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German Pages 166 [173] Year 2015
Geschichte kompakt Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich 19./20. Jahrhundert: Uwe Puschner Berater für den Bereich 19./20. Jahrhundert: Walter Demel, Merith Niehuss, Hagen Schulze
Rolf-Dieter Müller
Der Zweite Weltkrieg
Für Fabrizio
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Christina Kruschwitz, Berlin Umschlaggestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Karten S. 159 u. 160: Peter Palm, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-26646-3 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73970-7 eBook (epub): 978-3-534-73971-4
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
Die Entfesselung des Krieges . . . . 1. Ursachen und Voraussetzungen 2. Der Angriff auf Polen . . . . . . 3. Die Ausweitung des Krieges . . 4. Vom Sitzkrieg zum Blitzkrieg . .
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II.
Der „Krieg der Fabriken“ . . . . . . . . . . 1. Die deutsche Kriegswirtschaft . . . . . 2. Der „Ernährungskrieg“ . . . . . . . . . 3. Rüstung, Technik und Wissenschaft . . 4. Die Mobilisierung für den totalen Krieg
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IV. Kriegsschauplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront . . . . . 2. Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten . . . . . . . . . . . . .
85 85 101
V.
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VI. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen. . . . . . . . . 1. Das Kriegsende im Frühjahr 1945 . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kapitulation Japans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von der Potsdamer Friedensordnung zum Kalten Krieg . . . 4. Die Erinnerung an die größte Katastrophe im 20. Jahrhundert
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Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Soldaten . . . . . . . . . . . . 1. Die Landstreitkräfte . . . . . . 2. Die Luftstreitkräfte . . . . . . . 3. Die Seestreitkräfte . . . . . . . 4. Kriegserfahrungen . . . . . . . 5. Verwundung und Tod . . . . . 6. Verweigerung und Widerstand 7. Gefangenschaft und Heimkehr
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Heimatfront . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gesellschaft im Krieg . . . . . . . 2. Das Kriegsbild . . . . . . . . . . . . . 3. Die kulturelle Dimension des Krieges
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Geschichte kompakt In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch) Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen, europäischen und globalen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt
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Einleitung Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann 1914 ein kriegerisches Zeitalter, das 1920 mit dem Friedensvertrag von Versailles nur für wenige Jahre unterbrochen worden ist. Die folgenden zwei Jahrzehnte galten als „Zwischenkriegszeit“, in der es nicht gelungen ist, eine stabile Friedensordnung in Europa zu errichten. Der vergangene und der erwartete künftige Krieg prägten das politische Denken und Handeln. Die einstigen Verlierer sannen auf Revision der Ergebnisse des Weltenbrandes, den Siegern gelang es nicht, ihre Vorherrschaft dauerhaft zu festigen und einer Versöhnung die Hand zu reichen. Adolf Hitler, Politisches Testament, 29. April 1945 Aus: Ueberschär/ Müller, Deutschland am Abgrund, S.166
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Seit ich 1914 als Freiwilliger meine bescheidene Kraft im ersten, dem Reich aufgezwungenen Weltkrieg einsetzte, sind nunmehr über dreißig Jahre vergangen.
Der Zweite Weltkrieg wurde von jenen Kräften entfesselt, die nun bewusst und mit militärischen Mitteln erneut die Kräfteverhältnisse in Europa und der Welt in Frage stellten. Das Ergebnis war das gewaltigste und blutigste Ringen der Weltgeschichte, das mit dem Einsatz der Atombombe im August 1945 und dem Untergang der faschistischen Mächte endete. Die Epoche der Weltkriege mündete in ein neues Zeitalter, in dem die Gefahr eines Dritten Weltkrieges zwar höchst virulent gewesen ist; aber im sogenannten Kalten Krieg gelang es der westlichen Welt durch ihre Abschreckungspolitik, das Sowjetimperium, das im Zeitalter der Weltkriege seinen Aufstieg erlebt hatte, mit friedlichen Mitteln zur Implosion zu bringen. Der innere Zusammenhang beider Weltkriege ist besonders für die Deutschen prägend gewesen. Ihre Staatsführung trug Mitverantwortung für die Auslösung des Ersten Weltkriegs und die Hauptverantwortung für die Entfesselung des Zweiten. Die meisten Deutschen haben die beiden Kriege in der irrigen Auffassung mitgetragen, der Krieg sei dem Reich aufgezwungen worden. Die anfängliche Euphorie wich bald einer tiefen Apathie. Geführt und erlitten wurden die Kriege maßgeblich von den Jahrgängen, die vor 1900 geboren worden waren, als das Kaiserreich seine glänzendsten Jahre erlebte. Die ehemals jungen Soldaten und Offiziere von 1914 traten zu Hunderttausenden 1939 wieder an. Des Kaisers junge Stabsoffiziere waren nun vielfach die Generale des „Führers“. Ihre Söhne standen in den Reihen der jugendlichen Soldaten, die wieder zu Hunderttausenden auf dem Schlachtfeld geopfert worden sind. Die fast völlige Auslöschung des Jahrgangs 1920 (41,1 Prozent Todesfälle) ist dafür symptomatisch. Mit dem Begriff der „Entfesselung“ des Zweiten Weltkriegs wird deutlich, dass es anders als 1914 im Jahre 1939 eine Macht gegeben hat, die fest entschlossen gewesen ist, durch Krieg die europäischen Grenzen zu verändern und dazu auch die Eröffnung eines Weltkrieges zu riskieren. Der deutsche Diktator Adolf Hitler wollte endlich „schlagen“ und sein politisches Lebens-
Das Zeitalter der Weltkriege
Kriegsschuld
1
Einleitung
Das Bündnis der Demokratien
Überwindung der sowjetischen Geschichtspropaganda
Historisierung
Überblick
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ziel verwirklichen: die Schaffung eines „Großgermanischen Reiches deutscher Nation“. Es ging ihm also um mehr als die Revision von Versailles, seine erfolgreichste politische Parole, die ihm die Gefolgschaft der Deutschen und die Zustimmung anderer Nationen sicherte. Neben der Kriegsschuldfrage ist auch der Kriegscharakter eindeutig geklärt. Der Begriff des „rassenideologischen Vernichtungskrieges“ kennzeichnet den einzigartigen Versuch der Nationalsozialisten, die Weltordnung umzustürzen und ihr „Drittes Reich“ für die nächsten tausend Jahre zur weltbeherrschenden Vormacht aufsteigen zu lassen. Es war also im Vergleich zum Ersten Weltkrieg eine Absage an das traditionelle Ringen von Imperien und Großmächten, das im Zweiten Weltkrieg die Kriegführung der meisten deutschen Verbündeten, also hauptsächlich des faschistischen Italiens und des japanischen Kaiserreiches, bestimmte. Gegen diese unbegrenzte Herausforderung setzte sich die Anti-Hitler-Koalition zur Wehr, die durch die Einbeziehung der UdSSR ein ungewöhnliches Bündnis der demokratischen Staaten mit dem totalitären Sowjetregime darstellte. In der Phase des europäischen Krieges bis Ende 1941 hatte es Hitler erreicht, dass sein Krieg globale Ausmaße erhielt. Insbesondere durch die Einbeziehung des pazifischen Kriegsschauplatzes entwickelte sich der Krieg zum Weltkrieg. Er entwickelte sich zudem auf vielen Gebieten zu einem totalen Krieg, der über das Maß des Ersten Weltkriegs hinausging, bis zu einer fast völligen Enthegung der Gewalt mit etwa 60 Millionen Toten, in der Mehrzahl Zivilisten. Die historische Forschung ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg für Jahrzehnte von nationalen Geschichtsbildern geprägt gewesen. Sie wurden in der Zeit des Kalten Kriegs bis 1989 zudem vom ideologischen Gegensatz zwischen Ost und West bestimmt. Die sowjetkommunistische Geschichtspropaganda mit ihren Verfälschungen (Hitler-Stalin-Pakt) und Lügen (Katyn) hat die Geschichtsforschung lange Zeit instrumentalisiert und für teilweise heftige Kontroversen gesorgt. Erst die Wende nach 1990 hat den Weg zu einer Annäherung der Standpunkte und zu einer gesamteuropäischen Perspektive geöffnet. Die unterschiedliche Entwicklung der Weltkriegsforschung in beiden deutschen Staaten konnte überwunden werden. Die Schwerpunkte des historischen Interesses haben sich von der ursprünglich engeren militär- und diplomatiegeschichtlichen Ausrichtung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts auf wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Dimensionen des Krieges erweitert. In jüngster Zeit gewinnen durch neue Quellen und methodische Ansätze die militärischen Aspekte neue Beachtung. Der „Krieg des kleinen Mannes“ ist durch die Auswertung von Ego-Dokumenten wie Feldpostbriefen, Tagebüchern und Abhörprotokollen von Kriegsgefangenen stärker ins Bewusstsein gerückt. Die Historisierung des Zweiten Weltkriegs ist so weit vorangeschritten, dass es notwendig erscheint, einer jüngeren Generation, die den Krieg nur vom Bildschirm kennt, die Möglichkeit zu geben, besser zu verstehen, was Krieg für den Einzelnen bedeuten kann. Nach der notwendigen Darstellung der Ursachen des Zweiten Weltkriegs und seiner ersten europäischen Phase, der Zeit der sogenannten „Blitzkriege“, werden – abweichend von herkömmlichen chronologischen Darstellungen – in zwei systematischen Abschnitten die wesentlichen Voraus-
Einleitung setzungen für die Kriegführung analysiert. Der „Krieg der Fabriken“ schuf die materiellen Bedingungen und Begrenzungen, die allgemeine Wehrpflicht die Rekrutierung der gesamten erwachsenen, männlichen Bevölkerung. Mehr als 50 Millionen Soldaten führten den Krieg und entschieden über seinen Ausgang. Ihre Lebenswelt ist für das Verständnis des Zweiten Weltkriegs von entscheidender Bedeutung. Die Abschnitte über die verschiedenen Kriegsschauplätze demonstrieren diese Einsicht. Weil der Krieg alle Lebensbereiche erfasste und nur durch die Mobilisierung aller Kräfte der Nationen geführt werden konnte, kommt der „Heimatfront“ eine hervorzuhebende Bedeutung zu. Abschließend verdient das Kriegsende mit seinen Folgen ausführliche Beachtung. Hier wie bei den meisten anderen Kapiteln liegt der Schwerpunkt der Darstellung im deutschen Bereich, denn Deutschland bildete den Motor des Zweiten Weltkriegs.
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I. Die Entfesselung des Krieges 1. Ursachen und Voraussetzungen Hitler bedeutet Krieg – diese Erkenntnis hatten 1933 nur wenige Deutsche, als der Führer der NSDAP von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde. Der rasante Aufstieg der rechtsextremen Partei seit 1929 war hauptsächlich der Weltwirtschaftskrise geschuldet, die in Deutschland zur Massenarbeitslosigkeit führte. Die Mehrheit der Wähler verlor das Vertrauen in die demokratischen Parteien und die Funktionsfähigkeit der Weimarer Republik. Sie setzte ihre Hoffnung auf ein autoritäres Regime mit einem starken Mann an der Spitze, der versprach, Arbeitsplätze zu schaffen und Deutschland wieder zu einer geachteten Großmacht zu machen.
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Hitlers erste Ansprache vor den Befehlshabern der Reichswehr am 3. Februar 1933 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S. 30. Aufbau der Wehrmacht wichtigste Voraussetzung für Erreichung des Ziels: Wiedererringung der politischen Macht. Allgemeine Wehrpflicht muss wiederkommen. Wie soll politische Macht, wenn sie gewonnen ist, gebraucht werden? Vielleicht Erkämpfung neuer Exportmöglichkeiten, vielleicht – und wohl besser – Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung. Sicher, dass erst mit politischer Macht und Kampf jetzige wirtschaftliche Zustände geändert werden können.
Hitler will Krieg um Weltvorherrschaft
Schaffung der Voraussetzungen
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Die Niederlage im Ersten Weltkrieg war von den meisten Deutschen nicht angenommen worden. Das Friedensdiktat von Versailles akzeptierten auch die demokratischen Parteien letztlich nicht. Doch setzten sie auf Verhandlungen, um einzelne Bestimmungen zu revidieren und vor allem die Belastung durch gewaltige Reparationszahlungen zu mindern. Hitler ließ keinen Zweifel daran, dass er mit allen Mitteln den „Wiederaufstieg“ des Reiches anstreben werde. Die Schwäche Deutschlands bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten zwang ihn allerdings dazu, vorerst zurückhaltend aufzutreten und sein Hauptziel, die Auslösung eines rassenideologischen Krieges um die Weltvorherrschaft, zu verschleiern. Seine Friedensparolen und vor allem seine Profilierung als Bollwerk gegen den Bolschewismus verschafften ihm Popularität im In- und Ausland. In der Hoffnung auf den Erfolg seines Arbeitsbeschaffungsprogramms nahmen es die Deutschen hin, dass er sofort damit begann, Staat und Gesellschaft neu zu formieren. Seine „Nationale Revolution“ beseitigte die ungeliebte Republik und jegliche Opposition. In schnellen Schritten entwickelte er eine totalitäre Führerdiktatur, beschleunigte die bisher geheime Wiederaufrüstung und sorgte, finanziert durch eine schleichende Staatsverschuldung, für eine beachtliche wirtschaftliche Erholung. Die Beseitigung
Ursachen und Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit und eine wachsende Zahl von Rüstungsbauten sicherten einerseits die Zustimmung in der Bevölkerung und bei den nationalkonservativen Führungseliten; sie schufen andererseits die notwendigen Voraussetzungen für den künftigen Krieg. Mit geschickten und erfolgreichen außenpolitischen Manövern gelang es Hitler, die „Fesseln von Versailles“ schrittweise zu beseitigen. Die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands, die Wiedereingliederung des Saarlands und die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht ermutigten ihn, seinen riskanten Expansionskurs voranzutreiben. Frankreich und Großbritannien setzten ihm keinen nachhaltigen Widerstand entgegen. Innenpolitisch und wirtschaftlich geschwächt, scheuten die Regierungen in Paris und London davor zurück, Hitler notfalls mit militärischen Mitteln in die Schranken zu weisen. Mit ihrer „Appeasement“-Politik hofften sie, den deutschen Diktator innerhalb des bestehenden internationalen Systems halten zu können. Seine aggressive antisowjetische Propaganda schien die Möglichkeit zu eröffnen, die deutschen Ambitionen gegen den Stalinismus zu lenken, der als die größere Bedrohung eingeschätzt wurde. So nahmen die Westmächte selbst den „Anschluss“ Österreichs an das Reich hin und fanden sich 1938 bereit, in der von Hitler inszenierten Krise um die Zukunft der Sudetendeutschen mit dem Münchener Abkommen an der Zerschlagung der Tschechoslowakei mitzuwirken. Es war die Zeit der großen außenpolitischen Triumphe des Diktators, der sich ermutigt fühlte, die bereits überhitzte Rüstungskonjunktur in Deutschland weiter anzuheizen. Der militärischen Führungsspitze hatte Hitler befohlen, sich auf die baldige Auslösung von kriegerischen Aktionen einzustellen. Er wollte endlich „schlagen“. Bedenken und die Sorge vor einem Weltkrieg veranlassten Generalstabschef Ludwig Beck zum Rücktritt. Rede Hitlers vor der deutschen Presse am 10. November 1938 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S. 50.
I.
Appeasement-Politik bahnt ihm den Weg
Hitler beschleunigt Kriegsvorbereitung
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Der Zwang war die Ursache, warum ich jahrelang nur vom Frieden redete. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen, dass es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, dass die innere Stimme des Volkes selbst nach der Gewalt zu schreien begann […] Diese Arbeit hat Monate erfordert, sie wurde planmäßig begonnen, planmäßig fortgeführt, verstärkt. Viele haben sie nicht begriffen, meine Herren; viele waren der Meinung, das sei doch alles etwas übertrieben. Das sind jene überzüchteten Intellektuellen, die keine Ahnung haben, wie man ein Volk letzten Endes zu der Bereitschaft bringt, geradezustehen, auch wenn es zu blitzen und zu donnern beginnt.
Die Opposition in der Heeresführung war in der Krise um das Münchener Abkommen bereit gewesen, im Falle einer Konfrontation mit den Westmächten den Staatsstreich zu wagen. Doch die Unterschriften von Chamberlain und Daladier entzogen ihren Bestrebungen die Grundlage. Außerdem sorgte Hitler in der Blomberg-Fritsch-Affäre für ein Revirement in der
Wehrmachtführung beugt sich
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Die Entfesselung des Krieges
I.
Erste territoriale Annexionen
Bemühen um ein antisowjetisches Bündnis mit Polen
Krieg gegen die UdSSR 1939?
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Wehrmachtführung und stärkte seine eigene Position als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht. Als Konkurrenz gegenüber der traditionellen Militärelite unterstützte er die Bestrebungen von Heinrich Himmler, seine SS nicht nur als potentielle Bürgerkriegstruppe, sondern als gleichsam vierter Wehrmachtteil zu einer Elitearmee auszubauen. An der Loyalität der Kriegsmarine brauchte Hitler nicht zu zweifeln, ebenso wenig an der nationalsozialistisch geprägten neuen Luftwaffe, deren Oberbefehlshaber Hermann Göring ihm bedingungslos ergeben war und der zum zweiten Mann im Staate aufrückte. Mit dem Münchener Abkommen hatten die Westmächte auf Hitlers Versprechen gesetzt, dass er keine weiteren territorialen Ansprüche verfolgen werde. Doch dieser dachte überhaupt nicht daran, seine expansive Politik zu mäßigen. Sofort nach der Besetzung des Sudetenlandes bereitete er Anfang 1939 die Zerschlagung der „Rest-Tschechoslowakei“ vor. Die Slowakei erklärte ihre Selbständigkeit und stellte sich unter den „Schutz“ des Reiches. Unter Kriegsdrohungen gelang es Hitler, die hilflose Tschechei und Prag ohne Widerstand zu besetzen. Litauen beeilte sich, das frühere deutsche Memelgebiet zurückzugeben. Mit der Forderung nach Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien in Übersee setzte der Diktator Großbritannien unter Druck. Er hoffte darauf, dass ihm London als Alternative den Weg nach Osten freigeben würde. Bereits 1934 war ihm der Überraschungscoup gelungen, mit Polen einen Nichtangriffsvertrag zu schließen. Der Nachbar im Osten hatte seit dem Ende des Ersten Weltkriegs als Bündnispartner der Siegermacht Frankreich die strategische Umklammerung des Reiches gewährleistet. Zwischen der Weimarer und der polnischen Republik herrschte ein Kalter Krieg. Die Deutschen erkannten den Verlust einiger Ostgebiete nicht an, und die Reichswehr paktierte sogar heimlich mit der verhassten Roten Armee, um im Kriegsfalle Polen in die Zange nehmen zu können. Hitler setzte dagegen auf eine andere Variante. Mit Polen unter dem greisen Marschall Pilsudski und seinen Nachfolgern verbanden ihn die antisowjetische Orientierung und ähnliche territoriale Ambitionen, vor allem gegenüber der Ukraine. Im Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Armee das Russische Reich militärisch besiegt und den Polen die Wiedererrichtung ihres Staates versprochen. Nach der deutschen Niederlage 1918 im Westen hatten die Polen mit französischer Unterstützung ihre Großmachtambitionen verwirklichen und 1920 die Rote Armee schlagen können. Die Erfahrungen der Jahre 1917– 1920 weckten in den dreißiger Jahren angesichts der Isolierung der UdSSR und der militärischen Schwächung des Landes durch Stalins „Säuberungen“ nicht nur bei Hitler die Vorstellung, dass sich bei einer weiteren Erschütterung des Riesenreiches die Möglichkeit eröffnen könnte, das Kernziel seines politischen Programms, den „Lebensraum“-Krieg im Osten, schon sehr früh zu verwirklichen. Stalins „Säuberungen“ bezeichnet eine Periode in der sowjetischen Geschichte, in der Stalin massenhaft tatsächliche oder vermeintliche Widersacher und Oppositionelle oder auch nur Unzuverlässige verhaften, durch Schauprozesse verurteilen und hinrichten oder in Zwangsarbeiterlager bringen ließ. Der Höhepunkt lag in der Zeit des „Großen Terrors“ 1936 bis 1938. Die Zahl der Opfer wird auf bis zu 20 Millionen ge-
Ursachen und Voraussetzungen
I.
schätzt. Weil der Diktator glaubte, dass in der Führung der Roten Armee unter General Tuchatschewski, die einige Jahre zuvor noch eng mit der Reichswehr zusammengearbeitet hatte, eine Verschwörung gegen ihn geplant sei, veranstaltete er einen regelrechten Massenmord innerhalb des höheren Offizierskorps. Es wurden 3 von 5 Marschällen, 13 von 15 Armeekommandeuren, alle 16 Politkommissare der Armeen, 25 von 28 Korpskommissaren, alle 11 Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidigung und 98 von 108 Mitgliedern des Obersten Militärrats getötet.
Voraussetzung für einen Interventionskrieg war, ob passiv oder aktiv, die Mitwirkung Polens sowie ein Eingreifen Japans im Fernen Osten. 1934/35 schien auch eine Beteiligung Großbritanniens nicht völlig ausgeschlossen zu sein. Obwohl die militärischen Mittel des „Dritten Reiches“ zu diesem Zeitpunkt noch sehr begrenzt waren, konnten sie unter solchen Umständen genutzt werden, um sich einen Anteil am russischen „Kuchen“ zu sichern. Ein möglicher militärischer Konflikt mit der UdSSR gehörte jedenfalls seit diesem Zeitpunkt zum Repertoire der geheimen Kriegsplanungen und Studien in der Wehrmacht. Mit dem Abschluss des Antikominternpaktes war es Hitler gelungen, sich zunächst mit Japan, dann auch mit dem faschistischen Italien auf eine antisowjetische Politik zu verständigen. Beide Großmächte spielten in Hitlers strategischem Konzept gleichzeitig eine wichtige Rolle, da sie die Westmächte im Mittelmeer bzw. in Asien in Schach halten sollten. Wenn die polnische Regierung auch zögerte, der Allianz förmlich beizutreten, weil sie fürchtete, angesichts konkurrierender Ansprüche auf eine Führungsrolle in Südosteuropa allzu sehr in deutsches Fahrwasser zu geraten, so beteiligte sie sich doch 1938 an der Besetzung von Teilen der Tschechoslowakei. Bis Anfang 1939 glaubte man in Berlin und Rom, sich des „anti-russischen Schützengrabens“ Polen sicher sein zu können. Jetzt, wo die traditionellen „Rollbahnen“ als mögliche Vormarsch- und Nachschubstraßen durch das Baltikum und im Südosten in Richtung Ukraine frei wurden und man die deutschen Kontakte zur ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung ausbaute, bot Hitler den Polen die „Generalbereinigung“ aller bilateralen Probleme, insbesondere die Anerkennung der Grenzen, an. Er forderte allerdings den Wiederanschluss von Danzig, der deutschen Ostseemetropole, die seit dem Versailler Vertrag vom Reich abgetrennt unter der Aufsicht des Völkerbundes stand. Für den Verzicht polnischer Rechte auf Danziger Territorium bot Berlin die Karpato-Ukraine aus dem Bestand der Rest-Tschechoslowakei an. In Warschau hatte sich der Wind jedoch gedreht. Dafür sorgten einerseits nationalistische Strömungen, die keinen Fußbreit „polnischen“ Bodens preisgeben wollten, und andererseits der britische und amerikanische Einfluss, der Polen ermutigte, den deutschen Verlockungen zu widerstehen. Die Westmächte hatten ihr Vertrauen gegenüber Hitlers Politik verloren und zeigten sich entschlossen, der Fortsetzung seiner Expansionspolitik mit allen Mitteln Widerstand zu leisten. In Warschau wiederum vertraute man darauf, mit Unterstützung der Westmächte Hitlers Forderungen notfalls auch mit militärischen Mitteln zurückweisen zu können. Im Vertrauen auf die Todfeindschaft zwischen Hitler und Stalin glaubte man sicher zu sein gegen-
Polen stellt sich gegen Hitler
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Die Entfesselung des Krieges
I. Geheimverhandlungen mit Moskau
Die Rolle Japans und Italiens
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über der bisher größten Bedrohung aus dem Osten. Das sollte sich als fataler Irrtum erweisen. Als Hitler Mitte März 1939 das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ errichtete und das Memelgebiet besetzte, antworteten Briten und Franzosen mit einer Garantie-Erklärung für Polen sowie mit dem Beginn von Geheimverhandlungen mit Moskau. Stalin erklärte freilich, er sei nicht bereit, für andere die „Kastanien aus dem Feuer“ zu holen, und eröffnete insgeheim parallele Verhandlungen mit der deutschen Seite. Hitler indessen kündigte das Flottenabkommen von 1935 mit Großbritannien, das ihm Beschränkungen für den Ausbau seiner Kriegsflotte auferlegte, sowie den Nichtangriffspakt mit Polen. Ungarn übernahm die Karpato-Ukraine und trat dem Antikominternpakt bei. Auch Rumänien suchte die Anlehnung an das Reich. Die Front gegenüber der Sowjetunion von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer war damit geschlossen. Während es Hitler gelang, am 23. Mai mit dem „Stahlpakt“ Italien durch ein Militärbündnis an sich zu binden, blieb Japan auf Abstand, da es befürchtete, in einen Krieg gegen die Westmächte hineingezogen zu werden. Die Japaner hatten in den letzten Jahren ihre Position in China ausgebaut und waren in der Inneren Mongolei bereits in Kämpfe gegen die Rote Armee verwickelt. Doch das frühere Konzept eines koordinierten Vorgehens gegen die UdSSR schien hinfällig geworden zu sein, weil Hitler gegen seinen bisherigen Partner Polen mobilisierte. Da Briten und Franzosen bereits in Moskau über ein Militärbündnis verhandelten, drohte sowohl die Isolation Japans im Fernen Osten als auch ein Krieg in Europa, dem Deutschland nach dem Stand seiner Vorbereitungen kaum gewachsen sein würde. Hitlers Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht für 1939/40 vom 3. April 1939, „Fall Weiß“ Quelle: Akten zur deutschen auswärtigen Politik, D, VI, Nr. 149, S. 154. Die gegenwärtige Haltung Polens erfordert es, über die bearbeitete ‚Grenzsicherung Ost‘ hinaus die militärischen Vorbereitungen zu treffen, um nötigenfalls jede Bedrohung von dieser Seite für alle Zukunft auszuschließen. 1.) Politische Voraussetzungen und Zielsetzung. Das deutsche Verhältnis zu Polen bleibt weiterhin von dem Grundsatz bestimmt, Störungen zu vermeiden. Sollte Polen seine bisher auf dem gleichen Grundsatz beruhende Politik gegenüber Deutschland umstellen und eine das Reich bedrohende Haltung einnehmen, so kann ungeachtet des geltenden Vertrages eine endgültige Abrechnung erforderlich werden. Das Ziel ist dann, die polnische Wehrkraft zu zerschlagen und eine den Bedürfnissen der Landesverteidigung entsprechende Lage im Osten zu schaffen. Der Freistaat Danzig wird spätestens mit Beginn des Konfliktes als deutsches Reichsgebiet erklärt. Die politische Führung sieht es als ihre Aufgabe an, Polen in diesem Fall womöglich zu isolieren, d.h. den Krieg auf Polen zu beschränken. Eine zunehmend krisenhafte innere Entwicklung in Frankreich und eine daraus folgende Zurückhaltung Englands können eine derartige Lage in nicht zu ferner Zukunft entstehen lassen.
Kriegsplan gegen Polen
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Hitler zeigte sich intern jedoch wild entschlossen, an Polen ein Exempel zu statuieren. Es gehe nicht um Danzig, erklärte er, sondern um „Lebensraum im Osten“. In einem geheimen Manöver wurde der Angriff gegen Polen
Ursachen und Voraussetzungen
I.
durchgespielt, mit dem die Wehrmacht in kürzester Zeit in Warschau einmarschieren sollte, um sich dann nach Osten zu wenden. Noch rechnete man mit einem Eingreifen der Roten Armee. Der neuerrichtete Westwall müsste dann der Wehrmacht den Rücken freihalten, um nach dem Vorbild von 1920 die sowjetische Armee an der Weichsel schlagen zu können. Hitler war bereit, jedes Risiko einzugehen, ohne zu wissen, dass die britischfranzösisch-sowjetischen Militärverhandlungen in Moskau nicht vorankamen, weil Polen den Russen im Kriegsfall kein Durchmarschrecht einräumen wollte. Stalin musste also befürchten, dass er bei einem deutschen Angriff gegen Warschau die Hauptlast des Kampfes im Osten zu tragen hätte, während sich die Westmächte hinter ihrer Maginot-Linie in Sicherheit wiegen konnten. Die augenblickliche Schwäche der Roten Armee gab Veranlassung, die eigenen Interessen vorsichtig abzuwägen, zumal in der Mongolei die Schlacht gegen die Japaner noch nicht entschieden war. Japanisch-Sowjetischer Grenzkonflikt 1938/39 Seit Japan 1931 in der Mandschurei einen Satellitenstaat (Mandschukuo) errichtet hatte, strebten einflussreiche Kräfte in Tokio nach weiteren territorialen Expansionen in China und in Richtung der Mongolei. Bereits Anfang August 1938 war es zu einem kurzen militärischen Schlagabtausch in der Nähe von Wladiwostok gekommen (Schlacht am Chassan-See). Aus einem bewaffneten Zwischenfall an der Grenze zur Mongolei bei Nomohan im Mai 1939 entstand ein ernsthafter Konflikt, bei dem Stalin während einer Waffenruhe schließlich bis zum 22. August starke Kräfte versammelte, um die 6. Japanische Armee in einem Blitzfeldzug niederzuwerfen und zu vernichten. Beteiligt waren insgesamt rund hunderttausend Soldaten. Am 16. September 1939 verständigte man sich auf einen Waffenstillstand und berücksichtigte die bisherige Grenze.
Hitler erkannte die Chance, Polen zu isolieren und in einer Art von Polizeiaktion niederzuwerfen, um sich dann unter Umständen auch nach Westen wenden zu können. Die NS-Propaganda schürte die anti-polnische Stimmung mit dem Verweis auf tatsächliche oder vermeintliche Repressionen der Polen gegen die Volksdeutschen in den Grenzgebieten. Hitler versuchte die Welt mit einer gewaltigen Militärparade zu seinem 50. Geburtstag am 20. April 1939 zu beeindrucken und griff nach Stalins Angebot, die Verhandlungen über einen neuen Handelsvertrag um die Klärung der gemeinsamen Interessen auszuweiten. Mit einem Handels- und Kreditabkommen verpflichtete sich die UdSSR am 19. August 1939 zu erheblichen Rohstofflieferungen an das Reich. Vier Tage später unterzeichnete Außenminister Ribbentrop in Moskau einen Nichtangriffsvertrag. In einem geheimen Zusatzabkommen teilten Deutschland und Russland Osteuropa in „Einflusszonen“ auf, darunter auch Polen. Es war die größte denkbare Überraschung, die das Schicksal Polens besiegelte und Hitler die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs ermöglichte. Die wohlwollende Neutralität der UdSSR sicherte alle notwendigen Rohstoffe, um eine Wirtschaftsblockade der Westmächte zu unterlaufen. Außerdem hoffte der Diktator, dass die Verkündung seiner Allianz mit Stalin Frankreich und Großbritannien davon abhalten würde, ihre Verpflichtungen gegenüber Polen zu erfüllen. Ob der Bluff funktionieren würde?
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Hitlers Pakt mit Stalin
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Die Entfesselung des Krieges
I.
2. Der Angriff auf Polen Eröffnung des Krieges mit einer Propagandalüge
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Im Morgengrauen des 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht das Nachbarland Polen. Vermeintlich ging es um den Schutz der Volksdeutschen und die Beendigung der polnischen Übergriffe und Provokationen. Die SS hatte zuletzt einen angeblichen Überfall von Polen auf den deutschen Radiosender Gleiwitz inszeniert. Dahinter verbarg sich das Bemühen, die Entfesselung des Krieges als Akt der Notwehr zu tarnen und so die eigene Bevölkerung wie auch die Weltöffentlichkeit zu täuschen. Der Eindruck, dass es sich eigentlich nur um eine Art von Polizeiaktion handelte, sollte den Tabubruch, 20 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wieder einen Krieg in Europa zu beginnen, verdecken und den Westmächten einen Vorwand liefern, ihre Verpflichtungen zum Schutz Polens zu suspendieren. Hitler in seiner Reichstagsrede am 1. September 1939 Quelle: Reichstagsprotokolle 1939/42/I, S. 48 Ein Wort habe ich nie kennengelernt. Es heißt: Kapitulation […] Der Umwelt aber möchte ich versichern: ein November 1918 wird sich niemals mehr in der deutschen Geschichte wiederholen.
Hitler war es aber letztlich gleichgültig, ob man ihm den propagandistischen Vorwand glaubte oder nicht. Der Sieger, so hatte er am 22. August 1939 vor den Oberbefehlshabern ausgeführt, werde später nicht nach der Wahrheit gefragt. Die französische und die britische Regierung ließen sich nicht täuschen. Sie verkündeten die Mobilmachung und richteten ein Ultimatum an Berlin. Hitler glaubte fest daran, mit seinem Vabanquespiel wieder einmal davonkommen zu können. So traf ihn die angekündigte Kriegserklärung der Westmächte am 3. September mit voller Wucht.
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Paul Schmidt, Hitlers Chefdolmetscher, berichtet, wie er am 3. September 1939 in der Reichskanzlei die britische Kriegserklärung übersetzte Aus: Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne 1923–45, S. 473f. Als ich geendet hatte, herrschte völlige Stille […] Wie versteinert saß Hitler da und blickte vor sich hin. Er war nicht fassungslos, wie es später behauptet wurde, er tobte auch nicht, wie es wieder andere wissen wollten. Er saß völlig still und regungslos an seinem Platz. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, wandte er sich Ribbentrop zu, der wie erstarrt am Fenster stehen geblieben war. „Was nun?“, fragte Hitler seinen Außenminister mit einem wütenden Blick in den Augen, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass ihn Ribbentrop über die Reaktion der Engländer falsch informiert habe. Ribbentrop erwiderte mit leiser Stimme: „Ich nehme an, dass die Franzosen uns in der nächsten Stunde ein gleichlautendes Ultimatum überreichen werden“ […] Göring dreht sich zu mir um und sagte: „Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann möge uns der Himmel gnädig sein!“
Unerwarteter Zweifrontenkrieg
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Umso mehr kam es darauf an, die Kampfhandlungen auf polnischem Gebiet rasch zu beenden, jeden Widerstand rücksichtslos zu brechen und die Bil-
Der Angriff auf Polen dung einer Untergrundbewegung in Polen nach historischen Vorbildern zu verhindern. Dadurch wurde die Wehrmacht frei, um durch einen Aufmarsch an der Westgrenze die an sich kritische Zweifrontensituation zu entschärfen und vielleicht doch noch eine Verständigung mit den Westmächten zu erreichen. Es hatte ein europäischer Krieg begonnen, der sofort globale Konsequenzen zeigte (Kriegserklärung der britischen Dominions und Kolonien). Da aber die beiden Flügelmächte USA und UdSSR neutral blieben, gewann dieser Krieg militärisch noch keine weltweiten Dimensionen. Eine „Blitzkriegs-Armee“ war die Wehrmacht zu diesem Zeitpunkt nicht. Deutschland hatte 4,6 Millionen Mann mobilisiert. Von den 103 Divisionen des Feldheeres sicherte knapp die Hälfte (43 Infanteriedivisionen) die Westgrenze, gestützt auf den notdürftig vollendeten Westwall mit seinen Bunkerlinien, die vom Saargebiet bis zur Schweizer Grenze reichten. Für die Risikophase von etwa vier Wochen waren 55 Großverbände, darunter alle 4 Panzerdivisionen, im Osten gebunden. Die französische Armee hatte etwa gleich starke Kräfte mobilisiert (5 Millionen Mann mit 94 Divisionen), die in der Deckung der gigantischen Maginot-Linie aufmarschierten. Ihre Schlagkraft war nicht geringer als die deutsche, doch fehlte es in Paris an der Entschlossenheit, der Wehrmacht entgegenzutreten. Mit dem Eintreffen des britischen Expeditionskorps wurden weitere 400000 Mann gegen die Deutschen in Stellung gebracht, ein Drittel der in Großbritannien 1939 mobilisierten Kräfte (1,3 Millionen Mann). Polen schickte ebenfalls 1,3 Millionen Mann ins Feld. Die britische Stärke lag in der Flotte. Gegen ihre 15 Schlachtschiffe (plus 7 französische) konnte die deutsche Kriegsmarine unter der Führung des Großadmirals Erich Raeder lediglich 2 Schlachtschiffe einsetzen. Selbst auf dem Sektor der U-Boote bestand auf Seiten der Alliierten eine Überzahl. Diese hatten vor Görings Luftwaffe einen übertriebenen Respekt, was vom Zahlenverhältnis her aber nicht gerechtfertigt war (4093 Frontflugzeuge gegen 3195 auf britisch-französischer Seite). Angesichts der fieberhaften Rüstungsbemühungen der Westmächte, die von amerikanischer Seite unterstützt wurden, war in diesem Bereich zudem eine rasche Verbesserung zu erwarten. Um ihre Kräfte für den zu erwartenden Zusammenstoß mit der Wehrmacht zu erhalten, entschlossen sich die Alliierten, entgegen ihrer Zusage an die Polen keinen massiven Angriff gegen den deutschen Westwall zu führen. Die tapfer kämpfende, technisch aber hoffnungslos veraltete polnische Armee wartete vergeblich auf die versprochene Entlastung aus dem Westen. Ihr Defensivkonzept einer linearen Rundumverteidigung erwies sich als illusionär. Nur wenigen Truppen gelang es, sich hinhaltend kämpfend auf das Zentrum, die Festung Warschau, durchzuschlagen. Hier wollte man sich behaupten, bis ein alliierter Angriff im Westen die Deutschen zum Abzug ihrer stärksten Verbände zwingen würde. Doch stattdessen fiel ab 17. September die Rote Armee den Polen in den Rücken. Warschau kapitulierte nach mehr als zweiwöchiger Belagerung am 27. September, nachdem schwere Luftangriffe den Widerstandswillen der Verteidiger gebrochen hatten. Am 6. Oktober ergaben sich die letzten Truppenteile. Etwa 90000 Mann konnten über Rumänien ausweichen und schlossen sich den französischen Streitkräften an. Sie bildeten den Kern
I.
Wehrmacht ist zum Weltkrieg nicht gerüstet
Westmächte opfern Polen
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Die Entfesselung des Krieges
I. Die Roten Armee sichert Stalins Beute
Massenmord und sowjetisches Okkupationsregime
NS-Rassenpolitik und Annexion polnischer Gebiete
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einer neuen Armee, die von der polnischen Exilregierung unter General Władyslaw Sikorski in London aufgestellt wurde. Die in Ostpolen dislozierten Reservearmeen gerieten zumeist in sowjetische Gefangenschaft. Lange hatte Berlin Stalin zum Eingreifen gedrängt, um eigene Truppen für die Verlegung nach Westen freizubekommen. Als die Rote Armee mit dem Einmarsch in jene Gebiete begann, die Hitler Stalin als sowjetisches „Interessengebiet“ zugesichert hatte, tolerierten die Westmächte diesen Schritt, obwohl sie im März den Bestand Polens garantiert hatten. Sie wollten es nicht riskieren, durch eine Kriegserklärung an das verhasste Stalin-Regime ihre strategische Position noch weiter zu verschlechtern. Das „unnatürliche“ Bündnis zwischen Hitler und Stalin konnte nicht von langer Dauer sein. Stalin zögerte nun nicht mehr, sondern wollte Schritt für Schritt auch andere Nachbarstaaten unterwerfen, die ihm Hitler ausgeliefert hatte. Unter massivem diplomatischem Druck zwang er die baltischen Republiken, der Einrichtung von sowjetischen Stützpunkten zuzustimmen. Dann wandte er sich gegen Finnland, das sich seinen Gebietsforderungen in Karelien verweigerte. Im finnisch-sowjetischen Winterkrieg erlitt die weit überlegene Rote Armee, die hier 1,2 Millionen Mann mit 3000 Panzern einsetzte, schwere Verluste gegen die rund 200000 finnischen Soldaten. Nur mit Mühe konnte Moskau der finnischen Regierung unter Marschall Mannerheim am 13. März 1940 einen Annexionsfrieden aufzwingen. Finnland verlor 10 Prozent seines Territoriums und musste 400000 Flüchtlinge aus Karelien aufnehmen. Das Schicksal Polens blieb nicht lange unklar. Erneute Verhandlungen Ribbentrops in Moskau führten am 28. September 1939 zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag. In verschiedenen Zusatzprotokollen, Briefen und Erklärungen wurden weitere Gebietsfragen und politische Probleme geklärt. Die Diktatoren teilten Polen gleichmäßig untereinander auf. Das härteste Schicksal erlebten zunächst die Menschen im sowjetischen Besatzungsgebiet. Die Sowjetisierung wurde als Klassenkampf organisiert, dem die bürgerlichen Eliten, vorwiegend polnischer Nationalität, zum Opfer fielen. Weil auch Stalin keine offizielle Kriegserklärung ausgesprochen hatte, wurden die entwaffneten polnischen Soldaten als Verbrecher behandelt und in Straflager deportiert. Offiziere, Geistliche, Gutsherren und andere „Klassenfeinde“ ermordete der NKVD. Katyn wurde später zum symbolischen Ort für diesen Massenmord, den die sowjetische Propaganda 50 Jahre lang leugnete. Die Gräber waren bereits 1943 von den Deutschen entdeckt und für ihre Propaganda genutzt worden. Erst das Ende des Sowjetimperiums machte den Weg für die Wahrheit seit 1990 frei. Im Zuge der territorialen Umgestaltung wurden die 1919 abgetrennten preußischen Gebietsteile dem Reich wieder einverleibt. Zusammen mit weiteren polnischen Westprovinzen bildeten sie die „eingegliederten Ostgebiete“. Den größten Zusammenschluss stellte der neue Gau Wartheland dar, der als Vorreiter für die geplante Germanisierung galt. Aus diesen annektierten Gebieten sollte die polnische Bevölkerung in verschiedenen Wellen zwangsweise vertrieben werden. Teile wurden „eingedeutscht“ und durch volksdeutsche Umsiedler verstärkt, die nach den Absprachen mit Sta-
Der Angriff auf Polen
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lin aus dessen Einflussbereich auswandern durften. Es war der Beginn einer planmäßigen Siedlungspolitik, für die das besetzte Polen zum Experimentierfeld wurde. Obwohl die Besatzungspolitik der Nationalsozialisten klaren ideologischen Vorgaben folgte, blieb sie stets widersprüchlich und wurde in den unterschiedlichen Territorien mit teils erheblichen internen Konflikten umgesetzt. Zentralpolen wurde als „Beuteland“ betrachtet und als „Generalgouvernement“ dem Reich angegliedert. Die Regierung unter Hans Frank mit Sitz in Krakau übernahm die Aufgabe, die polnische Kultur und Nationalität zu verdrängen, die durch die Deportationen aus den annektierten Gebieten rasch wachsende Bevölkerung auf einem unteren Lebensstandard zu halten und als Sklavenarbeiter dem Reich zur Verfügung zu stellen. Gleich nach Kriegsbeginn hatte die SS begonnen, polnische Führungskräfte und Aktivisten zu ermorden sowie unsystematische Pogrome und Massentötungen an der jüdischen Bevölkerung durchzuführen. Solange es eine starke Militärverwaltung im Lande gab, kam es wiederholt zu Protesten von Befehlshabern und Soldaten. Die Heeresführung ließ sich aber von Hitler abweisen und hielt sich auffällig zurück. Generaloberst Johannes Blaskowitz, Oberbefehlshaber Ost, in einer Denkschrift zur militärpolitischen Lage vom 6. Februar 1940 Aus: Klemp, Freispruch für das „Mord-Bataillon“, S. 120.
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Der schlimmste Schaden jedoch, der dem deutschen Volkskörper aus den augenblicklichen Zuständen erwachsen wird, ist die maßlose Verrohung und sittliche Verkommenheit, die sich in kürzester Zeit unter wertvollem deutschen Menschenmaterial wie eine Seuche ausbreiten wird. Wenn hohe Amtspersonen der SS und Polizei Gewalttaten verlangen und sie in der Öffentlichkeit belobigen, dann regiert in kürzester Zeit nur noch der Gewalttätige. Überraschend schnell finden sich Gleichgesinnte und charakterlich Angekränkelte zusammen, um, wie es in Polen der Fall ist, ihre tierischen und pathologischen Instinkte auszutoben. Es besteht kaum noch Möglichkeit, sie im Zaum zu halten, denn sie müssen sich mit Recht von Amtswegen autorisiert und zu jeder Grausamkeit berechtigt fühlen.
Für die deutsche Kriegführung wurde Polen zu einer wichtigen Drehscheibe, zunächst als Rückendeckung für den Aufmarsch gegen Frankreich, dann ein Jahr später gegen die UdSSR. Im Winter 1939/40 trafen die ersten sowjetischen Hilfslieferungen ein. Stalin war bereit, mit großen Mengen an Getreide, Mineralöl und anderen kriegswichtigen Rohstoffen die deutsche Kriegführung zu unterstützen. Großzügige Kredite wurden im Rahmen eines neuen Handelsvertrags gewährt, der Deutschland im Gegenzug dazu verpflichtete, durch die Lieferung modernster Rüstungstechnologie und Anlagen die sowjetische Aufrüstung zu fördern. So intensivierte die UdSSR die Partnerschaft mit dem Reich, obwohl sie offiziell neutral blieb.
Stalin unterstützt Hitlers Kriegführung
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Die Entfesselung des Krieges
I.
3. Die Ausweitung des Krieges Kriegspläne der Westmächte
Ausgreifen nach Norwegen
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Die Westmächte richteten sich derweil auf den deutschen Angriff ein. Sie vertrauten auf den Schutz der Maginot-Linie und wollten an der Peripherie aktiv werden. So trafen sie Vorbereitungen, ein Hilfskorps für die Finnen notfalls auch ohne Zustimmung der betroffenen Regierungen in Norwegen landen und durch Nordschweden marschieren zu lassen. Damit wäre zugleich Hitler von dieser lebenswichtigen Rohstoffregion abgeschnitten und der Blockadering enger gezogen. Parallel dazu wurden auch Luftangriffe auf die Ölquellen des Kaukasus erwogen, um eine Offensive der Wehrmacht mit sowjetischem Treibstoff zu erschweren. Wie in Paris verschärften sich auch in London die internen Gegensätze. Churchill forderte als Erster Lord der Admiralität mehr Kompetenzen und eine aktivere Kriegführung gegen Deutschland. Sein Plan, vor Narvik Minensperren zu legen und damit die deutschen Frachter zu treffen, die über den eisfreien Hafen im Winter schwedisches Eisenerz abholten, fand Zustimmung. In Berlin beobachtete die Marineführung die Entwicklung mit Besorgnis. Sie war selbst daran interessiert, ihre Operationsbasis nach Norden auszudehnen und damit die Nord- und Ostsee besser kontrollieren zu können. Nordeuropa zählte in den Planungen für eine deutsche „Großraumwirtschaft“ ohnehin zu den unverzichtbaren Positionen, so wie auch Hitlers Visionen eines „Großgermanischen Reiches“ wie selbstverständlich die „wertvollen“ nordgermanischen „Blutsquellen“ umfassten. Hitler setzte General Nikolaus v. Falkenhorst ein, um mit einem Sonderstab ein mögliches Eingreifen vorzubereiten. Das Unternehmen erhielt den Decknamen „Weserübung“. Die schwierigen geographischen und klimatischen Verhältnisse erzwangen eine sorgfältige Planung. Die Hauptkräfte stellte die Kriegsmarine, die alle verfügbaren Einheiten einzusetzen bereit war. Heer und Luftwaffe blieben auf die bevorstehende Offensive gegen Westeuropa konzentriert. Am 7. April begann der deutsche Flottenaufmarsch, der ein hohes Risiko barg. Der von der Sowjetunion begrüßte Coup gelang im ersten Teil. Mit Beginn der Landungen am 9. April in Norwegen und angesichts drohender Luftangriffe beschloss die dänische Regierung, keinen Widerstand zu leisten. Die Besetzung des Landes und die Demobilisierung seiner Armee vollzogen sich ohne Reibungen. Hitler entsandte einen „Reichsbevollmächtigen“ nach Kopenhagen, der von einem Wehrmachtbefehlshaber unterstützt dafür sorgte, dass sich Dänemark in den deutschen Machtbereich einfügte und seine Ressourcen dem Reich zur Verfügung stellte. Auf eine ähnliche Entwicklung hoffte man in Berlin auch im Hinblick auf Norwegen. Doch Regierung, Parlament und König zogen sich ins Landesinnere zurück und organisierten den militärischen Widerstand. Die Briten besetzten unterdessen die dänischen Färöer-Inseln, später auch Island, gewannen so eine bessere Kontrolle des Nordatlantiks, verpassten aber mit ihrer Homefleet den deutschen Hauptverband. Sie landeten ihrerseits Truppen in der Nähe von Drontheim, in Namsos und Andalsnes. Die Deutschen stießen auf schnell wachsende Schwierigkeiten. Der Vormarsch im Landesinne-
Vom Sitzkrieg zum Blitzkrieg ren verlangsamte sich, und die Kriegsmarine erlitt in Seegefechten schwere Verluste. Sie verlor vor Narvik fast alle ihre Zerstörer (10 von 14), außerdem sanken 3 Kreuzer und 9 Transportschiffe. Immerhin war es gelungen, 107581 Soldaten mit 20339 Fahrzeugen, 16102 Pferden und über 100000 Tonnen Material nach Norwegen zu transportieren. Görings Luftwaffe brachte weitere 29280 Mann und 2375 Tonnen Nachschub heran. Von ihren neuen Stützpunkten in Oslo und Drontheim flogen Kampfverbände massive Angriffe gegen die alliierte Flotte. Briten und Franzosen sahen sich gezwungen, Namsos und Andalsnes wieder aufzugeben, konzentrierten dann aber ihre Kräfte gegen Narvik. Dort war eine deutsche Kampfgruppe von Gebirgsjägern unter General Eduard Dietl, verstärkt durch schiffbrüchige Matrosen der Kriegsmarine, isoliert worden. Britischen, französischen, polnischen und norwegischen Soldaten gelang die Rückeroberung von Stadt und Hafen (28. Mai 1940). In einer erbitterten Schlacht standen die Deutschen kurz vor einer dramatischen Niederlage. Wegen der Entwicklung der Kämpfe in Frankreich waren die Alliierten aber gezwungen, am 8. Juni ihre Kräfte abzuziehen. Die norwegische Armee kapitulierte zwei Tage später. Die Regierung und König Haakon VII. gingen ins britische Exil. Die Wehrmacht hatte mit viel Glück die wirtschaftlich wie strategisch wichtigen Positionen in Skandinavien gewonnen. Trotz schmerzlicher Verluste konnte die Kriegsmarine damit das „nasse Loch“ der Nordsee verlassen und zu einer atlantischen Kriegführung übergehen. Auch die Luftwaffe verbesserte ihre Angriffsposition gegenüber Großbritannien. Das neutrale Schweden geriet nun in eine weitgehende Abhängigkeit vom Reich, das sich der wertvollen Ressourcen bedienen konnte, ohne das Land erobern zu müssen. Während des ganzen Kriegs blieben allerdings starke Kräfte zur Sicherung der langen norwegischen Küste gebunden (350000 Mann). Der rechtsradikalen Bewegung unter Vidkun Quisling gelang es nicht, die vollständige Kollaboration der Bevölkerung zu gewährleisten. SS und Polizei sorgten in Zusammenarbeit mit dem Wehrmachtbefehlshaber durch Einschüchterung und Terror dafür, dass der Widerstand nur langsam erstarken konnte. Norwegen und Dänemark waren Anfang Mai 1945 die letzten Faustpfänder in der Hand des OKW.
I.
Drohende deutsche Niederlage in Narwik
4. Vom Sitzkrieg zum Blitzkrieg Die bisherigen militärischen Unternehmungen waren für die Wehrmacht keine ernsthaften Herausforderungen gewesen, sondern kurze Kampfhandlungen gegen einen unterlegenen Gegner, teils sogar kampflose Besetzungen. Als Hitler im Oktober 1939 befahl, innerhalb weniger Tage den Angriff im Westen zu eröffnen, musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass der deutsche Generalstab – anders als 1914 – über keinen vorbereiteten Plan verfügte. Die Generalität hatte nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs großen Respekt vor den Briten und Franzosen. Von der Möglichkeit eines schnellen Sieges war sie nicht so leicht zu überzeugen. Hitler musste
Vorbereitung der Westoffensive
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Die Entfesselung des Krieges
I.
„Sitzkrieg“
Manstein-Plan
Kräftevergleich
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sich den Bedenken gegen ein Antreten noch im Herbst und Winter beugen. Immer wieder wurden Angriffstermine für den Fall „Gelb“ verschoben, insgesamt 29-mal. In der schwelenden Vertrauenskrise war ein möglicher militärischer Staatsstreich nicht ausgeschlossen. Dem Widerstand fehlte freilich die treibende Kraft, und die Heeresspitze hielt sich bedeckt. Die Verschiebung des Angriffs auf das Frühjahr 1940 ließ Zeit für zusätzliche Rüstungen, mit denen sich die Erfolgsaussichten verbesserten. Es war – neben den erkannten Mängeln in der Ausbildung und Ausrüstung – vor allem der geringe Vorrat an Munition, der bedenklich schien. Jetzt rächte sich die zögerliche wirtschaftliche Mobilmachung, mit der die Partei den Besorgnissen in der eigenen Bevölkerung entgegenkam. Zwischen Westwall und Maginot-Linie herrschte ein „Sitzkrieg“, der die Angst vor blutigen Materialschlachten verdrängte. Mit der Ernennung von Fritz Todt zum Munitionsminister unterlief Hitler die Mahnungen und Bedenken der Militärs. Ein baldiger Hochlauf der Rüstung schien gesichert. Das OKH beschäftigte sich mit Variationen des alten Aufmarsch- und Operationsplans von 1914. General Erich von Manstein kritisierte am schärfsten diesen Ansatz und hatte im Januar 1940 eine scheinbar „verrückte“ Idee präsentiert, die ihm flugs die Versetzung auf einen unbedeutenden Posten einbrachte. Er wollte mit dem rechten Flügel Holland besetzen und den Gegner dadurch verleiten, seine wertvollen beweglichen Verbände in Richtung Belgien in Marsch zu setzen. Die eigenen schnellen Divisionen sollten als „starker Sturmbock“ zusammengefasst werden, einen kühnen Stoß durch die waldreichen Ardennen führen und den Raum Arras-Boulogne erreichen. Damit wäre das alliierte Expeditionskorps von seiner Ausgangsbasis abgeschnitten. Das würde die Entscheidung bringen. Vor allem Heinz Guderian, der sich als Panzerführer bereits in Polen einen Namen gemacht hatte, zeigte sich für die Idee aufgeschlossen. Manstein erhielt Gelegenheit, Hitler persönlich den Plan vorzutragen. Dieser fand Gefallen daran, doch entgegen manchen alten Legenden wurden Mansteins Vorstellungen nur teilweise umgesetzt. Auch Generalstabschef Franz Halder, der sich nach 1945 rühmte, der eigentliche Schöpfer des „Sichelschnitt“-Plans zu sein, war zunächst ein strikter Gegner der Ideen Mansteins gewesen. Als die Wehrmacht am 10. Mai 1940 die Westoffensive eröffnete, befand sie sich gegenüber den Westmächten (einschließlich Belgiens und der Niederlande) in einer zahlenmäßigen Unterlegenheit. Die Gegner verfügten über 151 Divisionen mit 3,5 Millionen Soldaten, das deutsche Heer setzte 135 Divisionen mit knapp 3 Millionen Mann ein; davon blieben 45 Divisionen in der Reserve zurück. Bei der Artillerie war die alliierte Seite fast doppelt so stark wie die deutsche (13947 Rohre gegenüber 7378). Sie verfügte über 4204 Panzer, zu einem großen Teil technisch überlegene Modelle. Die Deutschen konnten mit ihrer noch jungen Panzerwaffe lediglich 2439 Fahrzeuge einsetzen. Die Legende von einer angeblichen deutschen Überlegenheit in der Luft als Erklärung für die Niederlage der Franzosen hat sich hartnäckig gehalten. Tatsächlich standen 3578 einsatzbereiten deutschen Flugzeugen 4469 alli-
Vom Sitzkrieg zum Blitzkrieg ierte gegenüber, die allerdings aus berechtigter Sorge vor einem deutschen Überraschungsangriff meist weit ins Hinterland zurückverlegt worden waren. Auf dem Schlachtfeld beherrschte Görings Luftwaffe den Himmel, weil die deutsche Seite stets rücksichtslos alle verfügbaren Maschinen einsetzte. Franzosen und Briten verfolgten dagegen eine Strategie des sparsamen Einsatzes, weil man sich auf eine längere Auseinandersetzung eingestellt hatte. Die modernen deutschen Jäger Messerschmitt Bf 109 konnten auch deshalb die Luftherrschaft erringen, weil die gleichwertigen britischen Spitfire-Maschinen zur Verteidigung der britischen Insel zurückgehalten wurden. So war das Verhältnis in der Luft 12:1 zugunsten der Deutschen. Die Luftwaffe hatte den ersten Schlag geführt. Rund 350 feindliche Maschinen wurden am Boden zerstört. Die Niederlande, Belgien und Luxemburg wurden aufgefordert, keinen Widerstand zu leisten. Ihre Neutralität werde von der Wehrmacht gesichert, verkündete Berlin. Dass der erneute Bruch des Völkerrechts – wie 1914 – dem deutschen Ansehen in der Weltöffentlichkeit schaden würde, schätzte man in Berlin geringer ein als die politisch-strategischen sowie ökonomischen Vorteile. Die Alliierten hatten vorsorglich ihre Kräfte bis zur Kanalküste vorgestaffelt und verstärkt, weil sie eine Umgehung der Maginot-Linie befürchteten. Eine Abstimmung mit den belgischen und niederländischen Streitkräften war bis zum Beginn der deutschen Offensive nicht möglich gewesen. Im Augenblick der höchsten Gefahr verfügte die größte Militärmacht infolge der Regierungskrise in Paris über keine starke Führung. In London war Premierminister Chamberlain wegen des Rückschlags in Norwegen zurückgetreten. Winston S. Churchill bildete eine Allparteien-Regierung und nahm das Heft fest in die Hand. Am 11. Mai 1940 beschloss das Kabinett die Eröffnung des strategischen Bombenkriegs gegen das deutsche Hinterland. Der deutsche Vorstoß gegen die „Festung Holland“ kam rasch voran, obwohl die Luftlandungen hohe Materialverluste forderten. Der schnelle Zugriff auf Den Haag scheiterte. Fallschirmjägern gelang es aber, wichtige Brücken einzunehmen. Die 9. Panzerdivision stieß zu deren Stützpunkten vor und schob sich dabei in den Rücken der holländischen Verteidigungslinie. Verzögerungen bei der Übergabe von Rotterdam führten zu einem schweren Luftangriff, bei dem die historische Altstadt niederbrannte und 814 Einwohner ihr Leben verloren. Die Regierung und Königin Wilhelmina wichen nach England aus. Die Streitkräfte kapitulierten am 15. Mai 1940. Luxemburg war bereits am 10. Mai innerhalb weniger Stunden besetzt worden. Kriegstagebuch des Generalkommandos des XXXIX. Armeekorps, 14. März 1940 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S. 160.
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Anfangserfolge
Bombardierung Rotterdams
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Dem Fliegerkorps Putzier, das für den Angriff bereitstand, war der Funkbefehl gegeben worden, nicht zu starten. Das völlige Abstoppen des Angriffes war aber technisch nicht mehr möglich, so dass noch ungefähr ein Drittel der angesetzten Verbände startete. Vor Beendigung der Verhandlungen fiel von diesen Verbänden um 15.00 Uhr noch ein Teil der Bomben zur selben Zeit, als über die Brücke der Unterhändler zurückkehrte. Etwa 50 Bomben trafen den Stadtteil am Nordufer der Neuen Maas, Rotterdam-Mitte und -Ost. Auch durch die vom Boden abgeschossenen ro-
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Die Entfesselung des Krieges
I.
ten Leuchtkugeln konnte der Angriff nicht mehr aufgehalten werden. Diese Stadtteile wurden stark zerstört und brannten an vielen Stellen so stark, dass durch die Rauchschwaden eine weitere genaue Beobachtung nicht mehr möglich war.
Durchbruch an der Maas
Vorstoß an die Kanalküste
Das „Wunder“ von Dünkirchen
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Unterdessen waren die britisch-französischen Truppen des linken Flügels in Belgien einmarschiert. Die Hauptfestung Eben-Emael war gefallen, die Belgier wichen zurück. Französische Aufklärungsflieger hatten zwar den deutschen Aufmarsch in den scheinbar undurchdringlichen Ardennen entdeckt, konnten jedoch über die Stoßrichtung der „Panzergruppe Kleist“ keine Erkenntnisse gewinnen. Über eine Länge von 250 Kilometern bildete sich der größte Verkehrsstau der europäischen Geschichte. Das Ende befand sich 80 Kilometer ostwärts des Rheins. Die Chance, mit einem Schlag die gesamte deutsche Panzerwaffe in dieser Falle zu zerschlagen, wurde von den Alliierten nicht erkannt. Plötzlich stand deutsche Infanterie bei Sedan an der Maas, konnte den Fluss überwinden und den nachfolgenden Panzern den Weg bahnen. Die überrumpelte französische Verteidigung brach wie ein Kartenhaus zusammen. Panik breitete sich aus. In einer Massenpsychose wurden überall deutsche Panzer gesehen. Der Schockeffekt der neuen Angriffsmethode eines Masseneinsatzes von Panzern und Flugzeugen wurde durch den Lärm der Sturzkampfbomber Ju 87 verstärkt. Manstein hatte einen schnellen Vorstoß zur Kanalküste vorgeschlagen, um einen Rückzug der Alliierten aus der belgischen Falle zu verhindern. Doch Hitler und die Generalität schreckten vor den Risiken zurück. Guderians Panzer sollten das Aufrücken starker Infanterieverbände abwarten. Doch dieser zögerte nicht und stieß unverzüglich aus dem Brückenkopf von Sedan in Richtung Küste vor. Die lawinenartige Dynamik riss alle Panzerdivisionen mit, die ohne Flankenschutz rücksichtslos losfuhren, eine Bewegung wie eine „Sichel“ (Churchill: „Sichelschnitt“). Hitler verlor zeitweise den Überblick und versuchte entnervt, die Panzer zu stoppen. Aber es gelang wider Erwarten, die vereinzelten Gegenangriffe vor allem durch den Einsatz der Luftwaffe zu stoppen und den Korridor, der 1,7 Millionen alliierte Soldaten einschloss, zu verstärken. Erstaunlicherweise kamen die drei französischen Panzerdivisionen niemals geschlossen zum Einsatz. Am 20. Mai erreichten die deutschen Panzer den Kanal. Die alliierten Truppen zogen sich in den Raum Dünkirchen zurück. Generaloberst Gerd v. Rundstedt scheute als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A den Kampf in dem schwierigen Gelände und ließ die Panzer sofort stoppen. Sie sollten das Aufschließen der Infanterie abwarten. Der nach dem Krieg vieldiskutierte Haltebefehl von Dünkirchen wurde von Hitler bestätigt. Es blieb Rundstedt überlassen, den Zeitpunkt des Wiederantretens zu bestimmen. Am 27. Mai war es zu spät, um das stark verteidigte Terrain zu überrennen. Göring hatte angeboten, mit seiner Luftwaffe die beginnende Evakuierung des britischen Expeditionskorps über See zu verhindern. In einer einmaligen Rettungsaktion (Operation „Dynamo“) unter Leitung von Admiral Sir Bertram Ramsay wurden mit Hunderten von Kleinfahrzeugen – wenngleich unter großen Verlusten – 198315 Briten und 123000 Franzosen nach Eng-
Vom Sitzkrieg zum Blitzkrieg
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land transportiert. Sie ließen ihr gesamtes Gerät am Strand zurück, darunter 2472 Geschütze und 63879 Fahrzeuge. Rund 40000 Franzosen gerieten in Gefangenschaft. Am 28. Mai kapitulierte die belgische Armee. König Leopold III. blieb im Lande, das Kabinett ging ins britische Exil und stellte – ebenso wie die niederländische Regierung – die Ressourcen ihres Kolonialreiches für den Kampf gegen Hitler zur Verfügung. Das „Wunder von Dünkirchen“ schuf die Voraussetzung dafür, dass Großbritannien den Kampf schließlich auch allein fortsetzen konnte, zweifellos ein Wendepunkt des europäischen Kriegs, der gar nicht überschätzt werden kann. Ronald Cartland, Mitglied des britischen Unterhauses, gefallen bei Dünkirchen, Brief vom 23. Mai 1940 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S.164.
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Ich verstehe gut, dass der Krieg die unglaublichste und nervenaufreibendste Erfahrung ist, die einem beschieden sein kann […] Ich weiß kaum, wer im neuen Kabinett sitzt oder wie die neuen Minister und Staatssekretäre heißen. Das Ganze interessiert mich natürlich sehr. Nach allem, was ich bis jetzt gehört habe, ist Winston Churchill einfach grandios. Ich bin begeistert darüber. Endlich eine Regierung, die ich mit ganzem Herzen befürworten kann.
Am 5. Juni 1940 begann die von starken Luftstreitkräften unterstützte Heeresgruppe B den Angriff gegen die Weygand-Linie in Richtung auf die untere Seine. Nach anfänglich zähem Widerstand der Franzosen konnten die Panzergruppen Kleist und Guderian in Richtung Südwesten in den Rücken der Maginot-Linie vorstoßen. Die dort stationierten starken Kräfte wurden durch Fesselungsangriffe der Heeresgruppe C am Oberrhein gebunden. Der Zusammenbruch der französischen Front war nur noch eine Frage der Zeit. Weygand empfahl die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen und stieß auf scharfen Widerspruch von Brigadegeneral Charles de Gaulle, dem neuen Staatssekretär im Verteidigungsministerium, der seine modernen Vorstellungen über den Einsatz der Panzertruppe nicht durchzusetzen vermocht hatte. Am 10. Juni kapitulierten die norwegischen Truppen. Die Evakuierung des britisch-französischen Expeditionskorps war trotz einiger Verluste gelungen. Nun erklärte Mussolini den Kriegseintritt Italiens. Zahlenmäßig bedeutete die Entscheidung des Duce eine wesentliche Verstärkung für die deutsche Kriegführung, allerdings nicht in der Kampfkraft. In Italien und in Libyen standen 59 schwache Divisionen mit 250000 Mann zur Verfügung, in Ostafrika noch einmal 350000 Mann, vorwiegend Eingeborene. Am schlagkräftigsten war die Luftwaffe mit 3296 Maschinen. Die italienische Kriegsmarine, zahlenmäßig sehr viel größer als die deutsche, war nur zum Teil einsatzbereit und überwiegend veraltet. Sie zögerte, sich den etwa gleich starken französisch-britischen Seestreitkräften im Mittelmeer zum Kampf zu stellen. Schwache Angriffe des italienischen Heeres in den letzten zwei Kriegstagen an der südfranzösischen Grenze hatten keine strategische Bedeutung. Auch Stalin hatte es plötzlich eilig und besetzte nach einem Ultimatum die drei baltischen Staaten. Präsident Roosevelt versprach der französischen
Frankreichs Niederlage
Kriegseintritt Italiens
England kämpft allein weiter
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Die Entfesselung des Krieges
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Regierung jede Form von materieller Hilfe, konnte einen Kriegseintritt der größten Demokratie aber nicht in Aussicht stellen. Er hatte die Präsidentenwahlen im November im Auge und durfte die starke isolationistische Strömung in der Bevölkerung nicht ignorieren. Am 11. Juni kam Churchill zu einem letzten Besuch nach Frankreich. Er beschwor die Franzosen, den Krieg um jeden Preis weiterzuführen, notfalls von Nordafrika aus. Selbst eine staatliche Union mit Großbritannien wurde erwogen. Die Mehrheit des Kabinetts lehnte schließlich diese Pläne ab und entschied sich, während die Briten ihre letzten Kräfte aus Cherbourg abzogen, für einen Waffenstillstand. Aus ihrer Sicht schienen die USA lediglich an den französischen Goldreserven interessiert und die Briten an der französischen Flotte. Ministerpräsident Reynaud trat zurück und benannte seinen Stellvertreter Pétain als seinen Nachfolger. General de Gaulle ging nach London und erklärte sich zum „Führer der Freien Franzosen“.
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Londoner Rundfunkrede de Gaulles vom 18. Juni 1940 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S. 194. Dieser Krieg ist durch die Schlacht in Frankreich nicht beendet. Dieser Krieg ist ein Weltkrieg. Alle die Fehler, alle die Unterlassungen, alle die Leiden hindern nicht, dass es in der Welt sämtliche erforderlichen Mittel gibt, eines Tages unsere Feinde zu vernichten […] Was auch kommen mag, die Flamme des Widerstandes darf nicht erlöschen und wird nicht erlöschen.
Waffenstillstand vom Compiègne
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Innerhalb von Tagen hatte sich die militärische Lage dramatisch verschlechtert. Am 12. Juni war die Wehrmacht durch die Pariser Schutzstellung gebrochen. Am 14. Juni zogen Einheiten der 87. Infanteriedivision durch die zur „offenen Stadt“ erklärte Hauptstadt. Das symbolträchtige Verdun wurde am 15. Juni erobert. Rommels 7. Panzerdivision („Gespenster“-Division) hatte Operationsfreiheit gewonnen und stieß unaufhaltsam in Richtung Cherbourg, dann zur spanischen Grenze vor. Im Osten Frankreichs waren die französischen Kräfte durch den deutschen Vorstoß an der Rhône abgeschnitten. Durch die Briten konnten in der letzten Phase der Kampfhandlungen noch einmal 191870 Mann evakuiert werden (Engländer, Franzosen, Polen, Tschechen und Belgier). Am 20. Juni 1940 bat die französische Regierung um Waffenstillstand, der zwei Tage später im historischen Salonwagen von Compiègne nach dem Vorbild der Ereignisse im November 1918, nun mit umgekehrten Rollen, unterzeichnet wurde. Die französische Kanal- und Atlantikküste sowie der nördliche Teil Frankreichs blieben von deutschen Truppen besetzt. Die Streitkräfte wurden bis auf 100000 Mann abgerüstet. Im unbesetzten Teil residierte die Regierung in Vichy. Neuer leitender Minister unter Pétain wurde Pierre Laval. Er verfolgte das Ziel, gestützt auf die Kolonien und die Flotte die weitere Erosion der französischen Machtposition zu verhindern und in der Kollaboration mit dem „Dritten Reich“ das Land zu „erneuern“. Am 24. Juni 1940 wurde der italienisch-französische Waffenstillstand geschlossen. Italien erhielt nur einen geringen Einfluss in den Kontrollkommissionen, die über die Abrüstung in Nordafrika und Syrien wachen sollten.
Vom Sitzkrieg zum Blitzkrieg Die Sensation war perfekt. Was im Ersten Weltkrieg in vier Jahren nicht gelungen war, hatte Hitlers Wehrmacht in vier Wochen erreicht. Frankreich, stärkste Militärmacht des Kontinents in den zwanziger und dreißiger Jahren, lag am Boden. Wie ist dieses Ergebnis zu erklären? Die Legende von der personellen, materiellen und technischen Überlegenheit der deutschen Truppen ist längst widerlegt. Bei einer leichten zahlenmäßigen Übermacht von Briten und Franzosen war das militärische Kräfteverhältnis in etwa gleich. Der Angriff kam auch nicht überraschend, wie ein Jahr später gegen die UdSSR. „Blitzkrieg“ Das Wort wurde im offiziellen Sprachgebrauch der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nicht verwendet. Es wurde in der Vorkriegszeit vereinzelt in der Militärpublizistik benutzt und als strategischer Überfall definiert, der durch den operativen Einsatz von Panzern, unterstützt von starken Luftstreitkräften sowie Luftlandetruppen eine schnelle Entscheidung auf dem Schlachtfeld bewirkt. Der überraschend schnelle deutsche Erfolg im Frankreichfeldzug 1940 führte vor allem im britischen Kriegsjournalismus zur inflationären Verwendung des schillernden Begriffs, um die alliierte Niederlage zu erklären. Nach der Wende vor Moskau war der Begriff auf deutscher Seite geradezu verpönt und Hitler dementierte, es jemals benutzt zu haben. In der Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit wurde der Begriff nachträglich zu einem Erklärungsmodell für die deutschen Erfolge ausgebaut, das über alle ideologischen Gegensätze hinweg in Ost und West benutzt wurde. Die neuere Forschung betont hingegen, dass der Feldzug gegen Frankreich überhaupt nicht als blitzartiger Krieg geplant gewesen ist. Der einzige, geplante deutsche Blitzkrieg fand gegen die UdSSR statt und scheiterte.
I. Blitzkrieg-Legende
E
Mit der Zerstörung der „Blitzkrieg-Legende“ (Karl-Heinz Frieser) ist deutlich geworden, dass die Entscheidung – wie 1870 – auf dem alten Schlachtfeld von Sedan gefallen ist. Hier war die „zufällige“ Geburtsstunde der deutschen Blitzkriegstaktik, aus der Improvisation heraus entstanden und hauptsächlich von dem Panzergeneral Heinz Guderian forciert. Sie verschaffte der Wehrmacht für die nächsten zwei Kriegsjahre jenes Instrument, das Hitlers gepanzerte Stoßarmeen scheinbar unschlagbar machte. Diese Revolution in der Kriegskunst verleitete den deutschen Generalstab aber auch zu einer Selbstüberschätzung, die vor den Toren Moskaus zum Scheitern führte. Im Kampf gegen die französische Armee konnte die Wehrmacht den befürchteten Rückfall in den Stellungskrieg vermeiden und durch waghalsige Operationen den Sieg erringen, weil die französische Militärführung im statischen Denken des Ersten Weltkriegs befangen gewesen ist und im Strudel des unerwarteten Bewegungskriegs unterging. Zwar waren die deutschen Generale ebenfalls von der Entwicklung überrascht, doch zeigten sie sich aufgrund ihrer Schulung und Führungstechnik imstande, sich der neuen Lage sehr viel schneller anzupassen. Die atemberaubende Steigerung der Angriffsgeschwindigkeit rief einen psychologischen Schockeffekt beim Gegner hervor, von dem er sich nicht wieder erholte. Die Überraschung war allerdings niemals wieder so vollkommen wie im Westfeldzug 1940. Er gilt deshalb als der perfekte „Blitzkrieg“. Doch als solcher war er keineswegs geplant und konnte angesichts der begrenzten deutschen Rüstung gegen einen starken Gegner nur auf eine
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Die Entfesselung des Krieges
I.
Distanz von 300 Kilometern, innerhalb eines Monats und begünstigt durch den Frühsommer sowie die verkehrsgeographischen Verhältnisse in Westeuropa zum Sieg führen. Als vermeintliches Siegesrezept gegen die UdSSR führte er die Wehrmacht ein Jahr später zwar zu gewaltigen Schlachtensiegen, am Ende aber in die Niederlage.
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II. Der „Krieg der Fabriken“ Der Erste Weltkrieg hatte gezeigt, dass es im „Krieg der Fabriken“ in besonderer Weise darauf ankam, die industriellen, technischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten einer Nation zu mobilisieren. Sie konnten in begrenztem Maße personelle oder materielle Unterlegenheit ausgleichen und das Glück der Feldherren wenden helfen. Im Großen und Ganzen bestimmten im Zweiten Weltkrieg jene Waffen das Bild, die bereits im Ersten Weltkrieg vorhanden waren. Doch die Materialschlacht wurde nun hauptsächlich durch den Motor bestimmt. Panzer und Flugzeuge hatten zwischen 1914 und 1918 vereinzelt die angreifende Infanterie lediglich unterstützt, jetzt kämpfte die Masse der Soldaten in beweglichen Fronten dort, wo ihr Panzerverbände und Flugzeuggeschwader den Weg bahnten. Die Motorisierung löste die Kriegführung von den Eisenbahnlinien und sorgte für eine enorme Beschleunigung der militärischen Entscheidungsprozesse. In Deutschland hatten die Verantwortlichen darauf vertraut, dass die überlegene Industriemacht des Kontinents über ausreichende Fähigkeiten verfügen werde, den Rüstungswettlauf sowohl quantitativ als auch qualitativ durchzuhalten. Andere europäische Armeen traten in den Zweiten Weltkrieg mit einer Masse veralteten Geräts ein, während die Wehrmacht über den Vorteil verfügte, neue Waffen einsetzen zu können, die in der kurzen Aufrüstungsphase produziert worden waren. Aber gerade beim Panzer- und Flugzeugbau hatte man sich entschlossen, die Ende der dreißiger Jahre einsatzfähigen Modelle in größeren Zahlen zu produzieren, die bis 1940/41 zwar die Anforderungen erfüllten, dann aber durch neuere technische Entwicklungen und Erfahrungen überholt wurden.
Veränderungen des Kriegsbildes
1. Die deutsche Kriegswirtschaft In vier Jahren solle die Wirtschaft kriegsbereit sein – diese Forderung hatte Hitler in seiner geheimen Denkschrift zum Vierjahresplan 1936 erhoben. Als er den Zweiten Weltkrieg schon drei Jahre später begann, zeigte er sich zuversichtlich, dass Deutschland – anders als 1914 – mit einer wohlvorbereiteten Wirtschaft den Kampf um die Weltherrschaft aufnehmen konnte. Im europäischen Maßstab betrachtet hatte das Reich als eine moderne Industriemacht eine weit überlegene Position erreicht, wenn auch nicht die angestrebte Autarkie und Blockadefestigkeit. Im globalen Rahmen lagen aber die USA an der Spitze, deren Eingreifen bereits den Ersten Weltkrieg entschieden hatte. Auch die anderen Großmächte wie das Britische Empire und die Sowjetunion übertrafen in manchen Bereichen die deutsche Produktionskraft. Dafür hatte Deutschland einen entscheidenden Vorsprung bei der Aufrüstung und der Vorbereitung der wirtschaftlichen Mobilmachung erreicht.
Hitlers wirtschaftliches Potential
23
Der „Krieg der Fabriken“
II.
E
Der Vierjahresplan Bei seiner Regierungserklärung am 2. Januar 1933 zur Machtübernahme proklamierte Hitler das Ziel, die Arbeitslosigkeit innerhalb von vier Jahren zu beseitigen. Die Arbeitsbeschaffung zielte bald immer stärker auf die Rüstung sowie auf Maßnahmen zur Selbstversorgung mit wichtigen Rohstoffen und Nahrungsmitteln, der Autarkie, um im Kriegsfalle einer alliierten Blockade gegenüber standhalten zu können. Das erforderte eine zunehmende staatliche Wirtschaftslenkung, die seit Anfang 1936 in der Behörde des Vierjahresplans institutionalisiert wurde. Göring wurde Beauftragter für den Vierjahresplan. Durch die Herstellung von Ersatzstoffen und die Förderung heimischer Rohstoffe konnte die Abhängigkeit von Importen, für die es bald an Devisen fehlte, nicht völlig beseitigt werden. Im August 1936 verfasste Hitler eine Denkschrift mit der Feststellung, dass der Krieg gegen die UdSSR unvermeidbar sei und deshalb in einem zweiten Vierjahresplan die Anstrengungen zur Selbstversorgung erheblich verstärkt werden müssten. Er forderte, die Wehrmacht müsse in vier Jahren einsatzfähig, die Wirtschaft in vier Jahren kriegsfähig sein. Die Vierjahresplan-Behörde dirigierte schließlich einen der größten Industrie- und Wirtschaftskomplexe des „Dritten Reichs“. Die Erzeugung von Buna als Ersatz von Gummi und die Kohlehydrierung zur Erzeugung von Mineralöl gehörten zu den aufwendigsten Projekten.
Im Rückblick lässt sich natürlich leicht errechnen, dass die Ressourcen der späteren Anti-Hitler-Koalition von Anfang an weit überlegen gewesen sind. Insoweit hatte Hitler nie eine reale Chance, den „Krieg der Fabriken“ zu gewinnen. Doch in den ersten zwei Kriegsjahren existierte diese Koalition noch gar nicht. Sie fand sich erst durch Hitlers fehlgeschlagenen Blitzkrieg gegen die UdSSR zusammen. Bis Ende 1941 konnte er sein Potential beständig erweitern, zuerst mit Unterstützung Stalins, dann durch den Angriff gegen ihn. Nach Hitlers fester Überzeugung würde die deutsche „Großraumwirtschaft“ erst durch die Eroberung der russischen Ressourcen den Durchbruch zur Weltmacht erreichen. 1938
1939
1940
1941
1942
1943
1944
22,7
22,5
19,1
20,8
20,5
20,8
18,3
Besetzte Gebiete
0,7
4,0
10,7
11,7
12,9
14,9
9,8
Italien
2,3
2,3
2,3
2,1
1,9
1,7
1,0
Japan, Korea, Mandschurei
6,3
6,7
7,0
7,0
7,6
8,8
6,4
Großbritannien
10,6
13,2
13,2
12,5
13,1
13,2
12,3
UdSSR
18,1
18,8
19,0
14,5
10,0
12,0
16,4
USA
28,8
47,9
60,8
75,2
78,0
80,6
81,3
110,0
135,5
141,5
153,5
154,0
161,5
154,0
Deutschland (1937)
Welterzeugung
Die Stahlerzeugung der Großmächte 1938–1944 (in Millionen Tonnen) Aus: Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/2, S. 421.
Der Rüstungsvorsprung geht verloren
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In der Phase der Blitzfeldzüge nutzte Hitler den Rüstungsvorsprung. Aber es gelang ihm nicht, diesen weiter auszubauen oder zumindest zu halten. Auch die inneren Spannungen und Engpässe in der deutschen Kriegswirtschaft konnten nicht gelöst werden, trotz der Beute, die der Raubzug durch
Die deutsche Kriegswirtschaft
II.
Europa einbrachte. Im Gegenteil, schon vor der Kriegswende im Dezember 1941 befand sich Deutschland in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Ihre ersten Anzeichen waren in der Erwartung eines raschen Sieges im Osten weitgehend verdrängt worden. Wesentliche Ursachen lagen in der zögerlichen Umstellung der Wirtschaft auf die Kriegsbedürfnisse sowie in dem festgefahrenen Streit um die Führung der Kriegswirtschaft. Den Ausgangspunkt hatte im Oktober 1939 die Entscheidung Hitlers gebildet, die angelaufene wirtschaftliche Mobilmachung abzubremsen und die vorbereiteten drastischen Maßnahmen zur Stilllegung bzw. Umstellung von Betrieben, der Zwangsverpflichtung für Arbeitskräfte, zur Rationierung, zur Kriegsfinanzierung usw. abzuschwächen. Die NS-Führung befürchtete zu Unrecht das Entstehen einer Massenarbeitslosigkeit wie im Herbst 1914 und negative Auswirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung. Es entstand eine friedensähnliche Kriegswirtschaft zu Lasten der militärischen Bedürfnisse. Immer wieder gab Hitler der Neigung nach, den mühsam gedrosselten zivilen Verbrauch freizugeben und die Bevölkerung an den Früchten der Siege teilhaben zu lassen. Große Teile der Wirtschaft hielten ihre zivile Fertigung aufrecht, um nach dem erwarteten baldigen Kriegsende wieder Kunden und Märkte bedienen zu können. Da die Gauleiter nur für die positive Stimmung der Bevölkerung in ihren Regionen zuständig waren, verhinderten sie nach Kräften wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen und Veränderungen. Wiederholte Bemühungen der kriegswirtschaftlichen Lenkungsorgane, die Umstellung auf die Kriegsbedürfnisse zu forcieren, blieben im Dickicht einer unübersichtlichen Bürokratie, im Wirrwarr der Kompetenzen und politischer Direktiven stecken. General Georg Thomas, Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht, vor Vertretern der Reichsgruppe Industrie am 29. November 1939 Aus: MGFA (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/1, S. 415f.
Q
Die bisherige „Übergangswirtschaft“ sei vorbei. Die Unternehmer sollten ihre ganze Tatkraft dafür einsetzen, „um Deutschland zu einer einzigen großen und machtvollen Rüstungsstätte zu machen, die auch einer englisch-französischen und im Notfalle auch einer amerikanischen Rüstungsleistung gewachsen“ sei. Durch die Stilllegung einzelner ziviler Bereiche müssten Kapazitäten für die Kriegsproduktion freigemacht werden. „Denn mit Radioapparaten, Staubsaugern und Küchengeräten werden wir England niemals besiegen können.“
Im Ergebnis führte das zu einer Blockade der etwa 4000 Rüstungsbetriebe, die trotz höchster Dringlichkeit nicht die notwendigen Arbeitskräfte, Maschinen, Rohstoffe und Zulieferer erhielten, um die Rüstungsprogramme der Wehrmacht voll erfüllen zu können. Sie richteten auch deshalb keinen Mehrschichten-Betrieb ein, weil sie mit einem baldigen Abflauen der militärischen Nachfrage rechneten. Da die Beschaffungsämter der Wehrmacht jeden nachgewiesenen Aufwand bezahlten, wurden Waffen und Geräte weder in der rationellsten und billigsten Weise noch in großen Stückzahlen produziert.
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Der „Krieg der Fabriken“
II. Militärs und Rüstungspolitik
Görings Vierjahresplan
Die Unternehmer
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Das System der militärischen Kommandowirtschaft bildete bis Ende 1941 das zweite wichtige Hindernis für die Erhaltung des Rüstungsvorsprungs. Seit 1924 hatte sich eine kleine Gruppe von Offizieren darauf vorbereitet, die Rüstungsproduktion zu steuern und im Kriegsfall das Kommando über die Kriegswirtschaft zu übernehmen, um so den Vorrang militärischer Bedürfnisse sicherstellen zu können. Aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs war die Forderung nach einer noch stärkeren Militarisierung der Wirtschaft abgeleitet worden. Neben den mächtigen Waffenämtern der Wehrmachtteile hatte sich am Vorabend des Kriegs im OKW das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt unter der Führung von General Georg Thomas etabliert. Das Amt verstand sich als wirtschaftlicher Generalstab und dirigierte über seine Außenstellen die Rüstungsbetriebe. Mit seinen Denkschriften und Berechnungen versuchte Thomas, der zeitweise zum militärischen Widerstand gehörte, Einfluss auf die Kriegführung zu nehmen. Hitler ließ sich von den teilweise pessimistischen Lagebeurteilungen nicht beeinflussen. Sie bestärkten ihn vielmehr in der Absicht, eine schnelle Entscheidung des Kriegs zu erreichen und das, was er für die Rüstung brauchte und im eigenen Lande nicht oder nur unter Mühen mobilisieren konnte, durch Eroberung sicherzustellen. Thomas hatte außerdem große Mühe, die Rüstungsprogramme der Wehrmachtteile zu koordinieren. Sein System der Dringlichkeiten kanalisierte die knappen Ressourcen und zwang die Waffenämter dazu, kurzfristige Beschaffungspläne aufzustellen, langfristige Vorhaben aber angesichts steigender Lieferfristen zu verschieben. Zugleich förderte es den Wettstreit der Oberbefehlshaber, sich bei Hitler immer neue Ausnahmen genehmigen zu lassen. Die Koordinierung wurde dadurch nicht leichter. Ständig wechselnde Produktionsbefehle verunsicherten die Betriebe. Von Rationalisierung war in der Phase der Blitzkriege nicht ernsthaft die Rede. Solange der Machtkampf um die Führung der Kriegswirtschaft nicht entschieden war, nutzten die Betriebe die Chance, stille Reserven zu schaffen und sich um die Erhaltung ziviler Absatzchancen zu bemühen. Das Streben von General Thomas nach einer militärischen Kontrolle der Kriegswirtschaft fand schon innerhalb der Wehrmacht keinen starken Rückhalt. Hitler selbst war nicht bereit, seinen Militärs größere Kompetenzen zu überlassen, weil er davon überzeugt war, dass Offiziere den „Schlichen“ von Unternehmern nicht gewachsen seien. So konnte Reichswirtschaftsminister Walther Funk die Aufsicht über die zivile Wirtschaft und die Kriegsfinanzierung behalten. Auch ein wirksamer Druck auf die Partei, die Friedensbauten zugunsten der Rüstung einzustellen, wurde nicht ausgeübt. Der „zweite Mann“ im NS-Regime, Hermann Göring, verstand sich als „Wirtschaftsdiktator“ und verfügte mit den Autarkieprojekten des „Vierjahresplans“, mit der rasant wachsenden Luftrüstung sowie mit seinen halbstaatlichen „Reichswerken Hermann Göring“ über ein Wirtschaftsimperium. Durch die Überlastung mit seinen militärischen Aufgaben war der korrupte Vertraute Hitlers nicht in der Lage, seine Wirtschaftskompetenzen wirkungsvoll und beständig wahrzunehmen. So fehlte es bis 1942 an einer arbeitsfähigen zentralen Planung und Steuerung der deutschen Kriegswirtschaft. Daraus haben nicht zuletzt die Unternehmer Nutzen gezogen, deren Einfluss auf die Politik oft überschätzt
Die deutsche Kriegswirtschaft worden ist. Ihnen ist es wohl gelungen, von den Expansionschancen, die sich während des Kriegs boten, zu profitieren, aber nach der Wende des Kriegs sind sie auf eine stille Distanz zum Regime gegangen und haben die eigenen betrieblichen Interessen oft auch gegen die politischen Direktiven zu bewahren verstanden. Die sogenannte Munitionskrise hatte im März 1940 überraschend zur Ernennung von Fritz Todt zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition geführt. Der Chef des Nationalsozialistischen Bundes Deutscher Technik (NSBDT) hatte mit großem Erfolg die spektakulären Befestigungslinien des Reiches gebaut. Seine „Organisation Todt“ dirigierte Hunderttausende von Bauarbeitern, die nun teilweise in die Rüstung überführt werden konnten und im Baubereich durch Zwangsarbeiter ersetzt wurden. Todt gelang es in kurzer Zeit, den militärischen Führungsanspruch im Bereich Panzerbau und Munitionsherstellung zurückzudrängen und die Industriellen stärker in die Verantwortung einzubeziehen. Er bemühte sich, Ordnung in die Auftragsplanung zu bringen und mit Hilfe seiner Ingenieure Leistungsreserven in den Rüstungsbetrieben aufzuspüren. Todt erkannte auch, dass mit dem rigiden Preissystem der Wehrmacht kein ausreichender finanzieller Anreiz zur rationellen Massenfertigung für die Unternehmer geboten wurde. Als Minister errang er begrenzte Erfolge, weil er nur in einem engen Sektor der Heeresrüstung tätig sein konnte und Görings Imperium unangetastet ließ. Der überraschende Erfolg der Westoffensive nahm seinen Bemühungen den Schwung, weil Hitler einerseits die zivile Versorgung wieder ankurbeln wollte und sich andererseits die Wehrmacht auf ein neues Rüstungsprogramm verständigte. Durch Umverteilungen und Dringlichkeiten sollten Steigerungen in den Engpassgebieten erreicht werden, ohne den zivilen Bereich stärker bedrängen zu müssen. Das Hauptthema dort waren hektische Friedensplanungen. Unternehmen und Wirtschaftsverbände bereiteten sich auf eine „Großraumwirtschaft“ unter deutscher Führung vor, die vom Nordkap bis nach Afrika, vom Atlantik bis zum Ural reichen sollte. Das waren keine politischen Signale, die zu einer weitergehenden Umstellung auf die Kriegsbedürfnisse ermutigten. Die Wehrmacht arbeitete selbst schon an Plänen zur Demobilmachung. Aufträge, die sie nicht mehr im Reich unterbringen konnte, wurden ins Ausland verlagert. Fast 400000 Soldaten schickte man als „Rüstungsurlauber“ in die Betriebe; sie sollten neue Waffen für den Russlandfeldzug schaffen. Das schien notwendig zu sein, weil die administrativen Bemühungen zur Umsetzung ziviler Arbeitskräfte nicht so recht vorankamen. Die Zahl der als „unabkömmlich“ eingestuften Arbeiter stieg von 1,7 Millionen bei Kriegsbeginn auf 5,6 Millionen im September 1941! Das größte Hindernis zur Entspannung des Arbeitsmarktes blieb Hitlers Abneigung gegen die Arbeitspflicht für Frauen. Die Illusion eines kurzen Blitzkrieges im Osten schürte die Erwartung, dass die leidigen Verteilungskämpfe und Einschränkungen in der Kriegswirtschaft bald beendet sein würden. In völliger Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse war die Produktion schon vor Angriffsbeginn auf den Vorrang von Marine- und Luftrüstung umgestellt worden. Für die Zeit nach „Barbarossa“ verfolgten alle Wehrmachtteile gigantische Rüstungspläne, während in der Realität die Rüstungsproduktion stagnierte. In Großbritannien hatte man im Gegensatz dazu ein Ausmaß an Mobilisierung erreicht, von dem Deutsch-
II.
Fritz Todt als Munitionsminister
„Rüstungsurlauber“
27
Der „Krieg der Fabriken“
II.
land noch weit entfernt war. Auch in den USA erreichte die Rüstungsmaschinerie hohe Steigerungsraten. 1940
1941
USA
1,5
4,5
Großbritannien
3,5
6,5
UdSSR
5,0
8,5
10,0
19,5
Deutschland
6,0
6,0
Japan
1,0
2,0
Zusammen
7,0
8,0
Zusammen
Die Rüstungsproduktion der Großmächte 1940/41 (in Milliarden Dollar; Preise des Jahres 1944). Aus: MGFA (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/1, S. 526. Stagnation der Rüstung
Aufstieg Speers
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Dieser eklatante Widerspruch in der deutschen Kriegswirtschaft ging mit internen Spannungen und Versorgungsengpässen einher. Viele zivile Betriebe hatten ihre Vorräte verbraucht und mussten ihre Produktion einschränken. Die schleichende Inflation, durch den Warenmangel verschärft, ließ sich nur schwer verbergen. Hitler wies alle Vorschläge zu einer stärkeren Besteuerung der eigenen Bevölkerung zurück. Die eroberten Ostgebiete sollten die Kriegskosten amortisieren. Der erhoffte Strom von Rohstoffen und Nahrungsmitteln aus dem Osten erwies sich aber nur als Rinnsal, und von der Rückkehr der Soldaten an die Werkbänke konnte im Herbst 1941 keine Rede mehr sein. Dafür zeichnete sich der Kriegseintritt der USA ab, mit dem das Kräfteringen unabsehbare Ausmaße annehmen würde. Die Rüstungsplanung der Wehrmacht war völlig aus den Fugen geraten und behinderte die Betriebe, deren Ausstoß kaum noch ausreichte, um die steigenden Verluste auszugleichen. Eine radikale Umstellung der deutschen Rüstungspolitik war nicht mehr zu umgehen. Dazu bedurfte es der Herausbildung eines neuen Machtzentrums. Todt hatte bereits die Weichen gestellt. Sein überraschender Tod führte am 8. Februar 1942 den jungen Albert Speer auf eine kometenhafte Bahn. Hitler ernannte den ihm persönlich nahestehenden Architekten zum neuen Rüstungsminister und verlieh ihm jede gewünschte Rückendeckung. Speers Name verbindet sich mit einem „Rüstungswunder“, das Hitler die Fortsetzung des Kriegs für mehr als drei Jahre ermöglichte. Die immer wieder diskutierte Frage nach der Wirksamkeit von Persönlichkeiten in der Geschichte, nach Handlungsspielräumen und Sachzwängen verweist bei Speers Aufstieg zum zweitmächtigsten Mann und möglichen Nachfolger Hitlers auf das persönliche Verhältnis zum Diktator. Doch um dieses erhalten und für seinen Machtkampf nutzen zu können, musste sich Speer am Rüstungsausstoß messen lassen. Diese Statistik bestimmte sein Schicksal. Er setzte, um die Stagnation der Produktion zu überwinden, auf das System unternehmerischer Selbstverwaltung, das sein Vorgänger in Tei-
Die deutsche Kriegswirtschaft len der Rüstungsindustrie eingeführt hatte. Mit Hilfe der Ingenieure und Unternehmer erreichte Speer eine überraschende Steigerung der Produktivität, von der sich niemand zuvor eine Vorstellung zu machen vermocht hatte. Voraussetzungen für dieses „Rüstungswunder“ waren eine verbesserte Planung und Steuerung, die Konzentration auf die Rüstung, eine Lockerung der Preispolitik und die Rationalisierung. Die durchgreifende Rationalisierung schuf freilich auch in der Privatwirtschaft Widerstände und Verluste. Voraussetzung für den Konsens mit den Unternehmern war die Zurückdrängung der militärischen Kommandowirtschaft und des staatlich-bürokratischen Dirigismus in der Produktionssphäre. Die Privatwirtschaft erreichte damit ein hohes Maß an Autonomie gegenüber dem „Primat der Politik“. Solange Hitler aus den vorgelegten und von Speer geschickt präsentierten Zahlen Zuversicht schöpfen konnte, gewährte er seinem Rüstungsminister freie Hand. Die Wehrmacht setzte bald ganz auf Speer, der 1943 auch die Marinerüstung und 1944 die Luftrüstung übernehmen konnte. Eine gefährliche Konkurrenz erwuchs ihm vor allem im Wirtschaftsimperium der SS, das Heinrich Himmler auf die Arbeitskraft seiner Häftlingsarmeen zu bauen versuchte. Doch die meisten dieser Sklaven waren im Bausektor eingesetzt, wo sie unter primitivsten Bedingungen Schwerarbeit leisten mussten und einer „Vernichtung durch Arbeit“ ausgesetzt waren. Speer verstand es, sich dieser Ressourcen je nach Bedarf zu bedienen. Auch wenn Teile der Industrie damit in den Sog einer verbrecherischen Vernichtungspolitik gerieten, so steht doch außer Zweifel, dass sie kein Interesse daran hatten, sich den „schwarzen“ Wirtschaftsbürokraten zu unterwerfen. Indem Speer den Unternehmern politische Rückendeckung gegenüber Partei und SS verschaffte, sicherte er sich ihre Loyalität bis in die letzten Kriegstage. Gesamtzahl 1939–1945
Todesfälle 1939–1945
Überlebende Mitte 1945
Zivilarbeiter
8435000
490000
7945000
94%
Kriegsgefangene
4575000
1115000
2575000
70%
KZ-Häftlinge
1550000
1075000
475000
31%
Arbeitsjuden
55000
25000
30000
55%
13480000
2455000
11025000
82%
Gesamt
II.
Rüstungswunder?
Überlebensrate
Schätzung der Gesamtzahl ausländischer Arbeiter 1939–1945 in Deutschland sowie der Überlebenden 1945. Aus: Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 230.
Großbritannien hatte seine Wirtschaft bereits 1941 viel stärker auf die Kriegsbedürfnisse umgestellt als Deutschland. Damit konnten die Einbußen durch Luftangriffe und die Einschränkung des Seetransports weitgehend ausgeglichen werden. Entgegen den Erwartungen in Berlin ließ sich die britische Insel nicht aushungern. Seit dem Sommer 1940 konnte man in London mit zunehmender US-Hilfe rechnen. Damit verfügte die britische Kriegführung einschließlich der ungefährdeten eigenen Dominions (vor allem Kanada, Südafrika, Australien und Indien) und überseeischen Kolonien über ausreichende Ressourcen, die nach dem Sieg in der Schlacht gegen die deutschen U-Boote auf die Insel gebracht wurden. London konnte es sich
Wirtschaftliche Überlegenheit der Alliierten
29
Der „Krieg der Fabriken“
II.
sogar leisten, große Mengen an Gütern über Murmansk und Persien ab 1941 an Stalin zu liefern und so einen weiteren Beitrag zum Sieg über die Achsenmächte zu erbringen. Insgesamt betrugen die Kriegsmateriallieferungen der Westalliierten an die UdSSR 17,5 Millionen Tonnen! Allerdings verschärfte eine Transportkrise im Rücken der Burmafront 1943 die ohnehin angespannte Versorgung der Bevölkerung. Britisch-Indien hatte dem Empire zwei Millionen Soldaten zur Verfügung gestellt, doch die Kriegswirtschaft stand vor dem Kollaps. In Bengalen entstand eine verheerende Hungersnot, bei der bis zu drei Millionen Menschen starben. Die Sicherung der großen Konvois zur Versorgung des britischen Mutterlandes wurde möglich, weil Roosevelt den Briten im Sommer 1940 mehr als 50 Zerstörer zur Verfügung gestellt hatte. Als Gegenleistung durften die Amerikaner bisherige britische Stützpunkte übernehmen. Großbritannien, das sich im Ersten Weltkrieg massiv in den USA verschuldet hatte, war zwar besorgt um den Erhalt des Empire, konnte die Abhängigkeit von der amerikanischen Finanz- und Wirtschaftsmacht aber nicht umgehen. Die USA lieferten im Rahmen der Arbeitsteilung zwischen den Alliierten einen wachsenden Strom von Nahrungsmitteln und Rüstungsgütern. Um den Anschein der Neutralität zu wahren, galt ab März 1941 das Leih- und Pachtgesetz. Der Präsident durfte nun jeder Nation, deren Verteidigung für die USA lebenswichtig war, jede Menge Waffen und Rüstungsmaterial verkaufen, schenken oder vermieten. Während des Zweiten Weltkriegs belieferten die USA auf diese Weise für den Kampf gegen die Achsenmächte Material im Wert von mehr als 50 Milliarden Dollar. Allein die UdSSR erhielt Kraftfahrzeuge, Panzer und Flugzeuge in einer Größenordnung, die höher lag als die Ausstattung der Wehrmacht auf dem Gipfel ihrer Leistungsfähigkeit im Sommer 1941. Pers. Golf
Pazifik
Nordatl.
Schwarzes Meer
Sowj. Arktis –
Gesamt
1941
13502
193299
153977
–
360778
1942
705259
734020
949711
–
64107
2453097
1943
1606979
2388577
681043
–
117946
4794545
1944
1788864
2848181
1452775
–
127802
6217622
1945
44513
2079320
726725
680723
142538
3673819
Summe
4159117
8243397
3964231
680723
452393
17499861
Prozent
23,8%
47,1%
22,7%
3,9%
2,5%
100%
Kriegsmateriallieferungen Großbritanniens und der USA an die Sowjetunion (in Tonnen). Aus: Der Große Ploetz, 35. Aufl., Freiburg 2008, S. 810.
Trotz einiger kriegsbedingter Einschränkungen konnte sich die amerikanische Industrie seit 1940 voll entfalten und die Bedürfnisse der Streitkräfte sowie der Zivilbevölkerung ohne größere Schwierigkeiten befriedigen. Durch die enge Zusammenarbeit von Regierung und Privatwirtschaft gelang es, die Kräfte des Kapitalismus zu entfesseln und einen beispiellosen Wirt-
30
Der „Ernährungskrieg“ schaftsboom zu entfachen. Aus der schwachen konjunkturellen Erholung während der dreißiger Jahre standen ausreichende Reserven an Arbeitskräften zur Verfügung, um zusammen mit der Ausweitung der Frauenarbeit den Bedarf der Kriegswirtschaft zu befriedigen. Der Hochlauf der Rüstung konnte 1944 nach der erfolgreichen Invasion in Frankreich mit Blick auf das baldige Kriegsende sogar wieder schrittweise gedrosselt werden. In der UdSSR hatte das Stalin-Regime durch eine rücksichtslose Industrialisierungspolitik während der dreißiger Jahre das Fundament für eine industrielle Kriegsproduktion geschaffen, deren Schwerpunkt sich von den gefährdeten Westgebieten weit nach Osten verlagerte. Da es 1941 unter enormen Anstrengungen gelang, einen großen Teil der industriellen Substanz insbesondere aus dem Donez-Gebiet ebenfalls nach dem Osten zu evakuieren, war Stalin seit 1942 in der Lage, mit seinem Rüstungsausstoß die deutsche Seite zu übertreffen. Durch die Lockerung der rigiden Kommandowirtschaft erhielten Betriebe und Kombinate einen größeren Spielraum für die Erfüllung der Planvorgaben. Der Verlust von 50 Millionen Menschen, die unter deutsche Besatzung gerieten, wurde durch einen brutalen Einsatz von Frauen, Kindern und Greisen in der Produktion ausgeglichen. Die Zivilbevölkerung litt vielfach an Hunger und mörderischen Arbeitsbedingungen, aber der Ausstoß an Kriegsmaterial stieg kontinuierlich an. Die scharfe Rationalisierung der Produktion brachte erstaunliche Ergebnisse. So verbrauchte man z.B. bei der Panzerherstellung erheblich weniger Material und Arbeitszeit als auf deutscher Seite. Das sowjetische Kriegsmaterial mochte primitiv erscheinen, es entsprach den Bedingungen des Ostkrieges aber oft besser und stand in ungleich größerer Zahl zur Verfügung. Zudem gelang es den sowjetischen Ingenieuren, neue Waffensysteme zu entwickeln, die für die Wehrmacht eine unangenehme Überraschung bedeuteten (z.B. der Kampfpanzer T 34). Mit der Rückeroberung der 1941/42 verlorenen Gebiete entspannte sich die Lage der sowjetischen Kriegswirtschaft etwas. Zu den Millionen befreiter Sowjetbürger kamen nun die Kolonnen deutscher Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter sowie die Transporte von Beutematerial und Reparationsgüter. Doch die Deutschen hatten „verbrannte Erde“ hinterlassen. Der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete dauerte viele Jahre und schwächte die neue Supermacht im Osten in der Konkurrenz mit dem Westen.
II.
Kriegswirtschaft der UdSSR
2. Der „Ernährungskrieg“ Nach ihrem Selbstverständnis führten die Nationalsozialisten auch einen „Ernährungskrieg“. Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs hatten gezeigt, dass Deutschland nicht imstande war, seine Industriearbeiterschaft unter Blockadebedingungen ausreichend zu ernähren. Um eine Wiederholung der innenpolitisch verheerenden Folgen des Hungers zu verhindern, sollte die deutsche Landwirtschaft möglichst autark und durch Zufuhren aus dem Ausland ergänzt werden. Doch trotz der „Ernteschlachten“ hatte sich die Agrarproduktion seit Beginn des Zweiten Weltkriegs rückläufig entwickelt.
Ernteschlacht und Ernährungspyramide
31
Der „Krieg der Fabriken“
II.
Es fehlte an Düngemitteln, Landmaschinen und Arbeitskräften. Seit dem Herbst 1941 konnte die deutsche Landwirtschaft die eigene Bevölkerung nicht mehr allein ernähren. Die Vorräte waren aufgebraucht. Hunger breitete sich in Europa aus, weil die NS-Führung entschlossen war, die eigene Bevölkerung zu Lasten der besetzten Länder zu ernähren und so weitere Rationskürzungen möglichst zu vermeiden. Getreide insg.
Brotgetreide
Fleisch
Fett
1938/39
37,3
20,6
3,70
2,5–3,0
1939/40
38,7
22,8
3,48
2,25
1940/41
35,0
19,2
3,24
1,98
1941/42
31,0
17,8
2,80
1,71
1942/43
30,9
16,5
2,61
1,64
1943/44
31,8
18,2
2,32
1,62
Die Versorgungslage in Deutschland bei den wichtigsten Nahrungsmitteln 1938–1944 (in Millionen Tonnen). Aus: MGFA (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/2, S. 485.
Sie setzte dabei auf eine rassenideologisch geprägte Ernährungspyramide, an deren unterem Ende die zur Vernichtung vorgesehenen Bevölkerungsgruppen und Nationen rangierten: Juden, KZ-Häftlinge, sowjetische Kriegsgefangene und andere „rassisch“ oder politisch missliebige Menschen. Nur soweit es im Sinne der von Speer organisierten Rüstungsproduktion lag, angelernte Arbeitssklaven oder Facharbeiter arbeitsfähig zu erhalten, erhielten sie ein Minimum an Rationen, teilweise experimentierte man sogar mit minderwertigsten Nahrungsmitteln. Die zunächst von Walther Darré, dann von Herbert Backe gelenkte Agrar- und Ernährungspolitik musste sich zwar dem Primat der Rüstung unterwerfen, kompensierte aber den Entzug von Ressourcen durch eine ideologisch geprägte Ausbeutungspolitik gegenüber fremden Ländern.
Q
Besprechung Görings mit den Reichskommissaren für die besetzten Gebiete und den Militärbefehlshabern über die Ernährungslage am 6. August 1942 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 318. Der Führer hat wiederholt ausgesprochen, und ich habe es ihm nachgesprochen: wenn gehungert wird, dann hungert nicht der Deutsche, sondern andere, wenn gehungert werden muss. […] Sie sind weiß Gott nicht hingeschickt, um für das Wohl und Wehe der Ihnen anvertrauten Völker zu arbeiten, sondern um das Äußerste herauszuholen, damit das deutsche Volk leben kann. Das erwarte ich von Ihren Energien. Die ewige Sorge für die Fremden muss jetzt endlich einmal aufhören.
Damit trug sie erheblich zum Widerstand im besetzten Europa bei, was die Ergebnisse der Rüstung dann wieder schmälerte. Trotz aller Einschränkungen erlebten die meisten „Volksgenossen“ den Hunger erst gegen Kriegsende und besonders stark in den ersten Nachkriegsjahren.
32
Rüstung, Technik und Wissenschaft
II.
3. Rüstung, Technik und Wissenschaft Die deutsche Rüstungspolitik stand unter dem Druck, sich zwischen der Serienproduktion erprobter Waffenmodelle, die dann ständig nachgebessert werden mussten, und der rechtzeitigen Einführung neuer Typen zu entscheiden. Jede Umstellung und Änderung führte zu Verzögerungen in der industriellen Fertigung, weil die Rüstungsbasis – anders als in den USA – zu schmal war, um den Auslauf älterer Modelle parallel zum Anlaufen neuer leisten zu können. Bis 1942/43 blieb Hitler davon überzeugt, dass die deutsche Waffentechnik dem Gegner qualitativ überlegen sei und eine zahlenmäßige Unterlegenheit daher hingenommen werden könne. Er vertraute auf die vermeintliche Überlegenheit und Präzision einer „handwerksmäßigen“ Herstellung von Waffen und Gerät. Erst spät konnte Rüstungsminister Albert Speer ihn von den Vorteilen einer Fließbandproduktion nach amerikanischem Vorbild überzeugen, die mit gleicher Präzision hochwertige Geräte bei geringerem Aufwand zu liefern vermochte. Engpässe bei wichtigen Rohstoffen zwangen zu Ersatzlösungen, die oft primitiv und wenig leistungsfähig waren. Die aufwendige Erzeugung von künstlichem Gummi (Buna) und die Kohlehydrierung wiederum, technische Spitzenleistungen der dreißiger Jahre, vermochten niemals den Bedarf an Reifen und Benzin zu decken. Das „Dritte Reich“ verstand sich durchaus als moderne Industrienation, in der Technik und Wissenschaft in höchster Blüte standen, lehnte aus ideologischer Engstirnigkeit aber einzelne Bereiche wie die Atomphysik als angeblich „jüdisch“ ab. Selbst die Entwicklung von „Wunderwaffen“, deren größte Wirkung in der Schlussphase des Kriegs darin bestand, dass sie dem Regime ein letztes Mittel der Propaganda gegen die wachsende Kriegsmüdigkeit der eigenen Bevölkerung bot, verrät Hitlers Zwiespältigkeit. Von den modernen Massenvernichtungswaffen, die in beiden Weltkriegen entwickelt wurden und die Geschichte des 20. Jahrhunderts prägen sollten, hatten allenfalls die ihm bekannten Chemiewaffen seine volle Unterstützung. Aber er verstand sich nicht darauf, mit ihnen eine strategische Option zu verbinden. Obwohl er mit den modernen Nervengasen über eine tödliche Geheimwaffe verfügte, konnte er sich den Einsatz nur im Zuge einer Vergeltungsmaßnahme gegen feindlichen Ersteinsatz vorstellen. Alle Vorschläge zum Einsatz von Giftgas lehnte er letztlich ebenso ab wie die Entwicklung moderner Biowaffen, auf die einige Militärs und Spezialisten setzten. Hitler im Gespräch mit dem rumänischen Marschall Antonescu am 24. März 1944 über den Einsatz neuer Waffen Aus: Brauch/Müller (Hg.), Chemische Kriegführung – Chemische Abrüstung, S. 184f.
Serienproduktion
„Wunderwaffen“
Q
In diesem Zusammenhang kam der Führer auch auf den Gaskrieg zu sprechen. Ob die Feinde den Gaskrieg ihrerseits entfachen würden oder nicht, ließe sich im Augenblick noch nicht übersehen. Auf jeden Fall sei Deutschland hier sehr gut vorbereitet. Schließlich sei es ja auch das Land der chemischen Industrie und hätte sicher bessere Gase und Sprengstoffe als der Feind. Deutschland würde seiner-
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Der „Krieg der Fabriken“
II.
seits mit dem Gaskrieg nicht beginnen, da es gegen die neuen Gasarten für die Zivilbevölkerung keinerlei Schutz gäbe. Es würde mit seinen neuartigen Angriffswaffen gegen London und andere Städte, die in einem bestimmten Umkreis liegen, vorgehen.
Die Atombombe
Technische Innovationen
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Der größte und aufwendigste technologische Sprung im Zweiten Weltkrieg wurde mit der Entwicklung der Atombombe erreicht. Die Geschichte auf deutscher Seite ist geradezu paradigmatisch für die Schwäche des „Führerstaates“, der sich selbst auf dem für sein Überleben entscheidenden Gebiet der Waffentechnik erstaunliche Rivalitäten und Kompetenzkämpfe leistete. Der Zufall starker Persönlichkeiten und überzeugend vorgetragener Konzepte entschied letztlich darüber, ob und wie der „Führer“ eingriff und mit dem Gewicht seiner Autorität den Erfolg erzwang. 1939 entstand eine Arbeitsgemeinschaft von Wissenschaftlern, die unter militärischer Aufsicht zunächst sehr erfolgversprechend am Projekt einer deutschen Atombombe arbeitete. Bis 1941 lag Deutschland im Wettlauf mit den Angelsachsen vorn, obwohl nur geringe Mittel für die Grundlagenforschung investiert worden waren. Die USA und Großbritannien, die bereits 1939 von emigrierten Physikern, zu denen auch Albert Einstein gehörte, vor einer deutschen Superbombe gewarnt worden waren, entschlossen sich Ende 1941, die eigene Entwicklung mit aller Macht zu fördern. Die Wehrmacht beherrschte schließlich den europäischen Kontinent und würde vielleicht auch bald die USA angreifen können. Werner Heisenberg als namhaftester deutscher Physiker sah bereits eine „freie Straße zur Atombombe“ vor sich. Im Dezember 1941 betrachtete das Heereswaffenamt sein Entwicklungsvorhaben als abgeschlossen. Die Verantwortung für den mit enormen Kosten verbundenen Übergang vom Labor zur großindustriellen Entwicklung wollte man selbst nicht übernehmen, zumal man glaubte, dass Atomtechnik nicht mehr in diesem Krieg zum Einsatz kommen würde. Hitler musste sich auf die Einschätzung seiner Experten verlassen, die keine Prognose für den Abschluss einer möglichen Waffenentwicklung wagten. Der Diktator konnte sich wie viele andere die Wirkung einer solchen neuartigen Waffe nicht vorstellen und war davon überzeugt, dass die Feindmächte weit hinter den deutschen Bemühungen zurückliegen würden. Mit dem Manhattan-Projekt leisteten sich die USA zur gleichen Zeit das größte und aufwendigste Rüstungsvorhaben des Zweiten Weltkriegs, das schließlich im August 1945 zum Abwurf der ersten Atombombe führte und ein neues technisch-industrielles Zeitalter einleitete. Die deutschen Atomwissenschaftler zeigten sich in der Gefangenschaft überrascht von diesem Sieg der Alliierten im technisch-wissenschaftlichen Wettlauf während des Kriegs. Im Nachkriegsdeutschland strickten sie an der Legende, sie hätten den Bau einer deutschen Atombombe aus innerem Widerstand verzögert. Eine wirkliche Beschleunigung langfristiger Entwicklungen auf technischem Gebiet ist den Deutschen im Zweiten Weltkrieg jedenfalls nicht gelungen. Es gab keine technologische Revolution. Strahlflugzeuge und Raketen, an die stets zuerst gedacht wird, waren bereits vor dem Krieg entwickelt worden und konnten erst im letzten Kriegsjahr – technisch längst noch nicht
Rüstung, Technik und Wissenschaft ausgereift – in geringer Stückzahl zum Einsatz gebracht werden. Auch die anderen Industrienationen arbeiteten an ähnlichen Entwicklungen. Jeder hatte einen Vorsprung auf irgendeinem Gebiet, der durch die jeweils andere Seite auf anderen Feldern ausgeglichen wurde oder – weil falsch beurteilt bzw. aus anderen Gründen – wieder verlorenging. Eine wichtige Rolle spielte im Zweiten Weltkrieg die Entwicklung von Radargeräten. Die deutschen Fortschritte auf wissenschaftlichem Gebiet waren vor Kriegsbeginn am deutlichsten, doch die Briten entschlossen sich aus Angst vor deutschen Luftangriffen zur praktischen Installation eines Radarsystems. Der erfolgreiche Einsatz bei der Luftschlacht um England gab einen gewaltigen Antrieb, die Technik weiterzuentwickeln, so dass schließlich immer bessere Geräte auch zur Lokalisierung von U-Booten und zur Zielfindung für alliierte Bomberverbände gebaut werden konnten. Trotz aller Anstrengungen gelang es der deutschen Seite nicht, den verlorenen Vorsprung wieder wettzumachen und für die eigene Kriegführung größeren Nutzen aus dieser Entwicklung zu ziehen. Die forcierte Modernisierung in einzelnen Bereichen, etwa dem Panzerbau, führte jedenfalls nicht dazu, dass die jeweiligen Modelle in ausreichender Stückzahl zu dem Zeitpunkt in die Schlacht geworfen werden konnten, an dem ihre Überlegenheit den Ausschlag hätte geben können. Nicht wenige Projekte erwiesen sich als technologische Sackgasse, als Fehlentwicklungen. Mit den spektakulären V-Waffen sollte eigentlich die alliierte Landung verhindert werden. Doch im Frühjahr 1944, als der Zeitpunkt für den Einsatz gekommen war, standen die Geräte nicht in der gewünschten Zahl zur Verfügung. Wollte man nach ursprünglichen Planungen von Oberst Walter Dornberger, dem Verantwortlichen für das A-4-Projekt des Heeres, 150000 Fernraketen pro Jahr bauen, reduzierte man 1942 die Zahl auf 5000. Als Standort war Peenemünde vorgesehen. Es fehlte dafür aber sowohl die industrielle als auch die militärische Einsatzbasis. Die über die Fortschritte gut informierten Briten zerstörten Peenemünde am 17. August 1943. Mit Hilfe der SS wurde eine unterirdische Produktionsanlage in Nordhausen geschaffen („Mittelbau“). Unter mörderischen Arbeitsbedingungen baute man bis März 1945 insgesamt 5797 A-4-Raketen. Nur knapp die Hälfte konnte seit Juli 1944 auch verschossen werden. Sie trafen Belgien, Frankreich und vor allem Südengland. Dort verursachten sie knapp 10000 Tote und Schwerverletzte. Das aufwendigste deutsche Rüstungsprojekt während des Zweiten Weltkriegs blieb ohne Auswirkungen auf den Kriegsverlauf. Die Alliierten, die in der Raketenentwicklung zurückhingen, zerstörten mit ihren konventionellen Bombern die deutschen Produktionsanlagen und bremsten den Nutzen, den Hitler aus dem Rüstungsvorsprung auf diesem speziellen Gebiet erzielen konnte. An diesem Beispiel zeigt sich, dass es völlig gleich war, auf welchem Feld deutsche Wissenschaft und Industrie einen Vorsprung zu erzielen vermochten. Ohne „Dach“ konnte die deutsche Rüstungsschmiede nicht erfolgreich sein und mit Kriegsgegnern konkurrieren, die nicht nur über den Vorteil der größeren Zahl und Kapazitäten verfügten, sondern auch noch über Produktionsräume, die für deutsche Waffen nicht erreichbar waren. So gesehen wurde der Zweite Weltkrieg letztlich in der Luft entschieden.
II.
V-Waffen
35
Der „Krieg der Fabriken“
II.
Mit den einmarschierenden alliierten Truppen kam eine große Zahl von Experten ins besetzte Deutschland (Unternehmen „Paperclip“). Die erbeuteten Patente und Entwicklungen waren auf einzelnen Gebieten ebenso wertvoll wie die deutschen Spezialisten, die insbesondere für den Bau von Strahlflugzeugen und Raketen in den USA sowie in der UdSSR „Entwicklungshilfe“ leisteten.
4. Die Mobilisierung für den totalen Krieg Umstellung auf den Krieg
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Großbritannien hatte bereits 1940 unter dem Druck deutscher Luftangriffe die Bevölkerung auf einen totalen Krieg eingestellt. Stalin folgte ein Jahr später, als ein Zusammenbruch der UdSSR drohte. Die erfolgreiche Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs hatte bei den Achsenmächten den Elan gemindert, die eigene Gesellschaft auf einen langen Abnutzungskrieg einzustellen und alle Kräfte auf den Krieg zu konzentrieren. Seit der Wende vor Moskau intensivierte das NS-Regime solche Anstrengungen, aber erst nach der Katastrophe von Stalingrad propagierte Goebbels den totalen Krieg. Auch Japan intensivierte jetzt seine weitergehende Umstellung auf die Kriegsbedürfnisse. Speer, der als Heeresrüstungsminister begonnen hatte und erst im Sommer 1944 die Verantwortung für die gesamte Kriegswirtschaft in Händen hielt, hatte es versäumt, auch den Arbeitskräftesektor rechtzeitig unter seine Kontrolle zu bringen. Als Ausgleich für die unternehmerfreundliche Politik von Speer hatte Hitler die Verantwortung für die Arbeiter in die Hände der Partei gelegt. Sie unterstanden der Regie des „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ Fritz Sauckel. Anders als im Ersten Weltkrieg blieben die Arbeiter dem politischen System weitgehend verbunden, weil die Partei den Eindruck zu wecken verstand, dass sie sich der Interessen der Arbeiter annahm. Selbst nach der Niederlage von Stalingrad entwickelte das NS-Regime nur eine begrenzte Entschlossenheit, die eigene Bevölkerung stärker für den totalen Krieg zu mobilisieren. Eine Arbeitspflicht für Frauen und die Umsetzung von Arbeitskräften in die Rüstung wurden auf regionaler Ebene vielfach behindert und unterlaufen. Auch die Stilllegung von mehr als 20000 Handwerks- und Versorgungsbetrieben brachte nicht die von Speer geforderten Zahlen freigesetzter Arbeitskräfte, provozierte aber eine erhebliche Unruhe unter der Bevölkerung. So musste die verstärkte Einberufung männlicher Arbeitskräfte zur Wehrmacht weiterhin hauptsächlich durch den massiven Einsatz von „Fremdarbeitern“ ausgeglichen werden. Speers Versuch, im Herbst 1943 die Gauleiter an seine Direktiven zu binden und damit die hemmenden regionalen Kräfte gegen eine stärkere Mobilisierung zu überwinden, scheiterte. Hitlers „Kronprinz“ hatte seine Kräfte überschätzt und erlebte einen politischen Absturz, der ihm im Frühjahr 1944 fast das Amt und womöglich das Leben gekostet hätte. Die Unternehmer fürchteten für die bevorstehende Schlussphase des Kriegs eine radikale Alternative und drängten den erkrankten Speer zum Bleiben. Mit einem
Die Mobilisierung für den totalen Krieg „Siegesprogramm“ der Rüstung konnte dieser dann im April 1944 den „Führer“ wieder für sich gewinnen. Sein schärfster Konkurrent und enger Mitarbeiter Karl Otto Saur musste ein Jahr warten, bis er in Hitlers Testament zum neuen Rüstungsminister ernannt wurde. Die Verschärfung der Kriegslage zwang Speer 1944 dazu, die gesamte Kriegswirtschaft in den Dienst der Rüstung zu stellen und auch die letzten Reserven aus der Rüstung selbst zu mobilisieren. Unter dem Einfluss des Bombenkriegs verringerten sich dennoch die Zuwachsraten der Rüstungsproduktion, wobei sich auch der zunehmende Verlust auswärtiger Versorgungsbasen auszuwirken begann. Im Juli 1944 erreichte die Produktion von Kriegsmaterial – von Speer zahlenmäßig manipuliert – ihren absoluten Höhepunkt während des Zweiten Weltkriegs. Sie lag jetzt dreimal so hoch wie zur Zeit der Blitzkriege. Es war ein Leistungsgipfel durch Rationalisierung und Konzentration der Rüstung, ein letztes „Aufbäumen“, das keineswegs fortgesetzt werden konnte und auch nicht ausreichte, die zu diesem Zeitpunkt dramatischen Verluste auszugleichen. Die erfolgreichen Angriffe der Alliierten gegen Schlüsselstellen der Kriegswirtschaft führten zu einem Wettlauf zwischen Reparatur und Zerstörung, der die Kräfte Speers überforderte. Vor allem der Mangel an Arbeitskräften schränkte die Produktionsmöglichkeiten ein. Auch jetzt waren moderne Fließbandproduktion und ein Mehrschichten-System auf wenige Betriebe beschränkt. Propagandaminister Josef Goebbels stürzte sich als neuernannter „Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz“ im Herbst 1944 mit Unterstützung der Partei in den Konflikt mit Speer und der Industrie. In dem Streit um die „Menschenverteilung“ zwischen Produktion, Schanzeinsatz und „Volkssturm“, zwischen Waffen oder Soldaten, hatte Speer Mühe, sein Imperium zusammenzuhalten. Hinter den Kulissen arbeiteten Wirtschaftsexperten bereits an Planungen für die Zeit „danach“, bereiteten sich die Unternehmen auf das Überleben vor und lösten sich still vom NS-Regime. Gezielte Luftangriffe gegen das deutsche Transportsystem im Herbst 1944 beschleunigten den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Alliierten hatten erkannt, dass Transport und Verteilung von Kohle, dem Schlüsselrohstoff der deutschen Kriegswirtschaft, die Achillesferse in dem komplizierten System Speers darstellten. Ein letztes „Notprogramm“ sollte für Volkssturm und Wehrmacht zumindest eine primitive Bewaffnung und Ausrüstung ermöglichen. In unterirdischen Anlagen, bei deren Bau Hunderttausende von Zwangsarbeitern ihr Leben verloren, sollten „Wunderwaffen“ gebaut werden, um dem Krieg doch noch eine Wende zu geben. Militärisch blieben diese Anstrengungen bedeutungslos. Das NS-Regime hatte endgültig abgewirtschaftet. Das Volksvermögen war praktisch verschleudert worden, der materielle Schaden enorm, das menschliche Leid unermesslich. Bei allem, was auf die deutsche Wirtschaft durch Besatzung, Demontage und Reparationen noch zukam, waren ihre Aussichten auf eine baldige Erholung zumindest im westlichen Teil nicht gering. Der Rüstungsboom hatte in den Kriegsjahren einen beträchtlichen Modernisierungs- und Konzentrationsschub bewirkt. Zukunftsorientierte Branchen wie Elektrotechnik und Chemie hatten sich stark entwickeln können. Die traditionelle Wirtschaftslandschaft war durchgreifend verändert wor-
II.
Totale Mobilmachung
Zusammenbruch der Kriegswirtschaft
37
Der „Krieg der Fabriken“
II.
den, zum Vorteil ganzer Regionen und Branchen. Das Facharbeiterpotential war erheblich gestiegen, rationelle Fertigungsmethoden hatten sich in breitem Umfang durchgesetzt. Der Schaden, den der Bombenkrieg anrichtete, wurde durch die Erweiterung der Produktionsanlagen während des Kriegs wettgemacht. Es ist der deutschen Wirtschaft gelungen, ihren Produktionsapparat in einem Meer von Verwüstungen auf der Höhe des Friedensniveaus zu halten und nach der Niederlage in erstaunlich kurzer Zeit ein langanhaltendes „Wirtschaftswunder“ zu inszenieren, das – anders als in den dreißiger Jahren – nicht von der Rüstung getragen wurde. Den Preis für diese gelungene Operation hatten nicht zuletzt Millionen von Zwangsarbeitern zu zahlen, die während des Kriegs mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben dazu beigetragen haben, die Grundlage für diesen Wiederaufstieg zu schaffen.
38
III. Die Soldaten 1. Die Landstreitkräfte Kaum eine andere Armee der Welt ist derartig oft analysiert und beschrieben worden, keine hat innerhalb kurzer Zeit derartige Höhen und Tiefen erlebt, über keine Armee der Kriegsgeschichte gibt es derartig divergierende Urteile: ein „marschierendes Schlachthaus“, eine „verbrecherische Organisation“ oder die wohl größte und kampfkräftigste konventionelle Armee im Zeitalter der Weltkriege, die unter gleichen Bedingungen jeden Gegner zu schlagen vermochte und auch bei zeitweiliger Überlegenheit des Feindes zu siegen verstand? Von der Wehrmacht ist die Rede, die erst seit 1935 innerhalb weniger Jahre geschaffen worden war, aus einer kleinen Berufsarmee von rund hunderttausend Mann ohne moderne und schwere Waffen, ohne Panzer und Flugzeuge. Diese Wehrmacht vermochte es, innerhalb von zwei Jahren den gesamten europäischen Kontinent vom Atlantik bis vor die Tore Moskaus zu beherrschen. Ihre Fähigkeiten und ihr Zusammenhalt bestimmten die Dauer des Zweiten Weltkriegs.
Mythos Wehrmacht
1939
1940
1941
1942
1943
1944
1945
3737000
4550000
5000000
5800000
6550000
6510000
5300000
400000
1200000
1680000
1700000
1700000
1500000
1000000
Marine
50000
250000
404000
580000
780000
810000
700000
Waffen-SS
35000
50000
150000
230000
450000
600000
830000
Insgesamt
4222000
6050000
7234000
8310000
9480000
9420000
7830000
Heer Luftwaffe
Anzahl der Soldaten der Wehrmacht in den verschiedenen Teilstreitkräften 1939–1945 Aus: Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 121.
In Hitlers Wehrmacht bildete das Heer die größte Teilstreitkraft. Es übertraf seinem Umfang nach auch auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs die anderen Teilstreitkräfte einschließlich der neuartigen Waffen-SS um fast das Doppelte. Wie in allen anderen Armeen veränderten sich in dieser Zeit Umfang und Strukturen der Wehrmacht rasant. Der stetige Aufwuchs des Personals ist das auffälligste Kennzeichen. Das deutsche Heer hat davon allerdings vergleichsweise wenig profitieren können. In der Zeit des Blitzkriegs sind vor allem Kriegsmarine und Luftwaffe ausgebaut worden. Bei durchschnittlich fünf Millionen Heeressoldaten zählte in der Kriegsmitte nur etwa die Hälfte zum Feldheer. Der Rest verteilte sich auf Besatzungs- und Sicherungseinheiten sowie das Ersatzheer und andere Einrichtungen. Innerhalb des Feldheeres wiederum umfassten die herkömmlichen Infanteriedivisionen rund 80 Prozent. In diesen traditionellen Kampfverbänden galten noch etwa 60 Prozent der Soldaten als „Gewehrträger“. Der Rest setzte sich aus Kampfunterstützungs-, Führungs- und Versorgungstruppen zusammen. Im Vergleich etwa mit der US-Armee waren diese Proportionen
Das deutsche Heer
39
Die Soldaten
III.
noch stärker auf den Kampf orientiert. Vergleicht man sie mit der Roten Armee, fällt der höhere Anteil an Kampfunterstützungstruppen auf, der es einer deutschen Infanteriedivision bei etwa gleicher Kopfstärke besser ermöglichte, das Gefecht selbständig zu führen. Bereits bei Beginn des Zweiten Weltkriegs waren die in vier „Wellen“ aufgestellten 86 Infanteriedivisionen (zusätzlich vier motorisierte Infanteriedivisionen) unterschiedlich mit Personal und Material ausgestattet. Vielseitig verwendbar, bildeten sie eine bewährte Basis des neuen Heeres. Am 22. Juni 1941 umfasste das Heer bereits 152 „reine“ Infanteriedivisionen. Im weiteren Verlauf des Krieges mussten die „alten“ Divisionen weitgehend aus ihrer Substanz leben, weil Hitler Personal- und Materialreserven immer wieder vorzugsweise für die Aufstellung neuer Divisionen verwendete (insgesamt 35 „Wellen“). Durch Auskämm-Aktionen innerhalb der Divisionen sowie rückwärtiger Einheiten und Dienststellen musste dann Ersatz für ausgeblutete Verbände gefunden werden. Der schwerste Eingriff in die Kampffähigkeit erfolgte dort, wo Divisionen ihr drittes Regiment bzw. die Regimenter ihr drittes Bataillon oder sogar ihre Fahrzeuge abgeben mussten, um als Stellungsdivisionen feindlichen Offensiven zu trotzen. Meist gelang es diesen Großverbänden dann nicht mehr, rechtzeitig und schnell genug den durchgebrochenen und motorisierten Feindverbänden auszuweichen. Der Typus der Landwehr- bzw. Reservedivision des Ersten Weltkriegs als leichtbewaffnete Infanterieverbände wurde nicht wiederaufgenommen. Stattdessen bildete man Sicherungsdivisionen, die größtenteils aus Landesschützenbataillonen bestanden und neben Wach- und Sicherungsaufgaben notfalls auch zur Abriegelung feindlicher Durchbrüche eingesetzt wurden. Ähnlich verwendete man Feldausbildungsdivisionen, die nach der Kriegswende gebildet wurden, um aus dem Ersatzheer Ausbildungseinheiten näher an die Front zu führen und notfalls auch einsetzen zu können. Festungstruppen bekamen im letzten Kriegsjahr wieder größere Bedeutung. Das Prinzip, aus der Not eine Tugend zu machen, fand dort seine Grenzen, wo in der zweiten Kriegshälfte schlicht Etikettenschwindel betrieben wurde, indem man ausgebluteten bzw. schlecht ausgestatteten Verbänden hochtrabende Namen verlieh. Aus der Mischform von „leichten Divisionen“ und „Infanteriedivisionen (mot)“ für den Bewegungskrieg entwickelte man z.B. den Typus der „Panzergrenadier-Division“, der aber weder vollmotorisiert war noch ausreichenden Panzerschutz für die Grenadiere bot. Seit Herbst 1944 bezeichnete man die Neuaufstellungen als „VolksgrenadierDivisionen“. Sie setzten sich aus älteren und ganz jungen sowie bisher ukgestellten Wehrpflichtigen zusammen und verfügten über mehr Fahrräder als Kraftfahrzeuge. Die vorhandenen Infanteriedivisionen erhielten eine neue Gliederung, um ein Maximum an Personaleinsparungen zu erreichen. Die drei Regimenter umfassten nur noch jeweils zwei Bataillone. Dafür erhielten sie den klangvollen Namen „Grenadier-Regimenter“, und die Division bekam ein spezielles „Divisions-Füsilier-Bataillon“, ausgestattet wie ein Grenadier-Bataillon, dafür aber mit Fahrrädern beweglich gemacht. Außerdem ordnete Hitler an, sämtliche Bezeichnungen wie Reserve-, Ausbildungs- oder Ersatzdivision abzuschaffen, damit auch diese Verbände angespornt und hemmungslos an der Front eingesetzt werden konnten. Bei den letzten hastigen
40
Die Landstreitkräfte Aufstellungen im Frühjahr 1945 sollten klangvolle Namen wie „Theodor Körner“ Hitlerjungen und Genesende aus den Lazaretten zum „Endkampf“ mit armseliger Ausrüstung und Bewaffnung motivieren. Daneben bestanden die alten Eliteeinheiten der Infanterie weiter. Nur wenige ragten aber noch hervor wie die „Großdeutschland“. 1939 aus dem Wachregiment Berlin hervorgegangen, wurde sie als Infanterieregiment „Großdeutschland“ 1940/41 zusammen mit den Panzereinheiten als Sturmspitze verwendet, 1942 zur Infanteriedivision ausgebaut, 1943 zur Panzergrenadier-Division umgerüstet, praktisch einem Panzerverband gleichgestellt und als „Feuerwehr“ an der Ostfront eingesetzt. Der Name „Großdeutschland“ als Ärmelband zeichnete die Soldaten als Elite aus. Sie konkurrierte damit im Ansehen gegenüber der wachsenden Zahl von Elitedivisionen der Waffen-SS, deren Aufstellung und bevorzugte Ausrüstung letztlich zu Lasten des Heeres ging. Deshalb sind Vergleiche der Kampfkraft wenig aussagekräftig. Unter ähnlichen Bedingungen zeigten Verbände der Waffen-SS keine größeren Leistungen als Eliteeinheiten des Heeres. Ihr Erscheinungsbild war aber oft geprägt vom rücksichtslosen Einsatz des „Menschenmaterials“, was zum Teil dem Führerkorps der Waffen-SS geschuldet war, das sich mit Fanatismus und ideologischem Eifer zu profilieren versuchte. In der Roten Armee benutzte man den alten Begriff der „Garde“, mit dem Divisionen und Armeen ausgezeichnet wurden, die vorzugsweise ausgestattet die wichtigsten Angriffsaufgaben zu übernehmen hatten. Es war also mehr ein Appell an den soldatischen „Geist“ als ideologische Schulung, ähnlich wie bei den alten Eliteeinheiten der westlichen Armeen, etwa dem US-Marinekorps. Die Infanterie des deutschen Heeres konnte auch nicht von dem Personalüberschuss der Luftwaffe profitieren, der seit 1942 zur Aufstellung von 20 Luftwaffen-Felddivisionen führte. Die Ausstattung dieser Verbände ging ebenfalls zu Lasten des Heeres. Zumeist als Infanteriedivisionen organisiert, waren Görings Einheiten mit eigenen Uniformen – ähnlich wie die WaffenSS – als Erdkampfverbände überfordert. Sie erlitten hohe Verluste, weil es Unterführern und Offizieren an infanteristischer Erfahrung mangelte. Als Elite angesehen und ausgerüstet, galt von diesen dem Heer taktisch unterstellten Großverbänden das „Fallschirm-Panzerkorps Hermann Göring“. Die Aufstellung der völlig neuartigen Fallschirmtruppe seit Mitte der dreißiger Jahre im Rahmen der Luftwaffe entzog dem Heer ebenfalls ein wichtiges Potential kampfkräftiger leichter Infanterie, das nur punktuell und zeitweilig für den Einsatz zur Verfügung stand. Nach dem Aderlass bei der blutigen Eroberung von Kreta 1941 leistete die Fallschirmtruppe erst wieder im Dezember 1944 einen größeren Sprungeinsatz im Rahmen der ArdennenOffensive, ein Unternehmen, das schon allein an bemerkenswerten organisatorischen und technischen, vor allem an Ausbildungsschwächen scheiterte. Insgesamt wurden acht Fallschirmdivisionen aufgestellt, von denen nur zwei für den Sprungeinsatz ausgebildet waren. Eigene Luftlandetruppen stellte das Heer mit Ausnahme für den Einsatz auf Kreta (22. Infanterie-(Luftlande)-Division) nicht auf, im Gegensatz zu Briten und Amerikanern, bei denen 1943/44 diese Spezialverbände große Bedeutung erlangten. Dagegen scheiterten größere Einsätze auf sowjetischer Seite wiederholt.
III.
Die Waffen-SS
Fallschirmjäger und Spezialverbände
41
Die Soldaten
III.
Bewaffnung
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Zur Infanterie können auch Spezialkräfte gezählt werden, die für Kommando-Einsätze hinter der feindlichen Front im Zweiten Weltkrieg in großer Zahl zum Einsatz kamen. Sie stehen gleichsam in der Tradition von leichter Kavallerie, Streifkorps und irregulären Verbänden früherer Kriege. Im Ersten Weltkrieg hatten die Deutschen zumeist einzelne Militäragenten und Trupps eingesetzt, um in Nordafrika und Zentralasien den Aufstand gegen Briten und Franzosen zu schüren. Im Nahen Osten operierte „Lawrence von Arabien“ von britischer Seite aus sehr erfolgreich gegen die deutsch-türkischen Kräfte. Die Wehrmacht fasste solche Spezialkräfte in der Division „Brandenburg“ zusammen, die in den letzten Kriegsmonaten zu einer regulären Panzergrenadierdivision umgebildet wurde. Bereits 1941 hatte man im Heer damit begonnen, die hohen Verluste an der Ostfront teilweise durch den Einsatz einheimischer „Hilfswilliger“ und Kriegsgefangener auszugleichen. Sie ersetzten fronttaugliche Soldaten der Infanterie insbesondere bei den Trossen sowie bei Kommandanturen und Sicherungseinheiten. Seit 1942 füllten die Lücken außerdem Kindersoldaten auf, zunächst bei den auch im Osten verwendeten Abteilungen des Reichsarbeitsdienstes und der Heimatflak, bei Kriegsende auch im Frontbereich. Schließlich leisteten – wie in anderen Armeen des Zweiten Weltkriegs – junge Frauen als Soldatinnen vielfältige Hilfsdienste und machten in Lazaretten sowie als Nachrichtenhelferinnen Männer für den Fronteinsatz frei. Größere Änderungen im Vergleich zum Ersten Weltkrieg gab es auch bei anderen Unterstützungselementen nicht. Bei den Pioniereinheiten standen die Aufgaben im Bewegungskrieg stärker im Mittelpunkt, wo angesichts der Geschwindigkeit gepanzerter Vorstöße die Anforderungen etwa beim Bau von Brücken erheblich stiegen. Pioniereinheiten des Heeres übernahmen in der Regel im Gefechtsgebiet die notwendigen Aufgaben. Straßen-, Brücken-, Eisenbahn-, Unterkunft- und Festungsbau wurde zunehmend von der „Organisation Todt“ übernommen, Einheiten des Reichsarbeitsdienstes setzte man im rückwärtigen Bereich auch zum Betrieb von Versorgungsstützpunkten ein, Kolonnen schwerer Lkw des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) übernahmen über längere Strecken die Zuführung von Nachschub. Die ursprünglich große Zahl von regulären Heeres-Bau-Bataillonen, in der Annahme eines möglichen neuen Stellungskrieges aufgestellt, konnte daher reduziert und das Personal für den Fronteinsatz umgesetzt werden. Auch wenn sich die Masse der Infanteriedivisionen höchst heterogen darstellt, ist für die Waffengattung insgesamt zu erkennen, dass sich Ausbildung, Ausrüstung und Aufgaben nach dem dramatischen Wandel während des Ersten Weltkriegs in der Zwischenkriegszeit kaum weiterentwickelt hatten. In der persönlichen Ausrüstung und Bewaffnung gab es bis 1942 keine wesentlichen Verbesserungen. Bei Entwicklung und Rüstung rangierte die Infanterie auf hinteren Plätzen der Dringlichkeit. Hauptbewaffnung bildete seit vier Jahrzehnten der Karabiner 98, den hauptsächlich mittelständische Spezialbetriebe fertigten. Das Heer setzte auf den gezielten Einzelschuss des Kämpfers. Das schien effizienter und sparsamer zu sein. Schnellfeuergewehre, Maschinenpistolen und Maschinengewehre galten als störanfällig und nur für Spezialaufgaben verwendbar. Der enorme Wert einer erheblich gesteigerten Feuerkraft der Infanterie erwies sich rasch nach Kriegsbeginn, doch deren Umsetzung fand nur zögerlich statt. Das leistungsgesteigerte
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MG 42 wurde so zum Rückhalt des Infanteriekampfes. Erst im letzten Kriegsjahr wurde ein moderner Maschinenkarabiner in größerer Stückzahl eingeführt. Granatwerfer hatten im Ersten Weltkrieg beim Stellungskampf ihre Bedeutung bewiesen. Das an sich billig zu produzierende Gerät spielte im Zweiten Weltkrieg eine noch erheblich größere Rolle auf dem Gefechtsfeld, vor allem bei der Roten Armee. Doch blieben auch hier die Deutschen anfangs zögerlich. Ihr älteres Modell war ein Gerät mit geringem Kaliber und begrenzter Schussweite, geeignet besonders für den Stellungskrieg. Erst 1943/44 wurde nach sowjetischem Vorbild ein verbesserter Werfer in geringer Stückzahl eingeführt. In der Wehrmacht hatte man lange auf ein spezielles Infanteriegeschütz gesetzt, das zwar im direkten Schuss ein besseres Ergebnis erzielte, in Herstellung und Einsatz aber aufwendiger gewesen ist. Die Interessen der traditionellen Geschützfabriken deutscher Rüstungskonzerne dürften sich hier mit der Unbeweglichkeit von Fachmilitärs getroffen haben, die im Schema eines disziplinierten, straff geführten Einsatzes von Geschützbatterien befangen waren. Zu Granatwerfern und Infanteriegeschützen trat als schwere Waffe der Infanterie die Panzerabwehrkanone. Auch hier steigerte sich im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die Bedeutung überraschend schnell, eine Entwicklung, von der die deutsche Seite zumeist überrollt wurde. Das in großer Stückzahl produzierte Standardmodell von 1939 (3,7 cm Pak) kam schon nach kurzer Zeit als „Heeresanklopfgerät“ in Verruf. Die schrittweise Erhöhung des Kalibers und die Verwendung gepanzerter Trägerfahrzeuge (Sturmgeschütze) waren meist von Improvisationen und Aushilfen geprägt. Erst in der Schlussphase des Krieges standen leistungsstarke Modelle in geringer Stückzahl zur Verfügung. Für die Panzerabwehr in den Infanterieregimentern hatte man zunächst auf den Einsatz von tragbaren „Panzerbüchsen“ gesetzt, die aber trotz Spezialmunition bald nicht mehr die Panzerung feindlicher Fahrzeuge durchschlagen konnten. Schießbecher, als Aufsatz auf dem Gewehrlauf, bewährten sich ebenfalls nicht. Seit 1943 stand in großer Stückzahl die „Panzerfaust“ für den Infanteristen zur Verfügung, ein reaktives Geschossrohr, mit dem sich auf kurze Distanz eine wirksame Hohlladungsgranate verschießen ließ. In den letzten Kriegstagen wurde sie als „Wunderwaffe“ für Mann, Frau und Kind propagiert, hat aber keinen größeren Einfluss auf das Kampfgeschehen gehabt. Gegenüber dieser primitiven Technik gab es bereits 1941 den Vorschlag einer modernen nachsteuerbaren Lenkrakete zur Panzerabwehr, was zunächst an der Höhe der verlangten Entwicklungskosten (rd. 800000 RM, im Gegenwert der Produktionskosten von zwei Kampfpanzern!) scheiterte. Erst 1944 griff man in aller Eile die Idee wieder auf, im Frühjahr 1945 sollten die ersten Modelle in die Erprobung gehen. Eine wesentliche Entlastung für die schwer bedrängte Infanterie, die sich oft nur im Nahkampf gegen Panzer mit tragbaren Minen oder gebündelten Handgranaten zur Wehr setzen konnte, bedeutete der Einsatz von schweren Flak-Batterien der Luftwaffe. Die 8,8-cm-Kanone wurde zur wichtigsten Abwehrwaffe gegen feindliche Panzer. Das Heer konnte seinen Bedarf erst ab 1943 stärker zur Geltung bringen, musste aber auch hier stets mit den Anforderungen der anderen Wehrmachtteile konkurrieren und sich entschei-
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den, wie der eigene Anteil zwischen der Fertigung von Panzerkanonen und Panzerabwehrgeschützen aufzuteilen ist. Hatte im Ersten Weltkrieg noch die Artillerie die Hauptlast der Panzerabwehr getragen, entwickelte das Heer jetzt das Dogma, dass der Panzer die beste Panzerabwehr ist. Das traditionell stärkste Element der Feuerkraft auf dem Schlachtfeld war die Artillerie. Sie war im Ersten Weltkrieg Hauptträger des Kampfes gewesen und hatte die Armeen im Stellungskrieg festgehalten. Im Zweiten Weltkrieg war der erneute Übergang zum Bewegungskrieg gelungen, gestützt auf die Panzerkanonen und die „fliegende Artillerie“ der Luftwaffe. Dennoch behielt die Feldartillerie ihre tragende Bedeutung im Feuerkampf. Durch sie wurde die größte Menge an Munition auf den Feind verschossen. Was an der Invasionsfront die Bombenteppiche der Amerikaner bewirkten, leistete an der Ostfront die Feuerwalze der russischen Artillerie. Die Wehrmacht konnte, abgesehen von der Anfangsphase des Krieges, diesen Materialeinsatz nicht leisten. Auch auf diesem Gebiet war die Rüstungsüberlegenheit 1941/42 verlorengegangen. Speers Möglichkeiten, durch den Bau neuer Geschützfabriken und durch Massenfertigung die Zahl von Artilleriegeschützen zu steigern, blieben begrenzt. Neben der konkurrierenden Fertigung von Panzerkanonen und Flak spielte dabei auch die Struktur der Herstellerfirmen eine Rolle. Das Kartell der traditionellen Kanonenfabriken von Krupp und Rheinmetall, zu dem 1939 noch die böhmischen Škoda-Werke kamen, teilte sich einen Markt, der nach dem Ersten Weltkrieg sehr eng begrenzt und lizensiert worden war. Während der Aufrüstungsphase konnte sich die Geschützfertigung – gegenüber den vorrangigen modernen Rüstungsproduktionen wie Panzer- und Flugzeugbau – nicht profilieren. Im Krieg dann musste die Artillerie selbst innerhalb der Heeresrüstung zurückstehen und kam niemals in die höchste Dringlichkeitsstufe. Die riesige Beute an Geschützen in der ersten Kriegsphase verleitete die Heeresführung dazu, dieses „europäische Artilleriemuseum“ nicht einzuschmelzen, sondern selbst zum Einsatz zu bringen. Auch die eigenen veralteten Modelle sowie die aus der Umrüstung von Panzern freigewordenen Kaliber wurden weiterverwendet. So baute man etwa im Sommer 1944 1221 Türme von Panzerkampfwagen in die Festungslinien ein. Aus der Umrüstung des Panzer III standen im Sommer 1942 1800 5-cm-Kanonen zur Verfügung, die auf erbeuteten französischen Sockeln von anno 1897 für den Küstenschutz verwendet wurden. Die zahlreichen zu „Festungen“ erklärten Stützpunkte an allen Fronten verfügten Ende 1944 über 1691 Rohre, vorwiegend Beutegeschütze mit wenig Munition. Selbst russische Schiffskanonen aus dem Ersten Weltkrieg wurden als Küstenbatterie bei Calais eingesetzt, ebenso französische Festungsgeschütze von 1884. Im März 1944 waren bei einem Gesamtbestand des Feldheeres von 17589 insgesamt 8337 Geschütze (= 47 Prozent) im Einsatz, die nicht aus deutscher Produktion stammten. Fast die Hälfte davon (41,4 Prozent) war französischen Ursprungs. Die Masse der Beutewaffen wurde in Westeuropa eingesetzt. Im Westen konnte das Heer (Stand Januar 1944) 654 deutsche und 3648 Beutegeschütze einsetzen, von denen es bei 2672 keine Munitionsfertigung gab, die also auf zumeist kleine Restbestände angewiesen waren. Waren sie verschossen, mussten die Geschütze gesprengt werden. An der Ostfront wa-
Die Landstreitkräfte ren die Verhältnisse günstiger. Dort stammten 79 Prozent des Bestandes aus deutscher Produktion. Das Sammelsurium an Geschütztypen, teilweise aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, verursachte nicht nur erhebliche Probleme bei Nachschub und Einsatz, es verminderte zugleich auch den Anforderungsdruck gegenüber dem Rüstungsministerium. Hitler war nicht recht zufrieden damit: „Maschinengewehre aus aller Herren Länder, Kanonen aus aller Herren Länder, das kann ich nicht als Kampfkraft ansehen.“ Aber einen Ausweg wusste er auch nicht, angesichts der großen Waffenverluste in der Stalingrader Schlacht. Ein umfangreiches Programm für den Bau schwerer Geschütze, das der Chef der Heeresrüstung, Generaloberst Friedrich Fromm, im Frühjahr 1943 ausgearbeitet hatte, ließ sich nur in kleinem Rahmen verwirklichen. Improvisationen und Basteleien auf diesem Gebiet waren das Lieblingsthema in den Besprechungen Hitlers mit seinem Rüstungsminister. Immerhin erreichte Speer eine beachtliche Steigerung des Ausstoßes zumindest für die leichte Artillerie des Heeres. Von knapp 2500 Geschützen 1940 stieg die Fertigung bis auf über 13500 im Jahre 1944. Das war weniger als ein Drittel der gesamten Geschützproduktion, deren Masse für die Panzerausstattung verwendet wurde. Die Fertigung von Artilleriewaffen umfasste allerdings zum großen Teil technisch und taktisch veraltete Modelle, Standardgeschütze, die Mitte der zwanziger Jahre entwickelt worden waren. Wegen der vermeintlich unüberwindbaren Konstruktionsschwierigkeiten entschied Hitler im Dezember 1943, die vorgeführten neuen Modelle einer leichten und schweren Feldhaubitze „während dieses Krieges“ nicht mehr zur Einführung zu bringen. Eine vielversprechende 12,8-cm-Kanone – der vermutlich beste Geschützentwurf während des Zweiten Weltkrieges – kam nur in geringen Stückzahlen an die Front. Speer und Hitler diskutierten noch um die Jahreswende 1944/45 über die Ablieferung von ein oder zwei Dutzend solcher Geschütze, komplettiert durch alte französische und russische Beutelafetten, da die eigene Konstruktion einer Kreuzlafette nicht abgeschlossen werden konnte. Eine überraschende Entwicklung auf dem Artilleriegebiet ergab sich schließlich aus dem Einsatz von „Nebelwerfern“. Die großkalibrigen Rohre für ungesteuerte Raketen waren in den dreißiger Jahren für einen möglichen Gaskrieg gebaut worden. Als die Rote Armee 1941 mit solchen MehrfachRaketenwerfern („Stalinorgeln“) an der Ostfront große Wirkung auf die deutsche Infanterie erzielte, widmete das Heer die eigene Gaskriegstruppe für den konventionellen Artillerie-Einsatz um, erhöhte die Kaliber und die Zahl gebündelter Rohre. Weil die Rauchentwicklung der Raketen – im Gegensatz zu Artilleriegranaten – den Standort des Geschützes sofort verriet, musste nach jeder Salve ein Stellungswechsel vollzogen werden. Abgesehen von dieser Schwierigkeit handelt es sich um ein relativ einfach herzustellendes und einsetzbares System. Ein einzelnes Gerät konnte schlagartig eine große Fläche abdecken und enorme moralische Schockwirkung erzielen. Auch hier konnte das Heer den Vorsprung der Roten Armee niemals einholen. Neben Infanterie und Artillerie gehörte noch im Ersten Weltkrieg die Kavallerie zu den wichtigsten Heereskörpern. Im Stellungskrieg hatte sie ihre
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Bedeutung eingebüßt, ebenso als Stoßkraft in der Durchbruchsschlacht. Bei Aufklärung und Verfolgung blieb sie freilich zumindest im Bewegungskrieg nützlich. Dass der Versailler Vertrag dem Reichsheer der Weimarer Republik eine große Zahl von Kavallerieregimentern zugebilligt hatte, wurde von der Heeresführung aber eher als Hindernis für eine Modernisierung der Armee angesehen. Gleich nach 1935 wurden die drei Kavalleriedivisionen aufgelöst und das Personal den Infanteriedivisionen zur Bildung von berittenen Aufklärungsabteilungen sowie von Reiterzügen bei den Infanterieregimentern zugewiesen. Nur in Ostpreußen blieb eine Kavalleriebrigade bestehen. Während des Feldzugs in Polen zeigte sich dann, dass in unwegsamem Gelände und in bestimmten Gefechtssituationen berittene Kampfgruppen durchaus von Wert sein konnten. Zog sich der Gegner in sumpfiges bzw. dichtbewaldetes Gebiet zurück, mussten ihn die Panzer umgehen und die Infanterie brauchte Zeit und Kräfte, um ihn dort niederzukämpfen. Beim Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen erwiesen sich die Kavallerieverbände sogar als schneller denn die schwerfälligen Panzer. Doch im deutschen Heer setzte man unvermindert auf den Ausbau motorisierter Einheiten. Beim erneuten Marsch nach Osten 1941 gab es für Sicherungsaufgaben im rückwärtigen Raum Weißrusslands eine zusätzliche SS-Kavalleriebrigade, die allerdings hauptsächlich den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung praktizierte, beim Heer dann eine Kosaken-Brigade aus russischen Freiwilligen. Im rückwärtigen Gebiet, insbesondere bei der Bekämpfung von Partisanen, waren zahlreiche kleinere Reiterformationen einheimischer Freiwilliger im Einsatz. 1943/44 formierte sich das XV. Kosaken-Kavalleriekorps, das I. Kavalleriekorps des Heeres sowie zwei SS-Kavalleriedivisionen, die in bestimmten Regionen Ost- und Südosteuropas militärisch sinnvoll eingesetzt werden konnten. Im Gegensatz dazu behielten traditionsreiche Kavallerieregimenter in Frankreich, Großbritannien und den USA im Zweiten Weltkrieg zwar ihre Namen, wurden aber als leichte motorisierte Einheiten verwendet. In der Roten Armee blieben größere Kavallerieformationen bis 1945 im Einsatz, hauptsächlich bei der Verfolgung und der Sicherung des Hinterlandes.
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Bericht über einen Angriff der Kubankosaken der Wehrmacht auf sowjetische Truppen in Jugoslawien Anfang 1945 Aus: Müller, An der Seite der Wehrmacht, S. 211f. Ein Ungeheuerliches hob jetzt an: Granate auf Granate heulte in die Reiterpulks, warf die Pferde in blutigen Fetzen in die Luft, riss oftmals ganze Reihen wie Scheiben um. Die Kosaken legten sich weit auf die Hälse, ihre Augen drangen glotzend aus den Gesichtern, aber die Steigung der Senke nahm den Pferden die letzte Kraft. Immer näher rasselten die Panzer heran, immer deutlicher wurde das brechende Bersten, schon rochen sie den Dunst verbrannten Öls, fühlten sie die heißen Blitze der Maschinenwaffen. Ein Zug nach dem anderen wurde niedergemäht, überall schlugen sterbende Pferde um sich, schrien zerfetzte Menschen mit grausigen Stimmen. Die durchgehenden Tiere sprangen mit ihren Hufen mitten in jene hinein, die, wie von einem Schlächtermesser geteilt, in blutigen Gallertmassen auf dem Felde lagen. Einzelne schon gestürzte Kosaken hoben flehend die Hände auf, sie doch mitzunehmen, aber ihre gelben Gesichter verrieten meist schon den nahen Tod.
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Die Landstreitkräfte Die wichtigste neue Waffengattung des Heeres bildete die Panzertruppe. Dieses neuartige militärische Instrument hatte man in Deutschland nach den Erfahrungen von 1916–18 zunächst weithin unterschätzt, und die Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern einer selbständigen Panzerkriegführung und der Unterstellung von Panzern zur Unterstützung der Infanterie zog sich bis in den Zweiten Weltkrieg hinein. Der Durchbruch erfolgte mit dem Frankreichfeldzug 1940. Die Panzertruppe (als Waffengattung formell 1943 aus der Auflösung der Waffengattung „Schnelle Truppen“ geschaffen) wurde im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zur am schnellsten wachsenden Formation, zum entscheidenden Instrument operativer Kriegführung. Durch die Unterstellung von Begleitinfanterie und -artillerie sowie anderer Unterstützungselemente gewann sie die Fähigkeit zur selbständigen Kampfführung in Panzerkorps und schließlich in Panzerarmeen. Die mit dem Einsatz von Panzerdivisionen enorm gestiegene Geschwindigkeit von Planung und Durchführung taktisch-operativer Entscheidungen sowie der im Kampf der verbundenen Waffen implizierte hohe Kommunikations- und Koordinationsbedarf, verbunden mit einer Risikofreude, die bis an die Waghalsigkeit reichen durfte, kam der deutschen militärischen Tradition sehr entgegen. Betrachtet man die Ausgangslage, bei der die Reichswehr Ende der zwanziger Jahre noch darauf beschränkt war, einige Traktorenmodelle unter größer Geheimhaltung in Sowjetrussland zu erproben, und den Ausbau der Kraftfahrtruppe seit Mitte der dreißiger Jahre zu einer einsatzfähigen Panzertruppe bis 1939, so stellt das Bemühen des deutschen Heeres sicherlich eine bemerkenswerte Leistung dar – erst recht, wenn man die noch beschleunigte Entwicklung während des Zweiten Weltkriegs einbezieht. Der Ausbau der Panzertruppe sah sich allerdings vielen Behinderungen ausgesetzt. In den rund vier Jahren des Aufbaus bis Kriegsbeginn ließen sich trotz intensiver Ausbildungs- und Erprobungsarbeit nur wenige einsatzbereite Großverbände formieren. An der Zusammensetzung und Ausstattung musste im Verlauf des Krieges immer wieder nachgebessert werden. Für die Panzerwaffe kam der Kriegsausbruch zweifellos allzu früh, bot dafür aber die Möglichkeit, praktische Einsatzerfahrungen zu machen. Aus den bei Kriegsbeginn einsatzbereit gemachten 5 Panzerdivisionen entstanden im Kriegsverlauf zusätzlich 28 „Nummerndivisionen“ und als schillernde Notlösungen in den letzten Kriegsmonaten 13 „Namensdivisionen“. Davon konnte nur die „Panzer-Lehrdivision“ seit Anfang 1944 als Eliteverband gelten. Außerdem sind insgesamt 10 Panzerdivisionen der Waffen-SS aufgestellt worden, die gleichfalls ganz unterschiedlich bewertet worden sind. Die größte Veränderung trat im Herbst 1940 ein, als nach dem Frankreichfeldzug innerhalb weniger Monate die Zahl der Panzerdivisionen verdoppelt werden sollte. Dazu wurde den ursprünglich mit zwei Panzerregimentern und einem Schützenregiment ausgestatteten Verbänden ein Panzerregiment genommen. Die für einen angenommen kurzen Feldzug gegen die UdSSR fahrenden Divisionen verfügten also nur noch über die Hälfte der Kampfpanzer, und das bei Operationszielen, die im Vergleich zum Frankreichfeldzug im Jahr zuvor nicht über 300, sondern 800 Kilometer reichten, in weithin ungünstigem Gelände und gegen einen zahlenmäßig erheblich stärkeren Gegner. Dass die letzten erschöpften Vorstöße Anfang
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Dezember vor den Toren Moskaus eingestellt werden mussten, zeigt die extreme Überforderung, die im Plan „Barbarossa“ schon im Beginn angelegt gewesen war. Dass die Verdoppelung der Divisionszahl innerhalb weniger Monate erhebliche personelle Probleme verursachte, ist verständlich. Das fing mit der Fahrausbildung für die Panzerfahrer an, für die es nicht genug Treibstoff gab und die daher verkürzt werden musste, und hörte mit der Suche nach geeigneten Kommandeuren und Stabsoffizieren nicht auf. Von Anfang an warf der Mangel an geeigneten Kampffahrzeugen die größten Probleme auf. Die Panzerverbände des Heeres gingen 1939 praktisch mit ihren Schulungsfahrzeugen in den Krieg, den kleinen und leichtbewaffneten Typen I und II (rd. 2800). Hinzu kamen 200 leichte Kampfwagen tschechischer Herkunft, eine willkommene Verstärkung. Erst Ende 1939 wurde die Serienproduktion der ursprünglich vorgesehenen Kampfwagen Typ III und IV aufgenommen. Der als schwerer Panzer konzipierte Typ IV begann mit einer monatlichen Auslieferungsquote von 20, die ein Jahr später auf 30 stieg und auf dem Höhepunkt der Verluste während des Vormarsches auf Moskau auf 60 erhöht werden konnte. Der Gesamtbestand an Panzerkampfwagen konnte vom 1. September 1939 (= 3169) bis 1. April 1942 (= 5479) fast verdoppelt werden, doch der Anteil des Typ IV lag noch immer bei zehn Prozent. Dabei hatte sich inzwischen der sowjetische T 34 für die deutsche Seite als böse Überraschung herausgestellt, den Stalin in großen Mengen als Standardpanzer produzieren ließ. Das hektische Nachrüsten Hitlers bescherte dem Heer ein Jahr später die neuen Typen 5 („Panther“) und 6 („Tiger“), die im direkten Duell dem T 34 überlegen, aber anfangs störanfällig waren. Auch wenn bei den neuen Typen die Serienfertigung nun schneller hochgetrieben werden konnte, produzierten die Panzerwerke bis zum Kriegsende in der Masse stets die bereits veralteten Modelle, die dann durch Nachrüstungen und Umbauten im Kampfwert gesteigert werden mussten. Abgesehen von den Führungsproblemen beim Kampf der verbundenen Waffen unter den erschwerten Bedingungen der motorisierten Kriegführung erwies sich die Ausstattung der Unterstützungstruppen als weithin mangelhaft. Solange die deutschen Panzerverbände mit eigener Luftherrschaft und gutausgebautem Straßen- bzw. Wegenetz rechneten konnten, machten sich die Defizite nicht sofort bemerkbar. Mit der zeitlichen und räumlichen Ausweitung der Operationen im Zuge des Krieges gegen die UdSSR und seit 1942 auch auf allen anderen Kriegsschauplätzen konnten größere Panzerverbände nur noch eingesetzt werden, wenn sie unmittelbar wirksame und leistungsfähige Unterstützung erhielten. Dazu gehörten der Truppenluftschutz, Pioniere, Artillerie und infanteristische Begleitung. Alle diese Elemente benötigten am Ende gepanzerte Fahrzeuge, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die industrielle Kapazität reichte aber nicht aus, zusätzlich neue Typen in möglichst standardisierter Massenfertigung der Panzertruppe zur Verfügung stellen zu können. Das Ausweichen auf eine mit Hilfe von Krafträdern (Kradschützen) und Lkw beweglich gemachte Infanterie erwies sich spätestens im Russlandfeldzug als untauglich. Schon im Feldzug gegen Polen hatten sich bei schwierigen Straßen- und Geländebedingungen große Probleme gezeigt. Auch die Bewegung von Artillerie und Flak mit Zugkraftwagen genügte im Kriegsver-
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lauf nicht mehr. Die Verwendung eines Sammelsuriums von älteren Beutefahrzeugen zur Herstellung von Selbstfahrlafetten blieb unbefriedigend. Insgesamt konnte die deutsche Fahrzeugproduktion nicht die Erwartungen erfüllen. Der Vorrang der Panzerfertigung ließ sich nur zu Lasten z.B. der Lkw realisieren. Für beide war die Treibstoffversorgung stets ein auch taktischoperativ wirksamer Engpass. Das zwang seit 1943 zunehmend zur Entmotorisierung größerer Teile des Heeres, die neben der traditionellen Pferdebespannung (das Heer verfügte schon 1941 über mehr Pferde als Kfz) und den auf Holzvergaser-System umgestellten Kraftwagen am Ende mit Fahrrädern mobil gemacht wurden. Im Gegensatz dazu hatte sich die Rote Armee im Verlauf des Zweiten Weltkriegs vor allem mit Hilfe von Kfz-Lieferungen aus den USA zu einer überwiegend motorisierten Truppe entwickeln können, die allerdings auf den Pferdetransport nicht ganz verzichten konnte. Nur die britischen und US-amerikanischen Armeen verfügten über eine ausreichende Ausstattung mit Kraftfahrzeugen.
2. Die Luftstreitkräfte Der Einsatz der Luftstreitkräfte erwies sich im Zweiten Weltkrieg auf allen Schlachtfeldern als von entscheidender Bedeutung. Bei den meisten Großmächten bildeten sie – anders als etwa in den USA – eine selbständige Teilstreitkraft. Innerhalb weniger Jahre hatte sich Görings Luftwaffe bis 1939 zur – zumindest zahlenmäßig – stärksten Luftmacht der Welt entwickelt. Dieser Rüstungsvorsprung ging rasch wieder verloren, zumal er auf Improvisationen und Fehlentscheidungen beruhte. Die moderne, aus dem Boden gestampfte und teilweise verstaatlichte Luftfahrtindustrie war in zu kleinen Einheiten über das ganze Reichsgebiet verstreut und wurde von Unternehmern dirigiert, die sich mehr als Pioniere und Konstrukteure verstanden. Das Ergebnis war eine Vielzahl verschiedener Flugzeugtypen in zahllosen Varianten, die in viel zu kleinen Stückzahlen produziert wurden. Die Entwicklung der Radartechnik war von den Deutschen vernachlässigt worden. Jagdflieger Ulrich Steinhilper über die Luftschlacht um England Aus: Müller, Der Bombenkrieg, S. 68.
Görings Luftwaffe
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Wir hatten zwei gravierende Probleme: Es gab zwischen den Bomberpiloten und den Jagdfliegern keine Funkverbindung! Das heißt, wir konnten uns nicht miteinander absprechen, was koordinierte Aktionen sehr schwierig machte und oft sogar im Tod endete. Denn dadurch, dass wir keinen Funk hatten, mussten wir Jäger auf Gedeih und Verderb den Bombern folgen. Und da trat Problem Nummer zwei auf: die Reichweite unserer Maschinen, der Me 109, war viel geringer als die der Bomber. Unser Sprit reichte gerade einmal bis London und zurück. Luftkämpfe mit den schnellen Spitfire-Jägern der Royal Air Force konnten wir uns gar nicht leisten. Ich selbst habe einmal fast meine ganze Gruppe verloren, als ein Verband von Ju 88-Bombern weit über sein Ziel hinausflog und wir an ihm dran-
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bleiben mussten. Auf dem Rückflug musste ich mit ansehen, wie einer nach dem anderen von uns ins Wasser fiel. Es war kalt und stürmisch. Deshalb konnten nur zwei Piloten von der Seenotrettung aus dem Meer gefischt werden, 19 Piloten starben – nur weil ihre Tanks leer geflogen waren.
Ehrgeizige industrielle Ausbaupläne Görings konnten nur zum Teil realisiert werden. Fast die Hälfte der deutschen Rüstungsressourcen floss der Luftwaffe zu, die im Wettlauf mit den gegnerischen Großmächten aber nicht lange mithalten konnte. Fast eine Million Soldaten jedoch und Zehntausende von Geschützen mussten eingesetzt werden, um die eigene Truppe und die Heimat vor feindlichen Luftangriffen zu schützen, weil es nicht gelang, die Luftherrschaft auf dem Kontinent dauerhaft zu erringen und zu verteidigen. Am Ende wurden 200000 Mann in Luftwaffen-Felddivisionen als Infanteristen eingesetzt, weil Göring nicht bereit gewesen ist, seine riesige Organisation, die kaum noch Flugzeuge in die Luft brachte, zu verringern. Die Luftverteidigung war eine wichtige Schwachstelle der Wehrmacht. Der technische Vorsprung deutscher Jagdflugzeuge konnte nicht gehalten werden. Schon in der Luftschlacht um England im Herbst 1940 wurden Leistungsgrenzen der Luftwaffe erkennbar. Die frühe Entscheidung Hitlers, die Bevölkerung durch massive Luftschutzbauten zu schützen, band Hunderttausende von Arbeitskräften. Auch der Einsatz von Flak-Batterien war wenig effizient. Erst mit der Entwicklung von Strahlflugzeugen, die 1939 als Prototypen bereits vorhanden waren, aber erst 1944 produziert werden konnten, stand der Luftwaffe ein freilich noch nicht ausgereiftes Kampfmittel zur Verfügung, um die alliierte Luftüberlegenheit wirkungsvoll angreifen zu können. Mit den wenigen Hochleistungsflugzeugen ließ sich aber keine Wende mehr im Luftkrieg erzwingen. Im letzten Kriegsjahr war die Luftwaffe schon längst nicht mehr in der Lage, den eigenen schwer bedrängten Bodentruppen zu helfen. Das letzte Großunternehmen („Bodenplatte“) zur Unterstützung der Ardennenoffensive geriet zum Fiasko, und alle verzweifelten Bemühungen, wenigsten den Luftraum zwischen Rhein und Oder zu schützen, schlugen fehl. Der Masseneinsatz von Jagdflugzeugen älterer Bauart durch unerfahrene, junge Piloten hielt die feindlichen Bomber nicht auf. Der endlich einsatzbereite Düsenjäger sollte nach Hitlers Willen als „Schnellbomber“ gegen England fliegen. Die von Göring als Feiglinge beschimpften Jagdflieger-Asse protestierten vergeblich. Als Oberbefehlshaber der Luftwaffe war der „Reichsmarschall“ schon längst in Ungnade bei Hitler gefallen, wegen seines Lebenswandels in Bevölkerung und Wehrmacht verachtet. Von ihm trennen wollte sich der „Führer“ nicht, dafür überschüttete er beinahe täglich die Luftwaffe mit Vorwürfen und meinte, erst müsse man einige Luftwaffenoffiziere erschießen, bevor sich das Blatt wende. Eine andere Schwachstelle war der frühe Verzicht auf den Bau einer strategischen Bomberflotte. Auch in der Luftwaffenführung gab es Verfechter eines radikalen Bombenkriegs gegen die feindliche Zivilbevölkerung, doch der äußerst aufwendige Bau weitreichender Bomber wurde zugunsten mittlerer Kampfbomber zurückgestellt, die angesichts begrenzter Ressourcen in sehr viel größeren Stückzahlen gebaut werden konnten. Die Luftwaffe sah
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Die Luftstreitkräfte ihre Hauptaufgabe darin, die Bodentruppen zu unterstützen, und verzichtete im Gegensatz zu anderen Luftstreitkräften auf die Idee eigenständiger Kriegführung. Mit den berühmten Stukas unterstützte sie die Panzerangriffe als „fliegende Artillerie“ und riegelte selbständig das Schlachtfeld ab. Ihre Kampfbomber und Zerstörer attackierten militärische Ziele im Hinterland und führten in einem begrenzten Maße auch Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung durch. Für die großen Entfernungen konnte aber niemals eine ausreichende Lufttransportkapazität geschaffen werden, um Brennpunkte des Kampfes ausreichend zu versorgen. Stalingrad bietet ein Beispiel für leichtsinnige Versprechungen Görings. Die eigens aufgestellte Fallschirmtruppe konnte nach schweren Verlusten bei der Eroberung Kretas seit 1941 ihre Aufgabe als strategische Reserve nicht mehr erfüllen. Ebenso fehlte es auf deutscher Seite an einer wirksamen Komponente, die notwendig gewesen wäre, um das europäische Küstenvorfeld zu überwachen und den U-Boot-Krieg zu unterstützen. Die Luftwaffe beharrte darauf, dass die fliegerische Aufgabe bei ihr liegen würde, verfügte aber niemals über ausreichende Mittel, um eine entscheidende Rolle auch bei der Seekriegführung zu spielen. Besaß die Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg noch eine Marineluftwaffe, musste sie unter dem Druck Görings diese Ambitionen aufgeben. So entdeckten den Aufmarsch der größten Invasionsflotte der Weltgeschichte an der Küste der Normandie am 6. Juni 1944 erst die Infanteristen des Heeres, die den Strand verteidigen sollten. Da die Luftwaffe seit 1941 auch die Erwartungen Hitlers nicht mehr erfüllen konnte, im strategischen Bombenkrieg gegen Großbritannien mit größerer Wucht zurückschlagen zu können, musste sie nach anderen Wegen suchen, um nach dem Kriegseintritt der USA eine abschreckende Wirkung gegen den zu erwartenden alliierten Angriff auf die „Festung Europa“ erzielen zu können. Der in den dreißiger Jahren entwickelte Fernbomber He-177 war entgegen allen Planungen noch immer nicht einsatzbereit, vor allem deshalb, weil man krampfhaft an der Forderung festhielt, der viermotorige Bomber solle auch die Fähigkeit zum Sturzflug haben, um auch Punktziele – ganz im Sinne der bisherigen taktischen Doktrin – angreifen zu können. Dafür wurden jeweils zwei Motoren miteinander gekoppelt, ein technisches Konzept, dass dieses Fluggerät zu einem fliegenden Sarg für die Besatzungen machte. Bei Kriegsende 1945 standen etwa 1500 Maschinen auf norwegischen Flugplätzen nutzlos herum, eine der nicht wenigen Fehlinvestitionen der Luftwaffe. Dafür griff man 1942 als Ersatz auf eine vermeintliche Wunderwaffe, einen rasch konstruierten Marschflugkörper, der später die Bezeichnung V 1 (= Vergeltungswaffe 1) erhielt. Die fliegende, lenkbare Bombe war zwar billig zu produzieren, hatte aber nur eine Reichweite von rund 250 Kilometern. Sie wurde auf Abschussrampen an der Kanalküste stationiert, konnte jedoch entgegen den Planungen erst nach Beginn der Invasion zum Einsatz gebracht werden. Nun wurden die festinstallierten Rampen vom Gegner bombardiert und der Einsatzraum rasch erobert. Durch mobile Abschussgeräte ging der Beschuss, der sich gegen Südostengland, insbesondere gegen London, später auch gegen Antwerpen als alliierten Nachschubhafen richtete, weiter. Aber 80 Prozent der Geräte wurden von feindlichen Jägern im Flug abgeschossen oder fielen nicht selten auf eigenem Gebiet vom Himmel.
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Alliierte Luftüberlegenheit
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Weitaus gefährlicher für die Zivilbevölkerung im alliierten Hinterland war der Einsatz einer ballistischen Großrakete (V 2), die vom Heer seit Anfang der dreißiger Jahre entwickelt worden war. Unter maßgeblicher Leitung von Wernher v. Braun sollte eine Fernartillerie für taktische Punktziele geschaffen werden. Mit einer Gipfelhöhe im Weltraum und Überschallgeschwindigkeit fiel die in Peenemünde erfolgreich erprobte Rakete auf ihr Ziel. Es gab praktisch keine Abwehrmöglichkeit. Die Reichweite von 300 Kilometern sollte später so gesteigert werden, dass damit auch New York erreichbar gewesen wäre. Beladen mit chemischen Kampfstoffen, hätte sie eine vernichtende Wirkung erzielen können. Die Briten bombardierten freilich im Herbst 1943 die Herstellungsanlagen für das Fluggerät des Heeres. Nun mussten KZ-Sklaven in Mitteldeutschland in aller Eile in unterirdischen Anlagen die Produktion durchführen. Im Herbst 1944 begann das Heer mit dem Bombardement von London und Antwerpen. Der Beschuss dauerte bis März 1945. Insgesamt kamen bei dieser Waffe mehr Menschen (Sklavenarbeiter) auf eigener Seite ums Leben als beim Gegner. Die Luftwaffe zahlte für dieses letztlich nutzlose Bombardement in der Konkurrenz mit dem Heer einen hohen Preis, denn es fehlte zur gleichen Zeit der schwer bedrängten Reichsluftverteidigung an Flugzeugen und Treibstoff für die Ausbildung der Piloten. In den letzten Tagen des Kriegs sollten dann sogar „Selbstopfer“-Piloten nach japanischem Vorbild eingesetzt werden. Dazu ist es nur in wenigen Fällen gekommen. Aufstieg und Absturz der deutschen Luftwaffe lagen dicht beieinander. Auf sowjetischer Seite waren die schweren Verluste bei den Frontfliegerkräften zu Beginn des deutschen Überfalls rasch wieder durch moderne Typen aufgefüllt, die den deutschen Flugzeugen technisch ebenbürtig waren. Einige strategische Bombenangriffe 1941/42 gegen das Reichsgebiet richteten kaum Schaden an. Das Hauptgewicht des Einsatzes der sowjetischen Luftwaffe lag bei der Erringung der Luftherrschaft über den jeweiligen Kampfgebieten, was seit 1943 meist erfolgreich war. Daran beteiligte sich auch ein Jagdgeschwader der freifranzösischen Kräfte. Bei der Luftnahunterstützung für die eigenen Truppen spielten Einsätze von leichten Nachtbombenflugzeugen, veralteten Doppeldeckern, eine wichtige Rolle. Auf beiden Seiten der deutsch-sowjetischen Front dominierten die Schlachtflieger. Weitreichende strategische Einsätze, etwa deutsche Angriffe gegen die Ural-Industrie Anfang 1944, blieben die Ausnahme. Wie die UdSSR konnten auch die angelsächsischen Mächte – anders als die Wehrmacht – ihren Nachwuchs an Bordbesatzungen in entfernten Gebieten ungestört ausbilden. Die Piloten verfügten schließlich über weit mehr absolvierte Flugstunden als der deutsche Gegner. Als global agierende Kriegsparteien konnten die USA und Großbritannien 16 Luftflotten einsetzen, die rund 160000 Flugzeuge übernahmen (23000 Verluste). Strategische Bombergeschwader vermochten bei einzelnen Großangriffen mehr als tausend Flugzeuge mit einer großen Bombenlast über weite Entfernungen einzusetzen. Die Amerikaner vertrauten auf ihre viermotorigen „Fliegenden Festungen“ (B-29), die in der Lage waren, unter dem Schutz von Begleitjägern die feindliche Luftverteidigung auch bei Tage zu durchbrechen. Sie warfen gewaltige Mengen an Spreng- und Brandbomben auf deutsche Städte und Rüstungsfabriken, auf alle lohnenswert erscheinenden Ziele in
Die Luftstreitkräfte
III.
Europa sowie in Japan. Die britischen Bombergeschwader bevorzugten nächtliche Flächenangriffe. Beide Mächte konnten außerdem zahlenmäßig überlegene taktische Fliegerkräfte, insbesondere Jagdbomber einsetzen, um die Heeresverbände zu unterstützen und den Nachschub des Gegners zu unterbinden. Im Gegensatz zu den anderen Kriegsmächten verfügten Briten und Amerikaner über seegestützte Luftstreitkräfte, die im Seekrieg eine neue Dimension eröffneten. Arthur Harris, Chef des britischen Bomber Command, in einem Flugblatt an die deutsche Bevölkerung im Herbst 1942 Aus: Müller, Der Bombenkrieg, S. 122.
Q
Ich möchte ganz offen darüber sprechen, ob wir einzelne militärische Ziele angreifen oder ganze Städte. Selbstverständlich bomben wir lieber eure Fabriken, Docks und Eisenbahnen: Das trifft Hitlers Kriegsmaschine am schwersten. Aber die Arbeiter, die in diesen Werken beschäftigt sind, wohnen dicht um sie herum. Deshalb fallen unsere Bomben auf eure Wohnhäuser und – auf euch. Wir bedauern, dass das notwendig ist. Die Arbeiter des Dieselmotorenwerks HumboldtDeutz in Köln z.B., von denen eine Anzahl in der Nacht des 30. Mai umkam, mussten die Gefahren des Kriegs auf sich nehmen, genau wie die Seeleute unserer Handelsflotte, gegen welche die (mit Motoren von Humboldt-Deutz ausgerüsteten) U-Boote ihre Torpedos abgefeuert hätten. Waren die Arbeiter der Flugzeugwerke von Coventry, ihre Frauen, ihre Kinder, nicht auch ‚Zivilbevölkerung‘ ganz wie die Arbeiter der Rostocker Flugzeugwerke und deren Familien? Aber Hitler hat es so gewollt.
Bis heute umstritten ist das Konzept des „moral bombing“, das vom Bomber Command der Royal Air Force nach dem Ersten Weltkrieg weiterverfolgt worden ist. Theoretiker des Terrorbombens wie Giulio Douhet und Praktiker wie Arthur Harris hatten sich das einfach vorgestellt. Um verlustreiche und lange Bodenkämpfe zu vermeiden, sollten mörderische Flächenangriffe gegen die Großstädte und Regierungszentralen des Feindes die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen, zur Flucht aus den bedrohten Städten oder sogar zum Aufstand gegen die eigene Regierung veranlassen. Doch niemand konnte zuverlässig prognostizieren, welches Ausmaß von Tod und Vernichtung in der Zivilbevölkerung den Feind zur Aufgabe zwingen würde. Großbritannien selbst gab 1940/41 ein Beispiel dafür, dass ein rücksichtsloser Bombenkrieg die Entschlossenheit der Bevölkerung durchaus zu stärken vermochte. Briten und Amerikaner setzten im Kampf gegen das NS-Regime auf das einzige Kriegsinstrument, mit dem der Gegner in seinem „Herzen“ getroffen werden konnte. Anfangs verfügten sie noch nicht über ausreichend Fähigkeiten, den Feind mit einem Schlag niederzustrecken. Manche Illusion wurde von der hartnäckigen Luftabwehr und dem Organisationstalent der Nazis zunichtegemacht. Die alliierten Bomberflotten verwickelten die Kriegsmaschinerie Hitlers in einen mehrjährigen, verlustreichen Kampf. Es war eine Materialschlacht, die lange unentschieden hin und her wog. Erst im Frühjahr 1944 wurde die deutsche Luftwaffe praktisch zu Boden gezwungen, und nun konnten die Bomber ins Zentrum des Reiches vorstoßen,
Bombenkrieg
53
Die Soldaten
III.
die Kriegswirtschaft systematisch zerstören und die deutsche Kampfmoral zermürben. Ohne die alliierten Bomber hätte der Zweite Weltkrieg mit Sicherheit ein oder zwei Jahre länger gedauert. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg wurden die Bomber zwischen 1939 und 1945 zu einem wichtigen Element der Kriegführung. Auch wenn sie nie allein kriegsentscheidend waren, so bahnten sie doch den Truppen der Anti-Hitler-Koalition den Weg. Ohne ihren Einsatz gegen deutsche Rüstungsfabriken, Treibstoffwerke und Bahnanlagen sowie andere militärisch wichtige Ziele wäre das Blutvergießen auf den Schlachtfeldern für beide Seiten erheblich größer gewesen. Der unterschiedslose Bombenkrieg führte in einigen Fällen zu Grenzüberschreitungen, die eine Diskussion über Moral und Unrecht rechtfertigen.
Q
Lothar Metzger erlebte im Alter von neun Jahren den britischen Doppelschlag auf Dresden in der Nacht des 13./14. Februar 1945 Aus: Müller, Der Bombenkrieg, S. 215. Die Menschen sind übereinander gestiegen, es gab Schlägereien, alle wollten aus diesem Keller raus. Die Straßen brannten, Menschen rannten durch die Gegend, und es war ein furchtbarer Feuersturm – unbeschreiblich, was das für ein Feuersturm war […] Brennende Menschen, Schreie, Tote, Sterbende, die Häuser brachen zusammen, Explosionen. Die Straßen waren voller Flüchtlinge. Die kamen aus Schlesien, Flüchtlingstrecks mit Kühen und Wagen und Pferden. Die standen da und brannten. Wehrmachtsautos, Soldaten, alle liefen hilflos durch die Gegend.
Allgemein besteht die Ansicht, dass zumindest das massive alliierte Bombardement im Frühjahr 1945 alle Anzeichen sinnlosen Terrors trug. Im Falle Deutschlands blieb es den Truppen der Anti-Hitler-Koalition nicht erspart, das Land Meter für Meter bis zu den Stufen des Bunkers unter der Reichskanzlei in Berlin erobern zu müssen. Im Falle Japans reichte das brutale Bombardement auf die Großstädte aus, um den Feind zur Kapitulation zu zwingen. Die Gesamtzahl der Toten im Bombenkrieg kann auf 1,5 Millionen geschätzt werden – bei mehr als 50 Millionen Toten insgesamt. In Großbritannien starben ca. 60000 Menschen im Bombenhagel. Hinzu kommen 160000 alliierte Flieger. In Deutschland starben 570000 Zivilisten. 7,5 Millionen Menschen waren „ausgebombt“ und obdachlos.
3. Die Seestreitkräfte Aussichtsloser Kampf der Kriegsmarine
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Den weitreichenden Planungen der Marineführung für eine die Weltmeere beherrschende deutsche Großflotte von Flugzeugträgern und Schlachtschiffen stand bei Beginn des Zweiten Weltkriegs eine nüchterne Realität entgegen. Es schien, dass der deutschen Marine nicht viel mehr übrig blieb, als zu zeigen, „dass sie mit Anstand zu sterben“ verstehe. Als kleinster Wehrmachtteil führte sie den Seekrieg weitgehend selbständig und mit den geringen Mitteln, die ihr Oberbefehlshaber Erich Raeder, später Karl Dönitz, im Verteilungskampf innerhalb der Wehrmacht erringen konnte.
Die Seestreitkräfte Schon mit der kühnen Norwegen-Operation im April 1940 verlor sie einen großen Teil ihrer Überwasserstreitkräfte. Die wenigen Großkampfschiffe gingen innerhalb kurzer Zeit in Einzelgefechten zumeist verloren. Durch Neubau während des Krieges konnten die Verluste nicht ausgeglichen werden. Es blieb am Ende eine Vielzahl von bewaffneten Fischkuttern und anderen Hilfsschiffen, die das Bild der Kriegsmarine prägten. Im europäischen Küstenvorfeld konnte sie nur bis 1943 in größerem Maße operieren, im Mittelmeer und im Schwarzen Meer ließ sich mit wenigen Fahrzeugen keine besondere Wirkung erzielen. In ihren Heimatgewässern, der Nord- und Ostsee, blieb sie mit Vorpostenbooten und Schnellbooten präsent. 1944 kamen zeitweilig sogenannte Ein-Mann-Torpedos gegen den alliierten Schiffsverkehr im Kanal zum Einsatz – Kleinstfahrzeuge, die praktisch ein Selbstmord-Kommando bedeuteten. Im Frühjahr 1945 konnten einige wenige schwere Überwassereinheiten die Bodentruppen im Kampf gegen die Sowjetarmee artilleristisch unterstützen, und die Kriegsmarine leistete mit allen verfügbaren Fahrzeugen bei der Evakuierung der ostdeutschen Bevölkerung einen letzten wichtigen Dienst. Nun wurde sogar eine Division Marine-Infanterie aufgestellt, um überzähliges Personal im Erdkampf einzusetzen. An die Größenordnung der Marine-Infanterie im Ersten Weltkrieg reichten diese sinnlosen Akte des „Endkampfes“ nicht heran. Ihre größte militärische und strategische Bedeutung erreichte die Kriegsmarine durch den Einsatz von fast tausend U-Booten. Es war die einzige Waffengattung, die über einen längeren Zeitraum wirkungsvoll den alliierten Schiffsverkehr angreifen und die feindliche Flotte attackieren konnte. Sie wurde, 1939 noch in geringen Zahlen, dann während des Kriegs nur langsam ansteigend, von ihrem Oberbefehlshaber Dönitz rücksichtslos auf Feindfahrt geschickt. Strategisch hätte sie England aushungern und die USA vom Eingreifen in Europa abhalten müssen. Nach spektakulären deutschen Erfolgen in den ersten Kriegsjahren, die für England eine harte Prüfung darstellten, wendete sich 1943 das Blatt. Dank überlegener Ortungstechnik und lückenloser Überwachung gelang es den Alliierten, die Rudel der „grauen Wölfe“ im Atlantik zu zerschlagen und die U-Boote von Jägern zu Gejagten zu machen. Die deutschen Boote versenkten im Verlauf des Zweiten Weltkriegs immerhin 23,4 Millionen Bruttoregistertonnen (BRT) alliierten Schiffraums. Dagegen standen britische und amerikanische Neubauten in einer Größenordnung von rund 425 Millionen BRT. Zeitweilig gelang es den U-Booten, sogar im Indischen Ozean aktiv zu werden und geringe, wenn auch wertvolle Mengen kriegswichtiger Rohstoffe, vor allem Kautschuk, aus dem japanischen Machtbereich nach Deutschland zu transportieren. Die Japaner erhielten im Austausch noch bei Kriegsende deutsche Rüstungstechnologie. Karl Dönitz, von seinen U-Boot-Fahrern trotz aussichtsloser und verlustreicher Einsätze verehrt, verkörperte den nationalsozialistisch geprägten Marineoffizier, der sich bedingungslos dem „Führer“ unterwarf und großen Wert darauf legte, seine Truppe auf diesen Geist zu verpflichten. Durch seine ganze Energie versuchte er, die Unterlegenheit seiner Waffe auszugleichen. Dazu setzte er auf den „neuen U-Boot-Krieg“ mit neuentwickelten Unterwasser-Booten. Doch die Briten warteten wie bei ihrem Schlag ge-
III.
U-Boot-Krieg
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Die Soldaten
III.
Globale Seeherrschaft der Alliierten
gen die Raketenbasis Peenemünde auf den effektivsten Zeitpunkt. Die einzelnen Segmente der neuen Boote konnten zwar in verschiedenen Fertigungsstätten produziert werden, die zum Schutz vor Luftangriffen über das Land verteilt waren; aber sie mussten nach ihrem Transport an die Küste bei wenigen Werften zusammengesetzt werden. Erst jetzt und hier die neuen Boote zu bombardieren, bedeutete, dass der ganze zuvor von den Deutschen geleistete Aufwand zunichte gemacht wurde. Es war bezeichnend, dass Dönitz zum Nachfolger in Hitlers Testament benannt wurde. Ihm oblag es, die Kapitulation der Wehrmacht zu organisieren und bis zu seiner Verhaftung eine neue „Reichsregierung“ zu führen, die das Regime in die Nachkriegszeit retten sollte. Die US-Navy erholte sich 1942 vom dem japanischen Angriff gegen Pearl Harbor, der zum Verlust von Teilen der Pazifik-Flotte geführt hatte. Die wertvollen Flugzeugträger waren nicht betroffen gewesen. Sie setzten sich in der See-Luft-Schlacht bei den Midway-Inseln Anfang Juni 1942 durch und beherrschten anschließend den Pazifik, Voraussetzung dafür, dass die Rückeroberung der Inselwelt ab 1943 gelingen konnte. Mit ihren U-Booten fügten die Amerikaner den für die japanische Kriegswirtschaft lebenswichtigen Transporten aus Übersee verheerende Schäden zu. In den zahlreichen Seeschlachten konnte sich die japanische Marine mit ihren teilweise monströsen Schlachtschiffen nicht behaupten. Zuletzt standen nur noch Kamikaze-Flieger zur Verfügung, um die gegen die japanischen Hauptinseln vorrückende US-Navy anzugreifen. Die Seeherrschaft der Briten und Amerikaner war den ganzen Zweiten Weltkrieg über nicht ernsthaft gefährdet. Amerikanische Werften bauten von 1940 bis Kriegsende 74896 Schiffe und Boote für die Navy, darunter 10 Schlachtschiffe, 27 Flugzeugträger, 111 Geleitflugzeugträger, 47 Kreuzer, 874 Zerstörer, 217 U-Boote und 66055 Landungsfahrzeuge. Die Marineluftwaffe übernahm insgesamt 75000 Flugzeuge. Sowjetische Seestreitkräfte hatten selbst im Schwarzen Meer keine herausragende Bedeutung, ebenso wenig in der Ostsee, wo sie durch wirksame deutsche Minensperren im Finnischen Meerbusen in Schach gehalten wurde. Als von größter strategischer Bedeutung erwies sich die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Werftindustrie, die während des Krieges in großer Zahl Kriegsschiffe produzierte und vor allem standardisierte Handelsschiffe der Liberty-Klasse gleichsam am Fließband herstellte.
4. Kriegserfahrungen Rekrutierungssystem
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Alle Großmächte erhöhten den Umfang ihrer Streitkräfte während des Kriegs um ein Mehrfaches. Der notwendige Aufwuchs der Wehrmacht nach Kriegsbeginn wurde zunächst durch ein ausgefeiltes System von sogenannten Unabkömmlich(uk)-Stellungen begrenzt. Rund drei bis sechs Millionen wehrfähiger junger Männer blieben bis kurz vor Kriegsende von Einberufungen verschont, weil sie nicht nur als Facharbeiter in der modernen Rüstungsindustrie „unabkömmlich“ waren, sondern auch von anderen zivilen
Kriegserfahrungen
III.
Bereichen reklamiert wurden, die ein beachtliches friedensorientiertes Beharrungsvermögen zeigten. Erst nach der Wende vor Moskau Ende 1941 gelang es durch verschiedene Aktionen, diese Reserven für die Wehrmacht zu mobilisieren – niemals ausreichend, stets hart umkämpft und erst mit der zunehmenden Verschlechterung der Kriegslage mit einigem Erfolg. Deutschland
Großbritannien
USA
UdSSR
1939
3,1
1940
Japan
0,5
0,6
1,5
1,6
6,1
2,3
0,7
4,2
1,7
1941
7,2
3,4
1,9
4,2
2,4
1942
8,3
4,1
4,8
10,9
2,8
1943
9.5
4,8
11,1
11,0
3,8
1944
9,4
5,0
14,8
11,2
5,3
Stärke der Streitkräfte der Großmächte im Zweiten Weltkrieg (in Millionen Mann) Aus: Der Große Ploetz, 35. Aufl., Freiburg 2008, S. 802.
Dieses Potential wurde erst in den letzten Kriegsmonaten voll ausgeschöpft und nach kurzer Ausbildung an die Front geworfen. Das gilt in gewisser Weise auch für die Streitkräfte selbst, denn die Bemühungen zur „Auskämmung“ von Trossen, Stäben und anderen rückwärtigen Einrichtungen brachten in der Wehrmacht niemals die gewünschte Zahl zusätzlicher Kämpfer hervor („Aktion Heldenklau“). Entsprechend den Veränderungen der Kriegslage, der Waffen- und Kampftechnik sowie den verschiedenen Einsatzgebieten und Aufgaben befand sich die Wehrmacht in einem permanenten Prozess der Umgliederung, Ausbildung, Auflösung und Neuschöpfung. Durch ein System von Zellteilungen erreichte sie es, die alten Stammeinheiten im Wesentlichen zu erhalten, durch Rekruten immer wieder aufzufüllen und gleichwohl neue Verbände aufzustellen, die aus Kadern der bewährten Stammtruppenteile unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Zusammengehörigkeit gebildet wurden. Hier ist eine wichtige Erklärung für den bemerkenswerten sozialen Zusammenhalt der expandierenden Wehrmacht zu suchen. Selbstverständlich gab es große Unterschiede zwischen Divisionen der ersten Welle, den Stammeinheiten des Friedensheeres sowie später geschaffenen Elitedivisionen gegenüber den Großverbänden, die während des Kriegs in weiteren „Wellen“ neu aufgestellt wurden. Im Durchschnitt aber blieb ein hoher Grad an Professionalität und Kampfkraft erhalten, wie er in anderen Armeen unter vergleichbaren Bedingungen nicht vorzufinden ist. Amerikanische und sowjetische Divisionen wurden mit Personal ausgestattet, das zumeist aus allen Landesteilen stammte und nach Belieben versetzt werden konnte. Das effiziente deutsche System des Personalersatzes wurde durch eine Ausbildung unterstützt, die sich trotz mancher Schwächen und Anachronismen während des Kriegs auf neue Herausforderungen einzustellen verstand. Der Erfolg zeigte sich vor allem in der taktischen und operativen Überlegenheit, die von der Wehrmacht auch in ungünstigen Lagen gegenüber den
57
Die Soldaten
III.
Auflösung der Wehrmacht
meisten Gegnern erzielt worden ist. Ihr gelang „eine einmalige Kombination von Disziplin, Geschlossenheit und Flexibilität“ (Martin van Creveld). Mit den dramatischen Rückzügen und Niederlagen ab 1943 ging diese Fähigkeit freilich allmählich verloren. Ausbildung und Erziehung wurden ständig reduziert, um die steigenden Verluste rasch kompensieren zu können. Umso mehr Verantwortung übernahmen die Unteroffiziere als Führer „kleiner Kampfgemeinschaften“. Ihre Geschichte ist bis heute nicht geschrieben worden. Militärsoziologische Studien, die unmittelbar nach Kriegsende von der amerikanischen Armee durchgeführt wurden, bestätigten die Bedeutung der kleinen Gruppe. Durch das deutsche System der Auftragstaktik spielten sie im Gefecht eine herausragende Rolle. In den letzten Kriegsmonaten schritt der Auflösungsprozess der Wehrmacht rasch voran. Der „Volkssturm“ mit Kindern und Greisen brachte keine Verstärkung der Kampfkraft. Bei feindlichen Angriffen bildeten sich nur vorübergehend Inseln des Widerstands. Die Masse der Soldaten ließ sich überrollen und suchte das Überleben in der Flucht bzw. durch den Gang in die Gefangenschaft. Wie weit die politische Indoktrination die Soldaten tatsächlich prägen konnte, wie stark der Führer-Mythos wirkte und ob Wissen oder Ahnung der schweren Verbrechen das Verhalten der Soldaten beeinflusste, bleiben letztlich offene Fragen. Sicher ist, dass im letzten Kriegsjahr Kampfgeist und -fähigkeit bis auf rudimentäre Reste dahinschwanden. Das „handwerkliche Können“ ging auch bis in mittlere Führungsebenen im Verlauf des Kriegs verloren. Die zunehmend einseitige Personalauswahl bei Generalstabsoffizieren und Kommandeuren, von denen Hitler unbedingten Gehorsam und Gesinnungstreue erwartete, prägte einen neuen Typus, für den selbständiges Denken und Handeln von ebenso geringer Bedeutung waren wie Verantwortungsgefühl für die unterstellten Soldaten. Zum Ideal wurde der draufgängerische Truppenführer erhoben, der sich keine Gedanken über größere Zusammenhänge machte und sich darauf beschränkte, im eigenen Befehlsbereich die Weisungen der Führung rückhaltlos umzusetzen. Trotz eindrucksvoller Rüstungszahlen verringerte sich – gemessen am Gesamtumfang der Wehrmacht – laufend die Ausstattung mit Waffen, Gerät und Munition, und auch die personellen Ressourcen reichten nicht mehr dazu aus, die steigenden Verluste in den Kampfeinheiten zu ergänzen. Sie erreichten im letzten Kriegsjahr ihren Höhepunkt. In dieser Zeit kamen mehr Soldaten ums Leben als in den fünf Kriegsjahren zuvor. 1939 u. früher
1940
1941
1942
1943
1944
1945
4,674
4,109
2,507
2,466
2,006
1,308.
0,225
Einziehungen zur Wehrmacht (in Millionen) 1939–1940
1941
1942
1943
1944
1945 u. später
102000
357000
572000
812000
1802000
1674000
Militärische Verluste (Tote). Aus: Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 124
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Kriegserfahrungen Wenn man den Anteil politischer und moralischer Faktoren an der Kampfkraft der Wehrmacht unterschiedlich gewichten kann, so besteht doch kaum ein Zweifel, dass die militärische Ausbildung zu den größten Stärken der deutschen Armee gehörte. Das beruhte auf einer langen Tradition, die nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und unter den Restriktionen des Versailler Vertrags gänzlich in den Mittelpunkt rückte. Die Reichswehr der zwanziger Jahre war eine reine Ausbildungsarmee gewesen. Aus diesem Hunderttausend-Mann-Heer sollte die künftige deutsche Wehrmacht aufwachsen. Durch die überstürzte Aufrüstung und den – aus der Sicht der Heeresführung – verfrühten Marsch in den Krieg hatte die neue Armee zwar erhebliche Qualitätsmängel zu verzeichnen. Aber die Defizite wurden nach dem Polenfeldzug aufmerksam und selbstkritisch analysiert. Daraus folgte eine umfassende Ausbildungsoffensive, deren Gegenstand hauptsächlich die untere militärische Führung bildete, speziell die Bataillonskommandeure und das Zusammenwirken im Regimentsrahmen. Die acht Monate bis zum Beginn des Angriffs auf Frankreich im Mai 1940 trugen durch diese Anstrengungen reichliche Früchte. Sowohl im taktischen als auch im operativen Bereich übertrafen die Leistungen von Heer und Luftwaffe die Fähigkeiten des ehemaligen Siegers und Angstgegners bei weitem. Die Heeresführung hatte sogar Vorbereitungen getroffen, um bei einem Stillstand der Offensive zahlreiche weitere, gutausgebildete Verbände nachführen zu können. Neben dieser Verbandsausbildung achtete man auch auf die Grundausbildung der Soldaten. Das betraf nicht nur die jüngsten Rekrutenjahrgänge. Durch die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht aufgrund des Versailler Vertrags fehlten der Wehrmacht immerhin 15 Jahrgänge mit militärischer Schulung, also mehr als acht Millionen sofort einsetzbarer Reservisten. Dagegen verfügten die anderen Großmächte über ein durchgängig ausgebildetes Potential an Wehrpflichtigen, mit Ausnahme Großbritanniens und der USA. Die größten Demokratien hatten in der Zwischenkriegszeit auf kleine Berufsarmeen und ihre großen Flotten gesetzt. Die US-Army war um 1930 nicht größer als die Reichswehr! Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Großbritannien im Frühjahr 1939 und später auch in den USA wurde ein größerer Heeresaufbau möglich, zumal die laufenden Verluste im Krieg relativ gering blieben. Die US-Army hatte mehr als vier Jahre Zeit, um eine ausreichende Zahl von Heeresdivisionen aufzustellen und gründlich auszubilden, die dann bei der Invasion eingesetzt werden konnten. Die US-Army und die US-Navy vergrößerten sich von 270000 Mann im Jahre 1940 auf 8,2 Millionen bei Kriegsende, von 13 Divisionen auf 90, einschließlich 16 Panzerdivisionen. Für den pazifischen Kriegsschauplatz standen 22 Divisionen zur Verfügung. Nach Kriegsbeginn waren in Deutschland die aktiven Ausbilder zwangsläufig mit ins Feld gezogen und ersetzt worden durch ältere, reaktivierte Unteroffiziere und Feldwebel, die zuletzt im Ersten Weltkrieg gedient hatten. Sie traktierten die jungen Rekruten ebenso wie die ungedienten, „weißen“ Jahrgänge mittleren Alters mit einer schikanösen Formalausbildung, was zu Beschwerden nicht nur der Betroffenen führte, sondern zur Einsicht militärischer Vorgesetzter. Schließlich hatten die durch Hitlerjugend und Reichsarbeitsdienst gegangenen Jungen bereits eine vormilitärische Ausbildung mit
III. Ausbildung
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Die Soldaten
III.
„Schliff“ erhalten, und die Einheiten erwarteten einen Nachwuchs, der über moderne, kriegsnahe Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen sollte. Hier galt es, spätestens bei der anschließenden Spezialausbildung neue Schwerpunkte wie etwa im Panzer- und Flugabwehrdienst zu setzen. Die besondere Herausforderung im Bewegungskrieg bildete nicht nur die Fähigkeit zur schnellen Reaktion im taktisch-operativen Rahmen, zur Initiative und zum entschlossenen Handeln auf allen Ebenen. Ebenso wichtig war das eingeübte Zusammenwirken verschiedener Waffen und Verbände. Deshalb entstanden sowohl bei der Vorbereitung des Frankreichfeldzugs als auch für den Überfall auf die UdSSR erhebliche Friktionen, weil man sich dazu entschloss, einen Teil der Verbände erst in letzter Minute zusammenzustellen. Damit konnte die Rüstungsindustrie länger über die gutausgebildeten Facharbeiter verfügen. So entstanden freilich große Lücken auf dem Sektor der Funktionsunteroffiziere, für die das Heer verstärkt Kfz- und Elektromechaniker sowie Werkzeugmacher brauchte. Die unzureichende Ausstattung mit Kraftfahrzeugen und Waffen erschwerte zugleich den Ausbildungsbetrieb in den Einheiten, und wenn die in den Wochen vor Feldzugsbeginn produzierten Geräte endlich in der Truppe eintrafen, reichten Zeit und Treibstoff oft nicht aus, einen regulären Ausbildungsbetrieb zu organisieren. Der wiederum musste eigentlich geleistet sein, bevor die Division dann im Manöver das Zusammenwirken der Einheiten erproben konnte. Neben der zeitweiligen Beurlaubung von rund 300000 Soldaten nach dem Frankreichfeldzug erschwerte die geplante Umbildung des Feldheeres die Ausbildung. Die geforderte Verdoppelung der Zahl der Panzerdivisionen innerhalb von neun Monaten bedeutete u.a., dass bisherige Infanteriedivisionen umzubilden waren. Zu einem jeweils kleinen Stamm von Spezialisten aus vorhandenen Panzerdivisionen kamen neue Rekruten sowie ein Teil der Infanteristen. Sie sollten bis Mitte März 1941 „feldverwendungsbereit“ gemacht werden. Die notwendige Ausbildung von Fahrern, Funkern und Panzerschützen machte erhebliche Anstrengungen erforderlich. Technisches Führungspersonal musste bei den Armeen aus den eigenen Reihen ausgebildet werden. Qualitätsstandards der Vorkriegszeit konnten damit natürlich nicht gehalten werden. Insgesamt wurden die Mängel in Ausrüstung und Ausbildung bei den eigenen Verbänden durchaus erkannt, aber angesichts der vermuteten Schwäche des russischen Gegners als hinnehmbar eingeschätzt. Was an Erfahrung und Fähigkeit im Einzelnen noch fehlen mochte, würde dann im Einsatz erlernt werden. Nach den großen Schüben in der Einberufung und Ausbildung, die 1939 und 1940 jeweils mehr als vier Millionen Mann umfassten, reduzierte sich diese Größenordnung bereits 1941 auf etwa 2,5 Millionen, um dann im letzten Kriegsjahr noch einmal auf die Hälfte zu schrumpfen. Die Ausbildung wurde zwar immer weiter verkürzt, aber zugleich auch realitätsnäher. In der Wehrmacht blieben die Bemühungen um die rasche Übertragung von Fronterfahrungen auf die Ausbildung des Nachwuchses auf hohem Niveau. Mit einer Fülle von Vorschriften und anderen Ausbildungshilfen bemühte man sich, der Entwicklung zu folgen und in Verbindung mit der Einführung neuer Waffensysteme einen Qualitätsvorsprung zu erreichen.
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Kriegserfahrungen
III.
Seit 1939 war die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend für alle männlichen Jugendlichen verbindlich. Die Knaben zwischen 10 und 14 Jahren gehörten zum „Deutschen Jungvolk“ und erhielten eine vormilitärische Ausbildung. Zwischen 14 und 18 zählten sie dann zur eigentlichen „Hitlerjugend“, die mit 16 Jahren bereits an einem „Wehrertüchtigungslager“ teilnehmen musste. Die zweiwöchige Ausbildung fand in einer Kaserne statt. Unter der Anleitung von einem Leutnant mit drei Unteroffizieren, im Krieg oft dekorierte Invaliden, erhielten die uniformierten Jugendlichen vor allem eine Schießausbildung mit Karabiner und Maschinengewehr. Exerzieren, Geländekunde u.a. militärische Fertigkeiten waren bereits eingeübt. Das ließ den Alltag nicht mehr als unsinnige Schleiferei erscheinen. Schüler höherer Lehranstalten wurden seit Anfang 1943 mit dem 16. Lebensjahr als Luftwaffen- bzw. Marinehelfer in der Nähe ihrer Schulstandorte einberufen. Sie galten nicht als Soldaten, obwohl sie in den Flak-Stellungen – neben dem Unterricht – regulären Waffendienst leisten mussten. Das konnte sie in Autoritätskonflikte sowohl gegenüber HJ-Führern als auch gegenüber den Lehrern und den ihnen bildungsmäßig unterlegenen Unteroffizieren bringen. Nach neun Monaten wechselten sie mit der Ernennung zum „Luftwaffen-Oberhelfer“ in den Reichsarbeitsdienst, der für alle männlichen und weiblichen Jugendlichen verpflichtend war. Hier folgten sechs Monate schwere körperliche Arbeit, unterbrochen von erneutem militärischen Drill. Nach kurzem Heimaturlaub bzw. dem „Notabitur“ folgte dann die Einberufung zur Wehrmacht. Wie in den Armeen aller anderen Staaten gab es in der Rekrutenausbildung auch „Leuteschinder“ und Sadisten unter den Ausbildern. Je nach den persönlichen Umständen und der psychischen Verfassung der jungen Männer reagierten sie unterschiedlich auf diese erste Phase der Ausbildung. Sie sollte ihnen Waffengebrauch, Disziplin und Taktik nahebringen sowie die körperliche und seelische Belastbarkeit erhöhen. Die Kameradschaft, überlebenswichtig im Kampf, sollte sich im gemeinsamen Bestehen von Herausforderungen bilden. Viele empfanden die Umstände als permanente Demütigung, als Erzwingen von „Kadavergehorsam“, als Zerbrechen von Persönlichkeit, um „Jawohl-Maschinen“ zu produzieren. Heinrich Böll über seine Grundausbildung in einem Brief an die Eltern am 28. September 1939 Aus: Herrmann/Müller, Junge Soldaten, S. 48.
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Man legt den Zivilisten ab, er wird wirklich kaputtgemacht. Man wird – nicht gerade stumpfsinnig – aber 300 Prozent kalt und gleichgültig, und völlig interesselos […] Aber die Erziehung zu diesem Standpunkt ist die richtige Vorbereitung für einen Krieg, und das ist ja der Sinn unserer Ausbildung.
Der Grundausbildung schloss sich eine Spezialausbildung an, bis die Rekruten dann in ihren Stammeinheiten als voll verwendungsfähig galten. An der Front konnten in „ruhigen“ Zeitabschnitten spezielle Lehrgänge neue Kampftechniken oder Aufstiegsmöglichkeiten vermitteln. Medizinstudenten etwa wurden nach allgemeiner militärischer Ausbildung und Fronteinsatz zum Studium in die Heimat beurlaubt. Bewährte Soldaten schickte man zur
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Die Soldaten
III.
Offizierlaufbahn
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Weiterbildung in der Unteroffiziers- oder Offizierslaufbahn im Wechsel von Front und Ausbildung auf die entsprechenden Lehrgänge. Da die Soldaten – anders als etwa in der Roten Armee – Anspruch auf Heimaturlaub hatten, verlebten viele den Krieg in einem solchen Wechsel von Front, Hinterland und Heimat. Wurden Divisionen nach schweren Verlusten von der Ostfront ins besetzte Frankreich zur „Auffrischung“ verlegt, erlebten sie weniger anstrengende Zeiten, die angefüllt waren mit Wachdienst, Ausbildung und Umschulung, unterbrochen auch hier im Einzelfall durch Einsätze gegen den einheimischen Widerstand, woraus sich sehr schnell in der Reaktion auf Anschläge bei Vergeltungsaktionen eine Verstrickung in Kriegsverbrechen ergeben konnte. Kamen die Einheiten nach einem längerem, schweren Einsatz in eine Ruhestellung, sollten die Vorgesetzten die erschöpften Soldaten zunächst in Ruhe lassen, dann aber allmählich die äußere Disziplin wiederherstellen und einen regelmäßigen Kasernendienst organisieren, um die „Moral“ der Truppe zu heben. Durch die Freiwilligen-Meldung zu Luftwaffe oder Kriegsmarine bekam der Wehrpflichtige die Aussicht auf eine längere Spezialausbildung, die ihn vor einem schnellen Fronteinsatz bewahrte. Die Ausbildung zum Jagdflieger etwa dauerte zwei Jahre. Hatten die Flugschüler bereits Erfahrungen aus der „Flieger-HJ“, bedeuteten Flugstunden zunächst mit Segelflugzeugen, dann mit kleinen Motorfliegern keine große Herausforderung. Unterbrechungen durch Exerzier- und Gefechtsdienst boten Abwechslung, bis die Ausbildung auf den Militärmaschinen erfolgte. Hierbei gingen allerdings in der Regel etwa 50 Prozent der Flugzeuge zu Bruch, was im Verlauf des Krieges wegen des zunehmenden Mangels an Treibstoff sowie horrender Verluste zu einer dramatischen Verkürzung der Zahl absolvierter Flugstunden führte. Seit 1943/44 wurden die jungen Piloten in schneller Abfolge in den Einsatz geworfen, was die meisten nicht überlebten. Bei der Kriegsmarine betraf diese Deformierung der Ausbildung vor allem die U-Boot-Waffe. Obwohl die Indienststellung und Erprobung neuer UBoote sehr zeitaufwendig blieb und teilweise zu erheblichen Liegezeiten führte, die für die Ausbildung genutzt werden konnten, sank der Altersdurchschnitt bei den Besatzungen. Die sehr jungen Männer hatten nach 1943 ebenfalls kaum noch Überlebenschancen. Doch bei einem Personalbestand von bis zu 600000 Mann bildeten die rund 30000 Angehörigen der U-Boot-Waffe nur eine kleine Elite. Im Heer entwickelte sich die Einberufung von älteren und bisher wegen mangelnder Tauglichkeit zurückgestellten Männern ab 1942 zu einem besonderen Problem. Die dreimonatige Grundausbildung wurde durch einen zwischenzeitlichen Ernteeinsatz und übermäßigen Wachdienst in ihrem Wert geschmälert, die soldatische Prägung gemindert. Es waren nicht nur die dramatische Verschlechterung der Kriegslage und die überlegene Feuerkraft des Gegners, die zu einem Anstieg der deutschen Verluste führten. Die „Qualität“ der jungen Soldaten verringerte sich erheblich, was ihre Überlebenschancen verminderte, im Gegensatz zu den „alten Hasen“ mit einer besseren Ausbildung und den langjährigen Kriegserfahrungen. Anders als in früheren Kriegen war die Verlustquote auch unter den Offizieren relativ hoch. Luftangriffe und Partisanenüberfälle trafen selbst höhere
Kriegserfahrungen Offiziere und Stäbe im Hinterland. Die Überlebenschance bei jungen und unerfahrenen Leutnanten im Einsatz war besonders gering. Ihre stufenweise Ausbildung bot einen gewissen Ausgleich. Sie veränderte sich im Kriegsverlauf nicht wesentlich und wurde von zumeist hervorragenden Ausbildern an der Kriegsschule geprägt. Ursprünglich war der Abschluss einer höheren Schule Voraussetzung, um als Offiziersanwärter angenommen zu werden. Seit 1941 konnte die Einberufung bereits vor dem Abitur erfolgen. Die Freiwilligen machten eine Art von „Notabitur“. Manche Veteranen erinnern sich noch heute daran, dass ihre schulischen Leistungen an sich nicht ausreichten, das reguläre Abitur zu bestehen. Durch die Meldung zur Wehrmacht konnten sie sich den Schulabschluss sichern. Ab dem 1. Juli 1942 war das Abschlußzeugnis oder der Besuch einer bestimmten Schulart für die Bewerbung zur Offizierlaufbahn überhaupt nicht mehr erforderlich. Da zugleich Tausende von bewährten Unteroffizieren in das Offizierskorps integriert wurden, ließen Klagen über die mangelnde geistige „Qualität“ der jungen Offiziere nicht auf sich warten. Hatten die Leutnante als Zug- und Kompanieführer bzw. als Bataillonsadjutant zwei Jahre überlebt und inzwischen wegen guter Leistungen den Aufstieg bis zum Hauptmann geschafft, konnten sie sich glücklich schätzen, wenn sie von ihrem Regiment als geeignet für den Generalstabsdienst gemeldet wurden. Dann absolvierten sie eine Vorausbildung, ursprünglich auf drei Jahre angelegt, im Krieg bis auf sechs Monate verkürzt. Dabei durchliefen sie alle Waffengattungen und wechselten anschließend für weitere sechs Monate an die Kriegsakademie. Dort erhielten sie das Rüstzeug für den Dienst in einem Truppengeneralstab. Diskussionen und Analysen zur strategischen Lage fanden nicht statt, auch über die obere Führung durfte kein kritisches Wort fallen. Handwerker des Krieges bildete man auf diese Weise heran, willfährige Organisatoren des totalen Krieges. Führergläubigkeit statt Kriegskunst wurde zur Devise für den Marsch in den Untergang. Die Ausbildung von Soldaten im Krieg folgte – trotz aller Friktionen – immerhin einer gewissen Regelhaftigkeit. Sie ist deshalb für den Historiker leicht zu erfassen und betraf zudem jeweils größere Gruppen in ähnlicher Weise. In der Erinnerung von Zeitzeugen bildet sie den größten Bereich gemeinsamer Erlebnisse. Das schließt gelegentlich unterschiedliche Bewertungen von Erscheinungen nicht aus, denn wenn auch die Rekruten zur Gleichförmigkeit „gedrillt“ wurden, sie blieben in ihren Empfindungen und Charakteren, in ihrer Einstellung und Einsichtsfähigkeit Individuen. Stellten sich die einen der körperlichen und psychischen Herausforderung aufgeschlossen und ehrgeizig, selbst bei einem „harten“ Ausbilder, empfanden andere dieselbe Situation vielleicht als sinnlose Schleiferei durch einen Sadisten. Sehr viel schwerer zu erfassen sind die Erfahrung des Krieges und speziell der Kampfeinsatz. Die Unterschiede im Erleben des Krieges durch Millionen Soldaten waren extrem. Schon die Zugehörigkeit zu einem Wehrmachtteil und zu einer Waffengattung prägten Alltag, Überlebenschance und Belastung in entscheidender Weise. Jagdpilot, Schnellbootfahrer und Infanterist kämpften in jeweils „anderen Kriegen“. Ein Spezifikum der Wehrmacht war zudem die Vielzahl von unterschiedlichen Feinden und Kriegsschauplätzen. Im Gegensatz etwa zum Sowjetsoldaten, der bis zum Kriegsende
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Rekrutendrill
Kriegserfahrung
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„nur“ gegen die Deutschen an der Front in Osteuropa kämpfte, mussten Soldaten der Wehrmacht damit rechnen, in Norwegen oder Nordafrika, gegen amerikanische GIs oder französische Poilus, gegen ehemals Verbündete oder gegen Partisanen kämpfen zu müssen. Das Kampferlebnis während der erfolgreichen Blitzfeldzüge 1939/40 hinterließ andere Spuren als die „Endkämpfe“ 1945. Die Verwendung in einer Besatzungseinheit oder bei einer Elitetruppe, die pausenlos im Brennpunkt der Kämpfe stand, vermittelte unterschiedliche Erfahrungen. Schon die relativ geringe Distanz zwischen Infanteristen oder Panzersoldaten, die unmittelbar am Feind standen, und den Kampfunterstützungstruppen, die z.B. als Artilleristen mehrere Kilometer hinter der Front den Feind niemals zu Gesicht bekamen, machte Unterschiede im Kriegserlebnis.
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Zeitzeuge Major Fritz Schliephock, 7. Panzerdivision Aus: Engert, Soldaten für Hitler, S. 92f. Wie hält man die ungeheure Anspannung im Einsatz, wie hält man das über viele Jahre hin aus? Das Schlimmste ist, wenn man auf einen Einsatz wartet. Man weiß nicht, wie und woher der Gegner kommt. Kommt er mit Panzern? Kommt er von vorn, von links? Ich habe immer große Angst gehabt. In der ersten Zeit habe ich gebetet, aber bald wusste ich gar nicht mehr, worum ich eigentlich bitten sollte. ‚Dein Wille geschehe’, das wurde mein letztes Wort vor einem Angriff oder beim Warten auf einen Angriff. Es kam dann aber immer ein Punkt der totalen Leere, der Nullpunkt. Man schaltete auf Null. In der Phase vor dem Einsatz gab es Leute, die haben wie verrückt gefressen, nicht weil sie vor dem Sterben noch einmal gut essen wollten, sondern aus Nervosität. Und es gab Leute, die haben keinen Bissen, keinen Schluck mehr heruntergekriegt. Andere haben Kette geraucht. Und dann kommt der Punkt, wo der Soldat sich fast gottergeben sagt: Scheiße, das muss wohl so sein, es geht nicht anders.
Gemeinsamkeit des Erlebens beschränkte sich zumeist auf die Gruppe, in der sich der Soldat bewegte. Aber auch hier spielten die informelle Hierarchie, Unterschiede in Lebensalter, Kriegserfahrung, Herkunft, Bildungsstand etc. eine große Rolle, wenn es darum ging, das gemeinsam Erlebte zu „verarbeiten“ und zu deuten. Unmittelbar während und nach einem feindlichen Feuerüberfall etwa waren alle von Empfindungen wie Todesangst, Schmerz und Überlebenswille geprägt, mochte das vielleicht auch unterschiedliche Regungen hervorrufen. In dieser „Kameradschaft“ fand der Einzelne Rückhalt, Trost, Ansporn, sofern er sich nicht absonderte oder abgelehnt und isoliert wurde. Das Gefühl der Einsamkeit, der hilflosen Verlassenheit, die Apathie mochten dann besonders groß sein.
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Zeitzeuge Norbert Adrian, Oberkanonier, über die Einsamkeit Aus: Engert, Soldaten für Hitler, S. 93f. Ich hatte keine Motivation für den Krieg; ich war vollständig orientierungslos, eine Mischung aus Angst, Hunger und pubertären Sehnsüchten. Der Krieg hat mich mitten in meiner Entwicklung buchstäblich am Boden zerstört. Man macht sich ja keine Vorstellung davon, wie so ein Krieg abläuft. Ein Zehntel ist im Einsatz, neun Zehntel lungern herum, Hunderttausende sind unterwegs, werden verlegt, liegen irgendwo und warten auf den Einsatzbefehl […] Der Krieg ist in mir.
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Kriegserfahrungen
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Er steckt so tief als unmittelbares Erlebnis in mir, dass er in meinem Leben alles bestimmt hat. Ich kann nur sagen: Ich wurde in die Wüste geschickt und zur totalen Vereinsamung gezwungen im Nachvollzug von Befehlen. Der Krieg ist ein Dauerzustand; man hat mich gemordet, ohne dass ich gefallen bin.
Mit zeitlichem und räumlichem Abstand zum Kampferlebnis, in der Verarbeitung und Deutung des Erfahrenen bis hin zur späteren Erinnerung verkrustete das Geschehen, vieles wurde verdrängt oder in gebräuchliche Formeln gefasst. Das mahnt zur Vorsicht beim Umgang mit individuellen Zeugnissen zum Kriegserlebnis, von Tagebüchern und Feldpostbriefen bis zu Erinnerungsberichten und Erzählungen. Der Mikrokosmos des Krieges kann nur schwer erfasst, verallgemeinert und verständlich gemacht werden. Eine letztlich beliebige Reihung von Augenzeugenberichten oder Abhörprotokollen wird bestenfalls eine Annäherung ermöglichen. Wenn sich „typische“ Situationen und Verhaltensmuster identifizieren lassen, wird man der Kriegserfahrung einer ganzen Generation näher kommen können. Mit der „Feuertaufe“ etwa begegnet uns ein Phänomen, das so alt ist wie der Krieg. Soldaten der Wehrmacht reagierten darauf nicht anders als die Soldaten des Kaisers. Keine Kriegsbegeisterung in der Erziehung von Kindesbeinen an sowie die vormilitärische Ausbildung konnten daran etwas ändern, auch nicht die ideologische Indoktrination, keine „realitätsnahe“ Ausbildung und verbesserte Taktik. Die letzte ruhige Nacht vor dem Überfall auf die UdSSR machte alle stumm und beklommen, die Nerven aufs Äußerste angespannt. In der gedämpften Stimmung lässt sich der Gedanke nicht verdrängen, der erste Tag des Krieges wird für viele wahrscheinlich der letzte sein. Die anfängliche Begeisterung, auch weil man das Warten satthatte, weicht der Ungewissheit und Angst. Vielen dämmert es, dass etwas Ungeheuerliches freigesetzt werden wird. Einer schreibt später, dass diese Stunden zu den „unvergesslichsten und wirklich ergreifendsten und schönsten meines Lebens“ gehörten (zit. Fritz, Hitlers Frontsoldaten S. 48). Der erste Granateinschlag, der erste Gefallene, Unordnung, Verwirrung, Schreie, Befehle, Schüsse, lösen bei den meisten kein Hochgefühl aus, sondern Erschütterung. Der Geruch von Pulver, Rauch und Benzin war vielen von der Ausbildung vertraut, der Geruch von verbranntem Fleisch, der Anblick von Toten, die verrenkt, verstümmelt, blutverschmiert im Straßengraben liegen, vor Minuten noch lebendig – das ist ein Schock, aber nach einigen Tagen vielleicht schon Gewohnheit. Der Alptraum wird zum Alltag, der Tod in jeder Sekunde möglich, erträglich nur durch die Konzentration auf das eigene Überleben. Das „Abschalten“ führt mit der Gewöhnung bei den meisten Soldaten zur Abstumpfung, weil der Feldzug nicht das erwartete schnelle und siegreiche Ende erreicht und zum Abnutzungskrieg wird. Bei den vorangegangenen Blitzfeldzügen von wenigen Wochen Dauer hatten dagegen die Anspannung und die wachsende Siegesgewissheit alle seelischen Belastungen verdrängen können. Die Rückkehr der siegreichen Truppen in die Heimat und die Jubelfeiern stärkten die „Moral“ sowie die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Weltkriegs. Friedensähnliche Bedingungen in den Standorten sorgten dafür, dass im Rückblick die überstandenen Strapazen den Anschein eines glücklichen Abenteuers erhielten. Selbst die
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Stationierung in den ehemals feindlichen Gebieten förderte bei den Besatzungstruppen und Dienststellen diesen Eindruck. Mit der Zunahme des Widerstands der Bevölkerung seit 1941/42 veränderten sich allmählich die Verhältnisse. Das galt erst Recht für die Erfahrungen an der Ostfront, wo die ausgebluteten und erschöpften Truppen immer wieder angetrieben wurden, um dann Anfang Dezember 1941 die Offensive endgültig einstellen zu müssen. Der sofort einsetzende sowjetische Gegenschlag traf die völlig überraschten Soldaten bis ins Mark, selbst einige Oberbefehlshaber wurden durch die nervliche Anspannung krank oder starben sogar (Wilhelm v. Leeb). Zum ersten Male mussten die Soldaten größere Rückzüge überstehen und erleben, dass ihre Führung nicht für ausreichende Winterausrüstung und Reserven gesorgt hatte. Erfrierungen traten in großer Zahl auf. Eine Masse von Waffen und Gerät musste zurückgelassen werden, ebenso Tote und Verwundete. Doch nach ersten Abwehrerfolgen erholte sich das angeschlagene Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Feind. Rotarmisten hatte man bislang als eine vermeintlich dumpfe Masse erlebt, als einzelner Kämpfer meist sehr tapfer, aber schlecht geführt und oft in sinnlosen Angriffen geopfert. Mit zunehmender Angriffsstärke, personeller und materieller Überlegenheit stieg der Respekt gegenüber dem Feind. Zwar entstand im Frühjahr 1942, als die Wehrmacht im Osten wieder in die Offensive ging, für kurze Zeit erneut eine Siegeseuphorie, jedoch verflog diese am Jahresende in der Katastrophe von Stalingrad endgültig. Anders als die Russen hatten es die Deutschen in ihrer jüngeren Geschichte, erst recht im Zweiten Weltkrieg, noch niemals erleben müssen, dass eine ganze Armee vernichtet wurde. Die Gewöhnung an die klimatischen Verhältnisse, insbesondere den Winter, gelang zwar nun besser, dafür steigerte sich die Furcht vor feindlichen Angriffen bis zur stillen Verzweiflung von Führung und Truppe, wenn die Gefahr einer Einkesselung drohte. Hitlers Haltebefehle führten 1943/44 immer wieder zu extremen Krisensituationen, wenn sich durchbrochene Frontabschnitte nicht mehr rechtzeitig vom Feind lösen konnten. Nie mehr Stalingrad – diese Hoffnung trieb die Soldaten auf den Rückzügen zu Höchstleistungen an. Die Angst vor einer sibirischen Gefangenschaft war den Älteren aus dem Ersten Weltkrieg vertraut; nun kam die Sorge vor der Rache der Rotarmisten hinzu, die angesichts der verbrecherischen deutschen Besatzungspolitik nicht unberechtigt gewesen ist. Der Untergang einer ganzen Heeresgruppe im Sommer 1944 führte dazu, dass sich verzweifelte „Durchkämpfer“, d.h. Überlebende von überrollten bzw. abgeschnittenen Verbänden, nach Westen und damit zu den eigenen Linien durchzuschlagen versuchten. In den Angriffsschwerpunkten hatte die Rote Armee inzwischen eine derartige Überlegenheit erreicht, dass sie ganze Regimenter und Divisionen zertrümmern konnte. Auflösungserscheinungen in der Wehrmacht wurden von der Führung mit drakonischen Maßnahmen bekämpft. Überlebensgemeinschaften bildeten sich um erfahrene Frontkämpfer. Vorgesetzte, die ihre Einheiten in sinnlosen Kämpfen rücksichtslos opferten, sich womöglich selbst den Belastungen nicht gewachsen zeigten und sich rechtzeitig „absetzten“, waren verhasst, auch jene, die „Halsschmerzen“ hatten, also offensichtlich auf ein Ritterkreuz versessen waren.
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Kriegserfahrungen
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Angesichts der überlegenen Feuerkraft des Gegners, seiner Panzerrudel und Schützenmassen sprachen Soldaten von der russischen „Dampfwalze“, gegen die von deutscher Seite immer seltener und meist nur vereinzelt Luftund Artillerieunterstützung zu erwarten war. Bei den teilweise weiträumigen Rückzügen geriet die Bestimmung zu einer Nachhut zum Himmelfahrtskommando. Für den immer jünger werdenden Personalersatz sanken die Chancen, sich in die Frontverbände zu integrieren. Die „Neuen“ starben bei den Kämpfen oft innerhalb weniger Tage oder Stunden, bevor sich die Älteren die Namen merken konnten. Als der Krieg die Reichsgrenze erreichte und nun die ganz alten Männer des Volkssturms die Reihen füllten, änderte sich das nicht. Der Zusammenhalt hatte sich zwar gelockert und die dumpfe Resignation vieler konnte sich bis zur Panik steigern, aber für Deserteure und „Kriegsverräter“ hatten die meisten kein Verständnis. Ebenso verachtet wurden schließlich fanatisierte Nazis, die sich – von Vorgesetzten oft nicht gezügelt – rücksichtslos gegenüber der Zivilbevölkerung und Gefangenen verhielten oder sich zu befohlenen Mordaktionen freiwillig meldeten und als Denunzianten gefürchtet waren. Selbst in gefestigten Formationen war es nicht ratsam, allzu offen über die Kriegslage und das Regime zu sprechen. Meist hatte der Einzelne in einer Kompanie nur wenige Kameraden, mit denen das insgeheim möglich war. Idealisten blieben Außenseiter. Die Nähe zu ihnen konnte im Kampf gefährlich sein. Der Heimaturlaub bot in dieser Hinsicht ähnliche Bedingungen. Als seelisches Ventil war er daher nur bedingt geeignet. Je stärker der Krieg auch hier zu Belastungen führte, desto weniger Veranlassung hatten Soldaten, ihre Angehörigen mit den Fronterlebnissen zusätzlich zu belasten. Um die Versorgung von Ehefrauen und Familien brauchte man sich – anders als im Ersten Weltkrieg – keine Gedanken machen. Das förderte ein manchmal krampfhaftes Bemühen, den Heimaturlaub als unpolitische Idylle zu genießen. Die Nationalsozialisten legten nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs großen Wert darauf, die „Verbundenheit“ von Front und Heimat mit allen Mitteln zu fördern. Dazu gehörte selbst die Möglichkeit einer „Ferntrauung“. Soldat Paul Tollmann über schwere Luftangriffe auf Berlin während seines Heimaturlaubs Aus: Müller, Bombenkrieg, S. 185.
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Während ich an den vier, fünf Tagen meines Urlaubs im Bombenkrieg jede Nacht mit den gefährlichsten Angriffen rechnen musste, war es im Krieg ganz anders. Da waren wir mal zwei, drei Tage im Einsatz, dann wieder wochenlang in der Etappe. Dort führten wir ein ruhiges, sorgenfreies Leben, und die Gefahr war hier, verglichen mit der Gefahr, der man als Zivilist in der Heimat ausgesetzt war, für den Einzelnen wesentlich geringer. Ich war in einem Panzerpionierbataillon der 3. Panzerdivision. Wir hatten so starke Waffen, dass wir uns, wenn wir es nicht zu dumm anstellten, jederzeit schützen konnten. Aber in der Heimat und als Zivilist hat man keine Möglichkeit, sich selbst zu schützen.
Die Rückkehr an die Front empfanden manche dennoch als willkommene Flucht in eine vertraute Kameradschaft. In diesem Männerbund konnten das
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Die Soldaten
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Kriegserlebnis und die Anspannung der Kämpfe, die Nähe von Tod und Verwundung unmittelbar verarbeitet werden. Die Generation des Zweiten Weltkriegs ist zweifellos durch das NS-Regime seelisch „abgehärtet“ worden. Das allgemeine Bild von Männlichkeit forderte nun einmal die heroische Haltung und ließ „Schwäche“ sowie Emotionalität nur bedingt zu. Dennoch ist zu vermuten, dass Millionen von Soldaten durch das Fronterlebnis in mehr oder weniger starkem Maße auch im modernen Sinne traumatisiert worden sind. Im Gegensatz zur Ostfront, an der die Masse der Wehrmacht eingesetzt war, gestaltete sich das Kriegserlebnis vieler Soldaten an anderen Fronten meist weniger bedrückend. Geographisch, klimatisch und kulturell waren Nord-, West- und Südeuropa (hier mit Ausnahme des Balkans) erträglicher, auch in militärischer Hinsicht. Auf die erdrückende materielle Überlegenheit der Westalliierten reagierten Soldaten mit einem kaum begründbaren Überlegenheitsgefühl, aber wohl gelassener als im Osten. Die feindlichen Jagdbomber ließen Bewegungen im Frontbereich tagsüber nicht zu. Dort, wo hartnäckiger Widerstand geleistet wurde, musste mit Bombenteppichen und massivem Artilleriebeschuss gerechnet werden. Der Feind wurde in der Regel völkerrechtskonform behandelt, Übergriffe an Gefangenen blieben die Ausnahme. Die Gefangennahme durch die Alliierten hatte bei weitem nicht den Schrecken wie durch die Rote Armee. Oft reduzierte sich das Gefecht in den letzten Tagen des Krieges auf symbolischen Widerstand und rechtzeitiges Ausweichen – trotz aller Durchhaltebefehle des „Führer“. Anders als 1918 erhielten die Soldaten aber nicht die Chance, einfach nach Hause zu gehen und sich als angeblich „im Felde unbesiegt“ von der Bevölkerung auch noch feiern zu lassen. Die Erfahrung der totalen Niederlage und bedingungslosen Kapitulation stand am Ende des dramatischsten Kapitels der deutschen Militärgeschichte – es gab zum ersten Male keine deutschen Soldaten mehr. Die Überlebenden gingen erst nach der Gefangenschaft als Zivilisten nach Hause.
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Dieter Wellershoff, Jahrgang 1925, Obergefreiter der Infanterie, nach dem Krieg bedeutender Essayist Aus: Engert, Soldaten für Hitler, S. 124. Die Zukunft war eine finstere, dunkle Wand, hinter die ich nicht blicken konnte. Ich glaubte ungefähr das, was auf den Waggons stand: ‚Sieg oder Sibirien’. Sieg war aber nicht mehr in Sicht. Das Leben, dachte ich, wird düster aussehen danach, wenn man es überhaupt noch erreicht. Aber ich wollte unbedingt überleben, um zu sehen, wie es sein wird. Eine konkrete Perspektive von einem Leben nach dem Krieg hatte ich nicht. Ich habe an der Oder den totalen Zusammenbruch erlebt. Es gab dann nur noch kleine funktionale Gemeinschaften, keine geschlossenen Formationen mehr. Ich war bei einer Gruppe dabei, die mit Fahrrädern floh: zwei Unteroffiziere, zehn Soldaten. Wir haben uns unterwegs bei Offizieren Marschbefehle geholt, immer bis zu einem bestimmten Ort. Das war nötig, damit man nicht aufgehängt wurde. Im Gefangenenlager waren alle auseinander. Es gab keinen Zusammenhalt mehr.
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5. Verwundung und Tod Wenn die Gefangennahme oder der Tod eines Soldaten bestätigt war, registrierte ihn die eigene Seite als sogenannten „Totalverlust“ oder „unwiederbringlichen Verlust“. In den Statistiken der Militärs tauchten diese Verluste natürlich nur als Zahlen auf, die persönlichen Tragödien dahinter fanden keine Erwähnung. Mindestens 5,3 Millionen deutsche Soldaten kamen im Zweiten Weltkrieg ums Leben. Etwa die gleiche Zahl wurde verwundet, viele mehrfach. Die militärischen Verluste in China lagen bei vermutlich 3,5 Millionen, in Japan bei bis zu 2 Millionen, in der UdSSR bei ca. 13 Millionen Soldaten. Großbritannien hingegen verlor rund 270000 Mann, die USA 407000! Für die militärische Führung waren Zahlenangaben über verwundete, gefallene, gefangene oder vermisste Soldaten wichtige Informationen, um den Kampfwert eigener oder gegnerischer Verbände beurteilen zu können. Dennoch war der Tod im Krieg in der Regel kein anonymer Vorgang. Vor allem in den modernen westlichen Gesellschaften ist mit dem Tod eines Individuums eine Fülle von juristischen und bürokratischen Konsequenzen verbunden, so dass jedes einzelne Schicksal erfasst und individuell verwaltet wird. In der Wehrmacht mit ihren Millionen Wehrpflichtiger stützte sich die Personalführung auf modernste Methoden und Techniken. Seit den dreißiger Jahren wurden dafür – neben Wehrpass, Wehrstammkarte und Personalakte – maschinelle Lochkartensysteme (Hollerith-Maschinen) verwendet, die alle Informationen über den einzelnen Soldaten enthielten. Jeder Soldat trug eine Erkennungsmarke und ein Soldbuch bei sich. Bei der Einheit befand sich ein Wehrpass. In dem Bemühen zur Humanisierung der Kriegführung hatte bereits die Haager Landkriegsordnung von 1907 festgelegt, dass die Staaten Auskunftsbüros einzurichten hätten, um das Schicksal der eigenen und der gefangenen feindlichen Soldaten nachzuweisen. Auf diese Weise wollte man den Familien, deren Angehörige vermisst waren, die qualvolle Wartezeit bis zum Kriegsende ersparen, bevor sie dann Näheres über das Schicksal des Vermissten erfahren konnten. Die neue Organisation gab Auskunft nicht nur bei Todesfällen, sondern auch bei Verwundungen, beurkundete die Sterbefälle und führte den Nachweis über die Grabstätten. Der Tod eines Soldaten wurde in der Regel vom Kompaniechef, bei Offizieren vom Regimentskommandeur namentlich an das Heerespersonalamt gemeldet und durch persönliche Schreiben den Familienangehörigen mitgeteilt. Die namentlichen Verlustlisten wurden durch Angaben der Lazarette ergänzt, in denen Verwundete verstorben waren. Auf Karteikarten wurden wöchentliche Änderungsmeldungen an die Wehrmacht-Auskunftsstelle (WASt) gesandt. Gräberoffiziere bei der Truppe sorgten für die Bestattung der Gefallenen und die Anlage von Friedhöfen. Um die Betreuung der Soldatengräber im Ausland kümmerte sich der 1919 gegründete „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes bemühte sich, das Schicksal von Vermissten aufzuklären. Denkmäler er-
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innerten in den Heimatgemeinden an den Soldatentod von Söhnen und Vätern. Während des Krieges nutzte die Propaganda oft über- oder untertriebene Verlustzahlen für ihre Zwecke. Deshalb gibt es für beide Weltkriege kaum übereinstimmende Angaben. Im Ersten Weltkrieg waren weltweit mehr als 60 Millionen Soldaten eingesetzt. 9 Millionen von ihnen (14 Prozent) kamen ums Leben. Davon waren 3,5 Millionen Deutsche und Österreicher. Die Sterberate der Kriegsgefangenen blieb mit 5 bis 10 Prozent weit unter den Verlusten früherer Kriege. Die Zahl der zivilen Toten liegt bei insgesamt 6 Millionen. Im Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Verluste gewaltig an, weil nun nicht mehr nur an einzelnen Fronten gekämpft wurde, sondern der Bewegungskrieg ganze Nationen und Kontinente in die Kampfhandlungen einbezog. Die erheblich gesteigerte Feuerkraft der Armeen und vor allem ihrer Luftstreitkräfte erhöhte die Zahl der Opfer ebenso wie die Ideologisierung der Kriegführung, die eine Schonung von gefangenen bzw. verwundeten Gegnern sowie feindlicher Zivilbevölkerung nicht mehr als selbstverständlich erscheinen ließ. Zu gewaltsamen Exzessen führte insbesondere der Partisanenkrieg, der in Teilen Europas und Asiens hauptsächlich die Bevölkerung traf. So waren insgesamt mehr als 55 Millionen Tote zu beklagen, in der Mehrzahl Zivilisten, davon in Deutschland 5,3 Millionen Soldaten (bei rund 18 Millionen Mobilisierten kam also nahezu jeder Dritte um Leben) und mindestens 1,2 Millionen Zivilisten (etwa 500000 allein im Bombenkrieg). Hier gibt es für die Gruppe der bei Flucht und Vertreibung ums Leben gekommenen Opfer keine zuverlässigen Zahlen. Bei den gefallenen Soldaten ist das Schicksal von mehr als einer Million Männern bis heute ungeklärt. Rund drei Millionen Angehörige von Hitlers Streitkräften gerieten in sowjetische Gefangenschaft, etwa 700000 von ihnen starben. Die extremste Todesrate lag bei 95 Prozent (1941). Wesentlich größere Dimensionen hatten die Verluste auf sowjetischer Seite. Sie werden heute auf 27 Millionen Tote geschätzt, davon mindestens acht Millionen Soldaten. In deutscher Gefangenenschaft starben vermutlich mehr als drei Millionen Sowjetsoldaten. Im Zuge der militärischen Kriegführung zählten nur „Verluste“ bei der Truppe, weil sie für die Fortführung des Kampfes nicht mehr zur Verfügung standen und ersetzt werden mussten. Wenn bei Meldungen „vermisst“ angeben wurde, handelte es sich zumeist um Soldaten, die in Gefangenschaft geraten oder ums Leben gekommen waren, ohne von der eigenen Truppe durch Augenzeugen bzw. durch Abnahme der Erkennungsmarke am Leichnam identifiziert zu werden. In der zweiten Kriegshälfte befanden sich unter den offiziell „Vermissten“ vermehrt auch Deserteure oder Versprengte. Wurden Soldaten nur leicht verwundet, was in der Regel 60 Prozent aller Fälle ausmachte, fielen sie meist nur für kurze Zeit aus, bis sie vom Hauptverbandsplatz des Regiments versorgt zur Truppe zurückkehren konnten. Schwerverletzte wurden, möglichst nach einer Erstversorgung, in das Feldlazarett der Divisionen, etwa 20 Kilometer hinter der Front gebracht und dort operiert. Das Feldlazarett wurde von der Sanitätskompanie betrieben und hatte die Funktion eines Krankenhauses. Hier setzte man erst ab 1942 zur Entlastung des männlichen Personals auch Krankenschwestern des Ro-
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ten Kreuzes ein, obwohl die nahe Front, Partisanen und Luftangriffe eine extrem erhöhte Gefahr für die Frauen bedeuteten. Wenn eine kurzfristige Genesung nicht zu erwarten oder eine Spezialbehandlung und Rekonvaleszenz notwendig erschienen, brachte man die Verwundeten in Reservelazarette des Hinterlands bzw. im Heimatgebiet unter. Rund 5,2 Millionen deutsche Soldaten wurden im Verlauf des Krieges verwundet, nicht wenige mehrfach. Die Ausstattung des Sanitätswesens im Einsatz war oft mangelhaft und zudem durch die Aufteilung auf die drei Wehrmachtteile belastet. Vor allem im Bewegungskrieg und bei Rückzügen fehlte es oftmals an Fahrzeugen. Der Abtransport von Verwundeten durch die Luftwaffe bot zwar nicht selten eine schnelle Hilfe und war etwa im Falle des Kessels von Stalingrad am Ende die einzige Rettung. Doch standen für solche Aufgaben meist nicht genügend Flugzeuge zur Verfügung. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg wurden Lazarette bei fluchtartigen Rückzügen überrollt oder fielen bei eingekesselten Einheiten in feindliche Hand. Oberfeldwebel Wallrawe über seine Verwundung am 16. Januar 1943 in Stalingrad Aus: Wette/Ueberschär, Stalingrad, S. 120.
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Der Obergefreite Klaus und der Gefreite Ranz haben mich unter Einsatz ihres Lebens auf einer Zeltbahn ziehend 2 km rückwärts gebracht. Mit mehreren Verwundeten bin ich auf einen LKW verladen und in Richtung Flugplatz geschafft worden. 3 km vor unserem Ziel ging der Sprit aus; der Wagen musste auf Befehl gesprengt werden. Die Verwundeten waren ihrem Schicksal überlassen. Kriechend habe ich den Weg bis zum Flugplatz zurückgelegt. […] In einem großen Zelt erhielt ich die erste ärztliche Hilfe.
Mit der Dauer des Krieges und der Absenkung der Tauglichkeitskriterien stieg neben der Zahl der Verwundeten auch die der Kranken. Im ersten Russlandwinter waren es bis zu hunderttausend Soldaten mit Erfrierungen. Extreme Erfahrungen machte der Sanitätsdienst mit dem Hunger im Kessel von Stalingrad, den Tropenkrankheiten in Nordafrika, der Malaria in Italien und Albanien sowie schweren Verbrennungen, die durch die Motorisierung der Kriegführung verstärkt auftraten. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg spielten Gasverletzungen keine Rolle. Um die damals unter den Soldaten grassierenden Geschlechtskrankheiten einzudämmen, richtete man im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Wehrmachtbordelle ein, über die der Sanitätsdienst eine strenge Aufsicht führte. Die Militärmedizin hatte sich in der Auswertung der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs sehr früh einem Denken angenähert, das im Nationalsozialismus mit seiner Rassen- und Gesundheitsideologie sowie dem Bild des Frontsoldaten bis zur Perversion medizinischer Ethik reichte. Erscheinungen psychischer Verletzung wertete man als Ausdruck persönlicher Schwäche oder als Drückebergerei. „Kriegsneurotiker“ waren im Zweifel „Bewährungseinheiten“ oder anderen Strafformen zuzuführen. Sanitätsoffiziere sahen – wie in anderen Armeen – ihre Hauptaufgabe natürlich darin, der Front möglichst rasch wieder verwendungsfähige Kämpfer zur Verfügung zu
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stellen. Dass in Krisensituationen die Kriterien in den Lazaretten sich den militärischen Erfordernissen anpassten, war ebenfalls keine Besonderheit der Wehrmacht. Das Ausmaß aber, in dem sich der Schwerpunkt des Selbstverständnisses vom Arzt zum Offizier verschoben hat und sich damit auch rassenideologische Implikationen verbanden, ist erschreckend. In nicht wenigen Fällen ließ man – wie im Reich selbst – im besetzten Gebiet Nervenheilanstalten und andere Einrichtungen für Behinderte als Lazarettraum für die Wehrmacht „räumen“, vorzugsweise durch die SS. Verletzte und kranke Kriegsgefangene blieben im Osten in speziellen Isolierbaracken ohne ausreichend Versorgung, Nicht-Arbeitsfähige verhungerten. Schwerkriegsbeschädigte („Krüppel“) setzte man sogar einfach am Straßenrand ab und überließ sie der Bevölkerung. Im Gegensatz dazu entwickelte die Wehrmacht für die eigenen Kriegsversehrten ein ausgefeiltes Fürsorgesystem. Sofern Veteranen noch arbeitsfähig waren, konnten sie sich in der ersten Kriegsphase für die Ansiedlung in den besetzten Ostgebieten melden, in der zweiten Kriegshälfte senkte man die Kriterien für die Entlassung aus dem Wehrdienst. Bein- oder Armamputierte ermutigte man, Aufgaben im Ersatzheer zu übernehmen. Selbst Blinde und Taubstumme konnten sich dafür melden. In den Lazaretten mussten Leichtverwundete Arbeiten für die Rüstungsindustrie – gleichsam als Heimarbeit – leisten. Die Wehrmacht scheute sich auch nicht, Soldaten mit chronischen Krankheiten zu eigenständigen Bataillonen zusammenzufassen, um sie medizinisch behandeln und gleichwohl auch – z.B. für Wach- und Sicherungsdienste – militärisch einsetzen zu können. Diät-Einheiten für Magenkranke, sogenannte Weißbrot-Bataillone, kamen auf diese Weise selbst in Russland zum Einsatz. Im letzten Kriegsjahr schickte man zahllose Sieche und Marode an die Front. Die Ärzte durchkämmten die Lazarette und machten den Patienten Beine. Die Luftwaffe bildete im Juni 1944 die „S-Flakbatterie 1000 (o)“, eine Sonderformation für Soldaten mit „psychogenen Störungen“, stationiert im zerbombten Dortmund. Dort versammelte man „Zitterer, Schüttler und Stotterer“, wollte aber auch gegebenenfalls Bettnässer übernehmen. Anfang 1945 verfügte die Wehrmacht über 45 Magenbataillone, außerdem über 11 Ohrenbataillone aus Schwerhörigen und Patienten mit eiternden Mittelohrentzündungen. Selbst diese schrieb man „kriegsverwendungsfähig“ („k.v.“). Die neuaufgestellte 70. Infanteriedivision bestand komplett aus solchen Spezialeinheiten, die an der Schelde gegen die Kanadier kämpfen sollten und sich in kurzer Zeit „völlig abgestumpft“ zeigten, obwohl man sie besonders energischen Frontoffizieren mit gesunden Mägen unterstellt hatte. Die Kranken quälten sich mit „Erbrechen, Ohnmacht, Anfällen verschiedener Art“, im Kampf schossen nur wenige, die meisten liefen davon. Selbst die Erschießung von Einzelnen durch die Offiziere machte auf die Masse keinen Eindruck. In der Bevölkerung und unter den Soldaten kursierten bereits 1941 Gerüchte, schwerstgeschädigte Soldaten würden im Rahmen der Euthanasie von den Nationalsozialisten ermordet werden. Weil man um die Moral der Truppe fürchtete, ging man dazu über, den Mord an Behinderten im Reichsgebiet zeitweilig auszusetzen bzw. besser zu tarnen. Soldaten waren wie in
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Verweigerung und Widerstand den meisten anderen Armeen wehrmedizinischen Versuchen ausgesetzt, oft eher harmloser Art wie bei der Erprobung eines Antiläusepulvers, aber auch neuer Medikamente und Behandlungsmethoden. Nicht unproblematisch war im Zweiten Weltkrieg der Einsatz von leistungssteigernden Mitteln wie Pervitin, was zu einer Reihe schwerwiegender gesundheitlicher Schäden, bei einer Reihe von älteren Stabsoffizieren sogar zum Tode führte. Die alliierte Propaganda konnte schließlich behaupten, Hitlers Blitzkriege seien nicht zuletzt dank des Einsatzes von Drogen erfolgreich gewesen, die das Schlafbedürfnis unterdrückten und die Risikobereitschaft der vorwärtsstürmenden Truppen befeuert hätten. Obwohl „Reichsgesundheitsführer“ Conti am 12. Juni 1941 Pervitin unter das „Opiumgesetz“ stellen ließ, um ein „ganzes Volk vor Rauschgiftsucht zu bewahren“, wurde das Mittel nicht nur von Langstreckenfliegern und Kraftfahrern in Extremsituationen weiter benutzt, sondern auch an erschöpfte Truppen auf Befehl der Kommandeure ausgeteilt. Wesentlich geringere Hemmungen hatten deutsche Militärärzte, wenn es um Experimente mit KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen ging. Hier musste kaum Rücksicht auf Leben und Gesundheit der Probanden genommen werden. Zahlreiche Häftlinge fanden den Tod bei der Erprobung von Medikamenten gegen Gasvergiftung und bei etlichen anderen Experimenten. Hier waren insbesondere sowjetische Kriegsgefangene von Hungerversuchen und von der Erprobung minderwertiger Nahrung („Russenbrot“) betroffen.
III.
Drogen und Experimente
6. Verweigerung und Widerstand Die Nationalsozialisten waren sich bewusst, dass die Westmächte auf einen inneren Umsturz in Deutschland wie 1918 hofften, und waren sich ihrer Sache selbst nicht sicher. Da die unerwarteten militärischen Erfolge in der ersten Kriegshälfte die Zustimmung zum Regime in allen Teilen der Bevölkerung sogar noch steigerte, hätten politische Widerstandsbewegungen aber keinen Widerhall oder gar die Unterstützung zu einem Umsturz finden können. So schwach wie zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war der deutsche Widerstand zu keiner anderen Zeit. Die traditionellen Gegner des Nationalsozialismus wie Sozialdemokraten und Kommunisten bedeuteten keine ernstzunehmende Gefahr für das Regime. Sie konnten sich unter dem erhöhten Verfolgungsdruck allenfalls bemühen, Kontakte aufrechtzuerhalten, was durch die Einberufung ihrer Anhänger zum Wehrdienst zusätzlich erschwert wurde. Die Gruppe um den Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen („Rote Kapelle“) leistete innerhalb des kommunistischen Widerstands zwar die erfolgreichste Arbeit und thematisierte in einzelnen Flugblättern die deutschen Verbrechen, aber ihr Widerhall in der Bevölkerung blieb gering. Ihren größten Nutzen für Moskau erbrachte die „Rote Kapelle“ durch ihre Spionagetätigkeit in Berlin, bis sie Ende August 1942 aufflog. Da es – anders als 1918 – keine handlungsfähige Basis für einen Volksaufstand in Deutschland gegeben hat, kam jenem Widerstand besondere Bedeutung zu, der sich innerhalb der Führungselite und
Schwacher politischer Widerstand
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Planungen eines militärischen Staatsstreichs
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in jenen Bevölkerungsschichten entwickelte, die sich aufgrund der Teilidentität von Zielen den Nationalsozialisten zunächst durchaus geöffnet hatten. In bürgerlichen und konservativen Kreisen hatte es vereinzelt schon vor dem Krieg Kritik am Regime gegeben. Manche reaktionären Politiker erkannten durchaus den sozialrevolutionären Drang innerhalb der NSDAP und setzten daher auf den Umsturz. Andere zivile Gruppierungen wie der Kreisauer Kreis, der späteren Verschwörung vom 20. Juli 1944 am nächsten stehend, lehnten einen Umsturz eher ab, weil sie eine neue Dolchstoß-Legende vermeiden wollten. Die Nazis sollten sich aus ihrer Sicht durch den Krieg selbst gründlich ruinieren, weshalb es darauf ankam, für das Deutschland nach der Niederlage Planungen anzustellen. Unter den Bedingungen der Kriegsgesellschaft konnte sich jedenfalls keine einheitliche Widerstandsbewegung bilden. Doch der drohende Krieg, seine folgenden Exzesse sowie die sich abzeichnende Niederlage rückten zwangsläufig das Militär in den Mittelpunkt, denn allein ein Widerstand innerhalb der militärischen Führungselite konnte Machtmittel in die Hände bekommen, die geeignet waren, das NS-Regime zu stürzen. Nur eine kleine Gruppe mit starker sozialer und politischer Kohäsion hatte vielleicht eine Chance, der Aufdeckung durch die Gestapo zu entgehen und durch lose, individuelle Kontakte Gleichgesinnte in Schlüsselpositionen zur Mitwirkung zu gewinnen. Neben Generalstabsoffizieren gehörten zwangsläufig Diplomaten und Geheimdienstler zu den bevorzugten Partnern. Man musste Strukturen und Männer des Regimes für sich nutzbar machen, was in der späteren politischen und historischen Bewertung oft missverstanden worden ist, zumal sich die Rekonstruktion dieser konspirativen Tätigkeit, von den Berichten weniger Überlebender abgesehen, im Wesentlichen auf Polizeiakten und andere systemkonforme Quellen abstützt. Die ersten Ansätze zu einem möglichen militärischen Staatsstreich 1938/ 39 waren vornehmlich von fachlichen Motiven geprägt worden. Den drohenden Krieg zu verhindern, verband sich im kleinen Kreis von Generalen durchaus mit politischen, religiösen und moralischen Argumenten. Im Vordergrund stand aber die Absicht, durch einen Staatsstreich den Krieg zum damaligen Zeitpunkt zu verhindern und durch die Verhaftung Hitlers das NS-Regime zum Einsturz zu bringen. Wie auch später im Krieg wollte der nationalkonservativ geprägte Widerstand, bei allen unterschiedlichen Nuancen einzelner Gruppen und Personen, durch eine vorübergehende Militärdiktatur keineswegs einer Rückkehr der Demokratie den Weg bahnen, schon gar nicht nach dem Vorbild der Weimarer Republik. Die geplante „Revolution von oben“ zielte auf die Beseitigung von „Fehlentwicklungen“ durch den Nationalsozialismus, aber eben auch auf die Wiederherstellung des Rechtsstaates und einer parlamentarischen Volksvertretung, so schillernd manche Vorstellungen hierüber auch gewesen sein mögen. Der Generalswiderstand war nach dem Münchener Abkommen still in sich zusammengebrochen, belebte sich aber noch einmal im Herbst 1939, als Hitler nach dem Polenfeldzug den Angriff auf Frankreich befahl. Erneut gab die militärfachliche Kritik den Ausschlag, um innerhalb der Heeresführung die Bereitschaft zu einem möglichen Staatsstreich zu fördern. Die Empörung über die in Polen von der SS verübten Gräueltaten hielt dagegen
Verweigerung und Widerstand
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nicht lange vor. Viel gewichtiger war auch in diesem Zusammenhang das Motiv, die Autonomie der Militärführung gegenüber der politischen Leitung wiederzugewinnen. Das allein schon hätte natürlich einen Systemwandel herbeiführen können. Über die Frage nach dem Ausmaß der einzusetzenden Gewalt – bis hin zum Tyrannenmord, bestand ebenso wenig Einigkeit wie über die Gültigkeit des Eides, über die wohl mancher besonders deshalb gern diskutierte, weil die Frage – bei aller Sympathie für die Verschwörer – bequeme Rückzugsmöglichkeiten eröffnete. Selbstverständlich darf man mit Rücksicht auf die Bedeutung für das soldatische Selbstverständnis die Frage des Eides auch nicht unterschätzen und sollte nicht übersehen, was es für Offiziere bedeutete, im Krieg einen militärischen Staatsstreich zu planen. Das Zögern der Generale begründete sich u.a. mit der Einschätzung, dass man im jüngeren Offizierskorps sowie bei den Mannschaften keine Unterstützung finden werde. Es musste aber nach einem möglichen Putsch die Truppe „unter allen Umständen intakt und schlagkräftig erhalten bleiben, damit nach Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes kein Vakuum entstand und erträgliche Friedensbedingungen durchgesetzt werden konnten“ (Generalrichter Karl Sack). Die Heeresführung ließ 1939/40 die Gelegenheit verstreichen, den Zweifel an Hitlers Angriffsbefehl zu einem Putsch zu nutzen. Die außenpolitischen Vorstellungen, die, gedeckt durch die militärische Abwehr des Admirals Wilhelm Canaris, mit Hilfe von Emissären den Westmächten übermittelt wurden, waren für den Gegner ohnehin nicht akzeptabel. Das „Großdeutsche Reich“ mit seinen militärischen Gewinnen sollte durchaus erhalten bleiben – Illusionen, die auch noch vor dem Attentat am 20. Juli 1944 weithin bestanden. Nach dem glänzenden Sieg über Frankreich löste sich die Generalsopposition weitgehend auf. Der militärische Widerstand organisierte sich erst nach dem Scheitern des Russland-Feldzugs von 1941 und wurde nun hauptsächlich von Obristen getragen. Auch die Gruppe um Stauffenberg und Tresckow blieb notgedrungen eine kleine Minderheit im Offizierskorps. Durch die Kenntnis der nationalsozialistischen Massenverbrechen im Osten war ihre Haltung radikaler und entschlossener sowie moralischer geworden. Da Hitler die militärische Kriegführung immer stärker selbst in taktisch-operativen Einzelheiten bestimmte und das Versagen der Generalität beklagte, stießen die Verschwörer mit fachlichen Argumenten eher auf offene Ohren, wenn sie Mitwisser und aktive Unterstützer zu gewinnen versuchten. Rückschläge blieben nicht aus, weil einige Pläne für eine Verhaftung bzw. Tötung Hitlers, die im Stab der Heeresgruppe Mitte im Umfeld von Tresckow entstanden, misslangen oder nicht ausgeführt werden konnten. Stauffenberg entwickelte sich zum wichtigsten Motor und Organisator des Staatsstreichs. Er setzte auf den „Walküre“-Plan, den Hitler für den Fall innerer Unruhen ausarbeiten ließ. Wenn das geplante Attentat auf Hitler gelingen würde, konnte mit dem Stichwort „Walküre“ ganz unverdächtig das Heimatheer mobilisiert werden, ohne dass die Beteiligten in den Wehrkreiskommandos zunächst ahnten, dass sie für einen Staatsstreich instrumentalisiert wurden. Für die neue Regierung waren auch Zivilisten eingebunden, aber es fehlte hier ebenso an bekannten und prominenten Namen wie für
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Der 20. Juli 1944
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eine neue Wehrmachtführung. Die Verschwörer vertrauten darauf, dass nach einem erfolgreichen Attentat und der Machtübernahme durch die Wehrmacht angesehene Männer wie Erwin Rommel wie viele andere schon „mitziehen“ würden. Aber Stauffenberg geriet seit dem Frühjahr 1944 unter Zeitdruck. Die Vorbereitungen mussten ständig modifiziert werden, und die Gestapo arbeitete sich immer näher heran. Mit der Landung der Alliierten in der Normandie und der sowjetischen Großoffensive im Juni drohte zudem die militärische Lage außer Kontrolle zu geraten. Von denen, die an Hitler noch herankamen, war keiner zum Selbstopfer bereit. Stauffenberg selbst musste die Ausführung des Attentats übernehmen, war aber durch die Ernennung zum Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres zugleich unentbehrlich geworden, um den „Walküre“-Plan in Berlin umzusetzen. Die Risiken für den Erfolg des Unternehmens stiegen damit beträchtlich. Zwei Versuche am 6. und 15. Juli konnten nicht realisiert werden. Schließlich kam es am 20. Juli 1944 zur Tat. Das Ergebnis ist bekannt. Die von Stauffenberg platzierte Bombe im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ in Rastenburg reichte in ihrer Wirkung nicht aus, Hitler zu töten. Der Diktator überlebte schwerverletzt. Stauffenberg, dem es rechtzeitig nach der Detonation gelang, das Flugzeug nach Berlin zu erreichen, musste nach seiner Ankunft am späten Nachmittag feststellen, dass die Mitverschwörer in der Bendlerstraße die vorbereiteten Maßnahmen nur zögerlich ausgelöst hatten. Nur in Paris hatte der Umsturz funktioniert. Die Gegenbewegung ging von Offizieren im Bendlerblock selbst aus, fand in Goebbels einen energischen Mitstreiter und im umgeleiteten Wachbataillon ein exekutives Instrument. Stauffenberg und drei seiner Mitverschwörer wurden auf dem Hof erschossen. Generaloberst Beck zwang man ebenso zum Selbstmord wie später auch Rommel, obwohl sich seine Rolle im Widerstand nicht klären ließ. Mit einer beispiellosen Verhaftungswelle, mit Schauprozessen und stillen Mordaktionen sorgte das NSRegime in den letzten Kriegsmonaten dafür, dass die „Gegenelite“ im Lande nach Kräften ausgerottet wurde. Die Gegenbewegung wurde genutzt, um die Entmachtung des Heeres zu vollenden und durch Mittel wie die Einführung der „Sippenhaft“ die Repression erheblich auszuweiten. Nur vereinzelt kam es in den letzten Kriegstagen noch einmal zu vergeblichen Widerstandsaktionen wie etwa in München Ende April 1945. Über das Scheitern des Widerstands ist immer wieder kontrovers diskutiert worden. Jeder Hinweis auf individuelles Versagen oder fragwürdige Haltungen greift zu kurz. Die Wehrmacht stand nun einmal sogar im Sommer 1944 noch weitgehend hinter dem „Führer“ und nicht hinter den Verschwörern.
Verweigerung und Widerstand
Telegramm Görings am 23. Juli 1944 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 350.
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Ich habe als rangältester Offizier der Deutschen Wehrmacht, zugleich im Namen des Generalfeldmarschalls Keitel und Großadmirals Dönitz dem Führer gemeldet, dass alle Wehrmachtteile darum vorstellig geworden sind und aus Anlass seiner Errettung gebeten und gefordert haben, in der Wehrmacht den Deutschen Gruß als ein Zeichen unverbrüchlicher Treue zum Führer und engster Verbundenheit zwischen Wehrmacht und Partei einführen zu dürfen. Der Führer hat dem Wunsche der Wehrmacht entsprochen und seine Zustimmung erteilt. Mit sofortiger Wirkung tritt an die Stelle der Ehrenbezeigung durch Anlegen der rechten Hand an die Kopfbedeckung Ehrenbezeigung durch Erweisung des Deutschen Grußes.
Bei aller Kriegsmüdigkeit waren der Vormarsch der Roten Armee und die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation durch die Alliierten durchaus geeignet, den Kampfeswillen zu steigern. Das Bewusstsein der deutschen Verbrechen mochte bei manchen ebenfalls mitschwingen. Damit war die Wehrmacht ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der das Attentat weithin abgelehnt wurde. Selbst die westlichen Alliierten hatten sich gegenüber allen Kontaktversuchen durch die Verschwörer zurückhaltend bis ablehnend gezeigt. Deshalb sind auch Mutmaßungen über den denkbaren Kriegsverlauf nach einem erfolgreichen Umsturz obsolet. Die Alliierten waren mehr an einem schnellen Zusammenbruch Deutschlands interessiert als an der Möglichkeit, mit einer Anti-Hitler-Regierung in Deutschland über ein Ende des Kriegs verhandeln zu können. Henning von Tresckow über die Notwendigkeit eines Staatsstreichs Aus: Schlabrendorff, Offiziere, S. 109.
Die Alliierten und der Widerstand
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Das Attentat auf Hitler muss erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.
Die Hoffnung, damit ein moralisches Zeichen zu setzen, ist erst sehr spät in Erfüllung gegangen. In der Nachkriegszeit hatten die Überlebenden des Widerstands lange auf ihre Anerkennung zu warten, und zwar ganz gleich, ob sie aus dem zivilen Untergrund stammten, aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern gerettet wurden oder dem militärischen Milieu verbunden waren. Das Attentat vom 20. Juli 1944 wurde zum Symbol für den „Aufstand des Gewissens“ eines anderen Deutschlands, zu dem auch jene nationalkonservativen Kreise des Widerstands gehörten, die vor und während des Zweiten Weltkriegs mehrfach daran scheiterten, ihre Chance zu einem Umsturz zu nutzen, um den Weg in den Krieg zu verhindern, das verbrecherische NS-Regime aus eigener Kraft zu beseitigen und den Krieg früher zu beenden. Günstiger für einen militärischen Umsturz in den totalitären Staaten der Achse war die Situation in Italien und Japan. Die Stellung des „Duce“ Be-
Sturz des italienischen Faschismus
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Japan und der Tenno
Stalinismus und Terror
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nito Mussolini wurde zwar durch die Herrschaft seiner faschistischen Partei gewährleistet, aber er hatte bei seinem Putsch 1922 die Monarchie mit Rücksicht auf die alten Eliten, insbesondere die königstreuen Streitkräfte, respektieren müssen. Die unglückliche Kriegführung und Mussolinis offensichtlich gescheiterte militärische Abenteuer schmälerten 1942/43 seine Massenbasis. Innerhalb der faschistischen Parteiführung setzten sich nach dem Verlust von Nordafrika und Sizilien jene Kräfte durch, die in Übereinstimmung mit der Militärführung und dem König einen Ausweg aus dem verlorenen Krieg suchten. Der faschistische Großrat setzte Mussolini am 25. Juli 1943 ab und ließ ihn verhaften. Als Italien, der wichtigste Verbündete Hitlers in Europa, wenige Tage nach der alliierten Landung auf der italienischen Halbinsel kapitulierte, besetzten die Deutschen das Land und befreiten Mussolini. Bei der Entwaffnung der italienischen Armee wurde jeder Widerstand blutig erstickt. Die Soldaten verschleppte man als Arbeitssklaven nach Deutschland. Obwohl der bewaffnete Widerstand im besetzten Gebiet trotz brutaler deutscher Vergeltungsmaßnahmen rasch erstarkte, diente eine zahlenmäßig größere Gruppe von Italienern in der faschistischen Miliz. Erst die öffentliche Hinrichtung Mussolinis am 28. April 1945 beendete sichtbar das faschistische Regime. In Japan blieb die kaiserliche Autorität des Tennos trotz einer harten Militärdiktatur unangefochten. Das ermöglichte den fortgesetzten Einfluss ziviler Kräfte, die sich in der Schlussphase des Pazifikkrieges gegen eine Fortsetzung des sinnlosen Krieges und die Selbstzerstörung des Landes wandten. Sie ermutigten den Tenno, die Kapitulation zu verkünden. Innerhalb der Anti-Hitler-Koalition gab es keine nennenswerten oppositionellen Kräfte. Stalin hatte durch mörderische „Säuberungen“ in Partei, Staat und Armee bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs sein Schreckensregime gefestigt. Die rechtzeitig erfolgte Ermordung seines populärsten Widersachers Leo Trotzki im mexikanischen Asyl verhinderte, dass seine Position im Sommer 1941 durch den deutschen Überfall ins Wanken geraten konnte. Obwohl sein Appell an den Patriotismus und sein Personenkult vor allem in der russischen Bevölkerungsmehrheit Zustimmung fanden, blieben Millionen vermeintlich oder tatsächlich oppositioneller Kräfte in den Lagern des GULAG, wurde jeder Widerspruch rücksichtslos unterdrückt. Hunderttausende hatte Stalin kurz vor Kriegsbeginn aus ihrer Heimat in den neu annektierten Westgebieten nach Osten deportieren lassen. Dennoch fanden sich insbesondere im Baltikum und in der Ukraine Millionen Menschen bereit, die Wehrmacht im Kampf gegen den Stalinismus zu unterstützen. Der bewaffnete Kampf ging sogar noch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für einige Jahre weiter. Überall dort, wo die Kommunisten den Widerstandskampf in den von Deutschland und Italien besetzten Gebieten anführten, entwickelte sich der Partisanenkrieg besonders blutig und brutal. Denn nach den Weisungen der Kommunistischen Internationale wurde der Widerstand gegen die Besatzungsmacht zugleich als Klassenkampf innerhalb der eigenen Bevölkerung geführt. Es blieb deshalb meist nicht bei einzelnen Attentaten oder Streikaktionen. Ohne Rücksicht darauf, dass Anschläge und Hinterhalte zu Vergeltungsaktionen der Besatzungstruppen führen mussten, versuchten einzelne
Verweigerung und Widerstand Gruppen, den Volksaufstand zu organisieren. Daraus entstand insbesondere in Griechenland und Jugoslawien ein Bürgerkrieg zwischen verschiedenen politischen Gruppen, die zum Teil auch vom britischen Geheimdienst unterstützt wurden. Die Besatzungskräfte verloren dabei zunehmend die Kontrolle über das Land. Dagegen hatte im besetzten Polen die „Heimatarmee“ die verschiedenen Gruppen im Untergrund, mit Ausnahme der Kommunisten, auf das Ziel einschwören können, alle Kräfte zusammenzuhalten, um erst im Augenblick eines deutschen militärischen Zusammenbruchs loszuschlagen und durch einen Volksaufstand das Land zu befreien. Als der Aufstand im Oktober 1944 ausgelöst wurde, hatte sich die strategische Situation allerdings verschlechtert. Die Rote Armee verharrte im Vorfeld von Warschau und überließ es der Wehrmacht, den bürgerlich-nationalen Widerstand zu zerschlagen. Und die Alliierten fanden sich am Ende damit ab, Polen dem stalinistischen Imperium zu überlassen. Ähnlich wie in Polen richtete sich der bewaffnete Widerstand in Frankreich darauf aus, im Augenblick eines deutschen Rückzugs größere militärische Formationen bilden und damit die Befreiung des Landes in die Hand nehmen zu können. Die Résistance vereinte schließlich 1944 die gaullistischen und die rivalisierenden kommunistischen Kräfte. Sie befreite die Hauptstadt Paris und unterstützte den Vormarsch der Alliierten. Ein möglicher Bürgerkrieg blieb aus. In den meisten anderen europäischen Ländern organisierten politische Bewegungen einen hauptsächlich passiven Widerstand, der von den Deutschen und den mit ihnen kollaborierenden einheimischen Regierungen in Schach gehalten wurde. Dennoch gelang es z.B. der dänischen Bevölkerung, der von Deportation bedrohten jüdischen Minderheit rechtzeitig heimlich zur Flucht nach Schweden zu verhelfen. Da der Schutz der eigenen Bevölkerung vor Repressalien der Besatzungsmacht Priorität hatte und der offene bewaffnete Kampf erst in den letzten Kriegstagen eröffnet wurde, blieben Dänemark, Norwegen und die Benelux-Länder von blutigen Auseinandersetzungen verschont. Bei Beginn des Krieges im Pazifik zogen sich Teile der auf den Philippinen stationierten US-Truppen in schwer zugängliche Regionen zurück und organisierten im Bündnis mit einheimischen Widerstandsgruppen den Kampf gegen die japanischen Besatzer. Diese reagierten mit Massenerschießungen, Folter und Vergewaltigungen. Bei der Befreiung des Inselstaates ab Oktober 1944 leisteten antijapanische Widerstandsgruppen den Amerikanern wichtige Unterstützung, mit Ausnahme der kommunistischen Guerilla-Bewegung. Sie wurde von der US-Army bekämpft, weil sie das Unabhängigkeitsversprechen der Amerikaner an die Philippinen für sich nutzen wollte, um die Macht an sich zu reißen. Militärisch gesehen hatten die meisten Widerstandsbewegungen im Zweiten Weltkrieg keine größere strategische Wirkung. Selbst der Partisanenkrieg in den besetzten Teilen der UdSSR wirkte sich nicht auf die Operationen der Wehrmacht aus. Es genügten drittklassige Besatzungstruppen und einheimische Hilfsverbände, um die Ausdehnung der Partisanengebiete zu bremsen. Die Hauptversorgungsstrecken für die Front blieben, von vereinzelten Anschlägen abgesehen, weitgehend frei. Die heterogenen Partisanengruppen verbrauchten bis 1943/44 ihre größte Energie mit der Organi-
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Aufstand in Polen
Partisanenkrieg
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sierung des eigenen Überlebens sowie mit dem Kampf gegen antistalinistische Kollaborateure und die Indifferenz eines großen Teils der Landbevölkerung. Ganz anders entwickelte sich der antijapanische Widerstandskampf in China. Dort hatte das Vorrücken der Japaner bereits Ende der dreißiger Jahre dazu geführt, dass der seit Jahren schwelende Bürgerkrieg zwischen der nationalchinesischen Regierung unter General Chiang Kai-shek und den Kommunisten unter Mao Tse-tung durch eine – wenn auch brüchige – Einheitsfront eingefroren wurde. Die regulären Truppen wurden nun durch weiträumige Partisanenaktionen massiv unterstützt, was die japanische Besatzungsmacht zu massenhaften und grausamen Repressalien veranlasste. Chiang Kai-shek erhielt während des Zweiten Weltkriegs massive finanzielle Unterstützung durch die USA. Stalin wiederum rüstete nach seinem Eingreifen gegen Japan im Herbst 1945 mit den erbeuteten Waffen Maos Armeen aus und trug so zu dessen Sieg im Jahre 1949 bei.
7. Gefangenschaft und Heimkehr
Verbrechen an Kriegsgefangenen
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Ein in diesem Ausmaß neuartiges Phänomen war im Zweiten Weltkrieg die oft langjährige Kriegsgefangenschaft von Millionen Soldaten. Die Regelungen der Haager Landkriegsordnung von 1907 sowie die Genfer Kriegsgefangenenkonventionen von 1929 hatten weitgehende Regelungen zum Schutz von Kriegsgefangenen geschaffen, mit Ausnahme eines klaren Automatismus für deren Repatriierung sowie des Verbots der politischen Indoktrination. Dennoch stand zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ein modernes Instrumentarium zur Verfügung, um das Schicksal von Millionen Soldaten humanitär zu gestalten, wenn sie – wie zu erwarten – in Feindeshand fallen würden. Auch wenn insgesamt gesehen die völkerrechtlichen Regelungen von den meisten kriegführenden Staaten weitgehend eingehalten worden sind, gab es doch bedeutsame und massenhafte Ausnahmen. Die größte Zahl von Kriegsgefangenen machte in der ersten Kriegshälfte die deutsche Wehrmacht mit mehr als sieben Millionen Männern unterschiedlichster Nationalitäten. Gefangene Rotarmisten bildeten die größte Gruppe. Neuere Forschungen zeigen, dass entgegen landläufigen Vorstellungen NS-Rassenideologie und Arbeitskräftebedarf nicht allein den Ausschlag für ihre Behandlung gaben. Bei Freilassungen während des Krieges etwa traf Berlin ganz unterschiedliche Entscheidungen, und zwar entlang der Frontstellungen im Ersten Weltkrieg! Jugoslawische Kriegsgefangene wurden freigelassen, mit Ausnahme der Serben, ebenso Griechen, Niederländer, Dänen, Norweger und Flamen. Briten, Franzosen und Amerikaner hingegen blieben im Lager, ebenso die Polen, die man 1939 sogar noch versucht hatte, auf die sowjetische Seite abzuschieben. Russen wollte Hitler ursprünglich nicht ins Reich transportieren lassen. Sie sollten in den besetzten Ostgebieten umkommen, um die „biologische Kraft“ des Slawentums zu schwächen. Gefangene anderer
Gefangenschaft und Heimkehr nicht-russischer Nationalitäten wurden dagegen freigelassen. Ab Ende 1941 und mit Masse erst ab 1943 dominierte dann der Aspekt des Bedarfs an Arbeitskräften im Reich. Die Realität zwang dazu, ideologische und sicherheitspolizeiliche Bedenken zurückzustellen. Jetzt befahl man sogar, Partisanen nicht mehr zu töten, sondern als Kriegsgefangene zur Arbeit einzusetzen. Das millionenfache Sterben sowjetischer Kriegsgefangener an Hunger und Krankheiten wurde beendet, weil man auf die Arbeitskraft der Überlebenden deutscher Lager nicht verzichten wollte. Eine völkerrechtlich angemessene Behandlung und Versorgung der Kriegsgefangenen wurde allerdings erst gegen Kriegsende erreicht. In der Hierarchie dieser Behandlung standen die Amerikaner, Briten und Franzosen an der Spitze. Italiener und Russen wurden am stärksten diskriminiert, die italienischen Militärinternierten ab 1943 nicht aus rassischen Gründen, sondern weil man sie als „Verräter“ ansah. Ein wichtiger Schutz für die Kriegsgefangenen bildete das Prinzip der Reziprozität. Jeder Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht konnte vom Gegner an den eigenen Gefangenen vergolten werden. Deutschland hatte deshalb zumindest auf dem westlichen Kriegsschauplatz ein Interesse daran, dass deutsche Kriegsgefangene im alliierten Gewahrsam gut behandelt wurden. In Hinsicht auf die UdSSR zeigte Hitler dagegen kein Interesse am Überleben deutscher Kriegsgefangener. Eine weitere Auffälligkeit auf deutscher Seite ist es, dass die Wehrmacht bei den Gefangenen keinen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden machte. Die beste Überlebenschance im deutschen Machtbereich hatte ein polnischer Jude, wenn er in einem Gefangenenlager für kriegsgefangene polnische Offiziere lebte. Das galt auch für französische und jugoslawische Juden. Erst durch die verbrecherischen Befehle von 1941 wurden sowjetisch-jüdische Soldaten bereits bei ihrer Gefangennahme oder kurz danach „ausgesondert“ und ermordet. Die Befehle im Zusammenhang mit dem deutschen Überfall auf die UdSSR stellten eine Kehrtwende dar. Bis zu diesem Zeitpunkt überstiegen die Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht nicht das Ausmaß, das es im Ersten Weltkrieg oder bei den Westalliierten im Zweiten Weltkrieg gegeben hatte. Deutliche Schritte zu einer Barbarisierung der Kriegführung gab es dann auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz, etwa durch den sogenannten Kommandobefehl und die völkerrechtswidrige Behandlung der italienischen Soldaten. Dass sich die Eskalationsspirale nicht weiter drehte, lag auf deutscher Seite zum einem am Arbeitskräftebedarf, zum anderen am Interesse der Militärs, im Zeichen des bevorstehenden Endes extreme Gedankenspiele der NS-Führung – etwa zur Ermordung aller alliierten kriegsgefangenen Offiziere als Reaktion auf die verheerenden Luftangriffe – nicht Realität werden zu lassen. Es blieb in diesem Bereich bei vereinzelter Lynchjustiz an abgestürzten alliierten Besatzungen. Das bestehende Kriegsvölkerrecht konnte auch im Hinblick auf das Schicksal der Kriegsgefangenen Verbrechen nicht verhindern, sondern lediglich eingrenzen. Es bot sich außerdem die Möglichkeit, die Verantwortlichen für Verbrechen an Kriegsgefangenen vor Gericht zu stellen. Bereits Anfang 1945 rief das Internationale Rote Kreuz die Regierungen dazu auf, die gültigen Regelungen zu revidieren und Verbesserungen einzuführen. Das geschah am 12. August 1949 mit vier neuen Genfer Abkommen.
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Unterschiedliches Schicksal der Kriegsgefangenen
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Der 18-jährige Offiziersanwärter Manfred Messerschmidt über seine Gefangenschaft bei Kriegsende 1945 Aus: Herrmann/Müller, Junge Soldaten, S. 284. Wir hatten ständig nasse Füße, es war so ein Nieselregen damals im April und Anfang Mai. Wir wurden dann in Zelten untergebracht, in einem Sanitätsbereich. Da erfuhren wir dann, was es in diesem Lager alles gab. Das war schon beinahe die verkleinerte Europäische Union, da gab es Ungarn, Italiener, Kroaten, Deutsche, Offiziere, SS, normale Menschen und dann ein Baby Camp. Und als wir das hörten, haben wir sofort unsere Papiere verschwinden lassen und haben gesagt, wir sind viel jünger, daraufhin kamen wir in dieses Baby Camp.
Bei Kriegsende befanden sich rund elf Millionen deutscher Soldaten oder das, was in den letzten Kriegstagen dazu ernannt worden war, in der Lagerhaft der Siegermächte. Sie erlebten, wenn auch der größte Teil bereits in den ersten drei Jahren nach Kriegsende wieder entlassen wurde, mit einer Dauer von fast 17 Jahren die längste Gefangenschaft aller kriegsbeteiligten Mächte (die ersten dieser deutschen Kriegsgefangenen wurden im September 1939 entlassen, die letzten Anfang 1956). Auch die Größenordnung übertraf alle anderen Mächte und historischen Vorbilder. Während des Krieges selbst bedeutete der Augenblick der Gefangennahme die höchste Todesgefahr. Im „Blutrausch“, durch Gleichgültigkeit und Hass oder vereinzelt aufgrund von Befehlen konnten Soldaten oder Verbände wehrlose Gegner einfach umbringen. Auch auf den Transporten in die Lager kamen noch viele Gefangene ums Leben, hauptsächlich im Osten. Nach der Schlacht von Stalingrad starben zehntausende verelendete deutsche Soldaten auf einem langen Marsch bis zu den Verladebahnhöfen. Ähnlich erging es den Verteidigern des letzten US-Stützpunktes auf der philippinischen Halbinsel Bataan. Nach der Kapitulation starben rund 16000 von ihnen auf einem Hundertkilometer-Marsch bis zur Eisenbahnstation. Wer zurückblieb, wurde erschossen, erstochen oder geköpft. Ebenso ermordeten japanische Soldaten man Einheimische, die den unversorgten Gefangenen helfen wollten. Japan hatte die Genfer Konvention von 1929 nicht unterschrieben und fühlte sich daher nicht an die Schutzbestimmungen für Kriegsgefangene gebunden. Anders als im Ersten Weltkrieg behandelte man feindliche Kriegsgefangene, ebenso westliche Ausländer, willkürlich und voller Verachtung. Nach ihrer militaristischen Ideologie betrachtete Japan Soldaten, die nicht bis zum Tode gekämpft hatten, als Versager, ähnlich wie Stalin mit seinen Soldaten verfuhr, die in deutsche Gefangenschaft gerieten. Bei ihrer Rückkehr 1945 gelangten diese in spezielle Filtrierlager, weil man ihnen politisch misstraute. Viele gerieten anschließend in die Straflager des NKWD, nicht wenige wurden erschossen. Alle wurden in der Nachkriegszeit im Alltag lange diskriminiert. Die meisten deutschen Kriegsgefangenen erlebten – außer in der UdSSR – während des Krieges den relativen Schutz der Genfer Konvention und die Rücksichtnahme von Gewahrsamsmächten, die um ihre eigenen Gefangenen besorgt sein mussten, weil diese möglichen deutschen Vergeltungsmaßnahmen ausgeliefert waren. Eine detaillierte Analyse der Kriegsgefangenen-
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Gefangenschaft und Heimkehr
III.
politik der einzelnen Länder zeigt erschreckende Unterschiede, auch und gerade bei Kriegsende, als die Masse der deutschen Kriegsgefangenen anfiel, sowie in der dritten Phase, bei der unterschiedlich langen Inhaftierung nach Kriegsende. Mit der bedingungslosen Kapitulation des Reiches und der Abschaffung einer deutschen Regierung konnten die Siegermächte willkürlich über das Schicksal der Gefangenen entscheiden. Ihre Entschlüsse zum Einsatz von Kriegsgefangenen bei der Minenräumung und als Reparationszwangsarbeiter waren offensichtlich völkerrechtswidrig und gaben später Veranlassung, die internationalen Regelungen zum Schutz von Kriegsgefangenen zu verbessern. Dass die Alliierten inzwischen in neue Konflikte verwickelt waren und um ihre eigenen Soldaten besorgt sein mussten, hat die Bemühungen um eine – zumindest juristische – Besserstellung sicherlich gefördert. Die UdSSR fand schnell den Ausweg, die noch vorhandenen deutschen Kriegsgefangenen einfach als Kriegsverbrecher zu verurteilen und sie als Geiseln und Verhandlungsobjekte bis 1955 zu nutzen. Unterschiede bei der Behandlung deutscher Kriegsgefangener hingen nicht zuletzt auch von den Erfahrungen der jeweiligen Gewahrsamsmacht während des Krieges ab. So konnten sich die Deutschen in den US-Lagern besonders glücklich schätzen, abgesehen von der letzten Kriegsphase, als sich nach der Befreiung der Konzentrationslager die Behandlung durch die Amerikaner für einige Monate dramatisch verschlechterte. Die berüchtigten Rheinwiesenlager sind dafür ein besonders auffälliges Beispiel. Insgesamt gesehen galten daher für die deutschen Kriegsgefangenen die Briten als die fairsten und anständigsten Bewacher, ganz im Gegensatz zu den Franzosen. Hier erlebten die Gefangenen eine Verwaltung, die oft die Lebensbedingungen willkürlich erschwerte, während im Umgang mit der französischen Bevölkerung nach einer hasserfüllten Anfangsphase positivere Erfahrungen gemacht wurden. Die Kriegsgefangenschaft bei den Russen wurde von den deutschen Soldaten am meisten gefürchtet. „Sibirien“ war eine Parole, die auf historische Erfahrungen während des Ersten Weltkriegs zurückgriff, aber einen Schrecken verbreitete, der sich auch aus dem Wissen um die Untaten und Verbrechen speiste, die während des Ostkrieges von den Deutschen begangen worden waren. Im Vergleich mit anderen Gewahrsamsmächten war die Gefangenschaft in der UdSSR sicherlich am härtesten, ebenso wie in dem Ausnahmefall Jugoslawien, wo eine sehr viel kleinere Gruppe von deutschen Kriegsgefangenen extremen Übergriffen ausgesetzt war. Während des Krieges hatten sich Berlin und Moskau am Schicksal der eigenen gefangenen Soldaten völlig desinteressiert gezeigt, was der Willkür gegenüber den fremden Gefangenen keine Grenzen setzte. Die Todesgefahr und die unmenschlichen Lebensbedingungen waren für sowjetische Kriegsgefangene in deutschen Lagern aber ungleich intensiver gewesen. Stalin ließ 1945 keine Rache an deutschen Gefangenen nehmen. Sie waren ihm genauso gleichgültig wie die eigene Bevölkerung, der es in der Masse nicht besser erging als den gefangenen deutschen Soldaten. Sie waren für den sowjetischen Diktator willkommene Zwangsarbeiter für den Wiederaufbau, die auch ernährt werden mussten und vielleicht für den „sozialistischen Aufbau“ in Deutschland selbst ideologisch gerüstet werden konnten.
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Die Soldaten
III.
Im Vergleich zum Ersten Weltkrieg lassen sich zwei neue Tendenzen bei der Behandlung von Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg beobachten. Zum einen wurden sie in einem bis dahin ungewöhnlichen Maße von den Gewahrsamsmächten politisch „bearbeitet“, um sie entweder für den Kriegseinsatz auf der eigenen Seite oder für eine andere politische Ordnung in den Heimatländern nach Kriegsende zu gewinnen. Zum anderen wurde die Zwangsarbeit für Kriegsgefangene in einem extremen Maße ausgeweitet. In Deutschland rechnete man gleich zu Beginn des Krieges mit dem Masseneinsatz feindlicher Kriegsgefangener als unverzichtbare Personalreserve für die eigene Kriegswirtschaft. Bei der Anti-Hitler-Koalition bildeten deutsche Kriegsgefangene in einem unterschiedlichen Maße einen Wirtschaftsfaktor für die unmittelbare Nachkriegszeit. Während die „Gehirnwäsche“ in den späteren Korea- und Vietnamkriegen sogar noch verstärkt wurde, spielte die Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen dann keine große Rolle mehr. Während die aus Kriegsgefangenschaft befreiten Soldaten der Anti-HitlerKoalition bei Kriegsende nach Hause zurückkehren konnten, blieben mehr als zehn Millionen Deutsche für Jahre in Gefangenschaft. Es gab praktisch keine Familie, in der nicht mindestens der Vater oder Sohn einem ungewissen Schicksal ausgeliefert schien. Erst allmählich trafen Nachrichten ein, konnten Lebenszeichen von Vermissten ermittelt werden. Die Siegermächte entließen invalide und kranke Gefangene zuerst, dann Spezialisten, etwa Bergarbeiter für den wichtigen Kohlenbergbau. „Heimkehrer“ wurden für viele Jahre in beiden deutschen Staaten ein gesellschaftliches, oft auch familiäres Problem. Obwohl die staatlichen Fürsorge- und Eingliederungshilfen erheblich verbessert worden waren, litten viele unter körperlichen und seelischen Verletzungen. Die meisten waren zweifellos traumatisiert, doch der Wiederaufbau verlangte alle Kräfte, so dass eine geistige „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit keine Priorität erhielt.
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IV. Kriegsschauplätze 1. Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront Als die französische Militärmacht im Mai/Juni 1940 unerwartet schnell zusammenbrach und auch die Kapitulation Großbritanniens nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, organisierte das Oberkommando des deutschen Heeres die neue Dislozierung und teilweise Demobilisierung der Truppen. Für die Sicherung der deutsch-sowjetischen Interessengrenze stellte man die 18. Armee auf. Es war zunächst eine Routineplanung zur Verteidigung des Reiches. Konkrete Gefahren durch die UdSSR, mit der es eine enge Zusammenarbeit gab, sah man in Berlin nicht, obwohl Stalin sich beeilte, die ihm von deutscher Seite in der Übereinkunft vom 23. August 1939 zugesicherten Gebiete im Baltikum, in Bessarabien und der Bukowina militärisch zu besetzen. Damit arrondierte er sein strategisches Vorfeld. Im Gegenzug hatte er in den vergangenen Wochen der Wehrmacht den Rücken freigehalten, damit diese im Westen zur Offensive übergehen konnte. Im Oberkommando der 18. Armee griff man auf bisherige Pläne zurück, die für den Fall einer veränderten politischen Lage vorgesehen hatten, einen möglichen Angriff der Roten Armee mit geringen Kräften zu verzögern und an der Weichsel zum Stehen zu bringen, um Zeit zu gewinnen, größere operative Kräfte aus dem Westen heranzuführen. Das erinnerte an die Situation von 1914, die Hitlers Generalen wohlvertraut war, seit sie als junge Stabsoffiziere im Kaiserreich ihr militärisches Handwerk gelernt hatten. Es gehörte zum operativen Denken in der deutschen Armee seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als man sich darauf einstellen musste, einen Mehrfrontenkrieg gegen zahlenmäßig stärkere Gegner führen zu müssen. Im Osten halten, um mit der Masse der eigenen Kräfte im Westen schlagen und sich dann nach Osten wenden zu können: das galt als einziges erfolgversprechendes strategisches Konzept. Da ein langer Abnutzungskrieg unbedingt vermieden werden musste, kam es darauf an, die militärische Entscheidung in grenznahen Schlachten durch überraschende Schwerpunktbildung und bewegliche Kampfführung zu erzwingen. Zum Erfahrungshorizont von Hitlers Generalen gehörte es auch, dass die russische Armee zu Beginn des 20. Jahrhunderts drei Mal besiegt worden war: 1905 von den Japanern, 1917 von den Deutschen, 1920 von den Polen. Der Sieg von 1917 war sogar mit den geringen Kräften des deutschen Ostheeres erreicht worden, und vor allem durch eine politische Kriegführung, die den inneren Zusammenbruch des Gegners beschleunigt und die Front für weite Vorstöße nach Osten geöffnet hatte, und zwar ins Baltikum, in die Ukraine und den Kaukasus. Auf die Besetzung Moskaus war verzichtet worden. Der Sieg im Osten hatte 1918 allerdings die Niederlage im Westen nicht verhindern können. Gegen das harte Regime der französischen Siegermacht hatten die deutschen Militärs in den zwanziger Jahren geheime Kanäle nach Osten geöffnet, um durch die Zusammenarbeit mit der Roten Armee die Grundlagen für eine Wiederaufrüstung zu schaffen. Mit seiner Machtübernahme 1933
Ältere Vorstellungen eines Krieges gegen die UdSSR
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Kriegsschauplätze
IV.
hatte Adolf Hitler diese Verbindung abgebrochen und danach getrachtet, möglichst bald den Krieg gegen die UdSSR beginnen zu können. Für dieses Kernstück seines politischen Programms hatte er natürlich weder einen politischen Zeitplan noch ein militärisch-operatives Konzept. In den dreißiger Jahren dachte er an einen Interventionskrieg mit polnischer und japanischer Unterstützung sowie britischer Rückendeckung. Planungen für Hitlers Krieg gegen die UdSSR
Halder-Plan
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Die militärische Führung stellte sich seit 1935 auf einen möglichen Krieg gegen die UdSSR ein, zunächst mit einem defensiven Kriegsbild, seit 1938 auch mit der Möglichkeit offensiver Aktionen. Man konnte sich darauf verlassen, dass in der Mitte Polen mit seinen 50 Divisionen den „antirussischen Schützengraben“ als neutrale oder verbündete Macht halten würde. Die Wehrmacht konnte sich also bei ihren Kriegsspielen und Planungen auf die vertrauten Rollbahnen in das Baltikum und die Ukraine konzentrieren. Dazu schienen die eigenen, begrenzten Kräfte von etwa 50 Divisionen auszureichen, denn die Rote Armee hatte den Zenit ihrer Fähigkeiten durch Stalins Repressalien gegen die Führungsspitze eingebüßt. Die militärischen Kräfte befreundeter Nationen (Estland/Polen) standen schon jetzt nur wenige Kilometer vor Leningrad, Minsk und Kiew. Außerdem war die Eröffnung einer zweiten Front im Fernen Osten durch Japan möglich. Das strategische Ziel wäre ähnlich wie 1918 die Besetzung wichtiger Teile Russlands und die Mobilisierung konterrevolutionärer Kräfte gewesen, im Westen nach Möglichkeit gedeckt durch eine Verständigung mit Großbritannien. 1939 hätte es bereits losgehen können, doch Warschau und London erteilten Hitler eine endgültige Absage. Mit dem Überfall auf Polen schuf er sich dann ein Vorfeld, um nach dem Sieg im Westen die Sowjetunion mit allen Kräften angreifen zu können. Allerdings hatte es Stalin durch seine Verständigung mit Berlin über die Aufteilung Ostmitteleuropas erreicht, sein militärisches Vorfeld um 300 Kilometer nach Westen vorzuschieben, und zwar in jene Gebiete hinein (Baltikum, Ostpolen, Westukraine), in denen der deutsche Geheimdienst gute Verbindungen besaß. Durch die Sowjetisierung dieser Westgebiete wurde die Möglichkeit für die Wehrmacht eingeschränkt, hier im Kriegsfalle Diversionsaktivitäten zu betreiben und die einheimischen Kräfte für sich zu mobilisieren. Das Oberkommando der 18. Armee griff also im Juni/Juli 1940 auf die alten Vorstellungen der Vorjahre zurück. Dazu wurden die zwölf Reservedivisionen ausgewechselt, die bisher als ausreichend angesehen wurden, um bei der Westoffensive der Wehrmacht eine hinreichende Sicherung nach Osten zu gewährleisten. Sie wurden schrittweise durch aktive Divisionen ersetzt. Zusätzlich sollte mit der Heranführung der „Gruppe Guderian“ eine „Schlagkraft“ geschaffen werden, um aus dem Stand heraus begrenzte Schläge entweder in Richtung Baltikum oder Ukraine führen zu können. Gleich nach Beginn eines plötzlichen Überfalls durch die 18. Armee sollten dann etwa 80 weitere Divisionen aus dem Reichsgebiet herangeführt werden, um die begrenzte Offensive abzusichern und zu vollenden. Dann hätte das deutsche Heer „Faustpfänder“ im Besitz gehabt, um der russischen Führung wie 1918 ein neues Brest-Litowsk-Diktat aufzuzwingen. Man ging da-
Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront
IV.
von aus, dass die Rote Armee lediglich über 75 „gute“ Divisionen verfügte, die im Juli 1940 mit der Masse im Baltikum und in der Ukraine stationiert waren. Der Chef des Generalstabs des Heeres, Franz Halder, hielt es für möglich, diese Feindkräfte noch im Sommer/Herbst 1940 mit rund 100 deutschen Divisionen niederzuwerfen und so zu einer schnellen Kriegsentscheidung auch im Osten zu gelangen. Hitler ließ sich am 31. Juli 1940 die bisherigen Überlegungen vortragen, verwarf allerdings Halders Idee eines „kurzen Schlages“. Für den Diktator stand im Augenblick der Kampf gegen Großbritannien im Vordergrund. Deshalb ordnete er an, dass die Wehrmacht erst ab Anfang Mai 1941 in der Lage sein sollte, einen Feldzug gegen die UdSSR zu eröffnen und die Rote Armee mit Stoßkeilen über das Baltikum und die Ukraine bis zu einer Operationslinie Leningrad-Smolensk-Kiew-Dnepr abwärts zu vernichten. Nach der Vereinigung beider Gruppen wäre ein Stoß Richtung Moskau, ein weiterer Richtung Baku möglich. Dafür hielt Hitler 120 Divisionen für notwendig. Kriegstagebuch von Generalstabschef Franz Halder über die Besprechung mit Hitler am 31. Juli 1940 Aus: Müller, Der Feind steht im Osten, S. 218.
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Entschluss: Im Zuge dieser Auseinandersetzung muss Russland erledigt werden. Frühjahr 1941. Je schneller wir Russland zerschlagen, umso besser. Operation hat nur Sinn, wenn wir Staat in einem Zug schwer zerschlagen. Gewisser Raumgewinn allein genügt nicht. Stillstehen im Winter bedenklich. Daher besser warten, aber bestimmter Entschluss, Russland zu erledigen.
Seine Vorstellung einer „großen Lösung“ wich operativ nicht wesentlich von Halders Plan ab. Hitler machte allerdings deutlich, dass er anders als gerade gegen Frankreich durchgesetzt, keine Vichy-Lösung anstrebte, sondern die Zertrümmerung des russischen Staates. Damit würde das Großdeutsche Reich endgültig wirtschaftlich blockadefest und zur unangreifbaren Weltmacht werden. Dann konnten auch die rassenideologischen „Neuordnungs“- und Siedlungspläne des Nationalsozialismus umgesetzt werden, für die Polen bereits zum Experimentierfeld geworden war. Über diese Aspekte sprach der Diktator allerdings mit der Heeresführung erst im März 1941. Im Rückblick ist es erstaunlich, wie gering man in Berlin das militärische Risiko des Unternehmens einschätzte. Die deutsche Rüstung war nach dem Frankreichfeldzug in ihrem Hochlauf gebremst worden, um die Bevölkerung an den Früchten des Sieges teilhaben zu lassen. In den ersten zwei Jahren des Krieges stagnierte die Rüstungsproduktion, weil auch die Wirtschaft nicht mehr mit einem längeren Krieg rechnete und sich die Wehrmachtführung im Streit um die Anteile bei Arbeitskräften, Rohstoffen und Maschinen gegenüber zivilen Bedarfsträgern nachgiebig zeigte. Mit dem Zustrom aus der laufenden Rüstungsproduktion wurde eine Operationsarmee bereitgestellt, die nicht stärker war als die Heeresgruppen, mit denen man Frankreich geschlagen hatte. Dabei verfügte Stalin über das größte Militärpotential der Welt, das sich nach der Beseitigung der alten Führungselite rasch
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Kriegsschauplätze
IV.
Molotow-Besuch
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personell regenerierte und die Kriegserfahrungen des deutschen Partners zu adaptieren versuchte. Dennoch waren sich Hitler und sein Generalstab in diesem Falle einig, dass ein Überfall auf die UdSSR ein „Sandkastenspiel“ sein würde. Mit den deutschen Panzerkorps würde man die Linien der grenznah stationierten Verbände der Roten Armee aufreißen, die Masse der sowjetischen Westfront einkesseln, vernichten und so schnell nach Osten vorstoßen, dass sich keine neue durchgehende Front mehr bilden konnte. Den Rest würden Vorstöße in Richtung Kaukasus und Ural erledigen, um dann eine Militärgrenze ostwärts von Moskau vorzuschieben, die mit geringen Kräften gehalten werden konnte. Die Masse des Ostheeres würde in die Heimat zurückkehren, um die Waffen zu schmieden, mit denen man die angelsächsischen Mächte im globalen Maßstab angreifen könnte. Der strategische Plan war ebenso kühn wie vermessen und ohne jeglichen Rückhalt und Reserven. Der Besuch des sowjetischen Außenministers Molotow am 12./13. November 1940 in Berlin diente der Klärung der beiderseitigen Interessen. Für Hitler war es der Versuch, Moskau zu bewegen, dem Dreimächtepakt beizutreten und so stärker in die anti-englische Koalition einzubinden. Für Stalin war es eine Gelegenheit, herauszufinden, ob Berlin bereit sein würde, wie im Vorjahr territoriale, strategische Zugeständnisse zu machen (z.B. sowjetische Einflussnahme auf Bulgarien und die Türkei, um sich den Zugang zum Schwarzen Meer zu sichern). Da sich Molotow nicht auf Hitlers Hinweis einließ, die sowjetische Außenpolitik sollte sich besser in Richtung des Indischen Ozeans entwickeln, stand für den deutschen Diktator fest, dass durch eine baldige militärische Lösung die Ostfrage am besten zu klären sei. Er unterzeichnete am 18. Dezember 1940 die Weisung Nr. 21 „Fall Barbarossa“ und legte fest, dass die Wehrmacht bereit sein müsse, auch vor Beendigung des Krieges gegen England die UdSSR in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen. Für die Sicherung des Hinterlandes hatte die Heeresführung zunächst auf eine herkömmliche Militärverwaltung nach dem Modell von 1918 gesetzt, die durch die Bewaffnung einheimischer Nationalisten unterstützt werden sollte. Auch hier griff Hitler mit seinen Anweisungen vom März 1941 viel weiter. Da das Heer in einem Zuge bis zum Ural vorstoßen sollte, würden nicht genügend Einheiten zur Sicherung des riesigen Hinterlandes zur Verfügung stehen. Das sollte nach Hitlers Willen Himmlers Polizei und SS übernehmen. Befehl des Befehlshabers der Panzergruppe 4, Generaloberst Hoepner, zur bevorstehenden Kampfführung im Osten, vom 2. Mai 1941 Aus: Ueberschär/Wette (Hg.), „Unternehmen Barbarossa“, S. 305. Der Krieg gegen Russland ist ein wesentlicher Abschnitt im Daseinskampf des deutschen Volkes. Es ist der alte Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muss die Zertrümmerung des heutigen Russland zum Ziele haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden. Jede Kampfhandlung muss in Anlage und Durchführung von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein. Insbesondere gibt es keine Schonung für die Träger des heutigen russisch-bolschewistischen Systems.
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Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront Um dem Schockangriff jegliches Risiko zu nehmen und den Zusammenbruch des Sowjetregimes zu beschleunigen, sollte jeglicher Anschein von Widerstand in der Bevölkerung mit brutalsten Methoden unterdrückt, die kommunistische Führungselite liquidiert und die männliche jüdische Bevölkerung ermordet werden. Dieser Feldzug musste nach Hitlers Willen als rücksichtsloser Vernichtungs- und Ausbeutungskrieg geführt werden, was eine Verschärfung und Radikalisierung der bisherigen deutschen Kriegführung bedeutete und von der militärischen Führung trotz mancher Bedenken mitgetragen wurde. Sie übernahm es, durch einige grundlegende Befehle („Kriegsgerichtsbarkeitserlass“, „Kommissarbefehl“) die Truppen darauf einzustellen, dass der Krieg im Osten anders als bisherige Feldzüge auch unter Missachtung des Kriegsvölkerrechts geführt wurde. Ihre Hoffnung auf eine Art von Arbeitsteilung, bei der die „schmutzige Arbeit“ von der SS erledigt werden würde, sollte sich bald als Illusion erweisen. Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare vom 6. Juni 1941 Aus: Ueberschär/Wette (Hg.), „Unternehmen Barbarossa“, S. 313f.
IV. Hitlers verbrecherische Befehle
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Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muss daher sofort und ohne Weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden. Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen.
Hitlers Ostarmeen marschierten unter größter Geheimhaltung auf, und Stalin ließ trotz vielfältiger Warnungen seines eigenen Geheimdienstes bis zur letzten Minute kriegswichtige Lieferungen über die deutsche Grenze rollen. Militärisch war die Eröffnung des Feldzugs ein voller Erfolg. Den rund 3 Millionen Soldaten des deutschen Ostheeres standen 625000 Pferde, 600000 Kraftfahrzeuge, 3648 Panzer und 7146 Artilleriegeschütze zur Verfügung. Bei qualitativ und quantitativ unterschiedlicher Ausrüstung und personeller Kampfkraft waren sie in 3 Heeresgruppen mit zusammen 10 Armee-Oberkommandos und 4 Panzergruppen gegliedert, insgesamt 150 Divisionen. Ihnen standen in den westlichen Militärbezirken der Sowjetunion gleich starke Kräfte direkt gegenüber, etwa die Hälfte der sowjetischen Gesamtstreitkräfte. Auf deutscher Seite standen zusätzlich etwa 600000 Mann verbündeter Truppen zur Verfügung. Man rechnete nicht damit, dass es dem Sowjetstaat gelingen könnte, den deutschen Überfall zu überstehen und die Kräfte der gesamten UdSSR zu mobilisieren. Deshalb hielt man es auch für unnötig, auf den alten Plan zurückzugreifen und durch Japan eine zweite Front im Fernen Osten eröffnen zu lassen. Es schien ausreichend zu sein, die Front um die Einbeziehung Finnlands, Ungarns und Rumäniens zu erweitern und so die Westgruppe der Roten Armee an einer mehr als 2000 Kilometer langen Grenze zu binden, um dann im Zentrum den Durchbruch zu erzwingen. Halder setzte jetzt im Sinne von Clausewitz darauf, den Krieg durch die Einnahme der feindlichen Hauptstadt zu gewinnen. Dass Hitler andere Prioritäten im Sinne hatte, die Sicherung wirtschaftsstrategischer Vorteile, die im Baltikum, in der Ukraine, im Donez-Gebiet und im Kaukasus lagen, ignorierte der Generalstabschef stillschweigend. So waren im Plan „Barbarossa“ Wider-
Blitzkriegsarmee
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Kriegsschauplätze
IV.
sprüche angelegt, die bald nach dem 22. Juni 1941 zu einer Führungskrise führten und den Keim der Niederlage in sich trugen. Die Sommeroffensive 1941 Mit einem gewaltigen Feuerschlag ab 3 Uhr wurden die sowjetischen Grenztruppen größtenteils im Schlaf überrascht. Den ersten Angriff führte Görings Luftwaffe. Für die Erringung der Luftherrschaft als wichtigster Voraussetzung für die Blitzkriegsstrategie standen ihr 3904 Maschinen zur Verfügung, was etwa der Hälfte der sowjetischen Luftstreitkräfte entsprach. Diese wurden auf den Frontflugplätzen völlig überrascht. Am ersten Angriffstag wurden nach deutschen Angaben 1811 Maschinen zerstört, bis zum Ende der Grenzkämpfe am 12. Juli 1941 insgesamt 6857. Görings „Adler“ beherrschten zunächst den Luftraum, bombten den Stoßkeilen des Heeres den Weg frei, verhinderten Ausbrüche eingeschlossener Verbände der Roten Armee und verzweifelte Gegenangriffe. Diese Aufgabe band bei steigenden eigenen Verlusten alle Kräfte, so dass ein strategischer Luftkrieg gegen das sowjetische Hinterland und die Rüstungszentren nur begrenzt möglich war.
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Erster sowjetischer Heeresbericht vom 23. Juni 1941 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, S. 377. In der Frühe des 22. Juni griffen die Truppen der regulären deutschen Wehrmacht unsere Grenzstreitkräfte auf der ganzen Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer an. Sie wurden von uns während des ersten Teils des Tages aufgehalten. Zu Beginn des Nachmittags traten die deutschen Truppen neuerdings mit den Vorhuten der Sowjetarmee in Fühlung. Nach erbittertem Kampf wurde der Feind mit für ihn schweren Verlusten abgewehrt.
Verlustreiche Sommerschlachten
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Die stärkste deutsche Angriffsformation war die Heeresgruppe Mitte, deren Speerspitzen zwei Panzergruppen mit Eliteverbänden bildeten. Sie durchbrachen in Zusammenarbeit mit der Luftwaffe immer wieder durch überraschende Schwerpunktbildung die sowjetischen Linien und stießen weit in die Tiefe des Hinterlandes vor. Widerstandszentren wie die Festung Brest wurden umgangen und der Infanterie überlassen. Die Zange schloss sich dann hinter den sowjetischen Hauptkräften, die von den Fußtruppen zumeist in mühsamen und blutigen Kämpfen vernichtet oder zur Kapitulation gezwungen wurden, während die Panzerverbände bereits in kühnen Vorstößen den nächsten Kessel zu bilden versuchten. In den ersten Wochen war die Rote Armee nicht in der Lage, die deutschen Armeen zu stoppen. Beide Seiten erlitten in den Kesselschlachten schwere Verluste. Stalin, dem entgegen deutschen Erwartungen die Mobilisierung der Kräfte seines Riesenreiches gelang, konnte immer neue Divisionen aus dem Boden stampfen, während das deutsche Ostheer aus der Substanz leben musste, weil Hitler Reserven für die geplanten Feldzüge gegen die angelsächsischen Mächte zurückhielt. Der deutsche Generalstab hoffte, die Masse der sowjetischen Westarmeen vor der Dnepr-Linie vernichten zu können, um dann den Weg für den
Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront
IV.
Stoß in die Tiefe des Raums frei zu haben. Da Halder nicht sicher war, ob die Rote Armee tatsächlich die Grenze verteidigen würde, wollte er den ersten Kessel möglichst weit abstecken. Bei Bialystok-Minsk gelang den vorwärtsdrängenden Panzerkräften keine völlige Einschließung, der zurückbleibenden Infanterie keine völlige „Ausräumung“ und Vernichtung. Große Teile des Gegners entkamen und tauchten teilweise in den Wald- und Sumpfgebieten unter. Hier begann der Partisanenkrieg, zunächst noch sporadisch, und lieferte den SS- und Polizeiverbänden Vorwände für Vernichtungsaktionen, die ohnehin geplant waren. Brief des Rotarmisten Sachar Lwowitsch Herzewin im Frontgebiet 1941 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 131.
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Die Partisanen rauchten gelassen und lauschten den Nachtgeräuschen der Front. Es waren wichtige Minuten in ihrem Leben. Minuten, die man ewig in der Erinnerung behält […] Vorläufig saßen sie noch friedlich am Dorfrand bei den Katen neben der Roten Armee. In vierzig Minuten werden sie sich im Walde verbergen und die faschistischen Kolonnen vorbeilassen.
Bei der am 9. Juli 1941 beendeten Schlacht wurden nach deutschen Angaben 4 sowjetische Armeen geschlagen. Die deutschen Unterlagen geben an, dass 1809 Geschütze und 3332 Panzer zerstört oder erbeutet sowie 323898 Gefangene eingebracht werden konnten. Halder nahm an, dass damit der Ostfeldzug im Wesentlichen entschieden sei. Das OKW ließ Hitler am 14. Juli einen Befehl unterzeichnen, um die Rüstung auf die Produktion von U-Booten und Flugzeugen zu konzentrieren, zu Lasten des Heeres. Dabei konnten die Panzerverbände erst verspätet auf Smolensk antreten. Sie sollten den Aufbau einer neuen Front vor der Heeresgruppe Mitte verhindern. Doch das misslang. Der Feind hatte Zeit gewonnen und neue Kräfte herangeführt. Schwere Gewitter behinderten tagelang den Vormarsch der Deutschen, die sich auf zunehmende Verluste einstellen mussten. Aus dem Sumpfgebiet des Pripjat, das man bei der Planung bewusst ignoriert hatte, unternahm die Rote Armee heftige Gegenangriffe. Guderians Panzergruppe 2 wurde an ihrem rechten Flügel immer wieder aufgehalten und von der Angriffsrichtung, der Moskauer Chaussee, abgelenkt. Der Übergang über den Dnepr gelang zwar, aber der Frontbogen von Jelnja, Ausgangsbasis für den Angriff auf Moskau, konnte gegen heftige sowjetische Attacken nur mühsam gehalten werden. Hier kam es zu einem wochenlangen Stellungskrieg – ein schwerer Rückschlag für den Plan „Barbarossa“. Die nördlich der Autobahn eingesetzte Panzergruppe 3 konnte am 24. Juli 1941 den Kessel von Smolensk schließen. Obwohl auch hier der Ausbruch größerer Kräfte nicht verhindert werden konnte, wurden immerhin 3 sowjetische Armeen zerschlagen, 310000 Gefangene gemacht und 3205 Panzer sowie 3120 Geschütze zerstört oder erbeutet. Nun rechnete man auch in den alliierten Hauptquartieren mit einem unmittelbaren russischen Zusammenbruch. Doch der Feind setzte sich vor der Heeresgruppe Mitte wieder fest und führte den Kampf erbittert fort. Die deutschen Angriffskräfte waren erschöpft und die anderen Heeresgruppen hingen noch weit zurück. Der erste Schlag der Wehrmacht hatte der Roten Armee also schwere Niederlagen eingebracht, aber nicht deren „lebendige Kräfte“ zerstört. Die
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Kriegsschauplätze
IV.
Kulminationspunkt der deutschen Offensive
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Umsetzung eines operativen Blitzkrieges erwies sich nach dem Abflauen des Überraschungseffekts als komplizierter und riskanter als erwartet. Der Vormarsch verlangsamte sich, die eigenen Verluste nahmen zu. In den ersten fünf Wochen hatte das deutsche Ostheer fast ein Viertel seiner wertvollen Panzerwagen verloren (850). Hinsichtlich der Kriegserfahrung und Führungskunst zeigte sich die Wehrmacht weiterhin überlegen, obwohl die Rote Armee überraschende neue Kriegstechnik, insbesondere den T 34, in großer Zahl einsetzen konnte. Der Widerstand der Roten Armee ließ aber nicht nach. Die Siegeszuversicht der Deutschen war zwar immer noch groß, doch in der Heeresführung war man gereizt und nervös. Der Streit um die Fortsetzung der Operationen warf seine Schatten voraus. So überschritt die Wehrmacht bereits im August 1941 den Kulminationspunkt ihres Angriffs, ohne daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Hitler verlagerte den Schwerpunkt in Richtung Ukraine, um sich die sowjetischen Wirtschaftszentren anzueignen und dann doch noch einmal in Richtung Moskau anzutreten, worauf Halder immer wieder drängte. Noch glaubte Hitler, die ursprünglichen Zielsetzungen erreichen zu können, indem er selbst die Operationsführung in die Hand nahm. Gegen die Auffassung der Heeresführung entschied er sich, den Vormarsch auf Moskau zu unterbrechen. Im Baltikum war die Heeresgruppe Nord rasch in Richtung Leningrad vorgestoßen. Hier schien die Rote Armee schwer angeschlagen und zudem von der finnischen Armee in ihrem Rücken bedroht. Doch die Finnen waren nur an der Rückeroberung der im Winterkrieg 1939/40 verlorenen Gebiete interessiert. Leningrad überließen sie den Deutschen. Kriegstagebuch des Oberquartiermeisters der 18. Armee, Eintrag am 3. Oktober 1941, über die Frage der Versorgung der Bevölkerung im Raum Leningrad Aus: Museum Berlin-Karlshorst, Erinnerungen an einen Krieg, S. 120. Gen.Qu. hat für Petersburg alle vorbereitenden Maßnahmen zur Versorgung der Zivilbevölkerung abgelehnt. Jeder Verpfl.-Zug aus der Heimat verknappt dort die Lebensmittel. Besser ist unsere Angehörigen haben etwas und die Russen hungern. Auch Zuführung von Lebensmitteln z.B. aus der Ukraine ist gesperrt.
Hitlers Eingriff in den Operationsplan
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Aber auch Hitler zeigte kein Interesse an der Keimzelle der bolschewistischen Revolution, obwohl er die strategische Bedeutung Leningrads für die vollständige Kontrolle der Ostsee anerkannte. So befahl er die Auslöschung der Metropole durch eine Belagerung und Aushungerung. Eine Kapitulation sollte nicht angenommen werden. Die Stadt würde er später unter Wasser setzen, kündigte Hitler an. Auch am nördlichsten Punkt der Ostfront, vor Murmansk, fehlte es an Kräften, um den wichtigen Hafen einzunehmen und damit die Versorgungsroute zu den Alliierten zu unterbrechen. Vor Leningrad fehlten der Heeresgruppe Nord die Panzerkräfte für eine schnelle Einnahme der Stadt, weil Halder – entgegen der ursprünglichen Planung – die Panzergruppe 3 nicht aus der zentralen Kräftemassierung Richtung Moskau abgeben wollte und die Heeresgruppe Nord ihre eigene Panzergruppe 4 sogar ans Zentrum abgeben musste. Diese Entscheidung stand im Zusammenhang mit Hitlers Eingriff in die Operationsführung, der die Panzergruppe 2 aus dem Zentrum nach Süden
Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront
IV.
zur Eroberung der Ukraine abzog. Gegen den Widerspruch der Heeresführung nahm Hitler den Stillstand bei der Heeresgruppe Mitte in Kauf. Dafür konnten bei Kiew in der größten Kesselschlacht der Geschichte 5 sowjetische Armeen zerschlagen werden. Die Deutschen machten 665000 Gefangene, erbeuteten bzw. zerstörten 3018 Geschütze, 884 Panzer und 418 Pak. Die deutsche Propaganda verkündete nun das kurz bevorstehende Ende des Ostkriegs. Gleichzeitig vollzog die Sicherheitspolizei mit Unterstützung der Wehrmacht in Kiew nach Anschlägen des NKWD das größte Einzelmassaker im Rahmen des Holocaust. In der Schlucht bei Babi Yar wurden mehr als 33000 jüdische Menschen innerhalb von zwei Tagen systematisch erschossen. Ereignismeldung UdSSR Nr. 106 des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 7. Oktober 1941 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 312. Die Bevölkerung erwartete deshalb von den deutschen Behörden entsprechende Vergeltungsmaßnahmen. Aus diesem Grunde wurden in Vereinbarung mit dem Stadtkommandanten sämtliche Juden Kiews aufgefordert, sich am Montag, den 29. 9. bis 8.00 Uhr an einem bestimmten Platz einzufinden. Diese Aufrufe wurden durch die Angehörigen der aufgestellten ukrainischen Miliz in der ganzen Stadt angeschlagen. Gleichzeitig wurde mündlich bekanntgegeben, dass sämtliche Juden Kiews umgesiedelt würden. In Zusammenarbeit mit dem Gruppenstabe und 2 Kommandos des Polizeiregiments Süd hat das Sonderkommando 4a am 29. und 30.9. 33771 Juden exekutiert. Geld, Wertsachen, Wäsche und Kleidungsstücke wurden sichergestellt und zum Teil der NSV zur Ausrüstung der Volksdeutschen, zum Teil der kommissarischen Stadtverwaltung zur Überlassung an bedürftige Bevölkerung übergeben.
Q Massenmord in Babi Yar
Während Guderians Panzer aus der Schlacht heraus wieder zur Heeresgruppe Mitte zurückkehrten und dort sofort die Hauptlast der nächsten Offensive tragen mussten, hatten die geschwächten Kräfte der Heeresgruppe Süd Mühe, den Aufbau einer neuen sowjetischen Front im Süden zu verhindern. Mit beginnendem Herbstwetter verlangsamte sich der Vormarsch in Richtung Charkow. Die 6. Armee gelangte nur bis an den Rand des Industriereviers. Lediglich nördlich des Asowschen Meeres konnte Anfang Oktober 1941 eine weitere sowjetische Armee vernichtet werden. Die Panzergruppe 1 war aber zu schwach, um bis in den Kaukasus vorstoßen zu können. Sie erreichte mit letzter Kraft Rostow und wurde nach zwei Tagen durch eine sowjetische Gegenoffensive wieder hinausgeworfen. Damit lag – wie die Heeresgruppe Nord – auch die Heeresgruppe Süd erschöpft fest und musste sich sogar auf einen partiellen Rückzug einstellen. Hitler hatte sich nach dem Erfolg in der Ukraine auf die Fortsetzung des Angriffs auf Moskau eingestellt. Dafür standen im Oktober 1941 als Stoßkraft nunmehr drei, wenn auch stark abgekämpfte Panzergruppen bereit. Mit seinem Aufruf an die Soldaten der Ostfront am 2. Oktober forderte Hitler zur letzten Kraftanstrengung auf. Dass seine Erklärungen über bereitstehende Vorräte und Verstärkungen Lügen waren, konnten die wenigsten durchschauen. Das scheinbar nahe Ende der Strapazen mobilisierte aber noch einmal Kommandeure und Landser. Sie wussten auch nichts über die
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Kriegsschauplätze
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Stalin bleibt in Moskau
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gewaltigen Verstärkungen auf der Feindseite, wo Stalin 16 Armeen in zwei Staffeln zur Verteidigung bereitgestellt hatte. Die massiv ausgebauten Verteidigungsstellen hielten freilich dem deutschen Ansturm nicht stand. In der Doppelschlacht von Wjasma-Brjansk wurden bis zum 20. Oktober 1941 fast 9 sowjetische Armeen vernichtet. 673000 Rotarmisten gingen in Gefangenschaft, 1242 Panzer und 5412 Geschütze wurden zerstört oder erbeutet – ein Erfolg, der die Größenordnung von Kiew wiederholte. Halder ging große Risiken ein, um den Gegner zu verfolgen, und wollte möglichst konzentriert auf Moskau vorstoßen. Hitler bestand aber auf einer weiten Umfassung, um günstige Winterstellungen außerhalb der Metropole zu erreichen, die das gleiche Schicksal wie Leningrad erleiden sollte. Die deutschen Angriffskräfte wurden so aufgespalten und zusätzlich geschwächt. Der erneute Durchbruch der Deutschen hatte in Moskau einen Schock ausgelöst. Es gab Panikerscheinungen, Partei- und Regierungsstellen verließen seit dem 16. Oktober die Stadt. Für kurze Zeit gab offenbar auch Stalin die Hauptstadt verloren. Sein einsamer Entschluss, in der Hauptstadt zu bleiben und den Kampf fortzusetzen, ist in seiner welthistorischen Bedeutung kaum zu überschätzen. Der neue Oberbefehlshaber der Westfront, Armeegeneral Georgi K. Schukow, sorgte mit brutalsten Mitteln für die Errichtung einer zweiten Schutzstellung bei Moschaisk. Entgegen den deutschen Erwartungen gelang es ihm, zusätzliche Kräfte aus der Stadt zu mobilisieren. Zu den schlecht bewaffneten Arbeiterbataillonen kamen Verstärkungen aus anderen Regionen der UdSSR, die über das Eisenbahnzentrum Moskau rasch an die Front verlegt werden konnten. Die witterungsbedingte Versorgungskrise nahm unterdessen auf deutscher Seite dramatische Ausmaße an. Nach Schneetreiben und Frost behinderten vorerst starkes Tau- und Regenwetter den Vormarsch. Heftige Gegenangriffe sorgten für starke Verluste. Heinrich Böll am 28. November 1941 an seine Frau Quelle: Böll, Briefe aus dem Krieg 1939–1945, Bd. 1, S. 264. Den Frieden kann ich mir gar nicht vorstellen, es ist unmöglich, vielleicht bin ich deshalb so aufgerieben und erschöpft, weil ich immer und immer wieder dieses Unmögliche versucht habe; in dem Buch von Wiechert ‚Jedermann‘ habe ich ein aufschlussreiches Wort gelesen, da steht: ‚Wer vom Krieg erzählen will und erzählt von Trommelfeuer und Granaten, der ist ein Narr, und wer von der Liebe erzählen will und erzählt von Küssen, der ist ein Narr; der Krieg, mein Klaus, der Krieg ist, dass wir keine Heimat und keine Mutter mehr haben, und dass unsere Herzen leer sind […] Ist das nicht wirklich einleuchtend, eine ganz unsagbar tiefe Erklärung, so ist es ganz gewiss.
Die Wende vor Moskau Im OKH setzte man aber auf die moralische Überlegenheit der eigenen Soldaten und forderte eine letzte Willensanstrengung. In völliger Fehleinschätzung des Gegners glaubte Halder, die Reste der Roten Armee im Raum Moskau vernichten und die Initiative zu weiteren Vorstößen in der Hand behalten zu können. Der „härtere Wille“ werde sich durchsetzen. Doch Anfang Dezember mussten alle Angriffe eingestellt werden. An einigen Stellen hatte man immerhin den Stadtrand erreicht, der Kreml schien zum Greifen nahe.
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Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront In diesem Augenblick traf die lang vorbereitete strategische Gegenoffensive der Roten Armee die Wehrmacht mindestens so überraschend wie der deutsche Überfall am 22. Juni 1941 die Russen. Bis Ende November hatte Stalin elf neue Armeen dafür bereitgestellt. Die Verbände der sibirischen Fernost-Armee waren sein größter Trumpf, den er einsetzen konnte, weil ihm sein Spion Richard Sorge aus Tokio bestätigte, dass die Japaner nicht in den Krieg eingreifen, sondern sich nach Süden gegen Briten und Amerikaner wenden würden. Der Diktator entwickelte große Erwartungen. Er wollte die Blitzkriegstaktik der Wehrmacht kopieren und die deutschen Hauptkräfte nicht nur vor Moskau, sondern auch im Norden und Süden einkesseln und vernichten und so eine schnelle Entscheidung des Kriegs herbeiführen. Die am 5. Dezember 1941 aufgenommene Offensive erzielte angesichts der extremen Wetterbedingungen erste Erfolge. Es gelang freilich nicht, größere deutsche Truppenteile einzukesseln. Bis zu 150 Kilometer tiefe Einbrüche wurden vor allem an der Naht zwischen den deutschen Heeresgruppen Nord und Mitte erzielt. Doch die sowjetischen Eliteverbände wurden schlecht versorgt und geführt. Sie strandeten erschöpft vor einzelnen deutschen Widerstandszentren. Auch Stalin erkannte nicht den Kulminationspunkt seiner Offensive. Als diese am 5. Dezember 1941 begann, hatte Hitler gerade die Verlegung seiner stärksten Luftflotte von Moskau in den Mittelmeerraum befohlen und den Japanern uneingeschränkte militärische Hilfe zugesagt, ohne die Lage im Pazifik zu kennen. Zwei Tage später war der Angriff auf Pearl Harbor erfolgt und am 11. Dezember die deutsche Kriegserklärung an die USA. In dieser Situation hatte sich die Ausweichbewegung vor Moskau zu einer dramatischen Krise entwickelt. Der Mangel an Reserven, die Erschöpfung der Truppen und der Verlust einer großen Masse an Fahrzeugen und Gerät ließen kaum Gegenmaßnahmen zu. Hitler griff zu drastischen Haltebefehlen, als er den Eindruck gewann, dass Guderian und andere Befehlshaber nicht die notwendige Härte bewiesen, die Truppen auch in aussichtsloser Lage zum Durchhalten zu zwingen. Zwei Dutzend Oberbefehlshaber und Kommandeure wurden versetzt oder beurlaubt. Am 19. Dezember 1941 löste Hitler Brauchitsch ab und übernahm selbst den Oberbefehl über das Heer. Die „Generalskrise“ war rasch überwunden. Hitler konnte glauben, als Einziger „eiserne“ Nerven bewahrt zu haben. Dass es der Wehrmacht gelang, trotz der Rückschläge vor Moskau die Ostfront zu halten, vermittelte auch den Soldaten bald wieder Zuversicht. Der Abnutzungskrieg, den die Militärs seit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs unbedingt vermeiden wollten, war seit Dezember 1941 Realität. Mit dem Blitzkrieg gegen die UdSSR hatte er aber trotz aller militärischen Erfolge gegen die Rote Armee entscheidende Ziele nicht erreicht: den Widerstandswillen des Sowjetregimes zu brechen, eine mögliche Militärgrenze ostwärts von Moskau einzunehmen sowie das kriegswichtige Erdöl im Kaukasus in die Hand zu bekommen.
IV. Die Wende vor Moskau
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Kriegsschauplätze
IV.
Die deutsche Sommeroffensive 1942 und die Wende bei Stalingrad Der Kampf um das Öl des Kaukasus
Stalingrad
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Der erzwungene Übergang in die strategische Defensive und in einen Abnutzungskrieg gegen eine globale Koalition kam nach Hitlers Kalkül zu früh. Seine „Festung Europa“ war noch längst nicht vollendet. Um das kurze Zeitfenster vor einem Eingreifen der USA auf den Kontinent auszunutzen, wollte er mit einer zweiten Sommeroffensive im Osten das lebenswichtige Kaukasus-Öl in die Hand bekommen, zugleich damit die Kriegswirtschaft der UdSSR lahmlegen und deren wichtigen Versorgungsstrang über Iran für angelsächsische Hilfslieferungen kappen. Das angeschlagene deutsche Ostheer konnte mit Hilfe einer neuen Rüstungspolitik so weit wieder ausgestattet werden, dass zumindest die Heeresgruppe Süd zum Angriff anzutreten vermochte. Gleichzeitig musste Hitler Kräfte bereitstellen, um Rommels Offensive in Nordafrika zu unterstützen, und im Osten zersplitterte er seine Kräfte. So beließ er eine Konzentration von mehr als 20 Divisionen im Vorfeld von Moskau und schickte die 11. Armee Mansteins nach der Eroberung von Sewastopol quer zur Front nach Norden, um Leningrad einzunehmen. Den Panzerkorps im Süden gelang es aber nicht, die sowjetische Front – wie im Vorjahr – mit großen Kesselschlachten weit genug aufzureißen. Der Gegner zog sich wider Erwarten rechtzeitig zurück. Der zeitweilige Benzinmangel verzögerte den Vormarsch der motorisierten Truppen. Der Vorstoß in den Kaukasus wurde zudem durch Hitlers fatale Entscheidung geschwächt, die Heeresgruppe aufzuspalten und mit größeren mobilen Kräften direkt die Stadt anzugreifen, die Stalins Namen trug. Aus dem Prestigeduell der beiden Diktatoren entwickelte sich am Jahresende die bis dahin größte Katastrophe der deutschen Militärgeschichte, der Untergang einer kompletten Armee (6. Armee und Teile der 4. Panzerarmee) auf dem Schlachtfeld. Hitler hatte, um Kräfte für den Ansatz auf Baku und Stalingrad freizumachen, die lange Flanke am Don mit wenig kampfkräftigen Armeen seiner Verbündeten besetzt. Stalins Gegenoffensive ab 19. November zerschlug die Rumänen, Ungarn und Italiener und gefährdete mit der Einkesselung der 6. Armee die gesamte deutsche Südfront. Brief von Kurt Reuber am 7. Januar 1943 aus der „Festung Stalingrad“ Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 274. Kaum eine irdische Hoffnung mehr, den sicheren Tod vor Augen oder ein Schrecken ohne Ende in Gefangenschaft, irgendwo im Raum aller Unbarmherzigkeit. – Wir wissen nun, was sich um uns ereignet hat. Anfängliche Hoffnung auf eine baldige Wende hat sich zerschlagen, wir wissen, dass wir noch lange aushalten müssen. Soweit es menschenmöglich ist, ist es mir bisher gelungen, innerlich aufrecht zu bleiben und nicht drohenden Verzweiflungsgedanken zu verfallen. – Wir haben uns tief in die Erde eingegraben, die wir so unendlich lieben. Alles andere weiß ich im ewigen Schicksalswillen eingeschlossen. Du ahnst nicht, was diese dunkelste Zeit für ein Menschenleben bedeutet, diese Prüfungen müssen sich segnend an uns auswirken.
Die größte Winteroffensive während des Zweiten Weltkriegs hatte ein Loch von 250 Kilometer Breite in die deutsche Front gerissen. Dennoch zögerte Hitler lange mit der Zurücknahme der exponierten Heeresgruppe A aus
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Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront dem Kaukasus mit ihren 20 Divisionen. Er verweigerte ebenso den Ausbruch der 6. Armee in etwa der gleichen Stärke. Auf den Zugriff auf die kaukasischen Ölquellen konnte er seiner Einschätzung nach nicht verzichten, wenn er den Krieg gewinnen wollte. Mansteins schwache Gegenoffensive zur Öffnung eines Korridors nach Stalingrad scheiterte. Hitler vertraute auf die Luftversorgung, die Göring ihm versprochen hatte, aber die 6. Armee hungerte und erlag den sowjetischen Angriffen. Dass der Oberbefehlshaber Friedrich Paulus mit zahlreichen Generalen und rund 110000 Mann in Gefangenschaft ging, statt sich zu erschießen, hat Hitler als Menetekel für den drohenden Untergang seines Reiches verstanden. Er misstraute seinen Generalen jetzt mehr denn je und griff immer stärker in deren Operationsführung ein. Nur mit Mühe gelang es, im Frühjahr 1943 die weit zurückgedrängte Ostfront wieder zu stabilisieren. Manstein konnte im März mit einer kühnen Gegenoperation im Süden die sowjetischen Angriffsspitzen abschneiden und vernichten. Durch die Verkürzung der Frontlinien vor Moskau und Leningrad konnten diese Abschnitte stabilisiert und Reserven von über 20 Divisionen herausgezogen werden. Gleichzeitig mussten aber starke Kräfte bereitgestellt werden, um der Landung von US-Streitkräften in Algerien zu begegnen, die zusammen mit den siegreich von El-Alamein vorrückenden Briten die deutsch-italienische Heeresgruppe unter der Führung von General Rommel im Brückenkopf Tunis einschlossen und zur Kapitulation zwangen. In Berlin hatte Propagandaminister Joseph Goebbels mit einer demagogischen Rede am 18. Februar 1943 das deutsche Volk zum „totalen Krieg“ aufgerufen. Dem NS-Regime gelang es, der zunehmend kriegsmüden Bevölkerung noch einmal neue Opfer abzuverlangen und eine innere Geschlossenheit zu bewahren. Attentatsversuche der militärischen Opposition scheiterten. Hitlers Durchhaltestrategie setzte im Westen auf eine Ausweitung des U-Boot-Krieges, den Bau des Atlantikwalls und die Vorbereitung des Einsatzes von modernen Flugkörpern („Wunderwaffen“), im Osten auf einen Abnutzungskrieg, mit dem der Roten Armee möglichst so große blutige Verluste beigefügt würden, dass die Kriegführung Stalins erlahmte.
IV.
Aufruf zum Totalen Krieg
Die Sommeroffensiven 1943 Das „Unternehmen Zitadelle“ war Anfang Juli 1943 ein Frontalangriff auf den stark befestigten Frontbogen von Kursk, mit dem deutsche Verbände gegen einen zahlenmäßig deutlich überlegenen Gegner antraten. Den Angriffstermin hatte Hitler mehrfach verlegt, um eine größere Zahl der neuen Panzermodelle Tiger und Panther einsetzen zu können. Ziel der Offensive war es, der Roten Armee möglichst große Verluste zuzufügen, damit auch die Front im Süden zu stabilisieren und strategische Reserven für den Kampf an mehreren Fronten zu gewinnen. Hitler verzichtete also auf den Überraschungseffekt und vertraute darauf, dass es der Wehrmacht trotzdem gelingen würde, wie in den Vorjahren durch die Zusammenfassung starker Panzer- und Luftwaffenverbände die sowjetische Verteidigung zu durchbrechen und die Zange im Raum Kursk zu schließen. Die militärische Aufklärung hatte allerdings nur einen Teil der weit überlegenen sowjetischen Kräfte er-
Letzte deutsche Sommeroffensive
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Kriegsschauplätze
IV.
kennen können. Sie standen bereit, nach einem deutschen Angriff das Gesetz des Handelns in die Hand zu nehmen.
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Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, Eintrag vom 15. Juli 1943 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 388. Im Raum von Kursk gewann der eigene Angriff gegenüber sehr zähem feindlichem Widerstand nur langsam Boden. Mehrere feindliche Gegenangriffe wurden abgeschlagen.
Kampf um den „Ostwall“
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Nach Anfangserfolgen und schweren eigenen Verlusten brach Hitler den Angriff ab. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Alliierten inzwischen in Sizilien gelandet waren und Kräfte zu ihrer Abwehr verlagert werden mussten. Daraufhin trat die Rote Armee wie mit einer Lawine zu eigenen Offensiven an. Diese führten für die Deutschen zum Verlust der Ukraine, deren Ausbeutung nach Hitlers Willen das wirtschaftliche Rückgrat seines „Ostwalls“ bilden sollte. Die wenigen deutschen Panzerdivisionen mussten an der gesamten Ostfront als „Feuerwehr“ hin und her rochieren, wo sie in Begegnungsgefechten oft vorübergehende taktische Erfolge erzielen konnten. So war es möglich, die sowjetischen Angriffe zumindest so weit aufzufangen, dass sich die Wehrmacht schrittweise nach Westen zurückziehen konnte und dem Gegner dabei ein Mehrfaches gegenüber den eigenen Verlusten zufügte. Rückhalt sollte die Dnepr-Linie bieten. Doch Hitler wollte auf die wirtschaftlich wertvollen Regionen ostwärts des Flusses nicht verzichten. Er befahl Manstein, dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, überall stehen zu bleiben, bis der Feind von der Nutzlosigkeit seiner Angriffe überzeugt sei. Die anhaltend starken sowjetischen Offensiven zwangen aber die Wehrmacht dazu, das Donez-Becken zu räumen. Auch der Kuban-Brückenkopf musste evakuiert werden. Die freiwerdenden Kräfte – Hitlers bisherige Option für einen erneuten Angriff auf den Kaukasus – reichten nicht aus, die Verluste der Heeresgruppe Süd beim Rückzug auf den Donez auszugleichen. Weitere Kräfte waren gebunden durch den Brückenkopf bei Zaporozje sowie durch die Verteidigung der Krim. Der schnelle sowjetische Vormarsch verhinderte die planmäßige Räumung der Ukraine. Menschen und Material wurden durch die Wehrmacht auf das Westufer des Dnepr gebracht. „Verbrannte Erde“ sollte den feindlichen Vormarsch behindern. Es blieb den Deutschen aber keine Zeit, die neue Verteidigungslinie mit Hilfe von Hunderttausenden von Zwangsarbeitern ausreichend zu befestigen. Im November 1943 ging sie verloren. Nach der Niederlage von Orel war die Heeresgruppe Mitte auf die Panther“-Stellung am oberen Dnepr zurückgedrängt worden. Es fehlten der Roten Armee offensichtlich genügend Reserven, um die Breschen bei Newel und Gomel zu einem Durchbruch zu erweitern. Durch ihren hartnäckigen Widerstand hatten die Deutschen bewiesen, dass sie die weit überlegene Rote Armee bei ihrem Marsch nach Westen zu langen und verlustreichen Kämpfen zwingen konnten, solange ein Mindestmaß an Ersatz und frischen Kräften zur Verfügung stand. Bis zum Frühjahr 1944 musste das Ostheer allerdings weitgehend aus der Substanz leben, weil Hitler alle Kräfte zur Ab-
Die Kampfführung der Wehrmacht an der Ostfront
IV.
wehr einer Invasion im Westen bereitstellte. Dort baute er eine strategische Reserve von 35 Divisionen auf, die bei der Verteidigung der Ostfront fehlte. Die gescheiterte deutsche Defensive im Sommer 1944 Um die bedrohte Front gegenüber der Roten Armee mit seinen „ausgebrannten“ Divisionen zumindest zeitweilig halten zu können, setzte Hitler auf eine starre Verteidigung. Da es an ausreichend beweglichen Reserven fehlte, sollten einzelne Städte im Hinterland als „Feste Plätze“ zur Verteidigung vorbereitet werden. Im Falle eines feindlichen Durchbruchs sollten sich die Fronttruppen auf diese Stützpunkte zurückziehen und mit ihrer Hilfe eine Art von Wellenbrecher bilden, die um jeden Preis gehalten werden mussten, bis Kräfte aus dem Westen herangeführt waren. Das deutsche Oberkommando vermutete den Schwerpunkt der sowjetischen Sommeroffensive bei der Heeresgruppe Nordukraine. Der Raum Kowel bot sich aus geographischen Gründen für den Feind an, um die deutsche Front entweder in Richtung Balkan oder Ostsee zum Einsturz zu bringen. Ein frontaler Angriff hingegen in Weißrussland nördlich der PripjatSümpfe würde die sowjetischen Stoßkräfte zu einem Kampf über 700 Kilometer durch Wälder und Sümpfe zwingen. Dass sich die Stawka genau dafür entscheiden würde, lag jenseits der deutschen Erwartungen. Die zweite Fehlprognose betraf Ausmaß und Zeitpunkt der Offensive. Man rechnete mit einem kriegsentscheidenden Hauptstoß des Gegners, nicht mit einer kaskadenartigen Serie von Offensiven, die ein Verschieben der wenigen deutschen Reserven unmöglich machte. Besonders exponiert war die Lage der 3. Panzerarmee bei Witebsk. Der Aufmarsch des Feindes war deutlich erkennbar. Doch Hitler wies die Hinweise der Heeresgruppe Mitte zurück, womit für deren Oberbefehlshaber Ernst Busch das Thema erledigt war. In den letzten zwei Wochen ließ er die Bedrohung sogar noch verharmlosen und wurde schließlich von dem Großangriff an dieser Stelle völlig überrascht. Auch die absolute Funkstille, die von der Roten Armee zum ersten Mal gewahrt wurde, trug zur Täuschung der deutschen Aufklärung bei. Stalin wartete mit dem Beginn seiner Sommeroffensive bis zum 22. Juni 1944, natürlich ein symbolträchtiges Datum, aber auch ein Zeitpunkt, zu dem der Erfolg der alliierten Invasion bereits erkennbar war und die deutschen Reserven im Westen gebunden blieben. Die Rote Armee praktizierte jetzt zum ersten Mal erfolgreich „Blitzkrieg“ mit massiver Überlegenheit. Innerhalb weniger Tage brach die deutsche Front auf einer Breite von 400 Kilometern zusammen. In Kesseln bei Minsk und Bobruisk wurden große Teile der Heeresgruppe Mitte vernichtet. Das betraf insgesamt 28 Divisionen. Die Gesamtverluste (Tote, Verwundete, Vermisste) beliefen sich auf rund 250000 Mann. Nur wenige Tausend Soldaten schlugen sich bis zu den deutschen Linien durch. Hitler löste Busch ab und ersetzte ihn durch seinen besten Defensivspezialisten Walter Model. Dieser kommandierte nun zwei Heeresgruppen, was seine Maßnahmen erleichterte. Um weitere Kessel zu verhindern, bildete Model keine lineare Front mehr, sondern organisierte überraschende Flankenangriffe seiner wenigen Panzerverbände gegen vorgeprellte feindli-
Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte
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Kriegsschauplätze
IV.
Nemmersdorf
Niederlagen und Rückzüge in Südosteuropa
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che Spitzen. Der Zusammenbruch der deutschen Heeresgruppe Mitte warf die Wehrmacht praktisch auf die Ausgangsposition von 1941 zurück. Erst vor Warschau konnte die weitreichende Operation des Gegners mit einem Gegenschlag zum Stehen gebracht werden. Um die Ostfront zu retten, hatte Generalstabschef Kurt Zeitzler vorgeschlagen, die Heeresgruppe Nord rechtzeitig zu evakuieren, durch die Frontverkürzung die Hälfte der Truppen einzusparen und mit ihnen nach Süden anzugreifen, um den sowjetischen Truppen in Flanke und Rücken zu stoßen. Nach einer heftigen Kontroverse im Führerhauptquartier lehnte Hitler diese Lösung ab. Den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, Georg Lindemann, ersetzte er durch Johannes Frießner. Am 16. August startete die Heeresgruppe Mitte mit zwei Panzerkorps einen Gegenschlag nach Norden und stellte bei Tukkum kurzzeitig die Verbindung zur Heeresgruppe Nord wieder her. Der Gegner hatte sich schnell umgestellt, und gegen seine starken Pak-Fronten und überlegene Luftwaffe erschöpften sich die unterlegenen deutschen Kräfte rasch. Die Unterstützung durch eigene Schiffsartillerie reichte nicht aus. Als die Verbindung zur Heeresgruppe Mitte endgültig verlorenging, zog sich die Heeresgruppe Nord nach Kurland zurück, wo sie sich in mehreren schweren Abwehrschlachten bis zum 8. Mai 1945 als Brückenkopf halten konnte. Alle Bemühungen des Generalstabs, Hitler zur Evakuierung dieser starken Gruppierung zu veranlassen, um sie bei der Reichsverteidigung einsetzen zu können, scheiterten am Widerspruch des Diktators, für den Kurland eine Option blieb, um nach der erhofften Entscheidung im Westen wieder nach Osten offensiv werden zu können. Die Kapazitäten für eine geordnete Rückführung der Heeresgruppe über See standen ohnehin nicht zur Verfügung. Nach seinem Scheitern in dieser wichtigen strategischen Frage wurde Zeitzler am 21. Juli 1944, einen Tag nach dem gescheiterten Attentat Stauffenbergs, durch Heinz Guderian als Generalstabschef des Heeres ersetzt, der 1941 seine größten Schlachten in Weißrussland geschlagen hatte. Doch jetzt konnte er nach 400 Kilometern fluchtartigen Rückzuges die Front nur mühsam an der Weichsel stabilisieren. Immerhin gelang es ihm, den Einbruch der 3. Weißrussischen Front nach Ostpreußen hinein und in Richtung Weichselmündung durch einen überraschenden Gegenschlag in den Rücken des Feindes zu durchkreuzen. Verbrechen gegen die deutsche Zivilbevölkerung in Nemmersdorf nutzte die Nazi-Propaganda, um den Widerstandswillen zu stärken. Der vorsichtige Optimismus im deutschen Hauptquartier erwies sich aber als verfrüht, weil die Offensive der 1. Ukrainischen Front die deutschen Stellungen im Süden zertrümmerte, während gleichzeitig im Westen die Abwehrfront gegen die alliierte Invasion zusammenbrach. Im Süden konnte die Wehrmacht die Karpathenlinie nicht halten und erlitt im rumänischen Raum eine weitere schwere Niederlage. Ungarn wurde zum letzten Rückzugsgebiet. Die Verteidigung von Budapest geriet zu einem „Stalingrad an der Donau“. Hier setzte Hitler am Jahresende den größten Teil seiner Panzerverbände an der Ostfront ein. Sie sollten die sowjetischen Hauptkräfte im polnischen Raum von einem Angriff auf das Reich ablenken. Nach dem verlustreichen Rückzug der Heeresgruppen aus Grie-
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten
IV.
chenland und Jugoslawien konnte sich die Wehrmacht bis in die letzten Tage des Krieges am Rande der „Alpenfestung“ halten. Am Plattensee fand Anfang März 1945 ihre letzte Offensive statt, für die Hitler vergeblich die Reste seiner Panzertruppen opferte. Auch Finnland ging im Herbst 1944 für die Wehrmacht verloren. Der Verbündete wechselte wie Rumänien die Front. Bei dem Rückzug nach Norwegen setzten die Deutschen eine rücksichtslose Strategie der „verbrannten Erde“ um und konnten sich bis zum Kriegsende mit mehreren Hunderttausend Mann im „Nordraum“ (Dänemark/Norwegen) halten. Am 16. Dezember 1944 gelang den Deutschen die Überraschung in den Ardennen. Ähnlich wie 1940 durchbrachen sie die unvorbereiteten feindlichen Verteidigungslinien. Sie konnten aber – anders als 1940 – den Durchbruch nicht in die Tiefe ausweiten, um mit dem Vorstoß zum Kanal den Alliierten eine schwere Niederlage beizubringen. Auf diese Weise hatte Hitler gehofft, die Kriegswende herbeiführen zu können, weil er dann Divisionen freibekäme, um die Rote Armee im Osten wieder zurückzuschlagen. Es fehlte der Wehrmacht nicht nur die Luftherrschaft über dem Gefechtsfeld, sondern auch ausreichend Treibstoff. Diese überraschende Offensive bestärkte den Entschluss der Alliierten, zunächst größere Verstärkungen über den winterlichen Atlantik heranzuführen, um bei der Niederwerfung der Wehrmacht keine weiteren Risiken einzugehen.
2. Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten Der Kampf an der Peripherie des „Dritten Reiches“ 1940–1943 Mit dem Abschluss des deutsch-französischen Waffenstillstands am 22. Juni 1940 stand Großbritannien allein der gesamten Kriegsmaschinerie Hitlers gegenüber. Wenn Churchill in dieser Situation bereit gewesen wäre, sich auf jene Art von Partnerschaft mit Hitler einzulassen, zu der Stalin bereit gewesen war, hätte der Zweite Weltkrieg vermutlich einen völlig anderen Verlauf genommen, und das Gesicht der Welt wäre heute ein anderes. Die Entschlossenheit des britischen Premierministers, den Kampf gegen die faschistische Tyrannei um jeden Preis fortzusetzen, war ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es gelang ihm, den Widerstandswillen der britischen Bevölkerung und des Empire so zu stärken, dass Blut, Schweiß und Tränen geopfert wurden, um das Überleben der westlichen Demokratie zu erreichen. Mit seinem „Friedensappell“ im Reichstag am 19. Juli 1940 unternahm Hitler nach seinem Verständnis einen „letzten“ Versuch, England zur Anerkennung einer deutschen Vorherrschaft auf dem Kontinent zu veranlassen. Nach der klaren Ablehnung in London legte Hitler Ende Juli 1940 fest, dass zunächst die Royal Air Force niedergekämpft werden sollte. Nur unter dieser Voraussetzung war die Seekriegsleitung bereit, an eine eventuelle Invasion (Unternehmen „Seelöwe“) zu denken. Erich Raeder als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine hielt die Durchführung dennoch für „höchst zweifel-
Großbritannien kämpft 1940 allein weiter
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Kriegsschauplätze
IV.
haft“ und sah darin nur das „letzte Mittel“. Starke Luftangriffe sollten stattdessen die britische Regierung zur Aufgabe zwingen.
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Gerald Stapleton, Pilot einer Spitfire, erinnert sich an seine Notlandung nach einem Luftkampf Aus: Müller, Bombenkrieg, S. 77. Das Fahrwerk brach bei der Landung ab, und ich schlitterte in eine hohe Hecke, die über und über mit wildem Wein bewuchert war. Mit Mühe hangelte ich mich aus dem Cockpit, die Weinranken klammerten sich fest an meinen Overall. Den Fallschirm auf der Schulter, mit Weinblättern an meiner Piloten-Kombi, torkelte ich übers Feld zu einem kleinen Wäldchen. Da hörte ich Stimmen. Unter einem großen Baum stand ein schwarzer Austin, daneben saß auf einer Decke eine Familie und picknickte. Der kleine Sohn zeigte immer wieder nach oben. Mein Blick folgte seinem Finger, und ich sah über uns ein wildes Muster von Kondensstreifen – meine Kameraden lieferten sich immer noch harte Kämpfe mit den Me 109, und diese Familie machte einen Ausflug mit Sightseeing. Die Frau bot mir höflich eine Tasse Tee an, und ich bedankte mich artig. Und dann saßen wir auf der Decke, beobachteten den Himmel und warteten, bis mich ein Suchtrupp aufsammelte.
Luftschlacht über England
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Bei Beginn der Großeinsätze (Unternehmen „Adlertag“) ab 13. August 1940 konnte die Luftwaffe über insgesamt 2355 Flugzeuge an der Kanalfront verfügen und auch von Norwegen aus einsetzen. Die britischen Jäger wichen dem Luftkampf zumeist aus und stürzten sich auf die langsamen Bomber und Zerstörer. Die deutschen Jäger waren im Begleitschutz nicht hinreichend geübt und hatten nur eine geringe Reichweite. Die deutschen Verluste lagen regelmäßig höher als die britischen und konnten bald nicht mehr voll ersetzt werden. Am „Battle of Britain“-Tag (15. September 1940) verlor die Luftwaffe 56 Maschinen gegenüber 26 englischen Verlusten. Nach einigen nächtlichen Bombenangriffen der Briten auf Berlin befahl Hitler die Ausdehnung der deutschen Angriffe auf London, was die britische Luftverteidigung im Südosten erheblich entlastete. Hitlers Rede am 4. September 1940 im Berliner Sportpalast Quelle: Domarus (Hg.), Hitler. Reden und Proklamationen, Bd. 2, S. 1580. Und wenn die britische Luftwaffe zwei- oder drei- oder viertausend Kilogramm Bomben wirft, dann werfen wir jetzt in einer Nacht 150000, 180000, 230000, 300000, 400000, eine Million Kilogramm. Wenn sie erklären, sie werden unsere Städte in großem Ausmaß angreifen – wir werden ihre Städte ausradieren.
„Seelöwe“ wird verschoben
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Als Hitler die Landung am 17. September 1940 „bis auf weiteres“ verschob, war das eine unsichtbare Niederlage. Es war ihm nicht gelungen, England in einem raschen Ansturm niederzuwerfen oder zumindest zu entmutigen und so den Krieg zu beenden. Die Rückenfreiheit – auch im Hinblick auf einen möglichen Kriegseintritt der USA – für sein eigentliches Ziel, den Angriff auf die UdSSR, blieb unerreichbar. Die Fortsetzung eines intensiven See- und Luftkriegs gegen Großbritannien schmälerte schon jetzt seine Kräfte für den Eroberungszug nach Osten.
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten Bereits im Herbst 1940 wurde erkennbar, dass Italien nicht imstande war, die militärische Vorherrschaft im Mittelmeerraum zu erringen und seine strategisch wichtigen Kolonien in Ostafrika zu verteidigen. Hitler sah sich gezwungen, eigene Kräfte einzusetzen, um seinen wichtigsten Verbündeten vor dem Kollaps zu retten. Es war bezeichnend für die strukturellen Defizite dieser Allianz, dass Mussolinis sprunghafte Entscheidungen immer wieder Krisen heraufbeschworen, die Hitlers Pläne durchkreuzten und das gegenseitige Misstrauen schürten. Der italienische Angriff gegen Griechenland entwickelte sich ebenso verheerend wie die eigenständigen Offensiven in Nord- und Ostafrika. Zugleich blockierten Mussolinis territoriale Ansprüche die deutschen Bemühungen, Spanien und Frankreich in die Kriegsallianz einzubeziehen. Ein starkes Signal sollte vom Abschluss des Dreimächtepakts ausgehen, mit dem Deutschland, Italien und Japan am 27. September 1940 gegenseitig die „Neue Ordnung“ in Europa und Asien bestätigten. Mit dem Pakt wollte man Roosevelt von einem Kriegseintritt abhalten. Mit dem möglichen Beitritt Stalins würde sich die Idee eines „Kontinentalblocks“, wie er vom deutschen Außenminister Ribbentrop propagiert wurde, realisieren lassen. Eurasien als weltbeherrschender Machtblock erwies sich jedoch als Phantom, weil die internen Rivalitäten nicht zu überbrücken waren. Bei seinem Krieg an der Peripherie erzielte Hitler in der Zeit zwischen Juli und Dezember 1940 keinen greifbaren Erfolg. Dieser Stillstand war eine weitere verlorene Schlacht, zu der seine Verbündeten Mussolini und Franco mit ihrer Weigerung, der Wehrmacht den Weg nach Süden zu öffnen, erheblich beitrugen. Gibraltar blieb britisch, Nordafrika bildete einen Unsicherheitsfaktor, und im Osten des Mittelmeeres ergriffen die Italiener unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen die Initiative. Ihr Erfolg in Ostafrika war nur von kurzer Dauer, denn der abgelegene Kriegsschauplatz ließ sich von Italien aus nicht hinreichend versorgen. In Nordafrika kam die Offensive gegen Ägypten ebenfalls rasch zum Erliegen. In dieser angespannten Situation eröffnete die italienische Armee am 28. Oktober 1940 von Albanien aus den Angriff auf Griechenland mit rund 155000 Mann. Nach der Mobilmachung konnten die Griechen 430000 Mann ins Feld stellen. Sie erhielten Unterstützung durch britische Luftwaffen- und Heeresverbände, die am 29. Oktober auf Kreta und am 3. November im Raum Athen in Erscheinung traten. Die tapfer kämpfenden Griechen warfen die Italiener im Gegenstoß noch im November 1940 auf ihre Ausgangsstellungen zurück, um dann selbst erschöpft in einem Stellungskrieg auf albanischem Gebiet zu verharren. In Berlin musste ein erster Operationsplan gegen Griechenland entworfen werden, um den Duce notfalls vor einer blamablen Niederlage zu schützen. Erkundungen für den möglichen Einsatz eines deutschen Panzerverbandes in Nordafrika stießen bei Hitler zunächst auf Zurückhaltung. Für einen Sprung über das Mittelmeer fehlten der Wehrmacht alle Voraussetzungen. Der Beginn der britischen Gegenoffensive am 9. Dezember 1940 brachte die Italiener auch in der Cyrenaika in schwere Bedrängnis. Mussolini, der seine geschlagene Armee und die wenig schlagkräftige Marine zu reorganisieren versuchte, kam nicht umhin, Hitler um die Entsendung einer deutschen Panzerdivision nach Tripolis zu bitten, um den Verlust
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Dreimächtepakt
Krieg im Mittelmeerraum
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Kriegsschauplätze
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Kämpfe im Balkangebiet
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seiner wichtigsten Kolonie zu verhindern. Deutsche Hilfe in Albanien blieb ihm allerdings verwehrt. Der „Führer“ zog es vor, mit der Weisung Nr. 20 („Marita“) am 13. Dezember 1940 einen selbständigen Feldzug gegen Griechenland zu organisieren. Auf diese Weise sollte die Flanke für den Aufmarsch Ost (Weisung Nr. 21 „Barbarossa“ vom 18. Dezember 1940) gesichert, die kriegswichtigen rumänischen Ölfelder gegen mögliche britische Angriffe geschützt und die deutsche Position auf dem Balkan, im östlichen Mittelmeer und nicht zuletzt gegenüber der Türkei gestärkt werden. Hitler hatte zwar den Vorschlag von Großadmiral Erich Raeder abgelehnt, Großbritannien im Mittelmeer niederzuringen und durch ein Ausgreifen in den Nahen Osten den „weichen Unterleib“ der UdSSR zu bedrohen, somit ein Stillhalten Stalins zu erzwingen. Doch trotz seines Entschlusses, den Frontangriff gegen die Rote Armee vorzubereiten, zogen ihn die Kriegsereignisse in Richtung Süden. Mit der Verlegung einer deutschen „Lehrtruppe“ nach Rumänien hatte sich bereits der Aufmarsch gegen die Sowjetunion verbreitert. Das Eingreifen in Griechenland und der mögliche Einsatz im östlichen Mittelmeer konnten leicht zu einer Überdehnung der deutschen Kräfte führen. Die relative Schwäche von Griechen und Briten wurde durch die geostrategische Ungunst des Raums ausgeglichen, der vor allem die logistischen Fähigkeiten der Wehrmacht überfordern konnte. Nachdem Churchill durch entschlüsselte Funksprüche (ULTRA) erfahren hatte, dass sich der deutsche Truppenaufmarsch in Rumänien gegen Griechenland richtete, ordnete er den Aufbau einer strategischen Reserve für die zu erwartende Auseinandersetzung um den Balkan an. Zugleich begannen die Briten geheime Generalstabsgespräche in Washington über eine gemeinsame Kriegführung nach einem späteren Kriegseintritt der USA. Doch mit dem Eintreffen von Generalleutnant Erich Rommel in Libyen am 12. Februar 1941 und dem sofortigen Angriff deutscher Panzerverbände begann sich in Nordafrika das Blatt zu wenden. Erneut versuchte Hitler die Initiative zu ergreifen. Seine Verhandlungen mit der jugoslawischen Regierung über einen Beitritt des Landes zum Dreimächtepakt blieben Mitte Februar ergebnislos. Auch der Versuch, in letzter Minute die Griechen auf die deutsche Seite zu ziehen und damit „Marita“ überflüssig zu machen, scheiterte am 21. Februar. Drei Tage später billigte das britische Kabinett die „Griechenland-Expedition“. Churchill nahm die Herausforderung an und zwang Hitler eine neue Front auf. Bis zum 24. April wurden rund 58000 britische Soldaten nach Griechenland transportiert. ULTRA Bereits im Ersten Weltkrieg war die Bedeutung der Verschlüsselung des Funkverkehrs erkennbar geworden. In Deutschland hatte sich bereits die Reichswehr für neue technische Möglichkeiten interessiert, geheime Nachrichten zu kryptographieren. Das Ergebnis war ENIGMA, eine Chiffriermaschine, die mit Hilfe verschiedener Walzen und ähnlich bedient wie eine Schreibmaschine verschlüsseln konnte. Die Wehrmacht blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs davon überzeugt, dass dieses auf der höchsten zivilen und militärischen Führungsebene benutzte und mehrfach nachgebesserte Verfahren vom Gegner nicht geknackt werden konnte. Nach ersten Erkenntnissen polnischer Codeknacker in den dreißiger Jahren gelang es den Briten unter dem Decknamen Ultra, die Enigma-Funksprüche der deutschen Führung während des gesamten Zweiten Weltkriegs konti-
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nuierlich maschinell zu entziffern, im Jahre 1943 durchschnittlich täglich 2500 Funksprüche höchster Geheimhaltung. Bis in die 1970er Jahre blieb der Erfolg von ULTRA das bestgehütete Geheimnis auf alliierter Seite. Der Nutzen, den die Briten während des Kriegs daraus zogen, wird von Historikern hoch eingeschätzt. Churchill meinte gegenüber seinem König: Es war Ultra zu verdanken, dass wir den Krieg gewonnen haben.
Mit dem Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt am 1. März 1941 begann der Einmarsch deutscher Truppen. Am 4. März gelang es Hitler, auch den jugoslawischen Prinzregenten Paul bei einem Besuch auf dem Berghof dazu zu drängen, seine Bereitschaft zur Unterzeichnung des Pakts zu erklären. Mit einer Botschaft an den türkischen Staatspräsidenten Ismet Inönü versuchte Hitler, den Einmarsch in Bulgarien zu rechtfertigen und die neutrale Türkei auf seine Seite zu ziehen. Als vier Wochen später durch einen Staatsstreich im Irak der antibritische Politiker Raschid Ali el Gailani an die Macht kam, sollte sich sogar für kurze Zeit die Chance für ein direktes deutsches Eingreifen im Mittleren Osten ergeben. Die Entsendung eines deutschen Luftwaffenkommandos und anlaufende Hilfe über das französisch besetzte Syrien konnten jedoch den schnellen und erfolgreichen Gegenzug der Briten nicht verhindern. Am 5. März rundete Hitler seine strategische Offensive gegen Großbritannien durch die Weisung Nr. 24 ab, mit der die deutsch-japanische Zusammenarbeit geregelt wurde. Japan sollte so bald wie möglich Singapur angreifen, die wichtigste britische Festung im Fernen Osten. Über den bevorstehenden deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurde der mächtigste deutsche Verbündete allerdings nicht informiert. Hitlers Weisung Nr. 25 für die Kriegführung vom 27. März 1941 Aus: Hubatsch (Hg.), Hitlers Weisungen für die Kriegführung, S. 124.
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Der Militärputsch in Jugoslawien hat die politische Lage auf dem Balkan geändert. Jugoslawien muss auch dann, wenn es zunächst Loyalitätserklärungen abgibt, als Feind betrachtet und daher so rasch als möglich zerschlagen werden.
Am 25. März trat Jugoslawien dem Dreimächtepakt offiziell bei, verweigerte aber einen Durchmarsch deutscher Truppen. Die Hintergründe für den Staatsstreich in Belgrad am 27. März sind nicht ganz durchsichtig. Stalin war zweifellos daran gelegen, Hitlers Expansion auf dem Balkan einen Riegel vorzuschieben und seine eigenen Interessen stärker durchzusetzen. Auch für Churchill bot der Stimmungsumschwung in den jugoslawischen Führungszirkeln die Chance, für den drohenden deutschen Aufmarsch gegen Griechenland eine Entlastung zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ist die Besprechung zu sehen, die Hitler wenige Stunden nach der Meldung aus Belgrad mit den Führungsspitzen der Wehrmacht durchführte. Noch am selben Abend unterzeichnete er die Weisung Nr. 25 für einen Blitzangriff auf Jugoslawien. Italien, Ungarn und Bulgarien sollten sich daran beteiligen. Dieser Entschluss hatte zwei wichtige Folgen. Militärisch bedeutsam war die Festlegung von Reservekräften, die, statt gegen Russland zu marschieren, künftig auf dem Balkan gebunden sein würden. Den wichtigsten Stoß sollte die Panzergruppe 1 führen. Sie war eigent-
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lich vorgesehen, als einziger Stoßkeil der Heeresgruppe Süd in die Ukraine vorzudringen und die Ölquellen des Kaukasus zu erreichen. Diese schwächste deutsche Panzerarmee sollte also gegen die stärkste Gruppierung der Roten Armee antreten, den weitesten Vorstoß gegen die UdSSR unternehmen und zuvor noch den Balkan über Hunderte von Kilometern „säubern“. Außerdem legte Hitler fest, dass Jugoslawien „als Staatsgebilde zu zerschlagen“ sei. Es bedeutete – wie zuvor im Fall Polens –, dass die Wehrmacht mit härtester Gewalt zuschlagen konnte und die Polizeitruppen völlig freie Hand haben würden. Der Vielvölkerstaat konnte nach Belieben zerteilt, die Volksgruppen gegeneinander aufgehetzt und das Land rücksichtslos für die deutsche Kriegswirtschaft ausgebeutet werden. Schon für den Aufmarsch an der jugoslawischen Nordgrenze fehlte es an deutschen Kräften. Aber das technisch unterlegene und noch nicht mobilisierte Land war kein ernsthafter Gegner. Vor allem der Schock deutscher Bombenangriffe und die Stoßkraft motorisierter Verbände führten zum raschen Zusammenbruch der jugoslawischen Armee, die durch die Abspaltung der Kroaten noch zusätzlich geschwächt wurde. Der Überfall begann am 6. April 1941. Am selben Tag wurde in Moskau noch ein sowjetisch-jugoslawischer Freundschaftsvertrag abgeschlossen. 484 Stukas und Bomber stürzten sich auf Belgrad. Aus allen Richtungen marschierten die Achsenkräfte in Jugoslawien ein. Gleichzeitig eröffneten sie die Offensive gegen Griechenland. Die Wehrmacht setzte 3 Armeen mit 1200 Panzern und 780 Flugzeugen ein, die Ungarn 1 Armee mit 10 Brigaden und die Italiener 3 Armeen mit insgesamt 38 Divisionen und 320 Flugzeugen. Auf jugoslawischer Seite traten nominell 32 Divisionen und 9 Brigaden sowie 400 Flugzeuge in Erscheinung. Die Griechen verfügten über 21 Divisionen und 4 Brigaden sowie über 80 Flugzeuge. Unterstützt wurden sie durch 2 britische Infanteriedivisionen und 1 Panzerbrigade sowie 84 Maschinen der Royal Air Force. An Mannschaftsstärke konnten es Griechen und Jugoslawen zwar mit den Angreifern aufnehmen, aber infolge der technischen und operativen Unterlegenheit gelang es ihnen nicht, eine erfolgreiche Verteidigung zu organisieren. Während gleichzeitig Rommel mit seinem Afrikakorps die Briten weit zurückdrängte, mussten sich diese auch in Griechenland bald auf die Räumung vorbereiten. Am 18. April 1941 kapitulierte die jugoslawische Wehrmacht. 344000 Mann gerieten in Gefangenschaft. Die Regierung Simovic begab sich nach London ins Exil. Das Land wurde aufgeteilt. Italien erhielt die dalmatinische Küste, auch Ungarn und Bulgarien durften sich bedienen. Die Deutschen sicherten sich eine Militärverwaltung in Serbien. Sie hatten einige Mühe, den neuen kroatischen Satellitenstaat der faschistischen Ustascha des Ante Pavelic unter Kontrolle zu halten. Dessen mörderisches Treiben richtete sich gegen die Serben. Statt die Region ruhig zu halten und wirtschaftlich ausbeuten zu können, hatten die Deutschen unbeabsichtigt einen Bürgerkrieg ausgelöst, den sie auf längere Sicht nicht einzudämmen vermochten und in dem sie sich selbst mit brutalsten Methoden kaum zu behaupten verstanden. Der Partisanenkrieg mit seinen komplizierten Fronten entwickelte sich ab 1942/43 unter der Führung von Josip Broz Tito zum Befreiungskrieg, der schließlich eine ganze deutsche Heeresgruppe verschlang.
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Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten Die griechischen Verteidiger an der Metaxas-Linie kämpften tapfer, wurden aber von motorisierten deutschen Truppen umzingelt. Die 2. griechische Armee sah sich zur Kapitulation gezwungen. Durch einen deutschen Vorstoß an der westgriechischen Küste drohte auch die Einschließung der britischen „W Force“ und der gegen die Italiener eingesetzten Kräfte. Im Angesicht der drohenden Niederlage wählte der griechische Ministerpräsident Koryzis am 18. April den Freitod. Am 21. April kapitulierte die griechische Armee. Das Land wurde zwischen Deutschen und Italienern aufgeteilt. Bulgarien besetzte einen nördlichen Teil. Auch hier entstand, wie in Jugoslawien, mit britischer Unterstützung bald ein grausamer Partisanenkrieg, der das vom Hunger bedrohte Land ins Elend stürzte. Den Briten war es in einer meisterhaften Operation gelungen, den größten Teil ihres Expeditionskorps zu retten. Insgesamt 50672 Briten und Griechen wurden ohne schwere Waffen und Gerät nach Ägypten bzw. Kreta evakuiert. Nach Abschluss der Besetzung des griechischen Festlandes befanden sich 21900 britische Gefangene in deutscher Hand, dazu 223000 griechische Kriegsgefangene, die aber entlassen wurden. Die deutschen Verluste im Balkan-Feldzug blieben mit 2550 Toten und 5820 Verwundeten gering. Sehr viel verlustreicher war das triphibische Unternehmen „Merkur“ vom 20. Mai bis zum 1. Juni 1941. Starke deutsche Luftstreitkräfte bahnten der Landung von Fallschirmjägern auf Kreta sowie der Invasion von Gebirgsjägern, die mit Motorseglern herangeführt wurden, den Weg. Über ULTRA genau über die deutschen Vorbereitungen informiert, konnten die Briten daraus aber keinen Nutzen ziehen. Um das Geheimnis der Entschlüsselung des deutschen Funkcodes nicht zu enthüllen, verzichtete man darauf, die Besatzung des wichtigen Flugplatzes Maleme auffällig zu verstärken. Die strategisch wichtige Insel wurde von 42640 Briten und Griechen unter Generalleutnant Bernard Freyberg verteidigt. Sie hatten die Chance, den 14000 Mann deutscher Luftlandetruppen, darunter 8000 Fallschirmjägern der 7. Fliegerdivision, eine schwere Niederlage beizubringen. Doch Freyberg überschätzte die Gefahr einer Invasion über See und verlor angesichts der deutschen Luftherrschaft rasch den Mut. Es standen ihm lediglich sechs moderne Jagdflugzeuge auf der Insel zur Verfügung. Aus der schlecht vorbereiten Aktion hätte sich für die Deutschen dennoch fast eine Katastrophe entwickelt. Zu ihrem Glück erwiesen sich die Verteidiger Kretas als noch inkompetenter als die Feindaufklärung von Generalleutnant Kurt Student, der das Unternehmen leitete. Trotz schwerer Verluste bei der Luftlandung am 20. Mai 1941 gelang es den Deutschen, den wichtigen Flugplatz Maleme zu erobern. Die Landungen bei Heraklion und Rethymnon scheiterten. Mehrere Hundert Fallschirmjäger wurden von kretischen Partisanen, bewaffneten Zivilisten und Polizisten getötet. Durch pausenlose Heranführung von Verstärkungen gewannen die Angreifer das Übergewicht und konnten die schlecht geführten Briten und Griechen zurückwerfen. Von britischer Seite wurden insgesamt 17000 Mann über See gerettet, 12000 Gefangene blieben zurück, 1700 Briten waren gefallen, 1800 Marinesoldaten hatten ihr Leben verloren. Trotz der demütigenden Niederlage hatten die Briten doch einen indirekten Erfolg erzielt. Eine Luftlandung auf Malta trauten sich die Deutschen nicht mehr zu. Mit rund 4000 Toten und
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Landung in Kreta
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Deutsches Afrikakorps
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dem Totalverlust von 151 Transportflugzeugen war Kreta zum Grab der deutschen Fallschirmtruppe geworden. Diese rächte sich im Kampf gegen griechische Freischärler mit unbarmherziger Härte. Der Kampf gegen die Briten im östlichen Mittelmeerraum blieb ein halber Erfolg Hitlers. Die britische Seeherrschaft war ungebrochen, und trotz des deutschen Vormarsches in Libyen war die britische Nahost-Bastion – zumal nach der Wiederbesetzung des Iraks am 30. Mai 1941 – nicht ernsthaft gefährdet. Als Hitler Ende Mai 1941 seine eingesetzten Kräfte reduzieren musste, um den Aufmarsch im Osten zu vollenden, hinterließ er im Süden eine Front, die entgegen seinen Erwartungen immer stärkere Kräfte band. Aus dem ursprünglich geplanten „Sperrverband“ zum Schutz von Tripolis hatte Rommel inzwischen eine schlagkräftige Truppe geformt, die am 27. Mai 1941 den Halfaya-Paß an der ägyptischen Grenze zurückerobern konnte. Wegen der verlustreichen Seetransporte nach Libyen setzte das OKW auf das Einvernehmen mit Vichy-Frankreich, das bereit war, den Nachschub für das Afrikakorps über Tunesien zu sichern und die deutsche Seekriegführung im mittleren Atlantik von Dakar aus zu unterstützen. Hitler lehnte es jedoch ab, den Franzosen im Gegenzug einen Vorfriedensvertrag zu gewähren. Das Engagement in Nordafrika hatte längst vielfältige Machtphantasien geweckt. In deutschen Führungskreisen sahen manche den Zeitpunkt für einen europäisch-afrikanischen Großwirtschaftsraum gekommen, erweitert bis zum Persischen Golf und ergänzt um ein deutsches Kolonialreich in Mittelafrika. Der Kampf des Deutschen Afrikakorps und die Figur des späteren Generalfeldmarschalls Erwin Rommel haben schon während des Kriegs eine ungewöhnliche Beachtung gefunden. Vom ehemaligen Gegner als „Wüstenfuchs“ geschätzt und als Angehöriger des militärischen Widerstands gegen Hitler geehrt, ist nach 1945 um Rommel geradezu ein Heldenkult entstanden. Natürlich war der Krieg in Nordafrika ebenso blutig wie andere Feldzüge, doch unterschied er sich erheblich vom Vernichtungskrieg, den die Wehrmacht in Osteuropa führte. Er beschränkte sich allerdings auf einen schmalen Küstenstreifen und traf kaum auf Zivilbevölkerung. Der italienische Anteil an den Erfolgen Rommels ist in deutschen Darstellungen oft ebenso übergangen worden wie die Sonderrolle, die der General als „Liebling des Führers“ und NS-Propagandaheld für sich in Anspruch nehmen konnte. Neuere Biographien sehen seine schwierige Persönlichkeit, sein Verhalten als Oberbefehlshaber und Führer im Gefecht ebenso kritisch wie manche seiner Entscheidungen. Sein überraschender Vorstoß mit geringen deutschen Kräften (5. leichte und 15. Panzerdivision) blieb an der ägyptischen Grenze liegen, als der Beginn des Russland-Feldzugs alle Kräfte der Wehrmacht band. Generalstabschef Halder hatte deshalb die weiträumigen Vorstöße Rommels mit Sorge betrachtet, die Kräfteverzettelung aber nicht verhindern können. Den Briten gelang es, mehrere Geleitzüge mit Nachschub für ihre Ägypten-Armee durch das Mittelmeer zu bringen, während der deutsch-italienische Versorgungsverkehr ständig schwere Verluste erlitt. Die Eroberung von Malta als wichtigster britischer Stützpunkt unterblieb nach den Erfahrungen von Kreta. Deutsche Luftangriffe auf die Insel, auf Kairo und den Suez-Kanal blieben ohne größere Auswirkungen.
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten
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Am 26. August 1941 entschied Hitler, die Operationen gegen die nach der Besetzung von Syrien und den Iran erheblich gestärkten britischen Positionen in Nahost ebenso auf das nächste Jahr zu verschieben, wie die Sicherung von Nordwestafrika gegen eine transatlantische Bedrohung. Am 18. November begannen die Briten ihre Gegenoffensive, um die Belagerung ihrer Festung Tobruk aufzubrechen und Rommels Afrikakorps zu vernichten. Die Kämpfe blieben unentschieden. Der 8. britischen Armee standen insgesamt Kräfte von 7 Divisionen mit 724 Panzern und 1072 Flugzeugen zur Verfügung. Die als „Panzergruppe Afrika“ verstärkten deutsch-italienischen Verbände unter Rommel bestanden aus 10 Divisionen mit 558 Panzern und 320 Flugzeugen, litten aber unter erheblichen Nachschubschwierigkeiten. Bei dem Versuch, mehrere große Geleitzüge durchzubringen, musste die italienische Flotte erneut erhebliche Verluste hinnehmen. Daraufhin wurden deutsche U-Boote ins Mittelmeer verlegt, denen es aber nicht gelang, die britische Seeherrschaft zu brechen. Bei Beginn der sowjetischen Gegenoffensive vor Moskau am 7. Dezember 1941 sah sich Rommel gezwungen, den Kampf um Tobruk aufzugeben und sich auf die Gazala-Linie zurückzuziehen. In Bardia und im Raum Sollum mussten größere deutsch-italienische Truppenteile kapitulieren. Innerhalb von zwei Monaten waren 13000 Deutsche, 20000 Italiener und 17000 Briten als Verluste zu verzeichnen. Durch neue Geleittransporte gestärkt, ging Rommel am 21. Januar 1942 sofort zur Gegenoffensive über, überrannte die erschöpften Briten in der Cyrenaika, blieb dann aber nach zwei Wochen wieder bei El Gazala westlich Tobruk stecken. Die gleichzeitige japanische Offensive im Fernen Osten zwang die Briten in Nordafrika in die Defensive. Ende April 1942 vereinbarten Hitler und Mussolini daher auf dem Berghof, Ende Mai die Offensive in Nordafrika wiederaufzunehmen und die Wüstenfestung Tobruk zu erobern. Nach einer Luftlandung in Malta (Unternehmen „Herkules“), die Hitler dann aber wieder absagte, sollte der Vorstoß nach Ägypten erfolgen. So konnte womöglich in einer gigantischen Zangenbewegung über den Suez-Kanal und über den Kaukasus die britische Nahost-Bastion gesprengt werden. Tagesbefehl Rommels vom 21. Juni 1942 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 168.
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Die große Schlacht in der Marmarica hat mit der raschen Erstürmung Tobruks ihre Krönung gefunden […] Soldaten der Panzerarmee Afrika! Jetzt gilt es, den Gegner vollends zu vernichten. Wir wollen nicht eher ruhen, bis wir die letzten Teile der britischen 8. Armee zerschlagen haben. In den nächsten Tagen fordere ich nochmals große Leistungen von Euch, damit wir unser Ziel erreichen.
Am 26. Mai 1942 eröffnete die deutsch-italienische Panzerarmee ihre Offensive mit etwa gleich starken Kräften gegenüber den Briten, musste aber zunächst das hart umkämpfte Wüstenfort Bir Hacheim erobern, das als Eckpfeiler der britischen Verteidigung von einer freifranzösischen Brigade gehalten wurde. Die 8. britische Armee wurde zerrissen und auf Tobruk bzw. in Richtung ägyptische Grenze zurückgedrängt. Am 21. Juni 1942 gelang Rommel der größte Erfolg. Die Festung Tobruk wurde eingenommen,
Rommel scheitert bei El Alamein
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32200 britische Soldaten gingen in Gefangenschaft. Rommel, der sofort zum Generalfeldmarschall befördert wurde, entschloss sich zur Fortsetzung der Offensive gegen den Suez-Kanal, musste aber den Angriff gegen die letzte Verteidigungsstellung der Briten bei El Alamein am 3. Juli 1942 aus Kräftemangel einstellen. Es entwickelte sich ein monatelanger Stellungskrieg, bei dem auch der letzte Versuch Rommels am 31. August 1942 scheiterte, die Initiative wiederzugewinnen. Durch ULTRA über die Absichten Rommels unterrichtet, gelang es dem Oberbefehlshaber der 8. britischen Armee, General Bernard Law Montgomery, den deutschen Angriff abzuwehren. Die Achsenmächte verloren damit das Gesetz des Handelns im Mittelmeerraum, während sich der Aufmarsch der Anglo-Amerikaner unaufhaltsam vollzog, um Hitlers Südflanke aufrollen zu können.
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Persönliche Botschaft Generalleutnant Montgomerys an die Britische 8. Armee vom 23. Oktober 1942 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 250. Als ich das Kommando der 8. Armee übernahm, sagte ich, unsere Aufgabe sei, Rommel und seine Armee zu vernichten, und dass dies geschehen werde, sobald wir fertig sind. Jetzt sind wir fertig. Die Schlacht, die demnächst beginnt, wird einmal als Entscheidungsschlacht in die Geschichte eingehen. Sie wird der Wendepunkt des Krieges sein. Die Augen der ganzen Welt werden auf uns gerichtet sein und gespannt beobachten, wem der Sieg sich zuwenden wird. Wir können ihnen jetzt schon die Antwort geben: „Uns wird er sich zuwenden!“
Deutsch-italienische Kapitulation in Tunis
Mit den alliierten Landungen in Marokko und Algier am 8. November 1942 war der Umschwung der Kriegführung deutlich markiert. Wenige Tage waren deutsche und italienische Truppen gezwungen, Südfrankreich militärisch zu besetzen, um einen möglichen alliierten Vorstoß ins Herz Europas zu verhindern. Gleichzeitig eröffnete Montgomery seine Gegenoffensive bei El Alamein, was Rommel zum Rückzug Richtung Tunesien und zu einem Zweifrontenkrieg zwang. Zwar gelang es ihm, den noch unerfahrenen amerikanischen Kräften einige taktische Rückschläge zuzufügen, aber angesichts einer erdrückenden alliierten Luftüberlegenheit und trotz erheblicher Verstärkungen, die Hitler auf dem Luftwege nach Tunis schaffen ließ, blieb dem „Wüstenfuchs“ nur der Rückzug. Als sich die Niederlage im Kessel von Tunis abzeichnete, beorderte Hitler Rommel zurück nach Italien, um den in Deutschland populären Feldmarschall nicht mit dem Odium einer unabwendbaren Kapitulation zu belasten. Die Heeresgruppe gab am 13. Mai 1943 den Kampf auf. 250000 deutsche und italienische Soldaten gingen in Gefangenschaft. Nordafrika war damit für die Achsenmächte verloren und Italien, Hitlers wichtigster Verbündeter in Europa, unmittelbar bedroht. Mussolinis Regime geriet in größte Schwierigkeiten. Der Krieg im Pazifikraum und in Ostasien
Japans Expansion in Fernost
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Der Antikominternpakt mit Japan gehörte zu den strategischen Erfolgen, die Hitler in den dreißiger Jahren erzielt hatte. Er verbesserte damit die Lage des Reiches durch den Gewinn von Bundesgenossen, die im Ersten Weltkrieg der Feindkoalition angehört hatten. Der Antibolschewismus bildete die ein-
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zige ideologische Klammer mit dem fernöstlichen Kaiserreich, die deutsche militärische Ausbildungshilfe am Ende des 19. Jahrhunderts für die „Preußen Asiens“ weckte immerhin Nostalgie. Stärker band beide Mächte die Erwartung zusammen, der jeweils andere möge die Westmächte fesseln, um beim Aufbau eines eigenen Imperiums entlastet zu sein. Seit 1937 unternahm Japan den Versuch, nach der Okkupation der Mandschurei (1931) weitere strategisch und ökonomisch wichtige Regionen Chinas zu erobern. Vorstöße in die innere Mongolei hatten 1938/39 zu begrenzten militärischen Auseinandersetzungen mit der UdSSR geführt. Da sich Hitler überraschend mit Stalin verständigte, anstatt sich – entsprechend früheren Erwartungen – ebenfalls gegen die UdSSR zu wenden, bewegte sich die japanische Expansion weiter in Südrichtung. Damit ging eine Machtverschiebung innerhalb des Militärs einher. Die kaiserliche Marine übernahm die Führung. Die Niederlage Frankreichs 1940 und die Bedrängnis Großbritanniens förderten Japans Begehrlichkeiten gegenüber den wirtschaftlich wertvollen Kolonien der europäischen Mächte in Südostasien. Mit der Schaffung einer „Großasiatischen Wohlstandssphäre“ wollte Tokio seine Vorherrschaft in Asien abstützen. Die wichtigen Ölquellen von Niederländisch-Indien gehörten unbedingt dazu. Das „Arsenal strategischer Rohstoffe für die Demokratien“ wollten die Amerikaner aber ebenso weiter nutzen wie ihre Präsenz auf dem chinesischen Markt. Washington reagierte mit verschiedenen Handelsrestriktionen und ließ so die Japaner spüren, wie importabhängig ihre Kriegswirtschaft war. Die Risiken des weiteren Kurses blieben zwischen Armee und Marine in Tokio umstritten. Der Dreimächtepakt mit Deutschland und Italien im September 1940, mit der Option eines Beitritts der UdSSR, schien Japan eine ausreichende Deckung zu bieten, um den Konflikt mit Großbritannien und den USA zu wagen. Der Norden Französisch-Indochinas wurde nach einem Erpressungsmanöver gegen die Vichy-Regierung noch im selben Monat besetzt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Achsenmächte noch optimistisch, die Briten aus dem Mittelmeer zurückdrängen und die italienischen Kolonien in Ostafrika als Sprungbrett für eine strategische Verbindung zu den Japanern nutzen zu können. Hinzu kamen die Nutzung der Transsibirischen Eisenbahn, der sichere Luftweg über die UdSSR nach Asien sowie der nördliche Seeweg. Allerdings hatte Deutschland bis 1938 durch Militärberater und Waffenlieferungen die chinesische Nationalarmee unterstützt und bezog weiterhin aus China kriegswichtige Rohstoffe, vor allem Wolfram-Erze. Diese Handelsbeziehungen waren für Deutschland so bedeutsam, dass man sie hinter den Kulissen fortzuführen versuchte, während Japan ermutigte wurde, durch weiteren Druck angelsächsische Kräfte im Pazifik und im Indischen Ozean zu binden. Dieses keineswegs verbindlich besprochene strategische Konzept geriet allerdings innerhalb kurzer Zeit in Schieflage. Die anhaltenden Schwierigkeiten der Achse im Mittelmeerraum und der Verlust Ostafrikas signalisierten, dass die Briten in der Lage waren, den Mehrfrontenkrieg, gestützt auf ihre Kolonien, durchzuhalten. Dennoch konzentrierte sich Hitler seit Ende 1940 auf einen Angriff gegen seinen Bundesgenossen Stalin, weil er hoffte, durch die rasche Eroberung des europäischen Teils der UdSSR wirtschaftlich und strategisch unangreifbar werden zu können und zugleich eine zuverläs-
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Kriegsschauplätze
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Japanische Neutralitätspolitik gegenüber der UdSSR
US-Embargo
Japans Kriegsentschluß
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sige Landverbindung zu den Japanern zu schaffen. Dadurch sollten dann Großbritannien in die Knie gezwungen und die USA entmutigt werden, in den Krieg einzutreten. Hitlers Übermut war so groß, dass er glaubte, auf die Mitwirkung Japans bei der Niederwerfung der Sowjetunion verzichten zu können. Außenminister Matsuoka wurde bei seiner Europareise im März/April 1941 geradezu bedrängt, sein Land möge die günstige Gelegenheit nutzen, um durch einen Angriff auf Singapur die Niederlage Großbritanniens in Südostasien zu besiegeln, bevor sich die Hilfe Washingtons auswirken könnte. Tokio suchte auf eigene Faust eine Verständigung mit Moskau. Der im April 1941 unterzeichnete Neutralitätsvertrag entsprach den Interessen beider Länder. Japan hatte den Rücken frei gegen die Westmächte, die UdSSR gewann Rückendeckung gegen Deutschland. Zeitgleich mit dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges setzte die japanische Marineführung intern die Entsendung von Truppen nach Südindochina durch, um im Fall eines Scheiterns der Verständigung mit den USA die lebenswichtigen Rohstoffgebiete im Süden rasch erobern zu können. Diese durch eine kaiserliche Konferenz am 2. Juli 1941 gebilligte Strategie machte den Weg Japans in den Weltkrieg frei, wenngleich man in falscher Einschätzung der amerikanischen Standfestigkeit annahm, die eigenen Ziele vielleicht auch auf dem Verhandlungsweg weitgehend durchsetzen zu können. Als am 24. Juli japanische Truppen nach erneutem Druck auf das VichyRegime mit 40000 Mann kampflos Südindochina besetzten, reagierte Washington mit der Sperrung der japanischen Guthaben. Die niederländische Exilregierung, Großbritannien und die Dominions schlossen sich an. Dieser Schritt kam einem fast vollständigen Handelsembargo gleich, was durch eine Genehmigungspflicht für den Außenhandel mit Japan verstärkt wurde. Durch die Entschlüsselung des japanischen Funk-Codes (MAGIC) informiert, waren die „Falken“ in Washington überzeugt, dass der Beschluss vom 2. Juli bereits die definitive Entscheidung Tokios für die Südexpansion darstellte. Dabei drängte nun plötzlich Berlin wegen der wachsenden Schwierigkeiten beim Vormarsch nach Osten seinen fernöstlichen Verbündeten, sich nun doch wieder gegen die UdSSR zu wenden, was in Tokio nur in Teilen der Heeresführung positiven Widerhall fand. Mit großem Misstrauen verfolgten die Deutschen wiederum die japanisch-amerikanischen Gespräche, da sie hofften, dass der Verbündete seinen Konfrontationskurs gegen die USA fortführte. Die Hardliner in Washington sorgten für ein festes Anziehen der Embargoschrauben, obwohl die amerikanische Marineführung im Hinblick auf ihre wachsenden Verpflichtungen im Atlantik davor warnte, die Japaner in eine aussichtslose Lage zu treiben, so dass ihnen nur der Schritt in den Krieg übrigbliebe. Auch die Briten waren verständlicherweise nicht an einer Kriegsausweitung im Fernen Osten interessiert. In Washington unterschätzte man wohl die Mentalität der Japaner, die auch aus Gründen der nationalen Selbstachtung einen Krieg als unvermeidbar hinzunehmen bereit waren, selbst wenn er mit einer Katastrophe enden sollte. Die „Falken“ in Tokio wiederum rechneten sich Chancen aus, nach größeren Anfangserfolgen in der Tiefe des pazifischen Raumes zumindest
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten eine Patt-Situation erreichen zu können, die dann zu vorteilhaften Friedensverhandlungen führen würde. Der Kriegsplan sah drei Zonen vor: den „inneren Ring“ (Japan, Mandschukuo, China), die „Versorgungsregion“ (Indochina, Philippinen, Malaysia, Indonesien) und den Kampf um einen äußeren „Verteidigungsgürtel“ (Burma, Neuguinea, Marshall-Inseln, Guam). Bei einer Verbindungskonferenz am 1. November 1941 fiel dann der Entschluss zur Kriegseröffnung. Die bilateralen Gespräche in Washington waren längst in einer Sackgasse angelangt. Deshalb bot die japanische Führung die Verständigung über einen Modus Vivendi an, um Zeit zu gewinnen und die Amerikaner zu täuschen. Diese waren aber durch MAGIC über die Absichten des Gegners besser informiert, als man in Tokio annahm. Sie verlangten jetzt einen japanischen Rückzug aus Indochina und sogar aus ganz China, bevor man bereit wäre, die gesperrten Öllieferungen wiederaufzunehmen. Damit stand die kaiserliche Regierung mit dem Rücken zur Wand. Roosevelt verlangte klare Verhältnisse in Südostasien und die Anerkennung der amerikanischen Vorherrschaft im pazifischen Raum. Der Krieg war unabwendbar, aber der US-Präsident hielt es für wichtig, dass die Japaner den „ersten Schuss“ abfeuerten, weil der Kongress ansonsten vermutlich keine eigene Kriegserklärung billigte. Die Ursachen des Krieges lagen zweifellos in dem japanischen Bestreben, sich ein wirtschaftlich autarkes Imperium zu schaffen. Durch die Konkurrenz mit den Westmächten und das Bündnis mit den Achsenmächten waren sie in eine militärische Konfrontation geraten, die sie letztlich überforderte. Auf diese Weise eskalierte der europäische Krieg zum Weltkrieg, wobei aus der Sicht wohl aller beteiligten Mächte auf dem asiatischen Kriegsschauplatz nicht die letzte Entscheidung fallen würde. Es war ein Menetekel, dass wenige Tage vor dem „ersten Schuss“ der Japaner Hitlers Armeen vor Moskau liegen blieben und zurückgeworfen wurden. Ein Sieg der Achsenmächte rückte damit in weite Ferne. Japan trat mit dem Überfall auf Pearl Harbor, dem Hauptstützpunkt der amerikanischen Pazifik-Flotte, die Flucht nach vorn an. Über eine Distanz von 6800 Kilometern bewegte sich im November 1941, während in Washington die Verhandlungen noch andauerten, ein japanischer Flottenverband in Richtung Hawaii. Von sechs Flugzeugträgern starteten im Morgengrauen des 7. Dezember 260 Maschinen. Sie versenkten fünf Schlachtschiffe und beschädigten drei weitere, ebenso mehrere leichte Kreuzer, Zerstörer und andere Seefahrzeuge. 292 amerikanische Flugzeuge wurden auf den Rollfeldern von Honolulu zerstört oder beschädigt. Mehr als 3500 Zivilisten und Soldaten fanden den Tod oder wurden verwundet. Trotz mehrfacher Warnungen war die Flotte in Pearl Harbor nicht rechtzeitig alarmiert worden. Ob dafür tatsächlich eine Kette von Zufällen, Versagen und Sorglosigkeit verantwortlich war, ist in der Literatur immer wieder erörtert worden. Mehrere Untersuchungsverfahren versuchten vergeblich, die Gerüchte restlos aufzuklären, dass Roosevelt den Überfall absichtlich zugelassen habe. Die US-Militärs hatten jedenfalls nicht mit einem Luftangriff gerechnet, weil sie die operativen Fähigkeiten der japanischen Marine falsch einschätzten. Entscheidend blieb das Ergebnis des Überfalls. Die Vereinigten Staaten erklärten vier Wochen später am 8. Dezember 1941 Japan den Krieg. Die kostbaren drei eigenen Flugzeugträger
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Pearl Harbor
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befanden sich während des Angriffs auf See; von den versenkten älteren Schlachtschiffen ließen sich bis auf zwei alle wieder aus dem seichten Hafenwasser heben und von den unversehrt gebliebenen Werften reparieren.
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Botschaft des Tennos an die japanische Nation am 8. Dezember 1941 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 465. Wir durch die Gnade des Himmels Kaiser von Japan, die wir in einer seit ewigen Zeiten ununterbrochenen Linie den Thron innehaben, geben euch treuen und tapferen Untertanen zur Kenntnis: Wir erklären hiermit den Vereinigten Staaten von Amerika und dem britischen Empire den Krieg. […] Die Seelen unserer kaiserlichen Vorfahren blicken auf uns herab. Wir verlassen uns auf die Loyalität und den Mut unserer Untertanen und erwarten, dass die Aufgabe, die uns von unseren Vorfahren anvertraut worden ist, weitergeführt werden wird, dass die Quellen des Bösen schnell vernichtet werden und dass ein dauerhafter Friede in Ostasien errichtet werden wird, der den Ruhm unseres Reiches bewahrt.
Kräfteverhältnis im Pazifik
„Germany first“
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Das japanische Heer mit rund zwei Millionen Mann, hauptsächlich in China gebunden, stellte von seinen 51 Divisionen und 58 Brigaden lediglich 11 Divisionen und 3 Brigaden für Südostasien zur Verfügung. Die Heeresflieger verfügten über rund 1500 Flugzeuge. Mit seiner geringen Zahl gepanzerter Einheiten und einer schwachen Motorisierung entsprach das Heer nicht einem modernen Standard. Die Marine konnte dagegen alle Kräfte im Süden einsetzen: 10 Flugzeugträger, 10 Schlachtschiffe, 18 Schwere und 20 Leichte Kreuzer, 113 Zerstörer und 65 U-Boote. Eine Elite bildeten die Marineflieger. Sie verfügten über 700 bord- und 1400 landgestützte Flugzeuge. Die Seestreitkräfte der Amerikaner waren trotz der zunehmenden Spannungen im Atlantik mit Schwerpunkt im Pazifik konzentriert. Die Gesamtstärke betrug 15 Schlachtschiffe, 6 Flugzeugträger, 18 Schwere und 19 Leichte Kreuzer, rund 200 Zerstörer und 100 U-Boote. Bei der Pazifikflotte waren 3 Flugzeugträger, 8 Schlachtschiffe, 21 Kreuzer, 67 Zerstörer und 27 U-Boote stationiert. Hinzu kamen bei der Asienflotte, die im philippinischen Raum operierte, 3 Kreuzer, 13 Zerstörer und 29 U-Boote – außerdem von den Briten 2 Schlachtschiffe, 17 Kreuzer und 6 Zerstörer sowie von den Niederländern 3 Kreuzer, 7 Zerstörer und 15 U-Boote. 75346 Mann dienten im Marinekorps, in der Marineluftwaffe 10923. Das Kräfteverhältnis im pazifischen Raum war also nahezu ausgeglichen. Deshalb hatte Tokio gehofft, dass die Amerikaner vielleicht nach dem ersten Schock doch noch einen Ausgleich anstreben könnten, da sie sich nun auch auf Hitlers Kriegserklärung einzurichten hatten. Aber Roosevelt nahm den Kampf entschlossen auf und organisierte den Pakt der „Vereinten Nationen“, der am 1. Januar 1942 in Washington von 26 Staaten unterzeichnet wurde. Auf einer strategischen Konferenz (Deckname „Arcadia“) beschlossen Briten und Amerikaner, in Ostasien zentrale Positionen zu halten und die kriegswichtigen Rohstoffquellen zu verteidigen. „Germany first“ bestimmte das weitere Vorgehen. Über eine mögliche Gegenoffensive in Europa herrschte allerdings zunächst noch Uneinigkeit. Churchill setzte auf Nordafrika und Südosteuropa, die Amerikaner bevorzugten einen Frontalangriff über den Kanal hinweg ins Herz der deutschen Rüstungsindustrie. Wegen der starken deutschen Vertei-
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten digung im Westen bedurfte es einer längeren Vorbereitungsphase, außerdem musste zunächst die weitere japanische Offensive abgewehrt werden. Zur Vorbereitung der strategischen Fragen gründete man das Combined Chiefs of Staff Committee, dem sowjetische Vertreter allerdings nicht angehörten. Der japanische Vorstoß in den angestrebten äußeren Verteidigungsgürtel, den ein zweiter Flottenverband erfolgreich unternahm, wurde von der örtlichen Überlegenheit vor allem der japanischen Marineflieger sowie durch die ungünstige strategische Verteilung der alliierten Stützpunkte begünstigt. Längerfristig gesehen waren die japanischen Kriegsaussichten aber ungünstig. Es gab praktisch kein Mittel, den amerikanischen Kontinent wirkungsvoll anzugreifen und Washington zu einem Frieden zu zwingen. Während die amerikanische Rüstung jetzt erst richtig in Schwung geriet, konnten die japanischen Kräfte nur schwächer werden. Japans Lebensadern waren die weiten Seeverbindungen, auf die das rohstoffarme Land für seine Rüstung angewiesen war. Diese ließen sich aber nicht zuverlässig verteidigen. Die weit auseinandergezogenen Fronten wurden von einzelnen Stützpunkten und mobilen Flottenverbänden gesichert. Nachschub und Treibstoffversorgung bildeten die Achillesferse. Schon bald versenkten amerikanische U-Boote und Flugzeuge mehr Handelsschiffe, als auf den japanischen Werften neu gebaut wurden. Bei Kriegsbeginn verfügte Japan über eine Handelsflotte von 6 Millionen BRT, durch Neubauten und Prisen kamen dann 4,1 Millionen BRT dazu. Dem standen Verluste von 8,6 Millionen BRT bis Kriegsende gegenüber. Auf amerikanischer Seite liefen hingegen von 1939 bis 1945 Handelsschiffe mit 40 Millionen BRT vom Stapel! Trotz einiger Steigerungsraten in der japanischen Rüstungsproduktion zehrte die Kriegswirtschaft Nippons von der Substanz. Bis Kriegsende wurden zwar 70000 Flugzeuge produziert, doch die USA lieferte 300000 Maschinen aus (die UdSSR 147000, Deutschland 109600). Bereits am 10. Dezember 1941 waren die ersten japanischen Soldaten auf den Philippinen gelandet. Am selben Tag wurden zwei von Singapur nach Norden vorstoßende britische Schlachtschiffe versenkt. Das gleiche Schicksal erlitt das niederländisch-indische Geschwader in der Java-See. Eine Koordination der alliierten Kriegführung erwies sich angesichts der großen Entfernungen zwischen Honolulu und Singapur als extreme Herausforderung. Den Japanern gelang es zum Jahreswechsel, wichtige Stützpunkte und Ankerplätze auf Guam, Wake, den Gilbert-Inseln, im Bismarck-Archipel, vor Bougainville und Neuguinea zu besetzen. Eine japanische Armee drang in Thailand vor, dann nach Burma und eroberte Rangoon. Brief des Soldaten Keiro Hashimoto an seine Schwester Ryoku, Bangkok 1942 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 56.
IV.
Japanische Erfolge
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Vor allem freut mich die Bauchbinde, die ich mit Deinem Paket erhielt. Wie die früheren Ritter, die mit dem uralten Harnisch der Familie gepanzert in den Kampf gingen, so sehe ich an den schwarzgefärbten Mustern der Binde die Geschichte unseres Geschlechtes, und sie stärkt mich […] Wenn ich mich allein und einsam fühle, schaue ich mir die Binde an, erinnere mich an die Heimat Tosa, an meine Familie, und ich bekomme dadurch mein Selbstvertrauen zurück. Möchten die Reinheit der Seele und der schöpferische Wille immer Wesenszüge der Jugend bleiben.
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Kriegsschauplätze
IV.
Die Wende von Midway
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Der japanische Flottenchef, Admiral Isoroku Yamamoto, vereinte seine Flottenverbände zu einem Vorstoß in den Indischen Ozean und brachten einem britischen Geschwader unter Sir James Somerville im April 1942 schwere Verluste bei. Das ermöglichte japanischen Truppen die Besetzung der Stadt Lashio, Endpunkt der Burma-Straße, der bedeutendsten Nachschubstrecke für Chiang Kai-sheks nationalchinesische Armee. Die verbliebenen 12000 Mann britisch-indischer Truppen zogen sich auf eine Verteidigungslinie zum Schutze Indiens zurück. Ebenfalls am 10. Dezember 1941 waren Verbände einer zweiten japanischen Armee an der Ostküste Malaysias gelandet. Gegen zahlenmäßig überlegene britische Einheiten drangen sie auch mit gepanzerten Fahrzeugen durch den Dschungel gegen die stärkste Seefestung der Welt. Singapur hatte sich zur Landseite hin durch die Natur gesichert geglaubt und wurde von den Japanern am 15. Februar 1942 zur Kapitulation gezwungen. 70000 Überlebende traten den Weg in eine schwere Gefangenschaft an, die größte Niederlage in der britischen Militärgeschichte! Der Kampf einer dritten japanischen Armee um die Philippinen gegen eine vermeintlich überlegene Streitmacht (29000 Amerikaner und 80000 Philippinos) erwies sich als langwierig. Nach der Kapitulation der Niederländer am 8. März 1942 gerieten auch die Amerikaner unter Douglas MacArthur unter stärkeren Druck. Ein großer Teil von ihnen gab am 9. April den Kampf auf. Mit der Eroberung der Felseninsel Corregidor am 6. Mai waren die Philippinen endgültig in japanischer Hand. Einzelne Gruppen von Soldaten setzten den Kampf als Guerillas fort. Ihre wichtigsten Ziele hatten die Japaner mit diesen weiträumigen Operationen zum Großteil erreicht. Sie wollten nun zur strategischen Defensive übergehen und ihren Machtbereich stabilisieren. Dieser erstreckte sich allerdings über fast 10000 Kilometer Länge und bot den zum Kampf entschlossenen Amerikanern reichlich Lücken und Angriffspunkte. Sie übernahmen Ende Februar 1942 die Gesamtführung der alliierten Kräfte in Ostasien und teilten das Operationsgebiet auf. General MacArthur befehligte die South-West Pacific Areas, Admiral Chester William Nimitz die Pacific Ocean Areas. Beide mussten zunächst weitere japanische Vorstöße abwehren. Vom 4. bis 8. Mai 1942 erzielten die Amerikaner im Korallenmeer einen ersten wichtigen Erfolg. Die fünftägige See-Luft-Schlacht war in dieser Form eine Premiere in der Seekriegsgeschichte, da sich die beiderseitigen Seestreitkräfte nicht direkt bekämpften, sondern nur über ihre Flugzeuge. Beide Seiten verloren einen Flugzeugträger, ein zweiter japanischer wurde schwer beschädigt. Trotz taktischer Vorteile verzichteten die Japaner jetzt auf die Landung bei Port Moresby (Neuguinea). Dafür landeten zur selben Zeit die Briten auf Madagaskar und besetzten den Flottenstützpunkt Diego Suarez. Die Vichy-Truppen gaben ihren Widerstand rasch auf und verloren den größten Teil ihrer ohnehin schwachen Seestreitkräfte. Ihren wichtigsten Erfolg erzielte die US-Navy durch die Schlacht bei Midway vom 3. bis 7. Juni 1942. Nach einem Ablenkungsangriff gegen die Aleuten wollten die Japaner starke Kräfte auf Midway landen, um eine weite Lücke in ihrem Sicherungsgürtel zu schließen und dadurch sogar eine spätere Besetzung von Hawaii zu ermöglichen. Yamamoto verfolgte die Ab-
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten sicht, mit seiner Vereinigten Flotte die zum Schutz der Insel eingreifende US-Flotte zur Entscheidungsschlacht zu zwingen. Es wurde eine verheerende Niederlage für die Japaner, die insgesamt vier Flugzeugträger verloren, ohne dass das Gros der japanischen Flotte eingreifen konnte. Auf amerikanischer Seite ging die „Yorktown“ verloren. Yamamoto musste den Rückmarsch antreten. Für weiträumige Angriffsoperationen fehlte dem „Land der aufgehenden Sonne“ nunmehr die Kraft. Dafür starteten die Amerikaner sofort eine Gegenoffensive. Am 7. und 8. August 1942 landeten Kräfte des US-Marinekorps auf Guadalcanal. Mit monatelangen schweren Kämpfen wehrten sie eine Bedrohung der Seeverbindungen nach Australien ab und sorgten für eine Gefährdung des südlichen Defensivgürtels der Japaner. Den verlustreichen triphischen Abnutzungskampf musste das japanische Oberkommando durch die Evakuierung seiner Truppen ab 1. Februar 1943 abbrechen. Die Initiative war damit auf die alliierte Seite übergegangen, ebenso wie zur gleichen Zeit auch gegen die Deutschen und Italiener in Nordafrika sowie an der Ostfront. Der Pazifik blieb freilich ein „Nebenkriegsschauplatz“, obwohl sich die westlichen Alliierten Anfang 1943 dazu entschlossen, die Invasion in Europa um ein Jahr zu verschieben und die Gelegenheit zu nutzen, im Fernen Osten eine Offensive zur Zerschlagung des großjapanischen Imperiums zu eröffnen. Hier konnten sie ihre Stärke in Seeschlachten traditionellen Stils zur Geltung bringen, wie sie Hitlers Kriegsmarine niemals zu liefern vermochte. Die Größe und Natur des pazifischen Kriegsschauplatzes erlaubten keinen Stillstand der Operationen von Flugzeugträger-Kampfgruppen, Konvois und amphibischen Einsatzgruppen. Es gab keine festen Fronten, sondern nur den Kampf um Stützpunkte und Verbindungswege, ein „Inselspringen“, in dem der überraschende Einsatz von relativ geringen Landungstruppen große strategische Wirkungen entfalten konnte. Auch wenn es dabei öfters zu intensiven Kämpfen in Dschungeln und auf entlegenen Eilanden kam, wurde die Schlacht stets von eingreifenden Flottenverbänden entschieden, deren Trägerflugzeuge über den Horizont hinweg operierten. In diesem Kampf waren Informationen über die Stärke, Absichten und Bewegungen des Feindes von besonderer Bedeutung. Hier konnten die Amerikaner ihre große Überlegenheit in der elektronischen Aufklärung zur Geltung bringen. Mit der gezielten Jagd auf den japanischen Flottenchef (Operation „Vengeance“) gelang ihnen ein spektakulärer Coup. Admiral Yamamoto wurde am 18. April 1943 in seinem Flugzeug über Bougainville abgeschossen.
Brief eines amerikanischen Soldaten der 1. Marinedivision vor der Landung auf Guadalcanal Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 244.
IV.
US-Gegenoffensive
„Inselspringen“
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Die Gesichter sind grimmig. Nirgends ist ein Lachen zu hören. Die Zugführer geben letzte Anweisungen. Karten unserer Angriffsobjekte, in die die Stellungen des Feindes aus Luftaufnahmen übertragen und eingezeichnet wurden, werden an die Truppführer und Meldegänger verteilt. Wir bekommen Aufstellungen über die japanischen Waffen, Explosivgeschosse und ihre Taktik. Ich habe die Anweisung, mit dem ersten Zug zu landen.
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Kriegsschauplätze
IV.
Nach ihrer Niederlage von Guadalcanal hatte die japanische Führung beschlossen, die Außenposten im Pazifik nur noch hinhaltend zu verteidigen und sich auf einen verkürzten „absoluten Sicherheitsraum“ abzustützen. Er reichte von Burma über Malaya bis Neuguinea und zu den Kurilen. Premierminister Hideki Tojo hoffte darauf, die Kriegswirtschaft intensivieren und diesen Raum so lange verteidigen zu können, bis eine politische Lösung gefunden war. Gleichzeitig drängte Tokio die deutsche Führung, einen Ausgleich mit der Sowjetunion zu finden, um alle Kräfte gemeinsam gegen die Westmächte einsetzen zu können. Man verstand nicht, dass Russland für Hitler der Erzfeind war, mit dem es – anders als 1917/18 keinen Waffenstillstand oder gar Frieden geben konnte. Japan wiederum profitierte von seiner Neutralität gegenüber der UdSSR und duldete den alliierten Nachschubverkehr ins sowjetische Wladiwostok. Die Amerikaner stellten sich auf eine Reihe von Operationen mit Teilangriffen ein, die, je nach Verfügbarkeit des Schiffsraums, abwechselnd von Admiral Nimitz oder General MacArthur in getrennten Räumen vorangetrieben worden waren. Jetzt konnten beide Oberbefehlshaber gleichzeitig zuschlagen. Dafür standen 819 Kriegsschiffe und 7800 Flugzeuge zur Verfügung. MacArthur brauchte ein Jahr, um durch Vorstöße auf Neuguinea die Bedrohung Australiens auszuschalten. Seine Offensive im Südwestpazifik begann im Juni 1943 mit der Landung auf den Salomonen-Inseln New Georgia, Vella Lavella und Rendova. Hier wurde die neue Taktik praktiziert: starke feindliche Garnisonen zu umgehen und zu isolieren, schwache Stützpunkte zu erobern und für eigene Zwecke auszubauen, um dadurch eigene Kräfte zu schonen.
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Bericht von Robert Sherrod, US-Kriegsberichterstatter, über die Landung auf Tarawa am 20. November 1943 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 448. Wir hatten kaum das Wasser berührt, als die japanischen Maschinengewehre uns unter Beschuß nahmen. Es müssen fünf oder sechs Maschinengewehre gewesen sein, die das Feuer auf uns konzentrierten – es gab in diesem Augenblick im Wasser kein näheres Ziel – das bedeutete einige hundert Kugeln pro Mann. Ich glaube nicht, dass einer unter den fünfzehn war, der nicht seine Chance gegen eine Erhöhung seiner Lebensversicherungpolice um fünfundzwanzig Dollar eingetauscht hätte. Das Waten in diesem tiefen Wasser ging entsetzlich langsam. Und wir mussten mehrere hundert Meter langsam direkt in das Maschinengewehrfeuer hineinwandern, wobei wir mit dem allmählichen Ansteigen des Bodens immer bessere Ziele boten. Ich habe nie zuvor eine solche Angst gehabt.
Bougainville wurde im November 1943 angegriffen, dann der größte japanische Stützpunkt im Südpazifik, Rabaul, durch systematische Luftangriffe lahmgelegt. Das Gros der Flotte unterstützte den Vorstoß von Nimitz zu den Marianen im Zentralpazifik. Zuvor war der Weg zu den Marshall-Inseln geöffnet worden. Mitte Februar 1944 konnte dann Eniwetok eingenommen werden. Die Eroberung von Saipon bot die Chance, einen Stützpunkt zu errichten, um eine Bomberoffensive gegen das japanische Mutterland eröffnen zu können. Landungstruppen eroberten Saipan, Tinian und Guam. Ende April 1944 wurde der wichtigste Stützpunkt Nippons im Zentralpazifk,
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Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten das Atoll Truk (Karolinen) zerstört. Gegen starke japanische Flottenkräfte kam es am 19. Juni 1944 zu einer See-Luft-Schlacht („Truthahnschießen bei den Marianen“), bei der am Ende 366 japanische Flugzeuge zerstört und drei Flugzeugträger versenkt wurden. Die Schlacht in der Philippinensee führte in Tokio zum Sturz von Tojo und zur Einsetzung eines „Obersten Kriegsrates“, in dem Heer und Flotte die Dualität ihres Machtanspruchs manifestierten. Trotz einer steigenden Rüstungsproduktion hatten die Japaner keine Aussicht, das Kräfteringen mit den Amerikanern bestehen zu können. Auch die Invasion in Europa hemmte nicht die amerikanische Offensive in Asien, die sich nun immer stärker auch gegen die japanischen Kraftquellen und inneren Verbindungswege richtete. Die Amerikaner konnten sich sogar einen handfesten Streit der Oberbefehlshaber im Pazifik über den künftigen Angriffsschwerpunkt leisten, den schließlich Roosevelt persönlich schlichten musste. Alle großen Flottenverbände (34 Träger, 11 Schlachtschiffe, 19 Kreuzer, 174 Zerstörer) sollten in Richtung Leyte vorstoßen, der zentralen PhilippinenInsel, um der Army Landungsoperationen zur Befreiung der wichtigsten Inselgruppe zu ermöglichen. Auf japanischer Seite hatte man sich darauf vorbereitet, einem solchen Vorstoß die gesamte eigene Flotte (7 Träger, 7 Schlachtschiffe, 19 Kreuzer, 25 Zerstörer) entgegenzustellen. Ihre Unterlegenheit sollte durch den Einsatz von 1150 landgestützten Flugzeugen von Japan, Formosa und den Philippinen aus wettgemacht werden. Zu ihnen zählten Piloten, die bereit waren, sich selbst aufzuopfern und sich mit ihren Maschinen auf amerikanische Schiffe zu stürzen (Kamikaze – „göttlicher Wind“). Tagebuch eines Kamikazefliegers am 22. Februar 1945 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 3, S. 352
IV.
Kampf um die Philippinen
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Endlich gehöre ich wirklich zu dem Sonderangriffskorps Kamikaze! Mein Leben wird sich in den nächsten vier Wochen erfüllen. Meine Chance wird kommen – der Tod – und ich warte darauf. Ausbildung und Übungen waren hart, doch es hat sich gelohnt, wenn wir in Schönheit für die gute Sache sterben können.[…] In den nächsten paar Wochen werden meine Jugend und mein Leben in rasender Eile zu Ende gehen.
In einem ersten Schlag vernichteten die Amerikaner fast die Hälfte der japanischen landgestützten Luftstreitkräfte. Weil das japanische Hauptquartier von den eigenen Fliegern völlig übertriebene Versenkungsziffern gemeldet erhielt, schätzte es das Risiko für einen eigenen Flottenvorstoß als gering ein. Die wegen Treibstoffmangel weit zerstreute japanische Flotte musste mühsam zusammengezogen werden, was den Amerikanern mit ihrer Funkaufklärung einen wichtigen Vorteil verschaffte. Allein am 25. Oktober 1944 wurden hintereinander vier große japanische Träger versenkt. Insgesamt verloren die Japaner bei der Schlacht um den Leyte-Golf, der größten Seeschlacht aller Zeiten, fast die Hälfte ihrer noch vorhandenen Flotte, die von nun an als strategischer Faktor keine Rolle mehr spielte. MacArthur konnte 132000 Mann an Land bringen. Mitte Februar landeten mehr als 2000 amerikanische Fallschirmjäger auf der Felseninsel Corregidor am Eingang der Manila-Bucht. Die Kämpfe zur Befreiung der Philippinen dauerten jedoch noch bis Juni 1945.
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Kriegsschauplätze
IV. Japans Krieg in China
Während sich auf diese Weise die Alliierten über 5000 Kilometer Pazifik an die japanischen Hauptinseln herankämpften, hatten die Japaner ihr Festlandimperium, das von der Mandschurei bis nach Burma reichte, mit größter Rücksichtslosigkeit gesichert und ausgebeutet. Sie scheuten sich nicht, den chinesischen Widerstand selbst mit dem Einsatz von Giftgas zu bekämpfen und die verachteten Chinesen zu Tausenden für barbarische Experimente biologischer Kriegführung zu benutzen. Dennoch beherrschten sie kaum mehr als die großen Städte und Verbindungsstraßen. Unterstützung erhielt der nationalchinesische Widerstand durch Briten und Amerikaner. Auch die kommunistischen Partisanen hatten ihren Bürgerkrieg eingestellt und beteiligten sich an den Kämpfen gegen die Japaner. Diese versuchten sich im Februar 1944 eine Entlastung zu verschaffen, indem sie einen Vorstoß nach Ostindien organisierten. Daran beteiligten sich auch Freiwillige der indischen Unabhängigkeitsbewegung unter Subhash Chandra Bose, der von Hitler empfangen worden war. Die Schlacht im burmesischen Dschungel gegen britisch-indische Kräfte endete mit einer verheerenden Niederlage der japanischen Armee. Erfolgreich dagegen entwickelte sich für die Japaner eine letzte Großoffensive (Operation „ICHI-GO“) im April 1944, mit der sie eine Landverbindung über 850 Kilometer nach Indochina schufen. Dabei fügten sie den Nationalchinesen eine schwere Niederlage zu und eroberten alle Stützpunkt, die von der US-Army Air Force genutzt worden waren. Immerhin blieben auf diese Weise aber mehr als eine Million japanischer Soldaten in China gebunden. Die Invasion in Europa
Mittelmeer oder Nordfrankreich?
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Bis zum Jahresende 1944 brauchten die Kräfte der Anti-Hitler-Koalition, um die Feindmächte auf ihre Heimatbasen zurückzuwerfen. Ihre Truppen standen bereit, Deutschland bzw. die japanischen Hauptinseln zu erobern. Das faschistische Italien war bereits ein Jahr zuvor aus dem Krieg ausgeschieden, die Verbündeten der Achsenmächte hatten fast alle die Seite gewechselt. Vier Jahre zuvor, als sich Großbritannien allein einem Mehrfrontenkrieg gegenübergesehen hatte, waren Churchill, neben der Hoffnung auf den Kriegsbeitritt der USA, nur drei Möglichkeiten geblieben, dem Hauptgegner Hitler kräftige Schläge zuzufügen und die Voraussetzungen für eine Wende des Krieges zu schaffen: durch die Unterstützung der Widerstandsbewegungen auf dem deutsch besetzten europäischen Kontinent sowie durch die Intensivierung des Bombenkrieges. Bis 1942 blieb es in diesen Bereichen bei Nadelstichen. Erfolgreicher war die Fortsetzung der Kampfhandlungen an der Peripherie des deutschen Machtbereichs gewesen. Hier war es den Briten 1941/42 gelungen, mit ihrer Mittelmeer-Strategie erhebliche Kräfte der Achse zu binden und die eigene lebenswichtige Basis im Nahen Osten zu verteidigen. Die Niederlagen des faschistischen Italiens in Afrika zeigten an, wo die militärische Schwachstelle der Achse war. Für die Briten waren die Italiener der am besten geeignete Gegner, um die eigene Kampfmoral wiederaufzubauen und Hitler zu zwingen, einen steigenden Strom von Kräften für seine Nebenfront im Süden zur Verfügung zu stellen. Reichten dazu bis zur Kapitulation der Heeresgruppe Afrika in Tunis wenige deutsche Divisionen aus, musste er danach zur Stützung der Front
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten
IV.
und zur Sicherung der weiten Küstenlinien von der spanischen Grenze bis zum Bosporus erheblich stärkere Kräfte einsetzen. Eine große Bedeutung hatte auch die Bindung von größeren Luftstreitkräften, die im Osten und zur Reichsluftverteidigung fehlten. Stalins ständige Forderung nach Errichtung einer zweiten Front in Europa war nur ein politisches Spiel mit den Verbündeten. Ihr Kampf gegen Japan bildete ebenso eine Russland entlastende Front wie die Schlacht im Atlantik und der strategische Bombenkrieg gegen Deutschland. Die Westalliierten katapultierten Italien aus dem Krieg und beherrschten seit 1943 auch das Mittelmeer. Sie bedrohten damit den „weichen Unterleib“ des Deutschen Reiches. London war entschlossen, wie im Ersten Weltkrieg eine neue Front in Südosteuropa aufzubauen, im Vertrauen nicht zuletzt auf den Abfall der deutschen Verbündeten Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Die schwache deutsche Präsenz auf dem Balkan und die wachsende Stärke der einheimischen Widerstandsbewegungen insbesondere in Griechenland und Jugoslawien luden förmlich zu einer Invasion ein, auch wenn Geographie und Infrastruktur für ein rasches Vordringen wenig geeignet erschienen. Die Amerikaner hatten deshalb schon 1942 auf eine Landung in Nordwesteuropa gesetzt, um durch einen Stoß ins deutsche Rüstungszentrum Ruhrgebiet eine schnelle Entscheidung zu erzwingen. Durch ein begrenztes Landungsunternehmen am 19. August 1942 zur Wegnahme des nordfranzösischen Hafens von Dieppe, die sich freilich für Briten und Kanadier als mittlere Katastrophe entwickelte, zeigte sich, dass es den Alliierten noch an ausreichenden Fähigkeiten mangelte, eine Großlandung erfolgreich durchzuführen. Die verlustreiche Aktion zwang Hitler immerhin dazu, die bisher improvisierten Befestigungen seines Atlantikwalles erheblich auszuweiten. Das verschlang eine große Zahl von Arbeitskräften, Stahl, Kanonen und Mannschaften. Aufzeichnungen des persönlichen Vertrauten des US-Präsidenten, Harry L. Hopkins, über Ausführungen Roosevelts am 24. Januar 1943 in Casablanca Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 298.
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Der Präsident und der Premierminister sind in Anbetracht der gesamten Kriegslage mehr denn je davon überzeugt, dass nur eine totale Beseitigung der deutschen und japanischen Kriegsmacht der Welt den Frieden bringen kann. Dies führt zu der einfachen Formulierung der Kriegsziele, welche eine bedingungslose Kapitulation Deutschlands, Japans und Italiens zum Inhalt hat. Die bedingungslose Kapitulation dieser Mächte kann allem Ermessen nach den Weltfrieden für Generationen sichern. Bedingungslose Kapitulation bedeutet nicht die Vernichtung der deutschen, der japanischen oder der italienischen Bevölkerung, sie bedeutet vielmehr die Zerstörung einer Weltanschauung in Deutschland, Italien und Japan, die auf der Eroberung und Unterjochung anderer Völker bestehe.
Auf der Konferenz in Casablanca hatten sich Churchill und Roosevelt im Januar 1943 dann darauf verständigt, zunächst an der Mittelmeer-Strategie festzuhalten. Nach dem Fall von Tunis einigten sie sich auf einer Konferenz in Washington (Trident) Ende Mai 1943 auf einen Kompromiss: aus „Germany First“ wurde „Italy First and Germany Second“. Von Churchills Plan einer sofortigen Landung in Griechenland blieb nur ein Täuschungsmanö-
Verschiebung der Invasion
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Kriegsschauplätze
IV.
Alliierter Vormarsch in Italien
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ver des britischen Geheimdienstes. Hauptziel für 1943 wurde eine Invasion in Italien mit geringen, aber ausreichenden Kräften, um auf einem begrenzten Raum mit noch teilweise wenig erfahrenen Truppen den Kampf gegen die Wehrmacht aufzunehmen und den deutschen Bündnispartner Italien zum Seitenwechsel zu bewegen. Mit dieser kräftesparenden Strategie konnten sich die Alliierten dann darauf vorbereiten, den Hauptschlag im nächsten Jahr in Westeuropa zu führen. Die Landung am 10. Juli 1943 auf Sizilien (Operation Husky) wurde mit 2500 Schiffen und 200000 Soldaten die bisher größte amphische Operation während des Zweiten Weltkriegs. Geheime Kontakte zur Mafia trugen mit dazu bei, den Widerstand der Achsentruppen zu schwächen. Als die Landung geglückt war, ließ Hitler seine letzte Großoffensive an der Ostfront bei Kursk abbrechen. Der Erfolg der Alliierten blieb freilich begrenzt, weil es ihnen nicht gelang, den Rückzug der Verteidiger über die Straße von Messina auf das italienische Festland zu verhindern. Rund 110000 deutsche und italienische Soldaten bereiteten eine neue Abwehrfront vor. So waren die Alliierten gezwungen, eine militärische Entscheidung durch weitere Landungen zu erzwingen. Die lange Küstenlinie bot dafür günstige Voraussetzungen. Mit drei Unternehmungen bei Messina, Salerno und Tarent (Operation Avalanche) versuchten sie Anfang September, den Gegner in Süditalien abzuschneiden und damit die deutsche Italienfront zum Einsturz zu bringen. Hilfreich sollte der heimlich organisierte Waffenstillstand sein, den nach dem Sturz Mussolinis die neue Regierung unterzeichnete. Im Gegenzug gelang es aber den deutschen Truppen, die bisher verbündeten Italiener zu entwaffnen und zusätzliche Kräfte heranzuführen. Durch das zögerliche Vorgehen der Alliierten bei Salerno konnte die Wehrmacht erneut entweichen und sich auf eine vorbereitete neue Verteidigungslinie (Gustav-Linie) zurückziehen. Um die Patt-Situation zu überwinden, planten die Briten eine weitere Landung bei Anzio (Operation Shingle), nördlich der Gustav-Linie, während diese gleichzeitig durch eine Großoffensive bei Monte Cassino angegriffen werden sollte. Wieder kam es bei der Durchführung am 22. Januar 1944 zu Verzögerungen, so dass die deutschen Verteidiger unter Generalfeldmarschall Albert Kesselring durch Kräfteverschiebungen sowohl den Brückenkopf bei Anzio attackieren und eindämmen konnten, als auch den von Fallschirmjägern verteidigten Monte Cassino vorerst zu halten vermochten. Erst Ende Mai 1944 gelang den Alliierten in der vierten Schlacht bei Monte Cassino der Durchbruch, so dass – zeitgleich mit der Invasion in der Normandie – erstmals ein schneller Vormarsch in Italien möglich wurde. Die Wehrmacht räumte kampflos Rom und stellte sich erst nördlich von Florenz in der Goten-Linie wieder zum Kampf. Norditalien blieb bis in die letzten Tage des Krieges in deutscher Hand, trotz einer erdrückenden materiellen Überlegenheit der Alliierten. Mussolini hatten die Deutschen zwar befreien können und ihm eine Marionettenregierung der „Republicca Sociale Italiana“ erlaubt, aber eine breite Unterstützung der Bevölkerung erhielt die Wehrmacht nicht. Der Kampf gegen die Resistenza wurde auf Hitlers Befehl mit größter Härte geführt. Im Frühjahr 1945 entwickelten sich geheime Kontakte des Oberkommandos Süd zuden Alliierten, die schließlich einen Tag vor Hitlers Selbstmord zu einer deutschen Kapitulation an der Italienfront führten.
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten Entgegen den ursprünglichen Planungen konnten die Alliierten also ihre Kräfte nicht völlig auf die Hauptlandung in Nordwestfrankreich konzentrieren. Das vorangegangene mühsame Vorankämpfen in Italien band zwar nicht geringe deutsche Kräfte, die dann an der Invasionsfront in Frankreich fehlten, aber das gleiche galt auch für die Alliierten. Sie mussten im Frühjahr 1944 Landungsfahrzeuge und zahlreiche Schiffe aus dem Mittelmeer abziehen, so dass eine rechtzeitige Entscheidungsschlacht in Italien nicht mehr möglich war. Der große Vorteil dieses Nebenkriegsschauplatzes lag in der Möglichkeit, von süditalienischen Flugplätzen aus die rumänischen Erdölfelder von Ploesti zu bombardieren, Hitlers letzte große „Tankstelle“. Außerdem hatten Bombengeschwader eine zusätzliche Einflugschneise nach Süddeutschland, wohin Speer einen Teil der Rüstungsproduktion verlagert hatte. Mehr als vier Jahre hatte die Wehrmacht Zeit, sich auf die mit Sicherheit zu erwartende Invasion vorzubereiten. An der langen Küstenlinie vom Nordkap bis zur spanischen Grenze würde der Gegner aber jederzeit mit zumindest örtlichen überlegenen Kräften landen können. Obwohl Hitler mehr als ein Drittel seiner Streitkräfte dauerhaft im Westen stationierte, war eine Abwehr eigentlich von vornherein nur mit mobilen Truppen im Gegenangriff denkbar. Da aber die eigenen Panzerdivisionen ständig im Osten gebraucht wurden, weil die Rote Armee auch 1942 und 1943 im Kampf nicht nachließ, sondern seit dem Sommer 1943 die Deutschen sogar weit zurückdrängte, stand nur eine geringe Zahl motorisierter Truppen im Westen zur Verfügung. Als Rommel Ende 1943 die Aufsicht über die Verteidigungsmaßnahmen am Atlantikwall übernahm, sorgte er für eine Änderung der Strategie. Bisher hatte man darauf gesetzt, einige schwere Festungswerke als Stützpunkte an der Küste zu bauen und einen gelandeten Gegner im Gegenangriff ins Meer zu werfen. Dazu gehörte auch eine starke Verteidigung für die Häfen, von denen man annahm, dass der Feind sie unbedingt brauchen würde, um Nachschub für seine Landungstruppe heranbringen zu können. Rommel hatte aber in Nordafrika erlebt, dass die starke Luftüberlegenheit der Alliierten größere eigene Bewegungen bei Tage nicht zuließ. Deshalb setzte er nun auf eine lineare Verteidigung unmittelbar am Strand, um eine Landung von vornherein zu verhindern bzw. durch örtliche Kräfte zunichtezumachen. Trotz eines komplizierten Systems von Hindernissen würde sich jedoch eine Landung nicht gänzlich verhindern lassen. Allen Befehlshabern war daher klar, dass der Atlantikwall den Gegner allenfalls schwächen und so lange am Strand aufhalten könnte, bis bewegliche Reserven herankämen. Entscheidend würde also der Faktor Zeit sein. Dennoch gab es Streit zwischen den Verantwortlichen. Rommel wollte also nach seinen Erfahrungen im Kampf gegen die Alliierten die Panzerdivisionen aufsplittern und möglichst nahe an der Küste stationieren. Sein Gegenspieler war Leo Geyr von Schweppenburg, dem als Oberbefehlshaber der Panzergruppe West diese Reserven von zehn Panzerdivisionen unterstanden. Nach seinen Erfahrungen an der Ostfront zog er es vor, an der traditionellen Doktrin festzuhalten und die Panzerkräfte weiter im Hinterland zusammenzuhalten, um den gelandeten Feind dann mit einer Großoffensive zu vernichten. Die Aufspaltung der Verantwortlichkeiten verhinderte eine klare Lösung. Rommel
IV.
Vorbereitungen der Wehrmacht in Frankreich
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Kriegsschauplätze
IV.
Planungen der Alliierten
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führte die Heeresgruppe B in Nordwestfrankreich, Schweppenburg die eigenständige Panzergruppe und er hatte die Unterstützung des Oberbefehlshaber West, Gerd v. Rundstedt. Hitler wiederum konnte sich zu einer Entscheidung nicht durchringen. So kam es zu einem faulen Kompromiss. Jede der beiden Heeresgruppen erhielt drei Panzerdivisionen über die Frontlinie verteilt. Vier blieben zentral im Raum Paris bei der Panzergruppe West und durften nur auf persönlichen Befehl Hitlers eingesetzt werden. Zu den verworrenen deutschen Führungsstrukturen und der widersprüchlichen Defensivstrategie kamen gravierende Schwächen des Westheeres. Die meisten höheren Offiziere entsprachen ebenso wie eine Vielzahl der Infanteriedivisionen nicht den Anforderungen, wie sie etwa an der Ostfront üblich waren. Hinzu kam, dass die mörderische Intensität des Luftkrieges insbesondere bei der Luftverteidigung 1943/44 zu enormen Verlusten geführt hatte, weshalb die Luftwaffe im Westen gerade einmal über 891 einsatzbereite Maschinen verfügte. Frühere Zusagen Görings, dass im Falle einer Invasion zusätzliche größere Verbände bereitgestellt werden würden, waren nichts wert. Es gab weder diese Flugzeuge noch entsprechende Einsatzmöglichkeiten, weil die Alliierten unmittelbar vor der Landung sämtliche Flugplätze und Verbindungslinien zerstörten. Zuvor hatten sie systematisch die Herstellung von Jagdflugzeugen und die Treibstoffwerke bombardiert. Durch gezielte Bombardements hatten sie auch verhindert, dass die Produktion von V-Waffen rechtzeitig anlaufen konnte. Mit fliegenden Bomben und Raketen hatte Hitler die Ansammlung von Invasionsstreitkräften zerschlagen wollten. Die ausgeblutete Wehrmacht konnte im Mai 1944 mit einiger Mühe für den Westen 900000 Soldaten des Heeres, 350000 der Luftwaffe, 100000 der Kriegsmarine und rund 100000 der Waffen-SS bereitstellen. Die meisten der 58 Divisionen waren „bodenständig“, d.h. sie verfügten über keine motorisierten Transportmittel und waren im Atlantikwall stationiert. Rund 75000 Mann waren keine Deutschen, sondern neben 2000 Indern hauptsächlich osteuropäische „Hilfswillige“ der Wehrmacht. Russen sollten also Deutschland in Frankreich gegen Briten und Amerikaner verteidigen! Die NS-Propaganda hatte es nicht nur bei ihnen schwer, die Stimmung aufzuheizen. Viele Soldaten zweifelten am „Endsieg“. Fast drei Jahre hatten sich die Alliierten auf das schwierigste und größte denkbare Unternehmen vorbereitet. Eine enge Zusammenarbeit der Teilstreitkräfte musste organisiert werden, ebenso gewaltige logistische Anstrengungen, um Truppen nicht nur an den Strand zu bringen, sondern auch so schnell und umfassend zu verstärken, dass ein rascher Ausbruch aus den Landeköpfen möglich sein würde. Unter dem Schutz der Schiffsartillerie und weit überlegener Luftstreitkräfte mussten feindliche Gegenangriffe zerschlagen und ein operativer Durchbruch in die Tiefe erreicht werden. Dann mussten vorrangig Hafenstädte erobert werden, um durch weiteren Nachschub eine große Operationsarmee zu bilden, die in der Lage sein würde, Frankreich zu befreien und über den Rhein ins Herz des Feindes vorzustoßen. Und das möglichst nach dem deutschen Vorbild von 1940, jetzt in umgekehrter Richtung, in wenigen Wochen, bevor zum Jahresende 1944 die winterlichen Verhältnisse den Transport über den Atlantik erheblich einschränken würden.
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten
Der britische Feldmarschall Viscount Alan Brooke, Chief of the Imperial General Staff in seinem Tagebuch am 5. Juni 1944 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 3, S. 84.
IV.
Q
Es ist schwer zu glauben, dass in wenigen Stunden die Invasion über den Kanal beginnt. Ich bin wegen der ganzen Operation sehr besorgt. Bestenfalls wird sie weit hinter den Erwartungen der breiten Masse zurückbleiben […]. Schlimmstenfalls kann sie zur grausigsten Katastrophe des ganzen Krieges werden. Gebe Gott, dass sie glücklich überstanden wird.
Nicht verwunderlich, dass man in den alliierten Stäben auf einen schnellen Erfolg hoffte, am besten durch die Einkesselung und Vernichtung der deutschen Westarmeen. Dazu bereitete man eine zeitlich versetzte zweite Invasion in Südfrankreich (Operation Anvil) vor, die durch das Tal der Rhône nach Norden vorstoßen sollte, um den Deutschen den Rückzug über den Rhein abzuschneiden. Nicht zuletzt konnte man sich natürlich auch vorstellen, dass sich entgegen Hitlers Ankündigungen der November 1918 doch wiederholen könnte, dass also eine Niederlage der Wehrmacht im Westen – parallel zum Zusammenbruch im Osten – zu einem Umsturz im Reich führen und so den Alliierten Zeit und Kräfte sparen könnte. Im Sommer 1943 bestand im Combined Chiefs of Staff über den Plan im Wesentlichen Einigkeit, vor allem über den Ort der Hauptlandung. Die Normandie schien am besten geeignet, wenn man die kürzeste Entfernung über den Kanal bei Calais umgehen wollte, weil genau hier die Deutschen die Alliierten erwarteten und deshalb ihre stärkste Abwehr organisiert hatten. Der Aufmarsch amerikanischer Kräfte in Südengland konnte beginnen. Es wurde eines der erfolgreichsten Täuschungsmanöver im Zweiten Weltkrieg. Die Deutschen wurden in ihrer Auffassung bestärkt, dass die Landung bei Calais stattfinden würde. Gab es innerhalb der Wehrmacht vielfache Rivalitäten und unklare Kompetenzen, so hatten die Alliierten als Bündnispartner nicht weniger Schwierigkeiten, die Zuständigkeiten und die Besetzung der Schlüsselpositionen zu bestimmen. Churchill forderte vergeblich den Oberbefehl für die Briten. Man verständigte sich auf Eisenhower als Supreme Commander. Die wichtigsten Posten seines Hauptquartiers besetzten die Briten. Sie stellten mit Montgomery auch den Befehlshaber der Landstreitkräfte – ein sehr eigensinniger Feldkommandeur. Zu berücksichtigen waren auch die zahlreichen anderen beteiligten Nationen, neben Briten und Amerikanern stellten auch die Kanadier Bodentruppen, ebenso gab es symbolische Kontingente von Exilregierungen, u.a. die 1. Polnische Panzerdivision. Im Gegensatz zur Wehrmacht lösten die Alliierten solche Probleme relativ reibungslos. Eine Ausnahme bildete der Umgang mit General de Gaulle, der sich als einziger legitimer Vertreter Frankreichs verstand und deshalb vehement den Planungen für eine amerikanische Militärverwaltung widersprach. Churchill und Roosevelt drängten seinen militärischen Einfluss zunächst zurück. In der Normandie blieb es im Wesentlichen bei einer Panzerdivision. Die anderen freifranzösischen Kräfte sollten bei der Landung in Südfrankreich zum Einsatz kommen. Politisch heikel war auch die vorangehende Bomberoffensive gegen das französische und belgische Eisenbahnnetz, bei der zwangs-
Entscheidung für die Normandie
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Kriegsschauplätze
IV. Kräfte der Alliierten
D-Day
Scheitern der deutschen Abwehr
Der Tod Rommels
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läufig größere Verluste unter der Zivilbevölkerung erwartet werden mussten. Insgesamt drei Millionen Soldaten mit 38 Divisionen stellten die Alliierten für die Landung in der Normandie (Operation Overlord) zur Verfügung. Weitere 40 Divisionen sollten direkt aus den USA herangeführt werden. Zur Unterstützung der Operationen standen mehr als 12000 Flugzeuge und die größte Schiffsarmada aller Zeiten (etwa 5400 Schiffe, davon 4126 Landungsfahrzeuge und Sturmboote) zur Verfügung. Eisenhower bestimmte den 5. Juni 1944 zum „D-Day“. Er brauchte eine günstige Mondphase, Niedrigwasser und frühes Tageslicht. Wegen eines Sturmtiefs musste der Angriff noch einmal um 24 Stunden verschoben werden. Über das günstige Zwischenhoch waren die deutschen Wetterexperten zwar informiert. Doch die Kommandostellen wähnten sich in Sicherheit und führten ein Planspiel durch. Es ist die wohl größte Blamage der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, dass sie die alliierte Landung erst entdeckte, als die Schiffe vom Strand aus zu sehen waren. In der Nacht zum 6. Juni waren drei Luftlandedivisionen hinter den deutschen Linien niedergegangen, die Landungsboote folgten kurz danach. Die stürmische See ließ immerhin 291 Fahrzeuge kentern. In den Morgenstunden betraten die ersten Infanteristen den Strand. Nur an einzelnen Stellen stießen sie zunächst auf hartnäckigen Widerstand. Am Ende des ersten Tages waren die Ziele der Landungstruppen keineswegs erreicht und die Verluste erheblich. Die sofort eingesetzten deutschen Panzerdivisionen stießen im Feuerorkan der Schiffsgeschütze und Tiefflieger nur unter schwersten Verlusten zum Stand vor. Sie konnten ihren Erfolg aber nicht ausbauen. Ein Bombenteppich zerstörte den Stab der Panzergruppe West. Mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Führungsstabes versuchte man, aus allen Winkeln Reserven herbeizuführen. Verbände der Waffen-SS reagierten zudem auf Anschläge der Résistance mit brutalen Vergeltungsschlägen (Oradour-sur-Glane). Verstärkungen aus anderen Regionen wurden aber zunächst gebremst, weil Hitler die Landung in der Normandie für ein Ablenkungsmanöver hielt und weiterhin mit der Hauptlandung bei Calais rechnete. Die starken Kräfte der 15. Armee blieben vorerst in diesem Raum versammelt. Nach sechs Tagen hatten die Alliierten einen zusammenhängenden Brückenkopf gebildet, der Gegenangriffen durch zwei aus Polen herangeführten SS-Panzerkorps standhielt. Gleichzeitig ließ Hitler von seinen im Raum Calais gebauten Startrampen Flugbomben gegen London abfeuern. Rommel und Rundstedt beantragten vergeblich den Einsatz gegen den Brückenkopf. Die Alliierten reagierten rasch und zerstörten die Feuerstellungen mit Bombenteppichen. Nach der Eroberung der Hafenstadt Cherbourg durch die Alliierten, die ihre Kräfte pausenlos verstärkten, konnten die Deutschen die Halbinsel Cotentin kaum noch halten. Noch immer kämpfte nur eine von vier Armeen der Heeresgruppe an der Invasionsfront und hatte schwere Verluste erlitten. Rommel und Rundstedt baten Hitler persönlich um eine politische Lösung. Der Diktator lehnte jede Einmischung ab und setzte auf Zeitgewinn für den geplanten Einsatz neuer Waffen. Er löste Schweppenburg und Rund-
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten
IV.
stedt ab. Rommel blieb vorerst verschont. Dieser war bei seiner Rückkehr von Berchtesgaden davon überzeugt, dass eine Katastrophe von Ost und West auf Deutschland zurollte. Er wurde am 17. Juli von Tieffliegern schwer verletzt und nach dem Attentat auf Hitler am 14. Oktober 1944 zum Selbstmord gezwungen. Hitler ordnete heuchlerisch ein Staatsbegräbnis an. Über Rommels Rolle im militärischen Widerstand halten die Kontroversen bis heute an. Fernschreiben Rommels an Hitler über die Lage an der Front vom 15. Juli 1944 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 3, S. 106.
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Die Truppe kämpft allerorts heldenmütig, jedoch der ungleiche Kampf neigte dem Ende entgegen. Ich muss Sie bitten, die Folgerungen aus dieser Lage unverzüglich zu ziehen. Ich fühle mich verpflichtet, als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe dies klar auszusprechen.
Bis Ende Juli hatten beide Seiten in der Normandie mit jeweils rund 116000 Mann gleich hohe Verluste erlitten. Doch die Alliierten hatten inzwischen rund 1,5 Millionen Mann an Land gebracht, während die Heeresgruppe B nur rund 15000 Mann an Ersatz erhalten hatte. 250 zerstörte eigene Panzerwagen waren durch 17 neue Kampfwagen ersetzt worden. Als am 25. Juli zwei amerikanische Luftflotten bei St. Lô einen mörderischen Bombenteppich gelegt hatten, klaffte eine breite Lücke in der deutschen Front. Hier stießen US-Kräfte nach und erreichten Avranches. Damit war der Brückenkopf endgültig gesprengt. Der von Hitler befohlene Gegenangriff der neuformierten 5. Panzerarmee blieb nach zwei Tagen liegen. Im Gegenzug umfassten die Amerikaner die offenen deutschen Flanken und vernichteten im Kessel von Falaise 15 deutsche Divisionen. Damit war die Invasionsschlacht für die Deutschen praktisch verloren. Frankreich stand offen und die Alliierten setzten am 15. August mit der zusätzlichen Landung im Süden nach. Reste der Wehrmacht zogen sich unter schweren Verlusten aus Frankreich zurück. Die Zahl der Überläufer und Vermissten war groß. Aus Sorge um eine kommunistische Machtergreifung ließ de Gaulle Paris im Handstreich durch eigene Panzertruppen befreien. Nur die großen Häfen wie Marseille, Toulon und Le Havre sowie die Kanalhäfen wollten die Deutschen halten. Hier ließ Hitler rund 230000 Mann in Stützpunkten zurück, die sich teilweise bis zum Kriegsende hielten. Eine alliierte Großoffensive wäre zu diesem Zeitpunkt wohl kaum aufzuhalten gewesen. Doch die Alliierten zögerten im Herbst 1944, alles auf eine Karte zu setzen und den Vorstoß ins Reich zu wagen. Erhebliche Logistikprobleme waren zu lösen, um auf breiter Front den Angriff an und über den Rhein zu wagen. Der Oberkommandierende General Dwight D. Eisenhower wollte kein Risiko eingehen, weil in den USA die Wiederwahl Roosevelts bevorstand und das „Dritte Reich“ scheinbar nicht so geschwächt war wie das Kaiserreich im Herbst 1918. Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, mit dem die Militäropposition einen Ausweg aus dem Krieg versuchte, war gescheitert, und die Nazis organisierten eine letzte verzweifelte Mobilmachung. Außerdem zeigte sich, dass die Wehrmacht zwar schwer angeschla-
Die Befreiung Frankreichs
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Kriegsschauplätze
IV.
Ardennen-Offensive
gen, wie ein verwundetes Raubtier aber noch zu gefährlichen Gegenschlägen in der Lage war. Zunächst retteten sich 215000 Soldaten in den Bereich des alten Westwalls und lieferten zusammen mit neumobilisierten Kräften den Alliierten einen Stellungskrieg. Dann durchkreuzten sie die Absicht Montgomerys, mit der Operation Market Garden am 17. September bei Arnheim einen Brückenkopf über den Rhein zu bilden. Gleichzeitig erreichten US-Truppen den Westwall und konnten nach wochenlangen Kämpfen am 21. Oktober Aachen, die erste deutsche Großstadt, einnehmen. Das weitere Vorrücken verlor an Schwung. Briten und Kanadiern gelang es noch, die Scheldemündung freizukämpfen, um mit Antwerpen einen großen Hafen in die Hand zu bekommen. Patton, der eigensinnige amerikanische Panzergeneral, erreichte die alte Reichsgrenze bei Saarbrücken und bedrohte das kriegswichtige Saargebiet. Im Hürtgenwald erlitten die Amerikaner schwere Verluste in wochenlangen Kämpfen gegen deutsche Fallschirmjäger. Die Franzosen befreiten Straßburg, aber bei Colmar blieb ein deutscher Brückenkopf bestehen. Gemessen an ihren Möglichkeiten und Plänen hatten die Alliierten zweifellos einen strategischen Rückschlag erlitten. In dieser Situation gelang am 16. Dezember 1944 den Deutschen die Überraschung in den Ardennen. Ähnlich wie 1940 durchbrachen sie die unvorbereiteten amerikanischen Verteidigungslinien. Sie konnten aber – anders als 1940 – den Durchbruch nicht in die Tiefe ausweiten, um mit dem Vorstoß zum Kanal den Alliierten eine schwere Niederlage beizubringen. Auf diese Weise hatte Hitler gehofft, die Kriegswende herbeiführen zu können, weil er dann Divisionen freibekäme, um die Rote Armee im Osten wieder zurückzuschlagen. Es fehlte der Wehrmacht nicht nur die Luftherrschaft über dem Gefechtsfeld, sondern auch ausreichend Treibstoff. Vor allem reagierte Eisenhower rasch mit Kräfteverschiebungen, mit denen es gelang, die Wehrmacht wieder zurückzudrängen. Um einen umfassenden, systematischen Großangriff gegen das Reich vorzubereiten, brauchten die Alliierten zusätzliche Kräfte, die unter den winterlichen Verhältnissen und angesichts der zerstörten Infrastruktur in Frankreich nur mühsam herangeschafft werden konnten. So beschränkten sie sich darauf, bis Anfang März 1945 die westrheinischen Gebiete Schritt für Schritt zu erobern, um dann den Übergang über den Rhein zu wagen. Bundesgenossen
Deutsche Bündnispolitik
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Großmächte brauchten auch im Zeitalter der Weltkriege Verbündete und Allianzen. Die Organisation und Lenkung eines Bündnissystems im Kriege war eine wesentliche Voraussetzung für den militärischen Erfolg, vor allem dann, wenn sich die Hoffnung auf eine schnelle Entscheidungsschlacht nicht erfüllte und der Krieg zu einem langen und erschöpfenden Ringen der Völker wurde. Die Meisterschaft eines Otto von Bismarck übertrug sich freilich nicht auf seine Nachfolger in der Führung des Reiches. Im Ersten Weltkrieg zeigte sich die Schwierigkeit der Abstimmung mit den Interessen von Bundesgenossen, nicht nur in strategisch-politischer Hinsicht, weil häufig auch die Zurückhaltung eigener Ambitionen und die Kompromissfähigkeit gefragt waren. Auch der militärisch-operative Einbau verbündeter Armeen
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten
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mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Ausrüstungen erschwerten häufig die gemeinsame Kriegführung. Vor allem Österreich-Ungarn beklagte die angebliche Arroganz des deutschen Offizierskorps und seines vermeintlich überlegenen Generalstabs. Rassedünkel und Nationalismus ließen sich auf beiden Seiten nur mühsam unterdrücken. Der Preußen-Verehrer Adolf Hitler wurde zum Erben jener an sich nicht ungewöhnlichen Ungeduld, ja Unfähigkeit, schwächere und weniger leistungsfähige Verbündete zu akzeptieren sowie der Neigung, eigene Probleme und eigenes Versagen schlichtweg dem Verbündeten anzulasten. Der „Führer“ zeigte nicht nur intern, sondern auch im Umgang mit ausländischen Mächten und Staatsführern eine tiefsitzende Abneigung, am Konferenztisch oder sogar in größerer Runde anstehende Probleme und Strategien zu besprechen. Wenn sich solche Gespräche und Verhandlungen auf höchster Ebene nicht vermeiden ließen, bevorzugte er den direkten persönlichen Dialog bzw. den Monolog, wo er die Fähigkeit zur Beherrschung seiner persönlichen Umgebung zur Geltung bringen konnte. Fast alle seinen Verbündeten im Zweiten Weltkrieg waren Monarchien, deren militärische oder diplomatische Vertreter meist mit entsprechendem Standesbewusstsein aufzutreten wussten. Auch der Umgang mit den Monarchen war für Hitler sichtlich eine Last. Nur für ein fremdes Staatsoberhaupt empfand er großen Respekt, den Staatspräsidenten der finnischen Republik, Marschall Carl Gustav Mannerheim, obwohl der wesentlich ältere und elegante Aristokrat, ehemaliger zaristischer Kavallerie-General, ein traditionell geprägtes Soldatentum verkörperte, das der „Führer“ bei seinen eigenen Generalen verachtete. Im Offizierskorps der Wehrmacht überlebten die Erfahrungen mit ehemaligen Verbündeten des Ersten Weltkriegs vor allem in der älteren Generation. Doch die Konstellationen veränderten sich in den dreißiger Jahren fundamental. Die Österreicher wurden nun „Reichsdeutsche“, Ungarn und Bulgarien waren zu Kleinstaaten geschrumpft, die Türkei blieb auf Distanz. Dafür verbündete sich Hitler mit den ehemaligen Kriegsgegnern Italien und Japan. Jenseits der offiziellen Kontakte zu den fremden Armeen blieben alte Vorurteile und Klischees natürlich virulent, teilweise verstärkt durch die NSRassenideologie, die vor allem im Offizierskorps der Waffen-SS das Verhältnis zu ausländischen Bundesgenossen prägte. In der Einschätzung der militärischen Leistungsfähigkeit waren die Deutschen von ihrer Überlegenheit zutiefst überzeugt, was die Erwartungen gegenüber den Bundesgenossen natürlich schmälerte. Soweit unterschied sich die Wehrmacht in der Koalitionskriegführung kaum von den Armeen anderer Großmächte. Die kurze und hektische Aufrüstungsphase bis 1939 schuf zudem keinen Spielraum, um durch Rüstungshilfe die verbündeten Armeen zu modernisieren und gleichwertig auszustatten. So kämpfte die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg an der Seite von verbündeten Armeen, die über ein Sammelsurium meist veralteter und fremder Kriegstechnik verfügten, keine einheitlichen Einsatzgrundsätze hatten und nur begrenzt gemeinsame Interessen verfolgten. Auf eine erprobte Militärallianz konnte sich die Wehrmacht jedenfalls nicht stützen, als sie im September 1939 den Zweiten Weltkrieg eröffnete. Finnland und die südosteuropäischen Staaten traten erst ein Jahr später,
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Kriegsschauplätze
IV.
Bundesgenossen
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nach dem Sieg über Frankreich, an die deutsche Seite. Auch wenn sich die strategische Lage des Reiches inzwischen verbessert hatte, blieben die ökonomischen und militärischen Spielräume begrenzt, die Konflikte zwischen Bündnisgenossen (Ungarn-Rumänien) nur schwer einzudämmen, und manche potentiellen Verbündeten (Spanien-Portugal) zogen im Banne der angelsächsischen Mächte die Neutralität vor. In der Entschlossenheit, mit seiner Wehrmacht einen Weltkrieg zu riskieren, ließ sich Hitler schon 1939 nicht von strategischen Fehlkalkulationen und Widersprüchen irritieren. Nach seinem großen Plan sollte Großbritannien eigentlich der wichtigste Bündnispartner werden. Sein Bemühen blieb allerdings vergeblich, so dass sich seine Ressentiments bis zu extremem Hass steigerten, zumal die Briten unter der Führung Churchills zu seinen hartnäckigsten Gegnern wurden. England sollte eigentlich auch Teil jener Allianz sein, die Hitler bereits 1936 mit dem Antikominternpakt geschmiedet hatte. Sie stützte sich auf Italien und Japan, deren eigenständige imperiale Bestrebungen England notfalls in Schach halten und Deutschland den Weg nach Osten öffnen sollten. Diese beiden Bundesgenossen verweigerten sich freilich 1939 seinem großen Spiel, so dass er sich an den erklärten gemeinsamen Hauptfeind, die UdSSR, binden musste, nicht zuletzt um den Preis, die baltischen Staaten als potentielle Verbündete an Stalin zu verschachern und Finnland nach dem Überfall der Roten Armee im Stich zu lassen. Als der „Führer“ nach dem Sieg über Frankreich seine Koalition neu aufstellen wollte, scheiterten seine Gespräche mit Spaniern und Franzosen. Italien überfiel ohne Absprache mit Berlin Griechenland, was sich zu einem Desaster entwickelte und Hitler zwang, vor dem Angriff auf die UdSSR auf dem Balkan einzugreifen. Dabei verlor er gleich auch noch den potentiellen Verbündeten Jugoslawien. Außerdem musste er Divisionen nach Nordafrika entsenden, um auch hier eine italienische Katastrophe zu verhindern. Dabei nutzte er allerdings nicht die Chance, durch entschlossene Angriffe den Suez-Kanal in die Hand zu bekommen und Italienisch-Ostafrika als Sprungbrett zum Fernen Osten zu erhalten. Am Horn von Afrika hat der „Führer“ wahrscheinlich seine größte Chance verpasst, ohne sie überhaupt zu erkennen. Denn im Herbst 1940 entwickelte er zwar die Allianz mit Italien und Japan zum „Dreimächtepakt“, um die USA vom Kriegseintritt abzuschrecken, kümmerte sich aber nicht um eine wirkungsvolle Koordinierung einer gemeinsamen Kriegführung. Er überließ Japan den Krieg im Fernen Osten und bereitete sich auf den Überfall auf seinen mächtigsten Verbündeten, Stalin, vor. Zugleich verzichtete er auf das Mitwirken Japans, das zwar Ambitionen zu Lasten der UdSSR hatte, aber im Sommer 1939 bei einer Schlacht gegen die Rote Armee in der Mongolei von Hitler im Stich gelassen worden war. So marschierte die Wehrmacht im Sommer 1941 nach Osten, die japanische Kriegsmaschine hingegen wandte sich nach Südasien, was der UdSSR den Vorteil des Einfrontenkrieges bot und so das Überleben ermöglichte. Als sich der Ostkrieg unerwartet in die Länge zog, drängte Berlin vergeblich auf das Eingreifen Japans. Inzwischen hatte Stalin seine Fernost-Armee in aller Heimlichkeit für eine Gegenoffensive nach Westen transportiert, während Hitler im Dezember 1941, als das Scheitern seines Blitzkrieges vor Moskau bereits erkennbar
Der Mehrfrontenkrieg der Alliierten
IV.
war, sich der Kriegserklärung Japans an die USA anschloss und damit seine eigene strategische Lage verschärfte. Unter Koalitionskriegführung in einem Weltkrieg verstand sein Gegenspieler Churchill etwas anderes. Seine Koalitionskriegführung sorgte für eine klare Überlegenheit im „Krieg der Fabriken“, behauptete die Herrschaft über die Weltmeere und in der Luft. Sie verständigte sich auf eine Strategie des „Germany first“ und war in der Lage, die größte amphibische Operation der Weltgeschichte mit einer multinationalen Streitmacht zu organisieren. Die politischen und ideologischen Gegensätze sind in der Anti-Hitler-Koalition nicht geringer gewesen als im Hitler-Stalin-Pakt, doch hielt die von den Briten moderierte Koalition trotz innerer Spannungen. Der verstärkte Einsatz europäischer Verbündeter an der Ostfront glich den Nachteil des Mehrfrontenkrieges gegen zwei Weltmächte, in den sich das Reich verwickelt hatte, nicht aus. Dabei brauchte Hitler diese Verbündeten mehr als sie ihn. Die Offensive 1941 an der gesamten Ostfront von über 2000 Kilometern war deshalb möglich gewesen, weil diese etwa die Hälfte der Front übernahmen, im Norden die Finnen, im Süden Ungarn, Rumänen und Italiener. So konnte Hitler seine Hauptkräfte im Mittelabschnitt konzentrieren. Am Ende aber waren alle zusammen zu schwach, um die Hauptziele zu erreichen: im Norden Murmansk und Leningrad, in der Mitte Moskau und im Süden Baku. Eine neue Offensive konnte 1942 nur noch im Südabschnitt organisiert werden, und zwar nur unter der Voraussetzung, dass die Verbündeten ihren Einsatz verstärkten und die lange Flanke am Don absicherten, so dass Hitler sich auf Stalingrad konzentrieren konnte. Daraus entstand das bekannte operative Desaster, nicht nur mit dem Untergang einer deutschen, sondern auch vier verbündeter Armeen. Sondermeldung des OKW am 10. September 1943 über die Entwaffnung der italienischen Armeen Abgedr. in Wegmann (Hg.), „Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt […]“ Der deutsche Wehrmachtbericht, Bd. 2, S. 558.
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Damit ist ein Verrat, wie er größer und hinterhältiger in der Geschichte kaum zu finden ist, auf die Verräter selbst zurückgefallen. Die italienische Wehrmacht besteht nicht mehr. Was aber für ewige Zeiten bestehen bleiben wird, ist die Verachtung der Welt für die Verräter.
Nach der Wende von Stalingrad musste sich Hitler auf den Absprung seiner Verbündeten einstellen, was teilweise zur Besetzung und zum offenen militärischen Schlagabtausch führte. Ihren letzten Sieg konnte die Wehrmacht im Herbst 1944 gegen die bisher verbündete Slowakei erringen, deren Aufstand niedergeschlagen wurde. Ungarn blieb bis zum Frühjahr 1945 Kriegsgebiet und der letzte Verbündete. Bei der Kapitulation suchten die im Alpenraum versammelten Kräfte der Wehrmacht ihr Heil in dem gescheiterten Versuch, sich als österreichische Truppe zu deklarieren. Ihr „Führer“ hatte in dem angeblichen Versagen und im „Verrat“ seiner Verbündeten stets eine wohlfeile Erklärung für die Reihe von deutschen Niederlagen gefunden – nicht bei sich und seiner Unfähigkeit zur Koalitionskriegführung.
Frontwechsel
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V. Heimatfront 1. Die Gesellschaft im Krieg
Heimatfront und Widerstand
Zusammenbruch des Faschismus
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Die totalitären und faschistischen Staaten hatten die Ausrichtung ihrer Gesellschaften auf den Krieg bereits in den dreißiger Jahren auf einen Höhepunkt getrieben. Militarisierung und Uniformität sowie eine intensive propagandistische Beeinflussung waren äußere Kennzeichnen. Sie glaubten sich damit den demokratischen Gesellschaften weit überlegen und bereit, im totalen Krieg um die Neuverteilung der Welt zu kämpfen. In Deutschland hatte Josef Goebbels den Propaganda-Apparat bis 1939 im Wesentlichen vollendet. Rundfunk, Film und Presse waren die wichtigsten Instrumente des NS-Regimes, um die Meinung der Bevölkerung zentral zu steuern und das Ausland im Sinne der deutschen Kriegführung zu beeinflussen. Das Fernsehen steckte noch in den Anfängen. Trotz Formierung der „Volksgemeinschaft“ und ideologischer Indoktrination in der Erziehung war sich Hitler nicht sicher, ob die Umstellung von einer positiven Grundstimmung des wirtschaftlichen Aufschwungs zur allgemeinen Kriegsbegeisterung gelingen würde. Deshalb wurden die kriegsbedingten Belastungen und Einschränkungen nach Kriegsbeginn zunächst möglichst gering gehalten. Kultur und Unterhaltungsindustrie sorgten für Ablenkung. Durch die unerwarteten militärischen Anfangserfolge konnte ein Stimmungseinbruch verhindert werden. Nach dem Sieg über Frankreich erreichte das NS-Regime den Höhepunkt seiner Popularität. Für die Mehrheit der Bevölkerung blieb aber die Friedenssehnsucht bestimmend. Nach der Wende von Stalingrad hatte das Regime Mühe, die Menschen für den aussichtslosen Kampf zu mobilisieren. Apathie breitete sich aus. Der Führer-Mythos verlor seine Bindungskraft. Anders als 1918 blieb aber das Regime stabil und wurde erst durch die Niederlage beseitigt. Die marginale politische Opposition konnte durch den Polizeiapparat unterdrückt werden. Nur der militärische Widerstand hatte eine Aussicht auf Erfolg. Nach mehreren Anläufen scheiterte auch das Attentat von Claus Graf v. Stauffenberg am 20. Juli 1944. Der Staatsstreich misslang, weil Hitler überlebte und die Verschwörer unentschlossen blieben. Wie groß die Bereitschaft der Führungseliten, von Wehrmacht und Bevölkerung gewesen wäre, einer neuen Staatsführung zu folgen, lässt sich nicht bestimmen. Die Sorge vor einem Bürgerkrieg, der viele hohe Militärs von einer aktiven Beteiligung am Putsch abhielt, war sicher nicht unberechtigt. Insbesondere, weil die stärkste Trumpfkarte einer neuen Führung, die Beendigung des Krieges anstreben zu wollen, durch die alliierte Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation vermutlich wirkungslos geblieben wäre. Ähnlich entwickelten sich auch die anderen faschistischen Regime, trotz anderer gesellschaftlicher und kultureller Bedingungen. In Japan behielt der „göttliche“ Kaiser seine starke integrative Funktion. Das ließ unterschiedliche Strömungen und Rivalitäten innerhalb der zivilen und militärischen Führungseliten zu. Für die Bevölkerung verschärften sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen seit 1943 dramatisch. Mit dem Beginn massiver ameri-
Die Gesellschaft im Krieg
V.
kanischer Bombardements japanischer Großstädte im Frühjahr 1945 wurde spürbar, dass die von radikalen Militärs propagierte Verteidigung des Mutterlandes bis zur Selbstaufopferung aussichtslos sein würde. Hinter der Fassade von Disziplin und Patriotismus hoffte die apathische Bevölkerung auf ein baldiges Ende. Das Machtwort des Tennos zugunsten der Friedenspartei führte schließlich aus dem Krieg heraus. Das erlaubte die weitgehende Aufrechterhaltung überkommener Strukturen und Traditionen, mit Ausnahme der völligen Entmachtung des Militärs. In Italien schwand die Popularität des „Duce“ Benito Mussolini mit den militärischen Niederlagen rasch dahin. Die Bevölkerung hatte den Kriegseintritt abgelehnt, war dann kurze Zeit erleichtert, weil rasche Anfangserfolge ein baldiges Kriegsende versprachen. Das russische Abenteuer Mussolinis verstärkte dann bei den meisten Menschen den Eindruck, auf der falschen Seite zu stehen. In den wachsenden Verlusten sah man keinen Sinn. Die Besatzungszonen in Frankreich, Italien und Griechenland, die Italien von seinem deutschen Verbündeten zugestanden worden waren, brachten mehr Probleme als Gewinn. Konflikte mit den Deutschen, die eine Auslieferung der Juden verlangten, verstanden die meisten Offiziere nicht, ebenso wenig die ständigen Auseinandersetzungen um Kompetenzen. In der Heimat steigerte sich die Unzufriedenheit bis hin zu größeren Streiks im März 1943 in den Industriemetropolen Turin und Mailand. Die gleichzeitigen Katastrophen an der Ostfront und in Nordafrika, die intensiven Bombenangriffe der Alliierten und Mussolinis unrealistische Erwartung, sein Volk werde eine „soldatische“ Haltung zeigen, führten zu einer raschen Erosion des faschistischen Regimes. Hier glückte der Staatsstreich königstreuer Offiziere am 25. Juli 1943. Die faschistische Partei brach zwar schnell zusammen, hielt sich aber teilweise in den von den deutschen besetzten Gebieten Italiens. Erste Schritte der Deutschen, große Gebiete Norditaliens zu annektieren, die Deportation gefangener italienischer Soldaten und das harte Vorgehen gegen die Resistenza förderten den Hass der Bevölkerung. Der Widerstand arbeitete mit der Regierung König Viktor Emmanuels und Ministerpräsident Badoglios zusammen, die im Süden von den Briten und Amerikanern unterstützt wurde. Die Hoffnung, an der Seite der Sieger einen Neuanfang beginnen zu können, wurde gefördert, als sich nach der Befreiung Roms im Juni 1944 ein neues Regierungssystem etablierte. Die alliierten Truppen entwaffneten außerdem bei ihrem Vormarsch die Widerstandsgruppen und verhinderten auf diese Weise einen möglichen Bürgerkrieg. In den besetzten Ländern spaltete der Kampf gegen die Okkupanten die Gesellschaften. Nicht selten entwickelte sich daraus ein regelrechter Bürgerkrieg. Die blutigsten Auseinandersetzungen fanden in China statt, wo die Kommunisten unter Mao die Oberhand gewannen. Im Gegensatz dazu formierte sich in den angelsächsischen Demokratien eine starke Entschlossenheit aller Parteien, der faschistischen Bedrohung zu widerstehen. Reglementierungen und Belastungen wurden als kriegsbedingte Veränderungen verstanden, die nach dem Sieg wieder beseitigt wurden. Trotz seiner Popularität als Kriegspremier wurde Churchill bei Kriegsende nicht wiedergewählt. Die Labour-Partei gewann mit ihren sozialen Versprechungen die Zukunftshoffnungen der Menschen für sich.
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Heimatfront
V. Demokratische Gesellschaften im Krieg
Totalitäre Kriegsgesellschaften
Die Shoa
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Der Krieg mit seiner umfassenden Mobilisierung hatte freilich auch hier Entwicklungen gefördert, die als Modernisierung dauerhafte Folgen zeigten. Das betraf vor allem die Rolle der Frauen, die wie im Ersten Weltkrieg stärker in die Berufswelt einbezogen wurden. Der Emanzipationsschub erlitt in der Nachkriegszeit oft einen Rückschlag. In den USA lockerte sich während des Krieges auch die Rassendiskriminierung. Von den sozialen Leistungen für Veteranen profitierten große Teile der Bevölkerung, auch der schwarzen. In der Kriegshysterie allerdings deportierte man Amerikaner japanischer Herkunft in „Umsiedlungszentren“, beraubte sie ihrer Rechte sowie ihres Eigentums und entließ sie erst nach Kriegsende wieder in die Freiheit. In Deutschland hingegen veränderte sich die Klassengesellschaft zu einer extremen Rassenhierarchie, die bis zur Vernichtung von Randgruppen, Fremden und Gegnern reichte. Im Zuge der Euthanasie wurden Behinderte als „unnütze Esser“ und „lebensunwert“ ermordet. „Vernichtung durch Arbeit“ bezog sich auf etwa 1,5 Millionen KZ-Häftlinge, die im Wirtschaftsimperium der SS nur geringe Überlebenschancen besaßen. Rund acht Millionen ausländischer Zivilarbeiter ersetzten in Deutschland die eingezogenen Männer in den Fabriken. Die meisten von ihnen waren unter Zwang rekrutiert worden. Sie wurden nach rassischen NS-Kriterien unterschiedlich behandelt. Das galt auch für etwa fünf Millionen Kriegsgefangene. Gefangene Rotarmisten kamen in der Mehrheit ums Leben. Auch italienische Militärinternierte vegetierten in deutschen Lagern als nahezu rechtlose Sklaven. Ähnlich barbarisch behandelte man in Japan die Kriegsgefangenen und die angeblich rassisch minderwertigen Koreaner und Chinesen. Im totalitären Sowjetsystem entwickelte sich ein radikaler Kriegskommunismus, der nach den dramatischen Niederlagen der Anfangsperiode die gesellschaftlichen Kräfte bis zum Zerreißen anspannte und in den Dienst der Kriegführung stellte. Das stalinistische Lagersystem und der Terror gegen die eigene Bevölkerung blieben bestehen, obwohl das Regime mit der Parole vom „Großen Vaterländischen Krieg“ und den schwer errungenen Siegen eine neue Legitimation gewann. Das Regime machte einige Zugeständnisse, etwa bei der Religionsausübung. Der neuerwachte Stolz der Menschen verband sich mit der Hoffnung, dass Stalin nach dem Sieg sanfter mit dem eigenen Volk umgehen würde, das so sehr gelitten hatte. Der Zweite Weltkrieg bedrohte die Existenz vieler Völker und gesellschaftlicher Gruppen. Keine war jedoch so hart betroffen wie die jüdische Gemeinschaft in Europa. Als Shoa bezeichnet man heute den Leidensweg von rund sechs Millionen Menschen, die dem Vernichtungswillen der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Der deutsche Antisemitismus als Staatsdoktrin radikalisierte sich über die Diskriminierung und Vertreibung der jüdischen Mitbürger seit Kriegsbeginn zum Massenmord in den besetzten Gebieten. Polen wurde zum Experimentierfeld. Die jüdische Bevölkerung wurde in Ghettos zusammengetrieben, der Zwangsarbeit und Versklavung unterworfen, seit 1941 systematisch durch Hunger und Krankheiten dezimiert, schließlich in den Todesfabriken von Auschwitz, Majdanek und vielen anderen Orten „industriell“ getötet. Himmler und Heydrich organisierten im Rahmen der SS die „Endlösung der Judenfrage“ als Teil eines Generalplans Ost“, der die Besiedlung des „Lebensraumes im Osten“ für die „germanische Herrenrasse“ intendierte.
Das Kriegsbild
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Mit dem Russlandfeldzug wurden die Morde ausgeweitet und erfassten schließlich den gesamten deutschen Machtbereich. Auf der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 fanden die Planungen ihren Abschluss. Bei der Durchführung des Völkermords konnte man sich teilweise auf den Antisemitismus auch in anderen Ländern stützen. Der letzte Auftrag Adolf Eichmanns als Organisator der Deportationen zielte auf die ungarischen Juden im Sommer 1944. Mit der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 war der jüdische Leidensweg noch nicht beendet. Bis in die letzten Kriegstage dauerte der Völkermord an.
2. Das Kriegsbild Nach landläufiger Auffassung ist der Zweite Weltkrieg der Höhepunkt einer Entwicklung gewesen, die bis zu den Napoleonischen Kriegen zurückreicht und als totaler Krieg bezeichnet wird. Der Begriff benennt eine bis zur totalen Erschöpfung reichende Mobilisierung der gesamten Gesellschaft für den Krieg; die Entgrenzung politischer Kriegsziele, die bis zur Vernichtung ganzer Staaten und Völker führen können; die Ideologisierung und Enthumanisierung der Kriegführung sowie den Einsatz moderner Technik und Wissenschaft für militärische Zwecke. Die Totalisierung des Krieges stieß 1914–1918 noch an Grenzen und respektierte in gewissem Maße hergebrachte Konventionen und Rücksichten. Durch die damalige Überforderung der Völker wurden bei einigen Großmächten die sozialen und politischen Strukturen so zerrüttet, dass sie in Revolutionen zerbrachen und dem Krieg erlagen. Traumatisiert von der industrialisierten Kriegführung mit Massenschlachten moderner Millionenarmeen, suchten die einen nach 1918 nach neuen völkerrechtlichen Einhegungen des Kriegs, die anderen nach neuen Kriegsmitteln und Strategien, um die Eskalation eines künftigen Kriegs zu verhindern bzw. zu ermöglichen. In Deutschland waren viele Experten davon überzeugt, dass sich jeder künftige Krieg zu einem totalen Krieg entwickeln werde, zu einem „Daseinskampf“ der Völker, auf den man sich intensiv vorbereiten musste. Hitler und sein Regime zogen daraus einen großen Teil ihrer politischen Ideologie. Damit wurde der totale Krieg aber keineswegs zur deutschen Ideologie des Krieges. Er findet sich im Kriegsdenken der anderen totalitären Großmacht, der UdSSR, ebenso wie bei den demokratischen Staaten. Was für die einen wie eine finstere Verlockung klang, erfüllte die anderen mit größter Sorge. Nach dem Blutbad des Ersten Weltkriegs versetzte die Vision einer noch gesteigerten Intensität eines künftigen Kriegs die Menschheit in Schrecken. Die Kriegsziele der faschistischen Staaten trugen den Keim des totalen Kriegs in sich, ebenso wie er im Stalinismus angelegt gewesen ist. Der Hitler-Stalin-Pakt zeigte zwischen 1939/40 die umstürzenden Folgen gleicher Gesinnung. Dieses Bündnis hätte die Weltgeschichte revolutionieren können, wenn nicht einer der beiden Diktatoren von der fixen Idee besessen
Der Totale Krieg
Kriegsziele
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Heimatfront
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gewesen wäre, dass er durch die Beseitigung des anderen zum alleinigen Herrscher einer „neuen“ Welt aufsteigen könnte. Die Demokratien waren anfangs schwach und uneinig. Sie verteidigten im Prinzip den Status quo und versuchten, den Expansionsdrang der totalitären Diktaturen einzudämmen. Sie nahmen in kauf, sich gegen den gefährlichsten Gegner, Deutschland, mit einem anderen Feind der Demokratie zu verbünden. Erst im Verlauf des Zweiten Weltkriegs radikalisierten sie stufenweise ihre Kriegsziele, von der Atlantik-Charta über die Casablanca-Erklärung bis zum Morgenthau-Plan, der dann allerdings doch keine offizielle Politik der Westmächte wurde.
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Morgenthau-Plan Der US-Finanzminister Henry Morgenthau entwickelte im September 1944 Vorstellungen zur Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat. Durch eine radikale Entindustrialisierung sollte es den Deutschen unmöglich gemacht werden, jemals wieder einen Angriffskrieg zu führen. Er widersprach damit der offiziellen Linie des Außen- sowie des Kriegsministeriums. Die bekannt gewordenen Überlegungen dienten der NS-Propaganda als Beweis für angebliche Pläne der Alliierten, die Deutschen zu versklaven und 30 Millionen Deutsche dem Hungertod preiszugeben.
Es hat zwar innerhalb des NS-Regimes über die eigenen Kriegsziele und die günstigste politische Strategie hin und wieder unterschiedliche Auffassungen gegeben. Doch die Kriegspolitik blieb fest in der Hand Hitlers, der stets die radikalste Variante bevorzugte und mit Verschlechterung der Kriegslage immer weniger zu taktischen Kompromissen neigte. Die alliierte Forderung nach bedingungsloser Kapitulation stärkte ihm dabei den Rücken, um die Niedergeschlagenheit seiner Anhänger und die Zweifel einer kriegsmüden Bevölkerung immer wieder zum „Durchhalten“ zu wenden und Hoffnung auf den „Endsieg“ zu wecken. Mit Verführung und Gewalt war es ihm möglich, die Schraube der totalen Kriegführung so weit zu drehen, bis das Reich erschöpft und zerbrochen war.
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Rede von Goebbels im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 360. Die Nation ist zu allem bereit. Der Führer hat befohlen, wir werden ihm folgen. Wenn wir je treu und unverbrüchlich an den Sieg geglaubt haben, dann in dieser Stunde der nationalen Besinnung und der inneren Aufrichtung. Wir sehen ihn greifbar nahe vor uns liegen; wir müssen nur zufassen. Wir müssen nur die Entschlusskraft aufbringen, alles andere seinem Dienst unterzuordnen. Das ist das Gebot der Stunde. Und darum lautet die Parole: Nun, Volk steh auf, und Sturm, brich los!
Damit förderte Hitler die Entschlossenheit der Alliierten, keinen neuen Versailler Friedensvertrag anzustreben, sondern das Reich zu zerschlagen, Deutschland von Nazismus und Militarismus zu befreien und so zu einem demokratischen Neuanfang zu verhelfen. Dazu brauchten sie die totale Niederlage des Gegners. Durch ihren unterschiedslosen Bombenkrieg schmiedeten sie die von Hitler angestrebte „Volksgemeinschaft“ erst recht zusammen. Die Deutschen wurden kriegsmüde, aber sie gaben erst auf, als
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das Reich vollständig besetzt war. Dafür zahlten sie in einem bis zum Exzess getriebenen totalen Krieg einen blutigen Preis, der höher lag als im Ersten Weltkrieg. In welchem Ausmaß es der NS-Propaganda tatsächlich gelungen ist, die deutsche Gesellschaft auf den „nationalsozialistischen“ Krieg einzustimmen, ist in der Forschung umstritten. Kriegswirtschaft und Gesellschaft blieben überraschend lange in einem friedensähnlichen Zustand, anders als Großbritannien, das sich von Anfang an auf einen langen Zermürbungskrieg eingestellt hatte. Die USA brauchten wegen ihres späten Kriegseintritts und ihrer enormen Ressourcen die eigene Bevölkerung nicht in einem ähnlichen Ausmaß für den Krieg einzuspannen. Die UdSSR betrieb dagegen eine rücksichtslose und weitreichende Mobilisierung. Es war nicht nur eine Reaktion auf das Ausmaß der feindlichen Bedrohung, sondern auch Ausdruck einer menschenverachtenden Ideologie. Deutschland und Japan, die bis Ende 1944 den Krieg in der Ferne, außerhalb ihres Territoriums, führten, versuchten erst ab 1943 ihre Gesellschaften stärker zu mobilisieren, stießen aber durchaus auf strukturelle und mentale Grenzen, so dass bis zum Ende ein ständiger interner Streit über Möglichkeiten einer weitergehenden Totalisierung der Anstrengungen geführt wurde. Beide Mächte setzten als Ergebnis einer rassistischen Ideologie auf den Masseneinsatz von ausländischen Sklavenarbeitern und die Ausbeutung besetzter Territorien, die den kriegsbedingten Druck auf die eigene Bevölkerung verminderten. Sie führten erst im letzten Kriegsjahr nach dem Verlust der auswärtigen Versorgungsbasen radikale Maßnahmen in der eigenen Bevölkerung durch, die dem denkbaren Höchstmaß des Kräfteeinsatzes nahe kamen: der totale Krieg als das letzte Aufbäumen totalitärer Diktaturen. Und doch blieben ideologische Hemmungen, wie etwa bei der Umsetzung der Arbeitspflicht für Frauen, die es so in der UdSSR nicht gab. Der Zweite Weltkrieg begann also nicht als totaler Krieg, obwohl alle Welt damit gerechnet hatte. Entgegen früheren Annahmen zeigten sich die Demokratien den totalitären Diktaturen in dieser Hinsicht keineswegs unterlegen. Sie waren besser imstande, die auf den Krieg ausgerichteten Energien in ihrer zur Hemmungslosigkeit neigenden Tendenz zu kanalisieren und nach dem Ende der Kampfhandlungen möglichst rasch wieder in zivile Bahnen zu lenken. Es war der größeren Fähigkeit zu danken, auf den „Druck von unten“ positiv zu reagieren, auf das Partizipationsverlangen der „Massen“ einzugehen sowie die Nachkriegserwartungen von Soldaten und Bürgern aufzunehmen. Für Stalin und Hitler hingegen diente der Krieg lediglich als Mittel zur Stärkung ihrer Diktatur und zur radikalen Umwandlung der Gesellschaft, zur Schöpfung und Auslese eines „neuen“ Menschen sowie für eine neue Weltordnung. Die Demokratien waren außerdem erfolgreicher in der Entfesselung des industriellen Kriegs sowie bei der Selbstmobilisierung und Koordinierung von Wissenschaft und Technik. Auf diesem Felde konnte der Nationalsozialismus seine strukturellen und ideologischen Defizite nicht restlos überwinden. Die Atomphysik galt als „jüdische“ Wissenschaft. So blieb die Atombombe, mit der ein neues Zeitalter der Kriegführung eingeleitet wurde, in Deutschland im Laborstadium.
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Heimatfront
V. Moderner Bewegungskrieg
Enthemmung des Krieges
Barbarisierung
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Die militärische Kriegführung entwickelte sich seit 1939 zu einem modernen Bewegungskrieg, der blutige Massenschlachten wie im Stellungskrieg 1914/18 verhinderte. Grundlage dafür bildete eine umfassende Motorisierung des Kriegs, der die militärischen Entscheidungsprozesse enorm beschleunigte und neue räumliche Dimensionen öffnete. Operationen konnten nun in einem Zuge bis zu 300 Kilometer weit geführt werden. Die modernen Kommunikationsmittel spielten eine wichtige Rolle, um die für eine industrielle Kriegführung notwendigen Informationen zu beschaffen und die Führungsprozesse zu optimieren. Damit wurde es möglich, die durch industrielle Massenproduktion geschaffenen Mengen an Kriegsmaterial sowie die durch Mobilisierung der Gesellschaft rekrutierten Massenarmeen an Brennpunkten des Kriegs zu konzentrieren. Daraus entstanden große Schlachten, die das Bild des Zweiten Weltkriegs stärker geprägt haben als der schlichte Alltag. Für die meisten Soldaten der Wehrmacht bestand der Krieg – wie auch in früheren Zeiten – größtenteils aus Langeweile und schwerer Arbeit. Erst ab Januar 1942 entwickelte sich an einzelnen Abschnitten der Ostfront ein längerer Stellungskrieg, der aber nicht wie in Verdun oder an der Somme zu beiderseitigen blutigen Frontalangriffen um wenige Meter Geländegewinn führte. Langwierige, heftige Infanteriekämpfe bildeten örtliche Ausnahmen (Lappland, Kurland, Monte Cassino, Normandie, Hürtgenwald). Auch der Kampf um Festungen blieb militärisch ohne größere Bedeutung. Insofern zeugten die einzigartigen Aufwendungen Hitlers für den Bau von Bunkern und Festungslinien von einem „alten Denken“. Taktische Hauptkennzeichen waren die systematisch vorbereitete Durchbruchsschlacht mit massiver Luftunterstützung und überlegener Kräftekonzentration des Angreifers, der Vorstoß von Panzerkeilen und der Einsatz motorisierter Infanterie in der Tiefe des Raums, das Begegnungsgefecht in der freien Operation sowie die Einkesselung und Vernichtung gegnerischer Truppen. Charakteristisch für den Zweiten Weltkrieg war die Entschlossenheit und Fähigkeit aller großen Armeen, trotz Niederlagen, die alle zu gewissen Zeiten zu verkraften hatten, neue Kräfte zu organisieren und den Kampf unter allen Umständen fortzusetzen. Mit der Länge des Kriegs und dem Anstieg der Verluste wuchs vielerorts auch die Erbitterung der Gegner, so dass es zu Kriegsverbrechen und Übergriffen kam. Der totale Krieg selbst produzierte ein hohes Maß an Enthemmung auf allen Seiten, die, je nach Kriegslage, von der jeweiligen Führung auch bewusst geschürt worden ist. Das war in Moskau nicht wesentlich anders als in Berlin, in London nicht grundsätzlich anders als in Washington. Es bildete sich dennoch keine endlose Spirale der Barbarisierung, weil bei allen Kriegsparteien nicht zuletzt auch Gründe praktischer Vernunft dafür sprachen, die Enthemmung der Kriegführung zu bremsen oder partiell zurückzunehmen. Am Ende verzichtete im März 1945 die Wehrmacht auf die Auslösung eines mörderischen Gaskrieges, Churchill beendete den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung und Stalin bremste die Rache der Roten Armee. Die Barbarisierung des Krieges fand ihren stärksten Ausdruck nicht auf den Schlachtfeldern, wo sich ein rudimentäres Verständnis von „ritterlicher“ Kriegführung halten konnte, sondern in den Zonen, wo keine Regeln res-
Das Kriegsbild pektiert wurden. Das waren zum einen Gebiete des Partisanenkrieges und zum anderen die Todeszonen für den Massenmord, die Zwangsarbeits- und Vernichtungslager. Dazu gehört die einzigartige Verbindung von Kriegführung und Völkermord an den europäischen Juden. Hitler hatte sie stets als Voraussetzung für die „innere Sicherheit“ seines Reiches, für die totale Mobilmachung seiner Bevölkerung und als sein wichtigstes Kriegsziel angesehen. Daran hielt er selbst nach der Kriegswende fest. Das unterscheidet den Holocaust vom stalinistischen Massenmord. Dieser war auf keine einzelne Opfergruppe beschränkt und wechselte nach Belieben des Diktators. Ihm ging es hauptsächlich um den „inneren Feind“ und die Einschüchterung des eigenen Volkes. Als typischer Ausdruck des totalen Kriegs wird oft das starke Missverhältnis zwischen militärischen und zivilen Opfern im Zweiten Weltkrieg angesehen. Denn es liegt in dessen Struktur, die Grenzen zwischen ziviler Bürgerwelt und militärischer Sphäre aufzuheben. Wenn ein Arbeiter in der Fabrik Kanonen produziert, trägt er den gleichen Anteil an den Kriegsanstrengungen seiner Nation wie sein früherer Arbeitskollege, der als Soldat die Geschütze an der Front bedient, und er verteidigt bei Luftalarm im Arbeitskittel die Fabrik an der Heimatflak, beaufsichtigt außerdem als Hilfswachmann die zur Zwangsarbeit eingeteilten Kriegsgefangenen. Kamen in früheren Kriegen Zivilisten und Soldaten vor allem durch Begleiterscheinungen des Kriegs wie Hunger und Seuchen ums Leben, so starben sie im Zweiten Weltkrieg hauptsächlich durch direkte Gewalteinwirkung. Die moderne industrialisierte Kriegführung führte zu einem Masseneinsatz von Mensch und Material, der sich nur schwer beschränken und ausschließlich auf klar abgrenzbare militärische Ziele konzentrieren ließ. „Chirurgische“ Schläge gegen den Gegner waren nur selten möglich. War im Ersten Weltkrieg der Kampf im Wesentlichen auf die schmale Feuerzone der Stellungsfronten begrenzt, führten der Bewegungs- und Luftkrieg im Zweiten Weltkrieg dazu, dass die Front überall war, dass ein Überleben in den Großstädten des Hinterlandes oft gefährdeter gewesen ist als in den Stellungen an der Front. Durch die enorme Steigerung der Feuerkraft konnte der Aufwand zur Tötung oder Verwundung des Gegners um ein Vielfaches erhöht werden. Die Alliierten konnten es sich leisten, einen materialintensiven Krieg zu führen, gegen einen Gegner, der seine Unterlegenheit durch eine personalintensive Kriegführung zu kompensieren versuchte. Zum Schluss traten Hunderttausende von schlecht bewaffneten Hitlerjungen und Rentnern im „Volkssturm“ gegen die Feuerwalze alliierter Armeen an. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Spirale der Totalisierung des Kriegs den „absoluten Krieg“ im Sinne von Clausewitz nicht erreichte. Der Zweite Weltkrieg bildete den Höhepunkt des konventionellen Kriegs mit Massenarmeen im Industriezeitalter und überschritt nicht die Schwelle zum unkonventionellen Krieg mit modernen Massenvernichtungswaffen, der dem Krieg ein völlig anderes Gesicht verliehen hätte. Die Großmächte verfügten zwar in unterschiedlicher Weise über entsprechende Möglichkeiten, doch sie wagten es nicht, diese Schwelle zu überschreiten. Der einmalige Einsatz der neuentwickelten Atombombe am Ende des Kriegs hatte keinen Einfluss auf seinen Verlauf. Er war der logische Endpunkt der Geschichte des totalen Kriegs und im dialektischen Umschlag der Beginn
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Zivile Verluste
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eines neuen „kalten“ Kriegs zwischen den Supermächten, der nur noch als Abschreckungs- und Drohszenario funktionierte.
3. Die kulturelle Dimension des Krieges „Krieg in den Köpfen“
GoebbelsPropaganda
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Wie im Ersten Weltkrieg erkannten die kriegführenden Mächte die Notwendigkeit, die eigene Bevölkerung möglichst umfassend zu lenken, gegnerische Einflüsse zu verhindern und auf den Kriegswillen anderer Nationen einzuwirken, und zwar auch durch nicht-militärische Mittel. Um den „Krieg in den Köpfen“ zu gewinnen, hatten die Nationalsozialisten bereits lange vor Kriegsbeginn begonnen, sich aller damaligen Medien der Meinungslenkung und Propaganda zu bemächtigen und für ihre Zwecke zu nutzen. Wie alle faschistischen und totalitären Regime entwickelten sie eine hemmungslose Fähigkeit, ihre Feindbilder zu aktivieren, den Nationalismus anzufeuern, patriotische Stimmungen zu erzeugen und die eigenen Leistungen zu heroisieren. Die demokratischen Staaten hingegen waren erst durch den Kriegsbeginn in der Lage, die kommerziellen Medien unter staatliche Regie zu stellen. Dabei blieb eine gewisse Vielfalt auch der veröffentlichten Meinungen erhalten, auch wenn sich Journalisten, Rundfunkredakteure und Filmschaffende der vorherrschenden patriotischen Strömung anpassten. Sie stellten sich in den Dienst der Presserichtlinien und der Verbreitung von Kriegsnachrichten. Die in Deutschland von Goebbels gelenkten Medien sowie die Kulturpolitik wandelten während des Krieges auf einem schmalen Grat. Überzogene Schönfärberei der Lage und penetrante Bevormundung konnten weite Teile der Bevölkerung so sehr nerven, dass sich viele aus der Wahrnehmung öffentlicher Verlautbarungen und Parolen zurückzogen. Statt der erhofften Loyalität entstanden Irritationen und die Suche nach unabhängigen Informationen. Rückgang der Leserzahlen und Gerüchte signalisierten einen Verlust an Faszination und Glaubwürdigkeit. Totale Kontrolle wäre also uneffektiv gewesen. Propaganda als Ersatz für politische und militärische Erfolge funktionierte nicht. Deshalb legte Goebbels von Anfang an Wert darauf, die unpolitische Unterhaltung in den Vordergrund zu stellen, weil sie abzulenken vermochte und emotionale Entlastung brachte, was im Zeichen des totalen Krieges zunehmend gefragt war. Die moderne Populärkultur bot den Nationalsozialisten die Möglichkeit, ihre Leitvision einer „Volksgemeinschaft“ mit den heterogenen Wünschen einer trotz aller „Gleichschaltung“ stark individualistisch geprägten Bevölkerung zu verbinden. Die harten, kriegsbedingten Forderungen des Regimes an den Einzelnen und die Familien kompensierte man mit der Vision individuellen häuslichen Glücks und einer zwanglosen, unpolitischen Normalität, die in die Zukunft eines nationalsozialistischen Wohlfahrtsstaates reichten.
Die kulturelle Dimension des Krieges
Propagandaminister Goebbels am 18. November 1942 Aus: Jacobsen/Dollinger, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, S. 342.
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Liebe zur Volksgemeinschaft müssen wir mit einem infernalischen Hass gegen alle Menschen und Kräfte verbinden, die die deutsche Volksgemeinschaft zerstören wollen. Das ist nicht undeutsch, sondern die übertriebene Objektivität ist ein deutscher Charakterfehler. Es ist ein heiliger Krieg um Raum und Scholle. Wir sind nicht mehr das Volk der Dichter und Denker.
Die politische Funktionalisierung des Kulturangebots setzte auf die Verschränkung von Gefühl und Verstand, bei der direkte ideologische Botschaften eher die Ausnahme bildeten. Bevorzugt wurden vielmehr subtile Formen der Vermittlung von Werten, wobei ihre nationalsozialistische Prägung zurückhaltend eingebracht wurde. In den vermeintlich unpolitischen Unterhaltungsfilmen tauchten in der Regel keine Parteifunktionäre auf, weder Gestapo und SS noch Hakenkreuzfahnen – ganz im Gegensatz zu sowjetischen Kriegsfilmen, die offen dem Personenkult Stalins und der führenden Rolle der Partei frönten. In den meisten NS-Spielfilmen gab es das „Dritte Reich“ einfach nicht, auch nicht den „neuen“ Menschen, den sich das Regime wünschte. Hier galten Vertreter der alten Zeit oft als leicht vertrottelt, aber doch liebenswürdig, ja mit Rücksicht auf den nationalkonservativ geprägten Teil des Bürgertums und der älteren Generation fand das überlebte Kaiserreich eine oft verklärende Erinnerung – in der stalinistischen Kulturpolitik völlig undenkbar. Figuren und Geschichten des alten Russlands wurden nach den Kategorien der bolschewistischen Revolution instrumentalisiert bzw. verteufelt. Vor allem der neue sozialistische Mensch wurde hervorgehoben und verdrängt, welchen Leidensweg die sowjetische Bevölkerung in den Vorkriegsjahren durch Zwangskollektivierung, Hungerpolitik und „Säuberungen“ gerade erst hinter sich gebracht hatte. Goebbels gelang es, in der Inszenierung des Kino-Erlebnisses und des gemeinsamen Rundfunkhörens am „Volksempfänger“ Politik, Krieg und Unterhaltung bis zur Unkenntlichkeit miteinander zu verschmelzen. Doch während er die Produktionsbedingungen kontrollierte, war das bei der Rezeption nur bedingt möglich. Das musste die Propaganda bei der Verbreitung von Feindbildern peinlich berührt registrieren, wenn es in Teilen des Publikums Sympathiebekundungen für russische oder jüdische Figuren gab. Im Dunkel des Kino- oder Theatersaals gab es ausreichend Möglichkeiten des individuellen Eskapismus, der sich für die seichte Unterhaltung öffnete, aber wegschaute, wenn eine direkte Beeinflussung vermutet wurde. Diese Flucht in einen unpolitischen Familienalltag, in eine eigene Welt der Sehnsüchte findet sich selbst in der millionenfachen Feldpost, was durch eine strenge Zensur noch gefördert wurde. NS-Durchhalteparolen bildeten in der Post, die Soldaten von zu Hause erhielten, die Ausnahme. Im Krieg konnte das Führen eines persönlichen Tagebuchs, obwohl zumindest für die Soldaten eigentlich verboten, den Ort einer Innerlichkeit bilden, der sich dem Regime entzog. Schriftsteller und bildende Künstler mussten sich den Auflagen der NSKulturpolitik beugen, wenn sie ihre Arbeit fortsetzen wollten. Viele wurden
Kultur im Krieg
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gedrängt, in die Propagandakompanien der Wehrmacht einzutreten, wo kaum noch Raum für individuelle geistige Fluchten blieb. Pflichtleistungen der „Kriegsmaler“ genügten kaum noch künstlerischen Ansprüchen, die über den Zeitgeschmack hinausgingen. Prominente Schriftsteller wie Erich Kästner durften in Einzelfällen trotz ihrer Distanz zum Regime unter Pseudonym weiterarbeiten, andere erhielten Berufsverbot. Die Unterhaltungsoffensive während des Krieges wurde vom Publikum dankbar angenommen und gehörte zu den Aktivposten des Regimes. Sie trug allerdings dazu bei, jeden oppositionellen Gedanken zu lähmen, und ließ die deutsche Kriegsgesellschaft nicht unbeeindruckt von medialen Inszenierungen der Schicksalsgemeinschaft und des Antikommunismus. Die Rezeption insbesondere in der Schlussphase des Krieges blieb freilich vielfach gebrochen und widersprüchlich, aber sie zeigte ein Beharrungsvermögen, das über den Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ hinausragte. Das komplexe Verhältnis von Unterhaltungskultur und Gewaltherrschaft ist nicht mit einfachen Formeln zu beschreiben. Die Existenz einer entspannenden und zeitgemäßen Scheinwelt suggerierte eine zivile Normalität und eine Kontinuität der Moderne. Damit konnte das Abgleiten des Regimes in die Barbarei überdeckt werden. Die Mehrheit der Volksgenossen nahm jedenfalls den brutalen Eroberungs- und Vernichtungskrieg hin und verdrängte ihn durch eine Kultur des Wegsehens und Nichtwissenwollens. Die Totalisierung des Krieges erleichterte für die meisten die Konzentration auf das eigene Überleben.
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VI. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen 1. Das Kriegsende im Frühjahr 1945 Nach mehr als fünf Jahren Krieg standen die Armeen der Anti-Hitler-Koalition an den deutschen Grenzen, bereit, das verbrecherische NS-Regime endgültig niederzuwerfen. Nach blutigen Schlachten war es den westlichen Alliierten gelungen, die Wehrmacht aus dem Mittelmeerraum und aus Frankreich hinauszudrängen. Ihre Bomberflotten beherrschten den Himmel über dem Reich. Deshalb war auch Hitlers letzte Offensive an der Westfront im Dezember 1944 gescheitert. Noch dauerten die schweren Kämpfe in den Ardennen am Jahresende an. Doch mit dem Einsatz seiner letzten Reserven war es dem Diktator zumindest gelungen, den Einmarsch der Alliierten über den Rhein zu verzögern und den Krieg um einige Monate zu verlängern. Im Osten stand die Rote Armee an der Weichsel und an der ostpreußischen Grenze. Nur im nördlichen Litauen und im Raum Budapest dauerten heftige Kämpfe an. Die Masse der nach Westen vorgestoßenen sowjetischen Armeen bereitete sich darauf vor, mit einer entscheidenden Schlussoffensive ins Reich einzubrechen. Sie hatten im vergangenen Sommer und Herbst durch einen stürmischen Vormarsch die Wehrmacht auf die Grenze von 1941 zurückgeworfen. Der Diktator hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass es mit ihm keinen „November 1918“ geben werde. Die Parole hieß: Sieg oder Untergang. Als nach der militärischen Katastrophe von Stalingrad die Kette an Niederlagen nicht abriss, machte die NS-Propaganda Hoffnungen auf einen „Endsieg“ durch die Einstellung der Bevölkerung auf einen totalen Krieg. Um den bereits erschöpften Deutschen, für die sich die Lebensumstände immer weiter verschlechterten, Mut zu machen, gaukelte man ihnen die Illusion von „Wunderwaffen“ vor, mit denen die Übermacht der Feinde besiegt werden sollte. Doch die Alliierten hatten 1943/44 ihren Bombenkrieg gegen die deutsche Kriegswirtschaft und Rüstungsindustrie sowie gegen die Zentren der Großstädte massiv ausgeweitet. Zugleich bestanden sie auf ihrer Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation und bekundeten damit ihren Willen, anders als nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland zu besetzen und vollständig umzugestalten. Als der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 gescheitert war, gab es innerhalb des Reiches praktisch keine handlungsfähige Kraft mehr, die in der Lage gewesen wäre, Hitler und sein Regime zu beseitigen, um den Krieg zu beenden und sich mit den Siegermächten zu verständigen. Es gelang dem Diktator, seine Paladine fest an sich zu binden. Erst in den letzten Kriegstagen lösten sich einzelne hohe Funktionäre wie Himmler und Göring aus Hitlers Bann. Sie suchten selbständig, aber vergeblich den Kontakt zu den Alliierten. Die Generalität war durch den Diktator teilweise korrumpiert und auf seinen Kurs eingeschworen worden. Manche befürchteten Bürgerkrieg und Revolution, wie sie es selbst 1918 erlebt hatten, einige wohl auch die Rache
Der Sturm auf das Reich
Zusammenbruch der Wehrmacht
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
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der Sieger, da sich die Wehrmacht zum Handlanger eines rassenideologischen Vernichtungskrieges im Osten gemacht hatte. Während solche Zukunftssorgen die Berufssoldaten und die militärische Elite umtrieben, hoffte das Millionenheer wehrpflichtiger und zwangsrekrutierter Soldaten auf ein rasches Ende der blutigen Kämpfe und die Rückkehr ins Zivilleben. Angesichts ständiger Todesgefahr sahen die meisten eine Überlebenschance nur in der kleinen Kampfgemeinschaft. Zu der Geborgenheit im Kameradenkreis kam vielerorts das Vertrauen in verständnisvolle Vorgesetzte und in das Funktionieren des Wehrmachtsystems. Das versprach Heimaturlaub und andere Erleichterungen im Frontalltag. Besatzungssoldaten in Norwegen und Dänemark erlebten eine nahezu ruhige Idylle. Hunderttausende bewegten sich in den letzten Kriegsmonaten hinter der Front mit offiziellen Marschbefehlen, unter fingierten Vorwänden oder infolge von Krankheit oder Verwundung. Andere waren in sogenannten Festungen wie Kreta oder an der Atlantikküste eingeschlossen. Immer häufiger gerieten einzelne Soldaten und Einheiten aber auch in verzweifelte Situationen, überfordert durch sinnlose Befehle, versprengt und orientierungslos auf dem Gefechtsfeld, unter dem Druck von Durchhaltefanatikern unter den Vorgesetzten und in einem ständig verschärften System der Repression und Kontrolle, mit dem Hitler und die Wehrmachtführung auf die nachlassende Kampfmoral reagierten. Vor allem an der Westfront hatten auf dem Rückzug Hunderttausende den Kampf aufgegeben und waren in Gefangenschaft gegangen. Im Osten fürchteten viele die Rache der Roten Armee. Hier hatte der Krieg längst eine ungewöhnliche Brutalität und Härte hervorgebracht, der nicht selten feindliche Verwundete oder Gefangene zum Opfer fielen. Den Verlockungen der sowjetischen Frontpropaganda, die zum Überlaufen aufforderte, folgten jedenfalls nur wenige. Gefangenschaft und Zwangsarbeit in Sibirien war für die deutschen Soldaten ein Schreckensbild, anders als die Aussicht, als Gefangene in die USA transportiert zu werden. Die Zahl derjenigen, die aktiv zum Feind desertierten oder sich im Reich den Zwangsrekrutierungen zu entziehen versuchten, stieg zwar im letzten Kriegsjahr an, blieb aber innerhalb der Masse von mehr als zehn Millionen mobilisierter Männer auffallend gering. Mehr als 25000 Todesurteile einer gnadenlosen Wehrmachtjustiz sorgten bis Kriegsende für eine Eindämmung der Kriegsmüdigkeit unter den Soldaten, von denen die wenigsten durch politische Motive angetrieben wurden. Feldgendarme und „Fliegende Standgerichte“ waren bei allen gefürchtet, auch bei Offizieren und Generalen. Das Regime bedrohte jedermann, der den sinnlosen „Endkampf“ aufgeben wollte, mit dem Tode. Durch „Sippenhaft“ sollten dafür sogar die Familienangehörigen büßen.
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Hitlers letzter Tagesbefehl an die Soldaten der Ostfront am 16. April 1945 Quelle: Schramm (Hg.), Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, Bd. IV/8, S. 1589f. Achtet vor allem auf die verräterischen wenigen Offiziere und Soldaten, die – um ihr eigenes erbärmliches Leben zu sichern – im russischen Solde, vielleicht sogar in deutscher Uniform, gegen uns kämpfen werden. Wer Euch Befehle zum Rück-
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Das Kriegsende im Frühjahr 1945
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zug gibt, ohne dass Ihr ihn genau kennt, ist sofort festzunehmen und nötigenfalls augenblicklich umzulegen – ganz gleich, welchen Rang er besitzt.
In den letzten Kriegsmonaten löste sich die Wehrmacht nicht nur unter den Schlägen des Feindes auf. Hitler schloss z.B. die militärische Ausbildungsorganisation und schickte die jungen Offiziersanwärter als einfache Infanteristen an die Front. Alles war auf kurzfristigen Zeitgewinn abgestellt. In die Kasernen kamen für kurze Zeit die jüngsten Jahrgänge, 16-jährige Kindersoldaten, die kaum etwas anderes erlebt hatten als den Krieg und nun als Kanonenfutter für ihren „Führer“ das Leben opfern sollten. Viele hatten sich unter dem Eindruck von Erziehung und Propaganda sogar freiwillig gemeldet. Die Begeisterung mancher verflog rasch in der grausamen Realität des Krieges. Wenig begeistert waren auch Hunderttausende von alten Veteranen und Rentnern, die zusammen mit Hitlerjungen und Schwerkriegsbeschädigten seit September 1944 in dem neugeschaffenen „Volkssturm“ versammelt wurden. Für einige wenige Bataillone reichten geringe Reste von Ausrüstung und Bewaffnung. Sie mussten in den Reihen der Wehrmacht kämpfen. Die anderen trafen sich zu gelegentlichen Übungen und zum Schanzen. Sie sollten in letzter Minute bei Annäherung des Feindes aufgerufen werden und ihre Heimatorte verteidigen. Dazu ist es oft nicht mehr gekommen. In Zivilkleidung, nur mit einer Armbinde gekennzeichnet, liefen sie Gefahr, vom Gegner nicht als Kombattanten anerkannt und erschossen zu werden. Hatten sie Glück, unterblieb der Aufruf oder sie wurden von einsichtigen Verantwortlichen, z.B. dem örtlichen Schulleiter, nach Hause geschickt. Aufruf des Reichsjugendführers Artur Axmann zum Einsatz der Jugend Abgedr. in Völkischer Beobachter vom 27. März 1945.
Letztes Aufgebot
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Es gibt kein Zurück mehr, sondern nur ein Vorwärts. Es gibt nur ein Handeln bis zur letzten Konsequenz. Es gibt nur Sieg oder Untergang. Seid grenzenlos in der Liebe zu eurem Volk und ebenso grenzenlos im Hass gegen den Feind. Eure Pflicht ist es zu wachen, wenn andere müde werden, zu stehen, wenn andere weichen. Eure größte Ehre aber sei eure unerschütterliche Treue zu Adolf Hitler.
Das Modell der Kamikaze-Flieger des japanischen Verbündeten übernahm die Wehrmacht mit der Aufstellung von sogenannten Selbstopfer-Einheiten, speziell in der Luftwaffe, nur zögerlich. Das galt auch für die Formierung von weiblichen Kampftruppen. Zwar dienten mehr als eine Million Frauen bereits seit Jahren in der Wehrmacht in Hilfsfunktionen („Blitzmädchen“), doch bewaffnete Frauen passten nicht in Hitlers Frauenbild. Auch der Einsatz von Partisanen („Werwölfe“) auf deutschem Boden gegen den Vormarsch des Gegners blieb eine marginale Erscheinung. Trotz fanatischer Propaganda und einiger organisatorischer Ansätze fanden sich auf verschiedenen Ebenen einsichtige Verantwortliche, die in den letzten Kriegstagen die Umsetzung solcher militärisch sinnloser Aktionen verzögerten. Das betraf auch verschiedene Vorschläge, das riesige Arsenal von neuartigen chemischen Kampfstoffen zu nutzen, um mit der Eröffnung des Gas-
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
VI.
krieges den bereits laufenden Raketenbeschuss des gegnerischen Territoriums in eine neue Dimension des Krieges mit Massenvernichtungswaffen zu verwandeln. In Deutschland war nicht bekannt, dass die Westmächte bereits über einsatzbereite biologische Waffen verfügten und die Entwicklung einer Atombombe vor dem Abschluss stand. Die angelsächsische Vergeltung hätte in diesem Falle Deutschland wohl auf Jahre hinaus unbewohnbar machen können. Keine Hemmungen kannte die Wehrmacht, bis zu einer Million ausländischer „Hilfswilliger“ und Legionäre aus allen Teilen Europas, sogar aus dem Kaukasus und Zentralasien, in den aussichtslosen Kampf zu schicken. Diese, unter ihnen Ukrainer, Russen und Ungarn, trugen meist deutsche Uniformen und hatten sich wie andere für den Kampf gegen den Stalinismus mobilisieren lassen. Französische Legionäre gehörten zu den letzten Verteidigern der Reichskanzlei. Als Kollaborateure stand ihnen in den Heimatländern ein hartes Schicksal bevor. Solange an den Reichsgrenzen die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm herrschte, also bis Anfang 1945, blieben die Verteidigungslinien intakt. Doch als Mitte Januar zuerst im Osten, dann ab Anfang März auch im Westen der Bodenkrieg auf deutsches Territorium übergriff, kam es örtlich zu schweren Kämpfen. Hier wurde die Präsenz des eigenen Militärs zur größten Gefahr für die Zivilbevölkerung, weil der Gegner seine weit überlegene Feuerkraft einsetzte, um die eigenen Kräfte möglichst zu schonen. An der Ostfront hingegen trieb Stalin seine Armeen rücksichtslos voran, so dass nur dort, wo die Wehrmacht hartnäckigen Widerstand leistete, die nicht rechtzeitig evakuierte Zivilbevölkerung eine Chance hatte, in letzter Minute der drohenden Gewaltorgie zu entkommen.
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Feldpostbrief eines Leutnants vom 15. Februar 1945 Aus: Herrmann/Müller, Junge Soldaten, S. 131. Ich habe hier [südlich von Breslau] die Leichen der erschlagenen Zivilisten gesehen. Frauen, denen sie die Hand abgehackt haben und Mädchen, die halbtot geschändet und dann direkt geschlachtet wurden – und mir dürft Ihr glauben. Wir haben gestern sofort daraufhin 20 Russen umgelegt, die wir gefangen hatten, und ich schieße auch jeden, den ich erwische, sofort über den Haufen.
Rettung über See
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Kurz vor der Einschließung der „Festung“ Breslau wurden die nicht-brauchbaren Teile der Bevölkerung vom Gauleiter aus der Stadt gejagt, wie Ballast einem ungewissen Schicksal überlassen. Offiziell sollten Frauen und Kinder hinter der Front ausharren, um den Männern den Rücken zu stärken. Sie durften auch deshalb nicht rechtzeitig nach Westen ausweichen, weil alle Transportkapazitäten und Durchgangsstraßen von der Wehrmacht beansprucht wurden. Trecks, die dennoch überstürzt im Zuge der fortschreitenden Kämpfe gebildet wurden, mussten auf winterlich verschneite Nebenwege ausweichen, wo viele von sowjetischen Panzern überrollt wurden. Dramatische Szenen spielten sich vor allem im eingeschlossenen Ostpreußen ab, wo schließlich nur noch der Weg über das zugefrorene Haff offenstand. Im Ostseeraum spielte die Kriegsmarine noch eine maßgebliche Rolle. Obwohl auch für sie der Vorrang militärischer Aufträge galt, setzten sich
Das Kriegsende im Frühjahr 1945 einzelne Dienststellen darüber hinweg und nahmen sich der in den Häfen verzweifelt Wartenden an, der Flüchtlinge, Verwundeten, Marinehelferinnen usw. Es begann die größte Evakuierungsaktion der Weltgeschichte. Trotz einzelner Katastrophen, wie bei der Versenkung der Passagierdampfer „Wilhelm Gustloff“, „Steuben“ und „Goya“, betrug die Verlustrate nur ein Prozent der eingeschifften Passagiere. Bis in die letzten Stunden des Krieges haben Seefahrzeuge der Handels- und der Kriegsmarine mehr als 2,2 Millionen deutsche Landsleute in Sicherheit zu bringen versucht, darunter 1,3 Millionen zivile Flüchtlinge. Obwohl Hitler gerade von seinen Parteifunktionären einen „fanatischen“ Widerstandsgeist erwartete, ließen diese die ihnen anvertraute Bevölkerung meist im Stich, indem sie eine rechtzeitige Evakuierung der Zivilbevölkerung verhinderten und selbst im letzten Moment verschwanden. Himmler übernahm persönlich die neugebildete Heeresgruppe Weichsel und wollte Pommern verteidigen. Gleichzeitig übertrug Hitler ihm den Auftrag, „hinter der gesamten Ostfront auf deutschem Boden die nationale Verteidigung“ zu gewährleisten. Das war ein Freibrief für SS und Polizei zum schrankenlosen Terror auch gegen die eigene Bevölkerung. So konnte Himmler in Pommern zwar Frauen und Kinder zur Schanzarbeit zwingen, aber auch der „Reichsführer-SS“ konnte den Mangel an Waffen und Ausrüstung sowie kampfbereiten Soldaten nicht ausgleichen, von seinen fehlenden Fähigkeiten als Feldherr ganz zu schweigen. Statt seine zerbrechende Ostfront zu stützen, befahl der Diktator den Einsatz der wieder aufgefrischten 6. SS-Panzerarmee im ungarischen Raum. Dort scheiterte sie Anfang März bei dem Versuch, die wichtigen Ölfelder zu halten und einen russischen Vorstoß nach Wien zu verhindern. Auch das schlesische Industriegebiet ging verloren. Im böhmischen Raum um Prag konnte sich Hitlers brutalster Durchhaltegeneral Ferdinand Schörner bis in die letzten Kriegstage halten. Seit Anfang 1945 erreichte das Sterben unter den Soldaten seinen Höhepunkt während des Zweiten Weltkriegs. Die an allen Fronten geschlagene Wehrmacht erlitt in den letzten Kriegsmonaten die blutigsten Verluste. Trotz der großen Opferzahl des verschärften Bombenkriegs und der Fluchtbewegungen betrug das Verhältnis der getöteten Soldaten gegenüber zivilen Opfern 5 zu 1. Die Gewalt des Krieges richtete sich also hauptsächlich gegen die Männer, die das NS-Regime zur Verteidigung des Reiches aufbot. Die übliche Unterscheidung zwischen Front und Heimat löste sich aber schrittweise auf. Im Verständnis des von Goebbels propagierten totalen Krieges verlor der Begriff der „Zivilbevölkerung“ ohnehin seine landläufige Bedeutung. Die Alliierten respektierten die völkerrechtliche Schutzbestimmung auch nicht immer, wie die verheerenden Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 zeigten. Im Westen griffen ihre Tiefflieger rücksichtslos alle Bewegungen im Hinterland an, um die deutsche Front zu zermürben. Die Zunahme direkter Gewalt traf neben den Soldatenmassen verstärkt Frauen und ihre Familien. Sie mussten nun nicht nur um Väter, Söhne und Brüder an der Front bangen, deren Schicksal meist ungewiss war, da Nachrichten nur noch sporadisch eintrafen und Millionen Männer als vermisst galten oder sich schon in Gefangenschaft befanden. Millionen Frauen mussten sich als „Kriegerwitwen“ oft allein um das Überleben ihrer Familien
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Sinnlose Opfer
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
VI.
Überlebensgesellschaft
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kümmern und dazu auch noch der Arbeitspflicht Folge leisten. In vielen Handwerks- und Industriebetrieben, soweit sie für das „Notrüstungsprogramm“ produzierten und nicht stillgelegt worden waren, bildeten Frauen den größten Anteil an der Arbeiterschaft. In der Landwirtschaft lag die Arbeitslast oft ganz allein auf ihren Schultern. Die letzten männlichen Arbeitskräfte in Betrieben, Instituten und Bürokratien wurden, sofern sie nicht schon von der Wehrmacht erfasst worden waren, in den Volkssturm überführt. Daneben hatten sie als Hilfswachmannschaften ausländische Zwangsarbeiter zu beaufsichtigen. Das Millionenheer von zivilen „Fremdarbeitern“ und Kriegsgefangenen war schon lange unentbehrlich, um die Kriegsproduktion aufrechtzuerhalten. Doch in der Phase des Zusammenbruchs, als viele Betriebe aus Mangel an Energie und Rohstoffen zum Erliegen kamen, wurden sie zunehmend als „Ballast“ empfunden. In Industrie und Wirtschaftsbürokratie hatte man sich schon seit 1944 in aller Stille auf die Nachkriegszeit eingestellt. Dort betrieb man eine intensive Vorsorge dafür, Infrastruktur, Vorräte und Stammpersonal der Betriebe über die zu erwartenden Wirren der letzten Kriegstage und die feindliche Besetzung zu retten. Diese verständliche Überlebensstrategie umfasste freilich nicht die Ausländer, die im Falle ihrer Befreiung Zeugnis über das erlittene Unrecht ablegen und Rache nehmen könnten. Deshalb suchte man sich ihrer zu entledigen und in letzter Minute aus den Städten zu entfernen. Die lokalen und regionalen Instanzen übernahmen im Frühjahr 1945 immer mehr Verantwortung, da die zentrale Steuerung schrittweise zusammenbrach. Selbsthilfe wurde zur Überlebensstrategie, die den Zusammenhalt in Familien, Kommunen und Regionen stärkte. Mehr als ein Drittel der deutschen Bevölkerung war infolge der letzten Kriegsereignisse unterwegs. Rund 300000 Kinder verloren in den letzten Wochen des Krieges ihre Eltern. Neben zehn Millionen Männern und Frauen in den Streitkräften waren 7,5 Millionen Menschen „ausgebombt“ und obdachlos, vegetierten in Kellern und Katakomben oder waren aufs Land evakuiert worden. Mehr als zehn Millionen waren schon zuvor aus den Großstädten entfernt und teilweise zusammen mit ihren Betrieben über große Teile des Reiches verteilt worden. Ostpreußen galt lange Zeit als der Luftschutzkeller Berlins. 14 Millionen befanden sich seit Anfang 1945 in Ostdeutschland auf der Flucht nach Westen. Wer es sich leisten konnte und über Beziehungen verfügte, hatte seine Familienangehörigen in die überfüllten Kurorte in Süddeutschland in Sicherheit gebracht. Ganze Stadtbezirke etwa in Hamburg, Köln oder Berlin waren dagegen praktisch menschenleer, ebenso manche Dörfer und Siedlungen, die in die Kampfzone gerieten. Die Wegweisung, Ernährung, medizinische Versorgung und Betreuung dieser Menschenmassen überforderte die personell ausgedünnte Verwaltung bei weitem. Doch auch sie funktionierte bis zum Einmarsch des Feindes – und darüber hinaus. Im Kontrast dazu stand die fanatische Durchhalte- und „Endsieg“-Propaganda des NS-Regimes. Die Opferbereitschaft des Einzelnen und der Zusammenhalt in kleinen Gemeinschaften waren unpolitische Impulse, die auf das Überleben zielten, nicht auf den Fortbestand des gescheiterten Unrechtsstaates oder eine längst verblichene Loyalität zum „Führer“. Die weit-
Das Kriegsende im Frühjahr 1945 gehende Auflösung der propagierten „Volksgemeinschaft“ vollzog sich allerdings nicht gleichförmig und gleichzeitig. Es gab Landstriche, wie in Schleswig-Holstein und Bayern, die vom Krieg wenig oder erst ganz zum Schluss berührt worden sind. Doch sie zogen deshalb auch die Massen von Flüchtlingen an, die hier am ehesten auf Sicherheit und Versorgung hofften. Bei den Einheimischen fanden sie nicht immer Verständnis und Hilfe. Nahezu völlig isoliert gegenüber der deutschen Bevölkerung blieben die ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen. In streng bewachten Kolonnen wurden sie unter winterlichen Verhältnissen aus den vom Feind bedrohten Gebieten evakuiert. Sie blieben auf die Gnade und Vorsorge ihrer Bewacher angewiesen. Unter primitiven Verhältnissen und unterversorgt trieb man sie von einem Provisorium zum nächsten, bis der Augenblick ihrer Befreiung nahte. Dann konnte die alliierte Militärverwaltung dafür Sorge tragen, dass die deutsche Verwaltung ausreichend Mittel zur Verfügung stellte. Eine Ausnahme bildete der Osten der Reiches, wo die Rote Armee nach der Befreiung sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener „Filtrierlager“ für die vermuteten Verräter errichtete und viele von ihnen am Ende im Gulag-Lagersystem innerhalb der UdSSR landeten. Die geringsten Überlebenschancen hatten im Frühjahr 1945 die Häftlinge und Sklavenarbeiter im Lagersystem der SS. Darunter befanden sich auch viele Deutsche, aber die Mehrheit bildeten Ausländer. Es waren gefangene Widerstandskämpfer aus den ehemals besetzten Gebieten sowie zahlreiche andere politische Gefangene und rassisch Verfolgte. Die unzähligen Lager und ihre Außenstellen versuchte man rechtzeitig zu evakuieren und die Spuren der Gewalt- und Mordpolitik zu beseitigen. Gefangene, die nicht arbeits- oder marschfähig waren, wurden ermordet, die vorerst Überlebenden trieb man in Hungermärschen durch Deutschland. Himmler glaubte in den letzten Kriegstagen, sie als Geiseln benutzen zu können. In der Lübecker Bucht fielen Tausende, die auf Schiffe verfrachtet worden waren, alliierten Bombenangriffen zum Opfer. Nur wenigen gelang es, sich wie in Buchenwald in letzter Minute selbst zu befreien. Die oft vom Tode gezeichneten Häftlinge starben an Entkräftung nicht selten noch nach ihrer Befreiung. Deutschland war von zahllosen Lagern geprägt gewesen. Die Bevölkerung hatte sich an sie gewöhnen müssen. Doch im Frühjahr 1945 sorgten diese Elendszüge von KZ-Häftlingen in nahezu allen Gebieten des Reiches dafür, dass die Menschen mit den Verbrechen des Regimes unmittelbar konfrontiert wurden. Um das eigene Überleben bekümmert, fanden die Häftlinge selten Hilfe. Dafür sorgte vor allem der anhaltende Terror von Gestapo, Polizei und Parteifunktionären. Der Repressionsapparat des Regimes arbeitete bis zur letzten Minute mit Hochdruck, um Protest und Widerstand in der Bevölkerung zu verhindern. Erst als der Einmarsch des Feindes unmittelbar bevorstand, wurden vielerorts weiße Fahnen gehisst und an wenigen Orten sogar Widerstandsgruppen gebildet, um den sinnlosen Kampf zu beenden. Doch der Terror des Regimes reichte bis zum Schluss in nahezu jeden Winkel des noch unbesetzten Teils Deutschlands. Anfang März gelang es den westlichen Alliierten, bei Remagen den Rhein zu überschreiten. Gegen schwachen Widerstand der Wehrmacht kesselten sie die deutschen Hauptkräfte im Ruhrgebiet ein. Die Briten sicherten sich durch die schnelle Besetzung Norddeutschlands den strategisch wichtigen
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Todesmärsche
Einmarsch der Alliierten im Westen
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
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Ostsee-Ausgang. Die Amerikaner und Franzosen eroberten Süddeutschland.
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Tagesbefehl Hitlers am 16. April 1945 Quelle: Schramm, Kriegstagebuch des OKW, Bd. IV/8, S. 1589f. Soldaten der deutschen Ostfront! Zum letzten Male ist der jüdisch-bolschewistische Todfeind mit seinen Massen zum Angriff angetreten. Er versucht, Deutschland zu zertrümmern und unser Volk auszurotten. Ihr Soldaten aus dem Osten wisst zu einem hohen Teil heute bereits selbst, welches Schicksal vor allem den deutschen Frauen und Kindern droht. Während die Alten, Männer und Kinder ermordet werden, werden Frauen und Mädchen zu Kasernenhuren erniedrigt. Der Rest marschiert nach Sibirien … Der Bolschewist wird dieses Mal das alte Schicksal Asiens erleben, das heißt, er muss und wird vor der Hauptstadt des Deutschen Reiches verbluten.
Schlußoffensive der Roten Armee
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Am 16. April trat die Rote Armee zur Einnahme Berlins und zur Besetzung Mitteldeutschlands an. Am 25. April 1945 trafen amerikanische und sowjetische Truppen bei Torgau an der Elbe zusammen. Vier Tage später kapitulierten die in Norditalien eingesetzten Verbände der Wehrmacht. Hitlers Selbstmord am 30. April in seinem Berliner Bunker setzte das Signal für das Ende des NS-Regimes und für größere Kampfhandlungen. Die in Flensburg entsprechend Hitlers Testament gebildete neue Reichsführung unter Großadmiral Dönitz versuchte vergeblich, durch regionale Teilkapitulationen Zeit zu gewinnen. Am 8. Mai 1945 war der Krieg für die Deutschen offiziell zu Ende. Der letzte Wehrmachtbericht vom 9. Mai 1945 Aus: Müller/Ueberschär, Kriegsende 1945, S. 181. Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. Damit ist das fast sechsjährige Ringen zu Ende. Es hat uns große Siege, aber auch schwere Niederlagen gebracht. Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen. Der deutsche Soldat hat getreu seinem Eid, im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergessliches geleistet […] Die einmalige Leistung von Front und Heimat wird in einem späteren gerechten Urteil der Geschichte ihre endgültige Würdigung finden.
Die überwiegende Mehrheit hatte sich apathisch in den befohlenen „Endkampf“ gefügt, mehr um das eigene Überleben besorgt als um den Fortbestand des NS-Regimes. Die Zusammenbruchgesellschaft bot aber kein einheitliches Bild. Territorial, militärisch, wirtschaftlich und politisch zerfiel das totalitäre „Dritte Reich“ schubweise in kleinere Zusammenhänge, die im zivilen Bereich den 8. Mai überdauerten. Im Raum Aachen war der Krieg bereits Ende Oktober 1944 zu Ende gegangen. Der Osten Deutschlands hingegen erlebte zwischen Januar und April 1945 eine Orgie der Gewalt, die nach dem Ende der Kämpfe auf andere Weise fortdauerte und zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung führte. Mehr als 270000 Zivilisten wurden von der Roten Armee als Zwangsarbei-
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Die Kapitulation Japans ter deportiert. Dabei starben rund 66000. Von den insgesamt elf Millionen deutschen Kriegsgefangenen, die jahrelang Zwangsarbeit leisten mussten, sind 134000 noch nach Kriegsende gestorben. Ab März erlebte der Westen nur eine kurze Phase von Bodenkämpfen, dann führte die Besetzung zu einem friedlichen Zusammenleben mit den Besatzern. Dass sich damit der Weg in die Befreiung auch der Deutschen öffnete, wurde vielen erst sehr viel später einsichtig. Die Not des Alltags und des Überlebens dauerte noch lange an, aber die Überlebensgemeinschaften der Deutschen erweiterten sich kontinuierlich, wenn auch die staatliche Einheit für fast ein halbes Jahrhundert verlorenging. Mehr als fünf Millionen deutsche Soldaten hatten durch den Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. Hinzu kamen 570000 Zivilisten, die im Bombenkrieg starben, sowie mindestens 600000 während der Flucht und Vertreibung. Das waren etwa zehn Prozent der Gesamtzahl an Opfern weltweit. Die Verluste in China, der UdSSR und Polen lagen höher. Sie wurden durch den Völkermord an rund sechs Millionen Juden prozentual bei Weitem übertroffen. Der 8. Mai 1945 beendete die militärischen Kampfhandlungen in und gegen Deutschland. In anderen Teilen der Welt aber ging der Krieg weiter (Kapitulation Japans am 2. September 1945) oder brach neu auf (gegen die europäischen Kolonialmächte). In Ostmitteleuropa dauerte der bewaffnete Widerstand gegen die Sowjetisierung bis Anfang der fünfziger Jahre, der nach dem Abzug der Wehrmacht 1944 aufgebrochene Bürgerkrieg in Griechenland endete 1949. Das Ende des Zweiten Weltkriegs hatte weder für die Deutschen und anderen Europäer noch für den Rest der Welt alle Probleme gelöst, aber für einen kurzen Moment die Hoffnung der Menschheit auf eine Welt ohne Krieg geweckt. Sie fand mit der Gründung der Vereinten Nationen ihren Ausdruck. Die Hoffnung dauert an.
VI.
Kriegsende in Europa
2. Die Kapitulation Japans Das japanische Imperium war seit 1943 im asiatischen Parallelkrieg in wachsende Bedrängnis geraten. Im Pazifik drängten US-Truppen mit einem „Inselspringen“ über 5000 Kilometer die Japaner auf ihr Kerngebiet zurück. Die Entscheidungen fielen durch gigantische See-Luft-Schlachten und teilweise verlustreiche Dschungelkämpfe. Dabei leisteten die japanischen Soldaten erbitterten Widerstand. Mit der Befreiung der Philippinen, dem Vormarsch der Briten in Burma und der chinesischen Armeen geriet Japan in eine aussichtslose Lage. Schwere Luftangriffe auf die Städte des Inselreiches verminderten die Widerstandskräfte. Ungewöhnlich hohe Verluste erlitten die Amerikaner bei der Eroberung von Iwojima Mitte Februar 1945, rund tausend Kilometer südlich von Tokio. Dass bei mehr als 20000 getöteten Japanern nur 216 Gefangene gemacht werden konnten, zeigte die japanische Entschlossenheit zur Selbstaufopferung. Noch blutiger entwickelten sich die Kämpfe auf Okinawa, 550 Kilometer südlich der japanischen Hauptinsel Kyushu, die am 1. April 1945 mit
Iwojima
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
VI.
Einsatz von Atombomben
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der Landung von vier US-Divisionen begann. Die Amerikaner brauchten diesen Stützpunkt, um von hier ihre Invasion in Japan durchführen zu können. Rund 110000 Verteidiger lieferten ihnen aus gut vorbereiteten Stellungen erbitterte Kämpfe, die erst am 21. Juni beendet wurden. Insgesamt mussten die US-Streitkräfte für die kleine Insel 180000 Mann einsetzen sowie 1200 Kriegsschiffe, deren gefährlichster Feind die japanischen Kamikaze-Flieger gewesen sind. Die US-Navy erlitt die schwersten Verluste während des gesamten Zweiten Weltkriegs. Auf amerikanischer Seite waren 12500 Tote und 37000 Verwundete zu verzeichnen. Bei den Japanern überlebten nur 7400 Mann. Die Offiziere hatten in den letzten Stunden auch Zivilisten den Selbstmord befohlen. Diese Erfahrungen erhöhten die Besorgnis von Briten und Amerikanern, dass sie bei einer Eroberung des japanischen Mutterlandes bis zu 1,5 Millionen an eigenen Verlusten erleiden würden, wenn sich in der japanischen Führung die zum kollektiven Selbstmord entschlossene Gruppe um Kriegsminister General Korechika Anami durchsetzen würde. Die Potsdamer Konferenz der Siegermächte forderte Japan am 26. Juli 1945 zur bedingungslosen Kapitulation auf. Am 6. August wurde mit dem Einsatz der ersten Atombombe auf Hiroshima dieser Forderung Nachdruck verliehen. Zwei Tage später fiel auf Nagasaki eine weitere Bombe. Durch die neue Massenvernichtungswaffe kamen mehr als 200000 Menschen ums Leben. Der Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan am 8. August 1945 hatte dann keine große Bedeutung mehr. Die japanische Besatzungsarmee in der Mandschurei wurde innerhalb weniger Tage zerschlagen. Nach dem Machtwort des Tennos wurde die Kapitulation schließlich am 2. September 1945 unterzeichnet. Bordbuch des US-Bombers „Enola Gay“ über den Einsatz gegen Hiroshima am 6. August 1945 Aus: Müller/Ueberschär, Kriegsende 1945, S. 212. 9.15 Uhr: Die Bombe ist abgeworfen! Tibbets reißt die Maschine in einer 60Grad-Kurve herum und drückt sie nach unten, um Fahrt aufzunehmen. Es bleiben uns 43 Sekunden, um wegzukommen, ehe über Hiroshima die Hölle losbricht. Jeder in der Maschine hat seine dunkle Brille aufgesetzt, aber es ist unmöglich, damit zu fliegen. Wir legen sie weg und gehen auf 60 Grad […] und das Cockpit wird in furchtbares, purpurnes Licht getaucht. Fast unmittelbar darauf wird die „Enola Gay“, die jetzt zwölf Meilen seitlich versetzt von der Explosion fliegt, geschüttelt und sackt durch – die Auswirkung der Druckwelle. […] Innerhalb von drei Minuten ist der Wolkenpilz, der zum Symbol des Atomzeitalters werden soll, bis auf unsere Höhe, bis in 10000 Meter, emporgestiegen.
Über die Gründe zum Einsatz der Atombomben ist in der Nachkriegszeit immer wieder kontrovers diskutiert worden. Ob US-Präsident Truman hauptsächlich an eine Signalwirkung gegenüber Stalin dachte oder der enorme Entwicklungsaufwand der Bombe mit einem spektakulären Erfolg gerechtfertigt werden sollte, lässt sich nicht schlüssig beweisen. Nicht zu übersehen sind aber die militärischen Gründe, die damals für den Einsatz zu sprechen schienen. Die strategische Luftoffensive, mit einem verheerenden Brandbombenangriff auf Tokio am 9./10. März 1945 eröffnet, hatte in-
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Die Kapitulation Japans nerhalb kurzer Zeit mit Hilfe von 170000 Tonnen an konventionellen Bomben die meisten Städte und Industrieanlagen in Japan zerstört. Das Kaiserreich war am Ende seiner Kraft und suchte verzweifelt einen Ausweg. Die friedenswilligen Kräfte konnten sich aber nicht durchsetzen, und bis zuletzt war ein Putsch radikaler Militärs nicht ausgeschlossen. Noch in der letzten Phase des europäischen Kriegs waren deutsche UBoote in Richtung Japan aufgebrochen, um den Japanern die Blaupausen deutscher Geheimwaffen zur Verfügung zu stellen. Zuvor hatten die deutsch-japanischen Beziehungen seit 1943 keine Dynamik mehr entwickelt. Vergeblich hatte man in Tokio auf einen langen, blutigen Endkampf um das Reich gehofft, der die Kräfte der Anti-Hitler-Koalition binden würde. Truman hatte wohl eine andere Wahl. Nach mehreren Kabinettswechseln in Tokio wurde ein Kapitulationsangebot von den Westmächten nicht mehr ernst genommen. Im Besitz einer Waffe, die mit einem Schlag den Krieg beenden konnte, musste der US-Präsident auch Rücksicht darauf nehmen, dass sein Volk ein schnelles Ende des Krieges auch im Pazifik wünschte.
VI.
Kapitulation Japans
3. Von der Potsdamer Friedensordnung zum Kalten Krieg Mit dem Sieg über das „Dritte Reich“ war der Zweite Weltkrieg militärisch entschieden. Nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 hatten die Briten am 23. Mai die vorübergehend noch amtierende Regierung Dönitz verhaftet und in Kriegsgefangenschaft überführt. Die oberste Gewalt in Deutschland übernahm der Alliierte Kontrollrat. Vier Besatzungszonen unterstanden jeweiligen Militärgouverneuren, die aber keine völlig gleichgerichtete Politik in ihren Bereichen verfolgten. Zwar hatte man sich auf der Konferenz in Jalta im Februar 1945 auf allgemeine Grundzüge zur Entwaffnung, Entmilitarisierung und Entnazifizierung verständigt, doch über die Zukunft Deutschlands hatten die Siegermächte durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Dabei ging es nicht zuletzt auch um die Machtverteilung in Europa und die Frage, ob sich die ehemalige Anti-Hitler-Koalition tatsächlich auf eine allgemeine Weltfriedensordnung verständigen konnte, wie sie Ende April bei der Gründung der UNO in San Francisco beschlossen und durch die UN-Charta vom 26. Juni 1945 bestätigt worden war. Das sowjetische Vorgehen in Osteuropa war für Churchill ein klarer Verstoß gegen die Prinzipien von Jalta. Ein „eiserner Vorhang“ sei vor der russischen Front in Mitteleuropa niedergegangen, schrieb er am 12. Mai an Truman. Er scheute sich nicht, insgeheim eine Operation „Unthinkable“ prüfen zu lassen, die mögliche Aufnahme von Kampfhandlungen der Alliierten bei einem weiteren Vormarsch der Roten Armee nach Westen. Die von Moskau geforderte Anerkennung der kommunistischen Marionetten-Regime als angeblich frei und legitim widersprach der Vereinbarung, ein freies Europa auf demokratischer Grundlage schaffen zu wollen. Churchill drängte daher auf eine erneute Aussprache der „Großen Drei“, um Stalins Beutepolitik zu bremsen.
Konferenzen von Jalta und Potsdam
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Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
VI.
Bruch der Anti-Hitler-Koalition
Deutschlandpolitik
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Auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) sollten hauptsächlich die deutsche Frage und der Kriegsbeitritt der UdSSR gegen Japan verhandelt werden. Militärisch war ein Angriff der Roten Armee gegen Japan eigentlich nicht mehr notwendig und würde lediglich Ansprüche Stalins im Fernen Osten ermöglichen, die aus westlicher Sicht keineswegs erwünscht waren. Aber der sowjetische Blitzkrieg in Asien minderte den Druck auf die Demarkationslinie zwischen Ost und West in Deutschland. Dort hatten die Briten und Amerikaner gerade ihre bei Kriegsende besetzten Gebiete räumen müssen, die in der sowjetischen Besatzungszone lagen (Teile Mecklenburgs und Thüringens). Potsdam wurde zur Schlusskonferenz des Zweiten Weltkriegs. Die Uneinigkeit auf westlicher Seite erleichterte es Stalin, weitgehende territoriale und politische Ansprüche durchzusetzen. Truman teilte nicht das Misstrauen Churchills gegenüber Stalin. Der britische Kriegspremier musste während der Konferenz den Verhandlungstisch verlassen, weil seine Konservative Partei die Unterhauswahlen in Großbritannien verloren hatte. Sein Nachfolger wurde Labour-Premierminister Clement R. Attlee, der die tiefe Friedenssehnsucht in der britischen Bevölkerung durch eine neue Sozialpolitik zu Lasten des Militärhaushalts befriedigen wollte. Das erste Opfer waren erneut die Polen. Im Zuge der Diskussion um Besatzungszonen verloren sie nun endgültig den östlichen Teil ihres Vorkriegsterritoriums, weil Stalin auf der Gültigkeit der Ergebnisse seines Pakts mit Hitler von 1939 bestand. Polen sollte durch die deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße kompensiert werden. Gleichzeitig wurde die kommunistisch gesteuerte Regierung von Edward Osobka-Morawski als legitime Vertretung Polens anerkannt. Damit wurde ein deutsch-polnischer Gegensatz festgeschrieben, der die sowjetische Vorherrschaft in Ostmitteleuropa zementierte. Die Annexion des nördlichen Ostpreußens durch die UdSSR bildete ein weiteres westliches Zugeständnis, das Stalin in Verfolgung einer klassischen machtpolitischen Expansionspolitik erringen konnte. Schließlich gehörte dazu auch die bereits in Jalta festgeschriebene Unterwerfung der baltischen und südosteuropäischen Staaten. Der sowjetische Diktator war als letzter der vier Siegermächte in die AntiHitler-Koalition eingetreten und fuhr nun die größten Gewinne ein. Zur Beute aus seiner früheren Zusammenarbeit mit Hitler kam nun die Hälfte des ehemaligen Deutschen Reiches, mit der Option, durch eine entsprechende Besatzungspolitik den Einfluss auf ganz Deutschland ausbauen zu können. Auch der von den Westmächten anerkannte Grundsatz der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem Osten des Reiches sowie den ostmitteleuropäischen Staaten sicherte das neue sowjetische Imperium mit stalinistischen Methoden, die auch von den Nazis für ihre verbrecherischen Ziele benutzt worden waren. Noch gingen alle Besatzungsmächte unter Einschluss Frankreichs vom Erhalt der deutschen Einheit aus. Doch bei der Diskussion um Reparationen, Demontagen, Wirtschaftskontrollen, Bestrafung von Kriegsverbrechern sowie der „Umerziehung“ der Deutschen deuteten sich unterschiedliche Auffassungen an. Die schließlich am 2. August 1945 verkündete Vereinbarung legte „Die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze zur Behandlung Deutschlands während der ersten Kontrollperiode“ fest. Der bekundete Wille
Die Kapitulation Japans der Siegermächte richtete sich auf ein erstes Provisorium bis zum Abschluss eines Friedensvertrags und enthielt das Versprechen, dass es nicht die Absicht der Alliierten sei„,das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven“. Es bestehe vielmehr der Wille, „dem deutschen Volk Gelegenheit zu geben, sich darauf vorzubereiten, später sein Leben auf demokratischer und friedlicher Grundlage neu aufzubauen. Sind seine eigenen Anstrengungen unablässig auf dieses Ziel gerichtet, so wird es zu gegebener Zeit seinen Platz unter den freien und friedliebenden Völkern der Welt einnehmen können“. Es sollte sich rasch erweisen, dass dieses Dokument den Ausgangspunkt für den „Kalten Krieg“ bildete, der zwischen den Siegermächten ausbrach und für mehr als vier Jahrzehnte das Nachspiel zum Zweiten Weltkrieg darstellte. Deutschland selbst stand dabei im Mittelpunkt des Machtkampfes, ein besetztes und geteiltes Land, das zum Aufmarschgebiet der Supermächte wurde und nur in seinem Westteil allmählich die Souveränität zurückgewann. Wie nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs die weltpolitische Karte. Anders als damals zielten die Veränderungen aber auf die Herausbildung einer bipolaren Weltordnung, die das internationale System für fast 50 Jahre bestimmte und das ideologische Zeitalter auf den Höhepunkt führte. Zusammen mit dem Gleichgewicht des atomaren Schreckens sorgte es zumindest in Europa für eine fragile Stabilität und eine Koexistenz des kommunistischen Imperiums und der freien Welt. Den Preis dafür hatte auch jene „Dritte Welt“ zu zahlen, die als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und der nachfolgenden Dekolonisierung in Afrika und Asien entstand. Deutschland hatte seinen Großmachtstatus bereits 1945 eingebüßt, die anderen europäischen Großmächte verloren ihn später. Europa wurde für Jahrzehnte zum Objekt der Weltpolitik und überlebte nur dank der Präsenz der USA sowie ihrer Wiederaufbauhilfe – auch in dieser Hinsicht im Unterschied zu der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Friedensvertrag mit Deutschland wurde nie abgeschlossen. Eine abschließende Regelung und die volle Wiederherstellung der deutschen Souveränität brachte erst der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990.
VI.
Globale Veränderungen
4. Die Erinnerung an die größte Katastrophe im 20. Jahrhundert Die extreme Steigerung der Gewalt im Verlauf des Zweiten Weltkriegs, die nach dem 8. Mai 1945 keineswegs schlagartig beendet wurde und nicht auf Mitteleuropa beschränkt blieb, war das Ergebnis einer zivilisatorischen Entgleisung. Zur Barbarisierung des Krieges gab es viele Anstöße und Triebkräfte. Der Völkermord an den europäischen Juden gehört zu den schlimmsten Projekten der Menschheitsgeschichte und wurde durch den Zweiten Weltkrieg ermöglicht. Den einzigartigen Massenmord begleiteten zahllose andere Morde an kranken und behinderten Menschen, an politischen Gegnern und rassisch angeblich „minderwertigen“ Personen, die nicht zur NS-„Volksgemeinschaft“ zählten, die Widerstand leisteten oder als „unnütze Esser“ galten.
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VI. Selektive Erinnerung
Deutsche Erinnerungskulturen
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Die überlebenden Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft standen nach 1945 lange Zeit im Hintergrund der öffentlichen und kollektiven Erinnerung. Auch bei den Siegermächten dominierten die Soldaten und die Veteranen der Partisanen, die den Kampf geführt und den Erfolg errungen hatten. Sie waren die Träger des nationalen Erinnerungsdiskurses, in den Frauen und Familien als Unterstützer der Männer an der Front einbezogen wurden, aber nicht im Vordergrund standen. Die Siegerpose verdrängte für Jahrzehnte interne Konflikte während des Krieges, etwa das Thema der Kollaboration, und eigene Fehler wie die Appeasement-Politik und Verbrechen wie den unterschiedslosen Bombenkrieg. Erst eine spätere Generation öffnete sich für die Bereitschaft, einseitige nationale Geschichtskonstruktionen in Frage zu stellen. Besonders tragisch war das Schicksal der ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen, die nach ihrer Heimkehr als Verräter und Versager diskriminiert wurden. Die „patriotische“ Erinnerung in der UdSSR schloss diese Soldaten ebenso aus wie die jüdischen Opfer, deren besonderes Schicksal übergangen wurde, ähnlich wie bei den nationalen Minderheiten. Dafür wurde Osteuropa übersät mit stalinistischen Denkmälern, die an den Sieg der Roten Armee erinnerten. Durch die von Moskau vorgegebene Geschichtsdoktrin wurden die Annektionen von 1939/40 in Ostmitteleuropa ebenso verdrängt wie die Erinnerung an stalinistische Massendeportationen und Morde. Katyn blieb im volksdemokratischen Polen ein Tabu, ebenso wie die Leistungen der polnischen Exilarmee im Zweiten Weltkrieg. Im geteilten Deutschland entwickelten sich für mehr als vier Jahrzehnte unterschiedliche Erinnerungskulturen. In der SBZ/DDR feierte man nach dem Vorbild des „Großen Bruders“ den 8. Mai als Tag der Befreiung. Die ideologisch geschlossene Deutung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs machte es möglich, sich mit den Siegern zu identifizieren. Zugleich schuf die SED-Propaganda die Möglichkeit, etwa am Beispiel der angelsächsischen Bombardierung Dresdens die Kriegserinnerung gegen den Westen zu richten. Die private Familienerinnerung hingegen wurde – ähnlich wie in Westdeutschland – auch im Osten von persönlichem Leid, von Flucht und Vertreibung, der Gewalterfahrung durch die Rote Armee und den Bombenkrieg sowie durch das Erleben der Kriegsgefangenschaft beherrscht. Es gab in Deutschland kaum eine Familie, die nicht einen oder gar mehrere Angehörige zu beklagen hatte, die im Krieg Leben oder Gesundheit eingebüßt hatten. Seit den siebziger Jahren wuchs in Folge der Entspannungspolitik und einer zunehmend kritischen Aufarbeitung der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg die Bereitschaft, in die Trauer über das eigene Leid die Freude über gelungenen Neubeginn zu integrieren. Man verstand, dass vom Blickwinkel der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aus das Ende des Zweiten Weltkriegs nur als „Befreiung“ verstanden werden kann. Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches ist die Vorbedingung der Freiheit gewesen. Die berühmte Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1985 öffnete für diese geschichtspolitische Wahrheit die Augen und gilt seitdem weltweit als vorbildlich. Was bleibt vom Zweiten Weltkrieg?
Die Kapitulation Japans Das Völkerrecht gewährleistete im Zweiten Weltkrieg keinen ausreichenden Schutz der Zivilbevölkerung und verhinderte keine Kriegsverbrechen von Soldaten an Soldaten. So kamen im Zweiten Weltkrieg mehr Menschen ums Leben als jemals zuvor in der Geschichte. Die Schätzungen gehen bis zu 60 Millionen, die Mehrzahl von ihnen Zivilisten, was immer das im Zeichen des totalen Krieges heißen mochte. Die juristische Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die noch im Jahre 1945 im Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher einsetzte und Neuland betrat, erwies sich bei allen Unzulänglichkeiten doch als ein Fortschritt, der Zeichen setzte, die bis heute Gültigkeit besitzen. Auch wenn sich die damaligen Hoffnungen auf eine neue Friedensordnung im Zeichen der Vereinten Nationen nicht gänzlich erfüllten, haben die Erfahrungen und Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges doch die Entwicklung der Menschheit positiv beeinflusst. Zumindest eine radikale Antwort auf die Krise der bürgerlichen Gesellschaft – der Faschismus – war gründlich diskreditiert. Die andere totalitäre Alternative, der Sowjetkommunismus, war zwar durch den Sieg über Hitlerdeutschland vorübergehend aufgewertet und stabilisiert worden, konnte sich aber gegenüber dem liberal-demokratischen System auf Dauer ebenfalls nicht behaupten. Vor allem die überlegene wirtschaftliche und militärische Kraft der USA sowie die damit verbundene kulturelle Moderne verschafften dem Kapitalismus sowie der liberalen Marktwirtschaft und Demokratie neue Anziehungskraft. Sie schufen in Europa das Fundament einer Gemeinsamkeit, die schon wenige Jahre nach Kriegsende in ersten organisatorischen Zusammenschlüssen Gestalt annahm. Der Zweite Weltkrieg hat, ebenso wie der Erste, weitreichende Neuerungen auf technischem und wissenschaftlichem Gebiet hervorgebracht, die ihren Nutzen auch im Frieden bewiesen haben, vom zivilen Luftverkehr bis zur Raumfahrt, von der umstrittenen Atomkraft bis hin zu neuen Technologien wie Radar und Computer, die aber im Krieg die Tötungs- und Gewaltkapazitäten beträchtlich vergrößert hatten. Die sozialen und politisch-moralischen Folgen waren für Deutschland weitreichender als jemals zuvor in seiner Geschichte. Wie nach dem Ersten Weltkrieg waren einzelne Phänomene wie der Emanzipationsschub für Frauen, der Generationskonflikt und die Bildung neuer politischer Gruppierungen zu beobachten. Doch anders als damals bildete sich nach 1945, wenn auch nicht reibungslos, in Westdeutschland eine kontinuierliche Entwicklung zu einer Zivilbevölkerung, die anfangs von den Besatzungsmächten gesteuert und gefördert wurde, dann aber zunehmend Eigendynamik entwickelte. Dazu trug nicht zuletzt auch der Bruch in der militärischen Tradition bei, der es erst die Gründung der Bundeswehr 1955 ermöglichte, dass sich neue deutsche Streitkräfte vom Vorbild der Wehrmacht zu lösen vermochten. Ostdeutschland hingegen erlebte vier Jahrzehnte lang die Fortführung einer militarisierten Gesellschaft, die nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges die Menschen aber nur oberflächlich berührte. Mit dem Wegfall des äußeren Zwangs gelang auch hier der Schritt in die westliche Zivilgesellschaft. Aus heutiger Sicht lässt sich die alte Streitfrage, ob das Jahr 1945 durch Kontinuität oder Bruch gekennzeichnet ist bzw. als „Stunde Null“ verstanden werden kann, entspannter betrachten. Sie löste bei der Kriegs- und
VI. Juristische Aufarbeituang
Vereinte Nationen
Langfristige Folgen
157
Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
VI.
Aufbaugeneration im Streit mit der Nachkriegsgeneration stärkere Betroffenheit aus. Sicher bleibt eines: Das Deutsche Reich Bismarck’scher Prägung ist am 8. Mai 1945 endgültig untergegangen. Es hat in zwei Weltkriegen seinen verspäteten Weltmachtanspruch nicht durchsetzen können und dabei allen politischen, moralischen, kulturellen Kredit sowie sein Volksvermögen in einem bis zur totalen Niederlage geführten Vernichtungskrieg verspielt. Die alte Reichsidee ist mit dem vom Nationalsozialismus hypertrophierten Rassenwahn auf dem „langen Weg nach Westen“ (Heinrich-August Winkler) endgültig ad acta der Geschichte gelegt worden. Erst die totale Niederlage des „Dritten Reiches“ hat jenen friedlichen, freiheitlichen und demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte zum Durchbruch verholfen, die Deutschland stets mit Europa und der westlichen Welt verbunden haben. Die Epoche der deutschen Kriege, von denen die Welt im 20. Jahrhundert erschüttert wurde, ist endgültig Geschichte geworden. Doch das politische Denken und Handeln in nationalistischen Kategorien sowie der Gewaltbereitschaft des 19. und 20. Jahrhunderts ist in anderen Teilen der Welt noch längst nicht vollständig überwunden.
158
Die Kapitulation Japans
VI.
Der Verlauf der Ostfront 1941 – 1942
Archangelsk
FINNLAND Onegasee
Petrosawodsk Helsinki
Ladogasee
Ostsee Tallinn
ESTLAND
Tichwin
Peipussee
Nowgorod
LETTLAND
Staraja Russa
Heeresgruppe Nord
Riga
Leningrad-Front
Leningrad
(Reval)
Nordwest-Front Ilmensee
Dw
ina
LITAUEN
Moskau Wjasma West-Front Kaluga
Smolensk Minsk
Heeresgruppe Mitte
Rogatschew Brest
SOWJETUNION
Kalinin
Polozk
Vilnius
Bialystok
Wolga
Kalinin-Front
Tula
Brjansk Gomel
Pripjat
Kuibyschew
Orel
Jelez Südwest-Front
Woronesch
Kursk Rowno Lemberg Schitomir
Kiew
Bjelgorod Charkow Tscherkassy
Heeresgruppe Süd
Uman
Dn
jes
tr
Woronesch-Front
Don
Izyum Dn
jep
r
Stalingrad
Dnjepropetrowsk Süd-Front
Saporoschje
Zymlianskaja
Asowsches Meer
Bukarest
Kertsch
RUMÄNIEN Sewastopol
olg
a
Astrachan Kaukasus-Front
Krim-Front
Kaspisches Meer
Maikop
Warna
BULGARIEN
W
Rostow
Odessa
Mosdok
Schwarzes Meer
Von der Roten Armee zurückerobertes Gebiet Frontverlauf (30. April 1942) Frontverlauf (18. Nov. 1942) Vordringen der Deutschen 1941 deutsche Offensive
Grosny
Tiflis
Batum
TÜRKEI 0
100
200
300km
159
Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Folgen
VI.
Japanischer Machtbereich 1942–1945
USA Beringmeer
Magadan Kamtschatka Ochotskisches Meer Attu
SOWJETUNION
ri
Ku
Wladiwostok
Mukden
JAPAN Peking
Port Arthur
Bonin-I. Volcano-I. Formosa 1.4.–21.6.45 Okinawa-I.
BURMA
Pearl Harbor
7.6.45
MALAYA
en Saipan Tinian a M Guam
an
Luzón
Manila
PHILIPPINEN 5.6.45
Saigon
Singapur
HawaiiInseln
Hongkong
INDOCHINA
Sumatra
Midway Wake-I.
Pazifischer Ozean
ri
3.5.45
Tokio
Hiroshima Nagasaki
Schanghai Amoy
Hankau Kunming
Rangun S I A M Hainan
Honschu
KOREA
Tsingtau Tibet Lhasa
Kiska
Gebiet der Alliierten Ende 1942 Rückeroberungen der Alliierten bis August 1945 (teilweise mit Datum in fetter Schrift z.B. 5.6.45 ) Japans Ausdehnung Ende 1942 japanische Front im August 1945
n
Chabarowsk
Mandschurei
ÄUSSERE MONGOLEI
CHINA
Dutch Harbor
Alëuten
Sachalin
Irkutsk
le
TANNUTUWA
Mindanao
Marshall-I.
K a r o l i n e Truk-I. n
Sandakan
Line-I. Gilbert-I.
Borneo
22.4.44
Celebes
NIEDERLÄNDISCHJava I N D I E N Timor
Rabaul S alo m
NEUGUINEA
Darwin
Korallenmeer
one
Äquator Phoenix-I.
Ellice-I.
n
Espiritu Santo Neue Hebriden
Samoa-I. Cook-I.
Fidschi-I.
Neukaledonien
Indischer Ozean
Nouméa
Tonga-I.
AUSTRALIEN
0
160
500 1000 1500km
NEUSEELAND
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Personenregister Adrian, Norbert 64 Anami, Korechika 152 Antonescu, Ion 33 Attlee, Clement R. 154 Axmann, Artur 145 Backe, Herbert 32 Badoglio, Pietro 133 Beck, Ludwig 5, 76 Blaskowitz, Johannes 13 Blomberg, Werner v. 5 Böll, Heinrich: 61, 94 Bose, Subhash Chandra 120 Brooke, Alan 125 Busch, Ernst 99 Cartland, Ronald 19 Chamberlain, Arthur Neville 5, 17 Chiang Kai-shek 80, 116 Churchill, Winston Leonard Spencer 14, 17–20, 101, 104f., 114, 120f., 125, 130–133, 138, 153f. Clausewitz, Carl v. 89, 139 Conti, Leonardo 73 Darré, Walther 32 Dietl, Eduard 15 Dönitz, Karl 54f. Dornberger, Walter 35 Douhet, Giulio 53 Einstein, Albert 34 Eisenhower, Dwight D. 125–128 Falkenhorst, Nikolaus v. 14 Frank, Hans 13 Freyberg, Bernard 107 Frieser, Karl-Heinz 21 Frießner, Johannes 100 Fritsch, Werner Frhr. v. 5 Fromm, Friedrich 45 Funk, Walther 26 Gailani, Raschid Ali el 105 Gaulle, Charles de 19f., 125, 127 Göring, Hermann 6, 26, 41 Guderian, Heinz 16, 18f., 21, 86, 91, 93, 95, 100 Haakon VII., Christian Frederick Carl Georg 15 Halder, Franz 16, 87, 89, 91f., 94, 108 Harris, Arthur 53
Hashimoto, Keiro 115 Heisenberg, Werner 34 Herzewin, Sachar Lwowitsch 91 Himmler, Heinrich 6, 29, 88, 134, 143, 147, 149 Hindenburg, Paul v. 4 Hitler, Adolf 1f., 4–10, 12–16, 18, 21, 23–29, 33–37, 39f., 45, 48, 50f., 53f., 56, 58f., 64, 66, 74–78, 80f., 84–93, 95–106, 108–114, 117f., 120–132, 135–139, 143–145, 147, 150, 153f. Hoepner, Erich 88 Hopkins, Harry L. 121 Kästner, Erich 142 Kesselring, Albert 122 Kleist, Ewald v. 18f. Koryzis, Alexander 107 Laval, Pierre 20 Leeb, Wilhelm v. 66 Leopold III. 19 MacArthur, Douglas 116, 118f. Mannerheim, Carl Gustav 12, 129 Manstein, Erich v. 16, 18, 96–98 Mao Tse-tung 80, 133 Matsuoka, Yosuke 112 Messerschmidt, Manfred 82 Metzger, Lothar 54 Model, Walter 99 Molotow, Wjatscheslaw M. 88 Montgomery, Bernard Law 110, 125, 128 Morgenthau, Henry jr. 136 Mussolini, Benito 19, 78, 103, 109f., 122, 133 Nimitz, Chester William 116, 118 Osobka-Morawski, Edward 154 Patton, George S. 128 Pavelic, Ante 106 Pilsudski, Josef 6 Quisling, Vidkun 15 Raeder, Erich 11, 54, 101, 104 Ramsay, Sir Bertram 18 Reuber, Kurt 96 Ribbentrop, Joachim v. 9f., 12, 103 Rommel, Erwin 20, 76, 96f., 104, 106, 108–110, 123, 126f.
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Personenregister Roosevelt, Franklin Delano 19, 30, 103, 113f., 119, 121, 125, 127 Rundstedt, Gerd v. 18, 124, 126 Sack, Karl 75 Sauckel, Fritz 36 Saur, Karl-Otto 37 Schliephock, Fritz 64 Schmidt, Paul 10 Schörner, Ferdinand 147 Schukow, Georgi K. 94 Schulze-Boysen, Harro 73 Schweppenburg, Leo Geyr v. 123f., 126 Sherrod, Robert 118 Simovic, Dusan 106 Somerville, Sir James 116 Sorge, Richard 95 Stalin, Josef W. 2, 6–9, 12f., 19, 24, 30f., 36, 48, 78, 80, 82f., 85–90, 94–97, 99, 101, 103f., 105, 111, 121, 130f., 134, 137f., 141, 146, 152–154 Stapleton, Gerald 102 Stauffenberg, Claus Schenk Graf v. 75f., 100, 132
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Steinhilper, Ulrich 49 Tenno Hirohito (Japan) 78, 114, 133, 152 Thomas, Georg Richard 25f. Tito, Josip Broz 106 Tojo, Hideki 118f. Todt, Fritz 16, 27f., 42 Tollmann, Paul 67 Tresckow, Henning v. 77 Trotzki, Leo 78 Tuchatschewski, Michail N. 7 Viktor Emanuel III. (König von Italien) 133 Wallrawe, Oberfeldwebel 71 Weizsäcker, Richard v. 156 Wellershoff, Dieter 68 Wilhelmina (Königin der Niederlande) 17 Yamamoto, Isoroku 116f. Zeitzler, Kurt 100