiter – zumindest im Vorfeld der Edition – von einer „besondere[n] Kunde Besolds“134 sprechen lässt. In der Dietrichschen Überlieferung fehlt dieses „Sonderwissen“ über den Adressaten.135 Dieses könnte in der Tat auf einen besonderen Nürnbergbezug der Grundstücke hinweisen. Jedoch gibt es keinen historischen Anhalt für die Richtigkeit dieser Aussage, da sich kein Nürnberger Bürger mit Namen Thomas Zink nachweisen lässt.136 Zudem Pfarrer am Heilig-Geist-Spital wirkenden Linck. Alle „Briefe“ geben Antwort auf ein konkretes theologisches Problem (Chart. A 402, fol. 66v–67r [Konditionaltaufe]; 74r– v [absolutio publica]; 387v [Gegen- und Notwehr]; s.a. die Einschübe (vgl. WA.B 4, 496f.): Chart. A 402, fol. 238r–v [Besessene; entspricht WA.TR 2, 386,15–387,7 [Nr. 2267b]]; 259r–260r: [Angefochtene im Glauben und in der Hoffnung; entspricht WA.TR 2388,23–390,8 [Nr. 2268b]]; 354r–v [Umgang mit falschen Propheten]. Hinzu kommt noch im 93. Locus das „testimonium“ Lincks: ebd., fol. 446v–447r, so dass auch von hier kaum eine Lokaltradition aufleuchtet als vielmehr ein thematisches Interesse. 130 Chart. A 402, fol. 272r–v bzw. Sup. Ep. 4° H 73, fol. 259v. 131 WA.B 6, 300–302 [Nr. 1935] bzw. Chart. A 402, fol. 272r–v. Unter Dietrichs Apophthegmata findet sich auch eine Schilderung der letzten Worte seines Schülers (WA.TR 1,103f. [Nr. 249]; s.a. 2,99 [Nr. 1431]). 132 Dresden, Cod. Solg. C. 351, 4°, fol. 87. 133 Ms. Bos. q. 24r, fol 80r–81r.80r. 134 HAUßLEITER, Rätsel, 99. 135 Im Cod. Solg. C. 351, 4° ist der Brief überschrieben mit „An Thoma Cinken zu Hoffheim“. Ich danke Frau Birgit Buth von der Sächsischen Landesbibliothek für diese Auskunft! Im erst nach F entstandenen Rörerband Ms. Bos. q. 24r fehlt diese Sonderinformation ebenso (ebd., fol. 80r). 136 Der Nachname Zink war zu dieser Zeit in Nürnberg kaum verbreitet. Es gab einen Geistlichen mit Namen Caspar Zink, der 1514 seine Primiz feierte und bis ca. 1530 nachweisbar ist (StadtAN GSI 180 bzw. Kist, Matrikel, 454). Dieser kann kaum

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war der Adressat des Briefes Bürgermeister von Hofheim, sein Vater, Friedrich Zink (geb. um 1450), war Oberschultheiß und Richter des Brücken- und Stadtgerichts zu Würzburg.137 Die Lösung, dass der gesuchte Thomas Zink gleichzeitig Bürgermeister in Hofheim und dennoch Bürger in Nürnberg gewesen wäre, ist äußerst unwahrscheinlich, da man normalerweise ein Bürgerrecht aufgeben musste, bevor man in ein neues aufgenommen werden konnte. Naheliegender erscheint es deshalb, dass diese „Sonderkenntnis“ einen Irrtum darstellt. Dieser mag auf den bzw. die Sammler oder den Schreiber zurückgehen. Falls die Briefüberschrift vom Sammler stammt, wäre dieser wohl kaum mit Dietrich und / oder Besold zu identifizieren, da diese über die Identität des Adressaten besser informiert gewesen sein dürften. Insofern ist der Brief wohl weniger ein belastbares Zeugnis für eine Lokalisierung der Tradition in Nürnberg anstatt Freiberg. Diese Unlast vermögen auch weitere potenzielle Argumente pro Nürnberg eher nicht aufzulösen. Hier geraten insbesondere zwei Nachtragsstücke in den Blick. Im Hintergrund des ersten steht ein „Sprichwort“ über Hadrian VI. Dieses soll laut F von den Nürnbergern auf einem Bogen festgehalten worden sein: „So machen die Nurmberger in gratiam caesaris einen bogen; auf der einen seiten stundt: Vtrich plantavit, quia fuit patria Hadriani. Auff der ander seiten: Löwen rigavit, quia ibi studuit Hadrianus. Oben auff: caesar dedit incrementum, Quia ipse fecerat eum papam. Da kam ein boser bube vnd schreib vnden in den bogen: hic Deus nil fecit.“138

Entgegen dieser Aussage ist im Nürnberger Stadtarchiv kein „Hadriansbogen“ nachweisbar.139 Dieser wäre auch nur schwerlich mit der ansonsten so zurückhaltenden Nürnberger Religionspolitik vereinbar. Weiterhin bieten die Parallelen in Math. L. und Math. N. sowie H hier statt „Nürnberg“ nur ein „N.“.140 Aurifaber hingegen verweist auf die „von Utrich“,141

identisch sein mit Gesuchten – für diese Hinweise danke ich Dr. Bauernfeind vom Nürnberger Stadtarchiv ganz herzlich! 137 DORN, Zink, 318. 138 Chart. A 402, fol. 360ar bzw. WA.TR 5, 223,20–24 [Nr. 5538]. 139 Erneut danke ich Dr. Bauernfeind vom Stadtarchiv für die Hilfe bei den Recherchen. Auch eine Nachfrage bei den Spezialisten der Spengler-Edition blieb ergebnislos; diesen, allen voran Frau Dr. Litz, sei ebenso herzlich gedankt. 140 WA.TR 5, 223 Anm. 17 bzw. Sup. Ep. 4° 73, fol. 428v. 141 WA.TR 5, 224,27. Mit dieser Lokalisierung hat das Sprichwort auch Eingang in Wanders Sprichwörter-Lexikon gefunden (vgl. WANDER, Sprichwörter-Lexikon, 3, 1180 [Nr. 75]: „Zu dem Bapst hat Gott nichts gethan. ‚Papst Hadrian VI., ein geborener Utrechter, wurde Karl’s V. Lehrer und durch dessen Beförderung an Leo’s Stelle zum Bapst gewählt. Dem hienge man zu Utrecht zu Ehren Tapecereywerck auff, daran die Wort geschrieben: Utrapetum plantavit, Levanium rigavit, Imperator benedixit

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

die Parallele in Lauterbachs „Tagebuch“ allgemeiner auf „Italien“.142 Insofern wäre zu fragen, inwiefern die Auflösung in F eher auf einen Irrtum des Schreibers zurückgeht, als dass sie eine bessere Überlieferung bietet. Sollte das „N.“ nur eine Anonymisierung darstellen, die vom Schreiber fälschlich aufgelöst wurde? Ein Indiz dafür könnte sein, dass Aurifaber eine andere Lesart als F und damit eine seiner Hauptquellen bietet. Dass ein Nürnberger wie Besold (oder Dietrich) im Unterschied zu Aurifaber die irrige Lokalisierung dieser antipäpstlichen Propaganda in Nürnberg nicht verbessert haben sollte, ist eher wenig plausibel. Etwas anders verhält es sich beim zweiten Nachtragsstück über die Pest. Hier lokalisieren FH (und Aurifaber) im Unterschied zur restlichen Überlieferung den Tod zweier Prediger in Nürnberg: Chart. A 402, fol. 392b143 WA.TR 5,195,1–4 [Nr. 5503]

TR, fol. 276r

„Cum quidam diceret duos praedicatores Nurmbergae peste absumptos esse, quaesitum est, an etiam ecclesiastes, qui tantum conductus est ad praedicandum, posset hominibus egrotis denegare suam operam tempore pestis? R⌊espondit: Bey leibe neyn […].“

DA einer sagte / das zu Nürmberg zwene Prediger an der Pestilentz gestorben weren / ward gefragt/ Ob auch ein Prediger / der allein zum Predigampt bestellet ist / seinen Dienst möge mit gutem Gewissen versagen krancken Leuten/ zur zeit der Pestilentz / das er sie nicht besuche. Hierauff antwortet Doctor Martin Luther vnd sprach / Bey leibe nein / […]

„Pestis. Cum quidam diceret duos praedicatores Naunburgae peste absumptos esse, interrogabat quidam, an etiam ecclesiastes, qui tantum esset conductus ad praedicandum, posset hominibus aegrotis denegare suam operam tempore pestis? R⌊espondit: Non! Bei leib nein!“

Mit Haußleiter kann darauf verwiesen werden, dass für Nürnberg im Gegensatz zu Naumburg im Jahr 1542 der Tod zweier „Prediger“ nachgewiesen werden kann.144 Insofern könnte FH an dieser Stelle tatsächlich besser [Utrecht hat gepflanzet, Löwen hat begossen, der Kaiser hat das Gedeihen gegeben]. Schrebe aber ein Schalck darvnter: Zu diesem Bapst hat Gott nichts gethan.ʻ“ 142 WA.TR 3, 535,1–8 [Nr. 3689]. 143 In H ist das Nachtragsstück sehr gedrängt und mit Abkürzungen wiedergegeben: „Cu[m] q[ui)da[m] diceret duos praedicatores Nurnbergae […]“ (Sup. Ep. 4° 73, fol. 359r). 144 Vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 98. Es handelt sich um den am 02.02.1542 verstorbenen Lorenzer Diakon Leonhard Krügel (SIMON, Pfarrerbuch, 120) und den Prediger von St. Egidien, jedoch nicht, wie Haußleiter anführt, Sebastian Fürnschild (Virnschild; zu diesem s. SIMON, Pfarrerbuch, 70; GRIEB, Künstlerlexikon, I, 435), sondern

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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informiert sein. Inwiefern das anonyme „quidam“ mit Besold zu identifizieren ist, ist in Bezug auf die Lokalisierungsfrage der Tradition letztlich kaum von Belang. Die richtige Fassung könnte auch ganz unabhängig von Nürnberg Aufnahme in FH gefunden haben, zumal dieses Nachtragsstück von Kroker der Heydenreichschen Tradition zugerechnet wird. Insgesamt wird durch die genannten Belege kaum ein so fundierter „Nürnbergbezug“ der Tradition begründet, der dazu nötigt, den (oder die) Urheber in Nürnberg zu lokalisieren. Besser belegt ist die Rückbindung an Freiberg. Insofern soll nun im nächsten Schritt untersucht werden, inwiefern der „Wellersche Kreis“ mit der Apophthegmata-Überlieferung in Verbindung gebracht werden kann. 1.2.2.

Der „Wellersche Kreis“ und die Apophthegmata-Überlieferung

Hieronymus Weller war selbst über viele Jahre hinweg nicht nur Tisch-, sondern Hausgenosse Luthers und kann in späteren Stellungnahmen zu strittigen Fragen, wie z.B. 1561 bezüglich des Taufexorzismus, die Innigkeit der Beziehung betonen: „Cuius quidem rei ego testis esse possim, ut qui interioris vitae ejus spectator fui maxime omnium assiduus, quippe qui octo continuos annos convictor ejus fuerim.“145

Dennoch gibt es keine Apophthegmata-Handschrift, in der er namentlich als deren Sammler genannt wird. Vermutungsweise führt ihn Kroker im Vorwort zum 6. Abschnitt und dem Anhang zum 6. Abschnitt als zweiten „Nachschreiber“ neben Lauterbach in den Jahren 1536/37, d.h. für das Sondergut von Math. L. gegenüber Ser. bzw. von Math. N., Wolf. 3231 (= Kodex Cod. Guelf. 20. 3.) und Math. L. gegenüber den anderen Sammlungen, an.146 Unter den beiden Prämissen, dass erstens Krokers Vermutung richtig ist und zweitens der Gothaer Kodex und die Hamburger Handschriften in einem engen Zusammenhang mit dem „Wellerschen Kreis“ stehen, wäre es naheliegend, dass das Sondergut aus dem von Kroker Lauterbach und Weller zugeschriebenen 6. Abschnitt sich auch in F und H / H 74 fände. Dem ist aber mehrheitlich nicht der Fall, wie bereits ein oberflächlicher Vergleich zeigt.147 Die „Belege“ Krokers für die Zuordnung der in Math. N., Cod. Guelf. 20. 3. und Math. L. gemeinsam überlieferten Sondessen Nachfolger, Achatius Parschberger, verstorben am 17.07.1542 (SIMON, Pfarrerbuch, 165). 145 WELLER, Opera III+IV, 169a. S.a. Wellers, kurz vor seinem Tod mit eigener Hand verfasste Confessio (vgl. ebd., 170a) bzw. sein Vorwort zur Liedersammlung Hempels, ediert 1578 (ebd., 177). 146 WA.TR 3, XV.XXVI und Kroker, Math. L, 58–62. 147 Die Sondergutstücke von Math. L sind von Kroker in seiner Aufzählung mit einem „*“ versehen (WA.TR 3, XIVf.) und können so leicht anhand der Angaben in WA 48 überprüft werden.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

dergutstücke an Weller, Luthers Trostrede an Magister Johann Feldkirch bzw. die „Trost-Schrift“ für eine Frau, wurden bereits von Haußleiter kritisch hinterfragt.148 Dies ist jedoch kein zwingendes Argument gegen Weller bzw. einen auf ihn bezogenen Kreis als Urheber der in FH greifbaren, nach Loci geordneten Tradition. Einerseits könnte es einen Beitrag Wellers geben, der nicht auf die Sonderstücke reduzierbar ist, andererseits hätte Weller sich eben die Nachschriften aus den Jahren 1536/37 problemlos von Lauterbach (und einem weiteren Mitschreiber) ausleihen können. Präsent sind die Apophthegmata dieser Jahre in erheblichem Maße in FH und zwar nur im Grundstock, jedoch nicht über die Handschrift Math. L., sondern fast ausschließlich über eine Tradition, die in der Wolfenbütteler Handschrift greifbar ist. Aus dem entsprechenden Abschnitt Cod. Guelf. 20. 3., fol. 111–167 finden sich von 168 Stücken nur 16 nicht in FH. Umgekehrt kennen FH gegenüber der Wolfenbütteler Handschrift im 6. Abschnitt nur 19 Apophthegmata bzw. im Anhang zum 6. Abschnitt 12 Apophthegmata zusätzlich.149 Leider ist über deren Provenienz und Geschichte nichts bekannt,150 so dass von hier keine weitergehenden Schlüsse pro oder contra einer Rückführung der in FH greifbaren Tradition auf den Kreis um Hieronymus Weller zu ziehen sind. Gegenüber diesen einschränkenden Bemerkungen muss nun jedoch ein Doppeltes hervorgehoben werden. Zum einen bezeugen Mathesius und

Haußleiter führt gegen Kroker zu Recht an, dass Weller darauf verweist, er habe die Trostrede an den kranken Magister Johann Feldkirch aus einem „Buch“ von einem „Freund“ (vgl. WA.TR 3, XXVI bzw. WA 48, 572 Anm. 1; WELLER, Schrifften, II, 262–265.280.281). Diese Bemerkung stammt jedoch aus dem Jahr 1571 und die Trostrede ist – wie bei Aurifaber – nur rein deutsch wiedergegeben. Die ApophthegmataFassung hingegen ist in Mischsprache (vgl. WA.TR 3, 503,14–508,5 [Nr. 3669]; Chart. A 402, fol. 264v–267r). Diese scheint nach dem Zeugnis von Ludwig Rabe – wie auch Haußleiter annimmt – auf Dietrich zurückzuführen zu sein (vgl. auch Stolt, Sprachmischung, 47–49). Ob auch die „Trost-Schrift“ für eine Frau (vgl. WA.TR 3, 518,8– 519,18 [Nr. 3677] bzw. Chart. A 402, fol. 267v–268v) in ihrer rein deutschsprachigen Version auf diese Weise Weller zur Kenntnis gelangt ist (vgl. WELLER, Schrifften, II, 265f.), muss streng genommen offen bleiben. In F wurde dieses Apophthegma mittels sekundärer Randbemerkungen intensiv bearbeitet. Aufgrund dieser Unsicherheiten werden im Folgenden Apophthegmata aus dem 6. Abschnitt der WA-Edition als Lauterbach-„Wellersche“ Tradition bezeichnet. 149 Vgl. WA 48, 550–574.550 Anm. 1 bzw. WA.TR 3, XVIf. 150 Zu dieser Handschrift s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 175f. Weniger bedeutsam für FH ist die davon abhängige Wittenberger Handschrift Ag 4° 45 (in WA.TR als Witt. bezeichnet) – s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 175 sowie WA.TR 6, XXII– XXXIII. Diese Handschrift zeigt, dass Aurifabers rein deutsch-sprachige Ausgabe nicht die einzige ihrer Art war. Auch hier ist Datierung und Herkunft nicht bekannt. 148

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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Stangewald, dass Weller als Mitschreiber am Tisch Luthers fungierte.151 Zum anderen zeigen die Münchner Handschriften Clm. 937152 und Clm. 939153, die auf den „Wellerschen Kreis“, namentlich die gebürtigen Freiberger Theologen Georg Steinhart (1528–1601) bzw. Johann Lindener (1525–1585), zurückzuführen sind, dass der Kreis an der Erstellung einer Apophthegmata-Sammlung interessiert war.154 Wie man dem Titel entnehmen kann, ist diese in unmittelbarer zeitlichen Nähe zu F entstanden: „Dicta et facta R⌊ everendi D⌊omini D⌊octoris Martini Lutheri et aliorum 1550. Georgius Steinert huius codicis est possessor.“155

Beide Bände, die vom „possessor“ Steinhart im Jahre 1564 mit entsprechenden Vermerken an seinen ehemaligen Lehrer, den Chemnitzer Superintendenten M. Johann Tettelbach (1517–1598), verschenkt wurden, enthalten ein breites Spektrum an Traditionen, die Kroker zusammenfasst als „Nachschriften und Abschriften Wellers und seiner Freunde Dietrich, Schlaginhaufen, Lauterbach, Mathesius und Heydenreich“156 sowie „zahlreiche Parallelen zu der Cordatischen Sammlung“157. Aufgrund der Unterschiede zwischen FH und den Münchner Bänden bezüglich der aufgegrifS. hierzu S. 2f. Anm. 10. S. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 167f.; PREGER, Tischreden, XXII–XXIV; HALM / LAUBMANN, Catalogus, 211; WA.TR 1, XVIII; 2, IX–XII; 5, XXVIf.XXXf.; 281f. Anm. 4; 293 Anm. 3; WA.B 14, 109 Anm. 2. Bretschneider geht mit dem Schreiber relativ hart ins Gericht: „Una manu fere totum volumen scriptum est, sed ab homine non satis docto, neque in describendo satis religioso. Scatet enim mendis, et multa in epistolis ex arbitrio describentis praetermissa sunt“ (CR 1, CVII). 153 S. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 168f.; PREGER, Tischreden, XXII–XXIV; HALM / LAUBMANN, Catalogus, 212; WA.TR 1, XVIII; 2,IX–XIII; 3, XXIXf; WA.B 14, 109 [Nr. 235]; CR 1, CVIf. 154 Für die weiteren Überlegungen ist der genaue Anteil von beiden an der Entstehung der Überlieferung letztlich unerheblich (s. hierzu PREGER, XXIIf. bzw. Krokers Korrektur desselben in Richtung einer verstärkten Beteiligung Lindeners, WA.TR 2, IX–XI). Zu Lindener s. WA.TR 2, X; WA.B 14, 307; PREGER, Tischreden, XXIII. Zu Steinhart s. WA.TR 2, IXf.; WA.B 14, 307; PREGER, Tischreden, XXII. Lindener begegnet zudem in der Korrespondenz zwischen Weller und Jonas (Hieronymus Weller an Nikolaus von Amsdorf. Freiberg, 31. Januar 1550: CLEMEN, Briefe, 319f. [Nr. 41]; Hieronymus Weller an Jonas, Freiberg, 15. April 1550: BrWJJ 2,298f. [Nr. 912] – s. auch ebd., 299 Anm. 1). Greifbar wird Lindeners Bezogenheit auf Weller in der Handschrift z.B. im Abschnitt Clm. 939, fol. 232r–236v, der u.a. zwei Briefe des Freiberger Professors an Lindener vom 5. Juni 1548 bzw. 13. September 1550, sowie ein Empfehlungsbrief von Weller an Jonas (15. April 1550) bzw. von Jonas an die Herren von Schönberg (ohne Datum) enthält (vgl. WA.TR 2, X). 155 So der Eintrag auf dem 3. Vorblatt von Clm. 939 – zitiert nach WA.TR 2, IX. 156 WA.TR 2, XIf. – im Folgenden umschreibt Kroker ausführlich den Inhalt der Handschriften (vgl. ebd., XIIf.; s.a. WA.TR 5, XXVIf. 345 Anm. 1). 157 WA.TR 5, XXXI; s.a. ebd., XXX. 151 152

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

fenen Traditionen bzw. Apophthegmata waren Clm. 937 und Clm. 939 wohl keine unmittelbaren Vorlagen der nach Loci geordneten Sammlung von FH.158 Und dennoch verdeutlichen die Handschriften, dass im „Wellerschen Kreis“ bestimmte aus dem allgemeinen Rahmen fallende Stücke wie das „Colloquium Lutheri cum Melanchthone in aedibus Crucigeri a. 1542, 2. Apr. habitum“159, der von Mykonius niedergeschriebene Bericht über Luthers Erkrankung in Schmalkalden (Februar 1537)160 oder Luthers „Formula, qua uti voluit in promotione Doctorum Crucigeri et Pomerani“161 sowie der ausführliche Bericht von Jonas und Bugenhagen über Luthers Erkrankung im Juli 1527162 bekannt waren und tradiert wurden. Zugleich müssen in Bezug auf FH weitere Überlieferungen mit in den Blick genommen werden, insbesondere die Rörersche, deren Beitrag elaborierter gewesen sein dürfte, als Haußleiter andeutete.163 Dabei stellen bereits Rörers Hefte, in denen dieser – wie Stefan Michel gezeigt hat – das Gesammelte thematisch ordnete, zumindest erste Vorarbeiten zur Systematisierung dar.164 Diese Beobachtung Michels kann ergänzt werden durch den Hinweis auf Rörers differenzierte Randbemerkungen zu den einzelnen Apophthegmata, die noch stärker der Einteilung in Loci zuarbeiteten. Insofern mag es kein Zufall sein, dass nicht wenige der Stücke des 32. Abschnittes von FH bei Rörer ebenfalls mit „Luther“ u.Ä. kategorisiert sind.165 Dennoch wird man Rörer nur schwerlich selbst als Urheber der in 158 Z.B. greift FH die „Lauterbachschen Tagebücher“ bzw. die Mathesische Tradition nur punktuell auf (vgl. WA 48,367.574–581.586–598). Ebenso wenig wurde das Sondergut von Clm. 937 bzw. Clm. 939 verstärkt berücksichtigt (vgl. WA 48,630f. [WA.TR 5,275–296] bzw. WA 48, 634f. [WA.TR 5, 343–353]. Zudem enthält FH zwar nicht wenige, aber auch nicht alle Sondergutstücke der in Clm. 937 greifbaren „Heydenreichschen Tradition“ (vgl. WA.TR 5, XXVI). Dennoch steht „[u]nter den Parallelhandschriften […] in diesem Abschnitt Farr. [d.h. F; I.K.] mit 120 Stücken voran“ (WA.TR 5, XXVII). 159 Clm. 937, fol. 157r–158r. 160 WA.TR 5, XXXI bzw. Clm. 937, fol. 96v–100r. 161 WA.TR 5, 293 Anm. 3 bzw. Clm. 937, fol. 174. 162 WA.TR 2, XII bzw. Clm. 939, fol. 1r–7v bzw. WA.TR 3, 81,19–90,26 [Nr. 2922b]; s.a. BrWJJ 1,104–107. 163 Vgl. WA 48, 366. 164 Vgl. MICHEL, Bearbeitung, 240. Rörers Interesse war schwerpunktmäßig auf „theologische Inhalte“, besonders die „Auslegung der Bibel“, das Leben Luthers, kontroverstheologische Auseinandersetzungen oder historische Stoffe sowie das Thema „Trost in Anfechtung“ bzw. „Trost in den ‚betrübten Zeitläufenʻ nach Luthers Tod, im Schmalkaldischen Krieg und in den innerkonfessionellen Streitigkeiten im Gefolge des Interims“ gerichtet (vgl. ebd., 228–230). 165 Vgl. exemplarisch von den Grundstücken Nr. 491 bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 219r; Nr. 495 bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 219v–220r; Nr. 1061 bzw. Ms. Bos. q 24h, fol. 208v; Nr. 1589 bzw. Ms. Bos. q. 24s, fol. 113v sowie die Nachtragsstücke Nr. 67 bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 262r; die „biographische Sequenz“ Nr. 116 med., 119, 121, 116 in sowie

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FH greifbaren Loci-Sammlung anzusehen haben. In diesem Fall hätte er wohl kaum oder zumindest mit gezielteren Vorgaben versucht, die Erstellung einer nach Loci geordneten Sammlung der Lauterbachschen Sammlung voranzutreiben.166 Naheliegender ist es, dass Georg Rörer dem „Wellerschen Kreis“ seine Sammlungen zur Verfügung stellte, zumal er dafür bekannt war, dass er seinen „Schatz“ bereitwillig mit anderen teilte.167

1203 bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 263v–264r; Nr. 266 bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 273r; Nr. 1108 bzw. Ms. Bos. q. 24f, fol. 227r–v. 166 S. S. 307f. 167 Sicher im Hintergrund von F stehen Rörers Bände Ms. Bos. q. 24c bzw. Ms. Bos. q. 24f. Der Band Ms. Bos. q. 24c ist zwischen 1531–1542 sowie 1552/53 entstanden, besteht aber aus verschiedenen Teilen (vgl. im Folgenden die online einsehbare Beschreibung der Handschrift: https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_cbu_ 00010790#tab0 – letzter Zugriff: 05.04.2018 sowie Michel, Bearbeitung, 226). Auch der dritte Teil (Bl. 207–293; Michel spricht diesbezüglich vom „ersten Heft“ [ebd.]), in dem Konzepte, Briefe und „Tischreden“ enthalten sind, war evtl. ursprünglich selbstständig; er rekurriert in weiten Teilen auf die Überlieferung von Veit Dietrich. Michel schließt von hier aus auf die enge Zusammenarbeit von Dietrich und Rörer und betont dessen hohen Anteil an der Überlieferung der Apophthegmata (vgl. MICHEL, Bearbeitung, 228). Ebenfalls vornehmlich Anfang der 1530er datieren die Apophthegmata aus der anderen Jenaer Handschrift (Ms. Bos. q. 24f): ein Faszikel (Bl. 161–168; nach Michels Nomenklatur das „zweite Heft“ [MICHEL, Bearbeitung, 227]) wie eine weitere Sammlung (Bl. 169–256; laut Michel das „dritte Heft“ [MICHEL, Bearbeitung, 227]); vgl. auch hier die online einsehbare Beschreibung der Handschrift: https://archive.thulb. uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_cbu_00008959 – letzter Zugriff: 05.04.2018 sowie MICHEL, Bearbeitung, 227; WA.B 14, 195–200; WA 41, VII–XI mit WA 41 Revisionsnachtrag, 13; SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 159. Der Band als Ganzes ist ebenfalls in zwei Phasen entstanden: Der Grundstock von 1535/36 wurde 1552/53 ergänzt. Zudem ist auf den Kodex Ms. Bos. q. 24s (vgl. im Folgenden die online einsehbare Beschreibung der Handschrift: https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/His Best_cbu_00012040 – letzter Zugriff: 05.04.2018 sowie MICHEL, Bearbeitung, 227f. mit Anm. 28; WA.TR 2, XIV–XVII; WA.B 14, 227–246; SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 161) zu verweisen. Dieser enthält im ersten mit „GR“ bezeichneten Teil Apophthegmata der Schlaginhaufenschen und Mathesischen Tradition sowie eine kleine Sammlung aus der Dietrichschen bzw. „Dietrich-Medlerschen“ Tradition. Ein besonderes Interesse Rörers galt den aktuellen religionspolitischen Auseinandersetzungen im Kontext des Augsburger Interim bzw. der „Leipziger Landtagsvorlage“. Entstanden ist der Kodex jedoch erst zwischen 1550 und 1553 und damit in der Endphase bzw. nach Abschluss von F. Einzelne Hefte mögen zunächst selbstständig überliefert worden und damit älter sein. Darauf weisen die Überschriften „SERMONES IN MENSA“ (Ms. Bos. q. 24s, fol. 45v.) bzw. „Colloquia“ (Ms. Bos. q. 24s, fol. 110r) hin. Ebenfalls in den Blick zu nehmen ist wohl Ms. Bos. q. 24p. Der Band ist zwischen 1532–1539 entstanden (vgl. https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_ cbu_00006844 – letzter Zugriff: 05.04.2018). F teilt mit dieser Handschrift die Promotionsformel, ein Gebet Luthers um das baldige Kommen des jüngsten Tages, ein

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Exponiert wird diese Charaktereigenschaft Rörers im Einladungsschreiben des Rektors der Universität Jena, Erhard Schnepf, zur Beerdigung Rörers hervorgehoben: „Quemadmodum vero superstite ad huc D. Luthero indefessam operam Ecclesiae, in colligendis fragmentis eiusmodi, egregius hic noster Rorarius nauauit, ita ab eo tempore, quo praeclarum hoc lumen mundo subtractum et in dulcissimam illam beatorum spirituum consuetudinem translatum est, non illis frustulis tanquam Judaica quaedam formica, vt est vel in fabulis, vel in historijs, insedit, et tantum thesaurum alijs inuidens, maligne occuluit, sed summo iuuando Ecclesiam studio, ijs liberalissime dispertiendis, et per typographicam euulgandis mortuus est.“168

Zudem verfügte Weller durch seinen langjährigen Aufenthalt in Wittenberg über die entsprechenden Beziehungen und Möglichkeiten, um an die zur Erstellung der Sammlung notwendigen Quellen zu gelangen. Insbesondere mit Veit Dietrich und Georg Rörer verband ihn eine enge Freundschaft und Vertrautheit, wie der Freiberger in einem Rückblick aus dem Jahr 1566 betonte: „Quanti autem viri fuerunt, & quantis donis praediti D. M. Rorarius & Vitus Theodorus, ipse optime omnium novi, cum multos annos cum eis mihi fuerit summa amicitia & familiaritas.“169

Damit ist zugleich angedeutet, dass auch einige der, zwar nicht ausschließlich, aber auch mit Veit Dietrich verbundenen, in F enthaltenen Schriften, auf diesem Wege Eingang in die Sammlung gefunden haben könnten.170 Durch seine Tätigkeit als Hauslehrer und enger Vertrauter Luthers hatte Apophthegma über die Lapsi (vgl. ebd., 256b) sowie das die 53. Rubrik „De locis exhortatoriis“ repräsentierende Grundstück (ebd., fol. 257b sowie Ror Bos. q. 24d). Zumindest erwähnt werden müssen zudem die inzwischen verschollenen RörerBände – verwiesen sei auf die Quartbände C sowie den „17. Predigtband“ (vgl. WA.B 14, 183f.185) sowie auf einen weiteren Apophthegmata-Band (vgl. WA.B 14, 175 Anm. 1). Evtl. standen auch diese den Urhebern von F zur Verfügung. 168 Zitiert nach der Edition in MICHEL, Sammler, 50. Diese Freizügigkeit wird auch an Martin Botts sog. Einlieferungsprotokoll vom 25. Mai 1557 greifbar (Ms. Bos. q. 25c, fol. 2v). 169 WELLER, Opera, III, 216. 170 Die entsprechenden Ausführungen in WA 48 deuten an, dass Haußleiter in den in F enthaltenen Schriften zumindest ein implizites Argument für eine federführende Beteiligung Veit Dietrichs an der Genese von F sieht. Diese könnte über die Freundschaft eine alternative Plausibilisierung finden. Dabei wird man gegen Haußleiter wohl für einige in F greifbare Schriften Luthers den direkten Konnex zu Dietrich verneinen müssen (z.B. die Scholien zum Titusbrief sowie zum 1. Johannes-Brief von 1527, die Antwort auf etliche Fragen, Klostergelübde belangend aus dem Jahr 1526), allein, weil die Übersiedlung Dietrichs in Luthers Haus vermutlich erst 1528 erfolgte (s. KLAUS, Dietrich, 57) und andere Personen, insbesondere Sammler und Herausgeber dieser Frühphase wie Stephan Roth, Georg Spalatin, Caspar Cruciger und Georg Rörer (s. hierzu MICHEL, Kanonisierung, 120–125) leichter Zugriff gehabt hätten.

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Weller zudem selbst Zugang zu Luthers nicht für die Publikation gedachtes Schrifttum, wie Predigtentwürfe oder Notizen, die Weller als „Entwürfe zur Verwendung“ für seine eigenen Vorlesungen nutzte.171 Daneben tritt eine Gruppe von Schriften, die prinzipiell auf Dietrich zurückgeführt werden können, ohne dass dieser deshalb die (unmittelbare) Quelle der Fassung von F darstellen muss. Auf der Grenze zu der voranstehenden Gruppe steht die Überlieferung der 14 „Predigtkonzepte“. Diese sind – mit Ausnahme von Nr. 11 – unter den Grundstücken des 22. Abschnittes („Expositio aliquot locorum scripturae“) eingeordnet. Einerseits haben nicht wenige der vollständigen Predigten Aufnahme in die Dietrichsche Hauspostille gefunden (vgl. WA 48, 334–349). Andererseits aber nicht alle. Dies dürfte auch daran liegen, dass die Predigten bzw. die Entwürfe aus den Jahren 1529, 1531, 1534 sowie 1537/38 datieren. Besonders in Bezug auf die späteren Entwürfe aus den Jahren 1537/38 ist eine direkte Rückführung auf Dietrich kaum möglich, wirkte dieser doch schon seit 1535 als Pfarrer in Nürnberg. Die Überlieferung dieser Predigten (Nr. 10–12) verweist wiederum auf Rörer und Aurifaber. Eindeutiger mit Veit Dietrich verbunden ist die Überlieferung von Luthers Coburger Trostsprüchen, in F – schlicht mit „Anno 30“ eingeleitet – dem 60. Sachabschnitt „Consolationes pro tentatis, infirmis, et quibus defuncti amici“ zugeordnet (vgl. Chart. A 402, fol. 262v–264v bzw. WA 48, 327–333). Haußleiter selbst hat aufgrund der mit Flacius bzw. Aurifaber verbundenen Überlieferung dieses Werk schon früher als echte Schrift Luthers ausgewiesen (vgl. WA 48, 324f.; HAUßLEITER, Flacius; HAUßLEITER, Trostsprüche). Insofern Veit Dietrich in Coburg als „eifriger Sammler“ Lutherschen Gedankengutes greifbar ist, mag die Sammlung der 22 Trostsprüche auf ihn zurückzuführen sein. Dennoch gibt es mit Aurifaber, der u.a. damit im Frühjahr 1549 den gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich I. trösten wollte, bzw. mit Flacius, der das Werk 1550 drucken ließ, zwei weitere Zeugen. Beide könnten rein theoretisch bereits auf den vollendeten „Dietrichschen Grundstock“ zurückgegriffen haben. Auszuschließen ist aber auch nicht, dass sie diese Trostgründe unabhängig von dieser „Vorform“ von F und evtl. schon früher kennengelernt haben. Letzteres spräche aber dafür, dass neben Dietrich mit weiteren Personen zu rechnen wäre, die diese Trostsprüche der Gothaer Sammlung einfügen hätten können. Ebenso wenig unhinterfragbar an Dietrich zurückgebunden ist die deutlich verkürzte Fassung des 9. theologischen Trostgrundes von Melanchthons Loci consolatorii, obwohl diese mit der Übersetzung des Nürnbergers konform geht (s. CR 6, 483–488 [Nr. 38349] bzw. Chart. A 402, fol. 279r–281r). Denn dieser Text findet sich in derselben Fassung auch in der auf den Naumburger Ratsherrn Valentin Beyer zurückgehenden Apophthegmata-Sammlung, die 1548 abgeschlossen war (vgl. ebenfalls CR 6, 488 mit Anm. 28). Im Locus „Artes liberales“ wiederum ist Luthers Vorrede zu den Fabeln Äsops von 1530 aufgenommen (vgl. Chart. A 402, fol. 419v–421v bzw. WA 48,350–353). Da die Handschrift Luthers wie die Abschrift Rörers nur die Fabeln, nicht die Vorrede überliefern (s. WA 50,438f.), war diese vor den Forschungen Haußleiters zu F nur in der Druckfassung bekannt. Zumindest laut Mathesius ist auch die Praefatio zusammen mit den Fabeln auf der Coburg entstanden (Mathesius, LH, 138,25–141,6). Jedoch finden sich anderslautende Hinweise in Apophthegmata (s. WA 50,434–436). Dass Mathesius zudem nicht unbedingt der zuverlässigste Gewährsmann in Bezug auf die Fabeln ist, zeigen irrige Angaben bezüglich des Rörerschen Druckes (vgl. WA 50,438). Mathesius erwähnt nun jedoch auch das Wohlgefallen Melanchthons über Luthers „Äsopprojekt“

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Neben Rörer gerät – gerade auch über die Münchener Handschriften bzw. Johann Lindener – zudem Justus Jonas (1493–1555)172 in den Blick, insofern dort vermutlich Teile einer Sammlung des lange Zeit in Halle Wirkenden eingegangen sind. Diesbezüglich ist neben grundsätzlichen Hinweisen auf eine Sammlertätigkeit von Jonas insbesondere auf eine mittlerweile verschollene Handschrift aus der Schreiterischen Bibliothek zu Wurzen mit Apophthegmata Luthers, die von Jonas stammen soll, zu verweisen.173 Laut Keil lautete der Titel

und die Vorrede (Mathesius, LH, 140,25–28) – Melanchthon lag nach Mathesius die Präfatio also vor. Publiziert wurde beides trotz des fragmentarischen Charakters durch Rörer, worauf Mathesius – wenn auch u.a. unter Angabe des falschen Fundortes – ebenfalls verweist (Mathesius, LH, 140,29–141,6 sowie WA 50,438). Mathesius selbst lag eine Abschrift der Vorrede vor – noch am 7. Mai 1557 schickt er diese seinem Freund Eber. Auch Rörer muss ein Exemplar vorgelegen haben, auf dessen Grundlage er die Edition erstellte (WA 50,439). Wenn Haußleiter nun vom Vorhandensein dieser Vorrede in F auf Veit Dietrich als Urheber der Grundstücke schließt, so ist dies wie bei den vorangegangenen Schriften mit einem nicht unerheblichen Grad an Unsicherheit verbunden. Dies gilt, auch wenn man mit Volz in Veit Dietrich den Informanten von Mathesius über die Entstehung der Fabelsammlung sieht (vgl. VOLZ, Lutherpredigten, 128 mit Anm. 4. 242). 171 Vgl. KANDLER, Briefe, 23; KANDLER, Freunde, 103; LEDL, Lernen, 19. 172 Zur Recht beklagt Irene Dingel im Vorwort zum von ihr 2009 herausgegebenen Sammelband zu Justus Jonas, dass es nur bedingt wissenschaftliche biographische Literatur über ihn gibt (DINGEL, Vorwort [Jonas], 9–11). Nicht wenige Lücken konnten durch die Publikationen des Sammelbandes geschlossen werden. An Monographien ist v.a. auf ältere Werke aus den 1860er Jahren zu verweisen wie HASSE, Jonas; PRESSEL, Jonas. Bedingt neueren Datums sind SCHELLBACH, Jonas (1941); DELIUS, Jonas (1952) und LEHMANN, Jonas (1963). Deshalb ist man auch in Bezug auf Biographisches neben dem genannten Sammelband auf kleinere Studien angewiesen wie Leders differenzierten TRE-Artikel (LEDER, Jonas) oder MAGER, Familie oder MAGER, Mann. Zu Jonas Wirken in Coburg (1550–1552), das mit dem Abschluss von F zusammenfällt s. v.a. AXMANN, Coburg; AXMANN, Herzog Johann Ernst sowie – im Sammelband – AXMANN, Späte Justus Jonas. 173 Vgl. WA.TR 6, XIII. Sie gehörte Mitte des 18. Jahrhunderts dem Juristen Dr. Gottfried David Schreiter. Zu den Hinweisen auf Jonas als Sammler bzw. Mitschreiber von Apophthegmata s.a. WA.TR 5, XXXV; 2, Xf.; 6, XIII. Verwiesen sei zudem auf die hohe Wertschätzung aller Äußerungen Luthers seitens Jonas’ (vgl. Jonas an Veit Dietrich, 3. September 1548: BrWJJ 2, 269 [Nr. 889]; s.a. bereits das vorangegangene Schreiben vom 26. Juni 1548: ebd., 264 [Nr. 884]). Ein konkreter Hinweis auf Jonas als Sammler kann einem Schreiben des Nordhauseners Otho entnommen werden, in dem dieser an Jonas als „collector“ appelliert: Anthonius Otho an Jonas, Nordhausen 1550 (?): BrWJJ 2,299f. [Nr. 913], 300: „Idem eciam faciam ipse ego ille περὶ τῶν τοῦ ἁγίου Λουθέρου ἀποφθεγμάτων, κλασμάτων, Iona, Iona inquam collectore.“ Dass Jonas tatsächlich als ein solcher „collector“ agierte, macht z.B. der offizielle Bericht von Luthers Sterben deutlich (WA 54, 488,9–15).

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123

„Etliche Gespräche D. Martin Luthers, so er mit seinen Freunden gehalten etc. etc.“174

Seidemann spricht dann unter Bezug auf Keil von einer „deutschen Handschrift“,175 was aber nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass alle gesammelten „Gespräche“ tatsächlich nur in deutscher Sprache und nicht auch in Latein oder Mischsprache wiedergegeben worden sind. Des Weiteren findet sich eben in der Handschrift Clm. 939 der eindeutige Hinweis: „Haec omnia usque ad hoc signum transscripta sunt ex libelle Iusti Ionae.“176

Vermutungsweise bringt Kroker nun diesen „libellus“ mit der verschollenen Handschrift aus der Schreiterischen Bibliothek in Verbindung.177 Insofern Keil sich bei seinem Rekurs auf die Handschrift auf deren „169. Seite“ bezieht,178 erscheint es eher fraglich, dass der „libellus“ mit dieser Handschrift zu identifizieren ist. Wenn dieses „Heftchen“ aber über Lindener dem „Wellerschen Kreis“ vorlag, ist die Vermutung naheliegend, dass es auch bei der Erstellung von F ausgewertet worden ist.179 Hinzu kommt, dass auch Weller selbst in enger Beziehung zu Jonas stand und insgesamt gezielt Schriften seiner ehemaligen Lehrer sammelte.180 Ein weiteres Indiz könnte sein, dass das erste in F aufgeführte Apophthegma gerade zu den Apophthegmata zählt, die von Lindener explizit auf Jonas zurückgeführt werden.181 Aufgrund der vorliegenden Quellenlage wird 174 KEIL, Nachricht, 9. Insofern es Keil nur um die Frage der richtigen Datierung von Luthers Ehe geht, erfährt man keine weiteren Details, abgesehen davon, dass die Handschrift „in der Schreiterischen Bibliotheck zu Wurtzen aufbehalten ist“ (ebd.). Nur ein Verweis auf diese Stelle findet sich in KEIL, Lebensumstände, II, 161. 175 SEIDEMANN, Tagebuch, XII. 176 Damit sind die Apophthegmata Nr. 5787–5790 bezeichnet. Evtl. müssen auch noch die vorangehenden Nr. 5781–5786 dazu gerechnet werden (vgl. WA.TR 5, XXXV). Lindener selbst war nach einem Aufenthalt im Jahr 1546 erneut von April bis Mai / Juni 1550 bei Justus Jonas (vgl. WA.TR 2,Xf.). Clm. 939 wird im selben Jahr abgeschlossen (vgl. den Eintrag auf dem dritten Vorblatt „Dicta et facta R[everendi D[omini D[octoris Martini Lutheri et aliorum 1550“ [zitiert nach WA.TR 2, IX]). Zu den in diesem Zusammenhang gesammelten Erzählungen Lindeners über Jonas s. PRESSEL, Jonas, 123f. 177 WA.TR 6, XIII. 178 Vgl. KEIL, Nachricht, 9. 179 Der „libellus“ selbst war wohl eher nicht nach Loci geordnet, geschweige denn, ist er mit F zu identifizieren, allein wegen der Größe, aber auch da Lindener dann wohl kaum nur vereinzelte Apophthegmata übernommen hätte. 180 Vgl. Hieronymus Weller an Justus Jonas, Freiberg 3. Januar 1541: BrWJJ I,412– 414, 413 [Nr. 528]: „Exiit libellus, cui titulus ‚De coniugio sacerdotumʻ, in linguam germanam translatus a D. Iona, huius, quaeso, exemplum latinum, unde transtulisti, mihi si molestum non erit, transmittas, cupidissimus enim sum scriptorum vestrorum, maximeque venerabilem illum coetum praeceptorum meorum Wittenbergae veneror et colo.“ 181 Chart. A 402, fol. 1 [WA 48, 635,8–10] bzw. WA.TR 5, 353,1–11 [Nr. 5790].

124

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

man hier aber kaum über den konjekturalen Status hinauskommen. Doch ist der Bezug auf Jonas in F auch unabhängig von dieser Frage deutlich greifbar, insbesondere auch im 32. Abschnitt – allen Anonymisierungstendenzen von F zum Trotz – und zwar in von ihm überlieferten Schriften wie durch namentliche Erwähnungen.182 Durch seine Tätigkeit als Visitator und Kirchenorganisator im Herzogtum Sachsen im Allgemeinen, aber auch zuvor in Freiberg im Besonderen,183 war Jonas dort eine anerkannte Persönlichkeit. Zudem kam ihm seitens Hieronymus Weller besondere Verehrung zu.184 Er hatte diesen nicht nur promoviert, sondern auch – Verwiesen sei für die Schriften auf Jonas Bericht von Luthers schweren Anfall im Jahr 1527 (vgl. Chart. A 402, fol. 107r–108r [WA 48, 525,24–526,7] bzw. WA.TR 3, 87,18–90,21 [Nr. 2922b extr.] bzw. Ms. Bos. q 24s, fol. 408v–410v). Außerdem ist das Disticha an Spalatin in einem Brief Luthers an Justus Jonas vom 1. Februar 1537 überliefert, in dem es um dessen Steinleiden geht (vgl. Chart. A 402, fol. 107r bzw. WA.B 8, 22,24–23,2 [Nr. 3131 exz.]). Zu den namentlichen Erwähnungen vgl. Chart. A 402, fol. 104r [WA 48, 520,18–23] bzw. WA.TR 3, 116,20–31 [Nr. 2957b]; Chart. A 402, fol. 110v–111r bzw. WA.TR 2, 174,10f. [Nr. 1671 extr.]; Chart. A 402, fol. 158r [WA 48, 569,35–39] bzw. WA.TR 3, 490,17–24 [Nr. 3654a]). Im Locus „Krankheiten und Heilmittel“ (Nr. 90) wird beim „Eröffnungsapophthegma“ Jonas’ Beitrag mit farblich hervorgehobenen „dixit Ionas“ eingeleitet (vgl. Chart. A 402, fol. 429r [WA 48, 501,27–30] bzw. WA.TR 2, 545,31–546,5 [Nr. 2612b]). S.a. die Übernahme eines von Jonas angeregten Gesprächs über die Fassenskraft der menschlichen Seele in Glaubensdingen (vgl. Chart. A 402, fol. 241v [WA 48, 623,38–624,5] bzw. WA.TR 5, 242,6–24 [Nr. 5562]). 183 S. hierzu WARTENBERG, Entstehung, bes. 71–75; KANDLER, Kirchengeschichte, 103f. 184 Das innige Verhältnis entstand in der gemeinsamen Wittenberger Zeit. Dieses äußert sich z.B. im Schreiben vom 21. Juni 1536, in dem Weller gegenüber Jonas über den Tod seines Bruders wie seine Vereinsamung in Wittenberg klagte und ihn in seine Stellenpläne einbezog mit dem Hinweis „Persuasus enim sum humanitatem tuam rectissimum mihi consilium dare posse, cui omnia mea arcana nota sunt“ (BrWJJ 1,239f. 239 [Nr. 310]) – s. a. das Schreiben vom 31. Dezember 1541: BrWJJ 2,58f [Nr. 622], in dem Weller Jonas u.a. zu seinem erfolgreichen Wirken in Halle gratulierte, aber auch einen Einblick in seine Vorlesungen gewährte. Anteil nahm Weller später auch an der schwierigen Situation in Halle nach dem Krieg. Als Ursache sah er Jonas’ Treue zu Luther an (vgl. Weller an Justus Jonas, 20. Juli 1550: BrWJJ 2,304–306, 304f. [Nr. 918]. Die hohe Wertschätzung verdeutlichen neben dem bekannten Vorwort zu seiner Auslegung des 1Petr aus dem Jahr 1567, das er den Ratsherrn von Halle widmet (s. WELLER, Opera, I, 841f. bzw. BrWJJ 2,343 [Nr. 940]) zum einen sein Schreiben vom 23. April 1549: BrWJJ 2,276f. 277 [Nr. 899]: „Haec eo verbosius aspersi non temeritate aut petulantia, sed abundantia quadam amoris et ut ostenderem me d. doctoris Iusti Ionae memoriam summa cum benevolentia conservare et in posteros quoque ipsius, si modo superstes fuero, propagare velle“), zum anderen sein enkomiastisches Judicium de doctore Justo Jona (WELLER, Opera, III+IV, 171a). Jonas wiederum setzte sich z.B. für eine finanzielle Unterstützung Wellers ein (vgl. BrWJJ 1,378 [Nr. 472] oder weihte ihn in seine Pläne ein, nach Coburg zu wechseln – in dem Schreiben finden sich auch Grü182

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

125

gemeinsam mit Georg Spalatin – in seine theologische Professur eingesetzt.185 Mit diesen Ausführungen ist auch angedeutet, dass diese positive Bezogenheit auf Justus Jonas nicht – wie Haußleiter annimmt – nur ein Interesse des Schreibers der Hamburger Bände darstellt,186 sondern der F und H / H 74 gemeinsamen Tradition eignet. Insofern wird bei den folgenden Analysen zumindest punktuell ein Seitenblick auf Jonas zu werfen sein. Als Urheber im eigentlichen Sinne ist aber der „Wellersche Kreis“ anzusehen. Dass die mit diesem Kreis verbundene, in FH greifbare Apophthegmata-Tradition nie gedruckt wurde, mag evtl. auch an der immer wieder schwierigen Finanzlage Wellers liegen, aber auch an der Entstehungszeit, wie ein Dankesschreiben Wellers an den damaligen Studenten Wenzelaus Lindener aus der Passionszeit 1552 zeigt: „[…] ihr wisset aber meinen / als eines armen Theologen Zustand gar wohl. So ich aber euch in euren Studiis raethlich und behuelfflich seyn kan / will ichs an mir nicht fehlen lassen. Ihr habt alles fleißig / schoen und rein umgeschrieben / wie aber / und wenn es in Druck gefertiget werden moechte weiß ich noch nicht / dieweil es ein Ansehen hat / als wolte Krieg und Unfriede sich an allen Orten erheben / darob die Buchdrucker und iederman sehr bestuerzt werden / daß sie nicht leichtlich etwas auflegen und in Druck verfertigen.“187

1.2.3.

Thematische Konvergenzen mit der nach Loci geordneten Sammlung

Die Erstellung der in 93 Loci unterschiedenen Apophthegmata-Sammlung war eine zeitintensive Aufgabe und eine nicht unbeträchtliche Leistung. Bereits im Rahmen der methodischen Grundlegung wurde auf den engen Zusammenhang der rein auf Luther bezogenen Apophthegmatik und Prozessen der Etablierung bzw. Fixierung der Autorität sowie der (konfessionellen) Identitätsstiftung hingewiesen. All dies gewann durch Luthers Tod und die „interimistischen Wirren“ und damit zur Entstehungszeit von F verstärkt an Bedeutung.188 Indirekt spiegelt der Kodex folglich zugleich eine bleibende tiefe persönliche Bezogenheit des Sammlers bzw. der Sammler auf den verstorbenen Luther als Person und als Autorität. Eine solche enge Bindung an Luther wird insbesondere als Proprium der Magdeburger Theologen angesehen, lässt sich aber in besonderer Weise auch

ße an Lindener (vgl. Jonas an Hieronymus Weller. Halle 17. Juni 1550: BrWJJ 2,301f. [Nr. 915]). 185 Vgl. LEDL, Lernen, 14; KANDLER, Kirchengeschichte, 104. 186 WA 48, 717,4–12. 187 WELLER, Schrifften, II, 242a [Nr. 34]. 188 S. diesbezüglich auch Dingels Ausführungen: C&C 1,8–12.

126

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

für Hieronymus Weller belegen, wie eingangs dargestellt werden soll.189 Im Anschluss werden thematische Konvergenzen zwischen Wellers Denken und der nach Loci geordneten Sammlung – unter Rekurs auf den in II 1.1.3. dargestellten Aufriss – aufgezeigt. Wie den Magdeburger Theologen galten Weller Luthers Schriften in theologischen Streitfragen sowie der Exegese als Richtschnur;190 z.T. rekurrierte Weller sogar auf Luthers Verhalten als Argument bzw. exemplum: „Praecipue vero [minister verbi; I.K.] Doctoris Lutheri exemplum proponet, qui scribit se quoque hac tentatione aliquando a Diabolo vexatum fuisse, ut communicare differret, nec prius, quam se satis dignum esse sentiret, ad mensam Domini accederet. Sed cum intelligeret, Diabolum id agere, ut se perpetuo a communione arceret, vicisse tandem se ipsum ac perrupisse per omnes illos Diaboli laqueo, & et sine absolutione etiam private, quod tamen non solitus erat, accessisse.“191

Im Hintergrund mag dabei das Verständnis Luthers als „Prophet“ bzw. „Dritter Elia“ gestanden haben. Dieses von Kaufmann als zur „weithin beherrschenden Vorstellungsmatrix“ der „jüngeren Zeitgenossen Luthers“ zugehörig angesehene Motiv192 wurde zumindest auch von Weller in markanter Weise aufgegriffen. Es wird z.B. in einem Schreiben von 1561 greifbar, in dem der Freiberger die Frage nach dem Exorzismus zum An-

189 Zu den Charakteristika der Magdeburger Theologen s. KAUFMANN, Ende, 100f.157–170. Zur Kritik an der Rede von „Gnesiolutheranern“ oder „Flacianern“ s. S. 75f. Wellers enge Anlehnung an Luther wurde bereits von den Zeitgenossen erkannt. Basilius Faber, der Nordhausener Schulrektor und damit letztlich Kollege von Weller, führte ihn 1559 – zusammen mit dem bereits verstorbenen Veit Dietrich – als Vorbild für die Lehrer und Prediger an, „[…] nicht anders denn aus D. Luthers Munde und Federn zu reden und zu schreiben“ (WELLER, Schrifften, II, 289b). Aufgrund seiner überzeugten Lutheranhängerschaft wird Weller zudem mit Erasmus Alber, aber auch Johannes Brenz und anderen, von Mörlin in dessen Leseanweisung für Luthers Schriften als Zeuge für die Wichtigkeit derselben herangezogen (vgl. MICHEL, Kanonisierung, 228; zu Mörlins Leseanweisung s.a. KAUFMANN, Bücher). Eine analoge enge Bindung an Luther lässt sich auch für Wellers Freund Jonas nachweisen, der ebenso wenig als „Flacianer“ anzusehen ist. Verwiesen sei auf seinen harschen Tadel am Eislebener Pfarrer Simon Wolferinus aus dem Jahr 1543, dem er vorwirft, im Streit über die „reliquiae sacramenti“ vor Ort eine selbstständige Lösung durch Disputation finden zu wollen, anstatt sich – wie er selbst – an Luther zu wenden (vgl. Jonas an Simon Wolferinus, 7. Juli 1543: KAWERAU, Streit, 299). Typisch ist für Jonas auch das Motiv, seinen persönlichen Umgang mit Luther in Jahren anzugeben (vgl. Jonas ad Melanchthon, 17. März 1546: CR 6,86 [Nr. 3421]; s.a. Jonas an Melanchthon. Eisfeld, 22. Dezember 1554: Bds. 369f. [5715] = MBW 7,263 [Nr. 7365]; Gutachten des Jonas über Osiander. Coburg, Ende 1551 (?): BrWJJ 2, bes. 315f. [Nr. 923]; Justus Jonas an König Christian III. von Dänemark. 15. April 1546: BrWJJ 2,195 [Nr. 801]). 190 Vgl. WELLER, Schrifften, II, 66.91.287. 191 WELLER, Opera, III+IV, 103a. 192 KAUFMANN, Konfession, 67f.

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lass nahm, darzustellen, was für ein Mann Luther nach dem Zeugnis seiner Schriften gewesen sei, zunächst nur angedeutet, dann ausdrücklich: „Major omnino Lutherus, quam homines rerum & certaminum spiritualium rudes arbitrantur: par fuit spiritu, virtute, sapientia, eruditione, eloquentia, & experientia, summis Prophetis & Apostolis.“193

Begründet wurde dies mit der Einführung der „purioris Evangelii doctrina“ sowie mit Luthers Kampf gegen das Papsttum, den er als Antichristen entlarvt hätte. Dies alles sei ihm nur möglich gewesen durch den „[…] spiritus propheticus & ingens quoddam robur animi atque fidei, quale fuisse legimus in propheta Elia, ut vere ac recte illum tertium Eliam quis dixerit, qui paulo ante novissimum diem venturus sit, & instauraturus omnia.“194

Diese Analogisierung bzw. Identifikation Luthers als Propheten bzw. „Dritten Elia“ findet sich auch an anderen Stellen in Wellers Werk,195 so dass sie zu seinen Grundüberzeugungen gehörte. Dennoch steht sie nicht in seinem Zentrum, insofern er den Schwerpunkt weniger auf den Nachweis von Luthers Prophetentum als auf dessen „Leistungen“ setzte. Im Schreiben von 1561 geht Weller nahtlos über zum Leiden (des Propheten) Luthers und der daraus resultierenden Qualifikation als Seelsorger; es folgt die Frage nach „Wundern“ des „Propheta & Doctor Ecclesiae“. Zielpunkt ist die Aufforderung, sich an Luthers Schriften zu orientieren.196 Dennoch kann Weller unter Rekurs auf den Prophetenstatus Luther eine Sonderrolle zuerkennen, so dass an ihm andere Maßstäbe anzulegen seien: „D. Lutherus non modo fuit Doctor Theologiae, verumetiam Propheta. Itaque multa ei licuit facere, quae aliis non item. Si quis nostrorum Theologorum, aut Concionatorum, 193 WELLER, Opera, III+IV, 169a. S.a. Wellers Rede von einem Gespräch im Himmel, in dem Luther gleichberechtigt neben Moses, Samuel, David, Elias und Paulus tritt (vgl. WELLER, Schrifften, I, 879b). 194 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 169a. 195 Z.B. WELLER, Opera, III+IV, 170a: „Praeter haec dona Deus ornavit eum spiritu & virtute Eliae, ut iure tertium Eliam eum vocemus. Haud dubie enim idem robur animi & fidei in ipso fuit, quod in Elia Thesbita fuisse legimus. Nec minores res gessit Lutherus, quam Elias. Utrique autem cum idololatris & pseudoprophetis acerrima fuerunt certamina“ – s.a. WELLER, Schrifften, II, 240b.281f. [Nr. 10]; I, 876. 196 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 169a–b. Diese Argumentation findet sich wörtlich auch in Wellers Vorwort zur Liedersammlung Hempels, ediert 1578 (vgl. ebd., 177f.). Dass er unter Verweis auf die „Leistungen“ sogar den „Status“ aufgeben konnte, belegt das folgende Zitat: „Ja / sprechen etliche Klueglinge; Lutherus ist kein Prophet noch Apostel gewesen / darum hat er auch koennen bißweilen irren. Solchen soll man also antworten: Ob er gleich kein Prophet noch Apostel gewesen ist / so hat er doch mit seinem Beruff ja so viel Nutzen und Frucht geschaffet / als irgend ein Prophet“ (WELLER, Schrifften, II, 91b). Es folgt der Nachweis mit den bekannten „Leistungen“ Luthers als Lehrer, Seelsorger und Kämpfer gegen das Papsttum und ergänzend innerprotestantische Gegner (ebd., 91b–92a.) – leider findet sich kein Datierungshinweis.

128

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

hac in re vellet imitare D. Lutherum, peccaret, & prorsus nullum haberet successum, eo quod nec vocationem, nec spiritum Lutheri haberet.“197

Primär galt Luther ihm – nicht ohne Konnex zum dargestellten Verständnis als Propheten – insbesondere als „Lehrer“ als hohe Autorität. Z.B. betont er im Kontext von Ausführungen zu Augustin, „[…] daß nach der Apostel Zeit / Lutherum ausgenommen kein groesser noch theurer Lehrer gewest ist“198.

Verwiesen sei auch auf sein Iudicium de Doctore Martino Luthero aus dem Jahr 1555, in dem Weller Luther fünffach unterschieden als exzeptionellen Lehrer entfaltete, d.h. hinsichtlich 1. der Lehre, 2. der Stände bzw. Berufe, 3. des Kampfes gegen das Papsttum, 4. des Besitzes der Geistesgaben nach 1Kor 12 und von hier der Bibelübersetzung sowie 5. der Seelsorge. Von hier begründet Weller dann die Notwendigkeit der iterativen Lutherlektüre bzw. der Einübung in Luthers Denken durch eigene Übersetzungen. Genannt als Adressaten dieses Aufrufes werden nicht nur Studenten, sondern auch Superintendenten, Visitatoren, Pastoren und Prediger: „Praeclare Quintilianus inquit: Ille se profecisse sciat, cui Cicero vehementer placebit. Quanto rectius hoc de viro Dei D. Luthero, sanctae memoriae, dici potest? Videlicet, Ille se in sacris literis profecisse sciat, cui Lutherus vehementer placebit. Nam Ecclesia jam inde ab initio non habuit excellentiorem Doctorem Luthero, Prophetas & Apostolos excipio, sed non omnes tamen.“199

Lässt bereits dieses Urteil aufhorchen, gerät zudem die Praefatio seiner 1551 und damit im Kontext von F entstandenen, zweiten Auflage der Perikopenauslegung in den Blick. Auch hier betonte der „Theologieprofessor“ neben dem Studium der Bibel die Lektüre der Schriften des „Doctor Ecclesiae“ als notwendiges Moment des Theologiestudiums bzw. der theologischen Existenz:200 „Ac mihi quidem semper studio fuit, in hac mea vocatione, ut studiosos Theologiae ad Principis Theologorum Doctoris Lutheri scripta asidue evolvenda invitarem. Nemo enim unquam Doctor Ecclesiae jam usque a temporibus Apostolorum fuit, qui tanto spiritu, perspicuitate ac felicitate Prophetica & Apostolica scripta interpretatus sit. Nullus locus est doctrinae Christianae, quem Lutherus non erudite, integre, & copiose

WELLER, Opera, I, 367a. WELLER, Schrifften, II, 104a. 199 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 167b–168b; Zitat: ebd., 167b – es folgt die Aufzählung der genannten Punkte; s.a. NOBBE, Weller, 60. 200 Auch hierin konvergiert er mit seinem Freund Jonas, der täglich Luthers Schriften lese – vgl. Jonas an Andreas Poach. 29. Dezember 1548: BrWJJ 2,272 [Nr. 894]); s.a. Jonas an Veit Dietrich. 3. September 1548: BrWJJ 2,269 [Nr. 889]): „prae immani et horribili avstorgi,a avspondi,a et asperitate horum temporum omnia rev. p. Lutheri mihi aurea sunt.“ 197 198

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tractarit. Et quod maximum est, ipse omnium tentationum certa remedia in literis sacris monstravit […].“201

Mit dem Verweis auf die Schriftauslegung, die Loci der Theologie sowie die Seelsorge sind erneut weite Teile des Grundstockes der Apophthegmata-Sammlungen umschrieben. Im Vorwort an den Leser verbindet Weller die Orientierung an Luther zusätzlich mit dem persönlichen Umgang mit ihm. Dies könnte ebenso zur Entstehung von F beigetragen haben. Einerseits kann die Handschrift als Niederschlag eben dieses Umgangs angesehen werden. Andererseits ermöglicht sie diesen in gewisser Weise über Luthers Tod hinaus: „Qui enim D. Lutherum recte intelligere, ac feliciter imitari voluerit, is quasi monstratore quodam opus habebit illo, qui non modo diu mutumque in lectione scriptorum ejus versatus est, sed etiam aliquandiu cum eo conversatus, & assiduus ejusdem auditor fuit.“202

Einen weiteren Impuls zur Sammlung könnte die Erkenntnis dargestellt haben, dass sich „gegenwärtig“ der Wechsel zwischen der ersten und der zweiten Reformatorengeneration vollzog, den ihn sein Freund Jonas im Jahr 1550 eindrücklich vor Augen geführt hat: „Sic discedimus ge,rontej e theatro huius vitae. Iuniores possunt vix expectare qa,naton h`mw/n. Nobis vivis praeoccupant locumque gradumque nostrum nostrorumque. Bene agitur nobiscum ergo, cum migrare conceditur.“203

Dass Weller aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Wittenberg über die entsprechenden Beziehungen und Möglichkeiten verfügte, um die zur Erstellung der Sammlung notwendigen Quellen zu sammeln, wurde bereits erwähnt.204 Gerade von seinem Interesse an Predigtentwürfen oder Notizen her wäre die gewichtige Zusammenstellung von kurzen, Luthers Schriftauslegung gewidmeten Stücken gut plausibilisierbar. Rein quantitaWELLER, Opera, II, 3. Es folgt die Nachordnung Luthers hinter die Schrift. S. in dieser Hinsicht auch besonders die an einen Freund gerichtete Schrift Ratio formandi studii theologici von 1562, dort heißt es u.a.: „Post sacra Biblia, diligenter ac studiose divina monumenta D. Lutheri legas, ac relegas. Nemo enim praeclarus Theologus qui conscientias recte erudiat, & consoletur, fieri potest, nisi Lutheri scripta diu multumque legerit, diurna & nocturna manu illa versans“ (WELLER, Opera, III+IV, 157–160, hier 158). Weller vertritt in dieser Schrift gewissermaßen eine „Lehrsukzession“: „[…] communicabo tibi praecepta de informandis sacris studiis, simul & concionibus, quae a praeceptore meo charissimo, Reuerendo D. Doctore Martino Luthero sanctae memoriae accepi“ (ebd., 157; s. zudem exemplarisch ebd., 139; II, 8f.) und schildert – neben genauen Lektüreanweisungen – auch seine „Bekehrung“ zu Luther. Zur Aufforderung, Luthers Schriften zu lesen s.a. WELLER, Schrifften, II, 90a–91b.237a [Nr. 25]. 202 WELLER, Opera, II, 9. 203 Jonas an Hieronymus Weller. Halle, 17. Juni 1550: BrWJJ 2,301f. [Nr. 915]. 204 S. II 1.2.2. 201

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

tiv betrachtet sind in FH diesbezüglich die meisten Apophthegmata vereint. Dass es zur Schaffung eines Locus „Luther über sich selbst“ kam, der wiederum zu den quantitativ größten gehört, überrascht angesichts der hohen Bezogenheit Wellers auf Luther ebenso wenig wie die Tatsache, dass dem Thema Trost, neben bzw. in Verbindung mit der Exegese Wellers Hauptthema, ebenfalls breiter Raum zugestanden wird. Doch bedarf diese Feststellung basaler Konvergenzen einer Vertiefung. Dazu wird der Kodex in Orientierung am in II 1.1.3 dargestellten Aufriss noch einmal in den Blick zu nehmen sein. Vor dem Hintergrund von Wellers Lehrtätigkeit in Freiberg, zu der neben den der Schriftauslegung gewidmeten Vorlesungen auch die Durchführung theologischer Disputationen („disputationes de controversis fidei articulis“) gehörte, könnten weite Teile der Tradition ganz grundsätzlich als Reflex eines „Bildungsimpetus“ verstanden werden.205 Zumal da Weller – wie gesehen – nicht nur in entsprechenden theoretischen Abhandlungen, sondern auch in Briefen und anderen Schriften die Notwendigkeit der Orientierung des Theologiestudiums an der Heiligen Schrift und der Lehre Luthers betonte. Von der zum Ideal erhobenen und in seinen Schriften bzw. seiner Lehrtätigkeit umgesetzten „theologischen Bildung“ im Geiste Luthers ist der Weg zur Schaffung einer nach Loci geordneten Apophthegmata-Sammlung nicht mehr allzu weit, v.a. wenn man Wellers langjährige Tischgenossenschaft im Hause Luthers mitbedenkt. Von hier fänden z.B. die dogmatischen Loci, insbesondere der lange lehrhafte Einstieg (Nr. 1–29) sowie die auf eine theologische Selbstreflexion bezogenen Loci (Nr. 19; 84f.) eine hinreichende Erklärung. Analoges gilt für die Loci, die dem Kodex einen geradezu enzyklopädischen Charakter verleihen.206 Wenn sich im Locus „De linguis“ (Nr. 83) zudem die Promotionsformel der ersten Promotion in Wittenberg nach den neuen Statuten der theologischen Fakultät findet, verbunden mit dem Hinweis, dass Luther durch Unwohlsein am Vollzug gehindert wurde, dürfte sich hier Wellers eigene Erinnerung widerspiegeln. Zum einen mag er bei der am 17. Juni 1533 vollzogenen Promotion Crucigers, Bugenhagens und Aepinus anwesend gewesen sein, zum anderen vollzog damals sein Freund Jonas in seiner

205 Zur Schule bzw. Wellers Lehrtätigkeit s. KANDLER, Kirchengeschichte, 112f.; NOBBE, Weller, 9–17; MÖLLER, Theatrum, I, 285–297 bes. 294–297; s.a. WILISCH, Kirchen-Historie, 364–380. Eine Funktionsbeschreibung dieser besonderen Stelle, die auf Hausmanns Initiative zurückgeht, bietet Weller in der dem Freiberger Rat gewidmeten Vorrede zur 2. Auflage seiner Auslegung der Perikopen des Kirchenjahres aus dem Jahr 1551 (vgl. WELLER, Opera, II, 6f.). 206 Vgl. die Loci Nr. 81–83.87f., bedingt auch erneut Nr. 84f. sowie Nr. 90 und Nr. 92; eher dogmatisch geprägt sind Nr. 86, 89 und 91.

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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Funktion als Dekan an Luthers Statt die Promotion und zum dritten mag dies auch einen Reflex seiner eigenen Promotion durch Jonas darstellen.207 Dieser Hinweis auf die Bildung ist jedoch noch zu konkretisieren hinsichtlich der zeitgenössischen Streitkreise, die die damaligen Diskussionen in weiten Teilen bestimmten.208 Dabei gibt es nicht den „historischen Ort“, v.a. nicht mit Blick auf den interimistischen Streitkreis.209 Die negativen Auswirkungen des Interim sind v.a. in Württemberg und den süddeutschen Reichsstädten greifbar, wo es aufgrund der militärischen Präsenz des Kaisers zur konsequenten Durchsetzung kam. Im Norden hingegen konnten insbesondere die Hansestädte sich dem Interim erfolgreich widersetzen. Bereitwillige Zustimmung erlangte das kaiserliche Gesetz, das eine Übergangslösung bis zum Konzil darstellen sollte, in der Kurpfalz wie Kurbrandenburg. Eine zentrale Rolle nahm insbesondere Sachsen ein. Der Ernestiner Johann Friedrich I. wurde nach dem verlorenen Krieg zur Symbolfigur des Kampfes gegen das Interim. Der Versuch des albertinischen Kursachen, mit der „Leipziger Landtagsvorlage“210 einen Sonderweg zwischen Ablehnung und Annahme zu beschreiten, führte durch die auf katholische Riten bezogene Rede von „Mitteldingen / adiaphora“, deren Einführung mit der evangelischen Lehre vereinbar sei, zum „Adiaphoristischen Streit“, der sich bis ca. 1560 hinziehen sollte, obwohl das Interim mit der Wiederaufnahme des Trienter Konzils 1551 bzw. den

Chart. A 402, fol. 411r–v [WA 48,701,1–10 [Nr. 7168]] – zum Zusammenhang s. HAUßLEITER, Rätsel, 2f. 208 Zu den das Luthertum nach Luthers Tod prägenden Streitkreisen s. den Überblick von Irene Dingel im ersten Band der Editionsreihe Controversia et Confessio (C&C 1,13–32). In Bezug auf die nach Loci geordnete Sammlung geraten insbesondere der „Interimistische Streit“ (1548/49), der davon zu unterscheidende „Adiaphoristische Streit“ (1549–1560) sowie der „Osiandrische Streit“ (1549–1551) in den Blick. Insofern der Kodex im Jahre 1551 abgeschlossen war, dürfte der „Majoristische Streit“ (1552–1570), dessen erste Anfänge kurz vor Majors Wechsel auf die Superintendentur in Eisleben liegen und damit im selben Jahr, kaum nennenswerten Niederschlag gefunden haben. 209 Grundlegend sind immer noch die Publikationen von Horst Rabe (RABE, Reichsbund; RABE, Entstehung) sowie der TRE-Artikel von Mehlhausen (MEHLHAUSEN, Interim). S. zudem die Beiträge der Sammelbände SCHORN-SCHÜTTE, Interim und DINGEL / WARTENBERG, Politik sowie den Artikel WARTENBERG, Interimspolitik und die auf Magdeburg bzw. die Ernestiner konzentrierten Dissertationen MORITZ, Interim bzw. GEHRT, Konfessionspolitik. Das breite Panorama der Reaktionen auf das Interim veranschaulicht des Weiteren der Band C&C 1. 210 Die nie verabschiedete Landtagsvorlage und der Auszug wurden durch zusätzliche Materialien ergänzt und kritisch kommentiert von Matthias Flacius und Nikolaus Gallus im Jahr 1550 in Druck gegeben (ediert in C&C 2, 367–441 [Nr. 4]. Zu diesen Texten s. WARTENBERG, Interimspolitik; WARTENBERG, Landtagsvorlage; DINGEL, Beurteilung sowie MORITZ, Interim, 234–251. 207

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politischen Entwicklungen, die zum Passauer Vertrag von 1552211 und schließlich zum Augsburger Religionsfrieden von 1555212 führten, obsolet geworden war. Die Front verlief hier innerlutherisch primär zwischen den Wittenbergischen und aufgrund der Niederlage Johann Friedrich I. im Schmalkaldischen Krieg nun albertinischen Theologen, an deren „Spitze“ Philipp Melanchthon stand, und der Theologengruppe um Matthias Flacius Illyricus, die in Magdeburg, der „Herrgotts Kanzlei“, ihr Zentrum fand.213 Gerade aufgrund der Ausstattung und Beigaben der 1551 abgeschlossenen Gothaer Handschrift liegt es zumindest nahe, dass die in FH greifbare breit angelegte Materialsammlung lutherischer Aussagen zum Thema Rechtfertigung zugleich ein Reflex dieser Streitkreise darstellt, nicht nur des „Osiandrischen“, sondern auch des „Interimistischen“ wie des „Adiaphoristischen Streits“, in deren Kontext insbesondere auch die Aussagen zur Rechtfertigung zeitgenössisch strittig waren.214 S. den Sammelband BECKER, Vertrag sowie die Edition mit ausführlicher Einleitung von Volker H. Drecoll. 212 S. GOTTHARD, Religionsfrieden. 213 S. hierzu KAUFMANN, Ende. 214 Vgl. exemplarisch die diesbezügliche Kritik in dem von ernestinischen Theologen – im Auftrag der Söhne Johann Friedrich I. – verfassten Gutachten über das kaiserliche Interim: „Dieser Artickel ist vnrein Vnnd nimpt den schoenen, herlichen trost, der inn den vorigen Artickeln geleret wird, aller ding hinwegk […]“ (Christlich Bedenken auf das Interim. 1548: C&C 1, (183) 187–202, hier: ebd., 187, 26f. [Nr. 6]. S. des Weiteren z.B. einen Brief Melanchthons an Jonas vom Herbst 1548, in dem dieser schreibt, er wolle für die zu den Irrtümern des Interim zu zählende Rechtfertigungslehre lieber sterben als sie zu billigen (vgl. Melanchthon an Jonas, 9. September 1548: CR 7, 137f. [Nr. 4351]). S.a. den Beitrag des Kontroverstheologen Georg Witzel zur Debatte über das Interim (vgl. SMOLINSKY, Kontroverstheologen, 56–63, 62; HENZE, Reform, 209– 242). Dass Witzel neben neuen Schriften zugleich ältere, auf die Rechtfertigungslehre bezogene Werke neu ediert hat, zeigt die Übersicht von HENZE, Reform, 110f. Witzels Auseinandersetzung mit dem „Bedenken aufs Interim (1548)“ der sächsischen Theologen und damit federführend mit Melanchthon ist kritisch ediert in C&C 1, (795) 803– 870. Im „Augsburger Buch“ (ediert von Mehlhausen: DERS., Augsburger Interim) werden nach den einleitenden Artikeln zum Menschen vor und nach dem Fall (Art. 1–2) rechtfertigungstheologische Aspekte (Art. 3–8), die Kirche und ihre Amtsträger (Art. 9–13) sowie Fragen bezüglich der sieben Sakramente (Art. 14–21.25), die Messopferlehre (Art. 22), Heiligenverehrung und Seelenmessen (Art. 23f.) sowie Themen der kirchlichen Praxis (Art. 26) thematisiert. Analog wurde auch an der „Leipziger Landtagsvorlage“ neben der Rede von den Adiaphora im Besonderen die Darstellung der Rechtfertigungslehre kritisiert, wie z.B. die Schriften von Flacius, Gallus und Amsdorff zeigen (s. KOBLER, Melanchthonbildes, 367f. und Anm. 187). Im Hintergrund mag bedingt auch das bereits vorliegende Dekret zur Rechtfertigungslehre des Trienter Konzils mitschwingen. Im Zentrum der daran geäußerten 211

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Kaum vorstellbar ist zudem, dass Ende der 1540er / Anfang der 1550er Jahre thematische Sammlungen von Aussagen zu den Sakramenten (Nr. 25–27), zum wahren bzw. falschen Kult (Nr. 28f.), zu Konzilien (Nr. 33), zur wahren bzw. falschen Kirche (34f.), zum Papsttum bzw. den „Papisten“ und ihren „Gräueln“, inklusive der Gelübde (Nr. 38–42), zu den Zeremonien (Nr. 48)215 oder abzuschaffenden Missbräuchen (Nr. 49)216 sowie zur Ehe (Nr. 68) angelegt worden sind, ohne dass der interimistische wie adiaphoristische Konfliktkreis zumindest mit im Blick gewesen wären. Fragt man vor diesem Hintergrund nach einem potenziellen Bezug auf Weller, so lässt z.B. die „Funktionsbeschreibung“ seiner Stelle aus dem Jahr 1551 diesbezüglich ein grundsätzliches Interesse erkennen. Unter Verweis auf Hausmann ruft er dessen Intention in Erinnerung, mittels Zusammenkunft der „ministri ecclesiae“ zum theologischen Austausch Konsens bzw. Eintracht zu erzielen: „Deinde ut ministri Ecclesiae in Schola Theologica convenirent, non tam discendi gratia, quam ut sententias et consilia sua de rebus gravissimis, et controversis Ecclesiasticis, quae incidere solent, inter se communicarent. Hanc enim communicationem consiliorum et sententiarum ajebat [d.h. Nikolaus Hausmann; I.K.] ad consensum doctrinae, et concordiam ministrorum Ecclesiae plurimum conducere, eo quod crebri illi congressus excitarent studia, et formarent judicia.“217

Obwohl Freiberg und seine Theologen nicht zu den exponierten Gegnern des „Augsburger Interim“ bzw. der „Leipziger Landtagsvorlage“ zu zählen sind,218 finden sich Hinweise auf eine kritische Haltung zumindest einer Parteiung. Vom Nachfolger Hausmanns als Superintendent, Caspar Zeuner, wird in der Chronik Möllers von 1635 berichtet, er habe Kritik stand jedoch die Frage der Gnadengewissheit (vgl. BROCKMANN, Konzilsfrage, bes. 353f. Zum Rechtfertigungsdekret vom 13. Januar 1547 s. ebd., 350 Anm. 169 [Lit!]). Anfang der 1550er Jahre prägte zudem eher die Frage der Wiederaufnahme die Konzilsdebatte. 215 Exemplarisch sei das Eröffnungsapophthegma Chart. A 402, fol. 169r [WA 48,430,18f.] bzw. WA.TR 1,382,1–4 [Nr. 800] zitiert: „Ceremoniae, ut sunt esus carnum, ieiunia, vestitus, locus res sunt ex licitae, quia neque lex divina neque naturalis prohibet, ideo est cauteriata conscientia.“ 216 Dieser Locus umfasst in den Grundstücken fast ausschließlich Briefe (vgl. WA 48,377). Auch hier sei der Duktus exemplarisch verdeutlicht: Die Grundstücke werden eröffnet mit Luthers Schreiben an die Böhmischen Landstände vom 15. Juli 1522, in dem Luther vor einer Aussöhnung mit Rom warnt (Chart. A 402, fol. 172r–173r bzw. WA 10/2,169–174), die Nachtragsstücke mit Ausführungen Luthers zur Elevation des Sakramentes (Chart. A 402 fol. 184v–185r [WA 48,628,8–16] bzw. WA.TR 5,265,21– 266,15 [Nr. 5589]). 217 WELLER, Opera, II, 6. 218 Zur Vorgeschichte der „Leipziger Landtagsvorlage“ gehört auch ein Landtag in Freiberg (s. MÖLLER, Theatrum, II, 246; WILISCH, Kirchen-Historie, I, 179; KANDLER, Kirchengeschichte, 94).

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„[f]ür sich […] viel zu thun [bekommen] / zumal mit den Flacianischen / Synergistischen / Osiandristischen und Adiaphoristischen Händeln / deßwegen auch etliche Synodi und Local Visitationes, Sonderlichen aber Anno 1555 eine General Visitation […] gehalten worden.“219

Evtl. hat Möller hier Kenntnis von innerfreibergischen Querelen, die punktuell greifbar sind. Zeuner selbst gehört mit zu den Unterstützern der „Leipziger Landtagsvorlage“ und wurde deshalb seitens seines Archidiaconus David Schäfer als Adiaphorist angegriffen.220 Dennoch fand nach der faktischen „Außerkraftsetzung“ des Interim und der Freilassung der gefangenen Fürsten Johann Friedrich I. und Philipp von Hessen in Freiberg am 11. August 1552 unter Mitwirkung Zeuners ein großes allgemeines „Dankfest“, unterlegt vom Läuten aller Glocken, statt.221 Hieronymus Weller selbst beschreibt die Situation Ende Januar 1550 als Zwangslage: „Nos hic inter Scyllam et Charybdim navigamus et graviter angimur. nam si haec adiaphora acceperimus, tememus scandalum. Sin minus, temimus alius maius fortasse periculum. Cupimus quidem ex animo recta, pia et salutaria adferre ecclesiis nostris consilia, sed implicamur multis impedimentis. collegi ergo argumenta utriusque partis, nondum autem plane constituere hactenus potui, utrum hortator sim pastoribus, qui consilium meum expetunt, ut ecclesias suas prius deserant quam hos ritus ecclesiasticos amplectantur. video enim utrinque fortia argumenta afferi posse. Quo fit, ut ambigentes conscientias eo difficilius sit erudire et tranquillas redere. Quaero igitur, quid nobis hic in his dissidiis ac distractionibus voluntatum faciendum sit, rectene ac pie videantur facere, qui ecclesias propter adiaphora deserunt, an potius nos nostras quo [zu lesen: nostrasque] ecclesias coniiciamus in periculum quam vel minimam mutationem recipiamus vel approbemus. Sed haec coram copiosius exponet D. Joannes Lindener conterraneus meus, qui et ipse propter confessionem veritatis et parrhsi,an exulare cogitur.“222

219 MÖLLER, Theatrum, II, 233. Leider bietet auch Wilisch wenig Konkretes über die Freiberger Streitigkeiten um das Interim, abgesehen von einem Verweis auf eine Entschuldigungsschrift von Johann Schütze und seinen Mitgesinnten an Kurfürst August bezüglich des Streits wegen der „Adiaphoristischen, Synergistischen und Majoristischen Händel“ (WILISCH, Kirchen-Historie, I, 160–166, 161). 220 S. WARTENBERG, Landesherrschaft, 265–267; WILISCH, Kirchen-Historie, II, 78f. 221 Vgl. KANDLER, Kirchengeschichte, 68. Dort auch erste Hinweise auf die Situation in Freiberg während der Jahre nach dem Schmalkaldischen Krieg (ebd., 64–69.92– 95). 222 Hieronymus Weller an Nikolaus von Amsdorf. Freiberg, 31. Januar 1550: CLEMEN, Briefe, 319f. [Nr. 41]. Bei dem empfohlenen Nachrichtenüberbringer handelt es sich um den maßgeblichen Miturheber der Münchener Handschriften Clm. 937 bzw. Clm. 939, Johann Lindener. Einen ähnlichen Brief scheint Weller auch an Justus Jonas übersandt zu haben, wie das Schreiben von Matthias Wanckel an Flacius vom 8. Februar 1550 zeigt (BrWJJ 2,382f. [911a]).

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Dass er – allen späteren Mahnungen vor innerlutherischen Streitigkeiten zum Trotz223 – deutliche Kritik am Interim und den durch es verführten Theologen äußern konnte, zeigt z.B. seine Auslegung eines Lutherliedes, die selbst nicht genau datiert ist, aber mit etwas Abstand zur Verabschiedung des Interim („vor etlichen jaren“) entstanden sein dürfte: „Solchen list braucht der Teufel auch / da er vor etlichen jaren viel der fuernemeste[n] Theologen einname / das sie das schendliche INTERIM annamen und bewilligten.“224

Im Jahr 1550 äußerte er zudem in einem Schreiben an Justus Jonas harsche Kritik an der politischen Argumentation („argumentum politicum“) eines Teils der Evangelischen und stellte dem das Beharren bei der „reinen“ lutherischen Lehre gegenüber: „Quid alii de clarissimo viro ac instauratore purioris doctrinae sentiant, nihil moror. Equidem ipsius dicta et scripta ut prophetae cuiusdam magni facio et suspicio ac ingenue fateor, me iam coepisse intelligere, quantus vir fuerit Lutherus mihique scripta eius magis magisque dulcescere, nec patiar cuiusquam quamlibet eruditi ac praestantis theologi autoritatem plus apud me quam ipsum Lutherum valere.“225

Ebenso finden sich scharfe Worte Wellers gegenüber den „Adiaphoristen“. Z.B. konnte er in einer Trostschrift an den Pfalzgrafen aus dem Jahr 1558 die Situation nach Luthers Tod mit den Entwicklungen nach dem Tod der Apostel in der Urkirche parallelisieren: „Also seyn auch nun nach dem seligen Abschiede des theuren Mannes / D. Martini Lutheri, viel von der Wahrheit abgefallen / und haben mit ihren verwirreten / ungewissen / zweiffelhafftigen / und auff zweyerley Verstand gerichteten Lehren erwecket greuliche Ärgerniß / dadurch Christliche Herzen schwerlich geärgert und betrübet worden seyn. Denn es geben derselbigen etliche sehr unveschämt für / daß / so viel da belange die Ceremonien und Mittel=Dinge / es ziemlich und Christlich sey / daß man Verträge und Vergleichungen zwischen uns und des Pabstes Rotte mache und eingehe: So sie doch wohl wissen / daß Doctor Luther seliger gar ernstlich gelehret hat / man könne noch möge sich in keinen auch der allergeringsten Dingen in Verträge und Vergleichungen zwischen uns und den Päbstischen einlassen / es wäre denn / daß sie

223 S. z.B. Wellers Schreiben an Georg Fabricius aus dem Jahr 1560 (WELLER, Schrifften, II, 234 [Nr. 23] sowie das undatierte Schreiben an einen „andern Theologen“, angesprochen als „Herr Johannes“ (ebd., 237 [Nr. 26] – s. hierzu auch NOBBE, Weller, 33f. 224 WELLER, Kirchen Gesang, fol. B vii b – viii a. 225 Hieronymus Weller an Jonas. Freiberg, 20. Juli 1550: BrWJJ 2,304–306, 306 [Nr. 918]. Zur Haltung Jonas’ s. insbesondere KOHNLE, Interim, der die bisherige v.a. auf Kawerau gestützte Forschung kritisch analysiert und insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Jonas und Melanchthon neu akzentuiert.

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unsere Lehre annehmen / oder ja zum wenistens auffhöreten deselbige zu verdammen und zu verfolgen.“226

Ausführlich und ausgewogen thematisierte er die Adiaphora dann im Rahmen seiner Auslegung der Perikopen des Kirchenjahres, deren zweite Auflage von 1551 stammt. In den Blick gerät v.a. die Perikope „In festo Philippi et Jacobi“.227 Ausgehend von Eph 2,19–22 entfaltet Weller sieben notae der wahren Kirche, um dann auf die Zeremonien und Adiaphora zu sprechen zu kommen. Mit Bezug auf Luther wird zunächst entfaltet, dass nicht in der gesamten Kirche die gleichen Zeremonien zu befolgen seien. Dann wendet sich Weller auf sehr differenzierte Weise der Frage der Adiaphora zu, die er den Zeremonien zuordnet. Nach dem Ausloten von Möglichkeiten einer positiven Rede von Adiaphora bezieht Weller deutlich Stellung: „Sed hic magna adhibenda est cautio & prudentia, ne usu Adiaphororum scandala excitemus, aut hostium furorem confirmemus, aut conscientiam nostram conturbemus. Nam Adiaphora in casu confessionis non amplius sunt Adiaphora, sed moralia & necessaria.“228

Dies entfaltet er im Anschluss, zunächst noch sehr theoretisch anmutend, auf die Einführung von Fastengeboten durch einen „impius Doctor Ecclesiae“, deren Nichteinhaltung die Exkommunikation zur Folge hätte. Einen regelrechten Affront gegen die kaiserliche Religionspolitik wie gegen seinen Landesherrn Moritz von Sachsen stellen die Aussagen bezüglich der Edikte von „Fürsten“ dar: „Item, si quis princeps in gratiam hostium Evangelii edictum proponeret, ut Doctores Ecclesiae aliquid in ceremoniis & Adiaphoris concederent, publicae tranquillitatis causa: in hoc casu non possunt Doctores Ecclesiae salva conscientia huic edicto parere, praesertim cum flagitatur confessio Evangelii. Itidem peccaret, si quis ex laicis huic edicto obtemperaret. Nam suo exemplo alios non obtemperantes premeret.“229

Nur „extra hos casus scandali & crudelitatis“ dürfe man um der brüderlichen Liebe willen, zur Erbauung der Schwachen, Adiaphora beachten oder unterlassen. Damit beendet Weller seine Ausführungen über die „Adiaphoristen“.230 Gerade aufgrund dieser klaren und differenzierten Haltung, fänden die entsprechenden Loci von FH neben dem Verweis auf den Bildungsimpetus von hier zusätzlich eine angemessene Begründung.

226 WELLER, Schrifften, II, 267. Eine analoge Argumentation findet sich im Vorwort zu Wellers Epheser-Kommentar (WELLER, Opera, I, 671f.). 227 Vgl. WELLER, Opera, II, 382–386. 228 WELLER, Opera, II, 385. 229 WELLER, Opera, II, 385. 230 Vgl. WELLER, Opera, II, 385.

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Schwieriger ist die Frage zu klären, inwiefern auch der „Osiandrische Streit“ mitschwingt. Möller deutet im oben zitierten Ausschnitt seiner Chronik ebenso an, dass der Superintendent Zeuner, auch in diesen „Händeln“ tätig werden musste, ohne dass Konkreteres greifbar wäre. Jedoch existiert ein Brief Osianders an Zeuner vom 21. September 1551, in dem dieser versuchte, Zeuner als Mitstreiter gegen seine Widersacher zu gewinnen und dem Freiberger deshalb auch Werke von sich zukommen ließ.231 Ob bzw. wie Zeuner auf dieses Schreiben reagiert hat, ist nicht bekannt. Weller wiederum äußerte in einem – undatierten Schreiben – zumindest harsche Kritik an dem streitbaren ehemaligen Nürnberger Pfarrherren, der in den Wirren der Auseinandersetzung um das Augsburger Interim nach Königsberg gewechselt war. Der Inhalt des Briefes legt es jedoch nahe, diesen eher in der Frühphase der Auseinandersetzung anzusiedeln und damit vor dem Schreiben Osianders an Zeuner sowie im Kontext der Entstehung von F: „Von neuen Zeitungen weiß ich ietzo nichts zu schreiben. Denn daß man sagt: Osiander bringe und streue hin und wieder von sich aus viel neuer und ungereumter Irrthum / nur darum / daß er den Herrn Philippum und die Wittenbergischen andern Theologen verkleinere / sie verdächtig / und ihme ein groß Ansehen und Anhang mache / als der es alleine für den andern allen verstehe und der Gelehrteste sey / er suchet wo er nur kan Gelegenheit / daß er die Wittenbergischen Theologen in ihren Lehren und Predigen / so sie bißhero gehabt / lästern und verdächtig machen könne. Ja man sagt auch von ihme / daß er schreibe / streiten und erzwingen wolle / die Gerechtigkeit / dadurch wir für Gott gerecht sind / sey der Her Christus / und will / es sey eine Substantz / und keine Relation, heisse auch nicht Vergebung der Sünden.“232

Zwar sind für Weller diese Ausführungen „vergebliche“ und „nichtige Sophisterey“, die der Kirche schaden, „Ehrgeiz“ und „Hoffart“ von Theologen, die keine „rechte Anfechtung und Creuz erfahren“ haben,233 dennoch mag auch dieser innerprotestantische Konflikt den strikt an Luthers Lehre orientierten Freiberger bzw. den Kreis um ihn mit dazu bewogen haben, eine differenzierte Sammlung von Aussagen Luthers bezüglich der Rechtfertigungslehre zu sammeln. Sensibilisiert worden sein mag Weller auch durch seinen engen Freund Justus Jonas, der sich jedoch erst Ende 1551 mit einem ausführlichen Gutachten zu Wort meldete.234 In diesem betont er ähnlich wie Weller den Ehrgeiz Osianders, verweist zugleich auf

Osiander an Caspar Zeuner. 21. September 1551: GS 10,317–321 [Nr. 492]. Hieronymus Weller an Herrn Georgius Fabricius. [o.O., o.J.]: WELLER, Schrifften, II, 235f. [Nr. 24]. 233 Vgl. Hieronymus Weller an Herrn Georgio Fabricio. [o.O., o.J.]: WELLER, Schrifften, II, 235f. [Nr. 24]. 234 Vgl. Gutachten des Jonas über Osiander. Coburg, Ende 1551 (?): BrWJJ 2,309– 319 [Nr. 923]. 231 232

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den diesem fehlenden jahrelangen Umgang mit Luther, der ihn wie andere Gegner Osianders auszeichne: „Wir anderen, die wir mit Vito Theodoro den leuen Lutherum haben 25 jahr her hören lesen, predigen offentlich und im hause und sind 30 jahr mit ihm umgangen, gegenwärtig und durch schriften und episteln, der wir noch wohl ein hundert zu zeigen wissen, wollen so hoch nit fahren, sondern ein wenig niedriger fliegen, im catechismo bleiben […].“235

Explizit wird zudem Osianders Rekurs auf die Schrift und „dicta Lutheri“ moniert, durch den eine wesentliche Einwohnung Christi durch den Glauben im Menschen bewiesen werden solle: „Wann Osiander gleich noch so viel sprüch und noch so viel dicta Lutheri anzöge von der wohnung, daß Gott wesentlich in uns wohnet: so ist er doch damit nit einstimmig und gleichformig der lehr Lutheri.“236

Diese von Jonas ins Spiel gebrachte und auch für Weller entscheidende wahre „lehr Lutheri“ manifestierte sich dann gewissermaßen in den entsprechenden Loci der Apophthegmata-Sammlung. Dennoch dürfte die sich abzeichnende Auseinandersetzung mit Osiander die Erstellung der Sammlung – im Gegensatz zum Interimistischen und Adiaphoristischen Streitkreis – höchstens am Rande beeinflusst haben. Vor dem Hintergrund von Wellers Orientierung an Luthers Theologie wäre ebenso zwanglos zu begründen, warum sich in FH nicht nur thematisch auf die Polemik bezogene Loci finden, sondern auch die „Gegner“ selbst differenziert wahrgenommen werden. In Bezug auf die „papistae“ ist in Erinnerung zu rufen, dass diese nicht nur allgemein thematisiert, sondern auch typische Vertreter der altgläubigen Position namentlich angeführt wurden. Hieronymus Emser (1477–1527) und Johannes Cochlaeus (1479–1552) lassen als Hofkapläne sowie Georg Witzel (1501–1573) als Berater von Herzog Georg einen konkreten Bezug auf das albertinische Sachsen und so bedingt auch das „vorreformatorische“ Freiberg erkennen. Zugleich mag hier evtl. auch die Verbundenheit mit Justus Jonas

Gutachten des Jonas über Osiander. Coburg, Ende 1551 (?): BrWJJ 2,315f. [Nr. 923]; s.a. ebd., 310.311. 312.313.318. 236 Gutachten des Jonas über Osiander. Coburg, Ende 1551 (?): BrWJJ 2,317 [Nr. 923]; s.a. ebd., 316. Osiander selbst wird von Jonas letztlich als „Papist“ entlarvt (vgl. ebd., 314): „Die papisten als Eccius, Cochleus etc. haben auch von der reichen gnaden Christi einen dürftigen, bettelischen gedanken gehabt, lehren und predigen, der herr Christus habe mit seinem leiden und blut allein genug gethan für die erbsünd, aber wir für unsere sünde müßten genug thun und bezahlen mit unserem verdienst und guten werken. So fern ist demnach Osiander mit seiner hohen seraphischen speculation, daß er gar nahend gleich worden dem gröbsten, greiflichsten irrthum der papisten.“ 235

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anklingen.237 Zur Zeit der Abfassung von F lebten nur noch Cochlaeus und Witzel. Beide sind zu den aktivsten zeitgenössischen Kontroverstheologen zu rechnen. Als solche meldeten sie sich auch in der Debatte um das Interim zu Wort. Witzel, der vor Georgs Tod in Freiberg als Vermittler tätig war und sich beim Herrschaftswechsel seiner Gefangennahme durch Flucht entzogen hatte, legte den Fokus auf die Rechtfertigungslehre.238 In Bezug auf Cochlaeus gilt hingegen, dass im Kontext der Entstehung von F weniger dessen Beitrag zum Interim Anlass zu einer kontroverstheologischen Auseinandersetzung bot als vielmehr seine im Jahr 1549 publizierten großen Druckwerke: die Hussitengeschichte sowie insbesondere die Lutherkommentare.239 Beide Werke waren bereits in den 1530er Jahren 237 Dem harschen Verteidigungsbrief gegen Matthias Metz aus dem Jahr 1541 kann man entnehmen, dass Jonas lange nach dem Tod oder den ursprünglichen Kontroversen Johannes Eck, Johannes Fabri und insbesondere Johannes Cochlaeus wie Georg Witzel zu seinen eigentlichen Gegnern zählte (vgl. Jonas an Matthias Metz. Halle, 29. April 1541: BrWJJ 2, 9 [Nr. 562]; s.a. Jonas an Fürst Georg. Halle, 17. März 1542: BrWJJ 2, 71 [Nr. 637]; Jonas an Spalatin. Wittenberg, 26. Oktober 1533: BrWJJ 1, 201 [Nr. 244]; Jonas an Fürst Otto von Braunschweig. Halle, 15. Juni 1542: BrWJJ 2, 374 [Nr. 581a]). Die Auseinandersetzungen mit Fabri und Witzel schlugen sich zudem in verschiedenen Schriften nieder (s. PRESSEL, Jonas, 51–56; DELIUS, Jonas, 44–46.48–54; LEHMANN, Jonas, 92–102; CLEMEN, Witzel). Zu Witzels Schriften s. das von Richter erstellte Werkverzeichnis in Verbindung mit Henzes Auswertung, die neben kleineren Ergänzungen einen zusätzlichen Einblick in das breite Schrifttum Witzels bietet (s. RICHTER, Schriften; HENZE, Reform, 56–74). 238 Vgl. WARTENBERG, Einwirkungen, 104; BÄUMER, Cochläus, 49. Zu den verschiedenen Wirkorten Witzels s. TSCHACKERT, Witzel; MENNECKE-HAUSTEIN, Witzel; TRUSEN, Kirche, 8–39 sowie die kritische Auswertung des Forschungsstandes seitens HENZE, Reform, 1–56, bes. 15–27. Zu Witzels Stellungnahme zum Interim s. SMOLINSKY, Kontroverstheologen; HENZE, Reform, 209–242. 239 Einen guten Forschungsüberblick zu Cochlaeus bietet SCHEYDER, Humaniste, 1–15. Sie betont gegenüber der älteren Forschung (s. z.B. BÄUMER, Cochläus; MACHILEK, Cochläus), dass Cochlaeus nicht nur als Kontroverstheologe, sondern auch als Humanist zu verstehen sei; 2009 erschien eine deutsche Kurzfassung (SCHEYDER, Humanistenleben). S. zudem den Überblicksartikel: MÜLLER / KIPF, Cochlaeus. Zur Hussitengeschichte s. SPAHN, Cochläus, 231f. Bezüglich der Commentaria bildet weiterhin Hertes Untersuchung das Standardwerk (HERTE, Lutherkommentare), zumal in Verbindung mit seiner dreibändigen Untersuchung zur Rezeptionsgeschichte der Acta (HERTE, Lutherbild). Zur Entstehungsgeschichte bzw. den verschiedenen Ausgaben s. HERTE, Lutherkommentare, 1–27; BÄUMER, Cochläus, 101–108. Eine gute Einordnung des Werkes bietet neuerdings die Einleitung zur englischen Übersetzung (s. KEEN, Introduction, 41–53); s. zudem JÜRGENS, Polemik sowie BACKUS, Life writing, bes. 20–25, die das Werk unter dem Stichwort „hostile lives“ in den Blick nimmt. Man wird dessen prägende Kraft für das katholische Lutherbild allein aufgrund der geringen Auflagen – erst 1565 erfolgte eine zweite Auflage, die dritte folgte 1568, die deutsche Übersetzung erst 1582 (21611, 31622) – wohl mit Jedin (vgl. JEDIN, Wandlungen, 82f.) geringer einstufen müssen, als Herte es nahelegt.

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fertiggestellt worden, konnten aber aus finanziellen Gründen nicht gedruckt werden. Die Commentaria ergänzte Cochlaeus nach Luthers Tod.240 Dass diese Schrift von Weller – persönlich bzw. theologisch – nahestehenden protestantischen Kreisen als zu widerlegendes Ärgernis empfunden wurde, zeigt das Schreiben des Nordhauseners Anthonius Otho an Justus Jonas – wohl Mitte 1550 und damit in zeitlicher Nähe zu F verfasst: „Mitto ad v. excell. blasphemum scriptum Cochleaei (so), oro atque obsecro, ut impium os obstruatis, vestrum et sancti patris Lutheri nomen diris devotum redimentes.“241

Zwar ist keine vertiefte Auseinandersetzung von Justus Jonas mit den Commentaria überliefert, wie dieses Werk bzw. alle Schriften von Cochlaeus von protestantischer Seite kaum als einer schriftlichen Erwiderung würdig angesehen wurden. Dennoch war es auf protestantischer Seite durchaus wahrgenommen worden, wie z.B. Flacius’ „Katalog der Wahrheitszeugen“ oder die „Magdeburger Zenturien“ belegen.242 Nimmt man die Commentaria selbst in den Blick, so zeigt bereits der erste Satz der Praefatio, dass es Cochlaeus insbesondere um die in seinen Augen „angemessene“ Memoria Luthers bzw. der von ihm verursachten Spaltung ging: Insofern die Ergänzung der Jahre 1535–1546 auf nur 36 Seiten erfolgt gegenüber den 283 Seiten für die Jahre von 1517–1534/35, gehen damit zwangsläufig Akzentverschiebungen einher (s. hierzu HERTE, Lutherkommentare, 236f.). 241 Antonius Otho an Jonas. Nordhausen, Juni (?) 1550 (?): BrWJJ 2,302 [Nr. 916]. Am Briefende greift Otho das Anliegen noch einmal auf: „Rogo ut contra Sidonium [d.h. Michael Helding; I.K.] pergatis et Rotzleffelii [d.h. Johannes Cochlaeus; I.K.] non obiviscamini“ (ebd., 303 [Nr. 916]). Jonas selbst hat das Werk bereits Mitte Dezember 1549 im Zusammenhang mit anderen Angriffen der Altgläubigen in einem Atemzug genannt, jedoch, ohne vertiefter darauf einzugehen: „Die bischoff Mentz, Trier, Wirtzborg, Saltzborgk, andere mer, halten synodos, lassen edict, bucher ausgehen vnd Cocleus hat ein lugenbuch lassen ausgehen von Actis D. Lutheri ab Anno 21. ad 49“ (Jonas an Herzog Albrecht von Preußen. Halle, 15. Dezember 1549: BrWJJ 2,296 [Nr. 910]). Allein die dem Titel der Commentaria widersprechenden Jahresangaben machen deutlich, dass Jonas das als „lugenbuch“ verunglimpfte Werk wohl zu diesem Zeitpunkt nur vom Hörensagen kannte, da bereits ein Blick auf das Titelblatt diese falsifiziert. Ähnlich allgemein wie die Erwähnung bleibt die Auseinandersetzung mit den Angriffen: „Aber, gnedigster herr, Gott wird [die] (wie der Psalm sagt) alle ihre anschlege lachen vnd wird jnen entlich zeygen, das es schwer sey, widder den stachel zu lecken“ (Jonas an Herzog Albrecht von Preußen. Halle, 15. Dezember 1549: BrWJJ 2,296 [Nr. 910]). 242 Bereits vorher hatte Flacius sich scharf über dieses Werk geäußert (s. [Flacius], Consultatio, 156f.). Eine schriftliche Auseinandersetzung mit Cochlaeus’ Werk suchte in der zweiten Hälfte der 1550er Jahre Johannes Sleidanus im Rahmen seiner Commentarii bzw. seiner Apologie. Zur Frage einer protestantischen Reaktion auf die Commentaria bzw. Cochlaeus’ Schriften insgesamt s. HERTE, Lutherbild, I, 2–6; BÄUMER, Cochläus, 106f.; SPAHN, Cochläus, 301. 240

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„OPERAE PRECIUM VIDEtur, literis ad posteros commemorare utcunque praesens hoc Ecclesiae dißidium, quod Martinus Lutherus suis cum complicibus, tum scribendo tum praedicando, longe lateque in orbe Christiano excitauit, maxime uero in Germania.“243

Deshalb zielte Cochlaeus darauf, Luther mit seinen Fehlern hervorzuheben und Idealisierungsbestrebungen entgegenzutreten, verbunden mit der Pflege der eigenen Memoria als Lutherbekämpfer, um so evtl. zumindest posthum den Sieg davonzutragen.244 Es gehörte insofern zu den Grundzügen der Commentaria, Luthers Person in ein schlechtes Licht zu rücken. Das Werk zielte darauf, „eine allseitige, aber abschreckende Gesamtschau vom Wesen und Wirken Luther zu entrollen“245, es stellte ein „Kampfbild [dar], das Zorn, Haß und Empörung gegen Luther atmet“246, wie Cochlaeus auch selbst in seinem Schreiben vom 11. Juni 1546 an Kardinal Cervini verdeutlichte: „Extraxi sane ea potissimum quae in odium notorii et malissimi haeretici lectorem trahere videntur.“247

Wenn auch mit eindeutig negativen Vorzeichen, teilen die Commentaria folglich mit F das Anliegen der Memoria Luthers. Neben diese gemeinsame thematische Ausrichtung tritt des Weiteren die bereits erwähnte lokale Bedeutung des Wendelsteiners, der als Hofkaplan Herzogs Georg im albertinischen Sachsen über ein gutes Jahrzehnt zu den zentralen Persönlichkeiten zählte. Nach dem Herrschaftswechsel war er ähnlich wie Witzel eine persona non grata. Ebenfalls zur Sensibilisierung des „Wellerschen Kreises“ gegenüber diesem Werk könnten die persönlichen Angriffe auf den im „Wellerschen Kreis“ hoch angesehenen Justus Jonas beigetragen

COCHLAEUS, Commentaria, c ij r. Vgl. KEEN, Introduction, 49. 245 HERTE, Lutherkommentare, 227. 246 HERTE, Lutherkommentare, 272. Vgl. auch KEEN, Introduction, 48–51; JÜRGENS, Polemik, 55–57; BÄUMER, Cochläus, 108–110, der dem negativen Grundtenor Verweise auf positive Würdigungen Luthers durch Cochlaeus zur Seite stellt. Diese können die antilutherische Ausrichtung aber kaum relativieren. 247 Zitiert nach HERTE, Lutherkommentare, 243. Angedeutet wird dies bereits durch den Untertitel des Werkes: „MULTIPLEX PRAEPARATA EST HIC LECOTRI VTILITAS; PER RERVM GESTARUM ex fide et ueritate narrationem : ut cognoscat, quanta Luthero fuerit uis ingenij, quantusque laborum tolerantia, quantus animi in affectibus impetus, quanta styli saeuitia: Et qualia fuerint de eius doctrina, Papae, Imperatoris, Regum, Conciliorum, Episcoporum, Vniversitatum, Erasmi, et id genus Doctißimorum quorumlibet iudicia“ (COCHLAEUS, Commentaria, a [Kleeblatt] ir). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Cochlaeische Methodik zu verweisen, Luthers Schriften mit harschen polemischen Randglossen zu versehen (s. summarisch HERTE, Lutherkommentare, 239–242). 243 244

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haben.248 Insofern gäbe es für Weller bzw. seinen Kreis auch jeweils einen aktuellen Anlass, im 44. Locus von F Aussagen Luthers gegen Witzel und vor allem Cochlaeus zu sammeln. Z.B. wurde ein Brief Luthers an Agricola aus dem Jahr 1533 aufgenommen, der auf Witzels antilutherisches „Agitieren“ in Eisleben bezogen ist und in dem Luther Witzel scharf persönlich angreift.249 Zudem werden Johannes Fabri (1478–1541), Johannes Eck (1486–1543) und Cochlaeus von Luther in einem Atemzug thematisch „kategorisiert“, zugleich aber relativiert mit dem Hinweis auf ihren Widerruf: Chart. A 402, fol. 157v [WA 48,476,13– WA.TR 2,42,18–30 [Nr. 1320] 17]

Faber scripsit contra articulum iustificationis. Eccius de potestate Sathanae et traditionibus humanis. Cochleus contra coniugium sacerdotum et de invocatione sanctorum. Last sie hin gehen, ich wil inen die steltzen bestreichen. Illi nebulones etiam revocant. Vocant enim missam sacrificium misteriale, quod nobis nunquam concessissent.

Confutatores apologiae nostrae. Nos habemus maximos confutatores contra nostram apologiam, Fabrum, Eccium, Cochleum. Faber scripturus est contra articulum iust⌊ificationis, Eccius defendit papam et humanas traditiones, Cocleus contra coniugium sacerdotum et de invocatione sanctorum. Ipsi iam appellant missam sacrificium mysteriale. Last sie her gen! Jch will in die steltzen pestreichen. Illi nebulones omnia revocant. Vocant iam missam sacrificium mysteriale, quod nobis nunquam concessissent, quia hactenus appellabant missam sacrifi-

248 Dies klang bereits im Zitat Othos an. Z.T. finden sich in den Commentaria direkte verbale Attacken gegen Jonas. Z.B. wurde er als „adulator & interpres Lutheri“ verspottet (COCHLAEUS, Commentaria, 80), im Zusammenhang der Darstellung von Luthers Auseinandersetzung mit Witzel als „Iudocus Cocus, qui se Iustum Ionam uocat, sacerdos uxoratus“ (ebd., 234). Dass Cochlaeus damit auf Witzel zurückgriff, macht der Hinweis auf dessen Repliken „adversus maledicum calumniatorem, Iustum Ionam, quem rectius Iudocum Koch seu Cocum uocat“ (ebd., 235) deutlich. Diesen Angriff wiederholte er im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit dem von Jonas – gemeinsam mit Coelius – verantworteten „offiziellen“ Bericht von Luthers Sterben (ebd., 315; s.a. HERTE, Lutherkommentare, 296–299), griff dort aber zudem die Verunglimpfung Jonas’ als einen der „Quatuor Euangelistae noui“ auf, mit der er ihn bereits 1534 verspottet hatte (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 315 bzw. Johannes Cochlaeus an Justus Jonas. Frühjahr 1534: BrWJJ 1,443 [Nr. 350a]). Des Weiteren zitierte Cochlaeus in den Commentaria auch einige Schriften Jonas’ unter Angabe bzw. Andeutung der Quellen, „um ihnen erneut scharf zu Leibe zu rücken“ (HERTE, Lutherkommentare, 235.47f.); hier kam Jonas neben Melanchthon die „führende Rolle“ zu (ebd., 232). Dies führte im Nachgang dazu, dass Jonas 1559 im durch Paul IV. veröffentlichten Index verurteilt wurde (vgl. ebd., 339). 249 Vgl. Chart. A 402, fol. 157v bzw. WA.B 6, 543,1–16 [Nr. 2061].

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cium verum, iustificatorium et satisfactorium, placatorium, vendibile. Damit haben sie den leutten das gelt abvexirt, sed nunc eam scribunt esse mysteriale, id est, significativum; tunc non est verum sacrificium. So wirt vulgus nicht dran wollen, wirt das angewant gelt wider wollen haben, quia non sit verum sacrificium. Jch will in recht schreiben, was sacrificium mysteriale sei.

Eindrücklich zeigt die Synopse, wie gezielt die Auswahl erfolgte. Dass sich das Wort Luthers ursprünglich auf die Confessio Augustana bezog, ist nicht mehr erkennbar. Auch das „wie“ des Widerrufs wird ausgelassen, in Konsequenz wird das „dass“ betont. Der zur Abfassungszeit von FH bereits verstorbene Eck wird zudem als Urheber von Luthers Kampf gegen das Papsttum ausgewiesen: „Eccius hat den bapst jn schlam gefurt vnd gebracht vnd mich, D. Martinum [Kursivierungen; I.K.]. Quia Eccius uolebat me sua praesumptione et arrogantia opprimere. Wer mir aber vil zu schwer. Et ita dedit mihi occasionem pugnandi contra papam. Darumb sol der Bapst dem Eccio billich dancken vnd nicht dem Luther.“250

Fabri wiederum wird zusätzlich mit der despektierlichen Aussage zitiert, er wolle lieber den „türkischen Gott“ als den „lutherischen Glauben“ annehmen, gedeutet von Luther als mit Caiphas’ Prophezeiung vergleichbar.251 Hieronymus Emser (1477–1527) ist in FH nur mittels eines Briefes von Luther „Ad Nicolam Hausman de Emsero“ präsent, so dass doch ein gewisser Freibergbezug vorhanden wäre. Verkündet wird ein regelrechtes Verdikt, dessen Botschaft lautet: „Emsero nihil est respondendum“, begründet mit dessen Blasphemie, aufgrund derer sein Tod besser wäre.252

Chart. A 402, fol. 157r [WA 48,631,1–6] bzw. WA.TR 5,288,11–16 [Nr. 5636]; Ms. Bos. q. 24s, fol. 40v. H ergänzt am Ende mit den Parallelen: „Eccius wer wol wert, das jm ein credentz von 1000 fl schenckten die Lutherani, quos ita promovit“ (Sup. Ep. 4° H 73, fol. 151v). Dass F auch zu Beginn einen eigenen Akzent setzt, macht der Vergleich mit den Parallelen deutlich; dort lautet der erste Satz: „Eccius, der hat den bapst in den schlam gebracht vnd nicht D⌊octor Martinus“ (WA.TR 5, 288,11f. [Nr. 5636]; Ms. Bos. q. 24s, fol. 40v). In F wird also aus der „Unschuldsaussage“ eine Konzeptualisierung von Ecks Kampf gegen Luther als „Schlammschlacht“. 251 Vgl. Chart. A 402, fol. 157r [WA 48, 488,25–28] bzw. WA.TR 2, 380,1–7 [Nr. 2256b]. 252 Auch Jonas Briefwechsel weist nur die Nachricht über Emsers plötzlichen Tod auf, der analog als Strafe für dessen Blasphemie gedeutet wird: Vgl. Jonas an Lang. 29. Januar 1528: BrWJJ 2,116 [Nr. 120]. Zweifelhaft ist die Lesart „Emserina“ im Schreiben von Jonas an Johannes Lang. 17. Oktober 1527: BrWJJ 1,110 [Nr. 107]: „Vident sectas suboriri et hinc illa Emserina (?) in luctu, hinc illa gaudia et spes etiam in medio 250

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Johannes Campanus (1500–1574)253 betreffend, werden im Besonderen dessen Angriffe auf Luther sowie dessen Anspruch der „plerophorie“, der von Luther für Lehrer der Schrift zurückgewiesen wird, benannt.254 Insofern könnte sich in der Übernahme auch Wellers Rezeption von Luthers Ideal des „discere per totam vitam“ widerspiegeln.255 Jedoch ist der Inhalt dieser Rubrik nicht nur auf namentlich genannten Personen beschränkt. Vielmehr enthält der Locus auch z.T. grobe Attacken gegen altgläubige Vertreter des geistlichen Standes, d.h. Mönche, Nonnen, Priester und Kanoniker.256 Der bereits mehrfach angedeutete Bezug auf Jonas ist hier explizit greifbar, verbunden mit albertinischem Kontext. Thematisiert wird nämlich auch das Testament eines Kanonikers von Saltza, dem heutigen Bad Langensalza, das seit der Teilung von 1485 zum Herzogtum Sachsen gehörte. In diesem ist der namentlich genannte Jonas die zentrale Gestalt; erst am Ende meldet Luther sich zu Wort: „D. Ionas legit literas de Canonico in Saltza sub duce Georgio qui cum fecisset testamentum, hat seine huren mit dem halben teil seines geldes einem jungen pfaffen bescheiden, einem hundlein, das er teglich an seinem tische vnd bette gehalten, hat er alle jar, so lang es lebet, Erphordisch malder weitzen bescheiden, et literas conclusit: Hic

casu, medio excidio suae Troiae“ – s. hierzu BrWJJ 2,348. Insofern konvergiert dessen Haltung mit Luthers Urteil im Schreiben von F. 253 Zu Johannes Campanus s. WEIGELT, Campanus; WA.B 5, 270 Anm. 3. 254 Das erste der beiden Apophthegmata stellt eine „Mischfassung“ dar. Die Handschrift Wellers mag in der Ergänzung „nihil pugnae [Hervorhebung; I.K.] nec luctae sensit“ zu erkennen sein (vgl. Chart. A 402, fol. 158v [WA 48,511,10–24] bzw. WA.TR 2, 640,7–20 [Nr. 2759a]. 640,21–641,2 [Nr. 2759b]). Auch das zweite Apophthegma (Chart. A 402, fol 159v–160r [WA 48, 391,31]), bestehend aus WA.TR 1, 41,33–42,12 [Nr. 112] und ebd., 42, 14–25 [Nr. 113], setzt sich mit der Frage der Plerophorie auseinander, weist aber einen deutlicher kontroverstheologischen Impetus auf, insofern Luthers Vorgehen gegen Gelübde und Messe angesprochen wird – unter Bezug auf Erasmus. Dass diese Apophthegmata evtl. zum folgenden Locus zu rechnen sind, wurde bereits angemerkt (s. S. 104 Anm. 91). Dennoch lässt sich auch eine Verbindung zum 44. Locus herstellen: Aufgrund eines mehrwöchigen, zu Studienzwecken genutzten Aufenthaltes von Campanus bei Witzel in Niemegk, galt Witzel Jonas als Anhänger dieses mehrfach verurteilten Vertreters heterodoxer Lehren – was er ihn vehement in seinen Schriften vorhielt (s. DELIUS, Jonas, 49f.53; CLEMEN, Witzel, 135f.). In den Commentaria wird Campanus als „Lutheri discipulus“ bezeichnet, dessen trinitarische „Irrlehre“ in Luthers Lehre grundgelegt sei. Bei Cochlaeus rahmt diese Darstellung die nicht minder positionelle Wiedergabe von der Auseinandersetzung Luthers bzw. Jonas’ mit Witzel (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 234f.). In beiden Fällen liegt also eine Verbindung zwischen Campanus und Witzel vor, so dass die Zuordnung zum Locus „De Emsero, Eccio et similibus“ von hier plausibilisierbar wäre. 255 S. hierzu LEDL, Lernen, 22–44, bes. 31–33. 256 Vgl. Chart. A 402, fol. 157v–158v – d.h. die Apophthegmata Nr. 578; 3654a; 4339; 2981; 301.

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nulla pauperum fuit cura. R⌊espondit D⌊octor L⌊utherus: Das ist des bapsts creatur, qui nihil credit de futura vita. Ideo est verus epicurus.“257

Die Wichtigkeit dieses Apophthegmas für den Urheber von F wird zudem durch eine der seltenen Randbemerkungen in roter Farbe hervorgehoben („De testamento Canonici“). Unter der Hypothese, dass Weller bzw. ein auf ihn bezogener Kreis hinter der nach Loci geordneten Sammlung steht, wäre des Weiteren der „amtstheologische“ Schwerpunkt, insbesondere in seiner praktischen Ausrichtung auf die Predigt258 oder die Seelsorge259 sowie Fragen der Frömmigkeit,260 zwanglos plausibilisierbar. Zu den Schriften Wellers gehören neben einer Anleitung zum Theologiestudium auch Anweisungen, wie zu predigen sei bzw. über welche Eigenschaften man als Prediger zu verfügen habe. Hinzu kommt der starke seelsorgerliche Impetus seines gesamten Werkes, exponiert greifbar in seinem Antidotum, sowie das Bemühen, „Lehren und Ratschläge zu geben, insbesondere für ein christliches Leben“, zu dem Kreuz und Anfechtung gehörten.261 Regelrecht als Kondensat Wellerscher Theologie sind deshalb Loci wie „De cruce et ira Dei“ (Nr. 57) sowie „De Sathanae illusionibus et praestigiis“ (Nr. 58) anzusehen. Zudem mögen die Loci „De cerevisia et ebrietate“ (Nr. 80) sowie „De

257 Vgl. Chart. A 402, fol. 158r [WA 48, 569,35–39] bzw. WA.TR 3, 490,17–24 [Nr. 3654a]. 258 Vgl. Sachgruppen wie die „loci exhortatorii“ (Nr. 53), die Allegorie (Nr. 56) und „De prophetia et vaticiniis“ (Nr. 55). 259 Vgl. die Loci „De tentatione et eius commodis“ (Nr. 59), „Consolationes pro tentatis, infirmis, et quibus defuncti amici“ (Nr. 60), aber auch „De cruce et ira Dei“ (Nr. 57), „De Sathanae illusionibus et praestigiis“ (Nr. 58); „De conscientia“ (Nr. 61), „De morbis et remediis“ (Nr. 90), aber auch die auf Ehefragen bezogenen Sachgruppen (Nr. 68f.). In den beiden erstgenannten Loci wird der Bezug auf die Freiberger Autoritäten Weller bzw. Hausmann besonders stark greifbar. Im 59. Locus setzt das Apophthegma Nr. 120 im Unterschied zur Dietrichschen Überlieferung ohne den Vorspann unmittelbar mit der Nennung des abgekürzten Namens ein: „Hie⌊ronymus Wel⌊ler, homo bonus, cum a spiritu tristitiae vexaretur, ut sentiret sincopin […] (Chart. A 402, fol. 245v [WA 48, 392,22f.]; vgl. demgegenüber WA.TR 1, 46,29–47,2 [Nr. 120]: „Pridie Calend⌊is Decembris haec scripsi anno 31. Ibi forte, cum haec et alia narraret, assidebat Hieronymus Weller, homo bonus, quem Spiritus tristitiae exagitabat. Is cum forte suis cogitationibus vexaretur, ut sentiret syncopim […].“ Im 60. Locus finden sich dann ab fol. 247v drei Briefe an Weller und zwei Briefe an Hausmann. 260 Vgl. bei z.T. fließendem Übergang zu Fragen der Seelsorge die Loci „De humilitate et praesumptione“ (Nr. 62), „De oratione“ (Nr. 63). „De angelis“ (Nr. 64a), „De scandalo“ (Nr. 64b), „De prosperitate et successu“ (Nr. 65), „De somniis“ (Nr. 66), „De mendacio“ (Nr. 67), „De mutuo [et] usura et ludo“ (Nr. 78), „De divitiis“ (Nr. 79), „De cerevisia et ebrietate“ (Nr. 80). 261 NOBBE, Weller, 43f.23f.; Zitat: ebd., 43; KANDLER, Kirchengeschichte, 113f.; MÖLLER, Theatrum, I, 294–297.

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iocis“ (Nr. 92) vom ebenfalls im Grundstock aufgenommenen Beichtrat Luthers an Hieronymus Weller zusätzlich akzentuiert werden: „Et quoties istis cogitationibus te vexaverit diabolus, illico quaere confabulationem hominum, aut largius bibe, aut iocare, nugare, aut aliquid aliud hilarius facito. Est nonnumquam largius bibendum, nugandum, ludendum, atque adeo peccatum aliquod faciendum in odium et contemptum diaboli, ne quid loci relinquamus illi, ut conscientiam nobis faciat de rebus levissimis; alioqui vincimur, si nimis anxie curaverimus, ne quid peccemus. Proinde si quando dixerit diabolus: noli bibere, tu sic fac illi respondeas: atqui ob eam causam maxime bibam, quod tu prohibes, atque adeo largius bibam. Sic semper contraria facienda sunt eorum, quae vetat Sathan. Quid causae [darüber ergänzt; I.K.] aliud esse censes, quod ego sic meracius bibam, liberius confabuler, comesser saepius, quam ut ludam diabolum ac vexem, qui me vexare et ludere paraverat? Utinam possem aliquid insigne peccati designare modo ad eludendum diabolum, ut intelligeret, me nullum peccatum agnoscere ac me nullius peccati mihi esse conscium.“262

Vor diesem Hintergrund wäre der Locus über die „Scherze“, der – aus dogmatischer Perspektive überraschend – auf den, den letzten Dingen“ gewidmeten Locus „De resurrectione mortuorum et extremo die“ (Nr. 91) folgt, evtl. nicht nur von der Gattung her zu begründen. Vielmehr könnte dieser einen Reflex lutherischer Seelsorge an Hieronymus Weller darstellen. Zugleich könnte hier aber eine Reminiszenz an Wellers Zeit als Tischgenosse und insbesondere an seinen Freund Justus Jonas vorliegen, den Luther mit den Worten würdigte, „er scherze und schwatze allzugerne mit ihm“263. Dies läge auch insofern nahe, als das vergnügte Zusammensein laut Weller gleichsam das Proprium von Luthers und Jonas’ Freundschaft war, nicht nur, weil Katharina von Bora Jonas gezielt zur Aufmunterung Luthers gerufen habe: „De qua quidem conversatione memini r. p. nostrum Lutherum saepe multa praeclare, erudite et vere qeologikw/j dissere in privatis illis colloquiis, cuius dulcissimae disputationis ipse tum praecipue occasionem prae aliis d. doctori dederas. nomo enim melius te norat virum illum Dei languentem commoda ac suavi interpellatione excitare. Itaque tua consuetudine potissimum delectabatur et quoties tristiori aliqua cogitationes d. doctor vexabatur, honestissima eius uxor te accersi iubebat.“264

Weiterhin ist in Hinblick auf den „amtstheologischen“ Schwerpunkt darauf zu verweisen, dass auch die auf kirchenleitend-organisatorische Fragen bezogenen Loci von Weller her begründet werden können. In dem eingangs dargestellten Judicium de Doctore Martino Luthero von 1555 benennt er ausdrücklich auch Superintendenten und Visitatoren neben Chart. A 402, fol. 248r–v = WA.B 5, 519,42–61 [Nr. 1670]. LEDER, Gedenkvortrag, 10. 264 Hieronymus Weller an Jonas. Freiberg, 23. April 1549: BrWJJ 2,276f. [Nr. 899]; s.a. Hieronymus Weller an die Ratsherrn von Halle. Freiberg, 18. April 1567: BrWJJ 2,343 [Nr. 940]. 262 263

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Pastoren und Predigern bzw. Theologiestudenten als Adressaten seines Aufrufs zur iterativen Lutherlektüre.265 Zudem war mit der theologischen Lektur Weller „auch die Inspection über das gesamte Kirchen= und Schulwesen, nebst dem damaligen neuen Superintendenten, Caspar Zeunern, übergeben [worden]“266.

Insofern Weller ferner vor seinem Theologiestudium Jura studiert hat, mag das Interesse an der Ehe bzw. Ehegerichtsfällen nicht nur von den zeitgenössischen Streitkreisen bzw. der seelsorgerlichen Dimension, sondern auch von der kirchenleitenden her zu verstehen sein.267 Zudem verbindet ihn dieses Interesse erneut mit seinem theologisch und juristisch gebildeten Freund Jonas.268 Die in die Sammlung aufgenommenen Briefe Wellers zeigen, dass er durchaus auch Interesse an amtstheologischen Problemen hatte, wie z.B. hinsichtlich der Visitation des gesamten Herzogtums269 oder dem Verhalten einzelner Pfarrer.270 Zumal mit ergänzendem Blick auf seine amtstheoretischen Überlegungen folgt von hier, dass Loci wie „De visitatoribus“ (Nr. 50), „De vocatione“ (Nr. 51), „De ministerio“ (Nr. 52) bzw. „De ministris“ (Nr. 54) ebenso mit Wellers „mentaler Welt“ konvergieren. Dieser auf Kirchenwesen bezogene Impetus könnte in Verbindung mit dem schulischen Kontext zudem das bereits in II 1.1.3 angedeutete „aktuelle Bedürfnis“ plausibilisieren, das hinter der Übernahme der Empfehlungsschreiben und Zeugnisse, d.h. dem 93. Locus, stehen dürfte. Im nächsten Schritt ist nun das die Loci-Sammlung ebenfalls prägende differenzierte Interesse an der „Obrigkeit“ in den Blick zu nehmen.271 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 167b–168b. WILISCH, Kirchen-Historie, I, 240; s.a. LEDL, Lernen, 14. 267 Vgl. die Loci „De matrimonio“ (Nr. 68) und „De casibus matrimonii“ (Nr. 69). Vor der Einführung der Konsistorien im albertinischen Sachsen im Jahr 1545 hatten – nach dem Wegfall der bischöflichen Aufsicht – die Pfarrer bzw. der Superintendent und der Amtmann die geistliche Gerichtsbarkeit in Ehefragen inne (vgl. WARTENBERG, Entstehung, 76–81), so dass die Sammlung der Eherechtsfälle auch ein Reflex dieses frühen Entwicklungsstadiums sein könnte. 268 Jonas verstärktes Interesse an der Ehethematik ist z.B. an seiner ersten Publikation, d.h. der auf die Priesterehe bezogene Verteidigungsschrift gegen den späteren Wiener Bischof Fabri, greifbar – zur weiteren Auseinandersetzung Jonas’ mit der Thematik s. DELIUS, Jonas, 45f. Hinzu kommt sein großes Engagement für die Errichtung von Konsistorien (vgl. LÜCK, Jurist; PRESSEL, Jonas, 73–77; LEHMANN, Jonas, 79–81; DELIUS, Jonas, 103) sowie seine Tätigkeit als Visitator – auch in Freiberg bzw. im albertinischen Sachsen (LEHMANN, Jonas, 74–86; KANDLER, Kirchengeschichte, 103f.; WARTENBERG, Entstehung, 71–75). 269 Chart. A 402, fol. 187r = WA.B 9, 73f. [Nr. 3453]. 270 Chart. A 402, fol. 211v = WA.B 6, 133 [Nr. 1833]. 271 Vgl. die Loci Nr. 70–75b. 265 266

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Diesbezüglich könnte auf Wellers Ständelehre272 sowie sein bewusstes Ansprechen von Personen von hohem Rang in seinen Widmungen von Schriften verwiesen werden. Letzteres erfolgt mit dem Ziel, in diesen Fürsten, Herren, etc. „Lust und Liebe zu Gottes Wort“ zu steigern oder zu wecken, diese zu warnen und mahnen und so auch größeren Schaden von den beiden anderen Ständen abzuwenden.273 In diesem Kontext steht das von Haußleiter wohl zu einseitig als klarer Beleg für eine Urheberschaft Besolds angeführte Kriegskapitel (Nr. 76).274 Dieser Locus umfasst nur sechs Grundstücke und ein Nachtragsstück,275 die thematisch auf den „Türkenkrieg“ und die „Wurzener Fehde“ enggeführt sind. Es handelt sich mehrheitlich um Briefe. Diese datieren v.a. aus den frühen 1540er Jahren, nämlich vom 14. August 1541276, vom 17. Mai 1542277 sowie – es handelt sich hier um das einzige Nachtragsstück – vom 7. April 1542278, aber auch vom 3. August 1532279. Aus dem langen Gespräch zwischen Luther und Melanchthon, das im Kontext der „Wurzener Fehde“ wohl anlässlich von Mathesius’ Abschiedsessen im Hause Crucigers im April 1542 stattfand, sind diesem Locus eben die Abschnitte beigefügt, die sich auf diesen Konflikt beziehen.280 Hinzu kommt ein auf den „Türkenkrieg“ bezogenes Apophthegma, das auf Ende März 1532 datiert werden kann.281 Insofern Besold erst ab 26. März 1542 Luthers Tischgenosse geworden war,282 dürften kaum alle Ab- bzw. Mitschriften direkt auf ihn zurückzuführen sein. Zu fragen wäre zudem, inwiefern es wahrscheinlich ist, dass Besold zu diesem Abschiedsessen geladen war, so dass er tatsächlich eine eigene Mitschrift verfassen konnte. Auch mit der Korrektur, dass die Grundstücke auf Dietrich zurückgehen, verschöbe sich die Problematik nur leicht. Zu fragen wäre ebenso, wie dieser auf all diese Schreiben Zugriff erhielt. Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 28–74. Vgl. NOBBE, Weller, 25f. 274 Vgl. Chart. A 402, fol. 377a–383a bzw. HAUßLEITER, Rätsel, 88–93. 275 Vgl. WA 48, 382. 276 Luther an den Kammerdiener Georg Weiß. [Wittenberg,] 14. August 1541: WA.B 9, 491f. [Nr. 3653] – dieser wollte am „Türkenkrieg“ teilnehmen und hat Luther um Rat gebeten. 277 Luther an Kurfürst Joachim II. von Brandenburg. [Wittenberg,] 17. Mai 1542: WA.B 10, 65–68 [Nr. 3753] – der Kurfürst war zum obersten Feldhauptmann wider den „Türken“ geworden. 278 Luther an Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Moritz [Wittenberg, 7. April 1542]: WA.B 10, 31–37 [Nr. 3733]. 279 Luther an den Kurprinzen Joachim von Brandenburg. [Wittenberg,] 3. August 1532: WA.B 6, 343–345 [1950]. Auch hier geht es um den „Türkenkrieg“. 280 Chart. A 402, fol. 380r–381r.381r–v [WA 48, 605,18–27.606,21–25] bzw. WA.TR 5, 133,9–135,22.138,14–34 [Nr. 5428]. 281 Vgl. WA.TR 2,520f. [Nr. 2548b]. 282 KAWERAU, Briefe, 45 [Nr. 96]. 272 273

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Weiterhin müsste erklärt werden, warum Veit Dietrich, der selbst über eine so vielfältige Überlieferung verfügte, ein Kriegskapitel thematisch so tagespolitisch und genealogisch eng geführt hätte. Vor dem Freiberger Hintergrund verwundert dies hingegen kaum, da die Bergwerksstadt von der dadurch ausgelösten breiten Mobilmachung betroffen und zudem ein Sammelpunkt des „Auffgebots“ war.283 Dass Weller nicht nur selbst über die Ereignisse gut informiert war, sondern den Wittenbergern zudem als Informant diente, zeigt der erste, in den Locus übernommene Ausschnitt aus dem bereits erwähnten langen Gespräch zwischen Luther und Melanchthon, das April 1542 stattgefunden hat: „Phil⌊ippus: Sie werden viel zu thun haben, Herr D⌊octor wenn sie kegen einander setzen werden. Denn ich hore wunder sagen, vnd D⌊octor Hieronymus [d.h. Weller; I.K.] hat mirs gesagt, wie Carlwitz vnd Pistorius ßo calumniosi sint et amantes cavillationum das vber aus sey.“284

Für ein Interesse des „Wellerschen Kreises“ spricht zudem, dass sich eben dieses Gespräch zugleich in der Münchner Handschrift Clm. 937 findet.285 Haußleiter nahm hingegen v.a. das Nachtragsstück, das für ihn den „Glanzpunkt“ von F darstellt, in den Blick.286 Insbesondere dieses galt ihm als deutlicher Beleg für eine Verbindung des Kapitels mit Besold und muss deshalb nun mit Blick auf die Gegenthese einer Freiberger respektive Wellerschen Fundierung der Tradition näher entfaltet werden. Es handelt sich um Luthers Mahnwort an den Kurfürsten und Moritz von Sachsen im Kontext der „Wurzener Fehde“, das aufgrund des vorher erfolgten Einlenkens der beiden Potentaten weder versendet noch wie geplant als Druck publiziert worden ist.287 Haußleiters Deutung hat darin ihren gewichtigen Anhalt, dass dem Briefwechsel zwischen Besold und Dietrich tatsächlich ein verstärktes Interesse Besolds an diesem Schreiben zu entnehmen ist, bittet er Dietrich doch, für ihn diesbezüglich bei Cruciger oder Rörer vorzusprechen.288 Bei Enders ist dieses Schreiben auf Mitte April 1542 datiert. Haußleiter konkretisiert nun diese Angabe auf den 10. April. Grund ist, dass das Ende des Briefes

MÖLLER, Theatrum, II, 214f. Chart. A 402, fol. 380r [WA 48, 605,21] bzw. WA.TR 5, 134,7–10 [Nr. 5428]. Insofern Rörer „Hie: W:“ statt „D⌊octor Hieronymus“ liest, ist die Identifikation eindeutig (s.a. WA.TR 5, 134 Anm. 14). 285 Vgl. Clm. 937, fol. 157r–158r. 286 S. Chart. A 402, fol. 381v–383r. 287 WA.B 10, 31–37 [Nr. 3733]. 288 E 14, 249 [Nr. 3134]: „Scriptum Lutheri ad Mauricium non potui nancisci, celatur enim: sed rogo, ut petas a d. Crucigero aut M. Georgio, tum describam et mittam Tibi“ – auch zitiert in WA.TR 5, 144 Anm. 8. 283 284

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„den zuversichtlichen Brief des Landgrafen an Luther vom 9. April voraus[setze …], den dieser am 10. April beantwortete […]. Am gleichen Tag wird auch Besold nach Nürnberg geschrieben haben. So kann also der Termin des Briefes […] statt ‚Mitte April 1542ʻ auf den 10. April festgelegt werden“289.

Nun scheint die Verschiebung um wenige Tage eher irrelevant zu sein. Doch ermöglicht diese, eine nicht weiter konkretisierte Bemerkung Besolds im Brief vom 11. April an Dietrich, in dem er diesem auch mitteilt, dass er durch Rörers Vermittlung Tischgenosse Luthers geworden ist, auf eben dieses Schreiben zu interpretieren290: „M. Georgij singularem erga me amorem non possum satis praedicare, qui me complectitur non secus ac filium, non enim tantum pro me apud D. Martinum intercessit, verum insuper pecunia, mutuo dedit, quae singulis septimanis numeranda sit, usque ad Nundiuas. Dedit mihi describendum hoc scriptum Lutheri [Hervorhebung; I.K.].“291

Über diese Anfragen bezüglich Datierung und Identifikation hinaus wirft der Brief mit der Bitte um Fürsprache selbst weitere Fragen auf.292 Dieser fehlt erstaunlicherweise im Manuscriptum Thomasianum und ist deshalb bei Enders aufgrund der Fassung von Hummels Epistolarum Semicenturia altera ediert worden. Andererseits eröffnet eine um Anfang und Schluss gekürzte Fassung des Briefes in der Münchner Handschrift Coll. Camer. 5 (= Clm. 10355) eine Reihe von Sondergut-Apophthegmata, die weder in Besolds Briefen noch in FH Aufnahme gefunden haben. Kroker verweist jedoch auf Parallelen in der Art des Nachschreibens von diesen als Apophthegma Nr. 5428a edierten Stücken zum Apophthegma Nr. 5428, d.h. dem langen Gespräch zwischen Luther und Melanchthon. Aus diesem wurden – wie erwähnt – zwei Abschnitte der Rubrik „De bello“ zugeordnet. Diese sind jedoch ebenfalls nur mit Vorbehalt tatsächlich Besold zuzuschreiben, zumal sie zu den Grundstücken gehören. Weiterhin legt der Briefwechsel zwischen Dietrich und Besold es mehr als nur nahe, dass das Schreiben sicher auch Rörer und evtl. ebenso Cruciger vorlag.293 Zudem sind noch Luthers überarbeitetes Originalkonzept und eine davon abhängige Abschrift überliefert; weitere Abschriften finden sich in Dresden und ebenfalls in der bereits mehrfach erwähnten Handschrift Bav., die aus dem Jahr 1548 stammt.294 All dies macht deutlich, dass das „geheime Schreiben“ Besold und Dietrich vorgelegen haben könnte, dies aber nicht zwingend ist und es neben Besold auch andere Personen gab, über die es in die ApophHAUßLEITER, Rätsel, 12 Anm. 1. In WA.B 10, 31 wird das Schreiben unter Vorbehalt auf den „13. (?) April“ datiert. Dies spräche gegen Haußleiters Identifikation. 291 KAWERAU, Briefe, 46 [Nr. 96]. 292 WA.TR 5,142 Anm. 1. 293 Vgl. nochmals E 14, 249 [Nr. 3134]; Zitat: s. S. 149 Anm. 288. 294 Vgl. WA.B 10, 32. 289 290

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thegmata-Sammlung aufgenommen werden konnte. Unstrittig dürfte sein, dass die im Hintergrund stehende(n) Person(en) Zugang zu Dokumenten aus dem engsten Kreis um Luther hatten, insofern die ApophthegmataTradition auch Schriften aufweist, die Außenstehenden eher nicht zugänglich waren. Zudem verdeutlicht die Engführung des Kriegskapitels ein verstärktes Interesse an den Wettinern.295 Dieses lässt sich vor einem Freiberger Hintergrund leichter plausibilisieren als im Nürnberger Kontext, zumal das im Fokus stehende Stück Teil der Apophthegmata-Tradition ist, die laut Kroker nicht nur mit Besold, sondern v.a. mit Heydenreich verbunden ist.296 Insgesamt konnten durch die vorangehenden Analysen verstärkt Indizien herausgearbeitet werden, die für eine Bezogenheit von FH bzw. zumindest der Sammlung der Grundstücke auf Hieronymus Weller bzw. auf einen Kreis um ihn sprechen. Punktuell scheint auch Justus Jonas im Hintergrund als über Weller vermittelte Autorität auf. Der in Freiberg und damit im albertinischen Sachsen wirkende Weller gehört mit zu den treuen Lutheranhängern, ist gelehrter Lutheraner mit hohem, auf Luther bezogenem Bildungsideal, orientiert an der Schrift und an Luthers Lehre und von daher engagiert in Fragen der (Aus-)Bildung und Organisation des Kirchenwesens, aber auch der Luthermemoria bzw. der Sorge um die Wahrung von Luthers Erbe. Einher geht eine klare Grenzziehung gegenüber Tendenzen eines „Rückfalls“ in „papistische Irrtümer“. In Weller spiegelt sich somit die im Kodex greifbare „mentale Welt“ in einer Weise, wie es für die Nürnberger Dietrich oder Besold kaum plausibilisierbar wäre. Im nächsten Schritt muss nun die durch Nachtragsstücke ergänzte Gothaer „Prachthandschrift“ in den Blick genommen werden. 1.2.4.

Die durch Nachtragsstücke ergänzte Gothaer „Prachthandschrift“

Nachdem im vorangehenden Kapitel die Urheberschaft Wellers bzw. eines auf ihn bezogenen Kreises für den in FH greifbaren, nach Loci geordneten Grundstock plausibilisiert worden ist, soll nun der von Haußleiter als „Codex Besoldi“ identifizierte Gothaer Kodex im Besonderen in den Blick genommen werden. Zu prüfen wäre, ob nicht auch diesem eine größere Nähe zum eruierten Trägerkreis des Grundstocks eignet. Dabei ist zu bedenken, dass das Titelblatt, die poetischen Stücke sowie die Bildnisse

Dass Johann Friedrich selbst eine Vorgeschichte der „Wurzener Fehde“ verfasst hat (s. MENTZ, Johann Friedrich, III, 272), macht deren große Bedeutung für das ernestinische Selbstverständnis deutlich. 296 Zum Rekurs von F auf den 11. und 12. Abschnitt der Krokerschen Edition s. S. 157–159. 295

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

zum Proprium von F gehören. Nur die Nachtragsstücke teilt der Gothaer Kodex mit den Hamburger Bänden.297 Das stärkste Argument gegen eine Rückbindung des Gothaer Kodex an Weller bzw. den „Wellerschen Kreis“ ist Haußleiters Deutung der auf dem Buchdeckel eingeprägten Buchstaben „M.B.“ als „M⌊agister B⌊esold“.298 Diese auf den ersten Blick überzeugende Lösung beruht jedoch auf weiteren, nicht unhinterfragbaren Prämissen. Dies zeigt z.B. der Vergleich mit der evtl. in derselben Werkstatt gebundenen Handschrift Bav.,299 bei der auf dem Holzdeckel ebenfalls zwei Buchstaben verbunden mit einer Jahreszahl eingeprägt sind, nämlich „V B“ und „1548“. Hier handelt es sich zweifellos um Initialen, zuerst wird der Vorname, dann der Nachname abgekürzt, wie der Titel zeigt, in dem sich der stolze Besitzer und Urheber, der Naumburger Ratsherr Valentin Beyer, zu erkennen gibt: „Rapsodiae, et dicta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutherj, in familiaribus Colloquijs annotata. Eiusdemque Epistolae, Consilia, aliaque pulchra, et necessaria aliquot illustrium virorum scripta. Quae omnia Valentinus Bauarus suo labore, et manu propria, sibi in hunc Librum transcribendo, comparauit.“300

In F fehlt eine analoge Auflösung, zudem beruht Haußleiters Deutung zum einen auf der Prämisse, dass Besold (oder der Drucker) nicht die Initialen, sondern die Anrede „Magister“ verwendet und dabei zum anderen den damals wichtigeren Vornamen ignoriert hätte. Zwar finden sich in Besolds Briefen analoge Anreden, in denen sich der abgekürzte Magistertitel nicht nur mit dem Vornamen (z.B. „M. Georgius [Rörer]“), sondern auch mit dem Nachnamen der Person verbindet (z.B. „M. Aurifaber“), es fehlt jedoch – sieht man von F ab – für die Bezeichnung „M.B.“ bzw. das naheliegendere „M.H.“, d.h. „M⌊agister H⌊ieronymus“, ein Selbst- oder Fremdzeugnis. Angesichts dieser Anfragen eignet der Auflösung von „M.B.“ als „M⌊agister B⌊esold“ ein nicht geringer hypothetischer Charakter, so dass diese nur als flankierendes Argument, nicht aber als Hauptargument gegen die Zuordnung von F an Weller bzw. den „Wellerschen Kreis“ herangezogen werden kann. Deshalb muss die Frage zunächst offen

S. jeweils die Beschreibungen der Handschriften, d.h. II 1.1.1 und II 1.1.2. Vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 85. 299 Vgl. NIEWÖHNER, Beschreibung, 1. Inhaltlich sind die beiden Handschriften sehr verschieden, so dass in dieser Hinsicht kaum mit einer direkten Abhängigkeit zu rechnen ist: Bav. beschränkt sich – abgesehen von vereinzelten Apophthegmata im zweiten Band – auf die Apophthegmata der Dietrichschen und Medlerschen Tradition (vgl. WA.TR 1, XXXIXf.) und greift somit nur einen Bruchteil der Quellen auf, die Eingang in F gefunden haben und dort zudem verschiedenen Loci zugewiesen wurden. Zur Handschrift s.a. Schäufele, Beständeübersicht, 144f.; WA.TR 1, XVII; XXXXIXf.; WA.TR 5, XXXVf.; WA.B 14, 62f. 300 Zitiert nach SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 144. 297 298

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bleiben und weitere Aspekte sind mit einzubeziehen, zunächst das Titelblatt. Wie soeben angedeutet, enthält das Titelblatt des Gothaer Kodex im Unterschied zu Bav. keinen expliziten Hinweis auf den Urheber(kreis). In F verschwindet dieser gleichsam gänzlich hinter dem Memorierten. Dennoch soll im Folgenden schrittweise geprüft werden, inwiefern dem Titelblatt zumindest implizite Indizien entnommen werden können. Dazu sei zunächst nochmals der Titel in Erinnerung gerufen. Dieser lautet: „FARRAGO L[ITE]RARVM AD AMICOS ET COL || loquiorum in mensa R[everendi] P[atris] Domini Martini Lutheri || sacrae theologiae doctoris etc.“301

Durch die Rede von einer „bunten Sammlung“ (farrago)302 wird das Werk als Kompilationsliteratur ausgewiesen. Durch die Rede von „Briefen an Freunde“ und bedingt von „Colloquia in mensa“ wird eine vertraute Nähe bzw. ein privater Einblick suggeriert.303 Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der Begriff der „Freunde“ nur noch in zwei weiteren Handschriften greifbar ist: in der mittlerweile verschollenen Handschrift von Wellers Freund Justus Jonas304 sowie im ursprünglichen Titelblatt einer Teilsammlung einer Rigaer Handschrift.305 Insofern könnte der Titel von F evtl. gezielt eine besondere „persönliche Bezogenheit“ des Urheber(kreises) auf Luther bzw. den lebensweltlichen Horizont des engen Luthervertrauten insinuieren, der für Weller gut belegbar ist. Darauf, dass die Anrede Luthers als „reverendus pater dominus Martin Luther“ zum einen insbesondere nach Luthers Tod nicht selten gebraucht wurde, zugleich aber evtl. als Anspielung auf den Verstehenshorizont der Apophthegmata Patrum angesehen werden kann, wurde bereits hingewiesen.306 Dass sich diese Bezeichnung verstärkt bei Justus Jonas, aber auch bei Hieronymus Weller selbst findet,307 ist insofern nur bedingt als Argument für Chart. A 402, fol. 1r. Ursprünglich bezeichnet das Wort „farrago“ gemischtes Futterkorn, in übertragener Weise dann vermischten Inhalt (vgl. LDHW, I, 2689). 303 Zur zeitgenössischen Begrifflichkeit und deren Implikationen s. S. 34–46. Streng genommen wird mit diesem Titel nicht der gesamte Inhalt umschrieben. Der Kodex enthält neben den ca. 150 Briefen Luthers auch 33 Briefe Melanchthons, zudem auch Konzepte bzw. Entwürfe von Predigten, Vorlesungen, etc. 304 Der Titel der Jonas-Handschrift aus der Schreiterischen Bibliothek zu Wurzen ist mit „Etliche Gespräche D. Martin Luthers, so er mit seinen Freunden [Hervorhebung; I.K.] gehalten etc.“ überliefert – vgl. KEIL, Nachricht, 9; s.a. S. 88–91. 305 Vgl. RIGA, LATVIJAS AKADEMISKA BIBLIOTEKA (EHEMALS: STADTBIBLIOTHEK): Mss. Nr. 350 [zitiert nach HAUßLEITER, Rigaer Handschrift, 359]: „Aliquot epistolae reverendi patris D. D. Martini Lutheri et Philippi Melanchtonis (sic!) ad suos amicos descriptae.“ 306 S. S. 42–46. 307 Vgl. S. 43f. Anm. 216. 301 302

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

eine Rückbindung der Handschrift an (den Kreis um) Weller heranzuziehen, dennoch ließe sich diese von hier zumindest weiter plausibilisieren. Mit dem folgenden quasi-Untertitel, d.h. dem Hexameter „Pestis eram vivus, moriens ero mors tua, Papa“, der zugleich „Epitaph“ Luthers wie protestantisches Hoffnungswort war, erhält der Kodex eine starke antipapalistische, antiinterimistische und memoriale Ausrichtung, die nun tatsächlich auf einen „konsequenten“ Lutheranhänger weist, ohne dass deshalb nur Personen aus dem Magdeburger Kreis um Flacius in den Blick gerieten.308 Somit betont das Titelblatt Aspekte, die auch in der nach Loci geordneten Sammlung greifbar sind. Insofern könnte Weller bzw. ein auf ihn bezogener Kreis durchaus auch für das Titelblatt Verantwortung tragen. Dann wäre diese Schwerpunktsetzung auf den Kampf gegen die Papisten als Kondensat der im Jahr 1551 von Weller (und seinem Kreis) als akut empfundenen Bedrohung durch den interimistischen bzw. adiaphoristischen Streit zu verstehen. Die Frage, inwiefern die weitere Ausgestaltung des Gothaer Kodex als künstlerische Verdeutlichung von Aspekten der Wellerschen „mentalen Welt“ zu deuten ist, muss ähnlich zurückhaltend beantwortet werden.309 Der Vorderspiegel, d.h. der kolorierte Luther-Holzschnitt Sebastian Adams aus dem Jahr 1546, setzt malerisch die Einschätzung Luthers als „Werkzeug des Heiligen Geistes“ um, stellt diesen in einen hagiographischen Kontext. Insofern sich bei Weller analoge Ausführungen finden, spricht dieses Bildnis nicht gegen die Rückführung des Kodex auf denselben. Auch wenn nur vermutet werden kann, wie dieses „Gedächtnisbild“ Eingang in den Kodex fand, dient es in exzellenter Weise der Memoria des Reformators und fügt sich harmonisch in F ein. Das antiinterimistische Propaganda-Bild Johann Friedrich I. konvergiert wiederum mit dem bereits bezüglich des Titelblattes eruierten Schwerpunkt. Insofern bedarf es zur Plausibilisierung des Hinteren Spiegels keiner besonderen Begründung. Dennoch ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es in Freiberg zumindest eine Fraktion gab, die sich im Kontext des Schmalkaldischen Krieges dem Ernestiner verbunden fühlte und dass die auf dem Holzschnitt nachträglich handschriftlich ergänzte Freilassung Johann Friedrichs auch im albertinischen Freiberg mit Dankgottesdienst und Glockenläuten gefeiert wurde.310 Freiberg gehörte zumindest nicht als Ganzes zu denen, die

Die evtl. noch zum ursprünglichen Bestand gehörenden Verse über den Tod Paul III. bestärken den bereits mit dem Hexameter angedeuteten Impetus. Näheres hierzu s. II 1.1.1. 309 Zu den Bildnissen und poetischen Texten s. weiterhin II 1.1.1. 310 S. S. 134. 308

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„dess Churfürsten [d.h. Johann Friedrich I.; I.K.] so balde vergassen vnd Moritzianisch worden sind“311

und deshalb von Erasmus Alber, der in F mittels poetischer Texte präsent ist, kritisiert worden waren. Über diese Texte ist der antiinterimistische und antipapalistische Impetus auch zurückgebunden an den „Magdeburger Kreis“, zu dem Alber als einer der Protagonisten zu zählen ist. Die Akrosticha312 verbinden wie das Titelblatt von F den Kampf gegen Interim bzw. Papsttum mit der Memoria Luthers. Im Reimgedicht auf St. Christoff313 wiederum wird die Vorstellung aufgegriffen, dass ein Christ im Vertrauen auf Gott durch die irdische Trübsal hindurch in Gottes Reich eingeht. Von der nach Loci geordneten Sammlung wie vom Wellerschen Gedankengut her liegt die Übernahme dieses Gedichtes nahe. Alber weilte ab Sommer 1548 in Magdeburg, dem Zentrum des Kampfes gegen das Interim, war in Wittenberg aber durch mehrmalige Aufenthalte bekannt, hörte dort auch Luthers letzte Wittenberger Predigt.314 Ein Apophthegma der Lauterbach-„Wellerschen“ Tradition mag belegen, dass Weller ihn am Tisch Luthers kennengelernt hat.315 Unabhängig davon teilte Weller mit ihm u.a. die grundlegende Vorstellung, dass „[e]in jeglicher Theologus […] täglich neben der Bibel D. Martini Tomos lesen [solle]“316.

Zudem verbindet Erasmus Alber mit F das Interesse an Fragen der Ehe317 sowie die Gegnerschaft zu Georg Witzel318 und zu Erasmus von Rotterdam.319 Dass Alber auch selbst Apophthegmata Luthers gesammelt hat,320 und deren Wert sehr hoch einschätzte, verleiht der Aufnahme seiner Texte in den Gothaer Apophthegmata-Band noch eine weitere Dimension.321 Erasmus Alberus ad Justum Jonam et caeteros verbi ministros in ecclesia Hallensi. [Magdeburg, November? 1548]: CLEMEN, Briefe, 318 [Nr. 39]. 312 Chart. A 402, fol. 02r–v. 313 Chart. A 402, fol. 03v. 314 Vgl. KÖRNER, Urteil, 553–557. 315 Vgl. WA.TR 3,454,20–455,2 [Nr. 3612]. Wenn Körner dieses auf die Predigtlehre bezogene Apophthegma auf Weller zurückführt, wäre dies thematisch zumindest nicht erstaunlich. Beweisbar ist dies aber kaum (gg. KÖRNER, Urteil, 554; KÖRNER, Alber, 42; KÖRNER, Tischreden, 134). 316 Zitiert nach KÖRNER, Urteil, 555. 317 Vgl. KOHLS, Alber, 168; KÖRNER, Alber, 47. 318 Vgl. die polemischen Schriften ALBER, Glaub sowie ALBER, Controfactur – s.a. KÖRNER, Urteil, 579; KOHLS, Alber, 169f. 319 Vgl. KÖRNER, Alber, 20–23; KOHLS, Alber, 167.169. 320 Vgl. KÖRNER, Tischreden; KÖRNER, Urteil, 553–557. 321 Im Kontext einer Schilderung, wie überzeugend Luther exegetische Anfragen beantwortete und wie – geradezu vom Heiligen Geist inspiriert – er Rat gab, findet sich die Einschätzung: „[… a]us seinem Gespreche vber Tisch / lernet man so viel / als aus 311

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Hinzu kommt, dass diese Texte Albers die einzigen sind, die in den Kodex aufgenommen worden sind, so dass sie ganz bewusst ausgewählt worden waren. Vor dem geschilderten Hintergrund käme Weller bzw. der „Wellersche Kreis“ zumindest genauso zwanglos infrage wie Hieronymus Besold, der Alber wohl ebenfalls an Luthers Tisch kennengelernt hat.322 Und insofern die Entstehung von F zeitlich zusammenfällt mit der Belagerung Magdeburgs (September 1550 bis Oktober 1551), wäre diese Aufnahme zugleich eine Positionierung aufseiten der Magdeburger Resistenz. Insgesamt ist damit angedeutet, dass nicht nur die Bekanntschaft, sondern auch inhaltlich-thematische Konvergenzen die Rezeption forciert haben dürften.323 Nach der Ausstattung des Gothaer Kodex sind des Weiteren die Nachtragsstücke kritisch auf ihre potenzielle Bezogenheit auf Weller zu prüfen. Diese sind deshalb gesondert zu analysieren, als diese nicht zwangsläufig auf den selben Urheber(kreis) zurückgehen müssen wie der Grundstock. Insofern durch die Nachtragsstücke der vorgegebene Rahmen, d.h. die Loci-Einteilung, nicht verändert wurde und fast in allen Loci Ergänzungen vorgenommen worden sind,324 liegt es jedoch nahe, den Urheber der einer Predigt / […]“ (ALBER, Carlstader, fol. L5r–v, Zitat ebd., fol. L5v. Zur Verdeutlichung wird im Anschluss ein brieflicher Bericht von Urbanus Rhegius’ Besuch bei Luther auf der Coburg wiedergegeben). 322 Haußleiter gelten die Texte Albers als Belege für eine Urheberschaft Besolds (vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 99f.). Der Nürnberger habe aufgrund seiner Bekanntschaft mit Alber, die sich auch in einer gemeinsamen Reise im Sommer 1543 niederschlug (vgl. Besold an Dietrich. Frankfurt am Main, 13. September 1543: ALBRECHT / FLEMMING, Manuscriptum, 113 [Nr. 107]), mit diesen Versen den Anfang von F schmücken lassen. Ausgeprägter erscheint jedoch die „freundschaftliche Beziehung“ Albers zu Justus Jonas: vgl. vor dem Hintergrund von F insbesondere sein Schreiben an Jonas vom Herbst 1548, in dem er den mutlosen Hallenser an seine Leichenpredigt auf Luther bzw. den Hexameter erinnert (Erasmus Alberus ad Justum Jonam et caeteros verbi ministros in ecclesia Hallensi. [Magdeburg, November? 1548]: CLEMEN, Briefe, 314– 318 [Nr. 39], hier: ebd., 317). Schon früher hat Alber Jonas mit einem Schreiben zugleich auch ein von ihm verfasstes Distichon übermittelt (vgl. Erasmus Alberus an Jonas. Wittenberg, 10. Januar 1546: BrWJJ 2,175f. [Nr. 776]), so dass die Texte von F rein hypothetisch auch über Jonas an Weller gelangt sein könnten; zur Freundschaft Jonas’ mit Alber s.a. KÖRNER, Urteil, 556. 323 Leider sind die poetischen Texte Albers nur bedingt datierbar. Einerseits können als erster terminus ante quem deren Publikation in den Zehen Dialogi benannt werden, die wohl 1552 in Lübeck fertiggestellt worden sind. Andererseits wird Luther in beiden Gedichten als noch Lebender angedeutet: Im lateinischen Gedicht heißt es „Verbum cum doceat studio fervente [Kursivierung; I.K.] Lutherus“, im deutschen „Martinus heist [Kursivierung; I.K.] ein streibar man“ (Chart. A 402, fol. 03r). Dennoch könnten beide Gedichte auch erst nach Luthers Tod entstanden sein. 324 Vgl. WA 48, 371–384. Die wenigen Loci ohne Nachtragsstücke können evtl. schlicht auf das in den Quellen Greifbare bzw. nicht Greifbare zurückgeführt werden.

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Nachtragsstücke zumindest in enger Beziehung zum Urheber des Grundstocks zu sehen, so dass die „mentale Welt“ geteilt wird. Für die Nähe könnte sprechen, dass auch für die Nachtragsstücke die Rörerbände eine entscheidende Rolle spielen. Anscheinend wurden im Prozess der Ergänzung dessen Bände ein zweites Mal ausgewertet. Naheliegend wäre es, dass dieselben Vorlagen verwendet wurden und damit zumindest eine Beziehung auf den Urheberkreis der Grundstücke vorliegt. Genauso denkbar wäre jedoch eine personelle Identität. Weniger plausibel erscheint, dass eine vollkommen neue Person bzw. Gruppe sich die Rörerbände besorgt und erneut ausgewertet hätte. Auszuschließen ist dies jedoch nicht. Neben dem Rekurs auf Rörer gehört zu den auffälligsten Propria der Nachtragsstücke, dass bei diesen nun im Unterschied zu den Grundstücken verstärkt auf den 11. und 12. Abschnitt der Krokerschen Edition und damit auf Nachschriften, die mit dem Namen Heydenreichs und bedingt Besolds verbunden sind, zurückgegriffen wurde: Von 595 Nachtragsstücken handelt es sich um immerhin 146 Stücke. An Gewicht erhalten diese Zahlen dadurch, dass im Grundstock nur vier Apophthegmata dieser Tradition aufgegriffen wurden.325 Insofern Haußleiter hierin ein starkes Indiz für eine Zuordnung an Besold sieht,326 muss diese Frage nun ausführlicher behandelt werden. Angeführt werden kann insbesondere die Konvergenz zwischen Apophthegma Nr. 5389 und einem Brief Besolds an Dietrich vom 11. April 1542. Auf diese weist neben Haußleiter auch Kroker hin, argumentiert aber zugleich deutlich zurückhaltender bezüglich des Anteils Besolds an den Apophthegmata dieser Tradition.327 Zudem besteht bei aller inhaltlicher Übereinstimmung, die die folgende Synopse offenlegt, immer noch die Möglichkeit, dass Besold und ein von ihm unterschiedener Mitschreiber wie z.B. Heydenreich, an Luthers Tisch anwesend waren: Hieronymus Besold an Veit Dietrich. Wittenberg, 11. April 1542: KAWERAU, Briefe, 46 [Nr. 96]

WA.TR 5,121,13–20 [5389]

De caesare et Ferdinando. Cum mentio fieret Ferdinandi, dicebat D⌊octor: Ferdinandus est pernicies Germaniae. Ferdinandum appellabat Calamitatem et Pestem Germaniae, et recitabat vaticinium Hoc praedixit Maximilianus pater; cum Erasmi de utroque Ferdin. et Carolo, qui esset astrologus et vidisset genesim filii, dixisse fertur: Wenn du werest in deiner dixerat, Isti duo pulli dabunt magnum tauff ersoffen, so wer dir am besten gemalum Germaniae. Item Patris Maximischehen! Voces autem paternae vere sunt liani, qui intuens Genesin Ferdinandi, Vgl. WA 48,366f. Vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 93–97 bzw. WA 48, 367. 327 Vgl. WA.TR 5, XXII–XXIV – zur Konvergenz mit Besolds Brief s. ebd., XXIIf. bzw. HAUßLEITER, Rätsel, 94–96. 325 326

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

optaverat eum suffocatum periiisse in primo lavacro. Et addebat: Profecto paternae voces sunt Propheticae.

prophetiae. Et Erasmus etiam bene iudicavit de utroque nam cum adhuc essent infantes, dixerat: Hi duo pulli magnum malum aliquando dabunt Germaniae.

Der beiden gemeinsame Fehler, Maximilian sei der Vater von Karl und Ferdinand gewesen, könnte auch schlicht auf Luther selbst zurückgehen. Analog gilt für die weiteren Indizien Haußleiters: Zwar teilt Besold im selben Brief unmittelbar vorher Dietrich mit, Luther halte das Gebet der Kirche für den einzigen Schutz der „res Germaniae“, dennoch müssen die Apophthegmata Nr. 5389 und 5392, die ebenfalls auf das Gebet bezogen und in F als Nachtragsstücke aufgenommen worden sind, nicht zwangsläufig auf den Nürnberger zurückzuführen sein.328 Eine weitere Anfrage resultiert aus dem vergleichenden Blick auf H / H 74. Für F gilt, dass der Heydenreich (und Besold) zugeschriebene 11. Abschnitt der Krokerschen Edition – abgesehen von zwei Ausnahmen –329 nur in Gestalt von Nachtragsstücken Aufnahme in F gefunden hat. Dies legt Haußleiters Deutung nahe. Jedoch sind einzelne Apophthegmata dieses Abschnittes zum Sondergut der Hamburger Doppelhandschrift zu rechnen. Letzteres mag hinreichend mit Haußleiters Verweis auf Heydenreich bezüglich H / H 74 begründet werden. Dass aber der 12. Abschnitt, der Besold allein zugeschrieben wird, überwiegend nur im zweiten Hamburger Band H 74 greifbar ist,330 lässt sich auf Grundlage der Hypothese Haußleiters, der Nürnberger sei der Sammler von F bzw. der Nachtragsstücke, kaum nachvollziehen. Aufgrund der für den Grundstock plausibilisierten Bezogenheit der Tradition auf Freiberg und zumal vor dem Hintergrund der Anfragen an die Zuordnung der Apophthegmata des 11. und 12. Abschnittes an Besold erscheint es naheliegender, die Verbindung von F zu diesen Abschnitten nicht über den Nürnberger Besold, sondern über den von 1443– 1553 als Hofprediger in Freiberg wirkenden Heydenreich herzustellen. Wie die Münchner Handschriften Clm. 937 bzw. Clm. 939 zeigen, war Vgl. Hieronymus Besold an Veit Dietrich. Wittenberg, 11. April 1542: KAWEBriefe, 46 [Nr. 96] bzw. HAUßLEITER, Rätsel, 96f. Im Rahmen dieser Arbeit muss nicht überprüft werden, inwiefern Hausleiters These, der Anteil Besolds am 11. Abschnitt sei größer als Kroker vermutet, berechtigt ist. Bei einer vertieften Analyse dieses Problems wäre jedoch dem Hinweis Krokers Rechnung zu tragen, dass in den Apophthegmata von 1542/1543 „mehrfach Dialektizismen begegnen, die für Sachsen charakteristisch sind“, was – trotz des mehrjährigen Aufenthalts in Wittenberg – wohl eher gegen den Nürnberger Besold spricht (vgl. WA.TR 5, XXIV). 329 Es handelt sich um das in sieben Stücke zerlegte Apophthegma Nr. 5428, in dem u.a. die Wurzener Fehde thematisiert wird, und Nr. 5490a, der Wiedergabe des Epitaphs von Luthers Tochter Magdalena. 330 Vgl. WA 48, 631,20–634,8. 328

RAU,

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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diese Tradition im „Wellerschen Kreis“ präsent,331 so dass Heydenreich nicht zwangsläufig selbst unmittelbar am Entstehungsprozess beteiligt sein musste bzw. eine Auswertung seiner Apophthegmata-Sammlung für die Loci des Kodex durch Personen aus dem Umfeld von Weller gut denkbar wäre. Unabhängig von der Frage nach dem Anteil Heydenreichs an der Genese, legen diese Überlegungen es nahe, den Ursprung von F als Ganzes in Freiberg zu suchen und zumindest von einer losen Bezogenheit auf den Wellerschen Kreis auszugehen. Vor dem Hintergrund der vorangehenden Ausführungen zur Ausstattung und den Nachtragsstücken, die eine Rückbindung des Kodex an Freiberg bzw. den Wellerschen Kreis wahrscheinlicher erscheinen lassen als an Besold (und Dietrich), ist nun erneut das auf dem Buchdeckel aufgedruckte „M.B.“ in den Blick zu nehmen und zwar ganz grundsätzlich. Insofern F innerhalb der Apophthegmata-Überlieferung aufgrund der Gestaltung und Ausschmückung geradezu eine „Prachthandschrift“ darstellt, legt sich die Vermutung einer Auftragsarbeit nahe. Dabei muss der Auftraggeber nicht zwangsläufig der spätere Besitzer sein, auch der Urheber könnte seine Sammlung als Geschenk zum ausgeschmückten Kodex umarbeiten haben lassen. Die Initialen wären in beiden Fällen auf den Besitzer zu beziehen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen könnte auch Besold diesen „Prachtband“ als Geschenk erhalten haben, ohne selbst an der Genese beteiligt gewesen zu sein.332 Wahrscheinlicher ist aber eine Person, die deutlicher mit dem „Wellerschen Kreis“ und dessen „mentaler Welt“ verbunden ist. Diese muss nicht zwangsläufig ein Theologe gewesen sein, der „Nutzwert“ der Sammlung wäre für einen kirchlichen Amtsträger jedoch größer. Unabhängig davon, ob es sich um einen Theologen oder Nichttheologen handelt, bezieht sich das „M.B.“ wohl auf einen Zeitgenossen Wellers, da dem Deckel zugleich das Bindejahr 1551 eingeprägt wurde, das von der Datierung des Hinteren Spiegels bestätigt wird, so dass man schwerlich von einer späteren Ergänzung ausgehen kann. Nochmals erweitert wird der Kreis der infrage kommenden Personen, wenn man mit Haußleiter davon ausgeht, dass das „M.“ untypisch als „M⌊agister“ aufzulösen ist. In den Blick gerieten aus dem Umfeld Wellers sein ehemaliger Freiberger Kollege und Freund „Bernhard von Dölen“.333 Denkbar wäre auch Basilius Faber Soranus, der Ende der 1540er / Anfang der 1550er Jahre Rektor der Nordhausener Schule war und nicht nur mit Jonas, sonZu diesen Handschriften s. S. 117f. Insofern Wellers Bruder Alexander Bürger von Nürnberg war, hätte über diesen ein solches Geschenk an den Nürnberger Pfarrer erfolgen können. Positive Hinweise fehlen jedoch gänzlich. 333 Zu diesem s. WA.B 6, 685 Anm. 1; WA.TR 3, 419 Anm. 7 sowie GRÜNBERG, Pfarrerbuch, 192. 331 332

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

dern auch mit Weller verbunden war, dessen Epheser-Kommentar er übersetzt hat und der mit Weller in gewisser Weise das Aufgabengebiet teilte.334 In der Korrespondenz zwischen Jonas und Weller findet sich zudem der Hinweis auf einen Anstellung suchenden „m. Georgium Beslerum“, den Jonas im Jahr 1550 auf seiner Reise von Halle nach Coburg nach Freiberg bringen wollte.335 In Freiberg selbst ist im Personenregister zur Bürgermatrikel 1486–1605 sowohl für das Jahr 1536 als auch für 1568 ein Michael Blum(e) verzeichnet.336 Auch dieser käme als Person hinter dem „M.B.“ infrage. Leider lässt sich auf Grundlage der vorhandenen Indizien kaum eine Entscheidung treffen, dennoch zeigen die genannten Personen, denen weitere hinzugefügt werden könnten, dass das „M.B.“ auch vor dem Hintergrund einer Rückbindung des Kodex an Freiberg bzw. Weller eine sinnvolle Auflösung finden würde. Denkbar wäre zudem, das „M.B.“ gänzlich gattungsuntypisch aufzulösen, d.h. nicht als Initialen, sondern als Abkürzung zu deuten. Dann stünde „M.B.“ zeitgenössisch für „memoriae

334 Vgl. Jonas an Andreas Poach. Halle, 29. Dezember 1548: BrWJJ 2,272 [Nr. 894]: „Saluta amicissimum d. mgr. Basilium ludi literarii rectorem, rectorem eius universitatis piae […].“ Noch kurz vor seinem Tod hat Jonas ihm seine lateinische Übersetzung von Luthers „Von den Konziliis und Kirchen. 1539“ zugesandt, mit der Bitte, diese zu überarbeiten und dann zu publizieren, wie man der Vorrede vom 1. Oktober 1556 entnehmen kann – auszugsweise zitiert in BrWJJ 2, 342f. Anm. 1. Für diesen Hinweis danke ich Gundula Meinert sehr herzlich. Zu Wellers Bezug auf den Nordhausener s. LEDL, Lernen, 23 Anm. 62. S. auch Fabers Inanspruchnahme Wellers – gemeinsam mit Dietrich – als Vorbild einer richtigen Orientierung an Luther (vgl. WELLER, Schrifften, II, 289b sowie ebd., 1213f., 1213b: „Es ist auch ohndeß D. Weller ein geistreicher und geuebter Theologus und alter Schueler D. Martini Lutheri […].“ Zu Basilius Faber s. KOCH, Nordhausen, 130–132. 335 Vgl. Jonas an Hieronymus Weller. Halle, 17. Juni 1550: BrWJJ 2, 301 [Nr. 915]. Im Sächsischen Pfarrerbuch findet sich kein Hinweis auf ihn. In der fränkischen Residenz ist Jonas ab September 1550 greifbar und bleibt dort bis zu seinem Wechsel nach Regensburg November / Dezember 1552 (vgl. AXMANN, Jonas, 208 bzw. Matthias Wanckel an Matthias Flacius Illyricus, 5. September 1550: BrWJJ 2, 383 [Nr. 919a]). Dieser später von Jonas selbst rückblickend als „Torheit“ bezeichnete Wechsel an den Hof Johann Ernsts (vgl. Jonas an Melanchthon. Coburg, 30. Januar 1552: Bds., 328 [Nr. 363] = MBW 6,257 [Nr. 6320]: „De deliriis quibusdam et erratis meis vere deliris, quod te inconsulto et DD. Georgio Principe Ascanio huc ad tempus discessi e salinis, coram loquar)“ war wohl nicht ganz so unüberlegt, wie dieser Rückblick andeutet, ermöglichte er Jonas doch zum einen, den Ernestinern treu zu bleiben, zugleich teilte der neue Dienstherr die Ablehnung des Interim (s. AXMANN, Coburg, 305f.; AXMANN, Jonas, 205–212; zur Coburger Residenz s. HAMBRECHT, Alltag; AXMANN, Herzog Johann Ernst). 336 Für diesen Hinweis sei der Sachbearbeiterin des Freiberger Stadtarchivs, Juliane Breitschneider, herzlich gedankt.

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bonae“ bzw. „memoriae beatae“.337 Der Urheber bzw. Auftraggeber würde sich auf diese Weise ganz dem Anliegen der Luthermemoria unterordnen. Im Hintergrund könnten Gedanken stehen, wie sie Melanchthon exemplarisch in seiner Oratio in funere formuliert hat: „Talem uirum summa ui ingenij preditum, instructum doctrina, longo usu exercitatum, multis excellentibus et heroicis uirtutibus ornatum, ac a Deo ad Ecclesiae instaurationem delectum, denique complexum nos omnes paterno animo, ex hac nostra consuetudine euocatum esse, nostra causa merito dolemus. Sumus enim similimi orphanis praestanti et fideli patre orbati. Sed quia Deo obtemperare necesse est, memoriam tamen uirtutum et beneficiorum ipsius apud nos interire non sinamus.“338

Insofern es an Parallelen fehlt, ist diese Lösung – trotz der Konvergenz mit dem memorialen Schwerpunkt des Kodex – nur schwerlich plausibilisierbar. Deshalb muss insgesamt auf Grundlage der vorhandenen Indizien und Hinweise auf eine über die Zuschreibung an „Weller“ bzw. den auf ihn bezogenen Kreis hinausgehende Identifikation des „M.B.“ verzichtet werden. 1.2.5.

Diskussion von potenziellen Gegenargumenten

Im Hintergrund von Haußleiters Zuordnung von F an Besold (und Dietrich) steht in besonderer Weise die Beobachtung, dass zwischen Aurifabers Tischredenausgabe und dem Gothaer Kodex eine hohe Konvergenz – gerade bezüglich des vorgeblichen Aurifaberschen „Sondergutes“ – vorherrscht.339 Insofern Aurifaber beide Nürnberger in seinem Vorwort als Quellen nennt, fände diese Zuordnung hierin eine hinreichende Begründung.340 Dennoch haben die vorangehenden Analysen gezeigt, dass die Miteinbeziehung des Hamburger Doppelbandes in die Überlegungen zur Urheberschaft eine alternative Deutung näher legen. Für eine solche alternative Lösung sprechen auch Überlieferungen Aurifabers, in denen Besold bzw. Besolds und Dietrichs „Collectanea“ erwähnt werden, die von

Diese mittelalterliche Abkürzung war auch noch im 16. Jahrhundert gebräuchlich (vgl. CAPPELLI, Lexicon, 560 bzw. LENZ / BREDEHORN / WINIARCZYK, Abkürzungen, 123f.). 338 MELANCHTHON, Oratio in funere, 217; s.a. ebd., 214 sowie das Ende der langen Ergänzung von Camerarius: ebd., 218. 339 Zur Bedeutung von F für Aurifaber s. WA 48, 367f. bzw. HAUßLEITER, Rätsel, 9–19; HAUßLEITER, Lutherana, 389–391. Ein textkritischer Vergleich ist jedoch nach wie vor ein Forschungsdesiderat, wie Gehrt zu Recht anmahnt (s. GEHRT, Gotha, 205). Dabei wäre auch die Rolle von H / H 74 bzw. der F wie den Hamburger Bänden gemeinsamen Grundlage zu klären. Einen ersten Eindruck vermittelt der „Index Locorum“, in dem die entsprechenden Apophthegmata mit einem „*“ markiert sind (WA 48, 371–381; s.a. besonders 641–683). 340 Vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 19f.84f. bzw. TR, fol. )( 4r–v – Zitat: s. S. 425f. 337

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Haußleiter als flankierende Argumente herangezogen werden.341 Diesbezüglich gerät z.B. Aurifabers Zusammenstellung von Aussagen Luthers über den Moloch in den Blick, für die er (den damals bereits verstorbenen) Besold namentlich als Gewährsmann anführt. Insofern sich eine ähnliche Überlieferung in F findet, greift Haußleiter diese Spur auf und sieht darin einen Beleg für die Zuschreibung an Besold.342 Der folgende synoptische Vergleich lässt hieran jedoch zumindest Zweifel aufkommen: Aurifaber (zitiert nach F (zitiert nach WA 48,645,37–646,5 [Nr. 6586 WA.TR 6,58,19–34) extr.])

Genesisvorlesung: Auslegung zu Gen 42,38 (WA 44,522,3–16)

Von dem Abgott Moloch redete Anno 1540 D. Luther (wie es M. Hieronymus Besold seliger fleißig hat aufgeschrieben), ,Traducere per ignemʻ heist wie Achas thet, der ein gnedigen Gott wolt haben, es were Gott lieb oder leid, opfferte seine kinder. Lira schreibt, das sie haben ein bild gegoßen vnd das vol kolen gethan vnd die kolen angezundet. Wan⌊n nhu das bild gar ist erhitzet gewest vnd gluend, haben sie das kind dem Molach jn die arm gelegt vnd also laßen braten. O das war ein heiliger Gottesdinst!

daß die h. Schrift des Molochs oft gedächte und daß Lyra und der Jüden Commentarii sagten, daß es wäre ein Abgott gewesen aus Kupfer und Messing gemacht wie ein Mensch, das die Hände hätte fur sich gehalten, darein hätte man glühende Kohlen gethan. Wenn nu das messinge Bilde gar heiß wär worden, so sei ein Vater hinzu gangen, hab dem Abgott geopfert und sein eigen Kind genommen, es in die glühende Hände des Abgotts gelegt; da ist denn das Kind also zuschmolzen.

Narrant etiam Lyra et alii fuisse in templo ibi condito idolum Moloch, quod colebant tanquam Deum, aut regem suum, sive iudicem severum, qui placandus esset filiis et filiabus oblatis, sicut Achas obtulit aut traduxit per ignem omnes filios suos, ne haerede quidem regni relicto. Fuit autem Idolum aeneum et concavum, factum ad imaginem humanam, ac retro repletum igni, donec totum incalesceret, ac veluti arderet. In eius manus ponebatur puer idolo consecratus,

341 Zu Haußleiters Rekurs auf diese Sammlungen s. HAUßLEITER, Rätsel, 103–105; WA 48, 665,13–18. 342 HAUßLEITER, Rätsel, 87f.

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten Damit aber die eltern vagitum puerorum nicht mochten horen, ut flecterentur ad misericordiam, hatte man zimbeln, damit richten sie einen klangk an, ne posset exaudiri. Das hieß den⌊n dem Molach geopffert.

Jn deß haben sie mit Glocken und Zimbeln geklängelt und geläutet und mit Hörnern geblasen, daß die Aeltern des Kindes Geschrei nicht höreten. Dawider schrien nu alle Propheten, sonderlich Jeremias.

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et Sacerdotes crepitacula, tintinabula et tympana pulsabant, ne parentes pueri morientis clamorem exaudirent et addebant acclamationes, quibus parentibus gratulabantur et gratias agebant, quod Deus suscepisset puerum, sine dolore et cruciatu. Horrendam vero et immanem crudelitatem,

Und schreiben die Propheten, daß Ahab hab seinen Sohn also geopfert. Jm 106. Psalm steht auch davon. Dieses ist Alles aus der Meinung geschehen und herkommen, daß sie gedacht haben: Ei, soll ich unserm Herrn Gott opfern, so will ich ihm etwas Köstlichs opfern, was soll ich ihm ein Kalb opfern? Jch will ihm meinen eigen Sohn opfern!

Et tamen certa res est fuisse eis haec sacrificia usitatissima, sicut testatur Psalmus 106: ‚Et immolaverunt filios suos et filias suas Daemoniis. Et effuderunt sanguinem innocentem, sanguinem filiorum suorum et filiarum suarum, quas sacrificaverunt sculptilibus Chanaanʻ.

Die Synopse macht zum einen deutlich, dass sich über die thematische Konvergenz hinaus wohl eher keine direkten Abhängigkeiten zwischen F und Aurifabers Text feststellen lassen.343 Deshalb verweist Haußleiter auch auf Ausführungen im vierten, von Besold edierten Band der Genesisvorlesung, die Aurifaber mit dem Apophthegma von F verbunden hätte. Folgt man diesem Hinweis, ist zum anderen zu fragen, ob Aurifaber nicht, wie auch an anderen Stellen, schlicht den Druck der Genesisvorlesung übersetzt und „kritiklos in seine Tischredensammlung ein[ge]reiht [hat]“344.

Will man den Verweis auf Besold ernst nehmen, bezöge der sich also entweder auf dessen Edition der Genesisvorlesung oder auf ein nicht in F greifbares – vom Nürnberger also anderswo überliefertes – Apophthegma, 343 Gegenüber dieser großen inhaltlichen Diskrepanz fällt die Tatsache, dass Besold 1540 noch kein Tischgenosse Luthers war, wenig ins Gewicht, zumal diese leicht mit Aurifabers Tendenz zu falschen zeitlichen Angaben erklärt werden könnte. 344 MEINHOLD, Genesisvorlesung, 222. Dort Belege für dieses Vorgehen Aurifabers.

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das jedoch eng an die Genesisvorlesung angelehnt wäre. In keinem der beiden Fälle kann der Verweis Aurifabers als Beleg für einen Konnex zwischen der Gothaer Handschrift und Besold gelten.345 Insofern läge die Beweislast primär bei den weiteren Zeugnissen, d.h. die Hinweise auf Besolds und Dietrichs „Collectanea“. Hier handelt es sich zum einen um ein Nachtragsstück zum Kapitel über den Teufel in Aurifabers Tischredenausgabe von 1566, das überschrieben ist mit „Von Poltergeistern, aus M. Hieronymi Besoldi Collectaneis“ und selbst wiederum eine kleine Sammlung von Stücken darstellt, die den Teufel thematisieren.346 Keine dieser kleineren Überlieferungseinheiten findet sich in F. Deshalb sind sie mit Haußleiter vom Gothaer Kodex zu unterscheiden.347 Von hier drängt sich jedoch die kritische Anfrage auf, warum Besold als Urheber von F bzw. der Nachtragsstücke diese „Teufels-Stücke“ nicht in die entsprechende Rubrik von F, d.h. „De Sathana Et Eivs Illvsionibvs“ (Nr. 58), 345 Haußleiter folgert zudem eher beiläufig vom Zusatz „Lutherus recitavit pro contione 1543“ (Chart. A 402, fol. 327b) beim „skandalträchtigen“ Erfurter Ehefall, dass der Urheber von F ein Hörer der Genesisvorlesung war. Dieser Schluss ist ebenfalls nicht zwingend. Zum einen wurde dieser Fall nicht nur von Luther, sondern auch von Melanchthon mehrfach zitiert (vgl. WA 48, 363; WA.TR 3,501,4–11 [Nr. 3665A] mit Anm. 11 bzw. MEINHOLD, Genesisvorlesung, 90), war also in Wittenberg vielfältig präsent. Zudem wäre zu fragen, ob es dann nicht eher „in lectione“ heißen müsste. Alternativ müsste man mit einer bewussten Fiktion oder einem Irrtum rechnen – analog zu einem Beispiel bei Aurifaber, der ebenfalls einen Abschnitt aus der Genesisvorlesung mit „Doctor Luther sagete ein Mal in einer Predigt, daß …“ einleitete (vgl. WA 48, 676f. bzw. WA.TR 6, 283,12–284,17 [Nr. 6941] sowie WA 42, 178,1–22.101,13–23). In der Genesisvorlesung fand diese Geschichte Eingang in den dritten Teil, der von Besold im Jahr 1552 herausgegeben worden ist, geht aber wohl auf einen Brief Melanchthons an A. Diepolt vom 15. Mai 1544 zurück (vgl. WA 44, 222,4–223,13 bzw. MEINHOLD, Genesisvorlesung, 226–235; von Meinhold werden auch weitere Überlieferungen des Stückes in ihrem Verhältnis zueinander untersucht). Die Fassung von F, die Teil der Grundstücke ist, stimmt jedoch nicht mit der Genesisvorlesung, sondern mit der Fassung der Apophthegmata-Überlieferung, die von Kroker – zumindest bezüglich einzelner Stücke – mit Veit Dietrich oder – was wahrscheinlicher sei – Weller in Verbindung gebracht wird, überein und ist damit wohl noch den 1530er Jahren zuzurechnen (vgl. WA.TR 3, 501,4–11 [Nr. 3665 A]; zur Zuordnung s. ebd., XXVI). Auch Haußleiter verzichtet in seiner Wiedergabe der Stücke aus Luthers Genesisvorlesung in der Greifswalder Handschrift in WA 48 auf einen Rekurs auf F (ebd., 358– 363). Die von Dietrich in seinem eigenen Apophthegmata-Band überlieferte Version der Geschichte (WA.TR 1, 82,10–19 [Nr. 183]), wird hingegen gerade nicht übernommen. Somit wäre der Zusatz nicht als Ursprungsaussage, sondern wohl als Verweis zu verstehen, dass Luther dieselbe Geschichte auch 1543 „pro contione“ vorgetragen hat. Hinzu kommt, dass dieses Grundstück dem Locus über Ehefälle einverleibt ist und damit einem der weiteren Schwerpunkte des Kodex (s. II 1.1.3). Ein verstärktes Interesse Besolds an dieser Thematik ist nicht nachzuweisen. 346 WA.TR 6, 217,9–218,9 [Nr. 6830]. 347 Vgl. HAUßLEITER, Rätsel, 104.

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aufgenommen haben sollte, zumal diese neben 26 Grundstücken auch 14 Nachtragsstücke enthält, also nicht unbeträchtlich ergänzt worden war. Ähnliches gilt für das zweite Stück, das von Aurifaber auf Besold zurückgeführt wird, aber keinen Anhalt in F hat.348 Bei Aurifaber ist es der Rubrik „Vom Antichrist oder Bapste“ zugeordnet und ist dort wiederum eingeordnet in eine Unterabteilung, überschrieben mit „Ob der Bapst vber ein Concilium sey“.349 Entsprechende Sachabteilungen bietet auch F, z.B. „De conciliis“ (Nr. 33), „De papatu“ (Nr. 38) oder „De Svmmis Pontificibus“ (Nr. 39). Hätte Besold, wäre er der Urheber von F – bzw. der Nachtragsstücke –, dieses Stück nicht an geeigneter Stelle integriert? Beiden genannten Stücken ist des Weiteren gemein, dass unmittelbar ein Bezug auf Dietrich folgt. Dies nimmt Haußleiter zum Anlass, eine enge Verbindung zwischen den Sammlungen beider zu postulieren.350 Insofern die Stücke aber ebenfalls keinen Eingang in F gefunden haben, kann hierin kein Indiz für die modifizierte Zuordnungsthese Haußleiters gesehen werden. Beim ersten Beispiel folgt als zweites Nachtragsstück zu Aurifabers Kapitel über den Teufel ein mit „Von des Teufels Gespenst und Betrug, aus M. Veit Dieterichs geschriebenen Collectaneis“ überschriebenes Stück.351 Auch dieses umfasst mehrere Apophthegmata, für die es in der Dietrichschen Überlieferung keine Parallelen gibt. Insofern Haußleiter von dieser Überschrift auch die folgenden Nachtragsstücke umfasst sieht, mutmaßt er, ob „Dietrich außer den chronologisch geordneten Heften auch solche mit Sachordnung, also etwa ein besonderes Heft mit Teufelsgeschichten [hatte].“352 Für einige wenige dieser weiteren Nachtragsstücke gäbe es dann – wie in WA.TR 6 verzeichnet, tatsächlich Parallelen bei Dietrich. Sollte es ein solches Heft gegeben haben, dann stellte es jedoch ein schwerwiegendes Argument gegen die These dar, Dietrich zeichne verantwortlich für die Rubriken und die Grundstücke. Es wäre kaum erklärbar, warum dieses Heft nicht vollständig in die entsprechende Rubrik von F aufgenommen worden ist. Beim zweiten Beispiel folgt unmittelbar ein Stück zur selben Thematik, das Dietrich zugewiesen wird und auf Apophthegma Nr. 645353 beruht, aber ebenfalls nicht in F aufgenommen worden ist. Im Unterschied zum Besoldschen Stück ist das Dietrichsche auch handschriftlich bezeugt: Neben Rörer Schriften treten Bav., Oben. und Math. L. als Zeugen. Die (Mit)Urheberschaft Dietrichs 348 WA.TR 1, 303,18–29 (Zitat: 303,28f.): „Solches hat Doctor Martinus Luther einmal zu M. Hieronymus Besolde von Nürmberg gesaget.“ 349 TR, fol. 362v. 350 HAUSLEITER, Rätsel, 105. 351 WA.TR 6,218,10–219,23 [Nr. 6831]. 352 HAUßLEITER, Rätsel, 104. 353 Vgl. WA.TR 1, 303,5–8 [Nr. 645] bzw. TR, fol. 262v: „Doctor Martinus hat auch auff eine andere Zeit zu dem Herrn M. Veit Dieterich gesaget […].“

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

muss aber auch noch viel grundlegender hinterfragt werden. Veit Dietrich hatte Luthers Haus etwa Mitte Oktober 1534 aufgrund eines nicht lösbaren Konfliktes mit Katharina von Bora verlassen und übernahm Ende des Jahres 1535 die Pfarrstelle der Nürnberger St. Sebalduskirche.354 Dass Dietrich noch lange nach seiner Abreise aus Wittenberg ein großes Interesse an neuen Apophthegmata hatte, zeigt ein Schreiben Besolds vom 5. April 1544. Dieses bezeugt aber zugleich eher, dass Dietrich vom direkten Überlieferungsfluss ausgeschlossen war, als dass dieser über Besold seine bisherigen Sammlungen hätte ergänzen können und spricht auch nicht für ein allzu großes Interesse des Jüngeren an der Mitwirkung an einer solchen. Der junge Nürnberger bedauerte in diesem Schreiben, dass er Dietrichs Wunsch nur bedingt nachkommen konnte. Zur Begründung zeichnete er u.a. ein wenig schmeichelhaftes Bild Luthers. Diesem habe es an der früheren Ausgelassenheit (alacritas) gebrochen, weshalb es wenig Grund zum Mitschreiben gegeben habe. Bedeutsames sei Dietrich zweifelsohne von Melanchthon berichtet worden: „Doleo autem ex animo non posse tibi a me satisfieri hoc levi literarum officio, quod te imprimis a me requirerer scio, et mihi quidem nihil iucundius est, quam ut quoquomodo gratitudinem meam et observantiam tibi declararem. Sed saepe argumentum scribendi deest, aut, siquid est avxio,logon, a D. Philippo ad te perscribi non dubito. Neque ea est alacritas D. Lutheri, quae quondam fuit, ut ex eius sermonibus materiam colligere semper queam. Quare peto, ut hanc veniam mihi des et has etiam mihi boni consulas.“355

Zweifelsohne war Dietrich so gut vernetzt, dass er sich die zur Sammlung von F notwendigen Quellen auf anderen Wegen in Abschriften besorgen hätte können. Jedoch ist nur schwerlich zu erklären, warum nicht Dietrichs eigene Apophthegmata-Tradition, sondern die Sammlung Rörers eine zentrale Quelle von F darstellt. Zur Stützung von Haußleiters Gegenargument, dass „der umfassende Reichtum der Rörerschen Sammlung auch Dietrich an[zog]“356, könnte man anführen, dass Veit Dietrich – zumal nach der Kritik an seinen Editionen von Lutherschriften – auch sonst auf andere Mitschriften, insbesondere die Rörerschen Hefte, zurückgegriffen hat.357 Insofern wäre es denkbar, dass er diese durch ein „Mittelglied (eine Abschrift) hindurch“358 verwertet hätte. Sicher greifbar ist jedoch nur Dietrichs eigene Apophthegmata-Handschrift Mss. cent. V. Zu Dietrichs Abschied aus Wittenberg s. KLAUS, Dietrich, 125–130. Besold an Dietrich, 5. April 1544: ALBRECHT / FLEMMING, Manuscriptum, 161f. [Nr. 111]; hier: 160. 356 WA 48, 366. 357 Darauf verweisen z.B. SCHLICHT, Psalm 90, 41; s.a. FREITAG, Überlieferung; KLAUS, Dietrich, 209.339.342.345. 358 WA 48, 366. 354 355

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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append. Nr. 75.359 Gerade da der Kodex nur handschriftlich überliefert ist und wohl kaum für eine breitere Öffentlichkeit gedacht war, bestand eigentlich keine von außen herangetragene „Notwendigkeit“ die eigene Sammlung zu übergehen bzw., da insbesondere Ms. Bos. q. 24c in weiten Teilen auf die Überlieferung von Veit Dietrich rekurriert, die Abschrift einer Abschrift der eigenen Apophthegmata zu verwenden. Nicht unproblematisch ist zudem die Frage, wann Veit Dietrich sich dieser aufwendigen Aufgabe gewidmet haben könnte.360 Er starb am 25. März 1549 nach langer Krankheit. In seinen letzten Lebensjahren war er nur bedingt arbeitsfähig. Ab 1545 war er dauerhaft an Gicht erkrankt, zum Teil konnte er – wie seinen Briefen entnehmbar ist – vor Schmerzen kaum noch stehen oder nicht einmal einen Stift halten. Deshalb musste er auch seine Teilnahme am Regensburger Religionsgespräch 1546 zunächst verschieben. Gerade 1548 und damit das Jahr, in dem nach Haußleiter die Sammlung der Grundstücke abgeschlossen worden sei,361 war gesundheitlich kein gutes Jahr, die – zunächst widerwillig – angenommene Edition der Genesisvorlesung Luthers konnte er nicht vorantreiben,362 z.T. war Dietrich nicht einmal mehr in der Lage zu diktieren.363 Von hier stellt sich die Frage, wie er die aufwendige Sichtung der Apophthegmata-Traditionen und ihre Zuweisung zu den Sachabteilungen hätte leisten sollen.364 Das Gros 359 Zu dieser Handschrift s. WA.DB 10/II, 307–309, wodurch MEINHOLD, Lutherana verbessert wird; s.a. WA.TR 1, XXIII.XXVII–XXXII; KLAUS, Dietrich, 13f.94–96 sowie SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 171. 360 Vgl. zur folgenden biograpischen Kontextualisierung KLAUS, Dietrich, 234– 248.297–299. 361 Haußleiter folgert dies implizit aufgrund des jüngsten Stückes des Grundstocks, des Antwortschreibens an Andreas Hügel vom 12. Januar 1548 (vgl. WA 48, 365; zum Schreiben selbst s. S. 87f. bzw. Chart. A 402, fol. 239r–v; CR 6, 779f [Nr. 4122]). Offen bleibt die Frage, wie es Eingang in F gefunden hat. Man könnte darauf verweisen, dass Hügels Brief von Melanchthon Bugenhagen und „caeterae collegae“ vorgelegt worden ist (Chart. A 402, fol. 239r bzw. CR 6, 779), die dann evtl. auch die Antwort erhielten. Aufgrund der letztlich geringen Bedeutung der Anfrage erscheint es jedoch eher unwahrscheinlich, dass Melanchthon mit den „weiteren Kollegen“ auch NichtWittenberger wie Veit Dietrich gemeint haben könnte. Insofern über nähere Kontakte zwischen Hügel und Dietrich nichts bekannt ist, ist es eher unwahrscheinlich, dass der Antwortbrief über Hügel selbst an Dietrich weitergeleitet worden ist. 362 Veit Dietrich an Justus Jonas. [Nürnberg,] 24. Juli 1548: CLEMEN, Briefe, 314 [Nr. 38]: „Hortaris me, ut Genesin absolvam, sed si voluntati responderet facultas, nihil facerem libentius, sed manus paralisi viciatae et assidui articulorum dolores, deinde vetus tuus calculus quam mihi spem faciunt reliquam?“ 363 Veit Dietrich an Justus Jonas. Nürnberg, 21. Dez. 1548: CLEMEN, Briefe, 318 [Nr. 40]: „Valetudo mea valde est afflicta itaque plura dictare nunc non possum.“ 364 Zwar war Dietrich ab 17. Juni 1547 vom Dienst als Prediger suspendiert worden, dennoch bleibt die Belastung mit anderen „wichtigeren“ Aufgaben. Schwer plausibilisierbar ist, dass Dietrich, wenn die Krankheit ihm das Arbeiten erlaubt hat, die Edition

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

dieser Arbeit wäre wohl von einer Dietrich helfend zur Seite tretenden, theologisch nicht minder gebildeten Person zu leisten gewesen. Dann wäre der Beitrag Dietrichs zur Sammlung aber – zumal auch nicht seine Quellen verwendet worden sind – als nur marginal einzustufen.365 Zudem wäre dann immer noch die Frage der irrigen Angaben zu Nürnberg zu klären. Nimmt man abschließend die vor den Ausführungen zu Dietrich aufgezeigten Diskrepanzen zwischen den „Collectanea“ Besolds und dem Gothaer Kodex ernst, erhält auch die eingangs festgestellte Differenz zwischen F und den von Aurifaber mit Besold in Verbindung gebrachten Ausführungen zum Moloch noch einmal einen ganz anderen Akzent. Auch diese verweisen wohl eher auf eine andere von Besold verantwortete Sammlung als auf F und vice versa nicht auf Besold als Urheber von F.366 Zumal vor dem Hintergrund der plausibilisierten Rückbindung der Tradition an Weller, legt sich von diesen Bezugnahmen Aurifabers insgesamt der Schluss nahe, dass Aurifaber neben F ebenso Besolds „Collectanea“ herangezogen hat. Deshalb nannte er im Vorwort Besold als eine Quelle unter anderen. Ein Bezug auf F ist dafür nicht notwendig. Insofern wären die Worte Besolds aus der Vorrede zum vierten Band der Genesisvorlesung, mit denen er die Erinnerung an das von Luther öffentlich und „privat“ Geäußerte als seinen höchsten Trost bezeichnet, primär als „Motto“

der Genesisvorlesung, die ihm als für die ganze Kirche bedeutende Aufgabe angetragen wurde, hinten angestellt und sich statt dessen der privaten Apophthegmata-Sammlung gewidmet hätte, zumal er im Schreiben vom 19. Februar 1547 Rörer bat, Gott für seine Gesundheit und die Edition der Genesisvorlesung zu beten (s. Veit Dietrich an Georg Rörer. Nürnberg, 19. Februar 1547: FLEMMING, Briefwechsel, 27–29 [Nr. 1], 29: „Ora pro valetudine mea Deum et cogita te simul orare pro Genesi“; s. in diesem Zusammenhang auch das Schreiben Justus Menius an Georg Rörer, 12. März 1547: FLEMMING, Briefwechsel, 29f. [Nr. 2]). 365 Der naheliegende Schluss, diese Person wäre mit Hieronymus Besold zu identifizieren, steht quer zur eingangs zitierten negativen Äußerung Besolds bezüglich Luthers Tischgespräche. Vor diesem Hintergrund und dem Fehlen positiver Gegenaussagen wird man eher nicht davon auszugehen haben, dass Besold Dietrich von Wittenberg aus bei der Erstellung des Grundstocks behilflich war. 366 Nicht berücksichtigt werden muss hier die nur in der Münchener Handschrift Clm. 943 überlieferte scharfe Äußerung Luthers gegen Bucer. Besold tritt hier als Gesprächspartner Luthers auf. Insofern ist die Kategorisierung „De Besolto Nurmbergensi“ eher irreführend (WA.TR 5, 333,15–25, 15 [Nr. 7730]). Als Hinweis auf die Quelle dieses Sondergutes von Clm. 943 ist diese kaum zu werten. Dass dieses Gespräch thematisch auch in einem Brief Besolds an Dietrich greifbar ist (vgl. WA.TR 5, 333 Anm. 13 bzw. Besold an Dietrich. Wittenberg, 8. August 1544: ALBRECHT / FLEMMING, Manuscriptum, 163–165 [Nr. 112]), spricht für die Authentizität, begründet aber auch keine Herkunft.

1. Die Kodizes F und H / H 74 als Repräsentanten

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der „Collectanea“ und nur ganz allgemein als lebensweltlicher Horizont von F zu sehen.367 1.2.6.

Konsequenzen

Bereits Haußleiter hat zu Recht darauf verwiesen, dass die in H / H 74 greifbare Tradition in besonderer Weise mit Freiberg bzw. Weller verbunden ist. Die vorangegangenen Analysen haben darüber hinaus deutlich gemacht, dass dies für die Tradition als Ganze plausibel erscheint, d.h. für die Erstellung des nach Loci geordneten Grundstocks wie für den Kodex F mit seiner Ausstattung und den Nachtragsstücken. In Konsequenz wird die Haußleitersche Urheber-Hypothese revidiert und deshalb auch von der Bezeichnung „Codex Besoldi“ Abstand genommen und weiterhin neutral von „F“ gesprochen. Als Urheber der Tradition bzw. des Kodex wird im Folgenden der „Wellersche Kreis“ angeführt. Dies impliziert zum einen einen prägenden Beitrag Wellers, zum anderen wird so ernst genommen, dass die Zuschreibung an eine Einzelperson methodisch verantwortet nur bedingt verifizierbar ist.

367 Vgl. WA 44, XXXIII: „Haec neque aliena ab hoc loco, neque inutilia duxi recitanda, cum omnino aliquid dicendum esset, et iis quoque qui unquam audiverunt Lutherum, nonnihil voluptatis allatura sperarem. Nam ego quidem in his furoribus Diaboli, quibus in Ecclesiam, et Respub⌊licas liberas et bene constitutas horribiliter saevit, nulla re magis acquiesco, quam recordatione eorum, quae ex Luthero publice et privatim audivi, quibus me utcunque sustento, et cum aerumnas communes facilius tolero, tum vero accuratius, et maiore diligentia hactenus cavere studui corruptelas doctrinae ab ipso traditae. Nam id quoque inter alia monuit, impendere horribiles motus et poenas Germaniae, non solum ab hostibus Euangelii, verum etiam a Centaurorum immanitate, qui quocunque praetextu libertati patriae insidiaturi essent, et respondit iis eventus, siquidem iniustae crudelitati, latrociniis, incendiis et rapinis nomen et doctrinam Euangelii praetexi audivimus. Nota autem sunt Ecclesiae et piorum gravissima certamina cum iis, quorum alios praedixit novas technas et fraudes excogitaturos, ad veterem Idolomaniam revocandam, alios vero novitatis studio et ambitione omnia turbaturos in Ecclesiis recte institutis, sua quadam autoritate, atque fama eruditionis circundatos, et ipsius nomine, et fictis suffragiis curiosis et mobilibus ingeniis sese venditantes.“ – Es folgt eine lange Auseinandersetzung mit Osianders „falscher“ Rechtfertigungslehre. Zur Rede vom „Motto“ s. Haußleiter, Rätsel, 101 bzw. WA 48, 719.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition 2 . Lu thermem ori a b zw . Lu therbil d d er „Welle rsc hen T radi ti on“

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“ Die vorangehenden Ausführungen begründeten die Rückführung der in F erstmals greifbaren Tradition auf den „Wellerschen Kreis“. Darauf aufbauend ist nun zu eruieren, welche Facetten für dessen Luthermemoria bzw. Lutherbild bestimmend sind. Im Zentrum wird dem Duktus und Aufriss des Kodex selbst entsprechend der Locus „Lutheri dicta quaedam de seipso“ stehen.368 Mit diesem verfasste der „Wellersche Kreis“ zwar keine Biographie Luthers, wie sie der Nordhausener Anthonius Otho um 1550 vehement von Wellers Freund Jonas im Zusammenhang mit dessen Sammeltätigkeit von Apophthegmata einforderte,369 sondern schuf im Rahmen der auf Luther bezogenen Apophthegmatik etwas „Neues“ durch die Fokussierung auf „Aussagen“ Luthers über „sich selbst“, die zu einem komplexen, positionellen Gesamt verbunden wurden, zu einem gruppenspezifischen „Funktionsgedächtnis“. Bereits deutlich wurde, dass die Träger der Tradition eine theologisch geschulte Minderheit im albertinischen Freiberg darstellten, die auf die als krisenhaft wahrgenommene Phase nach Luthers Tod reagierte. Im Hintergrund war v.a. ein weites Verständnis von Luther als „exzeptionellen Lehrer“ aufgeschienen.370 Zudem zeigte sich, dass deren „mentalen Welt“ eine nicht geringe Affinität zu den „Magdeburger Theologen“ respektive eine „gnesiolutherische“ Tendenz eignet. Diese Aspekte werden nun auf Grundlage der methodischen Überlegungen von Kapitel I weiter zu vertiefen sein. Dazu werden in einem ersten Schritt „polemisch-identitätsstiftende“ und damit auf die „Gruppe“ in den aktuellen Kontroversen bezogene Aspekte (2.1) aufgezeigt, in einem zweiten „didaktisch-pastorale“ und damit auf die Gläubigen bzw. Amtsträger bezogene (2.2) sowie in einem dritten „enkomiastisch-polemische“ 368 Der Abschnitt „Lutheri dicta quaedam de seipso“ findet sich, wie im Index angekündigt, ab fol. 100, wird dort aber abgekürzt mit „LVTHERVS DE SEIPSO“ überschrieben. Zu den Grundstücken dieses Abschnittes s. Chart. A 402, fol. 100a–113b, zu den Nachtragsstücken ebd., fol. 113b–115b; 470b–473b. Bereits in II 1.1.1 wurde auf das detaillierte Verweissystem hingewiesen, das die Abschnitte verbindet. Eine Übersicht der diesem Locus zugeschriebenen Apophthegmata bietet WA 48,375,13–28 – dort wird fälschlicherweise Nr. 306 statt Nr. 300 als erstes Nachtragsstück verzeichnet. Zudem muss Nr. 6439 geändert werden in Nr. 3572a. Zur Übernahme dieser Stücke in H s. Krüger, Supellex, 597b–599a – der Brief Luthers an Justus Jonas. Altenburg, 1. Februar 1527, ist zu streichen. 369 Anthonius Otho an Jonas. Nordhausen, 1550 (?): BrWJJ 2, 300 [Nr. 913]; zitiert S. 44 Anm. 217. Zur tendenziellen Nähe der „Apophthegmata Lutheri“ zur Biographik s. 54f. 370 Vgl. die Ausführungen zu Beginn von II 1.2.3.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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und damit auf „Luther an sich“ vor dem kontroverstheologischen Hintergrund bezogene (2.3). 2.1.

Polemisch-identitätsstiftende Aspekte

Luthers überraschender Tod im Jahr 1546, die Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und das daraus resultierende Oktroi des Interim mit seinen Folgestreitigkeiten haben die Anhänger der Wittenberger Reformation in eine innere und äußere Krise geführt. Deren literarischer Niederschlag lässt sich cum grano salis an den Magdeburger Drucken ablesen, die einen Brennpunkt des Kommunikationskontextes von F andeuten: Bei diesen fällt der Höhepunkt der theologischen Streitschriften gegen „Adiaphoristen“ auf das Jahr 1550. 1548/49 steht der Kampf gegen das Interim im Vordergrund. Im Zusammenhang der Wiedereröffnung des Trienter Konzils im Jahr 1551 erscheinen auch verstärkt Schriften gegen das Papsttum und das Konzil.371 Diese Rahmenbedingungen stehen – so die weiter zu belegende These – auch zentral im Hintergrund des Abschnitts „Luther über sich selbst“ der in F greifbaren Tradition. Der „Wellersche Kreis“ ließ mittels seiner dort vorgenommenen Zusammenstellung von Apophthegmata Luthers diesen implizit in die Konflikte hinein sprechen und positionierte damit Luther bzw. sich selbst in den Debatten, so dass das durch Luthers Tod entstandene Autoritätsvakuum behoben werden konnte und es über die autoritative Orientierung zugleich zur Sicherung der eigenen bzw. der als richtig angesehenen Spielart der „lutherischen Identität“ kam.372 Der Kreis um Weller hatte auf diese Weise Anteil an der zeitgenössischen Entwicklung, nach der Luther als aktueller Mitstreiter inszeniert wurde – durch die Publikation von Lutherschriften im neuen Kontext oder die Erstellung von Lutherflorilegien.373 371 KAUFMANN, Ende, 210f. Wie eine Schrift Amsdorfs zeigt, kann der Kampf gegen das Papsttum zugleich als impliziter Kampf gegen die Adiaphoristen stilisiert werden (vgl. AMSDORF, Adiaphoristen). Näheres zu dieser Schrift s. KAUFMANN, Ende, 272–286. 372 Zu Wellers Positionierung in diesen Streitigkeiten s. II 1.2.3. 373 S. KAUFMANN, Ende, 369–381; KOCH, Lutherflorilegien – der auf einen Nordhausener Schwerpunkt dieser Gattung hinweist. Dass in diesen Werken punktuell auch Apophthegmata Lutheri im Blick sein konnten, zeigt Pfeffingers, die kursächsische Religionspolitik verteidigende Schrift Gründlicher und wahrhafter Bericht aus dem Jahr 1550 und damit im Kontext der Entstehung von F: „Aus vielen Epistelen vnd Colloquijs priuatis Domini Doctoris, der genugsam zeugen vorhanden, kan auch dargethon werden, das Doctor Martinus jhme gefallen lassen, solche Ritus nicht abzuwerffen oder darumb zu zancken, wie er denn auch Anno M. D. Xliij. on sich an einem ort geschriben, das man die Neutralia, weil sie in einem vnschedlichen gebrauch vnd nicht ergerlich, gehen lassen solte, vnd so man sie wolt endern, das es nicht einer allein fuerneme im hauffen etc., vnd das nicht zu leiden, das ein toller Kopff aus jhme selbwer herfuer

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Wenn im Folgenden gezeigt werden soll, inwiefern Luther für den eruierten Trägerkreis über einzelne Apophthegmata in dem gegenüber ihrer ursprünglichen Entstehungssituation veränderten Kontext als ein solcher „Mitstreiter“ in Anspruch genommen wurde, ist das bereits in Kapitel I grundsätzlich angesprochene Problem einer methodisch verantworteten Rekonstruktion der hinter der Memoria bzw. Rezeption liegenden Intentionen oder der aktualisierenden Vergegenwärtigungen Luthers zu konkretisieren:374 Der „Wellersche Kreis“ sammelte im 32. Abschnitt „Aussagen“ Luthers über sich selbst, die notwendigerweise zeitlich vor den Ereignissen lagen, für die sie nun in Anspruch genommen wurden. Deshalb konnte auf keine explizite Auseinandersetzung Luthers mit diesen Streitkreisen zurückgegriffen werden. Stattdessen wurden Apophthegmata zusammengestellt, die aufgrund eines ihnen eignenden Aktualisierungspotentials autoritativ Handlungsorientierung vermitteln konnten. Zudem ist eine weitere Vorbemerkung notwendig. Der methodische Vorbehalt führt auch dazu, dass die auf Grundlage von F zu eruierende kritische Reaktion nur bedingt eine strikte Zuordnung zum „Adiaphoristischen“ bzw. „Interimistischen“ Streitkreis zulässt. Deshalb wird in den Analysen i.d.R. „undifferenziert“ von den „zeitgenössischen Streitkreisen“ gesprochen. Mit diesen einleitenden Bemerkungen ist zugleich die thematische Extension der „polemisch-identitätsstiftenden“ Aspekte der Luthermemoria bzw. des Lutherbildes von F umrissen. Im Besonderen wird im Folgenden die Bezugnahme auf Luthers Tod in den Blick zu nehmen sein (2.1.1). Daran anknüpfend wird in differenzierter Weise die Inanspruchnahme Luthers seitens des „Wellerschen Kreises“ im Kontext des interimistischen und adiaphoristischen Streites sowie der damit thematisch eng verbundenen Frage einer Konzilsteilnahme zu analysieren sein. Zunächst wird dargestellt werden, inwiefern Luther in besonderer Weise als „Kämpfer“ gegen das Papsttum in Anspruch genommen wurde (2.1.2). Der Übergang zum Rekurs auf Luther als Gegner des Interim (2.1.3) bzw. als Gegner einer Konzilsteilnahme (2.1.4) ist fließend. Zudem wird untersucht, inwiefern Luthers Lehre und Werk aufgegriffen wurden (2.1.5). Des Weiteren fare, die Neutralia damnabilia zu schelten […]“ (PFEFFINGER, Bericht, 667,11–18). Dass beide Seiten sich in diesem Deutungskampf auf Luther bezogen, zeigt eindrücklich Gallus’ Gegenbericht auf D. Pfeffingers Glossen aus dem selben Jahr: „Vnd ist das alwege also gewesen die meinung D[octor] Martini vnd keine andere, so offt er sich erboten in Adiaphoris den Papisten zu weichen, ist auch die meinung seiner antwort inn D. Pfeffingers Buche auff die frage, so die heubtsachen spennig bleiben, das er fuer sein teil erboetig, alle Adiaphora vmb friedes willen von den Papisten anzunehmen, so fern sie jhm sein gewissen damit nicht beschwereten, das ist, Adiaphora sein vnd bleiben liessen“ (GALLUS, Gegenbericht, 746,23–29). Zur Abgrenzung der Apophthegmata Lutheri von den Lutherflorilegien s. S. 50. 374 S. S. 57–59.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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wird analysiert, ob damit eine melanchthonkritische Dimension einhergeht (2.1.6). 2.1.1.

Heilsgeschichtliche Deutung von Luthers Tod

Luthers Tod war bereits zu seinen Lebzeiten Gegenstand kontroverstheologisch motivierter Verunglimpfungen. Insofern verwundert es kaum, dass auf protestantischer Seite schon kurz nach Luthers Tod vor Luther depravierenden Gerüchten gewarnt wurde.375 Damit war der Kampf um die Deutungshoheit von Luthers Sterben bzw. seiner Person weniger im Keim erstickt als vielmehr eröffnet, wie exemplarisch Cochlaeus’ summarische Einleitung seiner Auseinandersetzung mit Luthers Tod in den 1549 publizierten Commentaria zeigt: „De cuius obitu multi multa scribunt. Aliter narrant et scribunt ex uicinis locis Catholici. Aliter loquuntur et scribunt Lutherani. Multos enim agminatim emittunt Germanice libellos, ad persuadendum cunctis, quam sancte mortuus sit ille sanctissimus (ut aiunt) omnium eorum pater.“376

Insofern der Kreis um Weller den 32. Locus mit einer positiven Deutung des friedlichen Todes Luthers eröffnete und im Fortgang analoge Apophthegmata anführte, gehörte Luthers Tod zu den zentralen Aspekten seiner Memoria bzw. „Vergegenwärtigung“ Luthers.377 Zu zeigen wird sein, dass die damit einhergehenden Erinnerungsinteressen weniger durch nach 375 Zu Luthers Tod s. die Beiträge des von Armin Kohnle herausgegebenen Sammelbandes: KOHNLE, Tod; s.a. BAUER, Reise, bes. 31–33.41–50 sowie die immer noch instruktive Studie des katholischen Kirchenhistorikers PAULUS, Lebensende; zum fälschlich behaupteten Tod s. zudem folgende Texte aus dem Jahr 1545: WA 54, 188– 194 bzw. WA.B 11, 54f. [Nr. 4083]. Zu den Gerüchten nach Luthers Tod s. COELIUS, Leichenpredigt, 61f.64f. Laut Hieronymus Besold war auch Melanchthon bemüht, das Aufkommen von „falsae fabulae“ zu vermeiden (vgl. Hieronymus Besold an Veit Dietrich. Wittenberg, 22. Februar 1546: BrWJJ 2,183 [Nr. 785]. Nur wenige Tage später berichtet Justus Jonas nach Nürnberg, dass die Gegner Lügen über Luthers Tod verbreiteten (vgl. Justus Jonas an Veit Dietrich. Halle, 9. März 1546: BrWJJ 2, 186 [Nr. 789] – s.a. WA 54, 485; PAULUS, Lebensende, hier: 56–65. 376 COCHLAEUS, Commentaria, 315. Im Anschluss setzt Cochlaeus sich insbesondere mit dem von Justus Jonas und Coelius verfassten „offiziellen Bericht“ von Luthers Sterben auseinander. Zudem ist ihm auch die Überlieferung des vorgeblichen Berichtes des Eislebener Apothekers Landauer zu verdanken. Dieser ist jedoch nicht in die Commentaria selbst aufgenommen worden, sondern gemeinsam mit dem „letzten Kapitel“ der Commentaria publiziert worden (ediert in SCHUBART, Berichte, 74–80 [Nr. 78]). Zu diesem „Bericht“ s. PAULUS, Lebensende, 67–76; kritisch zur Frage der Historizität äußert sich insbesondere BIRKENMEIER, Klistier. 377 Neben anderen Einflüssen mag Wellers Wertschätzung von Justus Jonas als Katalysator gewirkt haben. Zu dessen „antipapistischer“ Deutung von Luthers Tod s. S. 93 Anm. 47.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

außen gerichtete kontroverstheologische Polemik geprägt waren. Vielmehr wurde die auf Luthers Tod bezogene Memoria durch die Auswahl der Apophthegmata geradezu heilsgeschichtlich aufgeladen, die eigene Situation wurde als „Zwischenstand“ offenbart, der zeitnah auf eine bessere Zukunft hoffen ließ. Dazu sammelte der Kreis primär „Prophezeiungen“ Luthers, die als trotzige Bekenntnisse und ermutigende Hoffnungsworte Orientierung und Identitätssicherung boten. Dies kann insbesondere am Eröffnungsapophthegma verdeutlicht werden. Zumal unter Berücksichtigung des Titelblatts, auf dem Luthers berühmtes Hexameter „Pestis eram …“ notiert worden war, erfolgte die Positionierung des Stückes zu Beginn des Locus wohl kaum zufällig. Einher geht zudem eine bewusste ausschnitthafte Rezeption desselben – wohl unter Rekurs auf Rörers Überlieferung:378 „Wenn ich auff dem bete sterbe, so. ists den papisten eine große schande vnd trotz. Denn vnser Herr Gott gibt Jn zuuerstehen: Ir, Bapst, Cardinel, Bischofe, Fursten vnd Herren sollet dem Luther feindt sein vnd sollet Jm dennoch nicht schaden thun. Es ist nichts mit Johan Hus gewest. Jch halt, das In tausent jaren niemandt gewest, dem die welt so feind gewest sey als mir. Jch bin Ir auch feindt vnd weis nichts mehr in tota vita, da ich lust zu hette vnd bin gar mude zu leben. Vnser Herr Got komme nur bald vnd nheme mich flugs hinwegk, vnd sunderlich komme er mit seinem Jungsten tage, ich wil Jm zwarten gern den hals darstrecken, das er Jn mit donner niderschlage, das ich do liege. Amen.“379

In diesem Apophthegma bezeichnete Luther gleichsam in Gestalt eines vaticinium Anfang der 1530er Jahre seinen „natürlichen“ Tod, d.h. ein Sterben auf dem Bett, als „große Schande“ und „trotz“ für die Gegner. Laut Veit Dietrich ist diese Aussage auf den Papst („papa“) bezogen. Der „Wellersche Kreis“ hingegen folgte der Änderung Rörers, der das ursprüngliche „Papst“ durchgestrichen und durch „Papisten“ ersetzt hatte. Nicht der einzelne Papst, sondern alle seine Anhänger werden so zum Gegenüber dieser „Prophezeiung“. Wiederum mit Rörer wird in F die ganze geistliche und weltliche „Gegenmacht“ von Luther differenziert direkt angesprochen: Papst, Kardinäle, Bischöfe bzw. Fürsten und Herren. Diese sollen Luther feind sein, ihm aber nicht schaden können. Zudem leitet das Apophthegma unter Verweis auf Jan Hus über zu Luthers geradezu paulinisch anmutender Todes- bzw. Christussehnsucht (Phil 1,23), 378 Dass bereits Rörer diesen Ausschnitt des Apophthegmas besonders mit der Person Luthers in Verbindung brachte, zeigen das zweimalige „Luther“ am Rand von Ms. Bos. q. 24c sowie Unterstreichungen im Text selbst (vgl. ebd., fol. 219r). Insofern mag die Übernahme dieses wie weiterer, ähnlich kategorisierter Apophthegmata von Rörer vorbereitet worden sein. Dennoch setzt der „Wellersche Kreis“ mit der Wahl dieses Ausschnitts als Eröffnungsapophthegma einen eigenen Akzent. 379 Chart. A 402, fol. 100r [WA 48, 412,8–10] bzw. WA.TR 1, 216,12–21 [Nr. 491]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 219r.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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zugespitzt auf das möglichst baldige Kommen des Jüngsten Tages und damit Gottes Gericht, dem Luther sich gerne stellen wolle. Wohl nicht ohnehin endet das Apophthegma mit einem „Amen“. Luthers gegen den Papst gerichtete prophetische Deutung des eigenen Todes ist damit eingebettet in einen endzeitlich konnotierten Rahmen. Der Kreis um Weller eröffnete mit eben dieser Botschaft seinen auf Luther bezogenen Locus. Zu diesem Zeitpunkt war der prophezeite „friedliche“ Tod Luthers bereits eingetroffen. Insofern eignete dem Text geradezu eine tröstliche Ermutigung für die aktuellen Auseinandersetzungen, die als Phänomene der Endzeit anzusehen wären.380 Im Folgenden muss nun dargelegt werden, inwiefern damit zentrale Koordinaten des Ringens um eine positive Deutung von Luthers Tod seitens des „Wellerschen Kreises“ benannt sind, d.h. inwiefern der Kreis in der Zeit der inneren und äußeren Krise des Protestantismus tatsächlich „evangelische Hoffnungsworte“ mit antipapalistischer und eschatologischer Ausrichtung aus dem Munde des „Endzeitpropheten“ Luther suchte.381 Zunächst können als weitere Indizien zwei auf Luthers Beinahetod in Schmalkalden im Jahr 1537 bezogene Grundstücke angeführt werden. Das erste stellt einen Rückblick auf die Ereignisse in Schmalkalden bzw. Tambach dar. In F wie im Cod. Guelf. 20. 3. datiert es auf den 21. März, so dass Luther erst wenige Tage wieder zurück in Wittenberg gewesen wäre. Im Vergleich mit den langen ausführlichen Berichten von Veit Dietrich bzw. Friedrich Mykonius,382 die ebenfalls Eingang in die „ApophthegmataHandschriften“ gefunden haben,383 handelt es sich hier um einen strikt fokussierten summarischen Kurzbericht, dessen Zielpunkt eine analoge antipapalistische Aussage darstellt: „21. Martii dixit de suo morbo letali, imo morte ipsa, nam omnes de illo desperassent; non fuisset ibi salus ab homine, ideo miraculosam [Cod. Guelf. 20. 3.: periculosam; I.K.] fuisse sanitatem: Postquam ego petij, ut Schmalkaldia abducerer, ne ibi praesente monstro morerer et sepelirer. Veni Tambach, bibens in hospitio rubellum vinum tenue; mox Dei gratia aperiebatur vesica. Ideo in pariete scripsi: Thambach est mea phanuel [vgl. Gen 32,23–33; I.K.]; ibi apparuit mihi Dominus. Si mortuus fuissem, papistis in extremam ruinam mortuus essem, nam me mortuo uidebunt, quae habuerint. Nam alii

Zur Frage nach Luthers Märtyrertum s. II 2.3.2. In nur einem Apophthegma ist dieses Motiv einer „positiven“ Wirkung von Luthers Tod mit dem Kampf gegen die Türken verbunden (vgl. Chart. A 402, fol. 103v [WA 48, 390,19]: „Vellem me ab adversariis occidi; plus enim prodesset mors ecclesiae quam vita mea, sic Samson plures mortuus occidit quam vivus. Quare non recusarem nostrum ducem sequi in aciem contra turcam. Si ego occumberem, actum esset de turca; diceret ad eum Deus: Turca, tu occidisti M⌊artinum L⌊utherum“ bzw. WA.TR 1, 35,1–5 [Nr. 93]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 272v). 382 Vgl. WA.TR 3, 387,22–391,2 [Nr. 3543A] bzw. ebd., 391,3–394,31 [Nr. 3543B]. 383 Vgl. WA.TR 3,388 Anm. 1. 380 381

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

praedicatores non seruabunt illam epijkian sicut ego, sicut in Zuinglio, Carolstadio, experti sumus et multis aliis timendum est.“384

Dass Luther nach Tambach noch einmal einen schweren, nicht weniger lebensbedrohenden Rückfall erlitten hat,385 wird in dem der Lauterbach„Wellerschen“ Tradition zuzurechnenden Apophthegma nicht thematisiert. Stattdessen liegt der Fokus auf der wunderbaren Errettung durch Gott („miraculosus“; „Dei gratia“) und deren Deutung mittels Gen 32,23– 33,386 zurückgebunden an den Kampf gegen das Papsttum, hier personifiziert durch den als Monster bezeichneten päpstlichen Legaten, d.h. Petrus Vorstius.387 Vom Duktus übermittelt auch dieses Apophthegma die klare Botschaft, dass Luthers Tod für die „Papisten“ negative Konsequenzen nach sich zöge. Das zweite auf Luthers Tod und Schmalkalden bezogene Apophthegma – wiederum der Lauterbach-„Wellerschen“ Tradition zuzurechnen – datiert einige Monate später, Mai / Juni 1537. Es verdeutlicht auf der Textebene zunächst die eingangs erwähnten kontroverstheologisch motivierten Gerüchte über Luthers Tod zu dessen Lebzeiten. Ein in F nicht näher bezeichneter Bote aus Halle im Inntal habe Luther um den Text von des-

Chart. A 402, fol. 106r [WA 48, 558,29–32] bzw. WA.TR 3, 404,5–15 [Nr. 3553]. S. hierzu NEUMANN, Krankheitsgeschichte, 121–129, bes. 124f.; KÖSTLIN / KAWERAU, Luther, II, 386–394, bes. 390f. 386 Nach diesem biblischen Zeugnis ringt Jakob des Nachts am Fluss Jabbok mit einer Gestalt, was als Ringen mit Gott gedeutet wird bzw. als „Sehen Gottes von Angesicht“. Jakob erzwingt sich so Gottes Segen und erhält seinen neuen Namen „Israel“, d.h. „Gottesstreiter“. Das ganze ereignet sich auf dem Rückweg zu seinem Bruder Esau, vor dem er geflohen war, nachdem er ihn betrogen hatte. Da er nicht wusste, ob sein Bruder ihm immer noch nach dem Leben trachtete, war es eine höchst gefährliche Reise. Wenn Luthers nächtliches Ringen um sein Leben im Kontext der Versammlung in Schmalkalden mittels dieses biblischen Motivs gedeutet wird, ist dies gewiss kein Zufall. Luther wird so parallelisiert mit Jakob / Israel, der gesegnet und mit programmatischen Namen aus seinem Gotteskampf herausging. Dass dieses Motiv tatsächlich einen Anhalt bei Luther selbst hat, zeigt dessen Schreiben an Melanchthon aus der Nacht der wunderbaren Errettung, das ebenfalls in F aufgenommen worden ist: „Behut Euch Gott alle und conterat Sathanam sub pedibus nostris cum suis foederatis monstris Romanae curiae, Amen. Ad medium fere tertiae horae noctis 1537. ex Tambacho loco benedictionis meae. Quia haec est mea phanuel, in qua apparuit mihi dominus“ (Chart. A 402, fol. 473r bzw. WA.B 8, 50,21–24 [Nr. 3139]). In den ausführlichen Berichten fehlt dieses Motiv hingegen. Stattdessen stehen dort Hiob 2,10 bzw. 1,21 im Zentrum und damit das geduldige Annehmen des Leides aus Gottes Hand (vgl. WA.TR 3, 388,5–7 [Nr. 3543A] bzw. ebd., 391,9–11 [Nr. 3543B]). Insofern verdeutlicht der „Wellersche Kreis“ mit der Auswahl dieses Apophthegmas sein eigenes Rezeptionsinteresse bzw. seine Intention. 387 Zu diesem s. WA.B 8, 23 Anm. 3; s.a. E 11,193 Anm. 2. 384 385

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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sen Epitaph gebeten.388 Im Hintergrund stünden Gerüchte aus Italien, Luther sei verstorben und sein Epitaph sei auf Lateinisch, Griechisch und Hebräisch geschrieben. Die Anspielung auf das Kreuzestitulum INRI ist unverkennbar. Der noch lebende Luther habe amüsiert die Bitte des Boten erfüllt, ihm dieses Epitaph auf Deutsch mitzugeben: „Luth⌊erus subridens dixit: das ist eine wunderliche bitte, der schrifft hab ich mein tage keine geschrieben von meinem begrebnis. Et tandem sic scripsit: Jch D. M. L. bekenne mit dieser meiner handtschrifft, das ich mit dem teuffel, Babst vnd allen meinen feinden gar eines sinnes sey. Denn sie wolten gerne frolich sein, das ich gestorben were, vnd ich gönte inn solche freude von hertzen vnd were wol gerne gestorben, zu Schmalkalden, aber Gott hatt noch nicht wollen solche freude bestetigen. Er wirts aber thun, ehe denn sie es meinen, nicht zu grossem gluck, vnd werden ein mal singen: Ach, das nu der Luther im leben were! [Hervorhebung; I.K.] Dis ist die abschrifft von meinem grabe greckisch, lateinisch, hebreisch.“389

Als der Kreis um Weller diesen Text in seine Sammlung aufnahm, war Luthers Tod, den Gott 1537 in Schmalkalden noch nicht gewollt hat, unmittelbare Wirklichkeit. Erneut dürfte der Kreis auch von Luthers „Prophetenwort“ und der damit einhergehenden Botschaft für die Gegenwart angesprochen worden sein: Der eine Teil, der im Zitat durch Kursivierung hervorgehobenen „Prophezeiung“, Luthers „baldiges“ Ableben, war eingetreten, der andere, das Unglück der „Papisten“, war – so die eschatologisch-apokalpytische Logik – im Jahr 1551 nahe Zukunft. Der Einwand, dass die Rezeption der auf Schmalkalden bezogenen Apophthegmata auch schlicht von der Wichtigkeit dieser Ereignisse selbst herrühren könnte und keinesfalls ausschließlich auf eine Gegenwartsdeutung zielen muss, liegt nahe. Dennoch enthalten sie diese Botschaft zumindest ebenfalls. Zudem gibt der im Kontext von Schmalkalden entstandene Hexameter, der in F über das Titelblatt geradezu zum Motto des Kodex erhoben wird, einen deutlichen Rezeptionshinweis.390 Hinzu kommt, dass für diesen Fokus weitere Apophthegmata im 32. Locus angeführt werden können, die keinen Bezug auf dieses prägende Ereignis haben. 388 Chart. A 402, fol. 108v–109r [WA 48, 564,12–20] bzw. WA.TR 3, 440,21–441,15 [Nr. 3595]. Der in den Parallelen genannte Bote Anthesinus ist nicht, wie Kroker meinte (WA.TR 3, 440 Anm. 23), mit „kleiner Anthes / kleiner Antonius“ zu übersetzen, sondern ist auf den Etschtaler Kaspar Goldwurm, der sich „Anthesinus“ nannte zu beziehen (vgl. WA.B 8, 85). 389 Chart. A 402, fol. 108v–109r. 390 Den thematischen Konnex verdeutlicht auch das erstgenannte Apophthegma (Nr. 3553), insofern in der Leipziger Mathesius-Handschrift am Rand eben dieser Hexameter notiert worden ist (vgl. WA.TR 3, 404 Anm. 7). Zudem findet sich dieses protestantische „Hoffnungswort“ – zumindest in der St. Gallener Handschrift – auch als Abschluss eines auf Schmalkalden bezogenen Melanchthonbriefes (vgl. WA.B 8, 50 Anm. 10).

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Zum einen finden sich auf Luthers Tod bezogene Apophthegmata, in denen das Motiv der apokalyptischen Naherwartung besonders betont wird, z.B. in einem Grundstück aus der Schlaginhaufenschen Tradition – dort wie im Text selbst datiert auf (Januar) 1532: „Anno ρ 32 Lutherus habuit aetatem annorum 48, dixit Jch habe noch ein Jar zu predigen, aber ich furchte, ich werde so lang nicht leben. Jch hoff, ich wil denn jungsten tag noch erleben, et scitote, quod est in ianuis; denn wirts werden, quod scriptum est: Absterget omnem lacrimam [Apk 21, 4]. Mein kalender ist aus.“391

Der Gesamtrahmen ist Luthers eschatologische Naherwartung. Entsprechend wird in der Schlaginhaufenschen Tradition das Stück auch mittels „Extrema dies“ kategorisiert. Dennoch transportiert dieses Stück für den Kreis um Weller auch eine Aussage Luthers über sich selbst. Neben den Sammlern von F hat dies auch der Schreiber der im Wittenberger Lutherhaus aufbewahrten Handschrift so wahrgenommen, wenn er das Stück auf „D.M.L. alter vnd todt“ bezog.392 Luthers selbstgesetzte „Frist“ von einem Jahr wird konterkariert durch die Überzeugung, dass der Jüngste Tag unmittelbar bevorstehe und damit auch das in Apk 21,4 verheißene Heil. Im Jahr 1551 – nach Luthers Tod, der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und den daran anschließenden, für den Protestantismus existenzbedrohenden Streitigkeiten – wird diese Naherwartung zur Hoffnungsbotschaft. In analoger Weise finden sich diese Motive auch in Nachtragsstücken. Verwiesen sei zunächst auf folgendes, aufgrund seiner Prägnanz und Deutlichkeit nicht weiter zu kommentierende Apophthegma der Dietrichschen Tradition: „Me mortuo cito peribunt papistae, sed vereor, ne me adhuc vivo fiat.“393

Wenn zudem Luthers Selbstidentifikation von Anfang der 1530er Jahre als Verteidiger („defensor“) und Säule („columna) des Papstes im Kodex abweichend von der Parallelüberlieferung mit roter Farbe kommentiert wird als „vaticinium de papistis“, ist diese Motivik explizit greifbar.394 Bei Chart. A 402, fol. 104v [WA 48, 475,17–20] bzw. WA.TR 2, 31,32–36 [Nr. 1291]. Vgl. WA 48, 475 Anm. 5. Dort findet sich eine ins Deutsche übersetzte Fassung des Apophthegmas, die mit F den bei „Schlaginhaufen“ fehlenden Schlusssatz teilt. Zur Handschrift s. S. 116 Anm. 150. 393 Chart. A 402, fol. 471v bzw. WA.TR 1, 291,11f. [Nr. 614]; auch hier ist die Nähe zu Rörer bestimmend (vgl. Ms. Bos. q. 24f, fol. 242r). 394 „Ego defensor et columna sum papae. Post mortem meam wird er mußen einen grossen stos leiden, des wird er sich nicht erweeren konnen; Tunc dicent: O hetten wir itzt den Luther, der raten kondte. Jtzt were zu raten. Do wollen sie nicht. Wens stundlein aus ist, so wird Gott nicht wollen“ (Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 460,33–35] bzw. WA.TR 1,552,27–553,3 [Nr. 1106] sowie die Parallelen WA.TR 2,23,8–12 [Nr. 1280]; WA.TR 2,425,9–13.14–18 [Nr. 2343a.b]). 391 392

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Rörer findet sich dort stattdessen die Kommentierung „Luth[erus] defensor pape“,395 in der Schlaginhaufenschen Tradition wird es kommentiert mit „Vaticinium de morte Lutheri“396. Inhaltlich wird dem Papst für die Zeit nach Luthers Tod ein großer „finaler“ Stoß vorhergesagt. Zu Lebzeiten Luthers war dies der Gattung nach eine Art prophetische Gerichtsandrohung, die eine Umkehr offen hielt. Für den Kreis um Weller dürfte die Negativseite das primär bestimmende Moment gewesen sein.397 Rezipiert wurde geradezu kontrafaktisch, dass Anfang der 1550er Jahre das Gericht über die „Papisten“ unmittelbar bevorstehe. Demselben Duktus verpflichtet ist das folgende Nachtragsstück und zwar besonders im Textbestand, in dem FH über die Parallele hinausgehen: „Papistae exoptant mortem meam. Aber wenn ich gestorben bin, so will ich allererst leben. Den granum kan nicht auffgehn, nisi ante ceciderit in terram. – Hoc confirmabat Iacobus Bremensis [Ende der Parallelen; I.K.] historia de praedicatore quodam, cui nomen fuit Stephano. Is cum post mortem esset sepultus in templum, omnes papistas fugavit quia putabant eum quem ipsi impium iudicarunt, non fuisse sepeliendum in locum sanctum.“398

Gemeinsam ist den Überlieferungen der Eingangsteil, in dem das johanneische Bild vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, erstirbt und viel Frucht bringt (Joh 12,24), auf Luther bzw. sein Eingehen ins ewige Leben bezogen wird. Während in der Heydenreichschen Tradition der Text mit dem Verweis auf den Bremer Superintendenten und engen Luthervertrauten Jakob Propst399 endet, führen FH – evtl. unter Einfluss von Heydenreich selbst – diesen Beleg in antipapalistischer Zuspitzung aus mittels Beispiel eines nicht näher bezeichneten Predigers Stephan, dessen Grab die „Papisten“ in die Flucht geschlagen habe.400 Nach Luthers Tod wird das Apophthegma – gerade durch die Ergänzung – zur begründeten Hoffnungsbotschaft in den aktuellen Kämpfen gegen die „Papisten“. Vor diesem Hintergrund mag auch die Rezeption des folgenden, wiederum bei Rörer bereits mit „Lutherus“ kategorisierten Nachtragsstückes ihre Begründung finden:

Ms. Bos. q. 24f, fol. 227r. WA.TR 2, 23,8 [Nr. 1280]. 397 Von den Parallelen lässt nur die Schlaginhaufensche Tradition einen Ausweg offen, wenn dort formuliert wird: „Hetten wir ytzt ein [Hervorhebung; I.K.] Luther, der ratten kunt!“ (WA.TR 2, 23,11 [Nr. 1280]). Ansonsten herrscht zwischen den verschiedenen Parallelen große Konvergenz. 398 Chart. A 402, fol. 472v [WA 48, 621,27–34] bzw. WA.TR 5, 158,11–14 [Nr. 5445]. 399 Zu diesem s. Iken, Probst; KÖSTLIN / KAWERAU, Luther, I, 604f. 400 Der entsprechende Abschnitt ist in H wegen Beschädigung unlesbar (vgl. Sup. Ep. 4° 73, fol. 422v). 395 396

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„Jch hab Christum vnd den bapst an einander gehangen vnd bin nhu zwischen thur vnd angel kommen. Gehe ich druber zu podem, so wirds Christus wol hinaus furen.“401

Die damit von Luther „prophezeite“ Fortführung des Kampfes durch Christus dürfte nach Luthers Tod ebenso als Hoffnungsbotschaft verstanden worden sein. In ihrer Gesamtheit verfestigen die dargestellten, auf Luthers Tod bezogenen Apophthegmata sich zu einer relativ klar umrissenene Positionierung des „Wellerschen Kreises“ in den diesbezüglichen Debatten. Der Kreis zielte nicht, wie z.B. Flacius, darauf, Luthers Tod als seligen Tod zu verteidigen und mit gegnerischen Negativbeispielen zu kontrastieren.402 Insofern ließ er den eingangs zitierten Angriff von Cochlaeus ins Leere laufen. Ebenso wenig fanden kritische Aussagen Luthers Aufnahme in die Sammlung, in denen er den Dissens nach seinem Tod und zudem schlimmen Schaden für das Evangelium angekündigt hat.403 Es ging dem Kreis vielmehr darum, mittels als vaticinia konzeptualisierter, Luthers Tod betreffender Aussagen, apologetisch primär nach „Innen“ zu wirken, d.h. Orientierung und damit auch Identitätssicherung zu bieten in der Phase der Krise. Die Gegenwart wurde zum heilsgeschichtlichen Zwischenstand. Kontrafaktisch wurde die bevorstehende Niederlage des Papsttums als Hoffnungsbotschaft verkündigt. Insofern betreibt der Kreis um Weller in gewisser Weise „Prophetenfortschreibung“, die jedoch ganz der Person Luthers und seiner Aussageintention verpflichtet bleibt und thematisch starke heroisierende Tendenzen aufweist. Dass die Luthermemoria bzw. das Lutherbild des Kreises in polemischidentitätsstiftender Perspektive insgesamt vornehmlich mittels des historiographischen Interpretaments der „Heroisierung“ angemessen verstanden werden kann, wird an den weiteren Ausführungen deutlich werden. Zunächst kann dies anhand der Memoria Luthers als „Kämpfer gegen das Papsttum“ gezeigt werden. 2.1.2

Luther als „Kämpfer gegen das Papsttum“

Dass die Luthermemoria und von hier das Selbstbild des „Wellerschen Kreises“ in besonderer Weise antipapalistisch grundiert ist, klang nicht nur im vorangehenden Unterkapitel an. Weller selbst sieht noch 1555 in Chart. A 402, fol. 471r bzw. WA.TR 1, 24,1–3 [Nr. 67] bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 262r. Nur die Cordatische Variante bietet zusätzlich das Motiv der Sorglosigkeit – vgl. WA.TR 2, 293,13–15. 14 [Nr. 2010]: „[…] drumb bekommer ich weiter vmb nichts […].“ 402 Vgl. [Flacius], Protestation, 162f. 403 Vgl. diesbezüglich z.B. Aurifabers Ausführungen in seinem Vorwort: TR, fol. )( 2r–)( 3r; s. hierzu IV 2.1.4.6, bes. S. 469 mit Anm. 205. 401

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Luthers „Kämpfertum“ im Allgemeinen und den Kampf gegen das Papsttum im Besonderen eine der exponiert zu lobenden Eigenschaften des exzeptionellen „Lehrers“ Luther: „Tertio, Lutherus non solum docuit, sed etiam pugnavit. Omnes enim suae aetatis haereticos & fanaticos spiritus disputando & scribendo confutavit, atque repressit miranda felicitate & subtilitate: &, quod maximum est, ipsum Antichristum prodidit, & regnum ejus labefactavit. Solus enim Lutherus aperte docere, atque contendere ausus est, Romanum Pontificem esse Antichristum, idque evidentissimis sacrae scripturae testimoniis probavit, eaque in re mirificum ipse successum habuit, atque omnes doctores Ecclesiae longe superavit.“404

Im Kontext der zeitgenössischen Streitigkeiten legte der Kreis um Weller hingegen den Fokus auf den Kampf gegen das Papsttum und von hier aus auf die zeitgenössischen innerprotestantischen Auseinandersetzungen um das Interim und die Adiaphora.405 Dabei zielte er in der Krisensituation auf eine Darstellung Luthers als siegreichen Kämpfer, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Das erste Indiz stellt eine bewusste redaktionelle Überarbeitung eines gegen Cochlaeus’ Schrift „Lutherus septiceps“ gerichteten Apophthegmas dar.406 Der synoptische Vergleich zeigt, dass F in seiner Fassung mit Halle (Nr. 2258b) und weniger mit der in der Handschrift Zell greifbaren überarbeiteten Cordatischen Tradition (Nr. 2258a) konvergiert. WA.TR 2,381,5–13 [Nr. 2258a]

Chart. A 402, fol. 108v [WA 48,488,29–32]

WA.TR 2,381,14–22 [Nr. 2258b]

„Septiceps doctor Geuchius, ader rotzleffels.

„Jch wiel dem Cochlaeo auff „Jch wil Cocleo1 auff kein sein buch wider mich gebuch wider mich antworten, vnd wird damit viel zorniger schrieben nicht andtwort-

WELLER, Opera, III+IV, 168a; s.a. Wellers Schreiben von 1561 (ebd., 169a). Die Auseinandersetzung mit „Schwärmern“ ist demgegenüber im 32. Locus nur punktuell greifbar (vgl. Chart. A 402, fol. 105r [WA 48, 523,20–22] bzw. WA.TR 3, 59,11–20 [Nr. 2896b] und Chart. A 402, fol. 100v–101r [WA 48, 414,28–41] bzw. WA.TR 1, 238,10–241,7 [Nr. 518]; Chart. A 402, fol. 115v bzw. WA.TR 1, 153,26–28 [Nr. 362]; Chart. A 402, fol. 471v bzw. WA.TR 1, 37,11–19.14–19 [Nr. 97]). Große Beachtung wird jedoch Erasmus von Rotterdam geschenkt, der zeitgenössisch in enge Verbindung mit den „Sakramentierern“ gebracht wird – s. hierzu S. 153–156. 406 In dieser 1529 auf Latein und Deutsch publizierten Schrift wird der von Cochlaeus seit den 1520er Jahren erhobene Vorwurf der intellektuellen Inkohärenz Luthers in besonderer Weise greifbar (s. Herte, Lutherkommentare, 255f.; Keen, Introduction, 48). Eindrücklich wird Luthers vorgeblich widersprüchliches Denken mittels des Bildes eines apokalyptischen Monsters mit sieben Köpfen dargestellt. Zu den verschiedenen „Entwicklungsstadien“ Luthers, d.h. Doktor, Mönch „Martin“, Luther der ungläubige Türke, der Ecclesiastes, der Schwärmer, der Visitator, der aufrührerische Barrabas, s. SCHEYDER, Humaniste, 487–489; BÄUMER, Cochläus, 32f. 404 405

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition ten, dan er viel tzorniger werden wird, dan so ich ihm andtwortten würde; wils alleine darumb thun, das er nicht die ehre erlange, welche er durch mein schreiben sucht.

werden, vnd wils allein dorumb thun, das er die ehr nicht erlange, die er in seinem schreiben suchet.

Ad librum de septem capitibus, quem scripsit contra me, dixi: Vnd gefelt mir sonderlich Es gefallen mir alle ding wol wol, das er mir sieben köpff mit den sieben kopffen, aber malet, aber das ist schande, das ist yhre sunde vnd schandas sieben köpffe nicht de, das sieben kopffe nicht einen hals konnen tzu wege einen hals konnen zu wegen bringen oder eines halses bringen oder nicht ein hals werdt sein! werd sein. Aiunt filium marchio- Aiunt iuniorem marchionem Filium autem marchionis viso hoc libro dixisse: Oho, ferunt dixisse: Oho, nunc nis dixisse: Oho, si si Lutherus nunc septem nunc septem capita invictus manebit [Hervorhecapita habet, invictus erit habet Lutherus, est bung; I.K.] Lutherus capita invincibilis [Hervorhe- [Hervorhebung; I.K.], quem habens, cuius ne unum antea hactenus uno capite non bung; I.K.], quem potuerunt vincere.“ potuerunt vincere etc.“ hactenus uno capite nemo potuit vincere.“

Gegenüber beiden Parallelfassungen verzichtet der „Wellersche Kreis“ zum einen auf den „Vorspann“, in dem Luther zunächst begründet, warum er diese Spottschrift (Nr. 2258b) bzw. alle Spottschriften (Nr. 2258a) seines Gegners nicht schriftlich erwidern wird, und sich dann zum anderen seinerseits über den fehlenden Hals beim Titelbild lustig macht. Zudem wird der Vorwurf der Siebenköpfigkeit auf Cochlaeus selbst angewendet unter Rekurs auf Luthers, den albertinischen Hofprediger harsch verspottende Terminologie („Geuchius“; „rotzleffel“).407 Auf diese Weise fokussierte der Kreis die Botschaft des Apophthegmas: Kurz und knapp wurde der Angriff, der durch die Commentaria im Kontext der Entstehung von F aktualisiert wurde, zurückgewiesen.408 Inhaltlich liegt der Zielpunkt der Auswahl auf der „Unbesiegbarkeit“ Luthers. Diese wird dadurch betont, dass nur der Kreis um Weller präsentisch von „invincibilis est“ spricht. Insofern der Urheber dieser Aussage, der junge Kurprinz Vgl. WA 38, 141,7–9: „[…] Doctor Cochleus, welchen ich pflege zu nennen Doctor Rotzleffel odder Doctor Gauch [d.h. Narr; I.K.], welchs sein rechter name ist, da bey man in am besten kennen mag.“ Weitere Belege s. SCHEYDER, Humaniste, 595 Anm. 6. 408 S. HERTE, Lutherkommentare, 256f. 407

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Joachim II. von Brandenburg, zur Zeit der Entstehung von F zu den Befürwortern des Interim gehörte,409 erhält die Aussage der Unbesiegbarkeit Luthers eine zusätzliche Note. Nach dem Tod Luthers und in den interimistischen Wirren wird das redaktionell überarbeitete Apophthegma zu einem trotzigen Bekenntnis- und Hoffnungswort. Neben dieses erste Indiz tritt zudem die Aufnahme von Apophthegmata, in denen Luther mit historischen Gestalten verglichen und so als „Bezwinger“ Roms konturiert wurde. In dieser Hinsicht kann zunächst auf ein Apophthegma verwiesen werden, in dem Luther gleichsam als „Arminius redivivus“ vorgestellt wird: „In chronicis legitur, quod quidam dux Cherustus, ein Hertzer oder Hartzlender, nomine Hermannus, cum Romanos strage profligasset, ex eorum acie 21 000 occidisse. Ita nunc Lutherus, ein Hartzlender, Romam devastat.“410

Die Botschaft des Apophthegmas ist eindeutig: Wie damals im Jahr 9 n. Chr. der Cheruskerfürst Hermann (Arminius)411 dem römischen Heer eine vernichtende Niederlage zugefügt hat, so „verwüste“ Luther „jetzt (nunc)“ Rom. Es ist auffällig, dass es sich hierbei um keine Selbstaussage Luthers handelt, sondern schlicht um einen historischen Vergleich zwischen Luthers Handeln und dem des Arminius’, der zudem im Präsens formuliert ist. Die besondere Akzentsetzung dieser vom „Wellerschen Kreis“ in den Locus übernommenen Deutung kann erst angemessen gewürdigt werden, wenn man wahrnimmt, wie gering der Beitrag Luthers – und der Reformation insgesamt – zum „Arminius-Kult“ war.412 Luther selbst bezeugte zwar laut einem weiteren, nicht in F greifbaren Apophthegma seine hohe Wertschätzung für den Cheruskerfürsten, doch sind dort der zu bekämpfende Feind nicht die Römer, sondern die Türken: „De Arminio. Wenn ich ein poet wer, so wolt ich den celebriren. Jch hab in von hertzen lib. Hat hertzog Herman geheissen, ist herr vber den Hartz gewesen. Cherusci sein die Hertzischen. Sein aigner socer Segestus, id est, hertzog Hengist, Philippus, hat in S. hierzu NISCHAN, Brandenburg; RABE, Entstehung, bes. 63–65. Chart. A 402, fol. 104v [WA 48, 548,34–37] bzw. WA.TR 3, 329,11–330,2 [Nr. 3464c]. 411 Zur Übertragung des lateinischen Namens „Arminius“ in den deutsch klingenden Namen „(H)Erman“ seitens Johannes Aventin (1477–1534) s. MÜNKLER / GRÜNBERGER, Arminius, 279–285, 281. 412 Vgl. RIDÉ, Arminius; KIPPER, Germanenmythos, 43f. sowie MÜNKLER / GRÜNBERGER, Arminius, 296–298. Letztere geben zudem einen fundierten Überblick über die Wiederentdeckung und Instrumentalisierung Arminius’ / Hermanns durch die Humanisten in den ersten beiden Dritteln des 16. Jahrhunderts – insbesondere durch Hutten und Althamer wird der „Mythos“ mit Luther in Verbindung gebracht, Spalatin setzt demgegenüber einen anderen Akzent, Melanchthon geradezu einen entgegengesetzten (vgl. MÜNKLER / GRÜNBERGER, Arminius, 266–271.285–289.290–296.302– 305). Zu Hutten s. zudem ROLOFF, Arminius. 409 410

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

verrhaten. Wenn ich ytzund ein Arminium het vnd er ein D⌊octorem Martinum, so wolten wir den Turcken suchen.“413

In seiner Auslegung des 82. Psalmes wirft Luther den „Lateinern“ vor, den Namen „Hermann“, der von „Heerman“ (dux belli) abzuleiten sei, in Arminius zu verfälschen: „Herman, den die Latini ubel verkeren und Ariminium nennen, heist aber ein Heer man, dux belli, der zum heer und streit tuechtig ist, die seinen zu retten und forn an zu gehen, sein leib und leben drueber wogen.“414

In dieser Deutungsperspektive wird dann in der Lauterbachschen Tradition auch Philipp von Hessen durch Luther charakterisiert: „Ita noster landgravius hoc saeculo est bellator, vere Arminius, in persona exiguus, sed consilio et fortuna potens.“415

Überblickt man diese wenigen Hinweise bei Luther, so fällt das eingangs zitierte Apophthegma aus dem damit abgesteckten Rahmen, so dass es sehr fraglich bleibt, ob es tatsächlich einen Anhalt bei Luther selbst hat.416 Naheliegender erscheint, dass F an der antiinterimistischen Rezeption des Motivs teilhat417 und mit der Übernahme dieses Stückes Luther bewusst als Kämpfer gegen Rom bzw. als Rombezwinger in Erinnerung ruft. Demselben Anliegen dürfte die Übernahme etymologischer Spekulationen über den Familiennamen Luthers zu verdanken sein, die ebenfalls auf „historische“ Gestalten zielen. Das zunächst in den Blick zu nehmende Apophthegma findet sich auch in der Lauterbach-„Wellerschen“ Tradition, wo es jedoch im Unterschied zu F auf Luther selbst zurückgeführt wird: „Lutherus est a lyeder, v Gallico scribendum; Ludewig, Ludegarius, Ludringen, qui olim Roman devastarunt.“418

WA.TR 5, 415,26–31 [Nr. 5982]. Das Stück ist Teil einer geschlossenen Überlieferung von 22 Apophthegmata in Ms Bos. o. 17C, die zwischen 1539–1544 zu datieren sind (vgl. MICHEL, Bearbeitung, 229). 414 WA 31/1, 205,34–206,3. 415 WA.TR 4, 184,9–16 [Nr. 4182]; Zitat: ebd., 184,14–16. 416 Leider lässt sich nicht nachvollziehen, auf welchem Weg dieses Apophthegma, dass sich ebenfalls im Cod. Guelf. 20. 3. findet, in FH Eingang gefunden hat. Auch die Datierung ist ungewiss. 417 Vgl. z.B. ALBER, Dialogus, 637,14–17; ANONYMUS, Klag, 960,15–17. Auf eine Instrumentalisierung von Arminius gegen Karl V. im Schmalkaldischen Krieg verweist SCHMIDT, Kampf, 60. 418 Chart. A 402, fol. 105v [WA 48, 553,5–7] bzw. WA.TR 3, 359,17–19 [Nr. 3498], wobei F näher an der Fassung von Wolf. 3231 ist (s. ebd., 359 Anm. 3). Zur Rückführung auf Luther s. WA.TR 3, 359,17f. [Nr. 3498]: „Etymologiam sui nominis indicavit: […].“ 413

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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In Bezug auf die hinter der Rezeption stehende Intention ist weniger die Frage nach der Richtigkeit dieser Etymologie von Bedeutung419 als die positive Deutung bzw. Umdeutung von Luthers Namen von „geschichtsträchtigen“ Personen her, die erfolgreich gegen Rom gekämpft hatten.420 Das Proprium dieser Variante wird durch den Vergleich mit dem entsprechenden Abschnitt aus einer Überlieferung aus der Lauterbachschen Tradition deutlich. Dort liegt der Fokus der Etymologie nicht auf dem „Kämpfer“ Luther, sondern auf der Apologie gegen kontroverstheologische, depravierende Deutungen von Luthers Namen: „Meum cognomen proprie Lyder, quod deinde adversarii Lotter, Luther faciunt. Lyder, Lauter habet Saxonicum y.“421

Damit ist dem in F greifbaren Apophthegma nicht die (implizite) kontroverstheologische Wirkung abgesprochen,422 aber der primäre Fokus liegt wohl auf der antipapalistischen Selbstvergewisserung. Punktuell rekurrierte der Kreis um Weller zu diesem Zweck zudem auf die sog. „Vorreformatoren“, v.a. Jan Hus. Auch hier mag eine kontroverstheologische Dimension mitgeschwungen haben. Bereits Tetzel und Eck versuchten, Luther mittels der Überführung als Hussit zu häretisieren. Nach Luthers Tod griffen Anhänger Luthers wie Bugenhagen die berühmte „Prophezeiung“ vom Schwan, der auf die Gans, d.h. Hus, folgen werde, positiv in antipapalistischer Intention auf.423 Sie konnten sich dazu auf S. zu dieser Frage auch WA 50, 137. Evtl. ist hier Herzog Leuthari im Blick, der nach dem Tod des letzten Ostgotenkönigs Tejas in Italien einfiel (vgl. WA.TR 3, 395 Anm. 3) – zu diesem s. STÖRMER, Leuthari. 421 WA.TR 4, 270,17–25; Zitat ebd., 24f. [Nr. 4378]. 422 Entsprechende kontroverstheologische Angriffe, die sich bereits Anfang der 1520er Jahre bei Hieronymus Emser fanden, wurden nach Luthers Tod von Neuem und zwar exponiert seitens Cochlaeus in den Diskurs um die Memoria Luthers eingebracht. S. HERTE, Lutherkommentare, 149–151.273; BRÜCKNER / GRUPPE, Sage, 281. Bereits im Vorwort der Commentaria wurde – im Zusammenhang mit dem Gerücht über Luthers Teufelssohnschaft – auf dieses Motiv angespielt: „Nos autem non multum interesse putamus, undecumque secundum carnem procreatus sit, siue Luder, siue Luter, siue Lutherus, cuius mala me[n]s, malus animus, Diabolicae suggestioni subiectus, tot malorum uel occasio uel causa existit“ (COCHLAEUS, Commentaria, c iiij r–v). Zu Beginn wurde außerdem als Begründung die pejorative Bedeutung des Namens im Deutschen angeführt: „Quamuis uero multis annis antiqua consuetudine dictus fueri cognomine Luder: quo & ipse in literis suis, etiam ad praecellentem Theologum D. Ion. Eckium usus est: maluit tamen postea dici Luther, quam Luder: ex eo forsitan, quod Luder apud Germanos parum honestum uideturesse uocabulum“ (COCHLAEUS, Commentaria, 1). Ähnlich auch ebd., 173. Evtl. mag auch das Gerücht über Luthers Vater als Totschläger mitgeschwungen haben (s. HERTE, Lutherkommentar, 150f.). 423 Vgl. BUGENHAGEN, Leichenpredigt, 90f. S. hierzu LUDWIG, Leichenpredigt, 83– 85. S. auch JONAS, Leichenpredigt, 49f. 419 420

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Luther selbst berufen,424 Aktualität erlangte der Vorwurf in den 1550er Jahren zudem erneut durch Cochlaeus.425 Obwohl die wenigen Bezugnahmen im 32. Locus nicht überbewertet werden dürfen, zumal kaum redaktionell eingegriffen worden war, bot der „Wellersche Kreis“ vor diesem Kontext eine Luther gegenüber Hus als den überlegenen Kämpfer gegen das Papsttum ausweisende Verhältnisbestimmung. Das erste Indiz findet sich im Eröffnungsapophthegma. Dort wurde auch der auf Hus bezogene, bei Rörer nicht mittels Unterstreichung hervorgehobene Mittelteil mit übernommen, in dem im Kontext von Ausführungen zur Exzeptionalität der Luther entgegengebrachten Feindschaft Hus gegenüber Luther geradezu nivelliert wird: „Es ist nichts mit Johan Hus gewest. Jch halt, das Inn tausent jaren niemandt gewest, dem die welt so feind gewest sey als mir. Jch bin Ir auch feindt vnd weis nichts mehr in tota vita, da ich lust zu hette, vnd bin gar mude zu leben.“426

Während hier das Motiv des „Kampfes“ eher indirekt greifbar ist und die Übernahme auch „unbewusst“ erfolgt sein konnte, greift der „Wellersche Kreis“ zudem ein Apophthegma auf, in dem Luther als der „entscheidende“ Kämpfer gegen das Papsttum dargestellt wird: „Vuicleff, Huss et alii impugnaverunt solummodo Vitam papae; darumb haben sie es nicht erhalten konnen, quia et ipsi tam peccatores fuere quam papistae. Ego vero hab die lehre angegriffen; damit hab ich sie geschlagen. Denn hie ists nicht vmbs leben, sondern vmb die lehre zu thun. Hus sustulit ex vinea Domini sentes et truncos; ich aber bin jns pfluge feld getreten, commodius contra papam pugnans.“427

424 Vgl. WA 30, 386,14–387,22. Dieser Abschnitt wird auch von Cochlaeus – ironisch als „Encomium & Epicinium“ bezeichnet – auf Latein in den Commentaria aufgegriffen (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 220). Zu Luthers differenzierten Haltung gegenüber Hus s. WERNISCH, Hus; PREUß, Prophet, 224–227 sowie OBERMAN, Hus, der eingangs einen immer noch instruktiven Forschungsüberblick bietet. 425 COCHLAEUS, Commentaria, 291: „Vt Germani nostri, atque etiam exterae Nationes cognoscerent clarius, quod multo minus malus impiusque fuerit Ioannes Hus, qui per haeresim suam florentissium Regnum Bohemiae, in omne malum & incommodum perduxit, quam Lutherus est, qui tam seditiose ac impie Ro. Imperium Regnumque Germaniae perturbat.“ S. auch ebd., 26.38.79–82 – diese von Cochlaeus kommentierte Auflistung von Bezugnahmen Luthers auf Hus bzw. die Hussiten verdeutlicht zugleich den Vorwurf der Widersprüchlichkeit. Zur Thematik insgesamt s. HERTE, Lutherkommentare, 3f.256f.285f.296; BÄUMER, Cochläus, 112f.; SCHEYDER, Humaniste, 378–381; SMOLINSKY, Kontroverstheologen, 59. Zu Cochlaeus’ Zusammenwirken mit dem Juristen und Kontroverstheologen Konrad Braun in dieser Frage s. KEEN, Introduction, 52; MACHILEK, Cochläus, 64. 426 Chart. A 402, fol. 100r [WA 48, 412,8–10] bzw. WA.TR 1, 216,15–18 [Nr. 491]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 219r. 427 Chart. A 402, fol. 103r [WA 48, 545,37–39] bzw. WA.TR 3, 306,5–12 [Nr. 3403b] (= Bav.); ebd., 306,1–4 [Nr. 3403a] bzw. WA.TR 1, 439,23–26 [Nr. 880] (=

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Die Sonderstellung Luthers wird in diesem Apophthegma durch den Verweis auf Wicliff, Hus und weitere betont. Das entscheidende, die Lehre, habe jedoch erst Luther angegriffen und im Unterschied zu vorhergehenden Versuchen auch gesiegt. Dennoch wird zugleich angedeutet, dass Luther auf deren „Vorarbeit“ („pfluge feld“; „commodius“) aufbauen konnte. Insofern der Kreis um Weller im Locus „De cultu Dei vero et religione“ eine parallele Überlieferung aus der Dietrichschen Tradition übernimmt,428 deutet sich an, dass er tatsächlich vornehmlich auf Luther als erfolgreichen bzw. den erfolgreichsten Kämpfer gegen das Papsttum zielte. Dass das Verhältnis von Luther und Hus auch in der Apophthegmata-Überlieferung anders akzentuiert werden konnte, zeigt die Parallele aus der Cordatischen Tradition. Hier weist Luther vehement die Aussage zurück, er habe bei Weitem mehr bewirkt gegen das Papsttum als Hus und betont stattdessen Hus’ Leistung: „Iohannes Hus sustulit ex vinea Dei vepres, ego autem pugnans contra papam kam in ein ewens blachfeld. – Cum ego dixissem ipsum longe plura efficere contra papam quam Huss, valde negabat verum esse et dicebat per Ioh⌊annem Huss effectum, ut in dies post eum magis lapsus esset papa, qui sub illius tempore fuisset in summo honore et potentia. Praeterea post Iohannem semper fuisse quosdam bonos viros, qui papae contradixissent, ante Ioha⌊nnem autem nullum.“429

Dieser, die eigene Identität in der Krise stärkende Rekurs auf Luther als „Kämpfer“ kann des Weiteren anhand Aussagen zum Mönchtum verdeutlicht werden. In dieser Perspektive wird Luther im Locus z.B. als von Gott instrumentalisierter „Auflöser (dissipo)“ des Mönchtums in Erinnerung gerufen: „Deus per me monachatum dissipavit, so bezalt er mich sehr wol. Ipse dat mihi decimas de illis, omnes ad me confugiunt. Nam [H ergänzt als Anzahl: „5“; I.K.] moniales eo die eum accesserunt ex Freiberga.“430

Ms. Bos. q. 24f, fol. 298v). F konvergiert hier weitestgehend mit der Fassung von Bav., eine Vorlage bei Rörer konnte nicht gefunden werden. Das Bild vom „Pflugfeld“ findet sich auch in einem weiteren Apophthegma der Cordatischen Tradition, so dass die Fassung von Bav. evtl. von dort mit beeinflusst ist (s. WA.TR 2, 349,1f. [Nr. 2177B], bedingt auch WA.TR 2, 348,27–33 [Nr. 2177A]). 428 Vgl. Chart. A 402, fol. 468r bzw. WA.TR 1, 294,19–295,14 [Nr. 624]. 429 WA.TR 2, 348,27–33 [Nr. 2177A]. 430 Vgl. Chart. A 402, fol. 105b / Sup. ep. 4° 73, fol. 116v [WA 48, 475,32–34] bzw. WA.TR 2, 37,35–38,2 [Nr. 1313]. Evtl. ist auch in diesem Fall die Übernahme in den 32. Locus von der Kategorisierung als „Lutherus monachus“ durch die Vorlage bzw. die Schlaginhaufensche Tradition vorbereitet worden. Ohne Freibergbezug kommt hingegen die Cordatische Fassung aus: „Mich bezalt Gott wol, quod monachatum dissipavi. Nonnae enim pariter et monachi ad me currunt, ut eos nutriam“ (WA.TR 2, 458,4f. [Nr. 2416]).

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Im Jahr 1551 ist diese „Errungenschaft“ angesichts der reellen Gefahr einer „Remonastisierung“ bedroht. Insofern liegt es nahe, dass der Kreis um Weller mit dieser „Vergegenwärtigung“ zugleich zum Widerstand gegen die Rückführung in diesen an sich schon überwundenen „Irrtum“ aufrufen wollte. Dass im Hintergrund ein prägendes und öffentlichkeitserzeugendes Ereignis aus der Frühzeit der Freiberger Reformationsgeschichte stand, d.h. die Flucht von Nonnen, zu denen u.a. die Cousine der Sächsischen Herzöge gehörte, hätte diesem Aufruf zusätzlich Nachdruck verliehen.431 Das martialisch anmutende und von hier nach Kaufmann heroisisierende Bild („dissipo“) geht nicht auf die Redaktion seitens des „Wellerschen Kreises“ zurück, und dennoch scheint dieser ein besonderes Interesse an solchen Bildern gehabt zu haben. Dies zeigt dessen Bearbeitung eines Apophthegmas, in dem Luther sich als Quecksilber („argentum vivum“) bezeichnet. Bei Dietrich und den weiteren Parallelen – auch die beiden Fassungen bei Rörer432 – findet sich die Aussage auf Deutsch und als Ich-Aussage, zugespitzt als Quecksilber „Gottes“; sie datiert dort Anfang der 1530er Jahre. Demgegenüber bietet F einen lateinischen Text: WA.TR 1,145,42f. [Nr. 351]

Chart. A 402, fol. 103r433

„Ich bin vnsers Herr Gotts quecksilber „Lutherus argentum viuum in piscina .\˙ gewesen, das er in den teich, id est, vnter inter monachos.“ die munchen hat geworffen.“

Die Unterschiede mögen auf den ersten Blick geringfügig erscheinen. Jedoch führen sie dazu, dass aus einer Ich-Aussage der Vergangenheit eine allgemeine, zeitlose Aussage über Luther ohne expliziten Bezug auf Gott wird. Auch wenn die sprichwörtlich anmutende Redensart in ihrer damaligen Bedeutung nicht eindeutig festlegbar ist, wurde der Kämpfer Luther – nun bezogen auf das Mönchtum – eindrücklich vor Augen geführt. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob auf die Wirkung des Quecksilbers als Gift oder – dies ist zeitgenössisch besser belegt – auf die Fähigkeit, Brunnen zum Versiegen zu bringen, alludiert wurde.434 Von diesem Kampf gegen das Mönchtum mag auch die Aufnahme der bekannten Überlieferung, Die Flucht fand vermutlich am 8. Januar 1532 statt (vgl. WA.TR 2, 38 Anm. 1). Luther selbst hatte sich zu dem „Skandal“ mit einem „Nachwort“ geäußert (s. WA 26, [623] 628–633). 432 Ms. Bos. q. 24c, fol. 277r bzw. Ms. Bos. q. 24s. fol. 29r. 433 Die Abkürzung „.\˙“ dürfte auf Ms. Bos. q. 24c, fol. 277r zurückgehen. 434 Vgl. KÖSTLIN, Beiträge, 41f.425f. – die dort ebenfalls aufgeführte Deutung des Grimmschen Wörterbuches, nach der es hier um die „ungemeine theilbarkeit und beweglichkeit“ (a.a.O. – Lemma „Quecksilber“, online-Version: http://www.woerter buchnetz.de/DWB?bookref=13,2336,27 – letzter Zugriff: 10.01.2018) gehe, wird von Köstlin wohl zu Recht als unwahrscheinlich angesehen. 431

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nach der Luther gegen den Willen seines Vaters Mönch geworden sei, zumindest mitbegründet sein.435 Zielpunkt des Apophthegmas ist nämlich die antipapalistische Verzweckung von Luthers Mönchtum: Er habe all die Irrtümer („errores“436) selbst erfahren müssen, bevor er sie bekämpfen („repugnare“) konnte.437 Diesen Aspekt der Erfahrung verdeutlicht im 32. Locus zudem ein Rückblick Luthers.438 In diesem wird die Frühzeit als Mönch als Verfangensein („captus eram“) gedeutet, nur bei Rörer durch spätere Hinzufügung spezifiziert als gefangen „in menschlichen Traditionen“.439 Potenzielle Aktualität erhält das Ganze durch die Aussage, dass die „jungen Gesellen“ von diesen „Leiden“ nicht wüssten, theologisch interpretiert mit Joh 4,38. Luther habe der Teufel geplagt mit Hinterfragung seiner Lehre; deshalb sei denen nachzusehen, die lange im Kloster gewesen seien. Weitere Kontur erhält Luthers Bild hier schließlich durch Abgrenzung von Müntzer, Oecolampad und Zwingli. Diese hätten alle das Kloster zu früh verlassen und wären danach gescheitert. Anders – so der Subtext – Luther selbst: „Sic fit: Wenn Christus hinweg ist, so ist der Teuffel do et dicit: Du must es thun ad ultimum individuum. Christus autem condonat omnia peccata. Deus det, ut grati simus. Me nunquam vexat, das ich vnrecht gethan hab docendo. Quare ignoscendum

Zu der disparaten Überlieferungssituation s. LEPPIN, Luther, 48–52. Im Gothaer Kodex hat die Lauterbach-„Wellersche“ Tradition Eingang gefunden, zu deren Proprium es gehört, dass dem vom Vater ungewollten Eintritt zugleich dessen Freude am Austritt hinzugefügt wird, und der Vater Luthers gewissermaßen schon vor Luther selbst „der munch schalkheit“ erkannt habe. Im zweiten Teil des Zitats wird der historische Ort, d.h. die erste Primiz bzw. Luthers Skrupel anlässlich seiner ersten Messfeier, greifbar: „Ego Mar⌊tinus Luth⌊erus contra patris mei voluntatem monasterium ingressus sum et illius gaudio exivi. Denn er hatt der Monch schalkeit wol erkandt. Nam illo die, quo primitias canebam: Fili, inquit, nescis, quod patrem honorare debuisti? Wens nur ein gespenst mit dir nicht were! Et ego cum in missa starem incipiens canonem, ita horrui, ut fugissem, nisi per priorem admonitus fuissem; denn do ich die wort laß: Te igitur, cle⌊mentissime etc. et sentiebam mihi loquendum esse cum Deo sine mediatore, fugere volui sicut Iudas coram mundo. Nam quis potest maiestatem Dei ferre sine Christo mediatore? Summa, ego monachus expertus sum illos errores. Jch habs vorhin solln erfarn, antequam repugnarem“ (Chart. A 402, fol. 106r [WA 48, 559,19–22] bzw. WA.TR 3, 410,37–411,3 [Nr. 3556A]). 436 F folgt hier Wolf. 3231 und nicht der Leipziger Mathesius-Handschrift, die „horrores“ statt „errores“ liest (vgl. WA.TR 3, 411,2). 437 Zur primär heilsgeschichtlich motivierten Rezeption dieses Apophthegmas in der Lauterbach-Hänelschen Tradition s. S. 338f. 438 Vgl. Chart. A 402, fol. 100r–v [WA 48, 412,24f.] bzw. WA.TR 1, 220,9–221,2 [Nr. 495]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 219v–220r. 439 Vgl. Ms. Bos. q. 24c, fol. 219v. 435

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

illis, qui diu fuerunt in monasteriis. Munzer, Öcol⌊ampadius, Zwinglius springen bald heraus, aber darnach stunden sie nit.“440

Somit wird auch durch dieses Apophthegma die „leidensvolle“ Frühzeit Luthers als Mönch zur entscheidenden, ihn in besonderer Weise für die folgenden Kämpfe qualifizierenden Prägung stilisiert. Diese Zuspitzung eignet dem Apophthegma selbst, ist nicht erst einer „Redaktionsschicht von F zuzuschreiben. Wie entscheidend dieses Motiv für Weller war, zeigt z.B. noch sein Vorwort zum Kommentar des zweiten Samuelbuches aus dem Jahr 1555.441 Insofern liegt es nahe, auch die Übernahme des Apophthegmas als Erinnerung an Luthers eigene negative Erfahrung und Bekräftigung des „antipapalistischen“ Impetus des „Kämpfers“ Luther zu verstehen. 2.1.3.

Luther als Gegner des Interim

Vor dem Hintergrund der heilsgeschichtlichen Deutung von Luthers Tod und dem Rekurs auf den „Kämpfer“ Luther soll im Folgenden gezeigt werden, wie gezielt Luther vom Kreis um Weller als Gegner des Interim ins Feld geführt wurde, z.B. mittels Eingriffe in den Textbestand. Auch diese Facette der Memoria bzw. des Lutherbildes wird aufgrund der kämpferischen Zuspitzung vorrangig als „heroisierend“ zu verstehen sein. Das dahinter stehende, postulierte Erinnerungsinteresse soll zunächst anhand eines Apophthegmas aus der Rörerschen Überlieferung plausibilisiert werden, das von den Editoren der WA der Schlaginhaufenschen Tradition zugerechnet und Mitte 1532 datiert wird. Dieses Stück ist überlieferungsgeschichtlich äußerst spannend und ermöglicht zugleich einen erhellenden Einblick in die Genese von Apophthegmata.442 Ursprünglich scheint das Stück Teil einer von Luther wohl im privaten Kreis gehaltenen Auslegung von Psalmen gewesen zu sein. Aus diesem Komplex hat nun der „Wellersche Kreis“ einen Ausschnitt der Auslegung des 56. Psalms extrahiert und dabei den in Rörers Handschrift Ms. Bos. q. 24s noch klar erkennbaren exegetischen Rahmen aufgelöst und die Aussagen, die ursprünglich im Konnex mit Ps 56,9.13 standen, generalisiert.443 Ähnlich wie F kennen die Chart. A 402, fol. 100r–v [WA 48, 412,24–26] bzw. WA.TR 1, 220,23–28 [Nr. 495]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 219v–220r. 441 Vgl. WELLER, Opera, I, 124. 442 Insofern wird durch die folgenden Analysen zugleich exemplarisch deutlich, dass jede historische Auswertung von Apophthegmata einen hohen hermeneutischen Aufwand betreiben muss, um den „historischen Kern“ der Überlieferung herauszuarbeiten. 443 Ms. Bos. q. 24s, fol. 118r–121r bzw. WA.TR 2, 169–174 [Nr. 1664f.1668–1671]. Behandelt werden die Ps 148f., 34, 113, 40, 39 und 56. Letzterer findet sich ebd., 120v– 121r bzw. WA.TR 2, 172,22–174,23 [Nr. 1671]. Dieselbe Psalmenreihe findet sich auch in Ms. Bos. o. 17D (vgl. WA 31, 550), wobei der 56. Psalm hier in einer Kurzfassung 440

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Cordatische Tradition sowie Aurifaber, aber auch Rörer selbst um den exegetischen Rahmen gekürzte Fassungen. Wie die folgende Synopse zeigen wird, setzt die zweite Rörersche Fassung später ein und kann folglich nicht die Vorlage von F gewesen sein. Die Cordatische Überlieferung differiert zu stark, um hinter F zu stehen. Aurifaber wiederum ist zeitlich nach F anzusetzen. Dennoch müssen die Parallelen im Folgenden berücksichtigt werden, da sie die Propria der Fassung von F klarer erkennen lassen. Insgesamt sind also sechs Überlieferungen zu vergleichen: – der entsprechende Ausschnitt aus der „exegetischen Langfassung“: Ms. Bos. q. 24s, fol. 121r bzw. WA.TR 2, 174,8–19 [Nr. 1671 extr.]; – die „Wellersche“ Fassung: Chart. A 402, fol. 110v–111r; – Aurifabers „Kurzfassung“, die auf den in F übernommenen Text beschränkt ist (TR, fol. 362r–v); – Rörers „klassischere“ Apophthegma-Fassung, die gegenüber F einen kleineren Ausschnitt bietet: Ms. Bos. q. 24f, fol. 201r–v = WA.TR 1, 459,42–460,4 [Nr. 909];444 – Aurifabers „Langfassung“, die die „ganze“ Auslegung von Ps 56,9.13 bietet (TR, fol. 279v–280r);445 – die Cordatische Überlieferung: WA.TR 3,162,7–14 [Nr. 3063].

Insofern die ersten drei Überlieferungen den Dialogcharakter des Stückes beibehalten, gehören sie enger zusammen. „Freier“ mit der ursprünglichen Überlieferung gehen die letzten drei Fassungen um:446 Ms. Bos. q. 24s, fol. 121r A […] Auch hett er mir,

Chart. A 402, fol. 110v–111r

TR, fol. 362r–v

Sathan hette Der Papismir wol zu ten Bosheit.

Ms. Bos. q. 24f, fol. 201r–v

TR, fol. 279v–280r

WA.TR 3,162,7–14 [Nr. 3063]

[…] Mir hette der

Si Doctor non fuis-

wiedergegeben wird, die vor dem in Chart. A 402 übernommenen Abschnitt endet (vgl. ebd., 560,15–561,21). 444 Rörer selbst hat bemerkt, dass er dieses Stück schon in einer anderen Version festgehalten hat und verweist mittels Randbemerkung auf die „exegetische Langfassung“ (s. Ms. Bos. q. 24f, fol. 201r bzw. WA.TR 1, 459 Anm. 1). 445 Überschrieben mit „Der Teufel ist ein geschwinder / listiger Geist / der auch die besten werck / so frome Christen aus gnad und krafft des heiligen Geists thun / schendlich lestern und verkeren kan.“ 446 In der Tabelle sind diese Überlieferungen von links nach rechts notiert. Hervorhebungen durch Kursivdruck; I.K. Der Übersichtlichkeit halber, wird das Stück zur Analyse zudem in drei Abschnitte unterteilt. Der in F nicht übernommene Anfangsteil der Auslegung von Ps 56,9 in der Rörerschen Langfassung (Ms. Bos. q. 24s, fol. 120v– 121r bzw. WA.TR 2, 173,33–174,6) findet sich ebenfalls als separates Apophthegma in Ror Bos. q. 24f, fol. 201v (= WA.TR 1, 461,21–462,4 [Nr. 912]) sowie in der Cordatischen Tradition und deren Parallelüberlieferung (WA.TR 3, 162,23–29 [Nr. 3065a]; 162,30–163,7 [Nr. 3065b]).

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

der Satan, viel zuschaffen geben, si non fuissem Doctor. Non est levis res mutare illam totam papae religionem. – D⌊octor Io⌊nas: Valde mirum est, quod Satan vos impugnet, cum tamen conscientia vestra teste agatis negotium Dei!

B Nos libenter papae nos subiceremus et oboediremus, sed hanc nostram oboedientiam nolunt recipere.

447

schaffen geben, nisi fuissem Doctor. Non est leuis res mutare totam illam religionem papatus. Dixit D⌊octor Ionas: Valde447 mirum, quod Sathan uos oppugnat, cum tamen teste vestra scriptura agatis Dei iudicium.

Der Sathan hette mir viel zu schaffen geben/ wenn ich nicht were Doctor gewest. Es ist nicht ein schlecht ding/ die gantze Religion des Bapstthumbs endern/ die so tieff war eingewurzelt. Hierauff sagte D. Jonas/ Es ist wunder/ das euch der Satan so anficht/ Da Jhr doch vnsers Herr Gottes Sache füret/ wie ewer Schrifften zeugen.

R⌊espondit Luth⌊erus: Non libenter papae et episcopis oboediemus, sed nolunt suscipere istam nostram oboedientiam.

Antwortet D. M.: Wir wollen dem Bapst und den Bischoffen gerne Gehorsam leisten/ Sie wollen aber diesen vnsern gehorsam

Nos libenter papae et episcopis oboediremus, sed istam nostram oboedientiam non suscipiunt,

In F selbst nachträglich korrigiert aus „Val dei“.

Satan viel mehr zu schaffen gegeben/ wenn ich nicht were Doctor gewest. Es ist nicht ein geringe Sache/ die gantze Religion und Lere des Babsthumbs zu endern/ Wie schwer mirs worden ist/ wird man an jenem Tage sehen/ jtzt gleubts niemand.

sem, hette mir der Teuffel viel zu schaffen geben, neque enim tam levis est res invadere et culpare totum papatum.

Nu hette ich mich gern dem Bapst vnd seinen Geistlichen in der erste unterworffen/ vnd jnen gehorsam geleistet/ aber sie wolten

Et licet papae et omnibus episcopis libenter oboedirem,

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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vnd erbieten nicht annemen/

solche Demut vnd Gehorsam nicht annemen/ Hoc autem Sed hoc Sondern sed hoc Sondern agunt et agunt, ut wollen quaerunt, ut stunden vnd urgent, ut Christum stracks/ wir Christum drungen Christum negemus, sollen negemus, darauff/ wie negemus, Deum men- Christum Deum men- noch heutiDeum men- dacem verleugnen/ dacem ges tages/ dacem esse testemur et Gott zum testemur ac das ich Gott dicamus et euangelium Lügner euangelium solte Lügen euangelium haeresin machen/ dicamus straffen/ haeresin. dicamus. vnd sagen/ haeresin. Christum Daruber wil Das Euanverleugnen/ ich mich gelium sey sein Euanverbrennen Ketzerey. gelium lassen, Gott Das können/ Ketzerey helff mir! wollen/ noch schelten/ sollen wir Ehe ich das nicht thun/ thue/ wil ich Es gehe vns mich/ ob darüber wie Gott wil/ der liebe wenns Gott will/ möglich were/ lieber zehen mal drüber verbrennen lassen. C [Ps. 56, 13] Jch hab dir gelobt, scilicet in primo praecepto. Sic nos in baptismo vovimus, das wir wollen an im halten, fest gleuben, et in omnibus tentationibus renova-

sed cum meam oboedientiam non velint nisi negato Christo et euangelio eius, malo eos impugnare quam Deum mendacem facere.

Voui in primo praecepto et baptismo,

Denn wir haben gelobt und geschworen in der Tauffe/

Ego in primo praecepto et baptismo vovi,

Ich hab meinem lieben Herrn Christo in der Taufe gelobt/

In baptismo et primo praecepto vovemus omnes,

das ich ann Jm wil feste haltenn, et in tentationibus renovatur baptismus et votum primi

Daß wir wollen bei jm und seinem Wort halten/ fest an jn gleuben/ vnd dem

das ich wolle an im halten vnd feste glauben; in omnibus tentationibus renova-

ich wolle an IN gleuben/ vnd fest an IM halten/ das wil ich/ durch sein Gnad/ Wirkkung

wir wollen fest halten an Gott, et in omnibus tentationibus, quas superamus, hoc votum

194 tur baptismus, votum verum et summum; sie hetten mich sonst getödtet.

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition praecepti. Sie hettenn mich sonst getodtet.

Teufel/ vnd allen seinen Lügen abgesagt/ Vnd in allen Anfechtungen wird die Tauffe/ und das höchste Gelübde vernewet/ One das hette ichs in Anfechtungen nicht können erwehren,/das sie mich nicht getödtet und uberweltiget hetten.

tur baptismus et supremum votum, alioqui extinxissent me tentationes.

vnd Hülffe thun. Nu weis ich das in allen Anfechtungen/ nehmlich/ das Gelübde/ so ich in der Tauffe gethan habe/ Ich wolle an IN gleuben/ (welchs das rechte vnd höchste Gelübde ist)/ Vnd ER widerumb zugesagt/ ER wolle mein Gott sein/ Wo ich diesen Trost nicht gehabt/ wäre ich längst/ fur großem Leide/ in meinen schweren Anfechtungen vergangen/ Der liebe Herr helfe weiter/ Amen.

nostrum innovatur. Jch were sonst lengst todt

Allen Überlieferungen gemein ist, dass sie im ersten Abschnitt (A) an Luthers Verweis auf seinen Status als Doktor der Theologie festhalten. Thematisch geht es um die Angriffe des Teufels auf Luther448 bzw. die auf Diesen Aspekt betont Rörer mittels farbiger Randnotizen wie „Diaboli conatus“ (Ms. Bos. q. 24s, fol. 120v) bzw. „calumniator“ (ebd., fol. 121r). 448

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

195

Luther zurückzuführende Transformation der „religio“.449 Der „Wellersche Kreis“ transzendiert diesen Bezug und das Gespräch vom Anfang der 1530er Jahre jedoch durch aktualisierende Konkretionen und zwar mittels auf den ersten Blick marginal erscheinender Änderungen gegenüber der Rörerschen „exegetischen Langfassung“. Zum einen ändert er das bekämpfte Gegenüber von „Papst“ in „Papsttum“ – eine Änderung, die zwar auch von den übrigen Überlieferungen mitvollzogen wird, die aber dennoch durch die breitere Extension die Subsumierung der aktuellen Auseinandersetzungen erleichtert. Zum anderen wurde die Replik des namentlich genannten Wellerfreundes, Justus Jonas, revidiert. Im Unterschied zu Rörer wird in F nicht mehr Luthers „conscientia“ zum Zeugen, sondern seine „scriptura“. Diese Änderung konvergiert trefflich mit Wellers Wertschätzung der Schriften Luthers aber darüber hinaus auch mit dem „gnesiolutherischen“ Vorverständnis, nach dem Luthers „Werk“ in den zeitgenössischen Streitigkeiten als „Garant der Wahrheit“ anzusehen sei.450 Luthers „Gewissen“ kann nach seinem Tod diese Funktion nur schwerlich erfüllen. Die in engem Zusammenhang mit dem gerade Ausgeführten stehende dritte Änderung von „negotium Dei“ in „iudicium Dei“ verstärkt diesen Eindruck, bedeutete dies doch, dass nach seinem Tod nun durch seine Schriften das göttliche Gerichtsurteil greifbar bleibt. Auf denselben Impetus ist wohl des Weiteren die nur in F greifbare Ergänzung und evtl. auch die Verneinung des ersten Halbsatzes im Abschnitt B zurückzuführen. In der „exegetischen Langfassung“ ist nur vom Papst und nicht auch den Bischöfen die Rede. Zusätzlich wird in F das „nos“ der Vorlage durch ein „non“ ersetzt. Diese Verneinung ist grammatikalisch und inhaltlich mit Blick auf die gesamte Satzstruktur wenig sinnvoll, wurde aber trotzdem im Unterschied zu anderen augenscheinlichen Fehlern nicht verbessert.451 Es legt sich der Eindruck nahe, dass der Satz, man wolle sich gerne dem Papst und den Bischöfen unterwerfen, für den Urheber(kreis) von F schlicht nicht aussagbar war. Dies käme einer Unterwerfung unter das Interim gleich, dessen 13. Artikel eben diese Unterstellung der protestantischen Geistlichen unter die Jurisdiktion der altgläubigen Bischöfe (sowie die implizite Anerkennung der päpstlichen Autorität) forderte: „Hanc autem plenitudinem potestatis sic videtur Christus Petro eiusque successoribus dedisse, ut reliquis episcopis partem sollicitudinis eius commissae non abstulerit, sed suarum ecclesiarum et dioecesium veros iure divino episcopos esse voluerit. Debent

449 Während die anderen Überlieferungen übereinstimmend von „mutare“ bzw. „ändern“ sprechen, führt die Cordatische Überlieferung das martialischere „invadere“ und „culpare“ an; im zweiten Abschnitt (B) wird diese kämpferisch-antipapalistische Lesart fortgeführt („malo eos impugnare“). 450 Vgl. DINGEL, Lutherrezeption. 451 S. S. 192 Anm. 447.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

autem christiani omnes et pontifici summo et singulis suis etiam episcopis parere, iuxta illud Apostoli: Obedite praepositis vestris, qui vigilant pro animabus vestris.“452

Insofern teilte der „Wellersche Kreis“ z.B. mit Nikolaus Gallus, einem der erklärten Gegner des Kursächsischen Sonderwegs, die Überzeugung, dass die Anerkennung der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt gleichsam eine Unterwerfung unter den Antichrist darstelle: „Nach dem das Babstumb fuer des Antichrists Reich bei vns durch Gottes wort erkleret vnd gehalten wird, so ists fur Gott ein ware verleugnung vnd abgoetterey, sich oder andere demselbigen vnd seinen Bischoffen nicht allein vnterwerffen inn Religions sachen, sondern auch jchtes das aller wenigste, das inn den Kirchen Christi vmb des Antichrists willen gefallen, vmb seinen willen aus noth, widder auffrichten.“453

Der im Apophthegma auf den ersten Halbsatz folgenden Attacke Luthers auf die Gegner, die wollten, dass die Protestanten Christum verleugnen, Gott zum Lügner und das Evangelium zur Häresie machen, wohnt – zumal von der gleichsam als „Freudsche Fehlleistung“ zu interpretierenden Ergänzung des „non“ her – wiederum ein hohes „Aktualisierungspotenzial“ inne. Dieser Angriff war dem „Wellerschen Kreis“ anscheinend wichtiger als die nicht mitübernommene Martyriumsbereitschaft Luthers, die von allen Parallelen nur in der Aurifaberschen „Langfassung“ – dort jedoch in gesteigerter Form – Aufnahme fand.454 Im dritten Abschnitt (C) wird der Überarbeitungsprozess von der „exegetischen Langfassung“ hin zum „Apophthegma“ besonders deutlich. Das Psalmzitat „Ich hab dir gelobt“, das ursprünglich mittels inkludierendem „wir“ gedeutet wurde, wurde von Rörer [Ms. Bos. q. 24f] und vom „Wellerschen Kreis“ zur reinen Selbstaussage Luthers umgeformt; Cordatus hielt an der 1. Person Plural fest [Nr. 3063]. Zugleich wurde der Verweis auf das erste Gebot nicht ganz spannungsfrei mit den Ausführungen Luthers zur Taufe verbunden. Diese Spannung löste Aurifaber auf, insofern er – in beiden Fassungen – den Hinweis auf das erste Gebot ausließ.455 Insofern in den „Überarbeitungen“ der exegetische Rahmen eliminiert worden war, standen die „tentationes“ nun im Konnex mit dem Kampf gegen das Papsttum. Aufgrund der vorangegangenen Eingriffe des Kreises um Weller eignet dessen Variante dieses exponierten Verweises auf das Festhalten an Gott in „Anfechtungen“, zurückgebunden an das erste Gebot und das 452 Zitiert nach MEHLHAUSEN, Augsburger Interim, 73. Ebenso angedeutet wird die Unterwerfung der Geistlichen unter die bischöfliche Jurisdiktion in der „Leipziger Landtagsvorlage“ (s. KOHNLE, Bugenhagen, 225), so dass auch dieser Text mitschwingen mag. 453 GALLUS, Gegenbericht, 745,14–19. 454 In der „Kurzfassung“ verstärkt Aurifaber hingegen die Ablehnung der gegnerischen „Forderungen“. 455 Zu Aurifabers Rezeption s.a. S. 485f.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Taufversprechen, wohl ein nicht geringer „aktuell-religionspolitischer“ Impetus. Insgesamt ist die Fassung von F durch einen deutlichen Antipapalismus geprägt, der in den zeitgenössischen Konflikten ein hohes Maß an Aktualisierbarkeit aufwies und identifikatorische Orientierungshilfe bot: Der Kampf gegen die „Papisten“ ist nicht einfach; „Kampfmittel“ sind Luthers Schriften sowie das Festhalten am Gelöbnis der Taufe und dem ersten Gebot; keine Unterstellung unter papistische Autorität. Eine kompromissbereite Haltung, wie sie von „Interimsanhängern“ bzw. „Adiaphoristen“ vertreten wurde, war mit Blick auf dieses Apophthegma kaum denkbar. Vor dem Hintergrund dieser bewusst vorgenommenen Änderungen wäre des Weiteren zu fragen, ob nicht auch die Übernahme eines Nachtragsstückes des 32. Abschnittes, in dem der Wormser Reichstag thematisiert wird, von dieser Intention her zu deuten wäre. Entgegen der Schwerpunktsetzung im 19. Jahrhundert hatte der Kreis um Weller wenig Interesse an der für das spätere Lutherbild so entscheidenden Szene Luthers vor Karl V. Nur ein einziges Apophthegma des Abschnittes kommt auf Worms zu sprechen, thematisiert jedoch auch nicht das direkte Aufeinandertreffen der Protagonisten. Vielmehr greift das Stück eine der im Anschluss an Luthers Rede vor Kaiser und Reich stattfindenden Unterhandlungen auf und übermittelt klare Worte gegenüber dem Kaiser: „Vuormatiae propositum est ei, das ers wolt dem keiser heimstellen. Re⌊spondit: er wolt ehr das Gleit auffsagen. Jbi fabianus a Feylisch456: Das ist Ja gnug erboten! Ibi cum crederet [Kursivierung; I.K. – wohl zu streichen] urgeretur an non crederet caesarem esse christianum et christiane iudicaturum cum alijs principibus? Ob er sie vor vnchristen hielte? Re⌊spondit: Was sol ich den gleuben, die Jr geleit nicht gehalten haben et exusserunt libros meos nondum cognita causa?“457

Wenn auch am Apophthegma selbst nur bedingt erkennbar, summiert dieses die Verhandlung im kleinen Kreis vom 25. April 1520 – am selben Tag hatte Luther dann um die Erlaubnis zur Abreise gebeten.458 Im Zentrum steht der Kaiser; über Luther selbst erfährt man streng genommen wenig. Entsprechend ist das Apophthegma auch bei Rörer nur neutral mit „Vuormatiensis conventus“ kategorisiert und nicht besonders auf Luther bezogen. Nun weisen die Veränderungen gegenüber den Parallelen nicht auf eine besondere aktualisierende Redaktion hin. Und dennoch mag es kein Zufall sein, dass in Bezug auf Worms nur dieses negative Kaiserbild Die falsche Identifikation des kursächsischen Rates mit Fabian statt Philipp von Feilitzsch – ersterer war bereits 1520 verstorben – teilt F mit den Parallelen. 457 Chart. A 402, fol. 115v [WA 48, 406,20f.] bzw. WA.TR 1, 149,28–150,4 [Nr. 357]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 278r. 458 S. hierzu KÖSTLIN / KAWERAU, Luther, I, 427. 456

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Luthers Eingang in den Kodex gefunden hat. Luthers Aussage vom Herbst 1532 bzw. 1520 hatte für Interimsgegner nichts an Wahrheit eingebüßt. Vielmehr mahnte sie zur Vorsicht und Widerstand gegen einen willkürlich agierenden Kaiser, der immer noch Karl V. hieß und die Bücher bzw. Lehre der Anhänger Luthers immer noch nicht wahrnehmen wollte. Dass das Wormser Ereignis zeitgenössisch tatsächlich kontroverstheologisch instrumentalisiert wurde, zeigen erneut die Commentaria.459 Cochlaeus ruft darin das mittlerweile fast 30 Jahre alte Wormser Edikt nicht nur in der Praefatio exponiert in Erinnerung, sondern lässt es nicht minder exponiert am Ende der Commentaria erneut abdrucken und versieht dieses mit positionellen Randbemerkungen, die eine schnelle Orientierung bezüglich Luthers häretischer Widerständigkeit und Gesetzes- wie Glaubenslosigkeit erlauben.460 Für Cochlaeus hatte die Notwendigkeit des kaiserlichen Eingreifens eher zu- als abgenommen.461 Noch weniger um die konkreten historischen Ereignisse dürfte es dem Kreis um Weller in Bezug auf das folgende Apophthegma gegangen sein, das ursprünglich auf das Verhalten der Schweinfurter auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 bezogen war.462 „In comitiis Augustanis cum summa humilitate supplicavimus, ipsi oblatam occasionem nolebant suscipere. Nu mussen sie es bey vns suchen, quia vident caesarem suis votis non respondere. Es ist aber so weit kommen, das keinem part occasio wird gegeben; wir konnen nu nicht nachlasen, so vermugen sie es auch nicht, et ita utrique parti occasio oblata iuxta proverbium: Fronte capillata etc. [d.h.: post haec occasio calva; I.K.], et Horat⌊ius: Nescia mens hominum etc. [d.h.: sortis ignara futurae]. Also haben sie es auch vorsehen. Wir mußens auff beiden teilen wagen, es mus brechen.“463

459 Dieser verstärkte Rekurs auf Worms mag auch biographisch bedingt sein. Cochlaeus hatte Luther – am Vortag der in F greifbaren Verhandlung – zur Disputation „ad aequale periculum“ aufgefordert. Dieses als perfider Trick gedeutete Angebot sorgte für reichsweite Anfeindungen und auch für Verstimmung zwischen Cochlaeus und dem Nuntius Aleander, da Cochlaeus damit seine Befugnis überschritten hatte. Cochlaeus’ Versuch, dies mittels einer Gegendarstellung richtig zu stellen, scheiterte. Noch im Jahr 1540 veröffentlichte er den im Juni 1521 verfassten Bericht als Druck (s. hierzu das Vorwort zur von Greving verantworteten Edition der Druckfassung: COCHLAEUS, Colloquium, hier: 182–188) und auch in den Commentaria verteidigte Cochlaeus sich ausgiebig (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 39f.). 460 Vgl. COCHLAEUS, Commentaria, c ij r. 327–339. 461 Vgl. KEEN, Introduction, 53. 462 Dies wird an der in der Zellerfelder Handschrift greifbaren Variante deutlich, in der die „Schweinfurter“ explizit benannt werden: vgl. WA.TR 3, 184,26–185,5 [Nr. 3137a]. Zum wahrscheinlichen historischen Ort der Äußerung, der „Schweinfurtischen Handlung“ vom Mai 1532, s. SIMON, Überschreitung, bes. 109–114. 463 Chart. A 402, fol. 113v [WA 48, 535,35–37] bzw. WA.TR 3, 185,6–14 [Nr. 3137b]. Zur Identifikation der zur Deutung herangezogenen „klassischen Zitate“ s. WA.TR 3, 709.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Augenscheinlich vermittelt das Apophthegma keine besondere Aussage Luthers über sich selbst. Die in F übernommene Variante lässt den ursprünglichen historischen Anlass nicht mehr erkennen.464 Insofern ist auch nicht klar, ob dem Kreis um Weller bewusst war, dass es sich hier um einen innerprotestantischen Konflikt handelte und nicht um die Auseinandersetzung mit den Altgläubigen. Eingangs wird das demütige Werben der Anhänger Luthers um die nun nicht näher bezeichnete Gegenseite betont. Nach verpasster Gelegenheit seien die Fronten auf beiden Seiten verhärtet, ein zu überwindender Zustand. Fragt man nach der Intention, mit der der „Wellersche Kreis“ im Jahr 1551 dieses Apophthegma als autoritative Aussage Luthers in den 32. Locus übernimmt, so dürfte auch hier die aktuelle Krise im Vordergrund gestanden haben. Die damit verbundene Botschaft könnte ebenfalls auf eine Kritik am Kaiser zielen, auf dem keine der Konfliktparteien hoffen könnte. Neben diese auf die beiden Reichstage bezogenen und evtl. als kaiserkritisch verstandenen Apophthegmata treten solche, die vor dem zeitgenössischen Hintergrund den Eindruck nahelegen, der Kreis um Weller wolle durch diese – ähnlich wie bereits in Bezug auf das Mönchtum ausgeführt worden ist – Luther vor einem Rückfall in die alten „Irrtümer“ warnen lassen. Das erste hier in den Blick zu nehmende Apophthegma ist auf die Wankelmütigkeit der Einwohner der Stadt Wittenberg bezogen: „Ego si vellem, possem 3 sermonibus totam ciuitatem in pristinum errorem reducere, paucissimos tamen excipio velimque id facere hac ratione: Non vellem damnare quae hactenus docui sed probare et tamen addere hanc particulam: Vera sunt, quae docui. Aber wir mussen hocher kommen. Hinc vellem urgere opera charitatis so fiele man nicht so bald auff den hipocrisin. Alius dixit: Hoc nunquam possetis efficere. R[espondebat: Si sathan doctrinam mihi potest et quidem saepe eripere, ego sine dubio possem quoque alijs eripere. Warumb konnen es denn die leute so bald et praesumunt? Vellem face[re] sicut ille gladiator, qui cum diceret discipulo antagonistae: Solus non pugnabo, sed contra duos et ille respiceret, quis ille alter esset, abrupitur ei ceruix a magistro cum hac voce: Das hab ich dich noch nicht gelernt.“465

Während in der Dietrichschen Fassung Melanchthon und einige der Anwesenden als Ausnahmen benannt werden,466 folgt dieses Nachtragsstück den anderen Zeugen, allen voran der Rörerschen Tradition, die nur noch 464 F konvergiert hier mit dem Text der Zwickauer Handschrift Cod. ms. LXX (= Zwick; zur Handschrift s. SCHÄUFELE, Bestandsübersicht, 180). Dass der dortigen Apophthegmata-Sammlung „verschiedene Texte zum adiaphoristischen Streit“ vorangehen“ (WA.TR 3, IX), könnte als schwaches Indiz einer zeitgenössischen äquivalenten Deutung gesehen werden. 465 Chart. A 402, fol. 115r–v [WA 401,27–31] bzw. WA.TR 1, 103,1–13 [Nr. 247]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 271r. 466 Vgl. WA.TR 1, 103,2f.: „[…] de Philippo et aliquot vestrum non dico, sed paucissimos excipio.“

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Luthers Aussage aufgreifen, dass „äußerst wenige (paucissimi)“ hier auszunehmen wären. Insofern dem „Wellerschen Kreis“ die Dietrichsche Tradition wohl nicht vorlag, dürfte hier keine bewusste Entscheidung für die Auslassung der positiven Aussage über Melanchthon vorliegen. Dennoch übermittelt der Text gerade in der Rörerschen Fassung eine grundsätzliche Empfänglichkeit der Wittenberger für den Rückfall in „papistische Lehren“. Zusätzlich insinuiert die Anekdote vom Fechtmeister,467 dass die Abfallenden zu Luthers engen Vertrauten gehörten, und spitzt die Aussage auf eine Person zu („discipulus“), die zum Gegner Luthers geworden ist und diesem aber unterliegt. Insofern könnte hier tatsächlich auch eine unterschwellige Kritik an Melanchthon mitgehört worden sein. Plausibilisiert werden kann diese potenzielle Wittenbergkritische Aktualisierbarkeit als Katalysator der vorliegenden Rezeption durch zeitgenössische Texte wie das von Stefan Tucher überlieferte „prophetische“ Logion, das sich im Postskript der Edition aus dem Jahr 1549 von Luthers letzter Predigt in Wittenberg findet: „Doctor Martinus Luther heiliger gedechtnis / hat offt vor vielen andern glaubwirdigen unnd auch vor Doctor Augustin Schurff gesagt / diese wort. Nach meinem tod / wird keiner von diesen Theologen bestendig bleiben. Solchs hat D. Augustinus Schurff D. Pomern erinnert da Wittenberg auffgegeben [d.h. im Schmalkaldischen Krieg; I.K.] / unnd gesagt / jetzt were zeit zu schreien wie die feinde das Euangelion sucheten (denn zuvor predigte D. Pomer hefftig widder die feinde / aber nu ist ein ander zeit) unterzudrücken.“468

Verstärkt wird die Konvergenz dieses „vaticinium“ mit dem Apophthegma dadurch, dass die Predigt selbst, die als letzte geradezu testimoniellen Charakter erhält, gegen die Adiaphoristen aktualisiert interpretiert wurde.469 Dass dem „Wellerschen Kreis“ daran gelegen war, mit Luther in der aktuellen Krise vor der Rückkehr zu altgläubigen Positionen zu warnen, legt zudem ein neben F nur aus der Cordatischen Tradition bekanntes Apophthegma nahe, datierend auf die zweite Hälfte des Jahres 1531. Thematisch geht es wiederum um das Mönchtum. Erneut hat der „Wellersche Kreis“ gegenüber der Parallelüberlieferung bewusst eigene, das Apophthegma antimonastisch aktualisierende Akzente gesetzt: Chart. A 402, fol. 105r–v [WA 48,490,4–8]

WA.TR 2,407,28–31 [Nr. 2286]

„Jch bin gern ein Munch worden. Nu aber „Jch bin nicht gern ein munch worden; nu sihet mich aber die welt alßo an, das ich sehe ich die welt also an, das mich vord467 Obwohl Luther diese in verschiedenen Kontexten erzählt hat (vgl. WA.TR 1, 103 Anm. 22), gehört sie zum Grundbestand. 468 Postskript Tuchers zu Luther, Letzte Predigt (ebd., C 4r). 469 Näheres hierzu s. KAUFMANN, Ende, 163–165.371f.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“ reust, darin zu leben. Nhu wolt ich schir gerne wider ein Munch werden, das hiesse nu recht jn die reuse gelauffen, damit ich der schendtlichen welt aus den augen keme.“

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schir gern ein munch widerumb wolt werden. Das ist nu recht in die wusten lauffen vnd der schendlichen welt aus den augen komen.“

Durch die Auslassung der Verneinung „nicht“ wurde eingangs Luthers Klostereintritt von diesem als positive freie Entscheidung qualifiziert. Mag dies noch auf Unachtsamkeit des Schreibers zurückzuführen sein,470 stellte der anschließende Subjektwechsel eine bewusste Änderung dar. In F sieht nicht die Welt Luther an, sondern Luther qualifiziert die Gegenwart als äußerst negativ. Im Hintergrund ist zum einen das paulinische Motiv der Geringachtung der gegenwärtigen Existenz erkennbar,471 wenn Luther sein Leben in der Welt „verdreust“. Zum anderen liegt es nahe, hier zugleich einen Reflex der bedrohlichen religionspolitischen Lage zu sehen. Dass das im Folgenden verwendete Bild von der „reuse“, wie Haußleiter meint, hier im übertragenen Sinne für „zum Ziel gelangen, seinen Zweck erfüllen“ verwendet wird,472 erscheint fraglich. Einleuchtender erscheint es, die „Reuse“ schlicht als „Fangvorrichtung“ zu verstehen. Damit würde die vermeintliche Lösung einer Flucht aus der „schendtlichen welt“ zu einer Flucht in die Falle des Mönchtums. In einer Phase, in der das Mönchtum durch das Interim gestärkt wurde und zudem im Hinblick auf die Adiaphora nicht wenige protestantisch Gesinnte aus Sicht ihrer Gegner mit einer Rückkehr zum „Alten“ liebäugelten, stellte diese Metapher eine deutliche Warnung und Handlungsorientierung dar. Unter Rückgriff auf Luthers Autorität hätte der Kreis um Weller diese Lösung als Trugschluss entlarvt. Damit hätte der Kreis einen bewussten Akzent gegenüber der Fassung des Cordatus gesetzt, in der das klassische Bild vom Mönchtum als Rückzug aus der Welt in die Wüste verwendet worden war. Der mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit plausibilisierte Rekurs auf Luther als Gegner des Interim ist nun hinsichtlich der umstrittenen Teilnahme am Konzil zu vertiefen. 2.1.4.

Luther als Gegner einer Konzilsteilnahme

Religionspolitisch eng verbunden mit den interimistischen und adiaphoristen Streitkreisen ist die Frage nach einer Teilnahme der Protestanten

470 In H findet sich der Text ebenfalls mit „nicht“ (Sup. Ep. 4° 73, fol. 123v). Insofern stellt die Fassung des ersten Satzes mit Verneinung die besser bezeugte dar. 471 Vgl. Phil 1,23. 472 WA 48, 490 Anm. 3.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

am – wieder zu eröffnenden – Trienter Konzil zur Klärung der Religionsfrage,473 sollte doch das „Interim“ klären, „wie mitler zeit, biß zu endung und außtrag des concilii, gemeine stennde gotseliglich und in guetem, friedlichen wesen beyeinander leben und wonen mochten, und niemandt wider recht und pillichait geschwerdt werde“474.

Allein dieser Selbstanspruch als Zwischenlösung verdeutlicht, dass das in Trient begonnene und in Bologna bis 1549 fortgesetzte Konzil diese Erwartung bis dahin nicht erfüllen konnte. Jedoch kam es am 1. Mai 1551 zur offiziellen Eröffnung der zweiten Sitzungsperiode in Trient. Voran gingen langwierige Verhandlungen.475 Papst Julius III. verband mit seinem Aufruf vom Sommer 1550 auch die Hoffnung auf eine Teilnahme der protestantischen Stände. Während der Ernestiner Johann Friedrich I. auch nach Verlust der Kurwürde an seiner kritischen Haltung gegenüber einer Konzilsteilnahme festhielt,476 erwog der an dessen Statt zum Kurfürsten erhobene Landesherr Wellers, Moritz von Sachsen, nachdem nach vorangegangenen Sondierungen spätestens auf dem Augsburger Reichstag von 1550/51 die Konzilsfrage wieder virulent geworden war, eine an Bedingungen geknüpfte Teilnahme albertinischer Theologen. Mit der in diesem Kontext von Melanchthon verfassten und von den führenden Theologen, Superintendenten und Pfarrern im Juli 1551 unterzeichneten Confessio Saxonica477 kamen in Kursachsen zumindest auf offizieller Ebene die Streitigkeiten um das Interim bzw. die Adiaphora zu einem Ende.478 Nachdem F in Jahr 1551 abgeschlossen worden ist, wird man nur bedingt damit zu rechnen haben, dass diese neue Entwicklung noch tiefere Spuren hinterlassen hat. Nichtsdestotrotz ist die Frage nach dem Konzil auch dort präsent, mit klar abschlägigem Fokus. Dieser Zugang konvergiert mit Luthers Haltung gegenüber dem Trienter Konzil. In seinen letzten Lebenswochen hatte er die Eröffnung der ersten Sitzungsperiode noch äußerst kritisch begleitet.479 U.a. wünschte er, dass seine im Jahr 1545 473 Zu Luthers Haltung gegenüber der Konzilsfrage im Allgemeinen und Trient im Besonderen s. SPEHR, Konzil, bes. S. 540–563. Zur Debatte um die Teilnahme s. BROCKMANN, Konzilsfrage, bes. 324f.372–382. 474 Zitiert nach: MEHLHAUSEN, Augsburger Interim, 30. 475 Vgl. JEDIN, Geschichte, III, 219–246; zum Tridentinum s.a. MÜLLER, Tridentinum (Lit!). 476 Vgl. WOLGAST, Konzil, bes. 290–293; BAUER, Kampf, 288f.; MENTZ, Johann Friedrich, III, 278–282. 477 Vgl. CR 28, 339–457. Aus Freiberg war Caspar Zeuner anwesend. 478 Vgl. WARTENBERG, Confessio; WARTENBERG, Entstehung, 88; SCHEIBLE, Melanchthon, 208–214. 479 Bereits Anfang Januar klagte Luther Jonas gegenüber wegen des Trienter Konzils (vgl. HASSE, Jonas, 198). S. auch Luther an Fürst Georg von Anhalt. Eisleben, 29. Januar 1546: WA.B 11, 273,14–18 [Nr. 4193]: „Noua nulla habeo. Credo enim Cel. t.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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verfasste harsche Abrechnung mit dem Papsttum und der Konzilsfrage, d.h. seine Schrift Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet480, den Konzilsteilnehmern in der deutschen Urfassung wie der von Wellers Freund Justus Jonas erstellten lateinischen Übersetzung zugehen sollte.481 Wenn Luther nach dem „offiziellen“ Bericht von seinem Sterben beim Zubettgehen am Abend vor seinem Tod bittet „D. Jonas und M. Celi und ihr andern, betet für unsern Herrn Gott und sein Euangelium, das im wolgehe. Denn das Concilium zu Trent und der leydige Papst zürnen hart mit ihm“,482

dann wird seine ablehnende Haltung geradezu zum Vermächtnis. Von hier könnte die im Locus „De conciliis“ von F greifbare harsche Abrechnung mit den päpstlichen Konzilsplänen plausibilisiert werden. Es handelt sich um vier Grundstücke, datierend von 1533 bzw. 1537.483 Diesen eignet angesichts der neuen Überlegungen um 1550 ein hohes Maß an Aktualität bis in den Wortlaut hinein, wie zunächst an Überlieferungen aus der Lauterbach-„Wellerschen“ Tradition gezeigt werden soll: „Interrogatus, quid papae et caesari de concilio respondisset, re⌊spondit: Nihil sunt nisi fallaciae contra nos. Papa suum concilium contra pestiferam Lutheranam doctrinam [statt: haeresim; I.K.] decrevit et nos uocat, ut osculemur gladium caesaris nos occidentem, das wir vns vnser eign blut vnd leben sollen absprechen vnd jm recht geben; ist das nicht zu grob vnd viel? Quod superat omnem cogitationem et eloquentiam!“484

Ebenfalls dieser Tradition ist das gewissermaßen mitten in den zeitgenössischen Kontext der Streitigkeiten um das Interim und die Konzilspläne hinein sprechende Apophthegma entnommen, in dem neben der Warnung vor dem Reformunwillen der „Papisten“ das Zugestehen von Laienkelch und Priesterehe als unzureichend qualifiziert werden:

audisse Concilium esse per Papam apertum (vt vocant), id est inchoatum. Sed medium erit tardum et finis nullus, tamen vt Romanae Syrenes vexent populum, sicut est moris styli, naturae et inueteratae iam olim nequitiae in ista Baylone. Exurgat Dominus et dissipet inimicos suos. Amen, Amen, Amen.“ 480 WA 54, 206–299. 481 Vgl. Jonas an Veit Dietrich. Halle, 9. März 1546: BrWJJ 2, 186 [Nr. 789]: „Reverendus d. doctor constituerat illum librum denuo excusum auctiorem latine edere et mittere duo, latinum et germanicum, exemplaria Tridentum peculiari tabellario, vel alias certo tabellario. Sed praeventus est morte. Utinam cures tu pro amore erga virum et odio erga papatum Argentinae vel Norimbergae denuo latine excudi et per ministros mercatorum spargi Tridenti.“ 482 WA 54, 490,18–20. 483 Vgl. Chart. A 402, fol. 116r–v bzw. WA 48, 375,29f. 484 Chart. A 402, fol. 116r [WA 48, 558,19–23] bzw. WA.TR 3, 402,8–20 [Nr. 3550], Zitat: ebd, 402,8–13.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„Papa in suo concilio non quaerit reformationem, nam hoc dicens: Reformatio Romae est exosior quam tonitru coeli aut extremus dies. Sicut cardinalis dixit: Edant, bibant sub utraque specie etc.; quid ad nos? Sed si uelint nos reformare, tunc repugnabimus. Neque nos Lutherani sumus contenti eucharistia sub utraque et coniugio sacerdotum, sed volumus habere etiam doctrinam fidei et iustificationis sinceram, quae omnem idolatriam expellit. Expulsa idolatria papatus fundamentum corruit. Hanc reformationem sentit et timet.“485

Ganz in Wellerschen Sinn werden mit einem weiteren, wohl aus Wolf. 3231 übernommen, Apophthegma als einziges Fundament der Lehre Gottes Wort und sein Wille benannt: „Nuntius caesaris cum mandato ad omnes Germaniae principes 21. martii in domo Lutheri aderat, ut ipsum videret, et dicebat papam ad instantiam caesaris perfugere concilium. Cui Luth⌊erus: Papa est iniquissimus nebulo! Ego semper speraui fore concilium, non ut nostra doctrina confirmaretur, quae ab alio diu et semper confirmata est, sed ut in externis aliqua concordia et reformatio fieret. Nemo igitur tam stultus sit, qui homines consoletur futuro concilio. Verbum Dei debet esse fundamentum nostrae doctrinae, ne dicam, quod concilium adhuc est incertum. Es sterben noch in des wol 100 000 menschen, antequam fiat. Ideo homines ad verbum Dei eiusque voluntatem, non ad concilii autoritatem ducendi sunt.“486

Dass am Ende des Locus ein Brief Luthers an den gebürtigen Freiberger Hausmann steht, in dem dieser seine negative Antwort an den Boten des Papstes und Kaiser bezüglich des Konzils andeutet, verleiht der Gegnerschaft adressatenspezifisch eine lokale Prägung.487 In diesem Locus hätte auch das folgende Apophthegma aus dem 32. Locus eingeordnet werden können. Datierend vom Dezember 1536 war es ursprünglich auf das nach Mantua einberufene Konzil bezogen. Im Unterschied zu den vorangegangenen Stücken kommt hier Luthers Weigerung, an einem Konzil teilzunehmen, begründet zur Sprache, so dass tatsächlich zugleich ein Aspekt des Lutherbildes greifbar wird: „Lutherus dixit: Si me papa citaverit ad concilium, non veniam. Jch schiesse jm auff die citation, quia est adversarius. Si autem concilium mihi dicam [evtl. statt ‚diem‘; I.K.] indixerit, tunc obtemperabo. Jch wurd aber wilkommen sein vnd freundlich empfangen werden. Nam me horrendissime damnavit in bulla Coenae Domini, ita ut omnes mecum conversantes excommunicaverit. Et tu, mea Keta, si mecum fueris profecta et confessa uxorem Lutheri cruciaberis, etiam si alias totum papatum adoraveris. Dominus 485 Chart. A 402, fol. 116r [WA 48, 558,24–28] bzw. WA.TR 3, 402,21–403,7 [Nr. 3551], Zitat: ebd., 402,21–403,2. 486 Chart. A 402, fol. 116r–v [WA 48, 548,5–9] bzw. WA.TR 3, 325,25–326,8 [Nr. 3463b]. 487 Vgl. Chart. A 402, fol. 116v bzw. WA.B 6, 478f. [Nr. 2027], Zitat: ebd., 479,5–9: „[…] et simul tractandum de responso dando papistolicis nuntiis et Cesareis, per quos papa obtulit nobis articulos quosdam de Concilio caelebrando scilicet quod ageretur in re secundum placitum more priorum conciliorum, hoc est, in quo condemnemur et comburamur, scilicet verbis lubricis et tali pontifice dignis.“

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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servet me in suo verbo, habeo enim acerrimos hostes, neque Romanam sedem peiorem hostem habuisse legatus Petri et Pauli dixit.“488

Luther positioniert sich hier nachdrücklich als Gegner einer Konzilsteilnahme. Im Jahr 1551, in dem angesichts der politischen Entwicklung erneut geklärt werden muss, ob Protestanten an einem Konzil teilnehmen sollen, spricht dieses Stück eine eindeutige Sprache, zumal durch die Personalisierung und dadurch auch Emotionalisierung: Wie damals Luthers Ehefrau vom Bann betroffen war, sind es – so die implizite Konsequenz – auch gegenwärtig Luthers Anhänger. Im Kontext der Wiederaufnahme des Trienter Konzils im Jahr 1551 ergibt sich von hier die klare Handlungsanweisung, wie Luther auf Gottes Wort zu vertrauen und sich Gesprächen zu verweigern. Mit anderen Zeugen der Lauterbach-„Wellerschen“ Tradition ergänzt F gegenüber Ser., dass nicht nur Luther einen scharfen Gegner hat, sondern ebenso der Papst in Luther.489 Die Mahnung zur Absage an ein Konzil wird so flankiert durch den ermutigenden Verweis auf Luthers besondere Rolle als Bekämpfer des Papsttums, so dass erneut der „heroisierte“ Luther in den Vordergrund rückt. Des Weiteren mag der Kontext der strittigen Konzilsfrage die Übernahme eines Grundstückes, das überhaupt keine Selbstaussage Luthers i.e.S. enthält, motiviert haben: „Dei gratia hoc testimonium habemus etiam ab adversarijs nostris, quod non sumus heretici, sed tantum schismatici, et ipsi sunt in causa ipsius schismatis.“490

Angesichts der mit Blick auf das Konzil verstärkt geäußerten Verketzerung der Protestanten würde der „Wellersche Kreis“ mit dieser Aussage Luthers sich und die anderen Anhänger Luthers bestärken, dass man „nur“ Schismatiker, aber keine Häretiker darstelle und zwar nach dem Selbstzeugnis der Gegner, die zudem das Schisma zu verantworten haben. Die Überlieferung selbst gibt kaum Hinweise auf die Entstehungszeit. Der Inhalt legt die in der 1560 abgeschlossenen Handschrift Halle greifbare Chart. A 402, fol. 105v [WA 48, 553,36–39] bzw. WA.TR 3, 363,10–18 [Nr. 3504]; Kursivierung: I.K. 489 Lediglich F (und H) sowie die nicht datierbare Handschrift Witt., die alle Apophthegmata nur in Deutsch wiedergibt, bieten zudem den Verweis auf den 1535 in Wittenberg weilenden Legaten Pietro Paolo Vergerio. Diese Erwähnung könnte eine Sonderinformation des – im Unterschied zu Dietrich und Besold – 1535 in Wittenberg weilenden Weller sein. Kaum wahrscheinlich ist es, dass F hier auf Witt. rekurriert, wäre die Fassung von F dann doch eine (Rück-)Übersetzung ins Lateinische, die zudem über Witt. hinaus den Namen des Legaten nennt. Zum Text von Witt. vgl. WA 48, 554 Anm. 1: „So hat auch der Bapst keinen groesseren feind ihe gehabt als mich, wie der Bepstliche legat selbs bekant hat.“ 490 Vgl. Chart. A 402, fol. 110v [WA 48, 546,18f.] bzw. WA.TR 3, 313,20–22 [Nr. 3430]. 488

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Rückbindung an den Augsburger Reichstag von 1530 nahe.491 Insofern diese Information vom Kreis um Weller nicht überliefert worden ist, dürfte es ihm primär um die paränetisch-parakletische Dimension der Aussage Luthers im Kontext der zeitgenössischen protestantischen Krise gegangen sein. Mit der dargestellten Ablehnung einer Teilnahme konvergiert der „Wellersche Kreis“ erneut mit der Position der Magdeburger Theologen, die den kursächsischen Beschluss, das Konzil zu beschicken, heftig kritisierten.492 Diese Fundamentalopposition ist zwar nicht konträr zu Melanchthons Absicht, in Trient keine Kompromisse einzugehen und notfalls abzureisen, ist aber letztlich doch unvereinbar, so dass zumindest implizit Melanchthons Kurs bzw. der des Kurfürsten, der Melanchthon nach Trient beorderte, kritisiert wurde.493 2.1.5.

Bekräftigung des „Lutherischen Vermächtnisses“: Lehre und Werk

Als weiterer Unterpunkt der polemisch-identitätsstiftenden Aspekte des Lutherbildes von F soll nun die bewusste Bekräftigung des „Lutherischen Vermächtnisses“ in Bezug auf Luthers Lehre wie sein Werk plausibilisiert werden. Vice versa konnte so mit Luther im Kontext der aktuellen Kontroversen einer „unzulässigen“ Annäherung an die „Papisten“ oder den Kaiser ein Riegel vorgeschoben werden. Dass Weller selbst Anfang der 1550er Jahre diese Dimension im Blick hatte, zeigt seine Praefatio zur wohl 1552 gedruckten Schrift De officio ecclesiastico, politico et oeconomico: „De hoc et similibus erroribus Concionatores in Ecclesiis auditores admonere debent, ne illorum obliviscantur, hortenturque eos ad gratiarum actionem, quod beneficio doctrina Evangelicae ex his tenebris in lucem & regnum Christi translati sint. Minimeque probandi sunt hi Concionatores politici, qui harum tenebrarum ac idololatricorum cultuum, qui sub Papatu vigebant memoriam refricandam esse negant, & contenVgl. D 116 2°, fol. 302v–303r. Vgl. KOBLER, Melanchthonbildes, 385; BROCKMANN, Konzilsfrage, 376. 493 Vgl. Melanchthon an Jonas. Nürnberg, 26. Januar 1552: CR 7,928 [Nr. 5036]: „Si non concedit retexi priores articulos falsos, recta domum redire decrevimus, nisi in carcerem abducimur. Exspectamus autem adhuc responsum de illis articulis retexendis, seu, ut vocant, readsumendis.“ Im Antwortschreiben bestärkt Jonas Melanchthon in dieser Hinsicht: „Si in Synodo Trid. non contendent retexi, raessumi articulos falsos et pergent coruscationibus et fulminibus: anathema est etc., recta domum redire rectissimum erit et sapientissimum“ (Jonas an Melanchthon. Coburg, 30. Januar 1552: Bds., 328 [Nr. 363]). Melanchthon selbst hatte bereits 1546 eine Recusatio des Trienter Konzils von 1546 verfasst, die Jonas im selben Jahr auf dessen Wunsch ins Deutsche übersetzte (vgl. [Melanchthon], Vrsachen). 1553 kam es zu einer Neuauflage (s. SCHEIBLE, Melanchthon und Jonas, 77). 491 492

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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dunt, his concionibus nihil perfici, sed latis esse, si modo doctrinam Evangelii in suggestu pure ac sincere ministri verbi sonent. Non possunt, inquit vir Dei, D Martinus Lutherus, beneficia Dei per Evangelium donata, satis conspici & agnosci a nobis, nisi captivitatis nostrae Babilonicae, qua ante redditam Evangelii lucem affligebamur, semper simus memores: Nam illa praeteritorum malorum recordatio mirabiliter gratitudinem nostram erga DEUM, & invocationem accendit.“494

Dennoch steht im Unterschied zu den vorangegangenen Aspekten nicht mehr der „Kämpfer“ Luther im Vordergrund. Insofern aufgrund des betonten Vermächtnischarakters im Assmannschen Sinne vorrangig eine an die „Mit- und Nachwelt gerichtete Botschaft kodiert“ wurde, die auf den „Fernhorizont kultureller Kommunikation“ zielt, sind hier weniger Momente der „Heroisierung“ als der „Monumentalisierung“ Luthers zu greifen.495 Daneben treten jedoch in Hinblick auf Luthers Werk Momente, die präziser mit Michel als „Kanonisierung“ beschrieben werden können. Expliziert werden soll dies im ersten Schritt anhand von Apophthegmata, denen ein Vermächtnischarakter in Bezug auf Luthers Lehre eignet. In den Blick gerät zunächst ein Apophthegma, dessen erstmals in F greifbare Variante sich im Unterschied zur Cordatischen Tradition durch einen auffallend geprägten Charakter ausweist:496 Chart. A 402, fol. 104r [WA 48,520,18– 23]

WA.TR 3,116,8–19 [Nr. 2957a] Etiamsi mihi hac hora moriendum esset, nihil aliud commendarem amicis meis,

Vertigine correptus in templo petiit domum doctoris Ionae et dixit: Nolite tristari, etiamsi ita morerer. Hic commendo uobis, ut post meam vitam diligenter Dei Verbum tractetis. Haec praecipua sit uobis cura euangelij praedicatio plus quam uxorum et liberorum. Es heist [Mt 6,33]: Primum quaerite regnum Dei etc. Nam si Deus nos suos ministros agnos-

nisi ut diligentissime post mortem meam verbum Dei tractarent. Primum enim cum reg⌊num Dei sit quaerendum, non est cura habenda nobis morientibus de uxoribus nostris et liberis; istud continget quod sequitur: Omnia adicientur vobis. Si enim nos agnoscit ministros suos, non

WELLER, Opera, III+IV, 30. Zu diesem Differenzkriterium s. S. 80f. 496 Hinter der Rezeption dieses Apophthegmas dürfte vor dem Hintergrund des „Wellerschen Kreises“ auch die noch zu entfaltende Inanspruchnahme Luthers als Exemplum eines „frommen“ Umgangs mit „Leid“ bzw. dem Tod stehen (s. II 2.2.1), doch setzt das Apophthegma selbst einen besonderen Schwerpunkt. Deshalb soll im Folgenden plausibilisiert werden, inwiefern durch dieses, zumal aufgrund der hohen Bedeutung des Todes Luthers für den Kreis, ebenfalls eine Botschaft im Kontext der zeitgenössischen Streitkreise formuliert wurde. 494 495

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

cet, non relinquit nos; si baptismus, euangelium, sacramenta, magistratus, parentum obedientia, Dei ordinatio est, tunc certo sumus ministri Dei, quia nihil ni illa praedicamus. Ideo uere nos pro suis ministris recognoscet. Esto interim peccatores simus et non satis faciamus officio, wollen wir remissionem peccatorum vberdecken.

deseret nos Deus; si nos non deseret, quomodo oblivio eum capiet nostrorum? Sumus autem ministri eius, quia baptismum eius, euangelium, sacramenta, parentum et magistratus oboedientiam praedicamus et omnia, quae sunt ex verbo et institutione eius, sola commendamus. Esto peccatores simus et nostro ministerio non satisfaciamus, doch wissen wir remiss⌊ionem peccatorum daruber zu decken.

Geradezu den johanneischen Abschiedsreden Jesu (Joh 13–17) nachempfunden, übergibt („commendare“) Luther in der Fassung von F seinen „Nachfolgern“ eine Art geistliches Testament. Anlass ist Luthers schwerer Schwindelanfall vom 9. Februar 1533, der ihn im Beerdigungsgottesdienst des Wittenberger Juristen Matthäus Beskau überkam.497 Aussagen über Luther selbst sind trotz der Aufnahme in den 32. Abschnitt nur indirekt entnehmbar. Mittels dieses Stückes wird betont, dass Luthers primäre Sorge für die Zeit nach seinem Tod dem Evangelium galt. Die Predigt des Evangeliums sei wichtiger zu nehmen als Frau und Kinder – wie mit Mt 6,33 begründet wird. Der Beistand Gottes wird in F konditional („si“) zurückgebunden an – unspezifisch gesprochen – „notae“, d.h. Taufe, Evangelium, Herrenmahl (sacramenta), Gehorsam gegenüber der lokalen Obrigkeit (magistratus) und Eltern. Dieses vom Inhalt her nicht nur, aber in besonderer Weise auf Amtsträger bezogene „Lehrvermächtnis“ hatte kurz nach Luthers tatsächlichem Tod und im Kontext der Streitigkeiten um das Interim bzw. über die Frage der „Adiaphora“ ein hohes Aktualisierungspotential. Eine Rückwendung zu altgläubigen Positionen ist vor dieser Aussage Luthers kaum denkbar, trotz der rechtfertigungstheologischen Relativierung des Anspruches. Während dieses Apophthegma mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr bewusst – und zwar mit dem zeitgenössischen Fokus – als wichtige Aussage Luthers über sich selbst rezipiert wurde, verhält es sich beim zweiten Indiz, dem Bericht von Luthers schwerer Erkrankung von 1527, anders. Hier ist das „Lehrvermächtnis“ eingebettet in einen größeren Zusammenhang. Nicht nur dieser kurze Ausschnitt, sondern der Bericht als Ganzer ist in der vorliegenden Gestalt stark geformt und lässt wohl kaum einen „privaten“ Moment miterleben: „Postea subiecit: O, wie werden die schwermer ein wesen anrichten nach meinem tode! – Ibi cum singultu largas effudit lacrimas. Praeterea et hoc subiecit: Mein lieber Gott, bin ich vnderzeiten mit worten leichtfertigk gewest, tu scis, quod feci ad discutiendum 497 Ausführlichere Informationen zum „Rahmen“ bietet die Fassung von Halle (WA.TR 3, 116,20–31 [Nr. 2957b]). Doch ist dem Kreis um Weller kaum zufällig wichtig, dass die Worte im Haus von Wellers Freund Justus Jonas fielen.

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maerorem infirmae carnis meae, non mala conscientia. Inter haec conversus ad nos dixit constans in doctrina sua: Sitis testes, quod, quae de poenitentia et iustificatione scripsi contra papam, non reuocaui, sed sentio Dei euangelium esse et veritatem Dei. Si quibusdam uideor paulo liberior et acerbior fuisse; non me poenitet. Jch habe ja niemandt arges gegont, das weis Gott.“498

Trotz der Einbettung in den größeren Kontext mag dieser Ausschnitt nach Luthers Tod und im Umfeld der zeitgenössischen Streitigkeiten für den Kreis um Weller zumindest auch eine aktuellere Subbotschaft übermittelt haben, wenn dort von Luthers größter Sorge berichtet wird, welches „wesen“ die Schwärmer nach seinem Tod anrichten würden, und er nach einer kurzen Beichte seiner „Schärfe“499 die Anwesenden zu seinen Zeugen ernennt. Es ist gerade die antipapalistische Ausrichtung dieses Zeugnisses, dass er in Bezug auf seine gegen den Papst gerichtete Lehre von der „poenitentia“ und die „iustificatio“ nichts widerrufen habe, die Anfang der 1550er Jahre an Aktualität gewonnen hatte. Ergänzt werden diese eher grundsätzlichen Aussagen zum „Lehrvermächtnis“ mittels verschiedener Nachtragsstücke. Gerade an diesen – als bewusste ergänzende Redaktion – wird deutlich, wie gezielt hier die Memoria Luthers gestaltet wurde. Ein Moment ist z.B. die Erinnerung an die Wiederentdeckung der Bibel durch Luther. Das zunächst im Fokus stehende Apophthegma ist in F wie bei Rörer im Unterschied zur Dietrichschen Überlieferung zweigeteilt und in der Reihenfolge umgedreht.500 Beide Abschnitte sind Teil einer „biographischen Sequenz“, die Luthers Frühzeit gewidmet ist.501 Im ersten Abschnitt geraten Luthers Anfangsjahre als Mönch in den Blick: „Monachus factus omnes suos libros reliquit. Compararat paulo ante corpus Iuris et nescio quos alios libros. Eos bibliopolae reddidit. Nullos secum in monasterium tulit praeter Plautum et Virgilium. Ibi monachi dederunt ei Bibliam rubro corio tectam. Eam adeo familiarem sibi fecit, ut, quid in uno quoque folio contineretur, nosset et statim, cum sententia aliqua offerretur, primo intuitu, ubi scripta esset, sciret eam. Si retinuissem, inquit, biblicus essem; neque mihi tum, inquit, aliud studium placuit quam sacrarum literarum. Miro taedio legebam phisica, et ardebat animus ad biblia. Usus autem sum glosa ordinaria. Liram contemnebam, quanquam post videbam eum valere ad historiam. Diligenter autem legebam biblia; una aliqua sententia gravis omnes cogitationes Chart. A 402, fol. 108r bzw. WA.TR 3, 89,20–90,2 [Nr. 2922b]. Zu diesem Aspekt s. S. 232–240. 500 Dadurch geht der, der Dietrichschen Überlieferung eignende, „anonyme“ Charakter verloren. 501 Vgl. Chart. A 402, fol. 471v–472r. Er umfasst die Apophthegmata Nr. 116 med., 119, 121, 116 in sowie 1203. Obwohl es sich hierbei um Nachtragsstücke handelt, scheint bei der Übernahme dieser „Sequenz“ ebenfalls die Orientierung an Rörers Heften entscheidend gewesen zu sein. So finden sich bei Rörer alle diese Stücke auf zwei Folioseiten (vgl. Ms. Bos. q. 24c, fol. 263v–264r). Im Unterschied zu den nicht übernommenen Apophthegmata sind sie dort jeweils am Rand mit „Lutherus“ kategorisiert. 498 499

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

unius diei occupabat, et in prophetis quoque graviores illae sententiae quamquam eas assequi non possem, inhaesere, quas adhuc memini, ut in Ezech [Ez 18,32]: Nolo mortem peccatoris etc.“502

Der Fokus dieses Stückes liegt auf Luthers Erwerb einer profunden Bibelkenntnis sowie seiner Einschätzung der gängigen Hilfsmittel, d.h. Glossa ordinaria und Lyras Bibelkommentar. Zudem habe Luther z.T. ganze Tage mit der Reflexion über einzelne Sätze der Bibel, wie z.B. Ez. 18,32, zugebracht und damit einen Vers, der die Rechtfertigungslehre bereits erahnen lässt.503 Eine analoge Botschaft vermittelt der in F (und bei Rörer) als eigenständiges Apophthegma überlieferte Anfangsteil. Von Luther selbst ist dort streng genommen nicht die Rede, erst durch die Randnotiz erfolgt die Identifikation des „adolescens“, der als Baccalaureus auf eine Bibel bzw. die Geschichte von der Mutter Samuels stieß, mit Luther.504 Der „adolescens“ wünschte sich zu seinem Glück, dass er einmal eine Bibel besitzen dürfe, erwarb aber zunächst eine Postille, deren Wert mit den vielen Evangeliumstexten begründet wird. Einher geht eine Kritik an der „Papstkirche“, in der weniger Evangelium im Jahr gelehrt werde als in der Postille. Insgesamt ist in diesen beiden Stücken das „sola scriptura“ grundgelegt und zugleich als protestantisches „Proprium“ in aktuellen Kontroversen in Erinnerung gerufen. Ebenso als Moment des Lehrvermächtnisses mag das erste Nachtragsstück des 32. Locus von F plausibilisiert werden. In diesem werden unter dem Fokus des Verhältnisses zur überkommenen Lehre, d.h. der mit bestimmten Kirchenvätern verbundenen Tradition, Luthers „tentationes“ in den Blick genommen: 502 Vgl. Chart. A 402, fol. 471v [WA 48, 391,35–392,3] bzw. WA.TR 1, 44,21–45,3 [Nr. 116 med.]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 263v. 503 In Bezug auf die Rezeption dieses Apophthegmas seitens des „Wellerschen Kreises“ ist die Frage nach der Historizität des Stückes zweitrangig. Zur diesbezüglichen Kontroverse zwischen Kroker und Scheel s. WA.TR 5, XIV–XVII. 504 Vgl. Chart. A 402, fol. 472r [WA 48, 391,35–37]: „Adolescens aliquando cum erat Baccalaureus incidit in Bibliam, vbi forte historiam de matre Samuelis in libris Regum legit, mire placuit ei liber et cogitavit se felicem fore si unquam talem habere posset. paulo post emit postillam ea mire placuit quod plura euangelia contineret quam per annum doceri solent“ bzw. WA.TR 1, 44,16–20 [Nr. 116 in]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 264r – bei Rörer auf derselben Seite wie Nr. 121, ebenfalls kategorisiert mit „Luth[erus]“. Der Verweis auf 1Sam 1 ist theologisch wohl kaum zufällig. Der Name der Mutter Samuels ist Hanna und geht zurück auf das hebräische Wort „chanan“, d.h. Gnade. Die Kinderlose bittet Gott um Nachkommen und wird erhört. Der vom Herrn Erbetene ist „Samuel“, einer der großen Propheten des Herrn und Richter des Volkes Israel, dessen Berufung im 3. Kapitel geschildert wird – auch dieser Kontext wird mitzuhören sein. Der explizite Fokus liegt aber auch nicht auf Luther als Propheten und Führungsperson, sondern auf seiner Liebe zur Bibel.

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„Priusquam hanc doctrinam cepissem publice docere, saepe cogitavi: Putasne te plus sapere quam S. Gregorium et similes? Contra hanc tentationem confirmabant me Analogiae fidei. Da konne ich nicht fur.“505

Dieser Rückblick auf die Zeit vor Luthers Gang an die Öffentlichkeit ruft eindrücklich dessen Widerspruch zur theologischen „Tradition“ in Erinnerung. Als „Heilmittel“ gegen die daraus resultierende „tentatio“ wird die „analogiae fidei“ angeführt. Dieses exegetisch-hermeneutische Prinzip, dessen Wurzeln in Röm 12,6 liegen, ist Anfang der 1530er Jahre im Kontext der Auseinandersetzung mit den „Papisten“ und den „Schwärmern“ in seiner reifen Gestalt greifbar.506 Im Apophthegma von 1532 nimmt Luther es nun bereits für die Frühzeit in Anspruch. Der Plural lässt vermuten, dass stärker die objektive Seite (fides quae) im Blick war, an der Schriftauslegung und Lehre zu messen sind. Im Kontext der Anfang 1550 zeitgenössischen Streitkreise werden so letztlich die „analogiae fidei“ als eine gegenüber überkommenen Traditionen höhere und objektive Autorität betont. Ganz grundlegend wird so – theologisch gebildete Adressaten voraussetzend – Luthers Lehre gegen Anfeindungen als wahr behauptet. Das dritte anzuführende Moment findet sich im letzten Nachtragsstück. Neben F und H – von wo das entsprechende Apophthegma wohl Eingang in Aurifabers Ausgabe fand – ist es nur noch in der Heydenreichschen Tradition überliefert. Dort wird es auf den Winter 1542/43 datiert und eingeleitet mit „Qui locus primum moverit Doctorem“.507 Ähnlich wie in der berühmten Vorrede zum 1. Band der Wittenberger Ausgabe der Lateinischen Werke wird auch hier Luthers „reformatorische Entdeckung“ mit Röm 1,17 in Verbindung gebracht, setzt den Akzent jedoch auf die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium: „Jch war lang jrre, wuste nicht, wie ich drinne war. Jch roch wol etwas, ich wuste aber nicht, was es war, bis solang das ich vber den locum Ro: I kam: Justus ex fide vivet. Der halff mir. Da sahe ich, von welcher iustitia Paulus redet: Do stundt zuvor im text iustitia, da reimet ich das abstractum vnd concretum zu sammen vnd wurd meiner sachen gewis, lernte inter iustitiam legis vnd euangelii discernirn. Zuuor mangelte mir nichts, denn das ich kein discrimen inter legem et euangelium machte, hielt es alles vor eins et dicebam Christum a Mose non differre nisi tempore et perfectione. Aber do ich das discrimen fandt, quod aliud esset lex, aliud euangelium, do riß ich hindurch.“508 505

Chart. A 402, fol. 113v bzw. WA.TR 1,124,27–30 [Nr. 300]; Ms. Bos. q. 24c, fol.

273v. S. hierzu HOF, Grundsatz sowie HOFMANN, Johannes-Apokalypse, 300–303. WA.TR 5, 210,6 [Nr. 5518]. 508 Chart. A 402, fol. 473r–v [WA 48, 617,9–15] bzw. WA.TR 5, 210,6–22. 6–16 [Nr. 5518]. Somit begegnet uns in F neben der Vorrede (vgl. WA 54, 179–187) und dem Widmungsbrief an Staupitz (vgl. WA 1, 525–527) ein weiterer Bericht vom „Durchbruch“ („do riß ich hindurch“), der nicht nur des eschatologischen Momentes gebricht, 506 507

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Fragt man nach der Intention, mit der dieses Apophthegma als auf Luther im Besonderen bezogene Aussage rezipiert wurde, legt sich der Eindruck nahe, dass hier ebenso bewusst fundamentale Aspekte der Lehre, d.h. die Rechtfertigungslehre bzw. die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, bekräftigend in Erinnerung gerufen wurden. Als letzter Aspekt des Lehrvermächtnisses soll zudem exkursartig die Abgrenzung Luthers von Erasmus thematisiert werden. Diese steht in keinem unmittelbaren Konnex zu den zeitgenössischen Streitkreisen, prägt aber in besonderer Weise die memorial begründete Identität des Kreises. Wie wichtig dem „Wellerschen Kreis“ die identitätsstiftende Auseinandersetzung mit dem Rotterdamer war, zeigt die Tatsache, dass dem – bereits seit vielen Jahren verstorbenen – Erasmus zum einen ein eigener Locus gewidmet wurde, das Thema zum anderen zusätzlich im Rahmen des 32. Locus vertieft wurde.509 Dies mag biographisch wie kontroverstheologisch mitbedingt sein. sondern insgesamt um Einiges nüchterner anmutet. Zum Verhältnis der in der Vorrede und im Widmungsbrief greifbaren Rückblicke s. LEPPIN, Aufnahme. Eine weitergehende vergleichende Interpretation dieser Texte mit dem Apophthegma soll an anderer Stelle geleistet werden. Angedeutet sei, dass im Apophthegma der Bericht in seiner Besonderheit durch den Vergleich mit Bugenhagens „Durchbruch“ klarer konturiert wird. Bugenhagen spricht im Unterschied zu Luther von einer allmählichen Entwicklung („incipiam mutari“). Zudem hätten bei ihm Überlegungen zur „charitas Dei“ am Anfang gestanden – vgl. Chart. A 402, fol. 473v [WA 48, 617,13–15] bzw. WA.TR 5, 210,17–22 [Nr. 5518]: „Tum D⌊octor Pommer: Et ego incipiebam mutari, cum legerem de charitate Dei, quod illa significaret passiue, qua scilicet diligimur a Deo, antea charitatem semper active accipiebam. R⌊espondit L⌊utherus: Ey, es ist klar, de charitate ader dilectione! Quod saepe intelligitur de ea scilicet, qua Deus nos diligit. Aber in Hebräischen sein die genitiui de charitate schwer. Pommer: Sed tamen reliqui loci postea declarant eos.“ Bugenhagen selbst überliefert in seinem Jonas-Kommentar eine weitere Variante von Luthers „Durchbruch“, wenn er auf Augustins De trinitate und die Sentenzen des Lombarden verweist (s. LOHRMANN, Jonas-Kommentar, 124f.). Inwiefern mit der Übernahme dieses „Streitgesprächs“ eine gewisse Kritik an Bugenhagen verbunden ist, der hartnäckig an seiner Position festhält, lässt sich aufgrund fehlender weiterer Indizien kaum entscheiden. In der nur in H greifbaren Liste zeitgenössischer Theologen wird Bugenhagen nach Melanchthon und Jonas an dritter Stelle erwähnt. Zur Zeit der Abfassung von F wird Bugenhagen – trotz seiner distanzierteren Haltung zum Interim und insbesondere zur „Leipziger Landtagsvorlage“ – von Gegnern wie Amsdorff und Flacius scharf angegriffen (s. hierzu KOHNLE, Bugenhagen). Bugenhagens Verteidigung ist z.B. in seinem 1550 publizierten Jonas-Kommentar greifbar (s. zu diesem Werk auch LOHRMANN, Jonas-Kommentar). Die mit dem Namen Bugenhagen verbundenen, dem Grundstock von F zuzurechnenden Schreiben lassen ihn jedoch als positive Autorität erscheinen (s. Chart. A 402, fol. 409r– 411r.308r–v.338r–340r.389v–390r). Zur Frage nach einer „unterschwelligen Kritik“ an Melanchthon s. II 2.1.6. 509 Beim Erstellen des auf Erasmus bezogenen Locus (s. WA 48, 376,28–31) mag auch das Motiv einer „schlichten“ historischen Erinnerung mitgeschwungen haben,

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Biographisch insofern, als Weller 1525 zur Hochphase des Streites nach Wittenberg zurückkehrte, zunächst an die juristische Fakultät, bis er durch eine Katechismuspredigt Luthers „bekehrt“ wurde und das Theologiestudium aufnahm.510 Trotz des Studienfaches dürfte er, zumal angesichts des breiten Echos, das der Bruch zwischen Luther und Erasmus damals hervorrief, den Streit mitbekommen haben. Spätestens als Luthers Tischgenosse wurde er persönlich zum Zeugen der zahlreichen Warnungen vor Erasmus, auch wenn dieser Streit bei ihm sicher nicht in dem Maß einen Einschnitt darstellte, wie bei seinem Freund Jonas.511 Doch mag doch wird dieses spätestens im 32. Locus identitätsstiftend transzendiert, wie im Folgenden entfaltet wird. 510 S. LEDL, Lernen, 13. 511 Vgl. PETERS, Erasmus und Luther, bes. 50–57. Dieser präzisiert die ältere Darstellung von Delius (DELIUS, Jonas und Erasmus), S. auch BERNSTEIN, Mutianus, 228– 230; KLEINEIDAM, Jonas; LEDER, Humanismus. Zum ursprünglich positiven Verhältnis s. auch JUNGHANS, Erfurter Humanisten, 31–36. Als nichtobjektiver Übersetzer von Luthers De servo arbitrio, der Erasmus vorwarf, dass „sollich schreiben vom freien willen ergerlich vnd widder das euangelium [sei]“ (Jonas Vorrede zur Übersetzung von De servo arbitrio, zitiert nach WA 18,600), war Jonas selbst in den Streit involviert und wurde von Erasmus in dessen Hyperaspistes I und II ebenfalls attackiert. Am Ende stand im Jahr 1527 Jonas Abkehr von dem ursprünglich hochverehrten Humanisten, der ironischerweise an seinem Wechsel von der Rechtswissenschaft hin zur Theologie nicht unbeteiligt war (vgl. Erasmus an Jonas. Antwerpen, 1. Juni 1519: BrWJJ 1,21–24 [Nr. 24]). Wie Erasmus Jonas in dieser Konfliktsituation als „arroganten Gecken“ dargestellt hat (vgl. PETERS, Erasmus und Luther, 55; DELIUS, Jonas, 30f.), nannte dieser den Niederländer nach seiner Lektüre des zweiten Bandes der Hyperaspistes nun einen „alten Fuchs“, der heimtückisch agiere (vgl. Jonas an Johannes Lang. Nordhausen, 17. Oktober 1527: BrWJJ 1,109f. [Nr. 107]; Zitat: ebd., 110: „Sed vident frigere Germaniam ad evangelium, vident Erasmum senem vulpinum et ubique dolis atque arte Pelasga instructum incanduisse contra Lutherum et nunc tantum hoc agere, ut opprimat, non ut argumentis convincat“). Luther selbst war über diesen Umschwung sehr erfreut (vgl. Luther an Justus Jonas in Nordhausen. [Wittenberg,] 19. Oktober 1527: WA.B 4, 268,1–269,9 [Nr. 1160]: „Gratulor tibi, optime Iona, de tua palinodia, qua nunc tandem Erasmum illum tuum suis pingis coloribus, viperam illam letalibus aculeis refertam recte cognoscis, quem ante multis nominibus praedicabas. Gaudeo te ex unius Hyperaspistae lectione tantum profecisse et tuum de illo mutasse iudicium. Cumque ego hanc epistolae tuae partem legerem uxori, continuo illa inquit: Jst nicht der teur Manne zur Kröten worden? Sihe da! Gaudet et ipsa idem te nunc mecum sentire de Erasmo. Intelligis, mi Iona, recte quidem sensisse, qui praeceperunt neminem ante supremum diem laudandum“). Wie zögerlich sich Jonas von Erasmus abwandte, zeigt Luthers kurze Bemerkung in seiner Schrift Auf des Königs zu England Lästerschrift Titel Martin Luthers Antwort. 1527: „Es gehet mir aber warlich recht, und were unrecht wo mirs anders gienge, wenn ich menschlichen anschlegen solge, denn den krebs gang nach. Mein lieber herr Doctor Justus Jonas lies mir keinen friede mit anhalten, Ich solte Erasmum ja ehrlich angreiffen und demuetiglich gegen yhm schreiben. ‚Domine doctorʻ, sprach er, ‚Yhr gleubt nicht, wie ein feiner

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auch dessen Umschwung Wellers Haltung mitgeprägt haben. Zum anderen zeigen Wellers Schriften aus verschiedenen Jahren, dass ihn die Frage nach dem freien Willen immer wieder beschäftigte. In kleineren Werken oder kurzen Bibelauslegungen thematisierte er diesen „schwierigen“ dogmatischen Locus, z.T. unter expliziter Rückbindung an die Schriften Luthers und Melanchthons, in denen diese Problematik einer gelehrten und sorgfältigen Antwort zugeführt werden würde.512 Bedingt anklingen mag die Kontroverse zwischen Erasmus und Luther, wenn Weller auf Bibelstellen verweist, die pro freien Willen gedeutet werden können513 bzw. das lutherische Bild vom Menschen als Reittier aufgegriffen wird.514 Kontroverstheologisch mitbedingt mag die breite Auseinandersetzung mit Erasmus insofern sein, als Cochlaeus diesen in seinen Commentaria von allen altgläubigen Theologen am häufigsten gegen Luther in Stellung gebracht hatte.515 Diese besondere Bezugnahme auf Erasmus schlug sich u.a. exponiert im Untertitel nieder: „MULTIPLEX PRAEPARATA EST HIC LECOTRI VTILITAS; PER RERVM GESTARUM ex fide et ueritate narrationem: ut cognoscat, quanta Luthero fuerit uis ingenij, quantaque laborum tolerantia, quantus animi in affectibus impetus, quanta styli saeuitia: Et qualia fuerint de eius doctrina, Papae, Imperatoris, Regum, Conciliorum, Episcoporum, Vniversitatum, Erasmi [Hervorhebung; I.K.], et id genus Doctißimorum quorumlibet iudicia.“516

Inhaltlich griff Cochlaeus v.a. die Kontroverse um den „freien Willen“ zwischen Luther und Erasmus auf.517 Zudem verteidigte er Erasmus gegen die „persönlichen“ Angriffe Luthers, wie anhand der summarischen Wie-

venerabilis senex er ist.ʻ Des gleichen thet auch (wol yhm) der feine mensch Wilhelm Nesenus. Ach, wie zulobten mir die zween den Erasmum, wie gar eitel Engelisch ding must ich hoeren und gleuben, wie wol mir die Apologia widder Stapulensem viel anders sagt. Nu wie sein ists gelungen? Ich meine, Er habe uns allen wol gedanckt sonderlich dem unschuldigen, seinem guenstigen und freundlichem Nesseno. Doch ein weiser man sol kein kleine torheit thun. Sie koennen recht wueten, sehe ich wol, wenn sie recht troffen werden, die sonst yderman gedult, sittickeit und sensste leren und auffruecken“ (WA 23,30,10–22). 512 Sein Tenor ist die betonte Ablehnung eines freien Willens in Bezug auf Heilsfragen (vgl. WELLER, Opera, II, 195; III+IV, 21f.; 193f.; WELLER, Schrifften, I, 8.14.73.117.453.661; II, 37–39). Zur Rückbindung an die Schriften Luthers und Melanchthons s. WELLER, Opera, I, 250.782f.; III+IV, 194f.; WELLER, Schrifften, II, 38. 513 Vgl. WELLER, Schrifften, I, 453; WELLER, Opera, I, 782f. 514 Vgl. WELLER, Schrifften, I, 661. 515 Vgl. HERTE, Lutherkommentare, 247. 516 COCHLAEUS, Commentaria, fol. a [Kleeblatt] 1r. 517 Vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 140–147.158f. Zu den zitierten Schriften des großen „Humanistenfürsten“ insgesamt s. HERTE, Lutherkommentare, 59f. [Nr. 13].

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dergabe von dessen Schrift Purgatio adversus epistolam non sobriam Martini Luteri. Antwerpen 1534 verdeutlicht werden kann.518 Wie identitätsstiftend die Abgrenzung von Erasmus für den Kreis um Weller war, soll nun anhand der entsprechenden Aussagen im 32. Locus verdeutlicht werden, zunächst anhand eines quasi „anti-erasmianischen Testaments“, in dem Luther scharf mit Erasmus ins Gericht ging.519 Gewicht erlangt dieses zusätzlich dadurch, dass es, obwohl die dort enthaltenen Attacken gegen den Humanisten Parallelen im Erasmus-Abschnitt von F finden, im Luther gewidmeten Abschnitt aufgenommen wurde. Inhaltlich wird Luthers Kampf gegen Erasmus zumindest andeutungsweise auf eine göttliche Begnadung („dare“) zurückgeführt. Zudem wird Luthers Bekenntnis in Zusammenhang mit seinem Tod („auf der Gruben gehen“) gebracht: „Deus dedit mihi vitam et robur, ideo volo profiteri Iesum contra Erasmum. Jch will das Jhesichen nicht so verkeuffen. Jch gehe all tage auff der gruben, ideo volo eum confiteri.“520

Der testamentarische Charakter wird spätestens am „Gebot (mandare)“, Erasmus zu hassen, greifbar: „Quare ego mando vobis autoritate divina odium ipsius [d.h. Erasmi; I.K.] (hoc ad assidentes dixit).“521

Vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 267f. Vgl. im Folgenden Chart. A 402, fol. 470v [WA 48, 409,32–36] bzw. WA.TR 1, 195,6–22; hier: 8–10 [Nr. 446]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 282r. Das Distichon, das in der Dietrichschen Überlieferung das harsche Apophthegma gegen Erasmus von Anfang 1533 eröffnet und diesen mit Satan in Verbindung bringt, wird in F im 43. Abschnitt gesondert als Grundstück überliefert (vgl. Chart. A 402, fol. 155). 520 Chart. A 402, fol. 470v; s.a. WA.TR 1, 195,8–10 [Nr. 446]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 282r. In F steht – wie bei Rörer – „dedit“ und nicht wie in der Dietrichschen Fassung „det“ im Konjunktiv Präsens, so dass stärker der Eindruck einer Begnadung Luthers entsteht. Zum Ausspruch „auf der Gruben gehen“ s. StA 6, 83. 521 Chart. A 402, fol. 470v bzw. WA.TR 1, 195,14f. [Nr. 446]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 282r – in der Dietrichschen Tradition ging dieses Wort nicht an die „Umstehenden“, sondern an Dietrich persönlich: „hoc ad me dicebat“ (ebd.). In den Grundstücken des „Erasmus-Locus“ findet sich die Überlieferung, nach der Luther all seine Tischgenossen gebeten habe, dass sie „inimici Erasmi“ seien (Chart. A 402, fol. 154v [WA 48, 490,28–33]; WA.TR 3, 189,29–38, 31 [Nr. 3144b]). Von Rörer wurde in den Nachtragsstücken eine Parallelüberlieferung übernommen, in der das Wort an Jonas und Bugenhagen geht (Chart. A 402, fol. 155r [WA 48, 433,23f.]; WA.TR 1, 398,7–9 [Nr. 819]): „Ego mando in testamento odium contra viperam, scilicet Erasmum.“ Fehlt hier die Berufung auf göttliche Autorität, wird an anderer Stelle sogar das Testament inhaltlich anders gefüllt, nämlich dass er Erasmus für den größten Feind Christi der letzten tausend Jahre halte, und auf das „Hassmotiv“ verzichtet (Chart. A 402, fol. 156r [WA 48, 435,28f.]; WA.TR 1, 407,21–23 [Nr. 837]). 518 519

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Im Hintergrund dieses scharfen Angriffes, der in einen Vergleich Luthers mit Erasmus mündet, steht Erasmus’ vorgebliche Mehrdeutigkeit („amphibolia“) und von hier falsche Christologie.522 Dieses „Vermächtnis“ einer Abgrenzung von Erasmus und seiner Lehre lässt sich anhand weiterer Apophthegmata belegen: Zum einen übernimmt der „Wellersche Kreis“ ein Apophthegma, in dem Luther sich nachdrücklich von Erasmus distanziert und zugleich Staupitz zur positiven Bezugsgröße erhebt: „Ex Erasmo nihil habeo. Jch hab all mein ding von D⌊octor Staupitz; der hat mir occasionem gegeben.“523

Zum anderen findet sich ein Hinweis auf Erasmus’ Hyperaspistes, laut dem Luther diesen Gegenangriff des Humanisten Gottes Beurteilung (im Eschaton) überlässt: „Erasmus scripsit contra me in Hyperaspiste. Sed lebt ein Got Im himmel, so wirt ers ein mal gewar werden, was er gethan hat.“524

Dafür, dass hier über die letztlich anachronistisch anmutende Abgrenzung hinaus evtl. zugleich eine aktualisierende Deutung mitschwang, könnte die redaktionelle Verbindung dieses Stückes mit dem Bericht über Luthers Verhalten in Kahla sprechen, wo Anhänger Karlstadts ein Kreuzbild in Einzelteilen um die Kanzel gelegt hatten, um ihn zu provozieren. Insofern wäre das Erasmus-Stück demselben Diktum Luthers zugeordnet: „Dicebat quidem graviter doluisse, sed tamen, quia sentiret esse quendam insultum sathanae, se ascendisse et docuisse nulloque verbo attigisse illam rem: ut scilicet contra superbientem satanam. Ego quoque, inquit, superbirem; neque enim melius potest vinci sathan, quam, si superbi insultat, quam contemptu.“525

522 Vgl. Chart. A 402, fol. 470v: „Feci autem ideo, quia ipse voluit occidere Christum meum. Amphibolia bene est exagitanda. Rhetorica eum superare non possum, sed dialectica, si non schon, at secundum proverbium: Alber veste“ – s.a. WA.TR 1, 195,19–22 [Nr. 446]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 282r. Wie genau auf diese Verhältnisbestimmung geachtet worden ist, zeigt die Tatsache, dass sie entgegen der Dietrichschen Überlieferung und dem Wortlaut bei Rörer abgemildert ist: Dort heißt es, dass Luther dem Humanisten Erasmus in rhetorischer Hinsicht nicht gleichziehen („aequare“) könne. In F wird nur konzidiert, dass Luther Erasmus in rhetorischer Hinsicht nicht überwinden könne. Die Überlegenheit Luthers in dialektischer Hinsicht bezeugen beide Traditionen. Zum Sprichwort s. WA.TR 1, 195 Anm. 14. 523 Chart. A 402, fol. 115r [WA 48, 397,22f.] bzw. WA.TR 1, 80,6f.; Ms. Bos. q. 24c, 267v. 524 Chart. A 402, fol. 471v bzw. WA.TR 1, 40,19–21 [Nr. 108]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 263r–v. 525 Chart. A 402, fol. 471v bzw. WA.TR 1, 37,11–19.14–19 [Nr. 97]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 263r. Beide Stücke sind in der Dietrichschen Tradition auf November 1531 datiert.

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Im Hintergrund könnte stehen, dass Erasmus Luthers Tischgenossen als „Vater aller Sakramentierer“ galt.526 Neben diese verschiedenen auf das „Lehrvermächtnis“ bezogenen Apophthegmata treten zudem solche, in denen in ganz besonderer Weise Luthers Werk thematisiert wurde, konkret die Bibelübersetzung bzw. die Werkausgabe. Damit sind zwei „Medien“ benannt, anhand derer Michel sein Konzept der „Kanonisierung“ entfaltet hat. Weller selbst ist zwar weder in den Entstehungsprozess der Werkausgabe noch der Bibelübersetzung involviert,527 doch bringt er Luthers Schrifttum und seiner Bibelübersetzung eine hohe Wertschätzung entgegen.528 Darauf aufbauend, setzte der Kreis um Weller im 32. Locus eigene Akzente, die bei der Frage nach dem Niederschlag von „Kanonisierungsprozessen“ zu beachten sind. Dazu soll zunächst die Bibelübersetzung in den Blick genommen werden. Dass Luther selbst die unter großen Mühen entstandene Bibelübersetzung als seine größte Leistung ansah, ist historisch gut bezeugt.529 Diesen Impuls griff der Kreis um Weller auf in Gestalt eines Apophthegmas, dem in besonderer Weise ein mahnender Vermächtnischarakter eignet: Tantus est labor in ecclesiastico, quo finito paululum quiescam. Jr habt nhun, was jn der heiligen schrifft steht, sehet, das irs nach meinem tode wol gebraucht [Hervorhebung; I.K.]. Es hat vns erbeit gnug gestanden, wirt aber von den vnsern wenig geacht. Adversarii plus legunt quam nostrates. Credo ducem Georgium diligentius legisse quam omnes nostros nobiles. Nam ille fertur dixisse: Wenn doch der Monch die Biblia vollendet deutzschte vnd gienge darnach hin, wo er solte! Hoc testimonium habeo a duce Georgio et omnibus papistis, qui nunc nostra utuntur translatione.530

Nach Abschluss der Übersetzung des biblischen Buches Jesus Sirach habe Luther etwas Ruhe nach der anstrengenden Arbeit benötigt – wie in F die in der Mathesischen Parallele noch greifbare Anspielung auf Ps 137,2 wiedergegeben wurde.531 Entscheidender ist vor dem zeitgenössischen Hintergrund wohl Luthers Aufforderung, dass sein „Vermächtnis“, d.h. die übersetzte Bibel als das unter großen Mühen vollendete Werk, nach seiVgl. PETERS, Erasmus und Luther, 57. Anders sein Freund Justus Jonas, der dem „Revisionsbeirat“ der Bibelübersetzung zugehörte. In Bezug auf Luthers Werke trat er v.a. als Übersetzer in Erscheinung (vgl. MICHEL, Kanonisierung, 42.132–135). Doch hatte er schon früh Interesse an einer Ausgabe der Werke Luthers gezeigt (s. PRESSEL, Jonas, 124). 528 Vgl. S. 91–93. Zudem kann Weller noch Mitte der 1560er Jahre darauf verweisen, dass die Verachtung von Luthers Werk auf den Teufel zurückzuführen sei (vgl. WELLER, Schrifften, II, 240b [Nr. 31].241a [Nr. 32]). 529 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 17–32. 530 Chart. A 402, fol. 109r [WA 48, 515,13–17] bzw. WA.TR 2, 661,27 [Nr. 2790b]. 531 Dort lautet der Anfang: „Bibliae translatio. Tantus labor est in Ecclesiastico! Quo finito suspendam organa [Ps. 137, 2]“ (WA.TR 2, 661,19f.). 526 527

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nem Tod „wol gebraucht“ werden solle. Dass diesem Wort kurz nach dem faktischen Tod Luthers eine besondere Qualität zukam, liegt nahe. Nun erhält der Tadel der Anhänger der Reformation, diese wüssten Luthers Übersetzung nicht angemessen zu schätzen, und zwar im Unterschied zu den „papistischen“ Gegnern, insbesondere Herzog Georg, zumal in Freiberg einen viel schärferen Klang. Insofern wird man in F dieses Stück weniger als Beleg dafür ansehen müssen, dass die „Kanonisierung“ von Luthers Bibelübersetzung von diesem selbst angestoßen wurde,532 denn als Niederschlag der „Monumentalisierung“, zumal diese mahnende Vermächtnisbotschaft zeitgenössisch nicht von allen weitergegeben wurde, also zum Proprium des „Wellerschen Kreises“ gehörte, wie der Blick auf die Cordatische Tradition zeigt. Diese beschränkt sich auf den zweiten Teil, d.h. den Hinweis auf die Wertschätzung der Übersetzung seitens der Gegner.533 Insofern liegt es nahe, auch das zweite auf die Bibelübersetzung bezogene Apophthegma des 32. Locus vom zeitgenössischen Kontext her zu deuten und damit weniger als Zeuge der „Kanonisierung“ denn einer polemisch zugespitzten „Monumentalisierung“. Einerseits wird durch dieses Stück die Notwendigkeit der Bibelübersetzung eindrücklich in Erinnerung gerufen, andererseits ist eine Kritik an der Vulgata greifbar. Zu beachten ist, dass nur der Mittelteil eine Parallele bei Rörer hat, der zusätzliche Anfangs- und Schlussteil finden sich nur in FH sowie – wohl von hier – im Anhang von Aurifabers Tischredenausgabe in deutscher Übersetzung.534 Doch gebricht Aurifabers Version des Eingangsteils gerade der Impetus der Notwendigkeit, wie die Synopse zeigt, insofern auf eine Wiedergabe des „faciendum erat“ wie des „necessarium videbatur“ verzichtet wurde:

Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 22f. mit Anm. 25. WA.TR 2, 661,14–18 [Nr. 2790a]: „Nostram translationem magis legunt adversarii quam nostri, die sich nicht viel drumb komern, das sie vns gnug gestanden ist. Hoc testimonium habeo a d⌊uce G⌊eorgio, quod semel dixit: Wen doch der monch die bibel vol deutscht vnd ging darnach, wo er hin solt! Et papistae quoque laudant etc.“ 534 Es verdeutlicht zugleich, dass die Bibelübersetzung nicht nur eine „Eigenleistung“ Luthers darstellte, sondern zugleich einen „Gruppenprozess“. Zu diesen Begriffen bzw. dem Anteil anderer an der Übersetzungstätigkeit s. MICHEL, Kanonisierung, 32–50, 34. Als historischen Bezugspunkt dieser Erinnerung verweist Michel in Anlehnung an Volz auf Luthers Zwischenbesuch in Wittenberg während seines Wartburgaufenthaltes (s. MICHEL, Kanonisierung, 36 mit Anm. 109). Dies mag zutreffen, dennoch stellt sich die Frage, ob nicht der Überlieferungsbestand und damit der Kommunikationskontext Anfang der 1550er Jahre deutlicher in solche Überlegungen miteinzubeziehen wären. 532 533

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“ Chart. A 402, fol. 104r [WA 48,448,1–6]

Phil⌊ippus Melanch⌊thon coegit me ad novi testamenti versionem. Quia uidit hinc inde lacerari. Ille Mattheum, hic Lucam vertit. Et tamen praecipue propter Paulum faciendum erat. Necessarium enim uidebatur pauli epistolas obscuratas in lucem et dispositionem redigere, quia ibi erat confusio. Erasmus quidem multa scribit verba, non curans theologiam, frangit virulenta verba.

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TR, fol. 622r Ein anders von Dolmetschung des newen Testaments. Doct[or M[artin L[uther sagete / das Dom[inus Philippus Melanchthon in gezwungen hette, das newe Testament zu verdeutschen / denn er hette gesehen / das einer den Euangelisten Mattheum / der andere den Lucam verdolmetscht hette / so hette er auch gerne S. Pauli Episteln die etwas dunkel vnd finster worden weren / wider ans Liecht vnd in eine rechte Ordnung bringen wollen / Erasmus hette zwar vber das newe Testament geschrieben / vnd viele Worte drüber gemacht / aber es were sehr spitzig.

Im Mittelteil, den auch Rörer kennt, wird Hieronymus’ Übersetzungsleistung thematisiert: „Hieronimus pro sua persona maximum praestitit in vertendis bibliis. Nulla enim priuata persona tantum praestabit. Si autem se tribus aut duobus sociasset, tunc Spiritus quoque adfuisset. Nam ‚ubi duo aut tres etc [Mt 18,20]ʻ. Auch fallen einem nicht alleweg die rechten naturlichen wort ein.“535

Wurde bereits im Vorangehenden Abschnitt in Gestalt von Erasmus eine scharfe Kritik an einer altgläubigen Autorität geäußert, so gerät nun mit Hieronymus implizit die Vulgata in den Blick. Zwar wird dessen Übersetzungsleistung einerseits betont, andererseits jedoch scharfe Kritik geäußert, wenn von Mt 18,20 her das Fehlen des Heiligen Geistes begründet wird. Diese Kritik erhält im Jahr 1551 zusätzliches Gewicht, da in der IV. Sitzung der ersten Trienter Tagungsperiode die Vulgata zur „Normbibel“ erhoben worden war.536 Das protestantische Gegenprojekt der Lutherbibel war hingegen ein „Gruppenprojekt“. Als solches war es nach dem vom „Wellerschen Kreis“ überlieferten Apophthegma bzw. der dortigen biblischen Verheißung vom Heiligen Geist getragen. Im Schlussteil wird unter Bezugnahme auf Zeitgenossen ein Selbstbild Luthers als idealer Bibelübersetzer gezeichnet, verbunden mit dem zumindest impliziten Hinweis auf die Mühe dieser Arbeit angesichts der erforderlichen Kenntnisse und Luthers fortgeschrittenen Alters:

535 Vgl. Chart. A 402, fol. 104r [WA 48, 448,6–9] bzw. WA.TR 1, 486,19–23 [Nr. 961] = Ms. Bos. q. 24f, fol. 207r. 536 Vgl. JEDIN, Trient, II, 76f.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„Si ego haberem copiam Erasmi, graeca Ioachimi, Forstemii hebrea et essem iunior, wie wolt ich arbeiten!“537

Insgesamt stellte wohl auch dieses Apophthegma primär – eine kontroverstheologisch mitmotivierte – Mahnung dar, die unter Führung Luthers mit großer Mühe erstellte Bibelübersetzung wertzuschätzen. Diese Zuspitzung läge auch von daher nahe, dass der Frage nach der „authentischen“ Bibelausgabe im Zusammenhang mit den zeitgenössischen Streitkreisen letztlich keine Bedeutung zukam.538 Anders verhält es sich bei der Werkausgabe. Hier setzte der Kreis um Weller einen Gegenakzent zur Anfang der 1550er Jahre bereits deutlich vorangeschrittenen Wittenberger Ausgabe. Von der deutschen Reihe der Wittenberger Ausgabe erschien im Jahr 1551 der vierte Band, und die lateinische Reihe konnte drei Bände vorweisen. Es war zudem ein Jahr des Umbruchs, insofern Georg Rörer ausschied und seine Arbeit von Christoph Walther bzw. Georg Major fortgesetzt wurde.539 Vorangegangen war u.a. ein seit 1549 andauernder Konflikt, an dessen Anfang ein harscher Angriff auf die Wittenberger Ausgabe durch Nikolaus von Amsdorf stand, der Rörer Verfälschungen vorwarf. Die Überlegungen der Ernestiner, ein Gegenprojekt zu starten, nahmen erst nach der Entlassung Johann Friedrichs greifbare Gestalt an, erste ÜberleChart. A 402, fol. 104r [WA 48, 448,9–11] – Hausleiter liest statt „iunior“ fälschlichersweise „minor“. Dass für das Griechische auf den Nürnberger Joachim Camerarius verwiesen wurde, dürfte damit zu begründen sein, dass dieser bei Spezialfragen herangezogen wurde (vgl. hierzu MICHEL, Kanonisierung, 41). 538 Die von Rörer und Melanchthon nach Luthers Tod vorgenommenen Änderungen stießen zu Beginn der 1550er Jahre kaum auf Kritik (s. hierzu MICHEL, Kanonisierung, 51–56). Scharfen Widerspruch äußerte jedoch dann 1553 der für die mentale Welt von F nicht unwichtige Johann Friedrich von Sachsen: „Aber dieweil bei des Doctors gotseligen leben die biblia vffs neue durch Ihne corrigirt ausganngenn, So achten wier vor ein vorgeblich Ding seyn, dieselbige wieder vmb zudrucken, so wollte sich auch gantz nicht gebürenn, das In Doctor Martinus bibel nach seinen todte, ein Wort, oder Syllaba, so es auch gleich in der Handschrifft stunde, solte geändert werden. Das aber dieselbige seine Handschrifft, zu einem ewigenn gedechtnis vnd gezeucknis beygeleget, das lassen wier uns wohlgefallen, wollen sie auch von Magister Rorer zu unsern handenn bekommen“ (Johann Friedrich an Johann Aurifaber. Weimar, 08. September 1553, in: UN 1726, 747f. – zitiert nach MICHEL, Kanonisierung, 55 Anm. 235). 539 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 161. Zur Entstehung der beiden großen konkurrierenden Werkausgaben und zu den damit einhergehenden Konflikten s. ebd., 110–204 sowie WOLGAST, Streit, hier: 177–192; Michel unterscheidet in den Jahren 1549–1566 im Unterschied zu Wolgast nicht vier, sondern fünf Auseinandersetzungen. S.a. die von Wolgast und Volz verfasste Geschichte der Luther-Ausgaben (WA 60, hier: 427– 543) und die auf die Wittenberger Ausgabe fokussierte Monographie WOLGAST, Luther-Ausgaben. 537

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gungen gab es aber wohl schon vorher. Hinzu kommt der Bedeutungszuwachs, den Luthers Schrifttum im Zusammenhang der interimistischen wie adiaphoristischen Streitkreise erfuhr. Die Inanspruchnahme Luthers als Autorität in den aktuellen Debatten führte auch zu einer größeren Sensibilität gegenüber der „unverfälschten“ Bewahrung des Schrifttums.540 Dem entspricht, dass sich der „Wellersche Kreis“ in dieser spannungsgeladenen Situation dezidiert positionierte: Er sammelte Apophthegmata, durch die die Notwendigkeit einer Werkausgabe von Luther selbst gutgeheißen wurde, verbunden mit einer Kritik an den Frühschriften und einem Eintreten für ein chronologisches Anordnungsprinzip, so dass der „alte“ Luther zur maßgeblichen Autorität erhoben wurde. Zugespitzt formuliert warb der ernestineraffine Kreis um Weller in der vorliegenden Apophthegmata-Tradition für ein im Raum stehendes Gegenprojekt zur Wittenberger Ausgabe, das ab 1555 in der Jenaer Ausgabe seine greifbare Verwirklichung fand. Die Konzentration auf die Schriften des „alten“ Luther teilte der „Wellersche Kreis“ mit Aurifaber und anderen Zeitgenossen.541 Jedoch dürfte diese Akzentuierung weniger auf die persönliche Studienzeit – Weller weilte ab 1539 in Freiberg – als auf Luthers eigene Vorgaben und die bewusste antipapalistische respektive „antiinterimistische“ und „anti-adiaphoristische“ Ausrichtung des Kodex zurückzuführen sein. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang insbesondere auf das deutlich redaktionell überarbeitete Apophthegma der Schlaginhaufenschen Tradition, nach dem nicht Luthers „Gewissen“, sondern sein „Schriftum (scriptura)“ belege, dass er das „iudicium Dei“ führe.542 Die bewusste Anleitung zur differenzierten Wahrnehmung der Schriften Luthers bzw. zur kritischen Haltung gegenüber den Frühschriften wird z.B. in einem Apophthegma greifbar, das F erneut mit der Handschrift Cod. Guelf. 20. 3. teilt: „Lutherus dixit primas suas editiones non ita sinceras esse, multa adhuc donantes papae. Sie seindt sehr divinae [H und Cod. Guelf. 20. 3. lesen hier ‚dunneʻ; I.K.] vnd schwach, ideo postremas per decennium legendas esse.“543 540

Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 155f.; s.a. SANDL, Medialität, 457–477, bes. 468–

472. 541 Zu Aurifabers Prägung durch den „alten“ Luther s. S. 437–439. In analoger Weise empfahl auch Mörlin in seiner 1565 erstmals erschienenen Lektüreanleitung „nicht die Lektüre von Frühschriften, sondern vor allem die dogmatischen, exegetischen und polemischen Werke des älteren Luther, den er bei seinem Studium und Wirken in Wittenberg zwischen 1531 und 1540 erlebt hatte“ (MICHEL, Kanonisierung, 228). 542 Chart. A 402, fol. 110v–111r bzw. WA.TR 2, 174,10f. [Nr. 1671 extr.] – Näheres hierzu s. S. 194–196. 543 Vgl. Chart. A 402, fol. 109r bzw. WA.TR 3, 419,20–23 – in WA 48, 640,19–21 wird das Stück ohne Verweis auf die Überlieferung in der Wolfenbütteler Handschrift zu Unrecht als Exzerpt eines langen Stückes der Lauterbachschen Überlieferung angesehen (vgl. WA.TR 5, 661,21–662,2 [Nr. 6439]).

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Diese Selbstkritik Luthers ist auch außerhalb der ApophthegmataTradition gut belegt, prominent in der berühmten Vorrede zum 1. Band der lateinischen Werke der Wittenberger Ausgabe.544 Mittels der im Apophthegma greifbaren Unterscheidung zwischen den „primae editiones“ und den „postremae“ sowie der Aufforderung, die späteren Schriften „per decennium“ zu lesen, zeichnet sich ein alternativer Zugang zur Wittenberger Ausgabe ab. Hier deutete sich zum einen bereits das strikte chronologische Anordnungsprinzip an, das der Jenaer Ausgabe im Unterschied zur Wittenberger eigen ist, zum anderen wurde für die Frühschriften Luthers ein hermeneutischer Schlüssel eingeführt, der eine ahistorische, d.h. kontextlose Instrumentalisierung in aktuellen Kontroversen verhinderte.545 Vice versa wurde der „späte“ Luther mit seiner unnachgiebigen Haltung zur maßgeblichen Autorität erhoben. Dasselbe Anliegen verdeutlicht ein Nachtragsstück, in dem Luther – entgegen der vielfach bezeugten zumindest widerwilligen Haltung546 – eine Gesamtedition seiInwiefern die Lesart von F – sie „seindt sehr diuinae vnd schwach“ statt „dunne et schwach“ eine bewusste redaktionelle Änderung darstellt oder zumindest eine „Freudsche Fehlleistung“ und keinen schieren Abschreibefehler, ist aufgrund der geringen Textbasis nur schwer zu entscheiden. Für eine bewusste Änderung könnte sprechen, dass diese Aussage – im Unterschied zu anderen Fehlern – nicht nachträglich verbessert worden war. Zudem hätte diese Variante von 1Kor 12,2 her eine sinnvolle Deutung, d.h. Schwachheit als „Medium“ göttlicher Stärke. Außerdem schriebe diese quasiDivinisierung des Schrifttums die Linie des soeben noch einmal in Erinnerung gerufenen Apophthegmas (s. S. 221 mit Anm. 542) fort. 544 Vgl. WA 54, 179,22–180,4. 545 S. in dieser Hinsicht auch die Monenda Amsdorf gegenüber der Wittenberger Ausgabe – Näheres hierzu: SANDL, Medialität, 470–472. 546 Vgl. z.B. die Vorrede zu dem 1539 erschienenen ersten Band der Deutschen Schriften der Wittenberger Gesamtausgabe: „Gern hette ichs gesehen, das meine Buecher allesampt weren dahinden blieben und untergangen. Und ist unter andern ursachen eine, Das mir grawet fur dem Exempel, Denn ich wol sehe, was nutzes in der Kirchen geschafft ist, da man hat ausser und neben der heiligen Schrifft angefangen viel Buecher und grosse Bibliotheken zu samlen, sonderlich on alle unterscheid allerley Veter, Concilia und Lerer auffzuraffen. Damit nicht allein die edle zeit und studieren in der Schrifft verseumet, sondern auch die reine erkentnis Goettliches worts endlich verloren ist, bis die Biblia (wie dem fuenfften buch Mosi geschach, zur zeit der Koenige Juda) unter der banck im staube vergessen ist“ (WA 50, 657,2–11); s.a. die Vorrede zum ersten lateinischen Band der Wittenberger Lutherausgabe von 1545: „His rationibus adductus cupiebam omnes libros meos perpetua oblivione sepultos, ut melioribus esset locus“ (WA 54, 179,13f.). Doch finden sich auch frühere Zeugnisse: z.B. in seiner Vorrede zu Johann Pupper von Gochs Fragmenten von 1522: „Intercidant, etiam me supplicante, si quid me audiunt Bibliopolae, uniuersi mei libelli“ (WA 10/II, 329,20f.) sowie in der Vorrede zum Catalogus oder Register aller Bücher und Schriften Luthers von 1533 (WA 38, 133,2–134,25) oder sein Schreiben an Wolfgang Capito vom 9. Juli 1537 (WA.B 8, 99,5–9 [Nr. 3162]) – zur Thematik s.a. WOLGAST, Luther-Ausgabe, 14–18; WOLGAST, Biographie, 43f. Diese ablehnende Haltung hat bedingt auch in H 74

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ner Schriften von sich aus als wünschenswert bejahte. Als Pro-Argument wird angeführt, dass so die Entwicklung der „Lehre“ nachvollzogen werden könne, auch dies letztlich ein Plädoyer für eine chronologische Anordnung: „Cum aliqui libri haberentur in mensa ex primis, quos edidit, inquit: Ich wolt gern, das ich sie alle bei einander hette! Tum quidam [Math. L.: „Responsio Maio⌊ris“; I.K.]: So kondt man sehen quomodo doctrina acrevisset. Re⌊sponsio: Ja, es ist recht! Ego primo eram valde imbecillis. Jch war In vilen dingen sehr schwach.“547

F konvergiert hier mit einem Apophthegma der Heydenreichschen Tradition, das in der Leipziger Mathesiushandschrift zu finden ist, dort datiert auf Sommer / Herbst 1542. Dass F gegenüber dieser Fassung das Apophthegma u.a. anonymisierte, mag allein auf grundsätzlichen redaktionellen Überlegungen basieren. Andererseits wird dadurch der Bezug auf Georg Major, der im Jahr 1551 von Rörer die Redaktion der Wittenberger Werkausgabe übernahm, getilgt. Auch als Ganzes insinuiert das Apophthegma die Vorgeschichte der Werkausgabe, als hätte es die Wittenberger Ausgabe nicht gegeben. Deshalb könnte die Rezeption dieser Apophthegmata als Plädoyer für eine alternative Werkausgabe zu verstehen sein, die dem Lutherbild des Kreises um Weller mehr entspräche und damit weniger als Niederschlag einer „Monumentalisierung“ als der „Kanonisierung“. 2.1.6.

Luther als Kritiker Melanchthons?

Angesichts der auf Luthers Autorität rekurrierenden, klaren Positionierung des „Wellerschen Kreises“ im Konflikt um das Interim bzw. die Frage der Adiaphora steht die Frage im Raum, inwiefern der „Luther“ des „Wellerschen Kreises“ als Kritiker Melanchthons zu verstehen wäre. Weller selbst stand in einem an sich guten und wertschätzenden Verhältnis zu Melanchthon.548 Doch könnte dieses durch die zeitgenössischen Konflikte zumindest punktuell eingetrübt worden sein. Ein erstes Indiz stellt die bereits in II 1.2.3 erwähnte549 und nun weiter zu analysierende, nicht datierte Auslegung des Lutherliedes dar, wenn man den Kontext mitberücksichtigt. Weller entfaltete in diesem Abschnitt die Listen des Teufels, mit denen dieser Gottes Wort verkehre und zum Sündigen verleite oder – so – und zwar als Sondergut – in den 32. Abschnitt Eingang gefunden. Das entsprechende Apophthegma argumentiert jedoch nicht grundsätzlich gegen die „Bewahrung“ von Luthers Schrifttum, sondern plädiert für Einzeldrucke, um die Rezeption durch den „gemeinen man“ zu gewährleisten (vgl. WA 48, 706,30–37 [Nr. 7196]). 547 Chart. A 402, fol. 472v [WA 48, 612,18–21] bzw. WA.TR 5, 172,1–6 [Nr. 5471]. 548 Einen guten ersten Einblick vermittelt NOBBE, Weller, 64–70. Gegenüber diesem wird im Folgenden aber stärker auf (zeitweilige) Spannungen und Zwischentöne zu achten sein. 549 S. S. 135.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

im Folgenden – auf die Vernunft trauen lasse, was zunächst mit Arius’ „häretischer“ Christologie und dann Aaron und den Anhängern des Interim verdeutlicht wurde: „Also [d.h. wie Arius; I.K.] betoeret der Teuffel auch de[n] grossen man[n] Aaron / da er jm ein gab / es were besser er ließ den kindern Jsrael ein guelden[n] kalb giessen / vnd fuer demselben Got opffern vnd anrufen / den[n] das sie wider solten ziehen in Egypte[n]. Solchen list braucht der Teufel auch / da er vor etlichen jaren viel der fuernemeste[n] Theologen einname / das sie das schendliche INTERIM annamen und bewilligten.“550

Melanchthon wird nicht namentlich genannt. Dass er bei der Rede von den „fuernemesten Theologen“ zeitgenössisch mit in den Blick gerät, steht kaum in Zweifel. Weiterhin legt der Kontext eine Identifikation des – auf die Vernunft vertrauenden – Melanchthons mit Aaron nahe, zumal so eine bereits von Luther verwendete melanchthonkritische Metapher repristiniert würde.551 Das zeitgenössische „Goldene Kalb“ wäre die „Leipziger Landtagsvorlage“, die Melanchthon in Abwesenheit – des als Mose zu verstehenden – Luther propagierte. Trotz des an sich bejahenswerten Ziels, eine Rückkehr nach Ägypten, d.h. zur altgläubigen Kirche, zu vermeiden, fehlte Melanchthon so zutiefst.552 Insofern deutete sich hier einerseits eine harsche Kritik an Melanchthon an, andererseits erfolgte kein offener Affront oder Bruch mit dem ehemaligen Lehrer und Vertrauten. Nimmt man mit diesem Fokus den uns überlieferten Briefwechsel von Weller und Melanchthon in den Blick, so gilt einerseits, dass die wenigen und zudem sehr kurzen Briefe von Melanchthon an Weller aus dieser Phase – von Juni 1550 bis ca. Juni 1551 sind es vier – keinen Anhalt für eine Eintrübung des persönlichen Verhältnisses bieten. Diese thematisieren aber auch keine dogmatischen bzw. auf die theologischen Streitkreise bezogenen Fragen, nur der Krieg um Magdeburg wird erwähnt.553 Zu einem zwischenzeitlichen tatsächlichen Abbruch der Beziehung, wie man z.B. für Jonas annimmt,554 scheint es zwischen Weller und Melanchthon WELLER, Kirchen Gesang, fol. B vii b – viii a. Vgl. hierzu LEPPIN, Luther, 294f.; LEPPIN, Coburgbriefe, 174f. 552 WELLER, Kirchen Gesang, fol. B vii b – viii a. 553 Es handelt sich um die Schreiben vom 21. Juni [1550]: CR 7, 613 [Nr. 4742]; von [Ende Oktober 1550]: CR 7, 689 [Nr. 4815]; vom 5. Dezember [1550]: CR 6, 304 [Nr. 3646] sowie von [ca. Juni 1551]: CR 7, 713 [Nr. 4834] – Schreiben Wellers an Melanchthon sind aus dieser Phase nicht überliefert. 554 Die These, dass über die Haltung zum Interim das Verhältnis von Jonas und Melanchthon zumindest eine zeitweilige Eintrübung erfahren hat, bestimmte im Anschluss an Kawerau i.d.R. bis heute die Forschung (vgl. BrWJJ 2, LIIIf. bzw. KOHNLE, Interim, bes. 192f.). Als Beleg dient insbesondere die Lücke in der Korrespondenz der beiden zwischen Ende Mai 1549 und Januar 1552. Dieser Konsens wurde von Kohnle kritisch hinterfragt, der – so seine „undramatische Erklärung“ – nicht die Haltung zum 550 551

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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auch in dieser Phase nicht gekommen zu sein. Dass Melanchthon für Weller dennoch erst an zweiter Stelle stand, Luther „zu-“ bzw. „untergeordnet“ war und auch nicht dieselbe ungetrübte Gefolgschaft erhielt, lässt sich dennoch ausgehend vom Briefwechsel der beiden zeigen, wobei von Weller nur zwei Schreiben an Melanchthon überliefert sind. Im ersten Schreiben vom 27. November 1553 lobte er Melanchthon dafür, dass er das Urteil anderer erbat. Dieses betonte Lob legt es nahe, dass Weller es nicht ungern gesehen hätte, wenn Melanchthon dies schon früher so gehalten hätte und besonders – so die ebenfalls naheliegende Deutung – auch hinsichtlich der Adiaphora, zumal Weller Melanchthon zugleich daran erinnerte, dass auch Luther vieles mit ihm besprochen habe: „Recte autem facis, quod aliorum quoque piorum et doctorum iuditia petis. Saepe enim ei, qui mediocria dona habet, praeclarae cogitationes in mentem veniunt, nec raro rectiora consilia dare novit aliis, qui ingenio, eruditione et sapientia caeteris antecellunt. Quia mirabilis est Deus in sanctis suis. Quare assentior tibi magnam vim habere illam sententiarum communicationem, praesertim in gravissimis negociis, et animadverti, quo quisque est vir doctior et sapientior, hoc magis illum hac collatione sententiarum et consiliorum delectari. Memini R. virum sanctae memoriae D. Lutherum saepius tecum de multis et magnis rebus communicasse.“555

Im zweiten Schreiben vom 4. Juni 1556 wiederum lobte Weller eingangs Melanchthons Römerbriefkommentar, ein Lob, das aber durch die anschließenden panegyrischen Ausführungen zu Luthers Schriften bei Weitem überboten wird: „Se objiciunt mihi quidam exemplum D. Lutheri, quibus respondere sic soleo, divinam illam Lutheri copiam admirabilem quidem esse, se inimitabilem, plenam multiplicis Interim, sondern Jonas’ Weggang aus Halle und damit das Verlassen seiner Gemeinde als ausschlaggebend ansieht (KOHNLE, Interim, hier: 204). Pro Kohnles Deutung könnte man anführen, dass Jonas Melanchthon gegenüber Kritikern wie den Nordhausener Otho zunächst verteidigt hat (Antonius Otho an Jonas. 30. Juni 1549: BrWJJ 2, 288 [Nr. 904]: „Sic enim asseverabas: ‚De Philippo praeceptore nolite dubitare etc.ʻ“), doch bezeugt Melanchthons Schreiben vom 5. Februar 1550, dass Jonas nur wenige Monate später selbst zum Kritiker Melanchthons wurde: „Cum ad Ascanium Ionas venisset, fuit oratio non tantum oeconomica, sed etiam senatoria ac censoria. Inititum erat longa querela, de dissidiis, reprehensio etiam nostrae timiditatis. Postea narrabat quosdam praecipuae autoritatis viros suadere, ut nos peteremus a duobus vicinis Electoribus, ut Synodum indicerent, quo et Saxonicarum gentium ac urbium Doctores acceserent. Ita posse et praesentes discordias tolli, et constitui perpetuam concordiam“ (Melanchthon an Joachim Camerarius. 5. Februar 1550: CR 7, 541f., 541 [Nr. 4664]). Mit diesem Vorwurf der Furchtsamkeit („timiditas“) geht nun auch Jonas Anfang 1550 aufgrund der zeitgenössischen Streitkreise auf Distanz zu Melanchthon bzw. den Wittenbergern und konvergiert inhaltlich z.B. mit Flacius und Corvinus (zu den analogen Vorwürfen s. KOBLER, Melanchthonbildes, 370 mit Anm. 199). 555 Hieronymus Weller an Melanchthon. Freiberg, 27. November 1553: CLEMEN, Melanchthon, 167f., 167 [Nr. 11].

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

doctrinae & consolationis. Crebrae, acutae ac praeclarae sententiae passim in scriptis Lutheri occurrunt Lectori, […].“556

Dem korrespondiert, dass Weller noch im Jahr 1562 Luthers Werk an zweiter Stelle nach der Bibel als immer zu Lesendes empfiehlt und dabei zugleich Melanchthons Werk auf Methodik und Sprache reduziert: „D. Philippi scripta studiosis Theologiae diligenter legenda esse propter mevqodon, cuius ipse mirus artifex fuit, & propter dictionem eius, quae latina, pura suavis, propria & perspicua est.“557

Unmittelbar im Anschluss lobte Weller in Abgrenzung von Melanchthon Luther wegen seiner Schriftauslegung. Ähnliche Zeugnisse finden sich auch aus späterer Zeit, z.B. in einem Schreiben von 1565, in dem Weller Luthers Schriften, die „Safft und Krafft“ hätten, mit denen Melanchthons kontrastiert, die als „macilenta nimis & arida“ bezeichnet werden.558 Man wird bei solchen Kontrastierungen jeweils den Entstehungskontext zu beachten haben, und es gibt von Weller auch dezidiert positive Bezugnahmen auf Melanchthon als Autorität.559 Insofern kann wohl zu keiner Zeit von einer Fundamentalopposition gesprochen werden. Dennoch ordnete sich Weller mit dieser differenzierten Haltung in die Reihe der Kritiker ein, die sich insbesondere in der Phase zu Wort meldeten, in der F entstanden ist.560 Im Hintergrund stand Melanchthons Verhalten im Schmalkaldischen Krieg sowie im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung der Universität Wittenberg bzw. der Gründung der ernestinischen Universität Jena, aber auch seine Haltung gegenüber dem Interim und dem kursächsischen Sonderweg. In diesen Diskussionszusammenhang reichte das Spektrum von freundlichen Bitten, die eigene Position zu erläutern, bis hin zu heftigen Vorwürfen und Schmähungen.561 Nimmt man vor diesem Hintergrund den Kodex in den Blick, wird schnell erkennbar, dass dort ebenso keine Fundamentalopposition vertreWELLER, Opera, III+IV, 199a. WELLER, Opera, III+IV, 158. S.a. Wellers „Confessio“ von 1570: ebd., 166f. 558 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 194b. 559 Vgl. exemplarisch die Confessio von 1570: WELLER, Opera, III+IV, 166f. Weitere Belege bei NOBBE, Weller, 64–70. 560 Zu den Kritikern und Kritikpunkten im Einzelnen s. KOBLER, Melanchthonbildes, bes. 330–372. 561 Im Jahr 1551 waren die Fronten jedoch noch nicht vollkommen verhärtet: Z.B. verzichtete die Stellungnahme der ernestinischen Theologen auf Polemik und Kritik (vgl. KOBLER, Melanchthonbildes, 353). Weiterhin wurde die Kommunikation zwischen den „Antagonisten“ Jena und Wittenberg erst ab 1554 schwieriger bzw. ab 1556 merklich eingeschränkt (s. GEHRT, Intermezzo, bes. 93–99). Gehrt relativiert hier mittels Auswertung der Briefkontakte ältere Forschungen, die den Bruch durch den Fokus auf den theologischen Dissens zu apodiktisch zu früh ansetzen – s. z.B. BAUER, Kampf, bes. 286f. 556 557

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ten wurde. Melanchthon tritt im Kodex als Autorität neben Luther, allein insofern dort 33 Briefe562 sowie Melanchthons 1547 erschienene Loci consolatorii563 Aufnahme fanden. Zu prüfen wäre jedoch, ob sich in F nicht darüber hinaus auch Indizien der kritischen Dimension von Wellers Melanchthonbild finden. Blickt man mit diesem Fokus auf den Kodex, so stößt man – insbesondere im 32. Locus – auf an sich z.T. eher unscheinbare Indizien, die in ihrer Gesamtheit aber den Eindruck bewusster punktueller Abgrenzung von Melanchthon, vermittelt durch Apophthegmata Luthers, nahelegen. Diese sind unterschiedlich gut bezeugt und sind daher in der Analyse unterschiedlich zu gewichten. Dass der Kreis um Weller hier jedoch auch ganz gezielt vorging, kann anhand eines Apophthegmas gezeigt werden, in dem gewissermaßen eine explizite Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der beiden Wittenberger Autoritäten erfolgt: Chart. A 402, fol. 111r [WA 48,389,32– WA.TR 1,30,1–5 [Nr. 80] 34] Variae et leves causae me movent multum, magnae autem me non movent. Ista sunt supra me, du kanst sie nicht halten. Darumb las sie gehen. Phil⌊ippus diversum facit. Is meis negotiis non movetur, sed illa graviora reip⌊ublicae movent eum et privata negotio religionis dicit tantum ad me pertinere. Sic varia dona sunt.

Parvae et leves causae me multum movent, magnae autem non movent, sic enim cogito: Hoc est supra te, du kanst es nit halten, ergo so lass es gehn. Diversum facit Phil⌊ippus. Is meis negotiis non movetur, sed movent eum illa grandia reip⌊ublicae et religionis. Me privata tantum premunt. Sic sunt varia dona.

Der historische Hintergrund dieser Aussage wird nicht näher erläutert. Die Cordatische Tradition bringt dieses Apophthegma mit Johannes Campanus in Verbindung. Dann könnte das Stück eine Reaktion auf dessen Schrift wider die Trinität darstellen.564 Unabhängig von der historischen Einordnung benennt Luther nach diesem Apophthegma Grenzen seiner Erkenntnis bzw. seines Wissensdurstes und verfällt somit nicht der – von Weller in seiner Liedauslegung entfalteten – List des Teufels. Zudem werden in F – und den anderen Parallelen – diese Aussagen über Luther durch einen Vergleich mit Melanchthon konkretisiert: Während Luther sich auf das Kleine beschränke, ziele Melanchthon auf die große Politik und schreibe die „privata negotio religionis“ Luther zu. Diese Aufteilung S. HAUßLEITER, Rätsel, 1. CR 6,483–488 [Nr. 3834] bzw. Chart. A 402, fol. 279r–281r. 564 Vgl. WA.TR 2, 302,17–21 [Nr. 2045]: „Tanta portenta rerum et doctrinarum non quamlibet, sed multo maximam mutationem mundo pronuntiant. Causae malae, sed parvae maxime me movent; sed maximae, ut est Campani convicium contra Spiritum S⌊anctum, minime. Sic enim in talibus cogito: Lass gehen, quia hoc supra te est.“ Zu Campanus s. KÖSTLIN / KAWERAU, Luther, II, 322f. 562 563

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

der Zuständigkeitsbereiche lässt vor dem Hintergrund der interimistischen und adiaphoristischen Wirren aufhorchen, wird Melanchthon hier von Luther letztlich die Zuständigkeit für religiöse Fragen abgesprochen. Dass dies genau die Aussageabsicht des „Wellerschen Kreises“ war, kann anhand des synoptischen Vergleiches plausibilisiert werden. In der Dietrichschen Tradition und den weiteren Parallelen wird Melanchthon die Zuständigkeit für die „grandia reip⌊ublicae et religionis“ zugesprochen.565 Zudem findet sich der entscheidende – im Zitat kursiv hervorgehobene –, Melanchthon in den Mund gelegte Satz über die „privata negotio religionis“ nur in F. In den Parallelen steht stattdessen eine Selbstaussage Luthers. Als weiteres Indiz für eine von Luther her begründete melanchthonkritische Dimension mag ein Brief Luthers an Melanchthon – geschrieben aus Tambach – gelten.566 Es liegt zumindest nahe, dass der eigentliche Briefkopf „Meinem herzallerliebsten Magistro Philippo Melanchthoni“ nicht nur aus rein formalen Gründen verallgemeinert wurde in „D: Luth. ad philip: Melanch:“, zumal mit dem Trostbrief Luthers an Thomas Zink in Hofheim vom 22. April 1532 ein Beispiel vorliegt, dass in F Briefüberschriften bewusst geändert wurden.567 Dass solche Signale – zumindest wenige Jahre nach der Vollendung von F – kritisch wahrgenommen wurden, zeigt die Rezeption dieses Briefes durch Mathesius in seinen Lutherhistorien in der 11. Predigt: „Jch sol hie auch dises brieffs vberschrifft erwehnen, drauß man vermercke die hertzliche vnd vertrawte freundschafft, so zwischen jm vnd dem er die froeliche botschafft zu wissen thet.“568

Eben diese Botschaft der „herzlichen und vertrauten Freundschaft“ war in F redaktionell zumindest relativiert worden. Des Weiteren übernahm der „Wellersche Kreis“ in den 32. Locus gezielt den Ausschnitt aus der Überlieferung der Gespräche bei Mathesius’ Abschiedsessen vom 11. April 1542, in es um Luthers Geburtsjahr geht: „Luth⌊erus dixit anno 1542: Jch bin jtz LX jar alt. Philip⌊pus: Herr Doctor, jr seit erst 58 Jar; das hat mir eur mutter gesagt. Luth⌊erus: Jr muset mich nicht zu jung machen,

565 Zu den geringfügigen Unterschieden der Parallelen zur Dietrichschen Fassung s. WA.TR 1, 30 Anm. 9f. 566 Vgl. Chart. A 402, fol. 472v–473r bzw. WA.B 8, 49,1–50,25 [Nr. 3139]. Die Übernahme des Briefes mag zu weiten Teilen durch den Hinweis auf denselben im Rückblick von 1540 begründet sein (vgl. Chart. A 402, fol. 111v bzw. WA.TR 5, 97,10 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r). In H ist dieser Bezug explizit hergestellt (vgl. Sup. ep. 4° 73, fol. 124b: „De eodem epistola Luth⌊eri ad Philip⌊pum infra fo: 425“). 567 S. Chart. A 402, fol. 272r–v bzw. S. 81f. 568 Mathesius, LH, 258,7–18; Zitat: ebd., 7–11.

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ich bin gewislich 60 jar alt. Philip⌊pus: Nein. Vitus Wins⌊hemius: Jch bin geborn anno 1, currente, wie die Mutter sagt. M⌊agister Erasmus hat mir die nativitet gestelt.“569

Dass Luthers Geburtsjahr und damit ein entscheidendes biographisches Moment tatsächlich strittig ist, haben insbesondere die Forschungen von Reinhart Staats gezeigt.570 In Hinblick auf die Frage nach einer „unterschwelligen“ Kritik seitens des „Wellerschen Kreises“ an Melanchthon, ist weniger bedeutend, welche Überlieferung die historisch „richtige“ ist, als vielmehr, dass der „Wellersche Kreis“ diese Kontroverse zwischen Luther und Melanchthon übernimmt. Insofern Melanchthon selbst sich nach Luthers Tod – prominent in der sog. Historia Lutheri571 – dezidiert für das Jahr 1483 entschieden hat, ist seine im Apophthegma greifbare Lösung von ihm selbst inzwischen als falsch abgelehnt worden.572 Zumindest in H wird diese Korrektur dann auch als Geburtsjahr Luthers rezipiert. Das erste Datum des dort eingefügten tabellarischen Lebenslaufs lautet: „Anno 1483 natus est D. Lutherus.“573

Insofern liegt es nahe, den Grund für die Aufnahme dieses Apophthegma nicht ausschließlich als durch biographische Frage nach dem Geburtsjahr Luthers motiviert zu sehen. Unabhängig von der inhaltlichen Frage gibt das Apophthegma eine harsche Kontroverse zwischen Luther und Melanchthon wieder, in der Melanchthon Luther vehement widerspricht. Versöhnlicher erscheint der Konflikt in der Parallele, wo statt des apodiktischen „nein“ Melanchthons steht:

„Aber Philippus wolts nicht zcugeben.“574 Nach der Fassung von F entsteht der Eindruck, es werde ein Konflikt geschildert, der zu eskalieren gedroht habe, was Veit Oertel von Winsheim durch einen Themenwechsel verhindert habe.575 Inhaltlich war das 569 Chart. A 402, fol. 111r [WA 48, 606,27–30]; WA.TR 5, 138,35–139,5 [Nr. 5428 – Abschnitt 5]. 570 Vgl. zusammenfassend STAATS, Geburtsjahr (2004) – dort sind auch alle weiteren Beiträge von ihm verzeichnet (ebd., 312); s. auch neuerdings BULISCH, Geburtsjahr; zu den Apophthegmata im Besonderen s. BARTMUß, Kindheit, 125–127, der jedoch für die „klassische“ Datierung plädiert. 571 Vgl. CR 6, 155–170, 156. 572 Ausgehend vom April 1542 kommt man mit Luthers Angabe – mit dem damals üblichen Blick auf den nahenden Geburtstag – auf das Jahr 1482 und bei Melanchthon auf das Jahr 1484. 573 Sup. Ep. 4° 74, fol. 259r. 574 WA.TR 5,139,2f. [Nr. 5428]. 575 Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der ursprünglich evtl. tatsächlich eher „scherzhafte Charakter“ (vgl. STAATS, Kirche, 71) in F durch die Auslassung der Einleitung „Dornach redten die hern, wie alt sie warn“ (WA.TR 5, 138,35) weniger zum Tragen kommt. Insofern Veit Oertel von Winsheim auf die Erstellung seines

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Apophthegma mit seiner Datierung von Luthers Geburtsjahr zur Zeit der Abfassung bereits überholt.576 Insofern stellt das Apophthegma ein weiteres Indiz dafür dar, dass der Kreis um Weller tendenziell eher auf Differenzen zwischen Luther und Melanchthon als auf Gemeinsamkeiten zielte. In dieselbe Richtung weist ein auf Melanchthons Vorliebe für Astronomie bezogenes Apophthegma. Luthers Distanzierung von Melanchthons astronomischen Neigungen ist insgesamt gut bezeugt.577 Insofern sie sich im 32. Locus nur als Unterthema, d.h. nicht in gesonderten Apophthegmata findet und in F kein auf die Astronomie im Besonderen bezogener Locus vorhanden ist, verleiht der Kreis um Weller der Thematik nur wenig Gewicht. Zum einen gerät ein Grundstück aus der Rörerschen Überlieferung in den Blick, das prinzipiell Luthers schwere Erkrankung in Schmalkalden thematisiert, in diesem Zusammenhang aber auch die Frage der Astronomie aufgreift:578 „Sed Philippus mit seiner heilosen vnd schwermerischen Astrologia hielt mich noch ein tag auff, den es war nouilunium; wie er auch ein mal von Brataw [mit Rörer und Mathesius ist hier wohl ein „nicht“ zu ergänzen; I.K.] herein faren wolte vbers wasser in novilunio. Jch wolt aber nicht bleiben, quia nos sumus domini stellarum.“579

Dass sich in der Leipziger Mathesiushandschrift lediglich für diesen Ausschnitt eine Parallele findet,580 kann als Indiz dafür gewertet werden, dass diese Aussage zeitgenössisch aufhorchen ließ. Obwohl F insgesamt Rörer folgt, teilt es mit dem Auszug die Bewertung der Astrologie als „heilose vnd schebicht“, während Rörer von „heilos vnd schwermerisch“ spricht. Selbst unter der Prämisse, dass der Kreis um Weller die kurze Variante ebenfalls kannte, hatte er an diesem Punkt redaktionell eingegriffen und die Kritik an Melanchthon verschärft. Zumal es ebenso ein Leichtes gewesen wäre, diese heikle Stelle auszulassen oder zumindest abzumildern, stellt dieser Abschnitt einen erneuten Beleg für eine melanchthonkritische Dimension von F dar, für die die Autorität Luthers in Anspruch genomHoroskops für seine Geburtsstunde durch den Wittenberger Astronom Erasmus Reinhold verweist, wurde durch den „Ablenkungsversuch“ ein weiterer strittiger Punkt zwischen Melanchthon und Luther insinuiert, wie im nächsten Schritt auszuführen ist. Staats plausibilisiert Melanchthons Umschwung in der Datierung gerade mit astrologischen Bedenken Melanchthons (STAATS, Kirche, 75). 576 Dies könnte der Grund sein, dass spätere Apophthegmata-Sammlungen mit einem vergleichbaren Locus dieses Stück nicht aufgreifen. 577 Zu Melanchthons astrologischer Neigung und deren Kritisierung s. ausführlich KOBLER, Melanchthonbildes, 409–447; zur Kritik Luthers s. ebd., 433–435. 578 Vgl. Chart. A 402, fol. 111r–v [WA 48, 600,13–18] bzw. WA.TR 5, 96,8–97,17 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 410v–411r. 579 Chart. A 402, fol. 111v [WA 48, 600,17f.] bzw. WA.TR 5, 97,16–19 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol.411r. 580 Vgl. WA.TR 4, 684,7–11 [Nr. 5147].

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men wird. Hinzu kommt der Kontext. Das ganze Apophthegma ist getragen von einem „antipapalistischen“ Impetus. Unmittelbar vorher wird geschildert, dass aufgrund der negativen Prognose der Mediziner nun Luthers Tod vorbereitet werde: Die Fürsten wären gekommen, um Abschied zu nehmen, und Luther selbst habe nur noch den Wunsch gehabt, aus dem als „Höhle des Teufels (antrum diaboli)“ bezeichneten Schmalkalden herausgebracht zu werden.581 Dies wird am Ende des Apophthegmas dahin gehend spezifiziert, dass Luther nicht in Gegenwart des „Kardinals“ sterben wollte, damit man ihm nicht unterstellen könne, er sei vor Angst gestorben.582 Aufgrund von Melanchthons astronomischer Bedenken ist man entgegen des Beschlusses doch geblieben, so dass dieser zumindest potenziell den „Papisten“ in die Hände gespielt hatte, was zur redaktionell verstärkten Schärfe beigetragen haben könnte. Ähnliches gilt für die Rezeption des Berichts über einen Meuchelmörder. Hier werden als Subtext ebenfalls negative Folgen von Melanchthons astronomischen Neigungen greifbar. Melanchthon hätte den Attentäter aufgrund von dessen Gelehrsamkeit in sprachlicher und astrologischer Hinsicht bewundert („admirare“) und sich deshalb von diesem täuschen lassen.583 Erneut ist diese melanchthonkritische Aussage Teil der übernommenen Überlieferung und trotzdem hätte eine melanchthonfreundliche Redaktion, diese Kritik außen vor lassen können. Stattdessen kam es auch hier zumindest indirekt zu einer Aneignung derselben. Diese in den vorangegangenen Apophthegmata enthaltene (implizite) Kritik wird nun dadurch verstärkt, dass sich im 32. Abschnitt kein Lob Melanchthons oder seines Werkes aus dem Munde Luthers findet. Diese argumentatio e silentio kann insofern gegengeprüft werden, als sich in F – wohl kaum zufällig gerade in Bezug auf die für Weller so wichtige Schriftauslegung – ein hohes Lob des schwäbischen Reformators Johannes Brenz (1499–1570) findet, der zum einen ein überzeugter Interimsgegner war Vgl. Chart. A 402, fol. 111v bzw. WA.TR 5, 97,13–15 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r. 582 Vgl. Chart. A 402, fol. 111v [WA 48, 600,17; leider ungenau] bzw. WA.TR 5, 97,8–16 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r. Zum „antipapalistischen“ Impetus s.a. die Schilderung, dass Schlaginhaufen den päpstlichen Legaten, der den tot geglaubten Luther sehen wolle, abgewiesen habe mit dem – äußerst doppeldeutigen – Hinweis, dieser werde Luther nicht „in aeternum“ sehen (vgl. Chart. A 402, fol. 111v bzw. WA.TR 5, 96,19–22 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r). Diese Botschaft kann einerseits so verstanden werden, dass Luther noch lebt und nicht als selig Entschlafener bei Gott ist. Andererseits kann sie auch lauten, der Legat wird – im Unterschied zu Luther – nicht in Gottes Reich eingehen. S.a. Schlaginhaufens Freudenruf „Vivit Lutherus“ vor dem Wohnsitz des päpstlichen Legaten, nach der Genesung Luthers (ebd., fol. 111v bzw. WA.TR 5, 97,10–13 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r). 583 Vgl. Chart. A 402, fol. 112v–113r [WA 48, 495,9–18] bzw. WA.TR 2, 494,28– 495,10 [Nr. 2501b]. Näheres hierzu s. S. 284–286. 581

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und aufgrund seiner „Standhaftigkeit“ sogar aus Schwäbisch Hall flüchten musste und zum anderen selbst zu den – wenn auch differenzierteren – Kritikern von Melanchthons Position gehörte:584 „Nemo est inter omnes nostri temporis theologos, qui ita sacram scripturam tradat et declaret simpliciter et clare ut Brentius, adeo, ut saepissime spiritum illius admirans de viribus meis desperaverim. Et credo neminem ex nostris hoc praestiturum, quod ipse in euangelio Johannis enarrando praestitit. Licet interdum suis cogitationibus indulgeat, tamen, quia manet in ipsa sententia nec simplicitatem Verbi Dei excedit, hoc condonandum est.“585

Mit dieser expliziten Empfehlung des „Wellerschen Kreises“ von Brenz als von Luther gelobten Schriftausleger geht zumindest eine Hintanstellung der entsprechenden Werke Melanchthons einher.586 Vor dem Hintergrund der eingangs dargestellten kritischen Wahrnehmung der Werke Melanchthons seitens Weller wäre dies nur konsequent. Dass der Kreis um Weller Anfang der 1550er Jahre eine solche melanchthonkritische Haltung eingenommen hatte, mag mit an dem Konflikt um Luthers „Schärfe“ liegen und hätte somit einen konkreten Anhalt im „Wellerschen“ Lutherbild. Dieser Aspekt ist im nächsten Schritt breiter zu entfalten. In Bezug auf Luthers „Schärfe“ wird zu zeigen sein, dass diese vom „Wellerschen Kreis“ positiv gedeutet wird. Insofern nahm der Kreis gegenüber Melanchthons zeitgenössisch für Aufsehen sorgenden Brief an Christoph von Carlowitz von Ende April 1548, in dem dieser von „filoneiki,a“ gesprochen hat,587 geradezu eine Gegenposition ein und konvergierte indirekt mit der zeitgenössischen Kritik an Melanchthon. Dies gilt, auch wenn dieses Schreiben, wie Wengert in seiner intrikaten Auslegung gezeigt hat, von Melanchthon tatsächlich gedacht war als „subtle rejection of the Interim, suitable for distribution at the Diet, using a widely known impression of Luther’s behavior contrasted to his own as a canvas on which to depict how he would behave toward Moritz and the Saxon court if they insisted that he accept the Augsburg Interim“588. S. KOBLER, Melanchthonbildes, 339. Einen zeitgenössischen Einblick in die negativen Auswirkungen des Interim in Schwäbisch-Hall bietet Veit Dietrichs Schreiben an Justus Jonas vom 17. August 1548 (BrWJJ 2, 268 [Nr. 888]). 585 Chart. A 402, fol. 110v [WA 48, 489,8–11] bzw. WA.TR 2, 383,22–28 [Nr. 2261b]; 383,15–21 [Nr. 2261a]. 586 Zu Melanchthons exegetischem Werk s. den Sammelband WENGERT / GRAHAM, Commentary und dort besonders Wengerts eigenen Beitrag: WENGERT, Biblical Commentaries. 587 S. Melanchthon an Christoph von Carlowitz. Altzella, 28. [25.] April 1548: CR 6, 879–885 [Nr. 4217]; geschrieben von Altzella am 25. April, datiert aber auf den 28. April (MBW 5,281f.). 588 WENGERT, Nature, hier: 37. S.a. bereits die differenzierte Kontextualisierung des Briefes seitens SCHEIBLE, Melanchthons Brief. 584

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Zeitgenössisch schadete dieses Schreiben, insbesondere durch die deutsche Übersetzung von Johann Stoltz, dem Ansehen Melanchthons immens und rief vehementen Widerspruch hervor.589 Dabei ist zu berücksichtigen, dass sowohl Melanchthon als auch der Kreis um Weller sich hier in einem auch kontroverstheologisch schon zu Luthers Lebzeiten äußerst umkämpften Terrain bewegten. Einer der zentralen Kritiker zur Zeit der Entstehung von F war wiederum Johannes Cochlaeus.590 Auf protestantischer Seite geraten v.a. auf Luthers Tod bezogene Schriften in den Blick. Z.B. findet sich in der Leichenpredigt Bugenhagens ein diesbezüglicher apologetisch-polemischer Abschnitt.591 Auch Melanchthon thematisiert bereits in seiner Leichenrede die Klagen von einigen „non mali“ über Luthers übermäßige Schärfe („asperior“).592 Trotz verschiedener apologetischer Argumente593 wird dieser Impetus dennoch – unter weiteren verteidigenden Vorbehalten – als Sünde bezeichnet: „Nec ego hoc nego, peccare interdum uehementiores impetus, nemo enim in hac naturae infirmitate prorsus sine labe est.“594

Ebenso findet sich in der sog. Historia Lutheri eine nicht unkritische Auseinandersetzung mit Luthers „natura ardens et iracunda“.595 Prinzipiell ist in diesen beiden Schriften also schon der eingangs erwähnte Vorwurf angelegt, d.h. Melanchthons Rede von Luthers „filoneiki,a“, der ca. zwei Jahre später für so großes Aufsehen gesorgt hatte. Wellers eigene Position wiederum ist z.B. in seiner wohl 1552 gedruckten Schrift De officio eccle-

S. KOBLER, Melanchthonbildes, 340–342. Vgl. SPAHN, Cochläus, 243. Zur Frage nach Luthers Zorn im Allgemeinen s. in materialer Hinsicht immer noch PREUß, Prophet, 147–150 bzw. PREUß, Künstler, 195– 202. 591 BUGENHAGEN, Leichenpredigt, 88. 592 Vgl. MELANCHTHON, Oratio in funere, 216. 593 Als Verteidiger – wohl einer der „non mali“ – wird zum einen Erasmus angeführt, zum anderen betont Melanchthon Luthers Werkzeugfunktion unter Verweis auf Jer 1,9f. Des Weiteren greift Melanchthon auf antike Vorbilder, d.h. die Gorgonen bzw. Aristides und Themithokles, zurück (vgl. PHILIPP MELANCHTHON, Oratio in funere, 216). 594 MELANCHTHON, Oratio in funere, 216 – im Folgenden wird Luther mit Herkules, Kimon und anderen parallelisiert und von hier als „vir bonus“ und lobenswert bezeichnet. In der Kirche gelte der als Mischzitat von 2Tim 2,5; 4,7 und 1Tim 1,19 abgeleitete paulinische Maßstab: recht kämpfe, wer den Glauben und das gute Gewissen behalte. Camerarius entschärft den Vorwurf dann noch weiter, wenn er den Verweis auf den „privaten“ Luther ergänzt, der sich ganz anders verhalte (vgl. ebd., 216f.). 595 PHILIPP MELANCHTHON, Praefatio, 1. Juni 1546: CR 6, 165f. Im Folgenden verweist Melanchthon verteidigend darauf, dass Luther trotz dieses Naturells sich immer auf das Lehren beschränkte und im Unterschied zu Müntzer nie zu den Waffen rief, die von Amts wegen von der Obrigkeit zu führen sind (vgl. ebd., 165f.). 589 590

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siastico, politico et oeconomico zu greifen und zwar in seiner Auslegung des „mh. ovrgi,lon“ bzw. „non iracundum“ von Tit 1,7: „Hoc non est ita accipiendum, quasi Apostolus ejusmodi hominem velit esse Episcopum, qui prorsus irasci nesciat, cum tamen necessaria & utilis interdum sit ira, sed haec est sententia Apostoli: quod Episcopus non debeat esse furenter iracundus.“596

Im Folgenden unterscheidet Weller zwei verschiedene Arten von Zorn, die positiv zu wertende „ira officii“ sowie den negativen „furor animi“. Ersterer wird am Magistrat, den Eltern wie den „doctores Ecclesiarum“ verdeutlicht: „Quando doctores Ecclesiarum offensi impoenitentia hominum severe & acriter taxant omnium ordinum vitia. Haec est bona, salutaris, & divinitus praecepta ira. Solches ist ein heiliger / goettlicher Zorn / ohn welchen kein Regiment bestehen kan. Nam illa remissio animi & dissolutio valde perniciosa est, quia alere, & fovere videtur hominum scelera. Wer allzu linde ist / und gar nicht zuernen kan / noch will / der tauge zu keinem Regiment nicht.“597

In Wellers Judicium de Doctore Martino Luthero aus dem Jahr 1555 gehört Luthers Kämpfertum zu den besonders gelobten positiven Eigenschaften Luthers.598 Zudem ist daran zu erinnern, dass Weller Luther aufgrund seines Doktorstatus bzw. seines Prophetentums als über „normale“ Maßstäbe erhoben ansehen kann.599 Im Folgenden wird nun zu zeigen sein, inwiefern sich diese Position auch in F niederschlug. Prinzipiell können im 32. Abschnitt cum grano salis eine „theoretische“ Auseinandersetzung mit Luthers Zorn sowie eine exemplarische, d.h. eine auf das albertinische Sachsen bezogene, unterschieden werden. Kaum überzubewerten sein wird der diesbezügliche Ausschnitt aus Jonas’ Bericht von Luthers schwerer Erkrankung von 1527. Dieser steht im Zusammenhang mit Äußerungen Luthers zu Schwärmern und seinen Schriften gegen den Papst und wurde wohl primär schlichtweg von den Vorlagen übernommen. Nach Jonas’ Bericht sprach Luther selbst in einer Art Beichte die Problematik an. Er verwies auf seinen „leichtfertigen“ Umgang mit Worten, gestand, „paulo liberior et acerbior“ gewesen zu sein und bat darum, nicht bestraft zu werden („non me poenitet“), mit der Begründung, er habe – wie Gott bekannt sei – niemanden Arges gewollt. WELLER, Opera, III+IV, 36a. WELLER, Opera, III+IV, 36a. Mittels der Rede von „allzu linde“ mag auf Melanchthons vorgebliche „Friedensliebe“ angespielt worden sein. In seiner „Confessio“ aus dem Jahr 1570 kommt Weller auf diesen Charakterunterschied zwischen Luther und Melanchthon zu sprechen und führt diesen typologisch auf die Propheten Elia / Elisas im Unterschied zu Joel zurück; Luther selbst wird zudem als Zeuge dieses Unterschiedes angeführt (vgl. WELLER, Opera, III+IV, 166a–167b). 598 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 168a; s.a. Wellers Schreiben von 1561 (ebd., 169a). 599 WELLER, Opera, I, 367a; Zitat s. S. 127f. 596 597

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Insgesamt wird so weniger eine (selbst)kritische als vielmehr eine apologetische Haltung eingenommen.600 Zwar ist in diesem Ausschnitt kein besonderer redaktioneller Eingriff festzustellen, dennoch wird mit diesem letztlich die Linie vorgegeben, die sich durch den 32. Abschnitt von F zieht und gegenüber Melanchthons Rede von der „filoneiki,a“ wie kontroverstheologisch motivierten Angriffen einen Gegenakzent setzt. Es mag angesichts der zeitgenössischen „Aktualität“ kein Zufall sein, dass in Bezug auf die Frage nach „Luthers Zorn“ insbesondere der Eingangsteil des Locus in den Blick gerät. Dort findet sich eine ganze Sequenz von Apophthegmata, die den „Kämpfer Luther“ näher charakterisieren und dabei diese Problematik aufgreifen.601 Das erste Stück bezeichnet Luthers Zorn als sein bestes Heilmittel und geradezu Movens seiner Kreativität: „Ego nullum melius remedium habeo quam iram. Si bene scribere, orare, praedicare volo, oportet me esse iratum.“602

F bietet hier im Vergleich mit allen Parallelen den kürzesten Text. Den längsten weist die Khumersche Variante auf. Dort folgt: „[…] da erfrischt sich mein gantz geblut, et acuitur ingenium, et tentationes omnes cedunt.“603

Demgegenüber wird in F der Fokus weniger auf das „remedium“ Zorn als auf das Antriebsmovens bei den zentralen Aufgaben Luthers, d.h. Schreiben, Beten, Predigen gelegt. Die Adressaten dieses Zorns sind nicht weiter eingeschränkt. Anders im zweiten Apophthegma dieser „Sequenz“, in dem Luthers Zorn thematisiert wird. Nun geht es um den Rat von Luthers Freunden, sich an Albrecht von Mainz mit einem freundschaftlichen Schreiben zu wenden:

Vgl. Chart. A 402, fol. 108r: „Postea subiecit: O, wie werden die schwermer ein wesen anrichten nach meinem tode! – Ibi cum singultu largas effudit lacrimas. Praeterea et hoc subiecit: Mein lieber Gott, bin ich vnderzeiten mit worten leichtfertigk gewest, tu scis, quod feci ad discutiendum maerorem infirmae carnis meae, non mala conscientia. Inter haec conversus ad nos dixit constans in doctrina sua: Sitis testes, quod, quae de poenitentia et iustificatione scripsi contra papam, non reuocaui, sed sentio Dei euangelium esse et veritatem Dei. Si quibusdam uideor paulo liberior et acerbior fuisse; non me poenitet. Jch habe ja niemandt arges gegont, das weis Gott“ bzw. WA.TR 3, 89,20–90,2 [Nr. 2922b]. 601 Vgl. Chart. A 402, fol. 103r–v bzw. die Apophthegmata Nr. 2410b; 801; 1163; 351; 397; 610. 602 Chart. A 402, fol. 103r [WA 48, 493,10–12] bzw. WA.TR 2, 455,36–456,2 [Nr. 2410b]; 455,33–35 [Nr. 2410a]. 603 WA.TR 2, 456,1f. Selbst H kennt noch den Zusatz: „do erfrischt sich mein gantz gebluthe“ (WA 48, 493 Anm. 1). 600

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„Saepe suaserunt mihi amici, ut episcopo Mog⌊untino amice scriberem, domit ichs nur verderbet hab [Hervorhebung; I.K.]. Si secutus fuissem meum consilium, res melius haberet. Ista res non vult geri moderate, sed impetu Spiritus Sancti, sicut Samson portas tollebat.“604

F übernimmt die von Rörer oberhalb der Zeile ergänzte negative Einschätzung Luthers, der diesem Rat wohl gefolgt zu sein scheint und zwar nicht, wie in den Handschriften Bav. und Oben., nur in Klammern. Damit ist bereits angedeutet, dass der „Wellersche Kreis“ sich Luthers Interpretation zu eigen macht, die eine schärfere Stellungnahme gefordert hätte. Von Luthers Zorn ist hier zwar nicht ausdrücklich die Rede, doch macht die Zurückweisung einer moderaten Reaktion sowie die Rede vom „impetu Spiritus Sancti“ sowie der abschließende Verweis auf den Richter Simson das Gemeinte nur allzu deutlich. Stand dieser in Bezug auf das antipapalistische Hexameter Luthers „Pestis eram vivus, moriens ero mors tua, Papa“ nur implizit im Hintergrund,605 wird hier mit der Erwähnung der Tore explizit auf Ri 16,1–3 angespielt, wo erzählt wird, dass Simson – als seine Feinde ihm am Stadttor auflauerten – gleich das gesamte Tor auf die Höhe des Berges vor Hebron getragen habe. Auch hier erfolgt keine Kritik an Luthers Zorn, sondern dieser erhält geradezu eine theologische Legitimation. Erst im dritten Apophthegma dieser Sequenz, das Luthers Zorn aufgreift, wird eine kritische Haltung angedeutet. Letztlich wird die von außen an Luther und seine Anhänger herangetragene Frage aufgegriffen: „Cur tam vehemens scribendo?“ Dass zumindest dem Schreiber diese Frage wichtig war, zeigt die Gestaltung und Hervorhebung derselben als Quasi-Überschrift in größerer und anderer Schrift. Zudem wurde erst am Rand nachträglich darauf verwiesen, dass es sich ursprünglich um eine konkrete Anfrage des jungen Kurprinzen Joachim II. von Brandenburg handelte, der – wie bereits erwähnt – zur Zeit der Abfassung zu den Befürwortern des Interim gehörte,606 so dass dieses Apophthegma eine weitere Dimension erhält: „Quaestio Iunioris Marchionis [am Rand; I.K.]. Cur tam vehemens scribendo? Re⌊sponsio: Vnser Herr Gott mus zuuor einen guten platz regen kommen lassen mit einem donner, darnach fein meilich lassen regnen, so feuchts durch. Item ein weyden rutlein kan ich mit einem messer zu schneyden, durum [sic!] quercum non [nur H fährt fort; ähnlich die anderen Parallelen; I.K.] do mus man parten vnd keile haben, man kan sie dennoch kaum spalten.“607

604 Chart. A 402, fol. 103 [WA 48, 465,25–27] bzw. WA.TR 1, 575,12–15 (Nr. 1163) = Ms. Bos. q. 24f, fol. 233v. 605 S. S. 94. 606 S. S. 182f. mit Anm. 409. 607 Chart. A 402, fol. 103v [WA 48, 407,20–23] bzw. WA.TR 1, 172,21–26 [Nr. 397]; Ms. Bos. q. 24c, 279r.

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Die Antwort Luthers greift zwei Bilder aus dem Alltag auf. Bleibt man im ersten Bild, so wäre Luther wohl der Platzregen mit dem Donner – beauftragt von Gott. Das zweite Bild von der Eiche und der Weidenrute macht ebenso deutlich, dass es starker Waffen bedarf, um harte Aufgaben zu meistern. Mag das Bild vom Platzregen etwas unstimmig erscheinen, da die Erde auch ohne vorangehenden Platzregen mit Donner durch Dauerregen durchfeuchtet werden könnte, ist die Botschaft gegenüber Kritikern Luthers deutlich: Luthers Zorn ist notwendig und letztlich in Gott begründet. Zieht man die Luther von Weller zuerkannte Sonderstellung als Doktor der Theologie und „Prophet“ mit in Betracht, nach der diesem aufgrund seiner besonderen vocatio und seiner besonderen Geistbegabung mehr erlaubt sei als dem „normalen“ Theologen oder Prediger,608 handelt es sich gewissermaßen um „heiligen“ oder „prophetischen“ Zorn. Insofern ist dieser Zorn kein Laster, sondern in gewisser Weise eine Tugend oder zumindest integraler Bestandteil der Person Luthers als Werkzeug Gottes. Erst in einem Nachtragsstück, nach dem Luther geprüft habe, welchen Lastern bzw. klassischen Sünden er erlegen sei, wird Luthers Zorn von diesem selbst als „Sünde“ deklariert.609 Insofern wird hier ein Aspekt aufgegriffen, den auch Melanchthon – wie bereits erwähnt – angeführt hat. Dennoch bestehen Unterschiede, die beim Vergleich deutlich werden: Chart. A 402, fol. 114r [WA 48,398,37f.] bzw. WA.TR 1,87,21–24 [Nr. 197]

Melanchthon, Oratio in funere, 216

Ego sum liber ab avaritia, a libidine, vindicat me [nach den Parallelen wäre hier „aetas“ zu ergänzen; I.K.] ab affectu corporis neque labor cuiuscunquam odio aut inuidia. Sola ira est adhuc reliqua in me, quae tamen plaerumque necessaria est et iusta. Sed habeo alia maiora peccata.

Nec ego hoc nego, peccare interdum uehementiores impetus, nemo enim in hac naturae infirmitate prorsus sine labe est.

Während bei Melanchthon eine Fremdzuschreibung vorliegt, die mit der allgemeinen Sündhaftigkeit relativiert wird, wird bei der Selbstaussage Luthers der Zorn als „notwendig“ und „gerecht“ und zudem mit dem Verweis auf größere Sünden verteidigt. Insofern stellt dieses Nachtragsstück neben der Verteidigung Luthers nach außen auch eine implizite Korrektur Melanchthons dar. Der grundsätzliche Duktus in Bezug auf Luthers Zorn wird auch mit diesem Apophthegma nicht verändert.

S. nochmals WELLER, Opera, I, 367a; Zitat: s. S. 127f. Rörer betont dieses Moment durch seine Randkategorisierung (vgl. Ms. Bos. q. 24c, 269r). 608 609

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Über diese „theoretische“ Auseinandersetzung mit „Luthers Zorn“ finden sich im 32. Abschnitt zudem Briefe Luthers, die im Zusammenhang mit seiner Auseinandersetzung mit Herzog Georg stehen und letztlich konkret die Auswirkungen dieses Zorns zeigen. Dass sie ganz bewusst aufgenommen worden sind, zeigt die Anordnung: sie folgen in F unmittelbar aufeinander und sind einem größeren „Block“ mit kontroverstheologischem Schwerpunkt zuzurechnen.610 Das Schreiben des Leipziger Bürgermeisters Wolf Wiedemann vom 25. April 1533611 und Luthers ausweichendes Antwortschreiben vom 27. April612 sind ohne jeglichen Kommentar übernommen worden, so dass sie den damit verbundenen äußerst heftigen Konflikt nur erahnen lassen. Dem „Wellerschen Kreis“ muss dieser wohl vertraut gewesen sein, und es ging ihm vermutlich auch um die Dokumentation wichtiger Zeugnisse dieser Kontroverse, in deren Verlauf Luther des Aufruhrs beschuldigt wurde und an deren Ende die Ausweisung der Leipziger Protestanten stand, zumal Cochlaeus in den Commentaria als damals ebenfalls selbst Involvierter seine Sicht der Ereignisse breit dargestellt hat.613 Andernfalls hätte der Kreis wohl kaum auch das Schreiben des Leipziger Bürgermeisters mit in den Abschnitt „Luther über sich selbst“ aufgenommen.614 Auf die in Eigeninitiative verfasste briefliche Anfrage des Bürgermeisters, ob ein in Leipzig unter Luthers Namen kursierender Brief615 tatsächlich von ihm verfasst worden sei, antwortete Luther ausweichend und harsch und trug so zur Verschärfung des Konfliktes bei:616 „Vnd auff eur bitt vnd beger, wollet mich verstendigen, wer euch geheissen ader begeret hat, solchen brieff an mich zu schreiben, ob es der pfarherr zu Colln [d.h. Franz

Vgl. Chart. A 402, fol. 109r–111r. Vgl. Chart. A 402, fol. 109v bzw. WA.B 6, 456f. [Nr. 2011]. 612 Vgl. Chart. A 402, fol. 109v bzw. WA.B 6, 457 [Nr. 2012] – der ursprüngliche Briefkopf wird durch ein schlichtes „Responsio“ ersetzt. 613 Vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 243–255. Zum historischen Kontext s. die Einleitung zu Luthers Verteidigungsschrift (WA 38, 86–91) bzw. die Schrift Verantwortung der aufgelegten Aufruhr. 1533 (WA 38,96–107.108–127). S.a. SEIDEMANN, Beiträge, 125–141. 614 Bezüglich der Frage, auf welchem Wege die Briefe Eingang in F gefunden haben, kann nur spekuliert werden. Evtl. war Luther über den damals noch in Wittenberg weilenden Weller selbst Quelle. Über Cochlaeus waren die Briefe schon im Jahr 1533 einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich (vgl. Cochlaeus, Entschuldigung). Zudem gibt es eine handschriftliche Überlieferung (s. WA.B 6, 456.457); u.a. verfügt auch Rörer über die Schreiben (s. Ms. Bos. q. 24u, fol. 39r–v. 41v–42r). In den Commentaria bietet Cochlaeus eine lateinische Version (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 246). 615 Vgl. WA.B 6, 449f. [Nr. 2009]. 616 S. neben der bereits genannten Literatur auch die in WA.B 6, 448f.450–452.458 geschilderte Vor- bzw. Nachgeschichte. 610 611

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Arnoldi; I.K.617] ader der Meuchler zu Dresden618 ader eur Juncker Hertzog Georg gethan hat. Alsdan solt Jr antwort kriegen, ein wol eingedruckt, eingeruttelt, vberheufft mas, ob Gott wil, den euch zu dienen bin ich willigk.“619

Neben den Invektiven gegen Herzog Georg und Franz Arnoldi hat insbesondere der – Lk 6,38 aufnehmende – Halbsatz mit dem „mas“ Unmut erregt. Wie der „Wellersche Kreis“ den mit den beiden Schreiben alludierten Konflikt interpretierte, wird im Locus letztlich mittels des unmittelbar im Anschluss folgenden Briefes deutlich. In diesem Schreiben an den kaiserlichen und kursächsischen Rat, Hans von der Planitz, setzte sich Luther mit dem Vorwurf auseinander, er habe Herzog Georg in einem anderen Brief zu „hart“ angegriffen.620 Dieser Zeuge für Luthers eigener Argumentation datiert noch aus dem Jahr 1523, steht also in keinem Zusammenhang mit der späteren Kontroverse, zeigt aber zugleich, dass Luthers „Schärfe“ schon sehr früh umstritten war.621 Zunächst ging es Luther darum, sich mit den durch sein „hartes“ Schreiben für Johann Friedrich entstandenen Unannehmlichkeiten auseinanderzusetzen. Luther hoffte auf Christus als dessen Verteidiger und verwies darauf, dass der Kurfürst Luthers Härte immer wieder kritisiert habe.622 Damit ist bereits Luthers Strategie, die der „Wellersche Kreis“ sich im Unterschied zu Melanchthon zu eigen machte, erkennbar. In der Sache war nichts zurückzunehmen. Entsprechend argumentierte Luther weiter, dass er den „tobenden tyrannen“ Herzog Georg bisher „fast zu vil vorschont“ habe im Vergleich mit Heinrich VIII., der als „Bapst, Bischoffe, Konigk von Engellandt“ betitelt wird.623 Im Rahmen seiner Argumentation thematisierte Luther dann auch sich selbst. Zunächst zeichnete er sich mit seinen Schriften ein in den göttlichen Heilsplan: Zu der neuen Zeit gehöre auch, dass die Mächtigen nun angetastet werden.624 Dann wies er ein potenzielles Gegenargument zurück: S. E 9,294 Anm. 1. Eine Anspielung auf einen vorhergehenden Konflikt Luthers mit Georg – vgl. Luthers Schrift Wider den Meuchler zu Dresden (WA 30/III, 446–471). 619 Chart. A 402, fol. 109v bzw. WA.B 6, 457,5–10 [Nr. 2012]. 620 Vgl. Chart. A 402, fol. 110r–v bzw. WA.B 3, 27f. [Nr. 581]. Der Vorwurf der „Härte“ durchzieht geradezu leitmotivisch das ganze Schreiben (vgl. ebd. bzw. WA.B 3, 27,3.10.25.27.30 [Nr. 581]). Zum Hintergrund s. WA.B 3, 4f. [Nr. 567] sowie ebd., 5–7. 621 Insofern in der Edition nur spätere Drucke belegt sind (s. WA.B 3, 27 mit WA.B 13,54 zu „27 Nr. 581“), kann noch weniger nachvollzogen werden, auf welchem Wege der „Wellersche Kreis“ an das Dokument kam. 622 Vgl. Chart. A 402, fol. 110r bzw. WA.B 3, 27,5–11 [Nr. 581]. 623 Vgl. Chart. A 402, fol. 110r bzw. WA.B 3, 27,12–16 [Nr. 581]. 624 Vgl. Chart. A 402, fol. 110r bzw. WA.B 3, 27,17–22 [Nr. 581]: „Jch weis auch wol, daß meine Schrift fast alle der art gewest sein, das sie zum ersten anzusehen sein gewest, als weren sie aus dem teuffel, und besorgte, der Himmel wurd hernach [Wort 617 618

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„Nicht das ich mich damit entschuldige, als sey nichts menschlichs an mir, sondern, das ich mich des ruhmen kann mit S. Paul, ob ich gleich zu hart bin, das ich dennoch die warheit gesagt habe, und mir niemandt kann schult geben, das ich geheuchelt hab. Soll ich ja ein feil haben, so ists mir lieber, ich sey zu hart und das ich die Wahrheit zu vnuernunftigk heraus stosse, denn das ich Irgend ein mal heuchlete und die warheit Jnne behilte.“625

Einerseits entzog Luther hier Überhöhungen seiner Person die Grundlage. Andererseits identifizierte er sich mit seinem kompromisslosen Beharren auf der „warheit“ mit dem Apostel Paulus.626 Etwas „Unrechtes“ konnte Luther hier nicht erkennen. Dennoch deutete er im Folgenden auch hier die Möglichkeit an, dass er so „sündige“. Die Vergebung der Sünden sei aber Gott anheimgestellt.627 Mit der Übernahme dieses Schreibens rückte der Kreis um Weller Angriffe auf Luther wegen dessen „Schärfe“, mit Luther selbst, noch einmal betont zurecht. Der gewählte Weg machte seine eigene Position in Übereinstimmung mit der bereits erörterten Argumentationslinie deutlich: Luthers Zorn wurde seiner Funktion als Gottes Werkzeug zugeordnet und transzendierte letztlich innerweltliche Bewertungskriterien. Insgesamt vertrat der Kreis um Weller damit eine Position, die kontroverstheologisch motivierte Angriffe ins Leere laufen ließ, zugleich aber auch als Kritik an Melanchthon verstanden werden konnte. Man wird diese, im Vorangehenden plausibilisierte Distanzierung von Melanchthon nicht überbewerten dürfen. Melanchthon bleibt in F – gemäß der differenzierten Haltung Wellers – in weiten Teilen eine positiv konnotierte Bezugsperson. Ebensowenig sind diese Indizien für eine Distanzierung unterzubewerten. Zu deutlich konvergiert der „Wellersche Kreis“ mit „gnesiolutherischen“ Positionen, auch wenn er in dieser Hinsicht den Aspekt des „apriorischen Konsenses“, Luther als „ausschließliche, reformatorische Autorität“ anzusehen, differenziert. Im Hintergrund der Kritik mag stehen, dass die nachgiebigere Haltung der Wittenberger gegenüber den Forderungen des Interim die Position der protestantischen Gegner insgesamt schwächte.628 Pointiert kann die unterschiedliche Posi-

gestrichen; I.K.] fallen. Aber hernach ists balt anders wurden. Es ist itzt ein ander zeit, das man die grossen heupter, furhin ungewonet, antastet. Vnd was Gott im sin hab, wirt man sehen zu seiner zeit.“ 625 Chart. A 402, fol. 110r–v bzw. WA.B 3, 27,23–28,29 [Nr. 581]. 626 Im Hintergrund stehen Bibelstellen wie Röm 9,1; 2Kor 4,2; 1Tim 2,7 sowie Gal 2,14. Letztere ist auf das sog. Apostelkonzil bezogen, auf dem Paulus hart mit Petrus über die Frage der Beschneidung gestritten hat. Evtl. denkt Luther hier vornehmlich an dieses „Ereignis“. 627 Chart. A 402, fol. 110v bzw. WA.B 3, 28,30–33 [Nr. 581]. 628 Vgl. C&C 2, 44.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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tionierung am Hinterspiegel des Gothaer Kodex verdeutlicht werden.629 Zu einer Zeit, in der Melanchthon vorgeworfen wurde, er habe den im Zusammenhang der religionspolitischen Wirren entmachteten und gefangenen „geborenen Kurfürsten“ zu bereitwillig vergessen,630 bekennt sich der Kreis um Weller exponiert zu Johann Friedrich I.631 Von hier aus mag die Wellersche Positionierung und ihr Niederschlag in F auch als Momentaufnahme eines religionspolitisch motivierten Dissenses zu verstehen sein. In späteren Debatten, nach Beendigung der interimistischen bzw. adiaphoristischen Krise, erlaubte Weller seine differenzierte Haltung als Vertreter eines „vermittelnden Kurs[es] einer Lehreinheit der beiden Wittenberger Theologen Luther und Melanchthon“632 aufzutreten, die vom Kreis um Weller verantwortete Apophthegmata-Sammlung war zu diesem Zeitpunkt schon längere Zeit abgeschlossen. Insofern kann diese Kritik, zumal mit Blick auf Luthers „Schärfe“, auch als Ferment der Anfang 1550 noch so virulenten „heroisierenden“ Dimension der „Wellerschen“ Luthermemoria verstanden werden. 2.2.

Didaktisch-pastorale Aspekte

Bei den didaktisch-pastoralen Aspekten liegt der Fokus auf einer Memoria Luthers, die primär auf die „Gläubigen“ und z.T. zugespitzt auf Amtsträger bezogen ist. Es geht um Indizien dafür, dass der Kreis um Weller Luther nicht nur – wie gezeigt – in den zeitgenössischen Streitkreisen aktualisierend „vergegenwärtigte“, sondern dass er zugleich Luther als nachahmenswertes Vorbild in – anachronistisch ausgedrückt – Glaubens- und Lebensfragen verstand. Auf diese Weise trieb der Kreis um Weller die dem „gnesiolutheranischen“ apriorischen Konsens eignende Fokussierung auf Luther memorial so auf die Spitze, dass die diesbezüglich greifbaren Aspekte angemessen als „Monumentalisierung“ zu deuten sind.633 Im Hintergrund steht erneut Wellers, in fünffacher Weise entfaltetes, weites Verständnis von Luther als „exzeptionellen Lehrer“,634 v.a. der zweite, auf die Stände, wie der fünfte, auf die Seelsorge bezogene Punkt – Letzteres ist auch bereits im ersten Punkt angedeutet: Zum Hinterspiegel s. S. 91f. Dies wird Melanchthon u.a. vom ehemaligen Leibarzt Johann Friedrich I., Matthias Ratzeberger (1501–1559), vorgeworfen (s. RATZEBERGER, [Geschichte], 187f.) – ähnliche Kritik äußern auch der Berliner Propst, Georg Buchholzer (1503– 1566) – s. KOBLER, Melanchthonbildes, 331 Anm. 31. 631 Zu Johann Friedrich I. als Kritiker Melanchthons s. KOBLER, Melanchthonbildes, 514f.544–546; MENTZ, Johann Friedrich, III, 269f. 632 DINGEL, Weller. 633 S. S. 80f. 634 S. S. 128. 629 630

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„[…] explicationem suam [i.e. ‚Lutheriʻ; I.K.] ad captum auditorum, & ad consolationem piarum & afflictarum mentium mira dexteritate & felicitate accomodavit. Nulla enim fere tentatio excogitari potest, cujus non certum remedium in sacris literis monstravit Lutherus […]. Secundo, Lutherus id quoque praestitit, quod nullus ante eum praestare potui. Nimirum quod omnes omnium ordinum & conditionum homines erudivit, docens quomodo in sua quisque vocatione Deo serviat, & salvetur. […] Item docuit Politica & oeconomica opera, quantumvis in speciem spreta, vilia, & sordida, Deo longe acceptiora esse, quam vel omnium Eremitarum, vel Carthusianorum asperrima exercitia corporis, & animi, vigilias, preces, & jejunia. […] Quinto, Lutherus in erudiendis & confirmandis afflictis mentibus mirus fuit artifex. Novit enim omnes rationes, quibus sauciata mens ignitis telis Diaboli possit sanari […].“635

Die damit angedeutete Dimension der gruppenspezifischen Luthermemoria bzw. des Lutherbildes soll in umgekehrter Reihenfolge, d.h. zunächst hinsichtlich des Umgangs mit Leid und Anfechtungen (2.2.1), dann hinsichtlich des Rekurses auf Luthers bürgerliche Existenz als verheirateter Kleriker (2.2.2) entfaltet werden. 2.2.1.

Luther als Exempel des Umgangs mit dem „tägliche[n] Creutz und Anfechtung“

Der Umgang mit dem „tägliche[n] Creutz und Anfechtung“636 ist geradezu als Wurzelgrund der Wellerschen Theologie zu bezeichnen. Darauf verweist zum Beispiel seine Begründung aus dem Jahr 1566, warum er „so viel Trost=Büchlein habe lassen ausgehen“. Neben seiner „Begabung“ nennt Weller die einem Wunder gleichwertige Erbauung und Besserung der Angefochtenen bzw. der Kirche und verweist zudem auf seine eigenen Anfechtungen: „Die dritte Ursach / warum ich so viel Trost=Büchlein habe geschrieben / ist diese / daß mich viel und mancherley Anfechtungen darzu gleich getrieben und gezwungen / daß ich mich mehr in Trost=Sprüchen auszulegen / denn in andern Sachen geübet habe / auff daß ich beyde mich und andere recht möchte trösten. Ja eben die Anfechtungen haben mich darzu gedrungen / daß ich habe müssen ein Theologus werden / doch mit Rath und Vermahnung meines lieben Vaters und Praeceptoris D. Martini Luthers.“637

WELLER, Opera, III+IV, 168a. WELLER, Schrifften, II, 240. 637 Vgl. WELLER, Schrifften, II, 285b–286a; Zitat: ebd., 286a. Zum Thema Anfechtung und Kreuz bei Weller s.a. die mit zahlreichen Quellenbelegen versehene Darstellung LEDL, Lernen, 28–31.36. Zu Wellers „Bekehrung“ und damit einhergehende Anfechtungen s.a. WELLER, Opera, III+IV, 158: „Cum primum serio sacras conciones & lectiones D. Doctoris Lutheri audire coepissem, illico sensi virulentos morsus Diaboli, qui me acerbissimo odio Lutheri, & doctrinae eius accendere studebat, adeo ut aliquoties ex aedibus eius emigrare cogitarem, cum antea perbeatum me fore arbitrabar, si mihi consuetudine summi uiri nonnunquam frui liceret.“ 635 636

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Dass Weller sich hierin theologisch auf einer Linie mit Luther selbst sieht, zeigt z.B. das zu Beginn von II 2.2 zitierte Iudicium.638 Zugleich geht Weller einen Schritt weiter, wenn er in seinen Schreiben Luther immer wieder als Exemplum in Anfechtungen anführt, beispielsweise um zu begründen, wer als Trostgeber infrage kommt: „[…] sicut memini D. Lutherum dicere, se agonizantem ac consternatum saepe numero uxori suae & famuli consolatione erectum fuisse.“639

Wenn nach dem Niederschlag dieses Wellerschen Schwerpunktes bzw. Vorgehens im 32. Locus gefragt wird, geraten neben Luthers Anfechtungen v.a. seine Krankheiten und Gebrechen in den Blick.640 Dabei wird zu zeigen sein, dass es den Sammlerkreis nicht schlicht um die Nachzeichnung der „Krankengeschichte“ Luthers ging, sondern seine darin greifbare Haltung.641 Es soll plausibilisiert werden, inwiefern Luther vom „Wellerschen Kreis“ als Exempel in Bezug auf Leiden etabliert worden ist: zum einen in seiner Schwachheit, zum anderen in seiner „frommen“ Haltung (mit einem Schwerpunkt auf Luthers Sterben) sowie hinsichtlich einer in und hinter dieser Haltung greifbaren praktischen Dimension. Die These, dass der Kreis um Weller mit der Sammlung der Apophthegmata Luther auch in seiner „Schwachheit“ als tröstliches Exempel zu etablieren versucht, mag überraschen, zumal in polemisch-identitätsstiftender Perspektive vorrangig die „Heroisierung“ als angemessenes Interpretament aufgeschienen war. Wie insbesondere im nächsten Unterkapitel gezeigt werden wird, findet sich im 32. Abschnitt auch der thematisch weniger überraschende „Glaubensheld“ Luther und damit ein – nur bedingt im Sinne Kaufmanns zu verstehender – „heroischer“ Umgang mit Leid. Dass in F beide Aspekte zusammenkommen, hängt weniger mit der Sperrigkeit des historischen Materials als mit der theologischen Schwerpunktsetzung Wellers zusammen. Im Hintergrund steht ein Luther monumentalisierendes Idealbild, wie es der Freiberger z.B. in seiner Einleitung zum S. S. 242 mit Anm. 635. WELLER, Opera, III+IV, 193a–b. S.a. ebd., 202a. In gewisser Weise handelt es sich hier um die konkrete Umsetzung des „per mutuum colloquium et consolationem fratrum“ der Schmalkaldischen Artikel (Näheres hierzu s. FÜHRER, Schmalkaldische Artikel, 299–302). Zur Inanspruchnahme Luthers als Exempel s.a. WELLER, Opera, III+IV, 188a.200a. 640 Davon unterschieden werden können Apophthegmata, in denen Nachstellungen seitens des Teufels oder Menschen geschildert werden. Dies werden aufgrund eines anderen Impetus in Bezug auf die Frage, inwiefern der Kreis um Weller Luther als „Märtyrer“ verstand, ausgewertet werden (s. II 2.3.2). 641 Zu Luthers Krankheiten s. TREU, Krankheiten; NEUMANN, Krankheitsgeschichte. Ein erstes Indiz, wie wichtig dieser Aspekt dem „Wellerschen Kreis“ ist, stellt der rein quantitative Befund dar, dass von den 104 Apophthegmata des 32. Abschnittes fast 1/4 diese Facette von Luther thematisieren. 638 639

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Hiobkommentar von 1563 entfaltete. Dort wird Luther mit Paulus als Beispiel für die „hohen Christen“ angeführt, denen im Unterschied zu den „gemeinen“ Christen viel Leid widerfährt: „Zum andern lehret uns diese Historia von Hiob / daß zweyerley Heiligen sind / gemeine und hohe Christen: Die hohen Heiligen heisse ich die / welche Gott wunderlich und sonderlich regieret und fuehret ueber und wider alle Vernunfft und menschliche Gedancken. Er fuehret sie in die Hoelle / bald wieder heraus. Item / er toedtet sie / bald macht er sie wieder lebendig.“642

Für die Rezeption dieses Gedankens in F ist weniger die anschließende Differenzierung der Ursachen des Leids von Bedeutung als Wellers dritter Punkt, der der Glaubensschwäche gewidmet ist: „Zum dritten zeigt diß Buch an dem Exempel des frommen gottseligen Hiobs an / wie grosse schwacheit / Fehler und Gebrechen auch sind in den grossen Heiligen / wie gar leichtlich sie in Zorn / Ungedult / Zweiffel / und Murren wider Gott fallen / wenn Gott die Hand ein wenig von ihnen abziehet.“643

Verdeutlicht wird das Gemeinte an den großen biblischen Figuren Hiob, David, Mose, Maria und Petrus. Das dahinterstehende Anliegen brachte Weller wie folgt auf den Punkt: „Es ist aber troestlich zu hoeren den betruebten angefochtenen Hertzen / welche immer klagen / wie sie so gar schwach sind im Glauben / so offt und leichtlich straucheln und in Suende fallen. Ich hoere viel lieber / wie die grossen Heiligen und hohen Leute geirret und gefallen sind: als wenn sie grosse herrliche Thaten und Wunder gethan haben. Denn ihr Irrthum und Fall zeuget / das sie auch / wie ich / Menschen / und nicht gar eitel Geist gewesen sind.“644

Luther wird an dieser Stelle nicht explizit erwähnt, dennoch steht er weiterhin als Folie im Hintergrund, wie die folgenden Punkte645 und insbesondere die am Ende dieser Einleitung gegebene Aufzählung von „hohen Christen“646 zeigen. An anderer Stelle konnte Weller dann darauf verweisen, dass Luther gleichsam wie Paulus „Lust abzuscheiden“ hatte: WELLER, Schrifften, I, 41a–b (Zitat: ebd., 41a). S.a. ebd., 270. WELLER, Schrifften, I, 42a. S.a. ebd., II, 98a–b [Nr. 14]. 644 WELLER, Schrifften, I, 42b. S.a. WELLER, Opera, III+IV, 22: „Magis juvat pias mentes legere & audire illa exempla, quae testantur etiam in summis sanctis infirmitatem fuisse, quam eorum, quae illorum fortitudenem, & ingens robur fidei, & heroica facta praedicant.“ 645 Der vierte Punkt hält fest, „daß die inwendigen Aengsten / Schrecken und Truebsaln viel unleidiger und schwerer sind / denn die aeusserliche Widerwertigkeit und Unglueck“ (WELLER, Schrifften, I, 42b). Im fünften Punkt wird dann Luther zum Autoritätszeugnis dafür, dass die Tröstung und Aufrichtung eines Angefochtenen ein der Totenauferweckung vergleichbares Wunder darstelle (ebd., 43b–44a). 646 Vgl. WELLER, Schrifften, I, 53a. An Zeitgenossen werden neben Luther noch Königin Elisabeth von Ungarn sowie Sybilla, Herzogin von Sachsen genannt. 642 643

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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„Multae & variae tentationes & agones sui fecerunt, ut ex animo cuperet dissolvi, & esse cum Christo, ac saepe dixit: se malle sangvinem suum profundere propter Christum, quam ignitis telis Diaboli, hoc est, mortiferis cogitationibus excruciari.“647

Trotz der paulinischen Fundierung ist dieser Wunsch für Weller theologisch nicht unproblematisch. Er reagierte darauf zum einen, indem er – wie zitiert – das Ganze als Märtyrertod deutete, zum anderen verteidigte er diese Sünde als bei „pii“ vergebene: „Memini D. Lutherum saepius optare, ut Dominus illi felicem horulam migrandi ex hac vita donaret, etsi enim hac optio non sine peccato interdum fieri soleat, tamen hoc peccatum piis non imputatur a Domino propter Christum, in quem credunt, sunt peccata infirmitatis, non impietatis, aut desperationis. Si impius hanc vocem ederet, cupio dissolvi ac mori, graviter peccaret, eo, quod non est in gratia apud Deum.“648

Als Gewährsmann für diese Aussage konnte Weller – im Rahmen seiner Auslegung von 1Joh 4,9 – dann Luther selbst zitieren: „Praeclare D. Lutherus: Infirmitas fidei non nocet, si modo in verbo promissionis acquiscamus, & illud firmiter amplectamur.“649

Hinzu kommt jedoch ein weiteres Moment Wellerscher Theologie, nämlich die geradezu katalysatorische Funktion von Anfechtungen in Bezug auf Schriftstudium und vertieftes Schriftverständnis. Zugleich qualifizierten Anfechtungen in besonderer Weise. Beides kann exemplarisch am Vorwort zum Kommentar von 2.Kön aus dem Jahr 1559 gezeigt werden: „Atque haec est vel praecipua causa, cur Deus sanctos in hac vita, tam multis & variis tentationibus ac aerumnis premi sinat, ut studium verbi in eis accendatur. Nam sola tentatio, inquit Esaias 28,19, docet attendere verbum. Et praeclare vir Dei D. Lutherus inquit. Tentationes machen einen Mann. Nemo enim dulcissimas sententias scripturae observare, & consolationem inde haurire potest, nisi quis easdem tentationes degustarit, quibus Propheta David & similes sancti conflictanti sunt.“650

Luther selbst wurde „nur“ als Kronzeuge für diese besondere Qualifizierung benannt.651 Dass Luther für Weller zugleich selbst zu den so Angefochtenen gehörte, ist an dieser Stelle nicht ausgeführt, steht aber außer Zweifel, insofern Weller z.B. dessen besondere Begabung als Prediger oder Seelsorger betonte mit Verweis auf dessen Anfechtungen.652 Diese konnte Weller z.T. mit dem paulinischen „Stachel im Fleisch“ parallelisieren: WELLER, Opera, III+IV, 169a. S.a. ebd., 170a.177b. WELLER, Opera, III+IV, 202a. 649 WELLER, Opera, I, 907a. 650 WELLER, Opera, I, 338. An anderer Stelle kann Weller dann betonen, dass die Anfechtungen der Heiligen schwerer sind (vgl. WELLER, Opera, III+IV, 77f.). 651 Weller greift dieses Zitat in seinen Schriften wiederholt auf – s. z.B. auch WELLER, Opera, III+IV, 79b. 652 Vgl. z.B. WELLER, Opera, III+IV, 81f.; ebd., 167b–168b. 647 648

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„Ita Divo Paulo datus est Angelus Satanae, qui eum colaphizaret, quo minus magnitudo revelationum eum extolleret. Sic D. Luthero objecta sunt varia certamina, & monstra tentationum, ne praestantia donorum ipsum efferret.“653

Gemäß dieses differenzierten, Luther monumentalisierenden Idealbildes finden sich in F nicht wenige Belege für Momente von Leiden Luthers in Form von Klagen über die erdrückende Last der Arbeit oder über die eigenen Krankheiten bzw. Anfechtungen. Hinzu kommen die Motive des Abscheidenwollens bzw. der „Glaubensschwäche“. Der erstgenannte Aspekt wird z.B. anhand eines Apophthegmas greifbar, das der Kodex mit der Handschrift Cod. Guelf. 20. 3. teilt und von Kroker der Lauterbach-„Wellerschen“ Tradition zugerechnet wird.654 Inhaltlich geht es um Luthers außerordentliche Belastung durch seine Predigttätigkeit; erst die Angabe des Zeitraums wird als Selbstaussage wiedergegeben. Im Hintergrund könnten längere Apophthegmata stehen wie Nr. 3843 aus dem Lauterbachschen „Tagebuch“ von 1538, so dass die „Kurzfassung“ auf bewusste redaktionelle Umarbeitung zurückgehen könnte.655 Doch auch wenn die beiden Überlieferungen unabhängig voneinander sein sollten, wird durch den Vergleich deutlich, dass in F (und der Wolfenbütteler Handschrift) der Fokus ganz auf Luthers „infiniti labores“ gelegt wurde. Dies kann zudem anhand der später zu datierenden Handschrift Halle verdeutlicht werden, in der ebenfalls eine „Kurzfassung“ überliefert ist:656 Chart. A 402, fol. 108v [WA 48,577,6–8]

WA.TR 3,655,3–10 [Nr. 3843; D 116 2°, fol. 579v bzw. WA.TR 5,657,10–12 Hervorhebungen; I.K.] [Nr. 6428]

Lutherus multa dixit de infinitis suis laboribus, quod saepius quater uno die sit contionatus, vnd hab das 25 Jar getrieben.

Senectus laboribus et curis provocatur. Deinde dicebatur de M⌊artino Bucero, qui summis curis et infinitis laboribus senesceret, cum nondum esset quinquagenarius. R⌊espondit Luth⌊erus: Es konnen gedancken wol einen alt machen, deinde labores quoque. Jch hab vorweilen auch gearbeitt. Saepe una die 4 contiones habui. Jch hab eine gantze fast zwu predigt ge-

WELLER, Opera, I, 207. Vgl. WA.TR 3, 437,23–25 [Nr. 3590a]. 655 Vgl. WA 48, 577,6. 656 S.a. S. 294. 653 654

D⌊octor Martinus Lutherus per 25 annos saepius quater uno die contionatus est.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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than vnd ein mal gelesen teglich, erstlich do ich die zehen gepott predigt cum magna confluentia; nam nova et insolita praedicatio est catechismus. Cum esset Erphordiae Baccalaureus, laeso crure domi lateret, didicit sua sponte in testudine vnd auch abesetzen.

Nur in Langform findet sich in der Lauterbach-„Wellerschen“ Tradition ein Apophthegma, in dem die „Labores Doctoris Martini Lutheri“ von der Predigttätigkeit und der immensen Briefmenge, die ihn erreicht hatte, gedeutet wird. Mit noch stärkerem Vorbehalt könnte die Kurzfassung von F erneut eine gezielte redaktionelle Zuspitzung darstellen: Chart. A 402, fol. 105v [Nr. 7121; WA 48,692,1f.]

WA.TR 3,341,8–14 [Nr. 3472]

Labores D⌊octoris M⌊artini L⌊utheri. Jch habe 24 jhar alhie gepredigt, den wegk zur kirchen also oft gegangen, das nicht wunder wehr, das ich nicht aleyn die schue, sondern auch die fusse auf dem pflaster abgewetzt hette. Jch habe das meyne gethan, fhule „Dixit, si literas missas conservasset, se mich wol. Si ego tantum literas mihi missas conservassem, magnum aedificium [Hervormagnum aedificium completiuum657. hebung; I.K.] complerem; multitudo literarum testes sunt laboris mei. Sed nihil me plus enecavit quam curae, praecipue nocturnae.

Die im Paralleltext eingangs thematisierte außerordentliche Belastung durch die Predigttätigkeit wurde in F – wie gerade dargestellt – gesondert unter dem Fokus „Labores Lutheri“ aufgegriffen, und zwar unter Verzicht auf den untheologischen Hinweis auf abgewetzte Schuhe bzw. Füße. Deshalb könnte sich der „Wellersche Kreis“ hier auf die Briefe konzentriert haben. Unabhängig davon zeigt die Parallele, dass die „Briefmenge“ in der Apophthegmata-Tradition zur Verdeutlichung von Luthers „Leiden“ unter der Arbeitslast herangezogen worden ist. Insgesamt stellt dieses Motiv aber nur ein Nebenmotiv dar. Deutlich stärker greifbar ist das Leiden Luthers an seinen Krankheiten bzw. Anfechtungen. 657

In WA 48, 692,2 wird fälschlicherweise „completurum“ gelesen.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Verwiesen sei z.B. auf die Zurückweisung der Klage eines „quidam“ über sein Leiden an der Krätze. Von Luthers Antwort wurde im 32. Abschnitt nur sein eigenes Leiden an seinen Beschwerden übernommen, gekürzt um die evtl. als zu anstößig empfundene „Erläuterung“ des Tauschangebots:658 „Quidam conquerebatur se scabie vexari. R⌊espondit L⌊utherus: Si possem vobiscum permutare! [in F ausgelassen: Nemet meinen kopf, ich eur kretze; will 10 fl. zu geben.] Vos nescitis, quantae sit molestia vertigo illa, timens [wohl verschrieben aus: tinnitus; I.K.], susurro. Ego non audeo integras literas sine remissione legere, neque duas aut tres lineas in psalmos legere, nec unam rem diu intueri, neque de aliqua re intentius cogitare; venit tinnitus aurium, vnd sol offt auff die banck dohin sincken.“659

Ausführlichst werden Luthers alltägliche Beschwerden – ausgelöst durch Schwindel bzw. seinen Tinnitus – beim Lesen, konzentrierten Betrachten oder Denken beschrieben, die ihn letztlich arbeitsunfähig machten. Dass dieser Aspekt dem Kreis um Weller wichtig war, zeigt zum einen die Übernahme eines weiteren Apophthegmas, in dem Luthers Tinnitus mit den Glocken großer Kirchen verglichen wird.660 Zum anderen wurde ein Stück aufgenommen, in dem die negativen körperlichen Auswirkungen der Kopfschmerzen bzw. Anfechtungen geschildert werden.661 Zum dritten gerät noch einmal Luthers Rückblick von 1540 auf seine Erkrankung in Schmalkalden in den Blick. Dort wurde nicht nur eine Kritik an Melanchthon mit überliefert, vielmehr bot dieses von Rörer übernommene

Der zweite Teil wird dem Locus „Morbi unde et remedia“ (Nr. 90) zugeteilt. Chart. A 402, fol. 112r–v [WA 48, 532,14–17] bzw. WA.TR 3, 138,26–139,5 [Nr. 3006b in]. 660 Vgl. Chart. A 402, fol. 112b [WA 48, 493,17–20] bzw. WA.TR 2, 463,15–18 [Nr. 2437]. 661 Vgl. Chart. A 402, fol. 106r [WA 48, 457,11–14]: „Cum semel laboraret ex capite, quidam dixit causam esse gravioris tentationis cogitationes. At ipse dixit: Cogitationes non capiti, sed cordi officiunt. Et dixit: Scio ego, si me mortuo cor mihi exsecaretur, paruum et afflictum omnino foret. Also ist mirs vor grossen engstlichen gedancken verschmachtet“ bzw. WA.TR 1, 536,4–8 [Nr. 1061] = Ms. Bos. q 24f, fol. 221v. Rörer kennt insgesamt zwei eigene Versionen (Ms. Bos. q 24f, fol. 221v; Ms. Bos. q 24h, fol. 208v) sowie die Schlaginhaufensche Tradition (Ror Bos. q 24s, fol. 46r || WA.TR 2, 128,22–129,3 [Nr. 1550]). F konvergiert auch hier mit Rörer und nicht mit der Schlaginhaufenschen Tradition, jedoch mit der Version aus Ms. Bos. q 24h, einer Handschrift, die zwischen 1548–1551 sowie 1551–1553 entstanden ist (vgl. die online einsehbare Beschreibung der Handschrift: https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/His Best_ cbu_00008225 – letzter Zugriff: 19.04.2018. S.a. WA.DB 11/II, CXXXVIII–CXL sowie Michel, Bearbeitung, 229f.). Bereits dort ist das Stück am Zeilenanfang – nicht am Rand – mit „De seipso L⌊utherus“ kategorisiert. Inhaltlich rekurriert das Apophthegma auf die biblisch grundierte Vorstellung, dass sich „das Denken […] nicht im Kopf, sondern im Herzen“ (Stolt, Rhetorik, 50) vollziehe. 658 659

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Stück geradezu einen ungeschönten Blick auf die Ereignisse.662 Dass dieser den Kreis um Weller angezogen hatte, lässt sich mit dem ebenfalls rezipierten, primär antipapalistisch zugespitzten summarischen Kurzbericht, bedingt auch durch die Nichtübernahme des Dietrichschen bzw. Mykonischen Berichts plausibilisieren.663 Des Weiteren eröffnet das Apophthegma eine „Sequenz“, in der Krankheiten und Gefährdungen Luthers thematisiert werden.664 Am Anfang wird eindrücklich geschildert, wie sich Luther von den anwesenden Ärzten geplagt fühlte, so dass er lieber sterben wollte, als sich erneut von ihnen behandeln zu lassen.665 Nicht minder eindrücklich werden dann die körperlichen Beschwerden Luthers beschrieben und auch seine Hoffnungslosigkeit kommt zum Ausdruck, zumal in F der Halbsatz, in dem Gott gedankt wird, ausgelassen worden war: „Tandem sentio me iterum urgeri, sed de tota spe decidi, quia toties frustratus eram. Admoueo tamen manum et sentio humorem, quare aliquot guttas mingo.“666

Noch unterwegs habe Luther sich angesichts des schmachvollen drohenden Todes im eigenen Urin gewünscht („optare“) – Rörer spricht hier von Gebet („orare“) –, dass Türken anwesend wären, die ihn töten.667 Obwohl dem Apophthegma auch ein antipapalistischer Impetus eignet, kommuniziert es zusätzlich ein Leiden Luthers an seinen Beschwerden, bis hin zum Wunsch, zu sterben. Dieses Motiv findet sich in weiteren Apophthegmata und mag vom Kreis um Weller aufgrund dessen theologischer Schwerpunktsetzung besonders aufmerksam verfolgt worden sein. Zu verweisen ist etwa auf ein Grundstück, dessen Parallele in der Cordatischen Tradition von Anfang März 1533 datiert. Als Anlass werden heftige Kopfschmerzen bzw. Schwindelattacken genannt, der genaue Kontext bleibt im Dunkeln:

Vgl. Chart. A 402, fol. 111r–v [WA 48, 600,13–18] bzw. WA.TR 5, 96,8–97,17 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 410v–411r. 663 Zum Kurzbericht vgl. Chart. A 402, fol. 106r [WA 48, 558,29–32] bzw. WA.TR 3, 404,5–15 [Nr. 3553] – Näheres hierzu s. S. 175f. Zu den ausführlichen Berichten von Dietrich und Mykonius s. WA.TR 3, 387,22–391,2 [Nr. 3543A] bzw. ebd., 391,3– 394,31 [Nr. 3543B]. 664 Vgl. Chart. A 402, fol. 111r–113r – es handelt sich um die Apophthegmata mit den Nr. 5368–5370, 3006b, 3264b, 2437, 3185, 2499b + 2501b. 665 Vgl. Chart. A 402, fol. 111r–v [WA 48, 600,14f.] bzw. WA.TR 5, 96,8–13 [Nr. 5368]; Ms. Bos. q 24s, fol. 410v. 666 Vgl. Chart. A 402, fol. 111v [WA 48, 600,16] bzw. WA.TR 5, 96,22–97,6 [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r; Zitat: ebd. bzw. 5, 97,2–6; der ausgelassene Halbsatz lautet: „[…] et statim, Deo gratio, aliquot cantharos mingo.“ 667 Vgl. Chart. A 402, fol. 111v [WA 48, 600,17] bzw. WA.TR 5, 97,13f. [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r. 662

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Ego ita capite doleo, ut, si parumper aliqua in re intentus, tunc mox uertigo me occupat Lieber Gott, sol ich frisch werden, so geschee es; wo nicht, so mach mich krencker bis jn mein [Hervorhebung; I.K.] grab.668

Einerseits ruft Luther in diesem Apophthegma Gott als Helfer gegen die Krankheit an, unterwirft sich Gottes Willen. Andererseits bittet er Gott um Genesung oder ein solches Erkranken, das ihn sterben lässt. Cordatus war diese Aussage theologisch evtl. etwas zu hart, insofern in seiner überarbeiteten Fassung neutraler von „augeatur“ gesprochen wird – ohne expliziten Bezug auf Gott.669 Möglicherweise weist die Wahl des Possesivpronomens „mein“ in F auf ein verstärktes Interesses an Luthers Leiden; in Halle steht hier der Artikel „das“670. Dass bei diesem Motiv auch der paulinische Topos mitschwingt, machen weitere Apophthegmata deutlich. Im ersten von ihnen wird Röm 7,24 explizit zitiert: „Jch gedencke alle tage zu sterben vnd kan doch nicht sterben. ‚Infelix ego homo.ʻ [Röm 7,24] Si quis mihi dixisset ante 20 annos, das das neue werck zu halle solte zu poden gehen bey meinem leben, non in bello, sed in pace, non credidissem.“671

Im zweiten, als „Luthers Gebet“ bezeichneten Apophthegma, wird Luther geradezu zum „Paulus redivivus“: „Oratio Lutheri. Der barmhertzige Gott sey mir armen sunder gnedigk detque mihi gratiam et sepulturam! Mundus enim me ferre non potest neque ego vicissim mundum.“672

Die mit diesem Wunsch, Abscheiden zu wollen, nach Weller zudem verbundene „Glaubensschwäche“, wird in F deutlicher in einem Apophthegma der Schlaginhaufenschen Tradition greifbar. Nach diesem sucht Luther sein Angefochtensein im Glauben an Christus durch die Erinnerung an seine Taufe zurückzuweisen: „Jsts es nicht eine plag, das ich mich vor dem Mann furchte, der mich hat aus der tauffe gehaben? So ich doch gewis weis, das mich Philip⌊pus vnd Pommer vnd keiner so lieb hat als Christus, der fur mich gestorben ist.“673 Chart. A 402, fol. 104v [WA 48,531,35–37] bzw. WA.TR 3,134,13–15 [Nr. 2988b] = D 116 2°, fol. 577v. 669 Vgl. WA.TR 3, 134,9–12.11f. [Nr. 2988a]: „so nicht, augeatur infirmitas mea usque in sepulcrum.“ 670 Vgl. D 116 2°, fol. 577v bzw. WA.TR 3, 134,15. 671 Chart. A 402, fol. 112v [WA 48, 538,11–14] bzw. WA.TR 3, 214,8–11 [Nr. 3185]. Inwiefern der zweite Teil, in dem der Untergang des halleschen Klosters Neuwerk thematisiert wird, ursprünglich in einem inhaltlichen Konnex mit dem Vorangehenden stand, ist zumindest fraglich. Die Schlaginhaufensche Tradition unterscheidet zwischen beiden Stücken, ebenso Rörer (vgl. WA.TR 2, 145,10f.13–16 [Nr. 1594. 1595] bzw. Ms. Bos. q. 24s, fol. 114r). 672 Chart. A 402, fol. 471r [WA 48,388,16f.] bzw. WA.TR 1,21,11–13 [Nr. 61] bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 261v – hier kategorisiert als „Lutherj pia optio“. 668

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Durch die Aufnahme des Stückes in den 32. Locus und nicht dem der Taufe gewidmeten, wie die Schlaginhaufensche Kategorisierung mittels „Baptismus“ es nahe legen würde, folgt der „Wellersche Kreis“ letztlich der von Rörer vorgegebenen Spur, der dieses Stück mittels Randnotiz als „imbecillitas fidej“ deutet.674 In ihrer Gesamtheit belehren die angeführten Apophthegmata über Luthers „Schwäche“ und bieten den Gläubigen – gemäß Weller – Trost in eigenen Anfechtungen. Doch stellt diese Monumentalisierung Luthers als tröstliches Exempel in seiner „Schwachheit“, wie eingangs angeführt, nur einen Aspekt dar. Im Folgenden soll nun plausibilisiert werden, inwiefern der Kreis um Weller zudem daran interessiert war, Luthers „fromme“ Haltung gegenüber Krankheit und Anfechtungen darzustellen, ihn in seiner Stärke als nachzuahmendes Exemplum zu etablieren und auf diese Weise nicht minder zu monumentalisieren. Wenn in dieser Hinsicht ein besonderes Augenmerk Apophthegmata gilt, die sich auf den vom Sterben bedrohten Luther beziehen, überrascht dies kaum angesichts der hohen Bedeutung, die Luthers Tod für den Kreis hatte. Implizit wird so in F zugleich eine protestantische ars moriendi greifbar. Die fromme Haltung gegenüber Krankheit und Anfechtung im Allgemeinen wird z.B. an dem bei Rörer mit „Best Recept Lutheri“ kommentierten Stück greifbar. Dieses betont Luthers Vertrauen auf Christus in den „alltäglichen“ Beschwerden. Das Luther verordnete Medikament gegen Kopfschmerzen wird mit Verweis auf Joh 3,16 relativiert: „Cum daretur ei insigne medicamentum pro confortatione capitis, dixit: Mein best recept ist geschriben Ioan: 3: Sic Deus dilexit mundum.“675

Verwiesen sei zudem auf eine kurze Auslegung von Ps 68,21. Auch hier konvergiert F mit der Rörerschen Tradition, korrigiert dieses Stück aber vermutlich aufgrund der positiven Deutung von Luthers Schwäche. Die Aussage über Christus als Retter aus dem Tod wurde übernommen, die diese wohl zu einseitig verstärkende zur „fiducia“ aber nicht:

673 Chart. A 402, fol. 104v [WA 48,480,34f.] bzw. WA.TR 2,144,1–4 [Nr. 1589]; 3,214,4–6 [Nr. 3184] bzw. Ms. Bos. q. 24s, fol. 113v. 674 Vgl. Ms. Bos. q. 24s. fol. 113v. 675 Chart. A 402, fol. 113v [WA 48, 403,2f.] bzw. WA.TR 1, 111,26–28 [Nr. 266] bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 273r. In der Dietrichschen wie Rörerschen Handschrift folgt noch als Schlusssatz die erneute Bestätigung: „Das ist das best, das ich hab.“

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Chart. A 402, fol. 113v [WA 48,440,5f.]

Ms. Bos. q. 24f, 198r (= WA.TR 1,436,68 [Nr. 873])

Per tot, tantas et tam varias experientias Per tot, tantas et tam varias experientias didici Iesu Christum esse Deum et domi- didici Iesum Christum esse Deum et num, qui educit ex morte, psal: 68. Dominum, qui educit ex morte, ps⌊almo 68. Ideo de fiducia ipsius nunquam patiar me evelli.

Dass ein besonderer Schwerpunkt des „Wellerschen Kreises“ in Bezug auf Luthers „frommen“ Umgang mit seinen Krankheiten und Anfechtungen jedoch auf Aussagen zu Luthers Haltung gegenüber dem Tod liegt, zeigen die folgenden Apophthegmata. Als erstes soll die „Vorhersage“ („divinare“) des Wittenberger Medizinprofessors Augustin Schurff, Luther werde an einem Schlaganfall („apoplexia“) sterben, in den Blick genommen werden. Dieses findet sich ansonsten lediglich in Cod. Guelf. 20. 3., gehört also zu den nur wenig verbreiteten Apophthegmata: „D. Augustinus Schurff divinabat Luthero eum apoplexia moriturum. Re⌊spondit: Es sey apoplexia ader was vor ein kranckheit es wolle, Gott vorley mir ein seliges stundlein, et nos liberet a malo. Fiat voluntas domini, wen Gott will; tempora nostra in manu illius. Jch wurde doch nicht frommer, wil vnd kan auch nicht from werden, das ich meinem Herrn Christo geklagt, ut ipse me liberet ab omni malo.“676

Die geschilderte Reaktion auf die Aussage des Arztes lässt keine Angst vor dem Tod erkennen. Luther ordnet sich dem Apophthegma zufolge allein Gottes Willen unter. Wie das „Fiat voluntas domini“ greift auch das „tempora nostra in manu illius“ geprägte Vorstellungen auf: ersteres letztlich das Vaterunser bzw. Jesu Gebet im Garten Gethsemane, zweiteres Worte aus Psalm 31. Diese topischen Motive einer ars moriendi finden eine rechtfertigungstheologische Zuspitzung. Luther suchte sein Heil allein in Christus, nicht in eigenem „Frommsein“. Wie wichtig F dieser Hintergrund war, zeigt der Vergleich mit der Wolfenbütteler Variante. Dort fehlt die Aussage, dass Luther weder „from“ werden wolle noch könne. Somit verdeutlichte der Kreis um Weller mittels dieses Apophthegmas geradezu idealtypische Facetten einer bzw. seiner protestantischen ars moriendi. Diese ersten Andeutungen erfahren im 32. Locus des Gothaer Kodex ihre Ergänzung durch weitere Stücke, z.B. den Bericht vom schweren Schwindelanfall vom 9. Februar 1533, in dem Luther ein auf Amtsträger

Chart. A 402, fol. 109r [WA 48, 570,14–17] bzw. WA.TR 3, 491,30–492,3 [Nr. 3655a]. 676

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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zugespitztes geistliches Testament hinterlässt.677 Während dort Luthers Familie gewissermaßen hinten angestellt wurde, gerät diese in anderen Überlieferungen verstärkt in den Blick. Zu nennen ist zunächst das vollständig übernommene Schreiben Luthers an seine Ehefrau, verfasst im Kontext der lebensbedrohlichen Erkrankung in Schmalkalden.678 Erneut wird mit diesem der „fromme“ Luther im Angesicht des Beinahtodes als Exempel für die Mit- und Nachwelt kodiert. Zu erwähnen ist, der in Blick auf die überstandene dramatische Situation, geradezu banal anmutende Briefanfang, in dem Luther Regelungen für Pferde vorschlägt und dann gelassen den Krankheitsverlauf beschreibt.679 Hinzu kommt die Überzeugung von der Macht des Gebetes: „Nhun hat man so hart gebeten vor mich zu Gott, daß viler leutte threnen vermocht haben, das mir Gott diese nacht der blasn gangk hat geoffnet, und in ij stunden wol ein stubichen von mir gangen ist, vnd mich mich [fälschlicheweise doppelt abgeschrieben; I.K.] dunckt, ich sey wider von neuen geboren.“680

Wenn Luther nach diesem Schreiben im Anschluss seine Angehörigen zum Dank an Gott auffordert, wird ein darüber hinausgehender Aspekt greifbar, der mit Luthers Status als verheirateter Geistlicher zusammenhängt – zurückgebunden an die Überzeugung, dass die wunderhafte Rettung nur Gott zu verdanken sei: „Darumb dancke Gott und lass die lieben Kindlin mit muhmen Lenen dem rechten Vater dancken; denn Jhr hättet diesen Vater gewislich verloren. Der fromme furst hat lassen lauffen, reyten, holen, vnd mit allem vormugen sein hochstes versucht, ob mir mocht geholffen werden; aber es hat nicht wollt sein. Deine kunst hilfft mich auch nicht mit dem mist. Gott hat wunder an mir gethan diese nacht, vnd thuts noch durch frommer leutt furbitt.“681

Dieser neue Aspekt findet sich ebenso eingangs im Schreiben, wenn Luther berichtet, er habe im Angesicht des Todes seine Familie Gott anvertraut:

677 Vgl. Chart. A 402, fol. 104r [WA 48, 520,18–23] bzw. WA.TR 3, 116,8–19 [Nr. 2957a]. Näheres hierzu s. S. 207f. 678 Vgl. Chart. A 402, fol. 106v–107r bzw. WA.B 8, 50,1–51,30 [Nr. 3140]. Insofern Luther sich bereits in Tambach befand, ist der Briefkopf „Ad uxorem suam ex Schmalkaldia“ (Chart. A 402, fol. 106v) unzutreffend, verdeutlicht aber das Rezeptionsinteresse. 679 Vgl. Chart. A 402, fol. 106v bzw. WA.B 8, 50,1–8 [Nr. 3140]. 680 Chart. A 402, fol. 106v bzw. WA.B 8, 51,11–15 [Nr. 3140]. 681 Chart. A 402, fol. 106v bzw. WA.B 8, 51,16–22 [Nr. 3140].

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„Summa, ich bin todt gewest, und hab Dich mit den Kindlein Gott befohlen vnd meinem gueten Herrn, als wurd ich Euch nimmermehr sehen; hat mich Eur sehr erbarmet, aber ich hate mich dem Grabe bescheiden.“682

Noch deutlicher ist diese exempelhafte Monumentalisierung Luthers im langen, aber nicht willkürlichen Auszug aus dem Bericht von Justus Jonas über Luthers schweren Anfall von 1527 greifbar. Während Clm. 939 zudem Jonas Brief an Bugenhagen sowie Bugenhagens Bericht über dieses Ereignis kennt,683 greift der Kreis um Weller nur das Traditionsstück auf, das auch bei Rörer (und später in Halle) zu finden ist.684 Doch wird das Auswahlkriterium des „Wellerschen Kreises“ insbesondere an den Randbemerkungen erkennbar: Es ging ihm v.a. um die Gebete Luthers („oratio“). Der nicht übernommene Hintergrund wird einleitend in einem Satz zusammengefasst, dann folgt zugleich das zentrale Motiv des Stückes, das „Fiat voluntas tua“, die Unterordnung unter Gottes Willen: [Am Rand: „oratio“; I.K.] Agonizans anno 27 in medio horae sextae inquit: Domine, si ita vis, si haec est hora, quam praefinivisti, fiat voluntas tua! Orans manibus oculisque in coelum levatis Pater noster et totum psalmum: [Ps. 6 bzw. 51; I.K.] ‚Miserere mei etc.ʻ Item: ‚Ne in furore etc.ʻ“685

Mit Blick auf die späteren – in F ebenfalls aufgenommenen – Berichte von schweren Erkrankungen Luthers weist dieses „Apophthegma“ nun die Besonderheit auf, dass Luther zu Hause im Kreis seiner Familie ist. Insofern richtet er auch an Frau und Sohn das Wort. Neben das zentrale Motiv, die Unterordnung unter Gottes Wille, treten verschiedene Untermotive: zum einen der Wunsch Luthers, lieber als Märtyrer des Wortes Gottes zu sterben als zu Hause im Bett,686 zum anderen argumentiert Luther mit Chart. A 402, fol. 106v bzw. WA.B 8, 50,8–51,11 [Nr. 3140]. Die Parallelen beschränken das „nimmermehr Sehen“ dogmatisch korrekter auf das irdische Leben, indem Sie die Aussage konkretisieren mittels „in dieser Sterblichkeit“ (WA.B 8, 51,9f.). 683 Vgl. WA.TR 3, 81,19–86,20 [Nr. 2922b]. 684 Vgl. Chart. A 402, fol. 107r–108r [WA 48, 525,24–526,7] bzw. WA.TR 3, 87,18– 90,21 [Nr. 2922b extr.]; Ms. Bos. q 24s, fol. 408v–410v. 685 Vgl. Chart. A 402, fol. 107r bzw. WA.TR 3, 87,18–20 [Nr. 2922b]; s.a. Chart. A 402, fol. 107v.108r bzw. WA.TR 3, 88,6f.18–22; 89,11f.18f.; 90,2f.5 [Nr. 2922b]. 686 Vgl. Chart. A 402, fol. 107r–v bzw. WA.TR 3, 88,4–6 [Nr. 2922b]: „Accingitur orationi: Domine, mein allerliebster Gott, quam libenter fudissem sanguinem pro tuo verbo, tu scis, sed forsitan non sum dignus.“ Diesbezüglich kann Luther – laut Bericht – auch auf seine Verfolgung durch den Satan bzw. Könige und Fürsten verweisen: „Et repetijt: Tu nosti multos esse, quibus dedisti, ut pro euangelio tuo funderent sanguinem. Aber ich bin es nicht werth. Fiat voluntas tua. Tu scis, quo Sathan varie insidiatus est mihi, ut perderet me corporaliter et spiritualiter per reges et principes. Sed tu hactenus mirabiliter conseruasti me. Conserva me adhuc, si est voluntas tua“ (Chart. A 402, fol. 107v bzw. WA.TR 3, 88,16–22 [Nr. 2922b]); s.a. Chart. A 402, fol. 108r bzw. WA.TR 3, 90,2–5 [Nr. 2922b]. 682

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Gott, nennt „Gründe“ gegen ein Ableben zu diesem Zeitpunkt: erstens die „Frommen“ bzw. „Gottes Auserwählte“,687 zweitens die ihm von Gott selbst anvertrauten Gaben, die dieser noch Gott zu Ehren und seinem Volk zum Nutzen gebrauchen könnte,688 drittens das Argument, dass Gott es war, der Luther „in die sache“ geführt habe. Ein Sterben Luthers würde im Jahr 1527 die Feinde und nicht Gottes heiligen Namen rühmen, wie unter Anspielung auf Psalm 79,10 ausgeführt wird. Nur in F erhält dieses Argument zusätzliches Gewicht durch die Randbemerkung „oratio“ bzw. Kategorisierung im Text als „Confessio fidei“. Durch dieses Bekenntnis Luthers soll Gott gewissermaßen die Notwendigkeit zu helfen („adesto“) vor Augen geführt werden.689 Fragt man nach den Texten, die Luther gesprochen habe, geraten zunächst das Vaterunser sowie Psalm 6 und Psalm 51 in den Blick. Später zitiert Luther – in F nur rudimentär – zudem Mt 7,7.690 Ausdrücklich wird auch darauf verwiesen, dass Luther am Morgen noch bei Bugenhagen gebeichtet und die Absolution erhalten habe, zugleich habe er die Anwesenden um Fürbitte gebeten.691 Erst da-

687 Vgl. Chart. A 402, fol. 107v: „Si possibile est, ego adhuc optarem vivere propter pios, Domine, propter electos tuos. Sed si venit hora, tu es Deus vitae et mortis, allerliebster Gott“ bzw. WA.TR 3, 88,8f. [Nr. 2922b]. 688 Vgl. Chart. A 402, fol. 107v–108r: „Deinde: O, du meinn aller liebster Gott vnd Vater, du hast mir vil hundert gaben vor andern geben. Wer es dein wille, ich wolt dir nach gerne zu ehren vnnd zu nutz deins volcks sie brauchen. Sed fiat uoluntas tua, ut glorificetur siue per vitam siue per mortem“ bzw. WA.TR 3, 89,15–19 [Nr. 2922b]. Spannenderweise gehört die Qualifikation der Luther anvertrauten Gaben zu den zwischen den Varianten am Meisten divergenten Aussagen. Während bei Rörer in F von „viel tewrer und werder gaben fur vielen andern“ die Rede ist, spricht die Münchener Handschrift von „viel tausent theure, edle gaben fur viel tausent andere“ (Ms. Bos. q. 24s, fol. 410r bzw. WA.TR 3, 89,16 [Nr. 2922b]). F nimmt mit „vil hundert gaben vor andern“ gewissermaßen eine Mittelposition ein. Die Tendenz ist klar. Mit größerem Abstand zum historischen Luther wird seine Person immer stärker positiv aufgeladen. 689 Vgl. Chart. A 402, fol. 107v: „[Am Rand: „oratio“] Confessio fidei. Du hast mich in die sache gefurt, du weist, das es dein wort und warheit ist. Ne glorifica inimicos, [Ps. 79,10] ne quando dicant gentes etc. Sed glorifica nomen sanctum tuum contra hostes sacrosancti verbi tui. Domine Iesu, tu dedisti mihi cognitionem nominis tui. Tu scis, quod credo te Deum viuuum et verum, mediatorem et salvatorem nostrum, qui fudisti sanguinem pro nobis. Tu nunc hac hora adesto cum Spiritu tuo“; WA.TR 3, 88,9–16 [Nr. 2922b]. 690 Vgl. Chart. A 402, fol. 107v: „Inter haec non desinens ab oratione iterum incoepit orare: O, Domine Iesu, qui dixisti [Matth. 7, 7]: Petite, et accipietis, pulsate etc.“ bzw. WA.TR 3, 89,13–15 [Nr. 2922b]. 691 Vgl. Chart. A 402, fol. 107v: „Inter haec supervenit D. Pomera⌊nus, cui mane eodem die confessus erat. Ibi incipit ad nos dicere: Orate, quaeso, pro me! Sicut ab initio ad me et uxores nostras dixerat. Nos uicissim rogavimus, ut dominum Deum oraret, ne nos tali fideli euangelij ministro privaret. Mox subdit: Mein lieber herr

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

nach wendet er sich an Katharina von Bora, die ausdrücklich als Ehefrau angesprochen wird. Diese bittet er mehrfach, sich Gottes Willen zu fügen und sich nach Gottes Wort zu richten.692 Persönliches oder darüber Hinausgehendes ist höchstens im „allerlibste Kethe“ angedeutet. Auch als sterbender Ehemann bleibt Luther der „frommen“ Rolle verpflichtet. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die zweite Erwähnung, in der er seine Frau und seinen inzwischen hinzugerufenen Sohn wegen ihrer materiellen Armut Gott anvertraut.693 Anschließend wird Käthes – trotz Hinweis auf ihr Erschrecken und ihr schweres Herz – ebenfalls „rollengerechte“ Antwort an Luther mitgeteilt: Auch sie füge sich Gottes Willen, wolle Luther lieber bei Gott als bei sich wissen. Zugleich greift sie das Argument Luthers auf, wenn sie auf die „christliche[n] leutte“ verweist, die Luthers noch bedürften.694 Verstärkt durch die selektive Rezeption dieses schon an sich hochgradig stilisierten Textes werden hier nicht nur Pfeiler einer prostestantischen ars moriendi, sondern eine Monumentalisierung des „sterbenden Luthers“ greifbar, hier in Bezug auf das Ideal eines seligen Endes eines protestantischen Geistlichen im Kreise seiner Familie.695 Über die monumentale Exempelhaftigkeit des „schwachen“ wie „starken“ Luthers hinaus eignet dem Rekurs des „Wellerschen Kreises“ auf Luthers „Kreuz“ und Anfechtungen in didaktisch-pastoraler Perspektive ein drittes, Luther monumentalisierendes Moment. Es wird aufzuzeigen sein, dass der Kreis um Weller mittels der gesammelten Apophthegmata Luther für die Mit- und Nachwelt auch als Seelsorger als Exempel des Umgangs mit Krankheiten und Anfechtungen auswies. Dazu sammelte er punktuell konkrete Anleitungen Luthers zur Seelsorge bzw. „Mittel“ gegen die Anfechtung. Diese Dimension zielt einerseits auf Angefochtene im Allgemeinen, andererseits eignet ihr auch eine amtstheologische Zupfarher, ich hab euch heut gebeicht, vnd jr habt mir ein absolutio gesprochen, das ist mir lieb“; WA.TR 3, 88,25–89,5 [Nr. 2922b]. 692 Vgl. Chart. A 402, fol. 107v bzw. WA.TR 3, 89,8–10 [Nr. 2922b]: „Sub haec bis et ter dixit ad uxorem: Mein allerlibste Kethe, ich bit dich, so es Gottes will ist, das du dich Jn Gottes willen gebst. Du bist mein ehelich weib, das wolstu Ja gewis behaltenn vnd nach Gottes wort richten.“ 693 Chart. A 402, fol. 108r bzw. WA.TR 3, 90,6–12 [Nr. 2922b]: „Interdum adhibentur puluini calefacti, incipit interrogare de filio: Wo ist denn mein aller liebstes Henselein? – Adfertur puer patri arridens; tum inquit: O, du gutes, armes kindlein! Nu, ich befehle mein aller liebste Kethe vnd dich meinem aller liebsten vnd frommen Gott. Jr habet nichts, der Gott aber, qui est pater pupillorum et viduarum iudex, wirt euch wol bewaren vnd ernehren. – Haec finiens dixit uxori aliquid de argenteis Ciphis addens: Praeterea nosti nos nihil habere.“ 694 Chart. A 402, fol. 108r bzw. WA.TR 3, 90,13–18 [Nr. 2922b]. Zu dem in diesem Bericht ebenfalls greifbaren „Lehrvermächtnis“ s. S. 208f. 695 Evtl. ist hierin ein Grund zu sehen, dass der offizielle, von Jonas und Coelius verfasste Bericht vom tatsächlichen Sterben Luthers keinen Eingang in F gefunden hat.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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spitzung. Vor dem Hintergrund von Wellers Aufruf zur iterativen Lutherlektüre bzw. zur Einübung in Luthers Denken durch eigene Übersetzung, der explizit auch an Superintendenten, Visitatoren, Pastoren und Prediger gerichtet war,696 läge diese Schwerpunktsetzung nahe. In den Blick gerät zunächst ein Apophthegma, von dem im 32. Locus – analog zur Leipziger Mathesius-Handschrift und den dazugehörigen Parallelen – zunächst nur der erste Teil geboten wird und der zweite später folgt, ohne dass die Verbindung zwischen beiden Teilen noch erkennbar wäre. In diesem Abschnitt lädt der vor kurzem noch todkranke Luther seine als „viri egregii“ näher bestimmten Gäste zu sich ans Krankenbett.697 Am Anfang steht eine relativ ausführliche Schilderung der Szenerie. Dann folgt Luthers Belehrung, dass Theologen bei den Kranken und Sterbenden zu sein hätten, zugespitzt durch Joh 14,9. Insofern wird hier neben Luthers Frömmigkeit, seinem großen Gottvertrauen gegenüber Krankheit und Tod auch eine amtstheologische Nuancierung greifbar, die vor dem Hintergrund der Wellerschen Theologie mit ihrem seelsorgerlichen Impetus wie Wellers Lutherbild hinreichend begründet wäre.698 In eine ähnliche Richtung weisen tendenziell auf Schmalkalden bezogene Disticha Luthers. Die Übernahme der für Spalatin verfassten Texte ist gewiss nicht ausschließlich vom Fokus auf praktisch-seelsorgerliche Aspekte zu plausibilisieren, zumal Luther mit dem ersten schlicht auf der Hinreise nach Schmalkalden – letztlich dann zu Unrecht – ein Kommen zu Spalatin nach Altenburg ankündigte.699 Trotz des genannten Vorbehalts ruft der Kreis Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 168b. Vgl. Chart. A 402, fol. 102v–103r [WA 48, 530,5–7]: „Anno 33 8. Febru⌊arii D M L mira infirmitate vexatus est ita, ut frons frigida simillima esset mortuo cum tota facie. Sed Dei gratia et per intercessionem orantium Deus eum celeriter pristinae sanitati restituit. Vesperi autem cum multi egregii viri advenissent, dixit: Setzt euch doch herzu! Wie schemet jr euch fur einem krancken? Mussen doch wir theologi alzeit bey den krancken vnd sterbenden sein vnd mussen wider den todt sturmen. Et tamen Deus nos defendit, qui dicit: Ego viuo et vos vivetis. Si Deus uiuit, et nos mortui vivemus. – Deinde ridens dixit: Ratio dicit: Das ist ein grosse lugen“ bzw. WA.TR 3, 123,27–124,8 [Nr. 2970b in]. In Cordatus’ überarbeiteter Fassung ist das Apophthegma seines gesamten Rahmens entkleidet (vgl. WA.TR 3, 123,21–23 [Nr. 2970a]). 698 Vgl. in dieser Hinsicht auch WELLER, Opera, III+IV, 169b: „Quanta autem fortitudo in contemnendis vitae periculis fuerit in Luthero, norunt hi, qui consvetudine ejus usi sunt. Cum aliquando pestis Witebergae grassaretur, ipse ad aliquem civem vocatus est, ad quem cum venisset, ulcus pestilentiale manu intrepide contrectavit […].“ Luthers „heroische“ Haltung wird im Folgenden mit Katharinas Ängsten um die Tochter kontrastiert, die Luther zu Hause mit derselben Hand berührt hätte. Seine Aussage, es werde Margaretha nichts passieren, wird als vaticinium gedeutet. 699 Vgl. Chart. A 402, fol. 107r bzw. WA.B 8, 22,24–23,2 [Nr. 3131 exz.] – das Distichon ist in einem Brief Luthers an Jonas vom 1. Februar 1537 überliefert, in dem es thematisch passend um dessen Steinleiden geht. Zum Distichon selbst s. KÖSTLIN / 696 697

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

um Weller mit diesem Distichon auch die seelsorgerliche Aufgabe der Geistlichen in Erinnerung, in dem der kranke Luther dem Freund und Amtskollegen sich selbst als Hilfsbedürftigen auf der Rückreise empfiehlt und unter Anspielung auf Mt 25,40 und 1Kor 12,12 erinnert, dass der, der einen Kranken aufnimmt, Christus selbst aufnehme.700 Zu verweisen wäre zudem auf Luthers Rückblick von 1540 auf seine schwere Erkrankung von Schmalkalden, in der – zumal durch die Änderung der grammatikalischen Person – Luthers rettendes Medikament, d.h. die Fürbittgebete, als angemessenes Medium der Seelsorge an Kranken aufscheint: „Hic cum quaerenti, quo medicamine revaluissem, respondi: Oratione. Nam in omnibus ecclesiis ardentissime pro me orabant. Darumb sol man stets beten. Nam omnia consequimur [Rörer: „consequuntur “; I.K.] per orationem.“701

Des Weiteren ist von hier noch einmal das bereits erwähnte Schreiben an Melanchthon aus Tambach in den Blick zu nehmen, bei dem der, Melanchthon sehr zugetane Briefkopf verallgemeinert wurde.702 Dessen nachträgliche Übernahme in den 32. Locus mag ebenso von diesem Motiv des Lernens aus Luthers beispielhafter Genesung, nämlich zu beten und zu hoffen, mit motiviert sein: „Agite gratias mecum patri gratiarum et omnium bonorum et orate, ut perficiat opus suum optimus Deus et ut hoc exemplo discamus orare et audere sperare auxilium a Deo.“703

Neben solche allgemeine Aufforderungen treten zudem Hinweise auf Mittel gegen Anfechtungen („remedia tentationum“). An diesen hatte Weller ein besonderes Interesse, was sich z.B. verdichtet in einer sieben Punkte umfassenden Aufzählung zeigt: „Primo: Meditatio dulcissima consolationum Scripturae. Secundo: Ardens precatio evktenh,j. Tertio: fuga solitudinis. Quarto: Colloquium pii fratris. Quinto: Creber usus

KAWERAU, II, 384. In F ist es überschrieben mit „profecturus Schmalkaldia ad Geor: Spal:“. Offen muss bleiben, auf welchen Weg die Disticha Eingang in F gefunden haben. Insofern unmittelbar das ebenfalls in Versform verfasste Epitaph Luthers für seine Tochter Magdalena folgt (s. S. 262), ging es wohl auch um auf Luthers Frömmigkeit bezogene Dichtungen. 700 Vgl. Chart. A 402, fol. 107r: „Christus [„hic“ durchgestrichen in F, I.K.] in infirmo uenit hic, Spalatine, Luthero || Et tua pro requie tecta benigna petit. || Quicquid huic facias, factum sibi iudicat ipse, || Qui nos membra sui corporis esse docet“; WA 35, 602 – s.a. KÖSTLIN / KAWERAU, Luther, II, 392f. 701 Vgl. Chart. A 402, fol. 111v [WA 48, 600,17] bzw. WA.TR 5, 97,7f [Nr. 5368] = Ms. Bos. q. 24s, fol. 411r. 702 S. S. 228f. 703 Chart. A 402, fol. 473r bzw. WA.B 8, 50,18–21 [Nr. 3139].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Coenae Domini. Sexto: Ludus & voluptates a Deo concessae. Septimo: Contemtus diaboli.“704

Dieses Interesse findet auch im 32. Abschnitt von F seinen Niederschlag. Verwiesen sei zunächst auf ein langes, den Anfechtungen gewidmetes Apophthegma, von dem dort nur der zweite Teil aufgegriffen wurde, so dass von einer bewussten Auswahl auszugehen ist.705 Teil dieser Auswahl ist ein Zwiegespräch Luthers mit dem Teufel über die rechte „iustitia“, in dem verschiedene Wege aufgezeigt werden, den Teufel zu bekämpfen.706 Der erste Weg, „ui et per Verbum“707, verdeutlicht Luther als ein auf Christus vertrauendes Glaubensvorbild. Der zweite Weg, „contemptu“, nimmt einen spätmittelalterlichen Beichtrat auf: „Altera via est, ut vincamus eum contemptu, das wir die gedancken ausschlagen, et figamus animum in alias cogitationes, choreae et elegantis puellae. Das ist auch gut. De hoc scripsit Gerson.“708

Im Folgenden wird die Anleitung zum praktischen Umgang mit Anfechtungen in Bezug auf Essen und Trinken ohne Lust als dem besseren „Fasten“ vertieft. Dieser Abschnitt ist sehr persönlich gehalten und gipfelt in der Aussage: „Denn es ist mir so: wen ich auffwache, so kompt der teuffel balt vnd disputirt mit mir, so lang bis ich sage: L M I A [Abkürzung erst nachträglich in F aufgelöst; I.K.]“709

Nur in F bildet diese den Teufel eindrücklich verachtende Aussage den Schlusspunkt, was wohl als bewusste Akzentuierung gedeutet werden muss. Eine weitere Reihe von „Hilfsmitteln“ kann implizit einem Apophthegma entnommen werden, in dem Luther eine hierarchisierende Wertung seiner Tag- und Nachtkriege vornimmt. Die Auseinandersetzung mit den Schwärmern bietet hierfür letztlich nur den Aufhänger: „Jch wollt besser alle articulos vmbstoßen denn kein schwermer. Jch weis aber, das sie war seindt, ideo will ich sie kegen Iderman verteidingen. Nullum argumentum audivi ab hominibus, quod me movisset, meine nacht krieg seindt mir vil seurer worden denn die tage kriege. Quia adversarii haben mich nur verdroßen gemacht. Diabolus autem kan mir argumenta bringen. Er hat mir offt ein argument proponirt, das ich nicht wuste, ob WELLER, Opera, III+IV, 79b. Der zweite Teil wurde dem Locus „Consolationes pro tentatis, infirmis et quibus defuncti amici“ zugeordnet (vgl. Chart. A 402, fol. 255r–v). 706 Der Eingangsteil dieser Auswahl gerät demgegenüber in Bezug auf Luthers „Märtyrertum“ in den Blick (s. S. 290f.). 707 Chart. A 402, fol. 102v bzw. WA.TR 1, 63,29–64,7, 64,4 [Nr. 141]: „Hoc est prima via uincendi Sathanam in et per Verbum“; 2,15,18–27 [Nr. 1263]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 235v–236r. 708 Chart. A 402, fol. 102v bzw. WA.TR 1, 64,4–7 [Nr. 141]. 709 Chart. A 402, fol. 102v bzw. WA.TR 1, 64,8–19. 16f. [Nr. 141]; 2, 15,28–16,2 [Nr. 1263]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 236r. 704 705

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Gott were oder nicht. Ich wils euch izt darumb berichten [Parallelen: beichten; I.K.], ut ei non credatis.“710

Gerade durch die geringfügige Änderung von „beichten“ in „berichten“ erhält das Folgende einen stärker didaktischen Impetus. An konkreten Hilfsmitteln werden genannt, zum einen die Schrift: „Quando inuenit me sine verbo cogitantem de turca, papa, principibus, so kompt er [d.h. der Teufel; I.K.] et dat tela contra me. Sed quando scripturam apprehendo, ßo habe ich gewonnen.“711

Zum zweiten das Vertrauen auf Christus: „Sed lasst vns auff den Christum trauen. Gott nehme mich diese stunde ader morgen hinwegk, so wil ich das hinder mir lassen, quod Christum volo agnoscere pro domino. Et hoc habeo non tantum ex scriptura, sed etiam per experientiam. Quia der name Christus hat mir offt geholffen, ubi nemo potuit iuuare. Sic pro me habeo rem et verba, experientiam et scripturam, et dedit mihi Deus utrunque abunde, Es ist mir auch sauer worden per tentationes; das ist mir sehr gut gewest.“712

Zum Dritten das Gebet, insbesondere das Beten des Vaterunsers: „Iam ist das beste, ut coniungamus manus et oremus, quamquam decem praecepta non habemus, sed potius in ea peccauimus, habemus tamen dakegen orationem dominicam.“713

Zum Vierten den Rat des Bruders, der den Angefochtenen an die vocatio erinnert: „Ergo so solte einer frolich sein, si haberet fratrem, qui diceret, frater, fac hoc, ut sit uocatio superioris uel diuina quae est fidei vocatio, uel aequalis, quae est charitatis. Nemo credit, quam magnus et necessarius locus sit de vocatione, das man einem saget hoc fac wenn einer geschickt ist zu einem Ampt vnd wartet drauff, ut vocetur, der thut recht et Paulus dicit eum desiderare bonum opus.“714

Vergleicht man insgesamt die in F greifbaren „Mittel“ mit den Wellerschen sieben Punkten, so verwies der Kreis um Weller Angefochtene bzw. deren Seelsorger mit Luther auf die Schrift, das Gebet, das „Colloquium 710 Chart. A 402, fol. 100v–101r [WA 48, 414,28–41] bzw. WA.TR 1, 238,10–241,7 [Nr. 518]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 224r–225v; Zitat: Chart. A 402, fol. 100v [WA 48, 414,31f.] bzw. WA.TR 1, 238,10–17 [Nr. 518]. 711 Chart. A 402, fol. 100v bzw. WA.TR 1, 238,17–19 [Nr. 518]. 712 Chart. A 402, fol. 101r–v [WA 48, 414,36f.] bzw. TR 1, 240,5–12 [Nr. 518] – s.a. ebd., fol. 101r [WA 48, 414,33] bzw. WA.TR 1, 239,5f.: „Christianus fragt nichts nach vngluck huius uitae, quia scit, das Christus dort helffen wil.“ 713 Chart. A 402, fol. 101r [WA 48, 414,35f.] bzw. WA.TR 1, 239,18–20 [Nr. 518]. 714 Chart. A 402, fol. 101v [WA 48, 414,40f.] bzw. WA.TR 1, 241,2–7. Dieser allgemeine Rat wird vom Kontext etwas eng geführt: „Ideo magistratus et doctor oportet certus sit de sua vocatione, sunst ist keiner dosein. Das hat Oecolampadium getötet“ (Chart. A 402, fol. 101v bzw. WA.TR 1, 241,1f. [Nr. 518]).

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pii fratris“ sowie die Verachtung des Teufels. Mit dem zweiten Weg mag auch die Flucht vor der Einsamkeit und die von Gott zugestandenen Belustigungen erfasst sein. Es fehlt letztlich nur der Abendmahlsempfang. Mit diesen letzten Hinweisen auf die praktischen Anleitungen zur Seelsorge ist die differenzierte Monumentalisierung Luthers seitens des „Wellerschen Kreises“ als Exempel des Umgangs mit Krankheiten und Anfechtungen hinreichend entfaltet. Im zweiten Unterkapitel der didaktischpastoralen Aspekte werden nun die Akzentuierungen von Luthers „bürgerlicher Existenz“ vorzustellen sein. 2.2.2.

Luther als Exempel des „frommen“ Familienvaters

Luthers Hochzeit im Jahr 1525 war das äußere Zeichen, das Luthers definitiven Abschied vom Mönchtum demonstrierte. Wie viele vor ihm, begann er als verheirateter Kleriker eine „bürgerliche Existenz“.715 Das besondere Kolorit der Apophthegmata Lutheri rührt nicht in geringem Maße daher, dass die Mitschreiber sich nicht auf die großen theologischen oder politischen Fragen beschränkten, sondern auch Luthers „oeconomia“ als überlieferungswürdig erachteten. Dieser Themenbereich stand in didaktisch-pastoraler Perspektive zwar weniger als sein „Kreuz und seine Anfechtungen“ im Fokus des „Wellerschen Kreises“, dennoch vermitteln die im 32. Abschnitt von F gesammelten Apophthegmata in vergleichbarer Weise ein nachzuahmendes Idealbild, das Ansätze einer „Monumentalisierung“ erkennen lässt. Dass Weller Luther tatsächlich auch in dieser Hinsicht als Vorbild gesehen hatte, zeigen seine Ausführungen über die „tugendhafte Ehefrau“, in deren Rahmen er Luthers Wertschätzung von Katharina von Bora als Autoritätsargument einführte: „Memini Reverendissimum virum, sanctae memoriae, D. Lutherum saepe dicere, sibi ex animo gratulari istam felicitatem, quod DEUS tam commodam, modestam & prudentem uxorem sibi donasset, quae tam egregie valetudinem suam posset curare & tueri, ac sese ad ingenium ejus tam scite accommodare, & vitia atque incommoda sua tam placido ferre animo.“716

715 Vgl. zu diesem Prozess im Allgemeinen: MOELLER, Kleriker. Zur Priesterehe im Besonderen vgl. BUCKWALTER, Priesterehe. Zum Abschied vom Mönchtum s. auch SCHÄUFELE, Abschied. 716 WELLER, Opera, I, 871b. Ein Reflex dieser Argumentation mag der als Nachtragsstück überlieferte „titulus“ Luthers für seine Ehefrau darstellen: „Titulum uxori dedit Lutherus: die lieb vnd trew“ (Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 401,9f.]). Bei Dietrich wie Rörer wird das Stück als von Luther direkt an Katharina gerichtete Briefunterschrift wiedergegeben, die jedoch nicht außerhalb der Apophthegmata-Tradition belegt ist: „Subscriptio literarum ad uxorem: M⌊artinus L⌊utherus dir [Hervorhebung; I.K.] lieb vnd trew“ (WA.TR 1, 99,15f. [Nr. 236] bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 270v). Entweder hat der Kreis um Weller hier deutlich redaktionell eingegriffen, um Katharina positiv

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Als Teil dieser Vorbildfunktion ist zum einen die tiefe Verbundenheit Luthers mit seinen Kindern anzusehen, insofern sich in dieser die Wellersche Überzeugung widerspiegelt, dass „die natürliche Neigungen zu den Kindern […] in den lieben Heiligen viel hefftiger“717

seien. Dies entfaltete Weller im Folgenden anhand der Kontrastierung von Müntzers fehlender und Luthers übergroßer Freude über die Geburt eines Sohnes sowie Luthers großen Schmerz über den Tod seiner Tochter Magdalena. Eben diese Ereignisse fanden in F Eingang, wenn auch mit besonderer Zuspitzung. Dadurch, dass der „Wellersche Kreis“ aus dem langen Bericht über den Tod von Luthers Tochter Magdalena (gest. 20. September 1542)718 – im Unterschied zu Halle und Aurifabers Tischredenausgabe – ausschließlich das von Luther selbst verfasste Epitaphium aufgriff, wird der persönliche Schmerz Luthers über diesen für ihn schweren Verlust nur implizit greifbar.719 Das biographisch einschneidende Ereignis tritt zurück hinter die theologische Botschaft und die damit einhergehende vorbildliche „fromme“ Haltung Luthers: „Dormio cum sanctis hic Magdalena Lutheri / Filia et hoc strato tecta quiesco meo. / Filia mortis eram, peccati semine nata, / Sanguine sed vivo, Christe, redempta tuo.“720

zu würdigen oder das Nachtragsstück stellt eine von den genannten Traditionen unabhängige Überlieferung dar. 717 WELLER, Schrifften, II, 99a–b. 718 Vgl. WA.TR 5, 185–194 [Nr. 5490a–5502] bzw. ebd., 185 Anm. 3. Zur Frage der Urheberschaft s. WA.TR 5, XXVII. 719 Die Heftigkeit des Schmerzes ist neben dem ausführlichen Bericht z.B. in Besolds Briefen an Dietrich überliefert: „Nam admodum erat perturbatus propter obitum filiae Magdalenae, honestissimae atque optimae puellae“ (Besold an Dietrich. Wittenberg, 3. Oktober 1542: KAWERAU, Briefe, 80f. [Nr. 102]; Zitat: ebd., 80). Ähnlich: Besold an Dietrich, 2. Mai 1543: ALBRECHT / FLEMMING, Manuscriptum, 97–99 [Nr. 104]; Zitat: ebd., 99: „Mitto hic Epitaphium filiae ipsius, optimae puellae, quae digna est omni genere laudum. Nam memini patrem de ea dicere collachrimantem: Ach hat sie mich doch ihr lebtag nie erzürnt [Kursivierung; I.K.]. Haec rara Virtus est. ipsum carmen admodum placebat d. doctori, ideo et ad te mittendum duxi.“ Zur Rezeption dieses Ereignisses seitens des „Lauterbachschen Kreises“ und v.a. Aurifaber s. S. 510– 512. 720 Chart. A 402, fol. 107r [WA 48, 614,18–22] bzw. WA.TR 5, 185,22–126,7 [Nr. 5490a] – in F ist das letzte Wort „tua“ erst nachträglich in „tuo“ ausgebessert worden. F konvergiert hier mit der Fassung von Halle, bietet jedoch nicht den Hinweis auf Luthers Verfasserschaft und die deutsche Übersetzung der lateinischen Verse. Zudem ist das kurze Stück hinter die beiden anderen, auf Schmalkalden bezogenen Disticha angefügt, so dass eine kleine „Sequenz“ von „Luthergedichten“ entsteht.

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Analoges gilt für das Nachtragsstück, in dem die Geburt von Luthers zweitem Sohn Martin und die damit verbundene Anfrage bei Borziwog von Dohna thematisiert wird: „Anno 31 die 9. Novembris natus est filius Luthero, 4 eius proles. Cum autem rogaret susceptorem puerum adolescentem 14 annorum Baronem Bohemicum, mire seria oratione utebatur et quod raro ei nisi multum commoto accidebat, titubabat lingua. Cuius rei causa ante ab eo quaereretur: Spiritus Sanctus est, inquit. Nam hoc Dei negotium est ad quod nisi quis afferat reverentiam aliquam, male facit. Non enim est ludus aut iocus divina opera subire aut in eis versari.“721

Obwohl das Ereignis eingangs genau datiert ist, dürfte der Grund für die Aufnahme in die Rubrik „Luther über sich selbst“ eher nicht im Biographischen zu suchen sein, da die Geburt der anderen fünf Kinder keinen Niederschlag in F gefunden hat. Die Rezeption dürfte eher von der emotional besonders aufgeladenen Anfrage beim Paten („susceptor“) zu begründen sein als von der Geburt selbst. Darauf deutet bereits Rörer, der dieses Stück mittels Randnotiz der Kategorie „Luther“ zuordnet und inhaltlich zuspitzt auf die Patenanfrage.722 Insofern hat wohl auch der Kreis um Weller das bereits im Apophthegma selbst betonte Besondere der Situation bzw. die dahinter stehende Frömmigkeit Luthers bewusst aufgreifen wollen. Ein weiteres Nachtragsstück, in dem Luther mit einem kleinen Kind spielt, könnte sich von der Datierung auf dasselbe Kind beziehen. Doch ist auch hier der Fokus anders gelagert. Wiederum ist der familiäre Rahmen nur die „Szenerie“: Luth⌊erus colludens cum infantulo dicebat, ach quanta haec est Dei benedictio qua plane indigni sunt rustici; sie solten nur sewe haben.723

Die Rezeption dieser frommen Deutung von Kindern als Segen Gottes, die zum Ausgangspunkt eines scharfen Ausfalls gegen die Bauern wird, verdeutlicht gerade aufgrund der Schärfe den Gegenpol der besonders ausgeprägten positiven „natürlichen Neigungen“ eines Vorbildes wie Luther.724 721 Chart. A 402, fol. 471r [WA 48, 39,24–27] bzw. WA.TR 1, 36,27–37,2 [Nr. 95]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 262v. Zur Identifikation des „susceptor“ s. WA.TR 1, 36 Anm. 15. 722 Vgl. Ms. Bos. q. 24c, fol. 262v: „Lut⌊herus susceptore⌊m rogat.“ 723 Chart. A 402, fol. 115v [WA 48, 450,7f.] bzw. WA.TR 1, 495,44–46 [Nr. 978] = Ms. Bos. q. 24f, fol. 209r; WA.TR 2, 64,7–9 [Nr. 1348]; 2, 467,23f. [Nr. 2454]. 724 Dass schon die Mitschreiber damals dieses harsche Wort als anstößig empfanden, zeigt sich daran, dass bei aller Konvergenz hier Abmilderungsversuche erfolgten. F folgt in seiner Schärfe Rörer, verzichtet aber darauf, dessen Korrektur von „plane indigni“ in „plane impij“ mit zu übernehmen (vgl. Ms. Bos. q. 24f, fol. 209r. In WA.TR 1, 495 Anm. 3 wird diese Korrektur fälschlicherweise auf „rustici“ bezogen). In der Schlaginhaufenschen Tradition [Nr. 1348] sind die Bauern nur „non digni“, zudem werden die „Säue“ in „Stroh“ gemildert (vgl. WA.TR 2, 64,8f. [Nr. 1348]). Die erste

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Zum Rekurs auf Luther als „Familienvater“ gehört zudem eine „wirtschaftliche“ Dimension. Der Kreis um Weller leitet mittels der zusammengestellten Apophthegmata auch zum rechten Umgang mit ökonomischen Sorgen an. Einerseits gerät hier noch einmal die Familie in den Blick, andererseits wird die Thematik grundsätzlich angesprochen. Dieses Interesse an Luthers Umgang mit finanziellen Fragen mag auch Wellers persönliche finanzielle Nöte widerspiegeln,725 ist aber zugleich pars pro toto für die prekäre Situation vieler (verheirateter) Geistlicher im Zusammenhang der zeitgenössischen Streitkreise, denen Luther – so die These – als vorbildhaftes Exempel vor Augen gestellt und so zugleich weiter monumentalisiert wurde. Analog zum Umgang mit Krankheiten sind zwei Pole zu unterscheiden. Zum einen wird der sich sorgende und, wenn man so will, „schwache“ Luther greifbar, zum anderen der alles Gott anvertrauende „fromme“ Luther. Für die Sorge ist zunächst auf ein Apophthegma zu verweisen, in dem die Leiden und ursprüngliche Armut von Luthers Eltern betont und somit Luthers eigene ökonomische Sozialisation in seinem Elternhaus erhellt werden: Chart. A 402, fol. 108v [WA 48,522,7–9]

D 116 2°, fol. 573v = WA.TR 3,51,11–14 [Nr. 2888b]

WA.TR 3,51,8–10 [Nr. 2888a]

Lutheri parentes primo pauperes fuerunt. Pater enim fuit ein armer heuer. Die mutter hat alle ir holtz auff dem rucken getragen, domit sie vns erzogen hat.

Parentes Lutheri primo pauperes fuerunt. Pater ist ein armer heuer gewest. Die mutter hat alle ihr holtz auff dem rucken eingetragen, damit sie vns

Parens meus, in adolescentia sua ist er ein armer hewr gewesen. Die mutter hatt al yhr holtz auff den rucken eingetragen. Alßo haben sie vns erzogen.

Abmilderung weist auch die Cordatische Tradition auf (vgl. WA.TR 2, 467,24 [Nr. 2454]). Zu Aurifabers Rezeption s. S. 523f. 725 Finanzielle Probleme sind Bestandteil von Wellers Biographie. So musste er sein bereits 1517 in Wittenberg begonnenes Studium unterbrechen und zwischenzeitlich als Griechischlehrer arbeiten (vgl. NOBBE, Weller, 5). Die Briefe Luthers an Weller bezüglich seiner Hochzeit lassen ebenfalls eine schwierigere finanzielle Situation erkennen (vgl. WA.B 7, 487f. [Nr. 3056]; 495 [Nr. 3062]), noch deutlicher wird Luther Jonas gegenüber (vgl. WA.B 7, 506,20–24 [Nr. 3068]). Trotz einer gewissen Entspannung der Situation war Weller auch in Freiberg nicht sorgenfrei in finanzieller Hinsicht (vgl. BrWJJ 1, 378f. [Nr. 472]; CR 8,682 [Nr. 5936]. 727 [Nr. 5957] bzw. WELLER, Schrifften, II, 237b–238a [Nr. 27]; s.a. NOBBE, Weller, 18–20; KANDLER, Briefe, 24). Jedoch maß er seinen finanziellen Problemen nicht dieselbe Wichtigkeit zu, wie sein Freund Justus Jonas (s. LEDER, Jonas, 236; WOLGAST, Kollektivautorität, 99f.; MAGER, Mann, 18f.20f.; LEHMANN, Jonas, 142–145; DELIUS, Jonas, 89; BrWJJ 2, LVf.; PRESSEL, Jonas, 120f.; FRANKE, Reformation, 278–282 versucht, hinter diesen Streitigkeiten Jonas’ Bemühen um die Absicherung seiner Kinder zu sehen).

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“ Duros labores perpessi sunt, quos iam mundus non ferret.

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ertzogen hat. Duros labores perpessi sunt, quos mundus iam non ferret.

Der Gothaer Kodex konvergiert mit der in Halle greifbaren Variante [Nr. 2888b] und nicht mit der überarbeiteten Fassung des Cordatus [Nr. 2888a], insofern beide den Hinweis auf die geradezu unerträglichen „labores“ aufweisen. In inhaltlich verwandten Apophthegmata über die ursprüngliche Armut der Eltern wird zudem auf Luthers Abkunft aus einer Bauernfamilie hingewiesen.726 Diese Tradition wird vor dem Hintergrund des soeben zitierten harschen Wortes gegen die Bauern in F evtl. bewusst nicht aufgegriffen. Dem Topos der Armut wie dem der bäuerlichen Abkunft ist gemein, dass es sich um Stilisierungen Luthers handelt.727 Heutige Repristinationen der „These, dass Hans Luder als einfacher Bergmann bzw. Hauer nach Eisleben / Mansfeld kam und sich mühsam hocharbeitete“, mögen – wie Fessner meint – „wohl eher einem romantisierenden Wunschdenken des 19. Jahrhunderts [entsprechen].“728 Dennoch darf nicht übersehen werden, dass diese These ihren Anhalt in den Apophthegmata hat, die – wie z.B. F zeigt –, bereits von den ersten Rezipienten bewusst zur Formierung ihres Lutherbildes herangezogen worden sind.729 Luthers eigene Sorge in Bezug auf Finanzielles wird z.B. in einem Apophthegma greifbar, nach dem Luther durch die hohen Kosten, die jährlich pro Kopf für Essen und Trinken entstehen, verdrossen wurde.730 Hinzu kommt ein Stück, in dem Luthers „mirabilis oeconomia“ dargestellt wird, bei der die Ausgaben die Einnahmen überstiegen: „Ego mirabilem administro oeconomiam qui plus consumo, quam recipio. Jch muß alle jar 500 fl. haben in die kuchen, ut interim alia taceam, amictum et ornatum. Jch kann mich jn das haushalten nicht richten. Si minorem haberem domum, abstinerem me a

Belege bei BARTMUß, Quelle, 127–129. Zur wirtschaftlichen und sozialen Situation der Eltern Luthers s. FESSNER, Familie Luder sowie die Ergebnisse der archäologischen Grabungen in Luthers Elternhaus (s. MELLER, Fundsache Luther). 728 FESSNER, Familie Luder, 19. 729 Wie prägend dieser Topos war, zeigt allein die Tatsache, dass dieses Apophthegma zu den wenigen Überlieferungen zählt, die auch in der Lauterbach-Hänelsche Tradition und von hier in der Rebenstockschen Tradition Eingang in die Rubrik „Luther über sich selbst“ fanden. 730 Vgl. Chart. A 402, fol. 105r [WA 48, 540,18–23] bzw. WA.TR 3, 236,16–21 [Nr. 3258]). 726 727

266

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

multitudine et quam paucissimis curarem rem domesticam. [Schlusssatz fehlt in F; I.K.] Aber vnser Herrgott muß der narren furmundt sein.“731

Dass der die Sorge relativierende „fromme“ Schlusssatz fehlt, mag Zufall sein, lässt die Sorge aber deutlicher greifbar werden. Dennoch ist die „fromme“ Haltung Luthers vom Kreis um Weller insgesamt stärker betont und damit als Vorbild ins Feld geführt worden. Diese Dimension kann u.a. anhand eines Apophthegmas verdeutlicht werden, dessen Fassung erneut mit der auch in Halle greifbaren und nicht der Cordatischen Parallele konvergiert. Geschildert wird ein Segen Luthers für ein auf den Arm getragenes Kind: „Infantem cubitum ferendum benedixit: Gehe hin vnd bis from. Vil gelt wil ich dir nicht laßen, aber ein reichen Gott wil ich dir laßen, der wirt dich nicht vorlaßen; bis nur from, do helff dir Gott zu.“732

Die Szene mutet geradezu idyllisch an.733 Im Zentrum steht Luthers alles auf das gottgemäße Leben konzentrierende Aussage. Wie bewusst die Rezeption erfolgte, zeigt die über die Parallelen hinausgehende Konkretion von „gelt“ in „vil gelt“.734 Evtl. ist dies ein Reflex der die finanziellen Sorgen ernst nehmenden Dimension. Entsprechend zeigt ein Schreiben Wellers vom Januar 1556, dass er trotz eigener finanzieller Engpässe versuchte, Luthers Kinder nach dessen Tod mit Geldmitteln zu unterstützen.735 Nur der vorbildlich „fromme“ Luther ist dagegen in dem von Rörer als „Luthers Reim“ kategorisierten Nachtragsstück greifbar, in der Dietrichschen Überlieferung ins Frühjahr 1533 datiert: „Was mir Gott gibt, das nehme ich gern / Was er mir nicht gibt, kan ich wol entpern. Das ist / mein register, das ich mir kan gnugen lassen; / so hallt ich hauss.“736

731 Chart. A 402, fol. 10r [WA 48, 518,1–3] bzw. WA.TR 3, 13,10–15 [Nr. 2835b]. Noch kürzer ist die Cordatische Tradition, die vor Luthers Sinieren über einen kleineren Haushalt abbricht (vgl. ebd., 13,7–9 [Nr. 2835a]. 732 Chart. A 402, fol. 105v [WA 48, 519,1–4] bzw. WA.TR 3, 26,18–21 [Nr. 2848b]; 26,15–17 [Nr. 2848a]. 733 In der Cordatischen Tradition fehlt dieser Rahmen (vgl. WA.TR 3, 26,15–17 [Nr. 2848a]). Aurifaber wird dieses in F und Halle gemalte Bild etwas aufbrechen (s. S. 525f.). 734 Ähnlich klang dieses Motiv im bereits dargestellten langen Bericht von Luthers schwerem Anfall von 1527 an, wo Luther sich dem Tode nahe fühlend, neben seiner Frau seinen Sohn Hans zu sich ruft. Auch hier wird auf die Armut Luthers verwiesen und infolge werden beide Gott anempfohlen (Zitat: s. S. 256 Anm. 693). Dort wird durch den Verweis auf silberne Kelche die „Armut“ ebenfalls relativiert. 735 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 190b–191a. 736 Chart. A 402, fol. 470v [WA 48, 411,14–17] bzw. WA.TR 1, 210,11–13 [Nr. 479]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 283.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

267

In einem weiteren Nachtragsstück wird diese Botschaft thematisch an Luthers Amt zurückgebunden greifbar.737 Evtl. mag hier, angesichts der schwierigen finanziellen Situation, in der sich viele Amtsträger Anfang der 1550er Jahr befanden, auch der vorrangige Rezeptionsgrund gelegen haben. Nachdem im Apophthegma eingangs Luthers Ärger über das ihm ungerecht erscheinende Verhalten seiner Verwandten dargestellt worden ist, kommt Luthers vorbildliche „fromme“ Haltung zum Tragen. Diese kulminiert in der Aussage, dass Gott ihn als seinen „Diener“ ernährt habe und auch weiter ernähren werde.738 Dieselbe Haltung Luthers wird – ergänzt durch den Hinweis auf „Politisches“ – in einem Apophthegma der Dietrichschen Überlieferung aus der zweiten Hälfte des Jahres 1531 vermittelt, in dem die Schriftlektüre als Mittel gegen Sorgen erwähnt wird und diese zugleich durch den Vergleich mit den Angriffen des Teufels relativiert werden: „Quando sum in politicis et oeconomicis cogitationibus, so nehme ich ein psalm aber dictum Pauli fur mich vnd schlaffe daruber ein. Sed cogitationes Sathanae kosten mich mehr, requirunt einen starcken possen.“739

Dass dieses Luther monumentalisierende Idealbild zudem durch redaktionelle Eingriffe religionspolitisch zugespitzt werden konnte, überrascht kaum. Inhaltlich geht es in dem heranzuziehenden Apophthegma um Luthers Genügsamkeit bzw. ideellen „Reichtum“, d.h. seine Kinder. Die bewusste Auswahl und Verknüpfung verdeutlicht die folgende Synopse:

737 Vgl. Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 460,36–461,5] bzw. WA.TR 1, 553,13–26 [Nr. 1108] = Ms. Bos. q. 24f, fol. 227r–v; zur Cordatischen Tradition und deren Parallelüberlieferung s. WA.TR 2, 426,8–17 [Nr. 2346a] bzw. 426,18–427,2 [Nr. 2346b]. Der Schreiber scheint bei diesem Stück sehr unkonzentriert gewesen zu sein, da ein ausgelassener Abschnitt zwischen den Zeilen bzw. am Rand nachgetragen werden musste. 738 Vgl. Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 461,1]: „Deus me ministrum suum habet, ideo etiam me alet, ut fecit“ bzw. WA.TR 1, 553,18f. [Nr. 1108]. Unmittelbar darauf folgt ein erneuter Beleg für Luthers fromme Haltung in Bezug auf die finanzielle Zukunft seiner Kinder, jedoch gepaart mit einer negativen Aussage über die Verwandten: „Liberos meos ei [d.h. Gott, I.K.] commendo, ut ipse sit pater, sol jr gut vnd schatz sein. Liberi mei werden reich sein, wenn sie werden betlen gehen“ (Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 461,1f.] bzw. WA.TR 1, 553,19–21 [Nr. 1108]). Lässt die Fassung von F und Rörer es offen, ob das Betteln auf Luthers Kinder im realen Sinn oder die Verwandten im geistlichen Sinn bezogen gedacht ist, werden in der Cordatischen Tradition eindeutig die Verwandten als die Bettler gekennzeichnet (vgl. WA.TR 2, 426,13f. [Nr. 2346a]; 426,26f. [Nr. 2346b]). 739 Chart. A 402, fol. 103v [WA 48, 386,8–11] bzw. WA.TR 1, 8,37–9,3 [Nr. 19]. F weist – ähnlich wie Rörer und die anderen Parallelen (s. Ms. Bos. q. 24f, fol. 247r bzw. WA.TR 1, 9 Anm. 3) – eine kürzere Fassung als Dietrich auf.

268

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Chart. A 402, fol. 103v

WA.TR 2,530,33–531,2 [Nr. 2579]

Ego sum ditior740 omnibus theologis papisticis in toto mundo, den ich lasse mir gnugen. Auch hab ich iij eheliche kinder, die kein papistischer theologus hat.

Ego sum ditior omnibus papisticis theologis in toto mundo, den ich lasse mich gnugen. Vber das habe ich drei ehliche kinder, die kein papisticus theologus hatt. Item ditior sum omnibus nobilibus in terra, wie wol ich meinen g⌊nedigen h⌊errn beraube, das ich andern dienen moge. WA.TR 2,534,9–14. 11–14 [Nr. 2590b]

WA.TR 2,534,6–8 WA.TR 1,504,1f. [Nr. 998] [Nr. 2590a]

[I.] Ferdinandus primus rex Boiemiae, ultimus Romanorum, Vngariae privative, rex Romanus imaginative, Boiemiae participative.

Ferdinand⌊us est rex Vngariae privative, Romanus imaginative et Bohemiae participative.

[II.] Anno Domini 1532. D⌊octor Martinus suam uxorem habuit septem annis; in solstitio cancri eam duxit. Et Item die drey kindixit: Jch habe drei der seindt drey lebendige khinder; konigreich, die ich [Khum.: 4. mortuus; erblich [Hervorhe- I.K.]. Es sein drei bung; I.K.] hab khonigreich, die ich mehr dan Ferdinan- erlicher [Hervorhedus Vngern vnd bung; I.K.] fur Got Behm vnd fur Gott habe denn Ferdinandus das Romische koVngern, Behem vnd das nigreich hatt. Romisch reich.

Ferd⌊inandus est rex Hung⌊ariae privative, Boh⌊emiae participative, Ger⌊maniae imaginative.

Ego habeo quatuor [sic!] pueros chariores et meliore [Hervorhebung; I.K.] titulo quam Ferdinandus regna.

Im Eingangsteil teilt F mit der Cordatischen Parallele [Nr. 2579] nur die vorbildliche „fromme“ Haltung Luthers des sich Genügenlassens bzw. des ideellen Reichtums wie die damit verbundene Abgrenzung von den „papis740

Verbessert von zweiter Hand aus „doctior“.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

269

tischen Theologen“. Der in der Cordatischen Tradition darüber hinaus noch zu findende Vorwurf gegen die Adligen, wurde nicht aufgegriffen. Möglicherweise allein deshalb, weil es der Fokussierung auf die antipapalistische Aussageintention widersprochen hätte. Stattdessen folgt in F ein Schlussteil, der wohl einen Ausschnitt aus einem anderen Apophthegma darstellt, das ausschließlich gegen den Bruder Karls V., König Ferdinand, gerichtet ist und in der Lauterbachschen [Nr. 2590b] und Cordatischen Tradition [2590a] überliefert ist. Den ersten Teil, der sich zudem bei Rörer als selbstständiges Stück findet [Nr. 998], griff der „Wellersche Kreis“ wiederum nicht auf, was schlicht von der anvisierten Verknüpfung mittels der Stichwortverbindung „drei Kinder“ bedingt sein könnte. Leitend mag dabei jedoch zudem der zeitgenössische Kontext gewesen sein. Im Jahr 1550/51 fanden schwierige Verhandlungen zwischen Ferdinand und Karl um die Nachfolgeregelung statt, in denen Karls Sohn Philipp zum Nachfolger im Reich bestimmt wurde.741 Darauf könnte die nur in F greifbare Rede von „erblich“ anspielen. Von dieser Regelung aus wäre dann auch der erste – nicht übernommene – Teil der Überlieferung inhaltlich überholt. Die Fassung von F bezeugte also nicht nur den vorbildlichen „frommen“ Haushalter, sondern instrumentalisiert diesen bewusst zur Verspottung der Papstanhänger und möglicherweise des kaiserlichen Stellvertreters. Insofern kämen in diesem Apophthegma die polemisch-identitätsstiftende und die didaktisch-pastorale Facette des Wellerschen Lutherbildes zusammen. Insgesamt plausibilisieren die dargestellten Indizien, dass auch Luthers „bürgerliche“ Existenz vom Kreis um Weller in didaktisch-pastoraler Perspektive in Anspruch genommen worden ist. Zumindest der Tendenz nach ist erneut eine Monumentarisierung greifbar, nun die des „frommen“ Familienvaters in seiner Beziehung zu seinen Kindern, zumal aber in Bezug auf finanzielle Sorgen. 2.3.

Enkomiastisch-polemische Aspekte

In Hinblick auf „enkomiastische“ Aspekte des Lutherbildes sollen die vom „Wellerschen Kreis“ aufgenommenen Apophthegmata analysiert werden, bei deren Auswahl der Fokus primär auf „Luther an sich“ lag. Prinzipiell läge es nahe, diese Aspekte mit Junghans als „Glorifizierung“ zu deuten.742 Jedoch wird zu zeigen sein, dass es zur Eigenheit der „Wellerschen Tradition“ gehört, dass weniger die schiere memoriale „Erhöhung“ Luthers im Zentrum des Interesses stand. Der Verherrlichung Luthers als Person eignet in F aufgrund der in 2.1 als identitätsstiftend aus741 Näheres zur habsburgischen Nachfolgeproblematik s. KOHLER, Ferdinand I., 286–289; LAUBACH, Nachfolge, bes. 33–49. 742 S. S. 78f.

270

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

gewiesenen „Konflikt- und Krisensituation“ nach Luthers Tod in nicht unerheblichem Maße zudem eine polemische Konnotierung. Insofern wird zu fragen sein, inwiefern hiermit zugleich Momente von „Heroisierung“ und / oder Monumentalisierung greifbar sind. Dazu wird Luthers Tugendhaftigkeit (2.3.1) sowie Luthers „Märtyrertum“ (2.3.2) in den Blick genommen. 2.3.1.

Luthers „Tugendhaftigkeit“

In Bezug auf die Frage, inwiefern die Luthermemoria bzw. das Lutherbild des „Wellerschen Kreises“ auf eine Betonung der „Tugendhaftigkeit“ Luthers zielte, wird sich zeigen, dass hier v.a. eine dianoetische Dimension und weniger eine moralische im Vordergrund stand und beiden Dimensionen zudem ein kontroverstheologischer Impetus eignete. Angedeutet wurde dies bereits für die mit antimelanchthonischem Subtext polemischidentitätsstiftend motivierte positive Rezeption von Luthers „Schärfe“, die geradezu zur Tugend erhoben worden war.743 Letztlich scheint im Hintergrund dieser besonderen Schwerpunktsetzung erneut Wellers Verständnis von Luther als exzeptionellen „Lehrer“ im weiten Sinne auf.744 Bedingte Hinweise auf eine – polemisch konnotierte – Betonung der „moralischen“ Tugendhaftigkeit Luthers können dem langen „Bericht“ entnommen werden, in dessen Zentrum Luthers Tag- und Nachtkriege stehen. Nach diesem Apophthegma wertet Luther zum einen die Tagkämpfe mit menschlichen Gegnern gegenüber den Nachtkämpfen mit dem Teufel ab und übt dabei Selbstkritik, wenn er seine kontroverstheologischen Bücher als Zeugnisse von Stolz und Hoffärtigkeit deutet.745 Höchstens ansatzweise wird man hierin ein Indiz für eine Betonung von Luthers Demut sehen können. Anlass, sich mit dieser Thematik vertiefter auseinanderzusetzen, hätten zudem z.B. der von Cochlaeus gegenüber

S. hierzu S. 232–240. In gewisser Weise ist Luthers „Tugendhaftigkeit“ auch im Hintergrund von Luthers Verhalten gegenüber Leid bzw. als Familienvater zu greifen, bei der jedoch nicht die Verherrlichung Luthers die Rezeption vorrangig motiviert hatte (vgl. II 2.2.1 und 2.2.2). 744 Vgl. erneut WELLER, Opera, III+IV, 167b–168b. 745 Vgl. Chart. A 402, fol. 100v–101r [WA 48, 414,33]: „Die eusserlichen anfechtung machen mich nur stoltz vnd hoffertyck, sicut videtis in libris meis, quomodo contemno adversarios. Jch halte sie fur narren. Quando autem diabolus venit, so ist er dominus mundi vnd gibt mir ein gutt posuisti. Denn Christus hat vns gesetzt contra potestatem aeris, non contra carnem et sanguinem. Hertzogk Georg allen juristen vnd theologen will ich trotz bieten. Wenn aber die gesellen kommen, scilicet spirituales nequitiae, do mus ecclesia mit fechten“; WA.TR 1, 238,21–239,5 [Nr. 518]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 224r–v. 743

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Luther immer wieder erhobene Vorwurf des Selbstrühmens geboten.746 Insofern jedoch keine besondere Hervorhebung dieser Stelle, etwa durch eine Randbemerkung, greifbar ist, wird man die Rezeption des Apophthegmas bzw. dieses Ausschnittes kaum von hier begründen dürfen. Zum anderen wird in diesem Apophthegma das Motiv der Tadellosigkeit Luthers in Bezug auf das monastische Keuschheitsgebot thematisiert, wie das folgende Zitat zeigt: „Staupitio quoque saepe confessus sum non de mulieribus, sed die rechten knotten. […] Do hielt ich messe und bettet und hab kein weib in ordine so zureden, weder gesehen noch gehoret.“747

Im Unterschied zur „Selbstkritik“ ist diese Thematik im Locus gezielt in Gestalt eines Nachtragsstückes aufgegriffen worden. Mittels diesem wird eindrücklich betont, dass Luther als Mönch nicht mit dem Keuschheitsgelübde in Konflikt geraten war: Monachus ego non sensi multam libidines. Pollutiones habui ex necessitate corporali. Mulierculas ne aspexi quidem, cum confiterentur. Nolebam enim nosse eorum facies, quas audiebam. Erphordiae nullam [in F oberhalb ergänzt; I.K.] Witebergae 3 tantum audivi.“748

Insofern diese Thematik bei der Erstellung des Grundstockes noch außen vor gelassen worden war, könnte sich hier eine zunehmende Sensibilisierung des Kreises um Weller aufgrund altgläubiger Verunglimpfungen Luthers als „eines reformatorischen Hurenbocks, Nonnenschänders und geilen Mönches“749

abzeichnen. Neben der Betonung der Keuschheit, wird im 32. Locus zudem eine Zurückweisung des Lasters der „gula“ greifbar. Bereits in den Grundstücken findet sich ein Apophthegma, in dem Luther vom gelegentlichen „trunck“ spricht: „Kann mir vnser Herr Gott das schenken, das ich Jm wol zwantzigk mal gecreuzigt hab vnd gemartert, so kann er mir wol zu gut halten, das ich anderweilen ein trunck thue, Jm zu ehren, Gott gebe, die welt lege es aus wie sie wil.“750

Vgl. z.B. COCHLAEUS, Commentaria, 32f.220.222 bzw. HERTE, Lutherkommentare, 290f. 747 Chart. A 402, fol. 101r bzw. WA.TR 1, 240,12f.25f. [Nr. 518]. 748 Chart. A 402, fol. 472r [WA 48, 392,24f.] bzw. WA.TR 1, 47,15–18 [Nr. 121]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 264r – auch dieses Apophthegma ist bereits bei Rörer am Rande mittels „Luth[erus]“ kategorisiert. 749 BRÜCKNER / GRUPPE, Sage, 285. Zur Entwicklung dieses Topos s. ebd., 285–288. S.a. LEPPIN, Polemik, bes. 510–513. 750 Chart. A 402, fol. 111r [WA 48, 394,20f] bzw. WA.TR 1, 60,34–37 [Nr. 139]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 266r. Dass die Rede vom „Kreuzigen und Martern Gottes“ auf die 746

272

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Insofern dort auf die „Auslegung“ der „Welt“ bzw. auf die Messe verwiesen wird, eignet diesem Stück selbst ein polemischer Impetus. So kann man dessen Rezeption seitens des „Wellerschen Kreises“ von hier zumindest mit motiviert sehen, d.h. als Zurückweisung kontroverstheologischer Vorwürfe der Trunkenheit Luthers.751 Insgesamt sind diese wenigen Indizien nicht überzubewerten. Ein Lob der „Moralität“ Luthers bildete nicht das Hauptinteresse des Kreises. Insofern wird man diesbezüglich nur bedingt von einer gezielten „Glorifizierung“ Luthers sprechen können, zumal ein „apologetischer“ Impetus mitschwingt. Ebensowenig ist eine besondere „Heroisierung“ Luthers plausibilisierbar. Letztlich ließ der Kreis um Weller altgläubige Angriffe auf Luthers Moralität weitestgehend ins Leere laufen, vergegenwärtigte Luther in dieser Hinsicht nicht als „Kämpfer“. Indirekt ist diese „stoisch“ anmutende Vorgehensweise als Ausdruck der „Monumentalisierung“ Luthers zu deuten. Als „Monument“ steht Luther für den Kreis über diesen Fragen. Dass der Kreis um Weller tatsächlich vorrangig auf eine spezifisch eng geführte „Monumentalisierung“ zielte, soll nun anhand der zeitgenössisch damit eng zusammenhängenden „dianoetischen“ Tugendhaftigkeit Luthers dargestellt werden. Schon ein erster Blick zeigt, dass diese im 32. Locus breit entfaltet wird. Differenziert wird so Luthers intellektuelle Bescheidenheit betont bzw. der theologische Lehrer enkomiastisch konturiert. Zumindest implizit erfolgt damit eine Abwehr kontroverstheologischer Vorwürfe, insofern Cochlaeus Luther in den Commentaria mit gelehrten, subtilen altgläubigen Denkern kontrastierte, um neben der moralischen auch Luthers intel-

Messe zu beziehen ist, macht Rörers Randbemerkung deutlich. Bei der verwirrenden Angabe von „zwantzigk mal“ dürfte es sich um einen Fehler des Schreibers handeln. Die Dietrichsche wie die Rörersche Tradition weisen hier eine Jahresangabe auf, bei Rörer nachträglich in roter Farbe von 20 Jahre auf 15 Jahre verkürzt. 751 Zum Vorwurf im Allgemeinen s. BRÜCKNER / GRUPPE, Sage, 284f. Bei Cochlaeus begegnet dieser Vorwurf z.B. in Gestalt einer Randglosse, mit der er seine Ausführungen zum Jahr 1522 nachträglich ergänzte: „Defecit anno 1546. subitanea morte crapulosus Luth⌊erus. Papatus stat usq⌊ue ad finem saeculi supra firmam petram: Cui portae inferi praeualere non poterunt“ (COCHLAEUS, Commentaria, 51 Randglosse). Nicht minder despektierlich findet sich dieser Vorwurf im von Cochlaeus – zusammen mit dem auf den Tod Luthers bezogenen Kapitel separat – publizierten vorgeblichen Bericht Landaus: „Ille ergo cannulam apponens, sensit in saccum clissterii exire quasdam ventositates et bombos; erat enim totum corpus refertum humoribus ex superfluo cibo potuque. habuerat enim coquinam magnifice instructam et vinum dulce atque exoticum permultis metretis abundans in hospitio. Aiunt sane, Lutherum omni prandio et coena unum ebibisse sextarium vini dulcis et exotici“ (zitiert nach SCHUBART, Berichte, 78,3–8).

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

273

lektuelle Depravation aufzuzeigen.752 Zugleich kodiert der Kreis um Weller so gezielt den für ihn so entscheidenden Aspekt des Lutherbildes, dem in besonderer Weise auch ein polemisches Moment innewohnt,753 für die „Mit- und Nachwelt“.754 Möglicherweise auch deshalb waren die dazu herangezogenen Apophthegmata von sehr grundsätzlicher Art. Bedingt eine Ausnahme stellt Luthers Lob von Johannes Brenz dar, dem neben dem bereits entfalteten melanchthonkritischen Subtext auch der Topos der Bescheidenheit eignet: „[…] adeo, ut saepissime spiritum illius [d.h. Brenz; I.K.] admirans de viribus meis desperaverim.“755

752 Vgl. KEEN, Introduction, 51: „Thus Cochlaeus’s Catholic contemporaries stand in contrast to Luther and his colleagues not only in purity of life but in learning and intellectual subtlety as well. Cochlaeus delights in the stark contrast; and, either implicitly or explicitly, a pious and erudite counterpart to Luther is present at every stage of the Commentary.“ Im Hintergrund steht die aus der Antike stammende Vorstellung eines engen Zusammenhangs von Ethos und Lehre (vgl. KURCZYK, Cicero, 123f.; KEEN, Introduction, 51; s.a. PHILIPP MELANCHTHON, Praefatio, 1. Juni 1546: CR 6, 161). 753 S. S. 180f. 754 Dafür spricht auch, dass er nicht den Weg der direkten Zurückweisung der Angriffe gewählt hat mittels Rezeption von Überlieferungen, in denen Luthers Intellektualität betont gerühmt wurde, wie z.B. den Leichenpredigten. Vgl. z.B. JONAS, Leichenpredigt, 36: „Von der Person hätten wir ja viel zu sagen, könnens nicht alles ausrichten, darum wollen wir hie geschweigen seins scharfen ingenii und trefflichen, scharfen hohen Verstands, den der liebe Vater D. Martin Luther seliger und christlicher Gedächtniß von seiner Jugend auf in seinem 18. und 20. jahr gehabt […]“ – als Zeugen werden im Folgenden Lang, Staupitz und Mellerstadt benannt. Ähnlich äußert sich auch Melanchthon in seiner sog. Historia Lutheri, insofern er zum einen betont, dass Luther in Schule wie Universität die Anderen überragt hätte und dann sein hohes Ansehen als Lehrender bezeugt (vgl. PHILIPP MELANCHTHON, Praefatio, 1. Juni 1546: CR 6, 157f.160f.). 755 Vgl. Chart. A 402, fol. 110v [WA 48,489,8–11] bzw. WA.TR 2,383,22–28 [Nr. 2261b]; 383,15–21 [Nr. 2261a]; Zitat: Chart. A 402, fol. 110v bzw. WA.TR 2,383,24f. [Nr. 2261b] – zur melanchthonkritischen Dimension s. S. 231f. Dieser Bescheidenheit korrespondiert, dass sich im 32. Abschnitt keine positiven Würdigungen von Luthers exegetischem Werk finden, mit Ausnahme des Apophthegmas, in dem die kurze Entstehungszeit der „Summarien über die Psalmen“ detailliert dargestellt wird, wohl um dies als außerordentliche Leistung zu verdeutlichen (vgl. Chart. A 402, fol. 115v [WA 48, 407,34] bzw. WA.TR 1, 175,13–16 [Nr. 404]; auch Rörer hat dieses Stück übernommen und „neutral“ mit „Summaria in psal:“ kategorisiert: vgl. Ms. Bos. q. 24c, 279r–v). Die zeitgenössische Deutung als „außerordentliche Leistung“ belegt Mathesius in den Lutherpredigten: „Im 32. jare gehen auch auß die Summarien vber den Psalter, welchs schoenes vnnd nuetzlichs buechlein der Doctor inn vier tagen fertiget, daran er des tages vier Seigerstunden schrieb, zwo vor essen, zwo nach essen […]“ (MATHESIUS, LH, 226,23–26).

274

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Argumentativ belastbarer sind jedoch in dieser Hinsicht die folgenden, grundsätzlicher ansetzenden Überlieferungstücke. Zunächst kann auf ein Apophthegma verwiesen werden, das sich neben FH nur im Wolfenbütteler Kodex Guelf. 20. 3. findet: „Lutherus dixit se multo doctiorem esse in iure quam in theologia. Nam optimus quisque iurista sua scientia nunquam tantas divitias comparare potest, quantas theologus, theologus verus, qui sua fide unico momento hanc domum auream potest efficere et impetrare omnia, quaecumque tandem vult.“756

Gerade mit Blick auf Cochlaeus ist das Proprium dieser Aussage zu schärfen. Gegenüber dem Vorwurf der „intellektuellen Depravation“ ließ der „Wellersche Kreis“ Luther selbst seine theologischen Kenntnisse relativieren und zugleich die alles übersteigenden Möglichkeiten des glaubenden „theologus verus“ aufzeigen. Vor diesem Hintergrund mag auch die Rezeption eines Apophthegmas in den 32. Locus zu begründen sein, in dem keine Aussage über Luther enthalten ist, dieser darin vielmehr den „assensus“ der „experientia“ in der Theologie vorordnet: „In natura experientia est causa, cur audiamus, et praecedit assensum; in theologia autem experientia sequitur assensum, non praecedit.“757

Dieses, Cochlaeische Angriffe zurückweisende Motiv der „Bescheidenheit“ wird zudem in zwei Nachtragsstücken vermittelt, jedoch ebenfalls mit bestimmten Zuspitzungen. Das eine Nachtragsstück nimmt seinen Ausgangspunkt bei Luthers „magna eruditio“ bzw. „cognitio“ und verbindet damit ein heilsgeschichtliches Moment: „Cum audiret se magnam eruditionem et cognitionem omnium rerum habere, dicebat se ignorare dialecticam et rethoricam [sic!]. Deus quid per me operatur. Sed dialectica est artifex adhibita ad alias artes. Eam perdidici iuuenis. Satan bene me novit et sciuit statim a puero ingenium meum et quoque amorem ad sacras literas, ideo odit me. Et hett mich offt gern vmbbracht, et non potuit. Jch hab mussen die sophisticam lernen sicut Daniel Chaldaicam et Ioseph Aegiptiacam li[n]guam.“758

Eingangs verneint Luther in diesem Überlieferungstück – wie in der Rörerschen Überlieferung, der F folgt, klarer zum Tragen kommt – dialektische und rhetorische Fähigkeiten und führt seine dianoetischen Kenntnisse allein auf Gott zurück. Sein trotz aller Bescheidenheit hohes Maß an Gelehrtheit, verbunden mit seiner Liebe zur Schrift, konterkariert nicht Chart. A 402, fol. 105v [WA 48, 691,29–33 [Nr. 7120]. Da dieses Apophthegma eine Parallele im Cod. Guelf. 20. 3. hat (vgl. WA.TR 3, 331,20–24 [Nr. 3464l]), wurde ihm von den Editoren zu Unrecht eine eigene Nummer zugewiesen. 757 Chart. A 402, fol. 114v [WA 48, 408,36f.] bzw. WA.TR 1, 183,25–28 [Nr. 423]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 282r. 758 Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 396,4f.] bzw. WA.TR 1, 68,29–69,2 [Nr. 143]; Ror Bos. q. 24c, fol. 266v. 756

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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nur kontroverstheologische Vorwürfe, sondern lässt Luther zudem zum göttlichen Werkzeug werden, wie nicht nur an seiner Feindschaft gegen den Teufel, sondern auch durch die biblischen Vergleiche in Bezug auf das Erlernen der Sprache des Feindes („sophistica lingua“) deutlich wird: Daniel, ein Prophet Gottes, war dessen Werkzeug in Babylonien, Joseph, der aufgrund Gottes Eingreifen vom Sklaven zum zweitmächtigsten Mann in Ägypten wird, ebendort. Das andere Nachtragsstück thematisiert Luthers Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Nutzen der „ratio“ im Bereich der Theologie. Insofern dieses Apophthegma aus der Dietrichschen Tradition von Anfang 1533 auf zwei unterschiedliche Loci verteilt wurde, verband der „Wellersche Kreis“ mit dem im 32. Locus aufgegriffenen Ausschnitt eine ganz bestimmte Aussage bezüglich des Lutherbildes, die eben vor dem Hintergrund der Freiberger Stadtschule aber auch des Cochlaeischen Vorwurfes besonders aufscheint: Ratio obsessa est a Diabolo, obest, et quo est beatior et felicior, eo magis nocet, sicut videmus in sapientibus viris, quia verbo, ratione dissentiunt; sed illustrata a Spiritu Sancto hilfft judicirn die heilige schrifft. Li[n]gua impii loquitur blasphemias, mea laudem Dei, et tamen est instrumentum in utroque est eadem li[n]gua. ante et post fidem, et lingua, in quantum li[n]gua, hilfft dem glauben nicht, et tamen dienet sie im, quando cor est illustratum. Sic etiam ratio dienet dem glauben, das sie einem ding nachdenckt, quando est illustrata; sed sine fide nihil prodest nec potest ratio, sicut li[n]gua sine fide meras blasphemias loquitur. Ratio autem illuminata accipit omnes cogitationes a verbo. Substantia manet vanitas, geht vnter, quando ratio illustratur a Spiritu Sancto.759

Als entscheidendes Kriterium für den Nutzen der „ratio“ wird die Inspiriertheit durch den Heiligen Geist („illustratus“; „illuminatus“) bzw. der Glaube („fides“) benannt. Wenn dann ausgeführt wird, dass die „lingua impii“ nur Blasphemisches äußert, Luther („lingua mea“) aber Gotteslob, dann wird eben diese Illumination für Luther in Anspruch genommen. Ähnliches gilt, wenn am Ende die illuminierte ratio an das Wort gebunden wird. Chart. A 402, fol. 114v [WA 48, 409,25f.] bzw. WA.TR 1, 191,23–34 [Nr. 439]; Ror Bos. q. 24c, fol. 281v; WA.TR 3, 104,24–105,10 [Nr. 2938a] bzw. 105,11–106,10 [Nr. 2938b]. Die Dietrichsche Tradition weist statt „impii“ mit Cochlaeus einen der schärfsten Gegner Luthers auf (WA.TR 1, 191,26 [Nr. 439]). Zudem wird das Reden von Blasphemischen mit Verweis auf Herzog Georg konkretisiert: „[..] sicut videmus in duce Geor⌊gio“ (WA.TR 1, 191,32f. [Nr. 439]). Da beide Abgrenzungen bereits in der Rörerschen Tradition fehlen, lagen diese dem Kreis um Weller wohl nicht vor. Während die überarbeitete Cordatische Tradition (Nr. 2938a) eine noch mehr ins grundsätzliche gesteigerte theologische Abhandlung bietet, pointiert der andere Überlieferungsstrang die Inspiration Luthers: „Ita deinde lingua, quae prius erat impia et blasphema, praedicat et laudat Deum et gratiam eius. Ita mea lingua alia est quam olim [in Halle konkretisiert mit: „in papatu sub erroribus“; I.K.]; itzt ist sie erleuchtet“ (WA.TR 3, 105,21–23 [Nr. 2938b]). 759

276

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Dieses auch apologetisch motivierte Interesse an Luther als „bescheidenen“ und dennoch besonders „qualifizierten“ Theologen kann des Weiteren mittels Apophthegmata plausibilisiert werden, nach denen Luther eine über das Wort Gottes hinausgehende Offenbarungsquelle ablehnte. Das erste stammt aus der Rörerschen Überlieferung: „Oram Deum, ut non det mihi somnia, quae sunt valde dulcia et fallacia, neque ostendat angelos. Jch kan jr nicht gewarten neque opus habeo, quia Deus dedit mihi verbum suum, ei adhaereo.“760

Dass es dem „Wellerschen Kreis“ um Luthers Konzentration auf das Wort als Erkenntnisquelle ging, macht der Vergleich mit der Cordatischen Tradition deutlich. Dort liegt der Akzent auf den Träumen, Engeln und Zeichen – zurückgebunden an den Teufel: „Rogavi Deum, ne det somnia fallacia et dubia et ut non ostendat Angelos aut signa, quia ich kan yhr nicht gewarten, neque opus habeo, quia verbum habeo. Et Diabolus valde fatigat homines somniis.“761

Mit demselben Ziel der Konzentration wurde vermutlich auch der Schlussteil gegenüber der pleonastisch anmutenden Rörerschen Vorlage redaktionell überarbeitet.762 Die Wichtigkeit dieser Aussage wird zudem daran deutlich, dass bereits auf der Foliorückseite vom Kreis um Weller ein zweites, inhaltlich vergleichbares Stück übernommen wurde. Erneut folgt F der Rörerschen Überlieferung: „Christus semel venit in terram et apparuit. Non peto, ut redeat nec cupio, ut angelum mihi mittat, et si veniret, non ei crederem.“763

Während in der Dietrichschen Überlieferung als Ausgangspunkt zunächst der Verweis auf Luthers „symbolon“ steht, expliziert als das klassische Credo,764 wird in F sogleich die Inkarnation Christi als Erkenntnisgrund festgehalten. Spekulationen über die Parusie werden ebenso abgelehnt wie Engelsbotschaften als neue Erkenntnisquelle. Im Hintergrund scheint Gal 1,6–9 auf, wo die Verfälschung des Evangeliums durch andere „Apostel“ oder gar Engel zurückgewiesen wird. Dass der Kreis um Weller die lobende Erhöhung Luthers zugleich polemisch motiviert für die „Mit- und Nachwelt“ kodieren wollte, soll ab760 Chart. A 402, fol. 103r [WA 48, 430,20–23] bzw. WA.TR 1, 382,10–14 [Nr. 801] = Ms. Bos. q. 24f, fol. 186r; 3,157,1–4 [Nr. 3049]. 761 WA.TR 3, 157,1–4 [Nr. 3049]. 762 Vgl. WA.TR 1, 382,13f. [Nr. 801]: „[…] quandoquidem Deus dedit mihi verbum suum, quod nunc habeo; huic ego adhaerebo et credam.“ 763 Chart. A 402, fol. 103v [WA 48,420,30f.] bzw. WA.TR 1, 287,3–6 [Nr. 610]; Ms. Bos. q. 24F, fol. 241v. 764 Vgl. WA.TR 1, 287,3 [Nr. 610]: „Jch hab mein symbolum: Credo in Deum Patrem etc.“

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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schließend mittels eines Nachtragsstücks plausibilisiert werden. Dieses ist zwar nicht mehr auf Luthers dianoetische Tugendhaftigkeit im engen Sinne bezogen, doch legt es nahe, dass bei Konturierung des bescheidenen „Theologen“ Luthers auch die kontroverstheologische Frage nach dessen Legitimation mitgeschwungen hat: „Si mortuos excitarem, darfur mich Gott behute, tamen propter odium in me papistae non crederent mihi.“765

Wenn Luther nach diesem aus der Dietrichschen Überlieferung von Anfang der 1530er Jahre übernommenen Apophthegma die Auferweckung eines Toten nur ablehnt, aber nicht als ihm unmöglich auszeichnet, dann konvergiert dies exakt mit Äußerungen Wellers, nach denen Luther diese Gabe zwar nicht erstrebt, dennoch aber solche „Wunder“ vollbracht habe.766 Insofern wird hier erneut die „Bescheidenheit“ des außerordentlichen Theologen, diesen monumentalisierend, vergegenwärtigt. Die im zweiten Teil des Apophthegmas wiedergegebene Aussage, dass selbst eine „Totenauferweckung“ die „Papisten“ nicht überzeugen könne, verleiht dem Ganzen eine kontroverstheologische Dimension.767 Implizit werden so altgläubige Forderungen nach einem die Lehre legitimierenden Zeichen zurückgewiesen.768 Im Unterschied zu Mathesius, der einige Jahre später 765 Chart. A 402, fol. 115v [WA 48,386,23–25] bzw. WA.TR 1, 11,1f. [Nr. 30]; Ms. Bos. q. 24f, fol. 247v. 766 Vgl. z.B. den Hinweis auf das lebenverlängernde Gebet für Friedrich Mykonius (vgl. WELLER, Opera, I, 333; II, 180a; III+IV, 169) bzw. die Selbstbeschränkung Luthers auf die Prophetie bei gleichzeitiger Bezeugung von erfolgten Auferweckungen (vgl. WELLER, Opera, III+IV, 169: „Memoria teneo, illum [d.h. Lutherum; I.K.] aliquando dicere se nunquam induxisse animum a DEO petere donum excitandi mortuos, & similia faciendi miracula, nec dubitare se, quin hoc a DEO potuisset impetrare, sed noluisse, contentum se esse dono prophetiae, quo ornatus esset a Domino multo cumulatius, quam ausus fuisset optare, nedum ab ipso petere & addere, se duos mortuos excitavisse, quorum alter fuit D. Philippus Melanchthon, alter pia quaedam matrona. Haec cum ex ipsius ore audiverim, non veritus sum huc aspergere“). 767 Dies wird dadurch verstärkt, dass F mit der Rörerschen Überlieferung am Ende ein „mihi“ ergänzt. Dadurch wird das allgemeine Nichtglaubenwollen auf die Person bzw. die Lehre Luthers zugespitzt. 768 Die kontroverstheologischen Angriffe können wiederum an Cochlaeus verdeutlicht werden. Dieser hatte bereits in Worms die Frage nach der Legitimation von Luthers Lehre forciert eingebracht, wie er in dem erst 1540 veröffentlichten Bericht im Rahmen des dort wiedergegebenen Dialogs schildert: „‚Ecqui tibi credat reuelatum esse? quo probas miraculo? aut quo id ostendis signo? […]ʻ“ (COCHLAEUS, Colloquium, 195). Die Frage stand seitdem im Raum und harrte der Beantwortung, zumal Cochlaeus auch in den Commentaria gezielt Aussagen aus Luthers Schriften sammelte, in denen dieser sich auf eine besondere Offenbarung und damit auf eine besondere Legitimation seiner Lehre berief (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 52f.111 bzw. HERTE, Lutherkommentare, 254f.; SCHEYDER, Humaniste, 394–397). Zudem verwies er

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

in seinen Lutherhistorien darauf verweisen wird, dass ein solches „Zeichen“ nicht nötig sei, da es sich bei Luthers Lehre um keine neue Lehre handle, hätte der Kreis um Weller Luther indirekt verteidigt.769 2.3.2.

Luthers „Märtyrertum“

Als zweiter Aspekt der Frage nach der memorialen Erhöhung Luthers soll nun analysiert werden, inwiefern der Kreis um Weller mittels der im 32. Locus gesammelten Apophthegmata auch die Vorstellung eines „Märtyrertums“ vergegenwärtigte. Dazu ist es nötig, den Begriff „Märtyrer“ nicht in religionsgeschichtlicher Perspektive eng geführt zu verwenden.770 Diese „Unschärfe“ hat ihren zeitgenössischen Anhalt z.B. in Spangenbergs Predigtzyklus, insbesondere der Zehend[en] Predigt, bzw. Rabus Historien771 sowie Mathesius Lutherhistorien. Letzterer bietet in der 15. Predigt vom 18. Februar 1564 eine längere Abhandlung darüber, inwiefern Luther als „Märtyrer“ zu verstehen sei und rekurriert dabei auch – wie noch auszuführen sein wird – summarisch auf Apophthegmata, die auch in F greifbar sind.772 Dieses zeitgenössische Märtyrerverständnis kann exemplarisch anhand folgender Aussagen von Mathesius umschrieben werden: „Wir haben aber im anfang gedacht, das grosse liechter vnd seulen der Christenheyt jre, zwar Gottes, lehre auch mit jrem eygnen blut bestettigen vnd bekrefftigen, welches ein schöne Rubricken oder Presilgen ist, damit man Gottes wort illuminirt, vnterzeucht vnd bekrefftiget. War ists, vnser Doctor ist in guter ruhe vnnd ehrn sein sanfft eingeschlaffen […]. Alle Christglaubigen müssen merterer sein vnnd ihr Creutz haben, aber alle durffen ihr blut nicht vergiessen […]. Ein starck vnd Christlich Confession vnnd bekendtnuß vom Herrn Christo vnd seine versönblut ist weyt ober aller merterer vnd sonderlich uber stummer heyligen blut […]. Ob nun wol Teufel vnnd welt diesen unsern gesalbten Gottes [d.h. Luther; I.K.] nicht hat antasten vnd vmbbringen können, ist er gleych wol auff erden nicht allzeyt stets auff rosen gangen.“773

dort nicht ohne Ironie auf einen gescheiterten Versuch Luthers, seinen in der Elbe ertrunkenen Freund (und Gegner Cochlaeus’) von den Toten aufzuerwecken: „[…] ut ipsemet diceret suo Neseno (quem postea in Albi misere submersum, spe miraculi, uanis immurmurationibus frustra in uitam reuocare tentauit)“ (COCHLAEUS, Commentaria, 75f.; auf Nesens Tod verweist Cochlaeus auch ebd., 39.145 – vgl. HERTE, Lutherkommentare, 290.327). 769 Vgl. Mathesius, LH, 385,7–11 bzw. VOLZ, Lutherpredigten, 63. Zur Thematik s.a. BRÜCKNER / GRUPPE, Sage, 288; PREUß, Prophet, 150–153. 770 Zur den aus religionsgeschichtlicher Perspektive typischen Kriterien des Märtyrers s. GERLITZ, Martyrium, 197. Diese werden stärker in Bezug auf die „LauterbachHänelsche Tradition“ in den Blick zu nehmen sein (s. Kapitel III 2.1.3). 771 Vgl. SPANGENBERG, Zehende Predigt bzw. RABUS, Historien, fol. ir–cccxliiijv – zur Thematik s. KOLB, Saints, bes. 107–115. 772 Vgl. Mathesius, LH, 380,25–384,30, bes. ebd., 383,20–384,13. 773 Mathesius, LH, 380,25–31; 381,33–382,2.5–7.25–27.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Diesen zeitgenössischen Hintergrund aufgreifend, wird bei der Frage nach einer – in unterschiedlichem Maße polemisch konnotierten – „Erhöhung“ Luthers als Märtyrer, dessen Leiden unter der „welt“ bzw. unter dem „teufel“ sowie das Bekenntnis der wahren Lehre besonders in den Blick zu nehmen sein. Angeklungen sind diese Motive bereits im Rahmen der Ausführungen zur heilsgeschichtlichen Deutung von Luthers Tod774 sowie im Kontext der Etablierung Luthers als Exempel des Umgangs mit dem „täglichen Creutz und Anfechtung“, insbesondere den Ausführungen zur „Schwäche“ Luthers.775 Wenn mit ersterem heroisierende Tendenzen, mit zweiterem das Interpretament der „Monumentalisierung“ verbunden wurde, wird eine Affinität dieses Aspektes zu beiden historiographischen Deutungsansätzen angedeutet. In den folgenden Analysen werden darauf aufbauend Apophthegmata des 32. Locus ausgewertet, in denen erstens in besonderer Weise Nachstellungen von Menschen bzw. zweitens Angriffe des Teufels thematisiert werden. Hinzu kommen drittens die auf Luthers Zeugnis vor Cajetan bezogenen Apophthegmata. Die Vorstellung eines „Märtyrertums“, das auf Nachstellungen menschlicher Gegner beruht, kann durch Apophthegmata des 32. Locus plausibilisiert werden, die von Meuchelmördern, Giftanschlägen und Bestechungsversuchen berichten.776 Ein Teil derselben geht auf eine kleine Zusammenstellung autobiographischer Stücke durch Rörer zurück, die oftmals Dubletten darstellen, von Kroker als wahrscheinlich nicht der Mathesischen Tradition zuzurechnend kategorisiert.777 Dennoch findet sich eine Art „summarische Zusammenfassung“ dieser Apophthegmata in der eingangs bereits angeführten „Abhandlung“ der 15. Predigt der LuS. II 2.1.1. S. II 2.2.1. In den diesbezüglich ausgewerteten z.T. sehr langen Berichten von Luthers Erkrankungen kann das Märtyrer-Motiv sogar im klassischen Sinne explizit anklingen (vgl. Chart. A 402, fol. 111v [WA 48, 600,17] bzw. WA.TR 5, 97,13f. [Nr. 5368] = Ms. Bos. q 24s, fol. 411r – Luthers im Kontext seiner schweren Erkrankung von 1537 geäußerten Wunsch, Gott möge ihn lieber durch den „Türken“ sterben lassen; Chart. A 402, fol. 107r–v bzw. WA.TR 3, 88,4–6 [Nr. 2922b] – Luthers 1527 geäußerter Wunsch, lieber für das Wort Gottes zu sterben als zu Hause im Bett). Diese kurzen Anklänge sind jedoch in Bezug auf den „Wellerschen Kreis“ kaum argumentativ belastbar. 776 Einen hier nicht weiter zu berücksichtigenden Sonderfall stellt das Nachtragsstück dar, in dem eine lebensbedrohende Schwertverletzung geschildert wird, die Luther sich – so kann vom erzählerischen Rahmen gefolgert werden – noch vor seinem Klostereintritt auf den Weg nach Hause unabsichtlich selbst zugefügt habe (vgl. Chart. A 402, fol. 471v–472r [WA 48, 392,11–20] bzw. WA.TR 1, 46,18–26 [Nr. 119]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 263v). 777 Vgl. WA.TR 5, XIII. In F übernommen wurden in derselben Reihenfolge die Apophthegmata 5368–5370 (Chart. A 402, fol. 111r–112r). 774 775

280

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

therhistorien,778 so dass zeitgenössisch gerade auch in F aufgenommene Überlieferungsstücke als Beleg für Luthers Märtyrertum angesehen wurden. Diesen eignet aber über die Mathesische Zusammenfassung hinaus ein polemischer Subtext, insofern durch diese zugleich die Schlechtigkeit der Gegner betont wird, gezielt solcher Widersacher, die aktuell im Fokus des Wellerschen Kreises standen. Das erste diesbezüglich zu analysierende Apophthegma weist eine kompliziertere Überlieferungsgeschichte auf. Prinzipiell lag es dem Kreis um „Weller“ in Gestalt von zwei verschiedenen „Überlieferungen“ vor [Nr. 5369 in; 2501b in], die thematisch weiter untergliedert sind und sich nur in diesem Unterpunkt überschneiden, d.h. dem Dialog Luthers mit einem potenziellen „Attentäter“ bzw. vorgeblichen Kanzler des Kaisers. Insofern in F nur eine der dem Kreis vorliegenden Versionen aufgegriffen wurde, d.h. die von Rörer überlieferte und dort mit „De Insidiis“ kategorisierte [Nr. 5369], von dem anderen Apophthegma aber der thematisch verschiedene zweite Teil [Nr. 2501b extr.],779 fand hier eine bewusste Auswahl statt, die im Folgenden von den Erinnerungsinteressen des „Wellerschen Kreises“ her plausibilisiert werden soll. Chart. A 402, fol. 111v–112r [WA 48,600,19–22]

WA.TR 5,97,19– 98,3 [Nr. 5369 in] = Ms. Bos. q. 24s, fol. 411v

WA.TR 2,494,20–27 WA.TR 2,494,1–8 [Nr. 2501a in] [Nr. 2501b in]

Quidam huc venit post mortem Maximiliani, qui dicebat se esse Cancellarium caesaris. Is me excepit aliquoties in itinere reducem ex collegio et petijt colloquium. Ego duxi eum in meum vaporarium. Tunc ille ad me: Herr Doctor, wie mocht ir so kuhn sein vnd Jederman die handt bieten? Wie leicht kondt

De insidiis. Quidam huc venit post mortem Max⌊imiliani imp⌊eratoris, dicebat se esse cancellarium caesaris. Is me excepit aliquoties in itinere reducem ex collegio et petiit colloquium. Ego duxi eum in meum vaporarium. Tunc ille ad me: Herr Doctor, wie mögt ir so küne sein vnd iederman die hand bieten? Wie leicht kunde

Anno 1519. venit quidam porrigens Luthero manus, quem excepit Doctor ducens eum ad habitationem suam.

Anno 19. venit quidam ad me, cui statim manum dedi, et cum eum ad habitationem meam ducerem,

Et dixit: Mein lieber Her Doctor, mich wundert, das ihr einem jglichen die hand so baldt raichet; wie, wenn

dixit ille: Mein lieber Her Doctor, mich wundert, das yhr idem die hand ßo palt reicht; wie, wen euch einer mit

778 779

Vgl., LH, 383,20–384,13 bzw. S. 278. S. S. 285.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“ einer ein buchssen in der handt haben vnd ein kuglein in euch gehen lassen. Respondit Doctor: Wie wolt einer dauon kommen? Er muste sein leib auch dagegen setzen! Respondit: Wenn ich schon darumb keme, so machte mich der Bapst zu einem heiligen vnd geb euch dem Teuffel!

einer ein buchsen im ermel haben vnd ein kugel in euch gehen lassen Respondit Doctor: Wie wolt einer dauon komen? Er muste dennoch sein leben auch dran setzen! Respondit ille: Vnd wenn ich schon druber vmbkeme, so machet mich der bapst zu einem heiligen vnd gebe euch dem Teuffel! Deinde metui ipsum Ibi, inquit Doctor, et vocavi Vuolfgan- metui ipsum et gum, ministrum vocavi Vuolfganmeum. Sed brevi gum, ministrum abiit a me et ex meum, sed mox urbe. exiit a me et urbe.

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euch einer mit einer khugel erschosse? Ego iam sum solus vobiscum. Dixi Doctor: So mustet ihr auch sterben!

einer buchsen erschosse? Ego iam sum solus vobiscum. Respondit Doctor: Szo mustet yhr auch sterben!

Respondit ille: Wenn das geschehe, so mocht mich der pabst zwm heiligen vnd euch zwm khetzer.

Tum ille: Wen das geschehe, ßo macht mich der bapst zum heiligen vnd euch zu einem ketzer.

His auditis accersebat Lutherus Wolffgangum, famulum suum, et sic ille abiit mox e civitate.

His auditis accersivi Bolffgangum meum, et ille mox abiit ex civitate.

Die Synopse zeigt, dass F der auf Sommer 1540 (?) zu datierenden Rörerschen Version folgt und nicht der Lauterbachschen [Nr. 2501b in] bzw. der Cordatischen [Nr. 2501a in] von Anfang 1532.780 Diese verzichtet zwar auf eine Jahresangabe, doch wird das Ereignis durch den Hinweis auf den Tod Kaiser Maximilians I., der am 12. Januar 1519 gestorben war, ins selbe Jahr datiert. Offen bleibt bei diesen Schilderungen, ob es sich tatsächlich um einen Attentäter gehandelt hat. Zu den entscheidenden Propria der vom „Wellerschen Kreis“ gewählten Variante gehört, dass der potenzielle „Attentäter“ als kaiserlicher Legat ausgegeben wird; zugleich wird – in allen Varianten – der Papst disqualifiziert, der einen beim Attentat auf Luther Umgekommenen in den Stand eines Heiligen erheben und Luther dem Teufel übergeben bzw. zum „Ketzer“ erklären würde. Zudem wird eine Angst und damit Schwäche Luthers berichtet, die dem Wellerschen Fokus entsprechend verdeutlicht, dass Luther nicht auf „Rosen“ gegangen ist. Doch ist die in F greifbare Fassung durch einen Vergleich mit späteren Rezeptionen in ihrer Besonderheit weiter zu konturieren. Im ersten Band von Aurifabers Eislebener Ausgabe wird diese „Begebenheit“ eingeführt als Dass F die Lauterbachsche Variante [Nr. 2501b in] vorgelegen hat, zeigt die Rezeption des zweiten Teils (s. nochmals S. 285). 780

282

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

„Historien / Wie man D. M. Luther mit Listen hat wollen umbringen und Toedten / anno 1520, von im selbs zu Eisleben Anno 1546 erzelet.“781

Datierung und Lokalisierung überraschen, zumal die Fassung Aurifabers gewissermaßen eine rein deutschsprachige Mischfassung darstellt.782 Zwar könnte Luther das Ganze ein drittes Mal erzählt haben, doch erscheint es wahrscheinlicher, dass Aurifaber die Fiktion erzeugen wollte, er wäre als Ohrenzeuge anwesend gewesen. Dafür spricht, dass der Dialog noch ausgeschmückter erscheint. Am prägnantesten ist der neue Schluss: Luther ruft nicht nur seinen Diener und der „Attentäter“ verlässt Haus und Stadt, sondern es folgt noch das abschließende „Iudicium D. Luthero“ – wie am Rand hervorgehoben wird: „Diesen hat der Doctor fur einen Verreter und Moerder gehalten / das er abgefertiget sey / jnen umbzubringen / Aber Gott habe jme dem mut genomen das er nichts hat koennen ausrichten.“783

Das, was in den vorangegangenen Fassungen höchstens im Hintergrund mitschwang, die wunderbare Errettung des Mannes Gottes durch göttliches Eingreifen, wird nun ausdrücklicher Fokus. Noch stärker verlagert Mathesius den Akzent in den Lutherhistorien: „Son hat man ein außlender in seiner Kuche ergriffen, und ein fremdling sol ein Zuendbuechsen im ermel getragen und ihn fuerm Kloster angesprochen haben, warumb er so allein gehe. Ich stehe inn Gottes handen, sprach Doctor, der ist mein schutz unnd schirm, was kan mir ein mensch thun; drueber sey der bestelte meuchelmoerder erblasst unnd mit zittern zum thor hinauß gangen.“784

Aus der Warnung des „Kanzlers“ wird nun eine konkrete Bedrohung durch einen bewaffneten Fremdling. Zudem ruft Luther nicht verängstigt seinen Diener, sondern vertreibt den Angreifer durch seinen standfesten Glauben. Der Papst – und Kaiser – sind nicht mehr im Blick. Dass Aurifaber wie Mathesius sich für ihre Deutung bedingt auf den zweiten Teil des Apophthegmas berufen könnten, in dem ähnlich unbestimmt vor einem Giftanschlag gewarnt wurde und Luthers Glaube und das göttliche Eingriffen („perterrefactus“) zumindest angedeutet wurden, ändert an der Ausrichtung des ersten Teils wenig, zumal in F auch der zweite Teil redaktionell dem antipapalistischen bzw. antikaiserlichen Duktus zugeord-

EislA 1, fol. 24v–25r. 24v. Es liegt aufgrund seiner breiten Rezeption von Halle nahe, dass er dazu neben F nicht direkt auf die Cordatische bzw. Lauterbachsche Tradition (WA.TR 2, 494,1–8 [Nr. 2501a in] bzw. 494,20–27 [Nr. 2501b in]), sondern auf die dort greifbare, spätere Überlieferung zurückgegriffen hat. Zur Variante von Halle s. S. 347–350 783 EislA 1, fol. 25r. 784 Mathesius, LH, 383,24–30. 781 782

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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net bleibt.785 Dies gilt mit gewissen Abstrichen auch für das anschließende Apophthegma. Dieses ist im Kodex durch eine freie Zeile als eigenständig abgetrennt und zudem bereits bei Rörer gemeinsam mit dem vorangehenden Stück greifbar. Die Verbindung dürfte primär über die Thematik der „Giftanschläge“ auf Luther zu begründen sein, wie auch die Randbemerkung Rörers „De veneno“ nahelegt. Insofern liegt der Fokus vorrangig auf der permanenten Bedrohung und Luthers Leiden unter gegnerischen Giftanschlägen, was zudem die Eröffnung des Apophthegmas zeigt: „Credo me saepissime venenum bibisse, sed semel certissime bibi.“786

Es folgt eine sehr körperbetonte und detailreiche Schilderung der Auswirkungen des Giftes, die eine tatsächliche Vergiftung, eventuell mit Sulfur, nicht unwahrscheinlich erscheinen lässt. Am Ende steht jedoch ebenfalls die Umkehrung der gegnerischen Intrige in ein positives Wirken Gottes an Luther: „Jch gleube, Gott dachte: Sie wollen Jme vergeben, so wil ichs Jm zu einer purgation machen […].“787

Auch in diesem Fall verdeutlicht der Vergleich mit Mathesius das „Wellersche“ Proprium.788 Während in F der Akzent auf der von Gott vereitelten Nachstellung seitens der Gegner liegt („vergeben“ im Sinne von „preisgeben“789), nimmt Matthesius eine hagiographische Umdeutung vor, die gezielt vorbereitet worden war. So ist im Vorspann nicht mehr von Luthers Vermutung, er sei oftmals vergiftet worden, die Rede, sondern von dessen wundersamer Immunität gegen Vergiftungen. Nach der (geschön785 Chart. A 402, fol. 112r [WA 48, 600,21f.]: „Sic duo venerunt in culinam et dixerunt: Edit Doctor ex communi cibo? Respondit coqua: Sic! Tunc illi: Id non facere deberet; facile potest cibus infici. Sed doctor subiunxit: Ego credo plerosque ui [verbessert in ‚eaʻ; I.K.] gratia huc missos, ut me interficerent, sed perterrefactos esse, ut nihil ausi sint facere“ bzw. WA.TR 5, 98,4–8 [Nr. 5369]; Ms. Bos. q. 24s, fol. 411v. Evtl. wird in dem soeben zitierten Ausschnitt aus der 15. Predigt eingangs mit dem in Luthers Küche ergriffenen „außlender“ auf diesen zweiten Teil des Apophthegmas angespielt (vgl. Mathesius, LH, 383,24f.; Zitat: s.o.). 786 Chart. A 402, fol. 112r [WA 48, 600,25] bzw. WA.TR 5, 98,10–18, 10f. [Nr. 5370]; Ms. Bos. q. 24s, fol. 411v–412r. 787 Chart. A 402, fol. 112r [WA 48, 600,25] bzw. WA.TR 5, 98,16–18 [Nr. 5370]; Ms. Bos. q. 24s, fol. 411v–412r. 788 Auch dieses Stück hat Aurifaber in die Eislebener Ausgabe aufgenommen. Es bildet dort den Abschluss der Sequenz, die „Listen“ gegenüber Luther bietet. Erneut datiert er es auf 1546, bleibt aber nahe am „Original“, mit Ausnahme, dass er bei den körperlichen Reaktionen die „pollutiones“ wohl aufgrund Anstößigkeit auslässt, so dass seine Fassung wenig dazu beiträgt, das „Wellersche“ Proprium zu erhellen (EislA 1, fol. 26r). 789 StA 6,168.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

ten) Schilderung der körperlichen Reaktionen auf die Vergiftung wird Mk 16,18 als Interpretament herangezogen, so dass Luther auf eine Stufe mit Aposteln und von dort implizit Heiligen wie Benedikt von Nursia790 gestellt wurde: „Ich hab ihn auff ein zeyt gefragt, ob ihm nie gifft beygebracht sey. One zweyffel, sagt er. Ein grosse person hat sich vernemen lassen, es woelle keins an mir wircken […]. Das dienet mir zur guten und starcken purgation, drauff ich zu morgens sehr lustig und gesund ward. Des mals hab ich gewißlich ein starck gifft bekommen. Aber, der da spricht, wenn sie etwas toedtlichs trincken, wirdts ihnen nicht schaden [Mk 16,18; I.K.], der hat sein segen drueber gesprochen und mich diß unnd andermal auß allem unglueck errettet.“791

Diese hagiographische Deutung Luthers lag F noch fern. Der „Wellersche Kreis“ fokussierte sich auf Luthers (körperliches) Leiden an der gegnerischen Intrige und das der Schlechtigkeit der Gegner entgegengesetzte göttliche Handeln. Stärker kann der zusätzliche, aktualisierend-polemische Subtext anhand des Apophthegmas aufgezeigt werden, von dem der Kreis um „Weller“ nur den zweiten Teil rezipierte, da er den ersten Teil in der Rörerschen Version übernommen hatte.792 In diesem wird von einem gedungenen Meuchelmörder berichtet, der dann aber unverrichteter Dinge wieder abgezogen sei. Im Hintergrund dieses Apophthegmas scheint u.a. die „Geschichte“ vom jüdischen Mordanschlag auf Luther seitens eines polnischen Juden auf.793 So berichtet Luther in einem Brief an Amsdorf vom 23. Januar 1525, dass bei ihnen in Wittenberg ein polnischer Jude weile, der ihn als gedungener Mörder vergiften solle, wie Luther von Freunden gewarnt worden sei.794 Dieser Briefausschnitt weist eine gewisse Nähe zu dem im 32. Locus von F enthaltenen Apophthegma auf, jedoch ist dort wie in den entsprechenden Parallelen nicht davon die Rede, dass es sich bei dem Meuchelmörder um einen Juden handeln solle: 790 Vgl. die Schilderung des Giftanschlags auf Benedikt von Nursia durch die Mönche von Vicovaro in Gregors zweitem Buch der Dialoge, nach der der Giftbecher zersprungen wäre, als Benedikt das Kreuzzeichen darüber schlug (vgl. GREGOR DER GROßE, Dialoge, II, 3,4). 791 Mathesius, LH, 383,31–33; 384,8–13. 792 S. S. 279f. Inhaltlich ist dieses bereits in Bezug auf Melanchthons astronomische Neigungen in den Blick geraten (s. S. 231). 793 Zu diesem Komplex s. SCHUBERT, Mordanschlag. Dieser zeigt auf, dass hier der Besuch des italienischen Astrologen Luca Gaurico im Hintergrund stehen dürfte (s. SCHUBERT, Mordanschlag, 56–60). Die Fassung von F wurde in dieser intrikaten Studie noch nicht berücksichtigt. 794 Später berichtet Luther dann an Spalatin (11. Februar 1525) von mehreren Juden, die ihn vergiften hätten wollen (WA.B 3, 439,3–8 [Nr. 829]). Näheres hierzu: s. WA.B 3, 429 Anm. 15.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

285

WA.B 3,428,14–17 [Nr. 821]

Chart. A 402, fol. 112v–113r [WA 48,495,9–18]

WA.TR 2,494,28– 495,10 [Nr. 2501b extr.]

WA.TR 2,494,9–19 [Nr. 2501a extr.]

Est hic apud nos Iudaeus Polonus, missus sub pretio 2000 aureorum, ut me veneno perdat, ab amicis per literas mihi proditus. Doctor est medicinae et nihil non audere et facere paratus incredibili astutia et agilitate, quem hac hora iussi capi; nescio, quid adhuc futurum sit.

Sic venerunt literae Luthero ex Vratislauia, quendam venturum ex polonia, cui promissi essent 4000 fl, si veneno Lutherum interficeret; et ita eum descripserunt, ut eum optime nosceret. Et erat doctor ille Polonus callens plures linguas, etiam Turcicam, optimus astrologus, quem Philip⌊pus admirabatur.

Sic venerunt literae ex Vratislauia venturum quendam ex Polonia conductum 4000 fl., si Lutherum veneno interficeret; et ita eam personam depinxerunt, ut eum statim nosceret. Et fuit ille doctor Polonus callens plures linguas, etiam Turcicam, optimus astrologus, quem Philippus admirabatur.

Sed Deus eum custodivit. Is semper cum Luthero ludens jm schacht, sed tandem noluit; quia sensit se esse suspectum de sua malitia, abiit clam et veniens ad marchionem iuniorem hat sich bey jm lassen ansagen. Respondit princeps: Last jn jmmer weggehen; es ist, der D. Martinum hat sollen vorgeben. Et sic pudefactus abiit. Ita et Lipsiae sibi factum esse dicebat Luth⌊erus addens: Jch gleube, das der predigstuhl vnd die lehne offt vorgifft sey; noch hat mich vnser Herr Gott behut.

Sed Deus Doctorem custodivit. Nam is libenter cum Doctore lusisset in scacco, sed nolebat. Tandem animadvertens se esse suspectum de sua malitia, abiit et veniens ad marchionem iuniorem hat sich lassen bei im ansagen. Respondit princeps: Ey, last in immer hin weg; es ist, der Doctori Martino hat sollen vergeben. Et pudefactus abiit. Ita et Lypsiae factum est.

Item literae veniebant mihi ex Vratislavia quendam futurum, qui me veneno esset interfecturus; cui Poloni quatuor milia promisissent aureorum. Et ita illum mihi describebant, ut optime noscerem eum. Erat autem doctor Polonus, peritus multarum linguarum, optimus astronomus, quem Philippus admirabatur. A quo etiam ipso me Deus custodivit. Is mecum libenter lusisset im schacht, sed ego nolui. Tandem animadvertens se esse suspectum, clam abiit et venit ad iuniorem marchionem hatt sich bey yhm lassen ansagen, sed respondit: Ey, last yhn ymer hinwege; er ist, der D⌊octor Martin hatt sollen vergeben. Et pudefactus etiam hic abiit. Ita et Lypsiae factum est.

Et deinde dixit: Jch glaub, das mein predigstul vnd die lene offt vergifftet sei; noch hat mich Got erhalten.

Deinde: Jch gleub, das mein predigstul offt vergifft wird; noch hatt mich Gott erhalten.

286

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

F konvergiert hier mit der in der Lauterbachschen Überlieferung greifbaren Version [Nr. Nr. 2501b], in der Luther in der dritten und nicht wie in der Cordatischen Parallele [Nr. 2501a] in der ersten Person zu Wort kommt. Inhaltlich bezeugt dieses Apophthegma ein „Märtyrertum“ Luthers im zeitgenössisch weiten Sinne. Die polemische Zuspitzung in F wird insbesondere durch die Redaktion greifbar. Unmittelbar vorangestellt wurde ein Apophthegma, in dem es um Bestechungsversuche geht. Auffällig ist, dass Luther selbst überhaupt nicht zu Wort kommt. Insofern könnte es auch von einem der anderen Anwesenden berichtet worden oder überhaupt nicht am „Tisch“ gefallen sein: Chart. A 402, fol. 112v [WA 48,495,7–9]

WA.TR 2,493,23–27 [Nr. 2499b]

WA.TR 2,493,18–22 [Nr. 2499a]

Quidam in Antverpia [verbessert aus „Antiorpia“; I.K.] dixit ad Aleandrum [verbessert aus „Meandrum“; I.K.]: Cur non corrumpitis illum monachum pecunia?

Quidam Antuuerpiae dixit ad Aleandrum:

Quidam dixit ad papam,

Cur non corrumpitis illum monachum pecunia? Respondit: Illa bestia non vult accipere pecuniam! Ein post ist nidergeworffen, da hat man pabst brieffe gefunden, der Fucker sol 300 fl. dem munich geben vnd sol in heissen schweigen.

cur non corrumperet illum monachum pecunia? Respondit: Illa bestia non vult accipere pecuniam! Ein post ward nider geworffen, apud quem literae papales inventae sunt ad Fucker, quae continebant, ut Luthero daret 300 florenos, ut sileret.

Ein post ist nider geworffen wurden, do hat man Bapstbriefe funden, der Focker solt 300 fl. geben dem Monche vnd solt jn heissen schweigen.

Wie die Synopse zeigt, konvergiert F erneut mit der Fassung der Lauterbachschen Tradition, die dieses Gespräch in Antwerpen lokalisiert und den päpstlichen Legaten Aleander als Angesprochenen ausweist.795 Wie wichtig die konkrete Zuordnung war, zeigt die nachträgliche Korrektur. Vor allem aber wird durch die Auslassung der Antwort des Legaten der Wann dieses Gespräch stattgefunden haben soll, wird nicht näher ausgeführt. Doch legt die Thematik eher ein frühes Datum nahe. Durch die enge Verbindung der Wittenberger und Antwerpener Augustiner war Luthersches Gedankengut in Antwerpen – wie auch in den Niederlanden überhaupt – sehr früh präsent; die Bekämpfung gipfelte in der Verbrennung der „ersten protestantischen Märtyer“ am 1. Juli 1523 (s. BORNKAMM, Mitte, 97–99). Diesen Sachverhalt bestätigt auch Aleander selbst in einer Depesche vom April 1521 (KALKOFF, Depeschen, Nr. 11, 105f.). Berücksichtigt man, dass Bestechungsversuche Luthers nach Inkrafttreten des Wormser Ediktes immer weniger Plausibilität erhalten, mag der historische Ort, sofern es ihn gibt, in der Phase zwischen 1517–1521 zu suchen sein, evtl. auf dem Wormser Reichstag selbst. 795

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

287

Akzent von der moralischen Tugendhaftigkeit Luthers, der unbestechlich gewesen war, auf das falsche Spiel des Papstes und seines Handlangers Fucker gelegt, unter dem Luther zu leiden hatte. Insofern daran nahtlos das Apophthegma vom vorgeblichen Mordanschlag des polnischen Astronomen auf Luther, inklusive der abschließenden Mutmaßung Luthers, man habe ihn oftmals durch Vergiftung des Predigtstuhls umbringen wollen, angeschlossen wurde, sind auch diese Belege für ein „Märtyrertum“ Luthers redaktionell dem Papst zugeordnet und damit polemisch konnotiert. Nimmt man all diese Indizien zusammen, wird deutlich, dass hier der Fokus des „Wellerschen Kreises“ nicht auf dem „martyriumsbereiten Kämpfer“ liegt. Vielmehr wird auch in dieser Hinsicht der „schwache“ Luther für die Mit- und Nachwelt in besonderer Weise kodiert. Doch eignet dieser „Monumentalisierung“ des unter menschlichen Nachstellungen leidenden Luther über das in II 2.2.1. Dargestellte hinaus eine ausgeprägte polemische Dimension. Dies trifft auch auf die Nachstellungen des Teufels zu, doch wird zu zeigen sein, dass mit diesen vornehmlich Momente der Heroisierung verbunden sind. Dass der Teufel ganz selbstverständlich zu Luthers Lebenswelt gehörte, ist insbesondere von Heiko A. Oberman betont worden.796 Im Folgenden werden von hier weitere Facetten der Vorstellung eines „Märtyrertums“ Luthers entfaltet werden. Darauf, dass die Anfechtungen durch den Teufel für Luther ein „Martyrium“ dargestellt hatten, dem er den Märtyrertod vorgezogen hätte, verweist Weller immer wieder ausdrücklich.797 Dieser Aspekt eines Leidens an den Anfechtungen wurde bereits im Zusammenhang der didaktisch-pastoralen Dimension des „Wellerschen“ Lutherbildes, d.h. den Ausführungen zu Luthers „Schwäche“ bzw. den praktischen Anleitungen zur Seelsorge, greifbar.798 Dies wird nun im Rahmen der enkomiastisch-polemischen Dimension mit Fokus auf Nachstellungen des Teufels auf Luther bzw. dessen Lehre ergänzt. Um die polemische Dimension nicht zu eng, d.h. rein inhaltlich-thematisch zu fassen, ist der Blick darüber hinaus auf kontroverstheologische Vorwürfe zu richten, nach denen Luther leiblich mit dem Teufel verkehre bzw. vom Teufel gezeugt sei. Die Verunglimpfung Luthers als „realer“ Teufelssohn wurde vom altgläubigen Kontroverstheologen Petrus Sylvius (ca. 1470–1536) ab 1533

796 Vgl. OBERMAN, Mensch; s.a. LEPPIN, Teufel, der in diesem Beitrag in weiten Teilen auf die Apophthegmata-Überlieferungen rekurriert. 797 Vgl. WELLER, Opera, III+IV, 169a.170a.177b. 798 S. 176–181.185–188.

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

verbreitet.799 Im Unterschied zu seinen früheren Schriften übernahm Cochlaeus dieses Motiv in den Commentaria erst nach Luthers Tod, jedoch prominent im Vorwort: „Sunt itaque qui affirment, Lutherum a spiritu immundo sub Incubi specie prognatum esse. Cuius rei afferunt testem, religiosam quandam anum, Lypsiae habitantem, quae matrem Lutheri, olim Islebij in publico balneo famulantem, nouerit, ac de adolescente, quem Incubum fuisse putat, audiuerit, a quo illa impregnata fuerit, antequam cognita esset a uiro suo, Ioanne Ludero. Nos isti affirmatio ni quamuis in literas relata sit, fidem nostram non obstringimus.“800

Die greifbare Zurückhaltung ist wohl nicht nur als rhetorisches Mittel zu deuten, dennoch wird sie von dem Werk als Ganzen deutlich relativiert. Wiederholt bringt Cochlaeus Luther in einen engen, negativ konnotierten Zusammenhang mit dem Teufel, z.B. immer noch im Vorwort unter Anspielung auf die Namensänderung801 oder im Eröffnungskapitel.802 So sei Luther nach der dortigen Schilderung seinen Mitbrüdern schon als junger Mönch als Epileptiker bzw. als mit dem Teufel in Verbindung Stehender aufgefallen, wie Cochlaeus mit einer Szene belegte, nach der Luther während der Messe, bei der Verlesung der Perikope vom besessenen Jüngling (Mk 9,17f.), selbst einen Anfall erlitten und laut „Non sum. Non sum“ gerufen habe.803 Weiterhin rekurrierte Cochlaeus in diesem Zusammenhang auf eine Aussage aus Luthers Invokavitpredigten, wenn er anführt, dass Luther mit dem Teufel mehr als ein „frustum salis“ gegessen habe. Verwiesen wird zudem auf Luthers Schrift Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe (1533), deren Druckfassung – über die Entwürfe hinaus – eine nächtliche Disputation mit dem Teufel kennt.804 Abgeschlossen wird diese Aufzählung mit dem summarischen Hinweis: Zu Sylvius und seinen Werken s. SMOLINSKY, Emser, 346–356. Zur Genese des Motivs von Luthers Teufelskindschaft und dessen Rezeption durch Cochlaeus s. HERTE, Lutherkommentare, 140–145, bedingt auch BACKUS, Life writing, 22–25, wo fälschlicherweise behauptet wird, das Motiv der Teufelssohnschaft sei in den Commentaria nicht greifbar. 800 COCHLAEUS, Commentaria, c iiij r. 801 Vgl. COCHLAEUS, Commentaria, c iiij r–v. Der Kreis um Weller deutet Luthers Namen hingegen vornehmlich von seiner „Rolle“ als Kämpfer gegen Rom her und setzt somit zumindest implizit einen Gegenakzent; zur kontroverstheologischen Deutung der Namensänderung s. S. 185 mit Anm. 422. 802 Vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 1f.; s.a. HERTE, Lutherkommentare, 188–190. 803 Näheres hierzu s. HERTE, Lutherkommentare, 188–190 – dort wird der Kreis um Luthers ehemaligen Lehrer Nathin als Quelle benannt. 804 S. hierzu neben COCHLAEUS, Commentaria, 2 auch ebd., 262 bzw. WA 10/III, 64,12–15: „Dann jr wist noch nitt was es mühe kostet, mit dem teüffel zů streytten und uberwinden. Ich weyß es aber wol, wenn ich wol ein stück saltzes oder zwey mit jm gessen hab: jch kenne jn wol, er kent mich auch wol“ sowie WA 38, 197,17–204,13; Zitat: ebd., 197,17–21: „Jch wil an mir anheben und fuer euch heiligen Vetern eine 799

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

289

„Sunt et alia non pauca hac de re argumenta, quod etiam corporaliter uisus quibusdam fuerit cum eo conuersari.“805

Nimmt man vor diesem Hintergrund den Abschnitt „Luther über sich selbst“ in den Blick, so fällt auf, dass dort verstärkt Apophthegmata gesammelt wurden, die einen direkten Kontakt Luthers mit dem Teufel belegen. Insofern Luther aufgrund des dort Aufgegriffenen kaum als mit dem Teufel verbündet, sondern vielmehr als von diesem angegriffen und als dessen Gegner verstanden werden muss, liegt es nahe, die Rezeption dieser Apophthegmata auch als indirekte Auseinandersetzung mit den genannten kontroverstheologischen Vorwürfen zu verstehen. Dass es dem Kreis um Weller nicht schlicht um eine schiere Zurückweisung entsprechender Vorwürfe, sondern darüber hinausgehend um eine positive Akzentuierung der „Teufelskontakte“ ging, zeigt z.B. seine Rezeption von Luthers harscher Zurückweisung des Cochlaeischen Vorwurfes der Teufelssohnschaft. Das entsprechende Apophthegma wurde nicht dem 32. Locus, sondern dem Locus „De Caesare et principibus“ (Nr. 73) zugeordnet.806 Im Folgenden ist nun diese polemisch konnotierte „Erhöhung“ des „Märtyrers“ Luther zu entfalten. Ganz grundsätzlich ist sie an einem bewusst selektiv rezipierten Apophthegma zu greifen, das ursprünglich in den Kontext von Luthers Krankheit gehörte. Da im Unterschied zu den Parallelüberlieferungen der einleitende Satz weggelassen wurde, ist der Bezug zur konkreten Erkrankung nicht mehr erkennbar: „[Lieber, last mich sterben, daß der Teuffel tzufrieden werde; in F ausgelassen; I.K.] Nam Ego dupliciter meritus sum [mortem; von den Parallelen her zu ergänzen; I.K.]: Deo ut peccator mea iniustitia, das ist mir leid. Sathanae ut sanctus propter veritatem et iustitiam, das wil ich nicht achten, sondern mich freuen quia Christus meus fortior est quam Sathan. Den teuffel kann ich mit einem fortz veriagen, sed Deum fulmine non possum fugare. Jdeo malo Sathanam inimicum quam Deum.“807

Getragen ist dieses Apophthegma von der Rechtfertigungslehre. Vor diesem theologischen Hintergrund wolle Luther lieber den schwächeren Teufel als Gott zum Feind haben. Zumindest implizit wird hier ein Gegen-

kleine beicht thun, gebt mir eine gute absolution, die euch selbs nicht schedlich sey, Jch bin ein mal zu mitter nacht aufferwacht, da fieng der Teuffel mit mir jnn meinem hertzen eine solche disputation an, (wie er mir denn gar manche nacht bitter und saur gnug machen kan) […].“ 805 COCHLAEUS, Commentaria, 2. 806 Vgl. Chart. A 402, fol. 367v–368r [WA 48, 544,19–30] bzw. WA.TR 3, 293,13– 294,3 [Nr. 3367b]. 807 Chart. A 402, fol. 104v [WA 48, 530,9f.] bzw. WA.TR 3, 124,9–14 [Nr. 2970b extr.].

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

akzent zur kontroverstheologischen Behauptung einer engen Verbindung von Luther mit dem Teufel gesetzt. Neben diesen grundsätzlichen Beleg treten zudem weitere Apophthegmata, zum einen bereits thematisch kontroverstheologisch fundierte, zum anderen heilsgeschichtlich grundierte. Zugleich wird deutlich, dass hinter diesen insbesondere ein Leiden des „Kämpfers“ Luther steht, so dass primär Momente einer Heroisierung greifbar werden. Bezüglich des Aspektes der Lehre ist nochmals auf das lange, den Anfechtungen gewidmete Grundstück zu verweisen, von dem nur der zweite Teil dem 32. Locus zugeordnet worden war.808 Im Zentrum steht deshalb eingangs ein Luther quälender „Vorwurf“ des Teufels, der thematisch auf das für den Kreis um Weller so wichtige Moment der „Auflösung“ des Mönchtums durch den das Papsttum bekämpfenden Luther zielt:809 „Prodest nobis nosse artes diaboli. Er nimpt levissima peccata, die kann er exaggerirn, das einer nicht weis, wo er sol dafur bleiben. Er hat mich ein mal mit dem Paulo ad Timoth⌊eum recht geplagt vnd schir erwurget, das mir das hertz jm leib zu schmeltzen wolte: Fuisti causa quod homines utriusque sexus ex monasterijs abierunt.“810

Diese eindrückliche Schilderung von Luthers Leiden unter dem Teufel, das in seiner Lehre begründet liegt, wird im Folgenden weiter entfaltet. Luther sei äußerst beunruhigt gewesen, habe den „locus iustificationis“ aus den Augen verloren, sei aus der „gratia“ hin zur „disputatio legis“ geleitet worden. Auch der um Hilfe angesprochene Bugenhagen habe erst am nächsten Tag die Anfechtung auflösen können. Entscheidender als die Lösung ist in Blick auf die enkomiastisch-polemische Dimension jedoch diese tiefe Infragestellung durch den Teufel, die Luther alle Grundfesten seiner Lehre für einen Moment verlieren lässt. Im selben Duktus zeichnen auch die weiteren Ausführungen das Lutherbild fort: „Ergo ists nichts mit vnser tentatio. Jch habe kein grossere gehat quam de praedicatione, das ich dachte: Das wesen richtestu allein an. Jsts vnrecht, so bistu schuldigk an souil selen, die in die helle faren. Jn der tentatio bin ich offt hingangen in infernum

Zur didaktisch-pastoralen Dimension dieses Stückes s. S. 259f. S. S. 187–190. 810 Chart. A 402, fol. 101v–102v bzw. WA.TR 1, 62,30–63,14 (Zitat: ebd., 62,30–34) [Nr. 141]; in der Schlaginhaufenschen Tradition fehlt eben dieser Vorwurf (WA.TR 2, 14,23–15,4 [Nr. 1263]); Ms. Bos. q. 24c, fol. 235r–v). Ähnliche Infragestellungen werden geschildert in Chart. A 402, fol. 100v [WA 48, 412,24–26] bzw. WA.TR 1, 220,25f. [Nr. 495]: „Me nonnunquam [mit H verbessert aus „nunquam“; I.K.] vexat, das ich unrecht gethan hab docendo“ sowie Chart. A 402, fol. 101v bzw. WA.TR 1, 240,27– 241,1 [Nr. 518]: „Saepe mihi obijcit: Quantum numerum hominum tua doctrina seduxisti.“ 808 809

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

291

hinein, donec Deus me revocavit et confirmavit, quod esset verbum Dei et vera doctrina. Aber es kost vil, bis einer zu der consolatio kompt.“811

Luthers Ringen mit dem Teufel um die wahre Lehre wird somit als innerweltliches Erleiden der Hölle („in infernum“) dargestellt. Über die bereits thematisch fundierte polemische Konnotierung hinaus wird Luther zugleich eindrücklich als vom Teufel Angegriffener und somit nicht als dessen Verbündeter ausgewiesen. Eine analoge Botschaft vermittel der Kreis um Weller mittels eines Nachtragsstücks. Wie wichtig ihm diese Aussage war, kann man daran ablesen, dass er das Stück nachträglich im 32. Locus von F ergänzte, obwohl sich in den Grundstücken des 59. Locus bereits eine Kurzfassung fand.812 In der somit gezielt dort aufgenommenen Fassung wird Luther vom Teufel mit dem Vorwurf „gequält“, seine Lehre führe zu Aufruhr und Häresien – auch dies ein kontroverstheologisch zentrales Thema, z.B. in Cochlaeus’ Commentaria.813 Eingebettet ist diese Aussage in die Unterscheidung zweier Arten („genera“) von „tentationes“ mit unterschiedlichen Auflösungen. F folgt – wie der Vergleich zeigt – der von Rörer abhängigen Überlieferung, nicht der Dietrichschen, die Luthers Geplagtsein weniger betont; gemeinsam mit Dietrich führt F jedoch vom Kontext her den Satan als Urheber an und macht so erneut deutlich, wo sein Rezeptionsinteresse lag:

811 Chart. A 402, fol. 102r–v bzw. WA.TR 1, 63,15–28.22–28 [Nr. 141]; 2, 15,5–17 [Nr. 1263]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 235v. 812 Vgl. Chart. A 402, fol. 244v und 114v [WA 48, 417,23–25.21f.] bzw. WA.TR 1, 261,18–262,4 [Nr. 571]; Ms. Bos. q. 24f, fol. 237v. 813 Vgl. z.B. die exponierte Erwähnung in der Praefatio (COCHLAEUS, Commentaria, c ij v): „Et ultra doctrinae dissonantiam, superaddit plurima in omnem statum Ecclesiasticum conuitia: eaque ut amarulenta, ita & plaerunque calumniosa, adeoque seditiosa, ut per ea concitauerit Laicos quam plurimos in publicos tumultus: eosque tam saeuos & cruentos, ut anno Domini M. D. XXV. intra tres menses in una Germania occisa fuerint supra Centum Milia hominum“ – s.a. ebd., ciij r.70.108–117 bzw. SMOLINSKY, Kontroverstheologen, 55; HERTE, Lutherkommentare, 175–178.195–199.

292

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

WA.TR 1,261,23–262,2 [Nr. 571]

Ms. Bos. q. 24f, fol. 237v

Chart. A 402, fol. 114v

Aliquando usque ad mortem tentavit me [vom Kontext her zu ergänzen: Sathan; I.K.] de seditione secuta praedicationem meam, post etiam de scandalis doctrinae, de sacramentariis; wolt also den ganzen Teuffel auff mich schutten, homicidium et mendacium.

Aliquando usque ad mortem fere me vexavit scandalum vitae, quod seditiones secutae sunt meam doctrinam, item doctrinae, quod sectae natae, sacra⌊mentarii, anab⌊aptistae.

Aliquando usque ad mortem fere me vexavit [vom Kontext her zu ergänzen: Sathan; I.K.], quod seditiones secutae sunt meam doctrinam, item tot hereses, sacra⌊mentarii, anabap⌊tistae.

Diese am Ende greifbare Öffnung der Attacken des Teufels auf innerprotestantische Kontroversen lässt sich zudem anhand eines selektiv als Nachtragsstück aufgegriffenen Apophthegmas der Dietrichschen Tradition greifen, in dem die Teufelskontakte „personalisiert“ bzw. „verkörperlicht“ werden. Während der erste Teil, Luthers Streitgespräch mit den „Zwickauer Propheten“,814 als Auslegung von 1Tim 1,9 in den 22. Abschnitt als Grundstück aufgenommen wurde,815 fand nur die Deutung dieses Gespräches als Begegnung mit dem Teufel und der kurze und bündige Bericht von einer Teufelsvision Luthers auf der Feste Coburg Eingang in den 32. Locus: „Jch hab mit dem teuffel warhafftig geredt, da ich mit dem Marco, Cellario vnd dem Storchen geredt hab, sicut eum corporaliter vidi Coburgi in forma serpentis et stellae.“816

Wenn hier zeitgenössische Gegenspieler zu Manifestationen des Teufels erhoben werden und Luther den Teufel „corporaliter“ im Kontext des Augsburger Reichtages, von denen er ausgeschlossen war, gesehen hat, Kaufmann deutet die „Zwickauer Propheten“ als „kurzlebig[e] häresiologisch[e] Konstruktion“, die letztlich den Schwärmern subsumiert wurde; Luther selbst habe nur selten und kurz (Jan – Mai 1522) von „Zwickauer Propheten“ gesprochen. Die Zuordnung von „Thomas Drechsel“ sei nicht haltbar, so dass nur die zwei Tuchmacher Nikolaus Storch und der unbekannte ehemalige Wittenberger Student Markus Thomae, gen. Stübner, übrig blieben (vgl. KAUFMANN, Müntzer, 90f. mit Anm. 305; 51 Anm. 165). 815 Chart. A 402, fol 50 bzw. WA.TR 1, 153,12–25 [Nr. 362]; Ror Bos. q. 24c, fol. 278v. Nur diesen ersten Teil bietet Ms. Bos. q. 24s, fol. 29v, doch ist F von dieser Variante nicht abhängig. 816 Chart. A 402, fol. 115v bzw. WA.TR 1, 153,26–28 [Nr. 362]; Ror Bos. q. 24c, fol. 278v. Von der im Apophthegma nur angedeuteten „Vision“ auf der Veste Coburg gibt es zudem ein ausführliches Zeugnis. Veit Dietrich berichtet als Augenzeuge Agricola in einem Brief vom 4. Juli 1530 davon (Veit Dietrich an Johann Agricola. 4. Juli 1530: KAWERAU, Beiträge, 49f., 50) – ohne, dass dieses Sonderwissen Eingang in die Apophthegmata-Tradition gefunden hätte. 814

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

293

schwingt der Bezug auf die Lehre zumindest mit, wie zudem ein Blick auf Wellers Freund, Justus Jonas, zeigt: „Denn D. Martinus Luther hat viel harter Kämpfe gehabt mit dem Teufel, furnehmlich in großen Händeln, als in Carolstadts, item uber den großen wichtigen Händeln zu Augsburg auf dem Reichstage, item uber der großen Sache des Sacraments, der Wiedertäufer, Antinomer und anderer etc.“817

Zwar wird man diesen solitären Beleg nicht überzubewerten haben, zumal kaum ein „Märtyrertum“ greifbar ist, dennoch bietet auch dieses Nachtragsstück letztlich eine inhaltliche Umdeutung des kontroverstheologischen Vorwurfes der engen Beziehung zum Teufel. Deutlich stärker im Fokus des „Wellerschen Kreises“ stand diesbezüglich jedoch eine andere Deutung. Als weiterer Aspekt der polemisch konnotierten „Erhöhung“ des „Märtyrers“ Luther ist die „heilsgeschichtliche“ Deutung von Luthers Gegnerschaft mit dem Teufel zu greifen. Dadurch werden die kontroverstheologischen Vorwürfe nicht nur zurückgewiesen, sondern theologisch positiv überformt. Zugleich wird dadurch die mit vorrangigem Blick auf Luther „an sich“ bezüglich Luthers Tod entfaltete, kontrafaktische, ganz auf die Gegenwart des Kreises bezogene Hoffnungsbotschaft ergänzt bzw. grundgelegt und Luther weiter heroisiert. Dieser Aspekt kann z.B. anhand eines Apophthegmas der Cordatischen Tradition gezeigt werden. Nach diesem wurde Luther als Werkzeug Gottes vom Teufel in besonderer Weise mit Krankheiten geplagt. Der aktuell „leidende“ (laborans) Luther betont in dieser Überlieferung den „Sonderstatus“ seiner Krankheit und sieht dahinter den Teufel am Werk. Entscheidend ist die Begründung: Luther habe den Teufel „erzurnet“. Im anschließenden Gebet – in F steht am Rand in roter Farbe „oratio“ – dankt Luther Gott für seine „Erweckung“. Als Ziel seiner göttlichen Beauftragung wird der Kampf gegen Teufel, Papst, Fürsten und die ganze Welt genannt.818 Diese heilsgeschichtliche Deutung vermittelt des Weiteren ein als solches bewusst ergänztes Nachtragsstück, in dem Luthers

JONAS, Leichenpredigt, 44f. Vgl. Chart. A 402, fol. 105r [WA 48, 547,24–27]: „Lutherus laborans dixit: Jch weis das meyne kranckheit nicht ist wie anderer leutte, sondern sie ist alzeit gespitzet durch den teuffel, den ich hab jn erzurnet; das thut jhm wehe. [Am Rande: ‚Oratioʻ; I.K.] Aber Hergott, himlischer Vater, ich dancke dir, das du mich erwecket [Hervorhebung; I.K.] hast, das ich denn teuffel, Papst, furstenn vnd die gantze welt angegriffen vnd erzurnet hab; hilff mir weiter vnd las mich nicht sincken! Ach, domine, in te confido, tu enim vicisti mundum“; WA.TR 3, 320,1–7 [Nr. 3448]. 817 818

294

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

schwere Erkrankung im Januar 1532 geschildert wird.819 Entscheidend ist diesbezüglich das sich am Krankenbett entfaltende Gespräch: „Jbi cum diceremus, si ita moreretur, ingens scandalum apud papistas secuturus [sic!], confirmato animo inquit: At ego nunc non moriar, id certo scio, Deus enim non confirmabit papisticam abominationem per meam mortem hoc tempore post Zwinglium et Oecolampadium extinctum. Deus eis non dabit hanc gloriandi occasionem. Sathan quidem, si posset me libenter interficeret. Singulis horis urget mea vestigia. Sed non fiet quod ipse vult, sed quod Deus uult.“820

Auch hier ist Luthers Auseinandersetzung mit dem Teufel als heilsgeschichtlicher Kampf zwischen Gott und Teufel konzeptualisiert, Luther selbst fungiert dabei als Werkzeug Gottes. Dem korrespondiert die Einordnung der Erkrankung als „nicht natürlich“.821 Von diesem Fokus auf den heilsgeschichtlichen Kampf mag zudem die Entscheidung für die gewählte Variante aus den dem „Wellerschen Kreis“ vorliegenden Versionen vom Mauereinsturz im Keller des Schwarzen Klosters erklärbar sein. Durch diese wird zugleich deutlich, dass dem Kampf des Teufels gegen Luther eine real lebensbedrohliche Dimension innewohnte. In F wird dieser Unfall gedeutet als Hinweis auf Satans Willen gegenüber Luther. Das Luther und seine Frau den Vorfall unbeschadet überstanden hatten, wird auf Gott bzw. dessen Engel zurückgeführt. F konvergiert hier mit der in der Handschrift Cord. B. greifbaren Fassung der Cordatischen Tradition (Nr. 3264b), lässt jedoch die exakte Datierung aus. Luther kommt in beiden Fassungen – im Unterschied zur 1536/37 redigierten, in der Handschrift Zell. überlieferten Cordatischen Fassung (Nr. 3264a) – nicht selbst zu Wort, das Ereignis wird „berichtet“:822 Chart. A 402, fol. 112v [WA 48,540,24–27]

WA.TR 3,239,3–9 [Nr. 3264b]

Luth⌊erus cum uxore ex horto rediens in cellarium ingressus est quod tunc

Lutherus muro fere oppressus. 12. Julii am freitag am abend Margarethae vesperi ante horam quintam D⌊octor Luther⌊us una cum coniuge ex horto rediens ingressus est cella-

WA.TR 3,238,35–239,2 [Nr. 3264a]

819 Vgl. Chart. A 402, fol. 114v–115r [WA 48, 397,1–3] bzw. WA.TR 1, 74,33–75,17 [Nr. 157]; Ms. Bos. q. 24c, 266v–267r. 820 Chart. A 402, fol. 115r bzw. WA.TR 1, 75,4–11 [Nr. 157]. 821 Vgl. Chart. A 402, fol. 115r: „Aderat quoque medicus, is dicebat post visam urinam haud longe abesse eum ab apoplexia et egre eum euasurum. Hoc non audiens Doctor ait: Ego non possum cogitare, quis meus sit morbus naturalis, sed est suspectus mihi sathan, ideo etiam facilius contemno“: WA.TR 1, 75,13–17 [Nr. 157]. 822 Zu den beiden Fassungen der Cordatischen Tradition s. WA.TR 2, XXI–XXXII.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“ aedificabatur; mox illo ingresso murus soluto fundamento ruit maximo tumultu, et nisi Deus illos liberasset omnes, oppressi fuissent. Ibi enim Sathan suam voluntatem erga eum exhibuit, sed Deus ei suam defensionem ostendit praesentibus angelis.

rium, quod tunc aedificabatur; mox illo ingresso murus soli fundamento ruit maximo tumultu, et nisi Deus eos liberasset, oppressi fuissent. Ibi enim Sathan suam voluntatem exhibuit erga Doctorem Lutherum, sed Deus illi suam defensionem ostendit praesentibus Angelis.

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Cum magnus murus et trabs ruerent summo impetu penitus iuxta Doctorem corruentes, dixit: Hic opus vidi Satanae adversus me et auxilium Dei pro me.

Der Blick auf die weiteren Parallelen macht das Proprium der Wellerschen und Cordatischen Fassungen deutlich. Dass z.B. auch Rörer das Ereignis sehr wichtig ist, zeigt seine unkommentierte Notiz im Predigtband Ms. Bos. q. 24c: „12. Julij hora 5 anni 32 in max(imo) periculo fuit D. M. L. cum uxore propter ruinam partis et muri et trabis.“823

In seinen Apophthegmata-Bänden findet sich eine Version, die von Kroker der Schlaginhaufenschen Tradition zugerechnet wird. Diese weist auf die wunderbare Rettung durch Gott bzw. seine Engel hin, ohne ein Wirken des Teufels zu erwähnen. Zugleich wird der Kreis der Betroffenen weiter gefasst: „Anno Domini 1532. die Iulii 12., hoc est, in vigilia Margarethae, corruit murus et trabes magna, quae sustentabat den saal, sommer rembder, in cella monasterii. Adstabat D⌊octor M⌊artinus, uxor et aliae personae; nisi Deus mirabiliter per Angelum custodisset Doct⌊orem et alios, oppressi fuissent etc.“824

Noch deutlicher wird die in der Cordatischen Tradition bzw. F greifbare theologische Überformung, wenn man die Dietrichsche Tradition mit in den Blick nimmt. Hier spricht Luther selbst und bezieht auch den Teufel mit ein, aber auf ganz andere Weise. Letztlich wird das Ganze auf einen Baufehler zurückgeführt, der zu vermeiden gewesen wäre, um den Teufel keine Wirkmöglichkeit einzuräumen: „Freytags post Kiliani hora quinta (erat 12. Iulii) Lutherus cum uxore paene ruina muri oppressus esset. Ibi dicebat naturam esse muniendam etiam propter Diabolum: Wir haben zuuil gewagt, das wir die maur so haben hengen lassen. Si nihil, saltem Diabolo occasio praecluditur. Er kan ja nit aus drey zwey machen. Jn die lufft soll man nit bawen.“825 823 Ms. Bos. q. 24c, fol. 2r. Der Band enthält Predigten vom 25. Dezember 1530 – 10. Dezember 1531. 824 WA.TR 2, 193,8–12 [Nr. 1722] = Ms. Bos. q. 24s, 120b. 825 WA.TR 1,136,1–6 [Nr. 333].

296

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

Der „Wellersche Kreis“ übernahm hingegen die Version, in der Luther vom Teufel attackiert und von Gott gerettet wird. Der unter dem Teufel „leidende“ Luther wurde so zum Objekt im heilsgeschichtlichen Kampf. Insgesamt haben die Ausführungen gezeigt, wie differenziert in F Luthers auf Nachtstellungen des Teufels basierendes „Märtyrertum“ zum einen enkomiastisch „erhöht“, zum anderen polemisch konnotiert wurde und dadurch vornehmlich Momente einer „Heroisierung“ vergegenwärtigt wurden. Im dritten, nun darzustellenden Aspekt von Luthers „Märtyrertum“ spiegelt sich das in den zeitgenössischen Streitigkeiten so prägende Motiv der wechselseitigen Bezogenheit von Bekenntnis der wahren Lehre und Martyrium wider. Dieses Motiv gehört zwar zum Proprium der sog. „Gnesiolutheraner“ bzw. Anhänger des Flacius, kann aber dennoch nicht auf die damit umschriebenen Personen eng geführt werden.826 Vom Kreis um Weller wird dieser Aspekt nun jedoch in besonderer Weise an Luthers Augsburger Zeugnis vor Cajetan 1518 und der damit einhergehenden Entbindung Luthers vom Ordensgehorsam durch seinen Vorgesetzten und geistlichen Vater Johannes von Staupitz zurückgebunden. Rein quantitativ betrachtet stellt dieses Ereignis im 32. Locus von F mit vier Bezugnahmen das zentrale biographische Ereignis aus der Frühphase der Reformation dar. Andere große „Ereignisse“ dieser Phase, die in der späteren Rezeption, insbesondere im 19. Jahrhundert betont wurden, griff der „Wellersche Kreis“ kaum auf, d.h. den Wormser Reichstag nur am Rande,827 den „Thesenanschlag“ überhaupt nicht. Mit diesem Fokus unterscheidet sich der Kreis zeitgenössisch grundlegend von Melanchthon, der in seiner sog. Historia Lutheri dieses Ereignis nur in Bezug auf das Stillschweigeabkommen erwähnt: „Constat etiam Lutherum Cardinali Caietano promissurum fuisse silentium, si adversariis etiam silentium indiceretur. Qua ex re perspicue intelligi potest, tunc quidem nondum eum decrevisse, alia se deinceps moturum esse certamina, sed tranquillitatis cupidum fuisse, sed paulatim ad alias materias pertractum esse, undique lacessentibus eum indoctis scriptoribus.“828

Auch Luther selbst schildert in seiner „autobiographischen“ Vorrede zum ersten Band der lateinischen Schriften der Wittenberger Ausgabe seiner Werke nur die Anfänge („principia“), d.h. die Phase vor dem Treffen, in der noch auf die Zusage des Geleits gewartet wurde und zuerkennt diesem

Vgl. DINGEL, Beurteilung, 307–310. S. S. 197f. 828 MELANCHTHON, Praefatio, 1. Juni 1546: CR 6,155f. [Nr. 3478]. 826 827

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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Ereignis keine vergleichbare Sonderstellung, so dass auch dieser Text nicht als Movens des „Wellerschen“ Fokus angesehen werden kann.829 Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass in Bezug auf das Treffen mit Cajetan nicht das Interesse am historischen Ereignis als solchem, das für die zeitgenössische Öffentlichkeit ausführlich z.B. in den Acta Augustana830 greifbar war, rezeptionsleitend wirkte. Vielmehr soll plausibilisiert werden, dass der Kreis um „Weller“ von hier den „Märtyrer“ Luther differenziert als „Exempel“ des mutigen Bekennens und eindeutigen Bekenntnisses in der Bedrohungs- und Krisensituation des interimistischen wie adiaphoristischen Streites etablierte und insofern zugleich „monumentalisierte“.831 Dafür, dass zeitgenössisch mit diesem Ereignis die Vorstellung eines „Märtyertums“ einhergehen konnte, kann mit Kolb exemplarisch auf Ludwig Rabus’ nach F entstandenen Historien verwiesen werden, in denen dieses jedoch nur einen Aspekt darstellte: „Für Rabus war Luther v.a. Märtyrer, d.h. Zeuge des Evangeliums, dessen heldenhaftes Zeugnis vor Cajetan in Augsburg, vor dem Kaiser in Worms und lebenslang durch seine Schriften vor der ganzen Welt als mutmachendes Modell für alle Christen diente.“832

Im Hintergrund der in F greifbaren Zuspitzung dürfte v.a. die existenzielle und geistige Notlage vieler Pfarrer gestanden haben, die vor der Entscheidung standen, den Forderungen des Interim zuzustimmen oder ihre Kirchen zu verlassen. Wie sensibel Weller diese Notlage wahrnahm, zeigt

Vgl. WA 54, 181,13–182,3. Vgl. WA 2, 6–26. 831 Aufgrund dieser Analysen wird zugleich deutlich werden, dass die Auseinandersetzung mit kontrovers-theologischen Angriffen auf Luthers Integrität mittels Rekurs auf dieses Ereignis implizit mitgeschwungen haben mag, aber nicht im Zentrum stand. In den Commentaria ist das Ereignis ein „Musterfall“ von Luthers Falschheit, verdeutlicht zum einen anhand der Engführung von Luthers Angst auf die Einsicht, er könne aufgrund seiner hartnäckigen Weigerung – gemeinsam mit Staupitz – festgenommen und inhaftiert werden, worauf er seine Strippen gezogen habe, um fliehen zu können (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 9: „Audierat uero Lutherus, Legatum habere mandatum capiendi ac incarcerandi & ipsum, & Vicarium suum Staupitium. Hinc anxietate plenus: quia uerabatur in conspectum redire illius, nisi reuocaret, coepit occulte per amicos sollicitare Caesarianos pro impetrando saluo conductu“). Zum anderen wird Luthers Falschheit aufgezeigt an der Kontrastierung von freundlichen Aussagen gegenüber Cajetan selbst und harschen Ausfällen gegen Cajetan vor anderen (vgl. COCHLAEUS, Commentaria, 11: „Simulabat quidem eo tempore blandioribus uerbis modestiam, humilitatemque & obedientiam, ut partem suam & auctiorem & commendatiorem redderet: Cor tamen eius semper erat in mordacitaatem superbiamque & rebellionem erectum.“ 832 KOLB, Umgestaltung, 204. 829 830

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

sein Schreiben an Amsdorf von Ende Januar.833 Dem korrespondiert, dass in F mittels Rekurs auf das Augsburger Gespräch nicht nur Luthers „heldenhaftes Zeugnis“, sondern auch ein „Leiden“ Luthers vermittelt wurde. Dieser zweite Aspekt steht z.B. beim ersten diesbezüglichen Apophthegma ganz im Vordergrund, wenn dort primär die Verängstigung Luthers nach dem Verhör dargestellt wird und erst im Nachgang erläuternd die diplomatischen Hintergründe: „Cum anno 1518. Augustam abirem, valde metuebam. Quia eram solus. Eram quidem citatus Romam. Sed dux Fridericus ivit ad Caietanum et impetravit mihi ut me Augustae audiret idque factum est.“834

Ist hier der Bezug zum Bekenntnis der Lehre nur indirekt greifbar, ändert sich dies durch die weiteren im Locus aufgegriffenen Apophthegmata. Der dortigen Reihenfolge folgend gerät zunächst ein Grundstück in den Blick, in dem Luthers Treffen mit Cajetan in Augsburg in den Kontext des „wunderhaften“ Erfolgs der Reformation gestellt wird; datiert ist dieses Stück September 1532. Auch in diesem Apophthegma wird die existenzielle Bedrohung Luthers eindrücklich deutlich. Nicht minder eindrücklich wird aber Luthers mutiges Bekenntnis der Lehre greifbar: „Tantam mutationem hoc brevi saeculo, primo non credidissem, etiamsi Gabriel mihi praedixisset, quia summa infirmitate incepi. Erstlich hab ich mich erwegen, kein vierteljar zu leben. Jch erbot mich hoch genug kegen den Bapst, ich wolt schweigen; sie solten auch schweigen. Sed cum ipsi tantum vellent clamare et fulminare et ego deberem revocare, do hub sich das spil an. Et Fridericus dux promisit Cardinali me eo missurum, salvo tamen conductu. Haec urbs et universitas pro me scripsit. Affectus autem meus erat in itinere: Nhu mus ich sterben! Et posui mihi ob oculos restim paratam et saepe dicebam: Ach, wie eine schande werde ich meinen lieben eltern sein! Ita me angustiavit caro. Et dux Fridericus me Augustam misit peditem cum fratre, gab mir 20 rothe fl. in die tasche. Multi in itinere mihi dissuaserunt, dann ich kendte die Wahlen nicht, et tamen tam stultus fui, das ich one gleit hinaus zog, sed cum consilio principis, ne accederem Cardinalem, nisi haberem caesareum conductum. Et ita per triduum Augustae fui, antequam hoc impetrarem. Interim saepius ad me misit Cardinalis, cur non venirem? Tunc Cardinalis satis superbe me irrisit et voluit me urgere, ut revocarem. Aber die buchstaben ‚revocaʻ wolten mir nit eingehn. Ego autem saepius prostratus supplex orabam eum; ille econtra clamavit: revoca, respondi: non! Ait: Ubi manebis? – Sub coelo. Putas, inquit, ducem Saxoniae contra papam suscepturum propter te? Non. Quid papa curat Germaniam? Ego me maxime prostravi et omnia facere uolui, tantum revocare nolui. Tandem non fuit mihi tutus exitus ex urbe omnibus portis

833 Vgl. Hieronymus Weller an Nikolaus von Amsdorf. Freiberg, 31. Januar 1550: Clemen, Briefe, 319f. [Nr. 41]) – Zitat: s. S. 134. 834 Chart. A 402, fol. 100v [WA 48, 413,30] bzw. WA.TR 1, 233,9–12 [Nr. 509]; Ror Bos. q. 24c, fol. 222b.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

299

prohibitus, sed cives me occulto meatu liberant. Et ille Cardinalis Siluester Caietanus postremo factus est Lutheranus.“835

Die Akzentuierung seitens des „Wellerschen Kreises“ mittels redaktioneller Aneignung des Textes belegt v.a. der Anfang in Verbindung mit dem Schluss: Chart. A 402, fol. 113r

Tantam mutationem hoc brevi saeculo, primo non credidissem, etiamsi Gabriel mihi praedixisset, quia summa infirmitate incepi. Erstlich hab ich mich erwegen, kein vierteljar zu leben.

WA.TR 2,596,16–23. [Nr. 2668b] Iter prius D⌊omini D⌊octoris L⌊utheri Augustam ad Caietanum cardinalem. Tantam mutationem hoc brevi saeculo primo non credidissem, etiamsi Gabriel mihi praedixisset, quia summa infirmitate incepi. Erstlich hab ich mich ergeben, kein viertel jar zu leben.

Johannes Huß tantum mores et abusus papae perstrinxit; ego doctrinam et ipsam substantiam impugnavi. Jch erbot mich hoch genug Jch erbot mich gros gnug gegen den babst, scilicet, kegen den Bapst, ich wolt schweigen; sie solten auch ich wolte schweigen; sie solten auch schweigen. schweigen.

WA.TR 2,595,19–25 [Nr. 2668a]

Tanta infirmitate scribere coepi, ut, si Gabriel Angelus mihi dixisset tantam mutationem secuturam scripta mea, non credidissem. Et corpore adeo infirmabar, ut quartale anni me vivere posse non sperarem. Huss tantum abusus et malos mores papae perstrinxit; ego doctrinam et totam substantiam eius impugnavi. Jch erbot mich gnug gegen yhm, cum promitterem silentium, si ipse et sui vellent silere […].

Chart. A 402, fol. 113v

WA.TR 2,597,10f. [Nr. 2668b]

WA.TR 2,596,14f. [Nr. 2668a]

Et ille Cardinalis Siluester Caietanus postremo factus est Lutheranus

Et ille cardinalis Syluester Caietanus factus est postremo Lutheranus.

Porro ille Sylvester Caietanus postremo factus est Lutheranus.

Wie die Synopse zeigt, setzt der Kreis um Weller zum einen als einziger mit dem staunenden Hinweis auf die wunderhafte „tanta mutatio“ in diesem kurzen Jahrhundert ein. Auf diese Weise wird der Text nun gerahmt durch eine tröstliche Selbstvergewisserung, dass die „wahre Lehre“ sich durchsetzt, insofern am Ende – wie bei den Parallelen – der Hinweis steht, 835 Chart. A 402, fol. 113r–v [WA 48, 507,1–9] bzw. WA.TR 2, 596,16–597,10 [Nr. 2668b]; 2, 595,19–596,15 [Nr. 2668a]; 3, 661,12–662,22 [Nr. 3857] – in der Schlaginhaufenschen Tradition fällt das z.T. sehr ähnliche Stück in den April 1538.

300

II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

dass Cajetan zuletzt selbst „Lutheranus“ geworden sei.836 Zum anderen wird der Text in F auf Luther konzentriert, indem Ausführungen zu Jan Hus ausgelassen werden. Durch diese Weichenstellungen liegt es nahe, auch die folgenden Ausführungen – mit diesem Fokus – als „aktualisierende“ Rezeption zu verstehen: z.B. erstens, dass die Ursache für die „Eskalation“ des Konfliktes den Gegnern zugesprochen wird, die von Luther nur den Widerruf forderten und das angebotene Schweigeabkommen gebrochen hätten; zweitens der harte Schlagabtausch mit der – aller demütigen Haltung zum Trotz – hartnäckigen Weigerung Luthers, zu widerrufen; möglicherweise drittens auch der Hinweis auf Luthers – durch Bürger – ermöglichte Flucht. Insgesamt vermittelt das Apophthegma in F also ein Bild des „Märtyrers Luther, der die Lehre standhaft bekannte und zwar die Lehre, deren Wahrheit sich letztlich durchgesetzt habe. In dieser Hinsicht konnte Luther insbesondere in den religionspolitischen Wirren des Jahres 1551 als „mutmachendes Modell“ von denen rezipiert werden, die sich den Forderungen des Interim gegenübergestellt sahen und damit letztlich ebenfalls in einer Situation befanden, in der ein Widerruf bzw. ein klares Bekenntnis – mit schwerwiegenden negativen Folgen – von ihnen gefordert wurde. Dass die bisher dargestellten Apophthegmata durch Nachtragsstücke analogen Inhalts ergänzt werden, belegt die Bedeutung dieses Aspektes des Lutherbildes bzw. der damit verbundenen Botschaft für den Kreis um „Weller“. Im ersten Nachtragsstück liegt der Fokus noch einmal auf Luthers Verlorenheit und Schutzlosigkeit nach seinem Verhör durch Cajetan in Augsburg.837 Auch dieser Text stammt aus der ersten Hälfte der 1530er Jahre.838 Von Rörer wurde er durch die Randnotiz „Anno 18 [schwarz] || handlung fur dem Card[inal] zu Augsburg [orange]“ v.a. historisch eingeordnet. Den Abschluss bildete der Hinweis, dass Luther, nachdem er doch in Wittenberg bleiben konnte, am 30. Juli 1535 immer noch dort weilte – in den Parallelen ist das Datum geändert in 12. August 1536. Insofern F nach Luthers Tod entstanden ist, überrascht es wenig, dass diese Schlussnotiz ersatzlos fehlt. Nicht mehr die fortdauernde Präsens Luthers in Wittenberg stand im Zentrum, sondern seine Verlorenheit und Schutzlosigkeit, verlassen von Kaiser, Papst, Kardinallegat, Landesherrn, seinem Orden und Johannes von Staupitz. Da weder Deutschland noch Frankreich eine sichere Alternative boten, sei er nach Wittenberg zurückgeIm Hintergrund dieser Aussage könnte der Pariser Tadelsbrief mit inkriminierten Artikel Cajetans von 1533 stehen (s. WA 60, 114–122, bes. 122). 837 Vgl. Chart. A 402, fol. 472r–v [WA 48, 470,24–31] bzw. WA.TR 1, 597,28– 598,19 [Nr. 1203] = Ms. Bos. q. 24f, fol. 249r–v. 838 Die Parallele aus dem Sommer 1540 (WA.TR 5, 102,27–103,28 [Nr. 5375c] in Verbindung mit Nr. 5349 wird in F nicht aufgegriffen. Zur Deutung dieses Stückes s. KROKER, Rörers Handschriftenbände (I), 360–365. 836

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Wellerschen Tradition“

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kehrt. Doch um ihn zu schützen, habe auch sein Landesherr seinen Wegzug gefordert. Eindrücklich wird Luthers Wittenberger „Abschiedsmahl“ geschildert, dessen Dramaturgie von Briefen Friedrichs des Weisen bestimmt war. Erst am Ende steht die mit Miltitz ausgehandelte Lösung eines „colloquium“ bzw. einer „disputatio“. Insofern Luther diese Situation 1518 mit Ps 27,10 gedeutet haben soll, nach dem selbst Vater und Mutter einen verlassen und nur Gott bleibe, bezeugte das Stück sein großes Gottesvertrauen in aussichtsloser Lage, und Luther wurde durch die Rezeption dieses Stückes erneut potenziell zum Vorbild in den interimistischen bzw. adiaphoristischen Wirren. In ähnlicher Weise wird Luther im zweiten Nachtragsstück zum Exempel. Dieses beginnt eher „unbestimmt“, so dass zunächst nicht eindeutig hervorgeht, inwiefern sich Luther auf sein Gespräch mit Cajetan oder den Reichstag in Augsburg 1530 bezieht: „Jch habe meine sache aufn vnsern Herr Got angefangen, so wollten sie zu Augspurgk ich solt es nach den leuten lencken, da wolt ich noch xx strumpf und koffe daran setzen. Jch wolt auffs erst den bapst vor einen bapst halten, do hub sich der hader druber. Multis autem modis fui superior quia habebam scripturam sanctam vnd die federn839 vnd ipsorum leges fur mich, sonst wer ich zu blode gewest ad tantam pugnam. Jch klopte erstlich bey den universitatete an, Louen, Coln vnd Paris; do sie mir so faul antwurtten, ibi tum confirmabar vnd dachte: Die kunst kan ich auch, nisi autem fuissem doctor et per illam occasionem didicissem theologiam ipsorum, so hetten sie mich vorteubet. Aber ich kont yhr kunst. Iesum noram, Paulum sciebam, wie der Teuffel ad illos in actis sagte qui erant homines sine fide et wolten allein die ehre haben per nomen Iesum.“840

Laut Randbemerkung bei Rörer sei dieses Stück auf den „Reichstag zu Augsburg 1530“ bezogen. Dann enthielte dieses Apophthegma aber deutliche Kritik an den in Augsburg Verhandelnden. Der Text legt dies aber kaum nahe, wie spätestens der Hinweis auf Angriffe der Universitäten Löwen, Köln und Paris zeigt. Den Kreis um Hieronymus Weller dürfte erneut die hohe Aktualisierbarkeit angesprochen haben. Die Superiorität Luthers wird begründet mit seiner Schriftkenntnis, den Vätern und dem Kirchenrecht. Alles Mittel, die auch in den Auseinandersetzungen um das Interim zum Tragen kommen konnten. Zudem wird mit dem Verweis auf den Doktortitel Luthers der im Titel des Kodex exponiert gegebene Impuls aufgegriffen. Als Doktor der Theologie widerstand Luther den damaligen Angriffen. Mit seinen Schriften und in seinem Geist – so die poten-

Haußleiter vermutet, dass ursprünglich nicht die „Feder“, sondern die „Väter“, d.h. Kirchenväter gemeint waren (WA 48, 411,22). 840 Chart. A 402, fol. 470v–471r [WA 48, 411,18–23] bzw. WA.TR 1, 210,15–211,2 [Nr. 480]; Ror Bos. q. 24c, fol. 293v–294r – der Hinweis auf den Doktortitel wurde dort am Rand in roter Schrift kommentiert mit „Doktorat Luthers“. 839

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

zielle Botschaft – konnte „aktuell“ den zeitgenössischen Angriffen getrotzt werden. Insgesamt vergegenwärtigt dieser Rekurs auf Luthers Zeugnis vor Cajetan eindrücklich den monumentalisierten „siegreichen Bekenner“. Dass Luther gerade in seiner Schwachheit und nicht nur „trutzfest“ bzw. „unerschütterlich“ zum Vorbild monumentalisiert wurde, gehört zum „Wellerschen Proprium“.841

3. Luthermemoria in der „Krisensituation“ Um dem Proprium der im Gothaer Kodex F und dem Hamburger Doppelband H / H 74 greifbaren „Apophthegma-Tradition“ gerecht werden zu können, war im ersten Schritt eine konstruktiv-kritische Würdigung der Urheberhypothese von Johannes Haußleiter notwendig. Im Ergebnis konnte die vorliegende Tradition auf den Freiberger Kreis um Hieronymus Weller zurückgeführt werden. Damit war der Grund für die methodisch als unabdingbar erwiesene Kontextualisierung der Überlieferung gelegt. Durch den Fokus auf die – primär redaktionell begründeten – aktualisierenden Rezeptionen bzw. „Vergegenwärtigungen“ Luthers seitens dieses Kreises konnten in den folgenden Analysen die Vielschichtigkeit und Propria dieser „gruppenspezifischen“ Luthermemoria bzw. des damit einhergehenden Lutherbildes aufgezeigt werden. Als grundlegend ist vor allem anderen der starke Gegenwartsbezug dieser Tradition hervorzuheben. Der „Wellersche Kreis“ reagierte mit dem im Jahr 1551 abgeschlossenen Kodex im Allgemeinen und dem 32. Locus im Besonderen auf die als „Krise“ wahrgenommene Situation nach Luthers Tod, was zudem durch die Minderheitensituation im albertinischen Freiberg verstärkt wurde. Insofern ist die in F greifbare Memoria dezidiert als „Gegenerinnerung“ zu verstehen. Dem korrespondiert der starke polemische Impetus, der in allen drei Analysebereichen, mit unterschiedlicher Ausprägung, gleichsam als basso continuo greifbar ist.842 Dieser Fundierung in der „Krisensituation“ entspricht in historiographischer Perspektive, dass die erarbeiteten Facetten der Memoria bzw. des Lutherbildes vornehmlich als ein Nebeneinander der Interpretamente „Heroisierung“ und „Monumentalisierung“ beschrieben werden können. Im Kontext der „Krise“ gerät insbesondere der „Kämpfer“ Luther in den Blick, wie in Bezug auf die „polemisch-identitätsstiftenden“ Aspekte (2.1) sowie in „enkomastisch-polemischer Perspektive“ hinsichtlich der NachVgl. KAUFMANN, Anfang, 331; Zitat: s. S. 80. Insofern kann kaum davon gesprochen werden, dass in F „der Friede der Erinnerung an Luther [herrsche]“ (gg. HAUßLEITER, Rätsel, 9). 841 842

3. Luthermemoria in der „Krisensituation“

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stellungen des Teufels (2.3.2.2) deutlich wurde, so dass es naheliegt, die temporale Einengung des Kaufmannschen Interpretamentes zugunsten eines „modalen“ Verständnisses zu erweitern. Zur Auseinandersetzung mit der Krise gehört aber auch eine bereits stärker auf eine über den „Schock“ und die ersten Reaktionen hinausgehende „Verarbeitung“ der Krise. Diese ist v.a. an den „didaktisch-pastoralen“ Aspekten greifbar (2.2), aber auch den weiteren „enkomiastisch-polemischen“ Aspekten (2.3). Trotz allem Gegenwartsbezuges wird Luther hier nicht nur für die „Mitwelt“, sondern auch die „Nachwelt“ kodiert und mittels dieser „Monumentalisierungen“ der Grund gelegt für eine lokale, gruppenspezifische Konfessionskultur. Dennoch lassen sich – vor dem bestimmenden Hintergrund der Krise nur konsequent – in diesem Funktionsgedächtnis noch kaum Momente einer Institutionalisierung greifen. Die verschiedenen Facetten der Memoria bzw. des Lutherbildes als solche können in weiten Teilen von Wellers Verständnis von Luther als exzeptionellen „Lehrer“ plausibilisiert werden. Demgegenüber tritt das von Kaufmann als zur „weithin beherrschenden Vorstellungsmatrix“ der „jüngeren Zeitgenossen Luthers“ zugehörig angesehene Verständnis Luthers als „Prophet“ bzw. „Dritten Elia“ in den Hintergrund.843 In inhaltlicher Perspektive liegt der Fokus auf der betont polemisch grundierten Identitätsstiftung. Entsprechend ist der Modus der Erinnerung auch nicht „biographisch“, sondern „fundierend“. Dies zeigt sich ganz basal daran, dass – obwohl es angesichts der Benennung der Rubrik mit „Lutheri dicta quaedam de seipso“ nahe gelegen hätte – Biographisches respektive entscheidende Momente des curriculum kaum Berücksichtigung fanden.844 Grundgelegt ist diese polemisch konnotierte Identitätsstiftung in der heilsgeschichtlich-eschatologischen Deutung von Luthers Tod. Die diesbezüglich als „vaticinia“ angeeigneten Apophthegmata stellen kontrafaktische trotzige Bekenntnisse und Hoffnungsworte dar. Diese Linie fortführend, wird Luther als Kämpfer gegen das Papsttum (2.1.2), das Interim (2.1.3), die Konzilsteilnahme (2.1.4) und Kritiker Melanchthons (2.1.6) memoriert bzw. sein „Vermächtnis“ dezidiert vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Streitkreise bekräftigt (2.1.5). In didaktisch-pastoraler Hinsicht wird Luther differenziert, z.T amtstheologisch zugespitzt, als Exempel etabliert, einerseits im Umgang mit Anfechtungen, Leid und Sterben, d.h. in seiner „Schwäche“ und „Stärke“ und als Seelsorger (2.2.1), andererseits als Familienvater, d.h. in Bezug auf KAUFMANN, Konfession, 67f. Entsprechend war weder in F noch in H dem 32. Locus eine tabellarische Übersicht mit Daten Luthers beigegeben. Eine solche findet sich erst in H 74 – ohne Bezug zum Locus (s. Sup. Ep. 4° H 74, fol. 259r). Eine weitergehende Interpretation dieses Textes soll an anderer Stelle geleistet werden. 843 844

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II. Kapitel: Die „Wellersche“ Tradition

den Umgang mit seinen Kindern sowie finanziellen Sorgen (2.2.2). Mit dieser deutlich „seelsorgerlichen“ Ausrichtung wird ein weiteres Proprium der „Wellerschen Tradition“ greifbar, das der Tendenz nach den engen Horizont der Krisensituation weitet, aber nicht hinter sich lässt. Analoges gilt für die auf „Luther an sich“ bezogenen Aspekte, mit denen eine „enkomiastische Erhöhung“ Luthers einhergeht. Einerseits sind diese sehr deutlich von der „Krisensituation“ her bestimmt, wie insbesondere die Ausführungen zu Luthers „Märtyrertum“ gezeigt haben (2.3.2): z.B. durch den polemischen Subtext der „Schlechtigkeit“ der im Kontext der zeitgenössischen Streitkreise als „Gegner“ anzusehenden Größen oder die polemische Fokussierung der Nachstellungen des Teufels auf Luther bzw. dessen Lehre oder die differenzierte Etablierung Luthers als Exempel des mutigen Bekennens und eindeutigen Bekenntnisses in der Bedrohungs- und Krisensituation des interimistischen wie adiaphoristischen Streites durch den verstärkten Rekurs auf Luthers Treffen mit Cajetan. Andererseits wird Luthers Tugendhaftigkeit – ebenso polemisch konnotiert – primär auf das für Weller so entscheidende Bild vom „Lehrer“ in ihrer dianoetischen Dimension zugespitzt, was seinen institutionellen Anhalt in der theologischen Lektur der Freiberger Stadtschule hatte. Fragt man abschließend nach der „mentalen Welt“ des Kreises um „Weller“, so wurde deutlich, dass diese in nicht unerheblichem Maß mit Anliegen konvergiert, die klassischerweise als „gnesiolutherisch“ zu bezeichnen wären. Zugleich sind nicht alle Elemente des von Irene Dingel erhobenen „apriorischen Konsenses“ in derselben Deutlichkeit präsent.845 Zwar ist die Erstellung eines positiv auf Luther bezogenen Kodexes, insbesondere eines auf Luther im Besonderen bezogenen Locus kaum denkbar ohne die Vorstellung, dass Luther und seine Bücher als Garanten der Wahrheit angesehen werden und seine Aussagen überzeitliche Geltung haben. Weiterhin ist die dezidierte Positionierung des Kreises in den zeitgenössischen Konflikten kaum plausibilisierbar, ohne dem Kreis die Überzeugung zuzuschreiben, er könne die eigene Zeit und Ereignisse zutreffend deuten.846 Dennoch wurde Luther in den vorangegangenen Analysen kaum als „Werkzeug Gottes“ und auch gerade unter Berücksichtigung der Analysen zur Kritik an Melanchthon (2.1.6) nur mit gewissen Einschränkungen als „ausschließliche“ reformatorische Autorität greifbar. Weiterhin kam die zentrale Bedeutung der Rechtfertigungslehre zwar im S. S. 77. Letztlich teilt der Kreis mit den Theologen der Magdeburger Herrgottskanzlei auch die „identitätsstiftende Periode“ von 30 Jahren, die ca. auf 1518/20 verweist, sowie die Zurückhaltung, Einzelereignisse „für die interne Strukturierung und narrative Behandlung dieser identitätsbestimmenden Periode der eigenen Lebens- und Zeitgeschichte“ hervorzuheben (s. KAUFMANN, Ende, 479f., 480). 845 846

3. Luthermemoria in der „Krisensituation“

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dogmatischen Eingangsteil zum Tragen, im 32. Locus aber nur am Rande, selbst im Kontext der Bekräftigung des „Lutherischen Vermächtnisses“ (2.1.5). Höchstens in Ansätzen ist zudem eine „Prophetenfortschreibung“ ersichtlich.847 Insofern kann die in F greifbare gruppenspezifische Luthermemoria, gerade mit ihren inhaltlichen Propria, zugleich als Ausdruck bzw. Momentaufnahme der Vielstimmigkeit bzw. der „themen- und problemspezifischen Gruppenbildungen“ des sich zunehmend ausdifferenzierenden Luthertums verstanden werden, die mit der Unterscheidung von „Gnesioluthertum“ und „Philippismus“ nur unzureichend erfasst wird.848

847 848

S. S. 77. S. hierzu die Ausführungen Dingels: C&C 1, 10–12.

III. Kapitel:

Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“ III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Die Analysen zur Luthermemoria bzw. zum Lutherbild der zweiten, nach Loci geordneten Tradition erfolgen vornehmlich auf Grundlage der Halleschen Handschrift D 116 2° (= Halle), ihrer frühesten Repräsentantin.1 Gemäß den methodischen Vorüberlegungen geht der thematischen Auswertung dieser als „Lauterbach-Hänelsche“ zu bezeichnenden Tradition, bei der die jeweiligen Propria zugleich im Vergleich mit der „Wellerschen Tradition“ weiter erhellt werden (2), erneut eine differenzierte Vorstellung der zugrundeliegenden Handschrift bzw. der durch sie repräsentierten Tradition voran (1).

1. Die Handschrift Halle als Repräsentantin der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“

1. Die Handschrift Halle als Repräsentantin Im Unterschied zu F finden sich in den uns überkommenen Zeugnissen konkrete Hinweise auf die Entstehung der erstmals in Halle greifbaren 1 Die Handschrift D 116 2° (Halle, Universitäts- und Landesbibliothek SachsenAnhalt, Außenstelle Franckesche Stiftungen) wurde von Heinrich Ernst Bindseil unter dem Titel „D. Martini Lutheri Colloquia Meditationes, Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae e codice Ms. Bibliothecae Orphanotrophii Halensis cum perpetua collatione editionis Rebenstockianae […]“ in drei Bänden zwischen 1863–1866 ediert. Das dortige Vorwort stellt die ausführlichste Beschreibung der Handschrift dar (s. bes. BINDSEIL, Colloquia, I, XIX–LI); s. aber auch FÖRSTEMANN / BINDSEIL, Tischreden, IV.XLIX–LV sowie ergänzend: W2 22,17a–20b bzw. WA.TR 4, IX–XII.XIX.XXXIXf.; 5,XL–XLIII; s. bedingt auch WA.B 14,71f. [Nr. 152] sowie WEISKE, Mitteilungen, 13 [Nr. 9]. Erstinformationen bietet SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 152f. Zitate erfolgen nach der Handschrift, die mit dem Sigel aus WA.TR als „Halle“ bezeichnet wird. Zu den späteren Zeugen dieser Tradition s. MEYER, Sammlungen, bes. 4–26: Die Hallenser Handschrift D 116 2° gilt ihm als Abschrift der ersten Fassung, die auch Aurifaber vorgelegen habe. Die zweite Fassung sei in den Dresdner Bänden A 91 und 92 (zu diesen s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 134) sowie unvollständig in der Gothaer Handschrift Chart. A 262 (s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 139f.) greifbar. Die dritte Fassung liege nur indirekt vor: in der latinisierten Druckausgabe von Rebenstock (s. S. 565–568) sowie in der Wolfenbütteler Handschrift Extr. 72 (s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 177f.), die sich eng an die dritte Bearbeitung anschließe, aber dennoch eine weitere vierte Stufe darstelle.

1. Die Handschrift Halle als Repräsentantin

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„Lauterbach-Hänelschen“ Tradition. Diese sollen in einem ersten Schritt historisch-kritisch ausgewertet werden (1.1). Im zweiten Schritt wird die Handschrift selbst vorgestellt (1.2). Darauf aufbauend ist die in Halle greifbare Tradition in ihrer Bezogenheit auf Lauterbach näher zu entfalten (1.3). Abschließend wird der Inhalt der Handschrift in systematisierter Weise vorgestellt (1.4). 1.1.

Zur Entstehung der Tradition

Den frühesten Hinweis auf die von Halle repräsentierte ApophthegmataTradition stellt eine Nebenbemerkung Georg Rörers in seinem Schreiben vom 26. Februar 1551 an den Pirnaer Superintendenten Anton Lauterbach (1502–1569) dar.2 Unverhohlen klagte Rörer in düsterer Stimmung über die letzten zwei Jahre und teilte verklausuliert seinen Weggang aus der ehemaligen ernestinischen Residenzstadt mit, wozu auch das eingetrübte Verhältnis zu Melanchthon beigetragen haben dürfte.3 Die für die vorliegende Apophthegmata-Tradition entscheidende Notiz, mit der Rörer nachdrücklich die Umarbeitung der Lauterbachschen Sammlung in Loci voranzutreiben versuchte, findet sich im „Postskriptum“, unmittelbar vor der Bitte um Vernichtung des wohl als zu brisant angesehenen Schreibens:

2 Zu Lauterbachs Biographie s. immer noch HOFMANN, Reformationsgeschichte, bes. 144–157.260–277.298–307 (Beilage I: Mag. Anton Lauterbachs Kirchenordnung für die Stadt Pirna), der hier in weiten Teilen auf MEIER, Skizze sowie Seidemanns Hinweise im Vorwort der Edition des „Tagebuchs“ von 1538 (SEIDEMANN, Tagebuch, V–IX) rekurriert. An neuerer Literatur ist zum einen der kurze aber fundierte Abriss von Wartenberg (WARTENBERG, Landesherrschaft, 248–251) sowie das, aus einer Seminararbeit hervorgegangene Büchlein von Walter Lechner (LECHNER, Lauterbach) hervorzuheben. Dem Verfasser sei an dieser Stelle herzlich gedankt für die Überlassung der im Unterschied zur Druckfassung mit Anmerkungsapparat versehenen Seminararbeit! Von den Artikeln in klassischen Nachschlagewerken ist WAGENMANN, Lauterbach hervorzuheben. Die Parochie Pirna umfasste neben der Stadt Pirna mit Cunnersdorf, Vogelgesang und Ebenheit noch neun Dörfer, die Ephorie Pirna bestand aus den elf Kirchen des Amtes Pirna, den zwölf Kirchen des Amtes Hohnstein mit Lohmen und Wehlen sowie den sechzehn Kirchen des „Oberkreises“ (vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 150f.). 3 Zu den Gründen, die diesen Weggang veranlassten s. MICHEL, Sammler, 27f. Die damit einhergehende Eintrübung des Verhältnisses zu Melanchthon (vgl. ebd., 14f.26f. bzw. Philipp Melanchthon an Matthias Flacius. [Wittenberg,] 4. September 1556: CR 8,839–844 [Nr. 6067]) war zumindest von Wittenberger Seite zunächst kein völliger Bruch, wie z.B. das Empfehlungsschreiben Melanchthons für Rörer vom 25. März 1551 an den dänischen König, Christian III., zeigt (vgl. CR 7,758f. [Nr. 4870]). Deutlich mehr Unmut über Rörers bevorstehenden Weggang lässt das Schreiben Bugenhagens vom Folgetag erkennen (vgl. Bugenhagen an Christian III. Wittenberg, 26. März 1551: VOGT, Briefwechsel, 491–493).

308

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

„Saluta cooperarios tuos et admone D. Josephum, ut pergat in describendis sermonibus convivalibus Viri Dei et distribendis ipsis in locos communes.“4

Grüße an Joseph Hänel (ca. 1521–1590) gibt Rörer bereits am 17. August [1550] brieflich in Auftrag,5 so dass dieses „Projekt“ schon länger geplant gewesen sein könnte. Die ersten überlieferten Grüße können aber auch schlicht auf ihrer Bekanntschaft aus Hänels Wittenberger Tagen beruhen. Jedoch deutet das „ut pergat“ im Schreiben vom 26. Februar 1551 darauf hin, dass Hänel die Arbeit bereits aufgenommen hatte und zur Fortsetzung gemahnt werden sollte. Hänel selbst war von 1547–1549 Archidiakonus in Pirna und damit im unmittelbaren Umfeld Lauterbachs tätig. Zur Abfassungszeit von Rörers Schreiben ist er nicht mehr direkt in Pirna, aber im zur Ephorie gehörenden Hohnstein greifbar, wo er seit dem 29. September 1549 als Pfarrer amtierte.6 Studiert hatte Hänel ab 18. Juni 1540 in Wittenberg. Bereits am 4. August 1541 wurde er zum Magister Artium ernannt. Melanchthons Briefwechsel zeigt, dass er den gelehrigen Mann sehr schätzte. Im Juni 1546 empfahl er diesen Lauterbach für weitere Studien.7 Nach der Auflösung der Wittenberger Universität versuchte Melanchthon, Hänel in Magdeburg eine Stelle als Schul- bzw. Hauslehrer zu verschaffen.8 Erfolgreicher begleitete Melanchthon federführend die Übernahme ins geistliche Amt in Pirna unter Lauterbachs Ägide; am 16. März 1547 wurde Hänel in Wittenberg für das Diakonat in Pirna ordiniert.9 Lauterbach wiederum war, als er Rörers nachdrückliche Bitte erhielt, schon über zehn Jahre als Pfarrer und Superintendent in Pirna tätig, das nur wenige Kilometer von seinem Geburtsort Stolpen entfernt liegt. Seine Rückkehr in die albertinische Heimat erfolgte kurz nach Amtsantritt Herzog Heinrichs, fiel also mit der Einführung der Reformation in diesem Gebiet zusammen, in deren Zusammenhang Lauterbach als „Verbindungsmann“ zu den Wittenberger Autoritäten fungierte und so zu einem 4 Georg Rörer an Anton Lauterbach. Wittenberg, 26. Februar 1551: FLEMMING, Briefwechsel, 35–37, 37 [Nr. 6]. 5 Georg Rörer an Antonius Lauterbach. Wittenberg, 17. August [1550]: FLEMMING, Briefwechsel, 34f., 35 [Nr. 5]. 6 GRÜNBERG, Pfarrerbuch, 509.279 – von hier ist Krokers Aussage, Hänel sei Pfarrer in Neustadt bei Stolpen, zu korrigieren (WA.TR 5, XLII). Zu Hänel s.a. HOFMANN, Pirna, 309 [Nr. 4] sowie MBW 12,223. 7 Vgl. Melanchthons Schreiben an Lauterbach vom 12. Juni 1546: CR 6,172 [Nr. 3482]. 8 Vgl. Melanchthons Schreiben an Johannes Aurifaber (Vratislaviensis). [Dezember 1546]: CR 6,338 [Nr. 3685]. 9 Vgl. CR 6,337 [Nr. 3683] bzw. den Vermerk im Wittenberger Ordiniertenbuch (zitiert nach BUCHWALD, Ordiniertenbuch, 54 [Nr. 855]): „Josephus Heuel von Pirna, Aus dieser Vniversitet, Beruffen doselbsthin zum Priesterambt.“

1. Die Handschrift Halle als Repräsentantin

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der zentralen kirchlichen Amtsträger Kursachsens avancierte.10 Studiert hatte Lauterbach zunächst in Leipzig, in Wittenberg ist er erst ab 1528 – wohl nach einer Tätigkeit als Lehrer in Freiberg – als Student greifbar.11 Dort war er Luthers Haus- und Tischgenosse, bis er 1533 als Diakon nach Leisnig wechselte. Die mit seinem Namen verbundene ApophthegmaTradition, deren Ordnung nach Loci von Rörer Februar 1551 angemahnt wurde, geht materialiter trotzdem fast gänzlich auf seinen zweiten langen Wittenberg-Aufenthalt von 1536–1539 zurück.12 In dieser Phase wurde Lauterbach zum „Hauptträger“ der Überlieferung;13 eindrücklich bezeugen Datumsangaben seine hohe Präsenz im Hause Luthers, obwohl er verheiratet war und einen eigenen Hausstand hatte.14 Ergänzen konnte Lauterbach diese Sammlung anlässlich seiner regelmäßigen Besuche in Vgl. WARTENBERG, Landesherrschaft, 248. Seinem Amtsantritt in Pirna unmittelbar vorangegangen war eine erste Visitation, laut Visitationsbericht durchgeführt von Justus Jonas, Georg Spalatin und Melchior von Kreutz, ergänzend kamen die beiden albertinischen Adeligen, Rudolf von Rechenberg und Caspar von Schönberg zu Reinsberg, hinzu (vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 58–81, 60 [s. bes. die Wiedergabe des Berichtes: ebd., 60–75]; WARTENBERG, Entstehung, 69–73; LECHNER, Lauterbach, 16–21). Während der zweiten Visitation des meißnischen Gebietes (Dezember 1539 – Juli 1540; in Pirna traf die Kommission am 22. Januar 1540 ein) war Lauterbach bereits vor Ort, war aber nicht als Visitator tätig – als solche fungierten die Superintendenten Wolfgang Fueß, inzwischen Chemnitz, und Caspar Zeuner von Freiberg sowie die Räte Hans von Kitzscher, Dietrich Preuß und erneut Rudolf von Rechenberg (s. hierzu WARTENBERG, Entstehung, 73–77; HOFMANN, Reformationsgeschichte, 82–100 [s. bes. die Wiedergabe des Protokolls: ebd., 88–100]; LECHNER, Lauterbach, 21f.). Zur dritten im Jahr 1555 unter Beteiligung Lauterbachs durchgeführten und zum Entstehungskontext von Halle gehörenden Visitation s. S. 398. 11 S. den Vermerk im Album Academiae Vitebergensis 1,133b: „Anthonius Luterbach de Stolpen“. Der immer wieder angenommene Aufenthalt Lauterbachs in Wittenberg im Jahr 1521 dürfte auf einen Irrtum Aurifabers zurückgehen. Nur bei ihm wird Lauterbach mit Luthers Reise nach Worms in Verbindung gebracht: „Von Doctor Martin Luthers Reise und Handlung aufm Reichstage zu Worms 1521. Anno 1521. den 27. Septembris kam ich M. Ant. Lauterbach gen Wittenberg“ (zitiert nach WA.TR 3,287,19–21). Andernfalls ist kaum erklärbar, warum diese für Lauterbach biographisch wichtige Information keinen Eingang in die Parallelüberlieferung der Handschrift Halle gefunden hat (vgl. D 116 2°, fol. 207b = WA.TR 3, 284,12f. [Nr. 3257b]). Zur Tätigkeit in Freiberg s. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 147. 12 Aufgrund eines unlösbaren Konfliktes mit seinem Kollegen und Vorgesetzten in Leisnig, Wolfgang Fueß (gest. 3. Mai 1551), hat ihn Luther nach Wittenberg zurückgeholt (s. hierzu LECHNER, Lauterbach, 10–12; WARTENBERG, Landesherrschaft, 244– 246). 13 WA.TR 3, XI. 14 Kroker hat für das Jahr 1538 ermittelt, dass Lauterbach an 169 Abenden mitgeschrieben hat (vgl. WA.TR 3, XLIII). Das „Tagebuch“ von 1539, das mit dem Vorabend von Lauterbachs Weggang nach Pirna endet, d.h. am 23. Juli 1539, umfasst bereits 124 Abende (WA.TR 4, XIII–XV). 10

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Wittenberg in den 1540er Jahren, so dass er über eine nicht unwesentliche Überlieferung verfügte.15 Dass Luther in all den Jahren für Lauterbach die (theologische) Autorität darstellte, zeigen neben der ApophthegmataÜberlieferung auch dessen fast gänzlich aus Luthers Antwortschreiben zu rekonstruierenden Anfragen aus Leisnig sowie Pirna.16 Die einzig erhaltene briefliche Anfrage Lauterbachs, datierend vom 7. Dezember 1539, verdeutlicht dies exemplarisch, bezogen auf die Frage der Privatkommunion: „Derhalben, Achtbarer herr Doctor, ich neben andern meinen gehülffen vnd pfarrern euerm rat [d.h. bezüglich der Privatkommunion; I.K.] treulich wil volgen, die wier bisher nach der Wittenbergischen kirchen vns altzeit gehalten haben vnd forthin auch halten wollen, biß das ihr mit gutem radt etwas enderet vnd solches offentlich lasset ausgehen.“17

Die in den uns überlieferten Briefen Luthers ebenfalls enthaltenen persönlichen wie vertraulichen (kirchen)politischen Informationen, aber auch verschiedene konkret-materielle Gefälligkeiten Lauterbachs, wie z.B. die Zusendung von Baumaterial, Lebensmitteln oder Kleidung, lassen erkennen, dass ihre Beziehung darüber hinaus auch von einer tiefen privaten Verbundenheit geprägt war. Durch Rörers im Mahnschreiben andeutungsweise mitgeteilten Entschluss, Wittenberg zu verlassen, scheint evtl. ein größerer Zusammenhang im Hintergrund auf, zumindest aufseiten Rörers. Dieser schrieb im Bewusstsein, dass er zukünftig nicht mehr am Wittenberger Editionsprojekt der Werke Luthers mitarbeiten und damit zumindest den einen Teil seines ihm durch die „adsidua lectio Bibliorum et scriptorum Viri Dei“18

vermittelten Trostes weitestgehend verlieren wird. Wenn er sich also in diesem Schreiben nachdrücklich um die Überlieferung der „sermones convivales Viri Dei“ bemühte, versuchte er, trotz seines Weggangs nach Dänemark weiterhin Verantwortung für die Überlieferung des Werkes

Vgl. WA.TR 4, XXI. Von Luther sind zwischen dem 8. Januar 1535 und dem 19. Oktober 1545 insgesamt 34 Briefe an Lauterbach überliefert, von denen vier in die Leisniger Jahre fallen, der Rest auf Lauterbachs Wirken als Superintendent zurückgeht; hinzu kommt ein Schreiben Lauterbachs an Luther (WA.B 8, 627f. [Nr. 3422]); zum Inhalt der Schreiben bzw. den Gefälligkeiten s. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 154–156.197– 207.271–273; LECHNER, Lauterbach, 12–14.15.30–34.38f. 51f.; MEYER, Sammlungen, 21–33. 17 WA.B 8, 628,23–27 [Nr. 3422]. 18 Georg Rörer an Anton Lauterbach. Wittenberg, 26. Februar 1551: FLEMMING, Briefwechsel, 36 [Nr. 6]. 15 16

1. Die Handschrift Halle als Repräsentantin

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Luthers zu übernehmen.19 Insofern er dies wohl mit dem Wissen um das kürzlich in Freiberg in Gestalt von F abgeschlossene Parallelprojekt tat – zum einen verband ihn mit Hieronymus Weller eine tiefe Freundschaft, zum anderen rekurrierte F im Unterschied zu Halle in erheblichem Maße auf die Rörerschen Bände20 –, kann sein Interesse an der in Halle greifbaren Tradition auch als Interesse an dem auf anderer Quellenbasis erfolgenden weiteren Projekt, evtl. in Hinblick auf eine „Gesamtedition“ der Apophthegmata Lutheri, verstanden werden.21 Gerade mit Blick auf Rörers eigene Überlieferungen wird man dessen Anteil an der Umarbeitung der Lauterbachschen Tradition in eine nach Loci geordnete Sammlung, zumindest in materialer Hinsicht, folglich nicht zu hoch anzusetzen haben. Dass Rörer den Mahnbrief vor dem Hintergrund der Werkausgabe schreibt, zeigt sein Verweis auf den (letzten) von ihm edierten vierten Band der deutschen Reihe der Wittenberger Ausgabe. Auch hier klingt Kritik an Melanchthon relativ unverhohlen an, wenn Rörer die starke – auf ihn zurückgehende – antipapalistische Ausrichtung betonte, und er ausführte, dass er sich Melanchthons Praefatio schon vor drei Jahren gewünscht hätte: „Inserui nemine consulto in 4. Tomum, qui nunc est editus. libros, in quibus acerrime, plane spiritu Eliae invectus est Reverendus pater Dominus M a r t i n u s in diabolicum Idolum Romanum et pestilentem sedem, ac putabam non probare plerisque. Sed deo sit gracia, contrarium sencio. Vtinam tale scriptum fuisset editum ante Triennium, qualis nunc est praefacio in hunc Tomum. Sed Deo omnia commendo. Reliqua relinquo tuae cogitacioni.“22

S. in dieser Hinsicht auch die im vorangehenden Schreiben an Lauterbach geäußerte Angst, dass die Edition der Werke Luthers verboten werden könnte (Georg Rörer an Antonius Lauterbach. Wittenberg, 17. August [1550]: FLEMMING, Briefwechsel, 34 [Nr. 5]). 20 S. S. 118–120. 21 Dass eine solche im Raum stand, zeigt ein Schreiben von Friedrich Mykonius an Georg Rörer aus dem Jahr 1546, in dem der Gothaer Superintendent von entsprechenden Überlegungen seines Freundes und Eisenacher Kollegen berichtet: „Herr Justus Menius hat mich einmal in meiner Schwachheit besucht und mir gesagt, daß man die letzten Predigten des lieben theuern Mannes, Dr. Martin Luther, fleißig zusammenbringe; ebenso seine tröstlichen, heilsamen Reden, die er über Tisch und sonst gethan hat, die wohl werth sind, daß sie sorgfältig aufgehoben und verwahrt werden, damit sie mit der Zeit durch den Druck ausgehen und unter die Leute kommen möchten“ (Friedrich Mykonius an Georg Rörer. Gotha, 23. März 1546: LEDDERHOSE, Mykonius, 298–303. 298 – s.a. DELIUS, Briefwechsel Mykonius, 194f. [Nr. 447]). 22 Georg Rörer an Antonius Lauterbach. Wittenberg, 17. August [1550]: FLEMMING, Briefwechsel, 36 [Nr. 5]. Die Frage nach der Rolle Melanchthons wird in III 2.2.3 vertieft beantwortet werden. 19

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Dass die von Rörer damals angemahnte Umarbeitung wenige Jahre später zu einem Abschluss gelangt war, zeigt die folgende, wohl ca. Mitte 1556 zu datierende Notiz: „Der Pfarher zu Birn [d.h. Lauterbach; I.K.] hat 4 Bucher D. Marthini Tischreden zusamen gefast, die sein caplan in ordnung bracht, darumb solt zu handeln sein.“23

Dieser Hinweis ist Teil einer von den ernestinischen Räten erstellten Liste von Punkten, die hinsichtlich Rörers zu klären seien. Überliefert ist dieser „Notizzettel“ im Zusammenhang von Rörers Verhandlungen mit Herzog Johann Friedrich d.M. vom Juli 1556 über die Aufnahme weiterer Lutherpredigten in die Jenaer Lutherausgabe, an deren Entstehung der 1553 zu diesem Zweck aus Dänemark von den Ernestinern zurückgerufene Rörer in zentraler Position mitarbeitete und sich damit offen gegen seine ehemaligen Wittenberger Kollegen und Freunde stellte.24 Von hier ist zum einen gesichert, dass die nach Loci geordnete Sammlung der Lauterbachschen Tradition spätestens im Juli 1556 fertiggestellt war. Zugleich belegt dieser Notizzettel, dass die Sammlung vor Ort in der Ephorie Pirna entstand und damit primär ein – wenn auch punktuell von außen begleitetes – „internes“ Unternehmen darstellte. Offen bleiben muss, inwiefern damals bereits eine Druckfassung dieser Tradition anvisiert war.25 Der „Notizzettel“ belegt, dass man nach Rörers Rückkehr und damit nun im Kontext der Jenaer Lutherausgabe weiterhin Interesse an dieser Sammlung zeigte („zu handeln sein“). Dennoch rekurrierte erst der ebenfalls zum Mitarbeiterstab gehörende Aurifaber im Rahmen seiner eigenen Edition im Jahr ThHStAW, EGA, Reg. O 774, 44. Dass der „Zettel“ bei der Neubindung des Kodex im 19. Jahrhundert zumindest an passender, wenn nicht an der ursprünglichen Stelle aufgenommen worden ist, zeigen weitere von den Räten aufgeführte Punkte: U.a. ist auf die Erwähnung der „vierten Press“ in Punkt 5 zu verweisen (ThHStAW, EGA, Reg. O 774, 44). Der damit insinuierte vierte deutsche Band der Jenaer Ausgabe erschien im Jahr 1556. Durch die ebenfalls in der Liste zu findenden Hinweise auf die Verhandlungen über die Übergabe der Sammlung Rörers an die sächsischen Herzöge und die damit zusammenhängende Frage eines Hauses für Rörer (ebd.), kann der terminus ante quem noch genauer bestimmt werden, insofern der Schösser Johann Gruner am 10. Juli 1556 berichtet, dass er ein passendes Objekt gefunden habe (s. hierzu MICHEL, Kanonisierung, 184 Anm. 444). Herrn PD Dr. Stefan Michel sei herzlich gedankt für die Hilfe bei der Einsichtnahme in die Quelle! Zum Kontext s. JAUERNIG, Lutherausgabe, 758 und insbesondere die intrikate Aufarbeitung und Deutung der Entstehung der Jenaer bzw. Wittenberger Werkausgabe durch MICHEL, Kanonisierung, 110–236. Jauernig bringt zu Unrecht Clemens Goldammer als Bearbeiter der in Halle greifbaren Tradition ins Gespräch (JAUERNIG, Lutherausgabe, 758 Anm. 12). 25 Im Jahr 1571 wird in der rein lateinischen, zweibändigen Rebenstockschen Druckfassung dieser Tradition auf dem Titelblatt darauf verwiesen, dass diese schon vor zehn Jahren für die Edition vorbereitet („ad aeditionem parata“), dann aber unterdrückt („suppressus“) worden sei (vgl. Reb I, fol. )( 1; Näheres zu dieser Ausgabe s. S. 565–568. 23 24

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1566 u.a. auf diese Sammlung und stellte sie somit indirekt und vor dem Hintergrund seines „gnesiolutheranischen“ Lutherbildes der Öffentlichkeit zur Verfügung.26 Unabhängig von der Frage nach Editionsplänen verdeutlichen die vorangehenden Ausführungen, dass die in Halle greifbare Tradition als eigenständiges Zeugnis einer in Pirna grundgelegten Luthermemoria und eines damit einhergehenden Lutherbildes anzusehen ist. Dies ist in den folgenden Analysen weiter zu vertiefen. 1.2.

Zur Handschrift

Bevor die in Halle greifbare Tradition näher als „Lauterbachsche Tradition“ entfaltet werden kann, ist die Handschrift selbst in den Blick zu nehmen. Laut Titelblatt datiert diese aus dem Jahr 1560, doch legt der Schriftduktus den Eindruck nahe, dass die letzte Zeile, insbesondere die Jahreszahl, nachträglich, evtl. beim Abschluss der Handschrift, ergänzt wurde.27 Der Titel lautet: „COLLOQUIA, MEDITACIONES || CONSOLACIONES, IVDICIA || SENTENCIAE, NARATION= || ES [SIC!], RESPONSA, FACETI= || AE, DOMINI DOCTO= || RIS MARTINI LVTHERI, PIAE || ET SANCTAE MEMORIAE, IN || MENSA PRANDII ET || CAENAE ET PEREGRINA= || TIONIBVS OBSERVA= || TA, ET FIDELI= || TER TRANSSCRIPTA || ANNO 1 5 6 0.“28

Abgesehen von Besitzervermerken enthält das Titelblatt über das Zitierte hinaus keine weiteren Angaben.29 Bereits im Rahmen der methodischen Überlegungen wurde darauf verwiesen, dass der dem Titel entnehmbaren differenzierten „Inhaltsbeschreibung“ eine ebenfalls differenziertere Beschreibung des realen „historischen Ortes“ entspricht.30 Zugleich wird eine memoriale Dimension („piae et sanctae memoriae“) angedeutet. Das „observata“ suggeriert zudem die Augen- bzw. Ohrenzeugenschaft, die durch das „fideliter transscripta“ auch für Halle, gedeutet als getreue Abschrift, in Anspruch genommen wird. Formal findet dies in gewisser Weise seinen Niederschlag in der sorgfältig geplanten, jedoch nicht gänzlich umgesetzten Gestaltung. Diese ist positiv greifbar am Schriftbild und der Beachtung des durch Linien abgeS. Kapitel IV. Die Gestaltung des Titelblattes wirkt insgesamt sehr unruhig, zumal im Unterschied zur restlichen Handschrift der vorgegebene Rand (s.u.) nicht beachtet wird. Auch sind anscheinend an zwei Stellen Rechtschreibfehler durch Einfügung kleiner Buchstaben korrigiert worden. Meyer datiert die Handschrift ohne Angabe von Gründen auf die Jahre 1558–1560 (MEYER, Sammlungen, 8.10). 28 D 116 2°, Titelblatt. 29 Auf diese Vermerke wird in III 1.3 näher einzugehen zu sein. 30 S. S. 35. 26 27

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grenzten inneren Bereichs für den Text bzw. die Kopfzeile. Es wurden weder Nachtragsstücke am Rand notiert noch am Ende der Abschnitte Raum für Ergänzungen eingeplant. In dieser zumindest äußerlichen Akkuratesse unterscheidet sich Halle deutlich von ApophthegmataHandschriften Rörers oder von H.31 Verbindet dies die Handschrift mit F, wirkt sie zugleich gerade im Vergleich mit der Gothaer Handschrift sehr schlicht. Abgesehen von z.T. in roter Farbe hervorgehobenen Überschriften oder Apophthegmata-Anfängen in Unzialbuchstaben fehlt jeglicher Schmuck. Zudem wird nicht mittels Schriftbild zwischen lateinischer und deutscher Sprache unterschieden. Ebenso wenig bietet Halle den Kodex schmückende Bilder. Zwar sind am Ende „Spottverse“ angeführt, doch sprengen diese nicht den normalen Textfluss und können ebenfalls kaum als Ausschmückung angesehen werden.32 Die Apophthegmata beginnen unmittelbar nach dem Titelblatt. Auch auf ein Vorwort wurde verzichtet. Eine „Prachthandschrift“ wie F stellt Halle somit kaum dar. Insgesamt umfasst Halle 654 beschriebene Folioblätter. Dass die Ausführung hinter der Planung zurückblieb, zeigt sich z.B. daran, dass die Kopfzeilen, abgesehen von einer Ausnahme, ungenutzt blieben.33 Zudem finden sich am Ende neben drei mit Blattzahlen versehene unbeschriebene Blätter, v.a. 16 weitere, ebenfalls leere aber graphisch unterteilte Seiten, auf denen vermutlich ein Register notiert werden sollte.34 Der konkreten Benutzung der Abschrift tat dies keinen Abbruch. Insbesondere auf den ersten ca. 100 Seiten wurde der Rand – z.T. wohl von späterer Hand – zur entsprechenden Kommentierung bzw. Hervorhebung einzelner Apophthegmata verwendet, zugleich erfolgt dadurch auch eine zusätzliche Strukturierung.35 Unter dem in der Handschrift Überlieferten finden sich auch wenige Stücke, die nach Luthers Tod datieren, bis auf zwei Ausnahmen aber den Rahmen des rekonstruierbaren Entstehungszeitraum des „Originals“ nicht sprengen.36 Neben „Aussprüchen“ Luthers werden den Loci – in ÜbereinBereits Bindseil kritisiert zu Recht die Textqualität der Handschrift (BINDSEIL, Colloquia, I, XXV); s.a. MEYER, Sammlungen, 6. 32 Vgl. D116 2°, fol. 654r–v. 33 Vgl. D 116 2°, fol. 41r: „DE PRAEDESTINATIONE“. 34 Vgl. BINDSEIL, Colloquia, I, XIX. 35 Vgl. BINDSEIL, Colloquia, I, XXXVII–XXXX. Im noch näher zu entfaltenden Abschnitt „De Doctore Martino Luthero“ findet sich – wie in weiten Teilen der Handschrift – überhaupt keine Randbemerkung. Dennoch wird auf fol. 31r auf fol. 413 verwiesen, so dass auch der „hintere“ Teil der Handschrift im Blick war. Z.T. werden als wichtig empfundene Aussagen mittels der Randbemerkung „N⌊ota B⌊ene“ oder eine zeigende Hand hervorgehoben (z.B. fol. 146v; 163v; 164v; 165r; 169r–171r; 178v; 202v; 204r; 205r; 206r). 36 S. hierzu BINDSEIL, Colloquia, I, Lf.; W2 22,20a. Zu den Ausnahmen s. III 1.3. 31

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stimmung mit dem Titel – auch Predigten Luthers, Briefe und Gutachten, Bucheinträge und andere Texte zugeordnet – entgegen des Titels auch von anderen Autoren, v.a. Melanchthon.37 Gegenüber den noch darzustellenden Quellen sind insbesondere inhaltliche Einleitungen zu den größeren Abschnitten des vorderen Teils hinzugekommen.38 1.3.

Zur Bezogenheit auf Lauterbach

Während die ältere Forschung die Handschrift Halle unmittelbar auf Lauterbach zurückführen wollte,39 führten die Funde der in 1.1. kritisch ausgewerteten Notizen zu einer Korrektur hin zu Joseph Hänel als „Redaktor“. Dies gilt streng genommen zunächst einmal nur für die Vorlage und zumindest nicht im selben Maße für die einige Jahre später abgeschlossene Abschrift, zumal sich Unterschiede andeuten. Z.B. wird in Halle auf den Tod D. Christiani Beiers Bezug genommen.40 Dieser war 1557 verstorben und damit nach Abschluss der „Vorlage“. Zumindest später verbessert sein muss des Weiteren die Angabe: „Hoc anno 1560 a mortuo Augustino sunt anni 1124.“41

Deshalb wird man einerseits eine gewisse Zurückhaltung üben müssen gegenüber einer zu direkten Rückbindung der Handschrift an Anton Lauterbach bzw. Joseph Hänel. Vor diesem Hintergrund gerät noch einmal das Titelblatt verstärkt in den Blick, insofern dort evtl. ein Hinweis auf den wohl von Lauterbach wie Hänel zu unterscheidenden Besitzer und evtl. auch Schreiber von Halle zu finden ist, der in der Forschung bisher kaum weiter verfolgt wurde. Auf diesem hat – leider ohne weitere Informationen wie z.B. eine Datums- oder Ortsangabe – ein „Paulus Rötting“ Vgl. WA.TR 5, XLIf. sowie W2 22, 18a; MEYER, Sammlungen, 26–29. Vgl. W2 22,18a. 39 Vgl. insbesondere BINDSEIL, Colloquia, I, XXXXVII–L; W2 22,20; MEYER, Sammlungen, bes. 17–20. Dennoch verweist bereits Meyer auf Unterschiede zwischen Lauterbachs Nachschriften und Halle, wenn auch mit anderem Fokus: „So ängstlich gewissenhaft und fleissig Lauterbach auch ursprünglich seine Aufzeichnungen gesammelt hat, so hat er doch, wohl im Bewusstsein wie unsicher der Wortlaut solcher Aufzeichnungen war, und in der Meinung er könne durch Redaction manches besser machen, im Ganzen aber des richtigen Taktes entbehrend, schon bei der ersten (Hallenser) Ausarbeitung sich Aenderungen erlaubt, welche die Treue der Ueberlieferung bedenklich beeinträchtigen […]“ (MEYER, Sammlungen, 5). Kroker betont, dass in Halle gegenüber den Tagebüchern insbesondere „lapsi stili“ korrigiert würden, v.a. in den nachträglich hinzugefügten summarischen Einleitungen; geringere Eingriffe seien in den wörtlichen Reden Luthers erkennbar (WA.TR 3, XXXIIf.). 40 Vgl. D 116 2°, fol. 295v. 41 D 116 2°, fol. 564r. 37 38

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unterschrieben. Zu Recht verweist Bindseil auf den unterschiedlichen Schriftduktus von Handschrift und Namenszug. Schwieriger zu entscheiden ist die Frage, ob die verwendeten Tinten tatsächlich sehr ähnlich sind.42 Der Nachname selbst ist im Sächsischen Pfarrerbuch in der Schreibweise „Röting“ für das 16. Jahrhundert mehrfach belegt.43 Unmittelbar dem Superintendenten Lauterbach unterstellt war zum einen ein ab 1559 als Diakon in Pirna wirkender, dort gebürtiger Bartholomäus Röting (1535–1592).44 Zum anderen war ein 1555 geborener „Paul Röting“ (gest. 21. Januar 1615) ab 1579/80 im ca. 30 km von Pirna entfernten Sebnitz, das Teil der Ephorie Pirna war,45 als Diakon in Nachfolge seines Vaters Georg tätig.46 Denkbar wäre, dass dieser Paul die Abschrift über seinen Vater oder evtl. Pirnaer Verwandtschaft (?) erhalten und bei diesem Anlass mit seinem Namen versehen hätte.47 Im Jahr 1560 war er selbst zu jung, um als Urheber, Auftraggeber oder namentlich zeichnender Besitzer infrage zu kommen. Wie bereits angedeutet, ist dieses „Fündlein“ insgesamt jedoch zu unkonkret, um als belastbares Zeugnis gewertet werden zu können. Genauso wenig ist auszuschließen, dass der auf dem Titelblatt genannte „Paulus Rötting“ mit den genannten Personen in keinerlei Verbindung steht und der Erstbesitzer respektive Auftraggeber war oder ebenso gut ein späterer Besitzer. Letztlich ist erst die – ebenfalls auf dem Titelblatt vermerkte – Schenkung der Handschrift im Jahr 1721 durch den Dresdener Notar Gottlieb Griesbach an die Waisenhaus-Bibliothek Halle der erste verifizierbare Nachweis. Neben diese punktuellen Anfragen an eine zu direkte Rückbindung an Lauterbach und Hänel treten andererseits starke Indizien, dass die Handschrift ohne Zweifel als Repräsentant der Lauterbachschen, nach Loci geordneten Tradition anzusehen ist. Ganz grundlegend hat die inzwischen als irrig erwiesene direkte Rückführung von Halle an Lauterbach in dem Vgl. BINDSEIL, Colloquia, I, XIX. Erstinformationen hierzu sind dem online zugänglichen „Pfarrerbuch Sachsen“ – ein Projekt der Arbeitsgemeinschaft für Sächsische Kirchengeschichte, des Instituts für Kirchengeschichte der Universität Leipzig und des Instituts für Informatik der Universität Leipzig – zu entnehmen (http://pfarrerbuch.de/sachsen/?s=r%C3%B6ting – letzter Zugriff: 23.04.2018). 44 Vgl. GRÜNBERG, Pfarrerbuch, 510; s.a. HOFMANN, Pirna, 310 [Nr. 9]. 45 Sebnitz gehört zu den Kirchen des Amtes Hohnstein; zur Zusammensetzung der Ephorie s. S. 307 Anm. 2. 46 Sein Bildungsweg führte ihn über St. Afra (Meißen) an die Universität Leipzig (ab 1574). Dass seine beiden ersten Ehen ihn zum Schwiegersohn des Sebnitzer Bürgermeisters, Martin Hauke, machten, zeigt seine gesellschaftliche Stellung. Für diese über den aktuellen Stand der online-Fassung hinausgehenden Informationen bedanke ich mich recht herzlich beim kirchengeschichtlichen Projektleiter, Dr. Hein. 47 Genaueres könnten die weiteren Forschungen im Rahmen des Projektes „Pfarrerbuch Sachsen“ ergeben. 42 43

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verstärkten Rekurs auf die Lauterbachschen Nachschriften ihren gewissen Anhalt.48 Deren breite Überlieferung deutet an, dass Lauterbach seine Schriften bereitwillig an Kollegen und Freunde zur Abschrift weitergab.49 Besonders hervorgehoben seien an dieser Stelle zwei Zeugen der Überlieferungen, insofern diese parallel zur nach Loci geordneten Sammlung entstanden sind und so belegen, dass Hänel nicht der einzige war, der Anfang der 1550er Jahre auf Lauterbachs „ungeordnete“ Überlieferung Zugriff hatte. Aufgrund der lokalen Nähe ist an erster Stelle auf die 1553/1554 entstandene Handschrift Chart. B 169 (= Ser.) bzw. der – in der Superintendentur wirkende – Neustädter Pfarrer Paul Richter zu nennen.50 Hinzu kommt die nicht im unmittelbaren Umfeld Lauterbachs ebenfalls im Jahr 1554 entstandene, auf den Ortrander Pfarrer Kaspar Khumer zurückzuführende Handschrift Ms. A 180 (= Khum.).51 Der bereits erwähnte Konnex zwischen Halle und der Lauterbachschen Überlieferung ist jedoch nicht nur auf einer rein materialen Ebene greifbar. Hinzu kommt beispielsweise, dass einige Apophthegmata, die nur in Halle überliefert sind, die für Lauterbach typischen „inhaltlichen und

48 Die von Lauterbach in den Jahren 1536/37 gesammelten Apophthegmata sind in der Gothaer Handschrift Chart. B 169 (= Ser.) sowie in der Leipziger MathesiusHandschrift (Rep. III/20aa 2°) und der Wolfenbütteler Handschrift 20. 3. überliefert und zwar gemeinsam mit Überlieferungen von Anfang der 1530er Jahre (vgl. WA.TR 3, XI–XVIII). Das sog. „Tagebuch“ Lauterbachs aus dem Jahr 1538 ist in vier Handschriften – in unterschiedlichem Umfange – überliefert: Dresd. I. 423 sowie Khum., Wern. und Clm. 939 (vgl. WA.TR 3, XXVII–XXXIII.XL–XLIV). Die ebenfalls als „Tagebuch“ bezeichnete Tradition aus dem Jahr 1539 endet mit Lauterbachs Weggang im Juli 1539 und ist in der bereits erwähnten Gothaer Handschrift Chart. B 169 greifbar, hinzu kommen größere Abschriften in der Leipziger Mathesius-Handschrift sowie Ms. Bos. q. 24p (vgl. WA.TR 4, XIII–XVIII). Spätere Mitschriften, die auf Besuche Lauterbachs in Wittenberg zurückgehen, bieten insbesondere die Parallelhandschriften Ms. A 180 (= Khum.), Clm. 939, Wern., die evtl. auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen (s. WA.TR 4, XXI–XXIV; WA.TR 2, XIIf.; WA.TR 3, XXVIIIf.). 49 Vgl. WA.TR 3, XXXI. 50 Näheres s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 169f. bzw. die Angaben auf dem Deckblatt (zitiert nach ebd., 169): „Colloquia Serotina D[octoris] M[artini] L[utheri] 1536. et sqq. 22. Octobris (am Rand: usque ad 1539.) descripta ex autográpho Domini Antonii Lautenbachii, primi superint[endentis] Pirn[ensis] in Misnia anno 1553. manu Pauli Iudicis al[ias] Richteri primi pastoris Neap[olitani] s[ive] Neostadt[iensis] prope Pirnam.“ 51 Näheres s. SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 134f. sowie die Unterschriften des ersten und zweiten Teils – zitiert nach WA.TR 4, XXI): „Laus Deo. Anno Domini 1554 dominica post Exaltationis crucis, quae erat 17. domi[nica post Trinitatis, haec apotegmata exscripsi et finem imposui CK“ bzw. „Laus Deo Patri, Deo Filio, Deo Spiritui Sancto, uni et aeterno Deo. Amen, Amen. Exscripsi ac finem imposui 22. die Novembris 1554. Caspar Khumer, pastor ecclesiae Dei in Orttrandt.“

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sprachlichen Eigentümlichkeiten“ aufweisen.52 Den engen Zusammenhang mit Lauterbachs sog. Tagebüchern von 1538 und 1539 belegt zudem das in der Handschrift greifbare Umarbeitungsprinzip, insofern i.d.R. bei der Erstellung der Loci unter Beachtung der zeitlichen Reihenfolge das ältere „Tagebuch“ vor dem jüngeren ausgewertet wurde.53 Indirekt mag auch für diese Deutung sprechen, dass Aurifaber in seinem berühmten Vorwort den Pirnaer Superintendenten an erster Stelle nennt und bei quellenkritischer Sichtung v.a. auf Halle rekurrierte und nicht die sog. Tagebücher.54 Somit ist das an sich allein nicht ausschlaggebende Argument der auf Lauterbach bezogenen Ego-Stellen, das insbesondere Bindseil stark macht, deutlich flankiert.55 Ebenfalls in Richtung Lauterbach weisen die weiteren verwendeten Quellen: Halle bietet nämlich zudem Paralleltexte zum 2. Abschnitt der Edition in der WA („Dietrichs und Medlers Sammlung“), zum 3. Abschnitt („Schlaginhaufens Nachschriften“) sowie zum 5. Abschnitt („Cordatische Sammlung“), ohne dass – so Kroker – entscheidbar wäre, „wer Geber und wer Nehmer“;56 zeitlich sind diese in die 30er Jahre zu datieren. Die 1540 entstandenen „Nachschriften des Mathesius“ (10. Abschnitt) seien z.T. nur mittelbar über Plato rezipiert worden.57 Die noch späteren Nachschriften, d.h. die von Kroker Heydenreich (11. Abschnitt) bzw. Besold (12. Abschnitt) zugeschriebenen Überlieferungen wurden nur punktuell aufgegriffen.58 Somit liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den frühen Phasen der Mitschriften und damit den Zeiträumen, zu denen Lauterbach – wenn auch mit Unterbrechung – selbst in Wittenberg weilte.59 Vgl. WA.TR 4, I. Vgl. WA.TR 4, IXf. Zur engen Verbindung zwischen den sog. Tagebüchern und Halle s.a. Hoppes auf die parallel ansteigenden Seitenzahlen bezogenes Argument (W2 22,18–20), mit dem dieser jedoch die Rückbindung der Handschrift an Lauterbach selbst belegen wollte. 54 Vgl. WA.TR 6, XVI. 55 Vgl. Bindseil, Colloquia, I, XXXXVIIIf. Mit Meyer kann zudem auf die Aufnahme von Lauterbachs Abschied aus Wittenberg (vgl. D 116 °2, fol. 553r–v bzw. MEYER, Sammlungen, 18f.) sowie die in der Gothaer Handschrift Chart. A 262, die von ihm als Repräsentant der zweiten Überarbeitungsstufe angesehen wird, zu findenden Randbemerkungen verwiesen werden: zum einen „is hunc librum collegit“, was auf „M. Antonius Lauterbach diaconus exposuit“ bezogen ist (vgl. Chart. A 262, fol. 32v bzw. MEYER, Sammlungen, 19f.), zum anderen die Ergänzung der Briefüberschrift „Scriptum M.L. ad fratrem quendam“ mittels „A. Lauterbach, a quo ego nactus sum haec collectanea“ (vgl. Chart. A 262, fol. 142r bzw. MEYER, Sammlungen, 20). 56 WA.TR 5, XLI. 57 Vgl. WA.TR 5, XLI sowie 4, XXXIXf. 58 Vgl. WA.TR 5, XLI. 59 Insofern die ebenfalls dieser Phase zuzurechnenden Nachschriften Dietrichs (1. Abschnitt) nicht und – wie soeben festgehalten – die Apophthegmata des 11. und 12. 52 53

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Nimmt man zu diesen Überlegungen noch den im Titel zum Ausdruck gebrachten Anspruch der Handschrift hinzu, eine getreue Abschrift („fideliter transscripta“) zu sein, liegt es insgesamt nahe, in Bezug auf die Urheber von Halle einerseits neutraler von einem Kreis um Lauterbach zu sprechen, zu dem Personen wie Joseph Hänel und evtl. auch Bartholomäus Röting oder Georg Röting sowie Paul Richter und bedingt Kaspar Khumer gehörten. Andererseits kann mit Kroker festgehalten werden, dass uns Halle eine Vorstellung vermittelt von der nach Loci geordneten Lauterbach-Hänelschen Vorlage.60 1.4.

Aufriss bzw. thematische Schwerpunkte

Da es keinen Index gibt, legt es sich prinzipiell nahe, bezüglich des Aufrisses bzw. thematischen Spektrums von Halle in besonderer Weise die Überschriften heranzuziehen.61 Dies ist jedoch nicht ganz unproblematisch. Bereits Bindseil verweist zu Recht darauf, dass die Überschriften nur bedingt das Folgende umfassen, vielmehr mehrfach eigene Überschriften fehlen.62 Zudem hat der Schreiber auf eine klare graphische Unterscheidung von thematischen Haupt- und Nebenüberschriften verzichtet. Immer wieder legt sich der Eindruck nahe, dass deren Formatierung nicht nur als Gliederungssignal, sondern auch zur Hervorhebung von dem Schreiber besonders wichtig erscheinender Stellen verwendet worden ist. Insofern ist die Rede von „Loci“ mit einer gewissen Unschärfe behaftet. Unter diesen Vorbehalten soll nun die Handschrift systematisch erfasst werden. Dazu kann auf Bindseils Gliederung wie auf Meyers Versuch, aufgrund der Überschriften einen nach „den Hauptstücken der christlichen Lehre“ unterteilten Teil 1 (= B. 1) von einem nach dem Alphabet geordneten Teil 2 (= B. 2 und 3) zu unterscheiden, zurückgegriffen werden.63 Mit Meyer wird im Folgenden von einer Zweiteilung der Handschrift ausgegangen, wenn auch nicht in der von Meyer postulierten Stringenz. Vielmehr dürfte der zweiteilige Aufbau darauf hinweisen, dass die nach Loci geordnete Lauterbachsche Tradition nicht nach einem einmal entworfenen Gesamtraster erstellt wurde, sondern im Entstehungsprozess weiter gewachsen ist. Andernfalls ließe sich schwer plausibilisieren, dass sich ab fol. 218v ohne jegliche Zäsur eine weitestgehend alphabetische Abschnittes kaum rezipiert wurden, zeichnet sich bereits auf dieser Ebene ein markanter Unterschied zu der erstmals in F greifbaren „Wellerschen“ Tradition ab. 60 Vgl. WA.TR 5, XLIII. 61 Eine Gesamtübersicht der Überschriften bietet BINDSEIL, Colloquia, I, XXXX– XXXXVI. 62 Vgl. BINDSEIL, Colloquia, I, XXXXVIf. 63 Vgl. BINDSEIL, Colloquia, II, IV–X; III, IX–XII bzw. MEYER, Sammlungen, 5; s.a. ebd., 10.

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Anordnung abzeichnet, in die weite Teile des Vorangehenden zwanglos hätten integriert werden können.64 Insofern dem Aufriss erste Hinweise auf die memorialen Interessen des Lauterbachschen Kreises zu entnehmen sind und damit implizit auch erste Konturen des Lutherbildes greifbar werden, soll im Folgenden die Handschrift trotz der dargestellten Schwierigkeiten ihrem Inhalt nach systematisiert vorgestellt werden. Im vorderen Teil zeichnen sich – zumindest anfänglich – größere Themenkomplexe und damit eine Grobstruktur ab, die jedoch zunehmend an Stringenz verliert. Es scheint geradezu, als wären gegen Ende immer weitere Themen nachgetragen worden, bis der Plan entstand, die Sammlung mittels alphabetischer Ordnung fortzuführen. Zu Beginn wird in groben Zügen ein dogmatischer Bogen von der Gotteslehre über die Christologie und Ekklesiologie hin zur Soteriologie und den letzten Dingen gespannt (fol. 1r–59r), doch steht weniger der dogmatische Gehalt als dessen amtstheologisch-praktische bis hin zur „paränetisch-seelsorgerlichen“ Zuspitzung im Vordergrund. Dies zeigt sich z.B. daran, dass explizit die Fragen der „vocatio ministrorum“ und der „excommunicatio“, die „invocatio et oratio“, die „confessio auricularis“, Krankheiten und Medizin und nicht minder exempelhaft-praktisch grundgelegt, die „mors“ behandelt werden. Es folgt als zweiter Themenkomplex ein längerer Teil, der – wenn auch mit von F verschiedenen Fokus – als „antipapalistisch-polemisch“ beschrieben werden kann, insofern dort die Privatmesse, das Mönchtum sowie das Papsttum und seine Anhänger und dessen Amtssitz Rom thematisiert werden (fol. 59v–81r). Mit dem dritten Themenkomplex wurde vornehmlich auf „Paränetisches“ bzw. „Seelsorgerliches“ gezielt (fol. 81v– 123v). Der Rede von der „ingratitudo et malitia“ der Welt sind verschiedene Laster und Sünden beigeordnet, daneben treten aber differenziert besondere Offenbarungen, Zeichen und Erscheinungen, die letztlich in einem Abschnitt über den Teufel gipfeln. Am Ende stehen Ausführungen über den gefallenen Menschen, jedoch erneut nicht primär „dogmatisch“ ausgerichtet, insofern mittels der Unterabschnitte „infantes“, „mulieres, uxores“, „parentes“ und „familia“ gewissermaßen eine protestantische „Haustafel“ entworfen wird. Demgegenüber wird mit Aussagen zur menschlichen „Sprache“ und zur Bildung ein vierter Themenkomplex begonnen; auch hier zielt der Kreis um Lauterbach auf Konkretion, wenn er Urteile über zeitgenössische Gelehrte zusammenstellt, wobei Erasmus von Rotterdam ein eigener Unterabschnitt zuerkannt wird (fol. 123v– 133r). Die folgenden, nicht minder konkreten Ausführungen zum Konstanzer Konzil – bis hin zur Auflistung der Teilnehmer – mögen auf schieres historisches Interesse zurückzuführen sein (fol. 133r–136v), leiten Während Halle auch in dieser Hinsicht der Vorlage „treu“ zu folgen scheint, setzen spätere Redaktionen eben hier ordnend an (s. MEYER, Sammlungen, 10–14). 64

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aber in gewisser Weise zugleich über zum im weiten Sinne als auf die „politia“ bezogenen fünften Themenkomplex (136v–174r). Die Aussagen über die Juristen sind zunächst grundsätzlicher Natur, spätestens aber durch den mit der Frage „Utrum hosti fides sit servanda“ überschriebenen Unterabschnitt erfolgt der Übergang. Im Folgenden verwendet Halle den Begriff selbst und thematisiert zunächst den Magistrat, es folgen Ausführungen zu den Fürsten, die wiederum sehr konkret gehalten und dabei primär auf Sachsen fokussiert sind: u.a. steht am Anfang „Dux Albertus“ und Herzog Georg ist eine eigene Unterabteilung gewidmet. Nicht minder konkret sind die versammelten Apophthegmata zu den Königen und Königinnen. Unter der Überschrift „Foedera Protestantium“ werden dann das Widerstands- bzw. Verteidigungsrecht thematisiert. Am Ende steht die Frage nach dem Verhältnis von Christentum und dem Prozessieren vor Gericht. Dies ist der letzte, deutlicher abgegrenzte Themenkomplex. Im Folgenden gehen die Themen eher unsystematisch ineinander über. Auf den „informativen“, d.h. Stereotypen verbreitenden Abschnitt über Regionen und Völker, der mit den Türken und Überlegungen zu deren Sprache endet (fol. 174r–192r), folgen wieder eher paränetischseelsorgerliche Themen (fol. 192r–196v: „Praesumptio et temeritas“, „Divitiae et thesauri“, „Quaestus et usura“, „furtum“ bzw. 198r–199r: „Veritas“; „Mendacium“), unterbrochen durch Abschnitte über die Waldenser bzw. Wycliff und Hus (fol. 197r–198r). Breiter Raum wird anschließend wohl eher der Unterhaltung dienenden Ausführungen Luthers eingeräumt, in denen u.a. Sprichwörter, Scherzhaftes, Fabeln thematisiert werden (fol. 199r–207v). Mit dem Bericht über Luthers „Reise nach Worms“ (1521) erfolgt ein weiterer unvermittelter Bruch (fol. 207v–210v). Nicht minder ergänzt erscheinen die auf die Narren bzw. deren Heilsstatus bezogenen Aussprüche (fol. 210r–v). Der diesen ersten Teil beendende, auf die „Juden“ bezogene Abschnitt (fol. 210v–218v)65 greift letztlich den mit den Ausführungen zu den „Türken“ begonnenen Faden wieder auf. Mit dem Locus „Absolutio privata“ wird dann nahtlos der weitestgehend alphabetisch geordnete zweite Teil eröffnet, der vornehmlich auf die ersten drei Buchstaben des Alphabets konzentriert ist – weitestgehend, da selbst mit den von Meyer postulierten Änderungen die alphabetische Ordnung mehrfach durchbrochen wird, nicht nur, aber insbesondere gegen Ende der Handschrift. Dies veranlasst Meyer u.a., einen Locus „Ecclesia?“ zu postulieren, dessen Spektrum er mit den Stichworten „papae“, „papatus“, „decreta“, „episcopi“, „haeretici“ umschreibt. Angemessener erscheint es, dem von ihm für die abschließenden Loci (fol. 650r: „Cervisia“; fol. 650v: „An anima rationalis sit ex traduce“; fol. 654: „Romae

65

Zur Rezeption dieses Locus seitens Aurifaber s. KLITZSCH, Juden.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

descriptio“) formulierten Hinweis zu folgen,66 d.h., nicht nur diese, sondern bereits der mit „Papae“ (fol. 603v) einsetzende Abschnitt sind als Nachtrag zu verstehen, gewissermaßen als „dritter Ansatz“.67 Dass neben die „alphabetische“ Ordnung zudem im nicht geringen Maße thematische Stichwortketten als Gliederungsmoment hinzutreten, kann exemplarisch anhand der im Zentrum der folgenden Analysen stehenden, auf Luther und Melanchthon bezogenen Abschnitte verdeutlicht werden. Der Abschnitt „De Doctore Martino Luthero“ setzt ein mit einer in rot gehaltenen großen Überschrift in Kapitälchen (fol. 570b) und ist weiter untergliedert. In selber Ausführung erscheinen die sachlogisch als Unterüberschriften zu wertenden Aspekte „Initium cum Tetzelio“ (fol. 580v), „Lutheri curriculum“ (581v), „Libri Lutheri“ (fol. 589v), „Oeconomia Lutheri“ (594v), die zudem z.T. nur auf das unmittelbar folgende Apophthegma bezogen sind. Ebenfalls graphisch auf gleicher Ebene angesiedelt ist der Abschnitt „Philippus Melanthon“ (fol. 594v). All dies mag, wie Meyer annimmt, als Teil des auf fol. 535v beginnenden Locus „Concionatores“ verstanden worden sein. Durch die Formatierung wird dies aber nicht erkennbar, insofern auch die Überschrift des Abschnittes „Concionatores“ auf der gleichen Ebene angesiedelt ist. Zudem ist der Weg hin zu „Luther“ und dessen Äußerungen über Melanchthon – wie er anhand der Überschriften und zudem von den darunter subsumierten Inhalten erkennbar wird – kein stringent logischer. Er führt von Luthers Vgl. MEYER, Sammlungen, 10. Zu den weiteren Änderungen Meyers gehören z.B. die „Umbenennung“ der Überschrift „Universitas“ (fol. 224v) in „Academia“, die kaum plausibilisierbare Zuordnung des Locus „Catechismus“ (fol. 238r–249r) als Unterpunkt von „Biblia“ sowie die nicht minder zu hinterfragende Kategorisierung der mit „Nobiles“ überschriebenen Apophthegmata (fol. 414r–415v) zum Locus „Carolus (Caesares?)“. Streng genommen durchbrechen bereits die ersten drei von Meyer genannten Loci die strikte alphabetische Ordnung, wenn auf die „Absolutio“ die „Abominationes papisticae“ sowie die „Abnegatio“ folgen. Ebenso wenig dürfte ein Locus „Antichrist“ auf „Apologia“ folgen oder „Apes“ auf „Aquae“ oder „Casus“ und „Ceremoniae“ auf „Coniugum“ – um nur einige weitere Beispiele zu nennen. 67 Dafür spricht auch, dass in den von Meyer als dritte bzw. vierte Bearbeitung identifizierten Textzeugen seine Unterabschnitte „papae“, „papatus“ und „decreta“ mit entsprechenden Loci zu Beginn des zweiten Teils verbunden werden (vgl. MEYER, Sammlungen, 13). Die Frage, inwiefern dieser als „Neuansatz“ bezeichneter Schlussteil Sondergut von Halle darstellt und nicht bereits der Vorlage zu eigen war, ist kaum zu entscheiden. Die „zweite Bearbeitungsstufe“ weist ein disparates Bild auf: Zwar fehlt in der Gothaer Handschrift Chart. A 262 der Schlussteil ab „Papae“, was die entsprechenden Stücke von Halle als Sondergut ausweisen könnte, die Parallelüberlieferung Dresden A 91 / A 92 endet jedoch mit den Abschnitten „Haeretici“ sowie „Cerevisia“ und ergänzt noch einen Melanchthontext (vgl. MEYER, Sammlungen, 6f.). Insofern stellte sich insbesondere für die Abschnitte „An anima rationalis sit ex traduce“ bzw. „Romae descriptio“ die Frage nach der Ursprünglichkeit. 66

1. Die Handschrift Halle als Repräsentantin

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Predigten im Besonderen über Lauterbachs Zweifel an seiner Berufung zum Prediger (536v) hin zu praktischen Anweisungen zum Predigen (fol. 538r: „conceptus contionum“; 539v: „afficere auditores“; fol. 544v: „conditiones boni praedicatoris“) und homiletisch zurückgebundenen Ausführungen zur „Theologorum doctrina“ (fol. 544r) bzw. Luthers Urteil über seine eigenen Predigten (fol. 553v) zunächst zur Theologie selbst (fol. 557r: „Theologiae studium et ratio“) und von dort zu den theologischen Autoritäten: Andeutungsweise greifbar sind die „Propheten“ (fol. 558r), sehr differenziert „Kirchenväter“ (fol. 559v: „Patres post Apostolos“; 560r: „Iudicium de doctoribus Ecclesiae“; 564v: „Quatuor ecclesiae columnae“; 565v: „Iudicium de sanctis patribus“) und bei fließendem Übergang „scholastische Gelehrte“ (fol. 568r: „Scholastici“); am Ende steht unter der Überschrift „Sancti Martyres“ Jan Hus (fol. 569v). Somit wird innerhalb des von Meyer postulierten Locus zumindest ein weitestgehend unabhängiger, auf die Autoritäten bezogener Themenkomplex greifbar, der – wie bereits in F – Melanchthons „series doctorum ecclesiae et testium veritatis Dei“ verpflichtet zu sein scheint, mit dem Surplus, dass nun auch Melanchthon selbst thematisiert wird.68 Eine inhaltliche Sichtung des gesamten zweiten Teils macht deutlich, dass das Interesse des Urheberkreises – wie bereits im ersten Teil und durch den Locus „Concionatores“ angedeutet wurde – besonders auf Amtstheologisch-Praktisches zielt. Dies zeigt sich erneut an der entsprechenden Zuspitzung prinzipiell „dogmatischer“ Loci, wie z.B. die redaktionell verstärkte Wertschätzung der „Absolutio privata“ (fol. 218v), die Ausführungen zur „Agnitio peccati, peccatum“ (fol. 258r–260r), zu den „Angeli“ (fol. 267v), zur Taufe (fol. 311r: „Baptismus“ – mit Unterabschnitten wie „Gevattern bitten“, fol. 313r) und zur „Coena Domini“ (fol. 470r) sowie die auf gute Werke bzw. Almosen und Kirchengut bezogenen Loci (fol. 374v: „Bona opera et eorum praemia“, 376v: „Eleemosynae“; 378r: „Facultates et bona ecclesiastica“). Selbst im Locus „Christus“ (fol. 479v) werden u.a. die falsche „Naumburgische“ Gebetspraxis kritisiert (vgl. fol. 484r–v) oder die „Itinera Christi Hierosolymam“ (fol. 485v) sowie Epitaphe am Grab Christi in Jerusalem (fol. 486v) wiedergegeben. Den Locus „Creatio“ (fol. 490v) eröffnet Luthers Beantwortung der Frage, wie die den Menschen plagenden Fliegen mit der guten Schöpfung vereinbar seien und gibt damit den Duktus des Folgenden gut wieder. Neben die dortigen nicht minder lebensnahen Ausführungen zur „Formatio foetus et partus“ (fol. 503r) tritt am Ende der Handschrift die wohl ergänzte, deutlich „wissenschaftlicher“ anmutende theologisch-dogmatische Diskussion der Frage „An anima rationalis sit ex traduce“ (fol. 650v). Nicht selten ist hier der Übergang zu paränetisch-seelsorgerlichen The68

S. hierzu S. 103 mit Anm. 89.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

men fließend. Diesbezüglich sei insbesondere auf die mit „Adulteri, scortatores“ (fol. 255r), „Apparatus et luxus epularum et vestitutus“ (fol. 277r), „Aula fons invidiae“ (fol. 294r), „Avaritia mundi detestabilis“ (fol. 295v), „Christiani, Christiana Vita“ (fol. 487r), bedingt auch „Aus Schimpf wird Ernst“ (fol. 299v) und „cervisia. Bierbräuen“ (fol. 650r) überschriebenen Loci verwiesen. Neben die Frage des Umgangs mit Verächtern des Wortes Gottes (fol. 224v: „abnegatio verbi“) tritt auch die wohl von Suizidfällen in der Ephorie motivierte Sammlung von Apophthegmata zum Thema „Auvto,ceirej“ (fol. 309r).69 Nicht minder konkret sind die Ausführungen zur Ehe, bis hin zur Aufnahme einer „Formula citandi desertores aut in adulterio viventes D.M. Lutheri“ (fol. 453v). Daneben treten weitere, als „antipapalistisch-polemisch“ einzustufende Loci, die wohl z.T. Nachträge darstellen. Es handelt sich um die mit „Abominationes Papisticae“ (fol. 219r), „Annus Iubileus“ (fol. 270a), „De Antichristo“ (fol. 270v), „Cardinales“ (fol. 403v), „Invocatio sanctorum, traditiones, svpersticio, ceremoniae, ieivnium“ (fol. 465v) bzw. „Papae“ (fol. 603v), „Romae descriptio“ (fol. 654r) sowie bedingt „Episcopi“ (fol. 633r) überschriebene Abschnitte. Doch eignet auch den auf die Confessio Augustana bzw. den Augsburger Reichstag bezogenen Loci (fol. 270a: „Apologia apud Caesarem“; fol. 270b: „Apologiae efficacia“; fol. 302v: „Augustana Comitia laudanda“) ein analoger Impetus. Über die „Papisten“ hinaus geraten aber auch „innerprotestantische Gegner“ Luthers in den Blick (fol. 228v: „Adversarii haeretici contra D. Lutherum“; fol. 262r: Anabaptistae haeretici“; fol. 644v: „Sophistica“ sowie „Hypocrisis. Falsi Fratres“; fol. 646r: „Haeretici“). Dass Halle wie F u.a. in Bezug auf die „politia“ auch dem Widerstandsrecht und zusätzlich der Bündnisfrage Raum einräumt, wurde bereits ausgeführt. Hier mag sich tatsächlich über ein „historisches“ Interesse hinaus die Krise des Schmalkaldischen Krieges widerspiegeln. Im Kriegskapitel (fol. 314v: „Bellum, bellica“) wird neben Grundsätzlichem jedoch wiederum die Wurzener Fehde explizit thematisiert. Ergänzt wird dieser Locus des Weiteren mit Ausführungen „De Carolo V. et Ferdinando“ (fol. 405r) bzw. zu den „Nobiles“ im Allgemeinen (fol. 414r), wobei die erstgenannte Rubrik insbesondere die Bedrohung durch die Türken anspricht. Dass Halle zudem – wie F – ein Interesse an „theologischer Bildung“ eignet, wurde ebenfalls bereits bei der Darstellung des Locus „Concionatores“ deutlich. Hinzu treten didaktisch gut aufgearbeitete Abschnitte zur Bibel bzw. einzelnen Bücher und der Bibelübersetzung (fol. 323b–338r) sowie zu einzelnen Stellen des Alten und Neuen Testaments (fol. 349v–363r bzw. 363r–373r) – unterbrochen durch Wiedergabe des „in Luthers Haus gepredigten Katechismus“ (fol. 338r–349r). Hinzu kommen methodische 69

S. hierzu WA.B 10, 112 [Nr. 3773].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 325

Hinweise zur Bibellektüre, d.h. eine Zusammenstellung von Apophthegmata zum Thema „Allegoria“, inklusive der Schriftsinne und theologischen „Typi“ (fol. 260v–262v). Neben diesen auf die Bibel bezogenen Ausführungen finden sich weiterhin allgemeinere und zwar als Block (fol. 281v: „Arcanorum vel mysterium inquisitio extra verbum Dei“; fol. 283r: „Artes et inventiones mirabiles“), bei denen, zumal auch einzelne „artes“ dargestellt werden (fol. 288v: „Musica“; fol. 290r: „Astronomia“; fol. 291r: „Astrologia“), der Übergang zum „Enzyklopädischen“ fließend ist. Zudem informiert der zweite Teil über die vorbildliche Frömmigkeit, aber auch aktuelle Gebrechlichkeit der Jugend (fol. 227v: „Adolescentes“; 228r: „Puellae virgines“), über die von Luther positiv bewertete „Alchimia“ (fol. 260r), aber auch über „Aquae“ (fol. 278v) und Tiere (fol. 268r: „Animalia“; fol. 280r: „Apes“; fol. 300v: „Aves, volatilia“) und Bäume (fol. 280v: „Arbores“) sowie Städte (fol. 525r: „Civitates“). Die Zusammenstellung von „Casus politici et dubii quidam Iurisconsultorum“ (fol. 455v), „Casus tragici et horrendi, caedes, atrocia facinora et homicidia“ (fol. 456r) und „Facinationes et incantationes“ (fol. 462r) mag auch aufgrund eines gewissen Unterhaltungswertes erfolgt sein. Der damit hinreichend umschriebene Aufriss von Halle bietet erste Hinweise auf Propria der Luthermemoria bzw. des Lutherbildes des „Lauterbachschen Kreises“. Ganz grundsätzlich zeichnet sich ein Fokus auf „Historisches“ und „Praktisches“ respektive „Sittlich-moralisches“ und weniger auf aktuelle Kontroversen ab, und damit gegenüber F eine Tendenzverschiebung.70

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ Wie im Vorangehenden entfaltet worden ist, sind Hinweise auf die Entstehung der zweiten nach Loci geordneten Apophthegmata-Sammlung ab 1551 greifbar und damit ab dem Jahr, in dem die Gothaer Handschrift F abgeschlossen worden ist.71 Zudem sind Pirna wie Freiberg Teil des albertinischen Sachsens.72 Dennoch deutete sich an, insbesondere von der Um70 Diese Verschiebung hat ihren Anhalt an Lauterbach selbst, wenn Kroker bilanziert: „Das Dogmatische und Exegetische tritt bei Lauterbach zurück hinter dem Historischen und Praktischen“ (WA.TR 3, XLII). 71 S. III 1.1. 72 Die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt Luftlinie weniger als 50 km. Bei wichtigen religionspolitischen Entscheidungen in den 1550er Jahren kam es auch zum Aufeinandertreffen der beiden Superintendenten Zeuner und Lauterbach. Das Oberlehnsrecht hatte für die Ephorie Pirna jedoch seit 1459 der böhmische König inne (vgl. GÖRNER, Einführung, 2f.).

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

schreibung des Aufrisses her,73 dass sich das memoriale Interesse und von hier das Lutherbild verschoben hat, trotz der zeitlichen wie lokalen Nähe zur „Wellerschen Tradition“. Dies soll nun im Folgenden primär auf Grundlage des auf Luther bezogenen Locus vertieft werden. Prinzipiell liegt die Vermutung nahe, dass Halle die Gothaer Handschrift gekannt haben könnte. Falls dem so wäre, hätten sich Hänel bzw. der Kreis um Lauterbach jedoch bewusst für einen anderen Weg der Anordnung entschieden. Zu verschieden sind der Aufbau und selbst in vergleichbaren Loci sind die Gemeinsamkeiten eher gering, so dass wohl eher von in der Gattung begründeten Konvergenzen als direkten Abhängigkeiten auszugehen ist. Hinsichtlich des auf Luther bezogenen Locus heißt dies in konkreten Zahlen ausgedrückt: Von den in Halle angeführten 88 bzw. 98 Apophthegmata74 finden sich nur ein gutes Fünftel ebenfalls in F.75 Bereits die Benennung deutet eine unterschiedliche Zugangsweise an, wenn statt dem „neutralen“ „Lutherus De Seipso“ von F in Halle der Locus mit „De Doctore Martino Luthero“ überschrieben ist. Insofern ist die Erstellung eines solchen Locus zwar nicht „neu“, aber trotzdem – zumal aufgrund der angedeuteten „Verschiebungen – eine eigenständige und damit doch wieder in gewisser Weise „neue“ Annäherung an Luther, ein neues gruppenspezifisches „Funktionsgedächtnis“. Dazu dürfte der bei aller räumlichen und zeitlichen Nähe sich prägnant unterscheidende Kommunikationskontext beigetragen haben: Durch den Passauer Vertrag von 155276 bzw. dem Augsburger Religionsfrieden von 155577 war noch während der Entstehungszeit der von Halle repräsentierten Tradition die existentielle Bedrohung des Protestantismus durch die S. III 1.4. Es handelt sich um Rezeptionen der Apophthegmata Nr. 6422; 1310; 2499b; 2501b; 2739b; 2847b; 2848b+2397b; 3259b; 2343b [par 1106]; 2346b [par 1108]; 2579; 3185; 3264b; 2623b; 2726b; 2888b; 2922b exz; 2946b; 2957b; 2970b; 2988b; 3006b; 6423; 6424; 2173b; 1388; 6425+701; 6426; 3553; 3556B; 3582B; 6427; 6428; 3595; 6429; 6430; 6431; 6432; 6433; 3644c; 3704; 3722 med.; 3811; 3835; 3838 extr.; 3843; 3874; 4045a; 3944; 4072 extr.; 4102; 4188; 6434; 4720; 4723; 4414; 4422; 4446; 4454; 4574; 6435; 4647; 4689; 4690; 4707; 6436; 6437; 6438; 884; 4771; 5117; 2590 extr.; 6439 [zu verbessern in: 3572a]; 3797; 3888; 4025; 6440; 4029; 4845; 4325; 4452; 6441; 5694; 6442; 2502b; 2835b. Hinzu kommen die zehn auf Melanchthon bezogenen Apophthegmata: 4727; 6443; 4463; 4577; 887; 888; 5091; 347; 5646; 5647. 75 Es handelt sich um die Rezeptionen der Apophthegma mit den Nr. 2499b; 2501b; 2848b; 2343b [par 1106]; 2346b [par 1108]; 2579; 3185; 3264b; 2888b; 2922b exz; 2957b; 2970b; 2988b; 3006b; 3553; 3556B; 3595; 3843; 2590 extr.; 6439 [zu verbessern in: 3572a]; 2835b. Der auf Melanchthon bezogene Locus weist keine Überschneidungen mit F auf. 76 Zum Passauer Vertrag s. BECKER, Vertrag; DRECOLL, Vertrag. 77 Zum Augsburger Religionsfrieden s. GOTTHARD, Religionsfrieden. 73 74

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 327

Forderungen des „Interim“ auf Reichsebene überwunden. Hinzu kommt, dass ebenfalls im Jahr 1552 die zweite Sitzungsperiode des Trienter Konzils beendet und das Konzil auf unbestimmte Zeit vertagt worden war.78 In Kursachsen selbst war bereits im Juni 1551 mittels der „Confessio Saxonica“ versucht worden, einen Schlussstrich unter die innerprotestantischen Streitigkeiten zu ziehen – gemeinsam mit den anderen Superintendenten gehörte auch Lauterbach zu den Unterzeichnern.79 Zwar waren damit die innerprotestantischen Kontroversen, insbesondere der Konflikt zwischen den ernestinernahen Theologen mit ihren Zentren in Magdeburg und später Jena und den albertinernahen mit ihrem Zentrum Wittenberg nur bedingt bereinigt, wie nachdrücklich das „Schisma“ von 1557 zeigt.80 Dennoch kann von hier plausibilisiert werden, dass der F noch so prägende Kampf gegen das Interim bzw. der Streit um die Adiaphora in Halle kaum Niederschlag gefunden hat. Zudem wird zu zeigen sein, dass trotz Anklänge der „Majoristische“ bzw. „Antinomistische Streit“ ebenso wenig die prägende Matrix darstellten und der Kreis um Lauterbach sehr viel grundsätzlicher ansetzte. Der „Lauterbach-Hänelschen“ Tradition eignet in erheblicherem Maße die Tendenz einer „konfessionskulturellen Verfestigung“. Dem konvergiert das Anliegen des seit 1553 amtierenden Kurfürst August (1526–1586), die 1539 begonnene Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen nun mittels einer erneuten Visitation abzuschließen. Das damit in seinen groben Rahmenbedingungen umschriebene, „gruppenspezifische“ Funktionsgedächtnis ist nun im Folgenden vor diesem Hintergrund näher zu entfalten. Um diesem in seiner Eigenheit gerecht zu werden, sind die auf „Luther an sich“ bezogenen Aspekte, d.h. die enkomiastische Dimension dieser Luthermemoria bzw. dieses Lutherbildes, als erstes in den Blick zu nehmen (2.1). Auf dieser Grundlage werden dann die auf die Gruppe, d.h. die „selbstreferenziell-identitätskonturierende“ Dimension (2.2) und die auf die Gläubigen bzw. Amtsträger bezogene, d.h. die „didaktische“ (2.3) entfaltet. 2.1.

Enkomiastische Aspekte

Zu den grundlegenden memorialen Verschiebungen gegenüber F gehört das verstärkte Interesse des Kreises um Lauterbach an „Luther an sich“. Deshalb nehmen die Analysen zur Memoria bzw. dem Lutherbild ihren 78 Zur nicht komplikationsfreien Wiederaufnahme des Konzils Anfang der 1560er Jahre s. JEDIN, Geschichte, IV/I, bes. 17–75. 79 WARTENBERG, Entstehung, 88. 80 Zu den gescheiterten Bemühungen um eine einheitliche Position der „Augsburger Konfessionsverwandten“ im Vorfeld des 2. Wormser Religionsgesprächs s. SLENCZKA, Schisma.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Ausgang bei der Frage nach der „memorialen Erhöhung“ Luthers. Dabei wird mit Blick auf die „Wellersche Tradition“ bzw. den veränderten Kommunikationskontext zu fragen sein, inwiefern weiterhin ein polemischer Subtext und von hier weiterhin Momente einer Heroisierung zu greifen sind. In den Blick geraten jedoch nicht minder das Interpretament der „Monumentalisierung“ und im Unterschied zu F ebenso das der „Verherrlichung“. Zudem wird darauf zu achten sein, inwiefern damit Tendenzen einer „konfessionskulturellen Verfestigung“ einhergehen.81 Dass dem Kreis um Lauterbach in ganz spezifischer Weise an einer memorialen Erhöhung Luthers gelegen war, wird ausgehend vom Eröffnungsapophthegma des auf Luther bezogenen Locus zu zeigen sein (2.1.1). Von hier wird in Analogie zu den entsprechenden, auf die „Wellersche Tradition“ bezogenen Analysen den Fragen nach Luthers „Tugendhaftigkeit“ (2.1.2) bzw. Luthers „Märtyrertum“ (2.1.3) nachzugehen sein. 2.1.1.

Heilsgeschichtlich-prophetische Erhöhung Doktor Martin Luthers

Zu den wenigen literarischen Zeugnissen Lauterbachs gehört neben Briefen insbesondere der sog. Codex Lauterbach.82 Dieser wird eröffnet mit einem von Hofmann als „geschichtliche Einleitung“ bezeichneten Autograph, das aufzeigt, in welchem Maße Lauterbachs memorialer Zugriff auf Luther heilsgeschichtlich grundiert war. Am Anfang steht, ausgehend vom Referenzjahr 1517, eine ausführliche Schilderung der „depravierten“ kirchlichen und theologischen Zustände. Die Wende wird mit Luthers Auftreten verbunden, wobei dieser zum Zeitpunkt seiner Erleuchtung bzw. Erwählung zum „Heilswerkzeug (organum salutare)“ abergläubischer Papist gewesen sei: „His horrendis erroribus et superstitionibus ecclesia Christi obscurata. Misericordia dei patris domini nostri Jesu Christi iterum est Evangelii doctrina illustrata et reformata 81 Dass in Halle verstärkt eine „konfessionskulturelle Verfestigung“ greifbar ist, wird v.a. in III 2.2 gezeigt werden. Ansätze zeichnen sich bereits im Hintergrund der „enkomiastischen“ Aspekte ab. 82 StA P Hs. 206, 2r–v; ediert in HOFMANN, Reformationsgeschichte, 298–300. Ein Faksimile der ersten Seite bietet LECHNER, Lauterbach, 43. Neben dieser geschichtlichen Einleitung enthält der 242 Blatt umfassende Folioband Lauterbachs eigenhändig geschriebene Kirchenordnung (ebenfalls ediert in HOFMANN, Reformationsgeschichte, 300–307), Angaben zur ersten Visitation von 1539, in deren Kontext auch Lauterbach sein Amt antrat, Hinweise auf die Amtsträger vor und nach der Einführung der Reformation, einen kurzen Bericht über die Visitation von 1540 sowie die Protokolle der dritten Visitation von 1555, bei der Lauterbach selbst als Visitator fungierte – abgesehen von kleineren Zusätzen und Nachträgen von anderer Hand verfasst (zum Codex Lauterbach s. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 4f.; HOFMANN, Zustände, 10f.110–112; LECHNER, Lauterbach, 42–44).

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 329 Doctore Martino Luthero Augustino superstitioso Papista illuminato et in organum salutare electo, cui de die in diem dei gratia pii sinceri eruditione praestantes viri accesserunt, qui nobis dei sanctificationem ut fidelis confessoris mundo utcumque ingrato contemptore et blasphemo per Euangelion revelavit.“83

Das „Narrativ“ an sich wird in 2.2.1, d.h. in selbstreferenziell-identitätskonturierender Perspektive, verstärkt in den Blick zu nehmen sein. Hinsichtlich der Frage nach der memorialen Erhöhung Luthers ist zunächst hervorzuheben, dass Luther selbst in diesem heilsgeschichtlichen Kontext als „Doktor“ erinnert wurde. Das so angedeutete Interpretament wurde in Halle fortgeführt, insofern der Luther gewidmete Locus mit „De doctore Martino Luthero“ überschrieben ist und mit einem Apophthegma eröffnet wird, in dem Luthers Promotion exponiert in den Blick gerät. Die zentrale Gestalt neben Luther ist Staupitz, dessen ermutigende Worte als Prophetie gedeutet werden.84 Um die damit verbundenen Erinnerungsinteressen des „Lauterbachschen Kreises“ klarer greifen zu können, ist der Blick zu weiten unter Rekurs auf Überlegungen Volker Leppins, der den Traditionshintergrund wie den Wachstumsprozess der auf Luthers Widerstand gegen das Doktorat bzw. Predigtamt bezogenen Apophthegmata-Überlieferungen nachgezeichnet hat.85 Beide Traditionslinien haben Eingang in Halle gefunden. Insofern das auf das Predigtamt bezogene Apophthegma nicht in den auf Luther im Besonderen bezogenen Locus aufgenommen wurde und vornehmlich Luthers Trost an Lauterbach hinsichtlich seiner vocatio zum Prediger darstellt, kann diese Traditionslinie im Folgenden außen vor gelassen werden.86 Die Überlegungen sind auf die Akzentuierung der auf 83 Zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 299. Im Anschluss wird in großen Sprüngen der „salutaris cursus Evangelii“ vom (ernestinischen) Kursachsen über den Augsburger Reichstag zum albertinischen Sachsen – nach dem Tod Herzog Georgs, wie Lauterbach selbst am Rand notiert – hin zu Lauterbachs Amtsantritt in Pirna geschildert. Zudem sind ihm in Pirna begegnende Schwierigkeiten greifbar, am Ende steht jedoch die Resignation seines altgläubigen Vorgängers. Die Konzentration auf Konflikte seiner Anfangszeit als Pirnaer Superintendent legen eine Datierung dieser „historischen Einleitung“ in die 1540er Jahre nahe, zumal auch kein Hinweis auf den Schmalkaldischen Krieg und dessen Folgen, inklusive der sich danach erhebenden innerlutherischen Streitkreise zu finden ist. Die verwendeten Formulierungen setzten nicht einmal zwangsläufig Luthers Tod voraus, so dass der Text evtl. noch zu Luthers Lebzeiten entstanden sein mag. 84 Vgl. D 116 2°, fol. 570v = WA.TR 5,654,34–655,8 [Nr. 6422]. 85 Vgl. LEPPIN, Erinnerungssplitter, 49–55. Diese Ausführungen werden nun unter Berücksichtigung des in Halle greifbaren Apophthegmas vertieft. 86 Vgl. D 116 2°, fol. 536v–537v = WA.TR 3,187,26–188,27 [Nr. 3143b]. In der Cordatischen Parallele werden beide Traditionen geradezu „beiläufig“ verbunden (WA.TR 3,187,4–25 [Nr. 3143a]; Zitat: ebd., 15f.: „Ego plus quam 15 rationes allegabam Staupitio, cum repugnarem fieri doctor et praedicator […].“

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

das Doktorat bezogenen Apophthegmata fokussiert. Dass es sich um eine „Prophetie“ handelt, teilt die Variante von Halle mit der Mehrheit der Parallelen, ebenso das topische Motiv des Widerstandes. Das eigentliche Proprium von Halle ist die weitere Ausgestaltung, wie auf Grundlage der folgenden Synopse gezeigt werden soll, bei der mit Leppin zwei Varianten unterschieden werden: D 116 2°, fol. 570v

WA.TR 4,13,30–35 [Nr. 3924]

WA.TR 2,379,7–11 [Nr. 2255a]

WA.TR 2,379,20–24 [Nr. 2255b]

WA.TR 1,442,9–12 [Nr. 885]

Variante A

Variante A

Variante A

Stopitz, prior meus, sub piro, quae etiam hodie stat in medio curiae meae, cogitabundus aliquando sedens tandem dixit ad me: D⌊omine Magister, vos suscipietis gradum doctoratus, ßo krigt yhr etwas zu schaffen. Quod secundo anno post doctoratum meum factum est, quo invulgavi quaestiones de poenitentia et indulgentiis.

Cum Doctor Stupitius semel dixit Staupitius ad me: aliquando cogitabundus sub piro in horto deambularet et Martinum videret, sic inquit: Domine Magister, werdet doctor theologiae, so khriegt ihr etwas zw schaffen. Secundo anno haec prophetia impleta est; movit enim Doctor Martinus quaestionem de poenitentia, indulgentiis et ceteris traditionibus papae.

Magister Martine, suscipite gradum doctoratus, so krigt ir etwas zu schaffen. Sequenti anno impleta est haec prophetia; movit enim tunc quaestionem de poenitentia, indulgentiis et de traditionibus aliis papae.

WA.TR 5,98,21–29 [Nr. 5371]

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 331 Variante B

Variante B

Variante B

Variante B

Cum D⌊octor Staupitius D⌊octorem Martinum sub piro de gradu accipiendo admonuisset, Lutherus autem magis et magis aversaretur, adeo ut tandem se ita excusaret se nunc defatigatum et vires exhaustas, sed si illa tanta provincia esset capienda, fore ut propter multas curas et labores assiduos intra tres aut quatuor menses extingueretur, tandem Staupitius respondit iocose: Wisset ihr nicht, daß vnser Herrgott viel großer sachen hat auszurichten? Da bedarff er wol kluger vnd weiser leute tzu, die

Vaticinium Staupicii. Si ego mortuus fuissem ante promotionem doctoratus, iam non opus esset me illas calamitates pati.

Cum me rursus sub piro eadem de re convenisset et ego reniterer, multas causas allegans, maxime quod etiam mihi consumptis essem viribus, adeo ut vita mihi longa non posset superesse;

De doctoratu. Cum aspiceret arborem in area, dixit: Sub hac arbore convenit me Staupitius, ut Doctor fierem, ego vero 15 rationes praetexebam. Dixit Staupitius: Ey, lieber, seid nicht klüger als der gantz convent (vnd die patres! Tum ego: Hoc certus sum, quod non diu sum victurus; quid igitur opus est facere tantos sumptus?

Aber Doct⌊or Staupitzen prophecei hat mussen war werden; cum ego promotionem doctoratus recusarem propter infirmitatem, alioquin morerer, r⌊espon-

ad quae Stopicius: Wist yhr nicht, das vnser Hergott viel grosser sachen hatt außzurichten? Da bedarff er viel kluger vnd weyser leute zu, die yhm helffen

Respondit Staupitius: Es ist gleich recht. Vnser Herr Gott hat itzt viel zu schaffen im himel; wenn ir sterbt, so kompt ir in seinen rat, denn er mus auch einige doctores

332 ihm helffen rathen; wann ihr dann stürbet, so müsset ihr sein radtgeber sein. Non autem intellexit prophetiam in hac vita complendam esse. Nam post quatuor annos aggressus est papatum et in rebus divinis bene et prudenter consuluit.

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“ dit: Ob ir stirbet, so darff euer Gott auch zu seinem regiment.

raten. Wen yhr den ymer sterbet, ßo must yhr sein radgeber sein. Haec vatidi- Verum ego ca vox in me tum non impleta est. intellexi hanc prophetiam in hoc modo implendam esse; post quatuor enim annos coepi belligerari adversus papam atque omnia sua.

haben! Sic ioco confutavit me.

Deinde Lipsiam profectus, ubi sum promotus.

Am nächsten steht das der Variante B zuzurechnende Apophthegma von Halle der Cordatischen Fassung [Nr. 2255a] und nicht der in Lauterbachs eigenen Mitschriften greifbaren Version [Nr. 3924]. Die Änderung der grammatikalischen Person deutet an, dass bei der Aufnahme in Halle redaktionelle Eingriffe vorgenommen wurden. Nun wird das Ganze in der dritten Person geschildert. Inhaltlich wird die Erfüllung dieser Prophetie auf „hac vita“ und das Nichtverstehen auf Staupitz bezogen. Bei Cordatus zielt Luthers Ego-Aussage auf den modalen Aspekt („hoc modus“) und nicht den temporalen, lässt damit weniger den heilsgeschichtlichen Wendepunkt erkennen. Hinzu kommt die Akzentuierung von Luthers Wirken: In Halle wie bei Cordatus wird die Größe der Aufgabe, die Gott Luther zuweist, angedeutet („viel großer sachen“). Wenn Luthers Rolle zudem zunächst als Bekämpfer des Papsttums beschrieben wird, so wird in Halle hier grundsätzlicher angesetzt als bei Cordatus, der nicht von „papatus“, sondern von „pap[a] atque omnia sua“ spricht. Nur in Halle wird Luther des Weiteren als „theologischer Ratgeber“ eingeführt. Letzteres wird umschrieben mit „in rebus divinis bene et prudenter consoluit“. Die damit betont – konvergierend mit dem Rekurs auf den Doktortitel – in Anspruch genommene theologische Kompetenz Luthers weist einerseits eine „antipapalistische“ Dimension auf, andererseits ist dieser zweite Aspekt so allgemein formuliert, dass er auch innerlutherische Streitigkeiten insinu-

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 333

iert.87 Auf diese Weise transzendiert Halle auch die inhaltliche Füllung der als Variante A bezeichneten Tradition, die strikt auf die Frage der Buße und des Ablasses sowie z.T. andeutungsweise weiterer „traditiones papae“ konzentriert ist. Die Verbform deutet an, dass die Streitigkeiten in der Vergangenheit lagen und nicht gegenwartsbestimmend sind. Dieser heilsgeschichtlich-prophetisch grundierten memorialen Erhöhung Luthers eignet zumal mit Blick auf das Eröffnungsapophthegma von F eher ein grundsätzlicher und von hier „konfessionskultureller“, denn ein „aktueller“ Impetus. Das damit umschriebene Proprium wird noch deutlicher, wenn man die theologisch nüchterne Parallele [Nr. 5371] als Vergleichspunkt heranzieht, in der mit der Entscheidung des Konventes, wie der als schieren Scherz („iocus“) verstandenen Äußerung Staupitz’ argumentiert wird. Demgegenüber wurde Luther in Halle mittels bewusster redaktioneller Aneignung als von Gott in Anspruch genommener „Doktor (der Theologie)“ in einem heilsgeschichtlich-prophetischen Rahmen für die „Mit- und Nachwelt“ kodiert, d.h. „monumentalisiert“, ohne dass er selbst als Prophet ausgewiesen, noch sein Wirken strikt antipapalistisch eng geführt wäre. Auf diese Weise wurde die von Leppin nachgewiesene Entwicklungslinie konsequent fortgeführt bzw. „konfessionskulturell“ zugespitzt. Diese am Eröffnungsapophthegma erarbeiteten Grundlinien sind nun zu vertiefen: zum einen in Bezug auf das „Doktorat“ und zum anderen in Bezug auf die heilsgeschichtlich-prophetische Dimension. Den gezielten Fokus auf Luthers Doktorat bezeugt des Weiteren das folgende kurze Apophthegma, in dem „lediglich“ Luthers Alter bei Erlangung des Magister- bzw. Doktortitels angegeben wird: Anno aetatis {21./27.} promotus est Lutherus in {Magistrum / Doctorem}.88

Vom Eröffnungsapophthegma her kommend, wird mit diesem Apophthegma Luthers Doktorat noch einmal als diesen in besonderer Weise auszeichnend in Erinnerung gerufen: inhaltlich, insofern deutlich wird, dass Luther – zumindest für Erfurter Verhältnisse – bei seiner Promotion noch sehr „jung“ war;89 redaktionell, insofern als im Unterschied zur Cordatischen Parallele diese Aussage analog zum Eröffnungsapophthegma

87 Dafür, dass eine solche „Öffnung“ bewusst mit im Blick gewesen war, sprechen die zum identitätskonturierenden Narrativ gehörenden „konfessionspolemischen Abgrenzungen“ (s. III 2.2.2). 88 D 116 2°, fol. 571v = WA.TR 2, 626,20–22 [Nr. 2739b]. 89 Zum daraus resultierenden Streit Luthers mit Erfurt s. KLITZSCH, Autoritäten, 64 mit Anm. 96.

334

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

nicht in der ersten Person, sondern in der dritten Person wiedergegeben wurde.90 Wie bewusst der Kreis um Lauterbach bei dieser heilsgeschichtlichprophetischen Erhöhung Luthers als „Doktor“ vorging, kann zudem an einem Apophthegma aus der Lauterbachschen Tradition gezeigt werden. Während der erste, auf Herzog Georg bezogene Teil dem Locus „Principes“ und dort dann „De duce Georgio“ zugeordnet wurde,91 wurde der, Luthers Doktorat thematisierende zweite Teil dem Luther im Besonderen gewidmeten Locus zugeordnet: „Fateor me esse filium rustici von Moer bey Eyssleiben,92 bin dennoch D⌊octor der heiligen schriefft, aduersarius papae. Das mir der babst gram ist, ist er nicht zuuerdencken. Er hat wol vrsach, aber nicht billiche.“93

Als weiteres Indiz für dieses Erinnerungsinteresse kann ein mit „curriculum“ überschriebenes Apophthegma angeführt werden, in dem u.a. die folgende Angabe zu finden ist: „Anno 12. die Lucae promotus in Doctorem theologiae per Dominum Andream Carlstadium.“94

In Halle wird im Unterschied zur Parallele der Tag der Promotion richtig auf den Tag des Evangelisten Lukas (18. Oktober) und nicht auf den Lucia-Tag (13. Dezember) datiert.95 Dass im Umkreis Lauterbachs diese Koinzidenz besonders beachtet und Luther erhöhend memoriert wurde, lässt sich auch an dem in der Amtszeit Lauterbachs verwirklichten und wohl von ihm (mit)verantworteten Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche ablesen.96 In den Rippenbögen des Chores sind die Evangelisten dar90 D 116 2°, fol. 571v = WA.TR 2, 626,20–22 [Nr. 2739b] bzw. ebd., 626,19f. [Nr. 2739a]. 91 Vgl. D 116 2°, fol. 152b bzw. WA.TR 3, 649,32–650,5 [Nr. 3838 in.]. 92 Halle ändert hier das ursprüngliche „Eisenach“ in „Eisleben“, da es die Aussage auf Luther direkt und nicht seinen Großvater bezog, der Bauer in Möhra, südlich von Eisenach, war. Dies verdeutlicht, wie wenig die tatsächlichen biographischen Ursprünge Luthers dem Urheberkreis von Halle bekannt waren. 93 Vgl. D 116 2°, fol. 583r bzw. WA.TR 3,650,5–8 [Nr. 3838 extr.]. 94 D 116 2°, fol. 581v–582r. Diese Aussage ist Teil einer „tabellarischen“ Zusammenstellung „biographischer“ Daten; Näheres hierzu s. III 2.2.1. 95 Zum Vergleich mit der Parallelüberlieferung s. die Synopse auf S. 352f. 96 Zur ursprünglichen Innenausstattung der Kirche s. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 157–162; HOFMANN, Stadtkirche sowie LECHNER, Lauterbach, 45–51 und die Ausführungen der Kunsthistorikerinnen Kern und Gohla (vgl. KERN, Tugend, bes. 75–185; GOHLA, Gewölbemalereien; GOHLA, Bildprogramm). Eine detaillierte Beschreibung der Deckengemälde bieten zudem SCHMIDT / TRÄGER, Deckengemälde. Die Stadtkirche als Ganzes, ihre (Bau-)Geschichte und Ausstattung etc. wird des Weiteren – mit exzellenten Bildern – im von Albrecht Sturm herausgegebenen Sammelband (STURM, Stadtkirche) dargestellt.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 335

gestellt in Orientierung an Kupferstichen Heinrich Aldegrevers von 1539, jedoch mit einem markanten Unterschied: „In Pirna wurden der Stier und der Löwe von den Kupferstichen Aldegrevers vertauscht. Der Aldegrever Markus-Typ wurde in Pirna mit den Portraitzügen Luthers versehen, der Stier kennzeichnet ihn nun als Lukas. Der Aldegrever Lukas-Typ erhielt das Portrait Melanchthons und den Löwen Markus zur Seite.“97

Aufgrund der bisherigen Ausführungen wird man diese Abweichung von der Vorlage kaum schlicht auf die „übereinstimmenden Initialen von Markus = Melanchthon und Luther = Lukas“ zurückführen können.98 Vielmehr dürfte die Änderung als ein bewusster Reflex von Luthers am LukasTag erfolgter Promotion zu deuten sein. Diese war für Lauterbach (und seinen Kreis) so zentral, dass sie ins Bildprogramm der Hauptkirche der Superintendentur aufgenommen worden war und so baulich greifbarer Ausdruck der „konfessionskulturellen Verfestigung“ wurde.99 Die eng mit Luthers Doktorat verbundene heilsgeschichtlich-prophetische Dimension kann zudem mittels einer Prophezeiung konturiert werden, die redaktionell mit einer anderen „biographischen“ Station verbunden ist, Luthers Klostereintritt, so dass von hier auch dieser im Anschluss in den Blick zu nehmen ist. Dass es sich bei der Prophezeiung um eine bewusste Komposition zweier an sich voneinander unabhängigen Apophthegmata handelt, wird auch daran erkenntlich, dass in Halle – entgegen des in Ser. greifbaren sog. Lauterbachschen „Tagebuchs“ von 1539 – nur der zweite Teil des Apophthegmas Nr. 4574 rezipiert wird und Nr. 6435 eine Neuformulierung von in Khum. greifbaren Traditionsgut zu sein scheint: „[Nr. 4574; …] Pater iratus me factum monachum. Uolebat me ad studia iuris adigere, et habe-bam totum corpus iuris. Gott wolt ein iube, Domine, benedicere auß mir haben, muste vorhin deß babst kunst lernen vnd wißen. [Nr. 6435] Anno 1510. D⌊octor Staupitius Romae fuit, qui hanc prophetiam vulgatissimam Romae audiuit ex omnium GOHLA, Gewölbemalereien, 31. GOHLA, Gewölbemalereien, 31. 99 Wie gezielt der Kreis um Lauterbach Luthers Doktorat konturierte, zeigt eine weitere kleinere Abweichung des „curriculum“ von der Wolfenbütteler Handschrift. In Halle wird dem als Promotor angeführten Andreas Bodenstein von Karlstadt der Doktortitel „vorenthalten“, insofern er lediglich als „dominus“ tituliert wird (s. nochmals die tabellarische Übersicht: S. 255). Dies dürfte kein Zufall sein, zumal am Ende neben dem Kampf gegen das Papsttum, der gegen die Schwärmer tritt und ein Karlstadtkritisches, mit „Ambitio Carolostadii“ überschriebenes Apophthegma unmittelbar vorausgeht (vgl. D 116 2°, fol. 581v bzw. WA.TR 5, 658,25–659,7 [Nr. 6433]). Zur Auseinandersetzung mit dem sog. „Linken Flügel“ s. S. 372–374. Darauf, dass Bodenstein seiner Funktion als Promotor nicht, wie oft angenommen wird, als Dekan nachkommt, verweist SIDER, Doctorate. 97 98

336

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

ore: Surge[t] eremita sub Leone decimo, qui papatus se opponet. Sed hic sermo ad completionem usque contemptus est.“100

Der Entschluss des „Lauterbachschen Kreises“, den auf Luthers Primiz bezogenen Anfang von Nr. 4574 wegzulassen, macht deutlich, dass der memoriale Fokus auf der heilsgeschichtlichen Inanspruchnahme Luthers durch Gott liegt. Der zur Verdeutlichung herangezogene Rekurs auf die Messliturgie, d.h. das „Iube, Domine, benedicere“, sowie der Hinweis auf die notwendige Erfahrung finden sich ebenso in Ser., so dass hier Halle auf das in der Lauterbachschen Tradition bereits Grundgelegte zurückgreift. Der mit Ersterem einhergehende subtile Hinweis auf die Evangeliumsverkündigung durch Luther – das alludierte Gebet geht der Lectio des Evangeliums voraus –,101 mag also auf diesen selbst zurückzuführen sein, konvergiert aber trefflich mit dem heilsgeschichtlichen Verständnis Luthers als demjenigen, der in Gottes Auftrag das wahre Evangelium wiedergebracht hat. Zugespitzt wird diese Perspektive redaktionell durch die Verbindung mit der Prophezeiung, d.h. Nr. 6435, die aufgrund Luthers Eintritt in den Augustinereremitenorden auf diesen bezogen werden konnte.102 Die folgende Synopse macht dabei insbesondere die gegenüber der ebenfalls der Lauterbachschen Tradition zuzurechnenden Handschrift Khum. [Nr. 3593] vorgenommenen Verschiebungen deutlich: WA.TR 1, 69,21–24 [Nr. 147]

D 116 2°, fol. 587r = WA.TR 5, 660,1–4 [Nr. 6435]

WA. TR 3, 438,21–440,3 [Nr. 3593]; Zitat: ebd., 439,15–18

Anno 1510. D⌊octor Staupitius Romae fuit, qui hanc prophetiam vulgatissimam Romae audiuit ex omnium ore:

Addidit et mihi animum D⌊octor Staupitz, qui cum Romae fuisset anno 1511, ibi in multorum ore fuisset haec prophetia Romae Prophetia Romae fore, publice pronuntiata: Surget eremita et devastabit ut heremita quidam Leonem papatum. papam graviter affligeret. Ibi Stupicius ad me:

Surge[t] eremita sub Leone decimo, qui papatus se opponet. Sed hic sermo ad completionem usque contemptus est.

Quae visio cuidam Romae minoritae visa est.

Sihe, ich dacht nit, das es so solt ein heremita sein, sed imaginabar barbatum pallidum prodeuntem ex silva etc.

D 116 2°, fol. 587r bzw. WA.TR 4, 384,25–27 [Nr. 4574]; 5, 660,1–4 [Nr. 6435]. Vgl. WA.TR 4, 384 Anm. 10. 102 In Bezug auf den dahinter greifbaren Romaufenthalt Staupitz’ dürfte die Datierung auf das Jahr 1510 historisch zutreffend sein. Zu dieser Reise im Kontext des „Staupitz-Streites“ s. SCHNEIDER, Reise, 55–60. 100 101

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 337

Am konkretesten wird der unterschiedliche Fokus der Überlieferungen am jeweiligen Schlusssatz greifbar. Während Khum. [Nr. 3593] auf einen minoritischen Urheber dieser Prophezeiung zielt und in der Dietrichschen Überlieferung [Nr. 147] Staupitz’ Verwunderung bzw. dessen gänzlich andere Vorstellung von dem angekündigten Eremiten berichtet wird, schließt Halle mit dem Hinweis auf die Missachtung der Prophezeiung bis zur inzwischen erfolgten Erfüllung in Luther. Zudem wird die Prophezeiung „aufgeladen“ durch die Ausweitung der Träger, d.h. statt vieler Zeugen („multi“), werden alle Römer („omnes“) angeführt. Weiterhin wird die Prophezeiung historisch – dies ähnlich wie bei Dietrich – auf Leo X. konkretisiert und zugleich abgeschwächt, wenn nicht mehr von der Vernichtung des Papsttums („devastare“ bzw. „graviter affligere“), sondern zumal im Kontext der Entstehung von Halle realistischer bzw. weniger kämpferisch aufgeladen von einem Sich-Entgegenstellen („se opponere“) gesprochen wird. Dazu mag der betonte Fokus auf das „Doktorat“ beigetragen haben. Unabhängig davon sind diese redaktionellen Zuspitzungen konsequent, wenn es darum geht, Luther als heilsgeschichtliche Person in einem prophetisch konnotierten Rahmen zu erhöhen, anstatt ihn wie der Kreis um „Weller“ als „Kämpfer“ gegen das Papsttum zu „heroisieren“. Ergänzt werden kann dieses Bild der heilsgeschichtlich fundierten memorialen Erhöhung Luthers nun von dem bereits angedeuteten Rekurs auf Luthers Klostereintritt. Die bisherige Linie fortführend, wird dieser vornehmlich unter dem Fokus der heilsgeschichtlichen Notwendigkeit memoriert. Dazu wurden Überlieferungen anscheinend nicht nur bewusst überarbeitet, sondern dieser heilsgeschichtlich-prophetische Fokus stellte wohl bereits ein Auswahlkriterium für den Luther gewidmeten Locus dar. Zumindest wäre von hier die Übernahme von drei weiteren Apophthegmata plausibilisierbar. Das erste bietet eine Darstellung von Luthers Erlebnis in Stotternheim. Luther habe diese anlässlich des Jahrestages seines Klostereintrittes im Jahr 1539 erzählt. In Halle wird dieses Apophthegma im Unterschied zu Ser. als „fontaneum“ konzeptualisiert und damit wohl als auf die Ursprünge verweisend gedacht. Beiden Zeugen eignet die theologische Deutung, dass Gott die Anrufung der Heiligen Anna vom Hebräischen her gedeutet habe, so dass das Votum mit der „Gnade“ in Verbindung gebracht wurde. Es folgt die Schilderung des Abschiedes von den Freunden und des Eintrittes gegen den Willen des Vaters. Die bereits mit dem Verweis auf die „Gnade“ angedeutete heilsgeschichtliche Dimension wird am Ende explizit greifbar:

338

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

„[…] ich war der welet reine abgestorben, bis das es gott zeitt dauchte vnd mich juncker Tetzel mit dem ablaß [Hervorhebung dieser Konkretion gegenüber Ser.; I.K.] treib et D⌊octor Staupitius me incitabat contra papam.“103

Der mit Tetzel und dem Ablass angedeutete Wendepunkt konvergiert mit dem Referenzjahr des sog. Codex Lauterbach. Auch hier wird Staupitz’ zentrale Rolle betont, die bereits mit den Prophezeiungen angedeutet worden ist. Lenker im Hintergrund ist jedoch explizit Gott. Dieser heilsgeschichtlich-prophetische Fokus der memorialen Erhöhung Luthers mag auch dazu geführt haben, dass im zweiten auf Luthers Klostereintritt bezogenen Apophthegma der Hinweis des Vaters auf die Möglichkeit einer Täuschung durch ein Gespenst in Halle – im Unterschied zu den Parallelen – nicht übernommen wurde. Diese Möglichkeit scheidet aus, wenn Gott die treibende Kraft darstellt. Noch deutlicher wird die in Halle bestimmende Deutung erneut am Ende:104 WA.TR 3,410,37–411,3 [Nr. 3556A]

D 116 2°, fol. 579r = WA.TR 3,411,4–9 [Nr. 3556B]

Chart A 402, fol. 106r [WA 48,559,19–22]

Monasterium invito patre ingressus sum et laetante iterum egressus. Nam die primitiarum mearum, der ersten messe: Fili, nescis, quod patrem honorare debuisti?

L⌊utherus ingressus monasterium invito patre. Ego Martinus L⌊utherus contra patris mei voluntatem monasterium ingressus et illius gaudio exivi. Denn er hatt der munch schalkeit wol erkand. Nam illo die, quo primitias Nam illo die, quo primitias canebam: Fili, inquit, necanebam: Fili, inquit, nescis, quod patrem honorare scis, quod patrem honorare debuisti? Wens nur nicht debuisti? Wens nur ein gespenst mit dir nicht were! ein gespenst mit dir were!

In missa incipiens verba canonis: Te igitur, clementisse etc., ita horrui, ut fugissem de altari, nisi fuissem admonitus per priorem. Nam quis potest ferre maiestatem Dei sine mediatore? Deus voluit me prius illos terrores experiri.

Et ego cum in missa starem incipiens canonem, ita horrui, ut fugissem, nisi per priorem admonitus fuissem; denn do ich die wort laß: Te igitur, cle⌊mentissime etc. et sentiebam mihi loquendum esse cum Deo sine mediatore, fugere volui sicut

Ego Mar⌊tinus Luth⌊erus contra patris mei voluntatem monasterium ingressus sum et illius gaudio exivi. Denn er hatt der Monch schalkeit wol erkandt.

Et ego cum in missa starem incipiens canonem, ita horrui, ut fugissem, nisi per priorem admonitus fuissem; denn do ich die wort laß: Te igitur, clementiss⌊ime Pater etc., sentiebam mihi loquendum esse cum Deo sine mediatore, fugere volui sicut

103 Vgl. D 116 2°, fol. 587v–588r bzw. WA.TR 4, 440,5–19 [Nr. 4707]; Zitat: ebd., fol. 588r bzw. 440, 17–19. 104 Hervorhebung durch Kursivdruck; I.K.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 339 Iudas coram mundo. Nam quis potest maiestatem Dei ferre sine Christo mediatore? Summa, ego monachus expertus sum illos errores. Jch habs vorhin solln erfarn, antequam repugnarem.

Iudas coram mundo. Nam quis potest maiestatem Dei ferre sine Christo mediatore? Summa, ego monachus expertus sum illos horrores; ich habs vorhin selber erfaren, antequam repugnarem.

Alle Parallelen teilen den Hinweis auf die Erfahrung („experiri“), die mit leicht anderem Akzent durch die Begriffe „terrores“, „errores“, „horrores“ inhaltlich gefüllt wird. Nur Halle führt diese Erfahrung explizit auf Gott zurück. Diesen heilsgeschichtlichen Impetus bestätigt auch das dritte Apophthegma, in dem wiederum entsprechend redaktionell eingegriffen worden war, wie der Vergleich mit Ser. zeigt: D 116 2°, fol. 585r–586r; Zitat: ebd., 585r–v

WA.TR 4,303,10–304,6 [Nr. 4414]; Zitat: ebd., 303,10–15

D⌊octor M⌊artinus Lutherus. dicebat das in gott hat einen monch lassen werden non sine magna causa, ut experientia edoctus contra papatum scribere potuisset. Quamvis ego per vim factus sum monachus contra voluntatem patris mei. In meo monachatu papam tam reverenter colui, das ich allen papisten wolete trotz bitten, qui fuerunt et sunt.

Monachatus Lutheri. Deinde dicebat de suo monachatu, das ihn Gott hette lassen einen monch werden non sine magna causa, ut experientia edoctus contra papatum scribere potuisset: Quamvis ego per vim factus sum monachus contra voluntatem patris mei, matris, Dei et Diaboli, quia [Hervorhebung; I.K.] in meo monachatu papam tam reverenter colui, das ich allen papisten wolde trotz bitten, qui fuerunt et sunt.

Die in Ser. noch greifbare und der Intention des Lauterbachschen Kreises widersprechende Aussage, dass Luther auch gegen den Willen seiner Mutter sowie – und das ist entscheidend – gegen den Willen Gottes wie des Teufels ins Kloster eingetreten sei, wurde nicht übernommen. Damit ist der unterschiedliche memoriale Zugriff auf Luther, wie er sich exponiert in den jeweiligen Eröffnungsapophthegmata konzentriert zeigt, hinreichend konturiert. Während der „Wellersche Kreis“ antipapalistische-eschatologische „Prophezeiungen“ Luthers in Bezug auf sein Sterben in den Mittelpunkt stellte, die als trotzige Bekenntnisse und ermutigende Hoffnungsworte Orientierung und Identitätssicherung im interimistischen bzw. adiaphoristischen Streit bieten konnten und Luther so „heroisierte“,105 wurde in der Ephorie Pirna nur wenige Jahre später 105

S. Kapitel II 2.1.1.

340

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Luther durch den Lauterbachschen Kreis als von Gott in Anspruch genommener „Doktor (der Theologie)“ in einem heilsgeschichtlich-prophetischen Rahmen für die „Mit- und Nachwelt“ kodiert, d.h. monumentalisiert. Dabei wurde Luthers selbst weder als Prophet ausgewiesen noch sein Wirken strikt antipapalistisch eng geführt. Damit ist zugleich angedeutet, dass in dieser Hinsicht das Junghanssche Interpretament der „Verherrlichung“ zu „schwach“ ist, um diese memoriale Erhöhung Luthers, die auch als Ausdruck „konfessionskultureller“ Verfestigung verstanden werden kann, angemessen zu beschreiben. 2.1.2.

Luthers „Tugendhaftigkeit“

Dem im Vorangehenden entfalteten, heilsgeschichtlich-prophetisch zugespitzten memorialen Interesse an „Luther an sich“ korrespondiert, dass der „Lauterbachsche Kreis“ Luther in besonderer Weise auch in seiner „Tugendhaftigkeit“ memorial erhöht und zwar ohne damit einen weiteren Subtext zu verbinden. Dies kann insbesondere an vom Kreis um Lauterbach gewählten Kategorisierungen verdeutlicht werden. Z.B. wird Luthers – Veit Dietrich vor seiner Nichte „warnende“ – abschlägige Antwort auf dessen Eheersuchen als „Ingenuitas Lutheri“ eingeführt.106 Als „Fidelitas Lutheri“ wird Luthers Verweilen beim kranken Justus Jonas in Grunau interpretiert, obwohl er wusste, dass der Kurfürst in Wittenberg war.107 Ohne eine analoge Kategorisierung bezeugt Luthers tränenreicher Abschied vom als Superintendenten nach Freiberg berufenen Hausmann dieselbe „Charaktereigenschaft“.108 Seine „Tugendhaftigkeit“ in finanzieller Hinsicht wird durch „Einleitungen“ wie „Lutherus alienus ab avaritia noluit suos libros vendere“ oder „Lutheri liberalitas erga suos“ hervorgehoben.109 Während bei Karlstadt die „ambitio“ hervorgehoben wird,110 ist es bei Luther die Demut und Selbstgenügsamkeit. Im unmittelbaren Kontext wird Luthers „Fliehen des Hofes (Aulae fuga)“ wiedergegeben.111 Eine analoge geringe Wertschätzung von weltlichen Ehren und Bequemlichkeiten wird in Locus zumindest implizit in Bezug auf Luthers Kleidung („Cuculla Lutheri“)

Vgl. D 116 2°, fol. 578r bzw. WA.TR 5, 655,28–656,6 [Nr. 6424]. Vgl. D 116 2°, fol. 583v bzw. WA.TR 4, 99,6–8 [Nr. 4045a]. 108 Vgl. D 116 2°, fol. 584r bzw. WA.TR 4, 113,25–114,5 [Nr. 4072 extr.]. 109 Vgl. D 116 2°, fol. 587v bzw. WA.TR 4, 431,27–432,11 [Nr. 4690] sowie D 116 2°, fol. 584v–585r = WA.TR 4, 449,1–10 [Nr. 4720] – Näheres hierzu s. S. 413. 110 D 116 2°, fol. 581v bzw. WA.TR 5, 658,25–659,7 [Nr. 6433]. 111 D 116 2°, fol. 581r–v bzw. WA.TR 5, 658,20–23 [Nr. 6432]. Dass dies als „tugendhaft“ angesehen worden sein dürfte, legt zudem der Locus „AVLA FONS INVIDIAE“ (D 116 2°, fol. 294r–295v) nahe. 106 107

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 341

und sein Bett zum Ausdruck gebracht.112 Ebenso im Gegensatz zu Karlstadts „ambitio“ steht das vom „Lauterbachschen Kreis“ enkomiastisch erhöhte selbstkritische Urteil Luthers über seine Schriften, z.B. greifbar an Überschriften wie „Iudicium D⌊octoris M⌊artini Lutheri pium et Christianum de proprijs suis libris“.113 Dieser damit umschriebenen „moralischen“ bzw. auf Luthers „Charakter“ bezogenen Dimension der Frage nach Luthers „Tugendhaftigkeit“ eignet im Unterschied zu F keine polemische Konnotation. Dies wird bis in die angesprochenen Themen hin greifbar, insofern in Halle nicht wie in F die kontroverstheologisch strittigen Themen der castitas bzw. der gula angesprochen werden. Luther wird primär enkomiastisch für die Mit- und Nachwelt erhöht und nicht vorrangig gegen Angriffe verteidigt. Insofern liegt es nahe, auch hierin einen Ausdruck „konfessionskultureller Verfestigung“ zu sehen. Analoges gilt in Bezug auf die „dianoetische“ Dimension, obwohl auch in Halle das Motiv der intellektuellen Bescheidenheit Luthers greifbar ist, jedoch nicht im selben Maße und zumal mit anderen Fokus. Die Zurückhaltung kann z.B. an der Rezeption eines Apophthegmas verdeutlicht werden, in dem Luther die ihm von anderen zugeschriebene „sagacitas ingenii“ zurückweist und sich als „simplicissimus“ bzw. ebenso leicht täuschbar wie eine „Nachtigall“ bezeichnet.114 Zum einen verzichtete der „Lauterbachsche Kreis“ hier nämlich auf die Übernahme der Kategorisierung als „Simplicitas Lutheri“, die im sog. „Tagebuch“ von 1538 vorgenommen worden war. Zum anderen flankierte er dieses Apophthegma durch die übergangslose Anführung eines weiteren Apophthegmas aus dem „Tagebuch“, in dem Luthers differenzierte Planung von Schriften zur Sprache kommt, die ihm eine schnelle Ausführung des Konzeptes ermöglicht und gegenüber seinen Gegner (intellektuell) ausgezeichnet habe.115 Zudem weist die Rezeption des Motivs der Selbstrelativierung der theologischen Kenntnisse in Halle einen paränetischen Impetus bzw. einen Bezug auf die Visitationstätigkeit auf, wie die anonymisierte und damit generalisierte Wiedergabe der Absetzung des Schulmeisters in Stangard zeigt: „Philippus Melanthon in depositione obiuriabat [sic!] deponendum: Noli tam inconsiderate respondere et temere erumpere, quia plura nescimus, quam scimus. R⌊espondit D⌊octor M⌊artinus. Lutherus: Ionas semel dixit se omnia scire in scripturis

Vgl. D 116 2°, fol. 580v bzw. WA.TR 5, 657,19–22 [Nr. 6430] sowie D 116 2°, fol. 589v bzw. WA.TR 4, 670,24–27 [Nr. 5117]. 113 Vgl. D 116 2°, fol. 592r. Näheres zu diesem Aspekt s. S. 394f. 114 Vgl. 116 2°, fol. 5984r bzw. WA.TR 4, 136,16–21 [Nr. 4102]. 115 Vgl. D 116 2°, fol. 584r–v bzw. WA.TR 4, 189,14–21 [Nr. 4188]. 112

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

sacris et subirascebatur quod non conniverent illi, sed ego scio multa me nescire. Jch habe 25 Jar geprediget vnd verstehe den locum noch nicht: Iustus ex fide uiuet.“116

Zumal weitere Belege fehlen, wird deutlich, dass es dem „Lauterbachschen Kreis“ nicht vorrangig um die Konturierung Luthers als „bescheidenen“ und dennoch „qualifizierten“ Theologen ging, wie noch dem Kreis um Weller. Dies zeigt sich auch daran, dass in Halle stattdessen die Tugend der „patientia“ betont wird. Beispielsweise folgt auf die bereits erwähnte Darstellung von Luthers „ingenuitas“ ohne neuen Absatz die folgende Aussage: „Ich muß patientia haben mit dem babst, schwermern, scharhansen, familia, Kethe von Bora, vnd der patientia ist noch so viel, daß alle mein leben nichtes anders wiel sein dann eitel patientia.“117

Wenn Luther eben diese Tugend in einem weiteren Apophthegma von den aufständischen Bauern in Nordhausen unter Verweis auf den Gekreuzigten einfordert, wird deren theologische Dimension greifbar.118 Doch wird das besondere Interesse des Kreises an der „patientia“ erst hinreichend erfasst, wenn man den Kodex insgesamt in den Blick nimmt. Zum einen ist auf eine Auslegung von Jes 30,15 zu verweisen. Diese wird im Rahmen der alttestamentlichen Stellen wiedergegeben, die die Ausführungen zum „Catechismus seu doctrina christiana“ ergänzen, also mit einem besonderen Gewicht versehen sind. Redaktionell wird zudem der Hinweis auf die „Frucht“ und das „Erlangen“ der „patientia“ hinzugefügt: „In silentio et spe erit fortitudo vestra. Esaiae 30. Patientiae fructus describitur, et quomodo acquiratur [Hervorhebung; I.K.]. Wilstu die grossen, grewlichen vnd schedlichsten feinde vberwinden, ie eynen sonst wol verschlingen vnnd an leib vnd seel schaden mögen, dafur nu einer wol allerley wapen solt keuffen vnnd alles gelt drumb geben die kunst tzu lernen. Es ist ein susses, lieblichs kreutlein; das heist patientia. Ja, wie kan ich tzu solcher artzney kommen? Respondeo: Nim den glauben fur dich, wird dier niemandt schaden ohne gottes willen; geschichtes aber auß dem freundtlichen, gnedigen willen gottes, also, daß im der feind tausent mal grössern schaden tzufuget denn dier. Darauß fleust nu die liebe, die spricht: So wil ich nu guttes thun fur böses, wiel im feurige kolen auff den halß schutten, das sint die wapen, damit man die feinde gewinnet, die wie die grossen berge scheinen, die nicht tzu sturtzen oder mit eysen vnnd stal zu gewinnen sein etc.“119

Die Bedeutung dieser Tugend für den Kreis um Lauterbach lässt sich zum anderen daran erkennen, dass der „patientia“ im „dogmatischen“ vorderen Teil ein eigener Locus gewidmet ist. Dieser wird eröffnet mit einem hohen Lob, bevor konkrete entsprechende Verhaltensanweisungen folgen: D 116 2°, fol. 583v bzw. WA.TR 3, 678,24–679,2 [Nr. 3874]. D 116 2°, fol. 578r–v bzw. WA.TR 5, 347,20–22 [Nr. 2173b]. 118 D 116 2°, fol. 580r–v bzw. WA.TR 5, 657,14–18 [Nr. 6429]. 119 D 116 2°, fol. 351v bzw. WA.TR 3, 474,36–475 [Nr. 3643]. 116 117

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 343 „Patientia. Excellentissima virtutum est patientia, quae in scripturis a Spiritu Sancto maxime commendatur et exercitio crucis probatur.“120

Dieses mit der Vernunft- bzw. Erkenntniskritik, der Betonung der „patientia“ und von hier der Kreuzestheologie umschriebene theologische Feld konvergiert kaum zufällig mit dem bereits erwähnten, wohl von Lauterbach (mit)verantworteten Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche. Zu diesem gehört neben den bereits erwähnten Darstellungen Luthers und Melanchthons als Evangelisten121 u.a. auch eine differenzierte Darstellung der Tugenden, der theologischen wie der Kardinaltugenden, letztere mit einer spezifischen Veränderung. Statt der „Prudentia“ wird dort die „Patientia“ dargestellt.122 Zwar eignet der Tugend der „patientia“ auch ein „polemischer“ Aspekt,123 doch spielt dieser, wie die dargestellten Apophthegmata zeigen, in Halle kaum eine Rolle. Zudem verdeutlicht das Bildprogramm der Pirnaer Stadtkirche mit seinen Tugenddarstellungen eine grundsätzliche Wertschätzung der Tugenden. Insofern liegt es auch von hier nahe, Luthers in Halle betonte „Tugendhaftigkeit“ weniger als schiere „Verherrlichung“ als vielmehr vornehmlich als Ausdruck einer enkomiastischen „Monumentalisierung“ zu sehen mit der eine „konfessionskulturelle Verfestigung“ einhergeht.124 2.1.3.

Luthers „Märtyrertum“

Als dritter Aspekt der enkomiastischen Erhöhung Luthers ist zu verfolgen, inwiefern zu den auf Luther „an sich“ bezogenen Erinnerungsinteressen des Kreises um Lauterbach die Vorstellung eines „Märtyrertums“ gehörte. Auch diesbezüglich wird sich zeigen, dass das veränderte memoriale Interesse grundlegende Verschiebungen gegenüber dem Verständnis des „Wellerschen Kreises“ nach sich zieht.125 Die Memoria bzw. das Luther120 D 116 2°, fol. 38r bzw. WA.TR 5, 441,19–27 [Nr. 6018]; Zitat: ebd., 19–21. Der Locus umfasst des Weiteren noch WA.TR 5, 441,38–442,9 [Nr. 6019]. 121 S. S. 334f. 122 Vgl. KERN, Tugend, bes. 106–110 bzw. 164–172. 123 Vgl. diesbezüglich Kerns Resümee: „Ein Ethos wurde entworfen, wie die rechte Lehre mit Standhaftigkeit und Geduld zu verteidigen sei. Die Tugend Patientia bezeichnet somit nicht nur eine wichtige Haltung im religiösen Leben des einzelnen Menschen – im Kampf gegen die Anfechtungen der Schlange –, die Geduld ist auch in glaubenspolitischen Fragen eine in doppelter Hinsicht relevante Größe: zum ersten aus theoretischen, theologischen Gründen, um die Rechtmäßigkeit der Lehre, die auch in der Anfechtung nicht preisgegeben wird, unter Beweis zu stellen, zum zweiten aus praktischen Gründen, um die von Lauterbach anschaulich geschilderten Widrigkeiten des religiösen Neuanfangs zu bewältigen“ (KERN, Tugend, 172). 124 Zu den daraus resultierenden „didaktischen“ Facetten der Luthermemoria bzw. des Lutherbildes s. III 2.3.1 bzw. 2.3.2. 125 Zur Position des „Wellerschen Kreises“ vgl. die Ausführungen in Kapitel II 2.3.2.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

bild wird in dieser Hinsicht prinzipieller und es fehlt der polemische Subtext, so dass auch hier die Tendenz zur „konfessionskulturellen Verfestigung“ greifbar wird. Um das damit Gemeinte nachvollziehen zu können, sind im Folgenden neben dem zeitgenössisch weiten Verständnis ebenso die von Gerlitz aus religionsgeschichtlicher Perspektive benannten Kriterien des Märtyrers im Blick zu behalten: „Das Wahrheitszeugnis, welches dem Märtyrer sein Sendungsbewußtsein verleiht, die Standhaftigkeit, die Bereitschaft, für seine Überzeugung zu sterben; womöglich eine Todessehnsucht; dazu die Reaktion der Gegner, die im Wahrheitszeugen einen Häretiker sehen, der die Rechtgläubigkeit pervertiert und dessen Tod darum gerechtfertigt erscheint. Der Wahrheitszeuge wird wegen seines Zeugnisses verurteilt und durch den Tod aus der Solidargemeinschaft der Rechtgläubigen ausgestoßen. Er genießt andererseits bei seinen Anhängern eben wegen dieses Zeugnisses Verehrung: Der Märtyrer erfährt eine Apotheose, sein Tod wird zum Opfertod, der große Bewegungen in Gang setzen und gesellschaftliche Veränderungen hervorbringen kann. Erst die Anhängerschaft macht den getöteten Zeugen zum Märtyrer.“126

Das gegenüber F verschobene Verständnis kann zunächst vom Aufriss des Kodex bzw. des auf Luther im Besonderen bezogenen Locus plausibilisiert werden. Dem Locus ist gewissermaßen als Rezeptionsanleitung für das Weitere ein kurzer mit „Sancti Martyres“ überschriebener Abschnitt vorangestellt. In diesem wird Jan Hus und Luthers Wertschätzung desselben thematisiert. Mit dem Hinweis auf die beiden gemeinsame ungerechtfertigte Bezeichnung als Ketzer seitens der Gegner ist zudem ein Kriterium Gerlitz’ benannt.127 Vice versa zeichnet sich hier der grundsätzliche bzw. konfessions-kulturell zugespitzte Zugriff ab. Auf dieser Grundlage wird Luther im Folgenden, exponiert in der Eingangssequenz des Locus, mit spezifischen Akzenten vorgestellt. Am Anfang steht das auf Luthers Promotion bezogene Apophthegma.128 Die folgenden Apophthegmata, in denen Angriffe des Teufels oder von Menschen auf Luther und damit Luthers „Martyrium“ im zeitgenössisch unspezifischen Sinne differenziert dargestellt werden, sind eng verbunden mit der heilsgeschichtlich-prophetischen Erhöhung Luthers. Zunächst werden summarisch Attacken des Teufels auf Luthers Lehre („dogma“) benannt: „Sathan saepe dixit mihi: Quid si falsum esset dogma tuum, quod papam, monachos, missam etc. ita confundit? vnnd hatt mich offtmals so vbereilet, das mir der schweiss ist ausgetrungen. Tandem dixi: abi et·expostula cum Deo meo, qui iussit hunc ChrisGERLITZ, Martyrium, 197. Vgl. D 116 2°, fol. 569v–570r. Der Abschnitt umfasst die Apophthegmata Nr. 6420; 3522; 6421. Zur Wertschätzung s. ebd., fol. 570r (WA.TR 3, 23–26 [Nr. 3522]): „Respondit Martinus Lutherus admirans tantum spiritum et constantiam dixit: Er ist ein teurer man gewesen. Sein todt ist wol gerechet wurden […].“ 128 S. S. 329–333. 126 127

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 345 tum audire. Ideo muss der Christus alles thun. Darumb. wollen wir Christen sein, vnnd wollens Christum lassen verandtwortten.“129

Obwohl durch die Schilderung der körperlichen Reaktion auch die Heftigkeit der Angriffe eindrücklich verdeutlicht wird, liegt der Fokus im Unterschied zu analogen Apophthegmata von F auf einem radikalen solus Christus, durch das Luther diese Anfechtungen zurückgewiesen hat. Insofern gerät Luther hier weniger in seinem Leiden als in seiner – um Gerlitz’ Begrifflichkeit aufzunehmen – „Standhaftigkeit“ und seinem „Wahrheitszeugnis“ in den Blick. Für diese Verschiebung des Fokus spricht zudem, dass in Halle keine weiteren Apophthegmata greifbar sind, die ein Leiden Luthers unter „Vorwürfen“ des Teufels, die auf die Lehre zielen, belegen. Ähnliches gilt für die Deutung von Luthers Gegnerschaft mit dem Teufel durch das Motiv des heilsgeschichtlichen Kampfes. Dass dieses in Halle ebenfalls in den Hintergrund tritt, kann z.B. an zwei Apophthegmata gezeigt werden, die Halle und F gemeinsam aufweisen. Zunächst ist das in der „Wellerschen Tradition“ eher grundsätzlich ansetzende Apophthegma in den Blick zu nehmen, das dort redaktionell zweigeteilt wurde, so dass ein von der Krankheit unabhängiges, auf Luthers Gegnerschaft zum Teufel bezogenes „Stück“ entstand. In Halle hingegen bleibt es gänzlich von Luthers Umgang mit der Krankheit umfangen, nicht nur, da es als Ganzes aufgegriffen wurde, sondern auch, weil es einer dieser Thematik gewidmeten Sequenz eingefügt wurde.130 Zudem kann diese Hintanstellung mittels des rezipierten „Berichtes“ vom Mauereinfall verdeutlicht werden. Zwar wird auch in der Version von Halle Luthers Rettung auf Gottes Eingreifen zurückgeführt („divinitus servati“), der in F und der in Cord. B. greifbaren Fassung der Cordatischen Tradition noch so wichtige Bezug auf Satan und Gottes Engel unterbleibt aber, wie die Synopse zeigt:131 D 116 2°, fol. 573r

Chart. A 402, fol. 112v [WA 48,540,24–27]

WA.TR 3,239,3–9 [Nr. 3264b]

Luth⌊erus cum uxore ex

Lutherus muro fere oppressus. 12. Julii am freitag am abend Margarethae vesperi ante horam quintam D⌊octor Luther⌊us una

Anno 32 12. Iulij am freittage vesperi Die Margarethae ante quintam D⌊octor M⌊artinus Lu-

D 116 2°, fol. 570v bzw. WA.TR 2, 36,25–31 [Nr. 1310]. Vgl. D 116 2°, fol. 577r–v bzw. WA.TR 3, 123,27–124,14 [Nr. 2970b] sowie Chart. A 402, fol. 102v–103r. 104v [WA 48, 530,9f.] bzw. S. 209. Zu der auf die „Krankheit“ bezogenen Sequenz vgl. D 116 2°, fol. 576v–578r. 131 Zu den weiteren Parallelen s. S. 294–296. 129 130

346

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

ther⌊us una cum coniuge ex horto rediens, ingressus est cellarium suum, quod tum aedicabatur [sic!], mox ipso ingresso, murus soluto fundamento ruit, maximo tumultu, et nisi diuinitus seruati fuissent, omnes perijssent.

horto rediens in cellarium ingressus est quod tunc aedificabatur; mox illo ingresso murus soluto fundamento ruit maximo tumultu,

cum coniuge ex horto rediens ingressus est cellarium, quod tunc aedificabatur; mox illo ingresso murus soli fundamento ruit maximo tumultu,

et nisi Deus illos liberasset omnes, oppressi fuissent. Ibi enim Sathan suam voluntatem erga eum exhibuit, sed Deus ei suam defensionem ostendit praesentibus angelis.

et nisi Deus eos liberasset, oppressi fuissent. Ibi enim Sathan suam voluntatem exhibuit erga Doctorem Lutherum, sed Deus illi suam defensionem ostendit praesentibus Angelis.

In dieselbe Richtung weist ein nur in Halle greifbares Apophthegma, nach dem Luther die Feindschaft des Satans ironisch anmutend als Grund für „Überheblichkeit (superbire)“ anführt und damit vom Kreis um Lauterbach als souverän über den „Kampf“ stehend vermittelt wird: „Ego iure superbire deberem, quod sathan infensissimus hostis ubique mihi insidiatur, solt mich warlich stoltz duncken, dass ich einen·solchen hohen feindt habe.“132

Somit legt sich geradezu der Eindruck nahe, als sei für den „Lauterbachschen Kreis“ mit dem Hinweis auf das standhafte „solus Christus“ alles Wichtige bezüglich der Angriffe des Teufels auf Luther eingangs formuliert worden. Ein „Leiden“ unter dem Teufel steht in Halle nicht mehr im Fokus. Diese Luther in seiner Souveränität und seinem Vertrauen auf Christus monumentalisierende Kodierung kann sehr viel prinzipieller, d.h. nicht nur im zeitgenössisch weiten Sinne, als Ausdruck eines „Märtyrertums“ verstanden werden. Erneut greift eine Kategorisierung als „Verherrlichung“ zu kurz. Weiterhin transzendiert diese prinzipielle memoriale Erhöhung kontroverstheologische Angriffe, die Luther eine positive Verbindung mit dem Teufel unterstellten, selbst auf einer sehr allgemeinen Ebene. Insofern zeichnet sich auch hier die „konfessionskulturelle Verfestigung“ im Hintergrund ab. Analog zu den „Nachstellungen des Teufels“ setzt der Kreis um Lauterbach bei den „Nachstellungen der Menschen“ eigene Akzente. Erneut ist zunächst die Eingangssequenz des auf Luther bezogenen Locus in den Blick zu nehmen, d.h. die dort an dritter bzw. vierter Stelle greifbaren Apophthegmata. Auch hier kann der vornehmlich auf ein Märtyrertum Luthers im „klassischen“ Sinne zielende Fokus von Halle, mit dem ein 132

Vgl. D 116 2°, fol. 572r bzw. WA.TR 3, 236,26–28 [Nr. 3259b].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 347

weitestgehender Verzicht auf einen polemischen Subtext einhergeht, durch Vergleich mit den Rezeptionen der Überlieferungsstücke in F aufgezeigt werden. Beispielsweise wird das Apophthegma, nach dem in Antwerpen der päpstliche Legat darauf angesprochen worden sei, warum man Luther nicht besteche, vom Kreis um Lauterbach inklusive Luthers Weigerung aufgegriffen, Geld anzunehmen. Auf diese Weise rückt die Schlechtigkeit der Gegner und ein Leiden Luthers zumindest in den Hintergrund, Luthers „Standhaftigkeit“ – nun moralisch konnotiert – hingegen in den Vordergrund:133 „Quidam Antuerpiae dixit ad Aleandrum: Cur non corrumpitis illum Monachum pecunia? Dixit: Illa bestia non uult accipere pecuniam [Hervorhebung; I.K.]. Ein post ist nidergeworffen worden, da hat man babst brieffe funden, der fucker sol 300 fl. dem möniche geben vnd sol in heissen schweigen.“134

Das vierte Apophthegma der Eingangssequenz des Locus in Halle, das verschiedene „Mordanschläge“ auf Luther schildert, findet sich ebenso in F, doch z.T. bewusst auf Grundlage einer anderen Fassung.135 Der Lauterbachsche Kreis hingegen rezipierte nur das der Lauterbachschen Tradition zuzurechnende Apophthegma Nr. 2501b, dafür aber als Ganzes.136 Dadurch ist bereits angedeutet, dass der vom „Wellerschen Kreis“ v.a. redaktionell geschaffene Subtext der „Schlechtigkeit der Gegner“, unter denen Luther zu leiden hatte, nur bedingt auch Halle eignet. Wie die Parallelen der Cordatischen bzw. Lauterbachschen Tradition verzichtet auch Halle im ersten Teil im Unterschied zu F und Rörer auf eine Identifikation des potenziellen „Attentäters“, der Luther auf seine „Naivität“ gegenüber Besuchern anspricht, als „Kanzler des Kaisers“. Ebenso wenig ist das Motiv der Angst greifbar. Dem Kreis um Lauterbach mögen diese Zuspitzungen schlicht nicht bekannt gewesen sein, doch achtete er prinzipiell sehr genau darauf, wie er diese „Anschläge“ der „Gegner“ rezipierte:

133

Zur grundsätzlichen Betonung der „Tugendhaftigkeit“ Luthers in Halle s. III

2.1.2. 134 D 116 2°, fol. 571r. Halle konvergiert hier fast wortwörtlich mit der in Khum. greifbaren Fassung (WA.TR 2, 493,23–27 [Nr. 2499b]) – zu den Parallelüberlieferungen s. S. 285f. 135 S. S. 280–287 bzw. Chart. A 402, fol. 111v–112r [WA 48, 600,19–22] bzw. WA.TR 5, 97,19–98,8 [Nr. 5369] – inhaltlich wird hier der „Mordanschlag“ des vorgeblichen Kanzlers und unter Bezug auf die Küche eine Warnung vor Giftanschlägen übermittelt – sowie Chart. A 402, fol. 112v–113r [WA 48, 495,9–18] bzw. WA.TR 2, 494,28–495,10 [Nr. 2501b extr.]), d.h. den zweiten Teil, in dem der „Anschlag“ des aus Polen stammenden Astronomen geschildert wird, inklusive Luthers abschließender Mutmaßung über Giftanschläge auf ihn. 136 D 116 2°, fol. 571r–v bzw. WA.TR 2, 494,20–495,10 [Nr. 2501b].

348

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

D 116 2°, fol. 571r

WA.TR 2, 494,20– 27 [Nr. 2501b in]

Anno 19 venit quidam ad Lutherum porrigens ei manum, quem excepit Doctor, ducens eum ad habitationem suam.

Anno 1519. venit quidam porrigens Luthero manus, quem excepit Doctor ducens eum ad habitationem suam.

Chart. A 402, fol. 111v–112r bzw. WA.TR 5, 97,19– 98,3 [Nr. 5369]

Quidam huc venit post mortem Maximiliani, qui dicebat se esse Cancellarium caesaris. Is me excepit aliquoties in itinere reducem ex collegio et petijt colloquium. Ego duxi eum in meum vaporarium. Ibi dixit ille: mein Et dixit: Mein lieber Tunc ille ad me: lieber herr Doctor, Her Doctor, mich Herr Doctor, wie mich wundert, das wundert, das ihr mocht ir so kuhn ir einem iglichen die einem jglichen die sein vnd Jederman handt so balde hand so baldt raidie handt bieten? reichet, wie wann chet; wie, wenn Wie leicht kondt euch einer mit einer euch einer mit einer einer ein buchssen buchsen erschosse? khugel erschosse? in der handt haben Ego iam sum solus Ego iam sum solus vnd ein kuglein in vobiscum. vobiscum. euch gehen lassen. Respondit Doctor: Dixi Doctor: So Respondit Doctor: So muste er auch mustet ihr auch Wie wolt einer sterben! sterben! dauon kommen? Er muste sein leib auch dagegen setzen! Respondit ille: Wan Respondit ille: Respondit: Wenn das geschehe, so Wenn das geschehe, ich schon darumb macht mich der so mocht mich der keme, so machte babst tzu einen pabst zwm heiligen mich der Bapst zu heiligen vnnd euch vnd euch zwm einem heiligen vnd tzu einen khetzer. khetzer. geb euch dem Teuffel! His auditis ego His auditis acDeinde metui ipsum accersiui Vuolffcersebat Lutherus et vocavi Vuolfgangangum meum, et Wolffgangum, gum, ministrum ille abijt mox e famulum suum, et meum. Sed brevi civitate. sic ille abiit mox e abiit a me et ex civitate. urbe.

WA.TR 2, 494,1–8 [Nr. 2501a in]

Anno 19. venit quidam ad me, cui statim manum dedi, et cum eum ad habitationem meam ducerem,

dixit ille: Mein lieber Her Doctor, mich wundert, das yhr idem die hand ßo palt reicht; wie, wen euch einer mit einer buchsen erschosse? Ego iam sum solus vobiscum. Respondit Doctor: Szo mustet yhr auch sterben! Tum ille: Wen das geschehe, ßo macht mich der bapst zum heiligen vnd euch zu einem ketzer. His auditis accersivi Bolffgangum meum, et ille mox abiit ex civitate.

Wie die Synopse zeigt, suggeriert die Fassung von Halle, dass sich Luther äußerst souverän auf das falsche Spiel des „Attentäters“ eingelassen hat,

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 349

wenn die erste Antwort noch ganz ungefähr in der dritten Person erfolgt und nicht in der das Gegenüber als Attentäter identifizierenden ersten Person. Zudem wird nur in Halle Luthers Ruf nach seinem Diener als Ego-Aussage wiedergegeben. Im zweiten Teil des Apophthegmas, in dem die Begebenheit mit dem „polnischen Astronomen“ geschildert wird, setzt sich diese Tendenz fort, insofern die Fassung von Halle wiederum – nun entgegen der Fassung von Khum. [Nr. 2501b], aber mit der überarbeiteten Cordatischen Fassung [Nr. 2501a] – Luther weiterhin in der ersten Person sprechen lässt: D 116 2°, fol. 571r–v

WA.TR 2, 494,28– 495,10 [Nr. 2501b extr.]

Chart. A 402, fol. 112v–113r

Sic uenerunt mihi literae ex Vratislauia quendam uenturum ex polonia. Cui promissi essent 4000 fl., si me ueneno necaret; et ita mihi eum descripserunt, ut eum optime nouerim. Eratque ille Doctor polonicus callens multas linguas etiam Turcicam. Optimus Astrologus, quem etiam Philippus admirabatur. Sed Deus me custodiuit. Is libenter mecum lusisset im schacht, sed ego nolui. Tandem animaduertens se esse suspectum de sua malitia, abijt clam et ueniens ad Marchionem iuniorem hat sich lassen bei im ansagen.

Sic venerunt literae ex Vratislauia venturum quendam ex Polonia conductum 4000 fl., si Lutherum veneno interficeret; et ita eam personam depinxerunt, ut eum statim nosceret. Et fuit ille doctor Polonus callens plures linguas, etiam Turcicam, optimus astrologus, quem Philippus admirabatur.

Sic venerunt literae Luthero ex Vratislauia, quendam venturum ex polonia, cui promissi essent 4000 fl., si veneno Lutherum interficeret; et ita eum descripserunt, ut eum optime nosceret. Et erat doctor ille Polonus callens plures linguas, etiam Turcicam, optimus astrologus, quem Philip⌊pus admirabatur.

WA.TR 2, 494,9–19 [Nr. 2501a extr.]

Item literae veniebant mihi ex Vratislavia quendam futurum, qui me veneno esset interfecturus; cui Poloni quatuor milia promisissent aureorum. Et ita illum mihi describebant, ut optime noscerem eum. Erat autem doctor Polonus, peritus multarum linguarum, optimus astronomus, quem Philippus admirabatur. Sed Deus Doctorem Sed Deus eum A quo etiam ipso custodivit. Nam is custodivit. Is sem- me Deus custodivit. libenter cum Doc- per cum Luthero Is mecum libenter tore lusisset in ludens jm schacht, lusisset im schacht, scacco, sed nolebat. sed tandem noluit; sed ego nolui. TanTandem animadver- quia sensit se esse dem animadvertens tens se esse suspec- suspectum de sua se esse suspectum, tum de sua malitia, malitia, abiit clam et clam abiit et venit abiit et veniens ad veniens ad marad iuniorem marmarchionem iunio- chionem iuniorem chionem hatt sich rem hat sich lassen hat sich bey jm bey yhm lassen bei im ansagen. lassen ansagen. ansagen,

Respondit princeps: Respondit princeps: Respondit princeps: sed respondit: Ey, Ey, last in immer Last jn jmmer weg- last yhn ymer hinEy, last in immer

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

hinwegk; es ist, der Todt der D. Martinum hat sollen vergeben. Et sic confusus abijt. Ita et Lypsiae factum est.

hin weg; es ist, der Doctori Martino hat sollen vergeben. Et pudefactus abiit. Ita et Lypsiae factum est.

gehen; es ist, der D. Martinum hat sollen vorgeben. Et sic pudefactus abiit. Ita et Lipsiae sibi factum esse dicebat Luth⌊erus

wege; er ist, der D⌊octor Martin hatt sollen vergeben. Et pudefactus etiam hic abiit. Ita et Lypsiae factum est.

Postea dixit: Jch gleube, das mein predigstul vnd die lehne offt vergiefft sey gewesen; doch hat mich gott erhalten.

Et deinde dixit: Jch glaub, das mein predigstul vnd die lene offt vergifftet sei; noch hat mich Got erhalten.

addens: Jch gleube, das der predigstuhl vnd die lehne offt vorgifft sey; noch hat mich vnser Herr Gott behut.

Deinde: Jch gleub, das mein predigstul offt vergifft wird; noch hatt mich Gott erhalten.

Die durch die Änderung der grammatikalischen Person suggerierte Souveränität wird dadurch verstärkt, dass am Ende die Errettung Luthers vor Giftanschlägen nicht relativierend durch ein „noch“, sondern durch das deutlicher „Sendungsbewusstsein“ und „Standhaftigkeit“ ausdrückende „doch“ klassifiziert wird, „Eigenschaften“, die den „Märtyrer“ im klassischen Sinne auszeichnen.137 Trotz aller Parallelität mit F legt sich somit der Eindruck nahe, dass die polemische Dimension, d.h. der Nachweis der Schlechtigkeit der Gegner und Luthers Leiden in den Hintergrund getreten ist, zumal – im Unterschied zu F – keine weiteren diesbezüglichen Apophthegmata aufgegriffen wurden. Stattdessen findet sich konsequenterweise der Nachweis, dass Luther die Gefahr des Meuchelmordes „standhaft“ ignorierte: „Anno 39. 2. Iulij scribebatur D⌊octori Martino amice ab amico non nominato, das er seines leibes solt acht haben, denn es wer golt auff inen vnnd auff Antonium Schantzen gesetzt, wer sie entleiben würde. Respondit: Dominus mihi protector. Non timebo mihi. Ipse me custodiet in omnibus vijs suis. Der bischoff wurde wenig gewinnen, etiamsi occiderer.“138

Dies heißt mit Blick auf Gerlitz auch, dass die Pirnaer „Anhängerschaft“ Luther durch seine Auswahl gezielt als „Märtyrer“ memorierte, im Wissen darum, dass er nicht den „Märtyrertod“ gestorben ist. Auch dies kann als Niederschlag der „konfessionskulturellen Verfestigung“ gedeutet werden. 137 Zugleich deutet sich von diesem Apophthegma her eine gegenüber F veränderte Einstellung zu Melanchthon an, wenn die potenzielle Kritik mittels Ergänzung eines „etiam“ relativiert wird: „Sogar“ Melanchhton war durch den gebildeten „Astronomen“ getäuscht worden. Näheres zum identitätskonturierenden Rekurs des Lauterbachschen Kreises auf Melanchthon s. III 2.2.3. 138 D 116 2°, fol. 587r–v bzw. WA.TR 4, 431,20–25 [Nr. 4689].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 351

Diesem Fokus auf Luthers „Märtyrertum“ korrespondiert, dass der dritte in F greifbare Aspekt nicht aufgegriffen wurde. Die anhand von Luthers Treffen mit Cajetan differenzierte Entfaltung Luthers als „Exempel“ des mutigen Bekennens und eindeutigen Bekenntnisses in der Bedrohungs- und Krisensituation des interimistischen wie adiaphoristischen Streites fand in dem auf Luther bezogenen Locus von Halle keinen Niederschlag.139 Insofern zeichnet sich auch hier der veränderte Kommunikationskontext ab, in dem diesen Streitkreisen keine äquivalente Prägekraft mehr zukam. Insgesamt wurde in Halle die Vorstellung von Luthers „Märtyrertum“ – mit Fokus auf Luthers „Sendungsbewusstsein“ und seiner „Standhaftigkeit“ – prinzipieller entfaltet als in F. Luther wurde souveräner dargestellt, polemische Subtexte traten gänzlich in den Hintergrund. Deshalb ist es im Unterschied zur „Wellerschen Tradition“ auch hinsichtlich der Nachstellungen des Teufels kaum angemessen, von „Heroisierung“ zu sprechen, ebenso wenig trifft das Interpretament der „Verherrlichung“ das Dargestellte. Vielmehr wird Luther auch als „Märtyrer“ vom Kreis um Lauterbach – vor dem Hintergrund der „konfessionskulturellen Verfestigung“ – enkomiastisch erhöht. 2.2.

Selbstreferenziell-identitätskonturierende Aspekte

Im Vorangehenden war der Fokus auf Facetten der Luthermemoria bzw. des Lutherbildes gelegt, die in besonderer Weise den memorialen Rekurs des Lauterbachschen Kreises auf „Luther an sich“ verdeutlicht haben. Demgegenüber geraten nun Aspekte in den Blick, die primär in Korrelation mit dem Trägerkreis stehen. Es geht um Apophthegmata, bei deren Aufnahme in den Luther gewidmeten Locus vornehmlich ein selbstreferenzielles, auf die eigene Identität bezogenes Erinnerungsinteresse vorlag. Insofern sollen im Folgenden Facetten der Memoria bzw. des Lutherbildes dargestellt werden, in denen die Bedeutung Luthers für das Selbstverständnis des Kreises um Lauterbach greifbar wird. Während in F diesbezüglich v.a. die interimistischen und adiaphoristischen Streitkreise mit ihrer Abgrenzung nach Innen und Außen als bestimmende Matrix im Hintergrund erkennbar sind und von hier primär der „Kämpfer“ Luther heroisierend in der Krise erinnert wurde, wird in Halle ein auf Luther bezogenes und von ihm her kommendes identitätskonturierendes „NarraEntsprechende Apophthegmata werden im Kontext von Ausführungen zum Augsburger Reichstag aufgeführt – vgl. D 116 2°, fol. 305v–307v bzw. WA.TR 3, 661,12–662,19 [Nr. 3857], überformt mittels eigenem Schluss, d.h. WA.TR 5, 563,8–11 [Nr. 6259] sowie gemeinsam mit F (vgl. Chart. A 402, fol. 113r–v [WA 48, 507,1–9]): WA.TR 2, 596,16–597,10 [Nr. 2668b]. 139

352

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

tiv“ erzählt, um mit Assmann zu sprechen, ein „Mythos“, und Luther auf diese Weise für die Mit- und Nachwelt monumentalisierend kodiert.140 Insofern wird im Folgenden das, was bei den „enkomiastischen Aspekten“ im Hintergrund aufschien, nun gezielt vertieft. Es wird zu zeigen sein, dass sich in Halle stärker als in F Phänomene abzeichnen, die als Reflex der Herausbildung einer lokalen, gruppenspezifischen „Konfessionskultur“ verstanden werden können. In Konsequenz wird nicht mehr, wie bei der „Wellerschen Tradition“, von „Identitätsstiftung“, sondern von „Identitätskonturierung“ gesprochen. Das damit Umschriebene ist zunächst grundlegend anhand der Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation zu entfalten (2.2.1). Zudem wird die in Halle greifbare Polemik als primär retrospektiv fokussiert aufzuzeigen sein (2.2.2). Weiterhin wird darzustellen sein, dass das „Fundament“ der eigenen Identität mit Luther über Luther hinaus auf Melanchthon ausgeweitet wurde (2.2.3) und damit ein anderer Rekurs auf Luthers Werk einherging (2.2.4). 2.2.1.

Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation

In diesem ersten Schritt sollen nun das identitätskonturierende Narrativ und von hier die „konfessionskulturelle Verfestigung“ in seiner bzw. ihrer Bezogenheit auf die Anfänge von „Luthers“ Reformation entfaltet werden. Diese ist insofern „Luthers“ Reformation, als im Hintergrund zentral die in 2.1.1 dargestellte heilsgeschichtlich-prophetische Deutung Luthers steht. Ausgangspunkt der Analysen sind auf Luthers „Biographie“ bezogene Apophthegmata. Von hier kann aufgezeigt werden, wie gezielt der Kreis um Lauterbach mit identitätskonturierendem Fokus auf einzelne „Ereignisse“ rekurrierte. Ganz grundlegend ist auf das in Halle mit „LVTHERI CVRRICVLUM“ überschriebene Apophthegma zu verweisen. Eine parallele Überlieferung findet sich im Wolfenbütteler Kodex Cod. Guelf. 20. 3., wird dort aber als „Cursus doctrinae D⌊octoris L⌊utheri“ eingeführt. Diese Fassung wird von Kroker auf November / Dezember 1537 datiert und den „Lauterbachschen und Wellerschen Nachschriften“ zugeordnet, so dass die Fassung in Halle evtl. auf einer Vorlage basiert, die nicht ohne Anhalt in der Lauterbachschen Tradition war: D 116 2°, fol. 581v–582r

WA.TR 3,477,14–24 [Nr. 3644c]

Lutheri curriculum. Anno 1505 promotus sum in magistrum eoque anno ingressus sum monasterium. Octauo veni Wittebergam.

Cursus doctrinae D⌊octoris L⌊utheri. Anno 1505. promovi titulo magisterii illoque anno ingressus sum monasterium. 8. veni Wittenbergam.

140

Zum veränderten Kommunikationskontext s. S. 325–327.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 353 Nono et decimo abii Romam. Anno 12. die Lucae promotus in Doctorem theologiae per Dominum Andream Carlstadium. Mox legi psalterium, epistolam ad Hebreos. Deinde ad Romanos. Titum. Anno 17 incepi scribere contra Tezelium de poenitentia et indulgentiis. Decem praecepta. Et iterum psalmos operationum legi, a quibus lectionibus impeditus sum. muste mich mit dem babst vnd sophisten bleuen. Deinde ad comitia Wormariam vocabar; ibi quiescebam fere biennium ac scripsi postillas et aliquot psalmos. Deinde iterum cum papa pugnabam, cum swermerijs. Postillam autem aestivalem plane reiecit novamque per D⌊octorem Crucigerum promisit.

10. Romam proficiscebar. 12. in die Luciae promotus in Doctorem theologiae per D⌊octorem And⌊ream Carlstadium. Mox legi Psalterium, epistolam ad Hebreos, deinde ad Rom⌊anos, Titum. 17. incepi scribere contra Tetzelium de poenitentia, de indulgentiis; decem praecepta et iterum psalmos orationum [sic!] praelegi, de quibus tandem impediebar, must mich mit dem bapst vnd sophisten bleuen. Deinde ad comitia Wormatiensia vocabar; da war ich schir zwey jar; scripsi postillas et aliquot psalmos, item cum papa pugnabam et deinde cum swermeris.

Insofern dieses Apophthegma – abgesehen vom Hinweis auf die Sommerpostille – als Selbstaussage Luthers konzeptualisiert ist, wird man das Ganze zumindest nicht vorschnell als schiere Redaktion ansehen können.141 Nicht auszuschließen ist, dass diese Zusammenstellung in Gänze oder Teilen tatsächlich auf Luther selbst zurückgeht. Ebenso ungeklärt muss bleiben, ob unter dieser Prämisse alle genannten Daten von Lauterbach und / oder „Weller“ mitgeschrieben worden wären. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch die Konzentration dieser Übersicht auf die Anfänge der Reformation. Das Apophthegma setzt ein mit dem Erwerb des Magistertitels und dem Klostereintritt. Nach dem Hinweis auf die Ankunft in Wittenberg und die Romreise, wird zudem die Promotion zum Doktor der Theologie hervorgehoben. Der Beginn der Auseinandersetzung um den Ablass ist – analog zum „großen Selbstzeugnis“ Luthers – eingebunden in die Schilderung von Luthers Vorlesungstätigkeit, die als Konsequenz des Doktortitels angesehen werden muss.142 Fest datierbarer Endpunkt ist der Wormser Reichstag und damit das Jahr 1521. Abschließend 141 Zur Kritik an Roths erstmals 1526 erschienenen Ausgabe der Sommerpostille (vgl. WA 10/1/II, 211–441) s. WA 22, XI–XIX. Die von Cruciger im Auftrag Luthers revidierte Fassung (vgl. WA 21, 197–551; WA 22, 1–424) war im Jahr 1544 herausgegeben worden. 142 Man könnte insofern geneigt sein, diese Übersicht als „Notizzettel“ Luthers in Vorbereitung des Vorwortes zum ersten Band der lateinischen Reihe der Wittenberger Werkausgabe zu verstehen (vgl. WA 54, 179–187). Dann wären jedoch in der Ausführung weite Teile außen vor geblieben.

354

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

wird summarisch auf (erneute) Kämpfe mit dem „Papst“ und den „Schwärmern“ hingewiesen. Auffällig ist das Fehlen jeglicher „privater“ Daten wie Geburt, Hochzeit, Kinder, Tod, sowie der fokussierte zeitliche Rahmen; spätere Daten, der Reformationsgeschichte, wie z.B. der Bauernkrieg, der Streit mit Erasmus, das Marburger Reformationsgespräch oder der Augsburger Reichstag von 1530 finden keine Erwähnung.143 Bedingt wird dieses doppelte „Manko“ durch weitere, ebenfalls in den auf Luther bezogenen Locus aufgenommene „tabellarische Lebensläufe“ behoben, wie die folgende Übersicht zeigt:144 D 116 2°, fol. 581v–582r bzw. WA.TR 3, 477,14–24 [Nr. 3644c]

D 116 2°, fol. 589r bzw. WA.TR 1, 441,38–442,6 [Nr. 884]145

Lutheri curriculum.

D 116 2°, fol. 578r bzw. WA.TR 5, 655,21–26 [Nr. 6423] Cum D⌊octor Martinus audiret quendam dicere se fuisse 20 annos monachum, dixit; Ob Gott wol, so lang gedenck ich nicht mönch tzu sein! Et factum est.

Anno 1483 Natus est Lutherus 21 avia sua discessit ex hac vita 30 pater illius extremum clausit diem. 31 mater eius mortua est. Anno 1505 promotus sum in magistrum eoque anno ingressus sum monasterium. Octauo veni Wittebergam. Nono et decimo abij Romam. Anno 12. die Lucae promotus in Doctorem theologiae 143 Anders die „tabellarische Übersicht“ im zweiten Band der die „Wellersche Tradition“ repräsentierenden Hamburger Doppelhandschrift (Sup. Ep. 4° H 74, fol. 259r). 144 Daten, die in den Apophthegmata nicht in der richtigen chronologischen Ordnung angeführt werden, werden in der Synopse an der entsprechenden Stelle in doppelten eckigen Klammern erneut wiedergegeben. 145 Halle setzt hier wie Khum., Clm. 939 und Wern. mit Luthers Geburt ein und nicht erst wie Rörer mit 1516. Zudem hat der Kreis um Lauterbach zwei „Daten“ nicht übernommen. Diese sind kursiv in eckige Klammern gesetzt.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 355 per Dominum Andream Carlstadium. Mox legi psalterium, epistolam ad Hebreos. Deinde ad Romanos. Titum. Anno 17 incepi scribere contra Tezelium de poenitentia et indulgentiis. Decem praecepta. Et iterum psalmos operationum legi, a quibus lectionibus impeditus sum. muste mich mit dem babst vnd sophisten bleuen.

Anno 16. incepi scribere contra papatum.

[Anno 18. absolvit me D⌊octor Stupitius ab oboedientia ordinis et reliquit me solum Augustae.] 19. excommunicavit me papa Leo ab ecclesia sua, et sic secundo absolutus sum. Deinde ad comitia Wormariam vocabar; ibi quiescebam fere biennium ac scripsi postillas et aliquot psalmos.

21. excommunicavit me caesar Carolus extra imperium suum, et sic tertio absolutus sum, Dominus autem assumpsit me, ps⌊almo 25. [[21 avia sua discessit ex hac vita]] [Anno 19. disputavi Lypsiae cum Eccio in vigilia Petri et Pauli.]

Deinde iterum cum papa pugnabam, cum swermerijs. Nam anno 25. in seditione rusticorum duxit uxorem 12. Iunii. Anno 26. 7. Iunii natus est ei primogenitus Ioannes Lutherus, 27. Elizabeth filia,

356

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“ 29. in vigilia Ascensionis Magdalena, [[30 pater illius extremum clausit diem.]] [[31 mater eius mortua est.]]

31. Martinus 7. Novembris, 33. Paulus 28. Ianuarii.

Postillam autem aestivalem plane reiecit novamque per D⌊octorem Crucigerum promisit.

Durch diese Apophthegmata werden in „privater“ Perspektive zum einen zumindest das Geburtsjahr Luthers ergänzt [Nr. 884] – zusammen mit den Todesjahren der Großmutter, des Vaters und der Mutter, zum anderen Hochzeit und Geburt der Kinder [Nr. 6423].146 Für das zweite, erstmals in Halle greifbare Apophthegma muss sogleich aber einschränkend darauf hingewiesen werden, dass das „Biographische“ heilsgeschichtlich zurückgebunden ist an die Abkehr vom Mönchtum. Hinsichtlich zentraler Daten der Reformation werden mit den in Nr. 884 zu findenden Hinweisen auf das Augsburger Gespräch mit Cajetan (1518), die Exkommunikation Luthers seitens Leo X. (1519) bzw. Karl V. (1521) der vom „curriculum Lutheri“ vorgegebene zeitliche Rahmen nicht verlassen. In Nr. 6423 findet jedoch der Bauernkrieg im Konnex mit Luthers Hochzeit Erwähnung.147 Insgesamt erfolgt durch diese beiden Apophthegmata keine Korrektur, sondern vielmehr eine Bestätigung der Erinnerungsinteressen des Lauterbachschen Kreises, die nun genauer in den Blick zu nehmen sind. Dazu soll den einzelnen „biographischen Daten“ des „curriculum“ nachgegangen werden.148 Insofern Luthers Klostereintritt ganz besonders den engen Zusammenhang der Memoria der Anfänge mit der heilsgeschichtlichprophetischen Perspektive verdeutlicht und deshalb bereits in III 2.1.1.

146 Ein verstärktes Interesse an den Kindern dürfte aber nicht vorgelegen haben, ansonsten hätte man wohl noch einen Hinweis auf Luthers sechstes Kind, Margarethe (17. Dezember 1534–1570), ergänzt. 147 Jedoch wird diesem Ereignis insgesamt wenig Raum eingeräumt. Im Locus selbst wird Luther in Bezug auf die Aufständischen als „Mahner“ zur „patientia“ bzw. in Bezug auf die Fürsten als Mahner zum Widerstand greifbar (vgl. D 116 2°, fol. 580r–v bzw. WA.TR 5, 657,14–18 [Nr. 6429]). 148 Die am Ende des „curriculum“ angedeutete Konfessionspolemik wird gesondert in III 2.2.2 entfaltet.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 357

dargestellt wurde,149 gerät als erstes Luthers Ankunft in Wittenberg in den Blick. Auffällig ist, dass mit dem nicht weiter differenzierten „Octauo veni Wittebergam“ letztlich suggeriert wird, Luther wäre seit 1508 in Wittenberg gewesen und es hätte nicht noch eine zwischenzeitliche Rückkehr nach Erfurt gegeben.150 Eine solche Differenzierung ist aber nicht nötig, wenn es primär um von Luthers „Biographie“ her zu gewinnende, konturierende Pfeiler der eigenen Identität geht. Dass die Rückbindung an „Luthers“ Wittenberg einen solchen für Lauterbach darstellt, zeigt prägnant die „geschichtliche Einleitung“ zum sog. Codex Lauterbach: „Quo anno [d.h. 1539; I.K.] Ego Anthonius Lauterbach Artium Magister Diaconus Ecclesiae Wittebergensis legitima vocatione Pyrnam in patriam meam concordi ecclesiae suffragio Illustrissimi Principis Henrici votis et Visitatorum consilio et intercessione in Pastorem ecclesiae electus et confirmatus sum, ipso die Margaretae virginis per senatores duos Matthiam Zschipchen et Paulum Arnold accersitus.“151

Zweifelsohne dient diese Aufzählung der Legitimation Lauterbachs in Pirna, zumal am Ende dieser „Einleitung“ auch Schwierigkeiten greifbar werden.152 Dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass neben Lauterbachs Magistertitel und seiner rechtlich korrekten Berufung, der zudem ein verstärktes Werben durch führende Persönlichkeiten Pirnas vorausging, auch seine mit Übernahme der neuen Stelle eigentlich beendete Tätigkeit als Diakon der Wittenberger Kirche als ihn autorisierendes Moment erwähnt wird. An sich ließe sich von hier kaum eine identitätskonturierende Bezugnahme belegen, jedoch wird dieses punktuelle Moment im Folgenden auf eine grundsätzliche Ebene gehoben, wenn Lauterbach vom „heiligen“ Wittenberg, von „entwöhnt werden (ablactatus)“, auswandern (migrare)“ und „Gehorsam (obtemperare)“ spricht: „Etsi difficillime tamquam ablactatus ex Wittemberga sancta migrabam, Luthero et aliis Patribus consulentibus ut patriae inservirem, obtemperabam.“153

Deutlich tritt hier die „lokale“ Dimension der identitätskonturierenden Memoria zu Tage, deren Ursprung in Halle „mythisierend“ und damit ohne vorrangiges Interesse an historischer Differenzierung erinnert wird. S. S. 335–339. Vgl. D 116 2°, fol. 581v. Die Hamburger Handschrift H 74 formuliert hier genauer „1508 primum [Hervorhebung; I.K.] venit Witebergam“ (Sup. Ep. 4° H 74, fol. 259r). 151 Zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 299. 152 „Inde mihi cum impiis pastoribus, nobilibus harpyis et centauris, civibus et rusticis malevolis, etiam cum aulicis frequens pugna fuit“ zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 300. Zur Rede von „Harpyren und Centauren“ s. WARTENBERG, Landesherrschaft, 250 mit 174 Anm. 10; MEIER, Lauterbach, 24–28. 153 Zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 299f. 149 150

358

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Für das nächste biographische Datum, Luthers Romreise, gibt es kein analoges Selbstzeugnis von Lauterbach. Dennoch belegen der Kodex als Ganzes und der auf Luther bezogene Locus, dass diese Reise wichtiger Bestandteil des identitätskonturierenden Narrativs war, insofern diese geradezu als Katalysator der Reformation entfaltet wird. Wenn in Halle im „curriculum“ ahistorisch und auch im Unterschied zur Wolfenbütteler Parallele zwei Aufbrüche nach Rom angeführt werden, datiert auf 1509 und 1510, so mag dies als erstes Indiz für die Wichtigkeit dieses Ereignisses für den Lauterbachschen Kreis gelten.154 Zudem findet sich bereits im „dogmatisch“ geordneten ersten Teil im Zusammenhang mit dem Locus „Facultates Papae“ ein mit „Roma“ überschriebener Abschnitt, der kaum zufällig wie folgt eröffnet wird: „Praesentibus Licentiato Liborio Medeburg [sic!] et Magistro Georgio Spalatino Martinus Lutherus dicebat: Weil mich unser herrgott in das scheutzlich vnnd hesslich geschefft wider den bapst tzu schreiben bracht hat, wolt ich nicht viel gelt dafur nehmen das ich Romam nicht gesehen vnnd gehort het ich muste mich sonst immer besorgen, ich thete inen gewalt, sed quae uidimus. loquimur et testamur.“155

Insofern ist die katalysatorische Deutung nicht nur im auf Luther bezogenen Locus präsent, vice versa heißt dies zugleich, dass die dort auf Rom bezogenen Apophthegmata gezielt für diesen ausgewählt wurden. Zudem wurde redaktionell eingegriffen. Im ersten diesbezüglich anzuführenden Apophthegma bietet Halle gegenüber der in Ser. überlieferten Parallele aus dem Jahr 1537 eine deutlich gestraffte Fassung: D 116 2°, fol. 579r–v

WA.TR 3,431,40–432,8 [Nr. 3582 A]

Romae me fuisse non magno uenderem, Jch wolt nich gros geldt nemen, das ich quia non credidissem extremam malitiam, zu Roma nicht gewesen wer. Ego non quae ibi est. crederem, nisi vidissem. Nam tanta et impudens ibi est impietas et malitia, das aldo wider Got noch menschen, wider sunde noch schande geachtet 154 Vgl. D 116 2°, fol. 581v: „Nono et decimo abii Romam.“ Die Handschrift Cod. Guelf. 20. 3. kennt nur einen Aufbruch im Jahr 1510 – s. die Synopse S. 352f. Dass Luthers Romreise wohl nicht, wie die ältere Forschung meinte, im Jahr 1510/11 anzusetzen ist, sondern erst 1511/12, legen Schneiders detaillierte Forschungen nahe (s. SCHNEIDER, Reise). S. zudem Volker Leppins These, die Reise sei unabhängig von den ordensinternen Streitigkeiten als reine Bußreise erfolgt (LEPPIN, Roma). 155 D 116 °2, fol. 79v–79[alter]r bzw. WA.TR 3, 345,8–20 [Nr. 3478] (Zitat: ebd., fol. 79v bzw. 345,8–12). S.a. D 116 °2, fol. 80v = WA.TR 5, 467,11–21 [Nr. 6059], wo die für Luther als notwendig eingeschätzte Romerfahrung mit der von Staupitz gehörten Prophezeiung verbunden ist. Der mit „Romae descriptio“ überschriebene Nachtrag konzentriert sich demgegenüber gänzlich auf die Darstellung der „Verderbtheit Roms“ (D 116 °2, fol. 654r–v); s.a. S. 366.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 359 wird. Hoc testantur omnes pii, qui ibi fuerunt, et omnes impii, qui ex Italia peiores redierunt. Causa profectionis erat confessio, quam uolebam a pueritia usque texere, vnd from werden. Erphordiae bis talem feci confessionem.

Principalis autem status meae profectionis in Romam fuit, das ich wolde eyne gantze beychte von jugent auf geschehen thuen vnd from werden, quamvis ego talem confessionem Erfordiae bis feceram.

Et inveni indoctissimos homines Romae.

Tum veni Roman ad indoctissimos homines. Ach, lieber Hergot, was sollen di kardinel wissen, qui sunt tot negotiis et imperiis obruti? Es hat mit vns muhe genunck, qui in dies studemus et omni hora exercitamur.

Durch die Straffung wird die antipapalistische Dimension wohl ganz bewusst verallgemeinert und so auf die katalysatorische Funktion zugespitzt. Als Anlass wird lediglich der Wunsch der Generalbeichte angegeben, so dass die Reise als „schiere“ Pilgerreise dargestellt wird. Zugleich wird Luthers dem „alten“ System adäquate Frömmigkeit betont, der die „extrema malitia“ bzw. die „indoctissimi homines“ kontrastiert werden. Im unmittelbar folgenden Apophthegma, eingeleitet mit „Occasio scriptorum Lutheri“, wird die „Romerfahrung“ Luthers dann explizit mit den Anfängen der Reformation in Verbindung gebracht.156 In diesem erstmals in Halle greifbaren Apophthegma wird einerseits Luthers aktives Vorgehen gegen den Papst als sehr zurückhaltend, andererseits aber immens wirksam eingestuft und Luther am Ende gar zum „alter Paulus“ erhoben. Dank der Reise habe Luther das Papsttum kennengelernt – positiv wie negativ, was der Teufel gerne verhindert hätte. Durch das beiden Apophthegmata gemeinsame Motiv der äußerst wichtigen Erfahrung wird Luthers Romreise in seiner katalysatorischen Funktion Teil der identitätskonturierenden Memoria des Lauterbachschen Kreises. Wäre die Reise 156 Vgl. D 116 2°, fol. 579v = WA.TR 5, 656,24–657,8 [Nr. 6427]: „Occasio scriptorum Lutheri. Ego noveram ex Decreto, in quo clare id expressum est, damnari, qui animas ex purgatorio liberare volunt. Putabam me gratificaturum papae, sed damnabar. Ibi cogebar me defendere. Hette ich die sache so weit gesehen, als sie Gott lob kommen ist, so hette ich das maul gehalten, sed me tacente wer es viel erger mit dem babstumb worden; principes et magistratus incitati eius violentia tandem eum deposuissent. Ego moderate egi, sed tamen causa maxima eorum ruina. Ego maximus papista fui, insuper Romae habe ihre schalckheit gesehen, ihre kunst gelernt vnd getrieben. Darfur solt der Teuffel wol 100 000 fl. geben, daß ichs nicht wuste. Ita factum est in conversione Pauli; do der heilige pharisaeus von Juden abfiel, reiß er ein groß loch in die sinagoga.“

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

auch im Rückblick eine „reine“ Pilgerreise geblieben, hätte sie diese Funktion kaum übernehmen können. Die gezielte memoriale Inanspruchnahme einzelner Ereignisse kann des Weiteren anhand der Ablasskontroverse verdeutlicht werden. Diese ist zentraler Bestandteil des Narrativs, aber vornehmlich mit Fokus auf Johannes Tetzel.157 Ein erstes Indiz mag wiederum das „curriculum“ darstellen: „Anno 17 incepi scribere contra Tezelium de poenitentia et indulgentiis.“158

Daneben treten weitere Apophthegmata des Luther gewidmeten Locus, in denen die Anfänge der Reformation in den Blick genommen werden. Zu verweisen ist hier zum einen auf das in Kapitälchen mit „Initium cum Tetzelio“ überschriebene „Stück“, das erstmals in Halle greifbar ist.159 Im ersten thematischen Unterabschnitt werden theologische „Ungeheuerlichkeiten (abominationes)“ Tetzels aufgezählt. Diese waren dem Kreis um Lauterbach so wichtig, dass er sie bereits unter der „Rubrik“ „Abominationes papisticae“ z.T. wörtlich identisch aufgezählt hatte.160 Im zweiten thematischen Unterabschnitt veranlassen Tetzels Ungeheuerlichkeiten dann Luther, sich brieflich an den Erzbischof von Mainz sowie den Brandenburger Bischof zu wenden. Diese hätten Luthers Schreiben an Tetzel weitergeleitet, was diesen entsetzt hätte aufschreien lassen. Luther wäre Schweigen auferlegt worden, die Gegenseite hätte aber nicht geschwiegen. Das Narrativ gipfelt im dritten Unterabschnitt in der heilsgeschichtlichen Einordnung von Luthers Wirken: „Et gratias ago Deo, qui per me miserum et pauperem mendicum regnum illud mendaciorum oppugnavit. Jst dennoch matt gemacht. Es ist aber so scheutzlich, daß es ihm Gott selber furbehalten hat tzu dempfen; darumb wirdts im Ernst sein, sicut Paulus ait: Spiritu oris sui et illustratione adventus sui eum eradicabit.“161

157 Dennoch findet sich im auf Luther bezogenen Locus auch eine Schilderung der „wunderlichen“ und „schwächlichen“ Anfänge der Auseinandersetzung mit dem Papsttum, in der der Ablassprediger nicht erwähnt wird. Zudem wird über die Auseinandersetzung mit Sylvester (Mazzolini) Prierias zur ekklesiologischen Grundlegung der Kontroverse übergeleitet. Bei diesem Apophthegma hat der Kreis um Lauterbach nur den mittleren Teil der Vorlage aus dem sog. „Lauterbachschen Tagebuch“ von 1538 in den auf Luther bezogenen Locus übernommen: vgl. D 116 2°, fol. 582r–v bzw. WA.TR 3, 564,11–26 [Nr. 3722 med.]. Der Eingangsteil wird in D 116 2°, fol. 625v, der Schlussteil ebd., fol. 151v–152r aufgegriffen. Näheres zur Rezeption des Mittelteils s. S. 368. 158 D 116 2°, fol. 582r. 159 D 116 2°, fol. 580v–581r = WA.TR 5, 657,23–658,18 [Nr. 6431]. 160 D 116 2°, fol. 221r–v = WA.TR 5, 535,8–14 [Nr. 6201]. 161 D 116 2°, fol. 581r = WA.TR 5, 658,10–18 [Nr. 6431]; Zitat: ebd., 10–14.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 361

Das damit hinreichend umschriebene Narrativ wird in verschiedenen Varianten wiederholt. Dabei kann Tetzel bereits in den „Vorlagen“ präsent gewesen162 oder erst durch den Kreis um Lauterbach ergänzt worden sein.163 V.a. letzteres macht deutlich, dass der Generalsubkommissar der Ablasskampagne ein für den Kreis um Lauterbach entscheidendes Moment der identitätskonturierenden Erzählungen über die „Initio Euangelij“164, „Occasio et cursus Evangelii revelati“165 etc. und damit die Anfänge darstellt. Im Hintergrund dürfte stehen, dass Tetzel in Pirna geboren worden war.166 Erneut konvergiert hier der aus Halle erhobene Befund mit dem Bildprogramm der Pirnaer Stadtkirche: Bis zur Renovierung Anfang des 18. Jahrhunderts befand sich an der Nordwand ein Spottbild Tetzels bzw. des Ablasshandels.167 Als letztes konkretes „Ereignis“ wird im „curriculum“ der Wormser Reichstag und damit das Jahr 1521 aufgegriffen. Die naheliegende Vermutung, dass Luthers „standhaftem Bekenntnis“ vor Kaiser und Reich eine zentrale Rolle im identitätskonturierenden Narrativ zuerkannt wurde, lässt sich jedoch nicht plausibilisieren. Darauf deutet bereits das „curricu-

162 D 116 2°, fol. 586v bzw. WA.TR 4, 316,28–317,9 [Nr. 4446]: „Initio Euangelij sensim processi contra Tetzelium impudentissimum, et Hieronymus, episcopus Brandenburgensis me dilexit; ego eum hortatus sum ut ordinarium loci, das er in diese sache wolde sehen, misique ei resolutiones manu mea scriptas, antequam divulgarem. Sed nemo Tezelium latrantem uoluit compescere, sed adhuc defendere conabantur. Ita ego imprudenter processi ceteris audientibus et fessis sub tyrannide. Nu bin ich hienein komen, Gott helffe mir forder, dan man kan dem babst niemermehr betzalen, wie ers verdienet hat […].“ 163 D 116 2°, fol. 583v–584r bzw. WA.TR 4, 25,8–18 [Nr. 3944] – Kursivierung; I.K.: „Occasio et cursus Evangelii revelati: Lijpsenses loquebantur apud D⌊octorem Lutherum de cursu euangelij, quod mirabiliter initio processisset. R⌊espondit D. M. Lutherus: Ingenue fateor me hanc arduam causam non meo proposito coepisse. Nam talis eram papista, ut contra Erasmum papatum perstringentem, sed Deus me mirabiliter per intervalla et occasiones in hanc causam uocauit. Jch hette erstlich holtz dartzugetragen vber einen solchen ketzer, der missam, coelibatum etc. hette angriffen. Hoc etiam multum adiuvabit euangelii cursum, quod anno 19. Maximilianus moriebatur ubi in interregno papistae mirum in modum contra me scripserunt; do muste ich mich wehren. Ac retulit hijstoriam et colloquium cum Carolo de Miltitz, qui rosam Aldenburgam afferens contulerat cum Luthero lachrimans, repraehendens Tezelium mirum in modum, quod sua importunitate occasionem disputandi dedisset. Es ist Domini consilio geschehen etc.“ 164 D 116 2°, fol. 586v. 165 D 116 2°, fol. 583v. 166 S. hierzu HOFMANN, Reformationsgeschichte, 325–329; HOFMANN, Zustände, 67–71. Zur Biographie s.a. NIEDEN, Tetzel (Lit!). 167 Vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 159.329 bzw. die ausführlichere Beschreibung in HOFMANN, Stadtkirche, 21f.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

lum“ selbst hin, in dem Worms irrtümlich mit in der Wartburgzeit bzw. dort verfassten Schriften in Verbindung gebracht wird: „Deinde ad comitia Wormariam vocabar; ibi quiescebam fere biennium ac scripsi postillas et aliquot psalmos.“168

Allein die „Beiläufigkeit“, mit der der „Wormser Reichstag“ eingeführt wird, legt es nahe, dass mit diesem – aller späteren Rezeption zum Trotz – kaum besondere identitätskonturierende Impulse verbunden wurden. Dies bestätigt auch der insgesamt geringe Niederschlag im Luther gewidmeten Locus.169 Nur ein einziges, ebenfalls erstmals in Halle greifbares Apophthegma geht darauf ein, und selbst in diesem wird der Reichstag in seiner Bedeutung relativiert. Ausgangspunkt ist, dem bisher dargestellten Narrativ entsprechend, der „wunderbare Erfolg“ des Evangeliums, woraufhin Worms als verpasste Gelegenheit eingeführt wird, den „Siegeszug“ noch zu stoppen. Am Ende steht Luthers seit Jahrzehnten andauerndes Bekenntnis mittels seines Predigens: „Mentio fiebat successus Euangelij nostro seculo, quod mirabiliter sub infirmitate processisset. Respondit: Wans die papisten in dem fasse hetten wie vor 2 jaren in comitijs Wormatiensibus,170 sie geben ettliche bisthumb vnd cardinalat drumb. Sed Deus uoluit regnum Antichristi reuelari. Ipsi noluerunt me ferre tacentem, si et ipsi tacerent. Et intempestiuis consilijs rem tentarunt. Nam cum caesar me citasset Wormatiam mandato propria manu subscripto tertia feria, statim quarta feria me concluserunt; non opinabantur me venturum, sed ego utcunque timidus, spiritu Dei confirmatus libere locutus sum et confessus doctrinam Christi, quae etiam in persecutione et morte multorum piorum creuit. Jch haltte auch, daß in 1000 jaren nicht ein mensch also verflucht sey als ich, der ich nuh 30 jar geprediget, manchen tag 3 predigten vnnd sonst teglich in der fasten, auch etlich mal 4 predigten einen tag gethan habe, daß ich glaube, daß wol so viel predigten durch mich gescheen sein als durch S. Ambrosium, Augustinum.171

Insgesamt machte die vorangegangene Entfaltung des identitätskonturierenden Narrativs deutlich, dass der Kreis um Lauterbach im Unterschied zum „Wellerschen Kreis“ kein Interesse mehr an einer „Heroisierung“ Luthers hatte. Die ausgewählten „Ereignisse“ aus Luthers Leben bzw. den Anfängen der Reformation wurden so aufgegriffen, dass dahinter eine „Mythisierung“ im Assmannschen Sinne aufscheint. Zugleich wurde Lu-

D 116 2°, fol. 582r. Am Ende des „dogmatischen“ ersten Teils der Handschrift wurde zudem der mit „Profectio D⌊octoris Martini Lvtheri Wormatiam 1521. 18. May“ überschriebener Bericht angefügt (D 116 2°, fol. 207v–210r = WA.TR 3, 284,12–287,17 [3257b]. 170 Diese kaum haltbare Datierung auf vor „2 Jahren“ statt vor „20 Jahren“ dürfte als „Unachtsamkeit“ zu deuten sein, belegt als solche aber ebenso die „Unwichtigkeit“. 171 D 116 2°, fol. 584v = WA.TR 5, 659,15–29 [Nr. 6434]. 168 169

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 363

ther – bis hin zur künstlerischen Umsetzung – auf diese Weise monumentalisiert und die eigene Konfessionskultur verfestigt. 2.2.2.

Konfessionspolemische Abgrenzungen

Dass zum identitätskonturierenden Narrativ bzw. der „konfessionskulturellen Verfestigung“ neben dem im Vorangehenden dargestellten Fokus auf die Anfänge zudem Abgrenzungen gegenüber den „Altgläubigen“ wie gegenüber innerprotestantischen „Gegnern“ gehören, kann ebenfalls ausgehend vom „curriculum“ entfaltet werden. Dort wird im Zusammenhang mit der zweiten Psalmenvorlesung bzw. der „Nach-Wartburgzeit“ in sehr grundsätzlichem Duktus ausgeführt, dass sich Luther „mit dem babst vnd sophisten bleuen [muste]“ bzw. „[…] iterum cum papa pugnaba[t], cum swermerijs.“172

Die damit insinuierte Konfessionspolemik ist zwangsläufig zunächst in der Vergangenheit verortet. Dennoch zeichnet sich ein ganz spezifischer und differenzierter Zugriff des Kreises um Lauterbach auf entsprechende Apophthegmata ab. Einerseits werden die zu Luthers Lebzeiten prägenden Auseinandersetzungen als Teil der Geschichte zum Bestandteil der identitätskonturierenden Memoria bzw. Konfessionskultur. Dies gilt in besonderer Weise für die Abgrenzung von den „Papisten“. Bei den „innerprotestantischen“ Abgrenzungen findet im Kodex selbst eine Verschiebung statt von der Retrospektive hin zur konkreten Positionierung in den als „Majoristischer Streit“ bezeichneten Debatten. Diese These soll im Folgenden für Halle im Allgemeinen und den auf Luther bezogenen Locus im Besonderen schrittweise entfaltet werden. Zunächst ist noch einmal der unterschiedliche Kommunikationskontext von Halle und F in Erinnerung zu rufen.173 Einerseits ist Lauterbach selbst als Befürworter der albertinischen Linie greifbar. Andererseits ist durch den Passauer Vertrag und spätestens durch den Augsburger Religionsfrieden die Existenz der lutherischen Konfession reichsrechtlich gesichert. Das Papsttum und sein „Handlanger“, der Kaiser, stellen für die Pirnaer Anhänger Luthers keine existenzbedrohende Gefahr mehr dar.174 Dies führt u.a. dazu, dass in Halle im Vergleich mit der Gothaer Handschrift der Antipapalismus merklich an Schärfe und Impetus verliert. Dennoch D 116 2°, fol. 582r. S. S. 325–327. 174 Dennoch hatte Lauterbach selbst direkt Kenntnis von Vertreibungen von Protestanten. Dies zeigt das wohl im Zusammenhang des Vorbereitungstreffens in Dresden von zehn Theologen, u.a. Lauterbach und Melanchthon, unterschriebene Trostschreiben an 200 aus Böhmen und der Oberlausitz vertriebene evangelische Prediger (CR 8, 428–431 [Nr. 5737]). 172 173

364

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

gehört die Abgrenzung von den „Papisten“ und damit der Antipapalismus ebenso zu den identitätskonturierenden Aspekten der Memoria bzw. des Lutherbildes, wenn auch mit anderem Fokus. Es geht dem Kreis um Lauterbach primär um Luthers vergangene Kämpfe und kaum um deren Inanspruchnahme in aktuellen Konflikten, insofern kann der Antipapalismus von Halle als prinzipiell und retrospektiv beschrieben werden. Als solcher ist er für den Kreis um Lauterbach nicht weniger identitätskonturierend, dient aber v.a. der Abgrenzung nach „außen“, ohne zugleich nach „Innen“ gegen zu kompromissbereite innerprotestantische „Gegner“ gerichtet zu sein. Zudem eignet dieser „konfessionskulturellen Verfestigung“ ein ethischer Impetus. Grundgelegt ist dieser Aspekt letztlich bereits in Lauterbachs Antrittspredigt über Mt 7,15–23, wo von den falschen Propheten bzw. Wölfen in Schafskleidern und den Früchten als Erkennungszeichen die Rede ist. Monumental präsent war die damit einhergehende Abgrenzung vom Papsttum wiederum im Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche. Am dritten Südpfeiler verweist – unter Anspielung auf die erste Predigt – der gute Hirte seine Gemeinde auf den Gekreuzigten und wird kontrastiert mit Wölfen, die durch Tiara bzw. Kardinalshut und Mantel als Vertreter der „Papstkirche“ ausgewiesen sind und die Schafe reißen.175 Diese ersten Andeutungen können zunächst unter Rekurs auf das im summarischen Überblick über thematische Schwerpunkte der Handschrift Gezeigte entfaltet werden.176 Die dort als „antipapalistisch-polemisch“ klassifizierten Loci zeichnen sich durch eine Grundsätzlichkeit bzw. nicht selten primär durch einen „sachlich-informativen“ oder ethisch zugespitzten Zugang aus. Im Kodex wird dementsprechend im ersten „dogmatischen“ Teil informiert über die mit der Privatmesse verbundenen Probleme, bis hin zur in der Pirnaer Ephorie zur Zeit der Abfassung der Vorlage von Halle kaum noch relevanten Frage, ob man an einer „missa papistica“ teilnehmen könne.177 Analog wird für das Mönchtum bereits durch die Überschrift „MONASTERIA, MONACHI VITA ET DELITIAE MONACHORUM“ neben einer scharfen, aber dennoch nicht martialisch anmutenden Polemik zugleich eine diese transzendierende Weite angedeutet, zu der es auch gehört, dass über die Herkunft bzw. Verbreitung der Orden informiert wird.178 Unter der Rubrik „FACULTATES PAPAE“ wiederum wird vorrangig die sittliche Verdorbenheit der „Papisten“ entfaltet, bis hin zu deren (schrecklichen) Toden. Wenn zudem einzelne alt175 Näheres hierzu s. KERN, Tugend, 143–149; GOHLA, Gewölbemalereien, 81–87; LECHNER, Lauterbach, 47; SCHMIDT / TRÄGER, Deckengemälde, 55 sowie HOFMANN, Reformationsgeschichte, 160. 176 S. III 1.4. 177 Vgl. D 116 2°, fol. 59r–62r. 178 Vgl. D 116 2°, fol. 62r–67r.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 365

gläubige Gegner Luthers als „defensores et ministri papae“ vorgestellt werden, zeigt sich neben aller Polemik ebenfalls die retrospektive Ausrichtung.179 Im zweiten, „alphabetisch“ geordneten Teil werden zunächst die „papistischen Gräuel“ dargestellt, die ein breites Themenspektrum abdecken.180 Die Stoßrichtung ist eindeutig, spätestens, wenn der Abschnitt „De Antichristo“ eröffnet wird mit der Aussage, dass der Papst und der Türke zugleich das „caput Antichristi“ darstellten.181 Auch den Kardinälen wird – aufgrund ihrer „großen“ Zahl und in ihrer Funktion als Pfeiler des Papsttums in den einzelnen Ländern – ein nicht minder negativ konnotierter Locus gewidmet.182 Der mit „INVOCATIO SANCTORVM, TRADlTIONES, SVPERSTICIO, CEREMONIAE, IEIVNIVM“ überschriebene Abschnitt deutet hingegen stärker die Kritik an konfessionskulturellen Propria an und sollte deshalb nicht auf die Zeremonien reduziert verstanden werden.183 Gesondert thematisiert wird des Weiteren auch das „Jubeljahr“.184 Ähnlich grundsätzlich muten die Ausführungen im mit „Coena Domini“ überschriebenen Locus an.185 Dort wird u.a. den Fragen nach der „utraque species“ bzw. der Abschaffung der Elevation breiter Raum eingeräumt,186 so dass damit wohl kaum nur ein Reflex einer ehemaligen konkreten Anfrage Lauterbachs an Luther zu sehen ist, als darüber hinaus ein konfessioneller „identity and boundary marker“, der zudem Eingang in den Bildzyklus der Pirnaer Marienkirche gefunden hatte.187 Ausführlich ergänzt werden diese Aussagen gegen Ende des zweiten Teils – unter dem Stichwort „Papae“188 – zunächst durch eine Sammlung von „Historischem“ bzw. „Gräuelgeschichten“ über verschiedene Päpste, zu denen auch die

Vgl. D 116 2°, fol. 67r–79v. Auf den davon zu unterscheidenden katalysatorischheilsgeschichtlichen Impetus des Rom gewidmeten Unterabschnittes wurde bereits im vorangehenden Kapitel verwiesen (s. S. 358–360 bzw. D 116 2°, fol. 79v–81r). 180 Vgl. D 116 2°, fol. 219r–224r. 181 Vgl. D 116 2°, fol. 270v–274r. 182 Vgl. D 116 2°, fol. 403v–404v. 183 Gegen MEYER, Sammlungen, 10. Zum Abschnitt selbst s. D 116 2°, fol. 465v– 470v. 184 Vgl. D 116 2°, fol. 270r. 185 Vgl. D 116 2°, 470r–479v. 186 Vgl. bes. D 116 2°, fol. 471r: „Una species sacramenti“; ebd., fol. 472r: „Casus de sacramento“; ebd., fol. 472v: „Fragestuck R. M. V. Tzu sampt D. M. Lutheri Andtwordt; ebd., 478r: „Abrogatio elevationis“. 187 Die Darstellung der Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt befand sich ursprünglich im nördlichen Seitenschiff, wurde aber bereits 1570 durch Einbauten beschädigt (vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 159). Zur Anfrage Lauterbachs bei Luther s. LECHNER, Lauterbach, 38. 188 Vgl. D 116 2°, fol. 603v–633r. 179

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

alte Legende von einer Päpstin gehört.189 Im Folgenden reicht das Spektrum vom Betrugsvorwurf („imposturae papatus“)190, der anhand der Heiligenreliquien und der Einnahmequellen bzw. des Geizes des Papstes verdeutlicht wird, hin zu interkonfessionellen Streitpunkten („Controversiae cum Papistis“), programmatisch eröffnet mit der Forderung, dass drei Dinge frei sein müssten: das Abendmahl in beiderlei Gestalt, die Priesterehe sowie die Messe.191 Gesondert davon wurden auf die „doctrina papistarum et caecitas“ sowie die „inscitia papistarum“ bezogene Apophthegmata zusammengestellt,192 wobei der Übergang über die etymologische Herleitung des Begriffs Bulle zu den Dekretalen und Dekreten,193 die ebenso harsch kritisiert werden, fließend ist. Wenn Meyer den folgenden Abschnitt „Episcopi“194 eng mit dem vorangehenden verbunden sieht, so hat dies darin seine Begründung, dass auch mit diesem eine konfessionelle Abgrenzung einhergeht, der ebenso ein antipapalistischer Impetus innewohnt. Eingangs wird etymologisch und inhaltlich das „wahre“ Bischofsamt definiert, konkretisiert mittels der Auseinandersetzung des Freibergers „Zeuner“ respektive Hausmann195 mit dem Meißener Bischof aus den Jahren 1538/39. Ähnlich retrospektiv ist der mit „Episcopi papistici“ überschriebene Unterabschnitt,196 in dem verstärkt der Mainzer Erzbischof thematisiert wird. Eine einseitige polemische Verschärfung stellt demgegenüber der Schlussabschnitt „Romae descriptio“ dar.197 Diesem gebricht die historische Rückbindung und positive identitäts-konturierende Dimension. Vielmehr wird in scharfen Worten, auch mittels Akronymen und Eligien, die „Verderbtheit Roms“ nachdrücklich ausgeführt.198 Ebenso als Ausdruck einer mittels Abgrenzung von den „Papisten“ gewonnenen identitätskonturierenden Memoria ist der positive Rekurs auf den Augsburger Reichstag von 1530 bzw. das für diesen federführend von Melanchthon verfasste Bekenntnis zu verstehen. Prägnant wird die Confessio und die Apologie im Gegensatz zur Confutatio als „wirksam (efficacia)“ bezeichnet und auf deren durch Karl V. vorgeblich veranlasste Verbreitung verwiesen (fol. 270r: „Apologia apud Caesarem“; 270v: „Apologiae efficacia“). Das so fokussierte Erinnerungsinteresse geht so weit, dass bezüglich Vgl. D 116 2°, fol. 607v. D 116 2°, fol. 615r. 191 D 116 2°, fol. 621r. 192 D 116 2°, fol. 623v–630v.630v–631r. 193 D 116 2°, fol. 631r–633r. 194 D 116 2°, fol. 633r–644r. 195 S. hierzu WA.B 8, 308f. 196 D 116 2°, fol. 637v–644r. 197 D 116 °2, fol. 654r–v. 198 Darauf, dass diese abschließende Polemik in einem Spottlied gegen Georg Major gipfelt, wird noch zurückzukommen sein (s. S. 376f.). 189 190

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 367

des nicht minder zu lobenden Reichstags (fol. 302v–305v: „Augustana Comitia laudanda“) neben einem kurzen Bericht Spalatins sogar Teilnehmerlisten beider Parteien geboten werden. Der mit Augsburg verbundene „Erfolg“ wird zunächst durch Ausführungen zu einem Nürnberger Reichstag in den 1480er Jahren bzw. dem König von Böhmen, Matthias Corvinus (1443–1490), aufgewertet. Die mit dem Ort Augsburg verbundene „Erfolgsgeschichte“ wird – anfänglich ohne eigene Überschrift – durch auf das Treffen zwischen Luther und Cajetan bezogene Apophthegmata nahtlos fortgeschrieben (fol. 305v–307v). Das Konzil von Trient hingegen wird letztlich ganz ignoriert. Dies mag damit zusammenhängen, dass nach dem Ende der zweiten Sitzungsperiode 1551/52 das Konzil auf unbestimmte Zeit vertagt worden war. Dennoch spricht aus dem mit „De concilio“ überschriebenen Locus von Halle nicht nur ein historisches Interesse,199 sondern auch ein „mythisierendes“, insofern z.B. in dem Schmalkaldischen Bund gewidmeten Unterkapitel schlicht die nach Ständen geordneten Vertreter aufgezählt werden.200 Einher geht ein hohes Selbstbewusstsein, wie die Eröffnung des Locus zeigt: „Ideo homines ad verbum Dei et eius voluntatem, non ad Concilii authoritatem ducendi sunt etc.“201

Dem Papsttum tritt im Gesamt der Handschrift Halle mit diesen grundsätzlichen, sachlich-informativen und von hier z.T. „mythisierenden“ Aussagen bzw. ethischen Zuspitzungen somit ein in seiner Identität gefestigtes „Luthertum“ entgegen. Analoges gilt für die im auf Luther bezogenen Locus greifbare Abgrenzung von den „Papisten“. Dies kann z.B. anhand der an das „curriculum“ anschließenden Sequenz entfaltet werden. Zunächst folgt ein Apophthegma, in dem die finanzielle Not von Amtsträgern von Luther auf das bevorstehende göttliche Gericht gedeutet wird.202 Von hier erhält die Fortführung mit dem bewusst für diese Stelle ausgewählten Mittelteil eines Apophthegmas, das auf die „wunderlichen“ und „schwächlichen“ Anfänge des Ablassstreites bezogen ist, einen stark paränetischen Klang und weniger einen aktuell antipapalistischen, zumal wenn dieses einsetzt mit: Vgl. D 116 °2, fol. 506r–525r. Historisches Interesse insofern, als z.B. eingangs Antwortschreiben Melanchthons bzw. des Kurfürsten auf das Ansinnen eines Konzils von Anfang der 1530er Jahre überliefert sind (vgl. ebd., fol. 506v–513v). 200 Vgl. D 116 °2, fol. 522r–523v. Ebenfalls thematisiert wird der Frankfurter Reichstag von 1539 – der Fokus liegt auf Fürbittgebeten für dessen Gelingen (ebd., fol. 523v– 525r). 201 D 116 °2, fol. 506r–v bzw. WA.TR 3, 325,25–326,8 [Nr. 3463b]; Zitat: ebd., fol. 506v bzw. ebd., 325,7f. 202 Vgl. D 116 2°, fol 582r bzw. WA.TR 3, 549,8–13 [Nr. 3704] – zur Thematik s. S. 414f. 199

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

„Gott hat vns wunderlich ex tenebris scholasticorum et sophistarum gefuret vnd hat mich doch vnwissentlich in das spiel gefuret nuhe vber das 20. Jar. wie gar schwechlich ging es Erstlich an. do wir anno 17. post omnium sanctorum kegen Kemberg zogen, ubi ego primo proposueram scribere contra crassos errores indulgentiarum […].“203

Zugleich wird am Ende dieses in den Locus übernommenen Ausschnittes die ekklesiologische Grundlegung der Kontroverse mit den „Papisten“ thematisiert204 und redaktionell mit dem eindrücklichen „Bild“ von Luther als „Klerus-Jäger“ verbunden: „Princeps Anhaldinensis, electoris commissarius, invitavit in Torga M⌊artinum Lutherum ad venationem sequentis Diei et coenam. Respondit: Ego ea de causa huc sum missus. Jch bin aber nicht ein solch weideman tzu wielde. Jch iage den babst, Cardinel, bischoff, Tumhern vnnd monch.“205

Dasselbe Muster wiederholt sich unmittelbar im Anschluss. Zunächst wird Katharina von Bora seitens Luther zur sorgfältigen Bibellektüre und Hören auf das Wort Gottes ermahnt, ebenfalls vor dem Horizont des Gerichts.206 Dann folgt Luthers gezielt redaktionell ausgewähltes Bekenntnis als Bauernsohn, dennoch „D⌊octor der heiligen schriefft, aduersarius papae“207

zu sein. Wie im ersten Beispiel von der Ekklesiologie, so wird hier die Gegnerschaft zum Papsttum von der „Schrift“ her im paränetischen Kontext in grundsätzlicher Weise memoriert, ohne dass ein konkreter „aktueller“ Anlass im Hintergrund aufscheint.208 Der damit hinreichend positiv umschriebene memoriale Rekurs des Lauterbachschen Kreises auf die Abgrenzung von den „Papisten“ kann des Weiteren durch den Vergleich mit F weiter konturiert werden. Zunächst 203 D 116 2°, fol. 582r bzw. WA.TR 3, 564,11–15 [Nr. 3722 med.]; zur gezielten Rezeption dieser „Überlieferung“ s. S. 360 Anm. 157. 204 Vgl. D 116 2°, fol. 582v bzw. WA.TR 3, 564,18–25 [Nr. 3722 med.]. 205 D 116 °2, fol. 582v bzw. WA.TR 3, 632,25–28 [Nr. 3811]. 206 D 116 2°, fol. 582v–583r bzw. WA.TR 3, 648,30–649,2 [Nr. 3835]; zur Thematik s. S. 416. 207 D 116 2°, fol. 583r bzw. WA.TR 3, 650,6f. [Nr. 3838 extr.] – zum Apophthegma als Ganzem s. S. 334. 208 Zwar ohne paränetische Rückbindung, aber nicht minder grundsätzlich wird der mit Luthers Geburt einsetzende und auch weitere „private“ Daten enthaltende „tabellarische Lebenslauf“ (vgl. D 116 2°, fol. 589r bzw. WA.TR 1, 441,38–442,6 [Nr. 884]) antipapalistisch fortgeführt, insofern die Ungeschicktheit der Gegner des Wortes verdeutlicht wird: „Jch hab auß allen schriefften meiner widersacher noch nie ein halb bladt gelesen, dowider ich nicht gnug tzu andtwortten gehat vnnd befunden hette. So gar vngeschickt sindt alle die, so sich wider gottes wordt legen, reden vnnd schreiben, das man sie nicht ehe ergreiffet, biß sie das maul aufftun“ (D 116 2°, fol. 589r–v bzw. WA.TR 4, 480,4–8 [Nr. 4771]).

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 369

ist Luthers „Sterben“ in den Blick zu nehmen, auf das der „Wellersche Kreis“ in so zentraler Weise und antipapalistisch zugespitzt zur Identitätsstiftung rekurrierte.209 Der verschobene Fokus kann zunächst an der Rezeption von Luthers Beinahetod in Tambach verdeutlicht werden. Dieses Ereignis findet in Halle insgesamt weniger Erwähnung, d.h. in nur zwei Apophthegmata, die zugleich jedoch bereits in F greifbar waren. In dem ersten entschärfte der Kreis um Lauterbach gerade die antipapalistische Ausrichtung, z.B. durch den Verzicht auf die Rede vom „Monster“, mit der in den Parallelen noch Luthers Abreisewunsch begründet worden war, oder die Abmilderung der „extrema ruina“ in „maius exitium“:210 D 116 2°, fol. 579r

WA.TR 3,404,5–15 [Nr. 3553]

Chart. A 402, fol. 106r [WA 48,558,29–32]

Loquens de suo morbo letali sine spe·humana dixit,

Valetudo D⌊octoris L⌊utheri Smalcald⌊iae. [21. Martii] mentionem fecit sui letalis morbi,

21. Martii dixit de suo morbo letali,

immo mortis ipsius, nam omnes de illo desperassent; non fuisset ibi salus ab homine, ideo miraculosam fuisse sanitatem:

imo morte ipsa, nam omnes de illo desperassent; non fuisset ibi salus ab homine, ideo miraculosam fuisse sanitatem:

sese·orasse, ne Schmalkaldiae moreretur, et abductum in Tambach bibisse uinum rubellum tenue, et ita uesica aperta sese miraculose seruatum.

Postquam ego petii, ut Smalcaldia abducerer, ne ibi praesente monstro morerer et sepelirer, veni Tambach, bibens in hospitio rubellum vinum tenue; mox Dei gratia aperiebatur vesica.

Postquam ego petij, ut Schmalkaldia abducerer, ne ibi praesente monstro morerer et sepelirer. Veni Tambach, bibens in hospitio rubellum vinum tenue; mox Dei gratia aperiebatur vesica.

Ideo inscripsit parieti: Tambach est mea Phanuel, ibi apparuit mihi Dominus. Si fuissem mortuus·certe papistis in maius exitium.

Ideo in pariete scripsi: Tambach est mea Phanuel; ibi apparuit mihi Dominus. Si mortuus fuissem, papistis in extremam ruinam mortuus essem,

Ideo in pariete scripsi: Thambach est mea phanuel; ibi apparuit mihi Dominus. Si mortuus fuissem, papistis in extremam ruinam mortuus essem,

Nam me mortuo alij Doctores non seruabunt talem Epijkian, sicut experti sumus in Zuinglio, Caro-

nam me mortuo videbunt, quem habuerint; nam alii praedicatores non servabunt illam ἐπιεικειαν sicut

nam me mortuo uidebunt, quae habuerint. Nam alii praedicatores non seruabunt illam epijkian sicut

209 210

S. II 2.1.1. Hervorhebung durch Kursivierung; I.K.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

lostadio et in multis adhuc timendum est.

ego, sicut in Zuinglio, Carolstadio etc. experti sumus et in multis aliis timendum est.

ego, sicut in Zuinglio, Carolstadio, experti sumus et multis aliis timendum est.

Des Weiteren kennt auch der Lauterbachsche Kreis das auf Schmalkalden bezogene Apophthegma, in dem ein Bote vor dem Hintergrund von Gerüchten über Luthers Ableben von diesem trotzdem sein Epitaph erbat. Textkritisch betrachtet bietet Halle gegenüber F kaum inhaltlich relevante Varianten. Die Rahmung des Epitaphs mittels „D. M. Lutherus mortuus iactatus et eius testimonium etc.“ bzw. „D. M. Lutherus hat 7 bebste erlebet“211

relativiert den antipapalistischen Impetus aber durch Versachlichung, anstatt das angekündigte „Unglück“ der Papisten zu verstärken. Hinsichtlich der Rezeption von „Luthers Sterben“ kann neben Tambach zudem auf Luthers Selbstidentifikation als „defensor et columna papae“ verwiesen werden. Die damit verbundene antipapalistische Prophezeiung Luthers wird in Halle – jedoch wie in Khum. – stärker als „Fakt“ und weniger als Hoffnungsbotschaft für die Zukunft angesehen, wenn nur noch von „müssen“ und nicht von „wird müssen“ bzw. von „nicht erwehren können“ und nicht von „wird nicht erwehren können“ die Rede ist:212 D 116 2°, fol. 572a bzw. WA.TR 2,425,14–18 [Nr. 2343b]

Chart. A 402, fol. 114r [WA 48,460,33– 35] bzw. WA.TR 1,552,27–553,3 [Nr. 1106]

Ego sum defensor et columna papae, post Ego defensor et columna sum papae. Post mortem meam wird er mußen einen grosmortem meam muss der babst ein stoss sen stos leiden, des wird er sich nicht leiden, des kan er sich nicht erweren. erweeren konnen; tunc dicent: O hetten wir itzt den Luther, Tunc dicent: hetten wir itzundt den der raten kondte. Jtzt were zu raten. Do Luther, der rathen konde, itzt wer tzu wollen sie nicht. Wens stundlein aus ist, rathen, so wollen sie nicht; wann das so wird Gott nicht wollen. stundtlen auß ist, so wirdt gott nicht wollen.

Insofern ist das in F noch so bestimmende Motiv von Luthers Sterben zwar auch in Halle greifbar, aber zum einen nicht mit derselben Intensität – dies gilt bereits rein quantitativ –, zum anderen wird es bewusst um211 D 116 2°, fol. 579v–580r bzw. Chart. A 402, fol. 108v–109r [WA 48, 564,12–20]; WA.TR 3, 440,21–441,15 [Nr. 3595]. 212 Entsprechend kennt der auf Luther bezogene Locus auch kein Apophthegma, in dem Luthers Tod mit einer geradezu apokalyptischen Naherwartung verbunden wird.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 371

akzentuiert, so dass es nur noch ein Nebenmotiv darstellt im Gesamt der prinzipiellen Abgrenzung von den Papisten. Als weiteres Thema kann das „Mönchtum“ in den Blick genommen werden. Bereits deutlich wurde, dass Luthers Klostereintritt vornehmlich in heilsgeschichtlich-prophetischer Perspektive aufgegriffen wurde.213 Im Folgenden ist nun darauf aufbauend zu zeigen, dass der „Lauterbachsche Kreis“ im Luther gewidmeten Locus im Unterschied zum „Wellerschen Kreis“ keine vergleichbaren, negativ konnotierten bzw. martialisch anmutenden Bilder aufgreift, nach denen Luther z.B. der „Auflöser“ oder das „Quecksilber“ des Mönchtums gewesen sei, so dass auch in dieser Hinsicht das kämpferische, antipapalistische Moment in den Hintergrund tritt.214 Dazu kann zunächst auf den zweiten Teil von Apophthegma Nr. 4414 verwiesen werden. Dort findet sich zusätzlich der Hinweis, dass Luther seine Kutte abgelegt habe, um in Übereinstimmung mit seiner Lehre zu leben und so „papistische“ Angriffe abzuwehren: „Ibi multi pij offendebantur me aliter docere et facere aliter. Papistae cauillabantur me, cum tamen exteris uellem servire, Cappa, Caelibatu, abstinentia carnium, Quadragesima. Multi papistae uociferabantur: wer es recht, das er lehret, er thet es auch. Et Ieckel, concionator Bremensis in die Palmarum inter alia fercula gallinam mihi parauit dicens: Si docemus, quare non facimus? Tandem anno 1523 deposui habitum in gloriam Dei et confusionem Sathanae, multis gaudentibus propter libertatem. Denn hette ich nicht selbest die kappen abgeleget, fleisch gessen, ein weib genomen, omnes papistae cavillati essent meam doctrinam non esse ueram, quia aliter fecissem, quam docuissem. Also kunde ich des heilosen kleides nirgent mit fugen los werden, kam mich sauer ahn, non propter meam conscientiam, sed aliorum, quibus inservire cupiebam.“215

Durch die prinzipiell nicht notwendige Aufnahme dieses zweiten Teils in den Locus wird Luthers Biographie über die heilsgeschichtlichprophetische Zuspitzung hinaus zum Zeugen der Wahrheit seiner Lehre, zugleich aber auch die Ehe von Priestern und Mönchen als Bekenntnisakt bestätigt bzw. nun Mitte der 1550er Jahre als protestantischer „identity and boundary marker“ etabliert.216 Im Anschluss wird das Fasten der „Papisten“ redaktionell zugespitzt als „Schmaußen (epulatio)“ eingeführt. Doch dürfte die Übernahme in den auf Luther bezogenen Locus statt in dem, dem Mönchtum an sich gewidmeten, primär mit zwei anderen Aspekten zusammenhängen. Zum einen –

S. S. 335–339. Im mit „MONASTERIA. MONACHI VITA ET DELITIAE MONACHORUM“ überschriebenen Locus (D 116 2°, fol. 62r–67r) fehlen hingegen beide Aspekte, der martialisch anmutende Antipapalismus wie der auf Luther bezogene heilsgeschichtliche Fokus. 215 D 116 2°, fol. 585v–586r bzw. WA.TR 4, 303,24–304,6 [Nr. 4414 extr.]. 216 Zur Thematik s. BUCKWALTER, Priesterehe. 213 214

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

wie an Luthers Biographie verdeutlicht wird – der grundsätzlichen Abgrenzung vom Mönchtum als Heilsweg: „Nam hoc est verum, der fromste monch ist der ergste schalck, qui Christum mediatorem et summum pontificem negant et iudicem ex eo faciunt.“217

Zum anderen der Warnung davor, dass der Artikel von der Rechtfertigung erneut falle: „Ach, wan der articulus iustificationis nicht gefallen wer, so hette bruderschafften, walfartten etc. keine stadt in der kirchen funden; lapso illo iterum, quod Deus avertat, iterum idola irruent.“218

Statt martialisch anmutender Bilder findet sich letztlich auch hier das bereits erwähnte Muster der grundsätzlichen Abgrenzung, verbunden mit Paränese, so dass dieser Zugriff auch als Niederschlag einer „konfessionskulturellen Verfestigung“ zu deuten ist. Analog zur Abgrenzung von den „Papisten“ gilt für die „innerprotestantischen“ Abgrenzungen, dass diese einerseits vornehmlich prinzipiell und retrospektiv und als solche identitätskonturierend zu verstehen sind. Andererseits eignet ihnen ein „aktueller“ Subtext aufgrund der sich verändernden innerprotestantischen Diskussionslage, der immer stärker zum Vorschein kommt und wohl erst nach 1556 und damit nach Abschluss der Vorlage in Halle seinen expliziten Niederschlag fand. Evtl. hat auch diese identitätskonturierende Abgrenzung sich im Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche niedergeschlagen. Die im Zentrum stehende Darstellung findet sich am dritten Nordpfeiler und damit gegenüber der bildlichen Abgrenzung vom Papsttum, was auf eine bewusste Komposition hinweisen könnte. Dass in der Forschung umstritten ist, inwiefern dort eine Abgrenzung von den „Wiedertäufern“ und „Schwärmern“ programmatisch festgehalten worden ist, hängt von der Deutung der dort festgehaltenen Kampfszene ab. Nach Lechner und Gohla wären die Vögel als „Störche“ und die gegen sie Kämpfenden als Kinder zu deuten.219 Unter Verweis auf Melanchthons Verständnis von Nikolaus Storch als Ursprung aller „Wie-

D 116 2°, fol. 586r bzw. WA.TR 4, 305,29–306,11 [Nr. 4422]; Zitat: ebd., 306,4–6. D 116 2°, fol. 586r bzw. WA.TR 4, 306,8–11 [Nr. 4422 extr.]. 219 Vgl. LECHNER, Lauterbach, 47–49 und GOHLA, Gewölbemalereien, 137–143. Anders: KERN, Tugend, 171f.: Diese sieht in der Darstellung ein Reflex des aus der Antike bekannten Kampfes von Kranichen mit Pygmäen. Nach SCHMIDT / TRÄGER, Deckengemälde, 46 seien die ebenfalls als Kraniche gedeuteten Vögel ein Symbol der Wachsamkeit, diese würden von Zwergen und damit Monstren mit negativ-moralischer Bedeutung bekämpft. 217 218

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 373

dertäufer und Zwinglianer“ wäre so in der Darstellung der sog. „Linke Flügel“ symbolisch verdichtet.220 Unabhängig von dieser Deutung des Bildprogramms steht im Hintergrund von Halle zentral auch die Erfahrung, dass es innerhalb des protestantischen Lagers zu Verwerfungen gekommen ist. So widmet der Kreis um Lauterbach den „Adversarii haeretici contra D. Lutherum“ einen eigenen Locus.221 Dessen Eröffnungsapophthegma stellt eine mehrfach bezeugte Parallelüberlieferung zu einem Apophthegma der Cordatischen Tradition dar, die auf die Auseinandersetzung mit den sog. „Zwickauer Propheten“ bezogen ist.222 Im Unterschied zu den anderen Zeugen spricht Halle nicht von „Marcus“ respektive Marcus Thomae, gen. Stübner, sondern von Marcus „Storch“. Somit fand hier eine Vermischung mit dem zweiten „Zwickauer Propheten“, Nikolaus Storch, statt, die insofern beachtenswert ist, als sie die eingangs erwähnte, für das Bildprogramm von einigen Forschern vermutete symbolische Verdichtung des sog. „Linken Flügels“ im Storch-Motiv stützen würde. Mit dem im Folgenden genannten „Dresler“ könnte Thomas Drechsel gemeint sein; weiterhin genannt werden Martin Cellarius (Borrhaus), der zumindest in loser Verbindung mit dieser Gruppe stand. Hinzu kommen aber ebenso Martin Bucer, Johannes Oecolampad und Zwingli, die „Wiedertäufer“ im Allgemeinen und Andreas Karlstadt im Besonderen.223 Damit ist ein breites Spektrum eröffnet, das weiter ergänzt wird. Dem „Antitrinitarier“ und „Wiedertäufer“ Johannes Campanus wird ein eigener Unterabschnitt gewidmet, inklusive eines Exzerptes seiner Irrtümer;224 analog erhält auch Thomas Müntzer einen eigenen Abschnitt.225 Ein weiteres Klassifizierungsmoment des Kreises stellt die „arrogantia doctorum“ dar: genannt werden noch einmal Zwingli, Karlstadt und Bucer, aber auch ehemalige Mitstreiter wie Veit Amerbach (1503–1557), Petrus Lupin (gest. 1521) und der „Antinomer“ Jakob Schenk (1508–1546), zu dessen Vertrauten aber auch Personen mit

Zur historiographischen Begrifflichkeit s. GAUSE, Linker Flügel, 389–391. Vgl. D 116 °2, fol. 228v–254v. Angedeutet wurde diese Erfahrung bereits im mit auf die Bosheit und Undankbarkeit der Welt bezogenen Locus, wenn dort – mit eigener Überschrift – die Frage gestellt wurde: „Wie kompts, das der einen am sehrsten betreuget, dem man auffs hochste vertrawet?“ (ebd., fol. 82v bzw. WA.TR 4, 21,24–31 [Nr. 3938]). 222 Zum Begriff s. S. 292 Anm. 814. 223 Vgl. D 116 °2, fol. 228v–230r bzw. WA.TR 3, 14,32–16,20 [Nr. 2837b]. 18,8–29 [Nr. 2838b]. 224 Vgl. D 116 °2, fol. 230r–232r. 225 Vgl. D 116 °2, fol. 233v–234r. 220 221

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

„täuferaffinen“ Ansichten gehörten.226 Breiter Raum wird zudem den sog. „Sakramentariern“ gewidmet, z.B. expliziert an Augsburg oder Mühlhausen und insbesondere an der Auseinandersetzung mit Bucer, bis hin zur Übernahme der sog. „Wittenberger Konkordie“ von 1536, bei deren Unterschriftenliste aber die Wittenberger Unterzeichner nicht angeführt werden.227 Weiterhin werden in einem eigenen Locus primär Argumente gegen die „Anabaptistae haeretici“ zusammengestellt.228 Neben die Abgrenzung vom „Linken Flügel“ tritt nun aber nicht minder grundlegend die Auseinandersetzung mit den „Antinomi“ – vom Duktus der Überschrift wohl als Unterabschnitt der „häretischen Gegner“ zu verstehen.229 Namentlich genannt werden in den Apophthegmata Johannes Agricola (1492/94) sowie nun stimmiger erneut Jakob Schenk und an einer Stelle zusätzlich Heinrich Hamme (ca. 1500–1560).230 Der „historische Ort“ dieser Aussagen ist damit im Zusammenhang mit der „zweiten Phase“ der antinomistischen Streitigkeiten zu suchen, d.h., auch hier wird prinzipiell ein vergangener Konflikt dargestellt.231 Die Abgrenzung von beiden Gruppen, dem „Linken Flügel“ wie den „Antinomern“ ist für den Kreis um Lauterbach so zentral, dass diese am Ende der Handschrift vertieft wird:232 zum einen unter der Rubrik „Hypocrisis. Falsi Fratres“ – angeführt werden Karlstadt und Schenk und bedingt erneut Hamme –233 und zum anderen unter der Rubrik „Haeretici“, der neben dem – so die Formulierung im Apophthegma – „Epikureismus“ und dem „Enthusiasmus“ explizit erneut Schenk und Agricola, aber auch Marcus Thomae, die Türken als Arianer, und Hieronymus Schurff (1481– 1554) zugerechnet werden.234 Werden somit beide Gruppen wieder aufgegriffen, erhält insbesondere die Distanzierung von den „Antinomern“ in mehrfacher Hinsicht eine aktuellere Dimension als die Frontstellung ge226 Vgl. D 116 °2, fol. 232v–233v. Zu Schenk s. MÜLLER, Schenk; BINDSEIL, Schenk. Schenk wurde von Luther als „Antinomer“ deklariert. Am Anfang stand jedoch eine auf den Laienkelch bezogene harsche Kontroverse (s. S. 382f.). 227 Vgl. D 116 °2, fol. 234v–245r. Zum Text der Konkordie mit der vollständigen Unterschriftenliste vgl. CR 3, 75 [Nr. 1429]. 228 Vgl. D 116 °2, fol. 262r–266v. 229 Vgl. D 116 °2, fol. 245v–254v. 230 Zu Schenk s. Anm. 226. Zu Heinrich Hamme und dessen Einordnung durch Luther als „Antinomer“ s. MBW 12,221f.; WA.B 8, 380f. Anm. 7. 231 Zu den verschiedenen Phasen s. die von Irene Dingel verfasste „Historische Einleitung“ in C&C 4, 3–15. 232 Eingeleitet wird diese Repristination durch die grundsätzliche Warnung vor „sophistica“, „hypocrisis“ sowie „tyrannis“ (vgl. D 116 2°, fol. 644v bzw. WA.TR 4, 154,7– 18 [Nr. 4128]). 233 Vgl. D 116 2°, fol. 644v–645v. Zur potenziellen Anspielung auf Hamme s. ebd., fol. 645r mit BINDSEIL, Colloquia, III,312 Anm. 21a. 234 Vgl. D 116 2°, fol. 646r–650r.

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gen den „Linken Flügel“: zum einen schlicht durch die Tatsache, dass Johannes Agricola, der Urheber dieser Konflikte, zur Zeit der Abfassung der Vorlage wie von Halle selbst noch am Leben war; zum anderen ließ Luthers damaliges Urteil noch Jahre später Lauterbach in Fundamentalopposition zu Agricola und dessen Theologie treten, wie Lauterbachs Schreiben an Georg Coelestin aus dem Jahr 1563 zeigt, in dem er sein Geschenk, ein Luther-Autograph, mit einer nachdrücklichen Warnung vor Agricola und seinen „antinomistischen“ Anhängern verband: „Has literas, quas sanctus vir Dn. D. M. Lutherus ante aliquot annos ad me sinceriter scripsit, suas querelas contra Eisleben, insignem hypocritam et simulatorem, Antinomum perversum, Item Marchiam vestram Iudaizantes deplorantes bona fide ad te mitto, qui cupidus es αὐθόγραφον (!) Lutheri piae memoriae apud te habere, quo te honorari volo. Sed ut sis cautus, ne tibi periculum accersas. Sunt enim Lutheri scripta Diabolo e suis asseclis odiosa, praecipue Agricolanis Eislebiis, quorum auctor Io. Agricola furiis Anthinomicis Ecclesiam Dei captiose et fraudulenter offendit et Lutheranum coetum et Lutherum intimum suum graviter perturbavit. Utinam serio poenituisset!“235

In dieselbe Richtung weist der 1544–1546 erstellte Bildzyklus der Marienkirche, insofern nach Lechner „[…] die Dialektik von Gesetz und Gnade die wichtigste strukturelle Einheit im Pirnaer Bilderzyklus dar[stellt]“236.

Über diese grundsätzliche „Aktualität“ hinaus gewinnt die Auseinandersetzung mit den „Antinomern“ zum dritten durch die seit 1551/52 intensiv debattierte Frage nach der Notwendigkeit von guten Werken, die nach ihrem Protagonisten Georg Major (1502–1574) als „Majoristischer Streit“ bezeichnet wird, zusätzlich an Aktualität. Zwar stand hier die Bedeutung des Gesetzes noch nicht im Fokus, dennoch gibt es zwischen den beiden Themen einen inneren Konnex, bereits bevor 1556 aus der Frage nach den Werken die sog. „Dritte Phase“ der „Antinomistischen Streitigkeiten“ erwuchs.237 Zwar liegt kein Zeugnis Lauterbachs pro oder contra Major Zitiert nach WA.B 10, 526 [Nr. 3967]. LECHNER, Lauterbach, 45. 237 Zum „Majoristischen Streit“ und dessen Wurzeln s. die neuere Aufarbeitung von Dingel (Dies., Zusammenhängen) sowie die ebenfalls von ihr verfasste historische Einleitung zum entsprechenden Band der Reihe Controversia et Confessio (C&C 3, 3– 16), aber auch RICHTER, Gesetz, bes. 59–93 bzw. 94–169. Zu Major selbst und seinem weiteren Wirken s. SCHEIBLE, Major; DINGEL / WARTENBERG, Major. Wenn Scheible den „noch und wieder virulenten Antinomismus“ als einen Grund nennt, warum Majors öffentliche Klarstellung seiner Position von 1553 den Streit nicht beschwichtigen konnte (vgl. SCHEIBLE, Major, 728), wird der enge Konnex zwischen den beiden Streitigkeiten deutlich. Zur sog. „dritten Phase“ des „Antinomistischen Streites“, die grundgelegt ist in der Eisenacher Synode vom 7. August 1556, mit der der „Majoristische Streit“ beendet werden sollte s. S. 445f. 235 236

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vor, dennoch teilte er wohl gewisse theologische Grundeinsichten mit Major. Wenn zu den Wurzeln des Streites u.a. die „Leipziger Landtagsvorlage“ gezählt wird, dann gehört der Pirnaer Superintendent zwar nicht wie Melanchthon und Major zu den Verfassern, aber doch zu den Unterzeichnern und damit zum Trägerkreis dieses Textes.238 Somit trug er auch auf die guten Werke bezogene, von Flacius angegriffene Aussagen mit, wie: „Wie nun dieses warhafftiges erkennen in vns leuchten mus, also ist gewißlich war, das diese tugenden, glaub, liebe vnd hoffnung, vnd andere in vns sein muessen vnd zur seligkeit noetig sein.“239

Ebenfalls als Rekatholisierung wird die hinsichtlich der Buße geäußerte Ermahnung zum Gebet, Fasten und Almosengeben angegriffen, die im Vorwurf gipfelt: „Summa: es ist hie lauter legalis Doctrina de Sacramento vnd nicht Euangelica.“240

Nicht minder harsch kritisiert wird der auf den „Wandel der Kirchendiener“ bezogene Abschnitt.241 All dies sind Punkte, die Lauterbach nicht nur mittrug, sondern die ihn auch theologisch wie insbesondere in seiner Funktion als Visitator prägten; in dieser Funktion arbeitete er zudem wohl im Vorfeld der großen dritten Visitation von 1555–1557 u.a. direkt mit Major zusammen.242 Dass Halle tatsächlich auch auf die aktuellen Kontroversen reagiert, mag zum einen an dem Abschnitt „Academia Wittebergensis“ erkennbar sein. Die dort ausgedrückte hohe Wertschätzung der Wittenberger Universität und die Häretisierung ihrer Gegner, d.h. Schenk und Agricola, bedingt auch Zwingli, erhält vor den Angriffen auf Wittenberger Professoren wie Melanchthon und Major bzw. der damit einhergehenden Konkurrenz zwischen Albertinischen und Ernestinern einen anderen Klang.243 Analoges gilt für den dem „verbum Dei“ gewidmeten Abschnitt, der mit „De lege“ einsetzt.244 Ganz explizit Bezug auf den „Majoristischen Streit“ wird nun jedoch im letzten „Stück“ des Codex genommen:

Vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 269. Zitiert nach der von Flacius kommentierten Ausgabe der „Leipziger Landtagsvorlage“: C&C 2, 398,13–15 [Nr. 4]. Hieran schließt unmittelbar Flacius Kritik an: „Solche rede, die tugende sind zur gerechtigkeit oder seligkeit noetig, derer sehr viel in diesem vnnd dem vorigen Capitel ist, sind den Papisten zugute gesetzt, auff das sie darnach daraus (wie leicht folgt) schliessen: Ergo so werden wir zum teil auch durch vnsere wercke gerecht vnd selig“ (ebd., 398,16–19). 240 Vgl. C&C 2, 402,8–403,14 [Nr. 4]; Zitat: ebd., 403,6f. 241 Vgl. C&C 2, 411,11–30 [Nr. 4]. 242 S. S. 398. 243 Vgl. D 116 2°, fol. 226v–227r. 244 Vgl. D 116 2°, fol. 19r. 238 239

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 377 „In D⌊octorem Georgium Maiorem, ut ferebatur I⌊ohannis Stigelij. / Maior eras quondam, dum nondum bella tonarent. / Dum bellum saevit, factus es ipse Minor. / Causa, rogas, quae sit? Tibi iam quingenta dabuntur. / Sic Minor et Maior quilibet esse potest. / Haec carmina anno 1553 infigebantur a studioso quodam foribus D⌊omini Doctoris Maioris, composita, ut tum rumor erat, a Stigelio. Studiosus autem clam relegabatur.“245

Der Ton des Liedes überrascht angesichts des der Theologie Majors zumindest affinen Duktus des Kodex. Demgegenüber wird hier nun deutliche Kritik an Major laut, zumal durch die für eine große Zahl stehenden 500 Gründe. Der Rahmen datiert das Lied auf das Jahr 1553 und lässt als Entstehungsort Wittenberg erkennen. Zudem wird die von Gerüchten verbreitete Verfasserschaft des zwar in Jena lehrenden, aber weiterhin eng mit Melanchthon befreundeten Johann Stigel zurückgewiesen durch den Verweis auf einen nicht näher benannten „studiosus“.246 Zwischen dem neutralen Rahmen und dem klar positionierten Lied herrscht eine gewisse Spannung. Insofern ist die Intention, die zur Aufnahme des Stückes in Halle führte, nicht eindeutig erkennbar. Sollte z.B. hier die Kritik zur eigenen gemacht oder nur in ihrer Schärfe als fremde überliefert oder Stigel vom Vorwurf der Verfasserschaft befreit werden? Eingebettet ist das Stück ohne eigene Überschrift in eine geradezu als „letzte Wut“ zu verstehende, nachdrückliche Polemik gegen Rom. Dieser Abschnitt gehört zu den Nachträgen von Halle, die evtl. nicht Teil der Vorlage waren.247 Insofern könnte hier gegenüber der Vorlage tatsächlich eine apologetisch bedingte „Klarstellung“ vorgenommen und die eigene „Rechtgläubigkeit“ in doppelter Weise erwiesen worden sein: Durch eine scharfe Abgrenzung von den Altgläubigen und damit von dem Vorwurf, die eigene Position stelle eine Rekatholisierung dar, sowie von Majors Position, die damit zur Negativgrenze der eigenen sittlich-moralischen Schwerpunktsetzung erhoben würde.248 Als Rebenstock im Jahr 1571 die lateinische Druckfassung erstellte, verzichtete er auf diese Schlussteile, evtl. auch deshalb, weil sich zum einen nach 1557 die Diskussionslage durch die Gegenthese Amsdorffs, gute Werke seien zur Seligkeit schädlich, verschoben hatte,249 zum anderen deshalb, weil der sog. „Majoristische Streit“ mit dem Tod Agricolas 1566 trotz weiterer Schriften insge-

D116 2°, fol. 654v = WA.TR 5, 701,7–15 [Nr. 6507]. Zu Johann Stigel und seinen ausführlichen Briefwechsel mit Melanchthon s. SCHNEIDER, Anfänge; bedingt auch noch PFLANZ, Theologe. Zu den Dichtungen s. SCHÄFER, Epigramme; RHEIN, Dichtung. 247 S. S. 321f. 248 Deren Niederschlag im Kodex wird in III 2.3.1 dargestellt. 249 C&C 3, 471 bzw. die dortige Edition von Amsdorfs Verteidigungsschrift von 1559, die die These bereits im Titel enthält (ebd., 477–487). 245 246

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

samt an Virulenz verloren hatte und eine entsprechende Apologetik in einem international ausgerichteten Projekt nicht mehr von Nöten war.250 Die in Halle als Ganzem somit breit thematisierten innerprotestantischen Abgrenzungen haben im Luther gewidmeten Locus eher indirekt Niederschlag gefunden. Wie bereits angedeutet z.B. in der sittlichmoralischen Ausrichtung.251 Verwiesen werden kann dennoch auf den Niederschlag der Gegnerschaft zu Schenk im Melanchthon gewidmeten Unterabschnitt.252 Zudem ist Karlstadt greifbar, wenn diesem im Unterschied zum „tugendhaften“ Luther „ambitio“ vorgeworfen oder der Doktortitel vorenthalten wird.253 Auch dies zeigt, dass die Abgrenzung von innerprotestantischen Gegnern v.a. prinzipiell und retrospektiv erfolgt und als solche identitätskonturierend für den Kreis um Lauterbach ist. Jedoch stellt diese Prägung eher implizit als explizit eine Positionierung im „Majoristischen Streit“ dar. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass in diesem Streit die „Fronten nicht homogen und keineswegs in sich geschlossen waren“254.

Letztlich bleibt der Kreis so in ähnlicher Weise außen vor wie Melanchthon.255 Zugleich dürfte dies aber als Niederschlag der Halle eignenden Tendenz zur „konfessionskulturellen Verfestigung“ zu deuten sein, die in ihrer Prinzipialität aktuelle Konflikte transzendiert. 2.2.3.

Melanchthon als Autorität neben Luther

Für die Frage nach der identitätskonturierenden „Funktion“ Melanchthons ist zunächst noch einmal die Entstehungssituation der Handschrift Halle in Erinnerung zu rufen, insofern Rörers Versuch, die Arbeit an der nach Loci geordneten Sammlung der Lauterbachschen Tradition voranzutreiben, von einer kritischen Haltung gegenüber Melanchthon flankiert war.256 Wenn Rörer im entsprechenden Schreiben an Lauterbach die Kritik schloss mit „Sed Deo omnia commendo. Reliqua relinquo tuae cogitacioni“257,

Zur Rebenstockschen Ausgabe s. S. 565–568. S. erneut III 2.3.1. 252 S. S. 382f. 253 D 116 2°, fol. 581v bzw. WA.TR 5, 658,25–659,7 [Nr. 6433] sowie S. 335 Anm. 99.340f. 254 DINGEL, Zusammenhängen, 241. 255 S. DINGEL, Zusammenhängen, 242. 256 S. S. 310f. 257 Georg Rörer an Antonius Lauterbach. Wittenberg, 17. August [1550]: FLEMMING, Briefwechsel, 36 [Nr. 5]. 250 251

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dann deutete er damit an, dass er bei dem Pirnaer Superintendenten eine weniger kritische Haltung gegenüber Melanchthon vermutete. Dass er dazu guten Grund hatte, zeigen etwa die 44 überlieferten Schreiben Melanchthons an Lauterbach, die ab dessen Wechsel nach Pirna greifbar sind.258 Zufällig an dem Tag, an dem Rörer gegenüber Lauterbach seinen Unmut über die Situation in Wittenberg und über Melanchthon verlautbarte, wandte dieser sich mit einem biblisch begründeten Trost, bezogen auf die Rettung von Lauterbachs Frau und Kind in der aktuellen gefährlichen Situation, an den Pirnaer Superintendenten und entschuldigt sich, dass bei seinem Dresdenaufenthalt am 12. Februar ein Treffen wegen der winterlichen Witterung bzw. aus Zeitgründen nicht möglich war.259 Der Briefwechsel der beiden bezeugt als Ganzes ein sehr vertrautes Verhältnis, nicht nur in (kirchen-)politischen Fragen, sondern auch, wie gerade angedeutet, in „privaten“, gemeinsame Freunde oder die Familie betreffenden Angelegenheiten.260 Regelmäßig bedankte Melanchthon sich für GeschenDer früheste von Melanchthon an Lauterbach überlieferte Brief datiert vom 19. November 1539 (CR 3, 837f. [Nr. 1877] = MBW Nr. 2310), der letzte vom 1. März 1560 und damit kurz vor Melanchthons Tod am 19. April 1560 (CR 9, 1064 [Nr. 6944] = MBW Nr. 9247). Zum Inhalt der Schreiben s. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 273f.; MEYER, Lauterbach, 33f.; LECHNER, Lauterbach, 53–55. 259 Vgl. CR 7, 744f. [Nr. 4856] = MBW Nr. 6005. Die Pirnaer Kammerrechnung von 1548 bezeugt, dass Melanchthon mindestens einmal zu Besuch war (vgl. SPECK, Pirna, [2]). 260 Hofmann spricht hinsichtlich der Briefe Melanchthons vom „Ton aufrichtiger Zuneigung und Hoher Achtung“ und bezeichnet Lauterbach unter Rückgriff auf Meyer als von „Melanchthons Milde besonders angezogen“ (HOFMANN, Reformationsgeschichte, 273; MEYER, Lauterbach, 33). Diese Vertrautheit war in den gemeinsamen Wittenberger Jahren gewachsen, wie bedingt die von Melanchthon für Lauterbach verfasste Rede anlässlich seiner Promotion zum Magister (s. hierzu HOFMANN, Reformationsgeschichte, 147f.) und dann v.a. Melanchthons erstes Schreiben an den „Neu-Pirnaer“ zeigt: „Gratum mihi est, quod nostrae consuetudinis et amicitiae memoriam retines, nam prodest Ecclesiis animorum coniunctio in his, qui docendi munus sustinent“ (CR 3, 837f. [Nr. 1877] = MBW NR. 2310). Vgl. zudem exemplarisch das Schreiben vom 28. April [1542], in dem Melanchthon seine Reaktion auf den Erhalt der Nachricht vom Tod des Johannes Cellarius schildert: „Cum literae mihi tuae, optime Antoni, exhiberentur, aderant una Cruciger et Georgius Maior. His ego literas tuas legebam lacrymans. Etsi enim privatim amicorum suavitate frui in hac vita non possumus, ac saepe polliceri mihi soleo iucundiorem consuetudinem cum amicis in illa ventura vita, tamen est humani animi, desiderio talis amici adfici“ (CR 4, 806f. [Nr. 2479] = MBW 2946) sowie Melanchthons Dank für Fische in einem Schreiben vom 7. Juni 1552: „Pro piscibus tibi gratias ago, sed gratior est benevolentia tua“ (CR 7, 1012f. [Nr. 5132] = MBW Nr. 6467). Dass aus den Jahren 1552 und 1553 jeweils nur ein Schreiben greifbar ist und das nächste und letzte erst 1560, dürfte kaum ein Indiz für eine Eintrübung der Beziehung darstellen, sondern wohl eher der Überlieferung geschuldet sein, insofern Melanchthon im vorletzten überlieferten Schreiben vom 19. Januar 1553 verspricht, weitere Schriften zu schicken (CR 8, 19f. [Nr. 5316] = MBW Nr. 6714; 258

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

ke261 und vergalt dieselben mit Schriften aus Wittenberg, zumeist eigenen.262 Gelegentlich bat er Lauterbach auch explizit um kritische Rückmeldung, z.B. hinsichtlich der Neuausgabe seiner Loci communes.263 Insgesamt nahmen diese Schreiben Lauterbach mit hinein in die sich insbesondere nach Luthers Tod immer deutlicher herauskristallisierende und von dem Magdeburger Kreis und den ihnen Verbundenen scharf angegriffenen theologischen wie kirchenpolitischen Positionierung der Wittenberger.264 Dies ist des Weiteren greifbar am gemeinsamen Bemühen um den theologischen Nachwuchs, d.h. geeignete Amtsträger. Wenn Melanchthon zudem in Wittenberg ausgebildete Theologen nach Pirna sandte, wird auch hier eine analoge Prägung der Pirnaer Ephorie greifbar, zumal eine deutliche Abgrenzung von den „Magdeburgern“ mit einher geht.265 Doch hat Lauterbach Melanchthons bzw. die albertinisch-kursächsische Linie auch selbst mitgetragen. An der Entstehung der sog. „Leipziger Landtagsvorlage“ war er unmittelbar beteiligt, insofern er sowohl an den Verhandlungen in Alt-Zella vom 19.–21. November 1548 sowie am Leipziger Landtag selbst teilnahm.266 Noch in den 1560er Jahren unterzeichnet er ebd., 20: „Mittam etiam plura“) und das Schreiben von 1560 nahtlos an die vorhergehende Vertrautheit anknüpft sowie eine Einladung zu Peucers Promotion voraussetzt (vgl. CR 9, 1064 [Nr. 6944] = MBW Nr. 9247). 261 Vgl. z.B. CR 5, 181f. [Nr. 2762]; 527f. [Nr. 3074]; 517 [Nr. 3064]; CR 6, 132 [Nr. 3461]; 251 [Nr. 3581]; CR 7, 851 [Nr. 4974]; 1012f. [Nr. 5132]. 262 Vgl. CR 5, 875f. [Nr. 3299]; CR 6, 92 [Nr. 3424]; 132 [Nr. 3461]; 186f. [Nr. 3503]; 210 [Nr. 3526]; 251 [Nr. 3581]; 740 [Nr. 4083]; 7, 153[Nr. 4367]; 337 [Nr. 4489]; 8, 19f. [Nr. 5316]; 9, 1064 [Nr. 6944]. 263 Vgl. das Schreiben vom 15. November [1544]: „Mitto tibi editionem proximam locorum, et mitto ut iudici, viro docto et pio, et peto, ut mihi significes, si quid inveneris, quod displicebit. Scio totam doctrinam tenuius esse tractatam. Sed vitavi nimiam prolixitatem“ (CR 5, 528f. [Nr. 3075]); s.a. CR 5, 869 [Nr. 3292] mit ebd., 876 aus Nr. 3299 (vgl. MBW Nr. 4037). 264 U.a. von hier aus könnte das Diktum Specks begründet werden: „Lauterbach, der Freund beider Reformatoren, näherte sich doch mehr der Melanchthonschen Richtung“ (SPECK, Pirna, [6]). 265 Einer dieser Wittenberg eng verbundenen, nach Pirna entsandten Theologen ist der als Redaktor der Lauterbachschen Apophthegmata-Tradition beauftragte Joseph Hänel (s. S. 307f.). Kurz vor seinem Stellenwechsel nach Hohnstein besuchte er Melanchthon – zu dessen großen Freude – in Wittenberg und damit zu einem Zeitpunkt, als dieser bereits heftig von Flacius und anderen Magdeburgern angegriffen wurde, wie das Schreiben Melanchthons an Lauterbach vom 20. September 1549 zeigt (vgl. CR 7, 469 [Nr. 4599]). Dass Hänel viele Jahre später zu den Unterzeichnern der formula concordiae gehörte (vgl. KREYßIG, Album, 492), überrascht vor diesem Hintergrund wenig. Zur gemeinsamen Sorge um „geeignete Theologen“ s.a. CR 7, 439 [Nr. 4567]; 645f. [Nr. 4774]; 445 [Nr. 4576]. Zur Abgrenzung von den „Magdeburger Theologen“ s. zudem CR 7, 439 [Nr. 4567]; 599f. [Nr. 4724]. 266 Vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 269.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 381

verschiedene, gegen die „Flacianer“ gerichtete Gutachten der albertinischen Theologen.267 Des Weiteren deutet auch die „geschichtliche Einleitung“ des sog. Codex Lauterbach auf eine positive Bezugnahme hin, insofern Lauterbach dort den Kreis der maßgeblichen Autoritäten über Luther hinaus öffnet. Ein erstes Indiz bietet die bereits zitierte Darstellung der heilsgeschichtlichen Wende, in der weitere als „praestantes viri“ eingeführte Personen in den Blick geraten, die trotz aller Fokussierung auf Luther neben diesen treten.268 Dass dies kein Zufall ist, sondern vielmehr Lauterbachs Selbstbild in seiner Rückbindung an Wittenberg bzw. die dortigen „Autoritäten“ bestimmt, zeigt der Fortgang des Textes, in dem Lauterbach seine tiefe Verwurzelung in Wittenberg betont und in diesem Kontext von „Luther et alii patres“ spricht.269 Wer diese „anderen Väter“ sind, die deutlich machen, dass Luther für Lauterbach zwar die primäre, aber nicht ausschließliche Autorität ist, wird nicht näher ausgeführt. Die vorangegangenen Ausführungen legen zuvorderst Melanchthon nahe.270 Das Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche bringt neben Luther und Melanchthon auch noch Jonas und Bugenhagen ins Gespräch, wenn dort nicht nur Luther als Evangelist Lukas und Melanchthon als Evangelist Markus, sondern auch die Wappen wie Monogramme aller vier Wittenberger verewigt wurden und damit als Bezugsgrößen im Kirchenraum monumental präsent sind.271 Vor diesem Hintergrund stellen sich die Fragen, wie Melanchthon in Halle beurteilt wird, welche Autorität ihm zuerkannt wird und insofern auch, welche Funktion ihm vom Lauterbachschen Kreis für die Konturierung der „eigenen“ Identität respektive der Pirnaer „Konfessionskultur“ zuerkannt wird. Dass diese Fragen für den Kreis um den Pirnaer Superintendenten virulent waren, macht insbesondere die Schaffung eines eigenen Locus „Philippus Melanthon“ deutlich.272 Da die 1560 erstellte Abschrift S. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 270 Anm. 1 Zitat s. S. 328f. bzw. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 299. 269 Zitat s. S. 357 bzw. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 299f. 270 Diese doppelte Verbundenheit bezeugt auch ein jüngeres, evtl. von Rektor Petermann (ca. 1610–1697) verfasstes Gedicht, das Lauterbachs Epitaph ziert – zitiert nach der Abbildung in LECHNER, Lauterbach, 57: „Sancto fidus erat sociusq[ue] comesq[ue] Luthero / Impia cum stravit dogmata Pontificum. / Quineciam claru[m] pietate Melantona et Arte / Insignem eterna iunxit amicicia / […]“; zu diesem Epitaph s.a. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 275f. 271 Auch hier wird die Sonderrolle Luthers erkennbar, insofern er zudem – unter Rückgriff auf Lauterbachs Antrittspredigt über Mt 7,15–23 – am mittleren südlichen Pfeiler als „guter Hirte“ und Gegenüber der als Papst und Kardinäle dargestellten Wölfe präsent war (vgl. GOHLA, Gewölbemalereien, 81–87; HOFMANN, Reformationsgeschichte, 160). 272 Die verkürzte Form „Melanthon“ geht auf den Humanisten selbst zurück und ist seit 1531 greifbar (s. VOLZ, Lutherpredigten, 80 Anm. 1). Wie kleinteilig der Kreis um 267 268

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

der schon einige Jahre vorher abgeschlossenen Vorlage aus dem Todesjahr Melanchthons datiert, wäre es prinzipiell möglich, dass dessen Tod bereits vorausgesetzt wird, d.h. der Locus erst in Halle hinzugefügt worden wäre.273 Gewiss hat die Frage nach der Autorität Melanchthons nach seinem Ableben an Dringlichkeit gewonnen, wie z.B. der kurz nach dessen Tod durch seine Kollegen veröffentlichte Bericht über sein Sterben zeigt, der neben der Totenmemoria nicht minder der „Ehrenrettung“ Melanchthons diente. Die dort greifbaren Mechanismen wurden jedoch spätestens 1558 entwickelt und eingesetzt.274 Zudem steht die Frage nach Melanchthons Autorität letztlich mit dem Aufkommen der innerlutherischen Streitkreise verstärkt im Raum, die Entstehung des negativen Melanchthonbildes setzt jedoch schon viel früher ein.275 Da des Weiteren in Halle keine zwingenden Hinweise zu finden sind, dass auf Melanchthons Tod reagiert wird, dürfte wohl auch dieser Locus der Vorlage zuzurechnen sein. Weder die Auswahl der dort zusammengestellten zehn Apophthegmata noch deren Anordnung scheint zufällig zu sein. Am Anfang steht ein Apophthegma, in dem inhaltlich das trügerische Werben Jakob Schenks um Melanchthon Anfang 1539 und Luthers nachdrückliche Warnung vor ihm thematisiert wird.276 Das Schreiben selbst ist nur über dieses Apophthegma belegt. Trifft die Datierung zu, so stammt der Brief schon nicht mehr aus Schenks Freiberger Zeit, sondern aus der bis Frühjahr 1541 andauernden Phase, in der er als Hofprediger des ernestinischen Kurfürsten wirkte. Dabei spräche das Schreiben in den seit 1537 herrschenden harschen Konflikt zwischen den Wittenbergern und Schenk hinein. Ausgangspunkt war Melanchthons, die Schwachen schonende Haltung bezüglich des Laienkelches. Jedoch eskalierte der Streit zunehmend durch das Hinzutreten weiterer Konfliktfelder, etwa Auseinandersetzungen über täuferische Ansichten des „Schenk-Vertrauten“ Magister Georg Karg sowie antinomistische Tendenzen Schenks:277 „Anno 39. 19. Ianuarii afferebantur literae Magistro Philippo a Iacobo Schencken satis imperiosae et fallaces, quibus Philippum inescare voluit: Dann wann einer mit der frauen bulen wiel, muß er mit der magdt anfahen, dixit Philippus. Respondit D⌊octor

Lauterbach in die Texte seine Perspektive eintrug, wurde exemplarisch bereits anhand des auf den „Attentäter“ bzw. polnischen Astronomen bezogenen Apophthegma deutlich (s. S. 251–253). 273 Melanchthon starb am 19. April 1560. Zum Abschluss der Vorlage s. S. 312. 274 S. hierzu DINGEL, Freunde; KOLB, Memoria. 275 S. hierzu KOBLER, Melanchthonbildes. 276 Zu Schenk s. S. 373 Anm. 226. 277 S. hierzu KOBLER, Melanchthonbildes, 302–306 sowie BINDSEIL, Schenk, bes. 22–43. In nicht geringem Maße hat sich diese Kontroverse auch im mit „Antinomi“ überschriebenen Locus (D 116 2°, fol. 245b–254v) niedergeschlagen.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 383 Martinus Lutherus: Hoc meum consilium do vobis, ut caveatis illum nec vel scripto nec colloquio cum illo communicetis, quia ipse abutitur nostra benevolentia.“278

Die Wortwahl der Einleitung des erstmals in Halle greifbaren Apophthegmas lässt klar die Positionierung aufseiten Melanchthons erkennen. Im Folgenden wird der zeitgenössisch als Kritiker Melanchthons bekannte Schenk von Luther nicht minder nachdrücklich disqualifiziert. Teil dieser Apologie Melanchthons ist jedoch zugleich eine hierarchisch anmutende Verhältnisbestimmung durch das Bild von der Magd, die als Selbstaussage Melanchthons eingeführt wird. Unabhängig von der ursprünglichen historischen Situation sind damit erste Pfeiler der Argumentationsstrategie des Lauterbachschen Kreises angedeutet: Verteidigung Melanchthons gegen Vorwürfe (aus dem eigenen Lager), Melanchthon als nachgeordnete Autorität. Auf dieser Grundlage konnten auch konkrete Kritikpunkte benannt werden, z.B. im unmittelbar anschließenden, ebenfalls erstmals in Halle greifbaren Apophthegma, das wie folgt eingeleitet wird: „De Philippo omnium iudicium hoc est: Si peccat, tunc lenitate peccat.“279

Der erhobene Vorwurf der „Milde (lenitas)“ ist nicht neu. Er wird an Melanchthon in Verbindung mit einer zu großen Nachgiebigkeit insbesondere seit den Kontroversen um die Confessio Augustana herangetragen.280 Insofern wird hier eine nicht unwesentliche Kritik vom Kreis um Lauterbach überliefert. Das macht auch der Fortgang des Apophthegmas deutlich, wenn dort Melanchthon zunächst vorgeworfen wird, er lasse sich „tzu sehr einnemen“ und sein „klein scriptorilichen“ mit der stattdessen laut Luther benötigten „grobe[n] axt“ kontrastiert wird. Dennoch geht durch die Beschränkung auf diesen Kritikpunkt als einzigen zugleich eine Entschärfung einher, wie ein Blick auf die weitere zeitgenössische Kritik an Melanchthons „Persönlichkeit“ zeigt, zumal diese deutlich schärfer ausfiel.281 Zudem ist der Zielpunkt des Apophthegmas erneut die Handlungsmaxime, „falsi fratres“ – nun in Gestalt von Witzel – zu ignorieren und damit weder „Axt“ noch „scriptorilichen“ zu verwenden. Dieser Eindruck einer Relativierung des „lenitas-Vorwurfes“ bzw. analoger Vorwürfe wird durch weitere Apophthegmata des Locus verstärkt und zwar gerade auch durch die Anordnung. Bevor die Kritik an Melanchthons Agieren in Augsburg explizit benannt wurde, wurde ein hohes Lob Melanchthons seitens Luther und zwar im Kontext von altgläubiger „Umschmeichelungsversuche (adulare)“ angeführt. In diesem Apophthegma wird auf ein Schreiben des römischen Prälaten und italienischen HumanisD 116 2°, fol. 594v = WA.TR 4, 453,38–454,3 [Nr. 4727]. D 116 2°, fol. 594v–595r = WA.TR 5, 665,6–12 [Nr. 6443]. 280 S. hierzu KOBLER, Melanchthonbildes, 218–227. 281 S. hierzu KOBLER, Melanchthonbildes, bes. 520–531. 278 279

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

ten Jacopo Sadoleto an den Rektor des Straßburger Gymnasiums, Johannes Sturm, Bezug genommen, in dem Sadoleto erneut um Melanchthon (und Bucer) warb.282 Bereits im Jahr 1537 hatte sich der Prälat direkt an Melanchthon gewandt, der durch sein Schweigen gegenüber diesem Gesprächsangebot nicht wenig in die Kritik geraten war.283 Insofern verbindet sich mit der Aufnahme dieses Apophthegmas in Halle eine doppelte Apologie, die insbesondere an Luthers Reaktion auf dieses Schreiben deutlich wird: „Quanta haec humiliatio Sathanae, qui illos praeclaros viros ab Euangelio libenter abalienaret. Si Philippus noster consentiret, facile fieret cardinalis retenta etiam uxore et liberis. Ille Sadoletus non tam Sturmium quam Philippum quaerit. Sathan non quiescit, sed circuit, ut deuoret. Ergo vigilemus.“284

Einerseits wird die zeitgenössische Kritik an Melanchthon durch Luthers Warnung vor dem Wirken des Teufels zurückgewiesen, zumal im Vorangehen das Schweigen als adäquates Verhalten eingeführt wurde. Andererseits wird eine hohe Wertschätzung desselben seitens Luthers vermittelt, der diesen als „praeclarus“ lobt. Die Zuerkennung eines Kardinalats – trotz seines Familienstandes – ist zwar Polemik, verdeutlicht aber ebenso Melanchthons Ansehen. Zugleich wird Melanchthons Unempfänglichkeit gegenüber altgläubigen Vereinnahmungsversuchen mittels der Konjunktive greifbar. Insgesamt ist so ein relativierender Grund geschaffen für die Kritik Luthers an Melanchthons Agieren in Augsburg. Halle verstärkt diese vorangehende Entschärfung zudem redaktionell, insofern Luthers noch 1539 bezeugter Plan, eine eigene Schrift gegen die Confutatio zu schreiben, unmittelbar, d.h. ohne einen neuen Absatz zu beginnen und gekürzt um die in Ser. vorhandene „störende“ Einleitung angeführt wird: „Jch habe noch confutationem adversariorum contra Augustanam confessionem heimlich bey mir, quae digna est repudio. Jch muste inen besser komen. Philippus nimis est modestus. Papistae eius modestia tantum inflantur. Vult ex charitate omnibus servire. Kommen nur die papisten also, ich wil sie anders stöbern.“285

Weiterhin wird diese Kritik an Melanchthons „modestia“ bereits in der Vorlage selbst im Fortgang entschärft durch den Hinweis, das Verhältnis von Melanchthon und Luther sei in der Apostelgeschichte mit den Protagonisten des „Apostelkonzils“ (Apg 15), Jakobus und Petrus, vorgezeichnet. Dieses Bild („pictura“) an sich ist nicht ohne Ambivalenz, doch wird 282 Zum Briefwechsel Sturms mit Sadoleto und Jakob Omphalius vgl. die von Sturm selbst verantwortete Edition aus dem Jahr 1539 (STURM, Epistolae); s.a. AHL, Politik, 138. 283 S. KOBLER, Melanchthonbildes, 306–308 bzw. MBW.T 7, 459–463 [Nr. 1913]. 284 D 116 2°, fol. 595r bzw. WA.TR 4, 325,2–6 [Nr. 4463]. 285 D 116 2°, fol. 595r bzw. WA.TR 4, 385,18–21 [Nr. 4577].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 385

Melanchthons wie Luthers Agieren am Ende des Apophthegmas auf Gott zurückgeführt und als unterschiedliche Wirkweisen legitimiert und positiv qualifiziert: „In Actis Apostolorum habetis nostram picturam: Iacobus denotat Philippum, qui sua modestia legem libenter uoluisset retinere; Petrus me, qui perrumpebat: Quid oneratis etc.? Ita Philippus in charitate, ego in fide procedo. Philippus lest sich fressen, ich fresse alles vnd schone niemandes. Ita Deus in diversis operatur idem.“286

Zudem wird unmittelbar im Anschluss ein weiteres, Melanchthons Handeln rechtfertigendes Bild aufgegriffen, wenn Luther und Melanchthon nun nicht mit den genannten Aposteln, sondern mit Propheten gleichgesetzt werden, Luther mit Jesaja und Melanchthon mit Jeremia: „Dauid, Daniel et Esaias excellentissimi prophetae fuerunt. Ego sum Esaias, Philippus Hieremias. Der selbige prophet hat immer sorge, er schelde tzuuiel. Also mein Philippus auch.“287

Durch dieses Apophthegma wird Melanchthons „Milde“ oder „Zurückhaltung“ geradezu zu einer prophetischen Eigenschaft stilisiert und damit positiv akzentuiert. Zudem wird Melanchthon als Jeremia als scharfer Papstkritiker dargestellt, was der Kritik an Melanchthons Milde gegenüber den Altgläubigen zusätzlich die Grundlage entzieht: „Wann mich gott also schülde als den babst in Hieremia, so müste ich sterben, sed papa nihil movetur.“288

Dieser Zusammenhang zwischen Melanchthon als „alter Jeremia“ und Jeremia als Papstkritiker deutet sich schon bei Rörer an, dort sind beide Aussagen aber durch Absätze getrennt.289 In Halle sind beide Apophthegmata nahtlos verbunden, so dass sie zu einem Argument gegen Melanchthonkritiker werden.290 Das damit dargestellte Muster einer Kritik an Melanchthon und der anschließenden Relativierung wiederholt sich in den letzten vier Apophthegmata. Mit dem ersten werden Melanchthons „Weise“ und die Dedika286 D 116 2°, fol. 595r–v bzw. WA.TR 4, 386,3–8 [Nr. 4577]. Diese Legitimation des anders gearteten Wirkens Melanchthons wurde evtl. vom Kreis um Lauterbach ganz bewusst redaktionell verstärkt, insofern der Hinweis auf die „summa concordia“ zwischen den beiden Protagonisten ausgelassen wurde – vgl. WA.TR 4, 386,1f.: „Deinde dicebat de diversissimis ingeniis D⌊octoris M⌊artini L⌊utheri et Phi⌊lippi Mel⌊anchthonis, quae tamen summa concordia maxime effecissent.“ 287 D 116 2°, fol. 595v bzw. WA.TR 1, 443,12–14 [Nr. 887]. 288 D 116 2°, fol. 595v bzw. WA.TR 1, 443,17f. [Nr. 888]. 289 Vgl. Ms. Bos. q. 24f, fol. 199v. 290 Folgt man Hofmanns Diktum, Lauterbach fühle sich v.a. von Melanchthons „Milde“ angezogen (vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 273), hätte diese Strategie einen direkten Anhalt bei Lauterbach selbst.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

tion seiner Bücher hinterfragt, wobei auch diese Hinterfragung bereits selbst zurückgebunden ist an eine positive Stellungnahme zur Persönlichkeit Melanchthons, wenn dieser eingangs als „from“ und nicht mutwillig „vnrecht“ tuend dargestellt wird: „D. Lutherus de Philip. Melanthone. Das menlein ist from, vnnd wan es schon vnrecht thete, so meinet es doch nicht arg, sed praeoccuparetur.. Er hat mit seiner weise nicht viel ausgericht vnd seine bucher vbel dedicirt. Wan ich der sachen nach trachte, so deucht mich noch meine weise die beste, gerade heraus gesaget vnnd sie gescholten vor buben, quia malo nodo malus quaerendus est cuneus.“291

Die folgenden drei Apophthegmata dienen nun der Relativierung dieser harschen Kritik. In einem ersten Schritt wird gezielt aus einer Beurteilung der „Doctores“ lediglich der kurze, Luther und Melanchthons „Weisen“ in melanchthonfreundlichem Duktus vergleichende Abschnitt aufgegriffen292: D 116 2°, fol. 595v

WA.TR 1,140,3–15 [Nr. 347]

Collatio Lutheri cum Philippo.

Iudicium de doctoribus. Sind ich Paulum verstanden hab, so hab ich keinen Doctor konnen achten. Sie sind mir gar gering worden. Principio Augustinum vorabam, non legebam, sed da mir in Paulo die thur auffgieng, das ich wuste, was iustificatio fidei ward, da ward es aus mit yhm. Duae tantum insignes sententiae sunt in toto Augustino, prima: Peccatum dimittitur, non ut non sit, sed ut non damnet et dominetur; altera: Lex impletur, cum, quod non fit, ignoscitur. Libri Confessionum nihil docent, sed tantum accendunt, continent tantum exemplum, sed leren nichts. S. August⌊inus ist ein frommer sunder gewest, hat nit mehr denn ein hurlin vnd ein ßon mit yhr gehabt. Jst nicht so zornig als Hiero⌊nymus. Jch stech mit schwein spiessen drein, Philip sticht auch, aber nur mit pfrimen vnd nadeln; die stich sind vbel zu heilen vnd thun wehe.

Jch steche mit schweinspiessen drein, Philippus aber mit pfrimen vnnd nadeln; diese stiche sind vbel zu heilen vnnd thun weh.

S. Hieronymus wie wir all, ich, D⌊octor Jonas, Pommer, sind all zorniger. Neque scio ex nostris doctoribus, qui sit eius ingenii, praeter

D 116 2°, fol. 595v bzw. WA.TR 4, 653,6–13 [Nr.5091]. Halle folgt dem Wortlaut nach hier eher der u.a. bei Rörer gegenüber der Dietrichschen Tradition ergänzten Variante – s. WA.TR 1, 140 Anm. 12. Bei Dietrich stellt das Wort ein eigenes Apophthegma dar mit umgestellter Reihenfolge der Aussagen (vgl. WA.TR 1, 140,29–31 [Nr. 348]). 291 292

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 387 Brencium et Iustum Menium.

Durch dieses „Exzerpt“ wird der Vorwurf der Wirkungslosigkeit eindrücklich aus dem Munde Luthers selbst zurückgewiesen. Es folgt ein hohes Lob des „praeceptor“ und „doctor“ Melanchthon und seiner geradezu unvergleichlichen „dona“. Die ebenfalls mit überlieferte Kritik am „Magister“ Melanchthon verschwindet letztlich gänzlich hinter dem Lob, zumal am Ende die Verachtung Melanchthons parallelisiert wird mit der negativen Beurteilung des Verachtenden durch Gott: „Iudicium D⌊octoris Lutheri de Philippo Melanthone. Qui Philippum non agnoscit praeceptorem, der muß ein rechter esel vnnd bachant sein, denn der dunckel gebissen hat. Quidquid scimus in artibus et in vera philosophia, illud debemus Philippo. Er ist wol ein schlechter Magister, ist aber ein Doctor vber alle Doctores. Es ist auff erden keiner, den die sonne bescheinet, der solche dona hette. Darumb last vns denn mann groß achten. Wer ihn veracht, der muß ein verachter mensch vor gott sein.“293

Im letzten Schritt werden – mit Blick auf Lauterbachs und Melanchthons Briefwechsel nur konsequent – aller Kritik zum Trotz die Loci communes in überschwänglicher Weise gelobt sowie für die Kirche als verbindlich und äußerst wirksam erklärt: „Iudicium eiusdem de locis communibus Ph⌊ilippi Melanth⌊onis. Es ist kein besser buch post scripta apostolorum geschrieben, vnnd das sol man in ecclesia halten. In hoc libro Philippus docet, pugnat et triumphat. Wenn man gleich alle patres tzusammen schmeltzet, so würden doch nicht loci communes draus.“294

Insgesamt heißt dies: Luthers kritische Aussagen über Melanchthon werden in Halle nicht übergangen. Auch in dieser Hinsicht wird Luther als Autorität ernst genommen. Zugleich wird die Kritik – ebenfalls unter Rekurs auf Luthers Autorität – relativiert. Auf diese Weise wird Melanchthon als Luther zugeordnete Autorität, die eigene Identität aber mitbestimmende Autorität ins Feld geführt. Diese Positionierung hat auch Auswirkungen auf den vierten Aspekt der identitätskonturierenden Memoria, wie im nächsten Schritt gezeigt werden wird. 2.2.4.

Differenzierter Rekurs auf Luthers Werk

Im Unterschied zu F, wo Luthers Werk im Abschnitt „Lutherus de seipso“ nur vereinzelte Apophthegmata gewidmet waren, findet sich in Halle im entsprechenden Locus eine gezielte Sammlung diesbezüglicher Überlieferungen. Insgesamt sind im mit LIBRI LVTHERI überschriebenen

D 116 2°, fol. 595v–596r = WA.TR 5, 290,22–29 [Nr. 5646]. D 116 2°, fol. 596r = WA.TR 5, 291,1–5 [Nr. 5647]. Dieses Lob der Loci konvergiert mit den folgenden Ausführungen zum differenzierten Rekurs auf Luthers Werk; zu den Loci s. S. 390. 293 294

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Unterkapitel zwölf zu unterscheidende Stücke zusammengestellt.295 Dass Halle dem Werk Luthers in einer solch systematisierten Weise Beachtung schenkte, findet in den zeitgenössischen Debatten um den „wahren“ Werkkanon seine hinreichende Begründung. Die Entstehung der in Halle greifbaren Tradition fällt in eine Zeit, in der nicht nur weite Teile der Wittenberger Ausgabe der Werke Luthers erschienen waren, sondern dieser zudem in Jena ein „Gegenkanon“ entstanden war.296 Ein direkter Konnex von Halle zu diesen Prozessen ist in Gestalt von Georg Rörer greifbar, der an allen drei Projekten beteiligt war. Die Erstellung der nach Loci geordneten Sammlung der Lauterbachschen Tradition hat er angemahnt, just zu dem Zeitpunkt, da er Wittenberg verließ und damit auch als Mitarbeiter an der dortigen Lutherausgabe ausschied. Ab 1553 ist er schließlich in zentraler Funktion im Jenaer Gegenprojekt eingebunden.297 Vor diesem Hintergrund ist der auf Luthers Werk bezogene Unterabschnitt nicht nur als Ergänzung der identitätskonturierenden Memoria anzusehen, sondern zugleich als Reaktion auf den „aktuellen“ Streit. Diese Reaktion erfolgt in prinzipieller Weise und ist getragen von der im vorangehenden Kapitel eruierten Verhältnisbestimmung von Luther und Melanchthon, d.h. einer Orientierung an Luther als der primären Autorität und an Melanchthon als einer beigeordneten. Dies führt in ganz grundsätzlicher Weise dazu, dass Luthers bedingte Zustimmung zur Erstellung einer Werkausgabe den „basso continuo“ dieses Abschnittes darstellt, verbunden mit dem Untermotiv der Kritik an dem als zu milde eingestuften Frühwerk. Die betonte Wiedergabe dieser Ablehnung erfolgt im Wissen darum, dass Luther trotzdem das Projekt einer Gesamtausgabe zumindest erduldet, wenn nicht mitgetragen hat. Letzteres wird im Unterabschnitt zum einen eher en passant durch den einleitenden Hinweis, dass Luther im 1545 gedruckten ersten Band der lateinischen Reihe der Wittenberger Gesamtausgabe („Primo Tomo impresso“) gelesen habe, deutlich.298 Hinzu kommt zum zweiten, dass als Abschluss eine lateinische Teilversion von Luthers Vorrede zum ersten Band der Deutschen Reihe aus dem Jahr 295 Vgl. D 116 2°, fol. 589v–594v. Das Unterkapitel umfasst in WA.TR die Nummern 6439; 3797; 3888; 4025; 6440; 4029; 4845; 4325; 4452; 6441; 5694; 6442. 296 Die scharfe, sich zunächst bis 1559 hinziehende Auseinandersetzung zwischen Wittenberg und Jena gewann ihren öffentlichen Kristallisationspunkt in Gestalt der programmatischen Vorrede von Nikolaus Amsdorf zum ersten deutschen Band der Jenaer Lutherausgabe, die auf den 18. Februar 1555 datiert ist (vgl. MICHEL, Kanonisierung, 195–204; WOLGAST, Streit, 180–192; zum weiteren Kontext bzw. den Werkausgaben i.A. s. bereits S. 220 Anm. 539). 297 S. S. 312. Lauterbach selbst scheint zumindest anfänglich von Melanchthon einzelne Bände der Wittenberger Ausgabe zugeschickt bekommen zu haben (vgl. Melanchthons Schreiben an Lauterbach vom 21. Februar 1549 (CR 7, 337 [Nr. 4489]). 298 Vgl. D 116 2°, fol. 592r = WA.TR 5, 662,13 [Nr. 6441].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 389

1539 hinzugefügt wurde.299 Diese vermittelt die Spannung zwischen Ablehnung und Zustimmung besonders eindrücklich, insofern diese Vorrede das einleitet, was es vom eigenen Argumentationsduktus eigentlich zurückweist. Zum dritten findet sich eine bedingte Zustimmung Luthers aus historischem Impetus.300 Dennoch bleibt Luthers Bejahung der Werkausgabe in Halle deutlich zurückhaltender als in F. Dies ist vor dem veränderten Kommunikationskontext und der damit einhergehenden „konfessionskulturellen Verfestigung“ nur verständlich. In Halle geht es nicht mehr darum, ein in Planung begriffenes Gegenprojekt zu forcieren. Inzwischen befand sich die „Jenaer Ausgabe“ bereits in der Umsetzungsphase, die in der Anwerbung Rörers 1553 und dem Erscheinen des ersten Bandes 1555 ihren konkreten Ausdruck fand. Insofern musste sich der Kreis um Lauterbach entscheiden, welchen „Kanon“ er als für sich bestimmend ansah. Das Hauptargument der als „basso continuo“ des Abschnitts bezeichneten bedingten Zustimmung stellt Luthers Sorge um die Vernachlässigung der Bibel dar. Soweit konvergiert die Überlieferung von Halle mit der v.a. aus der besagten Vorrede sowie der zum Catalogus oder Register aller Bücher und Schriften Luthers aus dem Jahr 1537 bekannten Argumentation Luthers. Somit wird für die identitätskonturierende Memoria zumindest implizit – aller Wertschätzung Luthers und seiner Werke zum Trotz – eine Unterordnung Luthers unter die Autorität der Schrift kommuniziert und damit eine deutliche Grenze gezogen. Dies erscheint einerseits theologisch selbstverständlich, andererseits lässt der „doppelte Werkkanon“ und der damit verbundene Streit diese Botschaft nicht gänzlich banal erscheinen. So erscheint Luthers Schrifttum in Halle insgesamt weniger theologisch aufgeladen als in der Gothaer Handschrift, in der dieses evtl. gezielt als „divinus“ bezeichnet wurde oder als Beleg dafür angeführt werden konnte, dass Luther das „iudicium Dei“ führe.301 Doch setzte der Kreis um Lauterbach darüber hinaus thematisch weitergehende Akzente. Zu diesen gehört jenseits der beiden großen Ausgaben und unter Rekurs auf Melanchthons Werk eine gruppenspezifische Festschreibung von „theologischen“ Werken, so dass hier Momente einer lokalen „Kanonisierung“ bzw. „konfessionskulturellen Verfestigung“ greifbar werden. Expo299 Diese wurde von den Editoren nicht als solche erkannt. Zu der insofern von Halle her zu ergänzenden Überlieferung der Vorrede s. WA 50, 654–656 bzw. D 116 2°, fol. 592r–594v = WA.TR 5, 662,23–665,2 [Nr. 6442]. Insofern der Kreis um Lauterbach nur den auf die Werkausgabe bezogenen Anfang rezipierte, d.h., der die „rechte weise in der Theologia zu studirn“ entfaltende berühmte zweite Teil (WA 50, 658,29– 661,8) wurde nicht übernommen, dürfte hier eine bewusste Auswahl vorliegen, die mit zudem „Finis“ (D 116 2°, fol. 594v) beendet wurde. 300 S. S. 395 bzw. D 116 2°, fol. 590r. 301 S. S. 195.221.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

niert findet sich die gezielte Etablierung eines kleinen Kanons von für das (theologische) Selbstverständnis des Kreises besonders wichtigen Werken im zumal erstmals in Halle überlieferten „Eröffnungsapophthegma“ des Unterabschnittes: „Augustana aliaeque civitates iterum atque iterum a D⌊octore Luthero petiverunt editionem suorum librorum promittentes operam in excudendo et stipendium, modo ipse in ordinem eos redigeret. Respondit D⌊octor M⌊artinus Lutherus: Jch woltte, daß meine bucher vnttergingen, dann des buch schreibens ist kein ende, ut maneremus circa purum verbum, quod habemus clarissimum, ut biblia bene possint legi. Qui habet Christum, facile potest intelligere scripturam; sine Christo omnia sunt tenebrae. Philippi Loci Communes, Commentaria in Romanos, Catechismus, textus bibliae et Psalterium Germanicum sunt vera methodus.“302

Aufgrund der Überlieferungsgeschichte ist kaum zu überprüfen, inwiefern der Kreis um Lauterbach hier redaktionell eingegriffen hat, insbesondere was die Extension des am Ende genannten theologischen „Methodenkanons (methodus)“ betrifft. Dieser wird auf Grundlage der Geringachtung des lutherischen Werkes zugunsten der Bibel eingeführt. Insofern ist es nur konsequent, dass „exegetische Hilfsmittel“ (textus bibliae; Psalterium Germanicum) als Teil dieses „Kanons“ Erwähnung finden. Die auch vom Schriftbezug her zu plausibilisierende Berücksichtigung des Katechismus konvergiert zudem mit dem noch zu entfaltenden Interesse des Lauterbachschen Kreises an Fragen der „Kirchenzucht“.303 An erster Stelle werden jedoch Melanchthons Loci communes und – dies sei besonders betont, insofern es sich um ein „exegetisches“ Werk handelt – sein Römerbriefkommentar genannt. Diese Werke werden, getragen von Luthers Autorität, als die „nichtbiblisch“ autoritativen Schriften eingeführt. Wenn auch nicht überprüft werden kann, inwiefern das Apophthegma selbst redaktionell bearbeitet wurde, machte der Kreis um Lauterbach allein durch die Positionierung dieses Apophthegmas an den Anfang des Abschnittes, in dem Luthers Werk in seiner auf die Identität der Gruppe bezogenen Bedeutung entfaltet wird, betont deutlich, dass diesbezüglich auch Melanchthon Berücksichtigung zu finden hat.304 Andernfalls wäre das Apophthegma weder an dieser Stelle noch in dieser Textgestalt übernommen worden. D 116 2°, fol. 589v–590r = WA.TR 5, 661,21–662,2 [Nr. 6439] – Zitat: ebd., 661– 21–29. Zu den frühen Bestrebungen einer Werkausgabe s. MICHEL, Kanonisierung, 110–127; s.a. WA 60, 427–464. 303 S. III 2.3.1. 304 Es mag Zufall sein, dass in der von Lauterbach verfassten Aufzählung der in der Sakristei aufbewahrten Bücher, u.a. von „Philippi Melanchthonis 2 Bücher“ die Rede ist. Ähnlich ungenau ist die Liste in Bezug auf Luther, wenn dort neben anderen Autoren „Bücher D. Lutheri lateinisch“, „Bücher D. Lutheri deutsch“, die Kirchenpostille und Hauspostille Luthers wie eine „Biblia deutsch wittenbergisch“ aufgezählt werden (s. die Transkription in HOFMANN, Reformationsgeschichte, 267f.). 302

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 391

Der mit dem „Eröffnungsapophthegma“ des Unterabschnittes angedeutete, vom Kreis um Lauterbach geschaffene eigene „Werkkanon“ wird im Folgenden im Unterabschnitt ergänzt, insofern weitere Werke Luthers besonders hervorgehoben werden.305 Neben die bereits genannten Werke treten positiv Luthers Galater-Kommentar306 und die Publikation seiner Predigten über die ersten drei Kapitel der sog. johanneischen Abschiedsreden (Joh 14–16)307 sowie negativ Luthers Genesisvorlesung308. Die beiden ersten werden zwar nur ganz kurz, dafür aber in deutlicher Diktion im auf Luthers Urteil über seine Werke bezogenen Schlussabschnitt gelobt: „Optimum opus a me scriptum est e⌊pistola ad Gallathas et in 16 et 17 caput Ioannis.“309

Beide Werke lagen zur Zeit der Abfassung der Vorlage von Halle zumindest in der Wittenberger Ausgabe vor, zur Zeit der mit Halle greifbaren Abschrift, dann auch in der Jenaer.310 Die hohe Wertschätzung des Galaterbriefes seitens Luthers ist auch über das in Halle aufgenommene Stück hinaus insbesondere in der Apophthegmatatradition gut bezeugt.311 Insofern mag diese den Rezeptionshorizont des Lauterbachschen Kreises mitbestimmt haben. Daneben dürfte aber auch die im Kommentar greifbare, „reife“ Theologie, z.B. in Bezug auf das Gegenüber von Gesetz und Evan-

305 Zu fragen wäre, inwiefern dieser gruppenspezifische „Kanon“ zudem vom Gesamt der Handschrift zu erweitern wäre. Im auf Luther bezogenen Locus geriete z.B. die Sommerpostille aufgrund der betonten Erwähnung im „curriculum“ in den Blick (s. S. 353 mit Anm. 141). 306 Insofern die ersten Kommentare von 1519 und 1523 wohl zu den als zu schwach angesehenen Frühwerken zu rechnen sind – wie die Cordatische Überlieferung explizit kommuniziert (vgl. WA.TR 2, 281,11–13 [Nr. 1963]) –, dürfte sich der Kreis um Lauterbach hier auf die 1535 publizierte Auslegung des Paulusbriefes beziehen, die auf eine Vorlesung Luthers aus dem Jahr 1531 zurückgeht (vgl. WA 40/I, 33–688; 40/II, 1– 184). 307 Vgl. WA 45, 465–733; WA 46, 1–111. 308 Vgl. WA 42–44; WA 59, 389–401. 309 D 116 2°, fol. 592r bzw. WA.TR 5, 323,26f. [Nr. 5694]. Die enge Anbindung dieses eigenständigen Stückes an das vorhergehende mag daran liegen, dass dieses mit der Erwähnung von Petrus Lupin, einem Wittenberger Kollegen und frühen Mitstreiter Luthers, endet. Diesem hat Luther – gemeinsam mit Karlstadt – seinen ersten Kommentar zum Galaterbrief gewidmet (vgl. WA 2, 445,8–14). Dies mag für die Redakteure das Bindeglied dargestellt haben. 310 Der Galater-Kommentar von 1535 findet sich im 5. Band der lateinischen Reihe der Wittenberger Ausgabe von 1554 bzw. im 4. Band der Jenaer Ausgabe von 1558. Die Predigten über Joh 14–16 wurden in der Wittenberger Ausgabe im 1551 erschienenen 4. Band der deutschen Reihe und in der Jenaer Ausgabe im 1558 erschienenen 7. Band publiziert (vgl. WA 40/I, 14 bzw. WA 45, XLIII). 311 Vgl. exemplarisch die Beispiele in WA 40/I, 2.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

gelium, dem Kreis um Lauterbach angezogen haben.312 Eine analoge Wertschätzung bringt Luther den von Cruciger in zwei Bänden edierten Predigten über Johannes 14–15.16 entgegen.313 Inhaltlich entfaltet Luther in diesem Werk zum einen die „aller lieblichsten, freundlichsten troestunge und suessesten wort des trewen, lieben Heilands Christi“, zum anderen die „rechten, fuernemsten, hohen Artikel der Christlichen lere“,314 d.h. insbesondere Trinitäts-, Zwei-Naturen- sowie Rechtfertigungslehre. Nur indirekt als identitätskonturierend kann hingegen der Rekurs des Lauterbachschen Kreises auf die Genesisvorlesung angesehen werden. Zwar wird diese in zwei bzw. drei315 von zwölf Apophthegmata thematisiert, jedoch findet sich keine diese positiv hervorhebende Äußerung Luthers und dies obwohl das Werk zum Spätwerk Luthers gerechnet werden muss. Die zugrundeliegende Vorlesung hat Luther über einen Zeitraum von gut zehn Jahren, von 1535–1545 und damit bis kurz vor seinem Tod gehalten. Schon sehr früh wurde Luther mit Bitten um Veröffentlichung konfrontiert.316 Die letztlich doch gegebene Einwilligung blieb widerstrebend, wie die von Luther selbst verfasste Vorrede zum 1544 erschienenen ersten Band zeigt.317 Diesem lutherischen Diktum folgte der Kreis um Lauterbach, wenn er in dem auf Luthers Werk bezogenen Unterabschnitt die Edition kritisierende Apophthegmata aufnimmt. Das erste stammt aus dem Vorfeld der Edition. Es handelt sich um die im sog. „Lauterbachschen Tagebuch“ von 1538 greifbare Überlieferung, nach der Luther dem Drängen – von wohl u.a. mit Cruciger und Rörer zu identifizierenden, im 312

Vgl. WA 40/I, 424,27–425,24. Erste Hinweise bietet LEPPIN, Vorlesungen, hier:

732f. 313 Die falsche Kapitelangabe im Apophthegma teilt Halle mit dem Druck A3 des zweiten Bandes, der trotzdem nur Kapitel 16 umfasst (vgl. WA 46, VIIf.). In der Münchner Handschrift Clm. 943, werden die publizierten Kapitel der JohannesPredigten fälschlicherweise mit „XVII. et XVIII“ umschrieben (vgl. WA.TR 5, 323,27 [Nr. 5694]. Zur Wertschätzung vgl. die Schilderung von Mathesius in den LutherHistorien (MATHESIUS, LH, 262,28–263,4) bzw. WA.TR 5, 41,3–12 [Nr. 5275] sowie den Eintrag im Vorderdeckel des Dresdner Exemplars (vgl. WA 45, XL Anm. 1). 314 WA 45, 457,15f.29f. 315 Aufgenommen ist zudem eine gegenüber dem „Lauterbachschen Tagebuch“ von 1539 erweiterte Sammlung von auf das Buch Genesis bezogenen (Scherz-)Rätselfragen (vgl. D 116 2°, fol. 591r–v bzw. WA.TR 4, 224,4–14 [Nr. 4325]). 316 Vgl. WA 42, X. 317 Vgl. WA 42, 1f. Die weiteren Bände erschienen posthum in den Jahren 1550, 1552 sowie 1554. Als Editoren fungierten zunächst Veit Dietrich und nach dessen Tod Michael Roting und Hieronymus Besold. Zur Frage, welchen Anteil die Herausgeber an der inhaltlichen Ausgestaltung der Edition haben s. MEINHOLD, Genesisvorlesung. Stärker betont demgegenüber hinsichtlich von Zitaten Delius den Eigenanteil Luthers (vgl. DELIUS, Quellen, 11f.) und auch Asendorf zuerkennt der Edition einen höheren Quellenwert (vgl. ASENDORF, Lectura, 33–39).

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 393

Apophthegma aber nicht näher bestimmten Personen – auf Publikation mit Verweis auf die „Schwäche“ der nie zur Publikation bestimmten lectio, der er nicht die nötige Aufmerksamkeit habe widmen können, begegnet: „LIBER Genesis. Aiebant praelectionem in Genesin necessariam quidem et utilem, ut excudatur. R⌊espondit: Est tumultuaria et imperfecta lectio, qua alijs ausam do cogitandi; ideo non esset consultum, ut ederetur. Es ist tzu schwach […].“318

Ebenfalls mit Luthers geringer Wertschätzung dieses Werkes konvergiert das zweite, ebenso aus der Lauterbachschen Tradition stammende Apophthegma, in dem eine negative Reaktion Luthers auf die ihm von Georg Rörer übergebene Teiledition greifbar wird: „Anno 43. 14. Iulii.] M⌊agister Rorer obtulit D⌊octori Martino primum sexternionem in Genesin. R⌊espondit: Lieber, seit tzufriden mit diesem buch, es ist viel tzu schwach. Moses ist nicht ein schlichter prophet; er wiel ser wol ausgearbeittet sein, ich habe im nicht gnug gethan.“319

Dafür, dass der Kreis um Lauterbach von hier die Edition der Vorlesung grundsätzlich infrage stellte, spricht die im Unterabschnitt auf deren Ersterwähnung folgende deutliche Hinterfragung der Sinnhaftigkeit großer exegetischer Kommentare, ausgehend von einer scharfen Kritik an Johannes Brenz: „Augustani et Wittenbergenses hortabantur D⌊octor M⌊artinum Lutherum, ut permitteret sua scripta in Tomos redigi. R⌊espondit: Ego nunquam consentiam in hoc vestrum cogitata. Mallem omnes meos libros perire et tantum sacra Biblia legi. Wir werden mit solcher weiß auff das schreiben geratten vnnd die biblia lassen fahren. Nam et Brentius supra 12 capita Lucae tantum commentarium scripsit, ut taedeat lectorem inspectio. Talis etiam est commentarius in Gallathas. Miror, quis illos tantos efficiat Rhetores! Quis vult tanta volumina emere? quis legere? Et ex lectis quis aedificatur?“320

Zumindest wäre die unmittelbar vorher erwähnte Edition der Genesisvorlesung mit ihren vier Bänden von dieser Kritik unschwer mit umfasst. InD 116 2°, fol. 590v bzw. WA.TR 3, 689,6–16 [Nr. 3888]; Zitat: ebd., 689,6–10. D 116 2°, fol. 591r bzw. WA.TR 4, 543,1–5 [Nr. 4845]. 320 D 116 2°, fol. 590v bzw. WA.TR 4, 84,36–85,6 [Nr. 4025]. Dass mit dem GalaterKommentar – wie Kroker meint (WA.TR 4,85 Anm. 5) – auf Luthers Werk Bezug genommen wird, erscheint aufgrund der weiteren Ausführungen des Apophthegmas schwierig. Hinzu kommt die Anempfehlung dieses Werkes im Fortgang des Unterabschnittes (s. S. 391 bzw. D 116 2°, fol. 592r; WA.TR 5, 323,26f. [Nr. 5694]). Der naheliegende Schluss, die Aussage bezöge sich auf den Galater-Kommentar von Brenz, hieße, dass es sich hier um eine nachträgliche redaktionelle Einfügung handle, da dieses Werk erstmals im Jahr 1547 publiziert wurde (vgl. KÖHLER, Bibliographia Brentiana, 65 Nr. 151–153), das Apophthegma aber zu den Nachschriften des Jahres 1538 gehört. Erstmals greifbar ist diese Überlieferung jedoch in der zwischen 1545 und 1548 entstandenen Abschrift von Lauterbachs sog. Tagebuch von 1538 (Dresd. I. 423.), so dass eine solche „nachträgliche“ Ergänzung möglich gewesen wäre. 318 319

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

sofern positionierte sich der Lauterbachsche Kreis zugleich bezüglich der strittigen Frage nach den an einen „Werkkanon“ Luthers zu stellenden Kriterien, wenn er Luthers „Selbsteinschätzung“ einen so hohen Stellenwert einräumt. Weiterhin hinterfragte er somit implizit die Entscheidung der Wittenberger, die Edition in ihre Werkausgabe aufzunehmen.321 Zugleich kann durch das auf Brenz bezogene Apophthegma noch in anderer Hinsicht die gegenüber F veränderte Bestimmung der eigenen normativen Grundlagen verdeutlicht werden. Während der Kreis um Weller unter Übergehung von Melanchthons Werk die Bibelauslegung von Johannes Brenz als exzeptionell hervorgehoben hatte,322 äußerte der Kreis um Lauterbach scharfe Kritik am schwäbischen Reformator. Insofern er diese zudem gegenüber dem „Tagebuch“ von 1538 verschärfte, insofern er zur Qualifkation das Verb „taedere“ und nicht „pigere“ verwendete, mag dies auch als Reflex von Brenz’ Rolle als Interimgegner und Melanchthonkritiker anzusehen sein. Doch dürfte in Bezug auf die kritische Haltung Luthers gegenüber seiner Genesisvorlesung ebenso ein weiteres, bereits dargestelltes Erinnerungsinteresse mitschwingen, insofern durch die Sammlung solcher Apophthegmata Luther im besonderen Maße als „bescheiden“ und damit „tugendhaft“ memorial erhöht wurde.323 Dieses Erinnerungsinteresse kann z.B. von den unmittelbar folgenden Apophthegmata her plausibilisiert werden, die damit Luthers Urteil über den von Rörer übergebenen edierten ersten Teil der Edition der Genesisvorlesung vorangehen. Diese memorieren Luthers Ansinnen, seine Bücher „anonym (nomen longe abesse; sine mei memoria)“ zu veröffentlichen, so dass kein Neid (invidia) aufkäme.324 In dieselbe Richtung weist das nächste Apophthegma mit seinem Fazit: „Es wiel ein ider schreiben, do der Luther hat geschrieben.“325

Dass dem Kreis um Lauterbach tatsächlich auch von den Werken her kommend an dem Nachweis von Luthers „Tugendhaftigkeit“ gelegen war, zeigt im Unterabschnitt spätestens die von ihm gewählte Überschrift für 321 Die lateinische Fassung erschien 1555 im 6. Band der lateinischen Reihe (vgl. WA 42, XVIII). Dass die Vorlesung in der „Jenaer Ausgabe“ fehlte (vgl. ebd. bzw. WA 60, 508) lässt sich prinzipiell nicht von den Editionsgrundsätzen derselben (s. hierzu MICHEL, Kanonisierung, 168f.) ableiten. Insofern kann nicht entschieden werden, ob Luthers Selbstkritik hier leitend war. 322 S. S. 231f. 323 Dies gilt selbst unter Berücksichtigung des Einwandes, Luther greife hier auf Elemente von „Bescheidenheitstopik“ zurück. Zu dieser Erinnerungsintention s. III 2.1.2. 324 Vgl. D 116 2°, fol. 590v–591r bzw. WA.TR 5, 662,6–9 [Nr. 6440]. 325 Vgl. D 116 2°, fol. 591r bzw. WA.TR 4, 87,26–34 [Nr. 4029]; Zitat: ebd., 87,33f.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 395

die lateinische Fassung der Vorrede zum ersten Band der Deutschen Reihe der Wittenberger Ausgabe: „Iudicium D⌊octoris M⌊artini Lutheri pium et Christianum de proprijs suis libris.“326

Selbst wenn man einen Einfluss der Einzelausgaben in Anschlag bringen will, die in der Nürnberger und – inhaltlich identisch in der Augsburger – Ausgabe überschrieben sind mit „Ein Christlich Vrteyl || D. Mart. Luthers von || seinen eigen Buchern […]“327,

wäre nur das „Christianum“ von dort her zu erklären, das „pium“ eignet nur der Version von Halle. Somit liegt es nahe, dass es dem Kreis um Lauterbach nicht nur um eine Ablehnung der Edition der Genesisvorlesung ging. Doch kann die „Kriteriologie“ weiter geschärft werden. Ausgangspunkt ist erneut das erstmals in Halle greifbare „Eröffnungsapophthegma“ des Abschnitts. In diesem wird über das bisher Dargestellte hinaus zudem das chronologische Anordnungsprinzip, das prinzipiell zu den Spezifika der Jenaer Lutherausgabe gehört, als das angemessene ausgewiesen:328 „Cum autem instaretur de suis libris in ordinem redigendis, respondit iterum: Wollen sie aber ja muh vnd arbeit haben, so ist mein rath, daß sie die ersten vntterwegen lassen, darin ich gantz schwach gewest bin vnd dem babst viel nachgelassen habe. Hic autem debent observare ordinem temporis, wie ich sie nach einander geschrieben habe.“329

Dass dieser chronologische Zugang mit dem historischen Interesse Lauterbachs konvergiert, mag die Entscheidung für diese Option mit beeinflusst haben. Dies wird im folgenden Apophthegma, zumal durch die kleinere redaktionelle Änderung, deutlich. Aufgrund dieser „sähe“ es Luther nicht nur „lieber“, sondern „wolle“, dass seine Schriften um der heilsgeschichtlich auf den Niedergang des Papsttums zugespitzten „hystoria“ willen bewahrt würden; auch hier fällt das Stichwort „ordo“: D 116 2°, fol. 590r

WA.TR 3, 622,35–623,9 [Nr. 3797]; Zitat: ebd., 623,7–9

Propter hystoriam uellem illa servari, ut homines uiderent ordinem et congressum cum papa, qui olim formidabilis erat, nunc suspendibilis est.

Propter historiam mallem illa conservari, ut homines viderent ordinem et congressum cum papa, qui olim formidabilis, nunc suspendibilis est.

D 116 2°, fol. 592r = WA.TR 5, 662,23f. [Nr. 6442]. Zitiert nach WA 50, 655. 328 Zu den Editionsgrundsätzen der „Jenaer Ausgabe“ s. nochmals MICHEL, Kanonisierung, 168f. 329 D 116 2°, fol. 590r = WA.TR 5, 661,30–662,2 [Nr. 6439]. 326 327

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Neben die heilsgeschichtliche Orientierung tritt als Argument für diese Anordnung zudem Luthers Kritik an seinen Frühschriften, wie eindrücklich im Schlussabschnitt des Unterkapitels deutlich wird. Am Anfang steht ein mit „Iuditium Lutheri de primis libris“ überschriebenes Apophthegma,330 in dem Luthers Zurückweisung seiner Frühschriften durch Anspielung auf Augustins Rectratationes mit der vom Kirchenvater am Ende seines Lebens vorgenommenen kritische Sichtung seiner Werke parallelisiert wird: „Iuditium Lutheri de primis libris. Si mihi essent scribendi libri retractationum, tunc prima mea recantarem scripta, in quibus nimium tribui papae […].“331

Zudem wird auch hier der Bogen unter Bezug auf den sog. „Jetzerhandel“ (1508/09) heilsgeschichtlich ausgespannt: „Si autem papa illos [d.h. die ‚impios quaestores et commissariosʻ; I.K.] repudiasset, facile tacuissem. Sed quia tempus aderat illius ruinae, do war ihm nicht tzu helffen, dann wan gott einen wil fallen lassen, so macht er in blindt vnnd verstockt, sicut accidit monachis praedicatoribus mit den vier merterern zu Bern; da wurden sie recht confundirt, qui alioqui suspecti erant propter veneficium Caesareum. Also ists mit dem babst auch reiff gewest. Et nisi dies decurtati fuissent, omnis caro perijsset.“332

Dieses Muster wiederholt sich im folgenden Apophthegma333 und gipfelt im mit „Iudicium D⌊octoris M⌊artini Lutheri pium et Christianum de proprijs suis libris“

überschriebenen Schlusskapitel, d.h. der lateinischen Teilversion von Luthers Vorrede zum ersten Band der Deutschen Reihe der Wittenberger Ausgabe und damit Luthers nachdrücklichem Plädoyer für eine Hintenanstellung der eigenen Schriften zugunsten der Bibel.334 Mit dieser strikten Orientierung an Luthers „iudicia“ und von hier gewonnener Kriterien sowie durch die Schaffung eines gruppenspezifischen „Kanons“ konturierte der Kreis um Lauterbach die eigene Identität, wobei – wie mit Blick auf die Genesisvorlesung gezeigt wurde – das Luther enkomiastisch als „tugendhaft“ erhöhende Erinnerungsinteresse ebenso zu berücksichtigen ist. Aufgrund dieser memorialen Gemengelage, inklusive der Tendenz zur „konfessionskulturellen Verfestigung“, transzendierD 116 2°, fol. 591v–592r bzw. WA.TR 4, 320,30–321,3 [Nr. 4452]. D 116 2°, fol. 591v bzw. WA.TR 4, 320,30–32 [Nr. 4452]. 332 D 116 2°, fol. 591v–592r bzw. WA.TR 4, 320,36–321,3 [Nr. 4452]. Zum mit Johann Jetzer (gest. um 1514) verbundenen, großes Aufsehen erregenden Prozess im Zusammenhang mit vorgeblichen Marienerscheinungen bzw. der Frage der immaculata conceptio s. JOST, Jetzer. 333 Vgl. D 116 2°, fol. 592r = WA.TR 5, 662,13–20 [Nr. 6441]. 334 D 116 2°, fol. 592r = WA.TR 5, 662,23f. [Nr. 6442]. 330 331

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 397

te der Lauterbachsche Kreis die Ansprüche beider Werkausgaben Luthers. Mit der Jenaer Ausgabe teilte er das Anliegen einer chronologischen Anordnung. Zugleich erhielt der eigene „Kanon“ sein Gepräge insbesondere dadurch, dass zu diesem ebenso Werke Melanchthons gerechnet wurden. 2.3.

Didaktisch-pastorale Aspekte

Im dritten Schritt sollen die Aspekte der in Halle greifbaren Luthermemoria und von hier des Lutherbildes des Kreises um Lauterbach dargestellt werden, die primär auf Gläubige bzw. Amtsträger zielen. Dabei wird sich zeigen, dass bei dieser „didaktisch-pastoralen“ Dimension stärker als in der „Wellerschen Tradition“ Amtsinhaber in den Blick geraten. Einher geht eine Verschiebung der Erinnerungsinteressen. Dazu dürfte wiederum die Tendenz zur „konfessionskulturellen Verfestigung“ beigetragen haben. Zum einen spiegelt der Kodex im Unterschied zu F ein verstärktes Interesse an der Vermittlung einer „sittlich-moralischen“ Orientierung (2.3.1). Zum anderen gerät Luther in Bezug auf „Leid und Anfechtung“ primär als Exempel (für Amtsträger) in „lebensbedrohenden“ Erkrankungen in den Blick (2.3.2). Die damit angedeuteten Akzente fortführend, ist die memoriale Inanspruchnahme Luthers als Exempel des „frommen“ Haushalters strikt fokussiert (2.3.3). 2.3.1.

Sittlich-moralische Orientierung

Mit dem „Konfessionalisierungsparadigma“ fand zugleich das von G. Oestreich geprägte Paradigma der „Sozialdisziplinierung“ verstärkt Beachtung.335 Wenn nun dargelegt wird, inwiefern der Kreis um Lauterbach auch um eine autoritativ an Luther zurückgebundene sittlich-moralische Orientierung bemüht ist, klingen Motive von „Kirchenzucht“ an.336 Diese können kaum – wie das Phänomen an sich – deckungsgleich der etatistisch bestimmten „Sozialdisziplinierung“ subsummiert werden.337 Dennoch werden zugleich Momente einer „konfessionskulturellen Verfestigung“ greifbar. Zum Interpretament „Konfessionalisierung“ s. S. 81f. Mit der Rede von „Anklingen von Motiven“ und der Setzung von Anführungszeichen soll deutlich gemacht werden, dass das im Folgenden Dargestellte nicht als schiere „Kirchenzucht“ verstanden wird. Im Vordergrund steht der Nachweis einer gezielten sittlich-moralischen Schwerpunktsetzung von Halle, die sich z.T. auch primär paränetisch-praktisch niedergeschlagen hat. 337 S. hierzu BRECHT, Kirchenzucht; zum Forschungsstand s. SCHILLING, Kirchenzucht. Heinrich R. Schmidt betont stärker die Rolle der Kommune und weist auf Aspekte von Sittenzucht in lutherischen Territorien hin (SCHMIDT, Gemeinde). Gegen die These einer besonderen sozialdisziplinierenden Wirkung der Beichte im Luthertum wendet sich die auf fränkische Dorfgemeinden bezogene Studie RUBLACK, Beichte. 335 336

398

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Einerseits erfolgte die Sammlung entsprechender Apophthegmata vor dem Hintergrund der Ausführungen der albertinischen Landesordnung von 1543, die der Obrigkeit nicht nur beim „Bann“ ein Vetorecht zusprach, sondern darüber hinaus auch die Zuständigkeit für „hartnäckiger Sünder“ und „Verächter des Bannes“.338 Andererseits ist Luthers Kritik an einer konkreten Umsetzung dieser Regelung, die Weltliches und Kirchliches unzulässigerweise „vermischen (miscere)“ wolle, zu berücksichtigen.339 Hinzu kamen konkrete, aus Lauterbachs Amt erwachsende Anforderungen. Zum einen war der Pirnaer Superintendent 1555 an der von Kurfürst August forcierten dritten Visitation – im Unterschied zu den Visitationen von 1539 und 1539/40 – persönlich als Visitator beteiligt und evtl. neben den Wittenberger und Leipziger Theologen, insbesondere Melanchthon, Forster, Major sowie Alesius und Pfeffinger, bereits bei den Vorbereitungen mit einbezogen.340 Bereits im zwölf Punkte umfassenden Theologen-Votum, das der Vorbereitung der Visitation diente, wurde u.a. der Lebenswandel der Geistlichen angeführt, ebenso – in Bezug auf die Gemeindeglieder – die Katechismuskenntnis, die Verweigerung der Abendmahlsteilnahme sowie Ehebruch.341 Der Abschied wiederum thematisierte explizit das Problem der Sonntagsheiligung: „X. Nachdem auch viel Unordnung und Ärgernissen mit Verhinderung Gottes Worts auf die christlichen hohen festa mit gemeinen Bieren, Vogelabschiessen, auch auf die Sonntage bei den andern Schiessen und öffentlichen Spielplätzen vorgekommen, und sonst allerlei Hindernis der Predigten vor und nach Mittage mit Zechen und Spazierengehen etc. einreissen, als ist einem Ehrbaren Rate laut kurfürstlicher übergebener Instruktion Befehl geschehen, solchs alles ernstlich abzuschaffen und ferner unter den Predigten und Kirchenämtern bei aufgesetzter Pön keineswegs zu dulden, darzu auch der Pfarrer mit treuer, fleissiger Ermahnung zu Besserung des Volks und mehrerer Beförderung göttlicher Ehre anhalten soll.“342

Vgl. WARTENBERG, Landesherrschaft, 174–177. Vgl. WARTENBERG, Landesherrschaft, 176f. bzw. WA.B 10, 436 [Nr. 3930]. 340 Neben Lauterbach agierten der Dresdner Superintendent Daniel Greiser sowie, wie bereits 1539, der albertinische Adelige Caspar von Schönberg zu Reinsberg als Visitatoren des Meißnischen und Gebirgischen Kreises. In Pirna fand die Visitation vom 25. März – 4. April 1555 statt (s. hierzu WARTENBERG, Entstehung, 88f.; WARTENBERG, Fürst, 89–92; HOFMANN, Reformationsgeschichte, 125–130 sowie 131–144 (Abdruck des erst am 4. November 1555 erlassenen Abschieds zusammen mit dem vorangestellten Verzeichnis der Einnahmen und Ausgaben der Pirnaer Kirche); LECHNER, Lauterbach, 22–24. In diesem Kontext war Lauterbach erneut mit liturgischen Fragen beschäftigt, die in der Verabschiedung einer überarbeiteten Kirchen- und Gottesdienstordnung für Pirna mündete (vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 169– 224.300–307 [Wiedergabe der Kirchenordnung]; LECHNER, Lauterbach, 24–27). Zu den vorangehenden Visitationen s. S. 328 Anm. 82. 341 Vgl. WARTENBERG, Fürst, 90. 342 Zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 142. 338 339

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 399

Zum anderen war Lauterbach auch unabhängig von solchen groß angelegten Visitationsprojekten als Superintendent vornehmlich mit der Aufsicht über Leben und Lehre betraut.343 In seiner Kirchenordnung schrieb er differenziert entsprechende Prüfungen der Gemeindeglieder vor, die auch Sittlich-Moralisches miteinbezog: „Examina Catechismi coram iuventute diligenti inquisitione habenda. Pagi bis in anno visitandi. Ante messem et in bruma collecto populo in una domo Iudicis aut alterius nomine conscripti examinandi, exhortandi, censuris ad poenitentiam compellendi, suspensis scandalosis et blasphemis a sacramentis donec resipiscant. Post festum Michaelis semel in anno simile examen per quartas (sic!) civitatis partes, suburbia et vicos in Sacristia tentandum, quo singuli cum suis liberis, familia, inquilinis compareant fiatque inquisitio de doctrina fidei, morum et vitae integritate debita cum exhortatione [Hervorhebung; I.K.].“344

Zum Dritten ist auf Anfragen Lauterbachs bei Luther zu verweisen, die vornehmlich aus den Antwortbriefen rekonstruierbar sind, in denen z.B. die Absolution, der kleine Bann, Selbstmord und Inzest thematisiert wurden.345 Dem korrespondiert zum Vierten, dass der Pirnaer Superintendent gegenüber Luther mehrfach den Wunsch äußerte, dieser möge ein auf die „Kirchenzucht (ecclesiastica disciplina)“ bezogenes Werk verfassen, wie Luthers abschlägigem Antwortschreiben zu entnehmen ist: „Saepius urges librum de ecclesiastica disciplina, sed non scribis, unde mihi otium et valetudo suppetat, cum sim senex, exhaustus et piger. Obruor scilicet literis scribendis sine fine; promisi Principibus iunioribus sermonem de Ebrietate, aliis et mihi ipsi librum de Clandestinis Votis, aliis contra Sacramentarios; alii petunt, omnibus omissis, Summaria et glossam perpetuam super totam Bibliam. Sic alterum alterum impedit, ut nihil queam absolvere. Et tamen arbitrabar, otium mihi ut emerito dari debere, ut in quiete et pace agerem et obdormirem; sed cogor vere inquiete vivere. Tamen, quod potero, faciam; quod non potero, relinquam.“346

All dies fand seinen Niederschlag in Halle, respektive in der amtstheologisch-praktischen Ausrichtung, mit der zudem ein verstärktes Interesse an

343 Ende der 1550er Jahre war Lauterbach zudem mit der Einführung in dem von August durch Tausch erworbenen ehemaligen Stiftsgebiet Stolpen beauftragt (vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 270f.; LECHNER, Lauterbach, 40f.). 344 Zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 300. 345 Vgl. WA.B 9, 113,1–4 [Nr. 3479]; 10, 284,17f. [Nr. 3861]; 10, 112 [Nr. 3773]. Dass Lauterbach an solchen Themen schon als Diakon interessiert war, zeigt z.B. die auch in Halle selbst aufgenommene Anfrage, inwiefern jemand, der einen Prozess gegen einen anderen führt, zum Abendmahl zugelassen werden könne (WA.TR 3, 583,21–29 [Nr. 3740] bzw. D 116 2°, fol. 173r–v). 346 WA.B 10, 614,13–21 [Nr. 4013]; s.a. bereits das Schreiben vom 20. Juni 1544: WA.B 10, 596,4–597,10 [Nr. 4005].

400

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

paränetisch-seelsorgerlichen Fragen einherging.347 Insofern verwirklichte der Kreis um Lauterbach das, was Luther mit dem Hinweis auf seine Überlastung abgelehnt hatte, nun posthum, d.h., Luther wurde auch in Bezug auf Sittlich-Moralisches als Autorität memoriert, zugleich wurde dadurch die gruppenspezifische Konfessionskultur „verfestigt“. Um die Bedeutung dieses Themas in Halle aufzuweisen, ist zunächst noch einmal der Kodex als Ganzer in den Blick zu nehmen. Dazu ist auf die Ausführungen zu den thematischen Schwerpunkten aufzubauen.348 Von hier sei noch einmal darauf verwiesen, dass bereits der am Anfang des ersten Teils stehende dogmatische Bogen entsprechende Zuspitzungen aufweist, wenn z.B. die Frage der „Excommunicatio“ (fol. 14r) mit aufgegriffen wird oder der dem „verbum Dei“ gewidmete Abschnitt mit „De lege“ einsetzt (fol. 19r).349 Weiterhin deuten im „antipapalistischpolemischen“ Themenkomplex, selbst wenn man den stereotypen Anteil in Rechnung stellt, Überschriften wie „Papistarum vitia et libidines“ (fol. 67v) oder „Papistarum furor et pertinacia“ diesen moralischen Fokus ebenfalls an. In besonderer Weise gerät diesbezüglich dann jedoch der „dritte Themenkomplex“ (fol. 81v–123v) in den Blick, insofern dort unter der Rubrik „ingratitudo et malitia mundi“ u.a. Ausführungen zum in der Welt vorherrschenden Epikuräismus (fol. 87r–89r), zur „ira“ (fol. 92v– 93r), zur „arrogantia“ (fol. 93r–v), zur „tristia, laetitia“ (fol. 93v–95r), zur „ebrietas“ – inklusive der Frage nach dem Umgang mit im Zustand der Trunkenheit begangenen Sünden (fol. 95r–96r) –, zum „otium, labor“ (fol. 96r) zu finden sind. Zudem widmet dieser Komplex einen ausführlichen Abschnitt den gefallenen Menschen, in dem eine Art protestantische „Haustafel“ entfaltet wird (fol. 115v–123r). Zu verweisen wäre des Weiteren exemplarisch auf den Abschluss des fünften Themenkomplexes, wenn dort gefragt wird, inwiefern Christen das Prozessieren vor Gericht gezieme (fol. 172v–174r). Hinzu kommen im eher ungeordneten Schlussteil Themen wie „Praesumptio et temeritas“, „Divitiae et thesauri“, „Quaestus et usura“, „furtum“ (fol. 192r–196v) oder „Veritas“, „Mendacium“ (198r– 199r). Selbst bei Themen, die an sich diesen Impetus nicht nahelegen, war dieser rezeptionsleitend, wie etwa der Rekurs auf Philipp von Hessen im Locus „Principes“ zeigt, insofern dieser vornehmlich in Hinblick auf die Doppelehe berücksichtigt wird (fol. 146v–148v). Im zweiten „alphabetisch“ geordneten Teil der Handschrift wird dieses Anliegen letztlich bereits im diesen eröffnenden Locus „Absolutio privata“ greifbar, wenn dort

S. die Ausführungen zum Aufriss (III 1.4). S. III 1.4. 349 Von hier deutet sich der Zusammenhang mit dem Motiv der Abwehr „antinomistischer“ Tendenzen an. Zu diesem Aspekt s. S. 374f. 347 348

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 401

das aus Ser. übernommene Apophthegma, das die Praxis der Privatabsolution lobend thematisiert, abschließend kommentiert wird mittels: „Quapropter hunc thesaurum ecclesiae magni faciamus.“350

Ausgeführt wird des Weiteren der Umgang mit denen, die Gottes Wort verachten (fol. 224v) oder Fragen, die im Zusammenhang mit Selbstmord aufkommen (fol. 309r–v). Zudem finden sich sehr konkrete Ausführungen zur Ehe, bis hin zur Aufnahme einer „Formula citandi desertores aut in adulterio viventes D. M. Lutheri“ (fol. 453v). Hinzu treten des Weiteren die Loci „Adulteri, scortatores“ (fol. 255r), „Apparatus et luxus epularum et vestitutus“ (fol. 277r), „Aula fons invidiae“ (fol. 294r), „Avaritia mundi detestabilis“ (fol. 295v), „Christiani, Christiana Vita“ (fol. 487r), mit gewissen Abstrichen zudem „Aus Schimpf wird Ernst“ (fol. 299v) und „cervisia. Bierbräuen“ (fol. 650r). Nicht wenige der damit angedeuteten Themen teilt Halle mit F, doch ist dort dieser paränetisch-praktische Duktus deutlich weniger ausgeprägt. Dies könnte u.a. daran liegen, dass für den Superintendenten und Visitator Lauterbach, der aufgrund der Größe des ihm obliegenden Gebietes oft mehrere Wochen in dieser Funktion unterwegs war, dieser Aspekt deutlich relevanter war als für den an der Freiberger Stadtschule als „Theologieprofessor“ amtierenden Weller, bei dem dieses Aufgabengebiet nur ein Teilgebiet darstellte.351 Im Luther gewidmeten Locus werden einzelne dieser Aspekte wieder aufgegriffen und somit in besonderer Weise als Teil der Luthermemoria des Lauterbachschen Kreises erkennbar. Ein erstes Indiz findet sich im „curriculum“, wenn dort neben den frühen Vorlesungen auch Luthers 1516/17 gehaltene Vorträge über die „Zehn Gebote“ bzw. deren lateinische Druckfassung erwähnt werden.352 Dies erhält dadurch an Gewicht, dass Lauterbach in seiner Schilderung der depravierten kirchlichen und theologischen Zustände vor 1517 explizit auch auf die Unkenntnis des Dekalogs hinweist: „[…] Decalogus quam doctoribus tam auditoribus erat ignotus.“353

Zum zweiten wird konsequenterweise die Bedeutung der Katechese besonders betont.354 Zum Dritten greift der Kreis exemplarisch einen kon350 D 116 2°, fol. 218v – zum Apophthegma an sich s. ebd. bzw. WA.TR 4, 260,36– 261,6 [Nr. 4362]. 351 Zu diesen Reisen s. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 151–154. Weller hingegen oblag demgegenüber „nebst“ dem Superintendenten die Inspektion des „Kirchenund Schulwesens“ (s. S. 147). 352 Vgl. D 116 2°, fol. 582r bzw. WA.TR 1, 398–521 – die Druckfassung datiert Juni 1518. 353 Zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 298.

402

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

kreten Fall von Kirchenzucht i.e.S. auf: Luthers Konflikt mit einem der wichtigsten Beamten Kursachsens, Hans Metzsch, dem kursächsischen Vogt, Wittenberger Stadthauptmann und Hofrichter.355 Dieser wird bereits im mit „Excommunicatio“ überschriebenen Locus mehrfach erwähnt.356 Prinzipiell hätte dieses erstmals in Halle greifbare Apophthegma somit auch dort eingeordnet werden können. Doch war Luthers Handeln in diesem „spektakulären“ Problemfall dem Kreis um Lauterbach anscheinend auch in Bezug auf Luther selbst wichtig. Mit diesem Apophthegma konnte Luther als Subjekt von Kirchenzucht paradigmatisch vor Augen geführt werden. Dargestellt wird nicht mehr der Konfliktfall, sondern die Absolution und damit die Wiederaufnahme des reuigen Sünders: „D⌊octor M⌊artinus Lutherus non potuit accedere nuptias Hans Metzsch, sed finitis nuptijs sponsus cum sponsa et cognatis quibusdam eum accessit offerens ein mumschantze. D⌊octor cum perdidisset, quaerens, quid esset numerandum, was es gegolden hette? Respondit Hans Metzsch: Ego sum ovis perdita. Agnosco peccatum meum; cupio absolvi. Tunc Doctor cruce in fronte illius facta dixit: Absolvo te in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Deo sit laus, qui nobis hunc scortatorem ad matrimonium divinum revocavit.“357

Dass dieser „Triumph“ Luthers nur ein vorläufiger war, wird in Halle nicht erkennbar.358 Dieses widerspräche der didaktisch-pastoralen Intention. Redaktionell kommentiert wird dieses adäquate Verhalten des „Sünders“ mittels der übergangslosen Anfügung eines Apophthegmas, in dem Luther seine „Erfahrung (experientia)“ von Christi Herrsein als wichtiges Moment neben die Schrift und den Glauben stellt.359 Somit wird die „Bekehrung“ des kursächsischen Beamten als eine solche „Erfahrung“ eingeordnet. Doch wird an diesem „Fall“ implizit noch ein weiteres Spezifikum lutherischer „Kirchenzucht“ respektive Paränese erkennbar. Luthers paradigmatisches Handeln in sittlich-moralischer Perspektive ist eingebettet in einen auf die Seelsorge bezogenen Unterabschnitt des Locus. Eröffnet wird dieser mit einem Apophthegma, das Luthers seelsorgerliches briefliches Wirken an seinem Vater vor dessen Tod zeigt.360 Auf Hans Luthers 354 Insofern diese zudem in besonderer Weise mit dem „Amt“ des paterfamilias verbunden ist, wird dieser Aspekt in III 2.3.3 näher entfaltet werden. 355 Zu diesem Konflikt s. SCHILLING, Luther, 358–361; GÖTZE, Kirchenzucht, 46– 65 – dort auch eine biographische Skizze Metzschs. 356 Vgl. D 116 2°, fol. 15r–v. 357 D 116 2°, fol. 578v = WA.TR 5, 656,10–17 [Nr. 6425]. 358 Ende der 1530er Jahre exkommunizierte Luther den Amtmann erneut – s. hierzu bes. GÖTZE, Kirchenzucht, 60–65. 359 D 116 2°, fol. 578v bzw. WA.TR 1, 340,29–32 [Nr. 701]. 360 D 116 2°, fol. 578v bzw. WA.TR 2, 81,8–12 [Nr. 1388]: „Mors patris Lutheri. Gratias ago Deo meo, quod pater meus pie mortuus est. Ego ante obitum scripsi ei

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 403

„richtiges“ bzw. „konfessorisches“ Verhalten am Sterbebett folgt die Wiedergabe des adäquaten Verhaltens des „Sünders“ Metzsch. Es folgt Luthers Trostwort an die „Muhme Lene“, er werde vor ihr sterben.361 Insofern wird deutlich, dass „Kirchenzucht“ bzw. Paränese für den Lauterbachschen Kreis in einem engen Zusammenhang mit der „Seelsorge“ steht.362 Zudem wird diese sittlich-moralische Akzentuierung der Luthermemoria von Halle im Locus indirekt flankiert durch besondere Betonung von Luthers „Tugendhaftigkeit“.363 Insgesamt zielen diese Bestrebungen des Lauterbachschen Kreises auf eine verstärkte Verchristlichung der Ephorie, ohne dass eine dem (Genfer) Reformiertentum vergleichbare strenge Sittenzucht etabliert worden wäre. Dennoch werden hier Momente einer „konfessionskulturellen Verfestigung“ greifbar. Zugleich liegt es von hier nahe, die Abgrenzung von Major tatsächlich als „Negativgrenze“ der eigenen sittlich-moralischen Position zu verstehen.364

literas consolatorias, quas ei praelegit parochus, et quaesivit, num ista crederet, quae audivisset? Ey, wan ich das nicht glaubet, so thet ich als ein schalck.“ 361 D 116 2°, fol. 579r = WA.TR 5, 656,20–22 [Nr. 6426]: „D⌊octor Martinus consolans suam ministram, muhme Lehna. Dixit: sie soltte noch mit im tzu grabe gehen vnd er ir nicht. Quod evenit.“ Durch das „Quod evenit“ wird diese Aussage zugleich als sich erfüllt habende Prophezeiung deklariert. 362 Zur Thematik der Seelsorge s. zudem den mit „CALAMITATUM CRVCIS ET TENTACIONVM VTILITAS“ überschriebenen Locus (D 116 2°, fol. 382r–403v) sowie die im Anschluss an die Ausführungen zu Luther und Melanchthon ab fol. 596v greifbaren verschiedenen Trostschreiben bzw. Hinweise zum Umgang mit Anfechtungen. Damit mag tatsächlich, wie Meyer annimmt, ein Locus „Consolationes“ zumindest angedeutet sein. Insofern bereits im erstgenannten Locus Trostbriefe enthalten sind, stellte dieser eine weitere Inkonsequenz dar. Eingeleitet wird der zweite „Abschnitt“ mit der im selben Stil wie „DE DOCTORE MARTINO LVTHERO“ formatierten Überschrift „CONSOLATIO POST MORTEM ALICVIVS CHARI“ (fol. 596v); weitere Trostschreiben folgen, die ebenso auf konkrete Einzelfälle bezogen, aber mit Ausnahme von dem an Ambrosius Berndt (fol. 597v) von der Formatierung untergeordnet sind. Diese Beobachtung des engen Zusammenhangs von „Kirchenzucht“ bzw. Paränese und Seelsorge spiegelt den Befund wider, dass „Kirchenzucht“ im lutherischen Kontext weniger auf „äußere Maßnahmen“ als auf „Seelsorge“ und „Predigt“ setzte. Zu verweisen ist zudem auf die kirchenordliche Verbindung von Beichte und Abendmahl (vgl. SCHMIDT, Kirchenzucht, 357). 363 Vgl. III 2.1.2. 364 S. S. 377. Die von Holtz in Bezug auf die „Lutherische Orthodoxie“ betonte „Vergesetzlichung weiter Lebensbereiche“ bzw. der „zunehmenden Moralisierung“ (HOLTZ, Theologie, 373) können deshalb in Bezug auf Halle nur bedingt als angemessene Interpretamente herangezogen werden.

404 2.3.2.

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Luther als Exempel (für Amtsträger) in „lebensbedrohenden“ Erkrankungen

Die gegenüber F verschobenen Erinnerungsinteressen wirken sich in didaktisch-pastoraler Perspektive zudem in Bezug auf die Memoria von Luthers Umgang mit „Leid“ und „Anfechtungen“ aus. Während der Kreis um Weller Luther differenziert in seiner „Schwachheit“ wie „Stärke“ sowie als „Seelsorger“ als Exempel monumentalisierte, findet vom Kreis um Lauterbach hier eine deutliche Fokussierung statt. Es wird zu zeigen sein, dass der Lauterbachsche Kreis zum einen in besonderer Weise und mit verstärkt amtstheologischem Fokus an Luthers Umgang mit lebensbedrohenden Krankheiten interessiert war und so die „Monumentalisierung“ Luthers als Exempel weiter vorantrieb, was zumindest implizit als Ausdruck der „konfessionskulturellen Verfestigung“ gedeutet werden kann. Zum anderen wird das damit einhergehende geringe memoriale bzw. theologische Interesse an einer „Schwachheit Luthers“ nachzuweisen sein. Der zuerst genannte, gegenüber F fokussierte und verstärkte positive Rekurs auf Luther als „Exempel“ wurde grundlegend redaktionell begründet, insofern in Halle Luthers lebensbedrohende aber nicht zum Tod führende Krankheiten im „Block“ zusammengestellt wurden.365 Am Anfang steht der lange Bericht von Luthers schwerer Erkrankung im Jahr 1527, überschrieben mit „Doctoris Martini Lutheri agonizantis oratio sabato post uisitationis Mariae a D. Iona collecta“366. Lauterbachs historischem Interesse gemäß, wird trotz dieser Fokussierung auf das Gebet des mit dem Tode ringenden Luther – im Unterschied zu F – auch die einleitende Schilderung des historischen Kontextes mit überliefert. Gemeinsam vermitteln beide Traditionen Luthers frommes Verhalten im Angesicht des eigenen Todes und damit eines verheirateten Amtsträgers, verbunden mit dem Lehrvermächtnis, d.h. dem Festhalten an der als wahr erkannten Lehre.367 Doch ist dieses Apophthegma für Halle nur der Ausgangspunkt. Im Folgenden vertieft er diesen Aspekt: Zunächst auf einer sehr persönlichen, „privaten“ Ebene, wenn im Anschluss die anlässlich der Taufe von Paul geäußerten Pläne Luthers bezüglich der beruflichen Zukunft seiner Kinder aufgegriffen werden,368 dann aber in einer grundsätzlichen Weise mit dem Bericht von Luthers schweren Schwindelanfall vom 9. Februar 1533, durch Vgl. D 116 2°, fol. 573v–578r. Vgl. D 116 2°, fol. 573v–576r bzw. WA.TR 3, 86,22–90,26 [Nr. 2922b]. Zur Fassung von F s. S. 254–256. 367 Im Zusammenhang mit Luthers seelsorgerlichem Wirken wird mit seinem Vater ein „Laie“ zum Vorbild für das Festhalten an der lutherischen Lehre, zugleich wird den Amtsträgern ein Modell für ihr Agieren am Bett eines Sterbenden angeboten: vgl. D 116 2°, fol. 578v bzw. WA.TR 2, 81,8–12 [Nr. 1388]; Zitat s. S. 402f. Anm. 360. 368 Vgl. D 116 2°, fol. 576r–v = WA.TR 3, 111,24–112,10 [Nr. 2946b]. 365 366

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 405

den Luthers auf Amtsträger zugespitztes Vermächtnis übermittelt wird, dass das Wort Gottes mehr zu lieben sei als Frau und Kinder sowie notwendige, in besonderer Weise auf Amtsträger bezogene „notae“.369 Als nächstes folgt die Schilderung der auf den 8. Februar 1538 datierten, ebenfalls von Symptomen der Todesnähe gekennzeichneten Krankheit. In F wurde diese zweigeteilt aufgegriffen, ohne dass der Zusammenhang noch erkennbar gewesen wäre. Der Kreis um Lauterbach hingegen ergänzte mittels dieses Apophthegmas gezielt seine amtstheologisch zugespitzte „Monumentalisierung“ Luthers als Exempel: Einerseits werden mit diesem Amtsinhaber zur Seelsorge an Kranken und Sterbenden gemahnt, andererseits wird diesen nicht minder paränetisch Luthers rechtfertigungstheologisch zugespitzte Reflexion darüber vermittelt, dass er in zweifacher Weise, gegenüber Gott und dem Satan, den Tod verdiene.370 Dieser Duktus wird nahtlos fortgeführt mit dem auf heftige Kopfschmerzen bezogenen Apophthegma, in dem Luther, sich Gott anvertrauend, um Genesung oder Tod bittet.371 Erst im letzten Apophthegma der Sequenz, das über das Stichwort „Kopfschmerzen“ angebunden ist, wird ein Leiden Luthers an seinen Krankheiten greifbar. Dadurch, dass Halle jedoch das ganze Apophthegma und nicht nur wie F den auf die Darstellung der Leiden konzentrierten Anfangsteil wiedergibt, sondern auch den erklärenden Schlussteil, in dem die Kopfschmerzen positiv akzeptiert werden, wird dieses Motiv ebenso paränetisch auf den adäquaten Umgang mit Krankheiten zugespitzt: „[…] SCABIES autem est purgatio corporis quantumuis molesta, et sunt sana corpora, quae stercorando, sudando, scabie purgantur. Ego optarim mihi eam ad sanitatem capitis. Doch was wolt ich den gutten kopff tzeihen, er thuts nuh billig; er hats ja treulich mit mir gewaiget vnnd darff wol sprechen, das er sey alhie gewest, vnnd nuhe mit ehren schlaffen gehet.“372

Vgl. D 116 2°, fol. 576v–577r = WA.TR 3, 164,20–31 [Nr. 2957b]. Zum Inhalt bzw. zur um den historischen Kontext gekürzten Fassung von F s. S. 207f. 370 Vgl. D 116 2°, fol. 577r–v bzw. WA.TR 3, 123,27–124,14 [Nr. 2970b]. Zur Fassung von F s. S. 257f.289. 371 Vgl. D 116 2°, fol. 577v = WA.TR 3, 134,13–15 [Nr. 2988b]. Zur Fassung von F s. S. 249f. 372 Vgl. D 116 2°, fol. 577v–578r bzw. WA.TR 3, 138,26–139,10 [Nr. 3006b] – Zitat: ebd., 139,6–10. Zur Fassung von F s. S. 248. An späterer Stelle im Locus, d.h. nicht mehr im Zusammenhang dieser Sequenz, wird das Leiden Luthers am Schwindel noch stärker relativiert, durch Luthers „vorbildliches“ Verhalten. In diesem erstmals in Halle greifbaren Apophthegma wird als einzige Sorge Luthers angesichts der als Anzeichen des unmittelbar bevorstehenden eigenen Todes gedeuteten Beschwerden allein die vorherige Fertigstellung seines Werkes Von den Konziliis und Kirchen greifbar: „Anno 39 11. Ianuarij D⌊octor M⌊artinus Lutherus mane hora 7. uoluit disputare de propositione: Verbum caro factum est, sed cum ante domum Magistri Philippi Melanthonis 369

406

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Insgesamt bedeutet dies: Obwohl Halle diese Apophthegmata in weiten Teilen gemeinsam mit F aufweist, erhalten diese durch die redaktionelle Zusammenstellung eine gemeinsame Funktion, werden dem Anliegen, Luthers Umgang mit „lebensbedrohenden“ Krankheiten vornehmlich Amtsträgern als Exempel vor Augen zu stellen, zugeordnet. Die Thematik eines Leidens Luther an seinen Krankheiten verschwindet vor diesem Hintergrund. Im zweiten Schritt ist nun zu zeigen, dass dieses memoriale „Nichtinteresse“ an einer im Leiden an der Krankheit exemplarisch greifbaren „Schwäche“ Luthers in einem breiteren Kontext zu sehen ist. Der dargestellten doppelten Fokussierung auf „lebensbedrohende“ Krankheiten wie Amtsträger korrespondiert das Fehlen der für Wellers Theologie so entscheidenden differenzierten Etablierung Luthers als Exempel des Umgangs mit dem „tägliche[n] Creutz und Anfechtung“.373 Dieser veränderte Zugriff von Halle kann zunächst in Bezug auf die Memoria von Luthers „Arbeitslast“ verdeutlicht werden. Selbst bei Apophthegmata, die beiden Traditionen gemeinsam sind, tritt das Moment des Leidens deutlich in den Hintergrund. Zu verweisen ist zunächst auf das Apophthegma, in dem berichtet wird, dass Luther über 25 Jahre bis zu vier Predigten am Tag gehalten habe. Während in F diese Aussage als „infiniti labores“ Luthers klassifiziert wurde, bietet Halle einen „neutral“ anmutenden „Bericht“.374 Darauf, dass damit eher auf eine positive Würdigung der Leistung Luthers gezielt wurde, weist zumal der Fortgang hin, wenn nahtlos auf das von Luther im Selbststudium erlernte Lautenspielen und zwar in seiner schwierigen Variante verwiesen wurde: D 116 2°, fol. 579v bzw. WA.TR 5, 657,10– 12 [Nr. 6428]

Chart. A 402, fol. 108v [WA 48, 577,6–8]

D⌊octor Martinus Lutherus per 25 annos saepius quater uno Die contionatus est.

Lutherus multa dixit de infinitis suis laboribus, quod saepius quater uno die sit contionatus, vnd hab das 25 Jar getrieben.

Cum esset Erphordiae Baccalaureus, laeso crure domi lateret, didicit sua sponte in testudine vnd auch abesetzen.

uenisset, vertigine correptus iterum domum redire coactus, eo die disputationem intermittens, inquiens: Jch kans niemmer thun. Jch werde ausgearbeitet haben. Gott helffe mir gnediglich. Libenter uellem adhuc librum de Ecclesia scribere; wann das gescheen ist, wiel ich beschlissen Deo uolente“ (D 116 2°, fol. 585r = WA. TR 4, 450,37–451,6 [Nr. 4723]). 373 Vgl. Kapitel II 2.2.1. 374 Zur Rezeption in F s. S. 246f.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 407

Erst in der in Halle ebenfalls aufgegriffenen, eingangs auf Bucer bezogenen „Langfassung“ wird explizit Luthers (Predigt-)Tätigkeit als „Mühe“ erkennbar bzw. als Grund für frühes Altern angeführt und doch zugleich gerade in diesem Punkt gegenüber der Fassung des „Tagebuchs“ abgemildert: D 116 2°, fol. 583r–v Dicebatur de Bucero, quod multis curis et laboribus conficeretur et senesceret uixdum quinquagenarius, cum nondum esset quinquagenarijus. Respondit D. M. Lutherus: Es konnen gedancken einen wol alt machen, deinde etiam labores. Jch habe vorweilen auch gearbeitet, saepe uno Die 4 contiones habui. Jch habe eine gantze faste tzweimal geprediget vnnd einmal gelesen teglich, do ich erstlich die tzehen gebott predigtte in magna frequentia. Erat enim insolita et noua Catechismi praedicatio.

WA.TR 3, 655,3–10 [Nr. 3843] Senectus laboribus et curis provocatur. Deinde dicebatur de M⌊artino Bucero, qui summis curis et infinitis laboribus senesceret, cum nondum esset quinquagenarius. R⌊espondit Luth⌊erus: Es konnen gedancken wol einen alt machen, deinde labores quoque. Jch hab vorweilen auch gearbeitt. Saepe una die 4 contiones habui. Jch hab eine gantze fast zwu predigt gethan vnd ein mal gelesen teglich, erstlich do ich die zehen gepott predigt cum magna confluentia; nam nova et insolita praedicatio est catechismus.

Die Abmilderung zeigt sich in der Auslassung der Überschrift und insbesondere in der Rede von „multis curis et laboribus“ statt „summis curis et infinitibus laboribus“. Zielpunkt des Apophthegmas ist jedoch die Neuheit der Katechismuspredigt. Dass dieser vom Kreis um Lauterbach sehr bewusst wahrgenommen worden war, zeigen die weiteren Änderungen. Das im Lateinischen ungewöhnliche „confluentia“, wohl als „Zustrom“ zu übersetzen, wurde mittels „frequentia“, der großen Volksmenge, die anwesend war, ersetzt. Zudem wird diese „Neuheit“ in Halle im Tempus der Vergangenheit formuliert. Insofern rückt eher Luthers damaliges bzw. „heilsgeschichtliches“ Wirken als ein „Leiden“ in den Vordergrund, zumal die Katechese zu den didaktisch-pastoralen Schwerpunkten des Kreises gehörte.375 In analoger Weise lässt auch der Hinweis, dass Luther vor der Ehe seinen Strohsack nicht gewechselt habe, weniger ein „Leiden“ als eher ein „Hintenanstellen“ von „Weltlichem“ in der Zeit der frühen Kämpfe, in die insbesondere der Kontext im Locus das Apophthegma stellt, erkennen:

375

S. S. 415–417.

408

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

„Ante ductam uxorem lectum habuit non stratum per totum annum, qui sudore computruit. ipse dixit: Jch war mude vnnd arbeitte mich abe den gantzen tag vnnd fiel also in das bette.“376

Wie den bisher aufgezählten Apophthegmata ein „positiver“ Impetus in Bezug auf Luther selbst eignet, so geht mit den folgenden ein auf Luther und von hier auf die eigenen Zeitgenossen bezogener „negativer“ einher. Die Klage Luthers über seine „wunderliche Cantzley“ ist im paränetischen Kontext zu verstehen, zumal ein mit „Ingratitudo mundi erga ministros“ kategorisiertes Apophthegma vorangeht:377 „Literae officiosae scriptae a Luthero. D⌊octor M⌊artinus Lutherus scripturas quasdam literas difficulter, postquam Calamum manui apposuit dixit: wann ich vmb geldes willen schreiben solde, so wolte ich diesen briff nicht vmb 50 fl. schreiben. Literas sociales et officiales libentissime scribo et infinitas scripsi, etiam ingratis. Jch halde gar ein wunderliche Cantzley. Sum Cancellarius, scriba, nuntius et gratis do. Attamen mercedem ingratitudinis cogor accipere. Es ist vmb Gottes willen, nicht vmb der weldt willen angefangen.“378

Zielpunkt ist hier die Klage über den „Undank der Welt“, die zudem mit Verweis auf Gott theologisch relativiert wird. Stärker dem positiven Duktus verpflichtet ist das unmittelbar anschließende Apophthegma, wenn in diesem eingangs eindrücklich ein Leiden Luthers am Bücherschreiben beschrieben, am Ende diese „Arbeit“ aber als „lobenswert“ bei rechtem Gebrauch klassifiziert wird: „Anno 45. 10. Junij. Doctor Martinus7 scripsit positiones Doctorando et defatigatus est. Vesperi ivit Cubitum inquiens: Jch bin heutte vbel tzu paß gewest, wolde gerne viel thun vnd nuhe tzwey bucher schreiben, Latine et Germanice. Jch bin schwach. Veni, Domine, et libera me. Scribere qui nescit, non putat esse laborem. Tres digiti scribunt, sed totum corpus laborat. Es ist ein große arbeit, lobens werdt, wer sie recht brauchet.“379

Stellte das Motiv vom Leiden an der Arbeit bereits in der „Wellerschen Tradition“ ein Nebenmotiv dar, so ist es in der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ letztlich ganz hinter anderen Erinnerungsinteressen verschwunden. Der unterschiedliche Zugriff auf das Motiv des Abscheidenwollens wiederum kann zunächst ex negativo expliziert werden. Die „LauterbachHänelsche Tradition“ kennt weder den Wunsch Luthers, angesichts der Krankheit von Schmalkalden, von Türken getötet zu werden, noch das Gebet Luthers um „gratia et sepultura“, noch das von Rörer mit „imbecil-

D 116 2°, fol. 589v bzw. WA.TR 4, 670,24–27 [Nr. 5117]; s.a. S. 340f. Vgl. D 116 2°, fol. 588r–v bzw. WA.TR 5, 660,9–661,2 [Nr. 6436]; s.a. S. 414. 378 D 116 2°, fol. 588v–589r bzw. WA.TR 5, 661,4–11 [Nr. 6437]. 379 D 116 2°, fol. 589r bzw. WA.TR 5, 661,13–19 [Nr. 6438]. 376 377

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 409

litas fidei“ kategorisierte Apophthegma.380 Demgegenüber teilen die zwei nach Loci geordneten Traditionen die in beide Richtungen offene, sich Gott anvertrauende Bitte um Genesung oder Tod, in Halle jedoch eingebettet in die auf Luthers Krankheiten bezogene Sequenz.381 Dass sich weiterhin in beiden Traditionen der explizite Rekurs auf die biblische Referenzstelle (Röm 7,24) findet, verwundert kaum, jedoch dürfte für den Kreis um Lauterbach der zweite Teil mit dem Verweis auf den Untergang des halleschen Klosters Neuwerk aufgrund des (heils)geschichtlichen Fokus nicht minder anziehend gewesen sein.382 Dafür sprechen auch die weiteren auf ein „Abscheidenwollen“ Luthers bezogenen Apophthegmata. Zum einen greift der Kreis um Lauterbach ein Apophthegma auf, in dem das Motiv mit dem heilsgeschichtlichen Kampf gegen Ketzereien verbunden wird. Als Referenzgröße dient hier der Evangelist Johannes: „Anno 39. 30 Martij, qui fuit Dies palmarum, D⌊octor Martinus in initio Contionis uertigine impeditus est et domi dixit: Jch wolde nu gerne sterben, dann man darff mein gar nichtes. Jch werde doch die ketzerey nicht nit wehren. Hats doch S. Johannes, der teuer Euangelist, nicht konnen erwehren, sed ipso vivente orti sunt Marcion, Cherinthus, serpens non cessabit mordere.“383

Dem korrespondiert die Übernahme von Luthers Dialog mit Elisabeth von Brandenburg, die Luther anlässlich eines Besuches in Lichtenberg weitere 40 Lebensjahre wünschte, was er vehement mit dem Verweis auf die „Bosheit der Welt“ zurückwies: „[Respondit M⌊artinus Lutherus: Absit! Etiamsi Deus paradisum mihi offerret, ut 40 annos; vom Schreiber irrtümlich, wohl wegen homoiteleuton ausgelassen; I.K.] durarem in hac vita, nollem. Jch woltte er einen hencker mitten, der mir den kopff abschluge. So böse ist die welt. Eittel Teuffel werden sie itzt, das im einer nichtes bessers wunschen kan dan nur ein seliges stundtlein vnd daruon!“384

380 S. S. 251 bzw. Chart. A 402, fol. 111v / WA.TR 5, 97,13f. [Nr. 5368]; Chart. A 402, fol. 471n / WA.TR 1, 21,11–13 [Nr. 61]; Chart. A 402, fol. 104v / WA.TR 2, 144,1–4 [Nr. 1589]. 381 S. S. 405 bzw. D 116 2°, fol. 577v = WA.TR 3, 134,13–15 [Nr. 2988b]. 382 Vgl. D 116 2°, fol. 572v–573r: „Jch gedencke alle tage tzu sterben vnnd kann doch nicht. Infelix ego homo sum, quis liberabit me de corpore mortis huius. Si quis mihi dixisset ante 20 annos, dass das neuhe wergk tzu halle tzu bodem solt liegen bey meinem leben sine bello in pace, non credidissem“; zur fast wörtlich identischen Fassung von F s. S. 250 bzw. Chart. A 402, fol. 112v [WA 48, 538,11–14]; WA.TR 3,214,8–11 [Nr. 3185]. 383 D 116 2°, fol. 586v bzw. WA.TR 4, 321,28–33 [Nr. 4454]. 384 D 116 2°, fol. 587r bzw. WA.TR 4, 416,20–417,2 [Nr. 4647]; Zitat: ebd., 416,23– 27. Zur Ergänzung der Auslassung s. die späteren Zeugen Chart. A 262, fol. 288v bzw. Reb II, fol. 23r; s.a. BINDSEIL, Colloquia, III, 185 Anm. 12. Zu Elisabeth von Brandenburg s. BAINTON, Frauen, 120–133. Im Hintergrund wird eine ärztliche Diagnose greifbar, nach der Luther noch ein halbes Jahr zu leben hätte (vgl. WA.TR 4, 416,27–

410

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Ein positives Erinnerungsinteresse an Luthers „Schwachheit“ ist somit auch von diesem Motiv her nicht plausibilisierbar. 2.3.3.

Luther als Exempel des „frommen“ Haushalters

Die bereits in F greifbare Tendenz, Luther in seiner „bürgerlichen Existenz“ als nachzuahmendes Idealbild zu etablieren, findet ebenso in Halle ihren Niederschlag, jedoch mit eigenen Akzenten. Auch der Kreis um Lauterbach memoriert Luther monumentalisierend als Exempel des „frommen Haushalters“, einerseits fokussiert auf die finanzielle Dimension bzw. verbunden mit einer Paränese der Zeitgenossen sowie andererseits unter Hervorhebung des katechetischen „Amtes“, so dass auch dieser Aspekt als Niederschlag einer „konfessionskulturellen Verfestigung“ gedeutet werden kann. Einher geht erneut eine Vereindeutigung der „differenzierten“ Memoria des „Wellerschen Kreises“ sowie eine amtstheologische Zuspitzung. Dementsprechend ist in Halle im Unterschied zu F nicht das Interesse greifbar, eine tiefe Verbundenheit Luthers mit seinen Kindern und auch von hier dessen vorbildliche „Frömmigkeit“ aufzuzeigen.385 Diese Facette gehört für den Kreis um Lauterbach nicht zum „frommen“ Haushalter. Im ersten Schritt ist deshalb zu zeigen, inwiefern er diesen auf die „finanzielle“ Dimension fokussiert. Zunächst ist der mit „Oeconomia Lvtheri“ überschriebene Unterabschnitt in den Blick zu nehmen. In diesem weist Luther die Klage seiner Ehefrau darüber, dass sie nur noch drei „vasa cervisiae“ besäßen, mit dem Hinweis auf Gottes wunderbare Wirkmächtigkeit zurück. Die redaktionelle Überleitung zum zweiten, bereits in F greifbaren Apophthegma bringt dann Gott als eigentlichen „paterfamilias“ ins Spiel. Inhaltlich folgt die reale Einschätzung der Haushaltssituation, jedoch inklusive des vom Wellerschen Kreis möglicherweise bewusst, um die Sorge zu betonen, ausgelassenen Schlusssatzes. Somit wird das „Stück“ in Halle im Unterschied zu F vom Motiv des Gottesvertrauens gerahmt:

417,2: „Neque ego curo medicos. Wiel mir mein lebenn auff ein halb Jar gestellet nicht sauer machen, sondern in gottes namen essen, was mir schmecket.“ 385 Im auf Luther bezogenen Locus wird „nur“ eine schiere Aufzählung der ihm geborenen Kinder aufgenommen, die jedoch nur fünf der sechs Kinder nennt (vgl. D 116 2°, fol. 578r bzw. WA.TR 5, 655,21–26 [Nr. 6423] bzw. S. 256f. Die ebenfalls aufgenommene Schilderung von der Geburt und Taufe von Paul Luther kann – aufgrund der anderen Zielsetzung – dieses „Manko“ ebenso wenig beheben (vgl. S. 368 bzw. D 116 2°, fol. 576r–v = WA.TR 3, 111,24–112,10 [Nr. 2946b]).

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 411 D 116 2°, fol. 594v = WA.TR 2,495,15f. [Nr. 2502b] + WA.TR 3,13,10–15 [Nr. 2835b]

Chart. A 402, fol. 10r [WA 48,518,1–3]

OECONOMIA LVTHERI. Uxor conquesta est se adhuc tantum tria uasa cerevisiae habere. Respondit: Vnser Herrgott kann wol 4 daraus machen. Nisi ipse fuerit paterfamilias, actum erit. Ego mirabilem habeo oeconomiam, qui plus consumo, quam recipio. Jch muß alle jar 500 fl. in die kuchen haben, ut interim alia taceam, amictum et ornatum. Jch kann mich in diese haußhaltung nicht richten. Si minorem haberem domum, abstinerem a multitudine et quam paucissimis curarem rem domesticam. Aber vnser Herrgott mus der narren furmundt sein.

Ego mirabilem administro oeconomiam qui plus consumo, quam recipio. Jch muß alle jar 500 fl. haben in die kuchen, ut interim alia taceam, amictum et ornatum. Jch kann mich jn das haushalten nicht richten. Si minorem haberem domum, abstinerem me a multitudine et quam paucissimis curarem rem domesticam.

Ebenso teilt Halle mit F das Apophthegma, in dem Luthers eigene ökonomische Sozialisation in seinem Elternhaus dargestellt wird.386 Dennoch zeichnet sich ab, dass der Kreis um Lauterbach auch in ökonomischer Hinsicht die „Wellersche“ Differenziertheit vereindeutigt hat. Luther wird vornehmlich als „frommer“ Haushalter memoriert, der sich in ökonomischen Fragen ganz Gott anvertraut. Die Dimension der Sorge angesichts der eigenen ökonomischen Situation verschwindet dahinter. Dem korrespondiert die in Halle gegenüber F greifbare Akzentuierung des Apophthegmas, in dem Luther (im Angesicht des Todes) seine Kinder Gott anvertraut,387 insofern dieses mit einer „Selbstschelte“ Luthers verbunden wurde, dass er seiner Familie mehr vertraue als Christus: „Pfui dich wolan vmb den Teuffel vnd vnser fleisch, quod non fidimus Deo, a quo tot et tanta beneficia accipimus, quoniam homini ego, Lutherus, uxori meae, vobis singulis plus confido quam Christo, cum tamen nullus uestrum hoc faceret, ut crucifigeretur et moreretur pro me.“388

386 Vgl. die Übersicht S. 264f. bzw. D 116 2°, fol. 573v = WA.TR 3, 51,11–14 [Nr. 2888b] bzw. Chart. A 402, fol. 108v [WA 48,522,7–9]. 387 Vgl. D 116 2°, fol. 571v–572r (= WA.TR 3, 26,18–21 [Nr. 2848b]). Zur Fassung von F s. S. 266 bzw. Chart. A 402, fol. 105v [WA 48, 519,1–4]. Zudem übernimmt Halle – und zwar ausführlicher als F – den langen Bericht von Luthers Erkrankung im Jahr 1527 und damit auch Luthers Worte an seinen Sohn und seine Frau (vgl. D 116 2°, fol. 576r bzw. Chart. A 402, fol. 108r bzw. WA.TR 3, 90,6–12 [Nr. 2922b]). 388 D 116 2°, fol. 572r bzw. WA.TR 2, 446,17–21 [Nr. 2397b].

412

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Grundsätzlich wird Luther durch den Kreis um Lauterbach auf diese Weise als „frommes“ Exempel für alle Menschen bzw. Familienväter monumentalisiert. Dennoch eignet der Memoria des Kreises um Lauterbach erneut eine stärkere amtstheologische Zuspitzung. Ansatzweise war diese bereits in F greifbar und zwar in dem auf Luthers Erbschaft bezogene Apophthegma. Dieses findet sich in einer parallelen Fassung auch in Halle.389 In dieser wird im zweiten Teil mit bewusster Akzentuierung das Vertrauen auf eine „gute“ zukünftige Versorgung zurückgebunden an die Wertschätzung („aestimare“) Luthers als „minister“ durch Gott und der Blick ganz auf das Anvertrauen an Gott bzw. die fromme Haltung gerichtet und deshalb konsequenterweise am Ende keine Gerichtsdrohung nach Ps 90,8 übermittelt: D 116 2°, fol. 572v bzw. WA.TR 2, 426,22–427,2

Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 460,36– 461,5]

[…] Deus mihi plus dat quam hoc. Ego annuatim plus consumo, quam haereditas mea est. Deus me ministrum suum aestimat ac bene nutriet; das hat er bisher an mir beweiset. Huic Deo meos liberos comitto, ut ipse sit pater. Das sol ir gröster schatz sein. Meus filius erit dives consanguineis meis mendicantibus. Jch wil in guttes thun vnnd meine freunde nehren et uolo honorare parentes meos mortuos et illorum uoluntatem exequi ac liberos ingratorum alere. Dann wer da wiel from sein, perdet benefitia; quidquid gratitudinis illi acciderit, lucrum aestimet. Omnia sunt ingrata. Nihil fecisse benigne est.

[…] Deus enim plus dedit quam 300 fl., immo ego annuatim plus consumo, quam haereditas mea est. Deus me ministrum suum habet, ideo etiam me alet, ut fecit. Liberos meos ei commendo, ut ipse sit pater, sol jr gut vnd schatz sein. Liberi mei werden reich sein, wenn sie werden betlen gehen. Honore uolo afficere parentes meos mortuos et eorum voluntatem exequi et liberos ingratorum alere. Denn wer wil from sein, perdet beneficia. Deus omnem iniuriam et omnem ingratitudinem puniet iuxta illud: ‚Et retributionem pec⌊catorum videbis‘ [Ps. 91,8; I.K.].

Die amtstheologische Perspektive wird dadurch verstärkt, dass redaktionell unmittelbar Luthers Einschätzung seiner Kinder als sein „Reichtum“ angefügt wird, der ihn von den „altgläubigen Theologen“ – und den „Adligen“ – unterscheide: „Ego sum ditior omnibus Theologis papisticis in toto mundo, den ich laß mir gnugen. Habeo praeterea drey ehliche kinder, die kein papisten Theologus hat. Et sum ditior

389 D 116 2°, fol. 572r–v bzw. WA.TR 2, 426,18–427,2 [Nr. 2346b]. Zur Fassung von F s.a. S. 267 bzw. Chart. A 402, fol. 114r [WA 48, 460,36–461,5]; WA.TR 1, 553,13–26 [Nr. 1108].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 413 omnibus nobilibus in terra, wie wol ich meinen gnedigen herrn beraube, daß ich nur andern dienen magk.“390

Abgerundet wird diese Monumentalisierung Luthers in Halle durch Apophthegmata, die „belegen“, dass Luther dieses „Idealbild“ tatsächlich gelebt habe. Einleitende Kategorisierungen wie „Lutherus alienus ab avaritia noluit suos libros vendere“ oder „Lutheri liberalitas erga suos“ weisen darauf hin, dass hier durch den Lauterbachschen Kreis zugleich eine besondere Tugendhaftigkeit Luthers betont werden sollte. Im erstgenannten Apophthegma wird das göttliche Sorgen („educare“) um Luther und seine Familie eindrücklich verdeutlicht und erneut Luthers Ehefrau und Kinder als Segen Gottes entfaltet. Zugleich wird aber in dem Apophthegma mit dem Verweis auf den Kurfürsten der reale Ermöglichungsgrund des kostenlosen Wirkens als „Buchautor“ und „Professor“ genannt – jedoch ebenfalls als göttliche Wohltat verstanden.391 Im zweiten Apophthegma wird einerseits Luthers Freigiebigkeit anhand seiner Austeilung von Neujahrsgaben an seine Kinder, Diener und Mägde verdeutlicht, andererseits erfolgt eine katechetisch fundierte Paränese, auf die noch einmal zurückzukommen sein wird.392 Zunächst soll die „finanzielle“ Dimension weiterverfolgt werden. Diesbezüglich ist das bisher skizzierte „Idealbild“ des „frommen“ Haushalters nicht die einzige im auf Luther bezogenen Locus greifbare Facette, 390 D 116 2°, fol. 572v bzw. WA.TR 2, 530,33–531,2 [2579]. Die Kritik an Ferdinand ist in Halle – wie in der Cordatischen Tradition – im Unterschied zu F davon unabhängig überliefert: vgl. die Synopse S. 268 bzw. D 116 2°, fol. 589v: „Anno 32. Doctor Martinus suam uxorem habuit 7 annos in solsticio cancri eam duxit. Dixit: Jch habe drei lebendige kinder, die ich Erlicher vur gott habe denn Ferdinandus Behem, Vngern, vnnd das römische reich“; WA.TR 2, 534,[9].11–14 [Nr. 2590]. 391 Vgl. D 116 2°, fol. 587v bzw. WA.TR 4, 431,27–432,11 [Nr. 4690]: „Lutherus alienus ab avaritia noluit suos libros vendere. Anno 39. 3. Iulij dixit. quomodo Deus eum paterne cum suis educasset; omnia gratis sine mercede dedisset. Es hetten im buchdrucker ierlich 400 fl. wollen geben, daß er inen seine exemplaria zustellete, noch hette erß nicht wollen thun; er wolet seine gnade nicht vorkeuffen. Gott het in wunderlich wider den greulichen wurm, den babst, gefuret; ob sie in wol gekratzt hetten, so hette dennoch der babst auch nicht gantze haut daruon bracht. Es wer auch tzimlich getroffen. Jch habe gantz gnug vnd sat, Gott sey lob, qui mihi dedit uxorem et liberos, pulcherrimam benedictionem, et electorem, qui sponte mihi obtulit annuatim 200 fl., alias decrevi ducta uxore legere pro pretio, aber da mir Gott tzuuor kam per electorem, so habe ich alle meine lebetage kein exemplar vorkaufft noch lection pro pretio gehalten, wiel auch den ruhm, wilß Gott, mit mir inß grab nehmen. Habens victum et amictum contentus ero.“ Diese Freigiebigkeit des Kurfürsten wird – verbunden mit einer scharfen Kritik an den Druckern – in einem weiteren Apophthegma thematisiert (vgl. D 116 2°, fol. 572v = WA.TR 2, 553,27–554,3 [Nr. 2623b]). 392 Vgl. D 116 2°, fol. 584v–585r = WA.TR 4, 449,1–10 [Nr. 4720].

414

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

wie nun in einem zweiten Schritt dargestellt werden soll. Zwar gerät Luther in ökonomischer Perspektive nicht in seiner sich sorgenden „Schwäche“ in den Blick, jedoch findet sich ein auf die Zeitgenossen gerichteter paränetischer Strang, der die oftmals schwierige ökonomische Situation von Amtsträgern mahnend in Erinnerung ruft. Zu verweisen ist z.B. auf das mit „Ingratitudo mundi erga ministros“ überschriebene Gespräch Luthers mit dem Saalfelder Pfarrer Caspar Aquila, in dem Augustinus, Christus und Luther selbst als Beleg angeführt werden für den Undank der Welt, „qui uult Christum et suos fame perire, indignos uentres saginare“393.

Zudem wird ein Apophthegma aufgegriffen, in dem – in Halle verallgemeinert – berichtet wird, dass ein Pfarrer sein Amt aus Not habe verlassen müssen, was als „Vorboten“ des göttlichen Strafgerichtes gedeutet wird: „Quidam pastor prope Zerbest paupertate coactus est suam deserere uocationem. Respondit D⌊octor M⌊artinus Lutherus: Haec omnia sunt praeparationes ad iram Dei et plagas. Wir wollen den armen gotteß dienern nicht zu essen geben, so wirdt vnnß gott widerumb nicht tzu essen geben.“394

Flankiert werden diese Apophthegmata durch den Locus „Facultates et bona ecclesiastica“, in dem der angemessene Gebrauch von Kirchengütern, insbesondere zum Nutzen der Pfarrherrn und Studierenden, entfaltet wird. Einher geht deutliche Kritik an weltlichen Herrschern.395 Einerseits scheint hier ein Problem auf, das alle reformatorischen Territorien betraf, andererseits gab es in Pirna und auch bei Lauterbach selbst konkreten Anhalt. In der Ephorie wurden bei der Einführung der Reformation die Bezüge von Pfarrern und Diakonen durch Herzog Heinrich deutlich gekürzt – gegen den Willen der theologischen Visitatoren und unter Missachtung von Luthers Widerspruch. In der Folgezeit blieben die finanziellen Probleme von Amtsträgern weiterhin virulent.396 Dass Lauterbach als Superintendent und Visitator auch damit beschäftigt war, eine angemessene und zuverlässige Besoldung der Geistlichen zu erreichen, wird am Visitationsabschied vom 4. November 1555 erkennbar, wenn etwa im dritten Punkt ausgeführt wurde: „Damit auch die Kirchen- und Schuldiener in Reichung ihrer verordneten Besoldung sich einiger Versäumlichkeit oder Verzuges (sich) nicht zu beklagen, so soll ein Ehrbarer Rat sich möglich befleissigen, dass ihnen ihre Besoldung auf vier Mal im Jahre auf die Quartal oder wöchentlich nach rechter Anzahl freundlich und unversäumlich gereicht werde; da aber etwa Mangel oder Unvermögen vorfallen würde, mittler Zeit und D 116 2°, fol. 588r–v bzw. WA.TR 5, 660,9–661,2 [Nr. 6436]; Zitat: ebd., 660,12f. D 116 2°, fol 582r bzw. WA.TR 3, 549,8–13 [Nr. 3704]. 395 Vgl. D 116 2°, fol. 378r–381r. 396 S. BEYER, Neuordnung, 109–114. 393 394

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ 415 bis die Zinse eingebracht, aus ihrem des Rats Aerario und gemeinem Gute vorstrecken und verlegen.“397

Neben diesen Einsatz für die Lauterbach anvertrauten Geistlichen, eignet der Thematik auch eine persönliche Dimension. Wenige Jahre später richtet der Superintendent selbst an Kurfürst August ein Bittschreiben, in dem er unter Verweis auf seine langjährige Treue und auf die mit seinem Amt und seiner zusätzlichen Beauftragung als Visitator verbundenen „schweren Bürden“ um eine zusätzliche finanzielle Vergütung ersucht.398 Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass Luther in ökonomischer Hinsicht nicht nur „idealtypisch“, sondern auch als mahnender Kritiker der „aktuellen“ kirchlichen Zustände monumentalisiert wurde. Die Memoria des „frommen“ Haushalters Luther weist in Halle über das „Finanzielle“ hinaus jedoch noch ein weiteres Moment auf, das in nicht geringem Maße mit dem Interesse an der „sittlich-moralischen“ Orientierung konvergiert.399 In diesem dritten Schritt soll nun entfaltet werden, dass Luther in Halle im Unterschied zu F zusätzlich als Prediger bzw. Katechet im Kreis seiner Familie zum Exempel erhoben wurde. Dieses gruppenspezifische Erinnerungsinteresse manifestiert sich in der vollständigen Wiedergabe eines Katechimus „in domo Lutheri praedicatus“400. Im Luther gewidmeten Locus wird es ganz prinzipiell greifbar in der im Imperfekt formulierten Kommentierung von Luthers Ausführungen zu seiner Predigttätigkeit: „Erat enim insolita et nova catechismi praedicatio.“401

Flankiert wird diese allgemeine, redaktionell bearbeitete Äußerung durch die Übernahme eines Dialogs zwischen Justus Jonas und Luther über dessen – im Frühjahr 1532 begonnene – Predigttätigkeit im Haus statt in der Zitiert nach HOFMANN, Reformationsgeschichte, 137. S. auch Punkt 2, in dem die „Bürgermeister, Rat und Richter“ ersucht werden u.a. mitzuhelfen, dass „auch die Kirchen- und Schuldiener an ihren geordneten Besoldungen nicht gehindert oder versäumet werden“ (ebd.). Unter Punkt VI. wird dann dem Rat befohlen, das zu niedrige Gehalt der Diakone um immerhin 10 fl. zu erhöhen (ebd., 139). Punkt VII regelt dann die Versorgung der „armen, verlebten, wohlverdienten und kranken Priester oder derselben nachgelassenen Witwen und Waisen“ (ebd., 140). 398 Vgl. HOFMANN, Reformationsgeschichte, 264f.; zum Schreiben von 1560 s. MEIER, Skizze, 30f. 399 S. hierzu III 2.3.1. Diesen Konnex bringt Holtz in ihrer Studie zur orthodoxen Predigt wie folgt auf den Punkt: „Der Katechismus dient gleichermaßen als nachträglicher Beichtspiegel und als präventive Lebensorientierung“ (HOLTZ, Theologie, 373). 400 D 116 2°, fol. 338r–349r; Zitat: ebd., 338r. 401 D 116 2°, fol. 583r–v bzw. WA.TR 3, 655,3–10 [Nr. 3843]; Zitat: ebd.,655,10. S.a. S. 407. 397

416

III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

Kirche. Die von Jonas vermutete Begründung der Verachtung des Wortes Gottes durch die Wittenberger wird wie folgt zurückgewiesen: „Respondit D⌊octor M⌊artinus Lutherus se hoc facere ex officio et propter conscientiam cuiusque patrisfamilias: Jch weiß vnd sehe doch wol, daß es hie im hauß eben so wenig wirdt geachtet alß in der kirchen.“402

Insofern wird die „belehrende“ Funktion des „Hausvaters“ als zu dessen „Amt“ gehörig ausgewiesen, ein Argument, das grundgelegt ist in Luthers Katechismen, insbesondere im „Kleinen Katechismus“, wenn dort die einzelnen Stücke in der deutschen Fassung überschrieben sind mit der Anleitung, wie „[…] sie ein Hausvater seinem Gesinde einfältiglich furhalten soll“403.

Zugleich wird mit der Antwort Luthers selbstkritisch die fehlende Wertschätzung des Wortes Gottes im eigenen Haus angeführt und damit verdeutlicht, dass eine Belehrung in allen Haushalten und damit auch in denen der kirchlichen Amtsträger nötig ist. Diese Notwendigkeit wird in Halle zudem unterstrichen durch die Übernahme einer Ermahnung und Zurechtweisung Katharinas – vor dem Horizont des kommenden Gerichts: „D⌊octor M⌊artinus Lutherus hortabatur uxorem ad diligentem lectionem praecipue psalterium et auditum verbi. Ipsa vero se satis legisse, audivisse et scire gloriabatur; wolt Gott, sie lebete darnach! Respondit ipse suspirans. Also hebet sich fastidium vnd contemptus verbi an, das wir vns viel lassen düncken, wollens gar wissen vnd thun doch das widerspiel vnd wollen dartzu vngestrafft sein. Haec sunt praeparatio et parasceue futuri mali et famis verbi divini.“404

Zudem überlieferte der Kreis um Lauterbach ein Apophthegma, in dem die dogmatisch-katechetische Belehrung im konkreten Streit zwischen Luther und seiner Ehefrau erfolgt und deren Aufgabenbereich bzw. Wirkbereich auf diese Weise konkret eingegrenzt wird:

402 D 116 2°, fol. 573v = WA.TR 2, 617,14–20 [Nr. 2726b]; Zitat: ebd., 617,17–20. Die überarbeitete Cordatische Fassung ist demgegenüber deutlich gestrafft (vgl. WA.TR 2, 617,10–13 [Nr. 2726a]: „Licet sciam verbum Dei aeque non curari in aedibus meis, sicut in nostra ecclesia non curatur, tamen quoties publice non possum praedicare, in aedibus meis praedico propter officium et conscientiam, quod ut paterfamilias debeo familiae praedicare“). 403 BSELK, 862,1f. [Zehn Gebote] – vgl. auch ebd., 870,3f. [Glaube]; 874,1f. [Vaterunser]; 882,7f. [Taufe]; 888,10f. [Herrenmahl]; 890,15f. [Segen] etc. Analoge Formulierungen finden sich auch im „Großen Katechismus“ (vgl. z.B. BSELK, 912,13–15; 926,15–17). 404 D 116 2°, fol. 582v–583r bzw. WA.TR 3, 648,30–649,2 [Nr. 3835]; Zitat: ebd., 648,30–37.

3. Luthermemoria im Kontext „konfessionskultureller Verfestigung“

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„Expostulans cum sua uxore dicebat: Tu mihi persuades, quidquid vis; totum habes dominium. In Oeconomia quidem tibi concedo dominium salvo meo iure. Dann weiber regiment hat nie nichteß guteß außgericht. Deus fecit Adam dominum omnium creaturarum, ut dominaretur omnibus animantibus, sed cum Eua persuaderet, ut esset dominus supra Deum, do verterbet erß. Das haben wir euch weibern tzu dancken, quae astu et technis inescatis viros, quod ego quoque experior.“405

Des Weiteren findet sich diese Dimension im bereits erwähnten Apophthegma, in dem zunächst Luthers Freigiebigkeit betont wird, er dann jedoch die Anwesenden zu „pietas“, „oboedientia“ und „fidelitas“ ermahnt und von dort die Schlechtigkeit der Welt („abominatio“, „impietas“, transgressio“) beklagt unter Rekurs auf die erste Gebotstafel. Am Ende steht die Mahnung: „Beatus, qui resipiscit, Deo confidit et verbum suum diligit; illi omnia cooperantur in bonum.“406

Damit sind die Verschiebungen der Erinnerungsinteressen in didaktischpastoraler Perspektive hinreichend umschrieben. Diesen eignet insgesamt durch die gegenüber dem differenzierten Rekurs des „Wellerschen Kreises“ vorgenommenen Vereindeutigungen sowie durch den starken ethischen Impetus sehr viel deutlicher die Tendenz zur gruppenspezifischen „konfesssionskulturellen Verfestigung“. 3. Luthermemoria im Kontext „konfessionskultureller Verfestigung“

3. Luthermemoria im Kontext „konfessionskultureller Verfestigung“

3. Luthermemoria im Kontext „konfessionskultureller Verfestigung“ Die zweite, nach Loci geordnete Apophthegmata-Sammlung ist auf einen Kreis um den Pirnaer Superintendenten Anton Lauterbach zurückzuführen und kann unter Rekurs auf die namentlich bekannten Größen als „Lauterbach-Hänelsche“ bezeichnet werden. Ihre Entstehung ist ab 1551 greifbar, und damit dem Zeitpunkt, zu dem die Gothaer Handschrift F fertig gestellt worden war. Neben diese zeitliche Nähe tritt eine räumliche, insofern Freiberg und Pirna nicht nur nahe beieinanderliegen, sondern auch beide zum albertinischen Kursachsen gehörten. Dennoch wurde durch die vorangehenden Analysen aufgezeigt, dass die erstmals in der Handschrift Halle greifbare Tradition ein eigenständiges, auf Luther fokussiertes gruppenspezifisches Kollektivgedächtnis repräsentiert. Diese Luthermemoria ist nicht mehr als Ausdruck einer „Krisenerfahrung“ bzw. „Gegenerinnerung“ zu verstehen. Dazu hat der durch zentrale religions- und konfessionspolitische Entscheidungen veränderte Kommu405 406

D 116 2°, fol. 571v = WA.TR 3, 26,7–13 [Nr. 2847b]. D 116 2°, fol. 584v–585r = WA.TR 4, 449,1–10 [Nr. 4720]; Zitat: ebd.,449, 9f.

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

nikationskontext beigetragen. In den damit einhergehenden Debatten hat Lauterbach selbst die albertinisch-kursächsische Linie nicht nur befürwortet, sondern diese in seiner Funktion als Pirnaer Superintendent zugleich mitgestaltet. Zudem ist auch ganz allgemein auf mit Lauterbachs Amt verbundene Kontextverschiebungen gegenüber der „Wellerschen Tradition“ hinzuweisen, d.h. auf Syndrome von Lauterbachs Verantwortung für eine Ephorie mit ihren Geistlichen und Gemeindegliedern. Dies führt insgesamt dazu, dass dieser Tradition kein vergleichbarer, auf aktuelle Kontroversen reagierender Gegenwartsbezug eignet. Die Luthermemoria bzw. das von hier zu erhebende Lutherbild sind vielmehr stark retrospektiv ausgerichtet, statischer im Sinne von prinzipieller. Das in F noch greifbare Nebeneinander von „Heroisierung“ und „Monumentalisierung“ ist zugunsten des zweiten Interpretamentes aufgelöst, wie immer wieder auch flankierend durch das Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche aufgezeigt werden konnte. Das zentrale Moment ist nicht mehr ein kontrafaktisches trotziges Bekenntnis in Gestalt von auf Luthers Tod bezogener „vaticinia“. Vielmehr wird im Sinne Assmanns sehr viel deutlicher ein „Mythos“ greifbar: Luther und die mit seinem Namen verbundene „Reformation“ wurden verstärkt als fundierende Geschichte respektive Heilsgeschichte memoriert. Dies hat Auswirkungen auf die Frage der Identität sowie Normen und Werte. Die dahinter aufscheinenden Phänomene können deshalb zugleich in Anknüpfung an Thomas Kaufmann als Reflex einer verstärkten gruppenspezifischen „konfessionskulturellen Verfestigung“ verstanden werden.407 Hinter Halle steht nicht eine in ihrer Existenz bedrohte Minderheit, sondern eine in ihrer Identität immer mehr gefestigte lokale Ausprägung einer lutherischen Majorität. Bezogen auf die Person Luthers („Luther an sich“) führte dies zu einer verstärkten memorialen Erhöhung, die heilsgeschichtlich-prophetisch grundgelegt war, wie ausgehend vom auf Luthers Doktorat bezogenen Eröffnungsapophthegma gezeigt werden konnte (2.1.1). Insofern damit Luther selbst nicht als „Prophet“ (oder „Dritter Elia“) ausgewiesen wurde, ist auch bei dieser Tradition die nach Kaufmann „weithin beherrschend[e] Vorstellungsmatrix“ der „jüngeren Zeitgenossen Luthers“ nicht greifbar.408 Ebenso wenig kann dieser memoriale Rekurs mit Hund als „Prophetenfortschreibung“ verstanden werden.409 Neben diese Grundlegung trat vielmehr ein besonderes Interesse an Luthers „Tugendhaftigkeit“ in moralischer, intellektueller aber auch grundsätzlicher Hinsicht, so dass die Diese impliziert in ihrer Weite und Anschlussfähigkeit an die gedächtniskulturellen Überlegungen auch Momente von Institutionalisierung, ohne darauf beschränkt gedacht werden zu können. 408 Vgl. KAUFMANN, Konfession, 67f. 409 S. S. 77. 407

3. Luthermemoria im Kontext „konfessionskultureller Verfestigung“

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Phänomene trotz des fehlenden polemischen Subtextes kaum mit dem Junghanschen Interpretament der „Verherrlichung“ angemessen kategorisiert werden können, als dass sie vielmehr vornehmlich als Ausdruck einer enkomiastischen „Monumentalisierung“ zu verstehen sind (2.1.2). Analoges gilt für die Frage nach Luthers „Märtyrertum“ (2.1.3), insofern der Kreis um Lauterbach nicht mehr auf ein – polemisch konnotiertes – „Leiden“ zielte, sondern verstärkt Aspekte des „klassischen“ Märtyrerbegriffs wie „Standhaftigkeit“ und „Sendungsbewusstsein“ greifbar wurden. Das im Hintergrund stehende, identitätskonturierende „Narrativ“ wurde durch Facetten der Luthermemoria bzw. des Lutherbildes, die primär in Korrelation mit dem Trägerkreis stehen, vertieft. Es konnte als vornehmlich auf die Anfänge von „Luthers“ Reformation bezogen ausgewiesen werden, deren ereignisgeschichtliche Eckpunkte mit Luthers Klostereintritt und cum grano salis dem Wormser Reichstag bzw. Luthers Wartburgaufenthalt zu umschreiben sind (2.2.1). Ein „biographisches“ Interesse an Luther geht kaum damit einher. Religions- bzw. konfessionspolitische Kontroversen wiederum werden v.a. retrospektiv zur Konturierung der eigenen Identität aufgegriffen (2.2.2). Dies gilt in besonderer Weise für die Abgrenzung nach „außen“, gegenüber den „Papisten“. Bei den „innerprotestantischen“ Abgrenzungen findet sich im Kodex über die retrospektive Auseinandersetzung mit dem „Linken Flügel“ und den „Antinomern“ hinaus eine nachträgliche Ergänzung, in der eine Positionierung in den aktuellen Debatten, insbesondere den als „Majoristischen Streit“ bezeichneten, greifbar wird, die jedoch nicht minder als identitätskonturierende Grenzziehung gedeutet werden kann. Zugleich gehört zu diesem „Narrativ“ eine positive Bezugnahme auf Melanchthon als autoritative Größe neben Luther (2.2.3). Dies überrascht vor dem albertinischen Hintergrund weniger, doch griffe eine schiere Einordnung der Tradition als „philippistisch“ zu kurz. Dies kann z.B. von den konkurrierenden Werkausgaben Luthers, der Wittenberger bzw. Jenaer, verdeutlicht werden (2.2.4). Hier positionierte sich der Lauterbachsche Kreis auf keiner der beiden Seiten. Beispielsweise wird eine eigene, sehr viel stärker an Luther selbst orientierte „Kriteriologie“ greifbar. Zu dieser gehört u.a. das chronologische Anordnungsprinzip, das als Proprium der Jenaer Ausgabe gilt. Zudem schuf der Kreis einen eigenen gruppenspezifischen „Kanon“ von Schriften, zu denen auch Werke Melanchthons gehörten, so dass Momente einer lokalen, gruppenspezifischen „Kanonisierung“ aufscheinen. Dass Luther in didaktisch-pastoraler Perspektive dann auch in moralisch-sittlicher Hinsicht zur Autorität erhoben wurde (2.3.1), dürfte in nicht geringem Maße vom Kontext der Superintendentur mit zu begründen sein, wie der gegenüber F diesbezüglich grundsätzlich verstärkte Fokus auf Amtsinhaber. Einher geht eine Vereindeutigung des differenzierten, polaren Zugriffs des „Wellerschen Kreises“ auf Luther als Exempel –

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III. Kapitel: Die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“

in Bezug auf „Leid“ und „Anfechtungen“ (2.3.2) sowie auf das „Amt“ des Familienvaters (2.3.3). Für eine „Schwachheit“ oder einen „Leiden“ ist in dieser fortgeschrittenen Monumentalisierung Luthers respektive im Kontext einer „konfessionskulturellen Verfestigung“ kein Raum mehr, ebenso wenig für eine besondere Zuneigung Luthers zu seinen Kindern. Stattdessen wird der „fromme“ Haushalter Luther in Halle im Unterschied zu F als „mahnender“ Kritiker der aktuellen Versorgungslage der Geistlichen und als „Katechet“ memoriert. Die damit zugleich umschriebene „mentale Welt“ des Trägerkreises transzendiert erneut eine starre Unterscheidung in „Gnesiolutheraner“ und „Philippisten“ (oder „Melanchthonianer“).410 Jenseits der Streitigkeiten suggeriert die in Halle greifbare Memoria sehr unbefangen eine Einheit zwischen Luther und Melanchthon, die in Lauterbachs eigener Wittenberger Zeit grundgelegt sein dürfte. Nicht minder prägend ist aber für diese gruppenspezifische Luthermemoria der lokale Entstehungskontext. Ohne Rekurs auf Lauterbach bzw. die Erfordernisse einer Superintendentur wären die Propria kaum erklärbar. Zudem ist der Blick zu weiten auf Phänomene und Prozesse „konfessionskultureller Verfestigung“, die diese Unterscheidung ebenso transzendieren.

410 Dies kann zusätzlich anhand des von Dingel erhobenen „apriorischen Konsenses“, der den „Gnesiolutheranern“ zu eigen war, verdeutlicht werden (s. hierzu S. 77). Einerseits lässt der „heilsgeschichtlich-prophetische“ Zugriff auf Luther diesen erstens sehr deutlich als „Werkzeug“ erkennen. Zweitens galten Luther und seine Bücher dem Kreis gewiss als Garanten der Wahrheit und den mit hohen Aufwand gesammelten „Aussagen“ Luthers wurde drittens nicht minder gewiss eine „überzeitliche Geltung“ zuerkannt. Daneben trat aber – bis in den gruppenspezifischen Kanon hinein – Melanchthon als zweite Autorität. Zudem wurde die Gegenwart weniger von Luther her gedeutet als gestaltet, was sich insbesondere im verstärkten ethischen und amtstheologischen Impetus niederschlägt. Zugleich trat die Rechtfertigungslehre in den Hintergrund.

IV. Kapitel:

Die Aurifabersche Tradition

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition Während die in den vorangehenden Kapiteln analysierten Traditionen in nur wenigen Handschriften greifbar waren, gerät nun mit der unstrittig auf Johannes Aurifaber (1519–1575) zurückzuführenden ApophthegmataTradition eine mehrfach aufgelegte und weit verbreitete Druckausgabe in den Blick. Diese wirkungsgeschichtlich so prägende Ausgabe ist zunächst vorzustellen (1). Bei den anschließenden Analysen zur Luthermemoria bzw. zum Lutherbild (2) werden methodisch zwei Punkte besonders zu berücksichtigen sein: zum einen rekurrierte Aurifaber in erheblichem Maße auf die „Wellersche“ und v.a. „Lauterbach-Hänelsche“ Tradition, zum anderen ist die Druckausgabe zwar nach Loci geordnet, weist jedoch keinen auf Luther im Besonderen bezogenen Locus auf, dafür aber ein äquivalentes Lemma.

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers Der wirkungsgeschichtliche Erfolg von Aurifabers Tischredenausgabe führte dazu, dass dieser in der bisherigen Forschung deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als den nur handschriftlich überlieferten, nach Loci geordneten Apophthegmata-Traditionen. Insofern können die folgenden Ausführungen auf das „Wesentliche“ beschränkt werden. Zunächst werden die Drucke selbst vorgestellt (1.1). Es folgen Hinweise auf die grundlegende Kritik an Aurifabers Ausgabe (1.2) sowie eine thematische Umschreibung des Inhalts (1.3). Zugleich wird jeweils auf erste Impulse für die weiteren Analysen zu achten sein. 1.1.

Zu den Druckausgaben

Im Unterschied zu den in den vorangehenden Kapiteln analysierten, handschriftlich überlieferten Traditionen ist die Urheberschaft der nach Loci geordneten Tischredenausgabe nicht auf einen Kreis, sondern auf eine Einzelperson zurückzuführen. Dabei gerät mit Johannes Aurifaber (1519– 1575), der trotz des Beinamens „Vinariensis“ wohl in der Mansfelder Grafschaft geboren wurde, einer der emsigsten Sammler bzw. Herausge-

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

ber von Luthers Werken in den Blick.1 Seine Ausgabe ist die erste Apophthegmata-Sammlung, die als Druck publiziert und damit einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde.2 Sie erlebte mehrere Auflagen an zwei Druckorten.3 In Eisleben erschienen bei Urban Gaubisch insgesamt fünf Ausgaben in den Jahren 1566, 1567, 1569, 1570 und 1577, wobei die Erstausgabe von 1566 von Aurifaber 1567 eine deutliche Überarbeitung erfuhr.4 Daneben treten zum einen ab 1567 von Aurifaber nicht

Hinsichtlich Aurifabers Biographie ist man fast gänzlich auf kurze Artikel in Nachschlagewerken verwiesen (vgl. z.B. die Literaturhinweise in WA.B 14, 284 sowie BÄRENFÄNGER, Umgang, 29 Anm. 12). Ausführlicher beschäftigen sich Junghans (JUNGHANS, Aurifaber [Lit!]), ebenso Jauernig (JAUERNIG, Aurifaber) sowie KAWERAU, Aurifaber mit ihm. Zudem bieten Volz und Wolgast in ihrer Darstellung der Geschichte der Lutherbriefeditionen wichtige Vertiefungen (s. WA.B 14, 284.363–400). Im Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen (Bd. I, 158f.) finden sich auch Angaben zu Aurifabers Kindern. Zur umtriebigen Sammeltätigkeit mit ihren Eingaben, Bittschreiben, Reisen, etc. s. WA.B 14, 363–400; JAUERNIG, Lutherausgabe, 755–760 sowie MICHEL, Kanonisierung, 204–212. Zur Frage, ob Aurifaber in Weimar oder Mansfeld geboren wurde s. C&C 4, 25 Anm. 22. 2 Die Idee einer „Druckausgabe“ ist entgegen der weitverbreiteten Ansicht nicht auf Aurifaber zurückzuführen. Bereits im März 1546 sind erste diesbezügliche Überlegungen in einem Schreiben von Friedrich Mykonius an Georg Rörer greifbar (s. S. 311 mit Anm. 21 bzw. Friedrich Mykonius an Georg Rörer. Gotha, 23. März 1546: LEDDERHOSE, Mykonius, 298–303; hier: 298). 3 Grundlegend zu Aurifabers Tischredenausgabe: SCHILLING, Bibliographie; JUNGHANS, Tischreden; JUNGHANS, Geschichte; WA.TR 6, XI–XXII; 3, XXXIII–XL sowie W2 22, 20–24.41–55. In der WA-Edition sind Aurifabers Texte mehrheitlich den früheren Überlieferungen als Parallelen in Kleindruck angefügt. Dennoch wird im 20. Abschnitt (WA.TR 6,1–369) die Ausgabe als Ganze umschrieben, ergänzt durch die Wiedergabe der Texte – nach der Edition von Förstemann-Bindseil –, für die Kroker keine Parallelen finden konnte (s.a. WA.TR 1, XI–XIII). Weitere Stücke wurden von Haußleiter (WA 48, 365–683.713f.) sowie Hof (HOF, Herkunft) identifiziert. 4 Zu den Eislebener Ausgaben s. SCHILLING, Bibliographie, 762–764 [Nr. 1–5]. Zumindest bei der Ausgabe von 1570 handelt es sich um eine Titelauflage von 1569. Wenn diese – wie Schilling vermutet (ebd., 764) – ebenfalls eine Titelauflage dargestellt hat, ist der Absatz der Eislebener Ausgaben wohl aufgrund der konkurrierenden Drucke mit dem Ende der 1560er Jahre ins Stocken geraten. Bezüglich der Überarbeitung der Erstausgabe nennt Aurifaber selbst folgende Punkte (vgl. TR 1567, fol. A 2v): 1. Die ursprünglich als Anhang beigegebenen „Andere[n] Tischreden“ wurden den entsprechenden Loci im vorderen Teil zugeordnet. 2. Im „Register oder Verzeichnis der Heubstücke“ wurde die fehlerhafte Kapitelzählung korrigiert – Näheres hierzu s. Schilling, Bibliographie, 751 Anm. 23. 3. Es wurde ein Register der „Sprüche der heiligen Schrifft / So […] erkleret vnd ausgeleget sind“ (TR 1567, fol. Ccccc 6r–7r) ergänzt. Auf den das Titelblatt von 1567 zierenden Holzschnitt (s. hierzu S. 455f.) kommt Aurifaber nicht zu sprechen, so dass keine Hinweise auf seinen Anteil daran bzw. sein Verständnis desselben greifbar sind. Die Vorrede bleibt inhaltlich unverändert, wird aber auf das Jahr 1567 datiert. 1

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers

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autorisierte Frankfurter Nachdrucke,5 zum anderen im Jahr 1568 Aurifabers gescheiterter Versuch, direkt in Frankfurt mit einer eigenen Ausgabe gegen die „Raubdrucke“ vorzugehen.6 In allen Ausgaben ist das Werk 5 Zu diesen Ausgaben s. SCHILLING, Bibliographie, 764–770 [Nr. 6–8.10–15]. Obwohl in den frühen Frankfurter Ausgaben von 1567 und 1568 [Nr. 6–8] nur der Buchdrucker Peter Schmid namentlich genannt ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der immer mehr zum Großverleger avancierende Sigmund Feyerabend von Anfang an und nicht erst ab der Folio-Ausgabe von 1569 an diesem Projekt beteiligt war, gehörte Schmid doch zu den von ihm damals in Anspruch genommenen Druckern. Zu Feyerabend s. immer noch die Monographie Pallmann, Feyerabend und darauf aufbauend BERZ, Notendrucker, 25–29; s.a. die kürzeren Artikel in Nachschlagewerken: BAUER, Feyerabend [Lit!]; BENZING, Verleger, 1129f.; BENZING, Feyerabend. Einen ersten (unvollständigen) Überblick über die bei Feyerabend gedruckten Werke bietet MEYER, Verlag, 115–126. Einige Bemerkungen zur Forschungsgeschichte bietet O’DELL, Buchschmuck-Holzschnitte, 15; s.a. die tabellerarische Übersicht zur Biographie Feyerabends (ebd., 17f.). Die Nachdrucke von Aurifabers Tischredenausgabe finden in diesen Werken leider keine besondere Beachtung. Einen guten Einblick in die Verflechtungen und Tätigkeiten der verschiedenen Drucker bzw. Verleger bietet zudem DIETZ, Handelsgeschichte, 12–70; dort auch kurze Hinweise auf den zunehmend in Abhängigkeit Feyerabends geratenden Peter Schmid (ebd., 27). Zu dieser Zusammenarbeit s.a. BERZ, Notendrucker, 26; PALLMANN, Feyerabend, 35f. Ende der 1580er Jahre prozessierte Feyerabend dann jedoch gegen den zutiefst verschuldeten Schmid und besiegelte dessen Ruin (s. PALLMANN, Feyerabend, 61f.). Zur Biographie Schmids s.a. RESKE, Buchdrucker, 251. Evtl. ist die Nichterwähnung Feyerabends in den frühen Drucken auch schlicht eine Sicherheitsmaßnahme des versierten Geschäftsmanns, da wegen des „Raubdruckes“ mit Widerstand zu rechnen war. Wenig später waren auf der Leipziger Frühjahrsmesse von 1568 seine Verlagswerke konfisziert worden, wegen Klagen über seinen Nachdruck der Carionschen Chronik. In Folge und wohl auch schon zuvor, wie Meyer kritisch gegen Pallmanns These einwendet, hat Feyerabend z.T. seinen erst fünfjährigen Sohn Hieronymus als Verleger auf Titeln und in Schlussschriften angeführt, u.a. auch bei der Rebenstockschen Ausgabe (s. hierzu PALLMANN, Feyerabend, 31–36 bzw. die Kritik von MEYER, Verlag, 127). Die „anonyme“ Publikation der Aurifaberschen Tischreden wäre ein ähnlicher „Schachzug“. 6 Zu dieser Ausgabe s. SCHILLING, Bibliographie, 767 [Nr. 9]. Der Weg von Mansfeld in die Messestadt war bereits durch Cyriakus Spangenberg (1528–1604) vorgeprägt (vgl. BERNDORF, Prediger, 238–240). Mit Spangenberg, damals Hofprediger der Mansfelder Grafen, Generaldekan und Beisitzer des Konsistoriums, teilte Aurifaber weite Teile seiner „mentalen Welt“ (zu diesem s. den von STEFAN RHEIN / GÜNTHER WARTENBERG herausgegebenen Sammelband „Reformatoren im Mansfelder Land“ sowie KAUFMANN, Spangenberg). Bei Spangenberg, der ab 1562 seine berühmten Lutherpredigten hielt, liefen – so die Ergebnisse der Untersuchung für Österreich (LEEB, Einfluss) – „die Fäden eines flacianischen Netzwerkes zusammen“ (ebd., 276). S.a. BERNDORFF, Prediger, 282–292. Darüber hinaus nutzte Aurifaber – wie es aussieht – im Jahr 1568 geschickt die Gunst der Stunde. Kurz vorher, auf der Leipziger Neujahrsmesse, waren die Bücher von Simon Hüter und Sigmund Feyerabend wegen Feyerabends unauthorisierten

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

didaktisch geschickt gestaltet.7 Unterteilt in 80 Loci werden dem Leser laut Titelblatt „Tischreden oder Colloquia Doct[or] Mart[in] Luthers / So er in vilen Jaren / gegen gelarten Leuten / auch frembden Ge = / sten / und seinen Tischgesellen gefuret / Nach den Heubtstücken unserer Christlichen Lere zusammen getragen“8

dargeboten. Diese sind über das doppelseitige Register auf einen Blick erfassbar.9 Hinzu kommen Überschriften und Randbemerkungen sowie am Ende ein äußerst ausführliches, alphabetisches „Register vnd Summarischer Inhalt“10, die eine schnelle Orientierung ermöglichen. In diesem Nachdruckes der Carionschen Chronik konfisziert worden (s. S. 423 Anm. 5). Wohl auch in Reaktion darauf hatte sich die 1563 eingegangene Verbindung zwischen den beiden Verlegern aufgelöst. Vor diesem Hintergrund ist die Kontaktaufnahme zwischen Hüter und Aurifaber zu verstehen, wie sie Aurifaber selbst in der gegenüber den Eislebener Ausgaben ergänzten Mahnung „An den christlichen Leser“ bezeugt: „Vnd weil mein besonder lieber Herz und guter Freund / Simon Hueter Buchhaendler zu Franckfort / abermals diesen Tomum der Tischreden aufflegen und drucken wolte / nach dem Exemplar zu Eißleben außgegangen / so hab ich im diese meine wolmeinende warnung fuer diß Buch zu drucken zugeschickt / Geschehen am ersten Tage Julij / Anno 1568“ (TR Frankfurt 1568, fol. A 2r). Zu Hüter und seiner Geschäftsverbindung mit Feyerabend s. PALLMANN, Feyerabend, 21f.26f.30–33.37–39; s.a. BENZING, Verleger, 1176; BERZ, Notendrucker, 35–37; DIETZ, Handelsgeschichte, 27. Im Jahr 1571 war Hüter dann – nicht ohne Mitwirken Feyerabends, was evtl. auch als Revanche für die Unterstützung Aurifabers verstanden werden kann – so verschuldet, dass ihm nur noch die Flucht aus Frankfurt blieb. Nach Hüters Bankrott druckte Martin Lechler nur noch für Feyerabend – zu diesem und seinen Verbindungen zu den beiden Verlegern s. RESKE, Buchdrucker, 250f.; DIETZ, Handelsgeschichte, 26; PALLMANN, Feyerabend, 21. Inhaltlich konvergiert der von Martin Lechler angefertigte Druck mit der verbesserten Eislebener Fassung von 1567, doch schmückt nun der Holzschnitt des ersten Frankfurter „Raubdruckes“ das Titelblatt (s. hierzu S. 32–34). Insofern die weiteren Drucke Aurifabers – ohne dass es zu der angedeuteten Erweiterung gekommen wäre – wieder in Eisleben erschienen (s. SCHILLING, Bibliographie, 763f. [Nr. 3–5]; aus der Frankfurter Ausgabe übernommen wird Aurifabers Mahnung „An den christlichen Leser“, der oben zitierte Schluss wurde entsprechend aktualisiert) und gegenüber den Feyerabendschen Auflagen (s. SCHILLING, Bibliographie, 767–770 [Nr. 10–14]) zahlenmäßig deutlich zurückstehen, hatte sich der Frankfurter Großverleger insgesamt durchgesetzt. Zugleich flankierte dieser seine Bemühungen durch den Druck einer rein lateinischen Ausgabe – zur dieser s. S. 565–568. 7 Grundlage der folgenden Ausführungen bzw. Analysen stellt, sofern nichts anderes vermerkt ist, die Eislebener „Urfassung“ von 1566 (= TR bzw. SCHILLING, Bibliographie, 762 [Nr. 1]) dar. 8 TR, fol. ) 1r. In den Folgedrucken stellte Aurifaber den Begriff „Colloquia“ voran. Zur falschen Nummerierung, die dazu führt, dass in der Ausgabe von 1566 im Register 82 Loci erwähnt werden s. S. 431 Anm. 36. 9 TR, fol. )( 5v–6r. 10 TR, fol. Nnnnn 2v – Ppppp 6v. Im Folgenden nur als „Register“ bezeichnet.

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers

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Zusammenhang ist auch Aurifabers Übertragung des von ihm kompilierten „Materials“ ins Deutsche in Erinnerung zu rufen, die die Rezeption seitens breiterer Bevölkerungsschichten nicht unwesentlich erleichterte.11 Zumindest teilweise legte Aurifaber die von ihm übersetzten Quellen in der unabhängig vom Druckort allen Ausgaben beigefügten Widmungsvorrede offen: „Vnd nachdem ich bis anher etliche Tomos / von hinterstelligen Buechern / Predigten / Schriften und Sendbrieffen D. Martin Luthers / zu Eisleben habe drücken lassen / als hab ich diesen Tomum Colloquiorum / oder Tischreden / jtzt allhier auch verfertiget / und im Druck ausgehen lassen / Welcher anfenglich aus des Ehrwirdigen Herrn M. Antonii Lauterbachs Collectaneis Colloquiorum / so er selbest aus dem heiligen Munde Lutheri auffgezeichnet / ist zusammen getragen / vnd hernacher von mir in gewisse Locos communes distribuiret und verfasset / auch aus anderer Gottseliger und gelehrter Leute / geschriebenen Buechern Colloquiorum / welche Doctor Martin Luthers Tischgenossen viel jar her gewesen / als des Herrn M. Veit Dieterichs / M. Hieronymi Besoldi / auch des Pfarrherrn zu Coethen / Magister Johann Schlaginhauffens / vnd Magister Joannis Mathesii / item / aus Anderer mehr Buecher / so mit Doct. Martino Luthero stets umbgangen / vnd teglich umb jn gewesen / als Magister Georg Rörers / seligen / zum mehrern Theil gemehret und gebessert. Darnach / so hab ich auch aus Magister Johan Stolsij / seliger / vnd Magister Jacobi Webers / Pfarrherrn zu Ordorf [sic!]/ geschriebene Collectaneis Colloquiorum / viel gutes dinges genomen / vnd in diesen Tomum gesetzet. Vnd dieweil ich Johannes Aurifaber / vor D. Martin Luthers absterben / Anno 1545 und 1546 / auch viel um Doctor Martin. Luthern gewesen bin / als hab ich viel herrlicher Historien und Geschicht / auch andere nötige und nützliche

11 Zum von Aurifaber Kompilierten s. WA.TR 6, XIII–XV; s.a. W2 22,45f.; HOF, Herkunft; JUNGHANS, Tischreden, 160. Darauf, dass er die ihm vorliegenden Apophthegmata übersetzt hatte, verwies Aurifaber erst in Auseinandersetzung mit den Frankfurter Nachdrucken (s. TR Frankfurt 1568, fol. A 2r). Vereinzelt bietet seine Ausgabe dennoch Unübersetztes, z.T. ganze Apophthegmata (vgl. z.B. TR, fol. 501r–v). Die im Wittenberger Lutherhaus aufbewahrte Handschrift Ag 4° 45 (= Witt.) zeigt, dass Aurifaber nicht der einzige war, der einen „rein“ deutschsprachigen Text erstellte, wobei hier nur eine einzelne Handschrift übersetzt wurde und keine nach Loci unterteilte, aus vielen Quellen schöpfende Ausgabe (zu dieser Handschrift s. WA.TR 6, XXII–XXXIII sowie SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 175 [Lit!]). Da weder über den Schreiber, noch das Alter oder die Herkunft von Ag 4° 45 Informationen vorliegen, ist es nicht möglich zu eruieren, inwiefern Aurifaber diese Handschrift gekannt haben könnte. Demgegenüber mag mit der 1556 abgeschlossenen Handschrift Cod. Guelf. 878 Helmst. (= Wolf. 980) tatsächlich eine Vorstufe der Tischredensammlung Aurifabers greifbar sein. Diese bietet – neben anderen Inhalten – auch eine Übersetzung von Apophthegmata und zwar in zehn thematischen Gruppen, die sich später bei Aurifaber wiederfinden (zu dieser Handschrift s. MEYER, Sammlungen, 33–35; WA.TR 1, XXV; 6, XXXIII–XXXVIII sowie SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 178f.; zum Inhalt s. HEINEMANN, Handschriften, 275f. [Nr. 980] bzw. WA.TR 6, XXXIII–XXXVII; MEYER, Sammlungen, 35).

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

ding / so er vber Tische geredet / vleissig auffgezeichnet / das ich denn hierein auch geordent vnd gebracht habe.“12

Namentlich genannt werden der Pirnaer Superintendent Anton Lauterbach (1502–1569), die beiden Nürnberger Prediger Veit Dietrich (1506– 1549) und Hieronymus Besold (1522–1562), der Köthener Superintendent Johannes Schlaginhaufen (ca. 1498–1560), der in Joachimsthal wirkende Verfasser der Lutherhistorien, Johannes Mathesius (1504–1565), zudem Aurifabers ehemalige Weimarer „Kollegen“ Georg Rörer (1492–1557) und Johann Stoltz (ca. 1514–1556), mit denen er u.a. die Jenaer Werkausgabe verantwortet hat,13 sowie der Ohrdrufer Superintendent Jakob Weber (1532–1578) und Aurifaber selbst. Die große Mehrzahl der Genannten sind als Luthers Tischgenossen bekannt. Über Stoltz’ Sammlung liegen zwar keine weiteren Informationen vor,14 doch dozierte dieser in den 1540er-Jahren in Wittenberg15 und hätte insofern selbst die Gelegenheit gehabt, als Sammler und Mitschreiber an Luthers Tisch zu wirken. Wohl kein direkter Tischgenosse war hingegen der erst 1532 geborene Jakob Weber.16 Unabhängig von der Problematik, dass über seinen Studienort nichts bekannt ist, dürfte er zu jung gewesen sein, um vor Luthers Tod an dessen Tisch als Mitschreiber aufgetreten zu sein.17 Insofern kommt er wohl „nur“ als Sammler in Betracht. Ebenso wie bei Stoltz ist jedoch über die Sammlung selbst nichts Näheres bekannt. Die Tatsache, dass Aurifaber ihn namentlich nennt, lässt aber darauf schließen, dass es keine unbedeutende Sammlung war. Zudem fällt an Aurifabers Gewährsmänner auf, dass im Jahr 1566 bis auf Anton Lauterbach, ihn selbst und Jakob Weber alle bereits verstorben waren.18 Wenn Aurifaber sich selbst an letzTR, fol. )( 4r–v. Zu Aurifabers Wirken am Weimarer Hof s. IV 2.1.3. 14 Vgl. WA.TR 6, XX. Überliefert sind jedoch zumindest Nachschriften von Predigten und Vorlesungen Luthers (vgl. JAUERNIG, Stoltz, 235). 15 JAUERNIG, Stoltz, 229f.; KROKER, Bora, 176. 16 Zu diesem s. MÖLLER, Pfarrerbuch Thüringen, Bd. 1, 84.86.696; KRÜGELSTEIN, Nachrichten, 425f. Weber wirkte seit 1560 in seinem Geburtsort Ohrdruf, zunächst als Diakon, ab 1563 als Superintendent. Als Geistlicher ist er erstmals 1554 als Feldprediger, im Jahr darauf als Pfarrer in Clingen greifbar. Kirchenpolitisch tritt er insbesondere nach der Publikation der Tischreden in Erscheinung und zwar im Zusammenhang mit den Bemühungen Herzog Johann Wilhelms um ein ernestinisch-albertinisches Religionsgespräch, d.h. ab 1567; am Altenburger Religionsgespräch (1568/69) nahm er dann persönlich teil (s. hierzu auch GEHRT, Konfessionspolitik, 288–334). 17 Ebenso argumentiert auch KROKER, Bora, 177. Insofern ihn mit Aurifaber die theologische Verortung verband (vgl. die Hinweise bei KRÜGELSTEIN, Nachrichten, 425: „Er schrieb gegen die Synergisten, Interimisten und Crypto-Calvinisten“), mag von hier die Verbindung zwischen beiden zu begründen sein. 18 Dass er dies nur bei Rörer und Stoltz mittels des Attributs „seliger“ vermerkt, mag Ausdruck seiner bleibenden Verbundenheit mit diesen sein. 12 13

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers

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ter Stelle nannte, dann ist damit gewiss ein legitimatorischer Impetus verbunden, doch schwingt vermutlich auch das Selbstverständnis mit, einer der Letzten zu sein, die als ehemalige enge Vertraute Luthers um die Bewahrung und Verbreitung von Luthers Werk bemüht sind. Dies hat er bereits im Vorwort zum ersten Band der Eislebener Lutherausgabe (1564) – auch nach Abzug aller topischen Bescheidenheit – deutlich gemacht. „Ich wolt aber das diese schwere arbeit von gelertern / vnd mit grössern gaben begnadeten leuten / als von D. Caspar Creutziger / M. Veit Dietterich / oder M Georg Rorern fur die hand genomen / vnd zum Druck verfertiget worden were / als die Lutheri geist wol gekant / seine Phrases vnd art zu reden wol gewust / vnd sonst seiner herrlichen bücher viel zuuor in Druck zugericht haben / dafur die Welt jnen grosse dackbarkeit schuldig / Aber weil Gott dieselbigen hohen leute / durch jren vnzeitigen tod / aus diser welt zu seinen gnaden abgefordert / vnd die alten Discipuli Lutheri / so jnen haben hören predigen vnd lesen / seer dünne vnd jrer wenig werden / So hab ich (als der sonderlich Anno 37. 38. vnd 39. auch im 40. etliche Capitel der beider Euangelisten / Matthei vnd Joannis / selber vom Luthero predigen gehort / dergleichen auch Anno fünff vnd sechsvndvierzig sein Zuhörer gewesen / vnd viel Predigten jme nachgeschrieben) diese Auslegungen / so in den Eislebischen Tomis stehen […] / mit höhestem vleis vnd Christlicher trew / warhafftiglich / on einigen zusatz oder stickwerck colligirt / abgeschrieben / gefasset vnd zugericht / auff das diese herrliche Fragmenta / Brocken oder Brosamlin / der Schrifften vnd Bücher Lutheri trewlich auffgehoben / vnd der Kirchen Christi furgetragen / vnd zu gebrauchen mitgeteilet würden.“19

Aurifaber agierte also auch im Bewusstsein, dass die Generation der Augen- und Ohrenzeugen ausstarb. Im Vorwort der Tischredenausgabe deutete er zudem durch den Hinweis „aus Anderer mehr Buecher“ an, dass die Liste seiner Quellen nicht vollständig war. In dieselbe Richtung verweist seine ab der Frankfurter Ausgabe von 1568 greifbare Vorrede „An den Christlichen Leser“, in der er sich gegen die ergänzten „Raubnachdrucke“ wehrte: „[…] denn so jemandts ist / der da diese Tischreden zuuerbessern vnnd zuuermehren wüste / so köndte ichs (ohne rhum) thun / der ich noch etliche geschriebene Bücher mit Tischreden Lutheri bey mir hab / darauß man köndte fast einen neuwen Tomum zusammen lesen / oder je den jetzt vielgemeldten Ersten gedruckten Theil / herzlich vil gewaltiglich verbessern.“20

Weder hier noch in der Widmungsvorrede wird der mit „Andere Tischreden D. Martin Luthers / die zum teil in die obgesetzte Locos gehören / von allerley Sachen / aus etlichen geschriebenen Büchern zusammengetraEislA 1, fol. [Hand] 3r–v. TR Frankfurt 1568, fol. A 2r. Zu den genannten bzw. nicht genannten Quellen s. die kritischen Ausführungen Krokers in WA.TR 6, XV–XXII bzw. WA.TR 5, XXXIV; s.a. WA 48,368–370.713f. mit SCHÄUFELE, Beständeübersicht, 178 [Lit!] sowie die Ausführungen zur Handschrift Cod. Guelf. 878 Helmst. (= Wolf. 980) auf Seite 425 Anm. 11. 19 20

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

gen“ überschriebene Anhang thematisiert.21 Dieser deutet auf einen sukzessiven Entstehungsprozess der Ausgabe hin. Der in der soeben zitierten Vorrede von 1568 angedeutete zweite Band („neuwen Tomum“) wurde ebenso wenig realisiert wie die Erweiterung des vorliegenden. 1.2.

Zur Kritik an Aurifabers Tischredenausgabe

Aurifabers Tischredenausgabe war ökonomisch äußerst erfolgreich. Zugleich war sie letztlich von Beginn an Kritik ausgesetzt, wie exemplarisch anhand von Christoph Walther, der als Korrektor in der Druckerei von Hans Lufft in Wittenberg arbeitete, verdeutlicht werden kann. Dass dessen punktuelle Kritik an der Tischredenausgabe vor dem weiteren Kontext des Streites zwischen Wittenberg und Jena zu interpretieren ist und dabei auch ökonomisch mit motiviert gewesen sein dürfte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie grundsätzlich diese Angriffe waren.22 Der erste Frontalangriff aus dem Jahr 1569 folgte im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Feyerabends Bibeledition auf die Kritik an Aurifabers Eislebener Ausgabe: „VND noch viel frecher / küner vnd vnuerschempter handeln die / so etliche leichtfertige / heimliche Tischreden / die billich niemand solt wissen / denn seine liebe vertraweten Freunde / zu denen sie geredt sind / öffentlich im Druck lassen ausgehen / Ist dazu vngewis / ob er alles so geredt hat. Solche handeln vnd thun erger vnd vnuerschempter / denn der vnverschempte Ham / mit seinem Vater Noah / gehandelt hat.“23

Walther stellte hier die Zulässigkeit einer Veröffentlichung von „privaten“ Äußerungen Luthers sowie deren Authentizität infrage. Gesteigert wurde die Kritik durch die Allusion auf Gen 9,20–27. Nach dieser biblischen Geschichte hatte Ham seinen betrunkenen Vater entblößt im Zelt vorgefunden. Ham, der nicht wie seine Brüder den Blick abgewandt und die Blöße bedeckt hatte, wurde verflucht. Als Klimax dieses „schändlichen“ Vorgehens wird Aurifabers Nichtbedecken von Luthers „Blöße“, d.h. „vertrauter“ Gespräche, dargestellt. Ebenfalls im Kontext der Auseinandersetzung mit Feyerabend und von dort der Eislebener Ausgabe verdeutlichte Walther dann im Jahr 1571 diese Kritik an den Tischreden durch den Vorwurf, Aurifaber habe Luther bei den Gegnern der Lächerlichkeit preisgegeben. Auch hier wurden scharfe theologische Geschütze aufgefahren, insofern durch den Hinweis auf die zu leistende „rechenschafft“ ein endgerichtlicher Kontext eröffnet wurde: TR, fol. 614r–626r. Ab der Ausgabe von 1567 waren die einzelnen Apophthegmata des Anhangs den entsprechenden Loci zugeordnet worden (s. S. 422 Anm. 4). 22 Zur Person bzw. zum weiteren Kontext s. IV 2.1.4.5. Zu dieser frühen Kritik an Aurifabers Tischredenausgabe s.a. SCHILLING, Bibliographie, 750. 23 WALTHER, Bericht, fol. A 2v. 21

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers

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„Zu Eisleb aber / sind falsche Bücher leider allzu viel gedruckt / dafur Johannes Goldschmid schwere rechenschafft geben mus. Denn mit den Tischreden / hat er des Herrn Lutheri ergesten Feinden / Papisten / Jesuitern / Schwermern vnd Jüden / ein Gelechter vnd Gespöt zugericht.“24

Mit diesen Aussagen ist zugleich angedeutet, in welchem Maße die Publikation der Tischreden in den Kampf um das wahre Erbe Luthers bzw. das richtige Lutherbild involviert war. Trotz ihrer Grundsätzlichkeit konnte die zeitgenössische Kritik den kommerziellen Erfolg nicht verhindern. Die damit eröffnete Spannung schlägt sich eindrücklich noch im 18. Jahrhundert in Georg Walchs Gesamtausgabe nieder, der Aurifabers Tischreden nur widerstrebend unter Abwägung der bereits von Walther benannten Kritikpunkte einen eigenen Band widmete.25 Mit dem Beginn der kritischen Forschung, d.h. der Edition der einzelnen Handschriftenüberlieferungen, geriet insbesondere Aurifabers Arbeitsweise in die Kritik.26 Aufgrund textkritischer Vergleiche hob Hoppe im Vorwort des 1887 erschienenen „Tischredenbandes“ der zweiten Auflage der Walchschen Lutherausgabe Duplikate, „Beimischung fremder Sachen“, eine „willkürliche Behandlung der Originale“ und Fehler bzw. irrige Angaben negativ hervor.27 Kroker brachte diese Kritik in der WAEdition wie folgt auf den Punkt: „Bald reißt Aurifaber einen längeren Text in mehrere kleinere Stücke und verteilt diese dem Inhalt nach in verschiedene Kapitel, bald vereinigt er mehrere kleine Reden zu einem größeren Ganzen; bald nimmt er nur die Anfangs- oder Schlußsätze eines Stücks, bald mehrere Sätze mitten aus einem Stück in seine Sammlung auf. Seine unleidliche Sucht, Luthers Worte durch eigne Zutaten aufzuputzen, läßt es zuweilen fast unmöglich erscheinen, festzustellen, wo Luthers Worte aufhören und Aurifabers Zusätze anfangen.“28

Zudem vertiefte er Hoppes Ausführungen insbesondere durch die Hinweise auf den „veränderten Sprachgebrauch“, der sich z.B. im verstärkten Gebrauch von Tautologien niederschlug, sowie auf Aurifabers „besondere WALTHER, Antwort, fol. A 3v–4r; Zitat: ebd., 4r. Vgl. W1 22, 21–38. 26 Zum Beginn der kritischen Forschung s. S. 1f. Die Kritik an der Tischredenausgabe ist oftmals eingebunden in eine grundsätzliche Kritik an ihm als Editor (vgl. exemplarisch Kawerau, Zuverlässigkeit), nicht selten zuspitzt auf den Vorwurf des übermäßigen „Geschäftssinns“ (vgl. z.B. CLEMEN, Aurifaber; SCHOTTENLOHER, Ottheinrich, 104–112; JAUERNIG, Lutherausgabe, bes. 760–762). Um eine angemessenere Würdigung der „historische[n] Leistung“ Aurifabers bemühten sich Volz und Wolgast (vgl. WA.B 14,399f.). S.a. bereits ALBRECHT, Quellenkritisches, bes. 280–286 sowie JUNGHANS, Aurifaber, 754. 27 W2 22, 41–55. 28 WA.TR 6, XXI. Zurückhaltender beurteilt Meyer Aurifabers Vorgehensweise (vgl. MEYER, Sammlungen, 29–33). 24 25

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Geschmacksrichtung“, d.h. Derbes und Grobes bzw. höfische Wendungen als Ferment seiner Zeit als Feldprediger bzw. Weimarer Hofprediger.29 Die Kritik an Aurifabers Sprache wurde aus germanistischer Perspektive, insbesondere den Forschungen von Birgit Stolt, fortgeführt. Luther erscheine etwa aufgrund der Tendenz der Glättung von „Anstößigem“, als „frömmelnd, betulich, geschwätzig“.30 Deshalb sei die Tischredenausgabe – gemäß ihres ursprünglichen Zweckes – nur zur „Erbauung“ zu gebrauchen.31 Unabhängig von den Fragen, inwiefern die damit angedeutete scharfe Kritik an Aurifabers Redaktion und Übersetzungstätigkeit stärker in ihrem historischen Kontext32 bzw. zumal mit Blick auf die Kompilatorik als „generell voraus zu setzende Vorgehensweise im Rahmen eines solchen Tradierungsprozesses“33

gewürdigt werden könnte, wird man die angedeutete Einbindung der Tischreden in den Kampf um das „wahre“ Erbe Luthers bzw. das „richtige“ Lutherbild ebenso berücksichtigen müssen. Dabei kann auf die Forschungen von Junghans aufgebaut werden. Dieser hat hervorgehoben, dass neben der Seelsorge und Erbauung ebenso Polemik wie „Grobschlächtigkeit“ von Aurifaber betont werden. In Konsequenz habe dieser die Tischreden „wohl zugleich als eine Waffenkammer gegen alle Feinde der Gnesiolutheraner“34

verstanden. Ebenfalls konstruktiv aufzugreifen sein wird Michels, eine zu einseitige Kritik an Aurifaber korrigierender Hinweis auf dessen „eschatologisch[e] Motivation“, aufgrund derer er sich nicht „von dem geringen Absatz vor allem der Briefausgabe“ beirren lassen habe.35 Zunächst soll jedoch die Tischredenausgabe in ihrem Aufriss vorgestellt werden. 1.3.

Zum Aufriss

Die bereits mit F und Halle einsetzende Entwicklung hin zu einem Handbuch, wird mit Aurifabers Druckfassung konsequent fortgeführt. In den Vgl. WA.TR 3, XXXIII–XL. Vgl. STOLT, Rhetorik, 21–27.22; s.a. STOLT, Lutherforscher – grundgelegt ist diese Kritik in ihrer Dissertation: STOLT, Sprachmischung, bes. 19–24. 31 Vgl. z.B. STOLT, Rhetorik, 26f. 32 S. hierzu z.B. MICHEL, Überarbeitung, 230–234; MICHEL, Kanonisierung, 132– 135. 33 BÄRENFÄNGER, Umgang, 34. Sie verweist zu Recht auf analoge Prozesse bei der Überlieferung der Evangelien bzw. der Dicta und Exempla Melanchthons (vgl. ebd., 32–39). 34 JUNGHANS, Tischreden, 163. 35 MICHEL, Kanonisierung, 205f., 206. 29 30

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers

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„82“ bzw. 80 Loci wird ein breites thematisches Spektrum entfaltet.36 Zwar wird ein synoptischer Vergleich der Aufrisse von F, Halle und den Tischreden dadurch erschwert, dass Halle keinen Index aufweist und man auf die nicht immer stringenten Überschriften verwiesen ist, dennoch lassen die Sammlungen unschwer erkennen, in welch hohem Maße Aurifaber sich an seinen handschriftlichen Vorlagen orientiert hat, insbesondere der Lauterbach-Hänelschen Tradition, und zwar bis hin zu den Bezeichnungen der Loci.37 Letztlich sind nur die Loci „Vom Bekentnis der Die Nummerierung der Loci folgt dem Register der Eislebener Erstausgabe von 1566. Deshalb weist der letzte Locus die Ziffer LXXXII auf. Es fehlen jedoch die Loci mit den Nummern XXIII, XXXII und LXXVIII. Nicht aufgeführt ist im Register der im Hauptteil greifbare Locus „Von etlicher Papisten schnellem und erschrecklichen Tode“ (vgl. TR, fol. 368r–369r). 37 Dies überrascht, insofern er – z.T. unter ausdrücklichen Rekurs auf die Sammlung Lauterbachs – den Eindruck zumindest suggeriert, die Loci-Einteilung gehe auf ihn zurück. Wie bereits gesehen, nennt Aurifaber im Vorwort zu den Tischredenausgaben den Pirnaer Superintendenten an erster Stelle seiner Garanten, deutet die starke Abhängigkeit also zumindest an. Vgl. nochmals TR, fol. )( 4r: „Welcher anfenglich aus des Ehrwirdigen Herrn M. Antonii Lauterbachs Collectaneis Colloquiorum / so er selbest aus dem heiligen Munde Lutheri auffgezeichnet / ist zusammen getragen / vnd hernacher von mir in gewisse [Hervorhebung; I.K.] Locos communes distribuiret und verfasset.“ S. in dieser Hinsicht auch die Vorrede „An den christlichen Leser“ (TR Frankfurt 1568, fol. A 2r): „Dasselbige thut mir wehe / vnnd ist ja nicht fein / daß man mir das jenige / (so ich mit unseglicher Mühe / schwerer Arbeit / vnnd manchfeltiger grosser Unkostung / auß vieler gelehrter Leuthe / so mit Doctor Martin Luthern umbgangen sind / geschriebenen Büchern und Collectaneis / in eine Ordnung / vnnd in gewisse [Hervorhebung; I.K.] Locos communes, zusammengetragen habe /) wil nach eines jeden Gefallen besudeln / darinnen wühlen / und es zerrütten.“ Die für Lauterbach naheliegende Lösung, Aurifaber habe nur die sog. „Tagebücher“ verwendet und nicht auch die nach Loci geordnete Fassung, hält einem textkritischen Vergleich nicht stand (s. hierzu WA.TR 6, XVI). Zudem bliebe immer noch das „Problem“, dass Aurifaber – wie die Forschungen von Haußleiter gezeigt haben – auf die Gothaer Handschrift F (und damit indirekt auch auf den eng verwandten zweiteiligen Hamburger Kodex H bzw. H 74) rekurriert hat (s. S. 161 Anm. 339). An beiden zitierten Stellen spricht Aurifaber jedoch von „gewissen“ Loci und mag insofern seinen wirklichen Beitrag näher qualifizieren; ähnlich deutet Meyer die Problematik, wenn er darin einen „übertreibenden Ausdruck“ sieht für die Aussage, Aurifaber habe die Sammlung Lauterbachs „in eine andere sachliche Ordnung gebracht“ (MEYER, Sammlungen, 31). Unter der Prämisse, dass die Handschrift Cod. Guelf. 878 Helmst. (= Wolf. 980) tatsächlich eine Vorstufe zu Aurifabers Tischreden darstellt (s. S. 425 Anm. 11), läge ein Zeuge für eine thematische Gliederung aus dem Jahr 1556 vor. Unabhängig von der Frage, ab wann Aurifaber gezielt auch Apophthegma in Hinblick auf eine Edition sammelte, hätte er im Jahr 1556 zumindest die „Wellersche Tradition“ kennen können, die Lauterbach-Hänelsche stand unmittelbar vor dem Abschluss oder war bereits abgeschlossen. Die wohl ca. Mitte 1556 zu datierende Notiz der ernestinischen Räte (s. S. 312 bzw. ThHStAW, EGA, Reg. O 774, 44) könnte anzeigen, auf welchem Weg Aurifaber an die Pirnaer Sammlung gelangt war. Wie weitgehend diese Abhängigkeit z.T. 36

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Lere vnd Bestendigkeit“ (XVI), „Von Vneinigkeit“ (XLVII) sowie bedingt aufgrund anderer inhaltlicher Ausgestaltung „Von Studien“ (LXXIII) und „Vom Beruff“ (LXXX) ohne Bezug auf die Vorlagen. Dennoch griffe es zu kurz, in Aurifabers Sammlung eine schiere Verbindung der handschriftlichen Traditionen zu sehen. In seinen redaktionellen Eingriffen wird er zugleich in seiner Eigenständigkeit und seinen Propria greifbar. Dies zeigt sich bereits zu Beginn. Zwar setzte auch Aurifaber wie seine Vorlagen mit einem „dogmatischen“ Block ein, am Anfang steht bei ihm jedoch der Locus „Von Gottes Wort oder der heiligen Schrift“ (I). Es folgen „Gottes Wercke“ (II) und gesondert die „Schöpfung“ (III), so dass sich ein erkenntnistheoretischer Zugang zur „Theologie“ andeutet. Dass er zugleich immer auch Paränetisch-seelsorgerliches mit im Blick hatte, zeigt der Fortgang (IV. Von der Welt und ihrer Art; V. Von Abgötterei). Erst nach diesem „Vorspann“ kam er auf die Trinität zu sprechen (VI. Von der heiligen Dreifaltigkeit; VII. Von dem Herrn Christo; VIII. Vom heiligen Geist). Es folgt ein rechtfertigungstheologischer Block (IX– XIV), wobei zu vermuten ist, dass hier in nicht geringem Maße auch die zeitgenössischen Streitkreise im Hintergrund standen (X. Vom freien Willen; XII. Vom Gesetz und Euangelio; XIV. Von guten Werken), zumal der Block abgeschlossen wird mit dem nur bei Aurifaber vorzufindenden

ist, wurde exemplarisch in Bezug auf die den Juden gewidmeten Loci dargestellt in KLITZSCH, Juden. Zu den Konvergenzen bzw. Übereinstimmungen der Loci-Bezeichnungen vgl. z.B. „IV. Von der Welt und ihrer Art“ bzw. „Mundus illiusque ingratitvdo et malitia“ (fol. 81v). Einzelne Unteraspekte dieses Locus von Halle werden bei Aurifaber als eigene Loci anführt, z.B. „V. Von Abgötterei“ bzw. „Idolatria“ (fol. 90r) sowie „XLII. Von Aergerniß“ bzw. „Scandala“ (fol. 89v). Verwiesen sei zudem auf: „XXII. Vom Predigamt oder Kirchendienern“ bzw. „Ministerium ecclesiae et vocatio ministrorum“ (fol. 12v); „XXX. Von Mönchen ihrem Leben und guten Tagen“ bzw. „Monasteria, monachi, vita et deliciae monachorum“ (fol. 62r); „XXXIX. Von Christen und einem christlichen Leben“ bzw. „Christiani, christiana vita“ (fol. 487r); „XL. Von Heuchlern und falschen Brüdern“ bzw. „Hypocrisis. falsi fratres“ (fol. 644v); „LI. Von Verdammniß und Hölle“ bzw. „Damnatio et infernus“ (fol. 58r); „LIII. Von Allegorien und geistlichen Deutungen der Schrift, wie man damit umgehen soll“ bzw. „Allegoriae quomodo tractandae“ (fol. 260v); „LIIII. Von Legenden der Heiligen“ bzw. „Legendae sanctorum“ (fol. 43r); „LXIIII. Von fürtrefflichen Kriegshäuptleuten und Helden“ bzw. „Duces praestantes et heroici“ (fol. 325r); „LXXIX. Von der Stadt Rom“ bzw. „Roma“ (fol. 79v). Unschwer ist das Anliegen Aurifabers greifbar, seine Vorlagen stärker zu systematisieren. Im Locus „XXVIII. Vom Antichrist oder Papste“ fasst er z.B. Apophthegmata zusammen, die in Halle an verschiedenen Orten unter den Überschriften „Facultates papae“ (fol. 67r), „De Antichristo“ (fol. 270v) und „Papae“ (fol. 603v) angeführt worden waren. Dass durchaus eine noch stärkere Systematisierung möglich gewesen wäre, wird der folgende Aufriss zeigen.

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers

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Locus „Vom Bekentnis der Lehre vnd Bestendigkeit“ (XVI).38 Der Locus „Vom heiligen Katechismo“ (XI) hingegen bringt primär – wie der dem Gebet gewidmete Locus (XV) – seine paränetisch-seelsorgerliche Intention zum Ausdruck. Über die Sakramente Taufe und Abendmahl, ergänzt durch die Beichte (XVII–XIX) leitete Aurifaber zur Ekklesiologie über (XX–XXII), inklusive z.T. sehr praktischer Ausführungen zum Predigtamt bzw. den Kirchendienern (XXII). Die Lauterbach-Hänelsche Tradition ausbauend, thematisierte er daneben die Frage der Exkommunikation (XXI). Anschließend wandte sich Aurifaber ausführlich verschiedenen „Gegenspielern“ zu: Im Zentrum stehen zunächst Aussagen Luthers über den Teufel (XXV), die Aurifaber so wichtig waren, dass er die entsprechenden Loci aus F bzw. Halle nicht nur zusammenführte, sondern auch beträchtlich ergänzte. Vorbereitet wird dieser Abschnitt durch den Locus „Von Engeln“ (XXIV) und ergänzt durch Ausführungen Luthers zur Zauberei (XXVI) wie zu Anfechtungen (XXVII). Die nächsten thematischen Unterabschnitte sind – bei fließendem Übergang – den „altgläubigen“ und innerprotestantischen Gegenspielern gewidmet. Eingangs wird der Papst als Antichrist entlarvt (XXVIII), hinzu kommen Aussagen Luthers über einzelne Kontroverstheologen (XXIX) und eine kurze, im Index nicht eigens nummerierte Sammlung von Berichten über schreckliche Tode von „Papisten“. Es folgen kritische Ausführungen Luthers zu Mönchen (XXX) sowie Kardinälen und Bischöfen (XXXI). Über die Auseinandersetzung mit dem päpstlichen Recht (XXXIII) wandte sich Aurifaber den „menschlichen Traditionen“ (XXXIIII) und – davon trotz der inhaltlichen Nähe unterschieden – den Zeremonien (XXXV) zu. Zudem widmete Aurifaber der „Messe“ (XXXVI) und dem „Fegefeuer“ (XXXVII) eigene Loci.39 Spätestens mit dem nächsten Locus „Von Schwärmern, Rotten und Secten, so sich wider Doctor Martin Luthern gelegt haben“ (XXXVIII) erfolgt der Übergang zu den innerprotestantischen Gegnern – zu denen Aurifaber wie bereits der „Lauterbachsche Kreis“ auch Luthers Aussagen über die „Antinomer“ rechnete. Wohl ebenfalls wegen der Anlehnung an Halle (Hypocrisis. Falsi fratres, fol. 644v–645v) werden die „Heuchler und falschen Brüder“ (XL) in einem gesonderten Locus thematisiert. Ähnlich „nachgeklappt“ mutet der Locus über die „Sophisterey“ (XLI) an, zumal Aurifaber gegenüber Halle (Sophistica, fol. 644v) insbesondere die 38 Aurifabers Rolle in diesen Streitigkeiten wird in IV 2.1. entfaltet werden; zum Locus s. S. 498–501. 39 Letzteres, obwohl nur ein einziges Apophthegma aufgeführt wird, das jedoch bereits in Halle im mit „Damnatio et infernus“ und damit vergleichbaren Kontext überliefert war (vgl. TR, fol. 386v bzw. D 116 2°, fol. 59r bzw. WA.TR 3, 539,1–540,18 [Nr. 3695]).

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Auseinandersetzung mit Witzel fortführte. Nicht ohne Bezug auf die so entfalteten „Gegner“ ist der vom Titel zunächst primär paränetischseelsorgerlich anmutende Locus „Von Ergernis“ (XLII). Analoges gilt für die fast ausschließlich aus F übernommenen Ausführungen zum rechten Gottesdienst (XLIII). Insofern mag der den „Christen und dem christlichen Leben“ gewidmete Locus (XXXIX), dem deutlich diese ethische Zuspitzung eignet, von Aurifaber sehr bewusst in diesen kontroverstheologischen Kontext integriert worden sein. Ähnlich mag der Locus „Vom Ehestande“ (XLIIII), in dem Aurifaber die entsprechenden Loci der handschriftlichen Vorlagen zusammenführte und ergänzte, an dieser Stelle angeführt worden sein, da ihm bei aller paränetischen und praktischen Zuspitzung ebenso ein kontroverstheologischer Impetus eignet, der ebenso inhaltlich zum Tragen kommt.40 Mit den Loci zur weltlichen Obrigkeit (XLV–XLVII) wandte sich Aurifaber im Folgenden erstmals dem Bereich „politia“ zu und brachte hier als Sondergut unter der Überschrift „Von Vneinigkeit“ (XLVII) den Mansfelder Erbstreit von 1546 zur Sprache. Erst im Anschluss griff Aurifaber den „klassischen“ dogmatischen Bogen wieder auf. Ausgehend von den Krankheiten (XLVIII) werden eschatologische Loci (XLIX: Tod; L: Auferstehung und ewiges Leben; LI: Verdammnis und Hölle; LII: Jüngster Tag) thematisiert. Durch Zusammenstellungen von Aussagen Luthers zur Allegorese (LIII) bzw. den Heiligenlegenden (LIIII) leitete Aurifaber über zu einem der Frage der theologischen Bildung im Allgemeinen bzw. den Autoritäten im Besonderen gewidmeten Komplex. Am Anfang stehen die Konzilien (LV) und weltliche Versammlungen (LVI), beides historisch bzw. kontroverstheologisch zurückgebunden. Nach einem Exkurs zu der rechten Verwendung der Kirchengüter (LVII) werden die Kirchenväter (LVIII), die „Schultheologen“ (LIX), Biblische Bücher (LX), die Patriarchen und Propheten (LXI) sowie die Apostel und Jünger (LXII) thematisiert. Die folgenden Ausführungen können dann wiederum der „politia“ im weiten Sinne zugerechnet werden, hätten also durchaus auch mit dem bereits erwähnten Block zusammengeführt werden können, insbesondere der den „Edelleuten“ gewidmete Locus (LXVI). Wenn Aurifaber nicht nur den „Kriegen“ (LXIII), sondern auch den „fürtrefflichen Kriegshäuptleuten und Helden“ (LXIIII) einen eigenen Locus widmete, so liegt der Schluss nahe, hier wäre ein Niederschlag seiner Zeit als Feldprediger

40

Vgl. TR, fol. 462r–465v.

1. Die Tischredenausgabe Aurifabers

435

greifbar, doch folgt er auch hier primär Halle.41 Mit beiden Vorlagen teilt Aurifaber die Thematisierung der Gegen- bzw. Notwehr (LXV); den Locus über die Juristen (LXVII) baute er gegenüber Halle erkennbar aus. Auch den auf die Bildung bezogenen Faden griff Aurifaber erneut auf, nun jedoch grundsätzlicher. Thematisiert werden im Anschluss an den „politischen“ Block die „Schulen und Universitäten“ (LXVIII), Studien im Allgemeinen (LXXIII), worunter auch Ausführungen zu Handwerken gehörten, sowie Gelehrte (LXXIIII), deren Extension von der Antike bis in die Gegenwart reicht. Daneben treten einzelne artes (LXIX: Von der Musica; LXXI: Von der Astronomie und Sternkunst, ergänzt durch einen Locus zu den „Zeichen und Wettern“ [LXXII]) bzw. Ausführungen Luthers zu den Sprachen, v.a. jedoch den biblischen Ursprachen (LXX). Nur der den Studien gewidmete Locus ist Sondergut Aurifabers. Dass zudem die auf die „Juden“ (LXXV), die „Türcken“ (LXXVI), Länder und Städte (LXXVII) und die Stadt Rom (LXXIX) im Besonderen bezogene Loci folgen, mag an deren „informativem“ Charakter liegen. Mit dem Locus „Vom Beruf“ (LXXX) wird noch einmal ein paränetisch-seelsorgerlicher Abschnitt eröffnet. Zusätzlich werden die Trunkenheit (LXXXI) sowie das Hofleben (LXXXII) thematisiert. Inwiefern Aurifaber mit diesem Abschluss einen Subtext im Sinne einer Kritik am Weimarer Hof verband, den er 1561 im Streit verlassen musste, oder gar an den Mansfelder Grafen, mit deren Unterstützung er seine Sammlung erstellte, muss offen bleiben. Auffällig ist jedoch, dass – bei aller greifbaren Systematisierung seiner Vorlagen F und Halle – Aurifabers eigener Aufriss zumindest nicht immer stringent und abschließend systematisiert erscheint. Es zeichnet sich ab, dass er ähnlich wie F mit seiner Sammlung verstärkt auf zeitgenössische Kontroversen reagierte. Mit Halle wiederum scheint ihm insbesondere der paränetische Impetus zu verbinden. Im Unterschied zu beiden Vorlagen bietet Aurifabers Sammlung keinen auf Luther im Besonderen bezogenen Abschnitt. Nimmt man vor dem im Vorangehenden eröffneten Panorama die Rezeption in den Blick, so ist Roper zuzustimmen, dass die Tischreden primär wohl kaum darauf zielten, als Ganze gelesen zu werden, sondern selektiv: „If ever any book exemplified Andrew Pettegree’s idea that books can be brand names, objects that one owns not to read but to proclaim one’s confessional identity, it is the Tischreden. Designed to be dipped into rather than read at a single sitting, it also made Luther’s person an inseparable part of his theology, part of the Lutheran ‚packageʻ.“42 41 Zu Aurifabers Zeit als Feldprediger s. IV 2.1.2. In Halle ist der mit „Duces praestantes et heroici“ überschriebene Abschnitt Teil des Locus „Bellum, bellica“ (vgl. D 116 2°, fol. 321r–323r). 42 ROPER, Body, 368.

436

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Dass Aurifabers Tischreden von Anfang an in diesem Sinne benutzt wurden, bezeugt z.B. Cyriakus Spangenberg.43 Ab dessen neunter Predigt (vom 18. Februar 1567) dienten diesem die Sammlung weit über 100 Mal als Quelle „hauptsächlich für Aussprüche Luthers, aber auch für Nachrichten aus seinem Leben und für andere kleine Geschichtchen“44. Wechselt man jedoch die Perspektive von den Rezipienten hin zum Urheber, so wird deutlich, dass Ropers Hinweis auf die konfessionelle Prägung und die Involviertheit Luthers als Person zu konkretisieren ist. Welche Schattierung verlieh Aurifaber der konfessionellen Prägung und was bedeutete dies für die Luthermemoria bzw. das in der Tischredenausgabe greifbare Lutherbild?

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe Die vorangegangenen Ausführungen zum Aufriss haben neben Propria insbesondere die enge Bezogenheit der Tischredenausgabe auf die handschriftlichen, nach Loci geordneten Traditionen aufgezeigt. Zu den Propria gehört nun, dass Aurifabers Druckausgabe im Unterschied zur „Wellerschen“ wie „Lauterbach-Hänelschen“ Tradition einerseits keinen auf Luther im Besonderen bezogenen Locus aufweist, andererseits aber ein äquivalentes Lemma im „Register“. Insofern ist der methodische Zugriff auf die Luthermemoria bzw. das Lutherbild gegenüber den bisherigen Hauptkapiteln zu adaptieren. In einem ersten Schritt wird Aurifabers Wirken und die damit verbundene theologische Verortung in den Blick genommen (2.1). Erst vor diesem Hintergrund kann in einem zweiten Schritt sein memorialer Zugriff auf Luther adäquat entfaltet werden. Dazu werden die Rezeption der auf Luther im Speziellen bezogenen Loci der handschriftlichen Traditionen analysiert. Als Korrektiv wird das im „Register“ zu findende Lemma „Martin Luther“ herangezogen (2.2). Auf diese Weise wird bei den Analysen des von ihm geschaffenen „Funktionsgedächtnisses“ zum einen der engen Bezogenheit auf die handschriftlichen Traditionen Rechnung getragen, zum anderen wird das Lemma methodisch angemessen im Verhältnis zu einem bewusst gestalteten Locus gewichtet. Insgesamt kann so die Aurifabersche Luthermemoria differenziert konturiert werden.

43 44

Zu diesem s. S. 423f. Anm. 6. HERRMANN, Spangenberg, 40.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

2.1.

437

Aurifabers eschatologisch-prophetisch motivierte Bemühungen um Luthers Lehre und Werk

Aurifabers emsige Sammler- und Herausgebertätigkeit war von Anfang an nicht unumstritten.45 Insofern diese Kritik auch mitten hinein führt in die innerprotestantische Auseinandersetzung um das Erbe Luthers bzw. um die „rechte“ protestantische Lehre, ist Aurifabers Wirken – als Editor der Werke Luthers im Allgemeinen und der Tischreden im Besonderen – auch vor dem Hintergrund von Aurifabers Positionierung in diesen Debatten in den Blick zu nehmen, die mit der Kategorisierung als „Gnesiolutheraner“ angedeutet wurde.46 Dieser „Verabredungs-“ bzw. „Orientierungsbegriff“47 soll im Folgenden inhaltlich gefüllt werden, und zwar insofern, als Aurifabers Wirken und seine theologische Verortung als eschatologischprophetisch motivierte Bemühungen um Luthers Lehre und Werk entfaltet werden. Dazu werden Aurifabers Biographie bzw. das breite mit seinem Namen verbundene Schrifttum, das in weiten Teilen aber nicht ausschließlich Editionen von Werken Luthers darstellt, unter Rekurs auf die in der methodischen Grundlegung dargestellten historiograpischen Interpretamente, insbesondere den von Dingel erarbeiteten „apriorischen Konsens“, der allen „Gnesiolutheranern“ eigen war, zu analysieren sein.48 Als zeitliche Eckpunkte werden der Beginn seiner Studien in Wittenberg und die Publikation der Tischreden angesetzt. 2.1.1.

Die „Wittenberger Frühzeit“

Aurifabers Selbstverständnis als Anhänger Luthers und damit einhergehend seine Sammlertätigkeit haben ihren ersten Anhalt in prägenden Aufenthalten in Wittenberg.49 Dies verbindet ihn mit Weller und Lauterbach, S. IV 1.2. Vgl. z.B. JUNGHANS, Tischreden, 162f.; JUNGHANS, Geschichte, 7–9; BÄRENFÄNGER, Umgang, bes. 22–28. 47 S. S. 56 bzw. Dingels Einleitung: C&C 1, 10f. 48 Insofern wird das von Junghans benannte Desiderat einer „umfassende[n] Darstellung von Aurifabers Tischredensammlung als Lutherrezeption eines Gnesiolutheraners im Jahre 1566“ (JUNGHANS, Tischreden, 163) differenziert aufgegriffen. Zu den historiographischen Interpretamenten s. S. 77–83. 49 Dass Aurifaber selbst damit ein legitimierendes Moment verbindet, zeigen entsprechende Ausführungen in seiner scharfen Abrechnung mit Walther (vgl. AURIFABER, Antwort, B 1v–2v). Unbefangen der Apologie bzw. Legitimiation bietet Aurifaber hier einen ausführlichen Einblick in seine Studien. Für den Beginn der Sammeltätigkeit finden sich bei Aurifaber unterschiedliche Aussagen, doch dürfte dies durch unterschiedliche Bezugspunkte zu erklären sein. Das im Widmungsschreiben zum 1556 erschienenen ersten Band seiner Briefedition erwähnte „iam fere sedecim annis“ (BrA 1, fol. A 3v) führt ungefähr auf das Jahr 1540, ist thematisch aber primär auf das gezielte Sammeln von Briefen bezogen. Im Kontext der Kontroverse mit Walther datierte 45 46

438

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

doch gehörte er bereits einer anderen Generation als diese an, konnte wesentliche Ereignisse und Prozesse der Reformation nur vom Hörensagen kennen. Im Jahr 1537, als Aurifaber sein Studium in der Elbestadt aufnahm, war insbesondere die Frage des Konzils virulent, und Luther hatte in Hinblick auf Mantua seine Schmalkaldischen Artikel verfasst, denen nicht nur aufgrund seines Beinahetodes zugleich ein testamentarischer Charakter eignet. Wie einschneidend diese Erfahrung für die Anhänger Luthers und wohl auch Aurifaber selbst war, bezeugte dieser viele Jahre später in seiner Eislebener Lutherausgabe, im „historischen“ Überblick für das Jahr 1537: „Auff diesem tage ist Doctor Martinus Luther zu Schmalkald tod kranck gewesen am stein / vnd man hat jn also kranck von dannen nach Gotha füren sollen / vnd wie er auff dem Düringer Walt in das Dorff Thambach gebracht worden / ist widerumb der Vrin (mit züchten zureden) von jm gegangen / den er sonst in vielen tagen nicht hat lassen können / vnd ist also balde mit seiner Leibesschwacheit besser worden. Darob auff dem tage zu Schmalkald eine grosse freude erstanden / denn sonst alle Chur vnd Fürsten / auch der Stedte Gesandten vnd Theologen in grosser bekümernis vnd trübsal vber D. Luthers schwacheit gewesen. Es haben jn auch alle Chur vnd Fürsten in eigener person besuchet vnd getröstet / denn man seer besorget gehabt / das er alda würde gestorben sein.“50

Eine Reaktion darauf war, dass die Erstellung einer Sammelausgabe der Werke Luthers vorangetrieben worden war.51 Insofern mag bereits zu Beginn seiner Studien in Aurifaber die Überzeugung grundgelegt worden sein, dass Luthers Lehre für die Nachwelt „gerettet“ werden müsse. Unzweifelhaft lernte er in seiner Studienzeit die Ausprägung von Luthers Theologie kennen, die nach Luthers Selbstverständnis die „Schwäche“ der „Frühschriften“ hinter sich gelassen habe.52 Spätestens nachdem er 1545 Luthers letzter Amanuensis geworden war, hatte er unmittelbaren Zugang zu Luther und dieser wenig kompromissbereiten Ausformung von dessen Theologie. Zudem war Aurifaber Augenzeuge von Luthers unerwarteten Ableben in Eisleben am 18. Februar 1546 und wurde von Anfang an in die Prozesse der mit Luthers Tod einsetzenden Kontroversen um eine angeAurifaber 1565 die Anfänge seiner Bibliotheksreisen auf ca. 1546/47 (AURIFABER, Antwort, fol. B 3r: „lenger denn 18. oder 19. jar her“). Am allgemeinsten und frühesten setzt Aurifaber im kurz vor seinem Tod stattfindenden Gespräch mit Paul Luther an, in dem er berichtete, „das ehr anno 37. kegen Vitenbergk kommen, 6 Jhar des orts geblieben vnd vhon D. Pommern, D. Jonas, D. Creutzigern … diese scripta mit grossem fleysse aus den autographis abgeschrieben vnd colligirt“ (zitiert nach WA.B 14, 365 Anm. 7). 50 EislA 2, 378v. 51 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 135–145. 52 S. exemplarisch Luthers Vorrede zum ersten Band der Lateinischen Werke der Wittenberger Werkausgabe: WA 54, 179,22–180,4.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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messene Memoria hineingezogen. Zwar wird er im „offiziellen Bericht“53 nicht namentlich als Verfasser genannt, doch bezeugt er am Ende mit Justus Jonas und Michael Coelius dessen Richtigkeit: „WJr, D. Justus Jonas und M. Michael Celius und Johannes Aurifaber Vinariensis obgenant, wie wir bey des loeblichen Vaters seligen ende gewesen sind, von anfang bis auff seinen letzten odem, zeugen dis fur Gott und auff unser eigen letzte hin fart und gewissen, das wir dieses nicht anders gehoert, gesehen, sampt den Fůrsten, Graven, Herrn und allen, die dazu komen, Und das wir es nicht anders erzelet, dann wie es allenthalben ergangen und geschehen. Gott, der Vater unsers Herrn Jhesu Christi, verleihe uns allen sein gnade, AMEN.“54

Nicht minder geprägt von Luthers Tod ist Aurifabers erste eigene Publikation. Noch im Jahr 1546 edierte er dessen vier letzte, in Eisleben im Beisein der Mansfelder Grafen gehaltenen Predigten.55 Dass er das Werk eben diesen Grafen widmete, dürfte in nicht geringem Maße biographische Gründe gehabt haben. Sein Wittenberger Studium hatte ihm Graf Albrecht von Mansfeld-Hinterort finanziert. Anfang der 1540er Jahre fungierte Aurifaber dann in Wittenberg als Hauslehrer der jungen Mansfelder Grafen und 1544/45 war er Feldprediger bei Volrad von Mansfeld in Frankreich. Inhaltlich rief Aurifaber in der Widmungsvorrede den Anlass von Luthers letzter Reise und damit den historischen Ort der Predigten in Erinnerung. Zugleich werden vor dem Hintergrund von Luthers Tod erste extrem verdichtete Konturen einer auf Luthers Lehre, auf sein „Ampt“ und sein angemessenes Wuchern mit dem ihm von Gott anvertrauten „Pfundt“ sowie auf Luthers seliges Ableben bezogenen Memoria greifbar.56 Ein eschatologischer Horizont ist nicht erkennbar, ebenso wenig wird die Lehre besonders betont. Dem konvergiert, dass das Widmungsschreiben vom 20. Juni 1546 keinerlei Hinweise auf die drohende Kriegsgefahr bietet. 2.1.2.

Die Zeit als Feldprediger

Wenige Tage nach Vollendung des Widmungsschreibens brach der Schmalkaldische Krieg aus. Als Feldprediger Johann Friedrichs war Aurifaber erneut mitten im Brennpunkt des Geschehens. Die Publikationen aus dieser Phase sind einerseits wiederum ganz von ihrem Kontext her bestimmt, versuchte Aurifaber doch mittels zweier Editionen den Kurfürsten wie dessen Mitstreiter, den Mansfelder Grafen Volrad, in ihrem

WA 54, 487–496. WA 54, 496,28–36. 55 AURIFABER, Predigten; s.a. WA 51, XIV–XVI.148–196. 56 Vgl. AURIFABER, Predigten, fol. A2v–A3r. 53 54

440

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Kampf „geistlich“ zu stärken.57 Andererseits sind grundlegende Hinweise auf eine nicht nur, aber auch neu akzentuierte „Verortung“ Aurifabers greifbar. Dazu gehört zunächst ohne großen neuen Akzent die prinzipiell gattungsuntypische schiere Konzentration auf die Wiedergabe lutherischen Gedankenguts.58 Im Widmungsschreiben vom 25. Januar 1547 an seinen Dienstherrn setzte Aurifaber dann jedoch zudem an beim „toben und wüten des Teuffels“ gegen das wieder erschienene Licht des Evangeliums in der als Endzeit verstandenen Gegenwart.59 Diese heilsgeschichtliche Deutung ergänzte er u.a. durch eine von Luther vor seinem Tod vorgeblich mehrfach wiederholte und auf Erfüllung harrende „Prophecey“: „Denn die Prophecey wird war werden / die ich sampt den Ehrwirdigen Herrn / Doctore Justo Jona / M. Micheln Celio / vnd anderen zu Eisleben / von dem Ehrwirdigen Herren vnd Vater Doctore Martino Luthero seliger gedechtnis / kurtz vor seinem absterben offt gehört. Das er die zeit seines lebens / den Pfaffen vnd Mönchen gar zu weich vnd zu linde / auch ihr schutz wer gewesen / vnd habe ihnen darzu noch die Benediction gegeben. Aber er besorgt / Es werde ein ander nach ihm kommen / der es viel gröber machen / vnd inen mit einer stumpfen Sichel die Platten scheren werde / das inen das blut werde hernach gehen.“60

Bleiben diese Motive noch ganz im Rahmen des von Dingel erarbeiteten „apriorischen Konsenses“, ging Aurifaber aber bereits in dieser Phase einen Schritt weiter, wenn er Johann Friedrich nicht nur an seinen Vater und dessen „freies“ Bekenntnis zum Evangelium auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 erinnerte, sondern die vorliegende Publikation in Analogie zu Luthers damaliger Trostschriftensammlung für Johann den Beständigen verstanden wissen wollte.61 Bereits hier deutet sich an, dass Aurifaber nicht nur die Botschaft des endzeitlichen Propheten Luthers weitergeben wollte, sondern gleichsam selbst auch dessen Rolle übernahm, exegetisch gesprochen als „Prophetenschüler“ agierte bzw. eine aktualisierende Relecture und damit in ersten Ansätzen „Prophetenfortschreibung“ betrieb. 57 Aurifaber selbst begründet die Sammlung von Luthers Trostbriefen damit, dass das Beistandleisten „mit „trösten vnd beten“ sein „Ampt vnd schüldige pflicht“ als Feldprediger erfordere (vgl. AURIFABER, Trostschriften; Zitate: ebd., fol. [A 5v]); zum Inhalt dieser Schrift s. WA.B 14, 574f. [Nr. III]. 58 Er folgte hierin jedoch dem Beispiel Crucigers, der noch zu Luthers Lebzeiten eine erbaulich-tröstliche Sammlung von Luther-Zitaten publizierte. Zu dieser Schrift aus dem Jahr 1544 s. DINGEL, Lutherrezeption, 34 Anm. 4. In VD16 ist sie erst ab dem Jahr 1545 greifbar, als Doppeledition mit einer Schrift von Myconius. 59 AURIFABER, Trostschriften, fol. A 1v–A 2r. 60 AURIFABER, Trostschriften, fol. A 4r. Die hier greifbare Konvergenz mit der mentalen Welt von F erstreckt sich bis in die Rede „von dem Ehrwirdigen Herren vnd Vater Doctore Martino Luthero seliger gedechtnis“, die den Titel der 1551 abgeschlossenen Handschrift erahnen lässt. 61 AURIFABER, Trostschriften, fol. A 3r.[A 5v].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

441

Ähnlich verwies Aurifaber wenige Tage später den Mansfelder Grafen in der Vorrede zur Edition von Luthers „Bibel- und Bucheinzeichnungen“ vom 4. Februar 1547 auf die Notwendigkeit, trotz der gegenwärtigen Krise am wiederentdeckten Evangelium festzuhalten und nicht wie die Mehrheit abzufallen.62 Vice versa deutet sich hier – insbesondere den vierten Punkt des von Dingel eruierten Konsenses zuspitzend – das Selbstverständnis an, die „wahre“ Kirche (als „Restkirche“) zu repräsentieren. Aurifabers Hinweise auf das „Kreuz“, das zur christlichen Existenz gehört und der Besserung dient,63 sind demgegenüber zunächst primär ein klassisches Motiv der Consolatio-Literatur.64 Spätestens durch die wenige Wochen später erfolgte militärische Niederlage bei Mühlberg dürfte diese theologische Einsicht jedoch existenziell vertieft worden sein und ebenfalls die „Verortung“ Aurifabers mitbestimmt haben. 2.1.3.

Aurifabers Wirken am Weimarer Hof

Dass Aurifaber den unterlegenen und in Folge degradierten Ernestinern treu blieb, ist vor dem bisher Dargestellten wenig überraschend. Bereits ab 1547 ist er am Weimarer Hof greifbar, zunächst als Unterstützung des dortigen Hofpredigers Johannes Stoltz (ca. 1514–1556),65 ab 1550 dann als zweiter und nach Stoltz’ Tod als alleiniger Hofprediger. Als solcher ist er in Blick auf das mit seinem Namen verbundene Werk wiederum in der Funktion als Seelsorger greifbar. Hier zeigt sich, wie wenig Aurifabers theologische Grundfesten durch die Krisenerfahrung erschüttert wurden. Wie im Krieg diente ihm Luthers Werk als Quelle des Trostes für seine Dienstherren. Wiederum sind zwei Editionen zu nennen. Anfang 1548 eignete er Johann Friedrich und dessen Bruder Johann Wilhelm eine „kurzte vnd tröstliche“, auf der Coburg entstandene Psalmenauslegung Luthers zu.66 Aurifabers Widmungsschreiben legt den Akzent auf das Motiv der „Restkirche“, die von Gott in der aktuellen Krise erhalten und beschützt werde, wie anhand der Perikope von der Sturmstillung (Mt 8,23–27) und insbesondere anhand der Geschichte Judas vor Christi Geburt verdeutlicht wird: „Darzu so waren grosse spaltung inn der Religion / vnd nicht geringe irrthumb inn Gottes diensten / durch Krieg / Heidnische sitten vnnd frembde völcker eingefüret etc. Inn solcher betrübter vnd elender zeit / erhielt Gott seine Christliche Kirche / vnd Vgl. WA 48, XLVIIIf. – zur Ausgabe s. ebd., XV–XVII.XLIIf. Vgl. WA 48, XLIX bzw. AURIFABER, Trostschriften, fol. [A 4v]. 64 S. hierzu grundlegend: MOOS, Consolatio. 65 Zur Biographie des jung verstorbenen Weimarer Hofpredigers und Beichtvaters Johann Friedrich I. s. immer noch JAUERNIG, Stoltz. 66 AURIFABER, Auslegung. Die Datierung auf den Jahresanfang liegt von der „wündschung eines glückseligen newen Jars“ (ebd., fol. A 4v) nahe. 62 63

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

muste dennoch inn dem zurfallenen Königreich ein kleines heuflein bleiben / welches die reine lehre vnnd rechte Gottesdienste hatte […].“67

Zudem wurde die gegenwärtige Situation von Aurifaber als „Aprilwetter“ gedeutet, auf das der Sommer folge, in dem „die liebe Kirche / so sonst lange veriagt / verfolgt vnd geplagt wird / wider wachse / grune vnd zuneme“68.

Mit dem Andauern der schwierigen Zeit haben sich in der zweiten Edition die Gewichtungen der Trostmotive verschoben, insofern nicht mehr die „hoffnungsvolle“ Zusage im Vordergrund stand. Ende Januar 1549 hatte Aurifaber dem gefangenen Kurfürsten eine Sammlung von Trostbriefen übermittelt.69 Erst deren erweiterte, der ehemaligen Kurfürstin Sibylla gewidmete Fassung wurde 1550 publiziert. Im Vorwort rekurrierte Aurifaber auf die Verzweiflung und anschließende wunderbare Errettung der Israeliten am roten Meer als Exempel und ermahnte von hier zum einen, in Geduld auf Gottes rettendes Handeln zu warten. Zum anderen verband er damit aber auch elaborierter als in der Widmungsvorrede an Johann Friedrich aus dem Jahr 1546 und v.a. als in der Psalmenedition die Deutung des gegenwärtigen Leides als Bußaufruf: „So wil Gott auch / das die Christenheit seinen zorn widder die sünde erkennen vnnd sich fur ihm fürchten lerne / denn die welt lebet sonst sicher dahin / in fressen vnd sauffen / vnzucht / vnd dergleichen sünden vnd schanden / vnd gedenckt nicht anders / denn Gott sey der sünde so feindt nicht / Der teuffel sey nicht so schwartz / noch die Helle so heiß / wie man sie machet. Darumb so mus das gerichte am hause Gottes anfangen / auff das die Christen zur busse vnd besserung ihres Lebens gebracht werden / vnd nicht in sicherheit / wie die welt / gerathen, Vnd wirdt an den Christen der gantzen Welt auch ein spiegel fürgehalten / das jhnen Gott ihre Sünde auch nicht schencken / sondern / wo man sich nicht bessert / ernstlich straffen werde.“70

Auffällig ist an diesem Aufruf zur Buße bzw. zur Besserung, trotz aller eindrücklichen Bilder, dass weiterhin die „allgemeine“ Verfasstheit und nicht eine konkrete Strafe Gottes wegen Abfalls vom wahren Glauben als Anlass genannt wird. Nimmt man beide Editionen zusammen, wird deutlich, dass mit der theologischen Verarbeitung der Krise keine Infragestellung des vorangegangenen Handelns bzw. der eigenen Position einherging. Im Unterschied zur Argumentation im Schmalkaldischen Krieg verzichtete Aurifaber nun aber auf die eschatologische Konnotierung, was Vgl. AURIFABER, Auslegung, fol. A 2r–3r. Zitat: ebd., fol. A 3r. AURIFABER, Auslegung, fol. A 3v. 69 Zu dieser Sammlung s. WA.B 14, 367f.; HAUßLEITER, Trostsprüche. Zumindest von Mai 1552 bis zur Freilassung des geborenen Kurfürsten im August / September weilte er zudem persönlich bei diesem (vgl. WA.B 14, 364 Anm. 6). 70 AURIFABER, Psalm; hier: ebd, fol. A 2a–4a – zu dieser Ausgabe s. WA.B 14, 576f. [Nr. IV]. 67 68

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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den grundsätzlichen Charakter bestärkt. Dennoch ist mit dem Wirken als Seelsorger nur ein Aspekt benannt. Neben die seelsorgerliche Dimension tritt als zweites Moment eine starke Involvierung in die ernestinische Konfessionspolitik.71 Aurifaber – so die zu entfaltende These – trug diese mit bzw. trieb sie zumindest punktuell voran und positionierte sich deutlich in den zeitgenössischen Prozessen. Das gegen das kaiserliche Interim gerichtete Gruppengutachten ernestinischer Theologen vom 28. Juli 1548 entsprach insofern einerseits der Haltung Johann Friedrichs I., zugleich wurde diese von den beauftragten Theologen theologisch untermauert und mitgetragen, namentlich auch von Aurifaber.72 Zudem war Aurifaber eingebunden in den wiederum von Johann Friedrich nachdrücklich forcierten Prozess der Normativierung der Schmalkaldischen Artikel als neben die CA tretende Bekenntnisgrundlage, was aber aufgrund seiner Prägung durch die „späte“ Ausformung von Luthers Theologie gewiss auch seiner Überzeugung entsprochen haben dürfte. Dies ist insbesondere greifbar an der 1553 von beiden Hofpredigern – auf Wunsch des aus der Gefangenschaft entlassenen „geborenen Kurfürsten“ – herausgegebenen Neuauflage.73 Die auf Laetare 1552 datierte Vorrede ist eingangs vornehmlich eine Auseinandersetzung mit Osianders heterodoxer Rechtfertigungslehre, doch werden die Artikel auch als Widerlegung der Antinomern bzw. Agricolas, der „Sacramentirer“, Interimisten, Adiaphoristen und Georg Majors Lehre von den guten Werken sowie als Norm für das „negst[e] Concili[um] zu Trient“ konzeptuali71 S. in dieser Hinsicht die Dissertation von Gehrt, der Aurifaber sogar „eine Schlüsselrolle in der ernestinischen Konfessionspolitik“ zuschreibt (GEHRT, Konfessionspolitik, hier: 212. S.a. ebd., 40). Die von Jauernig angedeuteten Versuche, Johann Friedrichs „Hartnäckigkeit […], mit der dieser alle Kompromisse in kirchlich-religiösen Fragen abgelehnt hat“, auf Aurifabers „Einfluss“ zurückzuführen (JAUERNIG, Aurifaber, 147), dürften Aurifabers Rolle ebenfalls zu stark bzw. die anderer Protagonisten des Weimarer Hofes zu schwach gewichten (vgl. in dieser Hinsicht auch die Ausführungen Leppins zur „theologischen Verarbeitung“ des Interims durch Johann Friedrich I.: LEPPIN, Verarbeitung). 72 Vgl. exemplarisch deren Mitwirkung am Gutachten vom 28. Juli 1548 – ediert in C&C 1, 187–202 [Nr. 6]. 73 Außen vor gelassen wird die im Wesentlichen gleiche Ausgabe von 1555, insofern das Vorwort zu dieser nur von Stoltz verfasst wurde. Zu diesem Moment der Konfessionspolitik Johann Friedrich I. und seiner Nachfolger s. LEPPIN, Verarbeitung, bes. 114–123; MICHEL, Kanonisierung, 289–291; KOCH, Reaktionen, bes. 322f.; GEHRT, Konfessionspolitik, bes. 61–68.88 Anm. 242 sowie darauf aufbauend GEHRT, Beobachtungen. Zur Neuedition s.a. FÜHRER, Artikel, 427–429; VOLZ, Urkunden, 197f. mit Anm. 1. Zur komplexen Genese der Artikel selbst und zur Forschungskontroverse um deren Gehalt und Absicht s. bes. SPEHR, Bekenntnis; BAUER, Brisanz sowie BAUER, Anspruch. Einblick in die Überlieferungsgeschichte bietet BLAHA, Artikel.

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siert.74 Im Hintergrund steht das in der Trostschrift von 1550 noch als fehlend aufgefallene Verständnis der Gegenwart als Endzeit.75 Hinzu kommt jedoch die für das Selbstverständnis nicht minder erhellende Vorstellung, dass Gott aktuell Menschen „erwecket hat“, die gegenüber Osiander das wahre Bekenntnis vertraten.76 Neben Luthers Lehre als Garant der Wahrheit tritt also die Vorstellung, dass es auch nach Luthers Tod noch „Verkünder der Wahrheit“ gibt. Zwar ziehen die Hofprediger die Konsequenz nicht ausdrücklich, doch weist das Vorwort sie als solche aus. Somit zeichnet sich phänomenologisch ein quasi-prophetisches Selbstverständnis ab. Dass zu den für die Weimarer mit Blick auf Trient zu konzilianten Personen insbesondere Melanchthon gehörte, macht die Kommentierung von dessen Vorbehalt bezüglich des Papstes deutlich, in der dem Wittenberger eine Kehrtwendung weg von seinem eigenen Einwand vorgeworfen wird: „Nu aber gibt man dem Bapst den primat nicht alleine vber die Bischoue / so er sonst hat / sondern auch vber die unserer / ia Christi Kirche / die tzuuor den Antichrist verdammet / verbannet / vnd sich gentzlich von ihm abgesondert haben. Desgleichen gibt man auch seinen Bischoffen das Regiment vber die Kirchen Christi / […].77

Dieser scharfen Kritik an Melanchthon korrespondiert, dass kein einziges direktes Schreiben von Melanchthon an Aurifaber überliefert ist. Die wenigen Erwähnungen sind zudem von Konflikt und Gesprächsverweigerung geprägt.78 Insgesamt lässt das Vorwort zur Neuedition neben der hohen Wertschätzung der Schmalkaldischen Artikel erkennen, dass die beiden Hofprediger nicht nur am Weimarer Hof eine zentrale Rolle spielten, sondern 74 Vgl. AURIFABER / STOLTZ, Artikel. Zur Auseinandersetzung mit Osiander s. ebd., fol. A 2r–B 4v; die weiteren heterodoxen Gruppierungen werden im Anschluss angesprochen: ebd., B 4v–C 2r. 75 Vgl. AURIFABER / STOLTZ, Artikel, fol. A 2v. C 2r. 76 Vgl. AURIFABER / STOLTZ, Artikel, fol. B 2r. 77 AURIFABER / STOLTZ, Artikel, fol. f 4r. 78 Breiten Raum nimmt in Melanchthons Korrespondenz eine von den Hofpredigern gegen die Astrologie verfasste Schrift ein, durch die deutlich wird, wie tiefgehend der Dissens zwischen den Kontrahenten ist (vgl. CR 8, 226f. [Nr. 5546]; 235f. [Nr. 5558]; 313 [Nr. 5633]; 329 [Nr. 5652]; 329f. [Nr. 5653]). Im Juli 1556 macht Melanchthon deutlich, dass er ein Gespräch mit Menschen wie (dem verstorben) Stoltz, Gallus und Aurifaber für nutzlos hält (vgl. AURIFABER / STOLTZ, Verlegung bzw. CR 8, 797 [Nr. 6031]). Im August 1559 nimmt er die positive Erwähnung des Breslauer Johannes Aurifaber zum Anlass, diesen dem Weimarer in negativer Weise zu kontrastieren: „[…] praesertim cum ibi sit Ioannes Aurifaber Vratislaviensis, de quo nuper dicebat ad me vir honestissimus exul Anglicus, se non vidisse in omni vita sua virum meliorem. Etsi amo in laudando mediocritatem, tamen hic sermo significat, magnam esse integritatem in illo Aurifabro Vratislaviensi, dissimilo Aurifabro Wimariensi, cuius nuper atrocissimi sermones mihi recitati sunt“ (CR 9, 901 [Nr. 6802]).

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in dieser – in gewisser Weise prophetisch aufgeladenen – Funktion auch rege und kritische Beobachter der zeitgenössischen theologischen Entwicklungen waren und für die Reinheit der Lehre Verantwortung übernahmen, sowohl im Territorium als auch darüber hinaus. Dies kann zum einen am von Stoltz und Aurifaber nach dem Tod von Johann Friedrich I. im April 1554 verfassten Memorandum vertieft werden. Plädiert wird darin nicht nur für die Fortsetzung der Jenaer Ausgabe der Werke Luthers, sondern auch für die Berufung von Flacius sowie eine Kirchenvisitation, bei der die „luthergemäße“ theologische Bildung wie der Lebenswandel der Amtsträger im Vordergrund stand.79 Zum anderen kann auf die seit 1554 gärende Auseinandersetzung mit dem Gothaer Superintendenten Justus Menius verwiesen werden.80 Hier war die treibende Kraft sicherlich Amsdorff, dennoch waren die Hoftheologen in die Prozesse mit eingebunden. Zur Eskalation führte die von Amsdorff und Stoltz erhobene Forderung an die Mitglieder der Visitationskommission – und damit auch Menius – bestimmte Bücher wegen „adiaphoristischer“ bzw. „majoristischer“ Irrtümer zu indizieren. An der nach Stoltz’ Tod stattfindenden, eigentlich auf Befriedung des innerernestinischen Konfliktes zielenden Eisenacher Synode vom August 1556 nahm Aurifaber teil.81 In die daraus resultierenden, von Amsdorff angestoßenen Debatten, die als „dritte Phase“ des „Antinomistischen Streites“ bezeichnet werden,82 wurde er immer wieder durch Briefe involviert, ganz zentral z.B. durch Amsdorffs Schreiben an ihn vom 4. September 1556. In diesem erläuterte Amsdorff seine Kritik an der ersten These und sprach despektierlich von „gewesch“, was zum Schlagwort avancierte und die weiteren Debatten belasten sollte.83 Stärker selbst als „Protagonisten“ in den zeitgenössischen Debatten sind die Hoftheologen zum Dritten mittels Publikationen greifbar. Zwar gehörten weder die von Stoltz im Modus eines Traumgesichtes, wohl vornehmlich gegen Camerarius verfasste Verteidigungsschrift Luthers, in der er die Reformationsgeschichte bis zu den 1554/55 aktuellen Streitkreisen

79 S. hierzu GEHRT, Konfessionspolitik, 85–94 bzw. 86 Anm. 231. Zur Berufung von Flacius s. ebd., 109–114. 80 S. hierzu GEHRT, Konfessionspolitik, 99–109; RICHTER, Gesetz, 132–169. 81 Ediert in C&C 4, 29–43. 82 Die „dritte Phase“ des „Antinomistischen Streites“ ist grundgelegt in der ersten These der Eisenacher Synode vom 7. August 1556, mit der eigentlich ein Schlussstrich unter den Streit um die guten Werke gezogen werden sollte. Dort wird ausgeführt, dass die These von der Heilsnotwendigkeit der guten Werke „in doctrina legis abstractiue, et de idea tolerari potest“ (C&C 4, 30). Zu diesem Streitkreis s. Dingels Einleitungen (C&C 1, 20–22; C&C 4, 3–15) sowie RICHTER, Gesetz, bes. 132–355. 83 Zu diesem Schreiben s. GEHRT, Konfessionspolitik, 106 mit Anm. 37; RICHTER, Gesetz, 152 mit Anm. 150.

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aus Sicht Luthers entfaltete,84 noch die von Aurifaber 1558 posthum mit einem eigenen Vorwort publizierten Thesen von Stoltz gegen Pfeffingers Lehre vom freien Willen85 zu den die Debatten bestimmenden Schriften, dennoch zeigen sie etwas vom Selbstverständnis und der theologischen Positionierung der Hoftheologen. In diesem Zusammenhang gerät zum Vierten nun auch Aurifabers paralleles Wirken als Editor von Luthers Werk in den Blick. Seine federführende Rolle bei der Edition der Jenaer Lutherausgabe (1554–1558) ist auch als Kampf um die „wahre“ Lehre zu deuten. Zur „verfälschten“ Wittenberger Werkausgabe wurde ein authentischer „Gegenkanon“ geschaffen.86 Dessen Extension versuchte Aurifaber schon im Vorfeld, d.h. ab 1553 und damit noch zu Lebzeiten von Johann Friedrich, durch die Edition von Briefen Luthers zu erweitern, scheiterte aber zunächst. Erst in Herzog Johann Friedrich dem Mittleren fand er einen aufgeschlossenen Förderer, beschleunigt wurde die Realisierung zudem durch Gerüchte, ein Wittenberger Gegenprojekt stehe vor der Vollendung,87 was eindrücklich vor Augen führt, wie tiefgehend die Abgrenzung das eigene Denken und Handeln prägte. Im Unterschied zur Jenaer Ausgabe ist Aurifaber bei der Edition der Briefbände – wie bei der Eislebener Ausgabe – allein die verantwortliche Kraft, so dass die Bände von ihm verfasste Widmungsschreiben aufweisen. Den 1556 erschienenen ersten Band (BrA 1), der als einziger in Aurifabers Weimarer Phase publiziert wurde, widmete der seit kurzem allein als Hofprediger fungierende dem Pfalzgrafen Ottheinrich.88 Vor dem skizzierten Hintergrund dürfte es zu kurz greifen, das Widmungsschreiben allein als finanziell motiviert zu deuten. Vielmehr übernahm Aurifaber mit diesem auf den 21. September (Tag des Apostels Matthäus) datierten Schreiben Verantwortung für die Bewahrung und Verbreitung der Lehre Luthers und versuchte, sich in aktuellen Debatten entsprechend einzubringen.89 Zu diesem Zweck änderte er seine ursprüngliche Absicht, den Band den Weimarer Herzögen zu dedizieren90 und wählte stattdessen den erst seit Ende Februar 1556 als Kurfürst der Pfalz amtierenden Ottheinrich, der wenige Wochen später mit seiner Kirchenordnung die Reformation „endgültig“ in seinem Terri84

Vgl. STOLTZ, Defensio; zum Kommunikationskontext s. SANDEL, Medialität,

457. Vgl. STOLTZ / AURIFABER, Refutatio. Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 165–217; JAUERNIG, Lutherausgabe; GEHRT, Konfessionspolitik, 68–73. Das acht deutsche und vier lateinische Bände umfassende Projekt war bereits 1558 abgeschlossen. 87 Zu Aurifabers Lutherbriefedition s. WA.B 14, 369–392, zur angedeuteten Vorgeschichte s. ebd., 369–378. 88 S. EDEL, Ottheinrich; WA.B 14, 378f. sowie KURZE, Kurfürst. 89 Vgl. BrA 1, fol. A 2r–[* 6r]. 90 S. WA.B 14, 378 Anm. 68. 85 86

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torium eingeführt hatte. Trotzdem war dieser keine unbedeutende Gestalt. Ottheinrich trat sogleich als „protestantische Macht mit Führungsanspruch innerhalb des evangelischen Lagers wie auch auf Reichsebene auf“91.

Als Aurifaber ihm seine Briefedition widmete, hatte Ottheinrich sich erfolgreich darum bemüht, die Frage des „Geistlichen Vorbehaltes“ auf die Tagesordnung des seit 5. Juli tagenden Regensburger Reichstages von 1556/57 zu setzen.92 Zudem erfolgte die Widmung vor dem Hintergrund des Ringens um eine innerprotestantische „Vergleichung“, in deren Zusammenhang eine Unterstützung der ernestinischen Position seitens Ottheinrich eine deutliche Stärkung bedeutet hätte.93 Wenn Aurifaber also den pfälzischen Kurfürsten anderen Landesherren als nachahmenswertes Vorbild vor Augen stellte, dürfte er damit einerseits primär dessen Eintreten für das Luthertum im kurpfälzischen Territorium im Blick gehabt haben. Andererseits dürfte bei den folgenden Worten auch die Hoffnung auf einen entsprechenden konfessionspolitischen Kurs im Reich verbunden gewesen sein: „Tuae uero Celsitudini, Illustrissime Princeps, hoc nouum & ante in lucem non editum opus Epistolarum, praecipue offere ac dedicare uisum est: quod sciam T⌊uam C⌊elsitudinem Lutheri doctrinam colere & venerari: & in hoc nunc unice incumbere, ut sub T⌊ua C⌊elsitudine amplissima ditione, Eclessijs pure perspicue & incorrupte tradatus, & ad caeteras etiam regiones propagetur. Haec T⌊uae C⌊elsitudinis pietas ac egregia uirtus, cum alijs etiam Germaniae principus, exemplo esse deberet, quod in conseruanda puritate coelestis doctrinae, & in fugiendis & detestandis corruptelis & haeresibus, imitarentur.“94

Hinzu trat jedoch noch ein weiteres Moment, wie die abschließende Bitte zeigt: „Deum precor, ut T⌊uam Celsitudinem, huius aetatis uerum Ecclesiae nutritorem ac patronum, diu conseruet superstitem.“95

Aurifaber rekurrierte hier auf die Vorstellung von der Verantwortlichkeit des Landesherrn für die Kirche. An diesem Rekurs ist für Aurifabers Selbstverständnis nun weniger das Aufgreifen dieser Vorstellung als erSLENCZKA, Schisma, 43. S. hierzu SLENCZKA, Schisma, 40–46; BUNDSCHUH, Religionsgespräch, bes. 116– 121.152–158. 93 Zu Ottheinrichs Kurs bis zum Jahr 1556 vgl. KURZE, Kurfürst, 53 mit 136 Anm. 1 sowie BUNDSCHUH, Religionsgespräch, 108–110. Zum „Wormser Religionsgespräch“ von 1557 und dem dortigen Scheitern der Einigungsbemühungen s. SLENCZKA, Schisma sowie BUNDSCHUH, Religionsgespräch. 94 BrA 1, fol. [* 6r]. 95 BrA 1, fol. [* 6r]. 91 92

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

neut die damit von ihm übernommene Rolle entscheidend. In seinem Bemühen, die von Luther im Auftrag Gottes verkündete Lehre zu bewahren und weiter zu propagieren, „maßte“ er sich auch an, Potentaten zu dirigieren. Erneut deutet sich also das Motiv des abgeleiteten Mahners und Herolds an, und damit, exegetisch gesprochen, die Rolle des „Prophetenschülers“. Auf Grundlage der Vorrede von 1556 sind diesbezüglich zunächst die folgenden Aspekte zu vertiefen. Zum einen ist darauf zu verweisen, dass entgegen der ersten Veröffentlichungen „Luther“ als Person fast gänzlich hinter der Lehre zurücksteht und damit der erste Punkt von Dingels apriorischen Konsens, d.h. die Werkzeugfunktion Luthers, in extremer Weise zugespitzt wurde. Dies kann an der gesamten Widmungsvorrede dargelegt werden. Zunächst stellte Aurifaber dem Fürsten allgemein die mehrheitliche Verachtung des „ministerium Euangelij“ vor Augen.96 Daraus entwickelte er eine heilsgeschichtliche Abfolge von „doctores“, die zu allen Zeiten von Gott erweckt und mit den zur Reinigung der Lehre („repurgatio doctrinae“) und Sammlung der Kirche („collectio Ecclesiae“) notwendigen Gaben ausgestattet worden wären. Dieser „catalogus Doctorum“ gipfelt – in der als Endzeit („mundi senecta“) verstandenen „Gegenwart“ – im „ministerium“ Luthers und seinen Schriften. Selbst der nachträglich ergänzten „Brevis narratio de Vita, & initijs ac incrementis doctrinae Lutheri“ eignet diese Fokussierung auf die „Lehre“:97 Aurifaber schilderte dort auf etwa zwei Seiten nur „parum“ über die Vita98 und fügte über neun Seiten „aliqua de ipsius Doctrina“ an.99 Begründet wurde diese Darstellung abschließend mit der Bezeugung von Dankbarkeit Gott gegenüber für die Bewahrung und Ausbreitung dieser als von Gott offenbarten und eingesetzten Lehre, verbunden mit der Bitte um weitere Erhaltung derselben.100 Selbst die Problematisierung von Luthers Naturell zielte auf die Lehre. Zwar wurde damit auch die konzentriert im Stichwort „filoneiki,a“ greifbare Kritik zurückgewiesen, dennoch ging es nur in zweiter Linie um eine Auseinandersetzung mit dieser bzw. mit Melanch-

Vgl. BrA 1, fol. A 2r. BrA 1, fol. [A 4r–* 5r]. Diese weist eine eigene Zählung auf (s. WA.B 14, 378 Anm. 68) und umfasst – dem zeitlichen Rahmen des Bandes entsprechend – die Jahre bis 1521/1522, d.h. Luthers Wartburgaufenthalt. 98 Vgl. BrA 1, fol. [A 4r–* 1r]. 99 Vgl. BrA 1., fol. [* 1r–* 5r]. 100 Vgl. BrA 1, fol. [* 5r–v]: „[…] ut grati simus Deo, pro hoc illustri beneficio eius: quod hanc doctrinam contra tot insidias ac furores Papae, omnium Academiarum, & tot doctissimorum uirorum, multorum etiam Regum & Principum persecutiones, semper conseruauit & propagauit. Illud enim egregium testimonium ac argumentum est, hanc doctrinam diuinitus reuelatam ac instauratam esse. Deum itaque toto pectore precemur, ut uocem coelestis doctrinae, in his regionib⌊us non sinat collabi […].“ 96 97

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thon.101 In erster Linie sah Aurifaber durch die Edition der frühen Briefe belegt, dass Luther in der Frühphase viel zu zurückhaltend gegenüber dem Papsttum agiert hatte; erst später hatte er dieses als „Antichrist“ identifiziert und sich selbst korrigiert: „Nondum enim lux & cognitio doctrinae Euangelij tanta in eo exorta erat.“102

Vice versa bedeutet dies: Erst die spätere, wenig kompromissbereite Gestalt der lutherischen Lehre, die Aurifaber selbst im Studium kennengelernt hatte, ist die vollendete. Zum Anderen bleiben die in der direkten Anrede Ottheinrichs nur angedeuteten innerprotestantischen Streitigkeiten auch im Vorangehenden eher unkonkret, dennoch wurde ein entscheidender Akzent gesetzt. Aurifaber lenkte den Blick auf die vergangene Bewahrung Luthers bzw. das stetige („semper“) siegreiche Hervorgehen Luthers aus den Kämpfen um die wahre Lehre und wollte dies mahnend als Trost („consolatio“) in den aktuellen Auseinandersetzungen verstanden wissen. Dies gilt um so mehr, als es bereits damals gleichsam ein herkulisches Ringen mit der Hydra gewesen sei, der immer neue weitere Köpfe nachwuchsen. Deshalb müsse man „jetzt“ der Hilfe Christi gewiss („certus“) sein.103 Nach dem öffentlichen Scheitern der Bemühungen um eine einheitliche protestantische Position im Vorfeld des bzw. auf dem Wormser Religionsgespräch gehörte Aurifaber neben Basilius Monner – zum Fünften – zu den Unterstützern einer neuen Bekenntnisschrift, in der die von der wahren Lehre abweichenden Positionen zu widerlegen seien.104 Treibende Kraft war Flacius, aber neben diesem beauftragte Herzog Johann Friedrich II. Aurifaber und den Mansfelder Superintendenten Erasmus Sarcerius, der sich in Worms den Ernestinern angeschlossen hatte, mit der Schlussredaktion des ernestinischen Sonderbekenntnisses, d.h. des Konfutationsbuches.105 Nach dem programmatischen Vorwort des Herzogs, in dem die Schmalkaldischen Artikel nun ganz offiziell neben die Bibel, Confessio

Zu diesem Streit um Luthers „Naturell“ s. S. 232f. BrA 1, fol. [* 5v] 103 Vgl. BrA 1, fol [* 5v–* 6r]. 104 S. GEHRT, Konfessionspolitik, 122–137. Bereits 1559 erlebte das Konfutationsbuch drei Auflagen, die von Maximilian Mörlin erstellte deutsche Übersetzung sogar vier (vgl. GEHRT, Konfessionspolitik, 130 Anm. 152 bzw. 568f.). Am Wormser Religionsgespräch nahm Aurifaber, da er mit Herzog Johann Friedrich in Markgraf-Baden weilte, zwar nicht persönlich teil, war aber bestens informiert, wie sein Schreiben vom 13. September 1557 (CR 9,269–272 [Nr. 6341]) zeigt – s. hierzu SLENCZKA, Schisma, 19.213–215; zum Wormser Religionsgespräch s.a. BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch. 105 GEHRT, Konfessionspolitik, 130. 101 102

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Augustana und die Apologie treten106, werden in neun Kapiteln theologische Irrtümer widerlegt und verurteilt, wie der – mit Folioangaben versehene – „Catalogus omnivm errorum et corruptelarum“ zeigt: I. Confutatio Erroris Serueti […]. II. Confutatio Erroris Schuenckfeldij […]. III. Confutatio Erroris Antinomorum […]. IV. Confutatio Erroris Anabaptistarum […]. V. Confutatio Erroris Zuinglij […]. VI. Confutatio Erroris de libero Arbitrio […]. VII. Confutatio Erroris Osiandri et Stanckari […]. VIII. Confutatio Erroris D. Maioris […]. IX. Confutatio Erroris Adiaphoristarum […].107

Beides, die antithetische Entfaltung wie die Erhebung der Schmalkaldischen Artikel zum verbindlichen Bekenntnis, war letztlich bereits im oben erwähnten Vorwort zu deren Neuedition grundgelegt.108 Volker Leppin hat nun jedoch darüber hinaus herausgearbeitet, dass der Aufbau der neun Kapitel eine „Linie absteigender Konsensualität […]: vom Gemeinchristlichen zum nur noch im nichtmelanchthonischen Luthertum gewahrten Glaubensbestand“109

erkennen lässt. Wenn also „[im] Verlauf der impliziten Argumentation des Textes […,] die Schar der Aufrechten und wahrhaft Gläubigen immer kleiner [wird]“110,

so steht im Hintergrund letztlich erneut die theologische Vorstellung von der „Restkirche“, in der allein die Wahrheit noch bewahrt wird. Diese Überzeugung war bereits im Kontext des Schmalkaldischen Krieges greifbar, nun prägt sie das Selbstverständnis bis hinein in die Struktur des ernestinischen Sonderbekenntnisses. Dass mit der Position des Weimarer Hofpredigers tatsächlich ein hoher Wahrheitsanspruch einhergeht, wird z.B. in Aurifabers Vorwort zur 1558 posthum edierten Schrift von Stoltz, gerichtet gegen Pfeffingers Lehre vom freien Willen, greifbar: „Non solum ille PRODITOR est ueritatis, qui pro ueritate mendacium dicit, sed etiam ille, qui non LIBERE ueritatem PRONVNCIAT, quam libere pronuniare oportet, aut non libere ueritatem DEFENDIT, quam libere defendere conuenit. Sicut enim sacerdos DEBITOR est, ut ueritatem, quam audiuit a Deo, LIBERE praedicet. Ita Laicus DEBITOR est, ut ueritatem, quam audiuit a sacerdotibus proditam quidem in scripturis magna FIDUCIA defendat. Quod si non fecerit, PRODIT ueritatem, Haec ille.“111

Confutatio, fol. a 3r–v. Confutatio, fol. a 6v. 108 S. S. 444f. 109 Zu dieser inneren Logik der neun Kapitel, in der sich das Selbstverständnis der Ernestiner als „einsame“ Bewahrer der „evanglischen Wahrheit“ widerspiegelt, s. LEPPIN, Bekenntnisbildung, bes. 222–224, 223. 110 LEPPIN, Bekenntnisbildung, 223. 111 STOLTZ / AURIFABER, Refutatio, fol. A 4r–v. 106 107

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Insofern ist es nur konsequent, dass es im Zusammenhang mit der Abkehr des Weimarer Hofes von den „Gnesiolutheranern“ im Jahr 1561 auch zum Bruch zwischen Johann Friedrich II. und Aurifaber kam.112 Am Anfang stand eine Predigt Aurifabers, in der er – in Fortführung seines quasiprophetischen Selbstverständnisses – die aktuellen konfessionspolitischen Entscheidungen seines Landesherrn harsch kritisierte, damit den Verlust der reinen Lehre bzw. Gottes Strafgericht analog zur Niederlage im Schmalkaldischen Krieg verband. Den geforderten öffentlichen Widerruf verweigerte der inzwischen Suspendierte, weitete die Kritik am obrigkeitlichen Handeln vielmehr aus, so dass sein Abschied politisch unvermeidbar war.113 2.1.4.

Die 1560er Jahre

Die bisherigen Ausführungen zur Editionstätigkeit bzw. theologischen „Verortung“ Aurifabers haben gezeigt, dass diese in besonderer Weise von der Vorstellung getragen ist, zur kleinen Schar derer zu gehören, die die „wahre Lehre“ vertreten. In seinem Anliegen, diese zu propagieren, ging es Aurifaber nicht darum, eine „neue“ oder „eigene“ Lehre zu vertreten. Genauso wenig arbeitete er – abgesehen von der kurzen Phase nach Luthers Tod – verstärkt an der Memoria Luthers als Person. Vielmehr wollte er die von Luther im Auftrag Gottes verkündete Lehre bewahren und verbreiten, wobei er damit auf die „späte“ Ausgestaltung zielte und logisch konsistent den Schmalkaldischen Artikeln eine hohe Wertschätzung entgegenbrachte. Insofern trat er als abgeleiteter Mahner und Herold auf, exegetisch gesprochen als „Prophetenschüler“, der die „Lehre“ des „Propheten“ überlieferte bzw. fortführte. Als solcher beurteilte er zeitgenössische theologische Entwicklungen kritisch und rief Potentaten dirigierend in ihre Verantwortung für die Kirche. Dabei war Aurifaber getragen von der Gewissheit, auf der „richtigen“ Seite zu stehen, auf der Seite, die sich durchsetzen wird, wie sich Luthers Lehre auch zu dessen Lebzeiten durchgesetzt hatte. Die Motive des geduldigen Ausharrens im Leid bzw. des Bußaufrufs kamen nur als Reflex der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg zum Tragen. Ebenso nur punktuell, d.h. noch im Krieg selbst, rekurrierte Aurifaber auf eine martialisch anmutende Prophezeiung Luthers. Wenn auch in unterschiedlicher Intensität, bildete das Verständnis der Gegenwart als Endzeit den basso continuo. S. im Folgenden GEHRT, Konfessionspolitik, 211f. Entgegen der gängigen Datierung auf das Jahr 1561 weist Gehrt nach, dass die offizielle „Freigabe“ Aurifabers erst im Februar 1562 erfolgte (GEHRT, Konfessionspolitik, 212). Dass Aurifaber bei den Ernestinern dennoch nicht gänzlich in Ungnade gefallen war, zeigt sich z.B. daran, dass Herzog Johann Wilhelm I. ihn im Jahr 1568 als Kandidaten für das Jenaer Pfarramt vorschlug (vgl. GEHRT, Konfessionspolitik, 311f.). 112 113

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Im Folgenden soll nun verfolgt werden, inwiefern sich im Zusammenhang mit den Editionen der 1560er Jahren eine Verschiebung der genannten Koordinaten von Aurifabers theologischer Verortung feststellen lässt. Der Genese nach publizierte Aurifaber zunächst den ersten Band der Eislebener Lutherausgabe (1564). Nahezu parallel erschienen im Jahr 1565 der zweite Briefband sowie der zweite Band der Lutherausgabe. Am Ende stand die Tischredenausgabe von 1566, doch ist diese zum richtigen Verständnis im Zusammenhang mit den drei anderen Publikationen zu sehen. Zwischen den beiden letztgenannten Werken stand Aurifabers Antwort auf seinen Kritiker Walther. Blickt man auf die in den jeweiligen Widmungsvorreden der Editionen bedachten Personen, so legt sich vor dem Hintergrund der bewussten Dedikation des ersten Briefbandes an Ottheinrich114 geradezu der Eindruck eines programmatischen Vorgehens nahe. Bevor die Editionen als solche untersucht werden können, ist die Bedeutung des neuen Wirkungsortes in den Blick zu nehmen. 2.1.4.1.

Zur Frage eines „Mansfelder Sonderbewusstseins“

Von der Residenzstadt Weimar zog sich Aurifaber in die Grafschaft Mansfeld zurück. Dies mag einerseits biographisch bedingt gewesen sein. Andererseits begab Aurifaber sich in das Gebiet, zu dem in den letzten Jahren auch aufgrund theologischer Übereinstimmungen enge Beziehungen entstanden waren und in dem ebenso andere „Flacianer“ Zuflucht fanden.115 „Heilsgeschichtlich“ betrachtet, fand die noch kleinere Schar der „Aufrechten“ und „wahrhaft Gläubigen“ nun in der kleinen Grafschaft ihren Rückzugs- und Wirkungsort. Aurifaber nutzte diese Mansfelder Jahre (1562–1565), in der er anscheinend ohne Pfarramt blieb, um die von ihm schon länger geplanten Editionsprojekte lutherischer Werke voranzutreiben.116 Er fand hierfür

S. S. 446–449. Vgl. WARTENBERG, Grafschaft Mansfeld, bes. 14f. Zur Grafschaft s.a. WARTENBERG, Mansfeld. Eine „Stammtafel der Grafen zu Mansfeld“ findet sich in WA.B 12, 366. 116 Gegenüber Johann Friedrich II. hatte er seinen Weggang noch damit begründet, den Grad eines Doktors der Theologie zu erwerben bzw. in Mansfeld als Superintendent tätig werden zu wollen (vgl. GEHRT, Konfessionspolitik, 212) – beides hatte sich anscheinend zerschlagen. Ende 1565 floh Aurifaber dann vor der Pest nach Erfurt; erst dort übernahm er wieder ein Pfarramt. Im Vorwort zum ersten Band der Eislebener Ausgabe verwies Aurifaber darauf, dass er „fast bey dreien jaren […; sich] im Predigtampt nicht hab gebrauchen lassen […]“ wegen seiner Editionstätigkeit (EislA 1, [Hand] 2v–3r). 114 115

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seitens der Mansfelder Grafen die notwendige Unterstützung117 und traf auf Amtsinhaber, die seine „mentale Welt“ weitestgehend teilten.118 Insofern wird man seinen Beitrag zum von Berndorff wohl zu stark betonten „Mansfelder Sonderbewusstsein“ – zumindest in Aurifabers Perspektive – weniger von Mansfeld als von der Sache bzw. vom Selbstverständnis als Streiter für das wahre Luthertum her zu beurteilen haben.119 Das Mansfelder Grafengeschlecht mag unter der Eislebener Lutherausgabe tatsächlich ein „ambitioniertes Renommierprojekt der Mansfelder Kirche“ verstanden haben.120 Dennoch dürfte das Wirken Aurifabers zu einseitig in den Blick genommen sein, wenn postuliert wird, es wäre ihm „vorbehalten [gewesen], mit seiner Lutherausgabe (1564/1565), einer Briefsammlung (1565) und den Tischreden (1566) Person und Wort des Reformators mit der Grafschaft anhand von Originaldokumenten symbolisch zu verbinden“121.

Dies gilt, obwohl der zweite Briefband (1565), die beiden Bände der Eislebener Ausgabe (1564 und 1565) sowie die Ausgabe der Tischreden (1566) das Mansfeldische Wappen führen,122 wie nun dargelegt werden soll. Der durch Andreas Petri (ca. 1513–1593) erfolgte Druck der Briefedition weist lediglich das Doppelwappen auf dem Titelblatt auf.123 Die drei 117 Vgl. Aurifabers Hinweis auf die „unterhaltung und besoldung / von dem Wolgebornen und Edelen Herrn / Herrn Volrath Grafen und Herrn zu Mansfeld / vnd von seiner Grafen Brüder“ (EislA 1, [Hand] 2v–3r). 118 Vgl. in dieser Hinsicht exemplarisch die 1564 verabschiedete Schrift Confessio et Sententia. Kritisiert werden insbesondere Paul Eber (Abendmahlslehre), der Heidelberger Katechismus (Abendmahlslehre, Lehre von der Himmelfahrt Christi), Georg Major, Agricola sowie Strigel und dessen Verteidiger Stössel. Hinzu kommt eine Positionierung pro Flacius und Wigand (vgl. Confessio et sententia; s.a. BERNDORFF, Prediger, 268–270). 119 BERNDORFF, Prediger. 120 BERNDORFF, Prediger, 340. 121 BERNDORFF, Prediger, 274. 122 Vgl. BrA 2, fol. A 1r; EislA 1, fol. [Blatt 1v]; EislA 2, fol. [a 1v]; TR, fol. [) 1v]. Zur Zeit der Publikation der Tischreden weilte Aurifaber streng genommen bereits in Erfurt. Doch bezeichnet er selbst im Vorwort die Mansfelder Grafen als „[s]eine Gnedigen Herrn“. Dass er tatsächlich noch zur Grafschaft gehörte, bestätigt ein Schreiben Spangenbergs an den Lübecker Rat vom 8. März 1567, in dem es um eine – von Aurifaber abgelehnte – Berufung nach Lübeck ging, insofern dort erwähnt wird, dass Aurifaber von den Mansfelder Grafen „nhur auff eine zeittlang gen Erffurd verliehen“ (REMKE, Briefwechsel, 32f., 33) sei. 123 Petri war erst 1565 nach Eisleben gekommen und profitierte wohl von der zu großen Auslastung Gaubischs. Dies dürfte auch der Grund gewesen sein, warum der zweite Briefband nicht ebenfalls bei Gaubisch erschien (s. hierzu BERNDORFF, Prediger, 230; zu Petri s.a. RESKE, Buchdrucker, 202; REMBE, Buchdruckerkunst, I, 444– 454).

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

weiteren – bei Urban Gaubisch (ca. 1530–1612)124 erschienen – Editionen kennen zudem eine Titelrückseite, die das Doppelwappen ergänzt durch zwei lateinische Distichen von Zacharias Praetorius besonders betonen und die Edition tatsächlich mit einem dynastischen Anspruch der Mansfelder Grafen als die wahren Bewahrer von Luthers Lehre aufladen: „Haec Mansfeldiaci Comites dant scripta LVTHERI, / Vti tota quibus Teutonis ora potest / Prodijt ex horum ditione LVTHERUS, alumni / Vnde fouent merito, dogmata sancta sui.“125

Jedoch wird dieser Anspruch bereits im Vorwort des ersten Bandes der Eislebener Ausgabe relativiert, durch das dieser – und zwar als einziger – den Mansfelder Grafen dediziert wird. In diesem wird einerseits in der Tat darauf verwiesen, dass der Druck unter deren „schutz vnd schirm“ erfolgte. Zudem wird die Dedikation wie folgt begründet: „[…] so hab ich diesen ersten Tomum / vnter E⌊uer G⌊naden Titel vnd Namen / ich wollen lassen ausgehen / darumb das E⌊uer G⌊naden die ehre in der Welt fur andern Fürsten vnd Herschafften gegönnet / das dieselbigen D. Martini Luthers Landsherrn gewesen / vnd dieser letzte Prophet der Welt (so warhafftig der Furman vnd Wagen Israel genennet mag werden) aus E⌊uer G⌊naden Herrschaft allhie zu Eisleben geborn / vnd in der Kirchen zu S. Peter getaufft worden. Vnd Anno 1546, den 18. tag Februarij gestorben ist […].“126

Unmittelbar im Anschluss verwies Aurifaber andererseits aber auf seine Zeugenschaft von Luthers „herrlichen Bekentnis des Glaubens vnd Christlichen abschiede aus diesem leben“127, verband dies zugleich mit dem indirekten Hinweis auf die enge Vertrautheit mit dem Reformator, dem er die „augen in seinem abschiede [habe] zugeschlossen“128.

Weiterhin teilte Aurifaber mit, dass er „gerne wolte seiner lere […] auff die Nachkömlingen propagiren vnd ausbreiten helffen“129.

124 Gaubisch hat bei Bärwald in Leipzig gelernt und war auch mit Jakob Bärwalds Schwägerin vermählt; die auf Wunsch der Mansfelder Grafen von Bärwald in Eisleben 1554 eingerichtete Druckerei hat Gaubisch wohl noch im selben Jahr übernommen (s. RESKE, Buchdrucker, 200f.; BERNDORFF, Prediger, 229–232; REMBE, Buchdruckerkunst, I, 423–444). 125 EislA 1, fol. [Blatt] 2r; EislA 2, fol. a1v; TR, fol. ) iv. Zu Praetorius s. BERNDORFF, Prediger, 88–91. 126 EislA 1, fol. [Hand] 4r. 127 EislA 1, fol. [Hand] 4r. 128 EislA 1, fol. [Hand] 4r. 129 EislA 1, fol. [Hand] 4r.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Auf diese nachdrückliche Betonung seiner eigenen Person bzw. Funktion folgt dann als weitere Begründung der Dedikation: „So sind E⌊uer G⌊naden auch bisanher [Hervorhebung; I.K.] vleissige Zuhörer vnd Liebhaber der Lere Lutheri gewesen / vnd darob mit grossem ernst vnd eiuer noch halten / das durch die Secten vnd Rottengeister / solche lere Lutheri nicht verfelschet würde […].“130

Der „Wert“ der Grafen lag für Aurifaber also letztlich primär in deren Verhältnis zur Lehre Luthers. Die Beurteilung wurde von Aurifaber vorgenommen. Dass mit der Beurteilung gewissermaßen nur ein „status quo“ benannt wurde, belegt das „bisanher“, das der Würdigung zugleich einen mahnenden Subtext zukommen ließ, verstärkt durch die folgende Gebetsbitte Aurifabers um Beständigkeit der Grafen im Wort Gottes.131 Insofern wurde in diesem Vorwort erneut Aurifabers Rolle gleichsam „prophetisch“ aufgeladen. Hinzu kommt, dass im Vorangehenden in besonderer Weise Johann Friedrich positiv hervorgehoben wurde.132 Einher ging eine Kritik an dessen Söhnen, die die Edition dieser „Parerga“ verhindert hätten.133 Dem entspricht, dass im Vorwort zum zweiten Band der Eislebener Ausgabe unter den vorbildlichen Obrigkeiten der Gegenwart insbesondere die Luthers Sache fördernden Ernestiner Friedrich III., Johann der Beständige sowie – wiederum besonders hervorgehoben – Johann Friedrich I. genannt wurden; ein analoger Verweis auf die Mansfelder Grafen unterblieb.134 Somit zeigt sich, dass Aurifabers ausschlaggebender Maßstab weder die Dynastie noch der Ort war. Dies kann weiterhin anhand der von Aurifaber mitverantworteten Folgedrucke der Tischreden belegt werden.135 Zwar bleibt die Titelrückseite mit dem Wappen und den Disticha in allen Eislebener Ausgaben erhalten, doch wird auf dem Titelblatt der Ausgaben von 1567, 1569 und 1570 ein Holzschnitt ergänzt, der einen sächsischen Kurfürst und Luther links EislA 1, fol. [Hand] 4r. Vgl. EislA 1, fol. [Hand] 4r. 132 Vgl. EislA 1, fol. [Hand] 2r–v. 133 Vgl. EislA 1, fol. [Hand] 3r. Vgl. in dieser Hinsicht auch das Schreiben von Herzog Johann Friedrich II. an den Grafen vom Mansfeld vom 9. Dezember 1563, in dem dieser die Rückgabe von Rörerhandschriften einforderte und zudem das Drucken von Werken Luthers aus Kopien zu verhindern suchte (vgl. hierzu JAUERNIG, Lutherausgabe, 760). 134 EislA 2, fol. a 6v–b 2v – Näheres hierzu s. S. 462–464. Erst in der Begründung der Dedikation an Kaiser Maximilian II. wird der „Kirchen der Graffschafft Mansfelt des Mannes Gottes D. Luthers Vaterlandes“ gedacht, jedoch im Zusammenhang der Fürbitte für den Kaiser (EislA 2, fol. b 5v). 135 Die späteren Auflagen der anderen „Eislebener“ Editionen gehen nicht auf Aurifaber zurück (vgl. WA.B 14,398f.585; ebd., 389f.378f.) und sind deshalb an dieser Stelle nicht zu berücksichtigen. 130 131

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

bzw. rechts vom Kruxifiz kniend darstellt. Die genaue Identifikation des Fürsten ist in der Forschung umstritten, doch wird damit ein mit Luthers Werk und den Ernestinern eng verbundenes Motiv aufgegriffen. Dieses zierte bereits die Ausgabe von Luthers Neuem Testament wie verschiedene Bände der Deutschen Reihe der Wittenberger Lutherausgabe und dann auch in abgewandelter Form der lateinischen Reihe sowie Bibelausgaben.136 Dass nicht auf die modifizierte Variante der Jenaer Lutherausgabe zurückgegriffen wurde, in der der sächsische Kurfürst aufgrund der Narbe eindeutig mit Johann Friedrich zu identifizieren ist,137 mag schlicht am Bruch Aurifabers mit Johann Friedrich II. und dem daraus resultierenden anderen Druckort liegen. Zugleich entspricht diese „uneindeutige“, auf Johann Friedrich zuspitzbare Variante gänzlich dem soeben dargestellten Vorwort zum zweiten Band der Eislebener Ausgabe, in dem die für Luther bedeutenden Ernestiner besonders hervorgehoben werden. Unabhängig von der konkreten Identifikation wird durch dieses veränderte Titelblatt der Tischredenausgaben symbolisch die Rückbindung an beide großen Werkausgaben vollzogen. Zum anderen werden die sich bis hin zum „Martyrium“ um das „wahre“ Luthertum verdient gemachten Ernestiner im Allgemeinen bzw. Johann Friedrich im Besonderen und nicht die Mansfelder Grafen druckgraphisch exponiert in ihrer Bezogenheit auf Luther und Christus vor Augen gestellt. Weiterhin auf eine eher geringe Bedeutung des Mansfelder Hintergrundes für Aurifaber deutet seine Frankfurter Gegenausgabe aus dem Jahr 1568.138 Mit dem Wechsel des Druckortes wird auch auf die Wiedergabe des Mansfelder Wappens verzichtet. Ähnlich relativiert wird die These vom „Mansfelder Sonderbewusstsein“ dadurch, dass für Aurifaber die Editionen der 1560er Jahre wohl vorrangig eine Fortsetzung der Weimarer Tätigkeit darstellte. Dies zeigt sich z.B. daran, dass der 1565 in Eisleben erschienene Briefband im Titel ganz selbstverständlich als „Secundus Tomus“ und auch zeitlich nahtlos an den noch in Jena publizierten ersten Band anschließt.139 Hinzu kommt, dass nicht nur hinsichtlich der Briefedition, sondern auch hinsichtlich der Eislebener Lutherausgabe zumindest die Vorarbeiten noch in die Weimarer Zeit fielen.140 Selbst die Tischredenausgabe war wohl spätestens 1556 als S. hierzu CHRISTENSEN, Princes, 47–56 – dieser plädiert für eine Identifikation mit Kurfürst Johann I. Offener MICHEL, Kanonisierung, 150–153, der „vielleicht Johann Friedrich“ dargestellt sieht. Dort jeweils auch Abbildungen. 137 Zu dieser Variante s. MICHEL, Kanonisierung, 190f.; CHRISTENSEN, Princes, greift diese Variante in seiner Argumentation nicht auf. 138 Zu dieser s. S. 423f. Anm. 6. 139 Vgl. BrA 2, Titelblatt. Der Band umfasst die Jahre 1522–1528. Aurifabers beruflicher „Abstieg“ ist implizit am Fehlen von „aulae Vinariensis concionatore“ erkenntlich. 140 Zu den Vorarbeiten des zweiten Bandes der Briefedition s. WA.B 14, 384–386; bereits im ersten Band kündigte Aurifaber den „piis lectoribus“ die Fortsetzung der 136

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Projekt angedacht.141 Zudem versuchte Aurifaber noch 1569 – nun in Erfurt als Pfarrer an der dortigen Predigerkirche wirkend142 – die Ernestiner für die Fortführung seiner Briefbände bzw. der Eislebener Ausgabe zu gewinnen, auch mit dem Argument der Fortsetzung der Jenaer Ausgabe bzw. der Vereinigung beider Ausgaben.143 Insgesamt wird man also höchstens von einem indirekten Beitrag Aurifabers zum „Mansfeldisches Sonderbewusstsein“ ausgehen können. Die mit der Aufnahme des Wappens ausgedrückte Anbindung an Mansfeld dürfte primär von der zeitlich befristeten finanziellen Unterstützung zu begründen sein. Stärker ist demgegenüber wohl Aurifabers Selbstverständnis bzw. seine theologische „Verortung“ zu gewichten, wie nun im Folgenden auf Grundlage der Editionen der 1560er Jahre entfaltet werden soll.

Edition an und bat um Hilfe bei Materialbeschaffung (BrA 1, fol. * 6v). Zur Entstehungsgeschichte der Eislebener Ausgabe s. WA 60, 544–547. Zur Ausgabe selbst s.a. ebd., 547–558 bzw. WA.B 14, 392–399. Im Vorwort der Tischreden legt Aurifaber sogar den Eindruck nahe, als wären die ersten drei Eislebener Editionen nur dort „gedruckt“ worden, die Tischreden hingegen „auch verfertiget“ – nicht im Geringsten deutet er einen Mansfeldbezug an (vgl. TR )( 4r). 141 Vgl. BrA 1, fol. A 3v: „Verum cum multa eius sanctissima monumenta adhuc defiderentur, uidelicet enarrationes in aliquot libros bibliacos, multorum etiam annorum conciones, disputationes, consilia de magnis & serijs rebus, colloquia [Hervorhebung; I.K.] & epistolae, quae nondum in lucem prodierunt: ac ego talium ipsius uiri Dei scriptorum indagator & custos non omnino negligens semper extiterim […].“ Zumindest in Bezug auf die Briefe konkretisiert Aurifaber den zeitlichen Rahmen der Sammlertätigkeit auf „fere sedecim ann[i]“. Im Kontext seiner Kontroverse mit Walther führt Aurifaber aus, dass er auf seinen Bibliotheksreisen (ab ca. 1546/47) auch „Colloquien Lutheri“ gesammelt habe (AURIFABER, Antwort, fol. B 3r: „lenger denn 18. oder 19. jar her“). Dies mag zunächst rein „privat“ motiviert gewesen sein, legte aber zugleich den Grundstock für die spätere Edition. Die gezielte Suche im Kontext der Jenaer Lutherausgabe belegen Schreiben an Johann Wilhelm vom November 1555 (s. MICHEL, Kanonisierung, 171 Anm. 356). Bereits in einem Schreiben vom 23. November 1550 kann Aurifaber den dänischen König, Christian III., auf seinen „Schatz“ verweisen, zu dem neben Briefen Luthers, Disputationen und Ratschlägen auch „Colloquien vnd Tiesschreden [sic!]“ gehörten (SCHUMACHER, Briefe, 229–233, 231). Seinem „Mäzen“ Gasser schickte er Ende November 1559 „aliquot paginas colloquiorum Lutheri“ (Aurifaber an Gasser. Weimar, 28. November 1559: BURMEISTER, Briefwechsel, 163f., 163 [Nr. 58]). Insofern waren die „Apophthegmata Lutheri“ letztlich von Anfang an mit im Blick. 142 Zur besonderen Situation Erfurts „zwischen Kurmainz, Kursachen und dem Kaiser“ s. PRESS, Kurmainz, bes. 390–393. Diese schlug sich auch bei der Umsetzung bzw. Verstetigung der Reformation nieder – s. hierzu SCRIBNER, Eigentümlichkeit sowie PETERS, Erfurt. 143 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 212.

458 2.1.4.2.

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Der erste Band der Eislebener Lutherausgabe (1564)

Mit der ersten Edition wandte sich Aurifaber an die Mansfelder Grafen, die das Projekt finanziell und logistisch unterstützten. Trotzdem agierte Aurifaber – wie in Auseinandersetzung mit Berndorffs These eines „Mansfelder Sonderbewusstseins“ dargestellt – diesen gegenüber äußerst souverän, beurteilte sie nach ihrem Verhältnis zur Lehre Luthers, des „letzt[en] Prophet[en] der Welt“144. Der bereits ihnen gegenüber greifbare paränetische Duktus prägt das Schreiben als Ganzes. Aurifaber stellt seinen Lesern ein Bild der negativen „Heilsgeschichte“ vor Augen, d.h. die Geschichte des wiederholten Abfalls von der „ware[n] Religion und dem rechtschaffene[n] Gottesdienst“, die durch große Gestalten – von Joseph bis Paulus – instituiert worden waren. Nach dem Tod dieser Protagonisten verfiel alles erneut. Wiederholt verband Aurifaber mit diesen „Exempeln“ warnende Mahnungen an seine Zeitgenossen, die immer deutlicher werden und am Ende in der Aussage gipfeln: „Diese oberzelete Exempel dienen vns zur Lere / Vermanung / vnd Warnung / das wir vns darinnen spiegeln vnd betrachten / wie es ein mal dem Deudschen Lande auch gehen werde / so nu etliche vnd vierzig Jar GOTTES Wort vberflüssig vnd reichlich gehabt. Denn seer zu fürchten vnd zu besorgen ist / es wird dasselbige in kurtzer zeit wider verlieren / vnd die schönen herrlichen Kirchen Deudsches Landes zurissen werden / dieweil solches dem Königreich Egypten / als der Patriarchen Kirchen / begegnet.“145

Diese negative Prognose wurde im Folgenden ergänzt durch die Diagnose, warum Gott den Teufel so wüten lasse. Die genannten vier Gründe stellten eine scharfe Abrechnung mit dem Protestantismus der Gegenwart dar:146 An erster Stelle nannte Aurifaber „unsere leidige sicherheit / vndanckbarkeit vnd verachtung des Göttlichen Worts“. Zum anderen sah er darin „auch eine straffe / welche der falschen Lere und Corruptelen halben / vber die welt geschickt wird“ – die entsprechende Aufzählung, angefangen bei den „Himmlischen Propheten“ bis hin zu den Synergisten, ist aus seinen früheren Publikationen bekannt. Dennoch hatte sich deren Funktion verändert. Nicht mehr Luthers „Leiden“ wurden dargestellt, sondern diese sind aktueller Strafanlass. An dritter Stelle nannte Aurifaber die „Collusion mit den Sectariis“ und zielte damit auf die zunehmende Diffusion der innerprotestantischen „Irrlehren“. Wenn Aurifaber als vierten Grund die Anfeindung bzw. Verfolgung bis Vernichtung der (Gesetzes-)Prediger anführte, die ihrem Amt gemäß „straffen müssen“, kommt man kaum umhin, hierin auch eine Kritik an Johann Friedrich II., dessen EislA 1, fol. [Hand] 4r. Vgl. EislA 1, fol. [Blatt] 2r–[Blatt] 4r; Zitat: ebd., fol. [Blatt] 4r. 146 Vgl. im Folgenden: EislA 1, fol. [Blatt] 5v–[Blatt] 6v. 144 145

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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religionspolitische Wende Aurifabers Entlassung nach sich zog, zu sehen,147 aber nicht nur. Unverhohlen drohte Aurifaber solchen Potentaten im Allgemeinen: „[…] darumb so kan anders vnd gewisser nichts folgen / denn das das Deudschland wird die Lere des Euangelii wider verlieren / vnd das solche zeit wider komen wird / als in Egypten gewesen / da man von JOSEPH nichts gewust hat.“148

Verstärkt wurde die Drohung im Anschluss durch den Hinweis, dass der Verlust des Wortes in einer Region ein endgültiger sei. Erst auf dieser Grundlage kam Aurifaber auf „Doctor“ Martin Luther zu sprechen, den er als „Joseph“ der eigenen Zeit konzeptualisierte, als „tewren Propheten und Lerer“. Dem damit angedeuteten memorialen Bild entspricht die Fokussierung auf das „Göteliche wort“ und die „Heubtstück[e] der Christlichen Lere“. Doch erneut folgt unmittelbar die kritische Beurteilung der Gegenwart, in der „man von diesem Joseph nichts mehr wissen wil / denn seine lere und bücher werden nicht viel mehr geacht oder gelesen, sondern in wind geschlagen / seine lere schmeckt den leuten nicht mehr […]“149.

Es drohe aufgrund der erneuten Wertschätzung der scholastischen Theologie, des freien Willens, des Antinomismus, der Rede von Luther als „zornige[m] Man“ dieselbe Strafe, die auch Ägypten ereilt hat. Aurifabers Gegenbotschaft ist neben der Dankbarkeit Gott gegenüber die universale Orientierung an Luthers Lehre in Blick auf den Glauben und die Ethik, universal aber auch in Bezug auf die von ihm so Adressierten: „Aber Gottselige Christen solten fur die heilsame lere D. Martin Luthers Gott trewlich dancken / dieselbige hertzlich lieben / annemen / vleissig hören / gerne lesen vnd betrachten / daraus auch iren Glauben stercken vnd das leben bessern / vnd sich fur allen andern irrigen vnd falschen leren häten / des solte sich jederman bevleisigen / hohes vnd niedriges Standes / Oberkeit vnd Vnterthanen / Prediger und Zuhörer etc.“150

Deshalb wird Johann Friedrich I. im Folgenden von Aurifaber lobend im Hinblick auf seine Förderung der Wittenberger und Jenaer Edition der Werke erwähnt.151 Deshalb publiziert Aurifaber diesen Band mit „Fragmenta / Brocken oder Brosamlin“ der Schriften Luthers, verstanden als Nachähren bzw. Nachlese.152 Vgl. in dieser Hinsicht auch EislA 1, fol. [Blatt] 3r. EislA 1, fol. [Hand] 1r. 149 EislA 1, fol. [Hand] 1v. 150 EislA 1, fol. [Hand] 2r. 151 Vgl. EislA 1, fol. [Hand] 2r–v. 152 Vgl. EislA 1, fol. [Hand] 2v–3v. Dieser Abschnitt enthält neben Apologetik in eigener Sache auch einen Seitenhieb auf die Nachfolger Johann Friedrichs, die die 147 148

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Nimmt man das Schreiben als Ganzes in Blick, wird Berndorff zuzustimmen sein, dass hier die Front mit Wittenberg und mit Jena greifbar ist,153 letzteres aber deutlich schwächer. Zugleich wird festzuhalten sein, dass dies nicht der primäre Fokus ist. Mahnend-drohend setzte sich Aurifaber für die Lehre des als „letzt[en] Prophet[en] der Welt“154 titulierten Luther ein, wird dadurch, wie bereits festgestellt, zu einer Art „Prophetenschüler“ der die Botschaft des Lehrers – vor einem eschatologischen Hintergrund – bewahren und verbreiten wollte. Im Unterschied zu den 1550er Jahren agierte Aurifaber nun jedoch in der Rolle des „Gerichtspropheten“. Vor diesem Hintergrund sind die weiteren Publikationen zu verstehen. In diesen wandte sich Aurifaber differenziert an verschiedene Adressatengruppen, füllte von hier das im Vorwort zum ersten Band der Eislebener Ausgabe angeführte „jederman […] / hohes vnd niedriges Standes / Oberkeit vnd Vnterthanen / Prediger und Zuhörer etc.“155. 2.1.4.3.

Der zweite Briefband (März 1565)

Folgt man der chronologischen Ordnung, gerät zunächst der zweite Band der Briefausgabe in den Blick. Das Widmungsschreiben ist an Herzog Wilhelm IV. (V.) von Jülich-Cleve-Berg gerichtet und datiert vom 25. März 1565. Die Ausgabe ist eng an den ersten Band angebunden, greift den zeitlichen Faden dort auf, wo der erste Band endete. Auch mit dem Widmungsschreiben schlägt Aurifaber eingangs explizit den inhaltlichen Bogen zum Widmungsschreiben an Ottheinrich.156 Zudem ist das Schreiben primär von seiner materiellen Grundlage bestimmt, d.h. von den Briefen der Jahre 1522–1528. Diesen wäre zu entnehmen, dass Luthers Lehre „mirabiliter per Dei gratiam conseruata & propagata est“157.

Insofern stellte Aurifaber Luthers Kämpfe dieser Jahre bzw. die Verfolgung von dessen Lehre dar.158 Auch die abschließende summarische Bemerkung bleibt auf der bekannten Linie: Hintanstellung der Person Luthers und – zur Verehrung gesteigerte („colere“) – Betonung der Lehre:

Publikation dieser Schriften bisher verhindert hätten. Zu den bezüglich der Edition selbst entnehmbaren Informationen s. MICHEL, Kanonisierung, 208f. 153 BERNDORFF, Prediger, 343. 154 EislA 1, fol. [Hand] 4r. 155 EislA 1, fol. [Hand] 2r. 156 BrA 2, fol. A 2r. 157 BrA 2, fol. A 2v. 158 BrA 2, fol. A 3r–A 4v. A 4v–A 5v.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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„[…] (taceo eius tentationes, aegritudines corporis, & alios labores, quos in concionando, disputando, legendo, scribendo, ac in enarrandis libris Bibliacis, sustinuit maximos). Certe agnoscere debemus hunc virum diuinitus excitatum, eiusque doctrinam contra Mundi & Diabolum insultus conseruatum esse. Grata igitur mente illud singulare & illustre beneficium Dei predicemus, ac Lutheri doctrinam, contra quam inferorum portae hactenus nihil praeualuerunt, reuerenter colamus, Deoque gratias pro defensione & conseruatione istius doctrinae agamus, nec eam amplecti, confiteri, docere & propagare desinamus.“159

Man könnte nun geneigt sein, die Wahl des anderen Druckers als Sinnbild dafür zu verstehen, dass Aurifaber mit diesem Werk auch eine weniger programmatische Absicht verband. Jedoch setzte er mit dem Vorwort zusätzliche Akzente: Er wandte sich in Person von Herzog Wilhelm IV. (V.) von Jülich-Cleve-Berg bewusst an einen Vertreter der Obrigkeit. Vielleicht ist diese Widmung auch daher mit motiviert, dass dieser der Bruder der ehemaligen Kurfürstin Sibylla war. Doch ist dies allein ein schwaches Motiv. Entscheidender dürfte gewesen sein, dass in seiner Person mit Blick auf das „jederman“ ein Vertreter eines eher niedrigeren Standes greifbar ist, zumindest im Vergleich mit Ottheinrich, dem der erste Briefband gewidmet war, und Kaiser Maximilian II., dem – wie im Anschluss auszuführen ist – der zweite Band der Eislebener Ausgabe dediziert wurde. Zudem dürfte Wilhelms eigentümliche konfessionspolitische Linie ausschlaggebend gewesen sein. Über Jahre hinweg vertrat Wilhelm einen Kurs, der wohl am ehesten als Mittelweg zu beschreiben ist, verbunden jedoch mit einer klaren Abgrenzung von Reformierten, „Wiedertäufern“ und „Sakramentierern“.160 Zum Zeitpunkt der Widmung sind im Herzogtum aber – aller vermiedenen Konfessionsentscheidung zum Trotz – Anzeichen einer „Lutherisierung“ greifbar, wie z.B. die Freigabe der Kelchkommunion, einer verstärkten Reformation bzw. Reformverhandlungen am Hof.161 Aurifaber war ein aufmerksamer Beobachter, evtl. begünstigt durch die Nähe des Herzogs zu den Ernestinern, und widmete als solcher Wilhelm den Briefband „[…] cum sciam Doctrinae Lutheri V⌊estram C⌊elsitudinem ex animo fauere, et in Ducatibus C⌊elsitudinis V⌊estrae eam nunc [Hervorhebung; I.K.] propagari, ac C⌊elsitudo V⌊estra de Reformatione suarum Ecclesiarum serio cogitare, summoque odio detestari omnes Haereses & Corruptelas doctrinae coelestis“162.

Die Begründung ist dieselbe wie gegenüber Ottheinrich, nämlich die göttliche Vorschrift an die Obrigkeit, dass diese Wächter („custodes“) der BrA 2, fol. A 5v – Kursivierungen; I.K. Vgl. SMOLINSKY, Jülich-Kleve-Berg, bes. 93–98 sowie RICHTER, Wilhelm V. und HARLEß, Wilhelm V. 161 Vgl. SMOLINSKY, Jülich-Kleve-Berg, 97. 162 BrA 2, fol. A 6r. 159 160

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Lehre und Amme („nutricius“) der Kirche sei.163 Trotzdem hat sich der Impetus verschoben. Zum einen wird auch hier verstärkt ein eschatologischer Horizont erkennbar, wenn Aurifaber Luther zu Beginn als „huius postremae aetatis Helias“ einführte.164 Somit war Aurifabers Verständnis seiner Gegenwart erneut stärker heilsgeschichtlich motiviert, zugleich wurde diese aber auch als Krise erlebt. Dem entspricht zum anderen, dass er auf die „dulcissimae promissiones & consolationes“ der Schrift verwies, die Gottes Beistand für die ausdrückten, die sich um den Erhalt und die Verbreitung der Lehre des reinen Evangeliums bemühten.165 Folglich bot Aurifaber sich und allen denen, die schon oder zukünftig sich gemeinsam mit ihm dieser Aufgabe widmeten, biblische Bestärkung in der aktuellen Krisensituation. Insofern war das Werben Aurifabers um den Herzog von Jülich-Cleve-Berg ein Werben im Angesicht der letzten Wahrheit. 2.1.4.4.

Der zweite Band der Eislebener Lutherausgabe (April 1565)

Das Motiv, das beim zweiten Band der Briefausgabe nur am Ende greifbar war, wird wenige Wochen später, am 15. April 1565, zum Leitmotiv des Vorwortes des zweiten Bandes der Eislebener Ausgabe.166 Mit diesem wandte sich Aurifaber an die höchste zeitgenössische weltliche Obrigkeit, an Kaiser Maximilian II. Durch die Datierung auf Palmarum, dem Sonntag, an dem Jesu Einzug in Jerusalem gedacht und die Karwoche eröffnet wird, stellte er ihm implizit die wahre höchste Autorität vor Augen. Doch verdeutlicht bereits die Entscheidung für Maximilian II. eindrücklich Aurifabers hohes Sendungsbewusstsein, insofern er zur Zeit der Abfassung im Dienst der eher unbedeutenden Mansfelder Grafschaft war und das nicht einmal in exponierter Stellung. Der programmatische Charakter ist von Anfang an greifbar. Komplementär zum ersten Eislebener Band wurden die aufgrund ihrer Religionspolitik positiv bewerteten alttestamentlichen Könige Asa, Josaphat und Josias als „bilde und Spiegel“ für die Obrigkeit im Allgemeinen eingeführt.167 Dabei eignet dem Vorwort von Anfang an ein Subtext. Maximilian II. war erst seit 25. Juli 1564 gekrönter Kaiser. Wenn Aurifaber also auf den „betrübten / erbermlichen zustand der Kirchen und Religion“ verwies, den König Assas Vater, „Abia Gottlos (und wie die Schrifft von im rede) sein herz nicht rechtschaffen an dem HErrn war“ verschuldet hatte, mit den entsprechenden negativen Konsequenzen, dann schwang BrA 2, fol. A 6r. BrA 2, fol. A 2r. 165 BrA 2, fol. A 5v – A 6r. 166 EislA 2, fol. a 2r–b 6r. 167 EislA 2, fol. a 4r–v. Später werden dann noch weitere ergänzt, ausgehend von Joseph in Ägypten, David und Salomo als deren positive Vorbilder (ebd., fol. a 5v–a 6v). 163 164

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ein Doppeltes mit: zum einen der Versuch, den religionspolitisch dem Protestantismus aufgeschlossenen „jungen“ Kaiser für das Luthertum zu gewinnen, zum anderen eine scharfe Kritik an der Religionspolitik von dessen Vater, Ferdinand I.168 Zunächst unter dem Deckmantel des Exemplum schrieb Aurifaber eine religionspolitische Agenda: Bezüglich Assa verwies er auf die Abschaffung aller „Götzen“ sowie dem Verjagen der „falsche[n] Lerer“.169 Mit Josaphat verband er die Durchführung einer Visitation sowie die Einrichtung eines Konsistoriums, das über die Lehre und Prediger sowie Eheangelegenheiten und „Kirchenzucht“ wacht. Zudem verwies er auf die Anordnung eines allgemeinen Fastens in Kriegsnot.170 Josias wurde für die bauliche Instandhaltung des Tempels sowie die Wiederentdeckung der Bibel und die Abschaffung des „falschen“ Gottesdienstes der „Baaliten vnd anderer Schwermer“ gelobt.171 Auf diese Weise kämen diese drei Könige ihrem „Ampt vnd Beruff“ nach, „nemlich / das GOTT sie hab zu Kirchvetern gesetzet / vnd zu Seugammen der Christen verordnet / vnd das sie kein höher vnd herrlicher werck thun können / denn auff die Christliche Kirche achtunge haben / vnd auf die ausbreitung / propagation vnd erhaltung der reinen Lere des Göttlichen Worts sehen“172.

Bis in die Wortwahl hinein wird hier deutlich, dass Aurifaber dem Kaiser die Richtlinien für sein religionspolitisches Handeln an die Hand geben wollte. Ein weiteres Anliegen war es Aurifaber, dem Kaiser zudem „Christlich[e] vnd from[e] Fürsten im Deudschen Lande“ als Exempel vor Augen zu führen.173 Explizit genannt wurden dann aber nur der dänische König Christian sowie die Ernestiner, Friedrich III., Johann der Beständige und Johann Friedrich I. – trotz der Degradierung nach dem Schmalkaldischen Krieg als „Hertzogen zu Sachsen vnd Chürfürsten […]“ eingeführt. Insofern eignete dem Schreiben auch ein Werben für die Ernestiner. Deren positive Beurteilung wurde mit ihrer Funktion als „warhafftige Kirchenveter und Schutzherrn der reinen Lere des Göttlichen worts“ begründet. Dessen Wiederentdeckung in der „letzten zeit der welt“ wurde primär mit Luther verbunden. Den zur Ausbreitung des Wortes notwendigen Schutz hätten die Kurfürsten aber auch „ander[en] hocherleucht[en] gelert[en] leut[en]“ zukommen lassen. Die religionspolitische Vorbildfunktion weitete Aurifaber über die Abschaffung der „gottlosen Zeremonien“ und „päpstlichen Greuel“ über das standhafte Bekenntnis auf Reichstagen, Vgl. EislA 2, fol. a 2r–v. Vgl. EislA 2, fol. a 2v. 170 Vgl. EislA 2, fol. a 3r–v. 171 Vgl. EislA 2, fol. a 3v–a 4r. 172 Vgl. EislA 2, fol. a 5r–v. 173 Vgl. EislA 2, fol. a 6v–b 2v. 168 169

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aber auch noch in der Gefangenschaft nach dem Schmalkaldischen Krieg und der damit einhergehenden Ablehnung des Interim durch Johann Friedrich I. aus. Doch blieb Aurifaber nicht bei der Benennung der alttestamentlichen wie „zeitgenössischen“ Exempel stehen. Es folgte die ausdrückliche Applikation auf Maximilian II. im Besonderen wie die Obrigkeiten im Allgemeinen. Hervorzuheben ist, dass er dem Kaiser als Maßstab die CA und die Apologie sowie die Schmalkaldischen Artikel und damit die Grundfesten seiner eigenen theologischen „Verortung“ anempfahl.174 Zudem plädierte er – knapp 1,5 Jahre nach dem Abschluss des Trienter Konzils – für „[…] einen Christlichen Synodum vnd zusamenkufft / handelung colloquien vnd disputation Gottseliger / gelerter vnd bewerter Theologen […]“, durch den der Kaiser „den trennungen / spaltungen / auch verfelschungen der Lere / vnd manchfeltigen ergernissen etlicher mas abhelffen [köndte]“175.

In welcher Funktion sich Aurifaber hier insgesamt zu Wort meldete, wird am Ende des weitestgehend redundanten Fünf-Punkte-Plans besonders greifbar, wenn er dort die Obrigkeit bzw. den jungen Kaiser auf die zeitlichen und ewigen Strafen verweist, die auf „Abgötterey vnd falsche Lere“ folgen würden.176 Hier agierte erneut der „Gerichtsprophet“, dem es um die Bewahrung der Lehre und wahre Erkenntnis der Schrift ging;177 Luther als Person verschwand in dieser programmatischen Anrede des Kaisers und der Obrigkeiten fast gänzlich. Er gehörte der „letzten zeit“ an, in der das Evangelium wiederentdeckt worden war.178 „Jetzt“ war diese Entdeckung in Gefahr, so dass es einer aktualisierenden Relecture bzw. prophetischen Fortschreibung Luthers bedurfte. Das dahinterstehende Selbstverständnis Aurifabers kann des Weiteren anhand seiner Auseinandersetzung mit dem als Korrektor in der Wittenberger Druckerei von Hans Lufft arbeitenden Walther erhellt werden. 2.1.4.5.

Aurifabers Antwort auf die Angriffe Walthers

Christoph Walther (gest. 1574)179 war bereits vorher gegen nicht in Wittenberg entstandene Editionen von Luthertexten vorgegangen. Insofern sind seine Attacken auf Aurifaber in diesem breiteren Kontext zu versteVgl. EislA 2, fol. b 2v. EislA 2, fol. b 3r. 176 Vgl. EislA 2, fol. b 5r. 177 Vgl. EislA 2, fol. b 5v. 178 Vgl. EislA 2, fol. a 6v. 179 Zu Walther s. Pfarrerbuch, Kirchenprovinz Sachsen, Bd. 9, 224. Der Sohn eines Tuchmachers hatte zwar auch in Wittenberg studiert, fungierte dann aber 39 Jahre als Korrektor bei Hans Lufft. Erst kurz vor seinem Tod wurde er Pfarrer in Holzdorf bei Jessen. 174 175

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hen.180 In den 1560er Jahren wandte Walther sich scharf gegen ebenso vom Frankfurter Verleger Sigmund Feyerabend verantwortete Bibeldrucke sowie gegen Aurifabers Eislebener Ausgabe, wobei wohl auch ökonomische Interessen mitschwangen.181 Aurifaber reagierte persönlich nur auf die ersten Angriffe und verteidigte kurz nach dem Erscheinen des zweiten Eislebener Bandes mit seiner Schrift Antwort auff die Lesterschrift Christophori Walthers nicht nur seine Editionstätigkeit, sondern insbesondere auch seine Rolle.182 Diesbezüglich ist insbesondere von Belang, dass Aurifaber die Angriffe Walthers auf seine Person nicht nur polemisch, sondern auch theologisch zurückwies. Ausgehend von Mt 5 legte er dar, dass „Lesterung und scheltwort“ um Christi willen zur christlichen Existenz gehörten. Doch belegte er diese Aussage zum einen mit dem Verweis auf die alttestamentlichen Propheten, namentlich genannt werden David, Jesaja, Jeremia, Elia, 180 Zu den Werkausgaben bzw. den Auseinandersetzungen zwischen Wittenberg und Jena i.A. s. S. 220 Anm. 539; zur Kritik an Aurifabers Editionen der 1560er Jahre im Besonderen s. WOLGAST, Strei, 192–197; MICHEL, Kanonisierung, 204–212 sowie WA.B 14,398. Zu den damit einhergehenden punktuellen Angriffen auf die Tischredenausgabe s. S. 428f. Wohl unzutreffend ist, dass Aurifaber wegen der Eislebener Edition auch aus Jena in analoger Weise scharf angegriffen wurde (vgl. MICHEL, Kanonisierung, 209 mit Anm. 575). Zumindest trifft Berndorffs Hinweis auf Stössels angebliche Kritik an der Ausgabe als „Affenwerck vnd Spiegelfechten“ nicht zu (vgl. BERNDORFF, Prediger, 342). Spangenberg, aus dessen Vorwort zur 8. Predigt diese Formulierung stammt, bezieht sich auf Kritik am Mansfelder Bekenntnis, das nicht auf den zentralen „Erga“ Luthers gründe (vgl. SPANGENBERG, Achte Predigt, fol. B 5r–v). Dennoch macht Spangenbergs Vorwort nochmals deutlich, in welch angespannter Situation Aurifabers Tischreden publiziert wurden. 181 Vgl. WOLGAST, Streit, 193. 182 Walthers Pamphlet lag zur Leipziger Ostermesse, April 1565, vor und gelangte Aurifaber wohl erst nach Abfassung des Vorwortes zum zweiten Band am 15. April 1565 zur Kenntnis. Seine Verteidigungsschrift verfasste er noch vor der Leipziger Michaelismesse 1565, so dass sie vor dem Abschluss der Edition der Tischreden zu datieren ist – zu den Datierungen vgl. Wolgast, Streit, 193. Auf Walters Gegenschrift (WALTHER, Wider Johannem) reagierte „nur“ noch Aurifabers Mansfelder Mitstreiter, Cyriakus Spangenberg. Wenn dieser im Kontext der Zurückweisung von Walthers Vorwurf, Aurifaber sei kein Hörer Luthers gewesen, darauf hinweist, dass Aurifaber „vmb den lieben Gottes Man viel gewesen / vnd vom 37. jhar an / bis das er seinen Geist auffgegeben / viel predigten/ Lectiones / vil nützer Gespreche [Hervorhebung; I.K.] von im gehöret / vnd aus seinem heiligen munde auffgefangen / geschrieben / vnd auffs papier gebracht hat“ (Spangenberg, Siebende Predigt, fol. B 4r), so deutet sich dennoch an, dass seine Verteidigung nicht nur auf die von ihm finanziell geförderte Eislebener Ausgabe beschränkt, sondern auch die im selben Jahr publizierte Tischredenausgabe mit im Blick war. Zur finanziellen Unterstützung s. WA 60, 558; BERNDORFF, Prediger, 234 sowie SPANGENBERG, Caecitas, fol. T t 4r.

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Daniel und Amos, die man als „Auffrhürer vnd Ketzer gescholten hat“183. Zum anderen führte er Christus selbst und summarisch die Apostel, Kirchenväter und -lehrer an.184 Dass er zur Verdeutlichung als einzigen den mehrfach wegen seiner Glaubensüberzeugung verbannten Athanasius benannte, bevor er auf sich zu sprechen kam, dürfte kein Zufall sein. Insgesamt zeigt diese Analogisierung der Angriffe Walthers eindrücklich das Selbstverständnis und starke Sendungsbewusstsein Aurifabers. Dieses ist in dem Schreiben doppelt fundiert, zum einen in Aurifabers Studien bei Luther selbst bzw. seiner Rolle als dessen letzter Amanuensis und damit der direkten Hörerschaft185, zum anderen in Aurifabers vertieften Kenntnis und hohen Wertschätzung von dessen Werk, das Aurifaber als seine Norm neben der Heiligen Schrift herausstellte, belegt zudem mit seiner langen Sammlertätigkeit.186 Diese Wertschätzung gipfelte in der Bezeichnung der Kritik Walthers an Luthers Werken bzw. Aurifabers Edition als „höheste Gotteslesterung“.187 Einher ging der Hinweis, dass es Gott gefalle, angesichts von Verfälschungen der „reinen“ Lehre in Wittenberg, diese durch andere Orte verbreiten zu lassen188 sowie die Gerichtsdrohung an die „Wittenberger“ falls diese nicht von den Irrlehren abließen: „Denn wie etliche des heiligen Mans D. Luthers Bücher / vnd zwar nicht die geringsten (darinnen er wider den Freien willen oder die Synergiam / vnd wider die verfelschung der reinen lere des Sacraments ernstlich gestritten) fast verwerffen vnd verdechtig machen / das ist am tag / vnd man wird auch deshalben nicht grosser gnad noch ablas sondern wol von Got ernstlicher strafen vnd vngnade müssen gewertig sein. Gott helff das man diese Sünde erkenne / vnd dauon abstehe / vnd nicht darinnen vnbusfertig vnd verstockt verharre / oder es also mache / das das herliche licht / so Gott durch D. Luthern an dem ort angezündet / vollend gantz vnd gar verlesche / vnd erfüllet werde / das der Herr Christus im Euangelio gantz erschrecklich drewet / vnd spricht [Mt 8,11f.] / Das von Abend vnd Morgen komen sollen / die mit Abraham / Isaac vnd Jacob im Reich Christi zu tisch niddersitzen werden / aber die Kinder des Reichs sollen ausgestossen sein.“189

Eine analoge Drohung wiederholte Aurifaber am Ende, wenn er nach der Klage über die fehlende Beachtung der von Kurfürst August verhängten AURIFABER, Antwort, fol. A 4r. Vgl. AURIFABER, Antwort, fol. A 4r–v. 185 Vgl. AURIFABER, Antwort, fol. B 1v–2v. 186 Vgl. AURIFABER, Antwort, fol. B 2v–3r. 187 AURIFABER, Antwort, fol. B 4r. S.a. die Rede von den „heilig[en] vnd heilsam[en] Schrifften D. Luthers“ (ebd., fol. E 2v). 188 Vgl. AURIFABER, Antwort, fol. B 4r–v. Verdeutlicht wird dies an Jakob und Esau sowie der Bundeslade. S.a. die breite Darlegung des Argumentes, Walther habe nicht gegen aktuelle protestantische Irrlehren protestiert (ebd., fol. D 2r–3v). 189 AURIFABER, Antwort, fol. B 4v. 183 184

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Zensur, den Wittenbergern Gerichtsbotschaften Jesajas vor Augen stellte.190 Insgesamt führte die Kritik Walthers also nicht zu einer Infragestellung der eigenen Position, sondern vielmehr zu einer verstärkten Wahrnehmung der Rolle als „Gerichtsprophet“. Doch ist nun darzustellen, wie Aurifaber vor diesem Hintergrund die im Zentrum dieser Studie stehenden Tischreden verortet. 2.1.4.6.

Zur Tischredenausgabe (1566)

Während Aurifaber sich mit der vorangehenden Edition, d.h. dem zweiten Band der Eislebener Ausgabe, an den Kaiser und damit die höchste zeitgenössische weltliche Obrigkeit gewendet hatte, ist die Tischredenausgabe nun an die Obrigkeit der Reichsstädte Straßburg, Ulm, Nürnberg, Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Braunschweig, Frankfurt / Main und Regensburg gerichtet. Insofern rundete Aurifaber mit diesem Werk seine den Editionen der 1560er Jahre eignende, wohl bewusst differenzierende Adressatenwahl ab. Obwohl er mindestens von fünf der genannten Städte einen „Ehrensold“ als Gegenleistung erhalten hat,191 dürfte erneut der finanzielle Aspekt kaum der alleinige Grund gewesen sein. Zumindest mit Straßburg stand er bereits im Zusammenhang seiner Sammeltätigkeit im engeren Kontakt.192 Als Auswahlkriterium zeichnet sich jedoch vornehmlich das Verhältnis zu Luthers Lehre ab, wenn Aurifaber die Obrigkeiten dieser Städte in der Begründung der Dedikation als „besondern Liebhabern vnd Schutzherrn der Lere Lutheri“193 bezeichnete. Zudem dürften die Obrigkeiten primär als pars pro toto stehen. Gezielt wollte Aurifaber über diese auch deren „Einwohner“ zur Lektüre der Schriften Luthers anregen: „Auff das Ewer Ehrenvhestvnd Erbar Weisheit / durch vleissige lesung dieses Tomi / der Lere Lutheri / desto günstiger vnd geneigter sein möchten / vnd in jren Kirchen / solche selige Lere vnd Schrifften Lutheri / schützen vnd handhaben / vnd jren Vnterthanen vnd Bürgern ein Furbilde sein / vnd gut exempel geben / die Tomos und Bücher Lutheri vleissig zu lesen […].“194

Entsprechend wies Aurifaber den Städten im Allgemeinen bezüglich der Bewahrung der Lehre eine besondere Rolle zu.195 Insgesamt komplementierte Aurifaber mit diesem deutschsprachigen Werk seinen Wahrheitsanspruch, der explizit auch Laien umfasste.196 Durch die Tischredenausgabe

Vgl. AURIFABER, Antwort, fol. E 1r–2r. Vgl. WA 59, 750 Anm. 22. 192 Vgl. EislA 1, fol. [Hand] 2v–3r. 193 TR, fol. )( 4v. 194 TR, fol. )( 4v. 195 TR, fol. )( 3r–v. 196 S. STOLTZ / AURIFABER, Refutatio, fol. A 4r–v bzw. S. 327. 190 191

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erhalten diese das notwendige theologische Rüstzeug, didaktisch geschickt vermischt mit Kurzweiligem: „Dieweil denn in diesem Tomo Colloquiorum / von allen Artickeln vnd Heubtstücken unserer Christlichen Religion / Lere vnd Glaubens / gantz herrlicher Bericht ist / Auch von hohen vnd notwendigen stücken Fragen vnd Antwort / Dergleichen viel schöne Historica / Vnd darinnen sonst allerley Vnterricht / Lere / Trost / Rath / Weissagung / Warnung vnd Vermanung zu finden / vnd gewislich eine nötige vnd nutzliche gute Arbeit ist / vnd zu lesen lustig / vnd niemandes nicht beschwerlich sein wird.“197

Dieser didaktisch-pädagogische Impetus spiegelt sich auch in der Wahl des Leitmotivs wider. Ausgehend von Psalm 78 entfaltete Aurifaber das jüdische Gebot, die Kinder zu lehren, kreisend um das Wort Gottes und die Lehre bzw. die Wohltaten Gottes, um einem Vergessen entgegenzuwirken und Dankbarkeit zu erzeugen.198 Dies vertiefte Aurifaber anhand der Exoduserfahrung Israels, und zwar inklusive des erneuten Abfalls nach der Flucht aus Ägypten, verdichtet in der Erzählung vom „Goldenen Kalb“, die er auf den Exodus aus der Papstkirche übertrug: „Denn Gott hat vns Deutschen auch einen Mosen vnd Aaron zum Heerfürer gegeben / Nemlich / den Ehrwirdigen vnd hocherleuchten Man D. M. Lutherum / der vns aus diesem Egyptischen Diensthause gefüret / alle Heubtartickel der Chrstlichen Lere erleutert vnd erkleret / Vnd Gott hat vber dieser Lere Lutheri trewlich gehalten / das sie wider alle Pforten der Hellen ist geblieben.“199

Eindrücklich stellte Aurifaber dann seinen Lesern den depravierten Zustand der Kirche vor „50 jaren“ vor Augen, den die Älteren fast vergessen hätten und die Jüngeren nicht kennten, und deutete diesen eschatologisch als „der letzten Welt zu Straffe verkündet“200. Der differenzierten Entfaltung dieses erschreckenden Zustandes201 stellte Aurifaber dann die Schilderung der Wohltaten Gottes durch Luther entgegen: 1. Die Bibelübersetzung; 2. die Postillen und exegetischen Werke sowie den Katechismus; 3. die Offenbarung des Papsttums als „Antichrist“ sowie die Offenlegung der falschen Lehre der Schultheologen; 4. die rechte Lehre des Gesetzes und der 10 Gebote; 5. die Lehre des Evangeliums, respektive die Rechtfertigungslehre; 6. – 10. die rechte Lehre vom Gebet, von der Taufe, vom Abendmahl, von der Buße sowie von den Ständen; 11. die Reform der Schulen und Universitäten.202

Entsprechend dem Leitmotiv steht am Ende die Aufforderung, für diese Wohltaten Gott dankbar zu sein. Hinzu kommt nun jedoch ein zweites, das gleichsam als basso continuo die Edition der 1560er Jahre durchzieht, TR, fol. )( 4v. TR, fol. ) 2r. 199 TR, fol. ) 2v. 200 TR, fol. ) 3r. 201 Vgl. TR, fol. ) 3r – ) 5v. 202 Vgl. TR, fol. ) 5v – )( 1r. 197 198

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nämlich die Gefahr, dass die wiederentdeckte Lehre verlustig gehen könne, in den Tischreden als Bitte an Gott konzeptualisiert, „[…] das er solch Liecht des Euangelij nicht wollte wider ausleschen / sondern vns lange leuchten / scheinen vnd brennen lassen / Auff das vnsere Kinds Kinder vnd Nachkömling / in solchem seligen Liechte auch wandeln / vnd desselbigen sich frewen / vnd mit vns selig werden möchten.“203

Aurifaber ergänzte also in diesem Werk das Mittel der Strafandrohung durch das Mittel der Überzeugung durch eigene Einsicht. Insofern ist es nur konsequent, wenn er die Leser anschließend über das Wirken des Teufels nach Luthers Tod aufklärte, für ihn greifbar in den aufgekommenen „Irrlehren“. Aurifaber wollte dafür sensibilisieren, dass die „Lerer vnd Prediger“ hier zu Unrecht geschwiegen hätten bzw. die sich wehrenden – wie er – als Aufrührer etc. beschimpft worden wären. Dies habe als Folge „die verfelschung vnd den untergang der Lere Lutheri / auch die verwüstung vnd zerstörung der wolgeordenten Kirchen im Deutschen Lande / Vnd ist vns die Egyptische Gefengnis vnd Seruitut des Bapts wider fur der Thür.“204

Diese bereits aus den vorangehenden Publikationen der 1560er Jahre bekannte negative Diagnose wurde von Aurifaber in den Tischreden sehr zurückhaltend eingeführt. Zugleich erhielt diese eine neue Dimension, insofern er sie zurückführte auf Warnungen Luthers vor eben einen solchen Abfall nach seinem Tod, die „nun“ als eingetretene Prophezeiungen und Luther vice versa als „warhafftiger Prophet“ anzusehen wären.205 Die angeführten „Prophezeiungen“ zeigen – evtl. auch in Hinblick auf Walthers Kritik – auf, in welch hohem Maße Aurifaber in seiner Theologie bzw. seiner Prophetenfortschreibung von Luther geprägt war. Dennoch wird zugleich seine eigene „Verortung“ im Hintergrund greifbar, z.B. wenn er in einem Atemzug den Niedergang von Luthers Lehre, der CA, der Apologie und der Schmalkaldischen Artikel bedauerte.206 Zudem griff er in den Textbestand der „Prophezeiungen“ ein, spitzte diese z.B. auf die Verachtung des Wortes Gottes207 (in Deutschland208) zu und führte erneut Athanasius als Autorität und damit Vorbild an.209 TR, fol. )( 1r. Vgl. TR, fol. )( 1r–v; Zitat: ebd., fol. )( 1v. 205 Vgl. TR, fol. )( 2r – )( 3r. Es handelt sich um die Übersetzungen der Apophthegmata Nr. 3589, 4123, 5512 bzw. die nur bei Aurifaber zu findenden Stücke: Nr. 7207 und eine vermutlich „summarische Zusammenfassung“ von analogen Aussagen „gegen frembden Leuten / auch zu Herrn Theologis / vnd zu seinen Tischgesellen“ (TR, fol. )( 2r). 206 Vgl. TR, fol. )( 3r. In der „summarischen Zusammenfassung“ wird noch allein der Augsburger Reichstag von 1530 als Höhepunkt der Lehre genannt (ebd., fol. )( 2r). 207 Vgl. TR, fol. )( 2v bzw. WA.TR 4, 150,7f. [Nr. 4123]; TR, fol. )( 3r bzw. WA.TR 5, 205,25 [Nr. 5512]. 203 204

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In dieser werbenden Zurückhaltung spiegelt sich des Weiteren der didaktisch-pädagogische Tenor wider, bis dahin, dass Aurifaber die christliche Obrigkeit und die Eltern in der betont eschatologisch gedeuteten Gegenwart in die Verantwortung rief.210 Es mag – erneut insbesondere mit Blick auf Walther – apologetisch motiviert sein. Doch wenn Aurifaber die Edition zudem damit begründete, dass er „diesen Schatz der Tischreden Lutheri / nicht also können bey mir lenger verborgen sein / vnd solch Pfund vergraben vnd verschorren bleiben / oder irgends nach meinem Tode umbkomen vnd vntergehen lassen / Sondern jtzt durch den offenen Druck der Christlichen Kirchen mitteilen wollen / die sich solcher Lere bessern / vnd sie seligklich / als Brosamlein / von dem Tische Lutheri gefallen sind / gebrauchen / vnd den Geistlichen Hunger vnd Durst der Seelen damit settigen vnd stellen können“211,

dann wird hier ebenso dieser Impetus greifbar. Der „Prophetenschüler“ warb mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, um das drohende Unglück zu verhindern.212 Mit der Rede von den „Brosamlein“ von Luthers Tisch wird deshalb zum einen schlicht angedeutet, dass analog zu den vorangehenden Editionen auch die Edition der Tischreden mit dem Impetus erfolgte, dass alles von Luther „publikationswürdig“ sei.213 Vor dem betont eschatologischen Hintergrund der „letzten Predigt“, mit der Gott „das Ende der Welt beschliessen / vnd den Jüngsten tag mit drein kommen lassen“ wolle,214 erhielt der exponierte Rekurs auf dieses Motiv auf dem Titelblatt – theologisch zugespitzt durch die Anspielung auf die 208 Vgl. TR fol. )( 2v. Fehlt dieser Gedanke in Nr. 4123 noch, findet er sich aber in WA.TR 5, 205,25–27 [Nr. 5512], wird in der Tischredenausgabe dann jedoch am Rand mittels einer zeigenden Hand hervorgehoben (vgl. TR, fol. )( 3r). 209 TR, fol. )( 2v. Aurifaber ergänzt hier die in der Vorlage genannte Aufzählung von Ambrosius, Hilarius und Augustinus (vgl. WA.TR 4, 150,15 [Nr. 4123]). 210 Vgl. TR, fol. )( 3v – )( 4r. 211 TR, fol. )( 4v. 212 Vgl. in dieser Hinsicht auch das letzte Apophthegma des Nachtrages, in dem das Lob der Druckerei als Mittel zur Verbreitung des Evangeliums „gesungen“ wird – s. S. 482. 213 Bereits in seiner Widmungsvorrede zur Eislebener Ausgabe sprach Aurifaber von „Fragmenta / Brocken oder Brosamlin“ etc. und führt aus: „Denn es ist nichts so gering von D. Martino Luthern geschrieben / geprediget oder geredet / das nicht eine besondere lere oder trost in sich hette. Dieses Mannes Schrifften gehen durchs hertz / sie hafften vnd trösten“ (EislA 1, fol. [Hand] 3v). S. auch die Einordnung des ersten Bandes der Briefedition von 1556 als „appendix“ bzw. „fragmenta“ (BrA 1, fol. A 3v– 4r). Mit dem Begriff der „Brosamen“, die vom Tisch fallen, wird die Perikope von der Syrophönizierin (Mk 7,28par) alludiert und die Tischredenausgabe – wie bereits die Werke der Eislebener Ausgabe – in einen heilsgeschichtlich konnotierten Kontext gestellt. 214 TR. fol. )( 3v.

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Perikope von der Speisung der 5000 – zum anderen eine ganz andere Dringlichkeit: „Johan. 6. Cap. [12. Vers; I.K.] || Samlet die vbrigen Brocken / Auff das nichts vmbkomme.“215

TR, fol. ) 1r. Vorbereitet ist diese Zuspitzung zum einen in Aurifabers Auseinandersetzung mit Walther, in der er bereits auf diese Bibelstelle verwies zur Legitimation seiner Editionstätigkeit mittels „befehl des Herrn Christi“ (AURIFABER, Antwort, fol. A 2v). Auch Spangenberg griff zur Verteidigung Aurifabers dieses Motiv in seiner 1566 publizierten siebten Predigt auf (SPANGENBERG, Siebende Predigt, fol. A 7v–8r). Zugleich stellte sich Aurifaber auf diese Weise in die Tradition der beiden Werkausgaben, in denen dieses Bild ebenfalls bereits durch Cruciger und Rörer in Bezug auf Luthers Schriften etabliert war, wie deren Vorwort zum zweiten Teil des ersten Bandes der lateinischen Reihe der Wittenberger Ausgabe, der noch zu Luthers Lebzeiten erschienen war, zeigt (WiLat 1, fol. 202r–v; Zitat: ebd., 202v): „Cum autem Christus praecepit Apostolis, cum pauissent populum, ut fragmenta colligerent, monuit, ut suorum Doctorum monumenta diligenter asseruemus. Ideo haec Scripta & colligimus, & ordine distribuimus. Et pios omnes hortamur, ut ea studiose legant, & eorum lectione se ad ueram inuocationem Dei & Filij eius Domini nostri Ihesu Christi excitent, & orent, ut Deus Ecclesiae suae reliquias seruet & regat. Amen.“ Insofern zudem eine deutsche Übersetzung unter dem Titel „Vorrede und Unterricht auff alle Bücher und Schrifften D.M.L. wie man sich darein richten / und nützlich lesen sol“ Eingang in den ersten Band der Jenaer Lutherausgabe (1555) gefunden hat, dürfte Aurifaber dieses Motiv zumindest von hier bekannt gewesen sein (vgl. JeD 1, fol. 53v–55r; Zitat: ebd., fol. 55r): „Weil aber Christus / da er das Volck in der Wüsten speisete / den Aposteln befalh / sie solten die vbrigen Brocken samlen / wil er vns damit vermanet haben / das wir der Lerer / die er gibt vnd sendet / Schrifften und arbeit vleissig auffheben vnd bewaren sollen. Demnach lesen wir diese Schrifften des Ehrwirdigen Herrn D.M.L. Zusamen / vnd geben sie in eine richtige Ordnung gefasst / durch den Druck an tag. Vermanen derhalb alle frome Christen / das sie dieselben vleissig lesen / vnd dadurch sich zu rechter anruffung Gottes vnd seines Sons / vnsers HErrn Jhesu Christi / erwecken / Vnd bitten das Gott die arme kleine Herde seiner Kirche / so noch vbrig ist / erhalten / bewaren vnd regiren wolle. AMEN.“ Dieses Motiv wurde dann vice versa in der Einladung zu Rörers Begräbnis zur Würdigung der Tätigkeit von Cruciger, Dietrich und v.a. Rörer aufgegriffen (vgl. die Edition in MICHEL, Sammler, 50). Zum dritten hatte die Rede von „fragmenta“ einen Anhalt bei Luther selbst, wenn dieser in Bezug auf die Edition von Disputationsthesen oder Georg Majors Vitae Patrum bzw. das als Trostschrift konzipierte analoge Sammelwerk Georg Spalatins unter Rekurs auf Joh 6,12f. von „fragmenta evangelica“ spricht (vgl. WA 39/I, 3,39–4,3: „Et ut ad alia, quae antea per nos scripta sunt, parva videantur fortasse, tamen fragmenta sunt evangelica, quae sicut Christus loquitur, colligenda sunt, ne pereant: Sunt enim in his propositionibus articuli principales Evangelii in summam coacti, sine quibus vere intellectis et pure tractatis ecclesia Christi non potest subsistere“; WA 54, 111,19–23: „Sunt enim in eo Libro, ut et in Hieronymo, multa egregie dicta et facta, quae ut fragmenta Euangelicae mensae colligere oportet et non abijcere cum istis sordibus, quas alij imprudentes miscuerunt, velut illae dirae volucres apud Vergilium dapes Aeneae fedaverunt“; ebd., 115,5–7: „Ubi ergo spiritu dominante loquuntur et operantur, sunt 215

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Dass Unglück drohe, machte Aurifaber mittels seiner Datierung des Widmungsschreibens auf den Tag der Eroberung und Zerstörung Jerusalems abschließend noch einmal deutlich. Am Ende stand der Bußaufruf, damit nicht „der“ Türke dem „Deutschen Lande“ eine analoge „Ruthe“ Gottes bzw. ein „Zuchtmeister“ werde. Zumindest erhoffte sich Aurifaber die Verschonung der Kirche oder „etliche[r] Christliche[r] frome[r] Hertzen“ – wie Gott auch damals einige wie Jeremia und Abdemelech im jüdischen Land bleiben ließ. Aus der Restkirche der „Weimarer Zeit“ war im Jahr 1566 die Hoffnung der Rettung eines Restes geworden. Damit ist die Darstellung von Aurifabers „Selbstverortung“ in den 1560er Jahren abgeschlossen und ist nun in Bezug auf die weiteren Analysen zu summieren. 2.1.4.7.

Zum Proprium der Verortung in den 1560er Jahren

Zwar fand in den 1560er Jahren keine vollständig neue Verortung Aurifabers statt, dennoch wurden nach seiner Entlassung in Weimar einzelne Aspekte zumindest neu akzentuiert bzw. qualitativ verändert. Insbesondere die eschatologische Dimension hat stark an Gewicht gewonnen, und damit einhergehend hat sich Aurifabers Rolle vom „Propheten“ zum mahnend-warnenden „Gerichtspropheten“ verändert. Insofern ist Michels Qualifizierung der Eislebener Ausgabe als „eschatologisch“ nicht auf diese beschränkt anzusehen,216 sondern vielmehr als bestimmendes, allgemeines Moment der theologischen Verortung Aurifabers und von hier der Publikationen der 1560er Jahre. Zudem kann das Proprium dieses Zugriffes anhand des exegetischen Interpretaments der „Prophetenfortschreibung“ weiter erhellt werden.217 Dabei darf über Hund hinaus aber nicht übersehen werden, dass Aurifaber selbst immer mehr in die ursprünglich von Luther übernommene Funktion einrückte. Er agierte als „Prophet“ bzw. „Prophetenschüler“, der im Bewusstsein seiner eigenen Funktion die in eorum verba & opera colligenda ceu fragmenta Euangelica, ut quae Dominus Christus in eis operatus sit, et vere sint Christi ipsius opera“). Wenn bereits die letztgenannten Werke in die Nähe der Apophthegmata-Tradition führen (s. S. 41), so hatte Aurifabers Rekurs zum vierten einen Anhalt in dieser selbst. Z.B. spricht bereits Conrad Cordatus in dem Apophthegma, in dem er sich als erster Mitschreiber bezeichnete von „mica“ (vgl. WA.TR 2, 310,4–311,4 [Nr. 2068]; Zitat: s. S. 17 Anm. 85). Ein späterer Beleg findet sich beim Nordhausener Anthonius Otho, der wohl 1550 im Kontext seiner nachdrücklichen Bitte an Justus Jonas seine eigene Sammlung nicht nur als Apophthegmata, sondern auch als „Brocken (κλασμάτων)“ bezeichnete (Anthonius Otho an Jonas, Nordhausen 1550 [?]: BrWJJ 2,299f. [Nr. 913], hier: ebd., 300; Zitat s. S. 44 Anm. 217). Im Kontext der Erstellung der Eislebener Ausgabe, stellte dieser Aurifaber Material zu Verfügung (vgl. WA 60,557f.). 216 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 205f. 217 Vgl. hierzu HUND, Autorität bzw. S. 77.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

473

der Gegenwart angemessene bzw. notwendige Lehre unter Rekurs auf Luther und unter Fortführung Luthers verkündete. Im Hintergrund steht eine geradezu vernichtende Diagnose der aktuellen Situation als Krisensituation respektive Situation des Abfalls vom durch Luther wieder erhellten Evangelium.218 Eindringlich warnte Aurifaber nun nicht nur seine Gegner, sondern die „Deutschen“ im Allgemeinen vor dem drohenden erneuten Verlust des Evangeliums. Luther als Person blieb weiterhin zweitrangig. Luther als Person gehörte der letztlich bereits vergangenen oder zumindest sich bedrohlich dem Ende neigenden Epoche des wieder enthüllten Evangeliums und der Befreiung aus dem Papsttum an.219 Deshalb zielte Aurifaber nicht auf eine Deutungshoheit über die Memoria Luthers. Es ging Aurifaber um das Wort Gottes und von hier um Luthers Lehre, die bewahrt und verbreitet werden sollte, sowie um ein entsprechendes Leben. Insofern ist Luther für Aurifaber – mit Blick auf die Elemente des von Dingel erarbeiteten „apriorischen Konsenses“ –220 „Werkzeug“ Gottes gewesen, waren seine Bücher „Garanten der Wahrheit“, war Luther die „ausschließliche reformatorische Autorität“, deren Aussagen „überzeitliche Geltung“ zukam. Differenziert muss dagegen die von Dingel als „normsetzend“ beschriebene Rechtfertigungslehre in den Blick genommen werden. Denn in Aurifabers Aufzählung der Wohltaten Gottes durch Luther221 stellte diese explizit nur einen Aspekt dar. Die Liste spiegelt vielmehr den Dreiklang von Wort, Lehre und ethischer Konsequenz, so dass die Rechtfertigungslehre bei aller Zentralität eingebettet ist in ein breiteres Spektrum. Besonderes ausgeprägt war der Anspruch auf Deutungshoheit bezüglich der eigenen Gegenwart. 218 Vgl. exemplarisch: TR, fol. )( 3r: „Ich halte es werde eine grosse Finsternis folgen / nach diesem Liecht des Euangelii / Also / das man auch das Euangelium nicht wird offentlich auff der Cantzel mehr hören / vnd darnach werde balde der Juengste tag darauff folgen.“ 219 Aurifaber transzendiert somit Luthers Dreiteilung der Geschichte – zu dieser s. Schilling, Wiederentdeckung, 138–141. Dem widerspricht nicht, dass Aurifaber nicht nur, wie bereits ausgeführt, in den Briefbänden die Lehre biographisch kontextualisiert hat, sondern auch seinen Eislebener Bänden jahrweise geordnete Berichte über zentrale Ereignisse der Reformation von 1517/18–1545 beigefügt hat (zu diesen Übersichten vgl. WA 60,556f. bzw. die gesammelte Wiedergabe derselben in W2 21/2, 3236–3312). Dies zeigt insbesondere seine apologetische „Erinnerung an den christlichen Leser“, die sich im ersten Band findet (EislA 1, [Hand] 4v–5v). Dort bot er eine klare historisch wertende Rezeptionsanweisung für die folgenden Schriften Luthers, wenn er zunächst auf noch „papistische“ Elemente in früheren Werken hinweist bzw. unter den Gründen für die Publikation derselben die sukzessiv wachsende Erkenntnis Luthers anführt, durch die – nach Luther selbst – allein die Spätschriften zum legitimen Maßstab erhoben würden. 220 Vgl. S. 77 bzw. DINGEL, Lutherrezeption, bes. 41. 221 Vgl. TR, fol. ) 5v – )( 1r bzw. die Auflistung auf S. 468.

474

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Diese mahnend-warnende Botschaft war überterritorial. Aurifaber wandte sich differenziert an die verschiedenen Obrigkeiten, um so die von Amts wegen Zuständigen zur Bewahrung und Verbreitung der Lehre anzuspornen. Über sie sollte letztlich die „breite Masse“ erreicht werden, um – so die Botschaft der Tischredenausgabe – wenigstens einen kleinen Teil zu retten. Insofern greift es zu kurz, die Widmungsvorreden rein finanziell als Mittel des schieren Gelderwerbs zu deuten.222 Von dem dargestellten Verständnis von Aurifabers Editionstätigkeit der 1560er Jahre als aktualisierende Relecture, respektive „Prophetenfortschreibung“ i.w.S., ist für die weiteren Analysen in methodischer Hinsicht besonders zu betonen, dass Aurifabers Texte nicht mit dem Ziel der Athetierung dessen, was nicht „ipsissima vox Lutheri“ ist, zu lesen sind. Vielmehr ist die Tischredenausgabe gerade in ihren redaktionellen Anteilen positiv als eigenständige, Luthers Lehre aktualisierende und fortschreibende Luthermemoria, als kreative Verbindung von „Altem“ und „Neuem“ zu verstehen und auszuwerten. 2.2.

Aurifabers aktualisierende „Relecture“ der handschriftlichen Apophthegmata-Überlieferungen

In Aurifabers Tischredenausgabe ist die handschriftliche Überlieferung der nach Loci geordneten Apophthegmata-Sammlungen, d.h. die „Wellersche“ wie die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“ zu einem neuen Ganzen verbunden worden. Die damit einhergehenden Akzentuierungen der Luthermemoria sollen vor dem Hintergrund der im Vorangehenden dargestellten theologischen Verortung Aurifabers unter Rekurs auf den „Materialteil“ der Ausgabe von 1566 weiter vertieft werden. Dazu kann gerade die Tatsache, dass Aurifaber – in sich aufgrund seines Fokus nur konsequent, aber im Unterschied zu seinen handschriftlichen „Vorlagen“ – auf einen auf Luther im Besonderen bezogenen Locus verzichtete, positiv herangezogen werden. Trotz der prinzipiellen Hintanstellung der Person Luthers kann verfolgt werden, welche Apophthegmata und damit welche Aspekte der Luthermemoria seiner Vorlagen er außen vor ließ bzw. rezipierte und in letzterem Falle, wie er diese redaktionell aufgriff. 222 In dieselbe Richtung zielen MILDE / GRAEFE, Reformationshandschriften, 148f., wenn sie Aurifaber aufgrund des Handels mit „Materialzusammenstellungen“ als „Bindeglied zwischen den Reformatoren und den protestantischen Fürsten“ (ebd., 149) verstehen. Dafür, dass es Aurifaber tatsächlich nicht in erster Linie um finanziellen Gewinn ging, spricht auch, dass er den zweiten Briefband trotz der extrem schlechten Verkaufszahlen des ersten Bandes zum Druck brachte. Selbst nachdem auch dieser in finanzieller Hinsicht ein Verlustgeschäft war, plante er noch den dritten Band, der jedoch nicht mehr zu Stande kam (vgl. WA.B 14, 384.389–392).

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

475

Grundsätzlich fällt auf, dass Aurifaber trotz der engen Orientierung an F und v.a. Halle223, die Apophthegmata der auf Luther im Besonderen bezogenen Loci der „Wellerschen“ bzw. „Lauterbach-Hänelschen“ Tradition nur in geringem Maße übernommen hat. Von den 68 Grundstücken und 36 Nachtragsstücken des Locus „Lutherus de seipso“ der „Wellerschen“ Tradition finden sich 28 Apophthegmata und damit nur ein gutes Viertel bei Aurifaber.224 Aus der Lauterbach-Hänelschen Tradition, in der 88 Apophthegmata auf Luther und 10 weitere auf Melanchthon bezogen sind, sind lediglich 18 und damit ca. ein Fünftel bei Aurifaber greifbar.225 Dass zudem fünf Apophthegmata von beiden handschriftlichen Traditionen überliefert werden, verringert die Übereinstimmung noch einmal.226 Hinzu kommt, dass Aurifaber die entsprechenden Apophthegmata nicht zwangsläufig aus F bzw. Halle übernommen haben muss. Bereits diese geringen Zahlen legen nahe, dass die in der Tischredenausgabe greifbare Luthermemoria gegenüber der handschriftlichen Tradition in nicht geringem Maße eigene Akzente bzw. eigene Facetten aufweisen wird. Dies ist angesichts der dargestellten theologischen Selbstverortung letztlich nur konsequent. Welche Facetten Aurifaber aufgriff bzw. wie er gemeinsame Facetten akzentuierte und welche er ergänzte, wird im Folgenden zu zeigen sein. Nur bedingt hilfreich zur weiteren Konturierung von Aurifabers Luthermemoria ist es zu verfolgen, welchen Loci er das Rezipierte zuordnete, verteilte er doch diese Apophthegmata auf insgesamt 20 verschiedene Loci, ohne dass deutliche Schwerpunkte erkennbar wären.227 Jedoch bietet die Tischredenausgabe in Gestalt des Lemmas „Martin Luther“, das gut zwei Spalten des „Registers“ bzw. 110 Verweise umfasst, ein anderes Korrektiv der anhand der Rezeption der handschriftlichen Traditionen gewonnenen Erkenntnisse.228 Dieses ersetzt keinen Locus, zumal die Informationen mit nicht unerheblichem Aufwand zusammengesucht werden 223 S. hierzu die Ausführungen zum Aufriss (s. S. 430–436) sowie exemplarisch die auf Aurifabers Locus „Von Juden“ (LXXIV) bezogene Studie KLITZSCH, Juden. 224 Es handelt sich um die Nr. 491 extr., 518, 141, 2410b, 397, 93, 610, 19, 961, 2970b extr., 1589, 2896b, 2848b, 3556 A, 3553, 5490a, 2258b, 2261b, 1671 extr., 80, 139, 3006b in., 3264b, 1106, 439, 978, 446, 67, 5518. 225 Es handelt sich in Bezug auf Luther um die Nr. 1310, 2847b, 2848b, 2397b, 2343b [par 1106], 3264b, 2726b, 3006b, 2173b, 3553, 3704, 3722 med., 3835, 4647 bzw. in Bezug auf Melanchthon um die Nr. 4727, 4463, 887, 888. 226 Es handelt sich um die Nr. 2848b, 3553, 3006b, 3264b, 2343b bzw. 1106. 227 Die meisten Apophthegmata, und selbst das heißt nur sechs, finden sich im auf „Gottes Werke“ bezogenen Locus, jeweils vier Apophthegmata wurden der Christologie bzw. dem Predigtamt zugeordnet. Ebenfalls sechs Apophthegmata wurden erst im Anhang nachgetragen und anscheinend damit bei der ersten Sichtung übergangen. 228 TR, fol. Ooooo 6r–v.

476

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

müssen. Dennoch zeigt es an, welche Aspekte in der Tischredenausgabe in besonderer Weise mit Luther verbunden wurden. Dies gilt um so mehr, als die Verweise weniger auf Überschriften und damit ganze Apophthegmata zielen, sondern oftmals auch editorische Randbemerkungen und damit einzelne Aspekte aufgreifen, die z.T. in den jeweiligen Apophthegmata selbst nur Nebenpunkte dargestellt hatten. Insofern kann mittels des Lemmas die anhand des Vergleichs mit den handschriftlichen Traditionen eruierte Luthermemoria der Tischreden methodisch abgesichert und inhaltlich geschärft werden. In Analogie zu den vorangegangenen Analysen werden dazu im ersten Schritt die „identitätskonturierende“ (2.2.1), im zweiten die „didaktische“ (2.2.2) und im dritten die „enkomiastische“ Dimension (2.2.1) der Luthermemoria der Aurifaberschen Ausgabe entfaltet. 2.2.1.

Zur identitätskonturierenden Dimension

Gemäß dem dargestellten methodischen Vorgehen orientieren sich die Analysen der primär auf die Gruppe bezogene Dimension der in der Tischredenausgabe greifbaren Luthermemoria an den Untersuchungen der handschriftlichen Traditionen. Deshalb steht am Anfang die für den „Wellerschen Kreis“ so zentrale Frage nach der Deutung von Luthers Tod (2.2.1.1). Von hier werden die Fragen nach der Memoria von Luthers Antipapalismus (2.2.1.2), nach Melanchthons Autorität (2.2.1.3) sowie die Positionierung Aurifabers in Bezug auf Luthers Werke (2.2.1.4) und der Memoria von Erasmus von Rotterdam (2.2.1.5) kritisch zu analysieren sein. Primär von der Lauterbach-Hänelschen Tradition herkommend ist darüber hinaus der Umgang mit „innerprotestantischen“ Gegnern (2.2.1.6) sowie das Motiv der Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation“ (2.2.1.7) in den Blick zu nehmen. Zu ergänzen sind diese Ausführungen zur identitätskonturierenden Dimension von Aurifabers Luthermemoria abschließend mit der Darstellung seiner diesbezüglichen genuinen Schwerpunktsetzungen (2.2.1.8). 2.2.1.1.

Zur Deutung von Luthers Tod

Die in F so entscheidende Polemik, insbesondere in ihrem Konnex mit Luthers Tod, scheint in Aurifabers Tischreden in den Hintergrund getreten zu sein. Dies legt zunächst die Rezeption des Eröffnungsapophthegmas des 32. Locus der Gothaer Handschrift nahe. Der entsprechende Abschnitt des Apophthegmas findet sich erst im Anhang der Ausgabe von 1566. Aurifabers Text ist stärker von der Dietrichschen Variante als der Rörerschen bzw. „Wellerschen“ geprägt. Dennoch teilt er einerseits mit letzterer die Konzentration auf den Schlussteil, mag also zumindest indirekt von hier beeinflusst worden sein. Andererseits erweckt die Aurifaber-

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

477

sche Variante kaum den Eindruck, als hätte Aurifaber mit diesem Apophthegma eine analoge Botschaft wie der „Wellersche Kreis“ verbunden. In der gewählten Überschrift liegt der Fokus auf der „Erhaltung“ Luthers wider dem Toben der Welt. Diesen griff Aurifaber pointiert auch in seinem Verweis auf eben dieses Apophthegma auf, so dass sein Schwerpunkt deutlich anders war.229 Zudem formulierte er den Eingangsteil in der dritten Person und im Konjunktiv, das Gegenüber Luthers wurde durch die Ergänzung des „Teufels“ und der „Könige“ statt der „Kardinäle“ und „Bischöfe“ deutlich weniger klerikal zugespitzt, sogar der Rückbezug auf die Anfänge des „depravierten Papsttums“ wurde durch die Verringerung der Zeitphase von 1000 Jahren auf 100 Jahre und damit dem Auftreten von Hus aufgegeben.230 TR, fol. 624b

Chart. A 402, fol. 100r

VD: WA.TR 1, 216,12–21 [Nr. 491]; Zitat: ebd., 12–16

Wie Gott D. Martin Luthern wider der Welt Toben erhalten hab. Doctor Luther hat oft in seinem Leben gesaget / Wenn er auf dem Bette stürbe / so sey es dem Bapst eine grosse Schande und trotz / Denn unser Herr Gott gebe jme so viel zuuerstehen / Bapst / Teufel / Könige / Fürsten und Herrn / jr solt dem Luther feind seyn / vnd solt jhme dennoch nicht mögen Schaden thun. Es ist nichts mit Johann Hussen gewesen / ich halt, das keiner in hundert Jaren gelebt hab / dem die Welt

Wenn ich auff dem bete sterbe, so ists den papisten eine große schande vnd trotz. Denn vnser Herr Gott gibt Jn zuuerstehen: Ir, Bapst, Cardinel, Bischofe, Fursten vnd Herren sollet dem Luther feindt sein vnd sollet Jm dennoch nicht schaden thun.

Wenn ich auff eim bet stirbe, so ists dem papa ein grosse schand vnd trotz, denn vnser Herr Gott gibt in souil zuuerstehn: Yhr, papa et fursten, herrn, yhr solt yhm feind sein vnd solt yhm dennoch nit mugen schaden thun.

„Es ist nichts mit Johan Hus gewest. Jch halt, das In tausent jaren niemandt gewest, dem die welt so

Es ist nichts mit Hussen gewest. Jch halt, es sey inn 1000 jaren keiner gewest, dem die welt so feind sey

Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb: „Martinus Luther wie von GOTT erhalten“. Eine analoge Relativierung lässt sich an Aurifabers Rezeption des Apophthegmas, nach dem Luther Christus und den Papst aneinander gehängt habe, feststellen. Dieses ordnete er in einer Mischfassung aus der Dietrichschen Variante mit der Cordatischen Parallele – dem Locus Vom Herrn Christo“ zu und kommentierte es verallgemeinernd mit „Fahr der Christbekenner nach der Welt ansehen“. Somit gab er die bei Rörer und F zu findende, auf Luther im Besonderen bezogene Deutung auf (vgl. TR, fol. 129r bzw. Chart. A 402, fol. 471r; WA.TR 1, 24,1–3 [Nr. 67] bzw. Ms. Bos. q. 24c, fol. 262r sowie WA.TR 2, 293,13–15 [Nr. 2010]). 229 230

478 so feind sey gewesen als mir / […].

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition feind gewest sey als mir […].

gewest als mir […].

Um Aurifabers Rezeption dieses Motivs gerecht zu werden, muss jedoch der Kontext, in dem er das Apophthegma einordnete, mitberücksichtigt werden. Allem Verzicht auf einen Luther gewidmeten Locus zum Trotz stellte er im Anhang zumindest eine kurze, auf Luthers Sterben bezogene Sequenz zusammen, auf die zudem weitestgehend auch das „Register“ verweist.231 Voran gehen zunächst unter der im „Register“ ebenfalls aufgegriffenen Überschrift „D. Martin Luther ist des Lebens vberdrüssig gewesen“ zwei Apophthegmata, die Aurifabers Rezeption des Motivs des „Abscheidenwollens“ verdeutlichen und insofern in Bezug auf die Frage nach der Deutung von Luthers Tod erst einmal hinten angestellt werden können.232 Anders verhält es sich mit dem folgenden Sondergut, das nicht nur auf die für den Kreis um Weller so wichtige Erkrankung in Schmalkalden bezogen ist, sondern auch gemeinsam mit zwei weiteren Apophthegmata mittels „M.L. Infirmitas Schmakaldiae [sic!]“ im „Register“ besonders hervorgehoben wird.233 Unter der Überschrift „D. Martin Luthers Kranckheit zu Schmalkald“ wird eingangs das folgende Gebet des schwer erkrankten Luthers wiedergegeben: „D. Mart. Luthers Kranckheit zu Schmalkald. Als D.M.L. am Sonntage Jnuocavit / Anno 1537 zu Schmalkald hatte geprediget / da ist er nach mittage sehr kranck worden am Stein / vnd fleissig gebetet vnd gesaget / O du trewer Gott / mein HErr Jhesu Christe / hat doch dein Name so viel Leuten geholffen / Hilff mir doch auch mein lieber Gott / du weist ja / das ich dein Wort mit Treu und vleis geleret hab. Si est pro gloria nominis tui / so hilff mir / das es besser werde / Si non / so schleus mir die Augen zu / Es mus doch ein mal sein / O HERR Jhesu Christe / wie fein ist es / das einer mit dem Schwert pro verbo tuo stirbet. Nu mein HErr Jhesu Christe / Ego moriar inimicus tuis inimicis / ich sterbe ins Bapsts Ban / aber er stirbet in deinem Ban / Ego gratias tibi ago mi Domine Ihesu Christe, quod in cognitione nominis tui morior. Jch wil nun thun was Gott wil / vnd ergebe mich gar in seine Gnade. Si bona suscepimus de manu Domini, mala cur non sustineamus, Ego morior in odio Papae, des Bösewichts / qui se extulit super Christum.“234

Einerseits wurde hier Luthers vorbildhafte „fromme“ Haltung im Angesicht seines drohenden Todes – v.a. durch das Motiv der Unterordnung Vgl. TR, fol. 624r–625r. Zum „Register“ vgl. TR, fol. Ooooo 6rb; zu den Apophthegmata s. S. 508f. 233 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 624v (= WA.TR 6, 301,26–302,8 [Nr. 6974]). Trotz punktueller Anklänge handelt es sich bei diesem Sondergut nicht um ein schieres Exzerpt der ausführlichen Berichte von Dietrich bzw. Myconius (vgl. WA.TR 3, 387,22– 391,2 [Nr. 3543A] bzw. ebd., 391,3–394,31 [Nr. 3543B]). 234 TR, fol. 624v (= WA.TR 6, 301,26–302,3 [Nr. 6974]). 231 232

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

479

unter Gottes Willen – vor Augen gestellt. Andererseits eignet dem Stück ein ausgeprägter antipapalistischer Impetus, den Aurifaber verstärkte durch die Ergänzung von „Triumphworten gegen Rom“, die er ahistorisch 1537 entstanden sein ließ: „Vnd hat daselbst diese Vers gemacht. || Quaesitus toties, toties tibi Rhoma petitus, || En ego per Christum viuo Lutherus adhuc, || Vna mihi spes est, qua non fraudabor Ihesus, || Hunc mihi dum teneam, perfida Roma caue.“235

Spätestens durch diese redaktionelle Ergänzung wird Aurifabers Zielpunkt, die scharfe Abgrenzung von Rom, deutlich. Diese Ausrichtung teilte Aurifaber mit dem Kreis um Weller, dennoch verschob er den Akzent, weg von einer „positiven“ Deutung des Todes Luthers. Historisch stimmig und im Sinne der „Wellerschen Tradition“ wäre es gewesen, hier den auf Luthers Tod bezogenen Hexameter „Pestis eram …“ anzuführen. Diese Akzentverschiebung kann auch am zweiten auf Schmalkalden bezogenen Apophthegma verdeutlicht werden, das sich im Unterschied zum vorangegangenen nicht nur im „Register“, sondern zusätzlich in den auf Luther im Besonderen bezogenen Loci von F und Halle findet. Aurifaber ordnete dieses dem Locus „Kranckheiten vnd derselbigen Vrsachen“ zu.236 Die entscheidenden Änderungen nahm Aurifaber im Schlussteil vor: TR, fol. 493v

D 116 2°, fol. 579r

Chart. A 402, fol. 106r

WA.TR 3,404,11–15 [Nr. 3553]

Were ich daselbst gestorben / so were es villeicht den Papisten zum vntergang gereichet / Denn wenn ich werde tod sein / so werden sie allererst sehen / wen sie an mir gehabt haben / denn andere Prediger werden nicht können also mas halten / noch die ἐπιείκειαν treffen so ich gehalten hab /

Si fuissem mortuus certe papistis in maius exitium.

Si mortuus fuissem, papistis in extremam ruinam mortuus essem,

Si mortuus fuissem, papistis in extremam ruinam mortuus essem,

Nam me mortuo alij Doctores non seruabunt talem Epijkian,

nam me mortuo uidebunt, quae habuerint. Nam alii praedicatores non seruabunt illam epijkian sicut ego,

nam me mortuo videbunt, quem habuerint; nam alii praedicatores non servabunt illam ἐπιεικειαν sicut ego,

235 TR, fol. 624v (= WA.TR 6, 302,3–8 [Nr. 6974]). Zu diesen Versen, die wohl 1522 in Hinblick auf das Cranachsche Bild vom „Junker Jörg“ verfasst wurden, s. WA 35, 599f. 236 Vgl. TR, fol. 491r [verbessert aus „591“]– 498v.

480 Vnd man hat solches albereit an Müntzer / Carlstad vnd Zwinglio / Widerteuffern zu Münster wol gesehen vnd erfaren / Es werden dieser Gesellen noch mehr komen.

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition sicut experti sumus in Zuinglio, Carolostadio

sicut in Zuinglio, sicut in Zuinglio, Carolstadio, experti Carolstadio etc. experti sumus sumus

et in multis adhuc timendum est.

et multis aliis timendum est.

et in multis aliis timendum est.

Die antipapalistische Wirkung von Luthers Tod wurde durch das ergänzte „villeicht“ deutlich relativiert. Zwar folgte Aurifaber hier nicht Halle, sondern der auch in F greifbaren Überlieferung, dennoch stellt das dortige „certe“ geradezu den Gegenpol dar, der Aurifabers Position noch klarer hervortreten lässt. Sein Ziel war vielmehr die Abgrenzung von innerprotestantischen Gegnern, wie zum einen die Ergänzung von Thomas Müntzer wie der Münsteraner „Wiedertäufer“, zum anderen die nicht als „Befürchtung (timendum)“, sondern als „Tatsache“ formulierte Vorhersage weiterer „Gesellen“ zeigt. Luthers vergangener Tod trat gegenüber dieser aktualisierenden, prophetisch anmutenden Deutung in den Hintergrund. Zudem ergänzte Aurifaber als Sondergut einen Abschluss, durch den der Fokus ebenfalls von der antipapalistischen Deutung des „Sterbens“ Luthers weg gerichtet wurde. Gezeichnet wurde das Bild des „frommen“ Luthers, der sich zwar nur widerwillig, aber auch im Widerwillen Gott anvertraut.237 Das dritte, auf Luthers Erkrankung in Schmalkalden bezogene Apophthegma weist sogar überhaupt keinen Bezug auf eine „positive“ Deutung von Luthers „Tod“ auf, insofern es auf den familiären Rahmen konzentriert ist und Luthers Zuneigung zu Frau und Kindern und die hohe theologische Wertschätzung der Ehe verdeutlicht.238 Aurifabers Rezeption der Ereignisse von Schmalkalden bietet somit ein sehr divergentes Bild. Die antipapalistische Polemik war nur im ersten Apophthegma in besonderer Weise im Blick, das jedoch auch als einziges Teil der auf Luthers „Sterben“ bezogenen Sequenz war. Dass hier entgegen dem Eindruck, der von der zu Beginn dargestellten Rezeption des Eingangsapophthegmas von F her nahegelegen hätte, tatsächlich ein besonderes Interesse Aurifabers lag, zeigt zudem der Fortgang der Sequenz, wie nun darzustellen ist.

Vgl. TR, fol. 493v. Näheres hierzu s. S. 509. Vgl. TR, fol. Ooooo 6va.435r bzw. WA.TR 4, 504,8–14 [Nr. 4786]. Näheres hierzu s. S. 525. 237 238

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

481

Aurifaber griff in dieser Sequenz des Weiteren sowohl das in F als Motto vorangehende Hexameter als auch die beiden handschriftlichen Traditionen eignende Selbstverstellung Luthers als „defensor et columna Papae“ auf.239 Doch ist auch hier eine Relativierung zu greifen, insofern Aurifaber die heilsgeschichtliche „Aufladung“ Luthers als Person nur mit Einschränkung übernahm. Der Hexameter wurde eingebettet in ein Sondergutstück, in dem „Doctor Martini Sanfftmuth gegen den Papisten“ ausgeführt wird. Nach diesem Text habe Luther 1546 in Eisleben angekündigt, dass nach ihm einer käme, der es „gröber mach[e]“. Die Botschaft ist nicht neu, relativiert aber Luthers auf sich selbst bezogenen Hexameter. Nicht der „sterbende“ Luther wird zum Träger des Gerichts, sondern eine andere Person. Dem korrespondiert, dass Aurifaber im Unterschied zu F „nur“ das „neutrale“ Wort vom „feisten Doctor“, den Luther den Maden zu essen geben wolle, als in Erfüllung gegangene „Weissagung“ von Luthers Tod bezeichnete.240 Diese stellt zugleich den Endpunkt des auf Luthers Sterben bezogenen Abschnittes dar. Dieser Befund kann zudem vom „Register“ der Tischredenausgabe her bestätigt werden. Obwohl Aurifaber dieses tendenziell „Lociweise“ erstellt hat, wurde insbesondere der Anhang mehrfach und nicht stringent ausgewertet. Unmittelbar nacheinander folgen dort die Verweise auf das Eröffnungsapophthegma und auf Luthers „Lebensüberdruss“ – und damit in umgekehrter Reihenfolge.241 Die in der Sequenz dazwischen thematisierte „Krankheit zu Schmalkalden“ wird im „Register“ erst deutlich später aufgegriffen.242 Der Hexameter wiederum wird – angesichts seiner Berühmtheit erstaunlich – erst fast ganz am Schluss notiert. Die geringe Bedeutung, die er für Aurifaber hatte, wird auch daran erkennbar, dass der Verweis „Martin Luthers Vers vom Bapst“243 ohne „Klassifizierung“ Luthers auskommt und zumal als einziger im Materialteil der Tischredenausgabe selbst keinen gesonderten Anhaltspunkt wie eine Randbemerkung oder Überschrift bietet. Der Vers bleibt trotz Verweis ganz versteckt unter der bereits genannten Überschrift „Doctor Martini Luthers Sanfftmuth gegen den Papisten“. 239 Vgl. TR, fol. 625r bzw. WA.TR 1, 410,25–29 [Nr. 844] sowie WA.TR 1, 552,27– 553,3 [Nr. 1106] / Chart. A 402, fol. 114r bzw. WA.TR 2, 425,14–18 [Nr. 2343b] / D 116 2°, fol. 572a. Den Hexameter führt er nicht nur in der bekannten Gestalt, sondern auch in der vorgeblich von Georg Sabinus verfassten (TR, fol. 625r): „Vnd hat Doctor Martin Luther diesen Vers ein Mal von sich selbst gemacht: || Pestis eram viuens, moriens ero mors tua, Papa. || Vnd Gegorgius Sabinus hat sie also reddiret. || Qui dum vixit, erat tua Pestis Papa, Lutherus, || Hic tibi causa suo funere mortis erit.“ 240 Vgl. TR, fol. 625r bzw. WA.TR 6, 302,9–15 [Nr. 6975]. 241 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 242 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 243 TR, fol. Ooooo 6vb.

482

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Insofern zeigt diese kurze, auf Luthers Sterben bezogene Sequenz in Verbindung mit der Rezeption der auf Luthers Erkrankung in Schmalkalden bezogenen Apophthegmata, dass Aurifaber zwar wie der „Wellersche Kreis“ Luthers Sterben in besonderer Weise antipapalistisch deuten konnte, jedoch fehlt der Tischredenausgabe – aller positiven Rezeption des Antipapalismus zum Trotz – der heilsgeschichtliche Impetus. Aurifaber suchte nicht primär auf Luthers Tod bezogene kontrafaktische Hoffnungsworte. Dies ist angesichts der in IV 2.1 dargestellten Verortung nur konsequent. Entsprechend entfaltete Aurifaber im Anschluss an diesen kurzen, auf Luthers Sterben bezogenen Abschnitt den „Siegeszug“ der Lehre Luthers bzw. des Wortes Gottes, eschatologisch zugespitzt und im Lob der Druckerei gipfelnd,244 d.h. den Nachtrag abschließend: „Von Druckerey. Doctor Martinus Luther sprach / Die Druckerey ist Summum et postremum donum / durch welches Gott die Sache des Evangelij fort treibet / Es ist die letzte Flamme für dem ausleschen der Welt / Sie ist Gott lob am ende. Sancti patres dormientes desiderarunt videre hunc diem reuelati Euangelij.“245

Dennoch ist im Folgenden nun weiter zu verfolgen, wie Aurifaber den in beiden handschriftlichen Traditionen zentralen Antipapalismus Luthers aufgriff. 2.2.1.2.

Aurifabers prinzipieller Antipapalismus

Aurifabers Antipapalismus ist gegenüber F prinzipieller, nicht mehr primär fundiert in den Auseinandersetzungen um das Interim und die Adiaphora. Die insbesondere in Luthers Spätwerk vehement vertretene Einsicht, dass das Papsttum der „Antichrist“ sei, stellte für Aurifaber eine der durch Luther vermittelten göttlichen Wohltaten dar.246 Entsprechend schuf er einen ganzen Locus „Vom Antichrist oder Bapste“247 und versuchte zusätzlich mittels des „Registers“ sicher zu stellen, dass diese „Offenbarung“ nicht in Vergessenheit geriet. Obwohl Aurifaber für die Verweise auf Luther auch den ersten Locus ausführlich ausgewertet hat, rekurrierte er eingangs auf den Locus „Gebet“ und wählte als erstes Stück „D.M. Luth: vermanung zum Gebet wider den Teufel vnd Papisten“.248 Die von ihm vorgenommenen redaktionellen Änderungen zeigen seine dogmatischen Schwerpunkte, verändern den Duktus letztlich aber kaum: Durch den Teufel und die Papisten sind das Wort Gottes sowie der FrieVgl. TR, fol. 625v–626r. TR, fol. 626r. 246 Vgl. z.B. Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet. 1545 (WA 54, 206– 299) bzw. TR, fol. ) 6v. 247 Vgl. TR, fol. 332r–364r. 248 Vgl. TR, fol. Ooooo 6ra. 244 245

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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den bedroht. Hiergegen soll öffentlich gebetet und zugleich Buße getan werden, wegen der Undankbarkeit der Welt: TR, fol. 211v Vermanung Doctor Martini Luthers / zum Gebet wider den Teufel vnd Papisten. Am fünff vnd zwenzigsten Decembris / predigte Doctor Martinus Luther auff seinem Geburtstage [sic!] nach essens / darnach thet er eine Vermanung zum Gebet / das Gott sein Wort bey vns je rein erhalten wolte/ das seinen Laufft vnuerhindert mit glück und frucht haben möge/ wider alles toben vnd anlaufen des Satans/ sonderlich wider die Blutgierigen Papisten/ so unser ergesten und bittersten Feinde sind. Denn wir dürffen vns zu jnen nichts bessers versehen/ denn das sie teglich/ on auffhören wider Gottes Wort vnd gemeinen Fried Rathschlagen/ das Euangelium zu dempffen vnd ein Blutbad an zurichten. Darümb wollet ihr frome Christen vnd Gottselige Hertzen beten und Busse thun/ höret nicht allein das Wort/ sondern lebet auch darnach/ das wir doch unserm lieben HERRN Gott nur ein Trotzischkenkerzlin oder Weyrauch anzündeten/ weil alle Welt/ Papisten/ Rotten/ Epicurer/ Edelleute/ Bürger, Bauern &c. so viel stancks anrichten. Die frey dahin leben/ nach jres Fleisches lust/ on allen Glauben vnd Liebe/ empfahen vnd nemen allerlei Güter von Gott, sageten jm nicht ein mal dafür ein Deo gratias, thun nimand kein Dienst.

WA.TR 4,196,24–35 [Nr. 4200]

Orandum contra papistas. 25. Decemb⌊ris in festo Natalis Luth⌊erus a prandio praedicavit, deinde exhortationem fecit ad orationem publicam pro cursu verbi contra omnem Sathanae insultum, maxime contra papistas sanguinolentos, qui adversarii essent acerbissimi; dorfften vns zu innen nichts beßers versehen, quam quod quotidie contra verbum Dei et pub⌊licam tranquillitatem consultarent: Ergo vos pii orate, poenitentiam agite, non tantum audite verbum, sed secundum illud etiam vivite. Das wir doch vnserm Hergott eine trutzischk oder weirauch anlegten, weil alle welt, papistae, Epicuri, nobiles, rustici souiel stancks anrichten, qui libere vivunt secundum carnem absque omni fide et charitate, omnia a Deo accipiunt sine gratiarum actione, nemini servientes.

Es mag Zufall sein, doch steht am Ende des „Registers“ eine analoge Vermahnung des „Volkes“ zum Gebet „wider des Teufels Wüten und Toben / in den verblendeten Papisten /, welche den Keiser und andere Könige / Potentaten vnd grosse Fürsten vnd Herrn wider das Euangelium verhetzten.“249

249 Vgl. TR, fol. 209v–210r. Ooooo 6vb bzw. WA.TR 4, 450,4–18 [Nr. 4722], Zitat: ebd., fol. 209v bzw. WA.TR 4, 450,5–7. Zum folgenden Verweis, der zwar den Namen Luthers in sich trägt, aber nicht mehr auf Luther selbst bezogen ist, s. S. 501 mit Anm. 313.

484

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Insofern rahmte dieser Aspekt geradezu die von Aurifaber besonders mit Luther in Verbindung gebrachten Apophthegmata. Welch hohe Bedeutung Aurifaber diesem Aufruf zuerkannte, macht unabhängig davon die Randbemerkung deutlich, die diese aktualisiert: „Ernste vermanung zum Gebet / wie es denn jetzt auch von nöten ist.“250

Letztlich ist hier in nuce das Proprium der theologischen Selbstverortung Aurifabers greifbar.251 Zunächst ist jedoch die Rezeption der identitätskonturierenden Aspekte der handschriftlichen Traditionen weiter zu verfolgen. In Bezug auf den Antipapalismus ist erkennbar, dass dieser aufgrund des prinzipiellen Charakters die Identität entscheidend prägte, aber gleichsam die Basis bildete, auf der andere Facetten in den Vordergrund treten konnten. Wie gezielt Aurifaber diesbezüglich die Vorlagen sichtete, kann noch einmal am ersten Stück des 32. Locus von F verdeutlicht werden. Der „Wellersche Kreis“ zweiteilte das Apophthegma und eröffnete mit dem Schluss den auf Luther bezogenen Locus252 sowie mit dem Anfang den 60. Locus.253 Aurifaber wiederum hat v.a. den Anfangsteil sehr differenziert rezipiert. Zum einen als Ganzes,254 zum anderen nochmals mit thematischen Schwerpunkten in Ausschnitten.255 Nur auf den von ihm mit „Doctor Luther ist wider den Bapst vnerschrocken gewesen“ überschriebenen Ausschnitt verweist er im „Register“ und lässt diesen konsistent mit dem Hinweis enden, dass Luther angesichts der Schwäche der ersten Angriffe über diese nur gelacht habe und seitdem „nie erschrocken were“256. Zudem verweist er im „Register“ auf antipapalistische Unteraspekte von Apophthegmata und verdeutlicht so seinen prinzipiellen gegen das Papsttum gerichteten Impetus. Dazu gehört z.B. der mit „Mercklichs vrteil D. Luthers“ kommentierte Abschnitt,257 in dem die Feindschaft gegen den Papst geradezu als dem Christen notwendig entfaltet wird: TR, fol. 344r

WA.TR 3,650,14–19 [Nr. 3839]

Wer des Herrn Christi tewres Blut ehren wil / vnd lieb hat von hertzen / der kans nicht lassen / er mus auffn Bapst / als der es mit Füssen trit / zornig sein / vnd jm

Quicunque sanguinem Christi venerari vult, non potest non in papam, conturbatorem illius, debacchari. Man kan diesem heltrachen nicht genug feindt

Vgl. TR, fol. 209v. Näheres zu Aurifabers Schwerpunktsetzungen s. IV 2.2.1.8. 252 Vgl. Chart. A 402, fol. 100r bzw. WA.TR 1, 216,12–21 [Nr. 491]. 253 Vgl. Chart. A 402, fol. 247r bzw. WA.TR 1, 215,23–216,11 [Nr. 491]. 254 Vgl. TR, fol. 304r. 255 Vgl. TR, fol. 625v bzw. ebd., fol. 619v. 256 TR, fol. 625v. Ooooo 6vb. 257 Vgl. TR, fol. 344r. Ooooo 6vb. 250 251

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe fluchen / Man kan diesem Hellerachen nicht gnug gram sein / sonderlich die Christum recht lieb haben / Denn er sündiget nu mutwilliglich vnd fursetzlich / nicht aus Jrrthumb vnd vnwissenheit / Was aus Jrrthumb geschicht / das ist Jrrthumb / da ist hoffnung.

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sein, praecipue illi, qui Christum vere diligunt. Nam ipse nunc scienter, non erranter peccat. Was aus irthumb geschicht, ist ein irthumb; ibi est spes.

Zudem wurde Luther als „Gersonist“ und damit Vertreter eines prinzipiell antipapalistischen Konziliarismus ausgewiesen.258 Luthers „Gehorsam“ gegenüber dem als Antichrist entlarvten Papst wurde an die aus protestantischer Sicht kaum erfüllbaren Bedingungen geknüpft, dass dieser Gott nicht erzürnen und Luthers Gewissen nicht verletzen dürfe.259 Dass der prinzipielle Antipapalismus die konkrete Auseinandersetzung mit dem Interim transzendiert, kann etwa an dem überlieferungsgeschichtlich so spannenden und durch den „Wellerschen Kreis“ antiinterimistisch zugespitzten Apophthegma Nr. 1671 gezeigt werden.260 Bei Aurifaber wird die mit F gemeinsame „Kurzfassung“, eines der zahlreichen Apophthegmata des Locus „Vom Antichrist oder Bapste“, überschrieben mit „Der Papisten Bosheit“. Trotz des mit F gemeinsamen Textbestandes teilt die Tischredenausgabe aber nicht die grammatikalisch „unsinnige“ Ablehnung der Unterordnung unter den Papst und die Bischöfe. Hinzu kommt am Ende von Teil B die Deutung Aurifabers, die in der ersten Person Plural formuliert ist, und entsprechend ließ Aurifaber auch den Schlussteil C, vielleicht unter Rekurs auf die Cordatische Überlieferung [Nr. 3063], vornehmlich auf die eigene Gruppe bezogen sein, führte diesen aber zugleich auf die Taufe eng: „[Teil B; …; I.K.] Das können / wollen / noch sollen wir nicht thun / Es gehe vns darüber wie der liebe Gott will / [Teil C; I.K.] Denn wir haben gelobt und geschworen in der Tauffe / Daß wir wollen bei jm und seinem Wort halten / fest an jn gleuben / vnd dem Teufel / vnd allen seinen Lügen abgesagt / Vnd in allen Anfechtungen wird die Tauffe / und das höchste Gelübde vernewet / One das hette ichs in Anfechtungen nicht können erwehren, /das sie mich nicht getödtet und uberweltiget hetten.“261

Zu diesem „Sondergut“ Aurifabers vgl. TR, fol. 362v. Ooooo 6va: „M. Luth: ein Gersonist“ bzw. WA.TR 1, 303,10–29. 259 Vgl. TR, fol. 20r. Ooooo 6rb: „Martinus Luther wie fern er dem Bapst hat wollen gehorsam sein“ bzw. WA.TR 6, 12,25–41 [Nr. 6518]. Falls der Verweis „M.L. ernste rede wider die stoltzen Canonisten vnd Juristen“ auf „cccclxix“ und nicht wie angegeben „cccccxlix“ zielte, läge hier ein Beleg für den Niederschlag des Antipapalismus in juristischer Sicht vor (vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 569r–v bzw. WA.TR 4, 280,11–282,7 [Nr. 4382a]). 260 Zur Synopse s. S. 191–194. 261 TR, fol. 362v. 258

486

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Eine Instrumentalisierung Luthers als „Mitkämpfer“ war nicht mehr das Ziel der Übernahme. Entsprechend zielt der Verweis im „Register“ auch auf den Eingangsteil, in dem die Angriffe des Teufels auf Luther durch sein „Doctorat“ relativiert werden.262 Analoges gilt in Bezug auf die Betonung der „Unbesiegbarkeit“ Luthers durch den „Wellerschen Kreis“. Das entsprechende Apophthegma wurde – ähnlich wie in Halle – dem Luthers Gegnern gewidmeten Locus zugeordnet263 und verlor so seine „aktuelle“ Aussagekraft. Des Weiteren wurden all die anderen Apophthegmata des 32. Locus von F, die Luther identitätsstiftend als Kämpfer betonten, von Aurifaber gänzlich übergangen. Vor diesem Hintergrund wird man Aurifabers betonten Verweis auf „Mart: Luthers marter mit den horis Canonicis“264, die dieser anfänglich, nachdem das Evangelium „angegangen“ wäre, noch einzuhalten versuchte bzw. allgemeiner den Verweis auf „Martin Luthers Mönchheiligkeit“265 – inhaltlich geht es um das Messopfer – eher als Warnung vor einem Rückfall in diese „papistischen“ bzw. „antichristlichen Fehler“ anzusehen haben, ohne dass hier noch das Interim im Hintergrund aufgeschienen wäre. 2.2.1.3.

Zur Frage der Autorität von Philipp Melanchthon

Nicht unabhängig von dieser Thematik ist die Frage, welche Rolle Aurifaber Melanchthon zuerkennen konnte. Dass diese Frage im Jahr 1566 nicht mehr primär von dessen Stellung zum Interim beeinflusst sein konnte, muss kaum erwähnt werden. Durch seinen Tod fand letztlich eine Verschiebung statt. Es galt zu klären, welche bleibende Autorität Melanchthon für das eigene Selbstverständnis zuerkannt wurde. Insofern überrascht es zunächst, dass die Tischredenausgabe wenig Interesse an einer Auseinandersetzung mit Melanchthon erkennen lässt. Dies kann zunächst bedingt an Aurifabers Rezeption des Apophthegmas aus F gezeigt werden, in dem eine explizite, von der Auseinandersetzung um das Interim geprägte Verhältnisbestimmung vorgenommen wurde. Bedingt deshalb, da Aurifaber nur dessen Anfang rezipierte und ihm zudem einen ganz anderen Kontext zugeordnet hatte, wie die Überschrift und der Fortgang zeigen:266

Vgl. TR, fol. 362r. Ooooo 6va: „Luth: Doctorat“. Vgl. TR, fol. 364b bzw. D 116 2°, fol. 73a; Chart. A 402, fol. 108v; WA.TR 2, 381,14–22 [Nr. 2258b]. 264 TR, fol. Ooooo 6vb bzw. ebd., 209v bzw. WA.TR 3, 485,34–486,9 [Nr. 3651]. 265 TR, fol. Ooooo 6va bzw. ebd., 190v; WA.TR 3, 103,14–19 [Nr.2935]. 266 Zu diesem Apophthegma s. S. 227f. 262 263

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe TR, fol. 38v–39r Gottes zorn ist am grösten, wenn er schweiget. Bose kleine Sachen bewegen mich seer / aber grosse am wenigsten / denn in solchen gedenck ich also / Las gehen, denn sie sind zu hoch /

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Chart. A 402, fol. 111r

WA.TR 1,30,1–5 [Nr. 80]

Variae et leves causae me movent multum, magnae autem me non movent.: Ista sunt supra me, du kanst sie. nicht halten. Darumb las sie gehen. Phil⌊ippus diversum facit. Is meis negotiis non movetur, sed illa graviora reip⌊ublicae movent eum et privata negotio religionis dicit tantum ad me pertinere. Sic varia dona sunt.

Parvae et leves causae me multum movent, magnae autem non movent, sic enim cogito: Hoc est supra te, du kanst es nit halten, ergo so lass es gehn. Diversum facit Phil⌊ippus. Is meis negotiis non movetur, sed movent eum illa grandia reip⌊ublicae et religionis. Me privata tantum premunt. Sic sunt varia dona.

wenn ich dürffte / so wolt ich mich an meinen Feinden am hefftigsten damit rechnen [sic!] / wenn ich nur stillschwiege / vnd antwortet jnen auff jr lestern nichts / das wer die grewlichste Strafe vnd Rache. Vnd zwar hat Gott kein grössern zorn denn wenn er schweiget / […].

Es ist nicht auszuschließen, dass Aurifaber auf eine bisher unbekannte Quelle rekurrierte. Ebenso möglich ist es aber, dass eine bewusste selektive Rezeption und Redaktion vorliegt. Dann stellten die Auslassung der Verhältnisbestimmung der beiden Wittenberger Autoritäten und redaktionelle Neukontextualiserung Aurifabers alternative melanchthonkritische Reaktion dar. Melanchthons „Aufgabengebiet“ würde nicht nur wie in F antiinterimistisch eingeschränkt. Melanchthon würde dem Inhalt entsprechend als „Feind“ mit „Stillschweigen“ bedacht. Dies entspräche zumindest Aurifabers Selbstverortung. Dass Aurifaber ein deutliches, jedoch kein so radikales „Verdikt“ ausgesprochen hat, kann durch den Blick auf Aurifabers Umgang mit der in Halle greifbaren Verhältnisbestimmung von Luther und Melanchthon gezeigt werden.267 Von den zehn Apophthegmata des Melanchthon gewidmeten Abschnittes rezipierte er nur vier. Bereits durch die selektive 267

S. III 2.2.3.

488

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Rezeption wie die Zuordnung des Rezipierten zu verschiedenen Loci wurde die melanchthonaffinere Position relativiert. Hinzu kommen kleine detaillierte „Stiche“, wie nun gezeigt werden soll. Das Eröffnungsapophthegma des auf Melanchthon bezogenen Unterabschnittes wurde übernommen. Das Bild von Melanchthon als der Magd Luthers war für Aurifaber rezipierbar, zumal er das Apophthegma als Warnung vor „falschen Brüdern“ verstand, wie die hinzugefügte Überschrift und die Einordnung im Locus „Von Heuchlern vnd falschen Brüdern“ zeigt.268 Insofern Aurifaber zusätzlich das auf den römischen Prälaten und italienischen Humanisten Jacopo Sadoleto bezogene Apophthegma übernahm, scheint tatsächlich die Auseinandersetzung mit Gegnern das primäre Rezeptionsinteresse gewesen zu sein. Die entscheidende Änderung findet sich in Luthers Reaktion: TR, fol. 403r

D 116 2°, fol. 595r bzw. WA.TR 4, 325,2– 6 [Nr. 4463].

Wie kan sich doch der Teufel so tieff demütigen / das er die trefflichen Menner gern wolte vom Euangelio bringen vnd abwenden. Wenn Ph. willigen wolte / so würde er leichtlich zum Cardinal gemacht / möchte gleichwol sein Weib und Kinder behalten / Sadoletus suchet vnd meinet Ph. mehr denn Sturmen. Der Satan feiret nicht / sondern gehet umbher / vnd suchet den er verschlinge / Darumb lasset vns wacker sein / wachen und beten.

Quanta haec humiliatio Sathanae, qui illos praeclaros viros ab Euangelio libenter abalienaret. Si Philippus noster [Hervorhebung; I.K.] consentiret, facile fieret cardinalis retenta etiam uxore et liberis. Ille Sadoletus non tam Sturmium quam Philippum quaerit. Sathan non quiescit, sed circuit, ut deuoret. Ergo vigilemus.

Durch die Einordnung des Apophthegmas in den auf die „Schwärmer“ bezogenen Locus, wurde der Fokus weg von Melanchthon auf die Gegner gerichtet. Zudem wurde dieser nicht wie in der Vorlage mittels „noster“ als zur eigenen Gruppe gehörig ausgewiesen. Ebenfalls in Richtung Abgrenzung bzw. Relativierung weist der Vergleich der beiden Wittenberger Autoritäten mit alttestamentlichen Propheten. Obwohl Aurifaber hier der in Khum. greifbaren Variante und nicht Halle folgte und das Apophthegma ohne eigene Überschrift dem neutralen Locus „Von den Büchern des alten vnd newen Testaments“ einfügte, achtete er insbesondere auf eine „angemessene“ Würdigung Luthers, durch die die potenzielle Würdigung von Melanchthons „lenitas“ relativiert wurde, zumal der alttestamentliche Prophet Jeremias (respektive Melanchthon) nicht wie in Halle als scharfer Papstkritiker stilisiert wurde: Vgl. TR, fol. 421v – überschrieben mit „Fur falschen Brüdern soll man sich hüten“ – bzw. D 116 2°, fol. 594v = WA.TR 4, 453,38–454,3 [Nr. 4727]. 268

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

489

TR, fol. 534r

D 116 2°, fol. 595v bzw. WA.TR 1, 443,12–14.17f. [Nr. 887f.]

WA.TR 2, 410,17–20 [Nr. 2296b]

Daniel vnd Esaias sind die zwene fürtrefflichsten Propheten gewesen fur den andern allen / sprach D. Martinus Luther / Jch bin Esaias / auff das ich mich auch rhüme / Gott zu ehren / des Werck und Gaben es ist allein / vnd dem Teufel zu trotz / der es gern hindern und vertilgen wolte / [Hervorhebung; I.K.] Philippus ist Jeremias / derselbe Prophet hat immerzu sorge gehabt / er schelte zu viel / Also thut auch D. M. Philip.

Dauid, Daniel et Esaias excellentissimi prophetae fuerunt. Ego sum Esaias,

Daniel et Esaias excellentissimi duo prophetae fuerunt prae aliis. Ego sum Esaias,

Philippus Hieremias. Der selbige prophet hat immer sorge, er schelde tzuuiel. Also mein Philippus auch. Wann mich gott also schülde als den babst in Hieremia, so müste ich sterben, sed papa nihil movetur.269

Philippus Hieremias. Der selb prophet hat imer sorge gehabt, er schelde zwuil; sic etiam facit Philippus Melanchth⌊on.

Die weiteren, vornehmlich „melanchthonfreundlichen“ Apophthegmata aus Halle wurden nicht rezipiert, so dass Aurifaber anscheinend die Frage der Verhältnisbestimmung tatsächlich durch deutliche Abgrenzung und bedingte Würdigung Melanchthons löste. Zugleich muss nochmals hervorgehoben werden, dass die Thematik für ihn wenig zentral war, wie zudem die fehlenden Verweise im „Registers“ zeigen. Nur ein indirekter Niederschlag ist zu finden, wenn man dem Verweis auf „M. Luthers rat / wie einer könne ein guter Theologus vnd Prediger werden“ folgt, insofern dort u.a. Melanchthons Loci communes und Römerbriefkommentar positiv rezipiert werden.270 Dennoch griff Aurifaber auch hier relativierend ein:

269 Diese Aussage schließt bei Aurifaber im Locus „Von Gottes Wercken“ das mit „Gott verdreusts seer das man jn nicht fur ein Gott halten wil“ überschriebene Apophthegma ab (vgl. TR, fol. 36v). 270 S. S. 518.

490

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

TR, fol. 275r

WA.TR 5, 204,24–28 [Nr. 5511]

Jr findet kein Buch / vnter allen seinen Büchern / da die Summa Religionis / oder die gantze Theologia fein bey einander ist / als in den Locis commmunibus. […] Philippus ist enger gespannet / denn ich / ille pugnat & docet, ich bin mehr ein Rhetoricus / oder ein Wesscher.

Jr find kein buch vnter der sonnen, da die gantze theologia so fein beieinander ist als in locis communibus. […] Philip⌊pus ist enger gespant denn ich, pugnat et docet; ich bin ein wescher, bin magis rhetoricus.

Das hohe Lob der Loci in ihrer Einzigartigkeit „vnter der sonnen“ wurde relativiert als „vnter allen seinen Büchern“, was zugleich eine Kritik an anderen Werken Melanchthons implizierte. Die Selbstkritik Luthers wiederum wurde durch die Voranstellung der deutlich positiver konnotierten Selbstbezeichnung als „Rhetoricus“ entschärft. Aufgrund dieses Mittelweges, der eine punktuelle positive Würdigung Melanchthons zuließ, erscheint der dahinter stehende Gegensatz zwischen Aurifaber und Melanchthon deutlich weniger prinzipieller und damit auch weniger identitätskonturierender Natur zu sein als Aurifabers Aneignung des Antipapalismus. 2.2.1.4.

Zur Positionierung in Bezug auf Luthers Werke

Dem Mittelweg hinsichtlich der Frage nach der Autorität Melanchthons korrespondiert, dass auch die in F wie Halle greifbare Positionierung bezüglich der (doppelten) Werkausgabe von Aurifaber nicht übernommen wurde.271 Durch das „Register“ gerät jedoch ein in den handschriftlichen Traditionen nicht aufgegriffenes Apophthegma in den Blick. Dieses zielt aber vornehmlich auf die Bibel, wie zunächst dessen Zuordnung zum Locus „Von Gottes Wort“ deutlich macht. Überschrieben ist es mit „Klage D. Luthers vber die menge der Bücher / vnd vermanung, das man die Bibel wol lesen solle“.272 Entsprechend heben auch die Verweise zum einen die Klage hervor. Zum anderen wird „M.L. vleis in der Bibel in seiner jugent“ betont. Erst das dritte Moment, „M.L. Wundsch von seinen Büchern“ lässt das Thema der Werkausgabe aufscheinen:273 TR, fol. 22r

WA.TR 4,432,22–25 [Nr. 4691]

[Am Rand: „D.M,L. wündsch von seinen Büchern“; I.K.] Darumb wolt ich auch wündschen / das alle meine Bücher neun

Ideo optarem omnes meos libros sepultos propter exemplum malum, dan es

S. hierzu II 2.1.5 bzw. III 2.2.4. Vgl. TR, fol. 22r bzw. WA.TR 4, 432,13–25 [Nr. 4691]. 273 Zu den Verweisen vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 271 272

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe ellen in die erde begraben würden / umb des bösen Exempels Willen / das mir sonst ein jglicher wil nachfolgen mit viel Bücher schreiben / dadurch einer denn wil berühmet sein. Nein Christus ist um unserer eitel ehre willen nicht gestorben / das wir ruhm vnd ehre hetten / sondern er ist gestorben / auff das allein sein Name geheiliget würde.

491

wil sonsten ein jeder mir nach folgen, et volunt per hoc fieri gloriosi, quasi Christus ideo sit mortuus, pro nostra vanissima gloria, non pro sanctificatione nominis sui.

Dieser von Aurifaber mit der Ellenangabe noch eindrücklich betonte Wunsch Luthers, seine Bücher würden den Nachkommen nicht überliefert, widerspricht letztlich jeglicher Werkausgabe Luthers. Hierin kann keine Positionierung bezüglich des „doppelten“ Kanons, d.h. der Wittenberger bzw. Jenaer Ausgabe, gesehen werden. Zugleich lässt die theologische Argumentation mit der „Ruhmsucht“, die mit dem Bücherschreiben einhergehe, die Möglichkeit offen, mit anders geartetem Impetus, d.h. dem Fokus auf die Bewahrung der göttlichen Lehre, trotzdem die Werke Luthers der Nachwelt zu überliefern. Insofern steht die Hervorhebung dieses Momentes nicht absolut im Gegensatz zu Aurifabers eigener Tätigkeit als Editor. Dass er sich bezüglich des „doppelten Kanons“ nicht positionierte, mag freilich auch von hier mitbedingt sein. Ebenso wenig darf die im vorangehenden Unterkapitel erwähnte Hervorhebung einzelner Werke nicht als dem Lauterbach-Hänelschen „Werkkanon“ äquivalent und damit als identitätskonturierende Antwort auf die Kanonfrage angesehen werden. Während sich in Halle ein ganzer Unterabschnitt des auf Luther bezogenen Locus mit dessen Werk beschäftigt, handelt es sich hier um einen punktuellen Beleg, der von Aurifaber mit dem Fokus auf die Theologenausbildung rezipiert wurde.274 Am Ende des Apophthegmas steht außerdem der Hinweis auf Luthers andere Bücher, die man lesen möge „pro cognoscenda Historia reuelati Euangelij [Hervorhebung; I.K.], das man sehe / wie die Lere ist erstlich angangen / denn es ist nicht so liechte gewesen als jtzunder“275.

Somit wird der potenzielle „Kanon“ gleichsam wieder gesprengt durch den Hinweis auf die aktuelle, heilsgeschichtlich besondere – und nach Aurifaber bedrohliche – Situation; in der Vorlage stand demgegenüber nur „pro historia“.276 Die nur in F über die Kanonfrage hinaus greifbare mahnende Erinnerung an Luthers Bibelübersetzung wurde von Aurifaber hingegen rezipiert. Dies ist angesichts der Deutung eben dieser als eine der „Wohltaten S. S. 489f. Zum thematischen Fokus des Apophthegmas s. S. 518. TR, fol. 275r bzw. WA.TR 5, 204,30–32 [Nr. 5511]. 276 WA.TR 5, 204,30 [Nr. 5511]. 274 275

492

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Gottes“ durch Luther – und zwar als die erstgenannte – wenig verwunderlich.277 Die beiden im Fokus stehenden Apophthegmata wurden von Aurifaber, ergänzt durch ein Zwischenstück, aufgegriffen. Am Anfang steht die nachdrückliche Mahnung, dieses mit viel Mühe erstellte Werk nach Luthers Tod „wohl“ zu gebrauchen. Die folgende Synopse macht erneut deutlich, dass es Aurifaber letztlich nicht um Luther als Person oder sein Werk als solches ging. Nur er verband die Vollendung der Bibelübersetzung mit dem Motiv, dass Luther mit dem Arbeiten aufhören könne, da das Notwendige nun vorliege. Möglicherweise ist sogar das „Sehet allein [Hervorhebung; I.K.] zu“ in diese Richtung zu deuten. Zugleich nahm Aurifaber die Bibelübersetzung tatsächlich für Luther als Einzelleistung in Anspruch, wenn er das „uns“ der Übersetzungsgruppe durch das „mich“ Luthers ersetzte und dadurch dessen „Werkzeugcharakter“ verstärkte: TR, fol. 622r Verdolmetschung der Bibel. Doctor Martinus Luther sprach /

Chart. A 402, fol. 109r

Tantus est labor in ecclesiastico, quo finito paululum quiescam. Jr habt nun die Bibel Jr habt nhun, was jn der verdeutschet / ich wil auch heiligen schrifft steht, nun aufhören zu arbeiten / sehet, das irs nach meinem ihr habts nun / was ir haben tode wol gebraucht. Es hat sollet. Sehet alleine zu / vnd vns erbeit gnug gestanden, gebraucht es wol nach mei- wirt aber von den vnsern nem tode / Es hat mich wenig geacht. Adversarii Arbeit gnug gestanden / plus legunt quam nostrates. wird aber von vns wenig Credo ducem Georgium geachtet. Vnser Widerdiligentius legisse quam sacher lesens viel mehr / omnes nostros nobiles. denn vnser Leute / Jch Nam ille fertur dixisse: gleube, das H. Georg die Wenn doch der Monch die Bibel vleissiger gelesen Biblia vollendet deutzschte hab / denn alle vnsere von vnd gienge darnach hin, wo Adel / denn er sol zu er solte! einem gesagt haben / Wenn doch der Mönch / die Bibel vollend verdeutschet / vnd gieng hernach dahin / wenn er wollte. Hoc testimonium habeo a duce Georgio et omnibus 277

Vgl. TR, fol. ) 6v.

WA.TR 2,661,27 [Nr. 2790b] Bibliae translatio. Tantus labor est in Ecclesiastico! Quo finito suspendam organa. Jhr habts nun gar in der heiligen schrifft; sehet nur, das ihrs nach meinem todt wol gebraucht. Es hatt vns erbeit genung gestanden, wirdts aber von den vnsern wenig geachtet. Adversarii plus legunt quam nostrates. Credo d⌊ucem Georgium diligentius legisse quam omnes nostros nobiles. Nam ille fatetur se dixisse: Wenn doch der munch die bibell vollent deutschett vnd gieng darnach hin, wo er solt!

Hoc testimonium habeo a d⌊uce Georgio et omnibus

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe papistis, qui nunc nostra utuntur translatione.

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papistis, qui nunc nostra utuntur translatione.

Ohne neue Überschrift ergänzte Aurifaber eine anonymisierte Kritik am kaiserlichen Gebot, an der lateinischen Sprache festzuhalten.278 Diesem kontrastiert „Luther“ Worte aus Psalm 150 bzw. 19, so dass die Bibelübersetzung theologisch legitimiert wurde. Daran schließt das zweite Apophthegma aus F sinnvoll an, wenn dort eingangs die Notwendigkeit einer einheitlichen Gesamtübersetzung, wenn auch bei Aurifaber deutlich zurückhaltender, begründet wird.279 Dass Aurifaber trotzdem keine „Fundamentalopposition“ zur altgläubigen lateinischen Bibel einnahm, wie sie noch dem „Wellerschen Kreis“ eignete, zeigt seine Version des Mittelteils, der sich auch bei Rörer findet: TR, fol. 622v

Chart. A 402, fol. 104r

WA.TR 1,486,19–23 [Nr. 961] = Ms. Bos. q. 24f, fol. 207r

S. Jeronymus hat für seine Person / das meiste und gröste im Dolmetschen gethan / welches jme keiner allein nach thun wird / vnd hette er zwene oder drey zu sich genomen / die jm geholffen / so were der heilige Geist auch krefftiger [Hervorhebung; I.K.] darbey gewesen.

Hieronimus pro sua persona maximum praestitit in vertendis bibliis. Nulla enim priuata persona tantum praestabit. Si autem se tribus aut duobus sociasset, tunc Spiritus quoque adfuisset.

S. Hiero⌊nymus hat fur ein person gnug gethan. Nulla enim privata persona tantum efficere potuisset. Si unum atque alterum coniunxisset sibi, Spiritus Sanctus affuisset illis

Nam ‚ubi duo aut tres etc [Mt 18, 20]‘. Auch fallen einem nicht alleweg die rechten naturlichen wort ein.

iuxta illud: Ubi duo vel tres etc. Nec translatores debent esse soli, denn eim einigen fallen nicht allzeit gut et propria verba zu.

Entscheidend ist die redaktionelle Einfügung des „krefftiger“ und die Auslassung des Verweises auf Mt 18,20. Dadurch wurde die Inspiriertheit der Vulgata im Unterschied zu F nicht gänzlich abgelehnt. Dass für Aurifaber dennoch die lutherische Übersetzung die normative war bzw. den krönenden Abschluss darstellte, macht sein Verweis im „Register“ „M. Luther die Bibel verdeudscht“ deutlich. Dort findet sich unter der Überschrift „Welche / vnd zu was zeit die Biblia verdolmetschet?“ eine redak278 279

TR, fol. 622r bzw. WA.TR 2, 443,21–27 [Nr. 2388b]. Vgl. TR, fol. 622r bzw. Chart. A 402, fol. 104r – zur Synopse s. S. 219.

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

tionelle Verbindung des soeben zitierten Mittelteils mit einem weiteren Apophthegma.280 Insgesamt entstand so ein Abriss der verschiedenen Übersetzungen: Von der Septuaginta über Aquila, Theodotius, Symmachus, einer anonymen „fünften Tradition“, Hieronymus hin zu Luthers Übersetzung, die über die Vorlagen hinaus wie folgt gewürdigt wurde: „Vnd weil der Heiden Kirche gestanden ist / so hat man die Bibel noch nie also gehabt / das man sie so fertig vnd verständlich / sicher / one anstos hette lesen können / als wir sie hie zu Wittenberg zugericht / vnd in die Deutsche sprache (Gottlob) gebracht haben.“281

Diese Würdigung bestätigt den bereits gewonnenen Eindruck, dass Aurifabers „Luther“ keine Fundamentalopposition einnehmen musste, um die Priorität der Wittenberger Übersetzung hervorzuheben. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass Aurifabers Lutherbild durch den zeitlichen Abstand zu den Kontroversen um das Interim und die Adiaphora diesen nicht mehr als Mitstreiter in diesen vergangenen Konflikten konzeptualisierte, sondern andere, teilweise differenziertere Wege ging. In Erasmus bzw. dessen Theologie sah Aurifaber demgegenüber auch Mitte der 1560er Jahre eine bleibende Gefahr. 2.2.1.5.

Bleibende Abgrenzung von Erasmus von Rotterdam

Erasmus von Rotterdam ist im Locus „Von Schwermern / Rotten vnd Secten / so sich wider D.M.L. gelegt haben“ ein ganzer Unterabschnitt gewidmet.282 Dort hat Aurifaber auch das quasi-„anti-erasmianische Testament“ aus dem 32. Locus von F übernommen. Das er den Fokus des „Wellerschen Kreises“ teilte, zeigt die gewählte Überschrift: „Fur Erasmi Büchern soll man sich hüten.“283 Den Locus als Ganzes erstellte Aurifaber primär von Halle her,284 die vertiefte Auseinandersetzung mit Erasmus scheint aber durch den 43. Locus von F („De Erasmo Roterodamo“) grundgelegt worden zu sein.285 Wenn er im „Register“ zudem mittels „M.L. Vom Erasmo Roterdamo“286 auf den Anfang des Unterabschnitts verwies, wurde das Gewicht deutlich, dass er diesem Aspekt zuerkannte. 280 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 1v bzw. WA.TR 5, 395,17–28 [Nr. 5901] mit WA.TR 1, 486,19–23 [Nr. 961]. 281 TR, fol. 1v. 282 Vgl. TR, fol. 409b–414r. 283 Inhaltlich setzt Aurifaber in diesem Apophthegma keine zusätzlichen Akzente, dennoch entfaltet er die Vorwürfe gegen Erasmus mit vielen Worten, „bläht“ das Apophthegma regelrecht auf (vgl. TR, fol. 413r–v bzw. Chart A 402, fol. 470v; WA.TR 1, 195,6–22 [Nr. 446]). 284 Zu den dortigen Loci, die Aurifaber zusammengefasst hatte s. S. 495f. 285 Vgl. TR, fol. 409b–414r bzw. Chart. A 402, fol. 154r–156v. 286 TR, fol. Ooooo 6va.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Insofern zeichnet sich ab, dass Aurifaber durch Erasmus die Grundlagen der Lehre Luthers und damit das für ihn Entscheidende bedroht sah, so das er Luthers Mahnung bewusst fortschrieb. Von den weiteren Apophthegmata, auf deren Grundlage die Intention einer Bekräftigung des „Lutherischen Lehrvermächtnisses“ seitens des „Wellerschen Kreises“ erhoben wurde, übernahm Aurifaber – ohne besondere Hervorhebung – nur die Schilderung von Luthers theologischem „Durchbruch“. Dass er daran kein historisches oder „heilsgeschichtliches“ Interesse hatte, vielmehr ein dogmatisch-exegetisches, zeigen zum einen die Einordnung in den auf die Rechtfertigungslehre bezogenen Locus, zum anderen die Überschrift „Der Gerechte lebt seines Glaubens“ und zum Dritten die Randbemerkungen „Schrifftnutz 2. Timoth. 3“ bzw. „Auffmercken im Schrifftforschen“.287 Dass die erste Bemerkung fälschlicherweise auf den zweiten Timotheusbrief und nicht die im Text genannte und für Luther zentrale Stelle Röm 1,17 verweist, belegt wohl am eindrücklichsten, dass der Text nur „oberflächlich“ rezipiert wurde. Dennoch wird auf Aurifabers Konzentration auf die Lehre vor dem Hintergrund des „Registers“ noch einmal gesondert zurückzukommen sein.288 Zunächst sollen die Aspekte in den Blick genommen werden, die primär von der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ herkommen. Bereits dargestellt wurde, wie gezielt Aurifaber das differenzierte Ringen um Melanchthons Autorität letztlich aufgelöst hat. Erwähnt wurde zudem, dass deren nicht minder differenzierte Positionierung in den Debatten um die doppelte Werkausgabe gänzlich ignoriert wurde. Einzig das konfessionspolemische Element fand auch bei Aurifaber seinen Niederschlag.289 Der antipapalistische Impetus Aurifabers wurde ebenfalls bereits entfaltet – hier kommen mit Blick auf den auf Luther bezogenen Locus von Halle jedoch keine zusätzlichen Akzente hinzu. Aurifabers Interesse an innerprotestantischen Abgrenzungen wiederum wird an der Übernahme von den „Gegnern“ gewidmeter Loci deutlich. 2.2.1.6.

Zum Umgang mit innerprotestantischen Gegnern

Zentral für die Frage nach dem Umgang mit innerprotestantischen Gegnern ist erneut der Locus „Von Schwermern / Rotten vnd Secten / so sich wider D.M.L. gelegt haben“. In diesen verbindet Aurifaber die folgenden 287 Zum Locus „Das der Glaube an Christum allein für Gott gerecht mache“ s. TR, fol. 182r–199v; zum Apophthegma s. ebd., fol. 197r–v bzw. Chart. A 402, fol. 473r–v [WA 48, 617,9–15]; WA.TR 5, 210,6–22, 6–16 [Nr. 5518]. Zum näheren Inhalt s. S. 211f. 288 S. IV 2.2.1.8. 289 Zu diesem s. III 2.2.2.

496

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Loci von Halle: „Adversarii haeretici contra D. Lutherum“290, „Anabaptistae haeretici“291 – inklusive des Unterabschnittes „Antinomi“292 – und „Haeretici“293. Ebenso wie die Auseinandersetzung mit Erasmus hat er vermutlich auch das auf die Auseinandersetzung mit den „Schwärmern“ bezogene Apophthegma Nr. 2896b aus dem 32. Locus von F übernommen. Er zielte dabei aber weniger auf die darin greifbare inhaltliche Auseinandersetzung als auf die göttliche „Bewahrung“ Luthers, wie der Verweis im „Register“ zeigt: „M. Luth: wie er fur den Rotten von Gott bewaret“.294 Hinzu kommen die Loci „Heuchler und falsche Brüder“ (XL) bzw. „Sophisterey“ (XLI), die ebenfalls in Halle grundgelegt waren.295 Insofern bereits in der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ diese Dimension kaum Niederschlag im auf Luther bezogenen Locus fand, musste Aurifabers Rezeption vorrangig auf die genannten Loci beschränkt bleiben. Dennoch schlug sich Aurifabers noch weiter zu entfaltende Konzentration auf die Lehre auch in dieser Hinsicht nieder.296 Zunächst ist jedoch noch die Rezeption des Motivs der Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation darzustellen. 2.2.1.7.

Zur Rezeption des Motivs der Erinnerung an die Anfänge von „Luthers“ Reformation

Bereits eingangs ist festzuhalten, dass die in der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ so zentrale Erinnerung an die (heilsgeschichtlichen) Anfänge der Reformation bzw. entsprechende biographische Stationen Luthers bei Aurifaber auf kein Interesse stieß. Lediglich Luthers Rückblick auf sein Streitgespräch mit Schurff auf der Reise nach Kemberg 1517 wurde von Aurifaber übernommen. Dass hier tatsächlich Halle die Quelle war, zeigt sich daran, dass Aurifaber denselben Mittelteil übernahm, obwohl er auch eine Langfassung kannte.297 Die ohne eigene Akzentuierungen übersetzte „Kurzfassung“ ist überschrieben mit „Wie D. Mart. zum Handel kommen sei“, lässt also den „Lauterbach-Hänelschen“ Impetus durchaus erkennen. D 116 °2, fol. 228v–254v. D 116 °2, fol. 262r–266v. 292 D 116 °2, fol. 245v–254v. 293 D 116 °2, fol. 646r–650r. 294 Vgl. TR, fol. 389r. Ooooo 6va bzw. Chart. A 402, fol. 105r [WA 48, 523,20–22]; WA.TR 3, 59,11–20 [Nr. 2896b]. Die in Halle greifbare Version (s. D 116 2°, fol. 236v) war, wie ein textkritischer Vergleich zeigt, nicht die Vorlage. 295 Vgl. D 116 2°, fol. 644v: Sophistica; 644v–645v: Hypocrisis. Falsi fratres. 296 S. IV 2.2.1.8. 297 Vgl. TR, fol. 269v bzw. D 116 2°, fol. 582r–v; WA.TR 3, 564,11–26 [Nr. 3722 med.]. Zu diesem Apophthegma s. S. 367f. Zur Langfassung, die den Eingangsteil und Teile des Mittelteils umfasst, vgl. TR, fol. 530r bzw. WA.TR 3, 563,31–564,21 [Nr. 3722]. Der Fokus liegt hier auf den „Schultheologen“. 290 291

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Die Zuordnung zum Locus „Vom Predigtamt oder Kirchendienern“ legt jedoch nahe, dass Luther hier in seinem unbeirrten Eintreten für die „Wahrheit“ als Vorbild für die Prediger angeführt wurde. Dafür spricht, dass dieses Apophthegma Teil eines aus dem auf Luther bezogenen Locus übernommenen Blockes ist. Am Anfang steht die am „Prediger“ Luther verdeutlichte Erfahrung, dass man die Predigt wenig achte – so Aurifabers Rezeptionshinweis in der Überschrift. Inhaltlich setzte auch diese Übersetzung keine Akzente gegenüber der Fassung von Halle. Dass hier eine „belehrende“ Funktion des „Hausvaters“ und damit Luther als „paterfamilias“ greifbar wird, wurde von Aurifaber an dieser Stelle nicht hervorgehoben.298 Als zweites Apophthegma dieses Blocks griff Aurifaber das Thema der finanziellen Sorgen von Amtsträgern auf, prinzipalisierte diese aber zugleich, wie er durch seine Überschrift deutlich machte, die den Fokus auf die Folgen für die Kirche legte: TR, fol. 269v Hunger macht die Kirchen wüste. Ein Pfarrherr bey Zerbst / muste Hungers und [Hervorhebung; I.K.] Armuts halben seine Pfarr vnd Vocation verlassen. Da sprach D. Mart. Das sind Vorbereitung vnd Vorboten zu Gottes Zorn vnd Straffen / Wir wollen den armen Dienern Gottes nicht zu essen geben / so wird vns Gott widerumb nicht zu essen geben.

D 116 2°, fol 582r bzw. WA.TR 3,549,8–13 [Nr. 3704] Quidam pastor prope Zerbest paupertate coactus est suam deserere uocationem. Respondit D⌊octor M⌊artinus Lutherus: Haec omnia sunt praeparationes ad iram Dei et plagas. Wir wollen den armen gotteß dienern nicht zu essen geben, so wirdt vnnß gott widerumb nicht tzu essen geben.

Insofern solidarisierte sich Aurifabers „Luther“ nur bedingt mit den notleidenden Amtsträgern. Im Hintergrund dieser kurzen Sequenz dürfte vielmehr primär Aurifabers – autobiographisch zurückgebundenes – Plädoyer für das unbeirrte Bekenntnis der Lehre stehen, das sich insbesondere im „Register“ wie im von ihm neugeschaffenen Locus „Vom Bekentnis der Lere vnd Bestendigkeit“ (XVI) niedergeschlagen hat. Damit ist erneut ein Schwerpunkt Aurifabers benannt. Bevor dieser vertieft wird, kann Aurifabers Verzicht auf eine heilsgeschichtliche Deutung der Anfänge anhand des „Registers“ zusätzlich begründet werden.

298 Vgl. TR, fol. 268r–269v bzw. D 116 2°, fol. 573v = WA.TR 2, 617,14–20 [Nr. 2726b]. Zu diesem Apophthegma s. S. 415f. Aurifabers Überschrift lautet: „Man achtet doch der Predigt wenig.“

498

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Mit „Mart. Luthers gedancken da er hat angefangen zu schreiben“ hob Aurifaber folgende Einleitung, die ein Sondergut darstellt, zu einem Apophthegma im Locus „Von Gottes Wort“ hervor: „Doctor Luther sagte einmal / hette ich in der erste gewust da ich anfing zu schreiben / das ich itzt erfahren vnd gesehen hab (nemlich / das die Leute Gottes wort so feind weren / vnd setzten sich so hefftig dawider) / so hette ich fürwar stille geschwiegen / denn ich were nimermehr so küne gewesen / das ich den Bapst / vnd schier alle Menschen hette angegriffen / vnd sie erzürnet. Jch meinete sie sündigten nur aus vnwissenheit und menschlichen gebrechen / vnd unterstunden sich nicht fürsetziglich Gottes Wort zuunterdrücken / aber Gott hat mich hinan gefüret wie einen Gaul dem die Augen geblendet sind / das er die nicht sehe so zu jm zurennen.“299

Im Zentrum steht Luthers damalige, aus „gegenwärtiger“ Perspektive als „falsch“ erkannte Wahrnehmung seiner Zeitgenossen in ihrem Verhältnis zum Wort Gottes. Insbesondere durch den Verweis aktualisierte Aurifaber die laut Sondergut von Luther geäußerte Kritik. Ein Interesse an den Anfängen als solchen ist nicht erkennbar. Diese Ausführungen werden zudem flankiert durch einen fast unmittelbar folgenden weiteren Hinweis auf „Mart. Luthers Menschliche gedancken von der Welt“. Im entsprechenden, ebenfalls nur bei Aurifaber greifbaren Apophthegma wird Luthers anfängliche „Naivität“ entfaltet, d.h. die Überzeugung, dass die von ihm entdeckte Wahrheit von allen, sogar Bischöfen und Lehrenden an den „hohen Schulen“ freudig aufgenommen würde.300 Damit ist der Übergang zu Aurifabers über die handschriftlichen Traditionen hinausgehenden Schwerpunkten aber endgültig erfolgt. 2.2.1.8.

Aurifabers genuine Schwerpunktsetzungen

Die in der Tischredenausgabe greifbaren genuinen Schwerpunktsetzungen spiegeln letztlich Aurifabers theologische Selbstverortung wider. Zunächst soll dargestellt werden, dass in identitätskonturierender Perspektive in grundlegender Weise der Rekurs auf die Lehre prägend war. Dies kann differenziert an dem von Aurifaber neugeschaffenen Locus „Vom Bekentnis der Lere vnd Bestendigkeit“ (XVI), ergänzt durch die Verweise des „Registers“, gezeigt werden. Der Locus weist einen eindrücklichen Spannungsbogen auf: Aurifaber eröffnete diesen mit einem von ihm betonten Verweis auf das Wort Gottes und die Rechtfertigungslehre als Grundlage:

299 300

TR, fol. 8r. Ooooo 6rb. Vgl. TR, fol. 12r. Ooooo 6rb bzw. WA.TR 6, 6,11–20 [Nr. 6501].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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TR, fol. 216r

WA.TR 3, 259,33–260,4 [Nr. 3301]; Zitat: ebd., 259,33f.

Durch Gottes Wort vnd den Artikel der Justification (wie man für Gott fromm gerecht vnd selig wird) wird alle traurigkeit und kümmernis, vnglück vnd anligen vberwunden vnd vertrieben / one das ist weder Rat noch Hülffe.

Verbo Dei et articulis iustificationis tristitiae sunt pellendae.

An den folgenden Märtyrergeschichten verdeutlichen insbesondere die von Aurifaber ergänzten Aktualisierungen sein primäres Interesse: TR, fol. 216r

WA.TR 3, 260,3f. [Nr. 3301]

Es sind / sprach der Doctor / Wort eines grossen Glaubens / der des Todes schrecken vberwindet. Also suchet vns der Teufel jtzund mit ernst / darümb müssen wir jm auch mit ernst begegnen.

Sic vincitur tristitia et ipsius quoque terrores mortis.

Während Aurifaber hier auf den Glauben und das Wirken des Teufels zielte, ließ er „Luther“ den als „Exempel der Bestendigkeit“ eingeführten Märtyrertod eines Schulmeisters in England, der für seine Lehrüberzeugung starb, wie folgt kommentieren: „O das wir auch köndten also bestendig sein / wenn es dazu kömet / sprach Doctor Martinus Luther / vnd sagte weiter. Wenn die Oberkeit selbs Feind und wider Gottes Wort ist / so weichen / verkeuffen vnd verlassen wir alles / flihen von einer Stad in die ander / wie CHRISTUS befihlet / denn umbs Euangelii willen / soll man keinen lermen anrichten noch widerstand thun / sondern man soll alles leiden.“301

Hier tritt neben die Mahnung zur Beständigkeit die konkrete Handlungsanweisung gegenüber einer Obrigkeit, die ihren autobiographischen Anhalt in Aurifabers Weggang von Weimar hatte, zugleich aber zur allgemeinen Maxime erhoben wurde. Im Folgenden bot Aurifaber unter den Überschriften „Was Christus von vns foddert“302 bzw. „Was dem Glauben folget“303 theologische Begründungen für den Zusammenhang von Glauben und Martyrium, komprimiert greifbar in seinem Zusatz:

TR, fol. 216r. Aurifaber kommentierte hier WA.TR 5, 405,3–12 [Nr. 5943]. TR, fol. 216v bzw. WA.TR 2, 225,1929 mit Anm. 18 [Nr. 1816]. 303 TR, fol. 216v bzw. WA.TR 1, 546,20f. [Nr. 1083].546,33–35 [Nr. 1084].547,5f. [Nr. 1085]. 301 302

500

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

„Also gehören an einander / vnd sind eines Gottfürchtigen eigen / Glaub / Bekenntnis vnd H. Creutz.“304

Diesen sicherte er zudem ab durch die aus Halle übernommene harte Beurteilung Luthers von „Apostaten“.305 Schon diese Ausführungen haben verdeutlicht, dass es Aurifaber in diesem Locus nicht um eine enkomiastische Erhöhung eines „Märtyrertum“ Luthers ging.306 Vielmehr eignet Aurifaber hier unter Hintenanstellung von Luthers Person ein „prinzipiell-aktuelles“ Interesse, für das er Luther primär als „Sprachrohr“ in Anspruch nahm. Im nächsten Schritt machte er diese „prinzipiell-aktuelle“ Rezeption in doppelter Weise deutlich: Zum einen bot er als Zielpunkt ein Sondergut, welches ein geradezu „flammendes“ Plädoyer Luthers an jeden Einzelnen, aber insbesondere Amtsträger darstellt, an der wahren Lehre festzuhalten: „Ein jglicher Christ ist schüldig Christum zu bekenenn. Ein jglich Christ / sonderlich die / so offentlich ein Ampt füren in der Christenheit / sol als für sich selbr allzeit bereit sein / das er stehen könne / wo es not ist / seinen Herrn Christum zubekennen / vnd seinen Glauben zuuertreten / vnd jmerdar gerüst sein / wider die Welt / Teufel / Rotten / vnd was er vermag auffzubringen. Das wird aber nimand bald thun / er sey denn der Lere also gewis / das / ob auch ich selbr zum Narren würde (da Gott für sey) vnd widerruffete / oder verleugnete meine Lere / das er darümb nicht dauon trete / sondern speche / Wenn auch Luther selbr / oder ein Engel vom Himel anders lerete / so sey er vermaledeiet / Gal.1.“307

Zum anderen machte Aurifaber die politische Dimension deutlich, jedoch mit besonderem Fokus. Positiv hervorgehoben wurden Herzog Johann, Kurfürst zu Sachsen,308 sowie Herzog Heinrich zu Sachsen.309 Gottes Eintreten für die standhaften Bekenner gegen ihre Feinde wurde insbesondere an Herzog Georg verdeutlicht.310 Der damit umschriebene identitätskonturierende Fokus hat sich auch im „Register“ niedergeschlagen, muss aber von hier mit weiteren Motiven ergänzt werden.

TR, fol. 216v. TR, fol. 216v–217r bzw. D 116 2°, fol. 224v; WA.TR 5, 538,10–16 [Nr. 6204] und 4,206,5–16 [Nr. 4308]. 306 Zur Frage nach Luthers „Märtyrertum s. S. IV 2.2.3.2. 307 TR, fol. 217r = WA.TR 6, 165,8–18 [Nr. 6755]. 308 TR, fol. 217r. 309 TR, fol. 271v – am Ende identisch mit WA.TR 5, 162,28–31 [Nr. 5455]. 310 TR fol. 217v–218 – Aurifaber bot hier zunächst unter der Überschrift „Wie Gott sorget für die Bekenner des Euangelii / vnd alle gefahr gnediglich abwendet“ eine freie Wiedergabe von WA.TR 4, 370,19–371,7 [Nr. 4548] und 372,1–15 [Nr. 4550]. Es folgte die Wiedergabe von „Churfürst Hanses zu Sachsen Traum“ (WA.TR 3, 108,12–15). 304 305

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

501

Die Konzentration auf das Wort Gottes bzw. die Lehre wird etwa durch die Verweise auf Reime Luthers greifbar.311 Wie gezielt Aurifaber diesbezüglich vorgegangen ist, kann man wiederum daran erkennen, dass die folgenden Verweise jeweils auf Randbemerkungen und damit einzelne Abschnitte von Apophthegmata zielten. Dazu gehört z.B. das „M. Luth: Lere zeugnis“, d.h. ein Sondergutstück, nach dem ein Franziskaner und damit ein Altgläubiger einen deutschen Fürsten, der ins spanische Santiago gepilgert war, auf Luthers wahre Lehre bei sich „zu Hause“ verwiesen habe.312 Zudem ergänzte Aurifaber das Lemma „Martin Luther“ im „Register“ mit dem Hinweis auf „Wider Mart: Luth: lere / Rathschlag der Cardinel“. Dies gewinnt dadurch an Gewicht, dass im Unterschied zu den handschriftlichen Traditionen keine Attacken auf Luther selbst besonders hervorgehoben wurden. Dass es Aurifaber insbesondere um das Festhalten an der Lehre ging, zeigt der Verweis auf „Martin Luthers vermanung an die Kirchendiener“, in der v.a. die Rechtfertigungslehre bzw. die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium betont wurden.313 Dass ähnlich wie im Locus „Vom Bekentnis der Lere vnd Bestendigkeit“ (XVI) im Hintergrund Motive eines Märtyrertums aufscheinen, kann an Verweisen verdeutlicht werden, durch die die „Rechtgläubigkeit“ bzw. „Rechtschaffenheit“ von Luthers Lehre und damit Luther implizit als „Wahrheitszeuge“ besonders ausgewiesen wurden. Zu diesem Zweck wurde an dem Apophthegma, in dem der Papst der Überschrift und dem Inhalt nach als „Ketzer“ entlarvt wird, der Abschnitt durch einen Verweis bzw. eine Randbemerkung hervorgehoben, in denen Luther ausführt, dass er im Unterschied zum Papsttum nicht als „Ketzer“, sondern als „Schismatiker“ bezeichnet werden könne.314 Aus dem mit „Gottes Wort sol man allein gleuben / vnd nicht daran zweifeln“ überschriebenen Apophthegma wiederum zeichnete Aurifaber zudem den folgenden Ausschnitt mittels des Verweises „Mart. Luthers Lere rechtschaffen“ aus:315 TR, fol. 18v

WA.TR 2,162,1–4

Aber das ich das rechte vnd reine Wort Gottes lere vnd predige / dafür setze ich meine Seele zu pfande / vnd wil auch darauff sterben /

[…] item quod ego ei verum verbum Dei praedico, dauor setz ich mein seel, daruor will ich auch sterben.

Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb: „Martini Luther Reim vom Newen Testament“; Item / vber die Wort des Psalms / Beati mones qui timent Dominum &c.“ bzw ebd., fol. 20v; WA.TR 5, 358,4–15 [Nr. 5793]; 6,14,17–32 [Nr. 6519]. 312 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 429v [WA.TR 3, 435,5–25]. 313 Vgl. TR, fol. 172r. Ooooo 6va bzw. WA.TR 2, 667,32–668,10 [Nr. 2798b]. 314 Vgl. TR, fol. 355r. Ooooo 6va bzw. WA.TR 3, 605,10–14 [Nr. 3776]. 315 TR, fol. Ooooo 6rb. 311

502

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

denn was ich vnd ein jeglicher getreuer Diener des Euangelii oder Christi redet vnd thut in seinem Ampt / aus Gottes befehl mit lehren / predigen / trösten / strafen / teuffen vnd Abendmal reichen vnd absoluiren / dasselbige alles thut Gott selber / durch vnd in vns / als seinen Werckzeugen / Gleubst du nu das so wirst du selig / Si credis, salvaberis sine dubio; qui non gleubst du es aber nicht / so wirst du credit, damnabitur. verdamet.

Die Synopse verdeutlicht einerseits den martyriologischen Kontext, andererseits Aurifabers Fokus auf die amtstheologische Aufladung und damit aktualisierende Ausweitung der Aufforderung zum standhaften Festhalten an der wahren Lehre auf alle Amtsträger.316 Als Nebenmotiv dieser Orientierung bzw. dieses Festhaltens an der „wahren“ Lehre sind des Weiteren Ansätze einer Positionierung in den innerlutherischen Streitigkeiten zu greifen. Aurifaber hob durch einen Verweis im Kontext von Ausführungen zum „Missbrauch“ der Ohrenbeichte bei den „Papisten“ Aussagen zur christlichen Freiheit, die antinomistisch zugespitzt sind, hervor:317 „Wider solch Gefengnis und Stöcken der Gewissen / hab ich von Christlicher Freiheit geschrieben vnd geleret / das man solche Gesetze so streng nicht solte halten. Nu aber sind etliche vnverständige grobe Gesellen / so vnversucht sind / vnd solch Gefengnis nimals gefület haben / die vnterstehen sich vermessentlich alle Gesetze gar zu verachten und zuuerwerfen.“318

In dieselbe Richtung deutet der Hinweis auf „Martini Luthers einhellige Rede“ und damit eine Verwerfung bzw. Verdammung der Lehre vom „freien Willen“.319 Weiterhin ist vom „Register“ her eine mahnend-warnende, eschatologisch fundierte Dimension dieser in identitätskonturierender Hinsicht auf die Lehre fokussierten Memoria hervorzuheben. Diese war bereits im, dem „Gebet“ gewidmeten „Eingangsteil“ des Lemmas greifbar. Neben die eröffnende Vermahnung zum Gebet gegen den Teufel und die „Papisten“ trat nämlich u.a. auch der Hinweis auf „M. Luth: Gebet vmb die Zukunfft des Jüngsten tags“.320 Dass Aurifaber die dort entfaltete negative Ein316 Dem korrespondiert die enkomiastische Erhöhung eines „Märtyrertums“ Luthers unter Rekurs auf den Wormser Reichstag (s. IV 2.2.3.2). 317 Vgl. TR, Ooooo 6rb: „Luth. von Christlicher Freiheit“. 318 TR, fol. 226r bzw. WA.TR 5, 439,12–15 [Nr. 6017]. 319 TR, fol. Ooooo 6va. 155v bzw. WA.TR 6, 126,17–25 [Nr. 6690]. 320 Vgl. fol. Ooooo 6rb. 214v–215r bzw. WA.TR 5, 349,25–350,2 [Nr. 5777].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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schätzung der Gegenwart teilte,321 machen weitere Verweise deutlich. Eindrücklich wurde die „aktuelle“ Verachtung des Wortes Gottes, von Aurifaber auf die Prediger zugespitzt, in dem Verweis auf die „Fabel von den Epicurischen Geitzhelsen“ greifbar.322 Aurifaber hob so Luthers Replik auf Jonas Schelte des Verhaltens eines Adligen hervor. Entscheidend ist die abschließende Deutung der Fabel der vom Löwen zum Festmahl geladenen Tiere bzw. der im Fokus stehenden „Sau“: „Also sind jtzt vnser Epicurer auch / wir Prediger setzen jnen in unsern kirchen die aller beste und herrlichste speise für / als ewige Seligkeit / vergebung der sünde / vnd Gottes gnade / so werffen sie die Rüssel auff / vnd scharren nach Talern […].“323

Zudem verdeutlichte Aurifaber seine negative Wahrnehmung der Gegenwart durch die Hervorhebung von Reimen Luthers, in denen die „Verderbtheit“ der Gesellschaft bzw. ihrer geistigen Elite plakativ dargestellt wurde.324 Weiterhin verwies das „Register“ auf eine scharfe Kritik am Adel und den Bauern, zum einen zurückgebunden an das Wüten des Teufels in der Welt,325 zum anderen explizit als „Prophetische wort“ kategorisiert,326 in dem im Unterschied zur Parallele die „Bürger“ und damit die im Vorwort der Ausgabe besonders angesprochenen Adressaten von der Gerichtsandrohung ausgenommen wurden: „O wie wirds ein mal den Edelleuten vnd Bawern gehen / wie werden sie ein mal müssen bezalen? wie die Vngern vnd Osterreicher.“327

Diese Kritik und Gerichtsandrohung hatte für Aurifaber Mitte der 1560er Jahre nichts an Gewicht verloren. Pointiert wurde sie mahnend-warnend weitertradiert. Als letzter Punkt ist in identitätskonturierender Perspektive die Abgrenzung von den Juden darzustellen. Explizit wurde auf „M. Luthers rath wie mit Jüden zu handeln“ sei, verwiesen. Aurifaber zielte hiermit auf einen Abschnitt eines Apophthegmas des auf die Juden bezogenen Locus, in dem durch Anonymisierung die ursprünglich auf Frankfurt zielenden Aufforderungen, den als „lesterer“ identifizierten Juden „die Zunge zum Nacken herausreißen [zu] lassen“ bzw. jeglichen Kontakt mit ihnen zu 321 Vgl. besonders den Eingangsteil (TR, fol. 215r bzw. WA.TR 5,349,25–29 [Nr. 5777]); Zitat: s. S. 507f. Es folgen hamartiologisch-anthropologische Ausführungen, zurückgebunden an die Erlösungsbitte. 322 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb.4v–5r bzw. WA.TR 3, 499,1–14 [Nr. 3663]. 323 TR, fol. 5r bzw. WA.TR 3, 499,9–11 [Nr. 3663]. 324 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 613v–614r (= WA.TR 6, 363,30–364,11 [Nr. 7060]). 615Rv (= WA.TR 6, 364,12–18 [Nr. 7061]). 325 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va: „M. Luth: gedancken von der Welt / da er noch in der Kappen gangen“ bzw. ebd., fol. 72r; WA.TR 2, 269,34–270,2 [Nr. 1945]. 326 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 327 TR, fol. 74r bzw. WA.TR 2, 659,14–17 [Nr. 2786]; Zitat: ebd., 659,16f.

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

vermeiden, in fataler Weise entkontextualisiert und universalisiert wurden.328 Der an sich neutral klingende, vorangehende Verweis auf „M. Luth. Bücher misbrauch“ zielte ebenso auf die „Jüden“ als „Lesterer“, die Luthers Werke – ähnlich wie andere „Widersacher“ – als „Waffen“ gegen Luther gebrauchten.329 Selbst der ganz neutral klingende Verweis „Schutzrede von milder hand“ ist nicht ohne antijudaistische Spitze,330 wenn Aurifaber sein Sondergut zur vorgeblich an den Händen ablesbaren Milde mit der folgenden redaktionell veränderten Überlieferung ergänzte: TR, fol. 624r

WA.TR 1,9,26–29 [Nr. 24]

D. Martin Luther sagte / Das zu Speier am schönen Oelberge / der im Thum ist / die Jüden alle Helleparten trügen / welche Bilder gar künstreich aus Stein gehauwen sind. Nun war gefraget worden / warümb sie keine andere Wehre trügen / denn Helleparten / Da hatte ein Schalckhafftiger Man drauff geantwortet / Sie haben vnsern Bürgern die Spiesse geliegen / Wolt anzeigen / das sie mit dem Jüdenspies renneten und wucherten.

Zu Speier ist ein schoner creutzgang mit steinen bilden; haben die Juden all helleparten. Id cum quidam miraretur, respondit alter: Scio causam: die burger haben in die spiess genomen vnd helleparten dafur geben.

Entscheidend ist neben der Verbindung der beiden Stücke insbesondere die Antwort. Während in der Dietrichschen Überlieferung die Bürger sich die Spieße selbst genommen haben, haben bei Aurifaber die Juden diese verliehen. Dass damit metaphorisch das Stereotyp des „wuchernden Juden“ aufgegriffen wurde, machte Aurifaber explizit deutlich. Zielpunkt war hier zwar die Kritik an den christlichen Mitbürgern, dennoch transportierte das Stück ebenso ein antijudaistisches Moment, das von Aurifaber in besonderer Weise in seiner Rezeption von Luthers Lehre betont wurde und damit als identitätskonturierend zu bestimmen ist.331 Insgesamt haben die Ausführungen zu Aurifabers Schwerpunkten gezeigt, dass dieser zur Konturierung der eigenen Identität Luther nicht wie der „Wellersche Kreis“ antipapalistisch-antiinterimistisch bzw. nicht wie der „Lauterbachsche Kreis“ heilsgeschichtlich auf die Anfänge zugespitzt memoriert. Aurifabers identitätskonturierende Memoria Luthers basiert auf einem elaborierten, prinzipiellen Antipapalismus sowie einer Betonung Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 594r bzw. WA.TR 5, 246,34–247,4 [Nr. 5567]. Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 590v bzw. WA.TR 5, 533,16–23 [Nr. 6198]. 330 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 623v–624r. 331 Zu Aurifabers verschärfender Rezeption der auf die „Juden“ bezogenen Loci der handschriftlichen Traditionen s. KLITZSCH, Juden. 328 329

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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der „wahren“ Lehre bzw. dem Festhalten an derselben. Zudem eignen dieser ein prophetisch-mahnender Duktus und ein verstärkter Antijudaismus. Diese Verschiebung der Erinnerungsinteressen schlägt sich ebenso in Bezug auf die Rezeption der „didaktisch-pastoralen“ wie „glorifzierenden“ Dimension der Luthermemoria der handschriftlichen Traditionen nieder. 2.2.2.

Zur didaktisch-pastoralen Dimension

Entsprechend der Analysen der handschriftlichen Traditionen gerät bei der „didaktisch-pastoralen“ Dimension, die primär auf Aspekte zielt, die Luther, anachronistisch ausgedrückt, in „Glaubens- und Lebensfragen“ in Anspruch nehmen, zum einen der Umgang Luthers mit Krankheiten, Anfechtungen bzw. „Sterben“ in den Blick (2.2.2.1). Dabei wird in einem Exkurs zu würdigen sein, dass Aurifabers memorialen Zugriff auf Luther über den „seelsorgerlichen“ Fokus hinaus ein genuines Interesse am Predigtamt eignet. Zum anderen ist Luthers Wirken als „paterfamilias“ (2.2.2.2) und zum dritten der in Halle greifbare Schwerpunkt eines Rekurs auf Luther in sittlich-moralischer Perspektive (2.2.2.3) zu analysieren. 2.2.2.1.

Luthers „dogmatisch-frommer“ Umgang mit Krankheiten, Anfechtungen und Sterben

Hinsichtlich Luthers Krankheiten bzw. Anfechtungen und Sterben ist zunächst festzuhalten, dass Aurifaber kaum ein besonderes Interesse an einer „Schwachheit“ Luthers hatte. Dies teilt er in gewisser Weise mit der Lauterbach-Hänelschen Tradition,332 zugleich setzte er aber – insbesondere durch die Verweise des „Registers“ – eigene Akzente, die letztlich in seiner theologischen Selbstverortung grundgelegt sind. Das einzige mit den handschriftlichen Traditionen gemeinsame Apophthegma, in dem ein Klagen Luthers über die eigene Krankheit greifbar ist, ist dasjenige, in dem Luthers Schwindel mit der Krätze verglichen wird. Überschrieben mit „Von Doctor Martin Luthers Schwindel / oder Heubtwehe“, ordnete Aurifaber es dem Locus „Kranckheiten vnd derselbigen Vrsachen“ zu.333 Allein dadurch, dass er es – wie der „Lauterbachsche Kreis“ – im Unterschied zum „Wellerschen Kreis“ als Ganzes rezipierte und nicht nur den gekürzten Eingangsteil, verliert das Stück seinen auf Luthers Klagen zugespitzten Charakter. Dass Aurifaber das Thema der Krankheiten Luthers kaum interessierte, verdeutlicht zudem das „Register“. Dort wird allein auf „M.L. Infirmitas Schmakaldiae [sic!]“ und keine S. S. 406–410. Vgl. TR, fol. 492v bzw. WA.TR 3, 138,26–139,10 [Nr. 3006b]; D 116 2°, fol. 577v–578r; Chart. A 402, fol. 112r–v. 332 333

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

weitere Erkrankung Luthers verwiesen.334 Dass damit auf keine „Schwäche“ Luthers gezielt wurde, sondern neben der antipapalistischen Ausrichtung insbesondere eine Hinwendung zum „frommen“ Luther verbunden ist, wurde bereits angedeutet335 und ist im Folgenden weiter zu erläutern. Vice versa ist festzuhalten, dass Aurifaber den auf die Krankheiten bezogenen Locus im Lemma „Luther“ nur zweimal aufgreift: zum einen hinsichtlich Luthers Erkrankung in Schmalkalden,336 zum anderen ganz praktisch in der Schilderung der Tröstung eines Landsknechtes durch Luther. Auch diesem Apophthegma eignet ein anderer Fokus.337 Mehr Interesse lässt das „Register“ nun jedoch an Luthers Anfechtungen erkennen, doch selbst die Verweise, die nicht explizit auf Luthers Umgang mit Anfechtungen und damit Mittel zielen, führen letztlich eben solche – mit Schwerpunkt auf dogmatischer Korrektheit – an, so dass auch von hier kein Interesse an einer Schwachheit zu entfalten wäre.338 In Bezug auf die Frage nach einer (exempelhaften) „Glaubensschwäche“ Luthers gilt wiederum: Zwar führt Aurifaber mit dem 32. Locus von F das folgende Apophthegma gemeinsam auf, dennoch lässt sich nur bedingt ein Interesse Aurifabers an dem Fokus des „Wellerschen Kreises“ erkennen: TR, fol. 52v

Chart. A 402, fol. 104v (WA.TR 2,144,1– 4 [Nr. 1589])

Ein anders. Ah ists nicht ein jemerliche plage / das ich mich fur Christo förchte / der doch in der Tauffe alle meine Sünde mit seinem Blute abgewaschen hat. Nu hat mich je kein Mensch auff erden so lieb als Christus / denn er ist vmb meiner sünden Willen gestorben.

Jsts es nicht eine plag, das ich mich vor dem Mann furchte, der mich hat aus der tauffe hatt gehaben? So ich doch gewis weis, das mich Philip⌊pus vnd Pommer vnd keiner so lieb hat als Christus, der fur mich gestorben ist.

Die rechtfertigungstheologische Ausdeutung der Taufe als „Abwaschung“ der „Sünde mit seinem [d.h. Christi; I.K.] Blute“ teilt Aurifaber textlich mit Rörer, bei dem das Stück am Rand als „imbecillitas fidej“ gedeutet wurde.339 Insofern Aurifabers Überschrift „Ein anders“ zurückverweist auf „Wie schwer es ist gleuben was Gott saget“, teilte er einerseits die Kategorisierung und Deutung auf die „Glaubensschwäche“. Andererseits wurde Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. S. S. 478. 336 TR, fol. 493v. 337 Vgl. TR, fol. 494v bzw. WA.TR 2, 669,23–670,9 [Nr. 2801]. Zum anderen Fokus s. S. 515f. 338 Näheres hierzu s. S. 512–516. 339 S. S. 250f. bzw. Ms. Bos. q. 24s. fol. 113v. 334 335

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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der Bezug auf Luther durch die Einordnung des Apophthegmas in den Locus „Von Gottes Wercken“ sowie die Rezeption der „dogmatisch-prinzipielleren“ Variante relativiert bzw. verallgemeinert. Zudem wurde das Apophthegma im „Register“ nicht besonders hervorgehoben. Die auf Luther bezogenen Verweise verstärken vielmehr den Eindruck, dass Luther von Aurifaber kaum positiv in seiner Glaubensschwäche als Exempel verstanden wurde. Zwar wird die „Glaubensschwäche“ aufgegriffen, doch in Abgrenzung, wie der Verweis „Martin Luthers klage [Hervorhebung; I.K.] vber des Glaubens schwacheit“ andeutet. Inhaltlich vermittelt das Apophthegma eine kollektive Selbstschelte am Jüngsten Gericht, deren paränetischer Impetus keinen Raum für eine positive memoriale Würdigung der Schwäche lässt, wie sie der „Wellersche Kreis“ anvisierte. Der ebenso vermittelte Eindruck des „frommen“ Luthers wurde zudem noch redaktionell durch die Ergänzung des bereitwilligen Leidens bestärkt – wie die Synopse zeigt: TR, fol. 195v Schwacheit des Glaubens billich zubeklagen. Wenn wir nu leben werden an jenem tage / so werden wir vns anspeien / vnd sagen / Pfu / das du nicht getröster / kecker / sterker vnd freudiger gewest bist Christo zu gleuben / vnd zu leiden allerley unglück / Creutz vnd verfolgung / weil die Herrligkeit so gros ist. Wenn ich jtzt in der Welt were / so wolt ich mich zehen Türcken mit Fussen lassen treten.

WA.TR 1,89,15–18

Wenn wir leben werden an yhenem tag, werden wir vns anspeyen dicentes: Pfu dich, das du nit kecker bist gewest ad credendum Christo, cum tanta sit gloria; wenn ich izt wer in mundo, so wolt ich mich zehen Turken lassen mit fusßen tretten.

In ähnlicher Weise wurde von Aurifaber das Motiv des „Abscheidenwollens“ an seine theologische Selbstverortung adaptiert. Rezipierte bereits der Kreis um Lauterbach diesbezüglich kaum noch Apophthegmata, in denen Luthers Krankheiten den Anlass boten, so verzichtete Aurifaber wohl kaum zufällig ganz auf diesen Konnex. Dass Aurifaber dieses Motiv vielmehr primär in seiner dogmatisch wie zeitkritisch zurückgebundenen Variante aufgriff, deutet z.B. das bereits erwähnte Gebet an, in dem Luther auf Grundlage einer negativen Einschätzung der Gegenwart sowie einer hamartiologisch geprägten Anthropologie um das Kommen des Jüngsten Tages bat: „Hilff lieber Herr Gott / das der fröliche tag deiner heiligen Zukunfft bald komme / das wir aus der argen bösen Welt des Teufels Reich erlöset / vnd von der greulichen Plage / die wir von auswendig und inwendig / beide von bösen Leuten / vnd vnserm eignen Gewissen, leiden müssen / frey werden. Würge jmer hin den alten Adam vnd

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Sack / das wir doch ein mal einen andern Leib krigen / der nicht so vol Sünden vnd zu allem bösen vnd vnzucht geneigt sey / wie der jtzige ist. Sondern der von allem vnglück leiblich vnd Geistlich erlöset / ehnlich werde deinem verklereten Leibe / lieber HERR Jhesu Christe / das wir also endlich komen / zu vnser herrlichen Erlösung.“340

Analog zum ersten Aspekt der negativen Zeitdiagnose zielt des Weiteren der Verweis „M. Luthers sehnen nach dem Tode“ auf den Abschnitt eines Apophthegmas, in dem das Wuchern mit dem Korn Luther Anlass bot, die Welt als so „böse“ zu verstehen, dass er gerne sterben wollte.341 Der zweite, dogmatische Aspekt wurde zudem durch den Verweis auf „M. Luth: Traum von jm selber“ pointiert hervorgehoben, einem Sondergutstück, nach dem Luther sich am eigenen Grabe stehend gesehen habe, was hamartiologisch mit der „Verdammtheit zum Tode“ gedeutet wird.342 Beide Aspekte kommen weiterhin zu Beginn der auf Luthers Sterben bezogenen Sequenz im Anhang zum Tragen. Zwar findet sich auf diese kein Verweis im „Register“, doch teilt Aurifaber das zweite Apophthegma mit Halle; zugleich die einzige diesbezüglich gemeinsame Überlieferung. In diesem Stück begründet Luther gegenüber Elisabeth von Brandenburg den Wunsch abzuscheiden ebenfalls mit der „Bosheit der Welt“.343 Wenn Aurifaber – inhaltlich wenig passend – unter derselben Überschrift „D. Martin. Luther ist des Lebens vberdrüssig gewesen“ das folgende Apophthegma voranstellte, wird zugleich sein dogmatischer Zugang zur Thematik deutlich: „D.M. Luther sagte / Der Teufel hat vns den tod geschworen / aber er wird eine taube Nuss beissen.“344

TR, fol. 215r bzw. WA.TR 5, 349,25–350,2 [Nr. 5777]. Aurifaber setzte v.a. eingangs leichte Akzente, wenn er den „seligen“ Tag als „frölichen“ widergab und die „arge welt“ zu „argen bösen welt“ zuspitzte. 341 TR, fol. Ooooo 6va. 86r: „Da antwortet Doctor Luther / es ist nur Menschenbosheit / was wil werden / wenn Gottes strafe komen würde? Ah, lieber HERR Gott / ist die Welt so böse / so wil ich gerne sterben / auch hungers / das ich nur weg kome.“ Dieser Abschnitt kann z.T. auf WA.TR 4, 329,35–330,6 [Nr. 4472 med.] zurückgeführt werden. Der im „Register“ unmittelbar folgende Verweis „M. Luthers sehnen nach Christen gemeinschafft“ stellt entgegen der vom Wortlaut naheliegenden Vermutung keine Anspielung auf Röm 7,24 dar. Stattdessen wird Luthers fiktiver Wunsch wiedergegeben, beim irdischen Christus gewesen zu sein, „wenn er ein mal frölich gewest ist“ (vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 111r bzw. WA.TR 4, 72,9–12 [Nr. 4005]. Den letzten Halbsatz, in dem von Christi Anfechtungen die Rede ist (ebd., 72,11f.), ließ Aurifaber wohl als für ihn theologisch anstößig weg. 342 Vgl. Ooooo 6va. 498r (= WA.TR 1, 554,17–19). 343 Vgl. TR, fol. 624v bzw. WA.TR 4, 416,20–417,2 [Nr. 4647]; zur Rezeption in Halle s. S. 409. 344 Vgl. TR, fol. 624r bzw. WA.TR 1, 505,28f. [Nr. 1007]. 340

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Luther bezeugt hier keinen „Lebensüberdruss“, sondern das altkirchliche Motiv der Entmachtung des Teufels, der den Anspruch auf den Menschen verloren hat durch die Auferstehung Christi. Insgesamt wird so deutlich, dass Aurifaber wenig Interesse an einer als „Schwachheit“ zu deutenden „Todessehnsucht“ hatte. Dass Aurifaber Apophthegmata der handschriftlichen Traditionen, die eine Klage Luthers über die als Last empfundene Arbeit vermitteln, gänzlich ignorierte, überrascht angesichts des zur „Schwäche“ Luthers Ausgeführten kaum. Zu eindeutig liegt der Fokus – in dogmatisch-korrekter Zuspitzung – auf dem vorbildhaft „frommen“ Luther, wie nun für dessen Haltung wie „praktische“ seelsorgerliche Hinweise zu entfalten ist. Fragt man mit dem Fokus auf den vorbildlich „frommen“ Luther nach dem gemeinsamen Bestand Aurifabers mit den handschriftlichen Traditionen, so gerät noch einmal die Überlieferung der Erkrankung in Schmalkalden in den Blick. Bereits hingewiesen wurde beim ersten im Anhang überlieferten Apophthegma, dass die vorbildhaft „fromme“ Haltung in diesem Sondergut antipapalistisch zugespitzt worden war.345 Bei der zweiten Überlieferung, mit ihrer gegenwartsbezogenen Warnung vor weiteren innerprotestantischen Abweichlern („Gesellen“), ist zudem darauf zu verweisen, dass Aurifaber durch die Ergänzung eines Sondergutes am Ende den Fokus zusätzlich auf den „frommen“ Luther legte: „Als D. Martinus Luther zu Schmalkald Anno M.D.xxxvii seer kranck lag / vnd D. Erhart Schnepffius jnen besuchete vnd tröstete / Sprach D.M.L. Lieber Gott / kan es denn nicht anders sein / so gib du mir grosse gedult und starcken Glauben.“346

Man wird in dieser Überlieferung nicht das unvoreingenommene „fiat volutas tua“-Motiv wiederfinden, wie es noch in der ersten Überlieferung stärker greifbar war, und dennoch vertraut sich Luther in seinem Widerstand gegen die Krankheit und den drohenden Tod Gott an mit der Bitte um Geduld und Glaubensstärke. Insofern daneben ein aus Halle übernommenes Gebet Luthers für den schwer erkrankten Kurfürsten tritt, auf das Aurifaber gegen Ende des „Registers“ verwies, zeichnet sich tatsächlich ab, dass Aurifaber Luther in seinem Beten in Krankheitssituationen als Modell verstanden hat. Dieses Apophthegma ist Teil des auf das Gebet bezogenen Locus und verdeutlicht Luthers „Ringen“ mit Gott um die Genesung des Kurfürsten bei gleichzeitiger Unterordnung unter Gottes Willen.347

Vgl. TR, fol. 624v (= WA.TR 6, 301,26–302,8 [Nr. 6974]) bzw. S. 478f. TR, fol. 493v bzw. WA.TR 3, 404,5–15 [Nr. 3553] sowie Chart. A 402, fol. 106r; D 116 2°, fol. 579r. 347 Vgl. TR, fol. 208v (= WA.TR 3, 487,31–41) bzw. D 116 2°, fol. 34v. 345 346

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Noch deutlicher konturiert wird Aurifabers Rekurs auf Luther als „frommes“ Vorbild durch die breite Rezeption der auf den Tod von Luthers Tochter Magdalena bezogenen Apophthegmata. Von diesen wurde im 32. Locus von F ausschließlich die lateinische Fassung des von Luthers selbst verfassten Epitaphs rezipiert. Aurifaber folgte hier jedoch Halle, d.h., er thematisierte dieses Ereignis ausführlich im auf den Tod bezogenen Locus348 und betonte dessen memoriale Bedeutung für ihn durch zwei Verweise im „Register“. Der erste Verweis zielt unbestimmt und damit letztlich die ganze Sequenz umfassend auf deren Anfang,349 der zweite hebt Luthers „tröstliche rede in seiner Tochter kranckheit vnd begrebnis“ gesondert hervor.350 Die enge Anbindung an Halle ist auch textlich gegeben. Der „Eigenanteil“ Aurifabers schlägt sich v.a. in zwei Ergänzungen am Ende nieder. Somit vermittelte er mit Halle Luthers „frommes“ Verhalten, bei dem die Unterordnung unter Gottes Willen gegenüber dem Schmerz über den Tod der geliebten Tochter die Oberhand behält. Aurifabers spezielles Interesse ist zum einen an den Randbemerkungen ablesbar. Diese lauten: „Trost vnd Bericht vber Christlichen Tode“, „Ach des leidigen Vnglaubens“, „Des Todes Schmack“, „Gottselige Wort“, „M. Rörers Weissagung von seinem Tode / […]“, „Zukünfftigs Leben vnd Herrligkeit“, „Weibes personen“351. Abgesehen von der letzten sowie der auf Rörer bezogenen Notiz eignet diesen ein „dogmatisch-frommer“ Impetus. Dass hier tatsächlich Aurifabers Rezeptionsinteresse lag, kann zum anderen am veränderten Abschluss verdeutlicht werden. In Halle endet die Sequenz mit Luthers tiefem Schmerz: „Cum e lecto in pheretrum poneretur Martinus Lutherus velut gestiens mortuae loquebatur. Liebes Lennichen wi wol ist dir gescheen. Tunc in fletus erupit et singultus viscera quassabant abeunti celeriter a filia.“352

Diese Schilderung eines intensiven Gefühlsausbruchs ersetzte Aurifaber durch zwei Sondergutstücke. Das erste Sondergut stellt die Schilderung eines Gesprächs zwischen Katharina von Bora und Melanchthon dar, in dem Luthers Frau von einem Traum erzählt, in dem zwei Männer bzw. Engel Magdalena zur Hochzeit respektive in das „Himmelreich in die rechte Hochzeit“ führen wollten. Luther selbst kommt hier nicht vor, Vgl TR, fol. 495b–49r bzw. D 116 2°, fol. 52r–54r. Vgl. TR, fol. Ooooo 6va: „M. Luthers Trauren vber seiner Tochter Magdalen tode“ bzw. die Überschrift: „Doctor Martini Luthers trawren / Geberde vnd Rede / so er im Sterben vnd Begrebnis seiner lieben Tochter Magdalen / jres Alters im 14. Jar / gehabt 1542“ (ebd., fol. 495v). 350 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 496r–497r. 351 Mit dieser Randbemerkung hob Aurifaber die Ausführung Luthers zum Umgang mit Mädchen hervor, die parallel dort zu findenden Aussagen für Knaben ignorierte er. 352 D 116 2°, fol 54r–v (= WA.TR 5, 194,22–25 [Nr. 5501]). 348 349

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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dennoch verdeutlicht das Stück den „dogmatisch-frommen“ Impetus.353 Im zweiten Sondergut wird Magdalenas „seligliches sterben“ mit der „Schlechtigkeit“ der gegenwärtigen Welt, v.a. Geiz und Wucher, kontrastiert und in einen allgemeinen wie eschatologischen Horizont gestellt. Wenn Luther deshalb eingangs vehement die Rückkehr seiner geliebten Tochter zurückweist, wird nochmals deutlich, das es Aurifaber vornehmlich um die dogmatisch korrekte „fromme“ Haltung ging, kaum um ein Leiden Luthers am Tod seiner Tochter: „Seliglich sterben ist das Allerbeste. Wenn meine Tochter Magdalena (sagt auff ein Zeit Doctor Martinus Luther) wider solte lebendig werden / vnd solt mir das Türckische Königreich mitbringen / so wolt ichs nicht thun / O sie ist wol gefahren / Beati mortui / qui in Domino moriuntur. Wer also stirbet / der hat das ewige Leben gewis / Jch wolt das ich / vnd meine Kinder / vnd jr alle solt so hinfahren / Denn es werden böse Zeit hernach folgen. Es ist kein hülff noch rath mehr auff Erden / das sehe ich / denn der Jüngste tag / Jch hoffe auch / ob Gott wil / er soll nicht lange aussen bleiben / Denn Geiz und Wucher gehen mit aller Gewalt / […].“354

Derselbe Impetus kann zudem an Aurifabers redaktioneller Bearbeitung der Übersetzung des von Luther für seine Tochter Magdalena verfassten Epitaphs gezeigt werden.355 Mit wenigen Änderungen betonte Aurifaber die Errettung aus der ewigen Verdammnis durch die Erlösungswirkung des Blutes Christi: TR, fol. 495v

D 116 2°, fol. 52r = WA.TR 5,186,3–6 [Nr. 5490a]

[…] Hie schlaf ich Lenichn, D. Luthers Töchterlein / Rug mit alln Heilgn in meim Bettlein /

[…] Hie schlaff ich Magdalena, Doctor Luthers dochter, Vnd ruge in meinem bettlein mit den heiligen. Die ich in Sünden war geborn / Jch war in sunden geboren Hett ewig müssen sein verlorn. vnd must sterben, Aber ich leb nu vnd habs gut / Aber nun lebe ich durch dein blut, HERR CHRISTE erlöst mit deinem Blut. Hiesu Christe, erloset.

Insofern lässt auch die Tischredenausgabe Ansätze einer Kodierung Luthers für die Mit- und Nachwelt als Exempel des Umgangs mit Krankheit bzw. Tod erkennen, doch bleibt die von Luther als Person zu abstrahierende Lehre das übergeordnete Kriterium. Der so „monumentalisierte“

Vgl. TR, fol. 497r. TR, fol. 497r. 355 Der Kreis um Weller hat im 32. Locus nur die lateinische Version aufgegriffen – s. hierzu S. 262. 353 354

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Luther ist nicht schlicht als „fromm“, sondern als dogmatisch „korrekt“ fromm kodiert und als solcher vorbildhaft. Obwohl mit den Ausführungen zum Tod von Magdalena letztlich bereits der Übergang zur Frage nach der Rezeption der auf Luther als „paterfamilias“ bezogenen Aspekte des Lutherbildes der handschriftlichen Traditionen erfolgt ist, ist noch zu untersuchen, inwiefern aus der „Wellerschen Tradition“ die „Praktischen Anleitungen zur Seelsorge“ aufgegriffen worden sind.356 Darauf, dass der Tischredenausgabe ganz prinzipiell auch eine „paränetisch-seelsorgerliche“ Dimension eignet, wurde bereits bei der Darstellung des Aufrisses immer wieder hingewiesen. Insbesondere ist der Locus „Von Anfechtungen“ (XXVII) hervorzuheben. Dessen Grundstock bildet der entsprechende Locus von Halle, dort überschrieben mit „Calamitatum crucis et tentationum utilitas“.357 Diesen ergänzte Aurifaber mittels weiterer Stücke, die sich z.T. auch in den entsprechenden Loci von F finden.358 Den 32. Locus von F hat Aurifaber diesbezüglich aber eher außen vor gelassen. Bedingt kann auf das Apophthegma verwiesen werden, in dem Luther seinen Umgang mit politischen und wirtschaftlichen Sorgen entfaltet, das Aurifaber aber wohl eher direkt von Rörer als von F übernommen hat.359 Zudem ist der „Bericht“ anzuführen, in dessen Zentrum Luthers Tag- und Nachtkriege stehen. F bietet dieses lange Stück wie Veit Dietrich und Rörer als Ganzes.360 Demgegenüber teilte Aurifaber das Apophthegma gezielt auf und wies die so gewonnenen Stücke verschiedenen Loci zu. Bei der Frage nach einem besonderen Interesse an „Hilfsmitteln“ gegen Anfechtungen, gerät das Apophthegma deshalb jedoch nicht weniger als in F in den Blick. Vielmehr werden einzelne Aspekte dadurch gezielt hervorgehoben. Den Eingangsteil ordnete Aurifaber dem Locus „Vom Sacrament des Altars“ zu, überschrieben mit „Gewisheit Lutheri vom Abendmal / vnd wie man sich wider den Teufel schützen vnd wehren müsse“.361 Diese S. hierzu S. 256–261. Vgl. D 116 2°, fol. 382r–403v. 358 Es handelt sich um die Loci „De tentatione et eius commodis“ (Nr. 59) und „Consolationes pro tentatis, infirmis, et quibus defuncti amici“ (Nr. 60) – zu deren Extension s. WA 48, 378f. 359 Dies liegt nahe, insofern er gemeinsam mit Rörer über F hinaus einen weiteren Halbsatz am Ende kennt („bis ich mich herausreiße“) – vgl. TR, fol. 311r bzw. Chart. A 402, fol. 103v; Ms. Bos. q. 24f, fol. 247r sowie WA.TR 1, 8,37–9,3 [Nr. 19]. 360 Chart. A 402, fol. 100v–101r [WA 48, 414,28–41] bzw. WA.TR 1, 238,10–241,7 [Nr. 518]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 224r–225v. 361 Vgl. TR, fol. 237b bzw. Chart. A. 402, fol. 100v–101r; WA.TR 1, 238,10–240,5 [Nr. 518]. Mit eigener Überschrift führt er den Ausfall des päpstlichen Kardinals gegen 356 357

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Doppelbotschaft von Abendmahlslehre und Schutz vor den Anfechtungen des Teufels zeigt, dass Aurifaber den seelsorgerlichen Aspekt nicht minder als den „dogmatischen“ wahrgenommen hat, zumal er diesen Teil auch im „Register“ durch einen – fast wörtlich identischen – Verweis hervorhebt.362 Den Mittelteil, in dem das Vertrauen auf Christus in den Anfechtungen im Mittelpunkt steht, ordnete er zwar dem „Christus“ gewidmeten Locus zu, die Überschrift „Der name JHESUS hilfft allein“ macht jedoch ebenfalls das seelsorgerliche Potenzial deutlich.363 Der auf Luthers negative Erfahrungen mit seinen Beichtigern, v.a. Staupitz, bezogenen Schlussteil ist hingegen direkt im auf die Anfechtungen bezogenen Locus zu finden. Hier legte Aurifaber den Fokus auf „D. Martini Luthers anligen vnterm Bapsthum“ und ergänzte das Stück nahtlos mit einer anderen Überlieferung, so dass mit den „rechten Knoten“ die Lehre stärker ins Zentrum rückte. Entsprechend endet das Exzerpt des ersten Apophthegmas mit dem Hinweis auf den Vorwurf des Teufels, Luther hab mit seiner Lehre so viele Menschen verführt.364 Den seelsorgerlichen Rat des Bruders, d.h. den auf den „magistratus et doctor“ zugespitzten Hinweis auf die „vocatio“, ließ Aurifaber weg.365 Da er bereits im Eingangsteil den Rekurs auf das Vaterunser ausgelassen hatte,366 bleiben nach seiner redaktionellen Überarbeitung, wie zu zeigen sein wird, kaum zufällig, v.a. die „Schrift“ und das „Vertrauen auf Christus“ als potenziell erkennbare Hilfsmittel gegen Anfechtung übrig. Dennoch zeigt auch seine redaktionelle Arbeit an dem langen Stück, dass diese keineswegs darauf zielte, „Hilfsmittel“ gänzlich auszulassen, sondern zu fokussieren. Entsprechend wurde im Schlussteil mit dem redaktionell nahtlos angebundenen Apophthegma zusätzlich der Rat übernommen, die Einsamkeit zu fliehen, so dass auch die „consolatio fratrum“ als „Hilfsmittel“ aufscheint.367 Dass Aurifaber die anempfohlenen „Mittel“ tatsächlich sehr genau „dogmatisch“ abwog, kann anhand seiner Übernahme der beiden „viae“, die Hussiten an, der ein schlechtes Licht auf das Papsttum selbst wirft (vgl. TR, fol. 238a bzw. WA.TR 1, 239,10–12). 362 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va: „M. Luth. gewisheit vom Sacrament / vnd wie man sich wider den Teufel schützen müsse“. 363 Vgl. TR, fol. 103r bzw. Chart. A. 402, fol. 101r–v; WA.TR 1, 240,5–12 [Nr. 518]; Aurifaber bietet am Ende ein die Thematik nochmals entfaltendes Sondergut. Halle kennt im auf Luther bezogenen Locus eine parallele Überlieferung, die jedoch an dieser Stelle nicht die Grundlage für Aurifaber darstellte (vgl. D 116 2°, fol. 578v bzw. WA.TR 1, 340,29–32 [Nr. 701]). 364 Vgl. TR, fol. 320r bzw. Chart. A. 402, fol. 101v; WA.TR 1, 240,12–241,1 [Nr. 518]. Nahtlos bindet Aurifaber Auszüge des nächsten Apophthegmas an (vgl. TR, fol. 320r–v bzw. WA.TR 1, 47,21–49,15 [Nr. 122 init.]. 365 Vgl. Chart. A 402, fol. 101v bzw. WA.TR 1, 241,1–7 [Nr. 518]. 366 Vgl. TR, fol. 237b bzw. Chart. A. 402, fol. 101r; WA.TR 1, 239,18–20. 367 Vgl. TR 320r bzw. WA.TR 1, 48,3–5 [Nr. 122].

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

den Teufel zu bekämpfen, nun weiter entfaltet werden. Insofern Aurifaber eben den Ausschnitt des Apophthegmas aufführte, den der „Wellersche Kreis“ dem 32. Locus zugeordnet hatte, mag hier F tatsächlich mit im Hintergrund gestanden haben.368 Ausgangspunkt ist der Vorwurf, Luther sei verantwortlich für die Klosteraustritte. Aurifaber hat insbesondere den auf die „viae“ bezogenen Abschnitt sehr genau ausgewertet. Zum einen hat er den vorangehenden Abschnitt über die „iustitia“, der die Grundlage für die erste „via“ darstellt, gesondert, d.h. ohne die „viae“, zusätzlich an anderer Stelle aufgegriffen.369 Zum anderen zielte seine Rezeption der „viae“ primär auf dogmatisch-ethische „Korrektheit“, hinter der der lebensbejahende Zug des spätmittelalterlichen Beichtrates zurückstehen musste. Durch seine Übersetzung des „prima via“ der Vorlage als „die aller beste weise vnd weg“ werden aus an sich gleichberechtigten Alternativen hierarchisierte Wege. An erster Stelle steht das Wort Gottes. Zudem ersetzte Aurifaber die von Luther zur Explikation der „anderen Gedanken“ herangezogenen Beispiele, d.h. den „Reigentanz (chorea)“ und „hübsche Mädchen (elegantes puellae)“, wie die folgende Synopse zeigt, durch „kurzweile treiben“, die er mittels Spaziergang, Essen, Trinken und fröhlichem Austausch mit anderen spezifizierte und damit in ihrer potenziellen Anstößigkeit entschärfte: TR, fol. 302r

Chart. A 402, fol. 102v (WA.TR 1,64,4–7 [Nr. 141])

Vnd das ist die aller beste weise und weg / den Satan zu uberwinden / durchs Wort. Der ander Weg / ist / das wir jn durch verachtung uberwinden / Das wir die gedancken / so er vns eingibt / ausschlagen / vnd wenden das Hertz auff andere gedancken / als das man kurtzweile treibe / mit spaciren gehen / essen / trincken / zun leuten gehe / mit jnen rede vnd frölich sey / das man der schweren Gedancken los werde. Das ist auch gut / dauon hat Gerson geschrieben.

Hoc est prima via uincendi Sathanam in et per Verbum. Altera via est, ut vincamus eum contemptu, das wir die gedanckenn ausschlagen, et figamus animum in alias cogitationes, choreae et elegantis puellae.

Das ist auch gut. De hoc scripsit Gerson.

368 Vgl. TR, fol. 301v–302v bzw. Chart. A. 402, fol. 101v–102v; WA.TR 1, 62,30– 64,19 [Nr. 141]. 369 Vgl. TR, fol. 199v [überschrieben mit „De iustitia activa et passiva“] bzw. WA.TR 1, 63,29–64,4 [Nr. 141].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Insofern bestätigt diese Rezeption den genannten Fokus.370 Deshalb ist es konsequent, dass er die abschließenden praktischen Hinweise auf Essen und Trinken nicht nur weniger despektierlich enden lässt, sondern mit einer dogmatischen Aussage schließt: TR, fol. 302v

Chart. A 402, fol. 102v (WA.TR 1,64,16f. [Nr. 141])

Mit mir ists also / Wenn ich des Nachts erwache / so kömpt der Teufel bald / vnd disputiret mit mir / vnd machet mir allerley seltzame Gedancken / bis so lange ich mich ermündere vnd sage / Küsse mich auffs Gesess / Gott ist nicht zornig / wie du sagest.

Denn es ist mir so: wen ich auffwache, so kompt der teuffel balt vnd disputirt mit mir, so lang bis ich sage: L M I A [erst nachträglich in F aufgelöst; I.K.].

Dass Aurifaber unter Vorbehalt dieses Fokus auf die „rechte“ Lehre bzw. das Wort Gottes und Christus tatsächlich kein geringes, sondern ein verstärktes Interesse an der Frage der „Hilfsmittel“ hatte, zeigen die auf Luther bezogenen Verweise im „Register“. Der Bezug auf die Lehre wird z.B. daran greifbar, dass man mit „Luth: Doctorat“ auf die Überwindung der Angriffe des Satans durch Luther aufgrund seiner Lehrkompetenz als Doktor der Theologie verwiesen wird: „Der Sathan hette mir viel zu schaffen geben / wenn ich nicht were Doctor gewest. Es ist nicht ein schlecht ding / die gantze Religion des Bapstthumbs endern / die so tieff war eingewurzelt.“371

Dass Aurifaber tatsächlich hierunter ein wirksames Mittel gegen Anfechtungen verstanden wissen wollte, zeigt sein Verweis „M. Luther wie er seine Anfechtung vberwvnden“, wenn die dort zu findende Antwort in der Gewissheit, dass Luthers Lehre mit „vnsers Herrrn Gottes Wort“ zu identifizieren sei, begründet wird.372 Stärker den Fokus auf das Wort Gottes an sich legte Aurifaber mit den Verweisen „Martinus Luther vom Teufel wol versuchet“,373 „M. Luth: trost in seinen Anfechtungen“ – hier vermittelt „Amts halben oder aus 370 Stolt deutet diese Änderungen – die auch an einem Paralleltext nachweisbar sind – ohne Rückbindung an die theologische Selbstverortung Aurifabers negativer konnotiert als „Streben fort von handfester Lebensfreude hin zu Erbaulichkeit und Asketismus“ (vgl. STOLT, Rhetorik, 22–27, 24). 371 TR, fol. 362r bzw. WA.TR 2, 174,8–10 [Nr. 1671 extr.]. Zum dort als Randbemerkung aufgegriffenen Verweis s. ebd., fol Ooooo 6va. Zur weiteren Ausdeutung des Apophthegmas s. S. 485f.551f. 372 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 11r bzw. WA.TR 1, 53,30–54,6 [Nr. 130]. 373 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 16v bzw. WA.TR 1, 535,3–8 [Nr. 1059].

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Pflicht der Lere [statt: „Liebe (caritas)“; I.K.)“ durch Melanchthon, Bugenhagen oder Katharina von Bora, so dass die „consolatio fratrum“ ganz konkret greifbar wird –,374 dem bereits erwähnten Eingangsteil des langen Berichts375 sowie Luthers exemplarisches Trösten eines Landsknechtes, mit dem Aurifaber den auf die Krankheiten bezogenen Locus beendete.376 Letzteres lässt zudem das „Beten“ und in der abschließenden Mahnung weitere dogmatisch „korrekte“ „Hilfsmittel“ erkennen: „Höre nur Gottes Wort / Bete vleissig / gleube / arbeite trewlich / vnd sey nicht viel alleine / So wird dich Gott vom Teufel wol erlösen / vnd erhalten!“

Die Zuspitzung auf Christus wiederum findet sich z.B. in zwei Apophthegmata, auf die mit „M. Luth: Anfechtungen“ verwiesen wird.377 Im ersten Stück wird geradezu sachlich anmutend darüber informiert, dass die Anfechtungen in ihrer Stärke personenabhängig und relativ seien: Die von Luther wären von anderen nicht zu ertragen, Luther selbst aber könne die des Paulus nicht ertragen und dieser wiederum die von Christus nicht.378 Bei aller Hervorhebung der Anfechtungen Luthers, zielt der Verweis zugleich auf eine dogmatisch korrekte Einordnung derselben, so dass eine „unangemessene“ Überhöhung verhindert wird. Das zweite Stück wiederum ist der bekannte Beichtrat von Johannes Staupitz, der den mit Prädestinationsfragen angefochtenen Luther nachdrücklich auf Christus verweist.379 Beides kommt letztlich in der Rezeption eines Apophthegmas zusammen, das Aurifaber mit Halle teilt.380 Inhaltlich werden Angriffe des Teufels auf Luthers Lehre und dessen Reaktion darauf geschildert. Durch den Verweis „Martini Luthers Notwehre wider den Teufel“ bzw. die entsprechende Randbemerkung im Zusammenspiel mit der Überschrift „Christus mus sein Wort selbr erhalten / wir sind zu schwach dazu“, wurde der Akzent ganz auf die dogmatisch korrekte „Notwehre“, d.h. den Verweis auf Christus, der alles tun müsse, gelegt. Das ebenfalls im Apophthegma geschilderte, bis ins körperliche sich auswirkende Leiden Luthers, das als Verdeutlichung seines Märtyrertums gedeutet werden kann, wurde von Aurifaber im Unterschied zu den anderen Traditionen weggelassen.381

Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 13r–v bzw. WA.TR 1, 229,17–20 [Nr. 505]. Vgl. TR, fol. 237b bzw. WA.TR 1, 238,10–240,5 [Nr. 518]. 376 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 494v bzw. WA.TR 2, 669,23–670,9 [Nr. 2801]. 377 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 378 Vgl. TR, fol. 505v bzw. WA.TR 4, 37,12–18 [Nr. 3962]. 379 Vgl. TR, fol. 126v bzw. WA.TR 9–19 [Nr. 1490]. 380 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 115v bzw. D 116 2°, fol. 570v; WA.TR 2, 36,25–31 [Nr. 1310] – zur Lauterbach-Hänelschen Rezeption s. S. 344f. 381 In der Schlaginhaufschen Tradition wurde das Stück noch mittels „Lutherus tentatur propter missam“ (WA.TR 2, 36,25 [Nr. 1310]) überschrieben. 374 375

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Mit diesen Ausführungen sind die auf Luthers „Leiden“ bzw. Anfechtungen bezogenen Aspekte des Lutherbildes der handschriftlichen Traditionen nun in ihrer Bedeutung für Aurifaber prinzipiell hinreichend verfolgt. Um der amtstheologischen Ausrichtung Aurifabers in didaktischpastoraler Perspektive gerecht zu werden, ist nun jedoch über die Mittel zur Seelsorge hinaus ein Weiteres darzustellen. Exkurs:

Aurifabers genuiner amtstheologisch-praktischer Fokus auf das Predigtamt

Neben das Interesse an „Mitteln“ der Seelsorge tritt bei Aurifaber über die handschriftlichen Traditionen hinausgehend, ein zusätzlicher praktischer, auf das Predigtamt im Besonderen bezogener Schwerpunkt.382 Diesem widmete er im „Register“ einen ganzen Block von zehn Verweisen, die alle auf den Locus „Von Kirchendienern vnd Predigern“ zielen.383 Auf diese Weise betonte Aurifaber ganz praxisbezogene homiletische Hinweise, z.T. paränetisch in Richtung „Kirchenzucht“ zugespitzt sowie die Ausbildung von Predigern betreffende. Der Anordnung des ausgewerteten Locus folgend, steht am Anfang der dritte Aspekt, greifbar am Verweis auf das „bedencken an newe Prediger“. So umschrieb Aurifaber die eigentlich an Johannes Forster gerichtete Replik Luthers auf dessen Klage über das gegen die Hebräisch-Dozentur eingetauschte Predigtamt in generalisierender Rezeption. Mahnend-ermutigend gibt Luther in diesem Apophthegma konkrete Hinweise, wie die Schwierigkeiten zu meistern wären, und eben diese hob Aurifaber durch den Verweis bzw. entsprechender Randbemerkung hervor, u.a. das Seine zu tun und so zu predigen, wie man eben könne, sowie nicht zu versuchen, Luther oder andere Prediger schlicht zu imitieren.384 Diese auf die „Ausbildung“ bezogene Spur vertiefte Aurifaber durch die Aufnahme von „Luthers weise beruffene Prediger zu verschreiben“, insbesondere aber durch „Luthers rat / wie einer könne ein guter Theologus vnd Prediger werden“. Ersteres vermittelt die teleologische Motivation von Luthers lobenden Empfehlungsschreiben für Johannes Cellarius:

382 Dass diese Unterscheidung von Seelsorge und Predigtamt letztlich anachronistisch ist, zeigen die am Ende stehenden Ausführungen zur Paränese bzw. „Kirchenzucht“. Deshalb ist diese vornehmlich als heuristisches Raster zu verstehen. 383 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. Die entsprechenden Verweise sind in sich nicht weiter thematisch gruppiert, vielmehr wurde der Locus schlicht sukzessive ausgewertet. 384 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 253v bzw. WA.TR 2, 540,9–22 [Nr. 2606b].

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

„Jch wil dich verschreiben vnd loben / da du gleich nicht also bist / wie ich schreibe / doch solt du dich bevleissigen / das Ziel zu erreichen / denn du bist nu durch mein loben verstrickt.“385

Dieser Ansporn wurde von Aurifaber ebenso verallgemeinert durch Verweis bzw. Überschrift aufgegriffen und konnte so auf alle angehende Prediger wirken. Das, was nach Luther und indirekt auch Aurifaber den Theologen bzw. Prediger zu einem qualifizierten mache, hebt der zweite Hinweis, „Luthers rat / wie einer könne ein guter Theologus vnd Prediger werden“, hervor.386 Im damit bezeichneten Apophthegma werden eingangs die nun frei zugängliche Bibel sowie Melanchthons Loci communes als suffiziente „prima principia“ des Theologiestudiums vorgestellt. Fakultativ zusätzlich rezipiert werden könnten Melanchthons Römerbriefkommentar sowie Luthers Kommentare zum Galaterbrief bzw. Deuteronomium. Im Folgenden wird noch ein Kommentar Luthers zum Johannes-Evangelium ergänzt, womit vermutlich auf die Publikation seiner Predigten über Joh 14–16 verwiesen wird.387 Gemäß Aurifabers Fokus wird für diese drei Werke am Rand besonders hervorgehoben, dass sie von Luther als auf die „Lehre“ bezogen kategorisiert wurden.388 Neben diese auf die „Ausbildung“ bezogenen Hinweise treten zudem stärker auf die homiletische Praxis selbst bezogene. Mit „M.L. art zu predigen“ wird Luthers eigene Predigtvorbereitung als Exempel etabliert, die sich auf den „Heubtpunct / darauff die Summa der gantzen Predigt stehet“ konzentriert und im Predigtgeschehen selbst ergänzt wird.389 Diese anempfohlene Offenheit für Gottes Wirken im Akt des Predigens wird noch eindrücklicher im mit „M. Luth. misfallen an seinen Predigten“ hervorgehobenen Apophthegma greifbar, wie Aurifaber das neutralere „iudicium“ der Lauterbachschen Vorlage zuspitzte.390 In diesem Apophthegma wird die eigene Unzufriedenheit Luthers am Ende einer Predigt darüber, dass er das im Vorfeld überlegte Konzept missachtet habe, kontrastiert mit dem hohen Lob der Hörer über diese Predigt, was auf Gottes Wirken zurückgeführt wird:

Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 254v bzw. WA.TR 3, 58,30–35 [Nr. 2895]; Zitat: ebd., 31–33. 386 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 275r bzw. WA.TR 5, 204,17–32 [Nr. 5511]. 387 Vgl. WA 45, 465–733; WA 46, 1–111. Dies legt Aurifabers Umschreibung mittels „iiii [sic!] cap. des Euangelisten Joannis“ nahe (TR, fol. 275r). 388 Die Folgerung, dass Aurifaber mit der Rezeption dieses Apophthegma ähnlich wie der Kreis um Lauterbach einen eigenen, gleichsam identitätskonturierenden Werkkanon etablieren wollte, greift trotzdem zu kurz (s. S. 491). 389 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb . 254r bzw. WA.TR 3, 42,17–32 [Nr. 2869b]. 390 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 263r bzw. WA.TR 4, 446,22–447,5 [Nr. 4719 init.]. 385

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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„Das ichs gewislich dafur halte / es sey viel ein ander ding predigen / denn wirs achten / denn vnser HERR Gott einem offt etwas anders eingibt / es prediget einer viel anders / wenn er hinauff kömet / denn wie ers hat furgehabt / oder bey sich bedacht.“391

Dass Aurifaber hier dennoch stärker als Luther eine dogmatische „Domestizierung“ vornimmt, zeigt der Schlusssatz, in dem Aurifaber die Schrift als primäre Norm eines solchen Predigens betont: TR, fol. 263r

WA.TR 4,447,4f. [Nr. 4719]

Es ist alles gut / wenn einer nur recht prediget / das dem Glauben ehnlich / vnd der heiligen Schrifft gemeß ist.

Es ist gutt, das einer nur predige iuxta analogiam fidei.

Diesem dogmatisch zurückgebundenen Plädoyer für ein Predigen, das offen ist für Gottes Wirken, entsprechend, verweist Aurifaber im „Gottes Wort“ gewidmeten Locus darauf, dass Luther seine Predigt auf das „mündliche Wort“ gesetzt habe.392 Flankiert wird dieses Plädoyer – wiederum in der Sequenz – zudem durch eine verdiktartige scharfe Mahnung, für die Mehrheit und damit das einfache Volk und nicht die wenigen anwesenden Gelehrten zu predigen, nicht ehrgeizig nach Ehre und Ruhm zu trachten. Zu diesem Zweck verband Aurifaber redaktionell zwei Apophthegmata unter der Überschrift „Ernster Spruch D. Luthers“, auf die er seinen Schwerpunkt verdeutlichend mit „Mart. Luther ernster Spruch wider Prediger die Ehre suchen“ verweist.393 Zum dritten zielte Aurifaber mit seinen auf die homiletische Praxis bezogenen Ausführungen im Besonderen auf Paränese respektive Momente von „Kirchenzucht“. Im Hintergrund wird Luthers Erfahrung im Predigtamt – nach der „Offenbarung des Evangeliums – von der Schlechtigkeit der Welt erkennbar, auf die im „Register“ mit „M. Luth: was er im Predigampt lernet“ verwiesen wurde: „Jm Predigampte lerne ich / was die Welt / das Fleisch / vnd des Teufels hass vnd bosheit ist / die man zuuor fur der Offenbarung des Euangelij nicht kondte erkennen / Damals meinte ich / es were keine Sünde mehr denn Vnzucht.“394

Gerade die präsentische Formulierung des Apophthegmas ermöglicht zwanglos die aktualisierende Rezeption. Reagierend auf diese Diagnose, stellte Aurifaber den Predigern mit dem „Register“ weitere „Anweisungen“ konkreter Art vor Augen. Zum einen „M. Luth. rat wie man jtzt TR, fol. 263r bzw. WA.TR 4, 447,1–4 [Nr. 4719]. Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 4r bzw. WA.TR 1, 26,23f. [Nr. 76]. 393 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 273v–274r bzw. WA.TR 3, 419,24–6 [Nr. 3573]. 427,18–30 [Nr. 3579]. 394 TR, fol. 273r [verbessert aus 272r] bzw. WA.TR 1, 53,1f. [Nr. 126]. 391 392

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

predigen solte“.395 Die damit empfohlene Predigt ist konzentriert auf Bibellektüre, Gebet und Mahnung „ad moralia“, von Aurifaber als „zu guter Zucht vnd Christlichem leben“ expliziert. Spannenderweise relativierte Aurifaber gegenüber den Parallelen bei Rörer und Rabus – trotz der Schlechtigkeit der Welt – diesen einseitigen Ansatz. Zumindest Wenige müssten mit dem Evangelium getröstet werden. Damit zeichnet sich bei aller Gegenwartskritik eine Begrenzung der Paränese bzw. „Kirchenzucht“ ab, zurückgebunden an sein theologisches Selbstverständnis als Vertreter einer „Restkirche“ sowie sein dogmatisches Festhalten am Gegenüber von Gesetz und Evangelium: „Doch vmb der armen betrübten Gewissen / die Gottes zorn wider die Sünde fühlen / (der doch sehr wenig sind) mus man das Euangelium auch predigen / vnd sie damit trösten / Der grosse Hauffe wil ein Mosen haben mit Hörnern.“396

Zudem war es Aurifaber wichtig, den Predigern die Gefahr zu verdeutlichen, die ihnen drohe, wenn sie „Laster / Vntugend vnd Mutwillen“ gemäß ihres Amtes anklagten. Dies belegt z.B. der Verweis „M. Luth. ernste Vermahnung“. Aurifaber zielte hiermit auf den Mittelteil eines Apophthegmas, der im Text als „Vermanung vnd Strafpredigt“ – so die Übersetzung von „contio παραινέσει“ – eingeführt wird.397 Wenn er über die Parallele hinaus bei den gegen die Prediger erhobenen Vorwürfe auch die Obrigkeit thematisierte, mag dabei auch eine selbstreferenzielle Dimension mitgeschwungen haben, d.h. diese könnte auch ein Reflex seiner negativen Erfahrung von Weimar darstellen: TR, fol. 264r

WA.TR 5,646,117f.

Denn frome / Gottfürchtige / trewe Prediger / da sie die Sünde strafen / so schilt vnd heisst man sie zenckisch / beissig / Gottes vnd Menschen Lesterer / die den Leuten an jre ehre greiffen / machen die Oberkeit verechtig / vnd erregen Auffrhur vnd Empörung etc.

Nam pii et fideles praedicatores si arguerent peccata, accusarentur blasphemi, contentiosi, menschen lesterer.

Dass das Strafen von „vnrecht vnd Sünde“ den Predigern von Gott auferlegt worden wäre und diese Gott gegenüber „rechenschaftspflichtig“ seien, wird im Folgenden entfaltet. Am Ende von Ausführungen zum Widerstand der Gemeindeglieder steht die mahnende Warnung an diese mit dem „Jüngsten Gericht“: 395 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 270r bzw. WA.TR 2, 220,17–19 [1804]; 262,9–19 [Nr. 1913]. 396 TR, fol. 270r. 397 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 264r–v bzw. WA.TR 5, 646,14–34 [Nr. 6406].

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„Du wirst ein mal Gottes Gericht müssen hören / der wird dir sagen / Habe ichs dir durch meine Prediger nicht lassen sagen / worumb hast du sie nicht gehört? da wirst du dich nicht können entschüldigen.“398

Die Konzentration auf die Gerichtsbotschaft war Aurifaber so wichtig, dass er gegenüber der Parallele die abschließende Empfehlung Luthers von „opera charitatis“ wegließ.399 Zudem stellte Aurifaber durch den Verweis „Luthers hertzlich vermanen an die Prediger“ den Amtsträgern für ihr paränetisch-kirchenzuchtliches Wirken eine differenzierte Situationsanalyse vor Augen. Ausschließliche Grundlage des zu Lehrenden sei das „reine Wort“, so dass der Paränese bzw. den Momenten von „Kirchenzucht“ im „Positiven“ wie „Negativen“ Grenzen gesetzt wurden. Zugleich wurden „nicht fursätziglich[e]“ „Vergehen“ der Prediger, die von den Laien aus Rachegelüsten scharf angegriffen würden, als vergebbar kommuniziert, der Anspruch der „Leyen“ an die Prediger damit relativiert. Des Weiteren wurden Prediger nochmals darauf hingewiesen, dass aufgrund dieses paränetisch-kirchenzuchtlichen Handelns das Gehasstwerden von den Laien – und der Welt, wie Aurifaber ergänzte – zur Realität des Amtes gehöre.400 Dass Aurifaber tatsächlich nur eine begrenzte „Kirchenzucht“ vorschwebte, zeigt sein thematisch hier zu ergänzender, außerhalb der Sequenz zu findender Verweis auf ein Apophthegma aus dem Locus, der der „Exkommunikation“ gewidmet ist.401 Formuliert der Verweis noch relativ offen „M. Luthers vermanung den Bann wider anzurichten“, lässt die Randbemerkung „Rechtschaffen Bann wider anzurichten“ Aurifabers Zugang deutlich erkennen. Aurifaber kannte hier eine sehr viel ausführlichere Fassung. Insofern die Überschrift diese einführt als „offentlich zu Witenberg nach der Predigt gethan / am Sontag Jnuocauit in der Faste / 1539“ könnte Aurifaber diese damals tatsächlich selbst mitgeschrieben haben. Andernfalls könnte der nur als Sondergut greifbare Eingangsteil, auf den im „Register“ verwiesen wird, die von Aurifaber bewusst gezogene „Negativgrenze“ eines paränetisch-kirchenzuchtlichen Wirkens widerspiegeln, das im Folgenden als an Mt 18 orientierte „Gemeindezucht“ entfaltet wird:

TR, fol. 264v bzw. WA.TR 5, 646,32–34 [Nr. 6406]. Vgl. WA.TR 5, 646,34–37 [Nr. 6406]: „Deinde coepit commendare opera charitatis ab exemplo summi Dei, qui ipse est charitas, et deinde de perfecta charitate, in qua non esset timor, sed sincera fiducia erga Deum et pius affectus erga proximum, quae omnia opera per fidem procrearet.“ 400 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 261v bzw. WA.TR 4, 166,26–30 [Nr. 4143 extr.]. 401 Vgl. im Folgenden TR, fol. Ooooo 6rb. 247r–248r bzw. WA.TR 4, 277,19–278,13 [4381b]. 398 399

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

„Es ist ein geschrey vnter euch komen / darüber sich viel vnnütz gemachet haben / das man den Bann wiederümb auffrichten wolle. Nu ist es war / ich hab vom Bann gesagt / nicht das man sol ein Tyranney wider anrichten / wie die Officialn / sondern von dem Bann / dauon Christus leret Matth. xviii.“402

Ebenfalls in Richtung einer Begrenzung weist die Randbemerkung „Kirchendiener sind nicht Rundschaffer“. Damit zielte Aurifaber auf den Absatz, in dem die „Überwachung“ von Handwerkern der Obrigkeit zugeschrieben wird, was er vom sakramentalen Handeln der Kirche – über die Parallele hinaus – abgrenzt: TR, fol. 247r

WA.TR 4,277,23–25 [4381b]

Wie? Sol ich / als ein Pfarherr / auch zusehen / wie die Becker backen / vnd Fleischhawer schlachten / die Schneider vnd Müller stelen etc? das gehöret den Regenten zu. Denn das Sacrament ist gesetzt zu der Sünder trost / die jre Sünde von Hertzen erkennen vnd bekennen / haben Rew vnd leid darüber / wolten gern ein gnedigen Gott haben / vnd der Sünde los sein.

Wie soll ich als ein pfarrer zusehen, wie die becker backen, die fleischer schlachten? Ad regentes pertinet. Dare sacramenta ist gesetzt zu der sunder trost.

Erst wenn die Obrigkeit bei öffentlichen Sündern nicht eingreife, solle das Sakrament verweigert werden. Hintergrund ist auch hier ein dogmatischer, nämlich das Motiv der Teilhabe an fremder Sünde, derer sich der Pfarrherr sonst schuldig machen würde. Doch bereits an diesem Punkt interessierte Aurifaber weniger die auf die „Kirchenzucht“ bezogenen Ausführungen als vielmehr das dort – über die Parallele hinaus – zu findende „öffentliche Bekenntnis“ Luthers über seine im Papsttum getanen Sünden, wie der gesonderte Verweis im „Register“ zeigt.403 Es folgen noch – im Unterschied zur Parallele – ausführliche an konkreten Problemfällen orientierte Ausführungen zu einer „Gemeindezucht“ in Orientierung an Mt 18, die nicht den Prediger allein, sondern die Kirche als „Ganze“ in die Verantwortung nimmt. Insofern wurde Luther einerseits von Aurifaber in Anspruch genommen, um seine negative Zeitdiagnose autoritativ zu untermauern. Zugleich führte Aurifabers primär dogmatischer Zugang zu einer Begrenzung der TR, fol. 247r. Vgl. TR, fol. 247v. Ooooo 6rb. Zum Motiv der „fremden Schuld“ s. TR, fol. 247v: „Was darff ich mich frembder Sünden teilhafftig machen / so ich an meinen eigenen genug habe?“ bzw. WA.TR 4, 277,28 [4381b]: „[…] ne fiamus participes peccatis aliorum.“ 402 403

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paränetisch-kirchenzuchtlichen Aufgabe von Pfarrherrn. Deshalb stellte er neben Luthers „Strafpredigt“ weitere Apophthegmata, die seinen eigenen – die Pfarrherrn zur Zurückhaltung mahnenden – Mittelweg verdeutlichten. Insgesamt haben diese auf das Predigtamt bezogenen Ausführungen gezeigt, dass Aurifabers Rekurs auf Luther in didaktischer Perspektive einen dezidierten amtstheologischen Schwerpunkt aufweist. Dieser transzendiert die v.a. in F greifbare Konzentration auf Luthers Umgang mit Krankheiten, Anfechtungen und Sterben, insofern der Amtsträger insbesondere auch als Prediger angesprochen wurde. Dieser wurde von Aurifaber „durch“ Luther autoritativ belehrt hinsichtlich einer angemessenen theologischen Ausbildung, der Predigtvorbereitung sowie der Ausübung von Paränese bzw. „Kirchenzucht“. Luther erscheint hier weniger als für die Mit- und Nachwelt kodiertes Exempel, sondern Aurifaber übernimmt dessen Worte und lässt sie – z.T. aktualisiert – in seine Gegenwart des Jahres 1566 sprechen. Im Anschluss an diesen Exkurs ist nun die mit den Ausführungen zu Magdalenas Tod bereits angedeutete Frage nach der Rezeption der Memoria Luthers als „paterfamilias“ aufzugreifen. 2.2.2.2.

Luther als „dogmatisch-frommer“ Paterfamilias

Aufgrund des Dargestellten ist bereits deutlich geworden, dass zu Aurifabers memorialen Interessen – im Gegensatz zu F, aber analog zu Halle – eher nicht das Motiv einer vertieften Verbundenheit Luthers mit seinen Kindern gehörte. Seine Rezeption der auf Magdalenas Tod bezogenen Apophthegmata-Überlieferung ist getragen von einem „dogmatischfrommen“ Impetus, der für „persönliche“ Gefühle Luthers letztlich keinen Raum bietet, wie insbesondere der veränderte Abschluss und bedingt seine Überarbeitung des mit F gemeinsam aufgegriffenen, für Magdalena verfassten Epitaphs verdeutlicht.404 Zudem teilte Aurifaber Luthers Deutung von Kindern als Segen Gottes mit F. Aurifaber griff diesen Impuls auf, wenn er es überschrieb mit „Kinder sind Gottes Gabe“ und dem Locus „Von der Schöpfung“ zuordnete. Mit dieser Zuordnung relativierte er jedoch zugleich die Bedeutung der Aussage für das Lutherbild. Zudem verschärfte er das harsche Wort gegen die Bauern. Dadurch wurde das Exempelhafte ins dogmatisch Prinzipielle bzw. vulgär Stereotype aufgelöst:405

404 405

S. S. 510f. Zu den unterschiedlichen „Abmilderungsversuchen“ s. S. 263 Anm. 724.

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

TR, fol. 69r Kinder sind GOTTES Gabe. Doctor Martinus nam sein kleines Kindlin zu sich / vnd spielete mit jm vnd sprach / Ah, wie ein grosser Segen Gottes ist das / des die groben Bawern und störrige köpffe nicht wert sind / sie solten nur Sewe haben.

Chart. A 402, fol. 115v bzw. WA.TR 1, 495,44–46 [Nr. 978] Luth⌊erus colludens cum infantulo dicebat, ach quanta haec est Dei benedictio qua plane indigni sunt rustici; sie solten nur sewe haben.

Daneben treten nun jedoch Verweise im „Register“, die auf Apophthegmata des Locus „Vom Ehestande“ zielen. Ähnlich wie in Bezug auf das Predigtamt, findet sich auch diesbezüglich eine ganze Sequenz, nun handelt es sich um neun Apophthegmata, die besonders hervorgehoben werden, von denen die letzten beiden explizit den Kindern gewidmet sind. Diese sollen nun zunächst näher betrachtet werden. Zum einen handelt es sich um „M. Luthers Segen vber ein Kindlein“. Das entsprechende Apophthegma teilt Aurifaber mit beiden handschriftlichen Traditionen. Prinzipiell zielt es eher auf „Ökonomisches“. Dennoch ist im Zusammenhang der Frage, inwiefern Luther in seiner Beziehung zu seinen Kindern von Aurifaber in vergleichbarer Weise wie durch den „Wellerschen Kreis“ hervorgehoben wurde, darauf zu verweisen, dass bei Aurifaber – im Unterschied zu den Parallelen – das Kind nicht von Luther selbst, sondern der „Muhme“ getragen wurde. Dies bestätigt, dass Aurifaber kein ausgeprägtes Interesse daran hatte, Luther in besonderer Weise als seinen Kindern persönlich zugewandt auszuweisen.406 Nicht nur im „Register“, sondern auch im Locus folgt unmittelbar „M. Luther Latein seinen Kindern gegeben“. Der im Apophthegma zu findende lateinische Vers stellt laut Randbemerkung eine „Veterliche vermanung zur furcht Gottes“ dar und verdeutlicht erneut das „dogmatische“ Interesse Aurifabers, nun letztlich katechetisch auf die Kinder zugespitzt, wie insbesondere die Übersetzung zeigt: „Memento Dei creatoris tvi, in diebvs ivventvtis tvae. Vnd ist dies die Meinung. || Liebes Kind höre gerne Gottes Wort || Vnd deiner Eltern warnung vnd Gebot / || Weil du bist friesch vnd jung. || Das ist dir hie vnd dort ewiglich gesundt.“407

406 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 458r bzw. Chart. A 402, fol. 105v; WA.TR 3, 26,18–21 [Nr. 2848b]. Auf dieses Apophthegma wird bei der Frage nach Luthers Exempelhaftigkeit in ökonomischer Hinsicht noch einmal zurückzukommen sein (s. S. 520f.). 407 TR, fol. Ooooo 6va. 458r (= WA.TR 6, 276,14–26 [Nr. 6931]; Zitat: ebd., 16– 21]). Der zweite dort ebenfalls angeführte rein deutsche Vers zielt auf die Mahnung zum fleißigen Studieren, wird vom Verweis aber nicht mit umfasst.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Einzig der bereits erwähnte dritte Verweis auf Luthers Erkrankung in Schmalkalden ließ Luther in seiner Zuneigung zu Frau und Kindern erkennen, doch in einer ganz speziellen Weise. Im bei Aurifaber mit „Eine gute oder böse Ehe“ überschriebenen Apophthegma kommt Luther im Kontext von Ausführungen zu seiner Ehe im Besonderen und der Ehe im Allgemeinen auf die schwere Erkrankung von 1537 zu sprechen.408 Ausgehend von dieser, wurde – so die Randbemerkung – Luthers „[…] Sehnen nach Weib vnd Kind“ von diesem thematisiert und als Ausdruck der „Natürlichen Neigung vnd Liebe / so ein Eheman zu seinem Eheweibe / vnd die Eltern zun Kindern haben“ gedeutet, die im Angesicht des Todes „am größten sei“, wie Aurifaber, seiner Vorlage Halle folgend, ausführte, und nach der Genesung zugenommen habe.409 Am Ende steht jedoch die hohe Wertschätzung der Ehe: „Denn es ist gross ding vmb das Bündnis / vnd die Gemeinschaft zwischen Man vnd Weib.“410

Insofern wird diese persönliche Aussage – wie in den Parallelen – verallgemeinert und „dogmatisch“ umfangen. Wie sehr Aurifaber wiederum vornehmlich an der dogmatischen Korrektheit gelegen hat, zeigen kleine Ergänzungen. Wenn Luther meint, seine Angehörigen „hie“ nicht mehr zu sehen, bezeugt er den Auferstehungsglauben.411 Zudem wurde die überraschende Genesung auf „Gottes Gnaden“ zurückgeführt.412 Die „natürliche Neigung und Liebe“, Luthers „Sehnen“, erfuhren hingegen keine äquivalente redaktionelle Betonung und wurden auch im „Register“ nicht aufgegriffen. Somit wird Luther erneut kaum als Person, sondern mit Fokus auf die von ihn zu abstrahierende Lehre memoriert und nur in dieser Hinsicht als Exempel für die Mit- und Nachwelt kodiert. Ähnlich rudimentär mutet Aurifabers Rezeption der auf das Ökonomische bezogenen Aspekte an. Zu den wenigen diesbezüglich mit den handschriftlichen Traditionen gemeinsamen Überlieferungen gehört das bereits erwähnte Apophthegma, in dem Luthers Segen für sein Kind vermittelt wird, aus der dem Locus „Vom Ehestande“ entnommenen Sequenz:

408 TR, fol. Ooooo 6va. 435r bzw. D 116 2°, fol. 419v–420r; WA.TR 4, 504,8–14 [Nr. 4786]. 409 TR, fol. 435r bzw. D 116 2°, fol. 420r. 410 TR, fol. 435r bzw. WA.TR 4, 504,13f. [Nr. 4786]. 411 Vgl. TR, fol. 435r bzw. WA.TR 4, 504,9f. [Nr. 4786]. 412 Vgl. TR, fol. 435r bzw. WA.TR 4, 504,12 [Nr. 4786].

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

TR, fol. 458r Segen Doctor Luthers vber ein Kindelein. Doct. Mart. Luther segenete seiner Kindlein eins / das eine Muhme auffm Arme truge / vnd sprach / Gehe hin / vnd bis from / Gelt wil ich dir nicht lassen / aber einen reichen Gott wil ich dir lassen / Hic te non deseret, bis nur from / da helff dir Gott zu.

Chart. A 402, fol. 105v

WA.TR 3,26,18–21 [Nr. 2848b]

Infantem cubitum ferendum benedixit:

Infantem cubitum ferendum ita benedixit:

Gehe hin vnd bis from. Vil gelt wil ich dir nicht laßen, aber ein reichen Gott wil ich dir laßen, der wirt dich nicht vorlaßen; bis nur from, do helff dir Gott zu.

Gehe hin vnd biß from. Gelt wiel ich dir nicht lassen, aber einen reichen Gott wiel ich dir lassen, biß nur from; der wirdt dich nicht lassen. Da helff dir Gott tzu!

Im Zentrum dieses Apophthegmas steht die dogmatisch-fromme Aussage. Obwohl Aurifaber hier tendenziell näher am Text von F ist, übernahm er gerade die Konkretion „viel Geld“ nicht und verstärkte so – in Übereinstimmung mit den Parallelen – das Bild des „frommen“ Luthers. Zugleich verzichtete er darauf, dieses Bild gemeinsam mit Halle durch eine Art „Selbstschelte“ Luthers wegen zu großem Vertrauen in seine Familie bzw. zu wenig Vertrauen in Christus zu konkretisieren. Insofern er das entsprechende Apophthegma an anderer Stelle und in das „Nichtvertrauen“ abschwächender Lesart rezipierte, wählte er den direkteren Weg, die Frömmigkeit Luthers zu betonen.413 In dieselbe Richtung weist, dass Aurifaber ebenso das Apophthegma übernahm, in dem Luthers „frommer“ Umgang mit Sorgen politischer und wirtschaftlicher Art dargestellt wird, nämlich deren „Bekämpfung“ mittels Rekurs auf biblische Worte. Der Bezug auf Luther wurde relativiert durch Zuordnung zum auf die Anfechtungen bezogenen Locus, dennoch ließ die Überschrift „Ertzney wider vnnütze Gedancken“ Luther zum Vorbild werden.414 Dass er trotz der Übernahme des Apophthegmas, in dem die Armut des Zerbster Pfarrers thematisiert wurde, an der konkreten Notsituation der Pfarrer weniger Interesse hatte, wurde bereits dargelegt.415 Die Zusammenschau der mit der handschriftlichen Tradition gemeinsamen auf das Finanzielle bezogenen Apophthegmata bestätigt diesen Befund. Auri413 Zur Entschärfung vgl. die Wiedergabe von „quod non fidimus Deo“ als „nicht so viel können gleuben vnd vertrauen“ sowie das „vobis singulis plus confido quam Christo“ als „Jch kan […] euch allen semptlich vnd sonderlich mehr vertrawen denn Christo“ (vgl. TR, fol. 37r bzw. D 116 2°, fol. 572r; WA.TR 2, 446,17–21 [Nr. 2397b]). 414 Vgl. TR, fol. 311r bzw. Chart. A 402, fol. 103v; WA.TR 1, 8,37–9,3 [Nr. 19]. 415 S. S. 497 bzw. D 116 2°, fol 582r; WA.TR 3, 549,8–13 [Nr. 3704].

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faber rezipierte keines der Apophthegmata, die auf Sorgen Luthers hingewiesen hätten. Das Wenige, das er ebenfalls kannte, bietet nur ein einseitiges Bild des „frommen“ Luthers und gebricht der „amtstheologischen“ Zuspitzung. Mehr Interesse hatte Aurifaber – wie die „Lauterbach-Hänelsche Tradition“ – daran, die Memoria Luthers als Familienvater durch den Aspekt seines Wirkens als Prediger bzw. Katechet im Familienkreis zu ergänzen.416 Dies gilt, obwohl er die mit Halle gemeinsam überlieferten Apophthegmata nur bedingt mit diesem Fokus rezipierte bzw. zuspitzte. Beim auf Luthers Predigen zu Hause bezogenen Apophthegma legte er, wie bereits angeführt, den Fokus einseitig auf die Geringachtung der Predigt, ohne das „Amt“ des Hausvaters besonders hervorzuheben.417 Das zweite gemeinsame Apophthegma stellte ursprünglich ein Streitgespräch zwischen Luther und Katharina von Bora dar. Aurifaber schied alle dialogischen Elemente aus, so dass er im der Ehe gewidmeten Locus eine generelle, dogmatisch-katechetische Belehrung Luthers zum „Weiber Regiment“ wiedergeben konnte, die er zudem noch theologisch – mit misogyner Tendenz – überarbeitete: TR, fol. 453b

D 116 2°, fol. 571v = WA.TR 3,26,7–13 [Nr. 2847b]

Weiber Regiment. Das Weib / sprach D. M. L. habe das Regiment im Hause / doch des Mannes recht vnd gerechtigkeit one schaden /

Expostulans cum sua uxore dicebat: Tu mihi persuades, quidquid vis; totum habes dominium. In Oeconomia quidem tibi concedo dominium salvo meo iure. Der Weiber Regiment hat von anfang der Dann weiber regiment hat nie nichteß Welt nie nichts guts ausgerichtet / Wie guteß außgericht. man pflegt zu sagen / Weiber Regiment nimpt selten ein gut end. Da Gott Adam zum Herrn vber alle Deus fecit Adam dominum omnium creaCreaturen gesetzt hatte / Da stund es turarum, ut dominaretur omnibus animanalles noch wol vnd recht / vnd alles ward tibus, auff das beste regiret / Aber da das Weib kam / vnd wolte die sed cum Eua persuaderet, ut esset dominus Hand auch mit im Sode haben / vnd klug supra Deum, do verterbet erß. Das haben sein / da fiel es alles dahin / vnd ward wir euch weibern tzu dancken, quae astu eine wüste vnordnung. et technis inescatis viros, quod ego quoque experior.

S. hierzu S. 415–417. Vgl. S. 497 bzw. TR, fol. 268r–269v bzw. D 116 2°, fol. 573v = WA.TR 2, 617,14– 20 [Nr. 2726b]. 416 417

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Beim dritten, in diesem Zusammenhang in den Blick zu nehmenden Apophthegma, ließ Aurifaber den Dialogcharakter und damit den häuslich-privaten Rahmen bestehen, legte den Fokus aber durch gezielte Änderungen, bis hin zur Auslassung des auf Luthers Bücher bezogenen Schlusses, passend zum gewählten Locus „Von Gottes Wort“ auf den „Vberdruß und Verachtung des Worts Gottes“. Zum einen betonte Aurifaber mit dem Bild von der „Gans“ die menschliche Unwissenheit in Bezug auf die Schrift. Zum anderen änderte er in Blick auf die drohende Zukunft das „Hungern (fames)“ in „Vberdruss“. Dass er damit den Rückfall in die Zeit vor der Wiederentdeckung der Schrift verband, machte er durch die Ergänzung des Bildes vom Werfen der Bibel in den Winkel bzw. unter die Bank deutlich, mahnend aktualisiert durch ein „wieder“: TR, fol. 6b Von Vberdruß und Verachtung des Worts Gottes. Doctor Martinus Luther vermanete sein Weib / das sie vleissig Gottes Wort lesen und hören solte / Vnd sonderlich den Psalter vleissig lesen / Sie aber sprach / Das sie es gnug hörete / vnd teglich viel lese / vnd köndte auch viel dauon reden / wolt Gott sie thete auch darnach / Da seuffzte der Doctor / und sprach. Also hebt sich der Vberdruß zu Gottes Wort an / Das wir vns viel lassen düncken / vnd wollens alles gar wissen / vnd erfaren doch das Widerspiel / Ja, das wir eben so viel davon verstehen als eine Gans / vnd wollen gleichwol vngestraft sein. Dies ist der Vortrab des kunfftigen Vbels / und Vberdrusses des Göttlichen Worts / Darauff werden eitel Newe Bucher komen / vnd die Heilige Schrifft wird veracht / vnd wider in einen Winckel / oder vnter die Banck geworffen werden.

D 116 2°, fol. 582v–583r

D⌊octor M⌊artinus Lutherus hortabatur uxorem ad diligentem lectionem praecipue psalterium et auditum verbi. Ipsa vero se satis legisse, audivisse et scire gloriabatur; wolt Gott, sie lebete darnach! Respondit ipse suspirans. Also hebet sich fastidium vnd contemptus verbi an, das wir vns viel lassen düncken, wollens gar wissen vnd thun doch das widerspiel vnd wollen dartzu vngestrafft sein. Haec sunt praeparatio et parasceue futuri mali et famis verbi divini.“ Do würden eittel neuhe commentaria kommen et negligetur scriptura. Ideo mallem meos libros non excudi propter rottenses futuros, die alles vngluck anrichten werden. Nam ego in prioribus libris multum papae tribui. Deinde paulatim mitius tractaui locos scripturae, wie ichs die tzeit gelesen hatte.

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Insofern fand auch hier eine Generalisierung statt. Durch den „häuslichen“ Katechet Luther spricht letztlich der mahnend-warnende „Prophetenschüler“ Aurifaber. Dieser einseitig negativ anmutende Befund muss nun jedoch vom „Register“ her ergänzt werden. Aurifaber hat mit diesem Apophthegma trotz der Änderungen besonders den „häuslichen“ Hintergrund betont. Sein Verweis griff nicht primär den prophetisch-mahnenden Inhalt auf, sondern lautet „M. Luthers vermanung an seine Hausfrau“ und instrumentalisierte somit den „häuslichen Katecheten“ für das eigene Anliegen.418 Unter derselben Überschrift ergänzte Aurifaber zudem ein zweites Apophthegma. In diesem geht es um die „securitas mundi“, die auf dem Vertrauen auf Bücher beruhe. Hervorgehoben wurde der Abschnitt, in dem Luther ausführt, wie er sich gegen eine solche „securitas“ wehre. Durch den Verweis „Luther tegliche vbung im Catechismo vnd Gebet“,419 wurde Luther prinzipiell zum Vorbild erhoben. Zugleich transportierte das Stück Aurifabers Anliegen des durchgängigen Betens („jmerdar“) und Studierens der Bibel: TR, fol. 6v

WA.TR 2,194,12–14 [Nr. 1727]

Wider solche Sicherheit bete ich jmerdar / vnd sage meinen Catechismum nach einander / wie mein Hensichen / Vnd bete teglich / das mich Gott bei seinem Heiligen reinen Wort erhalte / das ich des nicht vberdrüssig werde / oder mich düncken lasse / ich hette es aus studiret.

Contra illam securitatem ego quotidie oro catechismum wie mein Hensichen, das mich Gott erhalte in seinem lieben heiligen wortt, das ich sein nicht uberdrissig werde.

Bei der katechetischen Belehrung durch den Hausvater Luther ging Aurifaber so weit, dass er sogar ganz konkrete Anleitung gab, etwa mit dem Verweis „M. Luther. Betweis vnd Betzeit“.420 Wer diesem folgte, fand folgende Ausführungen: „Jch habe noch alle tage an mir zu treiben / das ich könne beten / vnd lasse mir gnügen / das ich könne / wenn ich mich lege / die Zehengebot / das Vater vnser / vnd darnach ein Spruch oder zweene sprechen / dencke denselben etwas nach / vnd schlafe also ein.“421

Insofern wurde Luther weniger als Katechet im eigenen Haus dargestellt, aber als Katechet für alle Leser der Tischredenausgabe greifbar. Dies bedeutet nicht, dass Aurifaber die „häusliche“ Katechese gänzlich übergangen hätte, wie der bereits erwähnte Verweis „M. Luther Latein seinen Vgl. TR, fol. Ooooo 6va sowie die entsprechende Randbemerkung ebd., fol. 6b. TR, fol. Ooooo 6va. 420 TR, fol. Ooooo 6va. 421 TR, fol. 214r bzw. WA.TR 5, 209,21–24 [Nr. 5517]. 418 419

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Kindern gegeben“ zeigt, durch den zunächst Luthers eigene Kinder zur Furcht Gottes ermahnt wurden.422 In analoger Weise hob Aurifaber Luthers Beziehung zu Katharina von Bora in katechetisch-dogmatischer Perspektive hervor. Unter dem Verweis „M. Luth. Eheweib von Born [sic!]“ findet sich ein Apophthegma, in dem drei Gründe Luthers für seine hohe Wertschätzung seiner Ehefrau angeführt wurden, verallgemeinert durch die Überschrift „Lob eines guten Ehestandes“: 1. sie sei ihm als „ein from Weib von GOTT geschenckt“ – wie auch er ihr; 2. an anderen würden „grösser Gebrechen vnd Feile“ gefunden; 3. „das sie Glauben vnd sich ehrlich hielte / wie einem fromen / züchtigen Weibe gebüret“. Um dieser dogmatisch-frommen Zuspitzung willen, ließ Aurifaber beim dritten Punkt die wohl als anstößig empfundene Aussage der Parallele zu ihrer „Mutterschaft“ und „Gebährfähigkeit“ aus.423 Aurifabers „dogmatischer“ Zugang zur Ehe wird zudem an dem Apophthegma greifbar, in dem „M. Luth: fursatz Ehelich zu werden“ entfaltet wird. Wenn Luther bei Aurifaber als Grund das „Ehren des Ehestandes“ nennt und nicht die „Bestätigung (confirmare)“ desselben, wird die Akzentverschiebung deutlich, auf deren Grundlage Aurifaber Luthers vehementes Eintreten für die Ehe – notfalls hätte er auf dem Sterbebett geheiratet – wiedergab.424 Dass hier auch ein antipapalistischer Impetus mitschwang, macht ein weiteres Apophthegma deutlich, in dem die Frage „M. Luther warumb er Ehelich worden“ nicht nur mit dem „Ehren“, sondern zusätzlich als „Trotzen“ wider den Teufel sowie als Handeln „zu schanden der Hurerey im Bapstthumb“ beantwortet wird.425 Am eindrücklichsten wird Aurifabers Rekurs auf Luther als paterfamilias in einem Sondergutstück greifbar, auf welches mit „M. Luth. Gebet für seinen Ehestande“ verwiesen wird und in dem letztlich alle diesbezüglichen Aspekte der monumentalisierenden Kodierung Luthers als Exempel seitens Aurifaber zusammen kommen: „Lieber Himmlischer Vater / Dieweil du mich in deines Namens vnd Ampts Ehre gesatzt hast / vnd mich auch wilt Vater genennet vnd geehret haben / Verleihe mir Gnade / vnd segene mich / Das ich mein liebes Weib / Kind vnd Gesind / Göttlich vnd Christlich regiere vnd ernere / Gib mir Weisheit vnd krafft, sie wol zu regieren vnd zu

S. S. 524. TR, fol. Ooooo 6va. 441v bzw. WA.TR 2, 281,29–282,2 [Nr. 1965]. Zur Auslassung s. ebd., 34f.: „[…] deinde quod mater esset et talis quidem, quae cito conciperet et pareret cito etc.“ 424 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 430v bzw. WA.TR 2, 332,1–5 [Nr. 2129b]. 425 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 455v (= WA.TR 6, 275,15–22 [Nr. 6928]). 422 423

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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erziehen / Gib auch jnen ein gut Hertz vnd willen / deiner Lere zu folgen vnd gehorsam zu sein / Amen.“426

Doch weitet Aurifaber diese memoriale Erhöhung im Locus „Vom Ehestand“ aus mit ganz konkreten „Tipps“ Luthers für die Eheschließung: Den „Freiern“ empfahl er, nicht den „Lüsten“ bzw. der „Brunst“ zu folgen, sondern zu Beten, um ein „from Weib“.427 Blieb Aurifaber hiermit in dogmatisch-frommen Bahnen, teilte er darüber hinaus unmittelbar im Anschluss einen Antwortbrief Luthers an einen nicht näher bezeichneten Freund als Sondergut mit, in dem Luther diesen teilweise mahnendtadelnd differenziert – bis ins Körperliche oder Haushaltstechnische hinein –, in der Frage der Eheschließung beriet.428 Abgeschlossen wurde diese kurze Sequenz mit dem Hinweis auf „M. Luth. Hochzeit“ und damit auf den Rat Luthers, die Hochzeit „flugs“ zu vollziehen, da ansonsten Widerspruch von Freunden käme, wie Luther an seiner eigenen Hochzeit entfaltet.429 Daneben trat aus dem auf die „Juristen“ bezogenen Locus Luthers biblisch begründete Argumentation gegen klandestine Ehen.430 Trotz dieser „praktischen“ Regelungen konzentrierte Aurifaber die in F und Halle – mit unterschiedlichen Nuancierungen – greifbare Kodierung Luthers für die Mit- und Nachwelt als „paterfamilias“ insgesamt in dogmatisch-frommer Richtung. Insofern haben spätere Repristinationen dieser Motive ihren Anhalt in der rezeptionsgeschichtlich so wirkmächtigen Tischredenausgabe Aurifabers, bildlich greifbar in den Holzschnitten der Frankfurter Nachdrucke.431 2.2.2.3.

Bedingter Rekurs auf Luther in Bezug auf sittlich-moralische Orientierung

Als letztes Moment der didaktisch-pastoralen Dimension ist zu verfolgen, inwiefern Aurifaber von der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ den Impetus einer sittlich-moralischen Orientierung aus dem Munde Luthers übernommen hat. Erste Hinweise wurden bereits im Rahmen der Ausführungen zu Aurifabers amtstheologisch-praktischem Fokus auf das Predigtamt aufgeführt, wenn Aurifaber die Prediger mit paränetisch-kirchenzuchtlichen Aufgaben betreut sah, zugleich aber die „Kirchenzucht“ einTR, fol. Ooooo 6va. 455r (= WA.TR 6, 274,24–31 [Nr. 6927]). Vgl. fol. Ooooo 6va („M.L. Rat so er den Freiern gegeben“). 431v–432r bzw. WA.TR 2, 514,3–7 [Nr. 2542b]. 428 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va („M. Luth: rat wegen einer Heirat“). 432r (= WA.TR 6, 260,18–261,8 [Nr. 6903]). 429 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 432v bzw. WA.TR 3, 212,9–12 [Nr. 3179b]. 430 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va („M. Luthers ernst zum vorbilde“). 561r bzw. WA.TR 6, 337,6–10 [Nr. 7025]. 431 S. 32–34. 426 427

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

schränkte.432 Diese Haltung scheint sich in der Tischredenausgabe als Ganze widerzuspiegeln. Nimmt man Aurifabers Aufriss in den Blick und vergleicht diesen mit der entsprechenden Auswertung der thematischen Schwerpunkte von Halle,433 so macht bereits diese erste Sichtung deutlich, dass Aurifaber hier nur wenige Aspekte rezipierte. Das Rezipierte wiederum weist starke Anklänge an seine theologische Verortung auf. Zu seinem Selbstverständnis gehörte z.B. die Überzeugung, dass er auch Potentaten beurteilen könne. V.a. aber vor dem Hintergrund der Aussagen zum paränetisch-kirchenzuchtlichen Wirken der Prediger überrascht die Schaffung bzw. Übernahme eines Locus „XXI. Von der Excommunication und Bann, oder der Kirchen Jurisdiction“ kaum, in dem zumindest eingangs der entsprechende Locus aus Halle – überschrieben mit „De Excommunciatione“ – eingeflossen war. Auch den nur ein Apophthegma umfassenden Locus „Absolutio privata“ rezipierte Aurifaber, ordnete das Stück aber dem auf die „Ohrenbeichte“ bezogenen Locus zu (XVIII). Am stärksten ist sein Interesse an Fragen der Ehe. In seinem Locus „Vom Ehestande“ (XLIIII) verband er beide handschriftlichen Traditionen und nahm auch Ergänzungen vor. Die in Halle darüber hinaus unter der Überschrift „Adulteri, scortatores“434 zusammengestellten Apophthegmata übernahm er nur punktuell und ordnete sie verschiedenen Loci zu. Anders verhielt es sich mit dem Locus „Christiani, Christiana Vita“435, den er wörtlich übersetzt als eigenen Locus aufgriff (XXXIX. Von Christen und einem christlichen Leben). Zudem übernahm Aurifaber aus Halle die protestantische „Haustafel“, ordnete sie aber dem Locus von der Schöpfung zu, so dass sie als solche kaum noch identifizierbar war.436 Analog „zerschlug“ er auch die hallesche Rubrik „Mundus illiusque ingratitudo et malitia mundi“ weitestgehend. Mit dem Eingangsteil437 griff er die Ausführungen zum Epikureismus im Locus „Von der Welt und ihrer Art“ (IV) auf. Die weiteren sittlich-moralisch konnotierten Unterpunkte teilte er anderen Loci zu, so dass sie nur noch schwer erkennbar waren. Dass er im von ihm geschaffenen Locus „Von der Trunkenheit“ (LXXXI) auf die Übernahme der entsprechenden Apophthegmata des Unterpunktes „Ebrietas“ von Halle verzichtete,438 lässt seinen anders gelagerten Rezeptionsschwerpunkt ebenso erkennen.

S. S. 519–523. S. IV 1.3 bzw. S. 400f. 434 Vgl. D 116 2°, fol. 255r–257v. 435 Vgl. D 116 2°, fol. 487r–490v. 436 Vgl. TR, fol. 65b–68r bzw. D 116 2°, fol. 115v–123r. 437 D.h. bis einschließlich der „Ingratitudo civilis“ – vgl. D 116 2°, fol. 81v–89v. 438 Vgl. D 116 2°, fol. 95r–96r. 432 433

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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In dieselbe Richtung weist, dass Aurifaber die entsprechenden Apophthegmata des Luther im Speziellen gewidmeten Locus von Halle nicht rezipierte. Bedingt könnte auf das Apophthegma verwiesen werden, mit dem das „adäquate“ Verhalten des „Sünders“ Metzsch vom Kreis um Lauterbach redaktionell kommentiert worden war. Jedoch stellt Aurifabers Text ein paralleles Exzerpt aus dem auch in F greifbaren langen „Bericht“ dar, ist also an dieser Stelle unabhängig von Halle.439 Letztlich gilt für die Tischredenausgabe dasselbe wie für die „Wellersche Tradition“: Für den Superintendenten und Visitator Lauterbach war dieser Aspekt sehr viel dringlicher. Aurifaber ging es nicht primär um die christliche Ausgestaltung einer Ephorie – oder einer Reichsstadt, wenn man die in der Widmung genannten Adressaten aufgreift –, sondern um mahnende Erinnerung an das von Luther wieder ans Licht gebrachte Wort Gottes und die daraus resultierende Lehre. Diese hat sittlich-moralische Implikationen, die aber nicht im Zentrum standen.440 Insgesamt verdeutlichen die vorangegangenen Ausführungen, in welch hohem Maße Aurifabers Selbstverortung dessen Luthermemoria hinsichtlich der didaktisch-pastoralen Dimension bestimmt haben. Im Folgenden ist nun die „glorifzierende Dimension“ in den Blick zu nehmen. 2.2.3.

Zur „enkomiastischen“ Dimension

Analog zu den handschriftlichen Traditionen ist auch die Tischredenausgabe daraufhin auszuwerten, inwiefern „Luther an sich“ von Aurifaber memoriert wurde. Es wird sich zeigen, dass Aurifaber weder die „polemische“ Konnotierung des „Wellerschen Kreises“ noch das „prinzipielle“, als Niederschlag einer konfessesionskulturellen Verfestigung zu deutende Erinnerungsinteresse des Kreises um Lauterbach aufgegriffen hat und der enkomiastischen Dimension insgesamt nur wenig Gewicht zuerkannte. Die Tugendhaftigkeit Luthers wird zum Nebenmotiv (2.2.3.1), analog unter strikter Fokussierung das Motiv eines „Märtyrertum“ Luthers (2.2.3.2). Gänzlich übergangen wird die für Halle noch so zentrale „heilsgeschichtlich-prophetische“ Grundlegung der Luthermemoria (2.2.3.3).

439 Vgl. D 116 2°, fol. 578v bzw. WA.TR 1, 340,29–32 [Nr. 701] und im Gegensatz dazu TR, fol. 103r bzw. Chart. A. 402, fol. 101r–v; WA.TR 1, 240,5–12 [Nr. 518]. 440 Der von Aurifaber im Unterschied zu den handschriftlichen Traditionen geschaffene Locus „Von Uneinigkeit“ (Nr. XLVII) stellt nur auf dem ersten Blick ein Gegenargument dar. Es handelt sich um Mitschriften Aurifabers vom 10.–16. Februar 1546, mit denen er Luthers Verhandlungen im Mansfelder Erbstreit dokumentiert.

534 2.2.3.1.

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Zum Nebenmotiv der „Tugendhaftigkeit“ Luthers

Bei dem Motiv der „Tugendhaftigkeit“ Luthers teilte Aurifaber in gewisser Weise die Zurückhaltung des „Wellerschen Kreises“, ging aber dennoch über diesen hinaus, ohne in analoger Weise wie der Kreis um Lauterbach Luther primär in „moralischer“ Hinsicht bzw. vor dem Hintergrund eines prinzipiell-programmatischen Interesses an den Tugenden enkomiastisch erhöhen zu wollen. Insofern nahm Aurifaber eine Mittelstellung ein, die sich konsequent aus seiner theologischen Verortung ergab und nach der Luthers „Tugendhaftigkeit“ nur ein Nebenmotiv darstellte. Dies gilt nicht minder für die dianoetische Dimension, die in einem zweiten Schritt vertieft werden wird. Am Anfang soll die Interpretation von Aussagen zum „Charakter“ Luthers stehen. Zwar teilt die Tischredenausgabe mit dem 32. Locus von F auf die Tugenden der „castitas“, und der „humilitas“ sowie das Laster der „gula“ bezogene Apophthegmata, doch wird deren geringe argumentative Belastbarkeit durch die Zuordnung zu anderen Loci und dem Verzicht auf diese betonende Randbemerkungen noch verringert. Dies gilt zumindest für die „Keuschheit“ bzw. die Zurückweisung des Vorwurfes der „Völlerei“.441 Bei der „Demut“ ist zu differenzieren. Zwar ist der dem Locus „Vom Sacrament des Altars“ zugeordnete und mit „Gewisheit Lutheri vom Abendmal / vnd wie man sich wider den Teufel schützen vnd wehren müsse“ überschriebene Eingangsteil des von Aurifaber im Unterschied zu F aufgeteilten langen Berichtes über seine Tag- und Nachtkriege trotz des dort enthaltenen selbstkritischen Hinweises Luthers auf seinen „Stolz“ bzw. seine „Hoffärtigkeit“ noch weniger als in F als Beleg wertbar,442 doch hob Auri441 Aurifaber übernahm im Locus „Von Anfechtungen“ mit dem Schlussteil des auf Luthers „Tag- und Nachtkriege“ bezogenen Apophthegmas den Hinweis auf Luthers Tadellosigkeit hinsichtlich des Keuschheitsgebots (vgl. TR, fol. 320r: „Doctor Staupitzen habe ich offt gebeichtet / Nicht von Weibern / sondern die rechten Knoten / […] Da hielte ich Messe / vnd betet / vnd hab kein Weib / da ich im Orden vnd ein Mönch war (so zu reden) förder gesehen noch gehabt“ bzw. Chart. A 402, fol. 101r; WA.TR 1, 240,12f.25f. [Nr. 518]). Das der Thematik explizit gewidmete Nachtragsstück (Chart A 402, fol. 472r [WA 48, 392,24f.] bzw. WA.TR 1, 47,15–18 [Nr. 121]) griff Aurifaber hingegen nicht auf. Beim auf den „Trunk“, den Luther „Gott zu ehren“ tue, bezogene Apophthegma, das implizit den Vorwurf der „gula“ zurückwies, verschob Aurifaber den Fokus gänzlich, wenn er es unter der Überschrift „Gott helt vns viel zu gut“ der Kategorie „Von Gottes Werken“ zuordnete (vgl. TR, fol. 33r: „Gott helt vns viel zu gut. Kan mir vnser HERR Gott das schencken / das ich jn wol zwenzig Jahr gecreutziget vnd gemartert hab / mit Messhalten / so kan er mir das auch wol zu gute halten / das ich bisweilen einen guten Trunck thue jm zu ehren / GOTT gebe die Welt lege es aus wie sie wolle“; WA.TR 1, 60,34–37 [Nr. 139]; Ms. Bos. q. 24c, fol. 266r sowie Chart. A 402, fol. 111r). 442 Vgl. TR, fol. 237b bzw. Chart. A. 402, fol. 100v; WA.TR 1, 238,25f. [Nr. 518]. Zur Aufspaltung dieses Apophthegmas s. S. 512f.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

535

faber im „Register“ eine analoge Aussage mittels „Martin Luthers Hunde“ hervor: „Lutheri Hunde. Doct. M. L. pflegte offt zu sagen / Jch hab drey böser Hunde / Jngratitudinem / Superbiam vnd Jnuidiam / wen diese drey Hunde beissen / der ist seer vbel gebissen.“443

Insofern könnte hiermit von Aurifaber gezielt eine demütige, „selbstkritische“ Haltung Luthers vermittelt worden sein, die ihn implizit tugendhaft erscheinen ließ. Analoges gilt für die Apophthegmata, auf die vom „Register“ – dort aufeinanderfolgend – mit „M. Luther Schule“ bzw. „M. Luth. Sündlichs leiden“ verwiesen wird.444 Die „Schule“ wurde in der Randbemerkung dann expliziert mit 2Kor 12 und damit dem Rühmen Paulus’ seiner Schwachheit vice versa seiner Stärke in Christus wegen. Im Apophthegma selbst werden Angriffe von „Tyrannen“ und „falschen Brüdern“ benannt und als Mittel gegen Überheblichkeit und Ansporn zum – wie Aurifaber betonte – ernsthaften Gebet gedeutet: TR, fol. 124v

WA.TR 1,498,4–7 [Nr. 982]

[Am Rand: 2.Corinth 12: D.M.L. Schule; I.K.] Wenn mir die Tyrannen vnd falschen Brüder nicht so hart zusetzten / würde ich mich meiner Gaben vberheben, mit ernst und brünstigem Hertzen nicht beten / alles meiner Geschicklichkeit vnd krefften, nicht Gottes gnaden zu schreiben / vnd würde also mit aller meiner kunst zum Teufel faren.

Ego si a tyrannis et falsis fratribus non tentarer, superbissimus essem in donis meis. Jch fure mit meiner grossen kunst zum leidigen Teufel. Nunquam orarem, non Deo, sed viribus meis ascriberem omnia.

Unter dem Verweis auf das „sündlich Leiden“ findet sich ein Rückblick auf Luthers Frühzeit als Mönch, nach dem er Staupitz wiederholt brieflich seine Sünde geklagt habe mit den Worten „O meine Sünde / Sünde / Sünde“. Obwohl für dieses Sondergutstück keine lateinische Vorlage greifbar ist, dürfte hier schlicht das „mea culpa“ des Confiteor alludiert sein, so dass vom dreifachen Bekenntnis kein besonderes Leiden ableitbar ist. Im Folgenden wird dieses auch durch Staupitz’ Antwort expliziert, das von Luther Bekannte sei keine „rechte“, nur „selbsterdichtete“ Sünde („Hum443 TR, fol. 621v bzw. WA.TR 4, 618,15–17 [Nr. 5022]. Aurifaber und seine Rezipienten dürften in dieser Fassung kaum die von Mathesius in seinen Lutherpredigten vorgenommene Umdeutung der negativen Eigenschaften Luthers auf Geistliche in seiner Kirche mitgehört haben (s. hierzu: VOLZ, Lutherpredigten, 148). Zum Verweis im „Register“ s. TR, fol. Ooooo 6vb. 444 TR, fol. Ooooo 6va.

536

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

pelwerck“, „Puppensünden“, „Bombart“).445 Insofern wurde die selbstkritische Haltung als hyperkritische vermittelt, Luther ähnlich wie bei seinem Umgang mit Krankheiten besonders „fromm“ dargestellt. Deshalb lag der Fokus lediglich bedingt auf der Tugend der „Demut“. Ausdrücklich auf „M. Luthers Demut“ verwies Aurifaber nur im Zusammenhang des Berichtes von Luthers Gespräch mit Cajetan in Augsburg 1518. Stand dieses in F noch in besonderer Weise im Zentrum,446 rekurrierte Aurifaber mittels „Register“ bzw. Randbemerkung allein auf Luthers demütiges Verhalten gegenüber Cajetan, das sich im Kniefall, Prostration und dem Abwarten der dreimaligen Aufforderung aufzustehen gezeigt habe, ohne jedoch den von Cajetan erhofften Widerruf nach sich zu ziehen.447 Letztlich verdeutlicht die „Demut“ eher den „standhaften“ Bekenner.448 Demgegenüber stellte die selbstkritische Haltung Luthers trotz der dargestellten Bezeugung eher ein Nebenmotiv dar. Dies kann zudem anhand der hohen Wertschätzung der Tugend der „patientia“ verdeutlicht werden. Aurifaber folgte hier zwar Halle, transzendierte seine Vorlage aber zugleich, wenn er diese Tugend gemäß seiner Selbstverortung nach verschiedenen Seiten in einer Sequenz im Locus „Von guten Werken“ auslotet.449 Eröffnet wurde diese Sequenz in gewisser Weise mit dem Vorwurf an die „Sophisten“, diese redeten von drei „theologischen Tugenden“, obwohl sie diese überhaupt nicht verstanden hätten bzw., insofern diese „theologisch“ seien, überhaupt nicht verstehen hätten können.450 Im Folgenden lotete Aurifaber dann die Negativgrenze der „patientia“ aus. Zunächst wurde Luthers „Zorn“ – ergänzt durch den „Eifer“ – als bestes „Werk“ eingeführt und am Rand als „Christlicher Zorn“ positiv konnotiert: TR, fol. 203r Wozu Zorn und Eiuer dienen und gut sind. Jch habe / sprach D. M. L. kein besser werck /denn den Zorn vnd Eiuer / denn wenn ich wol tichten / schreiben / beten vnd

Chart. A 402, fol. 103r

WA.TR 2,455,36–456,2 [Nr. 2410b] Marti⌊nus Luth⌊erus:

Ego nullum melius remedium habeo quam iram. Si bene scribere, orare, praedicare volo, oportet me esse iratum.

Ego nullum melius remedium habeo quam iram. Si bene scribere, orare, praedicare volo, tunc oportet me esse iratum;

Vgl. TR, fol. 142v = WA.TR 6, 106,32–107,3 [Nr. 6669]. S. S. 296–302. 447 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 519r bzw. WA.TR 3, 661,21–25 [Nr. 3857]. 448 Vgl. in dieser Hinsicht jedoch v.a. Aurifabers Rekurs auf den Wormser Reichstag (s. S. 549f.). 449 Vgl. TR, fol. 203r–204v. 450 Vgl. TR, fol. 205r bzw. WA.TR 2, 372,5–22 [Nr. 2235], bes. ebd., 372,17–22. 445 446

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe predigen wil / so mus ich zornig sein / da erfrischt sich mein ganz geblüte / mein Verstand wird gescherfft / vnd alle vnlustige gedancken vnd anfechtungen weichen.

537

da erfrischt sich mein gantz geblut, et acuitur ingenium, et tentationes omnes cedunt.

Insofern Aurifaber nicht wie der Kreis um Weller den Schluss wegließ, wurde die positive Wirkung ebenso hervorgehoben und nicht nur der Fokus auf Luthers zentrale Tätigkeiten gelegt, d.h. [Dichten,] Schreiben, Beten und Predigen.451 Auf eine elaborierte Verteidigung von Luthers Zorn, wie sie vom Kreis um Weller angestrebt worden war, zielte Aurifaber dennoch nicht. Vom „Zorn (und Eifer)“ ging er über zur Frage „Von vngedult / obs auch allzeit Sünde sey?“ Ausgangspunkt ist die Klage des Propheten Jeremia (Jer 20,14). Die eine solche „Ungeduld“ legitimierende Antwort Luthers aktualisierte Aurifaber in seinem Sinne, wenn er „contemptus“ als „verachtung Gottes Worts vnd seiner trewen Diener“ entfaltete.452 Somit wird deutlich, dass es ihm um eine Auslotung der (Grenzen der) „patientia“ in seiner Gegenwart ging und nicht um die Tugendhaftigkeit Luthers.453 Erst auf dieser Grundlage griff Aurifaber die vom Kreis um Lauterbach im gesonderten Locus „Patientia“ zusammengefassten Apophthegmata auf, ergänzte dazwischen die in Halle an anderer Stelle aufgeführte Auslegung von Jes 30,15 und propagierte so – ohne relevante redaktionelle Eingriffe – das hohe Lob der „Geduld“ und das Annehmen von Leid und Verfolgung.454 Im Folgenden vertiefte er die Thematik gegenüber dem Kreis um Lauterbach noch weiter, z.B. in theologischer Hinsicht: Dies kann an einem auch in Halle greifbaren Apophthegma gezeigt werden. Nach diesem müsZur Rezeption des Stückes durch den Kreis um Weller s. S. 235f. Vgl. TR, fol. 203r–v bzw. WA.TR 1, 96,17–97,11 [Nr. 228]; 96,26. 453 Dafür spricht hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Luthers „Zorn“ auch Aurifabers Rezeption der Anfrage des jungen Kurprinzen Joachim II. von Brandenburg, warum Luther so „vehemens“ schreibe (s. S. 236 bzw. Chart. A 402, fol. 103v; WA.TR 1, 172,21–26 [Nr. 397]). Diese wurde von Aurifaber zum einen im Locus von Gottes Werken aufgegriffen. Dort wurde durch die Überschrift „Vmb unser hertigkeit willen mus Gott hart vnd Gott sein“ der Fokus ganz von Luther weg auf Gott gelenkt (vgl. TR, fol. 52r–v). Im auf die Prediger bezogenen Locus legte Aurifaber dann den Schwerpunkt auf die Legitimität, „grosse Hansen mit dem Predigampt“ anzugreifen und verdeutlichte damit eher sein Selbstverständnis, als dass er Luthers Verhalten als „tugendhaft“ verteidigen wollte (vgl. TR, fol. 265v). 454 Vgl. TR, fol. 203v–204r – es handelt sich um die Apophthegmata Nr. 6018, 3643, 6019. 451 452

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

se Luther Geduld haben gegenüber dem Papst, den „Schwärmern“, dem „Scharhansen“, der „familia“ und Katharina von Bora. Aurifaber hatte die geringe theologische Fundierung erkannt, wie die Überschrift, „Gedult ist allenthalben nötig“ zeigt, zugleich „lud“ er das Stück theologisch „auf“, wenn er am Ende eine kurze Auslegung von Jes 30,15 und am Rand das „Tragen der Bösen“ unter Rekurs auf 2Tim 2 anfügte.455 Hinzu kommen zwei Reime Luthers, in denen das Theologische einprägsam und elementarisiert greifbar wurde456 sowie ein Sondergutstück, in dem die Zufügung von Leid und nicht das Erdulden als Sünde deklariert wurde.457 Spiegelte sich bereits im Angeführten Aurifabers persönliche Situation bzw. die aller „Gnesiolutheraner“ als um der „wahren Lehre“ Verfolgte wider, bot die Sequenz zudem Hinweise auf den „Rechtsbehelff“, in dessen Zusammenhang mit Bedacht das Leiden der Christen unter der Oberkeit durch „Die leidende Brüderschaft“ am Rand kommentiert wurde.458 Abschließend wurde nachdrücklich vor der „Rachgierigkeit“ gewarnt.459 Diese breite Thematisierung der Tugend der „patientia“ war keine prinzipiell-programmatische, wie sie sich in Halle bzw. im Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche niedergeschlagen hatte, sondern eine „existenzielle“ und wies einen hohen selbstreferenziellen Gehalt auf. Die Einordnung der Sequenz in den Locus „Von guten Wercken“ verstärkte den paränetischen Charakter zusätzlich. Insgesamt blieb kaum Raum für eine Luther glorifizierende Lesart. Analoges gilt für den Rekurs auf Momente von Luthers Tugendhaftigkeit, bei denen primär deren „gegenwartskritische“ Dimension im Vordergrund gestanden haben dürfte. Dies kann z.B. an den Verweisen des „Registers“ auf Luthers Vorgehen gegen den „Geiz“ respektive auf als unzulässig angesehene Teuerung gezeigt werden. Dadurch wurde Luther implizit als „tugendhaft“ greifbar, der Fokus von „M. Luth. warnung furm Geitz“ liegt aber auf der Kritik an den Bauern, die Getreide „künstlich“

Vgl. TR, fol. 204r bzw. D 116 2°, fol. 578r–v = WA.TR 5, 347,20–22 [Nr. 2173b]; ebd., 347,12–16 [Nr. 2173A]; ebd., 347,17–19 [Nr. 3173B] – gegenüber diesen Parallelen ergänzte Aurifaber am Ende WA.TR 2, 433,10f. [Nr. 2360]. 456 Vgl. TR, fol. 204r–v bzw. WA.TR 5, 107,30–108,2 [Nr. 5375 q]; 6, 161,17–22 [Nr. 6747]. 457 TR, fol. 204v = WA.TR 6, 161,9–12 [Nr. 6746]. 458 Vgl. TR, 204r bzw. WA.TR 1, 250,36–251,11 [Nr. 543]. Evtl. stand die Auseinandersetzung mit Gegnern auch hinter dem Doppelbild vom bösen Ast bzw. von den Schwären und dem Dreck, die man um des Baumes bzw. um des Leibes willen leiden müsse – zumindest deutet darauf die als Schimpfwort einzustufende Randbemerkung „Wider Hans Obenaus“ (vgl. TR, fol. 204r bzw. WA.TR 1, 255,10f. [Nr. 556]). 459 Vgl. TR, fol. 204v bzw. WA.TR 1, 252,14–21 [Nr. 548] sowie 254,5–14 [Nr. 552] mit 254,34–36 [Nr. 553]. 455

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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verteuert hätten. Luthers präsentischer Rekurs auf Mt 25,42 („Christus enim dicit“) wurde von Aurifaber zudem eschatologisch zugespitzt: „Denn Christus wird an jenem tage sagen.“460

Zudem griff Aurifaber „M. Luthers vermanung an Rath mutwilliger Tewrung halben“ auf. Damit rekurrierte er auf den Eingangsteil einer Überlieferung, die von ihm gezielt aufgeteilt worden war. Inhaltlich vermittelt dieser Ausschnitt Luthers aktives Vorgehen gegen die Teuerung sowie eine scharfe Kritik am Adel.461 Dass Aurifaber seinen Fokus auf die Gegenwartskritik gerichtet hat, kann des Weiteren durch die Zuordnung der beiden Apophthegmata zum Locus „Von der Welt vnd jrer Art“ plausibilisiert werden. Nur den Schlussteil der soeben erwähnten Überlieferung, auf den er mit „Martin Luthers Allmosen in Tewerung“ verwies, ordnete er dem Locus „Von guten Wercken“ zu und verdeutlichte so Luthers praktisches Eintreten für die Armen.462 Dass es Aurifaber hier in besonderer Weise um die Gegenwartskritik ging, zeigt etwa, dass er sogar im – gegenüber den Vorlagen ergänzten – Eingangsteil des Gebets um Regen, auf der „Bawrn Geitz“ als Hindernis und Hemmnis der göttlichen Hilfe rekurrierte.463 Sogar Luthers Reaktion auf den Tod seines engen Freiberger Freundes Nikolaus Hausmann, wurde von Aurifaber ähnlich „gegenwartskritisch“ instrumentalisiert. Zwar verwies er auf den entsprechenden Bericht mit „M. Luth: mitleiden“, hervorgehoben wurde im Apophthegma aber die folgende theologische Deutung Luthers: TR, fol. 495r

WA.TR 4,124,7–9 [Nr. 4084] Jes 57,1 Vulg

Also nimpt Gott die Frommen weg / wird darnach die Sprew verbrennen / wie die Schrifft sagt /

Also nimbt Gott die frummen hinweg, wirdt darnach die spreu verprennen secundum dictum scripturae: Iustus periit

Der Gerechte wird weggerafft / und niemand betrachtets. et viri misericordiae colliguntur.

Justus perit, et non est qui recogitet in corde suo; et viri misericordiæ colliguntur, quia non est qui intelligat, a facie enim malitiæ collectus est justus.

Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 85r bzw. WA.TR 4, 464,12–21 [Nr. 4746]; Zitat: ebd., 464,18. 461 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 85r–v bzw. WA.TR 4, 329,29–330,3 [Nr. 4472 init.]. 462 Vgl. TR, fol. Ooooo 6vb. 202v bzw. WA.TR 4, 330,14–20 [Nr. 4472 extr.]. Zum Mittelteil s. S. 508 Anm. 341. 463 Vgl. TR, fol. Ooooo 6vb. 209r bzw. WA.TR 2, 157,33–158,13 [Nr. 1636]; 3,223,13–224,3 [Nr. 3222 b]. 460

540

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Nur bedingt kann der Unterschied vom Bibeltext her erklärt werden. Zwar verzichtete Aurifaber auf die Zusammenziehung der Anfänge der Halbverse und konzentrierte sich auf den ersten Halbvers, trotzdem gab er diesen auch nicht ganz „korrekt“ wieder. Im Zusammenhang mit der Engführung des Mitleidens auf den „Tod der Frommen“ wirkt Aurifabers Version wie eine Verstärkung der im Bibelvers potenziell enthaltenen Kritik an seinen Zeitgenossen. Luthers Mitleiden wurde so letztlich zum Mitleiden mit den um der „wahren Lehre“ Verfolgten und zeichnete Luther kaum betont als besonders tugendhaft aus. Analoges gilt für den Verweis auf „M. Luth: Ingenium“, hier nicht in seiner dianoetischen, sondern seiner allgemeineren Bedeutung, d.h. als auf Luthers „Charakter“ bezogen, zu verstehen. Damit zielte Aurifaber auf die Selbstvorstellung Luthers, mit der dessen Bericht vom Gespräch mit Bucer und Lycosthenes (Konrad Wolfhart) über das Abendmahl vom 1. März 1537 eröffnet wurde. Der Wortlaut war Aurifaber so wichtig, dass er zunächst die Vorlage auf Latein zitierte, um dann seine Übersetzung anzufügen: „Ego sum homo candidus, nihil minus possum quam simulare & dissimulare, Sed quicquid dico in hac Summa Eucharistiae causa, ex corde dico, das ist / Jch bin ein auffrichtiger Mensch / wie ichs im Hertzen meine / so rede ichs auch mit dem Munde / kan nichts wenigers / denn simuliren und dissimuliren / hinterm Berge halten vnd heucheln / sondern / wie ichs in dieser hochwichtigen Sache vom heiligen Nachtmahl halte / so rede ichs auch von hertzen / es ist mir kein schertz.“464

Auf diese Weise betonte Aurifaber Luthers „Aufrichtigkeit (candidus)“, jedoch dogmatisch verzweckt, so dass auch hier primär die Lehre und erst in zweiter Hinsicht Luthers Charakter in den Blick gerät. Dies wird verstärkt durch die Aufnahme in den auf das Abendmahl bezogenen Locus wie durch die Streitigkeiten andeutende Randbemerkung: „D. Luth. Ingenium / dauon andere anders reden.“465

Insgesamt lässt sich also kaum ein memoriales Interesse Aurifabers daran nachweisen, Luthers „Charakter“ enkomiastisch zu erhöhen. Im zweiten Schritt soll nun gezeigt werden, dass auch die dianoetische Dimension der Frage nach Luthers „Tugendhaftigkeit“ fast nur vermittelt über Aurifabers theologische Selbstverortung in der Tischredenausgabe greifbar ist. Aurifaber hatte im Unterschied zum „Wellerschen Kreis“ wenig Interesse daran, Luther in seiner „intellektuellen Bescheidenheit“ als qualifizierten „Theologen“ zu betonen. Vielmehr ist erneut der dogmatisch-katechetische Impetus greifbar, mit dem weitere Motive einherge464 465

TR, fol. 237r bzw. WA.TR 3, 394,2–4 [Nr. 3544]. TR, fol. 237r.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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hen: Einerseits eine Betonung des v.a. in der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ angedeuteten paränetischen Motivs der Etablierung einer „vernunft-“ und „erkenntniskritischen“ Haltung, andererseits der verstärkte Nachweis einer engen Bindung Luthers an das Wort Gottes bzw. die Bibel. Dementsprechend verzichtete Aurifaber auf die Übernahme von Apophthegmata aus den auf Luther bezogenen Loci seiner handschriftlichen „Vorlagen“, die Luthers „magna eruditio“ oder Ähnliches thematisieren. Der Ansatz einer intellektuellen Selbstkritik wiederum, d.h. Luthers Rede, er sei „alber“, was soviel wie „simplex“ bedeutet, wurde von Aurifaber durch den Verweis im „Register“ wie die identische Überschrift theologisch überformt, wenn die Überschrift der Vorlage, „Animus Lutheri“, widergegeben wurde als „Das [D.] Martin Luther alber sey / vnd doch seine Sache wider den Teufel hinausfü[h]re.“466

Inhaltlich wurde damit nur der Eingangsteil, in dem Luther mit Freunden scherzte, und selbst dieser nur bedingt zutreffend umschrieben. Er wurde des scherzhaften Charakters entledigt, eine „Sache Luthers“ wurde postuliert und konkrete Konflikte mit „Papisten“ wurden generalisiert. So verschob Aurifaber erneut den Schwerpunkt weg von Luther hin zum „dogmatisch“ Grundsätzlichen.467 Sehr viel eindeutiger rekurrierte Aurifaber auf Luthers intellektuelle Bescheidenheit bezüglich seiner Kenntnis des Wort Gottes. Im „Register“ griff er die Randbemerkung „D.M.L. Bekenntnis von seiner unwissenheit in G. Wort“ auf, mit der er den zweiten Abschnitt eines Apophthegmas hervorhob. Insbesondere zu Beginn betonte Aurifaber durch redaktionelle Eingriffe das Nichtverstehen und die Notwendigkeit des permanenten Weiterlernens der grundlegenden Glaubenstexte. Diesen katechetischdogmatischen Fokus verstärkend, führte er Luther nicht als „magnus doctor“, sondern als „alter Doctor der heiligen Schrifft“ ein:

TR, fol. Ooooo 6vb. 621v–622r bzw. WA.TR 5, 43,24–44,21 [Nr. 5284]. Noch weniger argumentativ belastbar ist das auf Brenz bezogene Apophthegma, das die Tischreden mit dem 32. Locus von F teilen (s. S. 231f. bzw. Chart. A 402, fol. 110v; WA.TR 2, 383,24f. [Nr. 2261b]). Dieses wurde in den Locus „Von Gelehrten“ aufgenommen, stellt dort also eine Aussage unter vielen dar. Zumal eine besondere Hervorhebung im „Register“ oder durch Randbemerkung unterbleibt, wurde die dort enthaltene Bewunderung Luthers von Brenz’ „Geist“ bei gleichzeitiger Verzweiflung an seinem eigenen „Vermügen“ von Aurifaber nicht besonders beachtet (vgl. TR, fol. 587r–v). 466 467

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

TR, fol. 4r

WA.TR 1,30,26–31,8 [Nr. 81]; Zitat: ebd., 30,26–31,2

Jch wiewol ich ein alter Doctor der heiligen Schrifft bin / so bin ich doch nicht aus der Kinderlere komen / vnd verstehe die zehen Gebot Gottes / den Glauben vnd das Vater unser noch nicht recht / ich kans nicht ausstudiren noch auslernen / aber ich lerne noch teglich dran / vnd bete den Catechismum mit meinem Son Hansen / vnd mit meinem Töchterlin Magdalenen […].

Ego quidem quanquam magnus doctor nondum excessi puerilem doctrinam decalogi et symboli et orationis dominicae, sed adhuc quotidie illa disco et oro mit meinem Hansen vnd meinem Lenichen.

Zudem nahm Aurifaber Luther in Anspruch, um Grenzen der theologischen Erkenntnis aufzuzeigen. Dazu bot er im „Register“ eine kurze Sequenz von drei Verweisen.468 Am Anfang steht „M. Luth. Regula“. Damit verwies Aurifaber auf den zweiten Teil eines Apophthegmas, in dem das „Spekulieren“ über die Trinität, die Inkarnation sowie die Sakramente zugunsten eines Sich-Anvertrauens an das Wort Gottes untersagt werden („non est nobis speculandum“). Der hohe Grad von Verbindlichkeit, den Aurifaber diesem Aspekt zuerkannte, wird durch den Begriff „regula“ deutlich – im nicht übernommenen Einleitungsteil der Vorlage spricht Luther selbst weniger präskriptiv von „consulo“. Hinzu kommt, dass Aurifaber diesen Abschnitt zweimal aufgegriffen hat, einmal im auf die Taufe bezogenen Locus, einmal im Anhang. Die erste Version ist von ihm verdeutscht worden, bei der zweiten hat er die lateinischen Abschnitte der Vorlage unübersetzt gelassen. Es könnte Zufall sein, dass er im „Register“ auf die lateinische Fassung verweist. Näherliegender aber ist, dass er damit bewusst seine Adressaten auswählt, Gelehrte und – mit Blick auf seinen Fokus auf das Predigtamt – mutmaßlich insbesondere Prediger.469 Diese Vorgabe flankierte Aurifaber durch die wohl nur sprachlich an alle Leser gerichtete „[…] antwort einem Klügling gegeben“. Allein die Überschrift des Sondergutstückes macht die negative Tendenz deutlich. Inhaltlich wird ein mit der ersten Antwort nicht zufriedener Fragesteller vor dem Fragen nach dem „Warum“ als Quelle des Irrtums („errare“) und unnötigen Bücherschreibens gewarnt.470 Nicht erst im Anhang nachgetragen war das Schreiben an Caspar Aquila und damit explizit an einen Pfarrherrn, in dem davor gewarnt wird, „Gottes vnausforschliche Maiestet“, respektive

Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. Vgl. fol. Ooooo 6va. 614v. 222r bzw. WA.TR 4, 492,[8] 13–21 [Nr. 4778]. Zum Fokus auf das Predigtamt s. den Exkurs S. 517–523. 470 Vgl. fol. Ooooo 6va. 614v. 615v–616r = WA.TR 6, 255,32–38 [Nr. 6894]. 468 469

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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sein Gericht, seine Wege und seinen Wille, erfassen zu wollen.471 Durch den Fokus auf die „Prediger“ gilt auch hier, dass Luthers „Bescheidenheit“ als solche für Aurifaber in den Hintergrund trat, wichtiger war ihm die Mahnung der Zeitgenossen bzw. Amtskollegen. Grundlage dieser Ausführungen Aurifabers zu Luthers „intellektueller“ Tugendhaftigkeit ist der gegenüber den Handschriften verstärkte Nachweis der engen Bindung Luthers an die Bibel bzw. das Wort Gottes. Davon zeugen die vielfältigen Verweise des „Registers“, die nicht nur auf den ersten Locus „Von Gottes Wort“ zielen und v.a. das „solus“ betonen. Doch trug Aurifaber seine Position auch immer wieder redaktionell in die Apophthegmata selbst ein, wie die anhand des im „Register“ bzw. Rand mit „D. Luther verlesset sich allein auff Gottes Wort“ hervorgehobenen Apophthegma gezeigt werden kann:472 TR, fol. 11v Es sprach auch Doctor Luther / Jch wil fur mich allein Gottes Wort haben / vnd frage nach keinem Wunderzeichen / begere auch keines Gesichts / wil auch nicht einem Engel gleuben / der mich anders leret denn Gottes Wort / ich gleube allein Gottes Wort vnd Wercken / denn Gottes Wort ist von Anfang der Welt gewis gewesen / vnd hat niemals gefeilet / vnd ich erfare es in der That / das es also gehet / wie es Gottes Wort saget.

WA.TR 2,334,5–10 [Nr. 2138]

Visionem habere nolo, non admitto miraculum neque credam Angelo diversum me docenti a verbo; cui et operibus Dei ideo credo, quod haec duo sibi et in omnibus suis partibus consentiunt inde a principio mundi. Constat enim verbum a principio, et ego in sensu et mente mea experior, daß es alßo gehet, quemadmodum verbum dicit,

Im Hintergrund steht – ähnlich wie in einem in F greifbaren Apophthegma473 – Gal 1,6–9. Von Aurifaber wurde das Apophthegma – ohne Registerverweis – im auf Christus bezogenen Locus zweimal unmittelbar nacheinander rezipiert. Auch dort trug er gegenüber der Vorlage ausdrücklich Luthers (exklusiven) Selbstbezug auf das Wort Gottes ein.474 Im „Regis471 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 53r–54r bzw. WA.B 4, 589f. [Nr. 1340]. Zwar kennt auch F dieses Schreiben, doch ist wohl eher nicht von einer Abhängigkeit Aurifabers von dieser Version auszugehen (zur postulierten Abhängigkeit vgl. WA 48, 642–644 [zu Nr. 6561]; kritisch hierzu: WA.B 4, 588). 472 TR, fol. Ooooo 6rb. 11v. 473 Vgl. Chart. A 402, fol. 103v bzw. WA.TR 1, 287,3–6 [Nr. 610]: „Christus semel venit in terram et apparuit. Non peto, ut redeat nec cupio, ut angelum mihi mittat, et si veniret, non ei crederem.“ 474 Vgl. TR, fol. 129v [Kursivierung hier und im Folgenden; I.K.]: „[überschrieben mit: „Christi erscheinung auff Erden“; …] ich begere nicht das er mir ein Engel schicke: Vnd da gleich ein Engel zu mir keme / vnd sich in sichtlicher Gestalt sehen lisse /

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

ter“ selbst wurde die enge Bindung zudem mit dem Hinweis auf Luthers „vleissig lesen in der Bibel“ betont.475 Dass Luther dabei v.a. den „wörtlichen“ Schriftsinn („textualis“; „literalis“) im Blick hatte, verdeutlichte Aurifaber mit dem Verweis „M. Luthers beste Kunst“, die im Apophthegma unter Abwertung der anderen Sinne zugespitzt wurde auf „tradere scripturam simplici sensu, denn literalis sensus der thuts / da ist leben / da ist krafft / lere vnd kunst innen / Jn dem andern / da ist nur Narrenwerck / wiewol es hoch gleisset.“476

Dementsprechend wurde der „Text“ und das „Fundament der Heiligen Schrifft“ als das Mittel hervorgehoben, durch das Luther seine „Widersacher uberwunden“ habe477 und Luthers „Theologia“ wurde in einem Sondergutstück wie folgt enggeführt: „Was ich kan in Theologia / das weis ich daher / das ich gleube / Christus sey alleine der HErr da die heilige Schrifft von redet.“478

so wollte ich jme nicht gleuben. Jch wil allein bei GOTTES Wort bleiben / wie ER mir das durch seine Propheten vnd Aposteln offenbaret vnd gegeben hat / vnd keines andern Stime hören noch annemen“; ebd.; „[überschrieben mit „ Vom vorzug Gottes Worts“; …] Jch begere nicht das er noch einst kome / wil auch nicht das er mir einen Engel sende / vnd obgleich ein Engel vom Himel keme / vnd sich mir sichtbar vnter die Augen stellete / so wolt ich jme doch nicht gleuben / denn ich hab meines HERRN Christi Brife und Sigil / das ist sein Wort vnd Sacrament / daran halte ich mich / begere keiner neuen Offenbarung. Vnd das Doctor Martinus Luther allein bey Gottes Wort geblieben / vnd an dasselbige sich gehalten / vnd keinem Gesichte hat gleuben wollen / dauon hat er selbs diese Historien erzelet / […].“ Siehe in dieser Hinsicht auch Aurifabers Rezeption des Apophthegmas von F, in dem der Nutzen der „ratio“ in der Theologie thematisiert wird (vgl. Chart. A 402, fol. 114v bzw. WA.TR 1, 191,23–34 [Nr. 439]). Durch die Verbindung mit dem ersten Teil und die Einordnung im auf die Schöpfung bezogenen Locus ging der spezielle Bezug auf Luther verloren. Aurifabers Anliegen, das Wort Gottes besonders zu betonen, ist hingegen selbst hier an redaktionellen Ergänzungen greifbar (vgl. z.B. TR, fol. 70r: „[…] ja je verstendiger vnd klüger sie [d.h. die „Weltleute“; I.K.] sind, je mehr vnd hoffertiger sind sie wider Gottes Wort“; „Wenn aber die vernunfft erleuchtet ist / so nimet sie alle Gedancken aus Gottes Wort / nach demselbigen richtet vnd lencket sie die auch.“ 475 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 16r [der Registervermerk, der statt „Bibel“ fälschlicherweise „Welt“ anführt, ist von der Randbemerkung her zu korrigieren] bzw. WA.TR 2, 244,20–23 [Nr. 1877]. Während die Vorlage die Bibel mit einem Baum und die Worte mit Ästen gleichgesetzt hat, weitete Aurifaber das Bild aus in „Estlin vnd Zweige“ sowie „Aepffel oder Birnlin“, so dass die Intensität und Frucht der Bibeldurchdringung betont wurde. 476 TR, fol. Ooooo 6va. 510r bzw. WA.TR 5, 45,9–17 [Nr. 5285]; Zitat: ebd., 45,15–17. 477 Vgl. TR, fol. Ooooo 6rb. 2r bzw. WA.TR 4, 356,23–27 [4512 extr.]. 478 TR, fol. Ooooo 6vb [„Martin Luthers Theologia“].621r = WA.TR 6, 367,29f. [Nr. 7070].

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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Ähnlich wie bei der Rezeption des Motivs der Krankheiten mag hierin einerseits ein Ausdruck des „frommen“ Luthers gesehen werden. Andererseits bestätigte Aurifabers „Luther“ so Aurifabers Hintanstellen von Luther als Person zugunsten des Wortes und der darauf basierenden Lehre. 2.2.3.2.

Zur strikt fokussierten Rezeption von Luthers „Märtyrertum“

Das Motiv des „Märtyrertums“ wurde von den handschriftlichen Traditionen unterschiedlich entfaltet. Der Kreis um Weller hatte ein polemisch verzwecktes Interesse daran, Luther in seinem Märtyrertum in einem weiten zeitgenössischen Sinne differenziert unter positiven Rekurs auf ein Leiden und dessen Zusammenhang mit der Lehre zu memorieren.479 Der Kreis um Lauterbach setzte – vor dem Hintergrund der „konfessionskulturellen Verfestigung“ – prinzipieller an: Luther wurde primär in seinem Sendungsbewusstsein und seiner Standhaftigkeit memoriert und damit souveräner, Polemik und der Zusammenhang von Lehre und Martyrium traten zurück.480 Im Folgenden soll nun Aurifabers Rezeption dieses Motivs näher bestimmt werden. Es wird zu zeigen sein, dass diese dem identitätskonturierenden Fokus entsprechend nur als Komplementär- bzw. Nebenmotiv und als solches primär fokussiert auf den Aspekt des Zusammenhangs von Märtyrertum und Bekenntnis sowie von hier Luthers Standhaftigkeit aufgegriffen wurde. Dazu sind zunächst die Nachstellungen menschlicher Gegner bzw. des Teufels in den Blick zu nehmen, dann die Frage nach Luther als „Exempel“ des mutigen Bekennens und eindeutigen Bekenntnisses. Insofern wesentliche Eckpunkte bereits im Vorangehenden erarbeitet wurden, kann dies z.T. summarisch erfolgen. Zunächst ist festzuhalten, dass Aurifaber kein memoriales Interesse an einem „Märtyrertum“ im Sinne eines Leidens unter den Nachstellungen menschlicher Gegner oder des Teufels hatte. Dies kann für die Nachstellungen von Menschen schlicht damit belegt werden, dass sich weder im Lemma „Luther“ noch in Gestalt gemeinsamer Apophthegmata ein Niederschlag in der Tischredenausgabe findet. Die „Nachstellungen des Teufels“ sind differenzierter zu betrachten. Zunächst fand auch der gegenüber den handschriftlichen Traditionen deutlich erweiterte Locus „Vom Teufel vnd seinen Wercken“ (XXV) keinen Niederschlag im Lemma „Luther“, was als erstes Indiz dafür gewertet werden kann, dass Aurifaber diesen nicht in besonderer Weise auf Luther bezogen verstand. Bereits aufgezeigt wurde, dass Aurifaber an den Nachstellungen bzw. Anfechtungen vornehmlich „dogmatisch“ korrekte Hilfsmittel interessierten.481 Weiterhin wurde deutlich, dass Aurifaber am S. II 2.3.2. S. III 2.1.3. 481 S. S. 512–516. 479 480

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

Wirken des Teufels zudem ein „aktuelles“ Interesse hatte, z.B. an dessen Niederschlag in den nach Luthers Tod aufgekommenen Irrlehren, die zu bekämpfen seien.482 Der damit angedeutete prinzipiell-aktuelle Impetus, hinter dem das Motiv eines Märtyrertums zurücktritt, kann nun an gemeinsam überlieferten Apophthegmata deutlich gemacht werden, z.B. an der Rezeption des Apophthegmas vom Mauereinsturz. Aurifaber folgte wie der „Wellersche“ Kreis der in Cord. B. greifbaren Fassung der Cordatischen Tradition, setzte am Ende aber gezielt eigene Akzente, auch gegenüber dem Kreis um Lauterbach:483 TR, fol. 620v

WA.TR 3,239,3–9 [Nr. 3264b]

Das ein Keller Doctor Luthern schier hette tod geschlagen. Am 12. tage Julij / am tage Margrethe auff den abend umb fünff Ur / war D. Martinus Luther in seinem Garten gewesen mit seinem Weibe / wie er nun wider ins Kloster kömpt / gehet er in seinen newen Keller mit der Frawen / den er hatte newlich bawen lassen / vnd wolte den Keller besehen /

Lutherus muro fere oppressus.

12. Julii am freitag am abend Margarethae vesperi ante horam quintam D⌊octor Luther⌊us una cum coniuge ex horto rediens

ingressus est cellarium, quod tunc aedificabatur;

WA.TR 1,136,1–6 [Nr. 333]

WA.TR D 116 2°, fol. 2,193,8–12 [Nr. 573r 1722] = Ms. Bos. q. 24s, 120v

Freytags post Kiliani hora quinta (erat 12. Iulii) Lutherus cum uxore paene ruina muri oppressus esset.

Anno Domini 1532. die Iulii 12., hoc est, in vigilia Margarethae, corruit murus et trabes magna, quae sustentabat den saal, sommer rembder,

Anno 32. 12. Iulij am freittage uesperi Die Margarethae ante quintam D. M. Luthers una cum coniuge ex horto rediens

in cella monasterii. Adstabat D⌊octor M⌊artinus, uxor et aliae personae;

ingressus est cellarium suum, quod tum aedicabatur.

482 Vgl. z.B. die Vorrede (s. S. 468f.) und die das Lemma „Luther“ rahmende Aufforderungen zum Gebet (s. S. 483f.). 483 Näheres s. S. 294–296.345f.

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe Als er nun mit seiner Hausfrawen aus dem Keller die Treppen herauff gehet / so hebt sich hinter ihme ein gros geprassel / vnd fellet der newe Keller ein / Vnd wenn Gott durch seine liebe Engel / den Doctor vnd seine Hausfraw nicht wünderbarlich hette errettet gehabt / so weren sie mit einander beide darinnen erschlagen worden von der Mauren.

mox illo ingresso murus soli fundamento ruit maximo tumultu,

et nisi Deus eos liberasset, oppressi fuissent. Ibi enim Sathan suam voluntatem exhibuit erga Doctorem Lutherum, sed Deus illi suam defensionem ostendit praesentibus Angelis.

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Mox ipso ingresso murus soluto fundamento ruit maximo tumultu

Ibi dicebat naturam esse muniendam etiam propter Diabolum: Wir haben zuuil gewagt, das wir die maur so haben hengen lassen. Si nihil, saltem Diabolo occasio praecluditur. Er kan ja nit aus drey zwey machen. Jn die lufft soll man nit bawen.

nisi Deus mirabiliter per Angelum custodisset Doct⌊orem et alios, oppressi fuissent etc.

et nisi diuinitus seruati fuissent, omnes perijssent,

WA.TR 1, 548,33f. [Nr. 1092] = Ms. Bos. q. 24f, 225v: Cor induratum } commouetur promissis, || adficitur beneficijs, || terretur minis, || emendatur plagis.

Cor induratum non commovetur promissis, non afficitur beneficiis, non terretur minis nec emendatur plagis.

Zunächst mutet die Situation bei Aurifaber weniger dramatisch an, insofern Luther und seine Frau den Keller zum Zeitpunkt des Einsturzes bereits wieder verlassen hätten. Auch bezüglich der Interpretation deutet sich eine Verschiebung an: Aurifaber übernahm nicht das neutralere „di-

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

vinitus servati“ der Lauterbach-Hänelschen Tradition, aber auch nicht das Mitwirken des Teufels der „Wellerschen“ Tradition, sondern sprach von einem rettenden Eingreifen Gottes „durch seine lieben Engel“. Die Überschrift wie der Verweis im „Register“ zielten dennoch nur auf das Geschehen an sich.484 Zudem deutete Aurifaber das Geschehen redaktionell mit der Anfügung eines von Rörer in einem anderen Band überlieferten Apophthegmas paränetisch aus. Durch die Auslassung der Verneinung wird eine Ansprechbarkeit des „verhärteten Herzens“ auf „Verheißungen“, „Wohltaten“, „Drohungen“ und „Schläge“ postuliert, so dass die Gefährdung Luthers zur mahnenden Warnung an die Zeitgenossen umgestaltet wurde. Insofern hatte Aurifaber diese Geschichte noch klarer als der „Lauterbachsche Kreis“ von einer Deutung als „heilsgeschichtlichen Kampf“ und vice versa als Beleg für ein Leiden Luthers unter den Nachstellungen des Teufels entfernt. Dem korrespondiert, dass in mit F gemeinsamen Apophthegmata, in denen ein Ringen Luthers mit dem Teufel wegen der Lehre greifbar ist, eben dieser Aspekt keine besondere Beachtung seitens Aurifabers fand. Dies kann zunächst am Schlussteil des „Berichtes“, in dessen Zentrum Luthers Tag- und Nachtkriege stehen, gezeigt werden. Dort findet sich wie in den Handschriften die – wortgetreu übersetzte – Aussage: „Jtzt mus ich andert Gedancken vom Teufel leiden. Denn er wirfft mir offt für / O, wie ein grossen hauffen Leute hastu mit deiner Lere verfürt.“485

Neben dem bereits dargestellten Kontext der Rezeption dieses Apophthegmas macht die Randbemerkung Aurifabers gänzlich anders gelagertes Interesse deutlich: „Andere zeit andere Anfechtung.“486

Luthers „Märtyrertum“ bzw. ein „Leiden“ wird hier nicht hervorgehoben, vielmehr wird erneut Aurifabers prinzipiell-aktueller Impetus greifbar. Analoges gilt für das zweite Apophthegma. Zwar wird in diesem zu Beginn ein Geplagtwerden Luthers durch den Teufel deutlich, doch wird dieses bereits durch die Überschrift verallgemeinert: TR, fol. 301v–302v (Zitat: ebd., 301v)

Chart. A 402, fol. 101v–102v bzw. WA.TR 1,62,30–63,14 (Zitat: ebd., 62,30–34) [Nr. 141]

Des Teufels Kunst und Meisterstücke / vns anzufechten.

Vgl. TR, fol. Ooooo 6vb: „Mart: Luther schier in eim Keller erschlagen worden“. TR, fol. 320r bzw. Chart. A 402, fol. 101v; WA.TR 1, 240,26–241,1 [Nr. 518]. 486 TR, fol. 320r. Zum Kontext s. S. 513. 484 485

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe Es ist nütz vnd gut / das man wisse des Teufels Kunststücke / Tücke vnd Practicken. Er nimpt die aller geringsten Sünde / die kan er also hoch auffmutzen / das einer nicht weis / wo er sol dafür bleiben. Er hat mich einmal mit dem Spruch S. Pauli an Timotheum recht geplaget / und schier erwürget / das mir das Hertz im Leibe zuschmeltzen wolte. / Denn er hilt mir fur / vnd klagte mich an / Ich were ein vrsach / das so viel Mönche vnd Nonnen weren aus den Klöstern gelauffen etc.

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Prodest nobis nosse artes diaboli. Er nimpt levissima peccata, die kann er exaggerirn, das einer nicht weis, wo er sol dafur bleiben. Er hat mich ein mal mit dem Paulo ad Timoth⌊eum recht geplagt vnd schir erwurget, das mir das hertz jm leib zu schmeltzen wolte: Fuisti causa quod homines utriusque sexus ex monasterijs abierunt.“

Wenn im Fortgang dann Luthers Anfechtungen bezüglich der „Wahrhaftigkeit“ seiner Predigt mit „So rechfertigt der Teufel Gottesdiener“487

kommentiert wird, wird auch hier Aurifabers prinzipiell-aktueller Duktus greifbar, hinter dem Luthers „Märtyrertum“ verschwindet. Im letzten Schritt ist nun der Frage nachzugehen, inwiefern Luther von Aurifaber in Analogie zum „Wellerschen Kreis“ als „Exempel“ des mutigen Bekennens und eindeutigen Bekenntnisses etabliert wurde. Dabei ist zum einen verstärkt den Ausführungen zu den identitätskonturierenden Propria Aurifabers Rechnung zu tragen.488 Die dort aufgezeigte hohe Bedeutung der Lehre, die auf das Festhalten an derselben zugespitzt werden konnte, deutet an, dass diese Frage das Zentrum des Aurifaberschen Selbstverständnisses berührt. Dabei wurde dargestellt, dass Aurifaber Luthers Rolle in dieser Hinsicht weitestgehend auf die des „Sprachrohres“ reduzieren konnte, das aktuell zur „Beständigkeit“ aufrief. Daneben tritt nun aber mit Blick auf „Luther an sich“ vom „Register“ her ein komplementärer Strang, der Luthers „Märtyrertum“ im Sinne des beständigen „Wahrheitszeugnisses“ enkomiastisch erhöhte. Aurifaber führte nämlich zugleich den dritten Aspekt des in F greifbaren „Märtyrertums“ weiter, rekurrierte aber nicht auf Luthers Zeugnis vor Cajetan, sondern erhob 487 TR, fol. 302r. Aurifaber kommentierte damit die folgende Aussage: „Jch hab keine grösser noch schwerer gehabt [d.h. Anfechtung; I.K.] / denn von meinem predigen / das ich gedachte / dis wesen richtestu alles an. Jn der Anfechtung bin ich offt dahin gangen / in die Helle hinein / Bis mich Gott wider heraus gerückt vnd getröstet hat / das meine Predigt das ware Wort Gottes / vnd die rechte Himlische Lere ist. Aber es kostet viel / ehe einer diesen Trost bekömpt / Mit andern kömpt er mit Gerechtigkeit oder Frömkeit / vnd fichtet sie dadurch an“ (ebd. bzw. Chart. A 402, fol. 102r–v; WA.TR 1, 63,23–29 [Nr. 141]). 488 S. IV 2.2.1.8. bes. S. 498–500.

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

durch die Verweise im „Register“ die Ereignisse von Worms zur Schlüsselszene und weist damit auf die Schwerpunktsetzung im 19. Jahrhundert voraus. Einher ging eine gegenüber F einseitige Darstellung des „heldenhaften“ Moments. Ein „Leiden“ Luthers in der Bekenntnissituation, auf das der Kreis um Weller ebenfalls als vorbildlich und „mutmachend“ rekurrieren konnte, war bei Aurifaber nicht mehr im Blick.489 Entsprechend verwies Aurifaber im „Register“ nicht schlicht auf den langen Bericht von Luthers „Reise und Handlung auffm Reichstag Wormbs“ im Allgemeinen, sondern hob in diesem Bericht zudem die Gefährdung Luthers hervor, d.h. die an Luther auf der Hinreise herangetragenen Warnungen sowie Luthers „gros erbieten“, d.h. die Bereitschaft, das Geleit aufzugeben, und Luthers „Manheit“.490 Den zweiten Aspekt teilt Aurifaber mit F. Der dort – als einziger – im 32. Locus überlieferte „Ausschnitt“ legte den Fokus auf das gebrochene Geleit und die Verbrennung der Bücher und damit auf die Schlechtigkeit der Gegner. Aurifabers Text folgt der Version von Halle, setzte aber seinen Akzent durch den bereits angeführten Verweis bzw. die Randbemerkung: „Jch aber sprach dawider / Jch trawete jnen so viel nicht / das sie für mich wider sich selbs schliessen solten / die mich jtzunder im Gleite also verdammt hetten. Aber das Jhr sehet / was ich thun wil / machts mit mir / wie jr wolt / ich wil euch mein Gleite heimgeben vnd auffsagen. Da sprach Er Friderich von Feilitzsch / Das ist warlich gnug / ists anders nicht zu viel.“491

Der bei F am Ende stehende Schlusspunkt ist bei Aurifaber – wie in seiner Vorlage – Teil des Absatzes, in dem für ihn Luthers „Manheit“ in besonderer Weise aufschien.492 Obwohl er dieses Moment auch anhand von Luthers Eintreten gegen den Papst belegen konnte,493 stand diesbezüglich doch Worms im Zentrum. Dies belegt eine parallele Überlieferung, auf die Aurifaber im „Register“ mit „M. Luther bestendigkeit vnd freudigkeit zu Wormbs“ verwies.494 Man wird dieser stark fokussierten enkomiastischen Erhöhung von Luthers Märtyrertum insgesamt kein allzu großes Gewicht zuzuerkennen Zum differenzierten Rekurs des „Wellerschen Kreises“ auf das Treffen mit Cajetan s. S. 296–302. 490 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 519v–521r. 520r. 520v. 519v. 491 TR, fol. 520v bzw. D 116 2°, fol. 209r (= WA.TR 3, 286,17–21); Zur Version von F s. S. 197f. bzw. Chart. A 402, fol. 115v; WA.TR 1, 149,28–150,4 [Nr. 357]. 492 Vgl. TR, fol. 519v–520r. 493 Der entsprechende Absatz ist Teil des mit „Das das Göttliche Wort vnd Christliche Kirche fur der Welt toben erhalten werde“ überschriebenen Apophthegma – vgl. TR, fol. 26v (= WA.TR 6, 19,32–20,3 [Nr. 6528]). 494 Vgl. TR, fol. Ooooo 6va. 20v–21r (WA.TR 6, 14,33–15,11 [Nr. 6520]). 489

2. Luthermemoria bzw. Lutherbild der Tischredenausgabe

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haben. Gegenüber den identitätskonturierenden Propria respektive dem Festhalten an der „wahren“ Lehre stellt es nur ein Komplementär- bzw. Nebenmotiv dar. Dies kann abschließend anhand der Rezeption des im 32. Locus von F überlieferten Apophthegmas gezeigt werden, nach dem Luther seine Tötung gewünscht habe, da er so der Kirchen mehr nütze. Dieses wurde von Aurifaber, überschrieben mit „Der Heiligen Tod fromet viel mehr / denn jr Leben“, dem Locus „Von guten Wercken“ zugeordnet und damit generalisiert.495 Dieses Vorgehen bezeugt eindrücklich den anders gelagerten memorialen Schwerpunkt Aurifabers. 2.2.3.3.

Nichtrezeption der „heilsgeschichtlichen“ Deutung Luthers als Person

Als dritter Aspekt geriete in enkomiastischer Perspektive von Halle her die „heilsgeschichtlich-prophetische Erhöhung Doktor Martin Luthers“ in den Blick.496 Vor dem Hintergrund der Ausführungen zur Selbstverortung Aurifabers sowie den vorangegangenen Analysen ist es in sich logischkonsistent, dass dieser Schwerpunkt der Lauterbach-Hänelschen Tradition keinen Niederschlag bei Aurifaber gefunden hat, weder in den gemeinsam aufgegriffenen Apophthegmata noch im Lemma „Luther“. Dies findet seinen symptomatischen Niederschlag in der Nichtrezeption des Apophthegmas, das Luthers Widerstand gegen das Doktorat vermittelt und mit dem der Kreis um Lauterbach seinen auf Luther bezogenen Locus eröffnete. Aurifabers memoriales Interesse an Luthers Doktorat war nicht „heilsgeschichtlich-prophetisch“ konnotiert, er suchte nicht nach auf Luther bezogene „vaticinia“. Entsprechend ist zum einen der Verweis auf „Luth: Doctorat“ im „Register“ auf Luthers Kampf gegen den Teufel bzw. das Papsttum bezogen.497 Die darauf wiedergegebene Replik von Justus Jonas machte Aurifabers eigentliches Interesse deutlich:498 TR, fol. 362r–v

WA.TR 2,174,8–19 [Nr. 1671 extr.] bzw. Ms. Bos. q. 24s, fol. 121r

Der Papisten Bosheit. Der Sathan hette mir viel zu schaffen geben / wenn

[…] Auch hett er mir, der Satan, viel zuschaffen

Chart. A 402, fol. 110v– 111r

Sathan hette mir wol zu schaffen geben, nisi

495 Vgl. TR, fol. 204v bzw. Chart. A 402, fol. 103v; WA.TR 1, 35,1–5 [Nr. 93] – s. hierzu S. 175 Anm. 381. 496 S. III 2.1.1. 497 S. auch S. 515. 498 Zur Rezeption dieses Apophthegmas durch den „Wellerschen Kreis“ bzw. den weiteren Parallelen s. 191–197.

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

ich nicht were Doctor gewest. Es ist nicht ein schlecht ding / die gantze Religion des Bapstthumbs endern / die so tieff war eingewurzelt. Hierauff sagte D. Jonas / Es ist wunder / das euch der Satan so anficht / Da Jhr doch vnsers Herr Gottes Sache füret / wie ewer Schrifften zeugen.

geben, si non fuissem Doctor. Non est levis res mutare illam totam papae religionem.

fuissem Doctor.

D⌊octor Io⌊nas: Valde mirum est, quod Satan vos impugnet, cum tamen conscientia vestra teste agatis negotium Dei!

Dixit D⌊octor Ionas: Valde mirum, quod Sathan uos oppugnat, cum tamen teste vestra scriptura agatis Dei iudicium.

Non est leuis res mutare totam illam religionem papatus.

Aurifaber bot hier eine Mischfassung aus Rörer und F, wenn er das „Führen der Sache Gottes“ mit Luthers „Schrifften“ belegt. Im Unterschied zum „Wellerschen Kreis“ stellte Aurifaber jedoch die Person Luthers ganz hinten an, rekurrierte letztlich ausschließlich auf die in Luthers Schriften greifbare „göttliche“ Lehre. Zum anderen rezipierte Aurifaber aufgrund seines anders gelagerten memorialen Interesses die auf das Predigtamt bezogene Variante von Luthers Widerstand gegen das „Doktorat“ von Halle.499 Die neutrale Überschrift „Was man predigen vnd damit suchen sol“ und die Einordnung in den auf die „Kirchendiener und Prediger“ bezogenen Locus verdeutlichen nochmals Aurifabers Fokus auf das Predigtamt und von hier auf die Lehre.500 3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung der Lehre

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung Aurifabers Tischredenausgabe stellt die erste gedruckte ApophthegmataSammlung dar und ist im Unterschied zu den handschriftlichen, nach Loci geordneten Traditionen auf ihn als Einzelperson zurückzuführen. Bei der Anordnung des Materials in Loci orientierte sich Aurifaber in nicht geringem Maße an der „Wellerschen“ und insbesondere „Lauterbach-Hänelschen Tradition“. Dass das erstmals 1566 gedruckte Werk dennoch keinen auf Luther im Besonderen bezogenen Locus kennt, ist als Niederschlag von Aurifabers spezifischem memorialen Zugriff zu verstehen. In methodischer Hinsicht führte dies dazu, dass in den Analysen der Apophtheg499 TR, fol. 252v–253r bzw. D 116 2°, fol. 536v–537v = WA.TR 3, 187,26–188,27 [Nr. 3143b]. 500 S. S. 517–523.

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung

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mata ein Doppelschritt angewendet wurde. Zum einen wurde die Rezeption der beiden handschriftlichen, nach Loci geordneten Traditionen verfolgt. Als Korrektiv wurden zum anderen die im „Register“ der Tischredenausgabe greifbaren Verweise des Lemmas „Luther“ herangezogen. Grundgelegt ist die in der Tischredenausgabe greifbare Luthermemoria in Aurifabers systematischen Bemühungen um Luthers Werk und Lehre.501 Diesbezüglich gerät insbesondere sein in den 1560er Jahren greifbares programmatisches Wirken und das damit einhergehende eschatologisch-prophetische Selbstverständnis in den Blick.502 Dabei ist einerseits das „eschatologische“ Moment über Michel hinaus nicht nur in Bezug auf die Eislebener Ausgabe in Anspruch zu nehmen, sondern als grundsätzliche Qualifizierung anzusehen.503 Prophetisch ist es andererseits in dem Sinne, dass Aurifaber aktualisierende Relecture bzw. Prophetenfortschreibung betrieb. Jedoch wird man den Phänomenen nicht in Gänze gerecht, wenn man diese in Anknüpfung an Hund nur als direkte aktualisierende Fortschreibung von Luthers Texten versteht.504 Zugleich ist zu betonen, dass Aurifaber in den 1560er Jahren immer mehr in die ursprünglich von Luther übernommene Funktion eingerückt war. Insofern handelte er – ebenfalls exegetisch gesprochen – als „Prophetenschüler“ bzw. „Gerichtsprophet“ und führte als solcher Luthers Lehre gegenwartsadäquat fort, wie im Rahmen dieser Untersuchung für die Tischredenausgabe gezeigt wurde. Die redaktionellen Anteile sind als Ausdruck von Aurifabers Bemühungen um die „wahre“ Lehre bzw. der mahnenden Warnung vor dem Verlust derselben zu verstehen. Insofern greift eine Kritik an seiner Arbeitsweise zu kurz, die von seiner „Selbstverortung“ als Bewahrer der „wahren“ Lehre und Mahner absieht.505 Ebenso wenig wird man Aurifaber einseitig als Repräsentanten eines „Mansfelder Sonderbewusstseins“ einordnen können;506 sein Anliegen bzw. Selbstverständnis transzendierte eine solche territoriale Bindung. Mit der Tischredenausgabe wandte Aurifaber sich gezielt an die Reichsstädte und rundete so die den Publikationen dieser Periode eignende bewusste Adressatenwahl ab. Im Angesicht des bevorstehenden Endes der Welt ging es ihm um die mahnende Erinnerung seiner Zeitgenossen an Gottes durch Luther vermittelte Lehre. Dieses hohe Gut stehe in der von ihm als „Verfallszeit“ gedeuteten Gegenwart in der Gefahr, erneut verloren zu gehen, deshalb drohe Gottes Ge-

S. IV 2.1 S. IV 2.1.4. 503 S. MICHEL, Kanonisierung, 205f. 504 Vgl. hierzu HUND, Autorität bzw. S. 77. 505 Zur Kritik an Aurifaber bzw. seiner Arbeitsweise s. IV 1.2. 506 Vgl. BERNDORFF, Prediger, hier: 274 bzw. IV 2.1.4.1. 501 502

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IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

richt. Teil dieser negativen Gegenwartsanalyse ist das Selbstverständnis, zu der – immer kleiner werdenden – Schar der „Standhaften“ zu gehören. Dieser eschatologisch-prophetisch motivierte Rekurs auf Luther führte bei der identitätskonturierenden Dimension der Luthermemoria zur deutlichen Konzentration auf die Lehre. Diese konnte auf das standhafte Bekenntnis zugespitzt werden. Zudem eignet ihr ein eschatologisch fundierter, mahnend-warnender Impetus, dem eine negative Gegenwartsdiagnose korrespondierte und mit dem ein verstärkter Antijudaismus einherging (2.2.1.8). Kennzeichnend ist zudem ein geringes Interesse an den Motiven, die für die handschriftlichen Traditionen in identitätskonturierender Hinsicht noch so grundlegend waren: der Rekurs auf Luthers Tod (2.2.1.1) bzw. die Anfänge der Reformation (2.2.1.7), wobei ein prinzipieller Antipapalismus greifbar ist (2.2.1.2) und auch an der scharfen Kritik an Erasmus von Rotterdam festgehalten wurde, wohl da durch diesen die Grundlagen der Lehre infrage gestellt worden waren (2.2.1.5). Ebenso wichtig war Aurifaber die Abgrenzung von „innerprotestantischen Gegnern“ (2.2.1.6). Die Abgrenzung von Melanchthon war hingegen im Jahr 1566 nicht mehr bzw. noch nicht entscheidend, so dass dieser punktuell positiv gewürdigt werden konnte (2.2.1.3). Die Frage nach dem „wahren“ Kanon der Werke Luthers stellte sich ebenfalls nicht mehr, wichtiger war die betonte Anempfehlung von Luthers Bibelübersetzung (2.2.1.4). Insofern verschwindet in der Tischredenausgabe die Memoria der Person des Reformators fast gänzlich hinter der Lehre. Es wird weniger Luther für die Mit- und Nachwelt kodiert und damit monumentalisiert als die Lehre. Dies trifft nicht nur in identitätskonturierender Dimension zu. Vielmehr schlägt sich diese eschatologisch-prophetische Monumentalisierung der Lehre auch in den weiteren Dimensionen der Luthermemoria nieder. So charakterisiert Aurifabers Memoria in didaktischer Perspektive zwar das Moment der besonderen Betonung der Frömmigkeit Luthers, dennoch wird man die dogmatische Rückbindung stärker zu gewichten haben, so dass das Lutherbild weniger mit Stolz als „betulich“507, sondern von Aurifabers Selbstverortung her konsistent als auf die Lehre bezogen erscheint. Dadurch verschieben sich gegenüber den handschriftlichen Traditionen die Koordinaten für den Rekurs auf das Motiv von Luthers Umgang mit Krankheiten, Anfechtungen und Sterben (2.2.2.1) sowie auf seine vorbildliche Rolle als „paterfamilias“ (2.2.2.2). Gleichzeitig verzichtete Aurifaber auf dieser Grundlage auf eine verstärkte Instrumentalisierung Luthers für eine „sittlich-moralische Orientierung“ (2.2.2.3). Stärker als in den beiden handschriftlichen Traditionen wird Luther für Amtsträger in Anspruch genommen. Diesen werden nicht nur „dogmatisch korrekte“ praktische Anleitungen zur Seelsorge übermittelt, sondern sie gera507

S. S. 430.

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung

555

ten insbesondere als „Prediger“ in den Blick (Exkurs zu 2.2.2.1). Als solche sollen sie besonders qualifiziert bzw. in die Pflicht genommen werden. Dies ist vor dem im Vorwort greifbaren Anliegen einer Sensibilisierung dafür, dass in den „aktuell“ aufgetretenen „Irrlehren“ die meisten „Lerer vnd Prediger“ versagt hätten, ebenso nur konsequent.508 Nicht minder konsistent ist Aurifabers fast vollständiger Verzicht auf Momente einer enkomiastischen Erhöhung Luthers. Die „Tugendhaftigkeit“ Luthers kommt an sich kaum zum Tragen, sondern primär als Reflex der eigenen Gegenwartserfahrung, d.h. des Verfolgtseins um der „wahren“ Lehre willen bzw. als Reflex der kritischen Zeitdiagnose. Zudem vergrundsätzlichte Aurifaber die in den handschriftlichen Traditionen greifbaren Tendenzen einer Etablierung des Wortes Gottes als Fundament schlechthin sowie einer „vernunft-“ und „erkenntniskritischen“ Haltung (2.2.3.1). Aspekte eines Märtyrertums kamen nur strikt auf das standhafte Bekenntnis fokussiert zum Tragen (2.2.3.2). Das Motiv einer heilsgeschichtlichen Deutung der Person Luthers wurde hingegen gänzlich übergangen (2.2.3.3). Man kann sich das damit umschriebene Proprium dieses Zugriffes auf Luther durch den Vergleich mit den Propria der handschriftlichen, nach Loci geordneten Traditionen weiter verdeutlichen. Aurifaber zielte nicht wie der Kreis um Weller auf ein trotziges Bekenntnis, das der Krise der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und der daraus resultierenden intermistischen und adiaphoristischen Streitkreise mit antipapalistisch-heilsgeschichtlicher Deutung des Todes Luthers zu begegnen suchte. Im Vergleich mit der Lauterbach-Hänelschen Tradition fehlt Aurifaber ein äquivalentes Interesse an einer heilsgeschichtlich-prophetischen Deutung Luthers und von hier an den Anfängen der Reformation, denen eine „konfessionskulturelle Verfestigung“ korrespondierte. Das Entscheidende für Aurifaber war die über Luther von Gott vermittelte Lehre bzw. die daraus resultierenden „Wohlthaten Gottes“,509 für die Dankbarkeit zu zeigen und deren drohender erneuter Verlust zu verhindern sei. Dazu wurde die eigene, absolut gesetzte Identität im Horizont des drohenden Gerichtes scharf konturiert und gegenüber anderen als unzulässig verstandenen binnenprotestantischen Varianten abgegrenzt, mit dem Ziel, dass zumindest ein kleiner Teil gerettet werden konnte. In dieser vornehmlich in der Lehre fundierten binnenkonfessionellen Identitätskonturierung, die als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung der Lehre verstanden werden kann, liegt das „Proprium“ von Aurifabers Luthermemoria. Insofern könnte man mit Junghans geneigt sein, die Tischredenausgabe 508 509

S. S. 468f. S. S. 468 bzw. TR, fol. ) 5v – )( 1r.

556

IV. Kapitel: Die Aurifabersche Tradition

„als eine Waffenkammer gegen alle Feinde der Gnesiolutheraner“510

zu verstehen. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass Aurifabers Zugriff eine eigenständige Variante im sich immer mehr ausdifferenzierenden Luthertum darstellt, deren Kategorisierung als „gnesiolutherisch“ die dargestellten Propria eher verdeckt als erhellt.511

JUNGHANS, Tischreden, 163. Vgl. die grundlegenden Verschiebungen gegenüber dem von Dingel im Kontext des interimistischen sowie adiaphoristischen Streites erarbeiteten „Vorverständnis“, das „allen Gnesiolutheranern als ein sozusagen ‚apriorischer Konsensʻ eigen war“ (s. S. 473 bzw. DINGEL, Lutherrezeption, bes. 41). 510 511

V. Kapitel:

Resümee

V. Kapitel: Resümee Zu den fundamentalen Aufgaben der gegenwärtigen „Tischredenforschung“ gehört die Verständigung über die Frage, wie methodisch verantwortet mit den Überlieferungen umgegangen werden kann.1 Entsprechend entfaltet die vorliegende Studie Konturen einer gattungsadäquaten Methodik und wendet diese exemplarisch an. Im Rahmen der methodischen Grundlegung wurden zum einen überlieferungsimmanente Rückblicke, d.h. das Zeugnis von Conrad Cordatus über die Anfänge der Sammeltätigkeit sowie die auf die Spätphase bezogene 12. Predigt von Mathesius’ Lutherhistorien, auf Hinweise auf die Gattung im weiten Sinne kritisch ausgewertet. Zum anderen wurden diese Ergebnisse unter besonderer Berücksichtigung der bekannten Handschriftenüberlieferung vom externen Kommunikationskontext her ergänzt. Berücksichtigt wurden die Kompilationsliteratur im Allgemeinen, aber auch die zeitgenössische Sympotik, die Apophthegmatik und von hier die Biographik, die Dicta Melanchthonis, die Exempelliteratur und die Florilegiensammlungen. In besonderer Weise gerieten die weit verbreiteten Colloquia familiaria sowie Apophthegmata des Erasmus von Rotterdam, aber auch die Apophthegmata Patrum in den Blick. Diese differenzierte Annäherung machte deutlich, dass die „Tischreden“ der Gattung nach vor einem multiperspektivischen Traditionsstrom zu verstehen sind und ein strikt formgeschichtlicher Zugang wenig zielführend ist. Vielmehr ist diese Überlieferung mit ihrer thematischen und formalen Breite als Niederschlag der zeitgenössisch virulenten, progymnasmatisch grundgelegten Kompilationsliteratur im Allgemeinen und der Apophthegmatik im Besonderen zu verstehen. Insofern entsprach ihre Entstehung einer zeitgenössischen „Tendenz“, zugleich wurden die Traditionen bzw. Traditionslinien durch die Engführung auf Luther transzendiert und Luther eine

Vgl. bes. den 2013 von KATHARINA BÄRENFÄNGER, STEFAN MICHEL und VOLLEPPIN herausgegebenen Sammelband Martin Luthers Tischreden, mit dem die Ergebnisse eines Arbeitsgesprächs aus dem Jahr 2010 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. 1

KER

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V. Kapitel: Resümee

hohe Autorität zuerkannt.2 Die „Tischsituation“, die zwar einen historisch-realen Anhalt aufweist und deshalb kaum als schierer Ausdruck der nicht minder beliebten Sympotik gelten kann, tritt demgegenüber in den Hintergrund. In methodischer Hinsicht resultiert daraus, dass primär die einzelnen Handschriften bzw. Traditionen in den Blick zu nehmen sind und verstärkt mit redaktionellen Anteilen zu rechnen ist. Damit einher geht das Postulat eines Perspektivenwechsels. Die „Tischreden“ sind weniger auf ihren Aussagehalt als ipsissima vox Lutheri hin zu befragen. Vielmehr sind deren Tradenten als eigenständige (theologische) Interpreten bzw. Autoren methodisch ernst zu nehmen und somit nicht auf die Rolle von „Nachschreibern“ zu reduzieren. Insofern sind die Überlieferungen primär als Zeugnisse spezifischer Lutherrezeptionen zu verstehen, woraus die Notwendigkeit einer strikten Kontextualisierung der verschiedenen Traditionen resultiert. Die anhand exegetischer Einsichten geschulte Nomenklatur deutet zugleich an, dass die nur bedingt leistbare namentliche Identifikation einer Einzelperson nicht zwingend notwendig ist. Hinreichend ist bereits die Konturierung mittels Tendenzen und Lokalkolorit. Zugleich wird so der von regem Materialaustausch geprägte Entstehungsprozess ernst genommen. Dieser Zugriff konnte des Weiteren aus gedächtniskultureller Perspektive geschärft werden, insbesondere mittels der Konzepte des „Kulturellen Gedächtnisses“ bzw. der „Erinnerungskulturen“. Die Überlieferungen sind von hier z.B. als gruppenspezifische Kollektivgedächtnisse bzw. Funktionsgedächtnisse zu verstehen, so dass nach den spezifischen Erinnerungsinteressen zu fragen ist. In den Blick geraten zudem verstärkt der Bezug auf die jeweilige kollektive Identität, die jeweiligen Werte und Normen. Insofern durch diese Überlegungen zur gattungsadäquaten Methodik zugleich deutlich wurde, dass die Bezeichnung „Tischreden“ den Überlieferungen inhaltlich und formal kaum gerecht wird, wurde in terminologischer Hinsicht die Konsequenz gezogen, diesen Begriff auf Aurifabers – und die diesen aufgreifenden – Druckausgaben zu beschränken. Die handschriftlichen Überlieferungen wurden als „Apophthegmata Lutheri“ bzw. das einzelne Überlieferungsstück als „Apophthegma“ bezeichnet. Die Leitfrage dieser Studie, ergab sich letztlich konsequent aus dem methodischen Neuansatz. Gefragt wurde nach der Luthermemoria bzw. dem 2 Hier hat Beyers Rede von einer „neuen Gattung“ ihren sachlichen Anhaltspunkt, vernachlässigt aber die Verbindung mit den genannten Traditionen (s. BEYER, Tischreden, 397; Zitat: s. S. 13).

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung

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Lutherbild der „Apophthegmata Lutheri“. Angesichts der Materialfülle der Überlieferung – aktuell bekannt sind über 100 Handschriften – und zumal vor dem Hintergrund der als defizitär anzusehenden Editionslage wurde dieser Ansatz exemplarisch erprobt. Materialiter wurde deshalb zum einen auf die zwei bekannten, nach Loci geordneten handschriftlichen Sammlungen zurückgegriffen, die jeweils einen auf Luther im Besonderen bezogenen Locus aufweisen. Zum anderen wurde die wirkungsgeschichtlich so bedeutende Aurifabersche Druckausgabe untersucht, die zwar keinen entsprechenden Locus, dafür aber im alphabetisch geordneten „Register vnd Summarischer Inhalt“ ein Lemma „Martin Luther“ aufweist3 und zudem die beiden handschriftlichen Traditionen rezipiert hatte. Temporal decken die analysierten Traditionen einen Zeitraum von knapp 20 Jahren ab, dessen Endpunkt die Publikation von Aurifabers Druckfassung im Jahr 1566 darstellt.4 Insofern fielen die drei Hauptquellen in eine Zeit des Umbruchs bzw. der zunehmenden inneren Diversifikation der Wittenberger Reformation nach Luthers Tod bzw. nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg, greifbar an den großen zeitgenössischen Streitkreisen, bezogen auf den reichsweiten Befriedungsversuch Karls V. („Interimistischer Streit“: 1548/49), die Frage der „Mitteldinge“ („Adiaphoristischer Streit“: 1549–1560), die Rechtfertigungslehre („Osiandrischen Streit“: 1549–1551), die Rolle der guten Werke („Majoristische Streit“: 1552–1570), die Bedeutung des Gesetzes („Antinomistischer Streit“: 1556–1571) sowie die Rolle des menschlichen Willens im Bekehrungsgeschehen („Synergistischer Streit“: 1555–1560/61).5 Zwar finden in dieser Phase parallel erste Versuche einer überregionalen innerprotestantischen Einigung statt, doch führten weder das Wormser Religionsgespräch (1557)6 noch der von den Fürsten auf Grundlage eines Gutachtens Melanchthons verfasste „Frankfurter Rezeß“ (1558)7 oder der Naumburger Fürstentag (1561)8 zu einer tragfähigen Annäherung. Vice versa ist diese Phase geprägt von territorialen Bekenntnissen.9 Somit sind Vgl. TR, fol. Nnnnn 2v–Ppppp 6v bzw. ebd., fol. Ooooo 6r–v. Dem Anfangspunkt eignet insofern eine gewisse Unschärfe als die ältere Repräsentantin, die Handschrift Chart. A 402, im Jahr 1551 abgeschlossen wurde. Deren Grundstock wiederum dürfte jedoch etwas früher, aber nicht vor Januar 1548 abgeschlossen worden sein. 5 S. summarisch Irene Dingels einleitenden Überblick: C&C 1, 13–32. 6 Vgl. SLENCZKA, Schisma; BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch. 7 S. DINGEL, Rezeß. Auf diesen Rezeß reagierten die Ernestiner mit dem Weimarer Konfutationsbuch (s. S. 449f.). 8 S. KOCH, Ausbau, 195–197. 9 MICHEL, Kanonisierung, 253–266. Analog zu Aurifabers Selbstverortung ist auch diesbezüglich in den 1560er Jahren ein Einschnitt zu greifen (s. IV 2.1.4). 3 4

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V. Kapitel: Resümee

die exemplarisch untersuchten Apophthegmata-Traditionen der Phase der „Vorgeschichte“ des großen protestantischen Einigungswerks zuzurechnen, das in den 1570er Jahren unternommen wurde und in der Formula Concordiae (1577) bzw. im Konkordienbuch (1580) zum Abschluss kam.10 Territorial sind die beiden handschriftlichen Traditionen im Albertinischen Sachsen zu lokalisieren und von hier in unterschiedlicher Weise geprägt, wie in den Analysen gezeigt werden konnte. Für die erstmals mit dem Gothaer Kodex Chart. A. 402 greifbare und somit 1551 abgeschlossene Tradition musste diese Zuordnung erst plausibilisiert werden. Es war zu begründen, inwiefern diese nicht Veit Dietrich und Hieronymus Besold – nach letzterem wurde die Handschrift als Codex Besoldi von Haußleiter in die Forschung eingeführt – zuzuschreiben ist und damit nicht einem Nürnberger Kontext, sondern Hieronymus Weller bzw. dem „Kreis um Weller“ und damit einem Freiberger Kontext. Geprägt ist diese gruppenspezifische Luthermemoria von Luthers Tod bzw. der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und den daraus resultierenden Streitigkeiten über das Interim bzw. die Adiaphora. Aufgrund der Wahrnehmung der Gegenwart als Krise eignet der „Wellerschen Tradition“ ein scharfer polemischer Impetus, der dadurch verstärkt wurde, dass der „Trägerkreis“ mit seinem religionspolitischen Agieren selbst vor Ort, d.h. in der Stadt und in dem Amt Freiberg, nur eine Minderheitenposition vertrat. Insofern ist diese Memoria vor dem Hintergrund der albertinischen Religionspolitik als „inoffizielles“ Gedächtnis bzw. als „kritische oder subversive Gegenerinnerung“ zu verstehen. Neben diesen Hauptaspekt treten erste Ansätze der Verfestigung einer lokal zugespitzten Konfessionskultur, ohne dass hier der Schwerpunkt gelegen hätte. Deren lokale bzw. gruppenspezifische Ausprägung ist in besonderer Weise in der differenzierten und seelsorglich fokussierten Theologie bzw. Lutherrezeption von Hieronymus Weller grundgelegt, der kein kirchliches Amt, sondern die theologische Lektur an der Stadtschule innehatte. Prinzipiell unstrittig war demgegenüber die Kontextualisierung der zweiten nach Loci geordneten handschriftlichen Tradition in der ebenfalls dem albertinischen Sachsen zugehörigen Stadt bzw. Superintendentur Pirna, deren früheste Repräsentantin die als „Sammlung B.“ edierte Handschrift Halle darstellt. Die Anfänge dieser „Lauterbach-Hänelschen Tradition“ sind ab 1552 greifbar und damit nur kurz nach dem Abschluss der „Wellerschen Tradition“; Mitte 1556 war sie fertiggestellt. Auch lokal liegen zwischen Pirna und Freiberg nur wenige Kilometer. Dennoch ha10 S. MAGER, Konkordienformel; MICHEL, Kanonisierung, 266–297. Zu den frühen Debatten bis 1574 s.a. HUND, Wort; KOCH, Auseinandersetzung. Zu den Diskussionen im Anschluss an das Konkordienwerk s. DINGEL, Concordia sowie – zugespitzt auf die Frage nach der Autorität Luthers – DINGEL, Ablehnung.

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung

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ben sich die Parameter mit der veränderten religionspolitischen Situation bzw. mit dem veränderten Kontext deutlich verschoben. Auf Reichsebene war die Existenz der lutherischen Konfession durch den Passauer Vertrag (1552) und den Augsburger Religionsfrieden (1555) rechtlich gesichert.11 Zudem ist im albertinischen Kurfürstentum das Bemühen des ab 1553 amtierenden August greifbar, die Reformation durch erneute Visitationen abzuschließen; bereits unter seinem Bruder Moritz wurde versucht, die internen Streitigkeiten mit der Abfassung der Confessio Saxonica zu beenden. Unter Rekurs auf die wenigen Zeugnisse von Anton Lauterbach (v.a. Briefe, den sog. Codex Lauterbach sowie das Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche) bzw. die Pirnaer Reformationsgeschichte konnte die sehr viel stärker heilsgeschichtliche und v.a. prinzipiellere Ausrichtung dieser Luthermemoria aufgezeigt werden, hinter der die zeitgenössischen polemischen Auseinandersetzungen zurücktraten. Im Hintergrund schienen die Notwendigkeiten der bereits in sich gefestigten und die offizielle religionspolitische Linie mittragenden Superintendentur als Bezugsrahmen auf, die sich thematisch z.B. in einer moralisch-sittlichen und stärkeren amtstheologischen Ausrichtung niederschlugen. Zugleich sind die Verschiebungen der Memoria bzw. des Lutherbildes sehr viel grundsätzlicher als Ausdruck einer zunehmenden lokal ausgeprägten „konfessionskulturellen Verfestigung“ zu deuten. Aurifabers Tischredensammlung wiederum ist im Unterschied zu den handschriftlichen Traditionen an keinen konkreten Ort bzw. keine konkrete Region zurückgebunden. Zwar dürfte dieses auf ihn als Einzelperson zurückzuführende Werk weitestgehend in der Grafschaft Mansfeld abgeschlossen worden sein, insofern er erst Ende 1565 von dort nach Erfurt geflohen war, doch kann dieses nur indirekt vor dem Hintergrund der Grafschaft und kaum vom Kontext der Reichsstadt her hinreichend erklärt werden.12 Entscheidend ist vielmehr seine eschatologischprophetische Selbstverortung und der damit einhergehende überregionale Impetus seiner 1566 als Druck publizierten Tischreden, wie anhand von Aurifabers Wirken als Editor von Luthers Werken und seiner religionspolitischen Positionierung bzw. vor dem Hintergrund seiner als „programmatisch“ zu klassifizierenden Publikationen der 1560er Jahre gezeigt wurde. Exegetisch gesprochen wandte sich Aurifaber mit seiner Tischredenausgabe als „Prophetenschüler“ bzw. „Gerichtsprophet“ an die 11 Zum Passauer Vertrag s. den Sammelband BECKER, Vertrag, sowie die Edition mit ausführlicher Einleitung von Volker Henning Drecoll. Zum Augsburger Religionsfrieden s. GOTTHARD, Religionsfrieden. 12 Das dazu nötige Material hatte er über Jahre hinweg zusammengestellt, noch selbst als Luthers letzter Famulus sowie im Zusammenhang seiner ab 1546/47 greifbaren Bibliotheksreisen.

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V. Kapitel: Resümee

Reichsstädte als Multiplikatoren seiner vor dem Horizont einer negativen Gegenwartsanalyse bzw. im Angesicht des drohenden Gerichts Luther fortschreibenden Luthermemoria, um mahnend-warnend an Gottes, durch Luther vermittelte Lehre zu erinnern. Einher geht eine Hintanstellung der Memoria der Person Luthers, die sich auch in dem Verzicht auf einen auf Luther im Besonderen bezogenen Locus niedergeschlagen hat. In Konsequenz korreliert mit diesem auf die dogmatische Spitze getriebenen Funktionsgedächtnis kaum ein auf konfessionskulturelle Verfestigung zielender Impetus bzw. eine als „dogmatisch-eschatologisch“ enggeführt zu beschreibende Ausprägung lutherischer Konfessionskultur. Zudem greift eine von der Suche nach der ipsissima vox Lutheri her kommende Kritik an Aurifabers Arbeitsweise bzw. Tischredenausgabe zu kurz. Über die damit hinreichend umrissenen jeweiligen Propria hinaus kann der Gewinn der Analysen des Weiteren vor dem Hintergrund der in der methodischen Grundlegung benannten historiographischen Interpretamente weiter erhellt werden. Während zeitgleich in Bezug auf die Werke Luthers eine mit Michel als „Kanonisierung“ zu beschreibende Auswahl und inhaltliche Festschreibung erfolgte,13 eignet den dargestellten Traditionen, die mit Kaufmann den „nicht-normativ regulierten Formen“ zuzurechnen sind, in denen Luther präsent war,14 eine – gewissermaßen der Gattung „Apophthegmata“ inhärierende – plurale memoriale Positionalität, die jeweils an die Identität bzw. Werte und Normen der Trägerkreise zurückgebunden ist. Damit einhergehen konnten jedoch Positionierungen in den „Kanonisierungsprozessen“, insbesondere den auf Luthers Werk bezogenen, bis hin zur Etablierung eines eigenen „Werkkanons“, wie die Analysen der handschriftlichen Traditionen gezeigt haben. Zugleich kann von dieser memorialen Pluralität die lutherische „Konfessionskultur“ in ihrer Kleinteiligkeit und Differenziertheit entfaltet werden, d.h., von den Apophthegmata-Sammlungen her wurde der Blick geschärft für lokale, ephemere und / oder minoritäre Ausprägungen, jenseits bzw. entgegen obrigkeitlicher Lenkung. Von dieser Pluralität ist zudem zu begründen, warum die Unterscheidung Gnesiolutheraner / Philippisten (bzw. Melanchthonianer) als heuristisches Raster in den auf die Luthermemoria bzw. das Lutherbild bezogenen exemplarischen Analysen kaum vertieften Erkenntnisgewinn brachte. Dieser Negativbefund ist jedoch in zweifacher Weise zu konkretisieren. Zum einen dürfte es kein Zufall sein, dass das Motiv der „ProphetenfortVgl. MICHEL, Kanonisierung bzw. S. 78. Vgl. KAUFMANN, Kultur, 68f. Zu den vielfältigen textuellen und visuellen Repräsentationsformen, in denen Luther auf dem Buchmarkt bzw. in der lutherischen Konfessionskultur präsent war, s. zudem KAUFMANN, Reformationsgedenken, hier: 287– 291. 13 14

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung

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schreibung“ in den Traditionen greifbar war, die klassischerweise bzw. mit Blick auf den von Irene Dingel erarbeiteten „apriorischen Konsens“ eher einer „gnesiolutherischen“ Position zuzurechnen wären. Doch ist auch diesbezüglich stärker zu differenzieren. Während die „Wellersche Tradition“, ausgehend von „Prophezeiungen“ Luthers, die auf seinen Tod bezogen sind, kontrafaktische Hoffnungsbotschaften vermittelte, transzendierte Aurifaber das Interpretament, indem er selbst die Rolle des „Gerichtspropheten“ übernahm, der die in der Gegenwart angemessene bzw. notwendige Lehre unter Rekurs auf Luther und unter Fortführung Luthers verkündete. Zum anderen ist aus dieser kritischen Anfrage an das heuristische Raster nicht die Konsequenz eines gänzlichen Verzichtes zu ziehen, auch nicht in Bezug auf die Apophthegmata-Überlieferung. Ihr heuristischer Wert ist u.a. in Studien greifbar, die stärker „dogmatisch“ ausgerichtet sind, wie z.B. die auf die Wittenberger Christologie und Abendmahlslehre in den Jahren 1567–1574 bezogene Untersuchung von Johannes Hund zeigt.15 Von hier wären dann in Fortführung der Analysen der vorliegenden Studie die Aurifaber „korrigierenden“ Druckausgaben in den Blick zu nehmen. Erste Konturen sollen im Rahmen dieses Resümees angedeutet werden.16 Die Ausgaben von Andreas Stangewald und Nikolaus Selnecker (1530– 1592) sind eng miteinander verbunden.17 Beide datieren ursprünglich aus den 1570er Jahren und fallen somit in die Phase der Bemühungen um das Konkordienprojekt, an dem Selnecker tatkräftig beteiligt war.18 Stangewald wiederum ist im Umfeld der Magdeburger Centurien greifbar.19 Das Vgl. HUND, Wort. Dass von diesen Ausgaben ebenso weitergehende Impulse in Bezug auf das Interpretament der „Kanonisierung“ ausgehen, wird im nächsten Schritt dargestellt. 17 Zu diesen vgl. SCHILLING, Bibliographie, 753–758.770–777. Beide Ausgaben weisen weder einen auf Luther bezogenen Locus noch ein entsprechendes Lemma auf. 18 Vgl. KLAN, Spuren; BEYREUTHER, Selnecker; MAGER, Konkordienformel, passim.; DINGEL, Concordia, passim. 19 Über Andreas Stang(e)wald aus Preußisch Holland – daher das Eponym „Borussus“ bzw. „Prutenus“ oder „Hollandinus / Hollandiens“ – ist wenig bekannt. Aufgrund der Matrikel ist er im Sommer 1557 in Königsberg und im Winter 1569 in Jena und vermutlich 1580 in Helmstedt greifbar (vgl. Diener, Magdeburg, 317 Anm. 1). Evtl. kann die Helmstädter Matrikel vom 14. Mai 1580 eines Michael Stangwalt, Prutenus als falsche Auflösung der Abkürzung „M.“ angesehen werden. Diese könnte dann als Hinweis darauf gesehen werden, dass Stangewald inzwischen einen „Magistertitel“ erworben hätte. Dem korrespondiert, dass nach ihm in einem Schreiben von David Chytraeus vom 27. Februar desselben Jahres als „M. Andreas Stangenwaldus“ gefragt wird (ediert in: Chytraeus, Epistolæ, hier: 910f.); daneben treten spätere Zeugnisse wie z.B. das Gutachten der Rostocker Theologen vom 29. Mai 1582 (NStAW, 2 Alt 14942, fol. 5r–7r) oder das Schreiben von Polykarp Leyser an Andreas Osiander vom 11. Juni 1591 15 16

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V. Kapitel: Resümee

Verhältnis ihrer Tischredenausgaben ist etwas verworren. Stangewalds Erstausgabe von 1571 ist anonym sowie ohne eigenes Vorwort erschienen. Selnecker ließ 1577 eine – abgesehen von dem Einleitungsteil – identisch gegliederte Ausgabe unter seinem Namen folgen. Diese wurde von Stangewald im – erst in seiner zweiten Ausgabe von 1591 ergänzten eigenen – Vorwort als „Nachdruck“ seiner Erstausgabe qualifiziert.20 Dass mit die(ediert in: FISCHLIN, Memoria, 322). Sein Aufenthalt in Jena wird auch von Stangewalds wohl 1584 zu datierenden Schreiben an den Kammersekretär von Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, Wolf Ewart, bestätigt. Die zudem dort genannten Bezugspersonen sind leider nicht weiter nachweisbar, jedoch belegt das Schreiben Stangewalds Anwesenheit in Wolfenbüttel (vgl. NStAW, 2 Alt 14942, fol. 4r–v.8r bzw. Diener, Magdeburg, 321f.). In den späten 1570er Jahren hatte er wohl mit oder für Wigand gearbeitet und gerät somit in den unmittelbaren Kontext der Magdeburger Centurien; zur These von Wiegand als eigentlichem Verfasser der Magdeburger Centurien s. HARTMANN, Bedeutung, 71–74; HARTMANN, Anfänge, 14–16; einen biographischen Abriss im Hinblick auf Wigands Arbeit an den Centurien bietet Hartmann, Humanismus, 65–68. Dennoch scheint Stangewald sich im Streit zwischen Heßhusen und Wigand von Letzterem entfernt zu haben (vgl. DIENER, Magdeburg, 322.328f.). Zudem sind Kontakte zwischen ihm und David Chytraeus in Rostock spätestens ab Anfang der 1580er Jahre greifbar (vgl. DIENER, Magdeburg, 326–328 bzw. die bereits erwähnten Schreiben von David Chytraeus vom 27. Februar 1580 – ediert in: CHYTRAEUS, Epistolæ, 910f. – und von Polykarp Leyser an Lucas Osiander vom 11. Juni 1591 – ediert in: FISCHLIN, Memoria, 322f.; s.a. die Ausführungen zum Jahr 1589 in der von Schütz 1728 verfassten Vita von Chytraeus: SCHÜTZ, Vita, III, 252). Ein Schreiben von Philipp Nicolai an Konrad Schlüsselburg aus dem Jahr 1605 belegt, dass er wohl zumindest planungsmäßig in das „Magdeburger Großprojekt“ protestantischer Kirchengeschichtsschreibung involviert war, jedoch verstarb, ohne dass Ergebnisse seiner Tätigkeit greifbar wären; weitere Zeugnisse für dieses Engagement fehlen (vgl. [Philipp Nicolai] an Konrad Schlüsselburg, o.O. 1605: SCHLÜSSELBURG, Studium ecclesiae, hier: 501–503. Zur Datierung und Zuschreibung an Nicolai s. DIENER, Magdeburg, 318–321). Diese Diffusität dürfte der Grund dafür sein, dass Stangewald in der neueren Literatur i.d.R. nicht als Mitarbeiter an den Zenturien erwähnt wird (vgl. z.B. BOLLBUCK, Wahrheitszeugnis; Krenzke, Autoren). Martina Hartmann verweist jedoch darauf, dass er nach dem Tode Wigands, d.h. nach 1587, vom Herzog von Preußen mit der Fortführung der Centurien beauftragt worden sei (HARTMANN, Bedeutung, 71.77). Diesem Befund entspricht, dass seine Publikationstätigkeit insgesamt kryptisch anmutet, insofern – abgesehen von der Tischredenausgabe – v.a. Entwürfe von großen Projekten greifbar sind, aber kaum Realisationen. Zu seinem Versuch, ein Projekt zur Vereinheitlichung der Lutherbibel zu initiieren, s. MICHEL, Kanonisierung, 76f. 20 Vgl. STANGEWALD, Jena 1591, fol. a5r (Zitat: s. S. 414). Beiden gemeinsam ist die Reduktion der Loci von 80 auf 43, die zudem – zumindest im „Register der Capitel / wie die auff einander folgen“ – neun Oberkategorien zugeordnet werden, nämlich Scriptura, verbum Dei (1–3); DEVS (4–6); CREATURA (7–9); Homo, & Hominis cum Deo koinwni,a (10–20); ECCLESIA (21–35); OECONOMIA (36); SCHOLA (37); POLITIA (38–40); Consummatio, seu nouissima mundi dies (41–43) – vgl. STANGEWALD, Frankfurt 1571, fol. Cr–v sowie SELNECKER, Leipzig 1577, fol. hr–v. Insofern wird der dogmatische Fokus noch verstärkt. Zu den inhaltlichen Unterschie-

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sen beiden Druckausgaben trotz aller formalen wie inhaltlichen Gemeinsamkeiten ein auf die Luthermemoria bezogener Deutungskampf einhergegangen ist, der die Unterscheidung „gnesiolutherisch“ / „philippistisch“ bzw. „melanchthonianisch“ stärker impliziert, kann anhand von Selneckers, an den pfälzischen Kurfürsten Ludwig IV. gerichteten Vorrede von 1577 bzw. der beigefügten „Lutherbiographie“ angedeutet werden, die vom Streit um die Abendmahlslehre geprägt sind und die Eintracht zwischen Luther und Melanchthon betonen.21 Eben diese Biographie hat Stangewald in seiner Ausgabe von 1591 mit Verweis auf „mancherley Vnrichtigkeit vnnd Widderwertigkeit“ ausdrücklich abgelehnt und eine eigene, ausführlichere Version angekündigt.22 Der damit angeklungene Deutungskampf erhält ein weiteres Moment durch die vom Eschersheimer Pfarrer Heinrich Peter Rebenstock (gest. 1596)23 im Auftrag des Frankfurter Verlegers Feyerabend ebenfalls im den zur Aurifaberschen Ausgabe s.a. Hoppes Ausführungen in seiner Einleitung zum 22. Band der zweiten Walchschen Ausgabe, die auf der Stangewaldschen Ausgabe von 1700 und der Aurifaberschen Erstausgabe von 1566 beruhen (W2 22,24–29.36f.). 21 Vgl. SELNECKER, Leipzig 1577, fol. a2r–a5v.c4r–g2v. Die Historica Oratio genannte „Lutherbiographie“ war am 22. November 1574 als akademische Rede an der Universität Leipzig gehalten und im Anschluss publiziert worden. Zur dieser Rede und ihrem Kontext s. HASSE, Lutherbiographie; HASSE, Zensur; OSTEN-SACKEN, Aneignung; DINGEL, Autorität. 22 Vgl. STANGEWALD, Jena 1591, fol. a5v. 23 Erste Hinweise zu Leben und Werk Rebenstocks bieten ASCHKEWITZ, Pfarrergeschichte, 398; HOLSTEIN, Rebenstock. Schillings Hinweis auf einen Prozess im Jahr 1602 bzw. auf eine Tätigkeit als Pfarrer in Steinweiler / Pfalz 1602 dürfte sich wohl auf den Sohn Peter beziehen (SCHILLING, Bibliographie, 759 Anm. 1 bzw. BIUNDO, Pfalz, 360 Nr. 4183). Rebenstock hatte sein Amt in dem zur Grafschaft Hanau-Münzenberg gehörenden Ort wohl Anfang / Mitte 1561 übernommen. Dies zeigt ein Schreiben von ihm an den Kirchenrat der Grafschaft Hanau (Hess. StA Marburg, Best. 83 Nr. 4170), eingegangen am 23. Dezember 1565, in dem mitgeteilt wird, dass er bereits „funffthalbes Jar“, d.h. viereinhalb Jahre, Pfarrer in Eschersheim sei – für diese Auskunft sei Herrn Dominik Brendel, Staatsarchiv Hessen, ganz herzlich gedankt. Von hier ist sowohl TELSCHOW / REITER, Pfarrer, 275 sowie Aschkewitz, Pfarrergeschichte, 398 zu korrigieren. Das Visitationsprotokoll von 1562 lässt v.a. schwierige Lebensverhältnisse in finanzieller und baulicher Hinsicht erkennen. Hinsichtlich seiner Lehre und Amtsführung finden sich keine Beanstandungen. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass er den „catechismus Lutheri, seinem besten verstand nach“ predige und lehre. Zudem reiche er die Sakramente der Einsetzung Christi entsprechend (vgl. Hess. StA Marburg, Best. 83 Nr. 6426, fol. 46r–47r; Zitat: ebd., fol. 46v. Zu dieser Visitation in Hanau-Münzenberg s.a. ZEEDEN, Kirchenvisitationsakten, 74f.). Dies deutet eine primär lutherische und nicht primär reformierte Fundierung an. Greifbar ist Rebenstock aber weniger als Pfarrer denn als Übersetzer und Verfasser von deutschen Reimen. Sein erstes Werk verfertigte er 1568 in Zusammenarbeit mit dem auch an der lateinischen „Tischredenausgabe“ beteiligten Frankfurter (Verlags-)Drucker Nikolaus Basse. Es handelt sich um eine weitere deutsche Bearbeitung des aufgrund seiner theologischen

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V. Kapitel: Resümee

Jahr 1571 erarbeitete lateinische Übersetzung der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“, die bewusst „international“ ausgerichtet ist.24 Zumal vor Quintessenz einer Rettung aus Glauben an Christus v.a. in protestantischen Kreisen sehr beliebten, ursprünglich vom niederländischen Humanisten Georgius Macropedius verfassten Hecastus (1539). Der vollständige Titel lautete: Hecastus, ein geistlich Spiel vom Ampt vnd Beruf eines jeden Menschen, verteutschet durch Henricum Petrum Rebenstock, Franckfurt bey Nic. Basseus. 1568. 8°. In VD 16 ist das Werk nicht erfasst und bereits Goedeke verweist in seiner Untersuchung von 1865 darauf, dass das Werk nur bibliographisch greifbar ist (GOEDEKE, Everyman, 76 mit 217 Anm. 21). Vor Rebenstock haben u.a. Hans Sachs (1549), Laurentius Rappolt (1552) und Cyriakus Spangenberg (1564) das Werk übersetzt (vgl. GOEDEKE, a.a.O.; DERS., Grundriss, 377– 379). Zum Werk des Macropodius und seiner protestantischen Rezeption exemplifiziert anhand der Übersetzung von Sachs s. DAMMER / JEßING, Jedermann. Im Erscheinungsjahr der Tischredenausgabe verfasste der Eschersheimer Pfarrer des Weiteren auf – von Sigmund Feyerabend angestoßene – Bitten des Patriziers Konrad Weiß für die von Feyerabend verlegten biblischen Holzschnitte Joß Ammans deutsche Reime (vgl. REBENSTOCK, Figuren. Zum Entstehungsprozess s. ebd., fol. A ii a. Demzufolge hatte Konrad Weiß für die lateinische Fassung die Verse verfasst. Von der deutschen Fassung ist zudem ein Nachdruck aus dem Jahr 1579 überliefert [VD16 R 437]). Erst im Jahr 1586 erscheint eine weitere Übersetzung Rebenstocks, dieses Mal wieder bei Basse. Es handelt sich um das berühmte gegen den „Hexenwahn“ geschriebene Werk des Mediziners Johann Weyer, ergänzt durch dessen Traktat über das Fasten (REBENSTOCK, De Lamiis; zu Weyer s. BINZ, Weyer). Rebenstocks intensive Beziehungen zum Frankfurter Bürgertum, insbesondere den dortigen Druckern verdeutlicht zudem seine trotz aller Öffentlichkeit persönlich gehaltene Widmungsvorrede an seinen sich in der Krise befindlichen „Freund“ Peter Schmid aus dem Jahr 1573. Diese eröffnet ein Werk mit Bildern aus der römischen Geschichte, wie sie von Livius überliefert wurde, zu dem Rebenstock – erneut auf Bitten Feyerabends – ebenfalls deutsche Reime verfasste; auch diese Holzschnitte stammen von Joß Amman (REBENSTOCK, NEuwe Liuische Figuren; zur Widmungsvorrede s. ebd., )( ii–)( iv; zur Beauftragung durch Feyerabend s. ebd., )( iii b). 24 Zu dieser Ausgabe SCHILLING, Bibliographie, 759f.778. Nach Meyer repräsentiert diese Ausgabe die dritte Bearbeitungsstufe (s. MEYER, Sammlungen bzw. S. 222 Anm. 1). Dass Meyer den Anteil Rebenstocks an der Ausgabe zu einseitig auf die Rolle des schieren Übersetzers reduziert, dürfte auch daran liegen, dass er irrigerweise Lauterbach als Urheber der dritten Überarbeitung etablieren wollte. Zur internationalen Ausrichtung s. REBENSTOCK I, )() 3ab: „Et quanquam hoc munere me indignum iudicabam, tamen propter Ecclesiae vtilitatem, & vt verbum Dei omnibus notum fieret, Deusque in omnibus linguis celebraretur, grauissimum hoc suscepi onus, et pro ingenij mei tenuitate, solius Dei auxilio, magna diligentia, dicta Germanica, in latinam linguam, propter eos, qui Germanicam linguam ignorant, transtuli. Nunquam tamen hos labores, hanc ob causam suscipere, vt Domini Martini Lutheri, colloquia pia, alijs colloquijs impijs, & inutilibus conspurcarem, noua immiscerem aut gloriam atque vtilitatem meam (sicut hodie Sacramentarij, & homines Fanatici, facere praesumunt) quaererem, proposui, sed vt Domino nostro suas attribuerem laudes, ideoque doctorum virorum consilio adiutus, opus hoc aggressus sum. Omnes ergo Euangelij amantes, vt si quid erroris, quantum ad meos labores attinet, inuenerint,

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dem Frankfurter Hintergrund bzw. der offenen religionspolitischen Situation in der Grafschaft Hanau-Münzenberg liegt es nahe, dahinter das Anliegen eines an Melanchthon orientierten „philippist[en] Programm[s] einer europäischen Identität“ zu sehen.25 ingenij mei imbecillitati, non petulantiae, aut temeritati id ipsum asscribant, obnixe rogatos volo.“ 25 S. hierzu HUND, Autorität, 302–309. Dem konvergiert, dass die Verbindungen Rebenstocks zur Frankfurter Bildungsschicht an einen „humanistischen Zirkel“ erinnern. Insbesondere das Haus des als „poeta et vir doctus“ bezeichneten Konrad Weiß von Limburg (ca. 1536–1575), der entgegen der Familientradition kein kommunales Amt übernahm, sondern sich allein den Künsten und Wissenschaften widmete, war ein „Sammelplatz der Frankfurter Gelehrten und späten Humanisten“ (zu diesem s. WEYEL, Weiss von Limburg; JUNG, Weiß von Limpurg – Zitat: ebd., 585). Zu dieser Offenheit gehörte z.B. ebenso die Gewährung von Asyl für den niederländischen Glaubensflüchtling Aegydius Periander (1543–1568). Wenn im Vorwort zur Tischredenausgabe als Initiatoren einerseits die Drucker („typographi“), wohl Feyerabend und Basse, sowie andererseits nicht näher bestimmte gelehrte, fromme Männer benannt werden (vgl. ebd., fol. )() 3a; Zitat: s. Anm. 29), dürfte dies keine schiere Fiktion darstellen, sondern es liegt nahe, hierin eine Anspielung auf eben diesen Kreis um Weiß zu sehen, zumal auf das Vorwort ein kurzes Gedicht von Weiß folgt (vgl. REBENSTOCK I, fol. )() 5a). Die Bedeutung Melanchthons für Rebenstock wird z.B. daran deutlich, dass er diesen ganz selbstverständlich zu den verstorbenen „ecclesiae lumina“ zählt und ihn selig in Abrahams Schoß ruhen lässt, sowie seine Lehre ebenso als „heilsbringend“ einstuft wie die Luthers: „Viri fidelissimi, doctrina, & pietate praestantissimi, imo Ecclesiae Lumina, M.L. P.M. &c. qui bonum in Ecclesia iecerunt fundamentum, vbi animae illorum placide in Abrahae sinu quiescunt, confessio vero, ac Doctrina illorum salutifera, inter quosdam homines pios floret, frigere autem, & contemni, iuxta Lutheri prophetiam, qui falsos doctores, & depravatores sacrae scripturae post mortem Sathanae venturos esse praedixerat, incipit“ (REBENSTOCK I, fol. [ )( 8b]). In dieselbe Richtung weist Rebenstocks Glücklichpreisung von Sachsen, da ihm von Luther, Melanchthon und Bugenhagen etc. das reine Wort Gottes gepredigt wurde: „O Saxonia, quanta foelicitate, tum temporis, cum viri Dei, doctissi. ac pij Marti. Luthe. Phil. M. Ioan Bugenh. Pomeranus, &c. qui verbum Dei pure docuerunt […]“ (REBENSTOCK I, fol. )() ab). Dass Rebenstock mit seiner Praefatio das Werk zugleich seinem Landesherrn Philipp Ludwig I. von Hanau-Münzenberg (1553–1580) gewidmet hat (zu diesem s. MENK, Bildungsgeschichte; ZIMMERMANN, Hanau, 678–680; DIETRICH, LandesVerfaßung, 91f.), erstaunt zunächst mit Blick auf die internationale Ausrichtung. Von großer reichspolitischer, geschweige denn internationaler Bedeutung der kleinen und zudem sehr zersplitterten Grafschaft kann kaum die Rede sein. Jedoch war zur Zeit der Abfassung der Widmung noch offen, in welche Richtung die Grafschaft tendieren sollte: Zum Luthertum melanchthonischer Prägung oder zum Calvinismus. Dieser konkrete lokale Bezug wird zugleich transzendiert, insofern die geschilderten Prozesse im Fürstentum Abbild einer zeitgenössisch in mehreren Territorien – auch bedeutenderen – zu findenden Diskurssituation sind (vgl. MENK, Bildungsgeschichte, 131). Insofern widerspricht der Lokalbezug nicht der Intention einer internationalen Aus-

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Zudem wären diese drei Druckausgaben noch einmal hinsichtlich des Interpretaments der „Kanonisierung“ verstärkt in den Blick zu nehmen, zeichnet sich doch ab, dass von hier Stefan Michels Resümee, Aurifabers Tischreden seien „ungeeignet“ für eine Kanonisierung, zu relativieren ist.26 Ganz grundsätzlich eignet allen drei Druckausgaben eine dezidierte Abgrenzung von Aurifaber, wie bereits die jeweiligen Titelblätter zeigen.27 Die Rebenstocksche Ausgabe betont, dass seine von Aurifaber zu unterscheidende Grundlage schon vor zehn Jahren für die Edition vorbereitet („ad aeditionem parata“), dann aber unterdrückt („suppressus“) worden sei.28 Dies mag auch „werbetechnisch“ motiviert gewesen sein, zugleich wird jedoch der eschatologisch-prophetisch motivierten Druckausgabe Aurifabers, in der u.a. die Lauterbach-Hänelsche Tradition überarbeitet richtung, zumal aufgrund der Rückbindung an den humanistisch orientierten Trägerkreis. Zur Grafschaft s. LÖWENSTEIN, Hanau (Lit!) sowie das immer noch beeindruckende Werk von ZIMMERMANN, Hanau, bes. 575–615.691–717. Zum Prozess der Einführung der Reformation in Hanau s. die instruktiven Ausführungen von AREND, HanauMünzenberg, 371–384, die aufgrund der Quellenüberlieferung die Städte Hanau und Münzenberg sowie das Kloster Schüchtern als Keimzellen ausweist. S.a. den kurzen Überblick von DIETRICH, Landes-Verfaßung, 140–145 sowie immer noch ZIMMERMANN, Hanau, 575–594; GBIORCZYK, Beziehungen, bes. 13f., bedingt auch HENß, Verhältnisse, 56–58; KURZ, Reformation. Erst Ostern 1595 wurde die uneindeutige religionspolitische Situation von Graf Philipp Ludwig II. zugunsten eines klaren reformierten Bekenntnisses entschieden. 26 Vgl. MICHEL, Kanonisierung, 300. 27 Aurifabers Ausgabe war weiterhin auf dem Markt präsent. In Eisleben wurde sie wohl letztmalig im Jahr 1577, in Frankfurt im Jahr 1593 nachgedruckt (vgl. SCHILLING, Bibliographie, 764.770). 28 Vgl. den Hinweis auf dem Titelblatt des ersten Bandes, dessen Anfangsteil mit Halle übereinkommt: „COLLOQVIA,|| MEDITATIO-||NES, CONSOLATIONES,|| CONSILIA, IVDICIA, SENTEN-||tiae, Narrationes, Responsa, Facetiae, D. Mart.|| Luth. piae & sanctae memoriae, in mensa pran/||dij& coenae, & in peregrinationibus, ob/||seruata & fideliter trans-||scripta.|| TOMVS PRIMVS.|| Ne erres Lector, scias haec, non ex D.Aurifabri,|| sed ex alterius collectione, ante annos 10. ad || aeditionem parata, sed hactenus pro-||pter certas causas suppressa, ad || nos peruenisse“ (Reb I, fol. )( 1). In dieselbe Richtung weist der im Vergleich zu den aufwendig gestalteten „Nachdrucken“ der Aurifaberschen Ausgabe (s. S. 32–34) regelrecht schlicht anmutende Holzschnitt. Abgebildet ist dort nicht die Wittenberger Tischgesellschaft, sondern ein Lutherbildnis. Umschrieben ist dieser Lutherkopf im Medaillon mit „D – MARTINVS – LVTHER – 1558“ (zur Beschreibung s. auch SCHILLING, Bibliographie, 778. Der Holzschnitt geht vermutlich zurück auf Virgil Solis oder seine Werkstatt – vgl. O’DELL, Titelblätter, 252). Dass hier schlichtweg eine ältere Vignette verwendet wurde, liegt nahe (s. W2 22,12a.). Dennoch verstärkt die falsche Jahreszahl, zumal neben dem Druckort – im Unterschied zum Titelblatt des zweiten Bandes – kein Jahr genannt wird, gerade den Eindruck, hier läge ein älteres Werk vor, das noch vor Aurifabers Ausgabe erschienen wäre.

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Eingang fand, ein der ursprünglichen Intention entsprechendes Projekt entgegengestellt.29 Demgegenüber betonen Selnecker und Stangewald v.a. das Motiv der „richtige[n] Ordnung“.30 Bei Stangewald tritt nun jedoch zusätzlich das Motiv der Korrektur hinzu, verstärkt in der Ausgabe von 1591: STANGEWALD, Frankfurt 1571, fol. a1r

STANGEWALD, Jena 1591, fol. a1r

[s] COLLOQVIA || Oder || [r] Tischreden Doc=||tor Mart. Luthers / So er in vielen || [s] Jaren / gegen Gelärten Leuten / auch frembden Gesten / vnd || seinen Tischgesellen gefuehret / Nach den Haeuptstuecken vnserer || Christlichen Lehre / zusammen getragen.

COLLOQVIA, || Oder / Christliche nuetzliche || [r] Tischreden || Doctoris Mar || tini Lutheri / von den Heuptartickeln Christlicher Lehre / vnd || [s] andern Christlichen vnd nuetzlichen Sachen / welche er in Collationen / am || Tisch / vnd sonsten / gegen Gelerten Leuten / gegen seinen getrewen || Mitgehuelffen / auch gegen seinen Tischgenossen / frembden || Gesten / vnd andern bekuemmerten vnd angefoch=||tenen Personen gefuehret. || E [r] Rstlich / durch M. JOANNEM AURIFABRVM, || VINARIENSEM, Anno 1566. in Druck gegeben / etc. Jetzt vffs || [s] newe / (wie folgends aus

Vnd jetzt || [r] Auffs neuwe in ein rich-

Entsprechend wird die internationale Ausrichtung – sofern das „pius quidam vir, Euangelicae veritatis amator“ auf Lauterbach zu beziehen ist – ahistorisch bereits für Vorlage respektive die „Lauterbach-Hänelsche“ Tradition in Anspruch genommen: vgl. REBENSTOCK I, fol. )() 2b – )() 3a: „Et quidem varie, (ut dixi) Mar. Lut. verbum Dei tractauit, non solum in concione, verum etiam in domo sua, in mensa, in peregrinationibus suis, egregie verbum Dei annunciauit, ac celebrauit. Eius colloquia, ac consilia, Germanice descripta, per Typographos in lucem edita sunt. Vt autem colloquia Martini Lutheri, pia, ac salutaria, omnibus, non solum Germanis, sed etiam Italis, Gallis, alijs nationibus, peregrinisque hominibus, linguam Germanicam nescientibus, innotescerent, pius quidam vir, Euangelicae veritatis amator, in Dei laudem, vtilitatemque Ecclesiae, colloquia Martini Lutheri latine conscripsit, multa tamen dicta Germanica interposuit. At quia Typographi, doctorum, piorumque virorum consilio, Martini Lutheri, colloquia, latine in lucem edere proposuerunt, viri pij, fidelissimique petierunt a me, ut Germanica illa dicta, & verba in latinum sermonem verterem.“ 30 Vgl. SELNECKER, Leipzig 1577, fol. a1r: „COLLOQVIA || Oder || Christliche Nützliche || Tischreden || Doctoris Mar=||tini Lutheri / so er in vielen Jaren / gegen Gelehrten Leuten /|| vnd frembden Gesten / vnd seinen Tischgenossen / nach den Heuptstuecken vnse=||rer Christlichen Lehre / gehalten: Erstlich durch Herrn M. Johannem Aurifabrum seligen /|| fleissig zusammen getragen / vnd in druck gegeben: Jetzt auffs newe in ein richtige || Ordnung gebracht / vnd also verfertiget / das sie allen Christen sehr noetig /|| nuetzlich / vnd troestlich / sonderlich in diesen elenden letzten|| zeiten / zu lesen sind.|| […].“ Zu den Titelblättern der Ausgaben von Stangewald s. die folgende Synopse. 29

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tige Ordnung gebracht / Vnd nach || [s] der Vorrede zuersehen) in richtige Ordden geschriebenen Tischreden Doct. Mart. nung bracht / nach den ge=||schriebenen Luth. || Corrigieret. || Johan. Am 6. […] Tischreden / vnd nach den Notationibus etlicher Gottseliger Theologen, trew=||lich corrigirt / mit mehren gedenckwirdigen Tischreden vnd Gesprechen D. Lu=||theri vermehret / vnd also verfertiget / das sie von allen Christen nuetz=||lich vnd seliglich zugebrauchen / vnd darin allerley Lehre /|| Vnterricht / Raht / Trost / Weissagung / Ver=||manung vnd Warnung zu finden. || Zierstück || Joh. 6. […]

Dieser betonte Verweis auf die Korrektur an den „handschriftlichen“ Quellen kann als Indiz eines auf die Tischredenausgaben bezogenen Konservierungs- und Normativierungsprozesses und damit einer „Kanonisierung“ gedeutet werden, zumal aufgrund der Ausführungen Stangewalds im nur in der Ausgabe von 1591 vorhandenen, aber sich auf beide Ausgaben beziehenden Vorwort: „DJeweil aber der erste Abdruck der Tischreden Lutheri / so Anno 66. zu Eißleben ergangen / nicht allein an der Ordnung vielfaltig mangelhafft gewesen / sondern auch in demselben viel frembde Materien / so entweder D. Luthers gantz und gar nicht / oder ie dem Tittel dieses Wercks nicht gemeß / zum theil auch vnrichtig vnd vngegruendet / hin vnd widder mit eingemenget gewesen / das gantze Werck auch durch Vnfleiß der Buchdrucker / vnd anderer / in den Nachdrucken / an vielen Orten verfelschet vnd vorrueckt worden: Als habe ich / aus liebe des tewren werden Schatzes der Schrifften Lutheri / vnnd auff wolgemeinte bitte vnd begeren guthertziger Leute / zu allgemeinem Nutz / das gantze Werck / Anno 71. gar in eine newe richtige Ordnung bracht / die materias peregrinas von den Tischreden abgesondert / vnd in Appendice peculiari angehefftet / Wie dann dasselbe Exemplar Anno 71. zu Franckfurt am Mayn / durch Thomas Rebarts seligen Erben gedruckt / vnd nachmals zu Leipzig etlich mal nachgedruckt worden.“31

Dem damit gegenüber Aurifaber und Selnecker – bedingt auch Rebenstock – erhobenen Anspruch korrespondiert die Wirkungsgeschichte. Die Rebenstocksche Ausgabe fand kaum Absatz.32 Die Ausgabe von Selnecker kannte zumindest zwei weitere Ausgaben, aber nur aus den Jahren 1580 und 1581. Die Stangewaldsche Ausgabe hingegen wurde nach 1591 noch viermal nachgedruckt, letztmalig 1723. Im Hinblick auf die in den analysierten Traditionen greifbaren Facetten der Luthermemoria bzw. der Lutherbilder ist zudem festzuhalten, dass zu 31 32

STANGEWALD, Jena 1591, fol. a5r. Vgl. SCHILLING, Bibliographie, 759f.

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deren Kategorisierung sich das von Volker Leppin forciert eingebrachte Interpretament der „Monumentalisierung“ als multipler Schlüssel erwiesen hat,33 zumal gedächtniskulturell konturiert verstanden als an die „Mitund Nachwelt“ gerichtete Kodierung.34 Mittels diesem konnten die unterschiedlichen Zuspitzungen der analysierten Traditionen sichtbar gemacht werden, bis hin zur Aurifaberschen Betonung der Lehre bei Hintanstellung der Person Luthers. Positiv hervorzuheben ist des Weiteren die Applikabilität in Bezug auf die darstellende Kunst, wie exemplarisch am Bildprogramm der Pirnaer Marienkirche deutlich wurde.35 Obwohl letztlich bereits aufgrund der Nähe zur Apophthegmatik, zumal in Verbindung mit der Konzentration auf die eine Person Luthers, ein solches Verständnis der Überlieferung naheliegt, zeichnete sich jedoch zugleich ab, dass daneben weitere Interpretamente im Blick zu behalten sind. Das Proprium der „Wellerschen Tradition“ konnte nur als Amalgamat von „Heroisierung“ und „Monumentalisierung“ angemessen beschrieben werden, so dass die beiden nicht grundsätzlich, wie von Thomas Kaufmann angedeutet, als sich ablösende Interpretamente verstanden werden müssen. Das Junghanssche Interpretament der „Verherrlichung“ hingegen trat bei den Analysen dieser späten Traditionen, die bereits Luthers Tod voraussetzen, in den Hintergrund. Jedoch ist damit nicht grundsätzlich dessen „Leistungsfähigkeit“ hinsichtlich der „Apophthegmata Lutheri“ verneint. Damit ist implizit angedeutet, dass die in dieser Studie eröffneten neuen Perspektiven der „Tischredenforschung“ im nächsten Schritt auf die früheren Überlieferungen zu übertragen wären. Dies ermöglichte, die Prozesse der „Monumentalisierung“ Luthers im Zusammenspiel und in Abgrenzung von den anderen Interpretamenten zu dessen Lebzeiten und zumindest z.T. auf Grundlage von Personen aus Luthers unmittelbaren Umkreis zu verfolgen und damit in einer Phase, die in der Forschung mit Blick auf die Luthermemoria bzw. das Lutherbild bisher wenig AufmerkAnders MOELLER, Sonderfall, 306: „Und was die Tischreden betrifft, so wird gewiß schon bei ihrer Aufzeichnung bemerkt worden sein, daß sie manchmal eher eine quälende als erbauliche Lektüre sind. Der Zweck dieses Bemühens um die Reden des Reformators dürfte daher nicht so sehr darin bestanden haben, den Meister zu monumentalisieren, als vielmehr ihn sozusagen auszuschlachten. Man hing an seinen Lippen, wollte kein Wörtlein der Vergessenheit anheimgeben, da in jedem eine Wahrheitspartikel vermutet wurde. In seiner ganzen Person sollte der große Mann festgehalten werden.“ Insofern Moeller die Gattung und die verschiedenen Überlieferungsstufen zu wenig beachtet, kann diese Kritik das Ergebnis der vorliegenden Studie kaum in Frage stellen. 34 ASSMANN, Monument, 14. 35 S. in dieser Hinsicht auch KASTEN, Luther-Mythos, 917; KAUFMANN, Anfang, 267; TREU, Luther-Bilder, 97; bedingt auch ROPER, Doktor, die den Begriff nicht aufgreift, aber darauf verweist, dass ab den 1530er Jahren es zur Neuschöpfung des „korpulenten Luther“ gekommen wäre (ebd., 10). 33

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V. Kapitel: Resümee

samkeit fand. Vice versa könnte von hier auch das Diktum vom sog. „alten Luther“, zumal mit Blick auf die verschiedenen „Phasen“ der Überlieferungen, weiter inhaltlich gefüllt werden.36 Auf Grundlage der bereits erfolgten Analysen ist darauf zu verweisen, dass in den als „Monumentalisierung“ beschriebenen memorialen Phänomenen letztlich auch der für die Frühphase der Reformation zu Recht kritisch hinterfragte Begriff der „lutherischen Engführung“ seinen Anhalt hat.37 Das demgegenüber – historisch angemessen – inzwischen in verschiedenen Varianten eingebrachte „Paradigma der Wittenberger Theologengruppe“38 wird von den Apophthegmata-Sammlungen konterkariert. Obwohl in den analysierten Traditionen auch „Stücke“ anderer Autoren, v.a. Melanchthons, aufgenommen wurden, fand dies z.B. in den Titeln keinen Niederschlag. Zudem erhielt Melanchthon in diesen späten Sammlungen keine, seine tatsächliche Bedeutung widerspiegelnde Memoria. Selbst in der „Lauterbach-Hänelschen Tradition“, die am „melanchthonaffinsten“ war, kam ihm keine eigenständige Rolle zu. Das „Melanchthonbild“ der analysierten Apophthegmata-Sammlungen ist im besten Falle ein Luther zu- bzw. untergeordnetes, wenn nicht, wie in der „Wellerschen Tradition“, harsche Kritik an Melanchthon geäußert wird oder die Thematik wie bei Aurifaber mit punktuell melanchthonkritischem Impetus in den Hintergrund tritt. Das damit beschriebene Autoritätsgefälle zwischen Luther und Melanchthon wurde letztlich mit der Konkordienformel bzw. dem Konkordienbuch „kanonisiert“, dennoch blieb die Frage virulent.39 Dass die Tischreden weiterhin aufgelegt wurden – in der Aurifaberschen 36 Zur Bedeutung der Frage nach dem „alten“ Luther, verstanden als innerprotestantische Rezeptionsgeschichte s. KAUFMANN, Existenz. Grundsätzlich zu diesem Forschungsparadigma s. den Überblicksartikel KEßLER, Luther. 37 Vgl. die Diskussion von Berndt Hamm, Bernd Moeller und Dorethea Wendebourg, greifbar im von denselben herausgegebenen Sammelband „Reformationstheorien“. Der Begriff der „Engführung“ wurde von Moeller forciert eingebracht (vgl. MOELLER, Rezeption, 21). Zur Kritik am Begriff s. grundlegend HAMM, Einheit, 119f. mit Anm. 79. 38 Zum „Paradigma der Wittenberger Theologengruppe“ s. MICHEL, Kanonisierung, 4, der damit verschiedene Ansätze umschreibt, d.h. die Rede von der „Wittenberger Gruppenidentität“ (Hans Peter Hasse), der „Wittenberger Kohärenz“ (Ulinka Rublack), der „Diskussionsgemeinschaft“ (Jens-Martin Kruse) dem „Reformatorenkollegium“ (Irene Dingel; Armin Kohnle). 39 In Kursachsen, in dem die beiden handschriftlichen Traditionen zu verorten sind, gab es im Anschluss an den Sturz der „Kryptocalvinisten“ (1574) eine kurze Phase, in der Melanchthons Rolle stärker betont werden sollte (vgl. HASSE, Zensur, 183–211). Zur Diskussion im Vorfeld s.a. MICHEL, Kanonisierung, 271–275. Darauf, dass die Autoritätenfrage weiterhin virulent war, verweist Irene Dingel (vgl. DINGEL, Controversia, 607–619; DINGEL, Ablehnung; s.a. die auf die Historiographie zur CA bezogene Studie DINGEL, Bild).

3. Luthermemoria als eschatologisch-prophetische Monumentalisierung

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wie Selneckerschen bzw. Stangewaldschen Druckfassung – spricht dafür, dass Luther, entgegen der These von Robert Kolb, in seiner Funktion als „norma normata“ nicht gänzlich von den Bekenntnissen abgelöst worden war, seine Autorität nicht gänzlich zu einer „historischen, nicht mehr lebendigen reduziert“ wurde.40 Doch gehen von dieser Studie, deren primäres Anliegen auf die Begriffe „Redaktion“ und „Memoria“ zugespitzt werden kann, über die bisher umschriebenen Akzentsetzungen auch ganz grundsätzliche Impulse für die gegenwärtige Lutherforschung aus. Zu den Errungenschaften der jüngeren Forschung gehören – letztlich grundgelegt im großen Lutherjubiläum des Jahres 1983 –41 die nachdrückliche „Historisierung“ und „Kontextualisierung“ Luthers.42 In konstruktiver Fortführung dieses Anliegens wurden die „Tischredenüberlieferungen“ vor dem zeitgenössischen Hintergrund als „Apophthegmata Lutheri“ verstanden und in ihrem jeweiligen Entstehungskontext verortet. Die von hier zu unterscheidenden Traditionen memorieren in ihrer Auswahl und Tendenz einen Luther mit mehr oder weniger „Goldgrund“, aber – und das ist entscheidend – immer einen Luther mit „Flächengrund“ bzw. einen immer von der „Wirkungsgeschichte“ bereits umfangenen Luther. Eine Auswertung dieses Quellenbestandes, die von dessen daraus resultierender pluralen Positionalität absieht, greift zu kurz. In Konsequenz sind die Ausführungen thematischer bzw. biographischer Lutherstudien, die primär auf Grundlage der „Tischredenüberlieferung“ gewonnen wurden, verstärkt auf den Prüfstand zu

40 Zu dieser These s. KOLB, Umgestaltung, hier: 231. Kritisch äußert sich bereits Hans-Peter Hasse. Diesem ist zuzustimmen, dass Luthers Autorität nicht in Konkurrenz zu den Bekenntnissen zu sehen ist (HASSE, Lutherbiographie, bes. 113–121, 114). Dennoch verkennt sein Argument, dass Selnecker die Autorität Luthers im Jahr 1591 und damit nach Abschluss der corpora doctrina sogar höher eingeschätzt habe, Kolbs eigentliches Anliegen, das die bleibende Autorität Luthers überhaupt nicht leugnet, sondern ihr nur eine andere Funktion zuweist. Die dahinter stehenden Prozesse wurden von Michel angemessen als „Kanonisierung“ entfaltet (s. nochmals MICHEL, Kanonisierung, 237–297). Zu dieser stehen die Druckausgaben der „Tischreden“ mit ihrer „Suggestion“, Luther zu verschiedenen Loci selbst zu Wort kommen zu lassen, in gewisser Weise quer. Darauf, dass diese Überlieferung parallel einen eigenen „Kanonisierunsprozess“ erfährt, wurde bereits hingewiesen (s. S. 568–570). 41 S. diesbezüglich die bilanzierenden Artikel SEEBAß, Goldgrund; EBELING, Befreiung. 42 Dies verbindet trotz unterschiedlicher Verhältnisbestimmung von Mittelalter und Reformationszeit die zur Zeit einflussreichsten Ansätze von Volker Leppin oder Berndt Hamm auf der einen (vgl. exemplarisch LEPPIN, Luther; HAMM, Luther) und Thomas Kaufmann oder Heinz Schilling auf der anderen Seite (vgl. ebenso exemplarisch KAUFMANN, Anfänge; SCHILLING, Luther).

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V. Kapitel: Resümee

stellen und gegebenenfalls zu differenzieren bzw. zu korrigieren.43 Auch wenn man die methodischen Schlussfolgerungen dieser Studie nicht teilen sollte, ist deutlich geworden, dass in zukünftigen thematischen bzw. biographischen Lutherstudien der Rekurs auf diese Überlieferungen – unter Berücksichtigung der Gattungsfrage – (alternativ) methodisch zu reflektieren bzw. zu begründen ist. Es bedarf zumindest einer konsequenten Quellenkritik, die methodisch kontrollierbar ist. Dies erfordert z.T. einen nicht geringen Aufwand, zumal angesichts der „Mängel“ der in der Weimarer Ausgabe vorhandenen Edition oftmals auf die Handschriften (bzw. Drucke) selbst zurückgegriffen werden muss. Doch ist dieser Aufwand unumgänglich, sofern man die „Apophthegmata Lutheri“ weiterhin als Quelle für den „historischen“ Luther auswerten will.44 Des Weiteren hat die Studie exemplarisch das Potenzial der kulturgeschichtlich ausgerichteten Erinnerungsforschung für kirchenhistorische Fragestellungen aufgezeigt.45 Zwar eignet nicht allen Quellengattungen dieselbe hohe Affinität zu einem erinnerungskulturell geschärften Verständnis wie den „Apophthegmata Lutheri“, dennoch ist von den, zumal in der Geschichts- wie Literaturwissenschaft erarbeiteten Einsichten, insbesondere in biographischer Perspektive mit Blick auf Luther und über diesen hinaus, mit einer Schärfung des historischen Verständnisses zu rechnen, v.a. in Verbindung mit „klassischen“ Methoden der Textauslegung. Einen ersten Ertrag stellen die Einsicht in die Pluralität der Luthermemoria bzw. des Lutherbildes und von hier die differenzierte Beschreibbarkeit der lutherischen Konfessionskultur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dar. Insofern konnte neben der „Tischredenforschung“ zugleich die mannigfaltige Forschung zum Lutherbild und zu den Konfessionskulturen konstruktiv fortgeführt werden.

S. hierzu die exemplarischen Hinweise im Forschungsüberblick (s. S. 9–12). Deutlich erleichtert würde diese Arbeit durch die Verwirklichung der Pläne einer EDV-gestützten Neuedition (s. S. 15f.), insofern durch diese eine synchrone Darstellung der Überlieferung mit einer diachronen verbunden werden könnte. Bei der Rückfrage nach dem „historischen“ Luther wäre zudem den methodischen Standards der Exegese, die im Kontext der Überlegungen der Fragen nach dem „historischen Jesus“ entwickelt wurden, Rechnung zu tragen, insbesondere dem „Kohärenzkriterium“ und dem Kriterium der „Mehrfachüberlieferung“ (s. hierzu THEIßEN / MERZ, Jesus, 116– 120). 45 S. in dieser Hinsicht auch MICHEL, Kanonisierung. 43 44

Abkürzungsverzeichnis Nicht aufgeführt sind die in der WA etablierten Handschriften-Siglen (vgl. WA.TR 1, XVII–XXV; WA 48, 370). Die weiteren, in dieser Arbeit verwandten Abkürzungen richten sich nach Siegfried M. Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 3. Auflage (IATG3), Berlin / New York 2014. Bds. BrA 1 BrA 2 BrWJJ BSELK C&C Cl CR E EislA 1 EislA 2 GS JeD 1 LB LD LDHW

LH LStRLO

Philippi Melanchthonis Epistolae, Iudicia, Testimonia aliorumque ad eum Epistolae quae in corpore Reformatorum desiderantur, hg. v. Heinrich Ernst Bindseil, Halle 1874. Aurifaber, Briefausgabe, Bd. 1. Aurifaber, Briefausgabe, Bd. 2. Briefwechsel des Justus Jonas. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, hg. von Irene Dingel im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen / Bristol 2014. Controversia et confessio. Quellenedition zur Bekenntnisbildung und Konfessionalisierung (1548–1580), 9 Bde., hg. von Irene Dingel, Göttingen 2008ff. Luthers Werke in Auswahl, Bd. 1–8, hg. von Otto Clemen, Berlin 1930– 1935. Corpus Reformatorum, Bd. 1–28: Philipp Melanchthon: Opera […] omnia, hg. von Karl Gottliebe Brettschneider / Heinrich Ernst Bindseil, Halle / Braunschweig 1834–1860. Dr. Martin Luther’s Briefwechsel, Bd. 1–19, hg. von Ernst Ludwig Enders, Frankfurt am Main u.a. 1884–1932. Aurifaber, Eislebener Ausgabe, Bd. 1. Aurifaber, Eislebener Ausgabe, Bd. 2. Gesamtausgabe. Andreas Osiander d. Ä., Bd. 1–10, hg. von Gerhard Müller / Gottfried Seebaß, Gütersloh 1975–1996. Jenaer Lutherausgabe. Deutsche Reihe, Bd. 1. Desiderii Erasmi Roterami Opera Omnia, Bd. 1–10, hg. von Jean LeClerc, Leiden 1703 = ND Hildesheim 1961/62. Luther Deutsch. Die Werke M. Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, Bd. 1–10, hg. von Kurt Aland, Stuttgart 41991. Georges, Karl Ernst: Lateinisch-Deutsch. Deutsch-Lateinisch. Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Kleines deutschlateinisch Handwörterbuch. Faksimile und Volltext, Berlin 22004 (= Digitale Bibliothek 69). Luther-Historien. Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie.

576 LuLex Mü3 Erg

Abkürzungsverzeichnis Das Luther-Lexikon, hg. von Volker Leppin / Gury Schneider-Ludorff unter Mitarbeit von Ingo Klitzsch, Regensburg 22015. Münchner Ausgabe Ergänzungsreihe: Martin Luther. Ausgewählte Werke, 3. Auflage, Bd. 1–7, hg. von Hans Heinrich Borcherdt / Georg Merz, München 31948–1965. Rebenstocksche Ausgabe, Bd. 1. Rebenstocksche Ausgabe, Bd. 2. Aurifaber, Tischredenausgabe, Eisleben 1566. Aurifaber, Tischredenausgabe, Eisleben 1567.

Reb I Reb II TR TR 1567 TR Frankfurt 1568 Aurifaber, Tischredenausgabe, Frankfurt 1568. Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften, Bd. 1–24, hg. von Johann Georg W1 Walch, Halle 1740–1753. Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften, Bd. 1–23, hg. von Johann Georg W2 Walch, 2. überarbeitete Auflage, Missouri 1880–1910. WiLat 1 Wittenberger Lutherausgabe. Lateinische Reihe, Bd. 1.

Quellenverzeichnis Nicht aufgeführt sind die Handschriften, die über Schäufele, Beständeübersicht ausgewertet wurden. Ebenso wurde darauf verzichtet, Texte aus Standardausgaben (WA; CR o.ä.) aufzunehmen.

1. Ungedruckte Quellen Forschungsbibliothek Gotha Chart. A 262: Martin Luther: Tischreden. Chart. A 402: Martin Luther: Briefe und Tischreden (Codex Besoldi) = F. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Halle (ULBH) – Außenstelle Franckesche Stiftungen D 116 2°: Handschrift des Waisenhauses in Halle = Halle. Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Sup. ep. 4° 73: Ad historiam reformationis spectantia. I. = H. Sup. ep. 4° 74: Ad historiam reformationis spectantia. II. = H 74. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) Ms. Bos. O 17C: Martin Luther (Autographen): Tischreden, Briefe, Konzepte – Philipp Melanchthon: Katechismus – Urbanus Rhegius: Examen – Caspar Cruciger, Johannes Bugenhagen, Justus Jonas: Briefe. Ms. Bos. q. 24c: Martin Luther: Predigten des Jahres 1541 – Protokolle der Bibelrevision von 1539 bis 1541 – Martin Luther: Tischreden – Wittenberger Briefe. Ms. Bos. q. 24f: Martin Luther: Predigten der Jahre 1535/36 – Tischreden – Bucheinzeichnungen – Briefe. Ms. Bos. q. 24h: Philipp Melanchthon: Exegetische Vorlesungen (1548 bis 1551) – Martin Luther: Vorreden – Nikolaus von Amsdorff: Streitschriften. Ms. Bos. q. 24p: Martin Luther: Psalmenvorlesung (1532/1533) – kurze Auslegung der Sonntagsevangelien – Tischreden. Ms. Bos. q. 24r: Martin Luther: Briefe, Tischreden – sonstige Briefe – Geistliche Lieder – Georg Rörer: Verzeichnis der Handschriftensammlung von Johann Stoltz, Vorarbeiten zur Jenaer Lutherausgabe. Jena, 1553–1557. Ms. Bos. q. 24s: Martin Luther und Philipp Melanchthon: Briefe, Tischreden und Buchvorreden (1550–1553). Ms. Bos. q. 24u: Martin Luther: Briefe, Predigten – Bibelrevisionsprotokoll von 1544 – Philipp Melanchthon: Vorlesungen – Caspar Cruciger: Psalmenvorlesung, Predigten. Ms. Bos. q. 25c: Martin Bott Verzeichnis der Sammlung Georg Rörers, sogenanntes Einlieferungsprotokoll vom 25. Mai 1557.

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Quellenverzeichnis

Hessisches Staatsarchiv Marburg (StAMr) Best. 83 Nr. 4170: Heinrich Peter Rebenstock an den Kirchenrat der Grafschaft Hanau. Eingegangen am 23. Dezember 1565. Best. 83 Nr. 6426, fol. 46r–47r: Konsistorium Hanau, Visitationsprotokoll 1562: Eschersheim. Stadtbibliothek Nürnberg Cent. V, App. 75: Nürnberger Veit-Dietrich-Handschrift. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar. Ernestinisches Gesamtarchiv (ThHStAW, EGA) Reg. O 774: Briefe wegen der Anstellung Rörers und der Jenaer Lutherausgabe. 1553– 1556. Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel (NStAW) 2 Alt 14942: Des Mag. Andreas Stangwald aus Preußen beabsichtigte korrekte BibelEdition nach Luthers, Melanchthons und anderer Theologen Schriften, auch einige von ihm selbst verfasste Bücher betreffend, und deswegen von D. Martin Chemnitz und der theologischen Fakultät in Helmstedt erhobene Bedenken, Bd. 1. 1584.

2. Gedruckte Quellen 2.1. Apophthegmata Lutheri („Tischreden“) BINDSEIL, Colloquia: D. Martini Lutheri Colloquia, Meditationes, Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae e Codice Ms. Biblothecae Orphanotrophei Halensis cum perpetua collatione editionis Rebenstockianae, 3 Bde., hg. von Heinrich Ernst Bindseil, Lemgo / Detmold 1863–1866. Colloquia Frankfurt 1567: COLLOQVIA || Oder || Tischreden Doc=||tor Martini Lutheri/ so er in vielen || jaren/ die Zeyt seines Lebens/ gegen Gelehrten Leuthen/|| auch hin vnd wider bey frembden Gesten/ vnd seinen Tischgesellen ge=||fuehret ... || Durch Herrn Johann Aurifaber.|| ... || Frankfurt am Main: Schmidt, Peter, 1567 [VD16: L 6751]. Colloquia Frankfurt 1568: COLLOQVIA || Oder || Tischreden Do=||ctor Martini Lutheri/ so er in vilen || Jaren ... gegen Gelehrten Leuthen/|| ... vnd seinen Tischgesellen gefueret ... || Anfencklichs von M. Anthonio Lauterbach zůsam en getragen/ Hernacher ... || gemehret || Durch Johannem Aurifabern.|| Weiter ist auch hinzů kommen ein Neuwer Anhang/ etlicher Tischreden/ So ... D.|| Martin Luther ... || gefueret hat/ sampt vielen Trostschrifften/ Sendbriefen ... || Jetzunder auffs Newe auß vielen ... Buechern zů=||sammen getragen/ vnd ... || Durch einen liebhaber der Theologia an Tag geben.|| Frankfurt am Main: Schmidt, Peter, 1568 [VD16: L 6753]. FÖRSTEMANN / BINDSEIL, Tischreden: D. Martin Luthers Tischreden oder Colloquia, so er in vielen Jahren gegen gelahrte Leuten, auch fremden Gästen und seinen Tischgesellen geführet, nach den Häuptstücken unserer christlichen Lehre zusammen getragen. Nach Aurifaber’s erster Ausgabe mit sorgfältiger Vergleichung sowohl der Stangwald’schen als der Selneccer’schen Ausgabe, 4 Bde., hg. von Karl Eduard Förstemann / Heinrich Ernst Bindseil, Leipzig / Berlin 1844–1848.

2. Gedruckte Quellen

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KROKER, Mathesischen Sammlung: Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung aus einer Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, hg. von Ernst Kroker, Leipzig 1903 (= SSKG 7). LOESCHE, Analecta: Loesche, Georg: Analecta Lutherana et Melanthoniana. Tischreden Luthers und Aussprüche Melanchthons, hauptsächlich nach Aufzeichnungen des Johannes Mathesius; aus der Nürnberger Handschrift des Germanischen Museums mit Benutzung von D. Joh. Karl Seidemanns Vorarbeiten, Gotha 1892. PREGER, Schlaginhaufen: Tischreden Luthers aus den Jahren 1531 und 1532 nach den Aufzeichungen von Johann Schlaginhaufen, hg. von Wilhelm Preger, Leipzig 1888. Reb I: COLLOQVIA, || MEDITATIO-||NES, CONSOLATIONES, || CONSILIA, IVDICIA, SENTEN-||tiae Narrationes, Responsa, Facetiae, D. Mart. || Luth. piae & sanctae memoriae, in mensa pran-||dij & coenae, & in peregrinationibus, ob-||seruata & fideliter trans-||scripta. || TOMVS PRIMVS. || Ne erres Lector, scias haec, non ex D. Aurifabri, || sed ex alterius collectione, ante annos 10. ad || aeditionem parata, sed hactenus pro-||pter certas causas suppressa, ad||nos peruenisse. [...] Frankfurt am Main: Basse, Nikolaus / Feyerabend, Hieronymus, 1571 [VD16: L 6768]. Reb II: COLLOQVIA, || MEDITATIONES, CONSO-||LATIONES, RESPONSA, IV-||dicia, Consilia, Sententiae, || Narrationes, Fa-||cetiae. || D. MARTINI LVTHERI, || piae & sanctae Memoriae, in Men-||sa, prandij, & coenae, & in pe||regrinationibus. || Obseruata et fideliter trans-||scripta. || TOMVS SECVNDVS. […] Frankfurt am Main: Basse, Nikolaus / Feyerabend, Hieronymus, 1571 [VD16: L 6768]. SEIDEMANN, Tagebuch: M. Anton Lauterbach’s, Diaconi zu Wittenberg, Tagebuch auf das Jahr 1538, die Hauptquelle der Tischreden Luther’s, hg. von Johann Karl Seidemann, Dresden 1872. SELNECKER, Leipzig 1577: COLLOQVIA || Oder || Christliche Nützliche || Tischreden || Doctoris Mar=||tini Lutheri / so er in vielen Jaren / gegen Gelehrten Leuten / || [s] vnd frembden Gesten / vnd seinen Tischgenossen / nach den Heuptstuecken vnse=||rer Christlichen Lehre / gehalten: Erstlich durch Herrn M. Johannem Aurifabrum seligen / || fleissig zusammen getragen / vnd in druck gegeben: Jetzt auffs newe in ein richtige || Ordnung gebracht / vnd also verfertiget / das sie allen Christen sehr noetig / || nuetzlich / vnd troestlich / sonderlich zu diesen elenden letzten || zeiten / zu lesen sind. || Sampt einer newen Vorrede / vnd kurtzen Beschreibung des Lebens vnd || wandels Herrn Doctoris Lutheri / auch sehr nuetzlichem Register am Ende dieses Buches ange =|| henget / aller Buecher vnd Capitel der Goettlichen heiligen Schrifft / wo / vnd wenn || dieselbigen der Herr Doctor Lutherus außgelegt / vnd erkleret habe / || vnd in welchen Tomis solche außlegung zu || finden sey. || Quae semel edocuit diuina mente Lutherus, || Haec retinet verae grex pietatis amans. || Nicolaus Selneccerus. D. || Johan. 6. || Samlet die vbrigen Brocken / auff das nichts vmbkomme […] Leipzig: Bärwald, Jakob (Erben), 1577 [VD16: L 6763]. STANGEWALD, Frankfurt 1571: COLLOQVIA || Oder || Tischreden Doc=||tor Mart. Luthers / So er in vielen || Jaren / gegen Gelärten Leuten / auch frembden Gesten / vnd || seinen Tischgesellen gefuehret / Nach den Haeuptstuecken vnserer || Christlichen Lehre / zusammen getragen. Vnd jetzt || Auffs neuwe in ein richtige Ordnung gebracht / Vnd nach || den geschriebenen Tischreden Doct. Mart. Luth. || Corrigieret. || Johan. am 6. || Samlet die vbrigen Brocken / Auff

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Quellenverzeichnis

das nichts vmbkomme. […] Frankfurt am Main: Rebart, Thomas (Erben), 1571 [VD16: L 6757]. STANGEWALD, Jena 1591: COLLOQVIA, || Oder / Christliche nuetzliche || Tischreden || Doctoris Mar || tini Lutheri / von den Heuptartickeln Christlicher Lehre / vnd || andern Christlichen vnd nuetzlichen Sachen / welche er in Collationen / am || Tisch / vnd sonsten / gegen Gelerten Leuten / gegen seinen getrewen || Mitgehuelffen / auch gegen seinen Tischgenossen / frembden || Gesten / vnd andern bekuemmerten vnd angefoch=||tenen Personen gefuehret. || ERstlich / durch M. JOANNEM AURIFABRVM, || VINARIENSEM, Anno 1566. in Druck gegeben / etc. Jetzt vffs || newe / (wie folgends aus der Vorrede zuersehen) in richtige Ordnung bracht / nach den ge=||schriebenen Tischreden / vnd nach den Notationibus etlicher Gottseliger Theologen, trew=||lich corrigirt / mit mehren gedenckwirdigen Tischreden vnd Gesprechen D. Lu=||theri vermehret / vnd also verfertiget / das sie von allen Christen nuetz=||lich vnd seliglich zugebrauchen / vnd darin allerley Lehre /|| Vnterricht / Raht / Trost / Weissagung / Ver=||manung vnd Warnung zu finden. […] Joh. 6, 12 […] Jena: Steinmann, Tobias, 1591 [VD16: L 6766]. TR: Tischreden || Oder || COLLOQVIA DOCT.|| Mart: Luthers / So er in vielen || Jaren / gegen gelarten Leuten / auch frembden Ge=||sten/ vnd seinen Tischgesellen gefüret / Nach || den Heubtstücken vnserer Christli=||chen Lere / zusammen || getragen […]. Eisleben: Gaubisch, Urban, 1566 [VD16: L 6748]. TR 1567: COLLOQVIA || Oder || Tischreden || D. Mart: Luthers ... || ... Auffs newe Corrigieret. [...] Eisleben: Gaubisch, Urban, 1567 [VD16 L 6749]. TR Frankfurt 1568: COLLOQVIA || Oder || Tischreden Doc=||tor Mart. Luthers ... || ... Auffs newe Corrigieret. [...] Frankfurt am Main: Lechler, Martin „in verlegung Simon Hüters“, 1568 [VD16: L 6752]. WRAMPELMEYER, Tagebuch: Tagebuch über Dr. Martin Luther geführt von Dr. Conrad Cordatus 1537, hg. von Hermann Wrampelmeyer, Halle 1885. 2.2.

Andere Quellen

ALBER, Carlstader: Wider die ver=||fluchte Lere der Carlsta||der/ vnd alle f[ue]rnemste Heubter || der Sacramentirer/ Rottengeister/ Wi=||derteuffer/ Sacramentlesterer/ Ehe||schender/ Musica verechter/ Bild||st[ue]rmer/ Feiertagfeinde/ vnd || verw[ue]ster aller guten || ordnung.|| Erasmus Alberus Doctor/ vnd || Superintendens zu Newenbrandenburg || im land zu Meckelnburg.|| [...] Neubrandenburg: Brenner, Anton / Brenner, Walter, 1565 [VD16: A 1563]. –: Controfactur: Eilend aber doch wol getrof=||fen Controfactur, da Jörg || Witzel abgemalet ist, wie er den Judas || Jscharioth, so gar enhlich sicht,|| durch D. Erasmum || Alberum.|| [s. l.] 1543 [VD16: A 1490]. –: Dialogi: Zehen Dialo=||gi: F[ue]r die Kinder/ so an=||fangen zu reden/ vnd verne=||men k[oe]nnen.|| Erasmus Alberus […] Mühlhausen: Hantzsch, Georg, 1570 [VD16: ZV 107]. –: Dialogus: Alber, Erasmus: Dialogus vom Interim. 1548: C&C 1, (551) 559-692 [Nr. 11]. –: Glaub: DAS DER || GLAVB AN JESVM || Christum alleyn gerecht vnnd selig || mach/ widder Jörg Witzeln Mam||meluken vnd Jschario=||then.|| Jtem von Jörg Witzels leben/ vnd || dabei Ludus Syluani ver=||deudscht/ ser kurtzweilig || zu-

2. Gedruckte Quellen

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lesen.|| Erasmus Alberus.|| Schwäbisch Hall: Braubach, Peter, 1539 [VD16: A 1484]. –: Tugent: Das Buch von || der Tugent vnd Weiß=||heit/ nemlich/ Neun vnd viertzig Fa=||beln/ der mehrer theil auß Esopo gezo=||gen/ vnd mit guten Rheimen ver=||kleret ... || Durch D.|| Erasmum Alberum […] Frankfurt am Main: Braubach, Peter, 1557 [VD16: A 556]. –: Wolthat: Die grosse Wolthat/|| So vnser HEr||re Gott/ durch den threwen || vnd thewren Propheten/ D. Mar=||tinum Luther/ in der Graffschafft Mans=||feld geboren/ der Welt erzeiget/ Vnd den || R[oe]mischen Widerchrist geoffenbaret || Man findet auch die Na=||men der Feinde Gottes/ so Doctor || Martinus mit der heiligen Schrifft ge=||schlagen/ vnd vberwunden hat.|| Jn Reimen k[ue]rtzlich zusammen gefasset. [s.l.], 1546 [VD16: A 1493]. ALBRECHT / FLEMMING, Manuscriptum: Albrecht, Otto / Flemming, Paul: Das sogenannte Manuscriptum Thomasianum. Aus Knaakes Abschrift veröffentlicht, in: 11 (1914), 205–235; 12 (1915), 241–284; 13 (1916), 1–39.81–123. 161–199. 277–303. Album Academiae Vitebergensis 1502–1602, hg. von Karl Eduard Förstemann, Leipzig 1841. AMSDORF, Adiaphoristen: Das nie nöter ge=||west ist wider den Römischen An=||tichrist zu schreiben/ vnnd predi=||gen/ denn jtzundt zu dieser zeit do || die Adiaphoristen mit gewalt in jhrenn || schrifften dringen/ das man sich vnter den || Bapst begeben/ vnnd jhn für ein Bis=||schoff vnd hirten der seelen wid=||derumb erkennen vnnd || annemen sol.|| Niclas von Amsdorff,|| EXVL.|| Prima Ianuarij.|| Magdeburg: Lotter, Michael, 1551 [VD16: A 2343]. ANONYMUS, Klag: Anonymus, Eines Sächsischen Maidlein Klag und Bitt. 1548: C&C 1, (957) 959–962 [Nr. 22]. AREND, Hanau-Münzenberg: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 10: Hessen 3: Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg, hg. von Sabine Arend, Tübingen 2012. AURIFABER, Antwort = Antwort Joan=||nis Aurifabri/ auff die Lester=||schrifft Christophori Walthers/|| von wegen des ersten Eis=||lebischen Tomi. Eisleben: Gaubisch, Urban, 1565 [VD16: G 2569]. –: Auslegung: Kurtze vnd trœstliche || Auslegung vber die ersten Zwœlff || Psalmen/ so D. Martin Luther se=||liger gedechtnis/ im xxx.Jahr/|| zu Coburg auff dem Schloss/|| seiner guten freund einem || zu Trost vnnd vnter=||richt furge=||schrieben.|| Erfurt: Stürmer, Gervasius, 1548 [VD16: B 3520]. –: BrA 1: EPISTOLARUM || REVERENDI PATRIS || Domini D.Martini Lutheri, Tomus primus, || continens scripta viri Dei, ab anno mil= ||lesimo quingentesimo septimo, || usque ad annum vice= ||simum secun= ||dum || A IOHANNE AVRI= ||fabro, aulae Vinariensis con= ||cionatore collectus […]. Jena: Rödinger, Christian d. Ä., 1556 [VD16: L 4649]. –: BrA 2: SECVNDVS TOMVS || EPISTOLARVM REVERENDI || PATRIS DOMINI DOCTORIS MARTINI || LVTHERI, CONTINENS SCRIPTAS AB || anno Millesimo quingentesimo vigesimosecun-||do, vsq; in annum vigesimum || octauum.|| A IOANNE AVRIFABRO || COLLECTVS […]. Eisleben: Petri, Andreas, 1565 [VD16: L 4652]. –: EislA 1: Der Erste Theil || Der Bücher/ Schrifften/ vnd || Predigten des Ehrwirdigen Herrn/ D. Martin Luthers || deren viel weder in den Wittenbergischen noch Jheni=||schen Tomis zufinden ... || jtzt nach ordenung der Jarzal/ als vom ||

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Quellenverzeichnis

M.D.XVI. bis in das M.D.XXIX.|| jar ... || zusamen ge=||tragen […]. Eisleben: Gaubisch,Urban, 1564 [VD16: L 3357]. –: EislA 2: Der Ander Teil || Der Bücher/ Schrifften/ vnd || Predigten des Ehrwirdigen Herrn/ D. Martin Luthers/|| So in den Wittenbergischen vnd Jhenischen Tomis || nicht zu finden ... || nach ordnung der jarzal/ als vom || M.D.XXX. bis in das M.D.XXXVIII.|| ... zusamen getragen/|| vnd zugericht […]. Eisleben: Gaubisch, Urban, 1565 [VD16: L 3359]. –: Predigten: Vier Predig=||ten des Ehrwirdigen Herrn D.|| Martini Luthers/ zu Eisle=||ben vor seinem abschied || aus diesem leben || gethan. Wittenberg: Lufft, Hans, 1546 [VD16: L 6963]. –: Psalm: D. Martini Lu=||thers auslegung/ vber den || 129. Psalm Verdeutscht/|| zu diesen betrübten zeiten || fast nützlich zu lesen.|| Auch desselbigen/ etliche || Trostbrieff/ an betrüb=||te Personen. Magdeburg: Lotter, Michel, 1550 [VD16: L 4995]. –: Trostschriften: Etliche schöne Trost||schrifften/ des Ehrwirdigen Herrn || Doctoris Martini Lutheri/ So || er an den Durchleuchtigsten Fürsten vnd Herrn || Hertzog Joannes/ Churfürsten zu Sachsen/|| Gottseliger gedechtnis/ Vnd an andere || seine Herrn vnd gute Freunde ge=||than/ sehr tröstlichen || zu lesen. Erfurt: Stürmer, Wolfgang, 1547 [VD16: L 4705]. AURIFABER / STOLTZ, Artikel: Artikel der Euange=||lischen Lere/ so da hetten sollen || auffs Concilium vberantwort || werden/ wo es sein würde/ Vnd vom gewalt || des Bapsts/ vnd seiner Bischoffe/|| was in dem allen/ vnd wie et=||was zugeben/ oder nicht/|| zuuor also nie auss=||gangen.[v. Philipp Melanchthon]|| Gestellet auff dem Tage zu || Schmalkalden. Anno. 1537. Mit vn=||terschreibung vieler Lande vnd || Stedte Theologen.|| Jtzt ... || aus Fürstlichem be=||fehl zu Weymar/ durch die Hoff=||prediger daselbst in druck || geben. Magdeburg: Lotter, Michael, 1553 [VD16: ZV 10063]. –:Verlegung: Kurtze Verlegung der || vnchristlichen Practica Magistri || Johannis Hebenstreits/ auff das jar 1554.|| zu Erffurd ausgangen.|| Durch die Hoffprediger zu Wei=||mar/ Johannem Stoltzen vnd Jo=||hannem Aurifabrum. Jena: Rödinger, Christian d.Ä., 1554 [VD16: S 9266]. BONNUS, Farrago: FARRAGO || PRAECIPVORVM EX=||emplorum, de Apostolis, Martyribus, Episco||pis, et Sanctis Patribus ueteris Ecclesiae, qui || docentes uerbum Dei, et ueritatem illius adse=||rentes Christianae religioni fideliter patrocina=||ti sunt. Quorum cognitio in primis utilis et || necessaria praedicatoribus || uerbi Dei.|| Collecta per Hermannum Bonnum || uirum pium et doctum.|| ... || Schwäbisch Hall: Braubach, Peter, 1539 [VD16: B 6631]. BUCHWALD, Ordiniertenbuch: Wittenberger Ordiniertenbuch. 1537–1560, hg. von Georg Buchwald, Leipzig 1894. BUGENHAGEN, Leichenpredigt: D. Johann Bugenhagen’s Leichenpredigt auf D. Martin Luther, in: Förstemann, Denkmale, 87–98 (Nr. 28). BURKHARDT, Mittheilungen: Neue Mittheilungen zur Korrespondenz der Reformation, hg. von Carl August Hugo Burkhardt, in: ZKWL 10 (1889), 430–434. BURMEISTER, Briefwechsel: Achilles Pirmin Gasser (1505–1577). Arzt und Naturforscher, Historiker und Humanist, Bd. 3: Briefwechsel, hg. von Karl Heinz Burmeister, Wiesbaden 1975. C&C 1: Reaktionen auf das Interim. Der interimistische Streit (1548–1549), hg. von Irene Dingel, Göttingen 2010.

2. Gedruckte Quellen

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C&C 2: Der Adiaphoristische Streit (1548–1560), hg. von Irene Dingel, Göttingen 2012. C&C 3: Der Majoristische Streit (1552–1570), hg. von Irene Dingel, Göttingen 2014. C&C 4: Der Antinomistische Streit (1556–1571), hg. von Irene Dingel, Göttingen 2016. CHYTRAEUS, Epistolae: Davidis Chytraei theologi ac historici eminentissimi, Rostochiana in Academia Professoris quondam primarii Epistolæ; Ob miram rerum varietatem styliq[ue] elegantiam cuiuis lectu iucundissimæ, Nunc demum in lucem editæ a Davide Chytraeo authoris filio, Hannover: Aubrius, Johannes, 1614 [Ex. SUB Göttingen]. CLEMEN, Briefe: Briefe aus der Reformationszeit, hg. von Otto Clemen, in: ZKG 31 (1910), 81–105; 300–323. –: Nürnberg: Briefe von Veit Dietrich und Hieronymus Besold in Nürnberg, hg. von Otto Clemen, in: ZBKG 16 (1941) 144–151. –: Melanchthon: Briefe sächsischer Staats- und Schulmänner an Melanchthon, hg. von Otto Clemen, in: NASG 63 (1942) 156–170. COCHLAEUS, Colloquium: Colloquium Cochlaei cum Luthero Wormatiae olim habitum (1521), hg. von Joseph Greving, in: Clemen, Otto (Hg.): Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, IV, Leipzig 1911, (177) 192–218. –: Commentaria: COMMENTARIA || IOANNIS COCHLAEI, DE ACTIS || ET SCRIPTIS MARTINI LVTHERI SAXONIS, || Chronographice, Ex ordine ab Anno Domini, M.D.XVII. || vs[que] ad Annum M.D.XLVI. Inclusiuè, || fideliter conscripta. || Adiunctis Duobus Indicibus & Edicto Vuormaciensi. || Mainz 1549 [Ex. Regensburg, Staatliche Bibliothek – 999/2 Theol. Syst. 102]. –: Entschuldigung: Hertzog Georgens || zu Sachssen Ehrlich vnd || grundtliche entschuldi=||gung/ wider Martin || Luthers Auffruerisch || vñ verlogenne brieff || vnd Verantwor=||tung.|| Zu Dressden. M.D.XXXiij. || Leipzig: Blum, Michael, 1533 [VD16: C 4324]. COELIUS, Leichenpredigt: M. Mich. Cölii Sermon über der seligen Leiche D. Martin Luther’s am Morgen des 20. Febr. in der Andreaskirche zu Eisleben gethan, in: Förstemann, Denkmale, 54–74 (Nr. 18). Confessio et Sententia: CONFESSIO || ET SENTENTIA || MINISTRORVM VERBI IN || COMITATV MANSFELDENSI,|| DE DOGMATIS QVORVN/||DAM PROXIMO TRI/||ENNIO PVBLICE || EDITIS. Eisleben: Gaubisch, Urban, 1565 [VD16: C 4823]. Confutatio: ILLVSTRISSIMI || PRINCIPIS AC DOMINI, DO=||MINI IOHANNIS FRIDERICI SECVNDI, DVCIS || Saxoniae ... || suo ac Fratrum D.Iohannis Vuilhelmi, et D.Iohannis Friderici natu || Iunioris nomine, solida et ex Verbo DEI sumpta Confutatio et condem=||natio praecipuarum Corruptelarum, Sectarum, et errorum, hoc tempore ad || instaurationem et propagationem Regni Antichristi Rom. Pontificis ... || grassantium ... || ad suae Celsit. et Fratrum suorum subditos cuiuscunquè || Ordinis scripta et edita. Jena: Rebart, Thomas, 1559 [VD16: S 1100]. DELIUS, Briefwechsel Mykonius: Delius, Hans-Ulrich: Der Briefwechsel des Friedrich Mykonius (1524–1546). Ein Beitrag zur allgemeinen Reformationsgeschichte und zur Biographie eines mitteldeutschen Reformators, Tübingen 1960 (= SKRG 18 / 19). –: Ergänzungen: Delius, Walter: Ergänzungen zum Briefwechsel des Justus Jonas, in: ARG 42 (1951), 136–145.

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Quellenverzeichnis

ERASMUS, Apophthegmata: APOPHTHE||GMATVM, SIVE SCITE DICTORVM || Libri Sex, ex optimis quibus[que], utrius[que] linguae autori||bus Plutarcho praesertim excerptorum, cum breui com/ || moda[que] explicatione, quae tum lucem addit obscuris || tum dicti sensum argutiam[que], nonnumquam & usum || indicat, per DES. ERASMVM ROTERODA/||MVM Opus non minus bonae frugis quam || uoluptatis allaturum studiosis. Nunc primum excusum. Basel: Froben, Johann (Erben), 1531 [VD16: E 2035]. [s.a. Erasmus von Rotterdam. Apophthegmata. Spruchweisheiten, hg. von Heribert Philips, Würzburg 2001]. –: Colloquia: Erasmus, Desiderius: Opera Omnia, I–3: Colloquia, hg. von Léon-Ernest Halkin / Franz Bierlaire / René Hoven, Amsterdam 1972. –: LB: Desiderii Erasmi Roterami Opera Omnia, Bd. 1–10, hg. von Jean LeClerc, Leiden 1703 = ND Hildesheim 1961/62. –: Schriften: Erasmus von Rotterdam. Ausgewählte Schriften. Lateinisch und Deutsch, Bd. 1–8, hg. von Werner Welzig, Darmstadt 1967–1980. ERICEUS, Sylvvla sententiarum: SYLVVLA || SENTENTI-||ARVM, EXEMPLORVM,|| HISTORIARVM, ALLEGORIARVM, SI-||militudinum, Facetiarum, Partim ex Reuerendi Viri, || D. MARTINI LVTHERI, ac PHILIPPI MELANCHTHONIS || cum priuatis tum publicis relationibus: Partim ex alio-||rum ueterum atq; recentium Doctorurm monu-||mentis obseruata, et in Locos Communes || ordine Alphabetico disposita.|| Cum rerum & uerborum Indice || Frankfurt am Main: Schmidt, Peter / Feyerabend, Sigmund, 1566 [VD16: E 3764]. FISCHLIN, Memoria: Fischlin, Ludwig Melchior: Memoria theologorum Wirtembergensium resuscitata, 3. Supplementa, Ulm 1710. [FLACIUS], Consultatio: [Matthias Flacius], Consultatio de conscribenda accurata historia ecclesiae, [o.O.] [März 1554], in: Schottenloher, Karl: Pfalzgraf Ottheinrich und das Buch. Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Publizistik, Münster i.W. 1927, 147–157 (= RST 50/51). –: Protestation: [Matthias Flacius], Eine gemeine Protestation. 1548: C&C 1, (135) 143–179 [Nr. 5]. FLEMMING, Briefwechsel: Flemming, Paul: Zum Briefwechsel Georg Rörers, in: BBKG 19 (1931), 27–37. FÖRSTEMANN, Denkmale: Förstemann, Karl Eduard (Hg.): Denkmale, dem D. Martin Luther von der Hochachtung und Liebe seiner Zeitgenossen errichtet, Nordhausen 1846. GALLUS, Gegenbericht: Gallus, Nikolaus: Gegenbericht auf D. Pfeffingers Glossen. 1550: C&C 2, (735) 741–751 [Nr. 7]. GAST, Convivalium: CONVIVALIVM || SERMONVM LIBER, MERIS IO=||cis ac salibus non impudicis, ne[que] lasci-||uis, sed utilibus et serijs refertus, non=|| nunquam etiam admixtae sunt iucundae || & uerae narrationes, ea[que] omnia ex ua= || rijs cum ueterum, tum recentium || monumentis decerpta per || Ioannem Peregrinum || Petroselanum. || Iam denuo auctus.|| Libellum de uarijs moribus Vrbium, Virorum et Mu=||lierum sane perquam elegantem et || frugiferum adiecimus || Basel: Westheimer, Bartholomaeus, 1542 [VD16: G 526]. GREFF, Trostlied: Greff, Joachim: Trostlied für Johann Friedrich von Sachsen. 1548, in: C&C 1,(917) 921–941 [Nr. 20]. GREGOR DER GROßE, Dialoge: Gregor der Große: Der hl. Benedikt. Buch II der Dialoge. Lateinisch/deutsch, hg. von der Salzburger Äbtekonferenz, St. Ottilien 2 2008.

2. Gedruckte Quellen

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GS: Gesamtausgabe. Andreas Osiander d. Ä. Bd. 1–10, hg. von Gerhard Müller / Gottfried Seebaß, Gütersloh 1975–1996. HERRMANN, JOHANNES / WARTENBERG, GÜNTHER (Hg.): Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 4: 26. Mai 1548 – 8. Januar 1551, Berlin 1992 (= ASAW.PH 72). HONDORFF, Promptuarium Exemplorum: Promptvarivm Exemplorvm || Historienn || vnd Exempel buch || Aus Heiliger Schrifft/ und vielen andern bewerten vnd || beglaubten Geistlichen vnd Weltlichen Büchern vnd || Schrifften gezogen […] || Durch || Andream Hondorff / Pfarherrn zu || Dreissig || [...] || Leipzig: Bärwald, Jakob, 1568 [VD16: H 4729]. JONAS, Leichenpredigt: Des D. Jonas Leichenpredigt auf D. Luther, in: Förstemann, Denkmale, 33–66 (Nr. 14). –: BrWJJ: Der Briefwechsel des Justus Jonas, 2 Bde., hg. von Gustav Kawerau, Halle 1884/85 (= Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 17). KALKOFF, Depeschen: Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstage 1521, übersetzt und erläutert von Paul Kalkhoff, Leipzig 21897. KAWERAU, Beiträge: Zwei kleine Beiträge zur Luther-Biographie, hg. von Gustav Kawerau, in: ZKWL 1 (1880), 49–52. –: Briefe: Briefe des Nürnbergers Hieronymus Besold aus Wittenberg 1541 und 1542, hg. von Gustav Kawerau, in: BBKG 18 (1912), 38–47. 81–89. KOLDE, Analecta: Analecta Lutherana. Briefe und Actenstücke zur Geschichte Luthers; zugleich ein Supplement zu den bisherigen Sammlungen seines Briefwechsels, hg. von Theodor von Kolde, Gotha 1883. [LUTHER, MARTIN] –: JeD 1: Der Erste Teil || aller Bücher vnd Schrifften des || thewren/ seligen Mans Doct: Mart: Lutheri/ vom || XVII.jar an/ bis auff das XXII. Jena: Rödinger, Christian, 1555 [VD16: L 3323]. –: Letzte Predigt: Die letzte Predigt || Doctoris Martini Lutheri heiliger || gedechtnis/ geschehen zu Witten=||berg am andern Sontag nach || Epiphanias Domini/ den || xvij. Januarij. Jm || M D xlvj.|| Jhar.||[(M. Stephanus Tucher||)]. Magdeburg: Lotter, Michael, 1549 [VD16: L 5440]. –: WiLat 1: TOMVS || PRIMVS OMNIVM || OPERVM ... || Martini Lutheri Doctoris Theolo/||gię, Continens scripta primi Triennij, ab || eo tempore, quo primum controuersia de || Indulgentijs mota est, uidelicet ab anno Chri||sti M.D.XVII.us[que] ad annum XX.|| ... ||(DISPVTATIONES || THEOLOGICAE IN SCHOLA || PROPOSITAE ... || a Philippo Melanthone||). Wittenberg: Lufft, Hans, 1545 [VD16: L 3413]. MAJOR, Vitae patrum: VITAE PA=||TRVM, IN V=||sum ministrorum verbi,|| ... Per GEORGIVM || MAIOREM.|| CVM PRAEFATIONE || D. DOCTORIS || MARTINI LVTHERI.|| Wittenberg: Seitz, Peter d.Ä., 1544 [VD16: M 2205]. MANLIUS, Locorum communium collectanea: LOCORVM || communium col-||lectanea: || A IOHANNE MANLIO || per multos annos, pleraq; tum ex Le-||ctionibus D.PHILIPPI MELAN||CHTONIS, tum ex aliorum doctis-||simorum uirorũ relationibus excer-||pta, & nuper in ordinem ab eo-||dem redacta: || IN QVIBVS VARIA non solum uetera, sed in primis recentia nostri temporis || Exempla, Similitudines, Sententiae, Cõsilia, Bellici ap||paratus, Stratagemata, Historiae, Apologi, Allego||riae Sales, & id genus alia utilissima continentur:|| non solum Theologis, Iurisperitis, Medicis, studiosis || artium, uerumetiam Rempub. Bene & feli- || citer administraturis, cognitu cum- || primis. Necessaria || Cum

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Quellenverzeichnis

Praefatione D. SIMONIS SVLCE-||RI, Acad.Basilien. Rectoris: & Rerum || atq; uerborum Indice copioso. || Basel: Oporinus, Johann, 1562 [VD16: M 603]. MATHESIUS, LH: Johannes Mathesius. Ausgewählte Werke, Bd. 3: Luthers Leben in Predigten, hg. von Georg Loesche, Prag 21906. MEHLHAUSEN, Augsburger Interim: Das Augsburger Interim von 1548. Nach den Reichstagsakten deutsch und lateinisch, hg. von Joachim Karl Mehlhausen, Neukirchen-Vluyn 1970 (= TGET 3). MELANCHTHON, Oratio in funere: Bräuer, Siegfried: Die Überlieferung von Melanchthons Leichenrede auf Luther. Mit einem Quellenanhang, in: Beyer, Michael / Wartenberg, Günther (Hg.): Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anlässlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1996, 210–214. 214–218. –: Vrsachen: Vrsachen/ wa=||rumb die Kirchen/|| welche reine/ Christliche || lehr bekennen/ die selbige || lehr angenomen/ vnd dabey ewiglich || zu bleiben sich schuldig achten/ Vnd || warumb sie in die parteischen Rich=||ter im Concilio zu Trident/ nicht willigen/ Aus dem Latin || verteutscht/ Durch || Justum Jonam/|| Doctor.|| Wittenberg: Klug, Joseph, 1546 [VD16: M 2655]. –: Bds.: Philippi Melanchthonis Epistolae, Iudicia, Testimonia aliorumque ad eum Epistolae quae in corpore Reformatorum desiderantur, hg. v. Heinrich Ernst Bindseil, Halle 1874. MÖLLER, Theatrum: Theatrum Freibergense Chronicum: Beschreibung der alten löblichen BergHauptStadt Freyberg in Meissen / Alles mit Fleiß aus alten monumenten, Raths Archiven, Stadt- und Gerichtsbüchern/ Historien ... zusammen getragen/ und zum Druck verfertiget von Andr. Mollero Pegavio, Philos. & Med. D. Physico Ordinario daselbst. Freiberg: Beuther, Georg, 1653 [VD17: 23:238100M]. PFEFFINGER, Bericht: Pfeffinger, Johann: Gründlicher und wahrhaftiger Bericht. 1550: C&C 2, (645) 655–730 [Nr. 6]. POACH, Predigten: Andreas Poachs handschriftliche Sammlung ungedruckter Predigten D. Martin Luthers aus den Jahren 1528 bis 1546, 2 Bde., hg. von Georg Buchwald, Leipzig 1884–1885. RABUS, Historien: Historien.|| Der Heyligen Außer=||woelten Gottes Zeügen/ Bekeñern vnnd || Martyrern/ so vor/ vñ zů disen vnsern letsten zeitten/|| dariñen der Allmechtig Ewig Gott seine Kirchen || mit der reynen Lehre seines Gnadreychen Euangeli=||ums Vaetterlichen heymgesůcht hat/ hin || vnnd wider in allen Landen || worden seind.|| ... Durch Ludouicum Rabus von || Mem ingen/ der H. Schrifft Doctorn/ vnd Pre||diger der Kirchen zů Straßburg/|| ... beschrybẽ.|| Der vierdte Theyl.|| Straßburg: Emmel, Samuel, 1556 [VD16: R 41]. RATZEBERGER, Geschichte: Die handschriftliche Geschichte Ratzeberger’s über Luther und seine Zeit, hg. von Christian Gotthold Neudecker, Jena 1850. REBENSTOCK, De Lamiis: DE LAMIIS.|| Das ist:|| Von Teuffelsge||spenst Zauberern vnd || Gifftbereytern/ kurtzer doch gruendt=||licher Bericht/ was fuer Vnterscheidt vnter den Hexen vnd || Vnholden/ vnd den Gifftbereytern/ im straffen zuhalten ... || Sampt einem angehaengten kleinen Tractaetlein von dem fal||schen vnd erdichten Fasten/ alles mit vielen nuetzlichen vnd glaubwirdigen Historien || außgefuehret/ durch ... Herrn Johan=||nem Wierum/ Medicinae D.Latinisch beschrieben: Jetzundt aber ... || in vnsere gemeine Teutsche Sprach || gebracht/ Durch || Henricum Petrum Rebenstock/ von Giessen/ Pfarr=||herrn zu Eschirßheim.|| Frankfurt am Main: Basse, Nikolaus, 1586 [VD16: W 2654].

2. Gedruckte Quellen

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–: Figuren: Neuwe Biblische Figuren|| Kuenstlich vnd || artig gerissen / durch den || sinn vnd kunstreichen auch weltberuehmte[n] || Joß Amman/ von Zuerych / mit || schoenen Teutschen Reimen / welchen den gantzen innhalt einer jeden Figur und Capitel krutz begreif= || fen / zuvor dergleichen nie im Druck ausgangen || Gestellt durćh Herr Heinrich Peter Re=||benstock/ Pfarherr zu Eschershaim.|| Frankfurt am Main: Feyerabend, Sigmund, 1571 [VD16: R 436]. –: NEuwe Liuische Figuren: NEuwe Liuische Figuren/|| Darinnen die gantze Roemische Historien || kuenstlich begriffen vnd angezeigt.Geordnet vnd gestellt durch den fuertreff=||lichen vnd kunstreichen Johan Bockspergern von Saltzburg/den juengern / vnd mit sonderm || fleiß nachgerissen durch den auch kunstreichen vnd wolerfarnen Joß Amman von Zuerych / Nach=||mals mit Teutschen Reimen kurtz begriffen vnd erklaert/durch Heinrich Peter || Rebenstock / Pfarrherrn zu Eschersheim.|| ... || Frankfurt am Main: Rab, Georg d.Ä. / Han, Weigand (Erben) [VD16: R 438]. Regula Benedicti: Benedicti regula. Editio altera emendata, hg. von Rudolf Hanslik, Wien 1977 (= CSEL 75). SCHLÜSSELBURG, Studium ecclesiae: Conradi Schlusselburgii Theologi Lutherani uti celeberrimi [...] Studium ecclesiae Filij Dei, inserviendi Posthumum. Hoc Est: Epistolarum Clarissimorum Quorundam Theologorum, Ut Et aliorum virorum Doctissimorum ... Volumen: Cum Catalogo Authorum: Indice Rerum: & ordine Epistolarum [...] / Ab ipso Dn. D. Schlüsselburgio, dum viveret ... collectum ... Rostock: Haller, Johann, 1624 [VD17: 1:049658L]. SCHUBART, Berichte: Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis, hg. von Christof Schubart, Weimar 1917. SCHÜTZ, Vita: Schütz, Otto Friedrich: De Vita Davidis Chytræi, Theologi Historici Et Polyhistoris Rostochiensis Commentariorvm Libri Qvatvor, Hamburg 1722–1728. SCHUMACHER, Briefe: Gelehrter Männer Briefe an die Könige in Dänemark, Bd. 1: Vom Jahr 1522 bis 1663, hg. von Andreas Schumacher, Kopenhagen / Leipzig 1758. SEHLING, Sachsen: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 1: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten; Hälfte 1: Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete, Leipzig 1902. SEIDEMANN, Schriftstücke: Seidemann, Johann Karl: Schriftstücke zur Reformationsgeschichte, in: ZHT 44 (1874), 114–139. SELNECKER, Historica oratio: Historica oratio. Vom Leben und Wandel des Ehrwirdigen Herrn und thewren Mannes Gottes D. Martini Lutheri, hg. von Alfred Eckert, Fürth 1992. SPALATIN, Consolatoria: MAGNI||FICE CONSOLATO=||ria exempla, et sententiae, ex || Vitis et Passionibus San=||ctorum et aliorum sum||morum Virorum, breuis||sime collectae, Opera.|| GEOR. SPALATINI.|| Cum praefatione D.|| Mart. Luth.|| Wittenberg: Schirlentz, Nickel, 1544 [VD16: S 7424]. SPANGENBERG, Achte Predigt: Die Achte Predigt.|| Von dem wer=||den Gottes Manne/ Doctor || Martin Luther, Das er der fürtreff=||lichst vnd grössest THEOLO=||GVS gewesen/ von der || Apostel zeit her.|| M. Cyria. Spangenb.|| Erfurt: Baumann, Georg d. Ä., 1566 [VD16: S 7677]. –: Caecitas: CAECITAS || GERMANIAE.|| Von der grossen grewli=||chen BLJNDHEJT Deutscher Nation in Goet=||lichen Geistlichen Sachen: menniglichen zu Christ=||licher Erinnerung/ vnnd notwendiger vermanung || ... fuer die Augen || gestellet.|| Hierinnen findet der Christliche Leser/ ZWEY=||HVNDERT schrecklicher Jrrthummen vnnd || Suende der Accidentzer/ wider die Zehen

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Quellenverzeichnis

|| Gebott Gottes.|| ITEM,|| LXXIX. Woerter oder Reden/ so im Streit || von der Erbsuende breuchlich/ auß der Schrifft/|| Augustino vnd Luthero erkleret. [s. l.], 1582 [VD16: S 7499]. –: Siebende Predigt: Die Siebende Predigt.|| Von dem Hoch||erleuchten Gottes Manne/|| DOCTOR MARTIN || LVTHER/ Das er ein warer || EVANGELIST/ vnd || rechter IOANNES || gewesen.|| M. Cyria. Spangenb.|| Erfurt: Baumann, Georg d. Ä., 1566 [VD16: S 7676]. –: Theander: Theander Lutherus.|| Von des werthen Got||tes Manne Doctor Martin Luthers || Geistlicher Haushaltung vnd Ritterschafft: Auch sei=||nem Propheten: Apostel: vnd Euangelisten Ampt. Wie || Er der Dritte Helias … || gewesen.|| Alles in Ein vnd Zwantzig Predigten verfasset.|| Durch || M. Cyriac: Spangenberg.|| Oberursel: Heinrich, Nikolaus d.Ä., 1589 [VD16: S 7690]. –: Zehende Predigt: Die Zehende Predigt/|| Von dem thew||ren Bekenner Gottes:|| D. MARTIN LVTHER,|| Das er ein rechtschaffen || heiliger MARTYRER vnd Be=||stendiger Zeuge Jhesu Chri=||sti gewesen.|| M. Cyria. Spangenberg.|| Eisleben: Petri, Andreas, 1568 [VD16: S 7679]. STAUPITZ, Deutsche Schriften: Iohannis Stavpitii Ordinis Avgvstini Per Germaniam Vicarii Generalis Opera Qvae Reperiri Potvervnt Omnia = Johann von Staupitzens sämmtliche Werke, Bd. 1: Deutsche Schriften, hg. von Joachim Karl Friedrich Knaake, Potsdam 1867. –: Libellus: Johann von Staupitz. Libellus de executione aeternae praedestinationis. Mit der Übertragung von Christoph Scheurl. Ein nutzbarliches Büchlein von der entlichen Volziehung ewiger Fürsehung, in: Johann von Staupitz, Sämtliche Schriften. 2-II, hg. von Lothar Graf zu Dohna / Richard Wetzel, Berlin / New York 1979 (= SuR.NR 14). STOLTZ, Defensio: BREVIS DE=||FENSIO VIRI DEI MAR=||TINI LVTHERI, IN MODVM || somnij opposita somniatori || Adiaphoristico.|| Autore || Ioanne Stoltzio. Regensburg: Kohl, Hans, 1555 [VD16: S 9260]. STOLTZ / AURIFABER, Refutatio: Refutatio propositionum Pfeffingeri de Libero arbitrio M. Ioannis Stolsii|| Concionatoris Avlici|| Ducum Saxoniae Refutatio propositionum Pfeffin=||geri de Libero arbitrio, cum Praefatione || M. Ioannis Aurifabri.|| MATTH: FLA: ILLYRICI DE || eadam controuersia. Jena: Rebart, Thomas, 1558 [VD16: S 9267]. STURM, Epistolae: EPISTOLAE || DE DISSIDIIS RELI=||gionis.|| Iacobi Sadoleti Cardinalis.|| Iacobi Omphalij assessoris Im=||peratorij.|| Ioannis Sturmij|| Straßburg: Müller, Kraft, 1539 [VD16: S 1252]. VOGT, Briefwechsel: Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel, hg. von Otto Vogt. Mit einem Vorwort und Nachträgen von Eike Wolgast unter Mitarbeit von Hans Volz, Hildesheim 1966. WALTHER, Antwort: Antwort || Auff Sig=||mund Feyerabends vnd || seiner Mitgeselschafft falsches angeben || vnd Lügen/ so in nehest vergangener Herbst || Messe des 1570. Jars / zu Franckford || am Meien ist ausgangen.|| Daraus ein jeder leichtlich zuse=||hen / wie Feyerabend alle Biblien/ auch die || vor 36. jaren zu Wittemberg gedruckt / mer || denn an dreissig orten aus vnuerstand tadelt /|| meistert vnd verklügelt / vnd seine Bi=||blien vnrecht vnd falsch drucket. Wittenberg: Lufft, Hans, 1571 [VD16: W 943]. –: Bericht: Bericht || Von dem falschen || nachdrucken der Deudsch=||en Biblien. Wittenberg: Hans Lufft, 1569 [VD16 W 944].

2. Gedruckte Quellen

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–: Wider Johannem: Wider Johannem || Aurifabrum von || Weymar vnd seinen er=||sten vnd andern Eislebi=||schen Tomum.|| Christophorus Walther. Wittemberg: Lufft, Hans, 1566 [VD16: W 948]. WELLER, Kirchen Gesang: Der Christliche vnd ge=||mein Kirchen Gesang:|| Gott der Vatter wone vns bei/ [et]c. (v. Martin Luther)|| Außgelegt durch || D. Hieron. Weller.|| Nürnberg: [o. N.] [o. J.] [Exemplar München (Microfiche); Signatur: Film P 90.1–8,1, F2891 * 1991, [8,1] Fiche F 2891]. –: Opera: Weller, Hieronymus: D. Hieronymi Welleri à Molsdorf. Opera Omnia, Lipsiae 1702. –: Schrifften: Weller, Hieronymus: D. Hieronymi Welleri von Molsdorff. Teutsche Schrifften, Leipzig 1702.

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Register 1. Bibelstellen Ps 6 Ps 31 Ps 51 Ps 78 Ps 79,10 Ps 137,2

255 252 255 468 255 217

Jes 30,15

342

Mt 5 Mt 7,7 Mt 7,15–23 Mt 18 Mt 18,20 Mt 25,40 Mt 25,42

465 255 364 521f. 219 258 539

Mk 7,28

Joh 14–16 Joh 14–15 Joh 14,9 Joh 16

391 392 257 392

Röm 1,17 Röm 12,6

211, 495 211

1.Kor 12,12

258

2.Kor 12

535

Gal 1,6–9

543

1.Tim 1,9

292

18

2.Tim 2 2. Tim 3

538 495

Lk 6,38

239

Tit 1,7

234

Joh 12,24 Joh 13–17

179 208

1.Joh 4,9

245

2. Personen Adam, Sebastian (gest. 1547) 89, 154 Aepinus, Johannes (gest. 1553) 130 Agricola, Johannes (1492/94–1566) 100f., 142, 374–377, 443 Agustinus 414 Alber, Erasmus (ca. 1500–1553) 93, 95, 155f. Albert, Hz. von Sachsen (1443–1500) 100, 321 Albrecht, Gf. von Mansfeld (1480–1560) 439

Albrecht von Mainz (1490–1545) 235 Aldegrever, Heinrich (1502 – gest. zw. 1555 u. 1561) 335 Aleander, Hieronymus (1480–1542) 286 Alesius, Alexander (1500–1565) 398 Amerbach, Veit (1503–1557) 373 Amsdorf, Nikolaus von (1483–1565) 220, 284, 377, 445 Aquila, Caspar (1488–1560) 414, 494, 542 Arius (gest. nach 327) 224

630

Register

Arnold, Matthieu 11 Arnoldi, Franz (gest. nach 1535) 239 Assmann, Aleida 61–63, 68 Assmann, Jan 61f., 66, 352, 362, 418 Athanasius (gest. 373) 466, 469 August, Kf. von Sachsen (1526–1586) 327, 398, 415, 466, 561 Augustin, Aurelius (Kirchenvater) (354– 430) 128, 396 Aulus Gellius (geb. um 130) 13, 22 Aurifaber, Johannes (1519-1575) 1–3, 21, 30–32, 34, 49, 53, 68f., 75f., 78, 113f., 152, 161–165, 168, 191, 196, 211, 218, 221, 262, 281f., 312, 318, 421–470, 472–482, 484–549, 551–556, 559, 561f., 568, 570, 572 Bärenfänger, Katharina 13f., 59 Bartmuß, Alexander 10 Battafarano, Italo Michele 10 Benedikt von Nursia (gest. 547) 284 Berndorff, Lothar 458, 460 Bernhard von Clairvaux (gest. 1153) 9 Beskau, Matthäus (gest. 1533) 208 Besold, Hieronymus (1522–1562) 85, 106, 111, 113–115, 148f., 151f., 156– 159, 161–166, 168, 426, 560 Beutel, Albrecht 13 Beyer, Michael 13, 22 Beyer, Valentin (gest. nach 1549) 152 Bindseil, Heinrich Ernst (1803–1876) 1, 316, 318f. Blum(e), Michael 160 Bonnus, Hermann (1504–1548) 41 Bora, Katharina von (1499–1552) 9, 11, 146, 166, 256, 261, 368, 416, 510, 516, 527, 538 Borziwog, Burggf. von Dohna 263 Brenz, Johannes (1499–1570) 10, 231f., 273, 393f. Brückner, Wolfgang 25, 48 Bucer, Martin (1491–1551) 11, 373, 384, 407, 540 Bugenhagen, Johannes (1485–1558) 32, 118, 130, 185, 233, 254f., 381, 516 Burger, Heinz-Otto 10

Cajetan, Tommaso de Vio (1469–1534) 279, 296–298, 300f., 304, 351, 356, 367, 536 Camerarius, Joachim (1500–1574) 445 Campanus, Johannes (1500–1574) 144, 227 Carlowitz, Christoph von (1507–1578) 232 Cellarius (Borrhaus), Martin (1499– 1564) 373 Cellarius, Johannes (1496–1542) 517 Cervini, Marcello (1501–1555) 141 Christian III., Kö von Dänemark (1503– 1559) 463 Christiani, Léon 2, 5 Cicero, Markus Tullius (106–43 v. Chr.) 39 Cochlaeus, Johannes (1479–1552) 103, 138–142, 180–182, 186, 198, 214, 233, 238, 270, 272, 288 Coelestin, Georg (1525–1579) 374 Coelius, Michael (1492–1559) 439 Cordatus, Conrad (1480/83–1546) 17– 20, 22f., 27, 29, 35, 37, 51, 53, 196, 201, 250, 332, 557 Corvinus, Matthias, Kö von Böhmen (1443–1490) 367 Cranach, Lukas d.J. (1515–1586) 91 Cruciger, Caspar (1504–1548) 32, 130, 140, 148, 150, 392 Cyprian, Ernst Salomon (1673–1745) 86 Dantiscus, Johannes (1485–1548) 27 Dienst, Karl 10 Dietrich, Veit (1506–1549) 18, 33f., 52, 85, 106, 111, 113f., 117, 120, 148–151, 157–159, 161, 164–167, 174f., 188, 249, 340, 426, 476, 512, 560 Dingel, Irene 74, 77, 304, 473, 563 Dölen, Bernhard von 159 Drechsel, Thomas 373 Ebeling, Gerhard (1912–2001) 59 Eber, Paul (1511–1569) 32, 91 Eck, Johannes (1486–1543) 142f., 185 Elisabeth von Brandenburg (1510–1558) 409, 508 Emser, Hieronymus (1478–1527) 138, 143

2. Personen Enders, Ernst Ludwig (1833–1906) 149, 150 Erasmus von Rotterdam (1469–1536) 13, 26, 36–40, 50, 53f., 54f., 103, 155, 212–217, 219, 320, 354, 476, 494–496, 554, 557 Erll, Astrid 67f. Fabri, Johannes (1478–1541) 104, 142f. Fausel, Heinrich (1900–1967) 10 Ferdinand I., Kaiser (1503–1564) 269, 463 Fessner, Michael 265 Feyerabend, Sigmund (1528–1590) 32, 428, 465, 565 Flacius, Matthias (1520–1575) 93, 132, 154, 296, 376, 445, 449 Forster, Johannes (1496–1558) 32, 398, 517 Förstermann, Karl Eduard (1804–1847) 1 Friedrich III. (der Weise), Kf. von Sachsen (1463–1525) 106, 301, 455, 463 Gallus, Nikolaus (1516–1570) 196 Gaubisch, Urban (1527–1612) 422, 454 Georg, Hz. von Sachsen (1471–1539) 100f., 111, 138f., 141, 218, 238f., 239, 321, 334, 500 Georg III., Fst. von Anhalt (1507–1553) 28 Gerlitz, Peter 344f., 350 Gohla, Ulrike 372 Griesbach, Gottlieb (gest. 1767) 316 Guy, Jean-Claude 42, 56 Hadrian VI., Papst (1459–1523) 113 Haile, Harry G. 10 Halbwachs, Maurice 61 Hamme, Heinrich (ca. 1500–1560) 374 Hänel, Joseph (ca. 1521–1590) 308, 315– 317, 319, 326 Hausmann, Nikolaus (1478/79–1538) 109f., 133, 204, 340, 366, 539 Haußleiter, Johannes (1851–1928) 4, 84– 86, 98, 101, 106, 111, 114, 118, 125, 148f., 151f., 157–159, 161–163, 165– 167, 169, 302 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770– 1831) 79

631

Heinrich VIII., Kö von England (1491– 1547) 239 Heinrich (der Fromme), Hz. Sachsen (1473–1541) 100, 107, 111, 308, 414, 500 Helt, Georg (gest. 1545) 28 Henkys, Jürgen 12 Hermann (Arminius) (gest. um 21) 183 Heydenreich, Kaspar (1516–1586) 101, 110, 117, 151. 157–159, 179 Hieronymus, Sophronius Eusebius (Kirchenvater) (347–420) 219, 494 Hofmann, Reinhold 328 Hondorff, Andreas (gest. 1572) 49 Hoppe, Albert Friedrich (1828–1911) 2, 429 Hövelmann, Hartmut 12 Hügel, Andreas (gest. 1556) 88 Hummel, Bernhard Friedrich (1725– 1791) 150 Hund, Johannes 77, 418, 472, 553, 563 Hus, Jan (gest. 1415) 174, 185–187, 300, 321, 323, 344, 477 Joachim II., Kf. von Brandenburg (1505– 1571) 183, 236 Johann (der Beständige), Kf. von Sachsen (1468–1532) 455, 463, 500 Johann Friedrich I. (der Ältere), Kf. von Sachen (1503–1554) 91f., 107, 131f., 134, 154, 202, 220, 239, 241, 439–443, 445f., 455f., 459, 463f. Johann Friedrich II. (der Mittlere), Hz. von Sachsen (1529–1595) 312, 449, 451, 456, 458 Johann Wilhelm, Hz. von Sachsen (1530– 1573) 441 Jonas, Justus (1493–1555) 32, 93, 106, 118, 122–125, 129f., 135, 137f., 140f., 144, 146f., 151, 153, 159f., 170, 195, 203, 213, 224, 234, 254, 293, 340, 381, 415f., 439, 551 Julius III., Papst (1487–1555) 202 Junghans, Helmar (1931–2010) 12f., 78, 81, 340, 430, 555 Karg, Georg (gest. 1576) 382 Karl V., Kaiser (1500–1558) 27, 95, 100, 197, 198, 269, 356, 366, 559

632

Register

Karlstadt, Andreas Bodenstein von (1486–1541) 216, 340f., 373f., 378 Katharina von Mecklenburg, Hzin. von Sachsen (1487–1561) 100f., 107 Kaufmann, Thomas 73, 78–82, 126, 188, 303, 418, 562, 571 Keil, Friedrich Sigmund (1717–1765) 122f. Khumer, Kaspar (gest. vor 1575) 317, 319 Kolb, Robert 573 Kroker, Ernst (1859–1927) 2, 4f., 15, 28, 51f., 55, 57, 59, 115, 117, 123, 150f., 157, 246, 318f., 429 Laharpe, Nicole de 10f. Lauterbach, Anton (1502–1569) 4, 114, 115–117, 307–310, 315–318, 327f., 332, 334f., 353, 357f., 360–365, 369, 373––376, 378f., 380f., 383, 387, 389– 398–402, 404f., 407, 409–412, 414, 416–420, 426, 437, 507, 533, 561 Lechner, Walter 372 Leo X., Papst (1475–1521) 337, 356 Leppin, Volker 13f., 80f., 329f., 333, 450, 571 Lienhard, Marc 11 Lindener, Johann (1525–1585) 101, 110, 117, 122f. Lindener, Wenzelaus 125 Lotther, Matthias 110 Ludwig IV., Kf. von der Pfalz (1539– 1583) 565 Lufft, Hans (1495.1584) 428, 464 Lupin, Petrus (gest. 1521) 373 Lycosthenes (Konrad Wolfhart) (1518– 1561) 540 Lyra, Nikolaus von (gest. 1349) 210 Major, Georg (1502–1574) 41, 220, 223, 375–377, 398, 443 Manlius, Johannes (gest. 1604 oder 1605) 47–49 Mathesius, Johannes (1504–1565) 3, 17, 19–23, 26f., 29f., 36f., 97, 116f., 148, 228, 277, 282f., 283, 426, 557 Maximilian I., Kaiser (1459–1519) 281 Maximilian II., Kaiser (1527–1576) 461f., 464

Melanchthon, Philipp (1497–1560) 14, 18, 25, 32f., 35, 47f., 54, 76, 88, 102f., 106, 109–111, 118, 132, 148–150, 161, 166, 199, 200, 206, 214, 223–233, 235, 237, 239–241, 248, 258, 296, 304, 307f., 311, 315, 322f., 343, 352, 372, 375–388, 390, 394, 397f., 419f., 444, 448, 476, 486–490, 495, 510, 516, 518, 554, 557, 565, 567, 572 Menius, Justus (1499–1558) 445 Metzsch, Hans 402f., 533 Meyer, Wilhelm 319, 321–323, 366 Michel, Stefan 13, 53, 78, 118, 207, 217, 430, 472, 553, 562, 568 Milchsack, Gustav 4 Möller, Andreas (1598–1660) 133f., 137 Monner, Basilius (um 1500–1566) 449 Moritz, Kf. von Sachsen (1521–1553) 136, 140, 202, 561 Müntzer, Thomas (um 1489–1525) 189, 262, 373, 480 Mykonius, Friedrich (1490–1546) 175, 249 Oberman, Heiko A. 287 Oecolampad, Johannes (1482–1531) 189, 373 Oertel, Veit (1501–1570) 229 Oestreich, Gerhard (1910–1978) 397 Osiander, Andreas (1498–1552) 137f., 443f. Otho, Anthonius (1505–1588) 140, 170 Ottheinrich, Kf. von der Pfalz (1502– 1559) 446f., 449, 452, 460f. Paul III., Papst (1468–1549) 95 Petri, Andreas (ca. 1513–1593) 453 Pfeffinger, Johann (1493–1573) 398, 446, 450 Philipp I. (der Großmütige), Lgf. von Hessen (1504-1567) 10, 134, 184, 400 Philips, Heribert 40, 55 Planitz, Hans von der (1473–1535) 239 Plutarch (gest. um 125) 38f. Praetorius, Zacharias (1535–1575) 454 Propst, Jakob (1486–1562) 179 Quintilian (gest. um 96) 39

2. Personen Rabe, Ludwig (Rabus) (1514–1592) 45, 520 Rebenstock, Heinrich Peter (gest. 1596) 377, 565, 568, 570 Reckemann, Johann (1532–1601) 47 Rehermann, Ernst Heinrich 40, 49 Reinhard, Wolfgang 81 Richter, Paul (gest. 1591) 317, 319 Roper, Lyndal 435, 436 Rörer, Georg (1492–1557) 6, 14f., 31f., 34, 52f., 93, 118–120, 122, 149f., 152, 157, 165f., 174, 179, 186, 188, 190f., 195–197, 199, 209f., 218f., 223, 230, 236, 249, 251, 254, 263, 279f., 283, 291, 300f., 307–312, 314, 378f., 388, 392–394, 408, 426, 476, 493, 512, 520, 548 Röting, Bartholomäus (1535–1592) 316, 319 Röting, Georg 319 Röting, Paul (gest. 1615) 316 Sarcerius, Erasmus (1501–1559) 449 Sadoleto, Jacopo (1477-1547) 383, 488 Schäfer, David 134 Schäufele, Wolf-Friedrich 15, 59 Scheel, Otto (1876–1954) 5, 59 Schenk, Jakob (1508–1546) 373f., 376, 378, 382f. Schildt, Joachim 52 Schilling, Heinz 81 Schilling, Johannes 4 Schlaginhaufen, Johannes (gest. 1553) 18, 117, 426 Schmid, Peter (gest. 1593) 32 Schnepf, Erhard (1495–1558) 120 Schurff, Augustin (1495–1548) 252 Schurff, Hieronymus (1481–1554) 374, 496 Seidemann, Johann Karl (1807–1879) 123 Selnecker, Nikolaus (1530–1592) 1, 563f., 569f., 573 Sibylla, Kfin. von Sachsen (1512–1554) 442, 461 Siegel, Jakob 106 Smith, Preserved (1880–1941) 3, 4 Soranus, Basilius Faber (gest. 1575) 159 Spalatin, Georg (1484–1545) 41, 125, 257, 366

633

Spangenberg, Cyriakus (1528–1604) 278, 436 Spengler, Lazarus (1479–1534) 27 Staats, Reinhart 229 Stangewald, Andreas 1, 3, 117, 563–565, 569f., 573 Staupitz, Johannes von (1465–1524) 216, 296, 300, 329, 333, 338, 513, 535 Steinhart (Steinert), Georg (1528–1601) 110, 117 Stigel, Johann (1515–1562) 377 Stolt, Birgit 6, 52, 430 Stoltz, Johann (ca. 1514–1556) 233, 426, 441, 445f., 450, Storch, Nikolaus (gest. nach 1536) 372 Sturm, Johannes (1507–1589) 383 Sulcerus, Simon (1508–1585) 47 Sylvius, Petrus (1470–1547) 287 Symmachus, Quintus Aurelius (gest. 402 oder 403) 494 Tettelbach, Johann (1517–1598) 117 Tetzel, Johannes (gest. 1519) 185, 322, 338, 360f. Theodotius 494 Thomae, Marcus, gen. Stübner 374 Tucher, Stefan (gest. 1550) 200 Valerius Maximus 45 Verweyen, Theodor 40, 56 Volrad, Gf. von Mansfeld (1520–1578) 439 Vorstius, Petrus 176 Walch, Georg (1693–1775) 429 Walther, Christoph (gest. 1772) 220, 428, 452, 464–467, 469, 470 Weber, Jakob (1532–1578) 426 Weller, Hieronymus (1499–1572) 31, 86, 101, 106, 108–110, 115–117, 120f., 123–130, 133–138, 142, 144–149, 151– 154, 156, 159f., 168f., 180, 190, 202f., 213f., 217, 221, 224–227, 232, 234, 237, 241–245, 250f., 257f., 262, 264, 266, 270, 273, 276–278, 280, 287, 290f., 293, 296f., 299f., 301–304, 311, 353, 394, 404, 406, 437, 476, 560 Wengert, Timothy 232 Westphal, Joachim (1510–1574) 77

634

Register

Wicliff (Wycliff), John (gest. 1384) 187, 321 Wiedemann, Wolf (gest. 1547) 111, 238 Wilhelm IV. (V.), Hz. von Jülich-CleveBerg (1516–1592) 38, 460–462 Witzel, Georg (1501–1573) 104, 138f., 142, 155, 383, 434 Wolff, Fritz 10

Wolgast, Eike 55, 78, 81 Zeuner, Caspar (1492–1565) 133f., 137, 366 Zink, Friedrich (geb. um 1450) 113 Zink, Thomas (gest. 1532) 112f., 228 Zwingli, Ulrich (1484–1531) 373, 376, 189

3. Orte Altenburg 257 Alt-Zella 380 Antwerpen 286, 347 Augsburg 198, 202, 296, 298, 300f., 326, 354, 363, 366f., 373, 440, 536, 561 Bad Langensalza 144 Bologna 202 Braunschweig 467 Coburg 109, 292 Dornburg 13 Dresden 107, 109, 150, 316, 379 Eisenach 445 Eisleben 265, 281, 422, 427f., 438f., 455– 457, 460–462, 465f., 472 Erfurt 333, 357, 457, 561 Frankfurt 423, 427, 456, 465, 467, 559, 567 Freiberg 101, 106f., 109, 111, 113, 115, 124, 133, 149, 151, 154, 158–160, 169f., 204, 218, 221, 243, 275, 302, 304, 309, 325, 340, 382, 401, 417, 560 Gotha 417, 445 Greifswald 97 Grunau 340 Halle 316 Hamburg 97, 467 Hanau-Münzenberg 567

Hebron 236 Hofheim 112f. Jena 13f., 120, 221f., 226, 312, 327, 388f., 391, 395, 397, 419, 428, 445, 456f., 459f., 491 Jerusalem 323 Joachimsthal 426 Kahla 216 Köln 301 Königsberg 137 Köthen 426 Leipzig 238, 309, 375, 380, 398 Leisnig 310 Löwen 301 Lübeck 467 Lüneburg 467 Magdeburg 132, 155f., 206, 224, 308, 327, 380 Mansfeld 265, 421, 434f., 439, 449, 452f., 455–457, 462, 553, 561 Mantua 204, 438 Marburg 354 Meißen 111 Mühlberg 91, 441 Mühlhausen 373 München 149 Naumburg 97, 114, 559 Nordhausen 343 Nürnberg 85, 111–115, 151, 168, 367, 426, 467, 560

3. Orte Paris 301 Passau 326, 363, 561 Pirna 308, 310, 312, 316, 318, 325, 334, 339, 343, 350, 357, 361, 363–365, 372, 375, 378, 380f., 398f., 414, 417, 426, 538, 560f., 571 Regensburg 447, 467 Rom 183–185, 320, 353, 358f., 366, 377, 435 Saalfeld 414 Saltza 144 Schmalkalden 118, 175, 177, 230f., 248, 257f., 367, 408, 464, 469, 478–482, 505f., 509, 525, 555, 559f. Schwäbisch Hall 232 Schweinfurt 198 Selbitz 316 Stendal 17 Stolpen 308 Stotternheim 337 Straßburg 467

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Tambach 175f., 258, 369f. Torgau 107 Trient 202, 206, 327, 367 Ulm 467 Weimar 31, 426, 435, 441, 446, 450–452, 456, 472, 520 Wittenberg 36, 89, 108, 112, 120, 129f., 155, 175, 199f., 208, 213, 220–223, 226f., 240, 252, 284, 296, 300, 308– 310, 312, 327, 353, 357, 373, 376, 379f., 382, 388, 394–396, 398, 402, 416, 419, 426, 428, 437, 439, 446, 456, 459f., 466, 487, 491, 559, 563, 572 Wolfenbüttel 274, 352 Wolkenstein 107 Worms 296, 321, 353, 362, 419, 449f., 559 Würzburg 113 Wurzen 324 Zerbst 526