(Mehr-)Sprachigkeit und Lingualismus: Die diskursive Konstruktion von Sprache im Kontext nationaler und supranationaler Sprachenpolitik am Beispiel Österreichs 9783737001632, 9783847101635, 9783847001638


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German Pages [418] Year 2013

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(Mehr-)Sprachigkeit und Lingualismus: Die diskursive Konstruktion von Sprache im Kontext nationaler und supranationaler Sprachenpolitik am Beispiel Österreichs
 9783737001632, 9783847101635, 9783847001638

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Kommunikation im Fokus – Arbeiten zur Angewandten Linguistik

Band 3

Herausgegeben von Florian Menz, Rudolf de Cillia und Helmut Gruber

Wissenschaftlicher Beirat: Gerd Antos, Christiane Dalton-Puffer, Ursula Doleschal, Reinhard Fiehler, Elisabeth Gülich, Heiko Hausendorf, Manfred Kienpointner, Eva Vetter und Ruth Wodak Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Niku Dorostkar

(Mehr-)Sprachigkeit und Lingualismus Die diskursive Konstruktion von Sprache im Kontext nationaler und supranationaler Sprachenpolitik am Beispiel Österreichs

Mit 15 Abbildungen

V& R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0163-5 ISBN 978-3-8470-0163-8 (E-Book) Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gefördert durch die Universität Wien. Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Theoretisch-methodischer Rahmen: Sprachideologie-, Diskurs- und Sprachenpolitikforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Problemstellung und Forschungsinteresse: Sprachideologien und Diskurse über (Mehr-)Sprachigkeit im sprachenpolitischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Terminologie und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Diskurslinguistik und Kritische Diskursanalyse . . . . . . . . . . 2.4. Metasprachdiskurse und ›Sprachigkeit‹ aus der kritisch-diskursanalytischen Perspektive des diskurshistorischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse . . . . . . . . . 2.5.1. Forschungsdesign und Untersuchungskorpus . . . . . . . 2.5.2. Analyseschema des diskurshistorischen Ansatzes . . . . . 2.5.2.1. Themen und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2.2. Diskursive Strategien: Sprachbezogene Nomination, Prädikation und Argumentation . . . 2.5.2.3. Sprachliche Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3. Computergestützte Diskursanalyse mit dem QDAS-Tool MAXQDA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3. Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene: (Mehr-) Sprachigkeit als Politikum in der EU und in Österreich . . . . . . . 3.1. (Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik . . . . . . . . . 3.1.1. Sprachenpolitische Meilensteine auf EU-Ebene . . . . . . 3.1.2. Sprachenpolitische Kommunikationsanstrengungen der EU: Schlagwortanalyse von EU-Pressemitteilungen . . . 3.2. (Mehr-)Sprachigkeit in der österreichischen Sprachenpolitik . . 3.2.1. Bestandsaufnahme im historischen Kontext . . . . . . . . 3.2.2. Politische Werbung zum Thema ›Sprachigkeit‹ . . . . . . 3.3. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . 4. Empirische Fallstudie: Analyse des Diskurses über (Mehr-) Sprachigkeit in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Gruppendiskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Erhebungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.1. Themen und Inhalte: Verlauf der Diskussionen 4.1.2.2. Diskursive Strategien . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.2.1. Nominationsstrategien . . . . . . . . . 4.1.2.2.2. Prädikationsstrategien . . . . . . . . . 4.1.2.2.3. Argumentationsstrategien . . . . . . . 4.1.3. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse . . . 4.2. Österreichische Printmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Erhebungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1. Themen und Inhalte: Makro- und Metadatenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2. Diskursive Strategien . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2.1. Nominationsstrategien . . . . . . . . . 4.2.2.2.2. Prädikationsstrategien . . . . . . . . . 4.2.2.2.3. Argumentationsstrategien . . . . . . . 4.2.3. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse . . . 4.3. Politikerinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Erhebungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.1. Themen und Inhalte: Gesprächsverlauf . . . . . 4.3.2.2. Diskursive Strategien . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.2.1. Nominationsstrategien . . . . . . . . . 4.3.2.2.2. Prädikationsstrategien . . . . . . . . . 4.3.2.2.3. Argumentationsstrategien . . . . . . .

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Inhalt

4.3.3. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse . . . . .

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5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Abstract in deutscher Sprache . . . . . . . . . . . . B. Abstract in englischer Sprache . . . . . . . . . . . C. Abstract in französischer Sprache . . . . . . . . . . D. Leitfäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D.1. Interviewleitfaden (Politikerinterviews) . . . D.2. Gruppendiskussionsleitfaden (UNI-Gruppe) E. Fragebogenresultate (Gruppendiskussionen) . . . . F. Protokoll Nr. 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Transkriptionskonventionen (HIAT) . . . . . . . . H. Transkriptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Politische Werbung (FPÖ-Magazin ›Wir Wiener‹) . J. Printmedien-Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . J.1. Datenbank WISO Praxis/Presse . . . . . . . J.2. Datenbank APA DeFacto-Campus . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Meine Dissertation und ihre Publikation in Form dieses Buches wären ohne Mitwirkung einer Vielzahl von Personen und Institutionen nicht zustande gekommen. An erster Stelle sind all diejenigen zu nennen, die sich bereit erklärt haben, als DiskursteilnehmerInnen aktiv Datenmaterial beizusteuern, und die Arbeit damit überhaupt erst ermöglicht haben. Dazu zählen die GruppendiskussionsteilnehmerInnen: die Wiener StudentInnen, die SeniorInnen des Wiener SeniorInnenzentrums im WUK sowie die TeilnehmerInnen des WIFIKurses – aber auch die österreichischen Politiker, die sich für ein Interview mit mir zur Verfügung gestellt haben. Für die hervorragende, oft mühevolle Transkriptionsarbeit möchte ich mich bei Eva Huber bedanken, denn erst sie hat den untersuchten Diskurs im wahrsten Sinn sicht- und greifbar gemacht. Für ihre finanzielle und wissenschaftliche Unterstützung habe ich außerdem der Universität Wien (Forschungsstipendium 2010 und Druckkostenzuschüsse), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC-Stipendium) sowie dem österreichischen Studienförderungswerk Pro Scientia (Büchergeld) zu danken. Zutiefst dankbar bin ich meinen Eltern für den Bildungsweg, den sie mir über mehrere Jahre als »Vollzeitstudent« ermöglicht haben. Dankbar bin ich auch der Europäischen Union: Ihren Ausgangspunkt nahm meine Dissertation im Projekt LINEE (»Languages in a Network of European Excellence«), das von 2006 bis 2010 durch die Europäische Kommission im 6. Forschungsrahmenprogramm gefördert wurde. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter in diesem Projekt konnte ich unter zahlreichen hervorragenden WissenschaftlerInnen im Bereich der Soziolinguistik von deren Knowhow und Austausch profitieren: Hierzu zählen insbesondere die Wiener Projektleiterinnen, Rosita Schjerve Rindler und Eva Vetter, sowie meine Ko-Mitarbeiterinnen Marie-Luise Volgger und Daniela Dorner, aber auch meine KollegInnen im ›Work Package 4‹ aus der tschechischen Republik und aus der Schweiz: Vitek Dovalil, Mi – Cha Flubacher, Felicia Kreiselmaier und Patrick Studer. Meinem guten Freund und Kollegen Alexander Preisinger verdanke ich nicht nur viele angeregte fachwissenschaftliche Diskussionen, sondern auch so manche In-

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Vorwort

spiration. Mein größter Dank gebührt schließlich meinem Dissertationsvater Rudolf de Cillia, der meine Doktorarbeit angestoßen hat, und meiner Ko-Betreuerin Rosita Schjerve-Rindler. Beide haben mich über mehrere Jahre mit großer Expertise und Tatkraft in meinem Dissertationsvorhaben unterstützt und es kontinuierlich begleitet. Rosita Schjerve-Rindler ist unglücklicherweise viel zu früh und völlig überraschend im Herbst dieses Jahres von uns gegangen. Ihr sei diese Arbeit gewidmet. Wien, November 2013

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Abbildung 9 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14

Sprachenpolitik als diskursiv geprägtes Phänomen (vgl. Dorostkar/ Flubacher 2010: 140) Handlungsfelder, Genres und Themen des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ Verortung des Datenmaterials im dreidimensionalen Kommunikationsmodell nach Heller (2006: 326); Landert/Jucker (2011: 1432) Grundschema der Argumentation nach Kienpointner (1992: 19) Gegensatzarten modifiziert nach Kienpointner (1992: 306) interne und externe Kommunikationspraktiken der EU BZÖ-Inserat im Nationalratswahlkampf 2006 (Quelle: Kleine Zeitung, 03. 09. 2006) FPÖ-Wahlwerbung im Nationalratswahlkampf 1999 FPÖ-Wahlwerbung in Wien-Wahlkampf 2005 Wahlwerbung der Grünen im Wien-Wahlkampf 2005 und 2010 ÖVP-Wahlwerbung im Nationalratswahlkampf 2008 FPÖ-Inserat im Nationalratswahlkampf 2008 (Hervorhebungen im Original) ÖVP-Wahlwerbung im Wien-Wahlkampf 2010 Plakat der SPÖ Wien aus der Kampagne »Zusammenleben« 2012

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Tabelle 2 Tabelle 3 Tabelle 4 Tabelle 5 Tabelle 6 Tabelle 7 Tabelle 8 Tabelle 9 Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16 Tabelle 17 Tabelle 18 Tabelle 19 Tabelle 20 Tabelle 21 Tabelle 22 Tabelle 23 Tabelle 24 Tabelle 25 Tabelle 26 Tabelle 27 Tabelle 28 Tabelle 29

Sprachenpolitik – Terminologie (englischsprachig) Sprachenpolitik – Terminologie (deutschsprachig) Charakterisierung des Datenmaterials im Gesamtkorpus Öffentlichkeit und Privatheit: Verortung der Datentypen in Diskurssphären Analysedimensionen des DHA Sprachenpolitische Themenbereiche Linguonyme: Strategien und Beispiele zur Sprachbezeichnung Argumentationstypologie: Schemata, Muster und Topoi Ausgangssprachen für Übersetzungen von EU-Dokumenten (vgl. Europäische Kommission 2009b: 6) Übersicht EU-Pressetexte – Dokumenttyp, Erscheinungsjahr und Sprachversionen Übersicht EU-Pressetexte – Schlagworte Übersicht EU-Pressetexte – Schlagwortgruppen Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 1) Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 2) Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 3) Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 4) Nominationsstrategien – Codesystem und Codierungshäufigkeit (Gruppendiskussionen) Prädikationsmuster ›MigrantInnen vs. ÖsterreicherInnen‹ Prädikationsmuster ›Politische Akteure‹ Argumentationsstrategien – Codesystem und Codierungshäufigkeit (Gruppendiskussionen) Zeitungsübersicht – Datenbankrecherche Übersicht Printmedienartikel – Datenbankrecherche Themen und Subthemen – Printmedienanalyse Nominationsstrategien – Codierungen (Printmedien) Prädikationsmuster ›Europäische Union‹ Themen und Subthemen – Politikerinterviews (Gesamtauswertung) Themen – Politikerinterviews (Einzelfallauswertung) Nominationsstrategien – Codierungen (Politikerinterviews) Metaphern- und Schlagwortanalyse – Politikerinterviews

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 30 Prädikationsmuster ›Politische Elite vs. Bevölkerung‹ – Interviews Tabelle 31 Argumentationsstrategien – Codesystem und Codierungshäufigkeit (Politikerinterviews) Tabelle 32 Prädikationsmuster ›Sprachigkeit‹

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1. Einleitung

Jahwe kam herab, um sich anzusehen, was die Menschen da bauten – eine Stadt mit einem Turm! Da sagte er : »Es ist offensichtlich: Sie sind ein einziges Volk und sprechen nur eine Sprache. Und was sie jetzt begonnen haben, zeigt, dass ihnen künftig nichts unmöglich sein wird. Sie werden alles tun, was sie sich ausdenken. Los! Steigen wir hinunter und verwirren ihre Sprache, dass keiner mehr den anderen versteht!« So zerstreute Jahwe die Menschen von dort aus über die ganze Erde, und sie mussten aufhören, die Stadt zu bauen. Deswegen gab man der Stadt den Namen Babel, Verwirrung, denn Jahwe hatte dort die Sprache der Menschen verwirrt und sie von diesem Ort aus über die ganze Erde zerstreut. (Genesis 11,5 – 9 zitiert nach Vanheiden 2012).

Ist Jahwe ein Lingualist? Der babylonische Turm wurde in den vergangenen Jahren zum metaphorischen Inbegriff für die Sprachenvielfalt der Europäischen Union – nicht nur im öffentlichen, sondern auch im akademischen Diskurs. Die interessantere Beobachtung in diesem Zusammenhang ist aber die, dass Jahwe in einer der bekanntesten biblischen Erzählungen überhaupt die Menschen mit der Sprachverwirrung nicht bloß bestrafte, sondern damit einen bestimmten Zweck verfolgte und erreichte, nämlich die Ausbreitung der Menschheit über die ganze Erde. Er befolgte damit ein Prinzip, das in der vorliegenden Arbeit als ›Lingualismus‹ bezeichnet wird: die Thematisierung und Einflussnahme auf Sprache im Sinn von ›Sprachigkeit‹ mit dem Ziel, Veränderungen herbeizuführen, die ihre Wirkungen jenseits der Sprache(n) selbst entfalten sollen. Für Jahwe lag das Problem darin, dass sich die Menschen seinem Gebot widersetzten, sich über die ganze Erde auszubreiten (vgl. Genesis 9,7); er löste es – gewissermaßen auf eine sprachenpolitische Weise –, indem er aus der Einsprachigkeit der Menschen eine Mehrsprachigkeit machte und sie somit dazu brachte, sich in Sprachgruppen aufzuteilen und allmählich die gesamte Erde zu besiedeln. Abgesehen davon, dass sich in der Erzählung vom Turmbau zu Babel sprachideologische Prinzipien wiederfinden, die noch im 21. Jahrhundert eine gesellschaftskonstituierende Rolle spielen (z. B. das idealisierende Prinzip ›ein Volk – eine Sprache‹ oder die Natürlichkeit von Sprache/n), scheint der Lin-

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Einleitung

gualismus seit mehreren Jahren eine Renaissance in Europa zu erfahren, die sich sowohl in der supranationalen als auch der nationalen Sprachenpolitik widerspiegelt – darunter auch und im Besonderen in Österreich. Sprache im Sinn von ›Sprachigkeit‹ wird als Lösung für so unterschiedliche politische Probleme beschworen wie die mangelnde ›Integration‹ von MigrantInnen, Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur, geringe Arbeitsmarktchancen, wirtschaftliche Verluste, Unhöflichkeit im (Kunden-)Gespräch oder schulischen Misserfolg. ›Sprachigkeit‹ umfasst dabei sowohl Einsprachigkeit als auch Mehrsprachigkeit und soll, wie im Folgenden ausgeführt werden wird, als Überbegriff für sämtliche Formen von Sprachfähigkeit, -verwendung, -verbreitung und -verfügbarkeit dienen. Dass die Durchsetzung von Einsprachigkeit in einer einzigen Landessprache (z. B. in Form von Deutschlerngeboten) auf der nationalen Ebene vielfach als Möglichkeit zur Einschränkung – wenn nicht gar Verhinderung – von Migration betrachtet wird, entspricht in gewisser Weise der Logik der Erzählung vom babylonischen Turm: Mehrsprachigkeit löst (nach dem Willen Jahwes) Migrationsbewegungen aus, also muss Einsprachigkeit (gegen den Willen Jahwes) Migration verhindern. Eine ganz andere Auffassung scheint die Europäische Union in ihrer offiziellen Sprachenpolitik zu vertreten: Die Wahrung der europäischen Sprachenvielfalt als kulturelles Erbe Europas, aber auch die Verankerung von 23 europäischen Nationalsprachen als offizielle EU-Amtssprachen sowie die Förderung von Fremdsprachenkenntnissen tragen aus EU-Sicht zur sozialen Kohäsion, zur europäischen Einigung und zur wirtschaftlichen Prosperität bei. Wie ernst es der EU mit dem Thema Sprache(n) in politischer Hinsicht ist, hat die Schaffung eines eigenen EU-Kommissarspostens für Mehrsprachigkeit gezeigt, den von 2007 bis 2010 der Rumäne Leonard Orban innehatte. In Österreich hingegen wurden seit dem Millennium sprachenpolitische Maßnahmen gefordert oder umgesetzt, die eine deutlich andere Stoßrichtung aufweisen, darunter die Verankerung und schrittweise Verschärfung eines Deutschlerngebots für Drittstaatsangehörige im Fremdenrecht, die Aufnahme von Deutschverwendungsgeboten in schulische Hausordnungen, die Beibehaltung des weitgehend auf Englisch beschränkten Fremdsprachenangebots im Pflichtschulbereich oder das Wahlkampfversprechen Kärnten einsprachig zu machen. Dies führt uns zu der zentralen Hypothese dieser Untersuchung, nämlich dass zwischen den europäischen Diskursen über ›Sprachigkeit‹ ein Bruch verläuft, der sich auf mehreren Ebenen manifestiert: zwischen der supranationalen und der nationalen politischen Ebene, zwischen der halb-privaten und der öffentlichen Sphäre, sowie zwischen rhetorischem Anspruch und tatsächlich umgesetzten Vorhaben sowie zwischen (expliziter) ›de jure‹ und (impliziter) ›de facto‹-Sprachenpolitik. Die Auswirkungen dieses diskursiven Bruchs betreffen, wie die Hypothese weiter lautet, nicht nur den Diskurs selbst, sondern auch die

Einleitung

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Gesellschaft, die ihn hervorbringt (etwa in Form von politischen Strukturen, Gesetzen, Machtverhältnissen usw.). Dies entspricht der diskurstheoretischen Prämisse, wonach Diskurse sowohl gesellschaftlich konstituiert als auch gesellschaftlich konstitutiv sind, d. h. die Gesellschaft produziert Diskurse, die auf sie prägend zurückwirken. Die übergeordnete Frage in diesem Zusammenhang lautet, wie Sprache in Österreich diskursiv konstruiert wird, und wie der EUDiskurs über ›Mehrsprachigkeit‹ auf der nationalen österreichischen Ebene rezipiert und interdiskursiv aufgegriffen wird. Im Zuge einer kritisch-diskursanalytischen Fallstudie sollen die zentrale Themen, diskursiven Strategien und sprachlichen Mittel im österreichischen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ herausgearbeitet, aber auch die Wechselwirkungen zwischen Diskurs und Gesellschaft im Kontext supranationaler und nationaler Sprachenpolitik kritisch beleuchtet werden. Ausgehend von der Beobachtung, dass das Thema ›Sprachigkeit‹ seit dem Millennium im öffentlichen Diskurs besonders stark thematisiert wird, umfasst der Untersuchungszeitraum der österreichischen Fallstudie die Jahre 2000 bis 2010. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: In Kapitel 3 wird auf die Rolle eingegangen, die (Mehr-)Sprachigkeit in der Sprachenpolitik der Europäischen Union und in der österreichischen Sprachenpolitik jeweils spielt. Ziel des Kapitels ist, den historischen und sozio-politischen Kontext des sprachenpolitischen Diskurses auf der supranationalen und nationalen Ebene darzustellen. Neben einer Bestandsaufnahme zentraler sprachenpolitischer Ereignisse und Aktivitäten auf diesen beiden Ebenen finden sich in diesem Kapitel makro- und mikrotextuelle Analysen des sprachenpolitischen Diskurses: In Abschnitt 3.1.2 werden PRTexte der Europäischen Union zum Thema ›Mehrsprachigkeit‹ in Hinblick auf ihre Verschlagwortung in der EU-Datenbank ›Press Releases‹ ausgewertet, während in Abschnitt 3.2.2 die österreichische Wahlwerbung zum Thema Sprache und ›Sprachigkeit‹ in den kritisch-diskursanalytischen Blickpunkt rückt. Kapitel 4, das den Hauptteil der Arbeit darstellt, umfasst die empirische Fallstudie zum Diskurs über ›Sprachigkeit‹ in Österreich. In diesem Kapitel werden Gruppendiskussionen mit österreichischen BürgerInnen (die halb-private Sphäre), die printmediale Berichterstattung über die EU-Sprachenpolitik (die öffentliche Sphäre) sowie Interviews mit österreichischen Politikern (die halb-öffentliche Sphäre) nach dem Schema des diskurshistorischen Ansatzes der Wiener Kritischen Diskursanalyse untersucht. Dabei wird jeweils mikroanalytisch detailliert auf die sprachbezogene Nomination, Prädikation und Argumentation eingegangen, wobei in den jeweiligen Zwischenresümees ein zusammenfassender Vergleich zwischen den einzelnen Analysekategorien und Datentypen vorgenommen wird. Analysiert werden u. a. Bezeichnungen und

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Einleitung

Bewertungen von Sprachen, Orten und Akteuren sowie die Rolle, die Topoi, Schlagworte und Metaphern für die Konstruktion von Sprache spielen. Zunächst aber soll im nun folgenden Kapitel 2 der theoretisch-methodische Rahmen dieser Arbeit abgesteckt werden, der vor allem auf Konzepten aus der Sprachideologie-, Diskurs- und Sprachenpolitikforschung beruht. Zudem wird neben einer Einführung in die Problemstellung eine Präzisierung der Forschungsfragen vorgenommen sowie eine Übersicht über den Forschungsstand und die zur Anwendung kommende Terminologie (inklusive der Begriffe ›Metasprache‹, ›Sprachigkeit‹ und ›Lingualismus‹) gegeben. Ausführlicher wird auf das theoretisch-methodologische Spektrum der Diskurslinguistik und der Kritischen Diskursanalyse im Allgemeinen einzugehen sein sowie auf das kritisch-diskursanalytische Instrumentarium des diskurshistorischen Ansatzes im Besonderen. Letzteres wird für den Zweck der vorliegenden Untersuchung adaptiert und erweitert, in dem es etwa für die Nutzung des Softwaretools MAXQDA angepasst wird und eine Reihe von Ergänzungen erfährt (u. a. um das Konzept der Prädikationsmuster, der Topoi-Gruppen und des ›double voicing‹).

2. Theoretisch-methodischer Rahmen: Sprachideologie-, Diskurs- und Sprachenpolitikforschung

2.1. Problemstellung und Forschungsinteresse: Sprachideologien und Diskurse über (Mehr-)Sprachigkeit im sprachenpolitischen Kontext Die subjektive Beobachtung, dass das Thema Sprache(n) gegenwärtig eine Renaissance zu erleben scheint, bildet den Ausgangspunkt dieser Arbeit. Allerdings wäre dies allein wahrscheinlich noch kein ausreichender Grund für eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung. Das Forschungsinteresse entzündet sich vielmehr an der spezifischen Art und Weise, wie Sprache derzeit zum Thema gemacht wird: Zum einen scheint Sprache nicht mehr nur ein Gegenstand akademischer Diskussionen, sondern zunehmend auch ein Thema des öffentlichen, medialen und politischen Diskurses zu sein. Zum anderen stehen in diesem Diskurs offenbar bestimmte Aspekte von Sprache im Vordergrund, die – vereinfacht gesagt – um das Thema Sprachkenntnisse kreisen und sich zum Teil in sprachenpolitischen Dokumenten, Gesetzen und Maßnahmen auf nationaler oder supranationaler Ebene wiederfinden. Seit der Jahrtausendwende ist eine zunehmend sprachbezogene Fremdenrechtspolitik in vielen europäischen Ländern festzustellen, zudem ist häufig vom ›Sprachenstreit‹ rund um autochthone Minderheiten in einzelnen Staaten die Rede, während auf der supranationalen Ebene die europäische ›Sprachenfrage‹ auch hinsichtlich der Amts- und Arbeitssprachen der Europäischen Union diskutiert wird. Hinter all diesen sprachenpolitischen Debatten können zumeist implizit bleibende Sprachideologien vermutet werden, die in einem gesellschaftlich konstituierten und konstituierenden Diskurs über Sprache wirksam werden. Beispiele für sprachenpolitische Ereignisse als Folge und Ausgangspunkt solcher ideologischer Wirkmechanismen wären in Österreich Maßnahmen wie die ›Integrationsvereinbarung‹ oder ›Deutsch vor Zuzug‹ und auf EU-Ebene die Rahmenstrategien für Mehrsprachigkeit und der Aktionsplan zur Förderung des Spra-

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Theoretisch-methodischer Rahmen

chenlernens und der Sprachenvielfalt oder die (Ab-)Schaffung des Amtes eines EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit. Der Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit, wie im Folgenden der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung – in Abgrenzung zum Fahnenwort und linguistischen Fachbegriff ›Mehrsprachigkeit‹ – genannt werden soll (siehe Kapitel 2.4), weist dabei äußert vielschichtige thematische Ebenen und Verknüpfungen rund um Sprache, Sprachkenntnisse und Politik auf. Ein erster Eindruck vom Themenspektrum des Diskurses über (Mehr-)Sprachigkeit auf der medialen Ebene lässt sich etwa anhand folgender Schlagzeilen aus österreichischen Tageszeitungen der jüngsten Gegenwart gewinnen, die hier exemplarisch und unsystematisch angeführt seien: »Immer mehr Kinder haben Sprachdefizit«1, »Deutsch-Zeugnis für geförderte Wohnungen«2, »Integrationsangebot: Deutsch-Pauken in den Ferien«3, »Mehrsprachigkeit unerwünscht«4, »44 Prozent nutzen Fremdsprachen im Job«5 oder »Kindergarten: Mehr Sprachen für mehr Chancen«6. Auf der Ebene der nationalen Politik wurde das Thema in den vergangenen Jahren mehrmals zu Wahlkampfzwecken genutzt wie diverse Slogans österreichischer Parlamentsparteien belegen (u. a.: »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹«, »Kärnten wird einsprachig!«, »Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung« oder »Chancen nutzen – Mehrsprachigkeit fördern«). Was bereits an dieser Stelle an der metasprachlichen Thematisierung auffällt, ist, dass die unterschiedliche Betrachtung von Sprache aus dem Blickwinkel mehrerer Dichotomien zu erfolgen scheint, darunter insbesondere: ›Problem‹ vs. ›Chance‹, ›Defizit‹ vs. ›Nutzen‹, ›Ressource vs. Hindernis‹ und ›Pflicht‹ vs. ›Recht‹ (vgl. Ruiz 1984; Baker 1993: 247 ff.; Siebert-Ott 1998: 284). Eine im Diskurs vorherrschende Problemperspektive, die selbst problematisch ist, stellt bspw. Blommaert (1996: 210) in Bezug auf ›Mehrsprachigkeit‹ fest: Too much of this multilingualism-as-a-problem was probably created by a specific discourse on multilingualism in connection with things such as civilization, modernity, efficiency and progress to be acceptable as an unquestioned given. The organic view of these situations obscures the role of human agents, institutions and regulatory bodies, and from what sociolinguistic knowledge we now have this would warrant some suspicion as to its accuracy. 1 Quelle: Kronen Zeitung, 19. 01. 2007, S. 19. 2 Quelle: derStandard.at, 13. 10. 2011, http://derstandard.at/1318461193323 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 3 Quelle: Der Standard, 26. 07. 2011, http://derstandard.at/1310512135752 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 4 Quelle: Kleine Zeitung, 22. 11. 2001, S. 63 5 Quelle: derStandard.at, 16. 11. 2011, http://derstandard.at/1319182965889 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 6 Quelle: Die Presse«, 17. 11. 2010, http://diepresse.com/home/bildung/bildungallgemein/ 610930 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012)

Problemstellung und Forschungsinteresse

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Vor allem die nutzen- und chancenorientierte Perspektive wird auf der supranationalen europäischen Ebene, aber auch im akademischen Bereich unter Schlagwörtern wie ›Mehrsprachigkeit‹ oder ›Sprachenvielfalt‹ diskutiert. So stand Mehrsprachigkeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Mittelpunkt zahlreicher sprachenpolitischer Dokumente und Strategien der Europäischen Union. Die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung von Mehrsprachigkeit spiegelt sich zudem in diversen Institutionalisierungsprozessen wider : Im akademischen Sektor entwickelt sich Mehrsprachigkeit immer stärker zu einem transdisziplinären Forschungsbereich, dem über die Angewandte Sprachwissenschaft und Soziolinguistik hinausreichend Professuren, Institute und groß angelegte Forschungsprojekte gewidmet sind.7 Besonderes Augenmerk verdient jene Institutionalisierung der Mehrsprachigkeitsthematik auf der supranationalen Ebene, die mit der Schaffung eines eigenen EU-Kommissariats für Mehrsprachigkeit im Jahr 2007 einhergegangen ist. Dieses Amt, das im Zuge des EU-Beitritts Rumäniens und Bulgariens eingeführt wurde, hatte bis 2010 der Rumäne Leonard Orban inne. Mit Antritt des Kabinetts Barroso II wurde das Amt jedoch wieder abgeschafft, sodass das Ressort Mehrsprachigkeit in die Zuständigkeit des EU-Kommissariats für Bildung zurückkehrte. Die derzeit zu beobachtende Renaissance des Themas Sprache mit dem Fokus auf Sprachkenntnisse bzw. des Themas (Mehr-)Sprachigkeit hat also nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die politische und mediale Ebene erfasst. Dies führt zur Frage, ob und inwiefern in diesem Zusammenhang ein möglicherweise neu herausgebildeter Diskurs über Sprache ausgemacht werden kann, der sich von bisher untersuchten ›Metasprachdiskursen‹ unterscheidet (vgl. Spitzmüller 2005b), und der auf eine spezifische Weise gesellschaftliche Wirkmächtigkeit entfaltet. Folgende weitere Forschungsfragen schließen daran an: Beruhen die unterschiedlichen Sichtweisen auf Sprache (beispielsweise als ›Problem‹ oder ›Chance‹) auf einer gemeinsamen Basis? Wie lassen sich die offenkundigen Widersprüche im Diskurs erklären, die sich auf den unterschiedlichsten Ebenen manifestieren, etwa in Bezug auf die nationale und supranationale Sprachenpolitik oder die mediale Berichterstattung darüber? Handelt es sich dabei in erster Linie um konkurrierende ›Elite‹-Diskurse der öffentlichen Sphäre (bspw. in Wissenschaft, Politik und Medien), oder stehen diese in einem Zusammenhang mit ›Alltagsdiskursen‹ der privaten und halbprivaten Sphäre?

7 Beispiele hierfür wären etwa das Institut für Mehrsprachigkeit der Universität und PH Freiburg, der Sonderforschungsbereich 538 Mehrsprachigkeit der Universität Hamburg oder die beiden, im Rahmen des sechsten EU-Rahmenprogramms geförderten, Forschungsprojekte DYLAN und LINEE.

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Für die vorliegende Arbeit, die sich dieser Fragen anzunehmen versucht, ist vor allem folgende These forschungsleitend: Was (eine) Sprache ist, wird nicht so sehr dadurch bestimmt, wie wir sprechen, sondern wie wir über Sprache sprechen – oder anders formuliert: Sprache wird, als konstitutiver Bestandteil sozialer Wirklichkeit, diskursiv konstruiert. Der zweite Teil der These lautet, dass die mangelnde Berücksichtigung und Untersuchung dieses Umstands nicht ohne Folgen für die gesellschaftliche und insbesondere für die sprachenpolitische Praxis bleibt. Die Verschleierung der diskursiven Konstruktion von Sprache, so die Hypothese, begünstigt eine spezifische Modellierung des Konstrukts Sprache zu Zwecken der politischen Instrumentalisierung, etwa zur Rechtfertigung problematischer sozialer Praktiken wie Diskriminierung und Rassismus. Sprache erweist sich dadurch als vielseitig und flexibel einsetzbares Konstrukt, das u. a. als ›Surrogat‹ Anwendung findet, d. h. als Ersatzmittel für gesellschaftlich problematisierte Konzepte wie ›Rasse‹ oder ›nationale Identität‹ und dabei gleichzeitig am unsystematischen und teils widersprüchlichen Alltagswissen über Sprache anzuknüpfen vermag. Dieses Alltagswissen wird gesellschaftlich geteilt, beinhaltet unhinterfragte ›Commonsense‹-Vorstellungen über Sprache und kristallisiert sich zu Sprachideologien. Diese Sprachideologien spielen allerdings nicht nur für rassistische und diskriminierende soziale Praktiken eine Rolle, sondern stellen laut Makoni/Pennycook (2007a: 22) auch Grundpfeiler der ›liberal-linguistischen‹ Gedankenwelt dar.8 The view of language we are suggesting here has serious implications for many of the treasured icons of liberal-linguistic thought. Not only do the notions of language become highly suspect, but so do many related concepts that are premised on a notion of discrete languages, such as language rights, mother tongues, multilingualism or code-switching. It is common in both liberal and more critical approaches to issues in sociolinguistics to insist on plurality, sometimes strengthened by a concept of rights. Thus, there are strong arguments for mother tongue education, for an understanding of multilingualism as the global norm, for understanding the prevalence of code-switching in bilingual and multilingual communities, and for the importance of language rights to provide a moral and legal framework for language policies. Our position, however, is that although such arguments may be preferable to blinkered views that posit a bizarre and rare state of monolingualism as the norm, they nevertheless remain caught within the same paradigm. They operate with a strategy of pluralization rather than questioning those inventions at the core of the discussion. Without strategies of disinvention, most discussions of language rights, mother tongue education, or code-switching reproduce the same concept of language that underpins all mainstream linguistic thought; multilingualism may, therefore, become a pluralization of monolingualism. 8 Woolard (1998: 17) bedient sich in Bezug auf Standardisierungsbestrebungen von LinguistInnen, die paradoxerweise gleichzeitig um den Fortbestand von Minderheitensprachen bemüht sind, einer ähnlichen Argumentationslinie: »Movements to save minority languages ironically are often structured, willy-nilly, around the same received notions of language that have led to their oppression and/or supression.«

Problemstellung und Forschungsinteresse

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Die paradoxe Forderung der AutorInnen, die Erfindung von Sprachen rückgängig zu machen (›disinventing‹), um deren Neu-Erfindung und Re-Definition zu ermöglichen (›reconstituting‹), mag zu weitgehend oder zu theoretisch und abstrakt wirken. Die vorliegende Arbeit schließt dennoch am Grundgedanken an, dass auf den ersten Blick vermeintlich entgegensetzte Sprachideologien wie Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit im gleichen Paradigma gefangen sein könnten und damit möglicherweise sowohl sprachenpolitische Innovationen behindern als auch die Reproduktion gesellschaftlicher Schieflagen und problematischer sozialer Praktiken begünstigen (bspw. die Diskriminierung bestimmter Personengruppen aufgrund von ›Sprachigkeit‹). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen geht die Studie von der Hypothese aus, dass Sprache sowohl auf der Ebene supranationaler und nationaler Politik als auch auf der Ebene von Medien und Bevölkerung mit spezifischen diskursiven Strategien konstruiert wird, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf dem gleichen Pool sprachideologischer Vorstellungen basieren. Um dies zu zeigen, ist eine Entflechtung des derzeit aktuellen Metasprachdiskurses mit seinem spezifischen Fokus auf Sprachkenntnisse, d. h. dem Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit, notwendig. Das Ergebnis einer solchen Entflechtung trägt möglicherweise weder zur ›Enterfindung‹ noch zur Neuerfindung von Sprachen bei, stellt aber m. E. eine unabdingbare Voraussetzung für eine kritische Reflexion und damit auch eine Weiterentwicklung und Neuausrichtung gängiger sprachenpolitischer Praktiken dar. Das Ziel dieser Arbeit ist daher, unter Anwendung kritisch-diskursanalytischer Instrumentarien aufzuzeigen, wie Sprache im sprachenpolitischen Kontext diskursiv konstruiert wird und welche Sprachideologien daran beteiligt sind. Im Rahmen einer österreichischen Fallstudie soll hierfür der Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit auf den Ebenen der Politik, der Medien und der Bevölkerung Österreichs im Kontext der EU-Sprachenpolitik untersucht werden. Dabei sollen mehrere Ebenen miteinander verglichen und deren interdiskursive Verknüpfungen untereinander sichtbar gemacht (›entflochten‹) werden: Erstens betrifft dies den Vergleich zwischen öffentlicher Sphäre und halb-privater bzw. halb-öffentlicher Sphäre, zweitens die interdiskursiven Beziehungen zwischen der nationalen und der supranationalen sprachenpolitischen Ebene und drittens die Zusammenhänge zwischen Diskurs und sprachenpolitischer Praxis. Auf eine operationalisierbare Ebene heruntergebrochen münden die genannten Ziele und Fragestellungen vor allem in die folgenden beiden zentralen Forschungsfragen: (1) Aufgrund welcher Themen, diskursiven Strategien und sprachlichen Mitteln wird Sprache im sprachenpolitischen Kontext auf der Ebene österreichischer Politik, Medien und Bevölkerung konstruiert und (2) wie und in welchem Ausmaß wird die von der EU diskursiv betriebene Sprachenpolitik in Österreich rezipiert und interdiskursiv verarbeitet?

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2.2. Terminologie und Forschungsstand Das wissenschaftliche Interesse an metasprachlichem Wissen und Äußerungen über Sprache von Individuen und Kollektiven ist vergleichsweise jung und steht insbesondere in Zusammenhang mit einer Ausweitung des zunehmend transund interdisziplinären Forschungsinteresses auf Fragen der Soziolinguistik, Pragmatik, linguistischen Anthropologie und Sprachenpolitik (vgl. Spitzmüller 2005b: 9 ff.). Die Verlagerung des wissenschaftlichen Fokus auf die Untersuchung der Gegenwartssprache, auf die soziale Funktion von Sprache und auf das Sprachhandeln ermöglichte seit den 1960er Jahren die Erschließung neuer Forschungsfelder wie die Spracheinstellungs- und Sprachideologieforschung oder die Volkslinguistik bzw. ›folk linguistics‹ (vgl. Niedzielski/Preston 2000). Der Forschungsgegenstand, dem sich die daran beteiligten Disziplinen widmeten, erfuhr im Zuge dessen eine Neubewertung: Die Erforschung von vorwissenschaftlichen Theorien, Vorstellungen und Meinungen über Sprache galt nun nicht mehr als unwissenschaftlich, sondern als lohnenswertes Unterfangen linguistischer Untersuchungen. Grundlage für diese Entwicklung, die im angloamerikanischen Raum bereits in den 60er Jahren begonnen hat, im deutschsprachigen Raum hingegen erst in den 80ern Fuß gefasst hat, ist die Erkenntnis, dass Sprachideologien, Spracheinstellungen und subjektive (›populäre‹) Sprachtheorien Auswirkungen auf gesellschaftlicher Ebene haben, sei es auf Bildungsprozesse und Phänomene des Sprachwandels oder auf sprachenpolitische Maßnahmen. Mit dem Paradigmenwechsel ging die bis heute andauernde Herausbildung jeweils unterschiedlich akzentuierter Terminologien einher, die im Folgenden vor allem in Hinblick auf ihre Eignung für die vorliegende Studie diskutiert werden soll. Begriffe wie Spracheinstellungen, Sprachideologie oder Sprachbewusstsein sollten dabei nicht nur aus dem Blickwinkel von Gemeinsamkeiten und Verwandtschaft, sondern auch vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Erkenntnisinteresses betrachtet werden, das mit diesen Termini jeweils verbunden ist (vgl. Scharloth 2005: 5 ff.). Im Folgenden werden jene Termini besprochen, die einen besonderen Fokus auf metasprachliche Phänomene legen und den Wortbestandteil ›Sprache‹ bereits im Namen tragen (Metasprache, Spracheinstellungen, Sprachbewusstsein, Sprachideologieideologie und Sprachenpolitik). Der Diskursbegriff, der für die gegenständliche Untersuchung von zentraler Bedeutung ist, wird im darauffolgenden Kapitel gesondert erörtert. Metasprache lässt sich gewissermaßen als Überbegriff für die hier zur Diskussion stehenden Termini begreifen. Was hinter diesem Begriff steht, so könnte man in einer ersten Annäherung sagen, ist die Beobachtung eines keineswegs selbstverständlichen Phänomens, nämlich des Sprechens über Sprache. ›Metasprache‹ bezeichnet demnach im wörtlichen Sinn die Sprache, mit der über

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Sprache (über die ›Objektsprache‹) gesprochen wird. Die menschliche Fähigkeit des Sprechens über Sprache liegt dabei in jener Eigenschaft sprachlicher Zeichen begründet, die bewirkt, dass zwischen dem Bezeichnenden (›Signifikant‹) und dem Bezeichneten (›Signifikat‹) eine arbiträre, konventionell festgelegte Beziehung besteht. Dies ermöglicht, dass wir mit Sprache nicht nur materielle Objekte, sondern auch Abstraktionen – und darunter eben auch Sprache – fassen können (Coupland/Jaworski 2004: 17). Dieser auf Saussure zurückgehende strukturalistische Grundgedanke findet sich auch bei Semiotikern wie Barthes oder Jakobson wieder. Barthes (1996) zufolge basiert das metasprachliche Prinzip darauf, dass das Zeichen des erstens Systems zum Signifikat des zweiten Systems wird. Jakobson (1964) wiederum berücksichtigt dieses Prinzip in seiner Definition sprachlicher Funktionen: Neben der referentiellen (›Kontext‹-bezogenen), emotiven (›Sender‹-bezogenen) und konativen (›Empfänger‹bezogenen) Funktion kann Sprache demnach auch eine metasprachliche (›Code‹-bezogene) und eine poetische (›Botschaft‹-bezogene) Funktion haben (vgl. Coupland/Jaworski 2004: 17; Spitzmüller/Warnke 2011: 52 f.). Für die vorliegende Arbeit wichtig ist die Unterscheidung zwischen verschiedenen metasprachlichen Dimensionen, insbesondere zwischen einer ›thematischen‹ und einer ›interaktiven‹ Ebene der Metasprachlichkeit. Letztere umfasst verständnisfördernde Signale oder Anweisungen während der sprachlichen Interaktion, beispielsweise um Missverständnisse auszuräumen oder RezipientInnen beim Dekodieren und Verstehen einer Botschaft zu helfen. Diese ›interaktive‹ metasprachliche Dimension, die auch als Metakommunikation oder Metapragmatik bezeichnet werden kann (vgl. van Leeuwen 2004: 127 f.; Verschueren 2004), steht nicht im Mittelpunkt der gegenständlichen Arbeit. Die folgenden Überlegungen dieser Studie nehmen sich vielmehr der ›thematischen‹ metasprachlichen Dimension an (Preston 2004: 85 f.): Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Sprache das Gesprächsthema bildet bzw. zum Gegenstand eines Diskurses wird (vgl. Kapitel 2.4). Coupland/Jaworski (2004: 15 f.) argumentieren, dass die Berücksichtigung einer selbst-referentiellen bzw. rekursiven Dimension von Sprache im Sinn der Metasprachlichkeit wichtig ist, um zu erkennen, dass Sprache nicht auf rein formale Strukturen beschränkt ist, und dass Sprachgebrauch kein autonomes und asoziales, gewissermaßen ›unschuldiges‹ Verhalten darstellt. Was ein Wort oder Zeichen bedeutet, ist eben nicht seiner linguistischen Form eingeschrieben, sondern ergibt sich aus seinem zwischenmenschlichen Gebrauch und kann damit auch Gegenstand gesellschaftlicher Kontroversen und Verhandlungen sein. Neben der Veränderlichkeit von Sprache, die sich in natürlichen und autonomen Prozessen der Wandlung manifestiert, ist auch die Veränderbarkeit von Sprache durch menschliches Handeln und Verhalten zu berücksichtigen (Polenz 2000: 2; vgl. Spitzmüller 2005b: 11) – ein Umstand, dem vor allem durch

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den weiter unten diskutierten Begriff der Sprach(en)politik Rechnung getragen wird. Metasprachliche Empfindlichkeit zählt zu den Gütezeichen menschlichen Soziallebens, wie Jaworski et al. (2004: 6) in Überstimmung mit der Theorie der ›reflexiven Moderne‹ festhalten (Beck et al. 1999). Ein, auch für die vorliegende Arbeit wichtiger Punkt dabei ist, dass ›moderne‹ Menschen reflexiver und damit auch handlungs- und diskursbewusster agieren mögen als dies in vormodernen Zeiten der Fall war, dass sie diese Art der Reflexivität und des Bewusstseins aber zur Verteidigung und Rechtfertigung beliebiger, auch einander widersprechender sozio-politischer Haltungen wie Liberalismus, Rassismus und Sexismus heranziehen können (Jaworski et al. 2004: 6). Die metasprachliche Perspektive ermöglicht vor diesem Hintergrund die vielschichtigen ideologischen Verstrickungen von Sprache sichtbar zu machen und aufzuzeigen, dass Sprache kein rein natürliches, von individuellen und gesellschaftlichen Interessen abgekoppeltes und unbeeinflussbares Phänomen darstellt.9 Dort, wo es um Sprache geht – sei es als Thema oder als Kommunikationsmittel – schwingt immer auch eine sprachreflexive Ebene, ein ›Meta-Subtext‹ mit (Jaworski/Coupland 2004: 105). Diese Überlegung bringt wiederum zwei Aspekte zum Vorschein, die für den weiteren Verlauf dieser Arbeit zu berücksichtigen sind: Erstens führt dieser unvermeidliche ›Meta-Subtext‹ dazu, dass nicht nur linguistische ›Laien‹ Sprache ideologisieren, sondern auch ExpertInnen (ebd.) (die Diskussion des Ideologie-Begriffs erfolgt weiter unten). Eine wertfreie, vollkommen objektive und ideologiefreie Betrachtung von Sprache ist aus dieser Sicht unmöglich – metasprachliches Laienwissen besitzt somit nicht per se weniger Gültigkeit als metasprachliches Expertenwissen, vielmehr gehen beide Wissensformen ineinander über.10 Zweitens folgt daraus, dass auch die Grenze zwischen Sprache 9 Als institutionalisierten Versuch, Sprache und Diskurse in diesem Sinn zu de-naturalisieren, lässt sich das Phänomen der ›political correctness‹ verstehen (vgl. Dusini/Edlinger 2012). Die pejorative Bedeutung dieses Begriffs geht auf die Kritik der GegnerInnen dieser Bewegung zurück, wonach die institutionalisierte politische Korrektheit Meinungs- und Gedankenfreiheit beschränke und die Benennung und Identifizierung gesellschaftlicher Probleme verhindere. Demgegenüber hält Cameron (1995) fest, dass die ›politisch korrekte‹ Sprache nicht die Redefreiheit beschränkt, sondern die Freiheit, sich vorzustellen, dass mit Sprachgebrauch und Wortwahl keine Konsequenzen verbunden sind (vgl. Jaworski et al. 2004: 6 f.). 10 Spitzmüller (2005b: 23 ff. und 252 ff.) verweist allerdings auf einige relevante Unterschiede zwischen der Experten- und der Laiensicht auf Sprache, die – so könnte man hinzufügen – in unterschiedlichen Sprachideologien begründet liegen: LinguistInnen interessieren sich im Allgemeinen dafür, »warum Sprache so funktioniert, wie sie funktioniert« und verbinden mit diesem Interesse häufig den Anspruch, Sprachen und Sprachgebrauch neutral zu beschreiben, und nicht zu bewerten. Zudem können sie diesem Interesse zumeist mit einer gewissen Distanz und ohne den unmittelbaren Handlungsdruck nachgehen, dem die InteraktionsteilnehmerInnen im konkreten Sprachgebrauch ausgesetzt sind. Nicht-Linguis-

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und Metasprache fließend verläuft und eine strikte Unterscheidung auf theoretischer Ebene letztlich nicht aufrechterhalten werden kann (Jaworski et al. 2004: 7). Dennoch hat sich die Perspektive, die mit dem Begriff der Metasprache verbunden ist, für andere analytische Konzepte als fruchtbar erwiesen. Diese sollen im Folgenden diskutiert werden. Unter jenen Fachtermini, die für die Beschreibung und Analyse metasprachlicher Phänomene Anwendung finden, erfreut sich das Konzept der Spracheinstellungen besonderer Beliebtheit. Spracheinstellungen, wie sie etwa im Mittelpunkt der diskursanalytischen Studie über die Rezeption von Anglizismen bei Jürgen Spitzmüller stehen, können – vereinfacht gesagt – als Bündel von Meinungen über Sprache, Sprachverwendung und SprachnutzerInnen verstanden werden (Portz 1982: 93, zitiert nach Neuland 1993: 1729; vgl. Spitzmüller 2005b: 67 ff.). Wesentlich für den erkenntnistheoretischen Hintergrund dieses Begriffes ist, dass er ursprünglich auf das Konzept der ›Einstellung‹ in der Sozialpsychologie zurückgeht, wo es eine zentrale Rolle für die Erklärung und Vorhersage menschlichen Verhaltens einnimmt. Verallgemeinernd gesprochen bezeichnet ›Einstellung‹ in der Sozialpsychologie eine gelernte Tendenz, Bereitschaft oder Disposition, auf bestimmte Reize (z. B. Lebewesen, Gegenstände oder Ideen) mit positiven oder negativen Bewertungen zu reagieren. Zur Diskussion stehen dabei zumeist das Dreikomponenten-Modell und das davon abgegrenzte eindimensionale Modell (Stahlberg/Frey 1996: 219 ff.; Güttler 1996: 67 ff.; vgl. Spitzmüller 2005b: 68; Scharloth 2005: 6 f.). Das Dreikomponentenmodell, das in Bezug auf Spracheinstellungen häufiger Anwendung findet, differenziert zwischen drei Reaktionsebenen, nämlich der affektiven Reaktion (Gefühlsebene), der kognitiven Reaktion (Ebene der Überzeugungen, Theorien, Ideologien, Meinungen und Vorstellungen) und der konativen Reaktion (verhaltensbezogene Ebene inklusive Verhaltensabsichten und Handlungsdispositionen). Eine solche Dreiteilung lehnt das eindimensionale Modell mit der Begründung ab, dass zwischen den drei Ebenen keineswegs Übereinstimmung herrschen muss: Da ein Mensch in Bezug auf das gleiche Objekt anders fühlen als denken oder handeln kann, werden Einstellungen im eindimensionalen Modell auf die affektive Ebene beschränkt und ›Affekt‹ mit ›Bewertung‹ gleichgesetzt. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass nicht nur in der Sozialpsychologie, sondern auch in der Soziolinguistik das mentalistische Verständnis vorherrscht, wonach Einstellungen als vermittelnde Variablen zwischen Reiz und Reaktion aufzufassen sind. Dabei wird davon ausgegangen, dass Einstellungen zwar nicht der direkten Beobachtung zugänglich sind, aber tInnen interessieren sich für Sprache hingegen zumeist, wenn sie zum Problem wird, d. h. sie reflektieren Sprache weniger handlungsentlastet, stärker praxisorientiert sowie in Bezug auf selbst erlebte Situationen und Identitäten.

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durch Introspektion und Beobachtung von Verhaltensreaktionen auf bestimmte Reize indirekt erschlossen werden können. In Bezug auf die Erforschung von Spracheinstellungen lassen sich vor allem zwei Gruppen von Methoden unterscheiden: Jene, die darauf ausgelegt sind, direkte Daten über Spracheinstellungen zu elizitieren (z. B. durch Fragebögen, in denen explizite Bewertungen von Sprachvarietäten auf Skalen vorgenommen werden), und jene, die auf eine indirekte Erhebung abzielen (bspw. mit der von Wallace E. Lambert entwickelten ›matched guise technique‹, in der persönlichkeitsorientierte Bewertungen von SprecherInnen im Vordergrund stehen)11 (vgl. Vandermeen 2005). Spitzmüller hebt eine dritte Gruppe von Methoden hervor, der er auch seine eigene quantitative Auswertung von Spracheinstellungen in seiner ansonsten qualitativ-diskursanalytisch ausgerichteten Studie über Anglizismen zuordnet, nämlich: Verfahren, die auf »die Analyse von unaufgeforderten metasprachlichen Äußerungen oder sprachpolitischen Aktivitäten« ausgerichtet sind (Spitzmüller 2005b: 99). Solche Verfahren werden wesentlich seltener in Zusammenhang mit der Spracheinstellungsforschung genannt, etwa bei Ryan et al. (1988: 1068 f.), die neben direkten und indirekten Messmethoden auch Methoden zur Analyse des sozialen Umgangs (›societal treatment‹) mit Sprache und Sprachvarietäten, vor allem im öffentlichen und politischen Kontext, anführen und als Beispiele dafür Inhaltsanalysen von Sprachenpolitiken (›language policies‹), offiziellen Regierungsdokumenten oder massenmedialen Produkten, aber auch literarischen Werken nennen. Andere, aktuellere Publikationen verweisen allerdings darauf, dass ethnographischen und diskursanalytisch orientierten Zugängen (bspw. in der linguistischen Anthropologie oder in der Sprachideologie- und Sprachenpolitikforschung) ein anderes Erkenntnisinteresse zugrunde liegt als der empirizistisch verwurzelten Spracheinstellungsforschung, die zumeist Einstellungen relativ großer Bevölkerungsteile mit Instrumentarien der Evaluierung und Befragung erhebt (Coupland/Jaworski 2004: 25; vgl. Scharloth 2005: 7). In diesem Zusammenhang werden unter anderem folgende Kritikpunkte am Spracheinstellungskonzept geäußert: die Diskrepanz zwischen explizit geäußerten und implizit bleibenden Spracheinstellungen bzw. zwischen dargestelltem Sprachideal und tatsächlichem Sprachgebrauch sowie die unzureichende Permanenz und Dauerhaftigkeit von Spracheinstellungen (ebd.). Ausschlaggebend dafür, dass Spracheinstellungen nicht den zentralen Forschungsgegenstand der vorliegenden Studie bilden können, ist jedoch vor allem, dass bei Spracheinstellungen die Einstellung zum tatsächlichen Sprachgebrauch im Mittelpunkt steht, d. h. »Sprachverhalten ist hier das Einstellungsobjekt, demgegenüber sich Individuen 11 Für einen Überblick über die ›matched guise technique‹ und andere Methoden zur Messung von Spracheinstellungen siehe Ryan et al. (1988).

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als Einstellungsträger äußern oder verhalten. Sprachliche Merkmale geraten zum Auslöser sozialer Wahrnehmungs- und Kategorisierungsprozesse, die beim Träger der Einstellung auf das eigene Sprachverhalten wirken« (vgl. Scharloth 2005: 7)12. In der gegenständlichen Arbeit geht es jedoch nicht darum zu erklären, wie Einstellungen in Bezug auf ein bestimmtes Sprachverhalten (›Reiz‹) den Sprachgebrauch (›Reaktion‹) auf individueller oder kollektiver Ebene beeinflussen (bspw. den Varietätengebrauch oder Sprachwandel). Vielmehr hebt die vorliegende Arbeit diese Frage auf eine Metaebene, indem sie nicht auf rein sprachliches Verhalten fokussiert, sondern das populäre Wissen und Denken über Sprache als gesellschaftliches Konstituens und Konstrukt in den Blickwinkel rückt, d. h. sie versucht zu beschreiben und zu erklären, wie explizite und implizite Vorstellungen über Sprache als Bestandteile eines kollektiv verankerten ›Commonsense‹ gesellschaftliche, insbesondere sozio-politische Praktiken auch jenseits des Sprachgebrauchs selbst beeinflussen (z. B. Sprachverordnungen in diversen Institutionen oder sprachenpolitische Regelungen, Maßnahmen und Gesetze auf nationaler und supranationaler Ebene) und wie diese wiederum auf das metasprachliche Wissen rückwirken. Vor dem Hintergrund ähnlicher Überlegungen entscheidet sich Scharloth in seiner sprachgeschichtlichen Untersuchung von Sprachnormen anstelle von ›Spracheinstellungen‹ für den Begriff des Sprachbewusstseins, das bei ihm als »Sammelbezeichnung für die Gesamtheit des metasprachlichen Wissens eines Individuums oder (hypostasierend) einer Gruppe« fungiert (Scharloth 2005: 19). Sprachbewusstsein umfasst demnach alle linguistischen Ebenen und kann Handlungen sowie die Wahrnehmung sprachlicher Merkmale beeinflussen; anders als der Begriff ›Sprachreflexion‹, der auf explizite Bewusstseinsinhalte beschränkt ist, weist das ›Sprachbewusstsein‹ außerdem unterschiedliche Explizitheitsgrade auf (ebd.: 529). Nach Neuland (1993: 735 f.) kann zwischen drei Ebenen des Sprachbewusstseins unterschieden werden: dem Wissen um das Sprachsystem, dem pragmatischen Wissen um Sprachverwendungsweisen und das Wissen um die sozial-symbolische (inklusive identitäre) Funktion der Sprache. Sprachbewusstsein lässt sich darüber hinaus als wissenssoziologisches Konzept auffassen, das sich sowohl für ideologiekritische als auch für wissenssoziologische Ansätze eignet (Scharloth 2005: 16 ff). Ausgehend von der Prämisse, dass die von Menschen geteilte Wirklichkeit sozial konstruiert wird, und dass sich gesellschaftliches Wissen und Verhalten wechselseitig bedingen, 12 Ein Überblick über Objekte von Spracheinstellungen in diversen Studien findet sich bei (Vandermeen 2005: 324). Einstellungsobjekte sind demnach beispielsweise Dialekte, Sprechstile (›speech styles‹), Zweit- und Fremdsprachen, ›Linguae francae‹ sowie Pidginund Kreolsprachen. Bei diesen Spracheinstellungsobjekten steht jeweils der konkrete Sprachgebrauch im Vordergrund, nicht jedoch die sprach(en)politische Behandlung dieses Sprachgebrauchs.

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gleichen erstere Ansätze das unhinterfragte, metasprachliche (Alltags-)Wissen mit der Sprachwirklichkeit ab, während sich letztere, darunter auch Scharloths Studie (ebd.), auf die Rekonstruktion der Entstehung des metasprachlichen Wissens im sozio-historischen Kontext beschränken. In der vorliegenden Arbeit wird der ideologiekritische Zugang verfolgt, wobei das metasprachliche Wissen weniger mit der Sprachwirklichkeit als vielmehr mit der sprachenpolitischen Wirklichkeit abgeglichen werden soll. Dass hierfür im Folgenden der Begriff der Sprachideologie vor dem des Sprachbewusstseins präferiert wird, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen findet der ideologiekritische Zugang im Konzept der Sprachideologie eine bessere Berücksichtigung, zum anderen wird der Begriff des Sprachbewusstseins zumeist weniger als analytisches Konzept, sondern vor allem als Hochwertwort gebraucht, das ähnlich wie ›Mehrsprachigkeit‹ im Bereich des Fremdsprachenlernens zur Formulierung pädagogischer Ziele (im Sinn einer Förderung von ›Sprachbewusstsein‹), beispielsweise in Curricula Anwendung findet und die Sprachlernperspektive fokussiert (vgl. Gnutzmann 2007: 337). Allerdings wurde das Konzept des Sprachbewusstseins bereits seit den späten 80er Jahren von Fairclough und seinen KollegInnen an der Universität Lancaster um eine kritische Dimension erweitert und zu einem Modell des kritischen Sprachbewusstseins (engl. ›critical language awareness‹) weiterentwickelt (vgl. Fairclough 1989: 236 ff.; Clark/Ivanic 1999; Fairclough 1992). Dieses Modell soll das Bewusstsein dafür schärfen, dass Sprache im sozialen Kontext ungleiche Machtverhältnisse widerspiegelt, aber auch (re-)produziert (ebd.). Die pädagogische Notwendigkeit kritisches Sprachbewusstsein zu stärken wird dabei u. a. mit der steigenden ›Technologisierung‹ von Sprache (›technologisation of language‹) und der wachsenden Bedeutung des ›linguistic gatekeeping‹ begründet, was sich unter anderem in der zunehmenden Herausbildung präskriptiver Kommunikationsrichtlinien und Sprachenregimes13 auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen (Staaten, Wirtschaftsunternehmen, Bildungsinstitutionen etc.) manifestiert (vgl. Coupland/Jaworski 2004: 39 f.). Jedoch steht auch bei diesem Konzept insofern der pädagogisch-emanzipatorische Impetus stärker im Vordergrund als der analytische, als wiederum in erster Linie das kritische Sprachbewusstsein von Jugendlichen und SprachlernerInnen gefördert werden soll.14 13 Unter ›Sprachenregime‹ verstehe ich mit Wu (2005: 17 f.) ein mehr oder weniger explizites »Regelwerk über Prinzipien, Normen und Prozeduren, das der sprach[en]politischen Steuerung dient«. Im Kontext der EU-Sprachenpolitik bezieht sich der Begriff des Sprachenregimes zumeist auf die Festlegung von (offiziellen) Amtssprachen und (internen) Amtssprachen. 14 Ähnliche Überlegungen lassen sich in Bezug auf das Konzept der ›subjektiven Sprachtheorien‹ anstellen: Während beim Sprachbewusstsein die pädagogische Zielebene im

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Der Begriff der Sprachideologie schließt nun einerseits die Komponente des (kritischen) Sprachbewusstseins ein und stellt andererseits das gesuchte analytische Konzept dar, das Sprache im sozialen Kontext betrachtet und auch nicht-referentielle Funktionen von Sprache sowie subjektive, aber dauerhafte Vorstellungen und Bewertungen derselben mitberücksichtigt: […] the concept of language ideology is the offspring of a union of two neglected forces: the linguistic ›awareness‹ of speakers and the (nonreferential) functions of language. Both of these forces were prematurely marginalized by the dominant and disciplinarily institutionalized approaches to language, which denied the relevance – to linguistics, certainly – of a speaker’s own linguistic analysis and valorized the referential functions of language to the exclusion of others. In effect, this surgical removal of language from context produced an amputated ›language‹ that was the preferred object of the language sciences for most of the twentieth century (Kroskrity 2000: 5).

Der zugrundeliegende Begriff der ›Ideologie‹ spielt nicht nur für die Kritische Diskursanalyse (siehe Kapitel 2.3), sondern auch für zahlreiche andere sozialund kulturwissenschaftliche Disziplinen eine zentrale Rolle, allerdings weist die Verwendung und Diskussion des Ideologie-Konzepts dabei unterschiedliche Stoßrichtungen auf (vgl. für einen Überblick Blommaert 2005: 158 ff.; Woolard 1998: 5 ff.; Eagleton 1991; Milani/Johnson 2008). Woolard (1998: 5 ff.) unterscheidet diesbezüglich zwischen vier verschiedenen Ansätzen bzw. Diskussionssträngen, die von einer neutralen Konzeptionalisierung bis zu einem negativen Verständnis von Ideologie reichen: Auf dem einen Ende der Skala stehen die weit gefassten, neutralen Definitionsversuche, die Ideologien als (1) mentale Phänomene wie subjektive Vorstellungen und Repräsentationen verstehen sowie (2) die etwas enger gefassten Konzeptualisierungen, die die ideologischen Vorstellungskomplexe an bestimmte soziale Positionen und deren Interessen gebunden sehen. Am anderen Skalenende befinden sich die negativen Auffassungen, (3) die Ideologien unmittelbar an Machtpositionen gekoppelt begreifen oder (4) im Marxschen Sinn als »falsches Bewusstsein« bzw. als »distortion, illusion, error, mystification, or rationalization« (Woolard 1998: 7) verstehen. Da diese vier Aspekte m. E. eher unterschiedliche Blickwinkel auf das gleiche Vordergrund steht, liegt der Fokus bei den subjektiven Sprachtheorien auf der Ebene pädagogischer Diagnostik. Die Untersuchung subjektiver Sprachtheorien – beispielsweise von Lehrenden und Lernenden –, soll das Verständnis von Lehr-Lernprozessen befördern. Deren Erforschung ist wiederum mit ähnlichen Herausforderungen verbunden wie bei den Spracheinstellungen (mangelhafte Dauerhaftigkeit) und der Sprachreflexion (Beschränkung auf bewusst reflektierte Inhalte): »Subjektive Sprachtheorien entwickeln ihr spezifisches Profil als Produkt heterogener und diskontinuierlicher Lern- und Reflexionserfahrungen. Sie sind häufig zweckorientiert, ohne empirisch überprüfbar zu sein, sie sind weder konsistent noch widerspruchsfrei, ihre Annahmen und Argumente erscheinen als intuitive Aussagen oder als nachträgliche Rationalisierungen, und – ein besonderes methodisches Problem für den Wissenschaftler, der sie beschreiben und erklären will – sie werden von ihren Anwendern meist ad hoc formuliert und nicht schriftlich fixiert« (Ingwer 2006: 651).

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Phänomen eröffnen als vollkommen unterschiedliche Ansätze darstellen, scheint eine Zuordnung der vorliegenden Studie zu einem der vier Stränge nicht unbedingt sinnvoll. Stattdessen seien an dieser Stelle zwei Punkte hervorgehoben, die für das Verständnis von Ideologie in dieser Arbeit relevant sind: Ideologien sind erstens weder auf ›falsche‹ Bewusstseinsinhalte im Marxschen Sinn noch auf politisch exponierte Vorstellungssysteme (bspw. ›Kommunismus‹ oder ›Liberalismus‹) oder ›-ismen‹ zu beschränken (bspw. ›Rassismus‹ oder ›Sexismus‹). Ideologien lassen sich zweitens politisch instrumentalisieren, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse herzustellen und fortzuschreiben, sind aber insofern weiter zu fassen, als sie generell zur Konstruktion sozialer Wirklichkeit beitragen. Ideologien umfassen in diesem Sinn »die Summe der Annahmen, mit deren Hilfe die Mitglieder eines Kollektivs soziale Wirklichkeit konstruieren« (Spitzmüller 2005a: 254) oder, anders formuliert, »any constellation of fundamental or commonsensical, and often normative ideas and attititudes related to some aspect(s) of social reality« (Blommaert/Verschueren 1998a: 25; vgl. Coupland/Jaworski 2004: 36). Was bedeutet dies nun in Hinblick auf Sprachideologien? Nach einer häufig zitierten Definition von Michael Silverstein sind Sprachideologien »sets of beliefs about language articulated by users as a rationalization or justification of perceived language structure and use« (Silverstein 1979: 193). Zwei Einschränkungen bzw. Ergänzungen sind an Silversteins Definition anzubringen, um sie für die vorliegende Arbeit nutzbar zu machen: Erstens dienen Sprachideologien nicht nur zur Rationalisierung und Rechtfertigung von wahrgenommener Sprachstruktur und Sprachverwendung, sondern auch zur Durchsetzung moralischer und politischer Interessen bzw. von Ansprüchen bestimmter sozialer und kultureller Gruppen jenseits rein sprachlicher Dimensionen (vgl. Kroskrity 2000: 8). Die entsprechende Ergänzung zu Silversteins Überlegung findet sich in einer Definition von Judith Irivine (1989: 255), wonach Sprachideologien als »the cultural (or subcultural) system of ideas about social and linguistic relationships, together with their loading of moral and political interests« aufzufassen sind. Dass Sprachideologien zumeist anhand von metasprachlichen Äußerungen und Aussagen rekonstruiert werden, heißt zweitens noch nicht, dass Sprachideologien tatsächlich immer explizit geäußert werden müssen, wie dies etwa Scharloth (2005: 9) bemängelt.15 Vielmehr wird in der fachwissenschaftlichen Diskussion über die Lokalisierbarkeit von Sprachideologien hervorgehoben, dass diese nicht nur als explizite und reflektierte 15 Spitzmüller (2005a: 254) unterscheidet zwischen Ideologien als rational reflektierbare und Mentalitäten als assoziative, unreflektierte Wirklichkeitsannahmen. In Ergänzung dieser Überlegung wird im Folgenden davon ausgegangen, dass Ideologien zwar prinzipiell rational reflektierbar sind, aber nicht unbedingt in Form explizit ausformulierter oder reflektierter Wirklichkeitsannahmen in Erscheinung treten müssen.

Terminologie und Forschungsstand

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Bewusstseinsinhalte aufzufassen sind, sondern auch ›Doxa‹ umfassen können, d. h. gesellschaftlich geteilte, aber unhinterfragte und damit oft unbewusste bzw. naturalisierte ›Commonsense‹-Vorstellungen: »[…] a focus on overt ideological contestation should not lead us to lose sight of ideology as doxa, naturalized dominant ideologies that rarely rise to discursive consciousness« (Woolard 1998: 9; vgl. Coupland/Jaworski 2004: 36; Kroskrity 2000: 18 f.). Eine Definition von Sprachideologien, die diesen Umstand berücksichtigt, findet sich etwa bei Woolard (1998: 3): »Representations, whether explicit or implicit, that construe the intersection of language and human beings in a social world are what we mean by ‹language ideology‹«. Sprachideologien sind somit nicht nur in expliziten metasprachlichen Äußerungen zu finden, sondern beispielsweise auch in metapragmatischen Signalen während des Sprachgebrauchs oder, wie im Folgenden gezeigt werden soll, in Argumentationsstrategien bzw. Topoi, die auf implizit bleibenden Schlussregeln beruhen (siehe Kapitel 2.5.2). Ideology is variously discovered in linguistic practice itself; in explicit talk about language, that is, metalinguistic or metapragmatic discourse; and in the regimentation of language use through more implicit metapragmatics (›Implicit metapragmatics‹ means linguistic signaling that is part of the stream of language use in process and that simultaneously indicates how to interpret that language-in-use […]) (Woolard 1998: 9).

Im Gegensatz zu Spracheinstellungen sind Sprachideologien einerseits dauerhafter verankert (»persistent over time«), andererseits ist es möglich, durch Anknüpfung an ›Commonsense‹-Vorstellungen und bekannte Topoi neue und ›benutzerfreundliche‹ (Sprach-)ideologien zu konstruieren (Blommaert/Verschueren 1998a: 25). Ein weiterer wesentlicher Aspekt von Sprachideologien ist, dass sie zwischen sozialen Strukturen und Sprachgebrauchsweisen (»forms of talk«) vermitteln, d. h. SprachnutzerInnen unterscheiden und verknüpfen aufgrund ihrer Sprachideologien auf eine spezifische und selektive Weise Merkmale linguistischer Systeme mit jenen sozialer Systeme (Kroskrity 2000: 8). In Anlehnung an die Unterscheidung zwischen indexikalischen, ikonischen und symbolischen Zeichenbeziehungen bei Peirce (1983: 64 ff., 124 f.) identifizieren Gal/Irvine (1995) in diesem Zusammenhang drei semiotische Prozesse, die es in Bezug auf Sprachideologien zu untersuchen gilt: (1) Ikonisierung als ein Prozess, in dem Sprachgebrauchsweisen als unmittelbare Abbildungen sozialer Zugehörigkeit herangezogen werden, (2) fraktale Rekursivität, wodurch Gegensätze, die auf einer Ebene für Beziehungen bedeutsam sind, auf eine andere Ebene projiziert werden und (3) Löschung, d. h. Ausblendung spezifischer soziolinguistischer Phänomene, um Übereinstimmung mit stereotypen Verallgemeinerungen herzustellen (vgl. Irvine/Gal 2000: 37; Coupland/Jaworski 2004: 37).

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Ein weiterer Begriff, der in der vorliegenden Arbeit als zentrales Konzept Verwendung findet, ist Sprachenpolitik. Um vorwegzugreifen: Unter Sprachenpolitik sind im Folgenden jene diskursiv geprägten Maßnahmen und Ereignisse mit einem politischen Impetus zu verstehen, die den Status oder die Funktion von Sprachen betreffen, und die sich damit immer auch auf die Beziehungen zwischen mehreren Sprachen auswirken. Davon zu unterscheiden ist der Begriff der Sprachpolitik, der die politische Reglementierung des Sprachgebrauchs und die Beeinflussung des inneren linguistischen Systems einer einzigen Sprache umfasst (Haarmann 1988: 1661; vgl. Ammon 2000; de Cillia 2003a: 11 f.; de Cillia/Wodak 2006: 15 ff.). Wie in den folgenden Kapiteln zu zeigen sein wird, geht es in den aktuellen Diskursen über Sprache auf der nationalen österreichischen Ebene und auf der supranationalen Ebene der Europäischen Union, insbesondere seit der letzten Jahrtausendwende, vor allem um Fragen der Sprachenpolitik. Seitdem in den Hintergrund gerückt sind dagegen die öffentlichen Debatten über sprachpolitische Belange, bei denen vor allem die die beiden Aspekte Sprachwandel und Sprachnormen im Vordergrund standen (bspw. Anglizismen, Jugendsprache oder die deutsche Rechtschreibreform). In terminologischer Hinsicht muss an dieser Stelle allerdings angemerkt werden, dass in der Sprachenpolitikforschung zahlreiche weitere Definitionen und begriffliche Differenzierungen miteinander konkurrieren, sodass die Terminologie ihrer Gesamtheit uneinheitlich und widersprüchlich erscheint. Generell festzuhalten ist, dass die Phänomene Sprache und Politik oftmals ineinander fließen, miteinander verwoben sind und vielschichtig interagieren, sodass in diesem Forschungsbereich je nach Fragestellung und theoretisch-methodologischer Ausgangslage heterogene Ansätze mit unterschiedlicher Akzentuierung und Fokussierung bezüglich Sprache und/oder Politik zu finden sind (vgl. de Cillia/Wodak 2005; Wodak/de Cillia 2006). Dieser Problematik versucht etwa die Politolinguistik Rechnung zu tragen, indem sie rhetorische, linguistische und politikwissenschaftliche Ansätze miteinander kombiniert (vgl. Reisigl 2008). Was die sprachenpolitische Theorie- und Terminologiebildung betrifft, so ist diese trotz merkbarer Fortschritte in den letzten Jahren als unabgeschlossen zu betrachten, wiewohl sich das relativ junge Forschungsfeld seit den 60er Jahren zunehmend konsolidiert und institutionalisiert hat. Die Theorieund Terminologiebildung in der Sprachenpolitikforschung ist dabei nicht nur von unterschiedlichen disziplinären Ausrichtungen abhängig, sondern auch von der jeweils zur Anwendung kommenden wissenschaftlichen Ausgangssprache (vgl. de Cillia/Busch 2006: 575 f.). Neben der im Deutschen existierenden Differenzierung zwischen Sprach- und Sprachenpolitik ist im Englischen etwa eine Unterscheidung zwischen ›language politics‹ und ›language policy‹ möglich, für die auch im Französischen eine Entsprechung gefunden werden kann:›la politique linguistique‹ vs. ›une politique linguistique‹. In der französischen Ter-

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Terminologie und Forschungsstand

minologie verweist der bestimmte Artikel auf die Sprachenpolitik (z. B. der EU) in einem allgemeinen und umfassenderen Sinn, während sich die Bezeichnung mit dem unbestimmten Artikel auf eine spezifische Sprachenpolitik (z. B. die Verordnung Nr. 1) bezieht (Labrie 1996: 828 f.). Analog dazu umfasst der englische Begriff ›language politics‹ die theoretischen und planerischen Aspekte der Sprachenpolitik, während mit ›language policy‹ die praktische Ebene gemeint ist, auf der konkrete sprachenpolitische Maßnahmen (›language policies‹) durchgeführt und umgesetzt werden (Haarmann 1988: 1662; de Cillia/Busch 2006: 575 f; de Cillia 2003a: 15). In der aktuellen, englischsprachig geprägten Fachliteratur ist der Begriff ›language politics‹ im Sinn der o.g. Unterscheidung allerdings kaum mehr zu finden, stattdessen scheint diese durch eine Diskussion des wesentlich häufiger anzutreffenden Begriffspaars ›language policy‹ vs. ›language planning‹ abgelöst zu werden (›Sprachplanung‹ bzw. ›am¦nagement linguistique‹ wären die Entsprechungen für letzteren Begriff auf Deutsch bzw. Französisch). Die Versuche diverser SprachenpolitikforscherInnen, die beiden Begriffe voneinander abzugrenzen, fallen jedoch auch hier äußerst inhomogen und widersprüchlich aus. Die terminologische Differenzierung erfolgt dabei entlang unterschiedlicher Oppositionsbeziehungen wie Überbegriff vs. Unterbegriff, Ursache vs. Wirkung (Aktivität vs. Ergebnis), öffentlich vs. privat (staatlich vs. nicht-staatlich) oder bewusst vs. unbewusst (explizit vs. implizit). Die folgenden beiden Tabellen geben eine Übersicht über die sprachenpolitische Terminologie im Englischen und Deutschen. Zunächst soll die englischsprachig geprägte Begriffsbildung besprochen werden.16 Tabelle 1: Sprachenpolitik – Terminologie (englischsprachig)

Grin (2003); Schiffman (1998); Shohamy (2006); (Spolsky 2012) Kaplan/Baldauf (1997); tw. Tollefson (1991) Kaplan/Baldauf (1997); Tollefson (1991)

Language policy Überbegriff

Language planning Unterbegriff

Unterbegriff

Überbegriff

staatlich/öffentlich

beinhaltet beides: staatlich/öffentlich (›policy‹) und nicht-staatlich/privat

16 Die folgende Besprechung der beiden Begriffe ›language policy‹ und ›language planning‹ orientiert sich vor allem an Studer et al. (2008: 8 ff.). Eine Zusammenschau unterschiedlicher Definitionen von ›language planning‹ findet sich zudem bei Cooper (1989: 29 ff.), während Spolskys aktueller definitorischer Überblick seinen Ausgang vom übergeordneten Begriff ›language policy‹ nimmt (Spolsky 2012: 5). Vereinzelt sind neben den genannten Termini auch abweichende Begriffe wie z. B. ›linguistic policy‹ (z. B. bei Totaro-Genevois 2005; Judge 2007) anzutreffen, die von den etablierteren Fachtermini aber zumeist nicht systematisch abgegrenzt werden und an dieser Stelle daher nicht weiter behandelt werden sollen.

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Theoretisch-methodischer Rahmen

(Fortsetzung)

Schiffman (1998) Kaplan/Baldauf (1997); Studer et al. (2008) Kaplan/Baldauf (1997); Studer et al. (2008); Cooper (1989) Grin (2003)

Language policy theoretisch/grundsätzlich praktisch/konkret

Language planning praktisch/konkret theoretisch/grundsätzlich

Ziel/Ergebnis

Aktivität/Ereignis

Zielebene: Sprachposition/ Sprachstatus Schiffman (1998); Cooper beinhaltet beides: unbewusst/ implizit (inkl. ›Laissez-faire‹) (1989); Kaplan/Baldauf und bewusst/explizit (›plan(1997); Spolsky (2004) ning‹)

Zielebene: inneres Sprachsystem bewusst/explizit

Kaplan/Baldauf (1997: xi) und (Cooper 1989: 29) verstehen unter ›language policy‹ das Ziel oder Ergebnis von ›language planning‹, wobei letzteres Kaplan/ Baldauf zufolge zumeist auf staatlicher Ebene betrieben wird. In weitgehender Übereinstimmung damit definieren Studer et al. (2008: 10 f.) ›policy‹ als ein konkretes Ergebnis von ›planning‹ (bspw. eine Resolution oder ein Konsens unter GesprächsteilnehmerInnen), wobei ›planning‹ als diskursives Ereignis definiert wird, das die Klärung von Fragen des Gebrauchs und der Funktion von Sprachen in spezifischen Kontexten zum Ziel hat. In ähnlicher Weise wie Kaplan/ Baldauf (1997: xi) stellt Tollefson (1991: 16) fest, dass mit ›language policy‹ meistens die staatliche bzw. öffentliche Dimension des ›language planning‹ gemeint ist. ›Policy‹ ist nach diesem Verständnis also eine spezifische Form von ›planning‹, wobei letzteres den Überbegriff bildet. Allerdings verzichtet Tollefson (ebd.) selbst auf diese Unterscheidung und präferiert stattdessen ein kritisches Verständnis von Sprachenpolitik (›language planning-policy‹) als »institutionalization of language as a basis for distinctions among social groups«, d. h. als Mechanismus der Ungleichverteilung politischer Macht und ökonomischer Ressourcen. Nach Schiffman (1998: 18) ist dagegen ›language policy‹ der Überbegriff und bezieht sich als solcher auf die Ebene grundsätzlicher und allgemeiner Entscheidungen, Positionen sowie Prinzipien, während ›language planning‹ die Durchführung konkreter Maßnahmen meint. Grin (2003: 28) macht die Unterscheidung an der Zielebene fest: ›language planning‹ interveniert demnach auf der Ebene der Sprache selbst, während ›language policy‹, auch hier als Überbegriff verstanden, die Position einer Sprache beeinflusst. Für die meisten anderen AutorInnen umfasst der Begriff ›language planning‹ dagegen beide Zielebenen, also sowohl die Beeinflussung des inneren Sprachsystem als auch des Status von Sprachen. Als letztes Definitionskriterium kann der Grad an Explizitheit von Sprachenpolitik angeführt werden: Dieser wird zwar

Terminologie und Forschungsstand

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meist nur indirekt als ein Unterscheidungsmerkmal zwischen ›planning‹ und ›policy‹ herangezogen, dennoch lässt sich eine Tendenz in der Fachliteratur feststellen, den Begriff ›language planning‹ auf explizite, bewusste und absichtsvolle Aktivitäten zu beschränken (vgl. Spolsky 2004: 8; Cooper 1989: 45; Kaplan/Baldauf 1997: 3; Schiffman 1998: 4). Davon abgeleitet erscheint ›language policy‹ wiederum als Übergriff, der sowohl explizite als auch implizite Formen von Sprachenpolitik (einschließlich ›Laissez-faire‹) umfasst. Zu guter Letzt führen manche AutorInnen die beiden Phänomene ›policy‹ und ›planning‹ terminologisch wieder zusammen, indem sie den Überbegriff ›language policyplanning‹ (LPP) verwenden und damit hervorheben, dass die Aspekte von ›planning‹ und ›policy‹ ineinander übergehen und nicht isoliert voneinander betrachtet werden können (vgl. Schiffman 1998: 18; Ricento 2006b: 3; Studer et al. 2008: 11; Baldauf/Kaplan 2006: 2). Was die deutschsprachig ausgerichtete Terminologie betrifft, wird wie bereits erwähnt zwischen Sprachen- und Sprachpolitik unterschieden. Manche Autor Innen wie z. B. Coulmas (1985) verwenden allerdings ausschließlich den Terminus Sprachpolitik, wobei dieser Begriff z. B. bei Kainz (1965) ein monolinguales Verständnis von Sprach(en)politik widerspiegelt, das im Wesentlichen auf die Staatssprache beschränkt bleibt. Beide Begriffe – Sprach- und Sprachenpolitik – überschneiden sich zum Teil mit der Sprachplanung, die sich nach Haarmann (1988:1666) als fakultativer Bestandteil von Sprachen- und Sprachpolitik verstehen lässt (siehe Tabelle 2): Sprachplanung ist demnach jene spezifische Form von Sprachen- und Sprachpolitik, die auf die bewusste und gezielte Förderung eines spezifischen Kommunikationsmediums ausgerichtet ist. Weitgehend Übereinstimmung herrscht bezüglich einer terminologischen Untergliederung von Sprachplanung in die beiden Typen Korpus- und Statusplanung, die auf Kloss (1969: 81 ff.) zurückgeht. Korpusplanung zielt demzufolge auf die innere Sprachstruktur (Grammatik, Phonologie, Orthographie usw.) ab, während Statusplanung auf die Funktion und Position einer Sprache in der Gesellschaft bezogen ist. Zusätzlich zu Korpus- und Statusplanung führt Cooper (1989: 157) den Begriff der Erwerbsplanung (›acquisition planning‹) ein, mit dem er explizit auf das Sprachlernen und -lehren (und damit indirekt auch auf das Konzept der ›Sprachigkeit‹) als einen dritten Bereich der Sprachplanung verweist (vgl. Jernudd 2012: 29). Die Unterscheidung zwischen Korpus- und Statusplanung erinnert an die o.g. Differenzierung zwischen Sprach- und Sprachenpolitik, allerdings mit zwei Unterschieden: Haarmann (1988: 1666) weist erstens darauf hin, dass Sprachplanung bewusst und gezielt vorgenommen wird, während Sprachenpolitik auch implizit oder in Form einer ›Laissez-faire‹Politik durchgeführt werden kann. Zweitens verfügt Sprachplanung, verstanden als Förderung eines Kommunikationsmediums, im Allgemeinen über eine positive Konnotation. Demgegenüber ist Sprachenpolitik insofern als neutraler

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Begriff aufzufassen, als er sich sowohl auf positiv konnotierte Maßnahmen (bspw. Förderungen) als auch auf negativ konnotierte Interventionen (bspw. Diskriminierungen) beziehen kann. Sprachpolitik als Reglementierung des Sprachgebrauchs, so könnte man in Ergänzung zu den Überlegungen Haarmanns hinzufügen, ist wiederum insofern eher negativ konnotiert, als damit in erster Linie ›top-down‹ durchgesetzte Ge- und Verbote sprachlicher Verwendungsweisen assoziiert werden, wie sie beispielsweise aus der Geschichte des Nationalsozialismus oder Orwells Roman »1984« und dem darin geschilderten ›Newspeak‹ bekannt sind.17 Mit Maßnahmen wie diesen ist auch der Begriff der ›Sprachlenkung‹ verbunden: Im häufiger gebrauchten engeren und negativ konnotierten Sinn bezeichnet Sprachlenkung staatliche Einflussnahmen auf Sprache zum Zweck der Menschenlenkung, sei es durch sprachpolitische Maßnahmen wie Wortneubildungen oder die Vermeidung bzw. dem Verbot bestimmter Wörter (Dieckmann 1969: 75). Sprachlenkung im weitesten Sinn kann bei Dieckmann (1980:508) aber auch als Überbegriff für alternative Termini wie Sprachplanung, Sprachpflege, Sprachregelung oder Sprachnormierung dienen und bezieht sich dann ganz allgemein auf »Tätigkeiten, mit denen versucht wird, bewußt und zielgerichtet auf gesellschaftliche Kommunikationssysteme Einfluß zu nehmen, um eine wünschenswerte Veränderung herbeizuführen oder zu unterstützen bzw. eine nicht wünschenswerte Veränderung zu verhindern oder zu verzögern.« In diesem weiten Verständnis sind auch neutrale bis positiv konnotierte Konzepte wie Sprachpflege oder Sprachausbreitungs-, Sprachverbreitungs- oder Sprachenaußenpolitik miteingeschlossen, die damit auch zum Ziel und Tätigkeitsbereich von Institutionen wie der Acad¦mie franÅaise, dem Goethe-Institut (in kleinerem Rahmen auch das Österreich Institut), der Gesellschaft für deutsche Sprache oder dem (stärker sprachwissenschaftlich ausgerichteten) Institut für Deutsche Sprache werden können.

Tabelle 2: Sprachenpolitik – Terminologie (deutschsprachig) Sprachpolitik Überbegriff Zielebene: inneres Sprachsystem/ Sprachgebrauch

Sprachenpolitik Überbegriff Zielebene: Sprachstatus/ -funktion/ -position

Sprachplanung Unterbegriff Zielebene: inneres Sprachsystem (Korpusplanung) oder Sprachstatus (Statusplanung)

17 Zu ergänzen wäre die Liste mit jenen Phänomenen, die sich unter dem pejorativ verstandenen Begriff ›political correctness‹ subsumieren lassen (vgl. Fußnote 9). Eine in diesem Sinn negative Umdeutung erfahren etwa die Errungenschaften der feministische Linguistik (gendergerechter Sprachgebrauch) oder der Anti-Rassismusarbeit (diskriminierungsfreier Sprachgebrauch).

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Terminologie und Forschungsstand

(Fortsetzung) Sprachpolitik bewusst/explizit Konnotation: eher negativ

Sprachenpolitik bewusst/explizit oder implizit (inkl. ›Laissez-faire‹) Konnotation: neutral

Sprachplanung bewusst/explizit Konnotation: eher positiv

Was sich insgesamt betrachtet durch alle Definitionsversuche durchzuziehen scheint, ist der Bedarf bzw. Anspruch, ein Spannungsfeld abzudecken, das sich zwischen theoretischer (›de jure‹) und tatsächlich praktizierter (›de facto‹) Sprachenpolitik sowie zwischen explizit und implizit betriebener Sprachenpolitik auftut, und das verschiedene sprachenpolitische Zielebenen (Sprachstatus vs. Sprachsystem) umfasst. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass vor allem zwischen den beiden zuerst genannten Ebenen oft eklatante Widersprüche klaffen, die terminologisch erfasst und verortet werden müssen, bevor sie analytisch aufgedeckt und erklärt werden können. So lässt sich beispielsweise in Hinblick auf die EU-Sprachenpolitik festhalten, dass diese in Bezug auf ihre Mitgliedsländer zwar explizit formuliert wird, dass ihr aber aufgrund des Subsidiaritätsprinzips oft nur Empfehlungscharakter ohne Chancen auf praktische Umsetzung zukommt. Auf nationaler österreichischer Ebene herrscht hingegen zumeist eine implizite Sprachenpolitik im Sinn des ›Laissez-faire‹ vor, während der Ausnahmefall einer expliziten österreichischen Sprachenpolitik am ehesten in der Schulsprachenpolitik sowie als Reaktion auf bereits offen ausgebrochene Sprachkonflikte zu finden ist (vgl. de Cillia 2003a: 36; de Cillia/Wodak 2002). Dort, wo sich dennoch explizit formulierte und offiziell verankerte österreichische Sprachenpolitik erkennen lässt, bspw. im Staatsvertrag in Bezug auf die Volksgruppensprachen Slowenisch und Kroatisch oder im Bundesverfassungsgesetz in Bezug auf die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache, wird diese mitunter durch gegenläufige, implizite sprachenpolitische Aktivitäten oder fehlende Folgemaßnahmen auf einen de-jure-Status verwiesen, wie etwa die Geschichte des Kärntner Ortstafelstreits und die bis heute fehlenden Ausführungsgesetze zur Anerkennung der ÖGS im Bundesverfassungsgesetz zeigen (siehe Kapitel 3.2). Die bisherigen theoretischen Überlegungen zur Sprachenpolitik sind vor dem Hintergrund der vorliegenden Studie durch zwei weitere wichtige Aspekte zu ergänzen: Sprachenpolitik ist ideologisch und diskursiv durchsetzt. Der erste Punkt, die ideologische Durchsetztheit von Sprachenpolitik, trifft in doppelter Weise zu: Zum einen ist »politische Wirklichkeit immer auch ideologisch vermittelte Wirklichkeit« (Girnth 2002: 3). Wo es um Sprache geht, spielen zum anderen notwendigerweise auch Ideologien eine Rolle, d. h. Vorstellungen, die

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Theoretisch-methodischer Rahmen

sich nicht aus einem ›objektiven‹ Wesen der Sprache ableiten lassen, sondern in Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Wissenssystemen und Praktiken stehen, die nicht auf das Phänomen der Sprache selbst beschränkt sind (vgl. Spitzmüller 2005a: 253 f.; Kroskrity 2000: 8; Ricento 2006a: 8 f.; Scharloth 2005: 21, 55). Spolsky (2004: 14), der anstelle von ›language policy‹ häufig den Begriff ›language management‹ verwendet, fasst den Zusammenhang zwischen Sprachenpolitik und Sprachideologie prägnant zusammen: »Put simply, language ideology is language policy with the manager left out, what people think should be done.« Allerdings lässt sich auch in Bezug auf Ideologien ein Äquivalent für den bzw. die SprachenpolitikerIn (›manager‹) finden, und zwar den ›ideology broker‹ (Blommaert/Verschueren 1998a: 27 f.): Dessen Aufgabenbereich umfasst weniger die politische Gestaltung oder das Management bestimmter gesellschaftlicher Sachbereiche (inkl. Sprachen). Vielmehr strebt ein ›ideology broker‹ – metaphorisch gesprochen – die Maximierung seines diskursiven ›Profits‹ an (Spitzmüller/Warnke 2011: 180), d. h. er versucht durch Anknüpfung an bestimmte Ideologien, die zum Zeitpunkt eines diskursiven Ereignisses sozusagen gerade hoch oder niedrig im Kurs stehen, seinen eigenen Aussagen Autorität, Wahrheitsanspruch und normative Gültigkeit zu verleihen, den gegnerischen Aussagen hingegen zu entziehen. Sprachenpolitiker sind somit bis zu einem gewissen Ausmaß immer auch ›ideology brokers‹, umgekehrt sind jedoch nicht alle ›ideology brokers‹ auch PolitikerInnen. Der Fokus auf den Diskurs, der beim ›ideology broker‹ im Vordergrund steht, führt uns zum zweiten Punkt, der diskursiven Durchsetztheit von Sprachenpolitik. Bei diesem Punkt geht es darum hervorzuheben, dass Sprachenpolitik diskursiv betrieben, gestaltet und geformt wird, wobei die Diskursivität von Sprachenpolitik unterschiedlich stark ausfallen kann: So sind etwa Festreden von PolitikerInnen, in denen Bekenntnisse zu Mehrsprachigkeit und dem damit verbundenen kulturellen Erbe abgelegt werden als stärker diskursiv aufzufassen als bspw. die Sanktionierung eines bestimmten Sprachgebrauchs (etwa durch physische, psychische oder finanzielle Bestrafung). Die diskursive Dimension von Sprachenpolitik wurde in der Forschung bisher eher vernachlässigt: Zwar rückte in den 80er und 90er Jahren die ›klassische‹ Sprachenpolitik und -planung (»classical language planning«), die diverse LinguistInnen in den 70er und 80er Jahren vor allem in Hinblick auf staatliche Aktivitäten betrieben, allmählich in den Fokus kritischer Betrachtungen (Jernudd 2012: 27). Im Zuge dessen – und unter zunehmenden Einfluss der Kritischen Theorie sowie diskursanalytischer Methodologie – begann sich eine kritische Sprachenpolitikforschung zu formieren, die die rationale Planbarkeit sprachlicher Belange nach dem Vorbild wirtschaftlicher Planungsprozesse infragestellte, auch vor dem Hintergrund gescheiterter Sprachenpolitiken in ehemaligen Kolonialländern Afrikas und Asiens (Jernudd 2012: 27; vgl. Garc†a 2012: 85). Was bis heute dennoch weit-

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gehend fehlt, ist eine explizite Beschäftigung mit den Zusammenhängen zwischen Diskurs und Sprachenpolitik auf theoretischer Ebene. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht Williams (1996: 301 f.) dar, wenn er Sprachenpolitik (›language planning‹) als ideologische Kraft betrachtet, die an die Interessen des Staates und den diskursiven Kontext gekoppelt ist: »Planning is seen as a feature of discourse and involves the power dimension wherein certain things are capable of being said while others are not« (Williams 1996: 282). Eine eher indirekte Bezugnahme auf die Diskursivität von Sprachenpolitik findet sich auch in einer Definition von Christ (1991: 55) wieder : Sprachenpolitik ist demnach […] die Summe jener politischen Initiativen ›von unten‹ und ›von oben‹, durch die eine bestimmte Sprache oder bestimmte Sprachen in ihrer öffentlichen Geltung, in ihrer Funktionstüchtigkeit und in ihrer Verbreitung gestützt werden. Sie ist wie alle Politik konfliktanfällig und muss in ständiger Diskussion, in ständiger Auseinandersetzung neu geregelt werden.

Selbstverständlich gilt nicht nur für Sprachenpolitik, sondern auch für Politik im Allgemeinen, dass sie diskursiv durchsetzt ist. Und auch in diesem Fall kann eine Vernachlässigung der diskursiven Dimension durch die Forschung konstatiert werden. Diesen Umstand kritisiert etwa Chilton (2004: 4), der die Diskursivität von Politik sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene in den Blickpunkt rückt: What is strikingly absent from conventional studies of politics is attention to the fact that micro-level behaviours mentioned above are actually kinds of linguistic action – that is discourse. Equally the macro-level institutions are types of discourse with specific characteristics – for example, parliamentary debates, broadcast interviews. And constitutions and laws are also discourse – written discourse, or text, of a highly specific type. (Chilton 2004: 4)

(Sprachen-)Politik ist also als ein eminent diskursiv geprägtes Phänomen zu begreifen. Ausgehend von der kritisch-diskursanalytischen Konzeptionalisierung des Diskurses als soziale Praxis (siehe u. a. Fairclough 1989 : 22 ff.) lässt sich der Zusammenhang zwischen Sprachenpolitik und dem Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit folgendermaßen modellieren (siehe Abbildung 1): Der Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit ist zur Gänze der diskursiven Praxis zuzuordnen, wobei jede diskursive Praxis auch eine soziale Praxis darstellt, umgekehrt aber nicht jede soziale Praxis auch eine diskursive sein muss (vgl. Dorostkar/Flubacher 2010: 139 f.). (Sprachen-)Politik ist in diesem Sinn an der durchlässigen Grenze und Schnittstelle zwischen sozialer und diskursiver Praxis anzusiedeln: Die Durchdringung der sozialen Praxis (gesellschaftliche Strukturen, institutionelle Rahmenbedingungen, Gesetze usw.) durch die diskursive Praxis sowie deren wechselseitige Beeinflussung werden in diesem Modell durch

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Theoretisch-methodischer Rahmen

punktierte Bogenlinien visualisiert. Dabei steht die kürzeste punktierte Bogenlinie ganz links in der Abbildung für den geringsten Grad an Diskursivität bzw. die schwächste diskursive Prägung sozialer Praxis. Dieses Modell berücksichtigt neben dem diskursiven Charakter von Sprachenpolitik auch die Möglichkeit nicht-diskursiver sozialer Praktiken innerhalb und außerhalb der politischen Sphäre (zum Beispiel die physische Bestrafung des Gebrauchs einer bestimmten Sprache oder gesetzlich verankerte Sanktionen wie die Ausweisung von Drittstaatsangehörigen, die ihre Landessprachkenntnisse nicht wie gefordert nachweisen können).18 Chilton (2004: 3) zufolge lassen sich die unterschiedlichen akademischen Politikdefinitionen, die in ihrer Gesamtheit ebenso widersprüchlich ausfallen wie dies bei der sprachenpolitischen Terminologie der Fall ist, auf zwei Grundtypen der Konzeptualisierung herunterbrechen, nämlich einerseits in das Verständnis von Politik als Kampf um Macht, andererseits als Form der Kooperation: On the one hand, politics is viewed as a struggle for power, between those, who seek to assert their power and those, who seek to resist it. On the other hand, politics is viewed as cooperation, as the practices and institutions that a society has for resolving clashes of interest over money, influence, liberty, and the like.

Politik umfasst dabei sowohl eine Repräsentations- als auch eine Handlungsdimension, d. h. einerseits geht es um die Durchsetzung bestimmter Repräsentationen sozialer Wirklichkeit (etwa zu Machtzwecken) als auch um eine Entscheidungsfindung als Grundlage für politisches Handeln (etwa nach dem Prinzip der Deliberation und Kooperation). Ein zentrales Mittel hierfür stellt in beiden Dimensionen die Argumentation, d. h. das Rechtfertigen und Hinterfragen von Geltungsansprüchen wie normativer Richtigkeit und Wahrheit, dar.19 18 Die Frage, ob und wie diskursive soziale Praktiken von nicht-diskursiven sozialen Praktiken abgegrenzt werden können, ist innerhalb der Diskurslinguistik bzw. Kritischen Diskursanalyse nicht eindeutig zu beantworten und wird in den theoretischen Überlegungen vieler diskursanalytischer Ansätze oftmals zur Gänze ausgeklammert (so auch im DHA). Eine ausführliche Behandlung dieser Frage aus diskurstheoretischer Sicht steht also noch aus (siehe jedoch bspw. Wrana/Langer 2007). Für einen ersten Ansatzpunkt ist es jedoch naheliegend, die Grenze zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken von der jeweiligen Diskursdefinition abzuleiten. Nicht-diskursive Praktiken stellen nach dem diskurshistorischen Ansatz (DHA), an dem sich die vorliegende Arbeit orientiert, also all jene Praktiken dar, die die Definitionsmerkmale für Diskurse nach dem DHA nicht erfüllen (zu diesen Merkmalen zählen u. a. die Bezogenheit auf Themen, Handlungen, Probleme und Geltungsansprüche sowie die Argumentativität und Multiperspektivität) (siehe Kapitel 2.3 und Reisigl 2011: 480). 19 Vgl. hierzu Fairclough/Fairclough (2012: 20 ff.), die in ihren argumentationstheoretischen Überlegungen die Repräsentationsfunktion der Politik dem Handlungsaspekt unterordnen. Diese hierarchische Abstufung der AutorInnen wird in der vorliegenden Studie nicht vorgenommen, ebensowenig ihre Unterscheidung zwischen Argumentation als sprachlichem

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Abbildung 1: Sprachenpolitik als diskursiv geprägtes Phänomen (vgl. Dorostkar/Flubacher 2010: 140)

Beide Aspekte von Politik – zum einen als Machtkampf, zum anderen als Kooperationsform – sind auch für die Sprachenpolitik charakteristisch, und spielen sowohl in Interaktionen auf der Makroebene (bspw. zwischen nationalen Regierungen und inter- bzw. supranationalen Organisationen) als auch auf der Mikroebene (zwischen Individuen, sozialen Gruppen etc.) eine Rolle. Die aktuelle Sprachenpolitikforschung berücksichtigt vermehrt den Umstand, dass Sprachenpolitik nicht nur von nationalen Regierungen oder supranationalen Staatengemeinschaften wie der EU (›top-down‹) bestimmt wird, sondern auch von einzelnen Personen, sozialen Gruppen und Institutionen (›bottom-up‹) ausgehen kann (vgl. Liddicoat/Baldauf 2008: 3 ff.). Politik ist in diesem Verständnis ebenso wenig wie Sprachenpolitik ausschließlich eine Sache von PoliHandeln (bzw. Sprechakt) und Strategie als außersprachlichem Handeln. Laut Fairclough/ Fairclough (2012: 24) beinhalten Strategien nämlich – anders als Argumentationen – »goals outside and beyond discourse, i. e. they involve desired changes in the world, not in discourse« [Hevorhebung im Orginal, ND]. Eine solche Konzeption würde m. E. der zentralen kritisch-diskursanalytischen Prämisse zuwiderlaufen, wonach sich Diskurse auf die gesellschaftliche Realität (die ›Welt‹) auswirken können und genau dies von DiskursteilnehmerInnen (wenngleich auf unterschiedlichen Bewusstheitsniveaus) angestrebt werden kann. Dass Menschen Veränderungen der »Welt« durch Diskurs(e) herbeiführen können, liegt letztlich auch dem Konzept von Sprach(en)politik zugrunde (bspw. im Rahmen feministischer oder anti-rassistischer Linguistik bzw. von Sprachkritik im Allgemeinen).

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tikerInnen, sondern wird von AkteurInnen unterschiedlichster Ebenen (inkl. ›ideology brokers‹), ob bewusst oder unbewusst, betrieben und wirkt auf diese zurück. Reisigl (2008: 97) hält in diesem Zusammenhang fest, dass »political matters enter the life of everyone, that non-politicians also produce political rhetoric in private contexts, and that – as has particularly been shown by feminist critique – a rigid binary opposition of the private and the public-political sphere is untenable.« Der Verzahnung von öffentlicher und (halb-)privater Sphäre wurde in dieser Studie Rechnung getragen, indem Datenmaterial aus beiden Bereichen in das Untersuchungskorpus aufgenommen wurde. Bevor auf das Forschungsdesign und die zur Anwendung gekommenen Methoden eingegangen wird, sollen jedoch zunächst die diskurstheoretischen Grundlagen dieser Studie ausführlicher dargestellt werden.

2.3. Diskurslinguistik und Kritische Diskursanalyse In den letzten Jahrzehnten hat sich der ›Diskurs‹-Begriff offenbar auch außerhalb des akademischen Bereichs zu einem geradezu inflationär gebrauchten Modewort entwickelt, wie vielfach festgestellt und kritisiert wird: Nicht nur in den Sozial- und Kulturwissenschaften – ob Politologie, Geschichtswissenschaft oder Linguistik – wird häufig auf ›Diskurse‹ referiert, auch in den Wortschatz der ›Alltagssprache‹ hat der Begriff mittlerweile Eingang gefunden (Spitzmüller 2005b: 30 ff.; Spitzmüller/Warnke 2011: 5 ff.). Da er von dort wieder in die Wissenschaftssprache zurückwirkt, wo er überdies je nach Disziplin unterschiedlich definiert und verwendet wird, erscheint die terminologische Verwirrung sozusagen vorprogrammiert. Dennoch erweist sich der Begriff – nicht nur für die vorliegende Untersuchung – insofern als unverzichtbar, als er mit einem spezifischen Konzept verbunden ist, das einen epistemologischen bzw. heuristischen Mehrwehrt verspricht. Was die linguistische Perspektive auf den Diskurs betrifft, ergibt sich dieser Mehrwert durch die Beachtung eines bisher vernachlässigten Aspekts von Sprache: Das Diskurskonzept (der Diskurslinguistik) »fokussiert eine fundamentale und zuvor nur unzureichend bis gar nicht beachtete Funktion von Sprache, nämlich die gesellschafts- und wissenskonstituierende Funktion«, wie Spitzmüller/Warnke (2011: 10) festhalten.20 Diese beiden Autoren unterscheiden in ihrer Einführung in die ›Diskurslinguistik‹ zwischen vier verschiedenen Diskurskonzepten, die in der Sprachwissenschaft gebräuchlich sind: (1) einem bildungssprachlichen, bei dem ›Diskurs‹ als soziolektal geprägtes Synonym für ›Debatte‹ oder ›Gespräch‹ (bspw. in be20 Zum Begriff und Programm der ›Diskurslinguistik‹ siehe auch Warnke (2004) und Warnke/ Spitzmüller (2008).

Diskurslinguistik und Kritische Diskursanalyse

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stimmten Medien oder in Bezug auf den akademischen Bereich) Verbreitung findet, (2) einem diskursethischen, wonach ›Diskurs‹ als »konsensorientierter Gedankenaustausch unter prinzipiell gleichgestellten Bürgern« im Sinn von Habermas zu verstehen ist, (3) einem konversationsanalytischen, bei dem ›Diskurs‹ eine (gesprochen-)sprachliche (Äußerungs-)Einheit darstellt, die durch Interaktivität oder Musterhaftigkeit (sowie eine Kopräsenz von SprecherIn und HörerIn) gekennzeichnet ist und (4) eben einem diskurslinguistischen nach Foucault, demzufolge ›Diskurs‹ ein »Formationssystem von Aussagen« darstellt, »das auf kollektives, handlungsleitendes und sozial stratifiziertes Wissen verweist« (Spitzmüller/Warnke 2011: 9). Die Bezeichnung nach Foucault ist in diesem Zusammenhang sowohl modal als auch temporal zu verstehen, d. h. die Diskurslinguistik baut einerseits teilweise auf Foucaults Überlegungen zum Diskurs auf, lässt diese aber andererseits auch hinter sich und entwickelt eigenständige, darüber hinausgehende Methoden und Konzepte (Spitzmüller/ Warnke 2011: 3; vgl. Warnke 2007). Von den genannten Diskurskonzepten orientiert sich die vorliegende Arbeit am stärksten am zuletzt genannten diskurslinguistischen Zugang, allerdings mit zwei Einschränkungen: Sie versteht ›Diskurs‹ nicht als ein Formationssystem von Aussagen im Sinn von Foucault und sie betreibt Diskursanalyse »nach Foucault« eher im temporalen als im modalen Sinn. Diskurslinguistisch ist sie aber insofern, als sie den Fokus auf die bereits erwähnte gesellschafts- und wissenskonstituierende Funktion von Sprache legt. Von der Diskursdefinition nach Foucault wird dabei vor allem deshalb Abstand genommen, weil das Foucaultsche Aussagenkonzept einerseits linguistisch schwer in den Griff zu bekommen ist, andererseits eine zu starke Verengung auf eine kleinteilige Analyseeinheit mit sich bringen würde, die den Blick auf ganze Texte und Kommunikate verstellt (vgl. Reisigl 2011: 475).21 Für die vorliegende Arbeit spielt das Habermassche Diskurskonzept außerdem insofern eine größere Rolle als das Foucaultsche, als die Diskursethik nach Habermas eine normative 21 Foucault war der Ansicht, dass Aussagen mit sprachwissenschaftlichen Konzepten nicht zu erfassen sind und insbesondere nicht mit Sätzen, Propositionen oder Sprechakten gleichgesetzt werden können (vgl. Spitzmüller 2005b: 34; Reisigl 2011: 475; 2006: 99 ff.). Aussagen im Foucaultschen Sinn bleiben aufgrund ihrer mangelnden positiven Definierbarkeit insgesamt sehr unbestimmt und lassen sich somit kaum linguistisch operationalisieren, ohne in theoretische Widersprüche zu geraten. Foucault grenzte sich mit seinem Aussagenkonzept einerseits von der strukturalistisch geprägten Sprachwissenschaft ab, verfügte andererseits selbst über einen strukturalistischen Sprachbegriff, der es ihm nicht erlaubte, Aussagen und diskursive Regeln innerhalb eines kontext- und handlungsorientieren Sprachbegriffs zu verorten. Selbst die DiskurslinguistInnen nach Foucault räumen ein, dass sich Aussagen (›enonc¦s‹) letztlich nur anhand sprachlicher Äußerungen (›¦nonciations‹) analysieren lassen (vgl. Spitzmüller 2005b: 41 f.). Daher werden Aussagen diskurslinguistisch als Topoi, Metaphern oder Kollektivsymbole operationalisiert, auch wenn damit der Widerspruch zu Foucaults ursprünglichen Überlegungen bestehen bleibt.

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Grundlage für die im Analyseprozess zu entwickelnde Kritik abzugeben vermag, wenngleich etwa die Konsensorientierung aufgrund ihrer Kontrafaktizität als Definitionskriterium für den empirisch zu untersuchenden Diskurs nicht beibehalten werden kann. Dies führt uns, neben den oben genannten Diskurskonzepten, zu einem weiteren wichtigen Klassifikationsmerkmal innerhalb der Diskurslinguistik, nämlich der Unterscheidung zwischen deskriptiven und kritischen Ansätzen der Diskursanalyse. Spitzmüller/Warnke (2011: 78) sprechen in diesem Zusammenhang von zwei diskurslinguistischen Lagern, die sich (mit Vorläufern in den 70ern und 80ern) vor allem seit den 1990er Jahren herausgebildet haben: Zum einen ist dies die deskriptiv-epistemologisch orientierte ›Diskurssemantik‹, die an Studien zur deutschen »Sprach(bewusstseins-)geschichte« anschließt, und zum anderen die ›Kritische Diskursanalyse‹ bzw. ›Critical Discourse Analysis‹ (CDA), die im Gegensatz zur Diskurssemantik dezidiert macht- und ideologiekritisch ausgerichtet ist. Was die beiden Lager trennt, sind ihre unterschiedlichen Antworten auf die Gretchenfrage, ob (Sprach-)Wissenschaft ausschließlich beschreibend vorzugehen hat (eine aufgrund der strukturalistischen Einflussnahme bis heute verbreite Ansicht in der Linguistik), oder ob sie darüber hinaus auch Wertungen vornehmen darf und soll (wie das die Kritische Diskursanalyse für sich in Anspruch nimmt) (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 98). Die unterschiedliche Ausrichtung als deskriptiv-diskursanalytisch auf der einen und als kritisch-diskursanalytisch auf der anderen Seite verweist allerdings letztlich weniger auf methodische oder inhaltliche Differenzen als auf verschiedene wissenschaftliche Ansprüche und Ziele aufseiten der Analysierenden.22 So sind beiden diskurslinguistischen Lagern wichtige diskurstheoretische Vorannahmen gemeinsam: 22 Spitzmüller/Warnke (2011: 79 f.) sprechen sich letztendlich für eine Überwindung des Lagerdenkens innerhalb der Diskurslinguistik aus und plädieren für eine stärkere gegenseitige Kenntnisnahme und mehr wissenschaftlichen Austausch sowie für eine Kombination von diskurssemantischen und kritisch-diskursanalytischen Konzepten und Instrumentarien zum Nutzen der gesamten Diskurslinguistik (diesen Anspruch möchte auch die vorliegende Arbeit einlösen). Die gegenseitigen Abgrenzungstendenzen und Versuche, das jeweils eigene Lager als die »›eigentliche‹ und ›richtige‹ linguistische Diskursanalyse« darzustellen sowie die jeweiligen Unterschiede hervorzuheben, »entbehren […] der faktischen Begründung« und wirken »angesichts der Un-Eindeutigkeit von Diskursanalyse schon bei Foucault« geradezu ironisch, so die Autoren. Was den Unterschied zwischen deskriptiver und kritischer Diskursanalyse betrifft, hält auch Kroskrity (2000: 8) in Bezug auf die Sprachideologieforschung fest, dass nur ein gradueller Unterschied zwischen neutralen und kritischen Ideologie-Analysen besteht. Dennoch haben bisher nur wenige diskursanalytische Arbeiten explizit versucht, Theoreme und Methoden aus beiden diskurslinguistischen Lagern anzuwenden (etwa im Rahmen des Oldenburger Ansatzes). Zum Teil wird eine solche ›lagerübergreifende‹ Anwendung von diskursanalytischen Instrumentarien auch im Folgenden angestrebt (etwa durch eine Kombination des DHA-Analyseschemas mit der diskurssemantischen Schlagwortanalyse).

Diskurslinguistik und Kritische Diskursanalyse

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Dazu zählt die Überlegung, dass Sprache kollektives Wissen bzw. gesellschaftliche Realität schafft (also wissens- und gesellschaftskonstituierend ist) und im sozialen (historischen, kulturellen oder politischen) Kontext untersucht werden muss. Zudem gehen beide Lager davon aus, dass Aussagen bzw. Texte nicht isoliert voneinander, sondern als miteinander verknüpft zu betrachten sind, und dass Strukturen von Wissen bzw. Macht durch die Analyse von Diskursen (d. h. von miteinander verknüpften Aussagen bzw. Texten) erfasst werden können (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 79). Die Erforschung solcher Wissens- und Machtstrukturen aufgrund deren sprachlicher Konstituierung steht dabei wesentlich stärker im Mittelpunkt der Diskurslinguistik als die Untersuchung des Phänomens Sprache an sich. Dennoch bleibt die sprachwissenschaftliche Ausrichtung der Diskurslinguistik (bspw. hinsichtlich linguistischer Konzepte und Instrumentarien) insgesamt bestimmend: So kommen sowohl in der Diskurssemantik als auch in der Kritischen Diskursanalyse Analysekategorien wie Topoi, Metaphern, rhetorische Mittel, syntaktische Muster oder lexematische Einheiten (bspw. Schlagwörter) zum Einsatz. Weder die Diskurssemantik noch die Kritische Diskursanalyse stellen dabei einheitliche Methoden oder eigene Forschungsansätze im Sinn von ›Schulen‹ dar, sondern sind Bestandteil eines größeren und heterogenen Forschungsfeldes (der Diskurslinguistik), in dem eine große Bandbreite unterschiedlichster Methoden, Instrumentarien und theoretischer Konzepte zum Einsatz kommt, die sich wiederum einzelnen Strängen der Diskurssemantik bzw. Kritischen Diskursanalyse zuordnen lassen. Die stärker deutschsprachig verankerte Diskurssemantik kann Spitzmüller/ Warnke (2011: 81 – 97) zufolge in die folgenden Zweige aufgefächert werden: Historische Semantik (u. a. Busse 1987), linguistische Mentalitätsgeschichte (u. a. Hermanns 1994a; Scharloth 2005), linguistische Diskursgeschichte (u. a. Stötzel/Wengeler 1995; Jung/Niehr/Böke 2000) und kognitive Diskursanalyse (u. a. Fraas 1996; Konerding 2005; Ziem 2005). Innerhalb der Kritischen Diskursanalyse, die sowohl im deutsch- als auch im englischsprachigen Raum verwurzelt ist, können nach Reisigl (2009: 44 ff.) demgegenüber zumindest sechs Hauptvarianten unterschieden werden: Zum einen sind dies die Duisburger Gruppe (z. B. Jäger/Jäger 2007; Jäger 2004) und die damit verwandte Oldenburger Diskursanalyse (z. B. Januschek 1992; 2007), die beide an die Arbeiten von Foucault und Jürgen Link anknüpfen. Zum anderen zählen mit dem sozio-semiotischen Ansatz von Theo van Leeuwen und Gunther Kress (z. B. Kress/van Leeuwen 2008; van Leeuwen 2005; 2008) sowie dem sozialtheoretischen Zugang Norman Faircloughs (z. B. 1997; 2007) zwei Ansätze dazu, die vor allem die systemisch-funktionale Grammatik aufgreifen. Auch die soziokognitive Diskursanalyse nach Teun A. van Dijk (z. B. 2009; 1993) und die Wiener

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Kritische Diskursanalyse (auch bekannt als ›diskurshistorischer Ansatz‹)23, an der sich die vorliegende Arbeit am stärksten orientiert, zählen zu den sechs wichtigsten Repräsentanten der Kritischen Diskursanalyse. Neben den oben genannten diskurslinguistischen Grundannahmen, die die Kritische Diskursanalyse mit der Diskurssemantik teilt, unterscheidet sie sich von dieser vor allem in ihrem wissenschaftstheoretischen Selbstverständnis24 : So geht die Kritische Diskursanalyse davon aus, dass objektive, wertfreie oder neutrale Wissenschaft prinzipiell nicht möglich ist, da die subjektive Perspektive der Analysierenden und ihr persönliches Forschungsinteresse unweigerlich Einfluss auf die Analyse selbst nehmen. Gleichwohl soll der subjektive Standpunkt der Analysierenden dem wissenschaftlichen Anspruch keinen Abbruch tun, sondern vielmehr in der Forschungsarbeit transparent gemacht und selbstkritisch reflektiert werden (zum Beitrag, den QDA-Softwaretools in dieser Hinsicht leisten können, siehe Kapitel 2.5.3). In Bezug auf die Diskursforschung bedeutet dies, dass kritische DiskursanalytikerInnen mehr oder weniger offen postulieren, dass Diskurse nicht nur gesellschaftlich konstitutiv und konstruktiv sind, sondern auch durch den Forschungsprozess aktiv (mit-)konstruiert werden. Neben der Kontextabhängigkeit wird auch der Handlungscharakter von Sprache und anderen semiotischen Praktiken hervorgehoben – Diskurse werden somit als eine Form sozialer Praxis verstanden (vgl. de Cillia/Wodak 2009b: 14; Reisigl 2009: 45; Spitzmüller/Warnke 2011: 100). Der Kritischen Diskursanalyse geht es in weiterer Folge vor allem darum, aufzudecken, wie Sprache Machtverhältnisse nicht nur widerspiegelt, sondern wie Sprache und andere semiotische Praktiken auch dazu eingesetzt werden können, insbesondere ungleiche Machtverhältnisse zu reproduzieren und zu legitimieren, oder aber auch zu untergraben und ›umzukippen‹. Den Anstoß für eine kritische Diskursanalyse bildet daher oft ein bestimmtes gesellschaftliches Problem mit sprachli23 Der diskurshistorische Ansatz der Wiener Kritischen Diskursanalyse sollte keinesfalls mit der bereits erwähnten – deskriptiv ausgerichteten – linguistischen Diskursgeschichte verwechselt werden, die bisweilen ebenfalls unter dem Epitheton ›diskurshistorisch‹ fungiert (vgl. Jung 2011). Weitere Bezeichnungen für den (nicht mehr ausschließlich in Wien zu verortenden) ›Wiener Ansatz‹ der Kritischen Diskursanalyse sind ›discourse historical approach‹ und ›kritische Politolinguistik‹ (ital. ›politolinguistica critica‹) (vgl. Reisigl 2011: 459 f.). 24 Nicht unähnlich zur Diskurssemantik berufen sich auch viele kritische DiskursanalytikerInnen mehr oder weniger stark auf das Foucaultsche Theoriengebäude. Dabei rezipieren sie allerdings zumeist Werke der mittleren Schaffensperiode Foucaults, wo sich dieser zunehmend mit dem Verhältnis von Diskurs und Macht beschäftigt, während sich DiskurssemantikerInnen eher an den frühen Schriften Foucaults orientieren (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 99). Einen wichtigen (zumindest historischen) Bezugspunkt für das wissenschaftstheoretische und kritische Selbstverständnis der Kritischen Diskursanalyse stellt neben Foucault die Kritische Theorie der Frankfurter Schule – mit Vertretern wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas – dar.

Diskurslinguistik und Kritische Diskursanalyse

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chem Bezug (z. B. Rassismus und Diskriminierung), während die Analyse und deren Resultate dazu dienen können, etwa auf Grundlage ethischer oder demokratischer Maßstäbe Kritik25 zu üben, gegen Machtmissbrauch durch Sprache aufzutreten oder mangelhafte Kommunikationsverhältnisse in institutionellen Kontexten zu verbessern (vgl. Reisigl 2009: 45; 2011: 475). Dabei gilt es, die Systematik und ›Regelhaftigkeit‹ sprachlicher bzw. semiotischer Praktiken nicht nur von Individuen, sondern auch von Kollektiven und Institutionen herauszuarbeiten und zu zeigen, wie solche Praktiken zur Kundgabe und Verbreitung spezifischer Meinungen und Wertvorstellungen gebraucht werden (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 100). Wenngleich sprachliche bzw. semiotische Manifestationen, insbesondere Texte als kommunikative Einheiten das ausschlaggebende Datenmaterial für die Analyse darstellen, überschreitet die Kritische Diskursanalyse die Grenzen reiner Text- und Sprachanalyse und geht – je nach Fragestellung – vielfach transdisziplinär vor, um ihrem Interesse für komplexe soziale Problemlagen und deren Verknüpfung mit sprachlichen bzw. semiotischen Praktiken gerecht zu werden. In der vorliegenden Arbeit spielt Sprache dabei in mehrfacher Hinsicht eine Doppelrolle für die Analyse: Auf abstrakter Ebene werden durch Sprache einerseits Wissens-, Gesellschafts- und Machtstrukturen im sprachenpolitischen Kontext hergestellt bzw. ›konstituiert‹ – diese Überlegung korrespondiert sowohl mit dem bereits besprochenen diskurslinguistischen Diskurskonzept als auch mit der Sicht auf Sprache als Objektsprache. Auf konkreter Ebene stellt Sprache (im Sinn von Metasprache) andererseits das übergeordnete Thema des zu untersuchenden Diskurses dar, der in weiterer Folge als Variante eines ›Metasprachdiskurses‹ identifiziert werden kann (vgl. Kapitel 2.4). Die Kritik, die aus kritisch-diskursanalytischer Perspektive entwickelt wird, richtet sich dabei vor allem auf den sprachideologischen Komplex des ›Lingualismus‹ (siehe Kapitel 2.4) und dessen soziale Implikationen insbesondere im sprachenpolitischen Kontext Österreichs (bspw. in Bezug auf die Diskriminierung von sprachlich definierten Personengruppen im Fremdenrecht, die Zentrierung auf Ein- oder Zweisprachigkeitsziele im Schulwesen oder das Verfehlen von sprachenpolitischen Zielen, die auf EU-Ebene formuliert wurden). In diesem Abschnitt wurden die wichtigsten Grundzüge der Diskurslinguistik im Allgemeinen sowie einige der grundlegendsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der deskriptiv-epistemologischen Diskurssemantik und der Kritischen Diskursanalyse im Besonderen dargestellt. Da sich die vorliegende Arbeit wie bereits erwähnt hauptsächlich am diskurshistorischen Ansatz 25 Zum Begriff der Kritik in der (Wiener) Kritischen Diskursanalyse (diskurimmanente, soziodiagnostische und prospektive Kritik) siehe Reisigl/Wodak (2001: 32 ff.), Reisigl (2003: 78 ff.) und Reisigl (2011: 483 ff.).

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(DHA) der Wiener Kritischen Diskursanalyse orientiert, soll in den nächsten beiden Abschnitten die nähere Bestimmung der diskurstheoretischen und -methodischen Eckpunkte dieser Arbeit anhand des DHA vorgenommen werden. Wo dies für die vorliegende Studie von Relevanz und Nutzen ist, werden dabei die Konzepte und Instrumentarien des DHA mit jenen anderer diskurslinguistischer Ansätze sowie mit eigenen Überlegungen kombiniert (dies betrifft bspw. die Konzepte ›Sprachigkeit‹, Metasprachdiskurs und ideologische Polysemie sowie das Qualitative Daten-Analyse-Tool MAXQDA).

2.4. Metasprachdiskurse und ›Sprachigkeit‹ aus der kritisch-diskursanalytischen Perspektive des diskurshistorischen Ansatzes Im diskurshistorischen Ansatz wird ›Diskurs‹ als kontextabhängiges Bündel semiotischer (u. a. sprachlicher) Praktiken verstanden, die als solches auf ein Makrothema bezogen und diachronem Wandel unterworfen sind (vgl. Reisigl/ Wodak 2009: 89). Neben der Themenbezogenheit von Diskursen wird auch deren Handlungs- und Praxisbezug hervorgehoben (Diskurs wird als soziale Praxis begriffen), weshalb Diskurse als in sozialen Handlungsfeldern situiert aufgefasst und dargestellt werden. Charakteristisch für Diskurse ist außerdem deren »Problem- und Geltungsbezogenheit sowie die Argumentativität von Diskursen«, womit gemeint ist, »daß in Diskursen epistemische, deontische oder andere Geltungsansprüche präsuppositional oder explizit erhoben, problematisiert, begründet und akzeptiert werden« (Reisigl 2011: 480). Typisch für solche Geltungsansprüche, die in Diskursen argumentativ ausgehandelt werden, ist die Berufung auf Wahrheit oder normative Richtigkeit. Ein weiteres DHAspezifisches Definitionskriterium, das für die vorliegende diskursanalytische Studie eine große Rolle spielt, ist die Multiperspektivität von Diskursen: Innerhalb des gleichen Diskurses können die darin involvierten sozialen Akteure nach diesem Verständnis unterschiedliche (einschließlich untereinander opponierende und in sich widersprüchliche) Sichtweisen und Positionen einnehmen und vertreten.26 Das Diskursverständnis des DHA beinhaltet außerdem eine diskurstheoretische Vorannahme, die er mit anderen diskurslinguistischen Ansätzen teilt, nämlich dass Diskurse sowohl sozial konstituierend als auch sozial konstituiert sind – mit anderen Worten: Diskurse werden durch die soziale Wirklichkeit hervorgerufen und geformt, umgekehrt wird die soziale 26 Damit unterscheidet sich der DHA etwa von der Kritischen Diskursanalyse Faircloughs oder van Leeuwens, für die die Monoperspektivität von Diskursen ein ausschlaggebendes Definitionsmerkmal darstellt (vgl. Reisigl 2011: 480 f.).

Metasprachdiskurse und ›Sprachigkeit‹

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Wirklichkeit aber ebenso durch Diskurse geschaffen und geprägt. Was das Verhältnis zwischen Diskurs und Text betrifft, werden Diskurse als Komplex von »Sprachhandlungen und Sprachhandlungsabfolgen« verstanden, »die pragmatisch zu größeren kommunikativen Einheiten (schriftlichen Texten oder mündlichen Kommunikationssequenzen) verwoben sind« (Reisigl 2011: 479).27 Texte stellen also konkrete Manifestationen von Diskursen dar, während letztere auf einer abstrakteren Ebene anzusiedeln sind: Im Unterschied zu Diskursen handelt es sich bei Texten um konkret auffindbare Vorkommnisse (im Sinn von ›tokens‹) mit eindeutig bestimmbaren Anfangs- und Endpunkt, die durch eine ›zerdehnte Kommunikationssituation‹ (d. h. eine raumzeitliche Trennung von Produktion und Rezeption der Kommunikate) charakterisiert sind (vgl. Reisigl 2011: 479 ff.).28 Ausgehend von diesem Diskurskonzept des DHA soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Implikationen dieses Diskursverständnis für den im Folgenden zu untersuchenden Diskurs hat, wie sich dieser dadurch näher bestimmen lässt, und wie in weiterer Folge die wissenschaftliche Annäherung an ihn aus diskurstheoretischer sowie analytisch-methodologischer Perspektive erfolgen kann. Die erste Herausforderung besteht darin, das Thema des zu analysierenden Diskurses, wie er in Kapitel 2.1 annäherungsweise skizziert wurde, so festzulegen, dass damit auf einer systematischen Basis weitergearbeitet werden kann. Wie in den vorangegangen Abschnitten bereits angedeutet wurde, stellt auf der übergeordnetsten Ebene Sprache das Thema des zur Untersuchung stehenden Diskurses dar. Dies ist bereits an der Diskussion der Doppelrolle von Sprache als Objekt- und Metasprache deutlich geworden, die beide im Fokus der vorliegenden Studie stehen (vgl. Kapitel 2.2 und 2.3). Den Untersuchungsgegenstand bildet also ein ›Metasprachdiskurs‹, um eine Bezeichnung zu verwenden, die Spitzmüller (2005b: 47) für die »Gesamtheit aller Aussagen zum Thema Sprache« verwendet. Selbst wenn in dieser Definition der unspezifische Terminus der ›Aussage‹ im Foucaultschen Sinn durch den Begriff des ›Textes‹ im Sinn der Diskurskonzeption des DHA ersetzt wird, handelt es sich beim Metasprachdiskurs, also dem Diskurs über Sprache, immer noch um einen zu weit gefassten Analysegenstand, dessen Behandlung den Rahmen einer einzelnen (Fall-)Studie

27 Die hier angeführte Textdefinition, die auch innerhalb des DHA weitgehend der Funktionalen Pragmatik entnommen wird (vgl. Ehlich 1983: 26), lässt neben schriftlichen Texten auch ein Verständnis von mündlichen Texten (z. B. aus dem Gedächtnis auswendig rezitierte Gedichte oder Lieder) zu. 28 In diesem Sinn stellen Diskurse nicht nur ›Text(e) im Kontext‹ bzw. ›Text(e) plus Kontext‹ dar, wie im DHA alternativ zu der obigen Diskursdefinition mitunter postuliert wird, sondern sind über eine solche additive bzw. inklusive Bestimmung hinausgehend auf einem grundsätzlich anderen Abstraktionsniveau zu verorten.

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Theoretisch-methodischer Rahmen

bei weitem sprengen würde.29 Die Frage lautet also, welche Art von Metasprachdiskurs den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bildet. Zur weiteren Spezifikation des Diskurses würde sich das Thema Mehrsprachigkeit anbieten, jedoch zöge dies eine Reihe von Problemen nach sich, deren offenkundigstes der unterschiedliche Begriffsumfang dieser Bezeichnung je nach Positionierung im sozialen Feld (d. h. in Wissenschaft, Politik und ›Alltag‹) darstellt. So herrscht in der der Sprachlehr- und -lernforschung, als einer Teildisziplin der Angewandten Sprachwissenschaft, ein Verständnis von Mehrsprachigkeit als vielschichtiges Phänomen vor, das mit dementsprechend differenzierten Definitionen versehen wird. Darunter befindet sich eine Definition von »echter Mehrsprachigkeit«, die erst ab dem Erwerb einer dritten Sprache bzw. zweiten Fremdsprache vorliegt, sowie ein Verständnis von »innerer Mehrsprachigkeit«, die Kompetenzen in verschiedenen Varianten innerhalb der gleichen Sprache (z. B. standardsprachliche und dialektale Kompetenzen) einschließt (vgl. Bausch 2007; Wandruszka 1979). Diese beiden Konzeptionen sind Beispiele für ein Verständnis von Mehrsprachigkeit, das außerhalb des akademischen Bereichs kaum anzutreffen ist. Würde man einen solchen Mehrsprachigkeitsbegriff für die thematische Festlegung des zu untersuchenden Diskurses heranziehen, so wäre dessen Themenspektrum aufgrund eines akademischen ›bias‹ allzu sehr eingeschränkt. Insbesondere würde eine solche thematische Beschränkung gerade jene Bestandteile des Diskurses ausklammern, auf die sich das kritisch-diskursanalytische Forschungsinteresse dieser Studie richtet (bspw. sprachenpolitische Praktiken, die von Gesetzen und Richtlinien bis hin zu Wahlkampfinseraten reichen und dabei nicht unbedingt ›Mehrsprachigkeit‹ im linguistischen Sinn zum Thema haben müssen; vgl. Kapitel 2.1). Auch beim Thema ›Sprachfähigkeit‹ oder ›Sprachkenntnisse‹ würden sich in dieser Hinsicht ähnliche Probleme stellen, da ein solcher Fokus beispielsweise die Thematisierung von tatsächlichem Sprachgebrauch, der Verfügbarkeit sprachlicher Produkte (z. B. mehrsprachiger Medien), oder von ›linguistic landscapes‹ (z. B. mehrsprachigen Aufschriften auf Ortstafeln oder Waren) ausklammern oder zu einem Nebenaspekt degradieren würde.30 Statt ›Mehrsprachigkeit‹ soll daher im Folgenden ein weiter gefasster Terminus als Bezeichnung für das konstituierende Thema des gegenständlichen 29 Der Metasprachdiskurs bzw. der Diskurs über Sprache kann als ›Gesamtdiskurs‹ aufgefasst werden, der mehrere ›Teil‹- und ›Subteildiskurse‹ mit jeweils unterschiedlichen diskursiven Regeln beinhaltet, z. B. den Diskurs über Anglizismen oder über Sprachkenntnisse (vgl. Spitzmüller 2005b: 52). 30 Mit dem Begriff ›linguistic landscape‹ wird sowohl der Gebrauch von visuell gestalteter Sprache im öffentlichen Raum als auch das Forschungsparadigma bezeichnet, das dieses Phänomen (v. a. im städtischen Bereich) untersucht (siehe u. a. Landry/Bourhis 1997; Gorter 2006).

Metasprachdiskurse und ›Sprachigkeit‹

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Diskurses fungieren, das die genannten Phänomene miteinzuschließen vermag. Hierfür möchte ich den Kunstbegriff ›Sprachigkeit‹31 einführen, der sich als Hyperonym vom Lexem ›Mehrsprachigkeit‹ ableiten lässt: Unter ›Sprachigkeit‹ subsumiere ich demnach alle Formen von Sprachfähigkeit, Sprachverfügbarkeit, Sprachverbreitung und Sprachverwendung. Beispiele für Subthemen (Hyponyme) zum Makrothema ›Sprachigkeit‹ lassen sich am einfachsten (aber nicht ausschließlich) durch Hinzufügung entsprechender Präfixe finden: Zu den bekannteren Formen von ›Sprachigkeit‹ zählen etwa Mehr-, Ein- und Zweisprachigkeit, gebräuchliche Termini sind aber auch Anders-, Fremd-, Halb- oder Deutschsprachigkeit sowie die entsprechenden Adjektive (mehrsprachig, deutschsprachig etc.). Was an diesen Lexemen auffällt, ist deren Qualität als ideologisch gefärbte Schlagworte, die auf den ersten Blick mit spezifischen Konnotationen einherzugehen scheinen: Mehrsprachigkeit wäre demnach etwa positiv und Einsprachigkeit negativ konnotiert. Bei näherer Betrachtung (und unter Vorwegnahme einiger Ergebnisse der österreichischen Fallstudie) stellt sich allerdings heraus, dass viele der Schlagworte mit der Endung auf -sprachigkeit ideologisch polysem sind, d. h. je nach (partei-)ideologischer Positionierung kann ein und dasselbe Schlagwort ein positiv konnotiertes Fahnenwort oder ein negativ konnotiertes Stigmawort darstellen (vgl. Dieckmann 1969: 70; Girnth 2002: 52). Wie in Kapitel 3.2.2 gezeigt wird, nehmen beispielsweise die Schlagwörter einsprachig und Fremdsprachigkeit eine solche Rolle ein, sodass sich deren Bedeutung erst in Abhängigkeit ihres ideologischen Gebrauchs und Kontextes erschließt. Die Verwendung des Schlagworts Mehrsprachigkeit wird demgegenüber von bestimmten (sprachideologischen bzw. politischen) Parteien wie der FPÖ gezielt vermieden, weil es sich aus deren Sicht nur zur Artikulierung und Affirmierung, nicht aber zur Diffamierung gegnerischer Positionen eignet. Die genannten Schlagworte (mehrsprachig, einsprachig, deutschsprachig etc.) werden also eingesetzt, um die Deutungshoheit über ein Thema zu erlangen, das sich aus neutraler (d. h. übergeordneter) Perspektive daher nicht als ›Mehrsprachigkeit‹, sondern eben als ›Sprachigkeit‹ darstellt. Ein Diskurs über das Thema ›Mehrsprachigkeit‹ wäre in diesem Sinn monoperspektivisch, was dem diskurshistorischen Verständnis von Diskursen als prinzipiell multiperspektivisch widersprechen würde. Der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ beinhaltet demgegenüber mehrere verschiedene (auch gegensätzliche) Sichtweisen, die von den jeweiligen DiskursteilnehmerInnen vorgebracht werden (wobei ein

31 Alternativ zu diesem Kunstbegriff wird im Folgenden auch die synonyme Bezeichnung ›(Mehr-)Sprachigkeit‹ verwendet, um die Verständlichkeit und Wiedererkennbarkeit des Kunstbegriffs durch den vorangestellten ›context clue‹ (zumindest im schriftlichen Gebrauch) zu erhöhen.

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sozialer Akteur zwischen verschiedenen Perspektiven flexibel wechseln und auch mehrere widersprüchliche Positionen einnehmen kann). Der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ unterscheidet sich in einigen erwähnenswerten Punkten von anderen ›Metasprachdiskursen‹. Historisch gesehen handelt es sich um einen relativ jungen Diskurs, der vor allem seit der letzten Jahrtausendwende (durch eine verstärkte Thematisierung von ›Sprachigkeit‹ in Wissenschaft, Politik und Medien) einen Auftrieb erhalten hat. Vorläufer dieses Diskurses lassen sich allerdings bereits in verschiedenen Metasprachdiskursen des ausgehenden 20. Jahrhundert finden, beispielsweise im Diskurs über Anglizismen, über Jugendsprache oder über die deutsche Rechtschreibreform. Was diese ›älteren‹ Metasprachdiskurse auszeichnet, ist zum einen ihr Fokus auf einen sprachpolitischen Problembereich, d. h. auf Fragen, die sich auf das innere System einer bestimmten Sprache (auf den Ebenen des Lexikons, der Orthographie usw.) beziehen. Charakteristisch für solche Metasprachdiskurse im sprachpolitischen Kontext ist die Thematisierung und Problematisierung von Sprachnormen und Sprachwandel aufgrund kulturpessimistischer Deutungsmuster. Ein Beispiel hierfür ist, dass Sprachwandelsprozesse von DiskursteilnehmerInnen außerhalb des akademisch-linguistischen Bereiches zumeist als »Sprachverfall« interpretiert werden (Spitzmüller 2005b: 3). Im Gegensatz zu diesen etwas ›älteren‹ Metasprachdiskursen stehen im aktuellen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ keine sprachpolitischen, sondern sprachenpolitische Fragen im Vordergrund, also Maßnahmen und Aspekte, die die Funktionen und Relationen zwischen mehreren Sprachen betreffen (zur Unterscheidung zwischen Sprachund Sprachenpolitik siehe Kapitel 2.2). Selbstverständlich sind zwischen Sprach- und Sprachenpolitik und damit auch zwischen ›alten‹ und ›neuen‹ Metasprachdiskursen zahlreiche Übergänge zu finden. Als Beispiel dafür mag in dieser Hinsicht das Deutungsmuster der ›Überfremdung‹ gewertet werden, das sowohl in Hinblick auf Anglizismen im sprachpolitischen Sinn (vgl. Spitzmüller 2005b: 246) als auch in Bezug auf die (Anders-)Sprachigkeit von MigrantInnen im sprachenpolitischen Kontext von Relevanz ist. Eine zunehmende Verzahnung von »Sprachaußen- und Sprachinnenpolitik« in Bezug auf die Fremdwortdebatte in Deutschland stellt auch Jung (1995: 266 ff.) fest, der in diesem Zusammenhang von einer »Renaissance nationaler Sprachargumentation« spricht. Die thematische Verlagerung innerhalb der Metasprachdiskurse der letzten Jahrzehnte vom inneren Sprachsystem einer Einzelsprache wie Deutsch zum Beziehungsgefüge zwischen mehreren Sprachen und ihren SprecherInnen ist dabei kaum zu übersehen, ebenso wenig wie die sprachenpolitischen Implikationen dieses diskursiven Wandels in weiten Teilen Europas (bspw. in Form von gesetzlich verankerten Pflichten, Kenntnisse in der jeweiligen Landessprache nachzuweisen). In Hinblick auf die interdiskursiven Verbindungen bedeutet dies, dass etwa der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ we-

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sentlich stärker an den Diskurs über Migration gekoppelt ist, als es beim Diskurs über Anglizismen der Fall ist. Wie im Laufe dieser Arbeit zu zeigen sein wird, beruht der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ dabei weniger auf der Dominanz kulturpessimistischer Deutungsmuster als vielmehr auf einer spezifischen Verzahnung von Ideologien wie Kulturalismus, Moralismus und Paternalismus mit einem Komplex von Sprachideologien, für den ich – in Analogie zum Kunstbegriff ›Sprachigkeit‹ – die Bezeichnung ›Lingualismus‹ vorschlage. Was diesen sprachideologischen Komplex auszeichnet, ist die kollektiv geteilte und gesellschaftlich wirkmächtige Vorstellung, dass Sprachen homogene, abgeschlossene, naturgegebene und zählbare Einheiten darstellen, die von deren jeweiligen SprecherInnen auf unterschiedlichen Niveaus beherrscht werden (vgl. Makoni/ Pennycook 2007b: 2 ff.). Aus lingualistischer Perspektive stellt dabei der ›Native Speaker‹ bzw. das muttersprachliche Niveau (bzw. ›Muttersprachigkeit‹) die ideale Norm dar (vgl. Doerr 2009). Mehrsprachigkeit wird diesem Paradigma folgend demgegenüber als jener Ausnahmefall wahrgenommen, der eintritt, wenn eine Person mehrere Sprachen auf muttersprachlichem Niveau beherrscht – Mehrsprachigkeit wird also als eine numerisch erweiterte Muttersprachigkeit konzipiert. Ebenfalls zum Komplex des Lingualismus zählt die Vorstellung, dass Menschen und Sprachen im Normal- bzw. Idealfall über jeweils eine (einzige) Sprache verfügen, und dass Sprachen aufgrund bestimmter Parameter (bspw. Sprecherzahl, geographische Sprachverbreitung oder Möglichkeiten sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Nutzbarmachung) nach ihrem Prestige und absoluten Wert klassifiziert werden können und sich in dieser Hinsicht in einer feststehenden hierarchischen Ordnung befinden. Neben Reifizierungen und Essentialisierungen dieser Art ist für den Lingualismus auch der ›Commonsense‹-Charakter typisch, d. h. lingualistische Vorstellungen knüpfen am kollektiv geteilten Alltagswissen an, das als selbstverständlich gilt und daher in der Regel weder zu begründen noch zu hinterfragen ist. Der Begriff ›Lingualismus‹ (engl. ›lingualism‹) ist vor allem in der Philosophie gebräuchlich, wo er etwa jene Strömungen bezeichnet, die von einer Abhängigkeit des menschlichen Denkens von der Sprache ausgehen (vgl. Barth 2011), oder die eine Analyse der Sprache als einzig gangbaren Weg zur Bearbeitung philosophischer Probleme betrachten (gemeint ist allerdings eine philosophische, und nicht etwa eine linguistische Analyse) (Nida-Rümelin 2006: 43). Folgt man diesem Einordnungsversuch, so wären etwa VertreterInnen der analytischen Philosophie oder des Wiener Kreises dem Lingualismus zuzurechnen, darunter solch prominente Philosophen wie Bertrand Russell, Rudolf Carnap, Otto Neurath oder Ludwig Wittgenstein, aber auch Poststrukturalisten wie Michel Foucault und Jacques Derrida wären demzufolge als Lingualisten zu klassifizieren (ebd.). Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist der Terminus ›Lingualismus‹ analog zur Begriffsverwendung in der Philosophie zu verstehen,

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wird aber von der wissenschaftstheoretisch-philosophischen auf die ideologisch-politische Bedeutungsebene verlagert: Der Kern des ideologischen Systems des Lingualismus besteht demnach in der Überzeugung, dass bestimmte (gesellschafts-)politische Probleme in erster Linie durch Sprache zu lösen wären, genauer gesagt durch sprachenpolitische Maßnahmen im Allgemeinen sowie durch die Thematisierung und Beeinflussung von ›Sprachigkeit‹ (d. h. von bestimmten Formen der Sprachfähigkeit, -verfügbarkeit, -verbreitung und -verwendung) im Besonderen. Vor dem Hintergrund des Lingualismus kann damit auch die zunehmende Politisierung und Instrumentalisierung von Sprache im Kontext rezenter Entwicklungen auf supranationaler und nationaler Ebene Europas erklärt werden. Neben der Philosophie sind vereinzelte Verwendungen des Begriffs ›Lingualismus‹ auch in der Mehrsprachigkeitsforschung zu finden, allerdings bezeichnet er dort nicht – wie in dieser Arbeit – einen (sprach-)ideologischen Komplex, sondern etwa ein Konzept zur Erfassung nicht-zählbarer Sprachfähigkeitsformen (im Sinn von ›Sprachigkeit‹) auf einem Kontinuum zwischen Mono- und Bilingualismus (Adamek 2004; vgl. Davies 2003: 77 ff.).32 Was die Übersetzbarkeit des Begriffs anbelangt, kann der Kunstterminus ›lingualism‹ im Englischen sowohl als thematischer Überbegriff für Sprachfähigkeitsformen als auch als Bezeichnung für den sprachideologischen Komplex herangezogen werden. Zur besseren Unterscheidbarkeit bietet sich für letzteren die Bezeichnung ›ideologies of languageness‹ an (vgl. Makoni/Pennycook 2007a: 1, 32; Train 2009b: 49).33 Im Englischen existiert zudem der von Skutnabb-Kangas geprägte Begriff ›linguicism‹ (dt. ›Linguizismus‹) für ein Ideologiebündel, das mit dem Lingualismus zwar eng verwandt ist und sich mit diesem überschneidet, dabei aber (anders als der Lingualismus) vorwiegend auf diskriminierende und rassistische Ideologien beschränkt bleibt: »Linguicism can be definied as ideologies and structures which are used to legitimate, effectuate and reproduce an unequal division of power and resources (material and non-material) between groups 32 Andernorts scheint der Begriff ›Lingualismus‹ zwar in einem ähnlichen Sinn wie in der vorliegenden Arbeit verwendet zu werden, allerdings ohne ihn genauer zu definieren – etwa in Niehr (2006), wo der Terminus zwar Bestandteil des Titels ist, im eigentlichen Text aber gar nicht mehr vorkommt. 33 Der Begriff ›languageness‹, der im Englischen in überraschend vielen Kontexten auf unterschiedlichste Weise verwendet wird (wie etwa eine Anfrage mit einer beliebigen InternetSuchmaschine ergibt), wäre natürlich noch zu präzisieren. Nimmt man das Suffix -ness als Ausgangspunkt hierfür, so könnte sich ›languageness‹ beispielsweise auf die Wesenheit und den Zustand von Sprache oder die Eigenschaft des ›Sprachseins‹ beziehen (die äquivalente deutsche Bezeichnung hierfür wäre wohl ›Sprachlichkeit‹, also die Substantivierung des Adjektivs ›sprachlich‹). Eine weitere Alternative wäre die Bezeichnung ›ideologies of speakerhood‹ (Train 2009a: 192 ff.), die allerdings wegen ihres Fokus auf SprecherInnen einen engeren Bedeutungsumfang als die Termini ›Lingualismus‹ und ›languageness‹ aufweist.

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which are defined on the basis of language (on basis of their mother tongues)« [Hervorhebung im Original, ND] (Skutnabb-Kangas 1988: 13; vgl. Phillipson 1988; Phillipson/Skutnabb-Kangas 1996: 437). Der zu untersuchende Diskurs wird also zum einen durch das Thema ›Sprachigkeit‹ bestimmt, und zum anderen durch den (in sich heterogenen) sprachideologischen Komplex des Lingualismus. Das diskurskonstituierende Thema ist dabei nicht isoliert, sondern in Verknüpfung mit anderen Themen und Subthemen zu betrachten. Ein Terminus, der sich für die Beschreibung solcher thematischen Verbindungen in der Diskursanalyse durchgesetzt hat, ist Interdiskursivität (Verknüpfung von Diskursen im Sinn von ›types‹) bzw. Intertextualität (Verknüpfung von Texten im Sinn von ›tokens‹). Ausgehend vom Diskursverständnis des DHA bezeichnet Interdiskursivität – im engen Sinn – die Verbindung eines Diskurses über Makrothema A (z. B. ›Sprachigkeit‹) mit einem Diskurs über Makrothema B (z. B. Migration), wobei beide Makrothemen wiederum mit bestimmten (Sub-)Themen verbunden sind (z. B. Sprachkenntnisse, Deutschlernpflicht, Sprachunterricht, Fremdenrecht etc.). Interdiskursivität im weiten Sinn bezieht sich auf Verknüpfungen sämtlicher Aspekte und Bestandteile des Diskurses (z. B. zwischen verschiedenen Texten, Genres oder Sphären wie der öffentlichen und der privaten Diskurssphäre). Der Begriff Intertextualität umfasst demgegenüber ausschließlich das Beziehungsgefüge von konkret vorliegenden Texten, beispielsweise durch Verweise und direkte oder indirekte Zitate. Intertextualität geht mit Prozessen der Rekontextualisierung einher, worunter das Transferieren gegebener Elemente in neue Kontexte zu verstehen ist (vgl. Reisigl/Wodak 2009: 90). Eine weitere relevante Kategorie zur Beschreibung von Diskursen ist das ›Genre‹ (auch: ›Textsorte‹). Dieses stellt wie der Diskurs ein ›type‹ dar, ist aber von seinem Abstraktionsniveau zwischen dem Diskurs und dem Text (als ›token‹) anzusiedeln. Diskurse schlagen sich also nicht unmittelbar in Textform nieder, vielmehr werden Diskurse und Texte in Form von Genres realisiert – oder, in anderen Worten: Genres dienen (im übertragenen Sinn) zur ›Artikulation‹ von Texten und Diskursen. Genres stellen sozial verankerte Sprachgebrauchsweisen dar, die an bestimmte soziale Aktivitäten und Kommunikationsziele gebunden sind (vgl. Fairclough 1995: 14): Eine Rede erfüllt etwa einen anderen sozialen Zweck als ein Interview oder ein Gesetz. Genres haben also einen funktionalen Charakter in dem Sinn, dass sie von sozialen AkteurInnen zur Bearbeitung wiederkehrender Problemsituationen eingesetzt werden (vgl. Gruber/Muntigl 2005: 7 f.). Konstitutiv für das Erlernen und die Verwendung, aber auch für die Veränderung bestehender und die Entwicklung neuer Genres ist die Diskursgemeinschaft (engl. ›discourse community‹) (vgl. Swales 1993). Was die Diskursgemeinschaft dabei ausmacht, sind die gemeinsamen Ziele und Interessen ihrer Mitglieder, also derjenigen Personen, die als Gruppe die je-

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weiligen Genres verwenden (vgl. de Cillia/Wodak 2009b: 14). Zu beachten ist, dass Genres zwar einerseits an spezifische Kontexte geknüpft sind, andererseits aber auch bestimmte Kontexte hervorrufen oder ›invozieren‹ (vgl. Gruber/ Muntigl 2005: 14). Die Verwendung des Genres ›Interview‹ ist bspw. an bestimmte Anlässe gebunden, bewirkt aber zugleich die Konstituierung einer interviewspezifischen Kommunikationssituation. Wie eingangs bereits angesprochen wurde, spielen sich Diskurse innerhalb von sozialen Handlungsfeldern ab – einer Kategorie, die an das Konzept des ›sozialen Feldes‹ bei Bourdieu angelehnt ist (vgl. Reisigl/Wodak 2009: 90; Reisigl 2011: 481). Die Handlungsfelder stellen eine Rahmung für Diskurse dar, stehen zu diesen aber nicht in einem Inklusionsverhältnis, sondern verlaufen quer zu ihnen. Anders als bei Bourdieu werden die sozialen (Handlungs-)Felder dabei nicht in erster Linie über die jeweils handelnden Akteure bestimmt, sondern über die Funktion bzw. den Zweck der Handlungen. Zur Operationalisierung und Veranschaulichung der Handlungsfelder von Diskursen im politischen Kontext hat sich im DHA die Unterscheidung zwischen folgenden acht Feldern politischer Handlungen nach Girnth (1996) durchgesetzt: (1) Gesetzgebung, (2) öffentliche, (3) innerparteiliche sowie (4) zwischenparteiliche Meinungs-, Einstellungs- und Willensbildung, (5) zwischenstaatliche Beziehungen, (6) politische Werbung, (7) politische Exekutive und (8) politische Kontrolle. Jedes dieser acht Handlungsfelder ist mit bestimmten Genres und Subgenres verbunden, die zur Realisierung konkreter Texte dienen und damit auch zur Konstituierung der (Sub-)Themen im Diskurs beitragen. Die Zusammenhäge zwischen Handlungsfeldern, Genres und Themen eines Diskurses lassen sich grafisch veranschaulichen: Eine solche Übersicht über den Diskurs findet sich in Abbildung 2 für den Diskurs über ›Sprachigkeit‹, wie er im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht. In der obigen Abbildung werden die genannten acht politischen Handlungsfelder in der vom DHAvorgeschlagenen Darstellungsweise für den Zweck dieser Studie auf vier Felder reduziert (vgl. Reisigl/Wodak 2009: 91; 2001: 34; Wodak/Krzyz˙anowski 2008: 16): Auf eine Anführung der inner- und zwischenparteilichen Meinungsbildung sowie der politischen Kontrolle wird verzichtet, da diese drei Handlungsfelder im Folgenden nicht gesondert berücksichtigt werden. Das Handlungsfeld der zwischenstaatlichen Relationen (inkl. inter- und supranationale Beziehungen) wird von der vertikalen auf die horizontale Ebene verlagert, da es dem Forschungsinteresse entsprechend als querliegend zu den anderen vier Handlungsfeldern konzeptionalisiert wird. Innerhalb dieser vier Handlungsfelder kann nun zwischen der EU-Ebene und der nationalen österreichischen Ebene unterschieden werden, was dem diskursanalytischen Fokus auf das Spannungsfeld zwischen nationaler und supranationaler Sprachenpolitik Rechnung trägt. In den vier Feldern sind –

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Abbildung 2: Handlungsfelder, Genres und Themen des Diskurses über ›Sprachigkeit‹

unterschieden nach nationaler und supranationaler Ebene – jene Genres und Subgenres verortet, die in der einen oder anderen Form Berücksichtigung in der vorliegenden diskursanalytischen Untersuchung finden. Im politischen Handlungsfeld der Gesetzgebung (›lawmaking‹) auf EUEbene sind dies etwa Verträge wie der Beitrittsvertrag Österreichs zur EU (inklusive Protokoll Nr. 10), Mitteilungen (›communications‹) der EU-Kommission (z. B. »Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit«) oder Verordnungen (z. B. »Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft«). Ähnliche Genres (Gesetze, Verordnungen etc.) finden sich im gleichen Handlungsfeld auf nationaler österrei-

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chischer Ebene, etwa das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), das die derzeit gültige Fassung der ›Integrationsvereinbarung‹ sowie die Regelung ›Deutsch vor Zuwanderung‹ (»Nachweis von Deutschkenntnissen«) enthält (siehe BGBLA 2011). Auf die genannten Genres und Texte im Handlungsfeld Gesetzgebung wird in Kapitel 3 näher eingegangen, und zwar aus inhaltlicher, historischer und politischer Sicht. Darüber hinaus werden sie aber zum Teil auch als Bestandteil des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ in Kapitel 4 analysiert, sofern sie in den Interviews, Gruppendiskussionen oder Printmedien thematisiert wurden. Sowohl die interviewten Politiker als auch die GruppendiskussionsteilnehmerInnen wurden gebeten, zur Integrationsvereinbarung und zu Zitaten aus der EU-Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit, aber auch zu anderen Impulstexten Stellung zu nehmen. Die öffentliche Meinungsbildung auf EU-Ebene beinhaltet die Kommunikation jener sprachenpolitischen Anliegen der EU, die sich in erster Linie an die Medien und die Bevölkerung auf der nationalen Ebene der einzelnen Mitgliedsstaaten richten. Im Gegensatz zu dieser Form der EU-externen Kommunikation wendet sich die EU-interne Kommunikation an Adressaten innerhalb des institutionellen Gefüges der EU, bspw. an die einzelnen EUOrgane (ein prototypisches Genre hierfür wäre die »Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen«). Für die öffentliche Meinungsbildung im Rahmen EU-externer Kommunikation ist die Generaldirektion Kommunikation (GD KOMM) der Europäischen Kommission zuständig. Die GD KOMM widmet sich laut Eigendarstellung zwei Aufgaben: Zum einen ist dies die Informierung der Medien und BürgerInnen über die Aktivitäten und politischen Ziele der Kommission und zum anderen die Informierung der Kommission über die Entwicklung der öffentlichen Meinungsbildung34. Um diese Aufgabe zu bewältigen, greift die GD KOMM in erster Linie auf das Genre der Pressemitteilung zurück. Zur Publikation, Abwicklung und Archivierung solcher Pressemitteilungen verwendet die GD KOMM die öffentlich zugängliche Datenbank ›RAPID‹ (siehe http://europa.eu/ rapid). Diese Datenbank stellt eines der »dissemination services« der GD KOMM dar und beinhaltet vorwiegend Pressemitteilungen der Europäischen Kommission seit dem Jahr 1985. Daneben sind in dieser Datenbank auch Pressemitteilungen anderer EU-Organe und (Sub-)Genres wie Memos oder Reden von EU-Kommissaren abrufbar. Die Bemühungen der EU, ihre (sprachen-)politischen Anliegen auf der nationalen Ebene der Politik, der Medien und der Bevölkerung zu vermitteln 34 vgl. http://europa.eu/rapid/showInformation.do?pageName=about (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012)

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und zu propagieren, sind dabei nicht immer von Erfolg gekrönt. Dies wird in der (v. a. politologischen und kommunikationswissenschaftlichen) Forschung unter dem Gesichtspunkt einer Reihe von Defiziten auf EU-Ebene diskutiert: Neben einem Kommunikationsdefizit35 wird etwa ein Demokratiedefizit oder das Fehlen einer EU-weiten öffentlichen Sphäre für den Bruch verantwortlich gemacht, der zwischen der EU, den Mitgliedsstaaten und ihren BürgerInnen verläuft, und der sich insbesondere in Österreich auch in einer entsprechend hohen EU-Skepsis auf Bevölkerungsebene niederschlägt (vgl. Wodak 2009; Kraus 2008; Krejci 2004; Saurwein et al. 2006)36. Die für die nationale Ebene relevanten Genres im Handlungsfeld der öffentlichen Meinungs-, Einstellungsund Willensbildung stimmen mit den Typen der selbst erhobenen Daten überein, die in Kapitel 4 aus diskursanalytischer Perspektive untersucht werden: Printmedienartikel, Gruppendiskussionen und Politikerinterviews. Die Diskrepanz, die in diesem Handlungsfeld in den genannten Genres (bspw. zwischen EU-Pressemitteilungen und österreichischen Printmedienartikeln) in Bezug auf sprachenpolitische Fragen zum Ausdruck kommt, ist Gegenstand der Analyse in Kapitel 3 und 4 (vgl. Dorostkar/Flubacher 2010). Im Handlungsfeld der politischen Exekutive und der Rechtsprechung sticht ein Genre (in unterschiedlichen Varianten) besonders hervor : der Entscheid. Einen Subtypus stellen jene Entscheide bzw. Urteile dar, der beispielsweise auf EU-Ebene vom Europäischen Gerichtshof (EuGh) und auf nationaler Ebene vom österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGh) ausgesprochen werden. Für den untersuchten Diskurs über ›Sprachigkeit‹ im sprachenpolitischen Kontext ist insbesondere das EuGh-Urteil im Fall ›Groener‹ relevant, das in den Gruppendiskussionen als Gesprächsgegenstand vorgegeben wurde (siehe Kapitel 3.1 und 4.1.2.1). Auf österreichischer Ebene werden hingegen in Bezug auf den Kärntner Ortstafelstreit der VfGh-Entscheid und dessen eigenwillige (Nicht-)Umsetzung durch den Kärntner Landeshauptmann sowohl in den Politikerinterviews als auch (indirekt bzw. implizit) in den Gruppendiskussionen thematisiert. Eine andere Form des Entscheids im fremdenrechtlichen Kontext stellen Aufenthalts- und Niederlassungsgenehmigungen auf der einen Seite und Ausweisungsbescheide auf der anderen Seite dar, die insofern eine sprachenpolitische Schlagseite aufweisen, als das Aufenthalts- und Nieder35 Dass ein solches Kommunikationsdefizit von der EU selbst als Problem wahrgenommen und bearbeitet wird, zeigt u. a. die von der Kommission entwickelte EU-Kommunikationsstrategie »Partnerschaft für die Kommunikation über Europa« (siehe Europäische Kommission 2007b). 36 In einer diskursanalytischen Studie zu europäischen Identitäten kommt etwa Wodak (2003) zum Schluss, dass der sprachenpolitische Diskurs über Mehrsprachigkeit großteils auf Eliteund Expertenkreise beschränkt bleibt, da das Thema EU-Sprachenpolitik weder in den analysierten Politikerreden noch in deren Rezeption in den Medien eine Rolle spielt.

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lassungsrecht u. a. an den Nachweis von Deutschkenntnissen gekoppelt ist – diese Form des ›Deutschzwangs‹ stellt im untersuchten Datenmaterial ebenfalls ein diskursrelevantes Thema dar. Im Handlungsfeld der politischen Werbung werden schließlich jene Genres in der Analyse berücksichtigt, die zu Wahlkampfzeiten im öffentlichen Raum besonders stark sichtbar sind, und die in Österreich seit einigen Jahren vermehrt sprachbezogene Sujets aufweisen, nämlich Werbungsinserate und Plakate diverser Parlamentsparteien (siehe Kapitel 3.2.2). Da sich die Bediensteten in den einzelnen EU-Organen entweder gar nicht öffentlichen Wahlen stellen oder im Fall der Abgeordneten des Europäischen Parlaments statt auf supranationaler nur auf nationaler Ebene durch das Volk gewählt werden können, fällt die politische (Wahl-)Werbung auf EU-Ebene weitgehend weg, sodass sich in diesem Handlungsfeld nur Genres auf nationaler Ebene befinden (siehe Abbildung 2).37 Auf der untersten Ebene des Diagramms befinden sich die Themen, die mit Hilfe der Genres in den jeweiligen Handlungsfeldern realisiert werden. Die Themen und Subthemen im Diskurs über ›Sprachigkeit‹ weisen dabei eine große Bandbreite auf und überschneiden sich vielfach. Eine Zuordnung bestimmter Themen zu einzelnen Handlungsfeldern ist daher nicht möglich. Vielmehr kann ein bestimmtes (Sub-)Thema (z. B. die ›Integrationsvereinbarung‹) innerhalb eines Handlungsfeldes (z. B. der Gesetzgebung) seinen Ausgangspunkt nehmen und sich in weiterer Folge über die anderen Handlungsfelder ausbreiten, wo dieses (Sub-)Thema dann mit anderen (Sub-) Themen des gleichen Diskurses (intradiskursiv) bzw. mit jenen anderer Diskurse (interdiskursiv) verknüpft wird (vgl. Reisigl/Wodak 2009: 90). Die in Abbildung 2 angeführten zwölf Themen (bzw. sechs Subthemen zum Thema ›Sprache‹) stellen eine Auswahl der wichtigsten Themen im Diskurs über ›Sprachigkeit‹ dar : Bildung, Wirtschaft, Kultur, Migration & Minderheiten, Medien, Politik, Ideologie, Prinzipien & Werte, Recht, EU, Sprache und Wissenschaft & Forschung. Diese Auswahl wurde aus den Ergebnissen der österreichischen Fallstudie destilliert (siehe Kapitel 4) und soll bereits an dieser Stelle einen ersten Überblick über die relevanten Themen des Diskurses ermöglichen.

37 Das Fehlen eines europäischen Staats- bzw. Wahlvolkes, an das sich eine EU-Wahlwerbung auf supranationaler Ebene richten müsste, stellt aus politologischer Sicht wiederum einen der Gründe für das bereits erwähnte ›Demokratiedefizit‹ der EU dar.

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Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

2.5. Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse 2.5.1. Forschungsdesign und Untersuchungskorpus Um einen Vergleich zwischen der öffentlichen und der halb-privaten Sphäre des österreichischen Diskurses über ›Sprachigkeit‹ anstellen zu können, wurde dem Prinzip der Datentriangulation entsprechend Diskursmaterial aus drei verschiedenen Bereichen erhoben: aus den Medien und der Politik (öffentliche bzw. halb-öffentliche Sphäre) sowie aus der Bevölkerung (halb-private Sphäre). Hierfür wurden Methoden der qualitativen Sozialforschung – halbstrukturierte themenzentrierte Interviews mit Politikern und Gruppendiskussionen mit BürgerInnen – angewendet und Datenbankrecherchen zur Erstellung eines Printmedienkorpus durchgeführt. Während der Datenerhebung und Analyse kamen mehrere Softwaretools zum Einsatz: Die Transkription der aus den Interviews und Gruppendiskussionen gewonnenen Audio-Daten orientierte sich an den HIAT-Konventionen (›Halb-Interpretative Arbeitstranskriptionen‹) und wurde mit Hilfe des Partitur-Editors EXMARaLDA vorgenommen. Für die Erstellung des Printmedienkorpus wurden die beiden Online-Datenbanken ›APA DeFacto‹ und ›Wiso Praxis/Presse‹ durchsucht. Für die Analyse des Hauptkorpus, bestehend aus Politikerinterviews, Gruppendiskussionen und Printmedienartikeln, wurde schließlich auf ›MAXQDA‹, einer Software zur Analyse qualitativer Daten, zurückgegriffen. Ergänzend zu diesem Korpus, das den Hauptbestandteil des analysierten Datenmaterials umfasst, wurden Wahlwerbungstexte österreichischer Parlamentsparteien sowie EU-Pressemitteilungen zum Thema Mehrsprachigkeit ausgewertet (siehe Kapitel 3). Die Texte der Kommission wurden mit Hilfe der EU-Datenbank ›RAPID‹ erhoben und in Hinblick auf ihre Verschlagwortung analysiert. Mit welchen Methoden die einzelnen Daten erhoben wurden, wird zu Beginn der jeweiligen Abschnitte in Kapitel 4 beschrieben. Im Folgenden wird eine allgemeine Charakterisierung des Datenmaterials im Untersuchungskorpus vorgenommen.

Tabelle 3: Charakterisierung des Datenmaterials im Gesamtkorpus Sphäre Politik

Datenmaterial Interviews mit österreichischen Sprachenpolitikern Wahlwerbung österreichischer Parlamentsparteien

Zeitraum Umfang 2009 – 6 Interviews 2010 (5 mündlich, 1 schriftlich) 2005 – 10 Texte (6 Plaka2010 te, 3 Inserate, 1 Broschürentext)

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Theoretisch-methodischer Rahmen

(Fortsetzung) Sphäre

Datenmaterial EU-Pressemitteilungen

Medien

Österreichische Printmedienartikel

Bevölkerung Gruppendiskussionen mit österreichischen Studierenden, SeniorInnen und TeilnehmerInnen eines Erwachsenenkurses

Zeitraum 2000 – 2010 2003 – 2010 2009 – 2010

Umfang 146 Texte 51 Artikel 3 Gruppendiskussionen

Auf der Ebene der Politik sollten österreichische PolitikerInnen für Interviews gewonnen werden, deren Aufgabenbereiche sprachenpolitische Themen im weitesten Sinn umfassten. Daher wurden in einem ersten Schritt die BildungssprecherInnen aller österreichischen Parlamentsparteien um einen Interviewtermin gebeten. Schließlich konnten die Interviews nach mehrmaligen Anfragen mit allen BildungssprecherInnen außer jenen der ÖVP (Österreichische Volkspartei) und des BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) erfolgreich durchgeführt werden. Während das Interview mit der SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) aus Zeitgründen schriftlich abgewickelt werden musste, fanden die ca. 30- bis 40-minütigen mündlichen Interviews mit dem Bildungssprecher der Grünen und der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) in deren Büros statt, wo sie für die spätere Transkription auf einem Audio-Datenträger aufgenommen wurden. Zusätzlich zu den Bildungssprechern wurden zwei Diplomaten des österreichischen Außenministeriums und ein leitender Beamter des Unterrichtsministeriums, deren Tätigkeitsbereich ebenfalls sprachenpolitische Aktivitäten umfassten, interviewt (Dauer : ca. 35 bis 50 Minuten). Ursprünglich war geplant, ein weiteres Interview durchzuführen, das den nationalen sprachenpolitischen Blickwinkel der interviewten österreichischen Politiker mit Diskursmaterial ergänzen sollte, das die supranationale sprachenpolitische Perspektive der EU repräsentiert. Um entsprechende Daten erheben zu können, wurde eine Interviewanfrage an die Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich gerichtet. Die kontaktierte Person signalisierte anfangs Zustimmung zu einem Interview, verlangte allerdings (ähnlich wie der SPÖ-Bildungssprecher) die Zusendung des Interviewleitfadens. Nachdem dieser übermittelt wurde, musste die Kontaktperson nach Rücksprache mit dem Leiter der Kommissionsvertretung die Interviewanfrage jedoch ablehnen. Als Begründung wurde angegeben, dass die Europäische Kommission ihre eigene Sprachenpolitik nicht kommentieren könne bzw. wolle. Diese Aussage ist insofern bezeichnend, als sie in starkem Widerspruch zur politischen Kommunikationspraxis auf der nationalen Ebene steht: PolitikerInnen auf nationaler

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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Ebene nehmen die Gelegenheit zur Paraphrasierung und Erläuterung ihrer politischen Ansichten zumeist bereitwillig an, zumindest lehnen sie sie in der Regel nicht prinzipiell ab. Wenn solche Gelegenheiten von PolitikerInnen auf der nationalen Ebene nicht wahrgenommen werden (wie im Fall der ÖVP- und BZÖIntervieweinladung), sind zumeist terminliche Gründe dafür verantwortlich: Solche PolitikerInnen schätzen also, so könnte man daraus schließen, die Öffentlichkeitswirksamkeit des Interviews im Verhältnis zu seinem Zeitaufwand als zu gering ein. Die Kommentierung der eigenen Politik wird von PolitikerInnen auf der nationalen Ebene also als Möglichkeit wahrgenommen, die eigenen politischen Ansichten einem möglichst großen Publikum zu vermitteln und dabei gleichzeitig die Deutungshoheit über die jeweils vertretene Politik zu beanspruchen und zu verteidigen – zumindest letzteres scheint bei EU-PolitikerInnen jedoch nicht im Vordergrund zu stehen. Wie in den Kapiteln 3 und 4 zu zeigen sein wird, korrespondiert die Begründung der negativ beantworteten Interviewanfrage durch die Kommissionsvertretung mit den Ergebnissen der vorliegenden diskursanalytischen Studie: Die EU (insbesondere die Europäische Kommission) achtet darauf, ihre diskursiv betriebene Sprachenpolitik in ›heiklen‹ Punkten mit Mehrdeutigkeiten und interpretativen Leerstellen auszustatten, um eine möglichst breite Zustimmung durch die einzelnen Mitgliedsstaaten zu erreichen. Eine Kommentierung der eigenen Politik würde dieser EU-Diskursstrategie hingegen zuwiderlaufen, weil eine metadiskursive Stellungnahme der EU zur eigenen Sprachenpolitik die Gefahr einer unerwünschten Bedeutungsverengung mit sich bringt – dies trifft insbesondere dort zu, wo es um sensible und konfliktträchtige Themen (wie Sprache und Kultur) bzw. um damit verbundene Perspektivendivergenzen zwischen nationaler und supranationaler Politik geht. Der bewusst erweiterte Interpretationsspielraum wird auf der nationalen Ebene auch tatsächlich ausgenützt und vor allem durch die befragten PolitikerInnen und BürgerInnen für die eigenen kommunikativen Ziele nutzbar gemacht: Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, warum bspw. einzelne Textstellen in der EU-Rahmenstrategie über Mehrsprachigkeit auf nationaler Ebene (v. a. in den Politikerinterviews und Gruppendiskussionen) unterschiedlichste Deutungen erfahren, die häufig widersprüchlich und einander entgegengesetzt erscheinen. Ein Beispiel hierfür ist, dass das Aufeinandertreffen verschiedener Muttersprachen sowohl als potentielle Verständigungshürde als auch als mögliche Verständigungshilfe bzw. »Weg zu […] gegenseitigem Verständnis« (Europäische Kommission 2005) interpretiert wird (siehe Kapitel 4.1 und 4.3). Ergänzend zu den Interviews wurde für den Bereich der Politik Diskursmaterial erhoben, das sich aus Werbungstexten österreichischer Parlamentsparteien (für die nationale Ebene) und aus EU-Pressemitteilungen (für die supranationale Ebene) zusammensetzt. Für die Analyse der politischen Werbung

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wurden insgesamt 10 Texte mit sprachbezogenen Sujets berücksichtigt, davon sechs Plakate (1 von der SPÖ und je 2 von FPÖ, Grünen, ÖVP), drei Inserate (je 1 von BZÖ, FPÖ, Grünen) und ein Artikel aus der FPÖ-Werbungsbroschüre »Wir Wiener« (im FPÖ-Inserat wird zudem ein SPÖ-Plakat verkleinert wiedergegeben). Die politischen Werbungstexte wurden zwischen 2005 und 2012 veröffentlicht und in insgesamt vier Wahlkämpfen eingesetzt, nämlich aus Anlass der Wien-Wahlen 2005 und 2010 sowie der Nationalratswahlen 2006 und 2008. Das SPÖ-Plakat aus dem Jahr 2012 wurde zudem unabhängig vom Wahlkampf im Rahmen einer Kampagne der SPÖ Wien affichiert. Was das ergänzende Datenmaterial für die supranationale Ebene betrifft, wurden die EU-Pressemitteilungen wie bereits erwähnt mit der Datenbank ›RAPID‹ erhoben. Die Bezeichnung ›EU-Pressemitteilungen‹ ist dabei als Überbegriff für all jene Genres zu verstehen, die in dieser Datenbank verwaltet werden – neben Pressemitteilungen der einzelnen EU-Organe sind dies auch Reden und Memos der Europäischen Kommission. Insgesamt umfasst das Korpus ›EU-Pressemitteilungen‹ 146 Texte aus dem Zeitraum zwischen Jänner 2000 und Dezember 2010 zum Themengebiet Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik. Die Printmedienartikel zum Thema der EU- Sprachen- und Mehrsprachigkeitspolitik wurden durch eine entsprechende Suchabfrage in den Datenbanken WISO Praxis (für den Zeitraum 2003 – 2008) und APA DeFacto-Campus (für den Zeitraum 2003 – 2010) erhoben. Das Prinmedienkorpus umfasst 51 Artikel aus großteils überregionalen österreichischen Tageszeitungen (sowohl Kauf- als auch Gratis-Zeitungen). Um Datenmaterial zum halb-privaten Diskurs über ›Sprachigkeit‹ zu erhalten, wurden drei Gruppendiskussionen zum Themengebiet Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik organisiert. Die Gruppendiskussionen, die auf Audio und Video aufgenommen und nachträglich transkribiert wurden, fanden in den Jahren 2009 und 2010 statt. Die erste Diskussion wurde mit Studierenden der Universität Wien durchgeführt, an der zweiten nahmen KursteilnehmerInnen eines WIFI-Kurses teil und an der dritten beteiligten sich SeniorInnen des »Wiener Senioren Zentrums« im WUK (»Werkstätten- und Kulturhaus«). Die Themen in den Gruppendiskussionen, die vom Moderator vorgegeben oder von den Diskutierenden selbst eingebracht wurden, kreisten um den Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ sowie um die Zusammenhänge zwischen Sprache und Kultur, Identität und Integration sowie das Verhältnis zwischen nationaler und supranationaler Sprachenpolitik. Was die Zuordnung der untersuchten Datentypen bzw. Genres zur öffentlichen oder zur (halb-)privaten Diskurssphäre betrifft, so ist weniger von einer Dichotomie als vielmehr von einer graduellen Abstufung auf einer Skala zwischen den beiden Polen ›öffentlich‹ und ›privat‹ auszugehen. Obwohl das Begriffspaar ›öffentlich vs. privat‹ unterschiedlichste Bedeutungs- und Interpre-

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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tationsebenen umfasst, spielen laut Weintraub (1997: 5) immer zwei Merkmale für die Unterscheidung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit eine Rolle, nämlich Sichtbarkeit (›visibility‹) und Kollektivität (›collectivity‹). Das Ausmaß an Sichtbarkeit und Kollektivität korrespondiert dabei mit dem Grad an Öffentlichkeit, d. h. je weniger sichtbar und kollektiv eine Entität ist, desto privater ist sie (vgl. Landert/Jucker 2011: 1424). Ein hohes Ausmaß an Kollektivität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine größere Personengruppe oder ganze Gemeinschaften betroffen sind, im Fall einer geringen Kollektivität aber nur einzelne Individuen. Überträgt man die Differenzierung auf den Bereich der Kommunikation, so entspricht die Sichtbarkeit der Zugänglichkeit von Texten. Kollektivität bezieht sich hingegen darauf, inwieweit ein Text in seiner inhaltlichen bzw. thematischen Dimension nur einige wenige Personen auf individueller Ebene oder aber größere Gruppierungen auf gesellschaftlicher Ebene betrifft. Landert/Jucker (2011) führen die beiden Merkmale der Zugänglichkeit und der Kollektivität in ihrem Kommunikationsmodell mit einem dritten Parameter zusammen, der die Unmittelbarkeit des Sprachgebrauchs (›Sprache der Nähe‹ vs. ›Sprache der Distanz‹) abbildet. Dieser dritte Paramater geht auf die Unterscheidung zwischen konzeptueller und medialer Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit in einem Modell von Koch/Oesterreicher (1994; vgl. 1985, 2007) zurück. In diesem Modell wird die mediale Realisierung eines sprachlichen Produkts als geschrieben oder gesprochen unabhängig von dessen Konzeption als schriftlich oder mündlich betrachtet. So kann etwa eine mündlich vorgetragene Rede Merkmale konzeptueller Schriftlichkeit aufweisen, genauso wie ein Text einen Dialog mit deutlich erkennbaren Charakteristika konzeptueller Mündlichkeit schriftlich wiedergegeben kann. Während es sich bei der Unterscheidung zwischen medialer Schriftlichkeit und Mündlichkeit um eine Dichotomie handelt, lässt sich Sprachgebrauch im Modell von Koch/Oesterreicher also zusätzlich auf einer graduellen Skala zwischen konzeptueller Schriftlichkeit und Mündlichkeit verorten. Konzeptuelle Schriftlichkeit ist dabei an interpersonale Distanz und konzeptuelle Mündlichkeit an interpersonale Nähe geknüpft, sodass zwischen einer ›Sprache der Nähe‹ und einer ›Sprache der Distanz‹ unterschieden werden kann, die jeweils durch Faktoren wie raum-zeitliche Nähe, Emotionalität, Situations- und Handlungseinbindung oder Dialogizität bestimmt werden (Koch/ Oesterreicher 1994: 588). Die für die vorliegende Studie herangezogenen Datentypen bzw. Genres lassen sich nun anhand der drei genannten Parameter (Zugänglichkeit, Kollektivität und Unmittelbarkeit) innerhalb eines Kommunikationsmodells verorten, das in Anlehnung an Landert/Jucker (2011) und Heller (2006) in Form eines dreidimensionalen Würfels visualisierbar ist (siehe Abbildung 3). Der Parameter der Zugänglichkeit wird dabei auf der horizontalen Achse unter dem

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Aspekt der Öffentlichkeit von Kontexten dargestellt, während die Kollektivität unter dem Gesichtspunkt der Privatheit von Themen auf der räumlichen Achse und die Unmittelbarkeit des Sprachgebrauchs im Sinn von Nähe und Distanz auf der vertikalen Achse abgebildet sind. Die drei Parameter werden auf Skalen in einer Art Koordinatensystem übertragen, in dem acht Sektoren unterschieden werden können, nämlich vordere Sektoren (ABCD) vs. hintere Sektoren (EFGH), die für private vs. nicht-private Themen stehen; linke (ACEG) vs. rechte Sektoren (BDFH), die nicht-öffentliche vs. öffentliche Kontexte repräsentieren; sowie obere (ABEF) vs. untere (CDGH) Sektoren, die Sprache der Distanz vs. Sprache der Nähe anzeigen.

Abbildung 3: Verortung des Datenmaterials im dreidimensionalen Kommunikationsmodell nach Heller (2006: 326) und Landert/Jucker (2011: 1432)

Die Printmedienartikel (ebenso wie die politische Werbung und die EUPressemitteilungen) sind in diesem Würfelmodell in Sektor F zu verorten, da sie vorrangig nicht-private Themen behandeln, aufgrund ihrer massenmedialen Verbreitung öffentlich zugänglich sind und sich vorwiegend der Sprache der Distanz bedienen (in Bezug auf letztere stellt der Wahlkampfslogan »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹« eine Ausnahme dar). Da die Politikerinterviews im Gegensatz dazu für wissenschaftliche, und nicht etwa für journalistische Zwecke durchgeführt wurden, ist deren Zugänglichkeit eingeschränkt (nämlich im Wesentlichen auf die vorliegende Publikation), zudem sind sie aufgrund ihres Settings als ›face-to-face‹-Kommunikation zwischen zwei Gesprächspartnern wesentlich stärker durch die Sprache der Nähe gekennzeichnet. In einer solchen Kommunikationssituation schneiden die Politiker zwar stellenweise auch pri-

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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vate Themen an (etwa persönliche Erfahrungen, Erlebnisse, Anekdoten etc.), diese weisen jedoch immer einen (impliziten oder expliziten) Bezug auf nichtprivate Themen auf. Nicht zuletzt aufgrund der Rolle der Interviewten als öffentliche Repräsentanten und politische Akteure sowie aufgrund der auf Politik und Gesellschaft fokussierten Interviewerfragen stehen bei diesem Datentyp daher nicht-private Themen im Vordergrund, sodass die Politikerinterviews in Sektor G angesiedelt werden können. Die Gruppendiskussionen schließlich teilen viele Charakteristika mit den Politikerinterviews, unterscheiden sich von diesen jedoch durch die Rolle der GesprächsteilnehmerInnen als BürgerInnen, die in beruflicher Hinsicht keine politische oder öffentliche Funktion ausüben. Aufgrund der methodisch bedingten ›aufgelockerten‹ Kommunikationssituation in relativ homogenen Gruppen und an vertrauten Orten (vgl. Kapitel 4.1.1) sind die Gruppendiskussionen noch stärker als die Politikerinterviews durch eine Sprache der Nähe gekennzeichnet. Zwar ist die Zugänglichkeit der Gruppendiskussionen auf eine ähnliche Weise eingeschränkt wie die Politikerinterviews, anders als bei diesen erfolgte die Einladung zur Gruppendiskussion allerdings im öffentlichen Raum (auf Schwarzen Brettern, in Internetforen, in Lehrveranstaltungen usw.), sodass ein größerer Personenkreis von den Diskussionen erfuhr und daran teilnehmen konnte. Die durch den Moderator vorgegebenen Fragen berühren ähnliche Themen mit (sprachen-)politischer und gesellschaftlicher Tragweite, jedoch sind sie auf die Perspektive der einzelnen DiskussionsteilnehmerInnen als Individuen in ihrer jeweiligen Rolle als Studierende, SeniorInnen und TeilnehmerInnen eines Erwachsenenkurses fokussiert. Zwar sind die GruppendiskussionsteilnehmerInnen in der verbalen Interaktion nicht auf diese Perspektive beschränkt und diskutieren auch grundsätzliche politische und gesellschaftliche Fragen aus einer übergeordneten Perspektive, im Vergleich zu den anderen Datentypen steht die Verknüpfung solcher Fragen mit privaten Themen aber wesentlich stärker im Vordergrund als bei den anderen Datentypen. Während die Printmedienartikel, Wahlwerbungstexte und EU-Pressemitteilungen also eindeutig der öffentlichen Diskurssphäre zugeordnet werden können, handelt es sich bei den anderen beiden Datentypen um Mischformen. Was die öffentliche Zugänglichkeit und die Privatheit der Themen betrifft, unterscheiden sich die Gruppendiskussionen und Politikerinterviews graduell voneinander, wobei sich die Gruppendiskussionen durch einen öffentlicheren Zugang und eine stärkere Tendenz zu privaten Themen auszeichnen als die Politikerinterviews. Da die Privatheit der Themen bei den Gruppendiskussionen in stärkerem Ausmaß gegeben ist als der öffentliche Zugang, kann die Diskurssphäre dieses Datentyps als halb-privat bezeichnet werden. Bei den Politikerinterviews hingegen überwiegt trotz der eingeschränkten Zugänglichkeit der öffentliche Charakter (im Sinn von nicht-privaten Themen und der Rolle der

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Theoretisch-methodischer Rahmen

PolitikerInnen als öffentliche Akteure), sodass sie der halb-öffentlichen Diskurssphäre zugeordnet werden können (siehe Tabelle 4). Die private Sphäre des Diskurses schließlich ist öffentlich nicht zugänglich und kann daher auch von DiskursanalytikerInnen – unter Einhaltung forschungsethischer Standards – nicht untersucht werden (dies ist nur unter der Bedingung einer aufgeweichten Nicht-Zugänglichkeit, bspw. durch genehmigte Audioaufnahmen von Privatgesprächen, möglich). Tabelle 4: Öffentlichkeit und Privatheit: Verortung der Datentypen in Diskurssphären

Öffentlicher Zugang Nichtöffentlicher Zugang

Private Themen Halb-private Sphäre: Gruppendiskussionen Private Sphäre

Nicht-private Themen Öffentliche Sphäre: Printmedienartikel, EUPressemitteilungen, Wahlwerbung Halb-öffentliche Sphäre: Politikerinterviews

2.5.2. Analyseschema des diskurshistorischen Ansatzes Der diskurshistorische Ansatz schlägt für die Untersuchung von Diskursen mehrere forschungspraktische Schritte in Hinblick auf eine Makro-, Mikro- und Kontextanalyse vor (vgl. Reisigl 2007b; 2011: 488 f.). Die Makroanalyse umfasst u. a. die Bestimmung und Segmentierung des Diskurses anhand von Makrothemen, Diskurskonturen und Diskursphasen. Im Zuge dessen erfolgt die Abgrenzung des zur Untersuchung stehenden Diskurses von anderen Diskursen bzw. die Beleuchtung seiner interdiskursiven Beziehungen (in diesem Punkt überschneidet sie sich mit der Kontextanalyse). Zur Makroanalyse zählen des Weiteren die Verortung des Diskurses in sozialen Handlungsfeldern und die Charakterisierung der Genres, mit denen der Diskurs entlang dieser Handlungsfelder realisiert wird. Eine solche Makroanalyse des gegenständlichen Diskurses wurde bereits in den vorangehenden Abschnitten des Kapitels 2 vorgenommen, wird aber in den Kapiteln 3 und 4 noch mit den Ergebnissen der Mikro- und Kontextanalyse zu verschränken sein.38 Steht in der Makroanalyse vor allem die Klärung der soziosemiotischen Typizität von Diskursen auf abstrakter Ebene im Vordergrund (etwa in Hinblick 38 Reisigl (2011: 488) führt auch die Analyse von rhetorischen Mitteln bzw. Tropen (bspw. Metaphern, Metonymien und Synekdochen) sowie Wortfrequenzanalysen und semantische Isotopieanalysen als Beispiele für die Makroanalyse auf. Da solche Analysen bereits an konkreten Texten (im Sinn von ›tokens‹) vorgenommen werden müssen, zähle ich sie hingegen zur Mikroanalyse.

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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auf Handlungsmuster und Handlungsfelder sowie Genres bzw. Texttypen oder Kommunikationsformen), so richtet sich der analytische Blick in der Mikroanalyse verstärkt auf die Untersuchung von Texten im Sinn von konkret vorliegenden ›tokens‹. Innerhalb der Mikroanalyse können drei Dimensionen unterschieden werden: die Analyse von (1) Inhalten bzw. (Sub-)Themen im Diskurs, (2) diskursiven Strategien (Nomination, Prädikation, Argumentation, Perspektivierung sowie Verstärkung und Abschwächung) und (3) sprachlichen bzw. rhetorischen Mitteln (einschließlich Tropen) und deren Realisierungsformen (vgl. de Cillia/Wodak 2009b: 17; Reisigl/Wodak 2009: 93). Die vorgeschlagenen Analysekategorien sind dabei nicht als ein starr festgelegtes Toolkit zu verstehen, sondern werden je nach Forschungsfrage und Kenntnisstand der Analysierenden abduktiv in einem rekursiven Forschungsprozess gewonnen. Charakteristisch für das Analyseverfahren ist somit das Pendeln zwischen Theorie und Praxis, das eine Verbesserung und Anpassung theoretischer Konzepte aufgrund von Analyseergebnissen ermöglichen soll, das umgekehrt aber auch eine Ausgestaltung und Modifikation methodischer Verfahrensweisen aufgrund theoretischer Überlegungen erlaubt. Das Analyseschema ist zudem durch Flexibilität und Kompatibilität gekennzeichnet, da es über die Disziplinen hinweg anschluss-, erweiterungs- und modifikationsfähig ist. Der theoretischmethodische Eklektizismus stellt die DiskursanalytikerInnen nach dem DHA allerdings vor die Herausforderung, die mitunter sehr heterogen angewendeten Konzepte und Verfahrensweisen aus den unterschiedlichsten Disziplinen auf ihre Kompatibilität und Stringenz zu überprüfen und entsprechend aufeinander abzustimmen. Im Rahmen der Kontextanalyse schließlich werden die Ergebnisse aus der Makro- und Mikroanalyse in ihrem Zusammenhang mit dem sprachlichen, sozialen, politischen und historischen Kontext beleuchtet. Der Begriff ›Kontext‹ schließt zudem sowohl den unmittelbaren sprachlichen ›Kotext‹ (den textinternen Kontext) als auch den ›Kodiskurs‹ (den Vor- und Nachdiskurs) ein. Neben intertextuellen und interdiskursiven Verknüpfungen werden in der Kontextanalyse auch relevante soziodemographische Daten und institutionelle Rahmenbedingungen erschlossen. Der diskurshistorische Ansatz legt besonders Wert auf die Berücksichtigung des soziopolitischen und historischen Kontextes, der nicht selten durch entsprechend interdisziplinär zusammengesetzte Forscherteams (bspw. durch PolitologInnen, JuristInnen oder HistorikerInnen) aufgearbeitet wird. Dieser Fokus in der Kontextanalyse wird auch für die vorliegende Studie übernommen: In Kapitel 3 wird hierfür die historische Entwicklung der Sprachenpolitik in der EU und in Österreich seit der letzten Jahrtausendwende anhand von markanten diskursiven Ereignissen (bspw. das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs oder der Amtsantritt des EU-

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Mehrsprachigkeitskommissars) und zentralen sprachenpolitischen Dokumenten (etwa Verordnungen, Gesetzen und Strategiepapieren) beleuchtet. Tabelle 5: Analysedimensionen des DHA Makroanalyse Makrothema Diskursphasen Soziale Handlungsfelder, Genres usw.

Mikroanalyse Inhalte bzw. Themen Diskursive Strategien (v. a. Nomination, Prädikation und Argumentation) Linguistische (inkl. rhetorische) Mittel und Realisierungsformen

Kontextanalyse Kotext (textintern) Kodiskurs (Vor- und Nachdiskurs) Kontext (sozial, politisch, historisch)

Im Folgenden wird das Analyseschema des DHA im engeren Sinn – bezogen auf die Mikroanalyse des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ – vorgestellt. Hierfür sollen die mikroanalytischen Analysekategorien, wie sie für die vorliegende Studie angewendet werden, im Einzelnen genauer besprochen werden. 2.5.2.1. Themen und Inhalte Die erste Analysedimension umfasst die Untersuchung der Themen bzw. Inhalte im Diskurs über ›Sprachigkeit‹ aufgrund der Texte im Untersuchungskorpus. Diese Fom der Analyse ist kein spezielles Charakteristikum der (Kritischen) Diskursanalyse oder des DHA, sondern steht in der Tradition der hermeneutischen Textanalyse. Weitgehende Akzeptanz und Verbreitung innerhalb der Sozialwissenschaften genießt in diesem Zusammenhang insbesondere die ›qualitative Inhaltsanalyse‹, die Mitte der 80er Jahre als empirischer Ansatz zur systematischen Analyse von Texten (im Sinn von »fixierter Kommunikation«) entwickelt wurde (Mayring 2000: 4; vgl. Mayring 2010). Im Vordergrund stehen dabei die zwei Verfahrensweisen der induktiven Kategorienentwicklung und der deduktiven Kategorienanwendung, die im Folgenden auch für die Themenanalyse des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ eingesetzt werden sollen. Die induktive Kategorienentwicklung, d. h. die Gewinnung der Analysekategorien aus dem Material heraus, erfolgt dabei einerseits aufgrund vorher festgelegter, aus der Forschungsfrage abgeleiteter Definitions- bzw. Selektionskriterien und wird andererseits durch eine systematische Reduktion des Textmaterials vorgenommen. Die auf diese Weise gewonnen Kategorien werden im Zuge der deduktiven Kategorienanwendung auf das Textmaterial angewendet, d. h. die entsprechenden Textstellen werden den einzelnen Kategorien zugeordnet, wobei letztere theoriegeleitet zu definieren und zu strukturieren sind (z. B. in Form von Über- und Unterkategorien). Die beiden Verfahren werden in einem kreislaufförmigen (rekursiven) Prozess

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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durchgeführt, d. h. die Ergebnisse werden wieder auf die ursprüngliche Fragestellung und die theoregeleiteten Definitionskriterien rückgeführt. Im DHA wird dieses ›abduktive‹ Verfahren zur Entwicklung von Analysekategorien in der Auseinandersetzung mit dem Diskursmaterial angewendet (vgl. Wodak et al. 1998: 16). Quantitative Auswertungen bspw. anhand von Kategorienh äufigkeiten, können Bestandteil eines solchen qualitativen Forschungsprozederes sein, ohne dabei jedoch die Einbettung des Textmaterials in den kommunikativen Gesamtzusammenhang aus den Augen zu verlieren. In Bezug auf die thematische Dimension des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ lautet die Forschungsfrage, mit Hilfe welcher Themen Sprache im sprachenpolitischen Kontext auf der nationalen und der supranationalen Ebene diskursiv konstruiert wird. Für die Beantwortung dieser Frage wird eine möglichst breite Erfassung der Themen und Inhalte im österreichischen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ und ein Vergleich mit der EU-Ebene angestrebt. Das hauptsächliche Kriterium für die Auswahl der zu berücksichtigenden Analyseaspekte stellt dabei der inhaltliche Zusammenhang mit Sprachenpolitik und ›Sprachigkeit‹ dar, wie sie als Begriffe in Kapitel 2.2 und 2.4 definiert wurden. Das für die vorliegende Studie eingesetzte Verfahren zur induktiven Bildung von Kategorien (im Sinn von Themen und Subthemen) auf Basis des Textmaterials mit Hilfe von MAXQDA wird im nächsten Abschnitt besprochen. In deduktiver Hinsicht kann die vorläufige Festlegung des allgemeinen Themenspektrums (in Form von Themenbereichen bzw. Überkategorien) aus dem theoretischen Blickwinkel der Sprachenpolitik- und Sprachideologieforschung erfolgen. Hierfür kann auf relevante Überlegungen aus der Ökolinguistik (engl. ›Ecolinguistics‹ bzw. ›Language Ecology‹) zurückgegriffen werden (vgl. Dorostkar/ Flubacher 2010: 146 ff.). Der Ökolinguistik geht es nach einer Konzeptualisierung von Haugen (1981) darum, die Interaktion zwischen Sprache und Umwelt zu erforschen, wobei letztere als soziales und kulturelles Setting, und nicht als physische Umgebung zu verstehen ist. Da eigentlich nicht Sprachen, sondern nur SprecherInnen mit ihrer Umwelt interagieren können, handelt es sich bei dieser Konzeptualisierung um eine Abstraktion. Diese beruht, wie Garner (2005) festhält, auf einer Analogie zwischen Ökolinguistik und Ökologie und damit auf der biologistischen Metapher von Sprache als Organismus (Untersuchungsgegenstand der Ökologie ist die wechselseitige Beeinflussung von Organismus und Umwelt). Eine solche Analogie zwischen einem metaphorischen Konzept (›Sprache als Organismus‹) und einem nicht-metaphorischen Konzept (›Umwelt‹) macht eine stringente ökolinguistische Theoriebildung zwar zu einem schwierigen, wenn nicht unmöglichen Unterfangen. Dennoch zählt das Konzept der Ökologie bzw. ›ecology‹ (neben ›ideology‹ und ›agency‹) zu den drei Hauptbestandteilen eines relativ jungen Paradigmas der Spra-

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Theoretisch-methodischer Rahmen

chenpolitikforschung. Als einflussreich erweist sich das ›ecology-of-language paradigm‹ (Phillipson/Skutnabb-Kangas 1996: 436; vgl. Ricento 2000: 20 ff.) – aufgrund der Analogie zwischen biologischer und sprachlicher Vielfalt sowie deren Bedeutung für die menschliche Evolution – insbesondere in der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit (vgl. Jernudd 2012: 30; R¦aume/Pinto 2012: 40; Sallabank 2012: 109). Was einen möglichen Beitrag der Ökolinguistik zur Betrachtung des thematischen Spektrums von Mehrsprachigkeit aus theoretischer Sicht betrifft, kann beispielsweise auf Edwards (2007: 462) zurückgegriffen werden: Dieser ordnet die drei grundlegenden ökolinguistischen Variablen ›SprecherIn‹, ›Sprache‹ und ›Setting‹ mehreren thematischen bzw. disziplinären Perspektiven (»substantive and disciplinary perspectives«) zu, darunter Demographie, Soziologie, Geschichte, Politik, Geographie, Bildung, Religion und Wirtschaft. Am Schnittpunkt zwischen diesen Themenbereichen und den genannten Variablen sind bestimmte Fragestellungen und Problemfelder angesiedelt (z. B. Bevölkerungsentwicklungen und dadurch bedingter Sprachwandel oder Sprachtod am Schnittpunkt zwischen ›Demographie‹ und ›Setting‹). Auch wenn die Auflistung der einzelnen Bereiche, wie Edwards selbst betont, nicht erschöpfend ist und sich die einzelnen Kategorien zum Teil überlappen, liefert die Typologie bereits einige Hinweise auf relevante Themenbereiche für den Diskurs über ›Sprachigkeit‹. Die von Edwards vorgenommene Einteilung ähnelt dabei in vielen Punkten anderen Kategorisierungsvorschlägen in der Sprachenpolitikforschung: Zieht man bspw. die Politik-Indikatoren für den Schutz von Regional- und Minderheitensprachen (RML) nach Grin (2003) heran, so ergeben sich mehrere Überschneidungen, die in Tabelle 6 dargestellt sind. In der rechten Spalte werden die gemeinsamen Kategorien zu sprachenpolitischen Themenbereichen zusammengeführt, von denen angenommen werden kann, dass sie auch für den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ eine Rolle spielen (wiederum ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Eindeutigkeit der Kategorien). Tabelle 6: Sprachenpolitische Themenbereiche Zuordnungskategorien für ökolinguistische Faktoren nach Edwards (2007) Education Politics / Law / Government The Media Economics

Politik-Indikatoren für den Schutz von RML nach Grin (2003) Education Juridical system Administration and public services Media Culture Economic and social life

Zusammenführung zu sprachenpolitischen Themenbereichen Bildung Politik / Recht EU Medien Kultur Wirtschaft

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Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

(Fortsetzung) Zuordnungskategorien für ökolinguistische Faktoren nach Edwards (2007) History Psychology Linguistics Geography Sociology Demography Religion

Politik-Indikatoren für Zusammenführung zu den Schutz von RML nach sprachenpolitischen Grin (2003) Themenbereichen Geschichte Wissenschaft / Forschung Migration / Minderheiten Religion

Die dritte Spalte stellt den Versuch dar, die in der Fachliteratur, aber auch in sprachenpolitischen Dokumenten immer wieder genannten sozialen Felder der Mehrsprachigkeit zusammenzufassen, wiederum ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Endgültigkeit. Die Auswertung und Analyse der tatsächlich realisierten Themen im untersuchten Diskurs über ›Sprachigkeit‹ sowie deren Zuordnung zu den oben genannten übergeordneten Themenbereichen erfolgen in den jeweiligen Abschnitten in Kapitel 4. 2.5.2.2. Diskursive Strategien: Sprachbezogene Nomination, Prädikation und Argumentation Strategien werden im DHA als »Handlungspläne« verstanden, die auf kognitiv verankerten Modellen beruhen und einen variierenden Bewusstseins- sowie Elaborationsgrad aufweisen (vgl. de Cillia/Wodak 2009b: 21). Strategien müssen der jeweils handelnden Person also nicht immer vollständig bewusst sein, sondern können auch mehr oder weniger automatisiert (›stereotypisiert‹) ablaufen: Zwar sind Strategien als zielgerichtet aufzufassen, Intentionalität und Finalität von Strategien können aber unterschiedlich ausgeprägt sein (vgl. Wodak et al. 1998: 73 ff.). Im Unterschied zu verwandten Konzepten wie ›Frame‹, ›Schema‹ oder ›Skript‹ bezieht sich der Begriff ›Strategie‹ auf die Planung sozialer (diskursiver) Praktiken : Der Fokus liegt dabei auf den sozialen und politischen Funktionen und Zielen, die solchen Strategien zugrundeliegen, sowie auf den (sprachlichen) Mitteln, die zur Realisierung dieser Ziele eingesetzt werden (Wodak et al. 2009: 34). In den Studien des DHA zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität in Österreich werden vier diskursive Makrostrategien identifiziert, die aufgrund ihrer jeweiligen sozialen Makrofunktion bestimmbar sind (und die sich hier jeweils auf nationale Identität beziehen): (1) Konstruktion, (2) Destruktion (3) Bewahrung bzw. Rechtfertigung und (4) Transformation (vgl. de Cillia/ Wodak 2009b: 21). Wie bereits dargestellt, wird in der vorliegenden Arbeit

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Theoretisch-methodischer Rahmen

davon ausgegangen, dass nicht nur nationale Identität, sondern auch Sprache diskursiv konstruiert wird. Im Dienst der jeweiligen diskursiven Makrostrategien kann wiederum eine Vielzahl unterschiedlichster diskursiver Strategien auf Subebene stehen. Aus Gründen der Systematisierbarkeit und Nachvollziehbarkeit schlägt der DHA vor, die einzelnen diskursiven (Sub-)Strategien anhand von fünf Hauptkategorien zu analysieren, deren Relevanz sich im Zuge mehrerer diskursanalytischer Studien nach dem DHA herausgestellt und bestätigt hat, nämlich: Nomination, Prädikation, Argumentation und Perspektivierung sowie Verstärkung vs. Abschwächung (vgl. de Cillia/Wodak 2009b: 24; Reisigl/Wodak 2009: 93 f.; Reisigl 2011: 488 f.). Bei der ersten dieser Hauptkategorien, den Nominationsstrategien (auch: referentielle Strategien), steht die Frage der sprachlichen Bezeichnung und Benennung im Vordergrund. Die sprachliche Konstruktion, Bezugnahme und Identifikation kann dabei auf unterschiedlichste Entitäten gerichtet sein, darunter soziale Akteure, Objekte, Ereignisse, Prozesse oder Handlungen. In sprachlicher Hinsicht erfolgt dies in erster Linie durch Nomina und Deiktika, etwa in Form von Eigennamen, Pronomen oder Substantivierungen. In Bezug auf den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ werden die folgenden drei Gruppen von Nominationen einer genaueren Analyse unterzogen: Bezeichnungen für soziale Akteure (Anthroponyme bzw. Personenbezeichnungen einschließlich Nationyme), für Orte (Toponyme bzw. Ortsnamen) und für Sprachen (Linguonyme bzw. Sprachbezeichnungen). Die drei Kategorien sind in Bezug auf das Thema Sprache(n) als miteinander verschränkt und mehrdeutig bzw. kontextabhängig zu betrachten: So kann bspw. die Nomination DeutscheR sowohl auf das Herkunftsland Deutschland (im Sinn eines Nationyms) als auch auf die Zugehörigkeit zur deutschen Sprache (im Sinn eines sprachbezogenen Anthroponyms) verweisen. Außerdem ist es möglich, Linguonyme wie Deutsch durch Hinzufügung entsprechender Endungen zu sprachbezogenen Anthroponymen wie DeutschsprachigeR umzubilden und umgekehrt nationsbezogene Adjektive wie österreichisch durch Substantivierung als Linguonyme (das Österreichische) zu verwenden. Darüber hinaus kann etwa das Hyperonym Sprache synekdochisch als ›totum pro parte‹ für bestimmte Einzelsprachen wie Deutsch stehen. All dies verweist bereits auf eine starke Interdependenz der Konzepte ›Nation‹ und ›Sprache‹ und mag als Indiz für die Dominanz Herderscher Vorstellungen rund um das Ideal der Einheit von Volk, Sprache und Staat (im politischen und geographischen Sinn) gewertet werden. Was Anthroponyme und metonymisch bzw. personifikatorisch gebrauchte Toponyme (z. B. Österreich) betrifft, existiert bereits eine umfassende Nominationstypologie aus Perspektive des DHA (Reisigl/Wodak 2001: 45 ff.; Reisigl 2003: 158 ff.), die sich vor allem am systemischen Netzwerk zur Repräsentation sozialer Akteure van Leeuwens (1996) orientiert. In Anlehnung und Ergänzung

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Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

zu diesen bereits vorhandenen Nominationsmodellen kann eine ähnliche Kategorisierung für Linguonyme vorgenommen werden. Sofern man sich nicht auf Bezeichnungen für Einzelsprachen (Hyponyme) beschränkt, sondern etwa auch neben- und übergeordnete Nominationen (Hyperonyme) berücksichtigt, so erweisen sich sowohl das Morphem /sprach/ als auch das gesamte semantische Wortfeld rund um Sprache als überaus produktiv und vielseitig. Die jeweiligen Bezeichnungen können einzelnen Strategien zugeordnet werden, die vom Abstraktionsniveau unterhalb der diskursiven Makrostrategien anzusiedeln sind. Die offenkundigste Strategie in Bezug auf Linguonyme stellt die Nationalisierung bzw. Ethnisierung dar, d. h. (Einzel-) Sprachen werden aufgrund ihrer Verbindung mit bestimmten Nationen oder Völkern benannt, z. B. Deutsch, Österreichisch, Kurdisch etc. Wie die Übersicht in Tabelle 7 zeigt, stellt dies aber bei weitem nicht die einzige mögliche Strategie dar, um Sprachen zu bezeichnen und zu benennen. Auch für diesen Systematisierungsversuch gilt, dass die einzelnen Strategien sich nicht wechselseitig ausschließen, einander überlappen und nicht erschöpfend angeführt werden (dies gilt auch für die jeweiligen Beispiele).39 Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Kategorien kann an dieser Stelle nicht geleistet werden (für einen Vergleich mit ähnlichen Systematiken siehe jedoch Reisigl/ Wodak 2001: 45 ff.; Reisigl 2003: 158 ff.; van Leeuwen 1996).

Tabelle 7: Linguonyme: Strategien und Beispiele zur Sprachbezeichnung Strategie Ethnisierung/ Nationalisierung Quantifizierung/ Gruppierung/Reihung Explizite Dissimiliation

Hybridisierung

Beispiele für Hyperonyme Volkssprache, Nationalsprache, Staatsprache Erst-/Zweit-/Drittsprache usw., Deutsch als Zweitsprache, Einzelsprache, Sprachgruppe Fremdsprache, andere Sprache, ›Ausländisch‹, andere Erstsprache als Deutsch [Reihung], nichtdeutsche Muttersprache [Relationsbildung] Mischsprache, Pidgin, Kreolsprache

Beispiele für Hyponyme Österreichisch, Deutsch, Kurdisch

Mischmaschdeutsch, Denglisch, PidginTürkisch

39 Die Kategorien und Beispiele wurden hauptsächlich deduktiv, und nur zu einem geringen Teil induktiv anhand des Textkorpus aus der Fallstudie gewonnen. Dabei wurden Hilfsmittel wie rückläufige Wörterbücher und Vergleichskorpora (v. a. COSMAS II) herangezogen. Bei Beispielen, die mehreren Kategorien zugeordnet werden können, werden diese in der Tabelle in eckigen Klammern angeführt.

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Theoretisch-methodischer Rahmen

(Fortsetzung) Strategie

Beispiele für Hyperonyme

Beispiele für Hyponyme

Spatialisierung

Umgebungssprache, Landessprache, Ortssprache, Lokalsprache, Regionalsprache, Kontinentalsprache, Weltsprache Gegenwartssprache, Modesprache, Trendsprache, Neusprech/Newspeak

Deutschländisches Deutsch, Burgenlandkroatisch, Amerikanisches Englisch

Temporalisierung

Naturalisierung

De-Naturalisierung Fiktionalisierung Varietätenbildung

Kollektivierung

Individualisierung Origination

Finalisierung

natürliche Sprache, gewachsene Sprache, autochthone Sprache [Origination] Kunstsprache, Plansprache, Neusprech/Newspeak [Temporalisierung] Aliensprache, Elbensprache, Neusprech/Newspeak [DeNaturalisierung] Standardsprache, Schriftsprache, Sprechsprache, Dialekt, Umgangssprache, Hochsprache, Fachsprache Mehrheitssprache, Minderheitensprache, Männersprache, Frauensprache, Jugendsprache, Kindersprache, Zigeunersprache, Menschensprache, Tiersprache Privatsprache, Idiolekt, Geheimsprache, Fantasiesprache Herkunftssprache, Ursprungssprache, Heimatsprache, Eingeborenensprache, Migrantensprache, Migrationssprache, Einwanderersprache, autochthone Sprache [Naturalisierung], allochthone Sprache, Muttersprache [Relationsbildung] Zielsprache

Neudeutsch, Frühneuhochdeutsch, Althochdeutsch, Shakespeare-Englisch

Esperanto, Volapük, Basic English Klingonisch, Nadsat, Sindarin/Quenya, Neusprech/Newspeak Bundesdeutsches Deutsch, Österreichisches Deutsch, Britisches Englisch [Spatialisierung/ Nationalisierung], Wienerisch

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Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

(Fortsetzung) Strategie

Beispiele für Hyperonyme

Relationsbildung

Muttersprache, Omama-Türkisch Nachbarsprache, Familiensprache, Gastsprache, Partnersprache, Kolonialsprache, Unterdrückersprache, unterdrückte/verbotene Sprache, verwandte Sprache, Sprachfamilie [Metaphorisierung/ Gruppierung] Indogermanisch, Slawisch, Romanisch usw.

Typologosierung/ Historisierung/ Sprachfamilienbildung Administrative bzw. offizielle Statuszuschreibung

Gesellschaftliche bzw. inoffizielle Statuszuschreibung/ Kulturalisierung Institutionalisierung Ideologisierung

Klassierung Sensualisierung

Professionalisierung Mediatisierung

Beispiele für Hyponyme

Staatssprache, Amts-, Verkehrs-, Arbeitssprache, Gerichtssprache [Institutionalisierung], Einheitssprache, Lingua franca, Verfahrenssprache Prestigesprache, Kultursprache, Traditionssprache, Barbarensprache Eurospeak, Gerichtssprache, Schulsprache, Betriebssprache, Unterrichtssprache Nazisprache, neoliberale Sprache, Fundamentalistensprache Ober-/Unterschichtensprache, Managersprache [Professionalisierung] Gebärdensprache, Lautsprache, Zeichensprache, Tastsprache [Metaphorisierung/ Metonymisierung] Politikerdeutsch, Medizinersprache, Wissenschaftssprache Zeitungssprache, Radiosprache, Fernsehsprache, Internetsprache

Proletendeutsch, Gastarbeiterdeutsch [Professionalisierung] Österreichische Gebärdensprache

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Theoretisch-methodischer Rahmen

(Fortsetzung) Strategie Metaphorisierung/ Metonymisierung

Beispiele für Hyperonyme Beispiele für Hyponyme Programmiersprache, Compu- Java tersprache, Tastsprache, Formsprache, Zunge, Idiom, verwandte Sprache, Sprachfamilie, Mundart, lebende/ tote/ ausgestorbene Sprache [Temporalisierung/ Historisierung], Sprache des Geldes/ der Liebe usw.

Nominationsstrategien überschneiden sich zum Teil mit Prädikationsstrategien, allerdings dienen sie prinzipiell unterschiedlichen Funktionen: Während es bei Nominationsstrategien um die »linguistische Konstruktion, Identifikation und Repräsentation von Sachverhalten und sozialen Akteuren« geht, handelt es sich bei Prädikationsstrategien um »Strategien, mittels derer den zuvor identifizierten Sachverhalten oder sozialen Akteuren – seien es Individuen oder Gruppen von Personen – positive oder negative Eigenschaften in Form von impliziten oder mehr oder weniger wertenden Prädikaten zugewiesen werden« (de Cillia/Wodak 2009b: 24 f.). Dies kann wie bei den Nominationsstrategien durch Nomen oder Deiktika geschehen, aber etwa auch durch Attribute (Adjektive, Appositionen, Adverbial- oder Präpositionalphrasen etc.), Verben, Präsuppositionen oder Implikaturen. Allgemein gesprochen können Prädikationsstrategien eingesetzt werden, um soziale Akteure, Objekte, Phänomene, Ereignisse, Prozesse, Verhaltensweisen oder Handlungen diskursiv zu bewerten und (positiv oder negativ) zu charakterisieren. In Bezug auf den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ soll das Augenmerk wiederum jenen positiven oder negativen Charakterisierungen geschenkt werden, die sich auf Sprachen, Orte und soziale Akteure beziehen. Im Vordergrund steht dabei die Überlegung, dass im Diskurs nicht nur Sprachen selbst bewertet und eingestuft werden können (z. B. als nützliche oder schwierige, d. h. schwer zu erlernende Sprache), sondern dass soziale Akteure und Orte auch aufgrund von Sprachen (über die jene Akteure oder Orte verfügen) auf eine spezifische Weise charakterisierbar sind, die es diskursanalytisch herauszuarbeiten gilt. Ein Beispiel, das für den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ besonders charakteristisch erscheint, darüber hinaus aber auch für andere diskursive Zusammenhänge (z. B. im Diskurs über Migration) typisch geworden ist, wäre die Charakterisierung und Klassifikation von Personengruppen aufgrund von Sprachkenntnissen, die den Mitgliedern solcher Gruppen (zumeist von außen) zugeschrieben oder attestiert werden. Prädikationen wie nicht-deutschspra-

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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chig, englischsprachig, »anderer Muttersprache als Deutsch«, »mit anderen Sprachen« oder »mangelnde Sprachkompetenz« werden dabei auch (sprach-) politisch relevant, etwa in Form von Gesetzen und Regelungen, die das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht von BürgerInnen an Sprachkenntnisse (in bestimmten Sprachen und Niveaus) koppeln. Auch Prädikationen wie einsprachig und mehrsprachig sind aufgrund ihrer spezifischen Konnotationen und ihres sprachideologischen Gehalts dahingehend zu untersuchen, wie sie zur diskursiven Konstruktion von Sprache beitragen. Auch in diesem Fall macht sich die Interdependenz der Kategorien Sprache, Orte und soziale Akteure bemerkbar : So können beispielsweise sowohl Orte (z. B. deutschsprachiger Raum, mehrsprachiges Land) als auch Personengruppen (z. B. zweisprachige Kinder) durch das Merkmal ›Sprache‹ diskursiv konstruiert und charakterisiert werden. Argumentationsstrategien, um zu der nächsten Analysekategorie zu kommen, werden im DHA in Form von Topoi untersucht. Bei Topoi handelt es sich um Schlussregeln, die eine Verbindung zwischen einer unstrittigen Aussage (dem ›Argument‹) und einer strittigen Aussage (der ›These‹ oder ›Konklusion‹) herstellen, und die in Form von Konditional- bzw. Kausalsätzen formuliert bzw. paraphrasiert werden können (bspw. als »wenn-dann« oder »weil-daher«-Satz). Der DHA knüpft in seiner Argumentationsanalyse insbesondere an Kienpointner (1992) an, der wiederum auf eine Reihe argumentationstheoretischer Modelle von Aristoteles bis Toulmin (1975) zurückgreift. Prinzipiell geht es bei der Argumentation darum, AdressatInnen von der Wahrheit und/oder normativen Richtigkeit von Behauptungen zu überzeugen. Topoi reflektieren dabei insofern das Alltagswissen und die ›Alltagslogik‹ von DiskursteilnehmerInnen, als sie – auf einer wiederkehrenden und musterhaften Basis – Sachverhalten und Zusammenhängen zum Ausdruck verhelfen, die kollektiv verankert sind und als selbstverständlich erachtet bzw. vorausgesetzt werden. Damit zählen Topoi zu jenem Bestandteil von Argumentation, der die Prämissen umfasst, d. h. Annahmen, die im Diskurs nicht unbedingt explizit gemacht werden müssen, sondern auch implizit bleiben können und erschlossen werden müssen (Reisigl/Wodak 2001: 74 f.). Aus diskursanalytischer Perspektive erscheinen insbesondere kontextabhängige Schlussregeln untersuchenswert – also jene Topoi, die für einzelne Diskurse spezifisch sind und daher in erster Linie inhaltlich zu definieren sind. Dementsprechend interessiert sich auch der DHA dafür, wie einzelne Topoi mit Themen, Strategien und sprachlichen Mitteln eines bestimmten Diskurses zusammenhängen. Die Unterscheidung zwischen inhaltlichen und formalen Topoi ist allerdings nicht als dichotom zu verstehen: Vielmehr lassen sich die inhaltsspezifischen bzw. kontextabhängigen Topoi auf einer abstrakten Ebene wiederum formalen bzw. kontextunabhängigen Mustern zuordnen, die diesen zugrundeliegen. Um dies

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Theoretisch-methodischer Rahmen

zu demonstrieren, werden in Tabelle 8 einige exemplarisch ausgewählte (inhaltsspezifische) Topoi und Schlussregeln insgesamt vier Argumentationsschemata zugeordnet, die jeweils auf bestimmten (formal definierten) Argumentationsmustern basieren. Die Kategorisierung beruht auf der – hier leicht modifiziert wiedergegebenen – Argumentationstypologie Kienpointners (1992: 146). Zum Zweck der Vereinfachung wurden in der Übersicht Vergleichs- und Gegensatzschemata zu einer Kategorie (›Vergleichsschema‹) zusammengezogen und eine neue Klasse (›Analogieschema‹) eingeführt (vgl. Kienpointner 1996: 81).40

Tabelle 8: Argumentationstypologie: Schemata, Muster und Topoi Schema

Muster

Einordnungs- – Definitionsschema muster – Ganzes-TeilMuster – Art-GattungMuster Vergleichsschema

– Gleichheitsmuster – Ähnlichkeitsmuster – Verschiedenheitsmuster – Gegensatzmuster

Topos (Beispiele) – Definitionstopos/ locus a nominis interpretatione

Schlussregel (Beispiele) – Definitionstopos: Weil für ein Wort eine bestimmte Definition gilt oder unterstellt wird, sollen daraus die dieser Definition entsprechenden Folgerungen gezogen/ Handlungen abgeleitet werden. – Vergleichstopos – Gerechtigkeitstopos: Weil (›a minore‹ oder Personen/ Handlungen/ Situationen in relevanter ›a maiore‹) - Gerechtigkeits- Hinsicht gleich oder ähnlich topos sind, sollten sie gleich behandelt werden.

40 Die Kategorie des Analogieschemas beruht auf Kienpointners Klasse der Schlussregel-etablierenden Argumentationsschemata (zu der die induktive Beispielargumentation zählt) und der Klasse der Argumentationsschemata, die weder Schlussregeln benützen noch induktiv etablieren (dazu gehören die illustrative bzw. stützende Beispielargumentation sowie die Analogie- und die Autoritätsargumentation). Die Analogieargumentation lässt sich nach Kienpointner (1992: 384) durch folgende zwei Kriterien sowohl von der Vergleichs- als auch von der Beispielargumentation unterscheiden: Bei der Analogieargumentation handelt es sich zumeist um Einzelfallargumentation, zudem stammen der strittige und der analoge Fall aus unterschiedlichen Bereichen der Realität (solche Unterschiede können an semantischen Merkmalen wie etwa ›belebt‹ und ›unbelebt‹ festgemacht werden).

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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(Fortsetzung) Schema Kausalschema

Analogieschema

Muster

Topos (Beispiele) – Konsequenz– Ursache-Wirtopos/ kung-Muster pragmatisches (Naturgesetze) Argument – Grund-FolgeMuster (mensch- – Gefahrentopos liche Handlung- – Endpunktargument en) – Entwicklungsargument – Verschwendungsargument – Analogiemuster – Analogietopos – Beispielmuster – Beispieltopos – Autoritäts– Autoritätstopos muster

Schlussregel (Beispiele) – Gefahrentopos: Weil eine politische Handlung/ Entscheidung bestimmte gefährliche Folgen hat, sollte sie nicht ausgeführt werden/ ist sie abzulehnen.

– Analogietopos: Weil eine in Frage stehende Handlung in einem analogen (aus einem anderen Realitätsbereich stammenden) Fall zu positiven bzw. negativen Folgen geführt hat, sollte diese Handlung ausgeführt/ nicht ausgeführt werden. – Autoritätstopos: Wenn eine bestimmte Autorität sagt, dass etwas wahr/ wahrscheinlich/ richtig/ durchzuführen ist, dann ist dieses etwas tatsächlich wahr/ wahrscheinlich/ richtig/ durchzuführen.

Dem kritischen Anspruch des DHA entsprechend beschränkt sich die Anwendung des Topos-Konzepts allerdings nicht auf eine rein deskriptive Analyse, wie das etwa bei Wengeler (2003b) – einem weiteren prominenten Topos-Diskursanalytiker – der Fall ist. Vielmehr interessiert sich der DHA dafür, inwiefern Topoi plausibel oder trugschlüssig (etwa im Rahmen diskriminierenden oder rassistischen Sprachgebrauchs) verwendet werden. Ausschlaggebend für die – in der Analyse oftmals schwer zu treffende – Unterscheidung zwischen trugschlüssigen und plausiblen Topoi sind beim DHA vor allem die zehn pragmadialektischen Regeln vernünftigen Argumentierens (Eemeren/Grootendorst 1992; vgl. Kienpointner 1996: 26 f.).41 41 Diese beinhalten: Redefreiheit, Begründungspflicht, redliche Bezugnahme auf das Gesagte, Sachlichkeitsgebot, redliche Bezugnahme auf implizite Voraussetzungen, gemeinsame Ausgangspunkte respektieren, Verwendung plausibler Argumentationsmuster, logische

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Was die Analyse des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ auf argumentativer Ebene betrifft, werden im Folgenden etliche Topoi samt Definition der einschlägigen Fachliteratur entnommen (insbesondere aus de Cillia/Wodak 2009b: 25; Reisigl/ Wodak 2001: 69 ff.; Reisigl 2003: 180 ff.; 2007a: 41 ff.; Wengeler 2003b; 2003a). Eine systematische Kategorisierung und Auflistung sämtlicher dieser Topoi wurde bereits in den zitierten Arbeiten geleistet, sodass auf eine neuerliche Zusammenschau an dieser Stelle verzichtet werden kann. Wo dies – insbesondere für die Erfassung sprachbezogener Argumentationsstrategien – notwendig erscheint, werden im Rahmen der Fallstudie (siehe Kapitel 4) neue Topos-Kategorien vorgeschlagen oder bestehende umdefiniert. Anders als in den zitierten diskursanalytischen Studien wird zusätzlich der Versuch unternommen, einzelne Topoi zu übergeordneten inhaltsspezifischen Gruppen und Subgruppen (und nicht etwa nur zu den in Tabelle 8 dargestellten formalen Schemata und Mustern) zusammenzufassen und zu bündeln. Hierfür wurde das gleiche Verfahren (wiederum mit Hilfe des Softwaretools MAXQDA) angewendet, das im vorigen Abschnitt für die Themenanalyse beschrieben wurde (siehe Kapitel 2.5.2.1). Auf diese Weise haben sich sechs inhaltlich definierte Topos-Gruppen herauskristallisiert, die für den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ charakteristisch sind, nämlich Homogenität (z. B. Kultur-, Anpassungs- und Sprachniveautopos), Quantität (z. B. Kosten- und Sprachverbreitungstopos), Nutzen (z. B. Topos der sprachlichen Qualifikation und Weiterbildung), Verantwortung (z. B. Autoritäts- und Selbstverantwortungstopos), Gerechtigkeit (z. B. Topos der sprachlichen Identität und Ebenbürtigkeit) und Alter (z. B. Topos der kindlichen Sprachlernfähigkeit). Um zu veranschaulichen, wie Topoi aus dem Text gewonnen werden, soll an dieser Stelle die Anwendung des vereinfachten Toulmin-Schemas nach Kienpointner (1992: 19) exemplifiziert werden. Hierfür wird in Abbildung 4 zunächst das Grundschema angeführt, in der die Schlussregel als Verknüpfung des Arguments (unstrittige Aussage) mit der Konklusion (strittige Aussage) grafisch dargestellt wird. Wie Kienpointner (1992: 20) ausführt, kann für die Definition der Schlussregel keine beliebige Verknüpfung gewählt werden, vielmehr muss ein »›sinnvoller‹ inhaltlicher Zusammenhang zwischen Argument und Konklusion bestehen«. Ein solcher Zusammenhang kann etwa eine Ursache-Wirkungsrelation Gültigkeit, Annahme des Ergebnisses der Diskussion, Klarheit des Ausdrucks und korrektes Verstehen. Einer der Gründe, warum Topoi (trotzdem) schwer von Trugschlüssen abzugrenzen sind, liegt in der Unterspezifiziertheit und Implizitheit der Geltungs- und Ausnahmebedingungen von alltagslogisch gebrauchten Argumentationsschemata begründet. Dies zeigt sich auch daran, dass Trugschlüsse auf definitorischer Ebene durch Entfernung oder Hinzufügung von Geltungs- oder Ausnahmebedingungen plausibel gemacht werden können, ebenso wie sich umgekehrt plausible Schlussregeln auf die gleiche Weise in trugschlüssige umwandeln lassen.

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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Abbildung 4: Grundschema der Argumentation nach Kienpointner (1992: 19)

sein, wie sie im folgenden Beispiel von einer Seniorin in der Gruppendiskussion durch einen Konditionalsatz sprachlich explizit gemacht wird: »Und die ·· / und da hab i gmerkt, wie schnell ma a Fremdsprache lernen kann, wenn man klei/ jung is, ··· wenn man Kind is, ja, ·· diese Kinder sind olle zwaprachig geworden. In kürzester Zeit ham die perfekt Deutsch gelernt!« (SEW2). Die drei Bestandteile der Argumentation (Argument, Schlussregel und Konklusion) in diesem Zitat lassen sich wie folgt bestimmen: – Schlussregel: Wenn man ein Kind ist/jung ist, wird man zweisprachig/lernt man Fremdsprachen schnell. – Argument: Diese Personen sind Kinder/junge Menschen. – Konklusion: Diese Kinder sind alle zweisprachig geworden/sie haben in kürzester Zeit perfekt Deutsch gelernt.42 Die Schlussregel zu dem inhaltsspezifischen Topos, der aus der obigen Äußerung gewonnen werden kann, lautet also: Wenn man jung bzw. ein Kind ist, lernt man Fremdsprachen schnell bzw. wird man zweisprachig. Andere Paraphrasierungen der Schlussregel wären ebenfalls möglich, z. B.: Je jünger man ist, desto schneller lernt man eine Sprache, oder (wenn man auf das Explizitmachen der Verknüpfung in Form eines Konditionalsatzes verzichtet): Als junger Mensch lernt man Fremdsprachen schnell/schneller als als älterer Mensch. Dieser Topos kann als eine spezifische Variante des Alterstopos aufgefasst werden, dessen Schlussregel in etwa lautet: Wenn etwas alt/jung ist, dann ist es gut/schlecht/dann folgt daraus etwas Bestimmtes. Diese sehr allgemein gehaltene Schlussregel kann auf einer übergeordneten Ebene für die Bestimmung der Topos-Gruppe ›Alter‹ herangezogen werden. Die Untervariante dieses Topos wird im Folgenden als ›Topos der kindlichen Sprachlernfähigkeit‹ bezeichnet.43 42 Diese Konklusion kann hier auch als illustrative Beispielargumentation analysiert werden, die die Schlussregel stützt, bzw. als induktive Beispielargumentation, die die Schlussregel erst etabliert (vgl. Kienpointner 1992: 365, 373). An der Definition des Topos aufgrund der Schlussregel, die der Argumentation im zitierten Ausschnitt zugrundeliegt, ändert dies jedoch nichts. 43 Zur besseren Abgrenzbarkeit einzelner Topoi untereinander bietet sich für die Topos-Bezeichnung zumeist die Bezugnahme auf die Bedingung im ersten Teil des Konditionalsatzes an. Da dies gerade für die Definition von inhaltlich spezifizierten Topoi oftmals nicht ausreicht, muss in vielen Fällen auch der zweite Teil des Konditionalsatzes als Quelle für ToposBezeichnungen herangezogen werden.

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Theoretisch-methodischer Rahmen

Die Schlussregel tritt nun nicht immer so explizit ausformuliert in Erscheinung wie beim oben gebrachten Beispiel, wo ein leicht erkennbarer Konditionalsatz formuliert wird (»wenn man Kind is«). Daher sei an dieser Stelle noch ein zweiter Ausschnitt (diesmal aus einem Politikerinterview) für eine exemplarische Topos-Analyse angeführt, in dem die Schlussregel impliziter bleibt und zumindest teilweise erschlossen werden muss: Und es mag auch bei manchen dieser dieser Überlegungen eine Rolle spielen, ahm dass ma/ dass man tatsächlich sozusagen für die Integration von Menschen ahm die Voraussetzungen verbessern möchte. Es zeigen auch da alle Untersuchungen, das ist auch logisch, dass eine gute Kenntnis der deutschen Sprache einfach die Lebenschancen in allen Bereichen für ah Kinder oder Menschen mit Migrationshintergrund, nichtdeutschsprachigen Migrationshintergrund erhöht. Und daher ist es sinnvoll. Ah ich bin auch dafür, dass man ah bei ah Zuwanderern eine Unterstützung gibt, um das Erlernen der deutschen Sprache möglich zu machen. Ob mans zu einer Voraussetzung macht, um überhaupt die Zuwanderung zu erlauben […], ahm ah ich würde das · durchaus für einen vernünftigen Schritt ah sehen, das zu verlangen. (PA1)

– Schlussregel: Weil die Kenntnis der deutschen Sprache die Voraussetzungen für die Integration von MigrantInnen verbessert/deren Lebenschancen in allen Bereichen erhöht, sollen MigrantInnen Deutsch lernen/soll der Staat den Nachweis von Deutschkenntnissen zur Voraussetzung von Zuwanderung machen.44 – Argument: Die Kenntnis der deutschen Sprache verbessert die Voraussetzungen für die Integration von MigrantInnen/erhöht deren Lebenschancen in allen Bereichen. – Konklusion: MigrantInnen sollen Deutsch lernen/der Staat soll den Nachweis von Deutschkenntnissen zur Voraussetzung von Zuwanderung machen. Dieser Topos, der für den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ und dessen Verquickung mit dem Diskurs über Migration in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten äußerst relevant geworden ist (vgl. Blackledge 2005: 225), wird im Folgenden auf einer etwas allgemeineren Ebene als ›Topos der Landessprachkenntnisse‹ bezeichnet und der Topos-Gruppe ›Homogenität‹ (Untergruppe ›Anpassung‹) zugeordnet. Auch wenn der Explizitheitsgrad der zugrundeliegenden Schlussregeln variiert, 44 Diese Schlussregel wird im zitierten Ausschnitt zweifach bekräftigt, nämlich einerseits durch einen Autoritätstopos (»Es zeigen auch da alle Untersuchungen«) und andererseits durch eine Verstärkungsstrategie (»das ist auch logisch«), die beide sehr deutlich auf den Wahrheitsanspruch der Aussage verweisen. Der Autoritätstopos kann hierbei wie folgt aufgeschlüsselt werden: (1) Schlussregel: Wenn alle Untersuchungen zeigen, dass ›P‹ wahr ist, dann ist ›P‹ tatsächlich wahr. (2) Argument: Alle Untersuchungen zeigen, dass die Proposition ›P‹ (eine gute Kenntnis der deutschen Sprache verbessert die Lebenschancen von MigrantInnen in allen Bereichen) wahr ist. (3) Konklusion: ›P‹ ist wahr.

Methoden: Kategorien und Tools für die Analyse

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lässt sich das argumentationsanalytische Verfahren, das hier an zwei ausgewählten Diskursausschnitten exemplifiziert wurde, für die Analyse sämtlicher Topoi im Gesamtkorpus anwenden. Neben Nominations-, Prädikations- und Argumentationsstrategien (d. h. Topoi) werden noch drei weitere Strategiearten für die Analyse des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ herangezogen: Dies sind zum einen die vom DHA vorgeschlagenen Kategorien der Perspektivierungsstrategien sowie der Verstärkungsund Abschwächungsstrategien, und zum anderen die neu eingeführte Kategorie der Kontrastierungsstrategien. Diese drei (nebengeordneten) Strategietypen werden – anders als die vier Hauptanalysekategorien (Themen, Nomination, Prädikation und Argumentation) – nicht durchgehend in die Fallstudie einbezogen, sondern nur dort, wo sie für den analysierten Diskurs besonders relevant erscheinen. Perspektivierungsstrategien (oder ›Strategien der Diskursrepräsentation‹) dienen DiskursteilnehmerInnen dazu, sich als solche mit ihren Stellungnahmen im Diskurs zu positionieren sowie Involviertheit oder Distanz auszudrücken (vgl. Reisigl/Wodak 2009: 94). Sprachliche Mittel, die hierfür eingesetzt werden können, sind etwa Deiktika, direkte und indirekte Rede, Frage- und Anführungszeichen oder prosodische Hervorhebungen (z. B. durch steigende Intonation am Satzende). Stimme (engl. ›voice‹) spielt für Perspektivierungsstrategien nicht nur im Zusammenhang mit Prosodie eine Rolle, sondern auch im übertragenen Sinn, nämlich als Begriff wie ihn Blommaert (2005: 67) in Anschluss an Hymes (1996) oder Blackledge (2002: 14) in Orientierung an Bakhtin (1994) verwendet. Das Konzept der Stimme verweist dabei sowohl auf die konstitutive Vielstimmigkeit und Dialogizität von Diskursen als auch auf das Streben von DiskursteilnehmerInnen, ›Gehör‹ zu finden und jeweils eigene Kommunikationsziele zu erreichen. Im Folgenden wird insbesondere Bakhtins Konzept des ›double voicing‹ Anwendung finden, das die Überlagerung und das Verdecken von Stimmen innerhalb einer einzelnen Stimme in den Fokus rückt (vgl. Blackledge 2002: 14 ff.). Was den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ anbelangt, ist grundsätzlich festzuhalten, dass die DiskursteilnehmerInnen nicht nur selbst bestimmte ›eigene‹ Perspektiven (bspw. als Studierende, SeniorInnen oder PolitikerInnen) einnehmen, sich also gewissermaßen selbst eine Stimme verleihen, sondern auch Perspektiven bzw. Stimmen von anderen DiskursteilnehmerInnen repräsentieren und thematisieren, sie also auch zu ›fremden‹ Positionen Stellung beziehen (vgl. Reisigl 2003: 215 f.). Wie im empirischen Teil dieser Arbeit zu zeigen sein wird, ist gerade der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ von einem Geflecht heterogener, oftmals in sich und untereinander widersprüchlicher Perspektiven und Stimmen durchzogen, die es diskursanalytisch gewissermaßen zu ›entflechten‹ gilt. Verstärkungs- und Abschwächungsstrategien haben die Funktion, die ill-

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okutionäre Kraft und damit den epistemischen oder deontischen Status von Äußerungen zu modifizieren (d. h. zu verstärken oder abzuschwächen) (Reisigl/ Wodak 2009: 94). Das übergeordnete sprachliche Verfahren, das hierfür eingesetzt wird, ist die Modalität: Sowohl der Gewissheitsgrad von Propositionen als auch die ›Verbindlichkeit‹ von Sprachhandlungen können auf diese Weise ›moduliert‹ werden. Zu den sprachlichen Mitteln im engeren Sinn, die für Verstärkungs- und Abschwächungsstrategien nutzbar gemacht werden können, zählen unter anderem Konjunktiv, Diminutive und Superlative, Attribute, prosodische Hervorhebungen, Hyperbeln und Litotes sowie Modalverben und Verben des Sagens und Denkens (vgl. Reisigl 2009: 94). Verstärkungs- und Abschwächungsstrategien sind im gesamten Untersuchungskorpus mannigfach zu finden: So scheinen etwa Abschwächungen durch Verben des Sagens und Denkens (z. B. »ich weiß nicht« oder »ich vermute mal«) insbesondere für das Genre der Gruppendiskussion, in geringerem Grad auch für die Interviews, typisch zu sein. Da Verstärkungs- und Abschwächungsstrategien für die diskursive Konstruktion von Sprache jedoch keine vorrangige Rolle einnehmen, werden sie im Rahmen der Fallstudie nur in Einzelfällen berücksichtigt – nämlich dort, wo sie von besonderer Relevanz für den untersuchten Diskurs sind. Bei den neu eingeführten Konstrastierungsstrategien schließlich handelt es sich um eine Analysekategorie, die quer zu den anderen diskursiven Strategien (und den hierfür typischerweise eingesetzten sprachlichen Mitteln) liegt. Generell gesprochen dienen Strategien dieser Art dazu, Phänomene aufgrund von Gegensätzen (oder ›Kontrasten‹) einander gegenüberzustellen – seien es Sachverhalte, soziale Akteure, Orte, Handlungen und Prozesse, oder aber auch Perspektiven und Argumente (auf metadiskursiver Ebene). Kontrastierungsstrategien können also in den Dienst von Nominationsstrategien (z. B. ›Inländer vs. Ausländer‹, ›Mensch vs. Tier‹, ›Muttersprache vs. Fremdsprache‹), Prädikationsstrategien (z. B. ›einsprachig vs. mehrsprachig‹, ›deutschsprachig vs. nichtdeutschsprachig/fremdsprachig/anderssprachig‹ oder ›sprachinteressiert vs. sprachuninteressiert‹), Argumentationsstrategien (z. B. ›Chance vs. Problem‹, ›Integration vs. Assimilation‹, ›Realismus vs. Idealismus‹) oder Perspektivierungsstrategien (z. B. ›Wissenschaft vs. Politik‹, ›wir/Elite vs. die anderen/Normalbürger‹) treten. Diese Art der Kategorisierung, die nicht auf streng antonymische Gegensatzrelationen beschränkt ist, scheint einem (kognitiven, sozialen, emotionalen) Grundbedürfnis von Menschen zu entsprechen, das sich dementsprechend auch auf die diskursive Ebene niederschlägt. Kontraste beruhen dabei nicht auf einem einzigen, spezifischen Relationsmerkmal, vielmehr lassen sich unterschiedlichste Typen von kontrastiven Beziehungen bzw. »Gegensatzarten« differenzieren. Kienpointner (1992: 306) zieht für seine argumentationstheoretische Typologie die aristotelische bzw. scholastische Kate-

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gorisierung von Gegensätzen heran und greift vier Beziehungsarten heraus: Im Einzelnen unterscheidet er zwischen kontradiktorischen, konträren, konversen und inkompatiblen Relationen, wobei innerhalb der konträren Gegensätze wiederum zwischen einem komplementären (ohne Tertium) und einem graduellen Typus (mit Tertium) differenziert wird. Kienpointners Übersicht über diese vier Gegensatzarten wird in Abbildung 5 um die Kategorie der kontrastiven Gegensätze ergänzt. Dieser Typ soll jene Gegensätze umfassen, die nicht auf antonymischen (oder ›symmetrischen‹) Relationen im engeren – semantischen – Sinn, sondern gewissermaßen auf ad hoc gebildeten (oder ›asymmetrischen‹) Gegensatzrelationen und Gegenüberstellungen im weitesten Sinn beruhen.

Abbildung 5: Gegensatzarten modifiziert nach Kienpointner (1992: 306)

Wie bereits erwähnt sind die drei Analysedimensionen (Themen, diskursive Strategien und sprachliche Mittel) eng miteinander verzahnt, d. h. keine der drei Dimensionen kann völlig für sich alleine stehen und als unabhängig von den anderen Dimensionen betrachtet werden. So lassen sich etwa Themen und diskursive Strategien (die sich wiederum gegenseitig bedingen) nicht ohne semiotische – in unserem Fall sprachliche – Mittel realisieren. Welche sprachlichen Mittel typischerweise in den Dienst der einzelnen diskursiven Strategien gestellt werden, wurde in diesem Abschnitt bereits exemplarisch und schlaglichtartig anhand ausgewählter Mittel und Realisierungsformen dargestellt.45 Im folgenden Kapitel sollen aber zwei Kategorien von sprachlichen Mitteln im Speziellen herausgegriffen und deren Relevanz für den Diskurs über ›Spra-

45 Detailliertere tabellarische Übersichten über die Zusammenhänge zwischen diskursiven Strategien und sprachlichen Mitteln finden sich in mehreren Studien nach dem DHA: Für eine generelle Übersicht siehe Reisigl/Wodak (2009: 94); zu Argumentationsstrategien siehe Wodak et al. (2009: 36 ff.) und Wodak et al. (1998: 79 ff.); zu Nominationsstrategien siehe Reisigl/Wodak (2001: 48 ff.) und Reisigl (2003: 159 ff.); für Perspektivierungsstrategien siehe Reisigl (2003: 234 f.) und für Abschwächungsstrategien siehe Reisigl/Wodak (2001: 84).

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chigkeit‹ demonstriert werden, nämlich rhetorische Figuren bzw. Tropen (insbesondere Metaphern, Metonymien und Synekdochen) sowie Schlagworte. 2.5.2.3. Sprachliche Mittel Unter den sprachlichen Mitteln stellen rhetorische Gestaltungsmittel aufgrund ihres Erklärungspotentials eine für die diskursanalytische Perspektive äußerst nutzbringende Kategorie dar. Während Tropen als eine Form der Bedeutungsübertragung in erster Linie die Semantik und lexematische Ebene betreffen, wirken sich Figuren vor allem auf syntaktischer Ebene auf die Strukturierung von Aussagen aus (bspw. in Form von Wiederholungen, Häufungen, Umstellungen oder Auslassungen einzelner Wörter oder Satzteile). Beispiele für Tropen, um die es im Folgenden vor allem gehen soll, wären demnach Metaphern, Metonymien oder Synekdochen, aber etwa auch Allegorien, Antonomasien, Litotes oder Hyperbeln – um nur einige zu nennen. Das Ersetzungsprinzip, auf dem die Metapher (genauer gesagt: das Metaphernlexem) beruht, zeichnet sich im Allgemeinen dadurch aus, dass ein Lexem an die Stelle eines anderen tritt und dadurch auf semantischer Ebene zwei unterschiedlich gelagerte Bereiche, Begriffs- oder Realitätssphären in einen Ähnlichkeitszusammenhang gebracht werden (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 152 f.; Reisigl 2007a: 46). Diese lexematische Ersetzung bedingt gleichzeitig einen Perspektivenwechsel, denn mit Metaphern wird »etwas – sei es ein Ding, ein Lebewesen, eine Handlung, ein Ereignis, eine Situation, eine Struktur usw. – aus dem Blickwinkel von etwas anderem betrachtet« (Reisigl 2007a: 46). Metaphern spielen in Diskursen über Sprache (in ›Metasprachdiskursen‹) eine wichtige Rolle, wie Spitzmüller (Spitzmüller 2005b: 207) feststellt. In seiner Analyse des Diskurses über Anglizismen in Deutschland kommt er zum Schluss, dass Metaphern im Metasprachdiskurs vor allem dazu dienen, Sprache – und insbesondere das Deutsche – als Einheit zu konzipieren. Die hierfür zur Anwendung kommenden Metaphern gruppiert er anhand von vier Klassen, nämlich Sprache als »Substanz«, als »Container«, als »Organismus« und als »Artefakt«. Ohne auf diese Klassen im Einzelnen genauer eingehen zu können, ist dennoch offenkundig, dass Metaphern dieser Art auch für den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ von Relevanz sind. So wurde bereits anhand der Nominationsstrategien ausgeführt, dass Sprachen oftmals mit Hilfe von Metaphern bezeichnet und benannt werden (siehe Kapitel 2.5.2.2). Auf der Metapher von Sprache als Organismus beruhen bspw. die gebräuchlichen Begriffe ›tote Sprache‹ und ›lebende Sprache‹ (etwa im Rahmen von Nominations-, Prädikationsoder Kontrastierungsstrategien). Dies trifft auch auf die Ausdrücke aussterben oder »am Leben erhalten« (STW4) zu, die z. B. in den Gruppendiskussionen in Bezug auf das Irische und den Fall ›Groener‹ verwendet werden (siehe Kapi-

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tel 4.1). In diesem Zusammenhang spielt auch die Metapher von Sprache als Artefakt eine Rolle: So werden Sprachwandel und Sprachtod (im Sinn der Organismus-Metapher) im untersuchten Korpus häufig als ›natürliche‹ Prozesse thematisiert und mehr oder weniger explizit von Kunst- bzw. Plansprachen (z. B. Esperanto) sowie von ›künstlichen‹ Eingriffen (etwa im Rahmen sprachenpolitischer Maßnahmen oder juristischer Entscheidungen) abgegrenzt. Im Gegensatz zur Organismus-Metapher basiert die Metapher von Sprache als Substanz auf einer Projektion von anorganischen Konzepten auf Sprache (Spitzmüller 2005b: 238). Sprachen werden hier nicht mehr als Lebewesen konzipiert, die (aus-)sterben können, sondern als Substanzen, die vermischt oder rein gehalten werden können. Das Linguonym Mischmasch (oder Mischmaschdeutsch) stellt ein prototypisches Beispiel für die Anwendung einer solchen Substanz-Metapher dar. Die Mischung und Reinheit von Sprachen betrifft dabei nicht nur die Veränderung des inneren Systems von Sprachen etwa durch Fremdwörter, bspw. durch Anglizismen im Deutschen wie bei Spitzmüller, sondern auch die ›gleichzeitige‹ Verwendung von mehreren Sprachen (›CodeSwitching‹) oder hybriden Sprachformen (z. B. Pidgin-Sprachen) in bestimmten Kommunikationssituationen. Damit erlangt die Metapher nicht nur für die Debatte um Sprachwandel, sondern auch für das Thema ›Sprachigkeit‹ Bedeutung. Für dieses Thema und den sprachideologischen Komplex des ›Lingualismus‹ spielt auch die Metapher von Sprache als Container eine herausragende Rolle. Spitzmüller (2005b: 244) charakterisiert diese Metaphernklasse folgendermaßen: »Sprache als Container meint nicht etwa nur die Vorstellung von Sprache als einem Behälter. Der Metaphernbereich ist umfassender und umschließt sämtliche Konzepte, die dem Phänomen Sprache feste Grenzen verleiht.« Dieses Metaphernkonzept ist vor allem dort besonders wirkmächtig, wo es um die diskursive Konstruktion und wechselseitige Zuschreibung von kollektiven Identitäten aufgrund nationaler und sprachlicher Zugehörigkeiten geht. Eine der grundlegendsten Mechanismen in diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen ›Wir‹ und den ›Anderen‹, die sich auch in Kontrastierungsstrategien wie ›Fremdsprache vs. Muttersprache‹ oder ›anderssprachig vs. deutschsprachig‹ manifestiert. Eine Metapher, die weniger auf Sprache(n) per se als vielmehr auf (Mehr-)Sprachigkeit Bezug nimmt und damit einen protypischen Charakter für den zu untersuchenden Diskurs erlangt, ist die (toponymische) Metapher vom ›Turmbau zu Babel‹, der für die negativen Aspekte der Sprachenvielfalt (insbesondere der EU), nämlich das (babylonische) Sprachgewirr steht. In manchen Fällen liegen Überschneidungen von Metaphern mit anderen Tropen, allen voran Metonymien, vor (solche Mischformen, die sowohl Elemente von Metaphern als auch von Metonymien enthalten, werden mitunter ›Metaphtonymien‹ genannt). Dies trifft auch auf das oben erwähnte Beispiel des

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Turmbaus zu Babel zu, wenn bspw. mit der Ortsbezeichnung ›Babylon‹ auf den dortigen Turm und gleichzeitig auf die damit assoziierte Sprachverwirrung referiert wird. Wie für Metaphern ist auch für Metonymien der Gebrauch von Wörtern im übertragenen, nicht-wörtlichen Sinn charakteristisch – anders als bei Metaphern findet die Bedeutungsübertragung dabei allerdings nicht zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen, sondern zwischen zwei ähnlichen oder benachbarten Realitätssphären statt (bspw. zwischen Ursache und Wirkung, BesitzerIn und Besitztum, Rohstoff und Erzeugnis, Ereignis und Ort des Ereignisses usw.). So kann etwa der Ausdruck ›Zunge‹ metonymisch als Bezeichnung für ›Sprache‹ verwendet werden – in diesem Fall steht das Körperteil in einem Ursache-Wirkungszusammenhang mit der (Laut-)Sprache, die mit Hilfe dieses Körperteils artikuliert wird. Beispiele für weitere metonymische Linguonyme, die ebenfalls synonym zu ›Sprache‹ verwendet werden können, wären ›Mundart‹ oder ›Idiom‹, die beide in spezifischer Weise die Eigenart der jeweils benannten Sprache oder Varietät herausstreichen: Bei ›Mundart‹ findet die Bedeutungsübertragung – ähnlich wie bei ›Zunge‹ zwischen Ursache und Wirkung statt, bei ›Idiom‹ (agr. ›Eigentümlichkeit‹, ›Besonderheit‹) hingegen zwischen Eigenschaft und Eigenschaftsträger. Bei der Sammelbezeichnung ›Sprachfamilie‹, um ein weiteres Beispiel zu nennen, handelt sich insofern um eine Metaphtonymie, als sowohl von der Organismus-Metapher als auch von einer Metonymie Gebrauch gemacht wird, die das Konzept der Verwandtschaft von Lebewesen auf die historische Entwicklung von Sprachen überträgt. Ein weiterer Tropus, der an dieser Stelle gesonderte Beachtung verdient, ist die Synekdoche. Deren wesentlichstes Merkmal ist, ungeachtet des oftmals fließenden Übergangs zur Metapher oder Metonymie, die Ersetzung eines Begriffs durch einen anderen semantisch enger oder weiter gefassten bzw. durch einen Unter- oder Überbegriff. Was den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ betrifft, ist insbesondere die bereits erwähnte (generalisierende) Synekdoche des Typs ›totum pro parte‹ hervorzuheben, bei der das Hyperonym Sprache an die Stelle einer Einzelsprache – in unserem Kontext vor allem des Deutschen – tritt. Partikularisierende Synekdochen des Typs ›pars pro toto‹ hingegen sind insbesondere in Form von Nationymen zu finden, bei denen Singular statt Plural steht (z. B. der Österreicher), aber auch personifikatorische Toponyme wie Österreich sowie »das historisch expandierte und das paternalistische Wir« zählen zu diesem Typus (Reisigl 2007a: 275). Zusätzlich zu den genannten (Haupt-)Tropen wird im Folgenden auch der Gebrauch von Schlagwörtern als spezifisches sprachliches Mittel im Diskurs über ›Sprachigkeit‹ untersucht. Dabei ist grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Kategorien von Schlagwörtern zu unterscheiden: Zum einen handelt es sich dabei um das politische Schlagwort (engl. ›catchword‹ oder ›slogan‹), das als Teil des Ideologievokabulars zur »Beeinflussung der öffentlichen Meinung«

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im politischen Handlungsfeld der Meinungsbildung eingesetzt wird (Dieckmann 1969: 102; vgl. Girnth 2002: 52 f.). Davon zu unterscheiden ist zum anderen das dokumentierende Schlagwort, das im Wissensmanagement – etwa zur Verwaltung von Datenbanken – zur Anwendung kommt und auch als ›Deskriptor‹, ›Lemma‹ oder ›Stichwort‹ (engl. ›keyword‹) bezeichnet wird. Diese beiden Schlagworttypen dienen unterschiedlichen Zwecken – was jedoch beide ungeachtet dieser verschiedenen Funktionen gemeinsam haben, ist, dass ein Wort oder eine Wortfolge nicht per se ein (politisches oder dokumentierendes) Schlagwort ist, sondern nur in bestimmten Situationen als solches gebraucht werden kann. Das politische Schlagwort erfüllt sowohl die Funktion der Komplexitätsreduktion von Sachverhalten als auch eine appellative Funktion, d. h. es soll auf einer emotional-affektiven Ebene Wirkung erzielen und dadurch Aufmerksamkeit erregen. Anders als das historisch verankerte Symbolwort, mit dem es ansonsten die gleichen Funktionen teilt, ist das Schlagwort oft an aktuelle politische Ereignisse oder Situationen geknüpft. Neben der Nähe des Schlagworts zu Methoden der Propaganda und Überredung mag all dies dazu beitragen, dass der Begriff ›Schlagwort‹ im Alltagssprachgebrauch meist negativ konnotiert ist. Als – neutral zu verstehende – Analysekategorie erweist sich das Schlagwort allerdings als nützlich, etwa um den ideologischen Charakter von ›Mehrsprachigkeit‹ und verwandten Begriffen sowie deren unterschiedliche Gebrauchsweisen erfassen zu können. Denn wie bereits in Kapitel 2.4 dargestellt wurde, kann der Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ nicht nur als linguistisch-fachwissenschaftlicher Terminus, sondern auch als Schlagwort Verwendung finden. Im Diskurs über ›Sprachigkeit‹ erweist sich ›Mehrsprachigkeit‹ innerhalb einer bestimmten ideologischen Gruppierung als positiv konnotiertes Fahnenwort, das andere, gegnerische Ideologiegruppen meiden und nicht als Stigmawort verwenden (können). Somit handelt es sich um ein »gruppen(ideologie)internes Fahnenwort«, das ideologisch nicht polysem ist (Böke et al. 1996: 40; vgl. Dieckmann 1969: 70; Girnth 2002: 52). Ideologische Polysemie liegt jedoch bei vielen Schlagwörtern vor, die mit ›Mehrsprachigkeit‹ verwandt sind, z. B. bei ›Einsprachigkeit‹ oder ›Fremdsprachigkeit‹. In beiden Fällen handelt es sich um ein »gruppen(ideologie)übergreifendes« Schlagwort, das je nach ideologischem Lager entweder als Fahnen- oder als Stigmawort verwendet werden kann und daher semantisch umstritten ist (ebd.). Im Gegensatz dazu sind die ebenfalls ideologieübergreifenden Hochwertwörter oder ›Miranda‹ (z. B. Kohärenz, Synthese) stets positiv konnotiert und deren Gegenstück, die Anti-Miranda (z. B. Einheitsbrei) dementsprechend durchgehend negativ konnotiert. Eine ausführlichere Analyse zentraler politischer Schlagwörter im Diskurs über ›Sprachigkeit‹ erfolgt anhand der Politikerinterviews in Kapitel 4.3.2. Dem politischen Schlagwort steht das dokumentierende Schlagwort gegen-

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über, das seit den technischen Revolutionen durch PC und Internet einen rasanten Bedeutungszuwachs etwa im Bereich der Informationsorganisation und des Wissensmanagement erfahren hat. Prinzipien wie Verschlagwortung und Indexierung im Bibliothekswesen oder Lemmatisierung in der Lexikographie blicken zwar auf eine bereits längere Tradition zurück, spätestens seit dem Siegeszug von Internet-Suchmaschinen wie Yahoo! und Google hat sich das Schlagwort aber als alltagstaugliches Mittel zur Informationsbeschaffung und -verbreitung auch jenseits professioneller und institutioneller Tätigkeiten durchgesetzt. Welche diskursiv-gesellschaftlichen Auswirkungen mit der Machtverschiebung zugunsten profitorientierter Großunternehmen mit Monopolcharakter (Google, Microsoft etc.), aber auch nicht-kommerzieller Kollaborationsplattformen wie Wikipedia hat, kann nicht Gegenstand dieser Arbeit sein und bleibt ein Desiderat kritisch-diskursanalytischer Forschung. Was die vorliegende Analyse des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ betrifft, werden dokumentierende Schlagwörter sowohl als Methode – im Zuge der Datenbankrecherchen und für die Erstellung des Printmedien-Korpus (siehe Kapitel 4.2.1) – als auch als Analysekategorie zur Untersuchung der sprachenpolitischen Kommunikationsanstrengungen der EU eingesetzt. In letzterem Fall wird das dokumentierende Schlagwort als Bestandteil der Metadaten diverser sprachenpolitischer EU-Dokumente analysiert, die in der EU-Datenbank RAPID erfasst sind. Die Schlagwörter, mit denen die DatenbankbetreiberInnen diese Dokumente verschlagworten, werden in Kapitel 3.1.2 quantitativ ausgewertet, um einen Aufschluss über die Relevantsetzung bestimmter sprachenpolitischer Themen aufseiten der EU zu erhalten und diese mit der Rezeption der EUKommunikation in Sachen Sprachenpolitik auf medialer Ebene in Österreich abzugleichen.

2.5.3. Computergestützte Diskursanalyse mit dem QDAS-Tool MAXQDA Für die Analyse des Hauptkorpus (bestehend aus Gruppendiskussionen, Printmedienartikeln und Politikerinterviews), die im Zuge der Fallstudie zum österreichischen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ erfolgte (siehe Kapitel 4), wurde das Softwaretool MAXQDA eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein Programm zur computergestützten Analyse qualitativer Daten, eine sogenannte QDAS (Qualitative Daten-Analyse-Software), die vor allem in den Sozialwissenschaften zur Analyse von Texten Verbreitung findet. Anders als etwa Statistikprogramme (z. B. ›SPSS‹) oder korpuslinguistische Softwaretools (z. B. ›AntConc‹ oder ›WordSmith‹) dienen QDAS-Tools nicht zur automatisierten Auswertung von quantifizierbaren Daten, sondern bieten der analysierenden Person ›nur‹ Un-

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terstützung bei der Organisation, Strukturierung und Interpretation von Texten in einem prinzipiell qualitativ ausgerichteten Analyseprozess (der gleichwohl auch quantitative Aspekte umfassen kann). Wie Kuckartz (2007: 13) festhält, ließen sich theoretisch (fast) alle Funktionen von QDA-Programmen auch ohne Computer über die altbewährte ›Paper-and-Pencil‹-Technik realisieren (etwa mit Hilfe von Zettelkästen oder großformatiger Collagen, für die auf Schere, Klebstoff und Papier zurückgegriffen wird). Neben der drastischen Zeitersparnis durch QDAS (vor allem für die Analyse großer Korpora) haben deren Möglichkeiten allerdings auch »weit reichende methodologische Implikationen für die Gestaltung des Analyseprozesses und für die Validität der Ergebnisse« (Kelle 2004: 488). Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, lassen sich QDAS-Tools unter kritischer Reflexion und Berücksichtigung einzelner Risiken und Limitationen nicht nur für die Diskursanalyse im Allgemeinen gewinnbringend einsetzen (Diaz-Bone/Schneider 2010: 492), sondern auch für die kritische und linguistisch ausgerichtete Diskursanalyse im Besonderen. Zu den Nachteilen von QDAS zählt insbesondere die »Gefahr« einer Verschiebung des »Aufmerksamkeitsfokus« auf die »technischen Organisationsmöglichkeiten« (Codesystem, Codieren usw.) während der Analyse zulasten der eigentlichen Interpretationsarbeit (Diaz-Bone/Schneider 2010: 496). Die Arbeit mit QDAS ist zudem auf jene Analyse-›Pfade‹ eingeschränkt, die aufgrund theoretischer oder methodischer Vorentscheidungen (bspw. durch die ›Grounded Theory‹) im Programmdesign vorgegeben sind. Selbst bei ausreichender Reflexion dieses Umstands können solche softwaretechnisch fixierten Pfade im Bedarfsfall kaum angepasst oder gar umprogrammiert werden, zumal die gängigsten QDA-Programme kommerziell vertrieben, und nicht etwa als ›OpenSource‹-Software zur Verfügung gestellt werden. Dem stehen Vorteile wie die »Unterstützung des Kreativitätspotentials bei den Forschenden« und die Verbesserung forschungspraktischer Realisierungsmöglichkeiten gegenüber, etwa in Bezug auf eine »systematische Verbindung von quantifizierenden und qualitativen Analysestrategien« (Diaz-Bone/Schneider 2010: 492, 496). Wie kann QDAS – hinausgehend über eine allgemeine Abwägung solcher Vorund Nachteile – zur wissenschaftlichen ›Güte‹ kritischer-diskursanalytischer Studien beitragen? Ein immer wieder gegen die CDA vorgebrachter Einwand lautet, dass kritische DiskursanalytikerInnen ihre subjektiven, ideologisch oder politisch geprägten Meinungen und Anschauungen unkritisch und unreflektiert auf das Datenmaterial projizieren und die Analyseergebnisse dadurch ›verzerren‹ oder ›verfälschen‹ würden (siehe u. a. Blommaert 2005: 31 ff.; Spitzmüller/ Warnke 2011: 113): Dieser ›bias‹ liege darin begründet, dass die ForscherInnen einzelne Fragmente und Aspekte von Texten in ihrer Analyse selektiv herausgreifen, um die Untersuchungsergebnisse mit den eigenen vorgefassten Überzeugungen in Übereinstimmung zu bringen – Überzeugungen, die auf präfe-

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rierten sozialen Modellen beruhen und wiederum durch die Resultate bestätigt werden sollen. Gegen diese – häufig pauschalisierende und dennoch ernst zu nehmende Kritik – wird aufseiten der Kritischen Diskursanalyse wie bereits erwähnt das Argument vorgebracht, dass Wissenschaft per se nicht objektiv und ideologiefrei sein kann, da der Analyseprozess unweigerlich durch subjektive Faktoren beeinflusst ist, sei es hinsichtlich Forschungsinteresse, Zielsetzung, Fragestellung oder Datenauswahl (vgl. Kapitel 2.3). Statt eine vom analysierenden Subjekt losgelöste, positivistische 1:1-Abbildung sozialer (diskursiver) Realität anzustreben, gilt es daher vielmehr den subjektiven Standpunkt von Forschenden und die daraus entstehenden Implikationen für den Analyseprozess kritisch zu reflektieren und mitzubedenken. Wie sich ein solcher Anspruch auf konkreter, forschungspraktischer Ebene umsetzen lässt, wird allerdings kaum diskutiert – weder von KritikerInnen noch VertreterInnen der CDA. In eine endlose Schleife von Kritik und Selbst-Kritik – etwa in Bezug auf zugrundeliegende soziale Modelle oder normative Maßstäbe – zu verfallen oder die jeweils eigenen biographischen Hintergründe als AnalysierendeR in der Forschungsarbeit umfassend darzustellen, erscheint wenig zweckdienlich. Wodaks Vorschlag in diesem Zusammenhang lautet, den kritisch-diskursanalytischen Forschungsprozess transparent zu gestalten und einen triangulatorischen Ansatz zu verfolgen, d. h. eine Bandbreite unterschiedlichster Theorien, Methoden und Daten heranzuziehen, um vom Diskurs ein möglichst ganzheitliches Bild aus unterschiedlichsten Perspektiven zu erhalten (Wodak 2001: 65): CDA – in my view – should try to make choices at each point in the research itself, and should make these choices transparent. It should also justify theoretically why certain interpretations of discursive events seem more valid than others. One of the methodical ways for critical discourse analysts to minimize the risk of being biased is to follow the principle of triangulation. Thus one of the most salient distinguishing features of the DHA is its endeavour to work with different approaches, multimethodically and on the basis of a variety of empirical data as well as background information.

Wenngleich Triangulation bis zu einem gewissen Grad zur Validität und zum Erkenntniswert der kritisch-diskursanalytischen Forschung beitragen kann, stößt sie dennoch vielfach auf Grenzen – sowohl forschungspraktischer Natur (etwa aufgrund personeller, zeitlicher oder finanzieller Ressourcenknappheit) als auch in epistemologischer Hinsicht (etwa in Form eines ausufernden Eklektizismus, der Theorien ungeachtet ihrer Kompatibilität zusammenführt und die Forschungsarbeit inkohärent und inkonsistent erscheinen lässt). Neben einer gemäßigten Anwendung des Triangulationsprinzips stellt m. E. der Einsatz von QDAS-Tools eine sinnvolle Möglichkeit dar, um den kritisch-diskursanalytischen Forschungsprozess systematischer und transparenter zu gestalten.

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Während CDA-Analysen in Methode und Resultat zwar häufig intuitiv einleuchtend und plausibel wirken, stellt sich der konkrete Analysevorgang bei genauerer Betrachtung aber ebenso oft als unsystematisch und unzureichend rekonstruierbar (oder auch wiederholbar) heraus. Durch die Verwendung von QDAS kann dem insofern entgegengewirkt werden, als mit ihrer Hilfe sämtliche Analyseschritte computergestützt erfasst und dokumentiert werden, sodass diese nicht nur auf einer intuitiven, sondern auch auf einer wissenschaftlichsystematischen Ebene intersubjektiv nachvollziehbar werden. Denn was die »Analyse mittels QDA-Software« auszeichnet, ist der »systematische Umgang mit Texten, d. h. eine weitgehend codifizierte Vorgehensweise, bei der es nicht nur um die selektive Plausibilität eigener Hypothesen durch entsprechend gewählte Zitate geht« [Hervorhebung im Original, ND] (Kuckartz 2007: 14). Im Zentrum der Arbeit mit QDAS steht das manuelle Verknüpfen von Textstellen (›Codieren‹) mit selbst zu definierenden Analysekategorien (›Codes‹) in einer Projektdatei mit einem oder mehreren Primärdokumenten. Anders ausgedrückt geht es darum, das Datenmaterial in Hinblick auf bestimmte Fragestellungen möglichst reichhaltig zu annotieren, um in einem nächsten Schritt bei der Auswertung der Annotationen (›Codierungen‹) auch jene analyserelevanten Aspekte und Zusammenhänge zum Vorschein zu bringen, die sich bei einer manuellen Bearbeitung entweder gar nicht oder nur durch einen erheblichen Personal- und Zeitaufwand erschließen würden. Die Codes können dabei selbst in Beziehung zueinander gebracht werden, etwa durch hierarchische Baumstrukturen (wie in MAXQDA) oder durch netzwerkartige Verbindungen (wie in ›Atlas.ti‹). Zudem ist es möglich, sowohl Codes als auch Codierungen und einzelne Textstellen mit so genannten ›Memos‹ zu versehen, in denen etwa Definitionen von Analysekategorien, Anmerkungen o.Ä. festgehalten werden können. Neben zusätzlichen Funktionen, etwa zur Auswertung von Worthäufigkeiten oder gemeinsam auftretender Codes, besteht zumeist auch die Möglichkeit, parallel zur Analyse innerhalb der jeweiligen Projektdatei eine Art von Forschungstagebuch zu führen, in dem bspw. einzelne Analyseschritte dokumentiert und kommentiert werden können (in MAXQDA nennt sich diese Funktion ›Logbuch‹). Sowohl das Grundkonzept der gängigsten QDAS (im deutschsprachigen Raum sind dies vor allem MAXQDA und ›Atlas.ti‹) als auch die Bezeichnungen der einzelnen Programm-Features (›Codes‹, ›Memos‹ usw.) orientieren sich stark an der Methodologie der ›Grounded Theory‹ (Glaser/ Strauss 1998). Dabei handelt es sich – vereinfacht gesagt – um ein (Bündel von) Verfahren, das der Theoriebildung mittels Auswertung von Textdaten dient. Wenngleich das Design der meisten QDA-Programme damit mehr oder weniger explizit auf die Zielsetzung und die Konzepte der Grounded Theory ausgerichtet sind, bleiben sie aufgrund ihrer Flexibilität (etwa im Aufbau des Codesystems oder in der Handhabung der ›Memos‹) prinzipiell auch für andere qualitativ-

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textbasierte Methodologien offen, etwa für inhalts- oder diskursanalytische Ansätze. Zwei Prinzipien, die der Grounded Theory zugrundeliegen und im Design der QDAS angelegt sind, korrespondieren m. E. besonders stark mit der linguistisch ausgerichteten kritischen Diskursanalyse im Allgemeinen und mit dem DHA im Speziellen, nämlich: (1) die Verknüpfung von Analysekategorien (im Sinn von ›types‹) mit sprachlich manifest werdenden Textstellen (›tokens‹) und (2) das Prinzip der Abduktion, d. h. die Bildung von erklärenden Hypothesen in einem rekursiven Forschungsprozess, in dem Verfahrensweisen und Kategorien der Analyse aufgrund (vorläufiger) Resultate in mehreren aufeinander bezogenen Schritten wiederholt angepasst und verbessert werden.46 Diese methodologische Anschlussfähigkeit zwischen DHA und QDAS soll daher auch für die Fallstudie in Kapitel 4 nutzbar gemacht werden, indem die mikroanalytische Arbeit nach dem DHA-Schema mit einer QDA-Software systematisch und effizient, darüber hinaus aber auch transparent und nachvollziehbar durchgeführt und dokumentiert wird.47 Für die vorliegende Studie wurde das in Deutschland entwickelte Programm MAXQDA gewählt, weil es aufgrund seiner Benutzerfreundlichkeit (etwa hinsichtlich Oberfläche, Menüführung, ›Drag& Drop‹-Funktionalität oder Datenmanagement) eine effiziente Anwendung der Grundfunktionen auch ohne lange Einarbeitungszeit ermöglicht. Auch die von MAXQDA vorgegebene Codeorganisation in Form einer hierarchisch gegliederten Baumstruktur erweist sich mit einer zunehmenden Anzahl von (Mehrfach-)Codierungen als wesentlich übersichtlicher und leichter handzuhaben als etwa die netzwerkartige Organisationsform für Codes in Atlas.ti (die gleichwohl ihre Vorzüge für anders gelagerte Forschungsdesigns und Fragestellungen haben kann). Zudem kommt die (aufund einklappbare) Baumstruktur für Codes in MAXQDA der vom DHA vorgeschlagenen, umfangreichen und differenzierten Typologie der einzelnen Analysekategorien entgegen, da sich diese einerseits überlappen können (z. B. Nominations- mit Prädikationsstrategien) und sich andererseits über mehrere hierarchische Stufen in Über- und Untergruppen auffächern lassen (z. B. in Form der Codeabfolge ›Nominationsstrategien > Anthroponyme > Kollektiva‹). 46 Sowohl die Differenzierung zwischen ›types‹ und ›tokens‹ (bzw. ›Legizeichen‹ und ›Sinzeichen‹) als auch das Prinzip der Abduktion – als ein von der Induktion und Deduktion zu unterscheidendes Schlussverfahren – gehen zurück auf Charles Sanders Peirce (2000: 146; 1983: 89 ff., 123 f.; 1976: 400 ff.). 47 Die vollständige MAXQDA-Projektdatei mit dem kompletten Codesystem sowie sämtlichen Transkriptionen und Codierungen kann unter http://www.univie.ac.at/sprachigkeit/ lingualismus.zip heruntergeladen und mit dem kostenlosen Programm ›MAXReader‹ (http://www.maxqda.de/produkte/maxreader) geöffnet werden, sodass sich die vorgenommene Analyse- und Codierungsarbeit direkt am Textmaterial systematisch nachvollziehen lässt (letzter Zugriff jeweils am: 21. 07. 2012).

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Die konkrete Vorgangsweise mit MAXQDA – von der Datenaufbereitung bis zur Auswertung – lässt sich für die gegenständliche Studie wie folgt zusammenfassen: Zunächst musste das Datenmaterial aus den Gruppendiskussionen und Politikerinterviews, das auf audiovisuelle Träger aufgenommen worden war, transkribiert und entsprechend aufbereitet (anonymisiert, korrigiert usw.) werden. Dieser Schritt entfiel für das schriftlich vorliegende Politikerinterview mit PBS und das elektronische Printmedien-Korpus, das mit Hilfe der Datenbanken ›Wiso Praxis/Presse‹ und ›APA DeFacto-Campus‹ erstellt wurde. Die Transkription, basierend auf den HIAT-Konventionen (Halbinterpretative Arbeitstranskriptionen), wurde mit Hilfe des Partitur-Editors EXMARaLDA durchgeführt. Nach der Konvertierung in ein entsprechendes Textformat konnten die einzelnen Transkripte zusammen mit den Printmedientexten in die MAXQDA-Projektdatei importiert werden, wobei im Fall der Politikerinterviews aus Platzgründen statt der HIAT-Partiturschreibweise eine vereinfachte Zeilennotation übernommen wurde (siehe Transkriptionskonventionen im Anhang, Abschnitt G). Für jede der drei Gruppendiskussionen sowie für die Politikerinterviews und Printmedienartikel wurde eine eigene Dokumentengruppe mit jeweils mehreren Texten erstellt, die ihrerseits wiederum nach Erscheinungsjahr (Printmedien), Interviewpartner (Politikerinterviews) und Fragenkomplex (Gruppendiskussionen) gegliedert wurden. Die Codierung erfolgte parallel zur Weiterentwicklung und Modifizierung des Codesystems, das für die Mikroanalyse aller Primärdokumente in den genannten drei Dokumentengruppen angewendet wurde. Zur Erstellung eines ersten groben Rasters für das Codesystem wurden die vier Hauptanalysekategorien nach dem Analyseschema des DHA (Themen, Nominations-, Prädikations- und Argumentationsstrategien) als (Makro-)Codes auf der obersten hierarchischen Ebene erstellt und im Zuge der Codierungsarbeit mit der Analysekategorie der Kontrastierungsstrategien ergänzt (siehe Kapitel 2.5.2). Die untergeordneten (Sub-)Codes auf den jeweils darunter liegenden Ebenen wurden zum einen Teil induktiv aus dem Datenmaterial der Primärdokumente gewonnen und zum anderen Teil deduktiv aus theoretisch-typologischen Konzepten des DHA und anderer diskursanalytischer Richtungen übernommen (z. B. in Bezug auf Nominationskategorien oder Topoi). Für die Kategorie der Prädikation wurde das gleiche Codesystem wie für die Nominationsstrategien verwendet (z. B. ›Ortsnamen > Staaten > Schweiz‹) und auf der untersten Ebene mit einem paraphrasierenden Code für die jeweilige Prädikation im Primärdokument ergänzt (z. B. ›Ortsnamen > Staaten > Schweiz > ist mehrsprachig‹). Die Codierung selbst, d. h. die Verknüpfung des Codes mit der jeweiligen Textstelle aus dem Primärdokument, erfolgte immer nur mit den (Sub-)Codes auf der untersten Ebene des jeweiligen Codezweigs, z. B. mit dem Code ›ist

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mehrsprachig‹, um beim oben genannten exemplarischen Prädikationscode zu bleiben. Zur Veranschaulichung sei an dieser Stelle noch eine der (insgesamt drei) Textstellen angeführt, mit der dieser Code (per ›Drag& Drop‹-Funktion) verknüpft wurde (es handelt sich um einen Redebeitrag der Studentin SEW3 aus der ersten Gruppendiskussion):48

Sowohl Codes als auch Textstellen können jeweils mehrfach verknüpft werden – der obige Redebeitrag wurde z. B. auch unter ›Ortsnamen > Staaten > Österreich > ist nicht mehrsprachig‹ sowie unter ›Themen > Bildung > Sprachkenntnisse‹ codiert. Was die Codierungseinheit betrifft, wurden die Nominationsstrategien auf Wort- und Wortgruppenebene codiert: Das ›token‹ Österreich im obigen Beispiel wurde etwa unter ›Nominationsstrategien > Ortsnamen > Staaten > Österreich‹ und das ›token‹ Englisch unter ›Nominationsstrategien > Sprachbezeichnungen > Einzelsprachen‹ codiert. Die Codierung mit den Codes der übrigen Kategorien (Themen, Prädikation, Argumentation und Kontrastierung) erfolgte – je nach Dokumententyp und Kontext – auf der Ebene von Sätzen und Absätzen oder ›turns‹, wobei eine Codierung ggf. auch mehrere Absätze oder ›turns‹ umfassen kann. Die Codes für die Themen wurden, orientiert am Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse, zunächst deduktiv auf der Grundlage der bisherigen Sprachenpolitikforschung erstellt (siehe Kapitel 2.5.2.1) und danach induktiv aus dem Datenmaterial ergänzt und in mehrfacher Überarbeitung neu gruppiert sowie in Makro- und Subcodes aufgefächert. Auf ähnliche Weise wurden – unter Rückgriff auf die jeweiligen Theorien und Konzepte – auch die Codes für die Argumentations- und Nominations- bzw. Prädikationsstrategien gebildet. Bei den Kontrastierungsstrategien, in deren Codenamen die jeweilige Kontrastbezie48 Im Folgenden werden längere Gesprächsausschnitte mit mehreren SprecherInnen in der Partiturschreibweise wiedergegeben, während ansonsten aus Lesbarkeits- und Platzgründen auf die herkömmliche Zeilendarstellung zurückgegriffen wird.

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hung paraphrasiert wird (z. B. ›Mehrsprachige vs. Einsprachige‹), wurde hingegen auf weitere Untergliederungen verzichtet und stattdessen vermehrt auf die Funktion des ›Code-Memos‹ zur näheren Definition des jeweiligen Codes zurückgegriffen. Systematisch angewendet wurde diese Funktion für die Argumentationsstrategien, die mittels Makro- und Subcodes in mehrere ToposGruppen aufgeteilt und mit ›Code-Memos‹ versehen wurden, in denen die jeweils Topos-(Gruppen-)konstituierende Schlussregel in Form eines Kausal- oder Konditionalsatzes festgehalten ist. Für die Analyse der sprachlichen Mittel (insbesondere der unter 2.5.2.3 beschriebenen Haupttropen) wurden ›Dokument-Memos‹ eingesetzt – diese werden im Unterschied zu ›Code-Memos‹ nicht an einzelne Codes ›angeheftet‹, sondern direkt im Primärdokument neben der jeweiligen Textzeile verankert. Die sprachlichen Mittel (insbesondere die bereits erörterten Haupttropen) wurden dort, wo sie für die diskursive Konstruktion von Sprache im sprachenpolitischen Kontext besonders relevant erschienen, in Form von Memos festgehalten. Zudem wurden die Memos im Zuge der Codierung verwendet, um ausgehend von bestimmten Textstellen bereits erste Ansätze für die Interpretation zu entwickeln und zu notieren. Wie bereits erwähnt nimmt die QDA-Software der analysierenden Person nicht die Aufgabe der Interpretation ab, sondern unterstützt sie ›nur‹ dabei – hierfür sind die Memos, ebenso wie die Exportfunktionen, von besonderer Bedeutung, da sie gewissermaßen eine Schnittstelle zwischen der Programm-internen und -externen Arbeit schaffen. Neben der Verdichtung der Codes und Memos wurde in einem nachfolgenden Analyseschritt die Funktion des ›Text-Retrievals‹ in MAXQDA genutzt sowie Übersichten über Codings abgerufen und exportiert (z. B. in Form von ExcelListen). Durch diese Funktionen können systematisch Fragen an das Material gestellt und beantwortet werden – z. B. in Hinblick auf Codehäufigkeiten, Vergleiche zwischen einzelnen Primärdokumenten oder Zusammenhänge zwischen Codes und Codings. Beim ›Text-Retrieval‹ handelt es sich um eine Funktion, mit der die Codings eines bestimmten Codes – also die Textstellen, die mit diesem Code verknüpft wurden – als Synopse im Textformat ausgegeben werden können. Mit den Übersichten über die Codings können zudem (auch über die Funktion des ›Code-Matrix-Browsers‹) Codehäufigkeiten – etwa in Hinblick auf das Verhältnis von Makro- und Subcodes sowie einzelnen Textabschnitten (z. B. den Fragenkomplexen der Gruppendiskussionen) – ausgewertet werden. Auf eine Nutzbarmachung weiterer Programmfeatures, die MAXQDA anbietet (v. a. quantitative Auswertungsmöglichkeiten), musste verzichtet werden, um die große Menge an Primärdaten zusammen mit den zusätzlich angesammelten Sekundärdaten interpretativ bewältigen zu können. Denn sowohl die unmittelbaren Textdaten (Primärdaten) als auch die durch MAXQDA gewonnen Daten über diese Textdaten (Sekundärdaten) ›sprechen‹ nicht von alleine, sondern

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müssen erst von der analysierenden Person zum »Sprechen gebracht werden« (Diaz-Bone/Schneider 2010: 493). Der letzte interpretative Schritt bestand daher darin, die diskursiven Zusammenhänge – außerhalb des QDA-Programms – zum Vorschein zu bringen, um herauszuarbeiten, wie Sprache im sprachenpolitischen Kontext diskursiv konstruiert wird. Die komplette Analyse, einschließlich MAXQDA-Auswertungen sowie Interpretation und Diskussion der Ergebnisse – ist in Kapitel 4 zu finden. Im folgenden Abschnitt soll jedoch zunächst der gesellschaftliche und historische Kontext des Themas ›(Mehr-)Sprachigkeit‹ in der Sprachenpolitik der EU und Österreichs näher beleuchtet werden. Im nachfolgenden Kapitel wird dabei insbesondere auf diejenigen sprachenpolitischen Eckpunkte (Dokumente, Ereignisse, Praktiken) einzugehen sein, die Thema in den Politikerinterviews, Gruppendiskussionen und Printmedienartikeln sind, um darauf aufbauend die kritisch-diskursanalytische Untersuchung im Zuge der österreichischen Fallstudie durchführen zu können.

3. Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene: (Mehr-)Sprachigkeit als Politikum in der EU und in Österreich

3.1. (Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik In der Sprachenpolitikforschung herrscht weitgehend Konsens darüber, dass ›Mehrsprachigkeit‹ eines der herausragendsten ›Markenzeichen‹ (»hallmarks«) der Europäischen Union darstellt (siehe z. B. Ammon 2012: 571). Sprachenvielfalt – als markanteste Manifestation kultureller Vielfalt – spielt dabei vor allem für das Eigenverständnis der EU und deren positive Selbstpräsentation eine wichtige Rolle, während sie von SprachenpolitikforscherInnen auch unter dem Blickwinkel eines EU-spezifischen Dilemmas betrachtet wird (etwa in Bezug auf Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realität oder Demokratie und Effizienz). Die positive Rolle der europäischen Sprachenvielfalt spiegelt sich nicht nur im EU-Leitspruch »in Vielfalt geeint« wider, sondern kommt vor allem auch in der explizit betriebenen und öffentlich kommunizierten Sprachenpolitik der EU zum Ausdruck. Dass Sprache den Stellenwert einer offiziell und bewusst gestaltbaren politischen Materie einnehmen kann, wie das bei der EU der Fall ist, mag zwar auf den ersten Blick banal klingen, ist bei näherer Betrachtung aber als eine relativ junge Entwicklung einzustufen, die v. a. mit der Herausbildung der Nationalstaaten in Europa – einer bis heute prägenden Wende in der neuzeitlichen Geschichte – eng verbunden ist (vgl. Kraus 2008: 77). Sprache wird dabei sowohl in ihrer instrumentellen als auch in ihrer expressiv-identitären Funktion zum Gegenstand politischer Entscheidungen und Maßnahmen gemacht, sei es in Hinblick auf die Standardisierung von National- oder Staatssprachen, die Festlegung von Amts- und Arbeitssprachen oder die Förderung von Regionalund Minderheitensprachen. Die EU agiert allerdings auf supra-nationaler Ebene, wo sie in Bezug auf Sprachenpolitik das Subsidiaritätsprinzip zu beachten hat (wie in Artikel 5 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union verankert), d. h. die Zuständigkeit für sprachenpolitische Fragen, die die EU-Institutionen nicht unmittelbar selbst betreffen, liegt bei den einzelnen Mitgliedsländern (Europäische Union 2008a: 6; vgl. Kraus 2008: 16; Studer et al. 2008: 26). Somit

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

kann die EU beispielsweise nicht in die sprachbezogene Kultur- und Bildungspolitik der Mitgliedsstaaten mit rechtlich bindenden Instrumenten eingreifen, sondern nur Empfehlungen aussprechen und die Grundlagen für sprachenpolitische Aktivitäten auf nationaler Ebene legen. Der EU kommt dabei auch insofern eine Sonderstellung als supranationale sprachenpolitische Akteurin zu, als sie ein eigenes, noch in Entwicklung begriffenes politisches System darstellt, das in der Geschichte weitgehend beispiellos ist und daher als ›polity‹ bzw. »political order sui generis« aufzufassen ist [Hervorhebung im Original, ND] (Kraus 2008: 59). Die Frage, ob die EU (immer noch) ein Staatenbund auf vorwiegend intergouvernementaler Basis oder bereits auf dem Weg zu einer Föderation bzw. einem Bundesstaat nach Vorbild der USA ist oder sein sollte, ist somit – etwa aus politologischer Sicht – wenig überraschend umstritten und nicht letztgültig zu beantworten. In aktuelleren Studien wird die EU im ›grauen Bereich‹ zwischen diesen beiden Extrempositionen verortet bzw. als Mischform charakterisiert. Die EU lässt sich demnach als komplexes Mehrebenensystem mit heterogenen und polyzentrischen Strukturen beschreiben (Kraus 2008: 59; vgl. Krzyz˙anowski 2010: 54). Die weit verzweigte politische Formation der EU verfügt bei aller internen Heterogenität über ein »integrated negotiating system comprising various policy arenas which exhibit territorially and functionally specific features but are nevertheless interconnected« (Kraus 2008: 59). Dieses Aushandlungssystem kommt auch im Bereich der Sprachenpolitik zum Tragen – quer über alle Organe, Unterabteilungen und Institutionen der EU mit ihren jeweils unterschiedlichen Rollen. Als vielschichtiges, von heterogenen Perspektiven gekennzeichnetes und in Wandel befindliches Phänomen ist daher auch die EU-Sprachenpolitik – und insbesondere die EU-Mehrsprachigkeitspolitik – aufzufassen. Für die herausragende Stellung, die Mehrsprachigkeit in der Union und in deren Sprachenpolitik einnimmt, wurde der Begriff ›European Multilingualism‹ geprägt. Dieser Terminus findet sowohl in der Forschung als auch im politischen Diskurs der EU Verwendung und spiegelt damit die Interdependenz von wissenschaftlichem und politischem Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit wider, kann darüber hinaus aber auch als Ausdruck einer zunehmenden Europäisierung in diesen Bereichen verstanden werden.49 Rindler Schjerve/Vetter (2012: 43 f.) charakterisieren das Phänomen des ›European Multilingualism‹ (EM) wie folgt: […] EM is actually represented as a comprehensive policy framework which is to ensure the Union’s ever closer economic, political and cultural integration. On the one 49 Als eine weitere Begriffsprägung in diesem Zusammenhang lässt sich die ›Eurolinguistik‹ verstehen, einem Terminus, der in den 90er Jahren von Reiter (1991) eingeführt wurde, sich in der Fachwelt bislang aber (noch) kaum durchsetzen konnte (vgl. Reiter 1999; Hinrichs et al. 2009; Hinrichs 2010).

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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hand, EM was to provide for the required mobility, employability and competitiveness of the globalized single market. On the other hand, it was seen as an appropriate means to reflect and sustain the political and cultural distinctiveness of the Member States within the ongoing unification process, thereby giving political legitimacy to the Union as an integrated democratic collectivity incorporating cultural and linguistic diversity.

Mit dem Phänomen und der Problematik der Europäischen Mehrsprachigkeit, die so unterschiedliche Dimensionen wie die kulturelle und politische Integration oder die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU umfasst, beschäftigt sich mittlerweile eine vergleichsweise große Zahl von WissenschaftlerInnen (vor allem SoziolinguistInnen, aber etwa auch PolitologInnen). Eine Reihe von Arbeiten (v. a. publizierte Hochschulschriften) behandelt insbesondere die ›Sprachenfrage‹ der Europäischen Union und gibt zumeist entsprechende Übersichten über die wichtigsten Eckpunkte der EU-Sprachenpolitik (beginnend mit Labrie 1993; siehe u. a. Ross 2003; Phillipson 2003; Wu 2005; Kraus 2008; Kitzinger 2009; Festman 2010; Nißl 2011). Darin gehen die AutorInnen auf zentrale sprachenpolitische Dokumente und Ereignisse der EU im historischen und politischen Kontext seit ihrer Gründung ein, aber auch auf die tatsächliche Sprachverwendung in den einzelnen EU-Organen, um ihre Befunde etwa in Hinblick auf das Demokratiedefizit der EU oder die Sprachenpolitik einzelner Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene zu problematisieren. Dabei werden zumeist Vor- und Nachteile der EU-Sprachenvielfalt bzw. das ›Dilemma‹ der EUSprachenpolitik erörtert, um letztendlich Vorschläge für eine künftige EUSprachenpolitik zu unterbreiten. Zu den wichtigsten Punkten, die dabei zumeist angesprochen und gegeneinander abgewogen werden, zählen unter anderem die folgenden: Effizienz und Legitimation der EU, Bewahrung des kulturellen Reichtums, Herausbildung einer europäischen Identität, europäischer Integrationsprozess, Weiterentwicklung des EU-Institutionengefüges und Herausforderungen der EU-Erweiterung sowie Dominanz des Englischen als ›Lingua franca‹. In den wenigsten Fällen werden dabei explizit (kritisch-)diskursanalytische bzw. diskurslinguistische Ansätze wie in der vorliegenden Arbeit verfolgt (siehe jedoch bspw. Siebert-Ott 1998; Studer et al. 2008; Krzyz˙anowski 2010; Krzyz˙anowski/Wodak 2011) oder aus einer Metaperspektive (als einer von mehreren Ansätzen) berücksichtigt (wie etwa bei Rindler Schjerve/Vetter 2012). Im Gegensatz zu den genannten Forschungsarbeiten versucht die vorliegende Studie einerseits einen übergeordneten Blickwinkel einzunehmen, durch den jene diskursiven Regularitäten zum Vorschein gebracht werden sollen, die der Behandlung der ›Sprachenfrage‹ im Allgemeinen zugrundeliegen und die zur Konstruktion sowie Nutzbarmachung von ›Sprache‹ als politisch wirkmächtiges Vehikel beitragen – sei es nun auf der Ebene der Wissenschaft (bspw. in den genannten Studien), der supranationalen Politik (bspw. in offiziellen EU-Dokumenten), der Medien (bspw. in Zeitungsartikeln) oder des ›Alltagsdiskurses‹

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(bspw. in Gruppendiskussionen). Andererseits liegt der Fokus der Untersuchung auf dem österreichischen Diskurs, sodass im Folgenden weder die EUSprachenpolitik selbst noch die akademische Auseinandersetzung damit diskursanalytisch im Rahmen einer detaillierten Mikroanalyse auf Textebene untersucht wird. Vielmehr soll die EU-Sprachenpolitik im Zuge einer Makro- bzw. Kontextanalyse Berücksichtigung finden, indem sie in der Analyse als Kontext und interdiskursiver Bezugspunkt für den österreichischen Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit herangezogen wird. Der nächste Abschnitt dient daher vor allem dazu, die historischen und politischen Hintergründe jener sprachenpolitischen ›Meilensteine‹ der EU – vor allem mit Bezug auf (Mehr-)Sprachigkeit – aufzuarbeiten, die in den untersuchten Genres der mikroanalytischen Fallstudie thematisiert werden. In Kapitel 3.1.2 werden dennoch bereits die ersten Texte, nämlich Presseaussendungen der EU untersucht, um Aufschluss über die nach außen kommunizierten sprachenpolitischen Bemühungen der EU zu erhalten. Diese Untersuchung beschränkt sich auf eine Makroanalyse, bei der die Verschlagwortung der untersuchten Texte in der EU-Datenbank RAPID ausgewertet werden, um einen Vergleich zwischen EU-externen Kommunikationsanstrengungen und deren Rezeption auf nationaler österreichischer Ebene ziehen zu können.

3.1.1. Sprachenpolitische Meilensteine auf EU-Ebene Dem Untersuchungszeitraum entsprechend gilt das Hauptaugenmerk dieses Abschnitts der EU-Sprachenpolitik im ersten Jahrzehnt seit dem Millennium. Dabei soll natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass die Eckpfeiler der EUSprachenpolitik bereits in den Gründungsverträgen der EU und ihrer Vorläuferorganisationen festgeschrieben wurden.50 So sind im 1957 unterzeichneten und im Jahr darauf in Kraft getretenen Vertrag von Rom (bestehend aus EWGund EURATOM-Vertrag) bereits Bestimmungen zu finden, die als rechtliche Grundlage für die Grundsätze der EU-Sprachenpolitik gewertet werden können: Dabei handelt es sich um Artikel 217 und 248 des EWG-Vertrages, der von den sechs Gründungsstaaten (den Benelux-Ländern, West-Deutschland, Frankreich und Italien) in Rom unterzeichnet wurde. In Artikel 217 wird die »Regelung der Sprachenfrage« dem Rat übertragen, der die Regierungen der Mitgliedstaaten repräsentiert: »Die Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Gemeinschaft wird unbeschadet der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vom Rat einstimmig getroffen« (Europäische 50 Der folgende Überblick über die wichtigsten Entwicklungen in der EU-Sprachenpolitik orientieret sich vor allem an Studer et al. (2008), Ross (2003) und Wu (2005).

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Wirtschaftsgemeinschaft 1957). Dies ist insofern bedeutsam, als der Kommission für die Regelung der Sprachenfrage nicht das ansonsten übliche Initiativrecht zukommt, was zusammen mit dem Einstimmigkeitsprinzip eine Änderung des EU-Sprachenregimes erschwert (vgl. Ross 2003: 17; Labrie 1993: 68 f.) In Artikel 248 wird festgehalten, dass der Vertrag in den Sprachen der Gründungsstaaten (Deutsch, Französisch, Niederländisch und Italienisch) abgefasst ist, wobei der »Wortlaut« in jeder der vier Sprachen »gleichermaßen verbindlich ist« (ebd.), ein Prinzip das in EU-Rechtsdokumenten seitdem immer wieder zu finden ist. Unter Berufung auf Artikel 217 erlässt der Rat kurz darauf die »Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage« (auch als ›EU-Sprachencharta‹ bekannt) – die erste Verordnung der EWG überhaupt –, in deren ersten Artikel die genannten vier Sprachen noch recht unspezifisch und undifferenziert als die »Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe der Gemeinschaft« festgelegt werden (Europäische Gemeinschaften 1958). Zwischen (offiziellen) Amtsund (internen) Arbeitssprachen wird dabei bewusst keine Unterscheidung getroffen. Im zweiten Artikel der Verordnung ist das Recht für Mitgliedsstaaten und BürgerInnen verankert, sich in einer der Amtssprachen ihrer Wahl an die EWG-Organe zu wenden und Antworten in der gewählten Sprache zu erhalten: »Schriftstücke, die ein Mitgliedsstaat oder eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedsstaates unterstehende Person an Organe der Gemeinschaft richtet, können nach Wahl des Absenders in einer der Amtssprachen abgefaßt werden. Die Antwort ist in derselben Sprache zu erteilen« (ebd.). Artikel 3 bis 5 schreiben vor, dass die Organe sich in der Sprache der Mitgliedsstaaten an diese bzw. deren BürgerInnen zu wenden haben, und dass »Verordnungen und andere Schriftstücke« sowie das Amtsblatt der Gemeinschaft in den vier Amtssprachen abzufassen sind. Die Verwendung des Begriffs ›abfassen‹ kann hier jeweils als bewusst gewählte Alternative zum Terminus ›übersetzen‹ aufgefasst werden, um der gleichrangigen Rechtsgültigkeit der verschiedenen Sprachfassungen (im Sinn von ›Originalen‹, und nicht bloß ›Übersetzungen‹) Ausdruck zu verleihen (Europäische Kommission 2009a: 55). Diese Bestimmungen wurden infolge der EU-Erweiterungen um die jeweils neu hinzukommenden Amtssprachen ergänzt, nämlich bisher insgesamt sechsmal auf die derzeit aktuelle Anzahl von 23 Amtssprachen. 1992 wurde der Vertrag von Maastricht beschlossen, der die eigentliche Gründung der EU und den bisher weitgehendsten Schritt europäischer Integration markiert. Mit diesem Beschluss ging der EWG-Vertrag in den »Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft« über, der 2007 durch den Lissabon-Vertrag schließlich in den »Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union« (AEUV) umbenannt wurde. Der Maastricht-Vertrag, dessen eigentliche Bezeichnung »Vertrag über die Europäische Union« (EUV) lautet, gilt zusammen mit dem AEUVals einer der beiden Gründungsverträge der EU (auch

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»die Verträge« genannt) und als primärrechtliche Grundlage des politischen Systems der Union (neben Beitritts- und Revisionsverträgen). Bei diesen beiden Gründungsverträgen der EU handelt es sich also um eine größere Sammlung mehrerer Verträge, die im Lauf der letzten Jahrzehnte durch eine Reihe von Revisionsverträgen immer wieder neu zusammengefügt, abgeändert und konsolidiert wurden – nicht nur durch den Maastricht- und den Lissabon-Vertrag, sondern etwa auch durch die Verträge von Amsterdam (1997) und Nizza (2000). Der Maastricht-Vertrag ist auch deshalb hervorzuheben, weil darin das erste Mal ein Bekenntnis zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt abgelegt wird, nämlich in Artikel 126 (im Kapitel über »Allgemeine und berufliche Bildung und Jugend«) und in Artikel 128 (im Kapitel über »Kultur«). Artikel 126 betont zum einen das Subsidiaritätsprinzip in Bildungsfragen und verspricht zum anderen eine Förderung, Unterstützung und Ergänzung der bildungsbezogenen Tätigkeiten in den Mitgliedsstaaten »unter strikter Beachtung […] der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen« (Europäische Gemeinschaften 1992). Zudem wird das Ziel formuliert, »durch Erlernen und Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten« zu einer »Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen« beizutragen (ebd.). In ähnlicher Weise heißt es in Artikel 128, dass die Europäische Gemeinschaft »einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes« leistet (ebd.). Schließlich enthält der Vertrag eine »Erklärung zum Gebrauch der Sprachen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik«, in der die Geltung der »Sprachenregelung der Europäischen Gemeinschaften« für diesen Bereich festgehalten wird (ebd.). Durch den Vertrag von Amsterdam ergeben sich in Bezug auf die EU-Sprachenpolitik nur wenige Änderungen. In Artikel 8d wird eine Bestimmung hinzugefügt, deren Prinzip schon aus dem Vertrag von Rom bekannt ist und nun auf die Unionsbürgerschaft übertragen wird: »Jeder Unionsbürger kann sich schriftlich in einer der in Artikel 314 genannten Sprachen an jedes Organ oder an jede Einrichtung wenden, die in dem vorliegenden Artikel oder in Artikel 7 genannt sind, und eine Antwort in derselben Sprache erhalten« (Europäische Gemeinschaften 1997). Artikel 128 des Maastricht-Vertrags enthielt bereits eine Bestimmung, wonach die Gemeinschaft »bei ihrer Tätigkeit […] den kulturellen Aspekten Rechnung« trägt. Dieser Satz wird im Amsterdam-Vertrag durch die nachfolgende Apposition »insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen« ergänzt und präzisiert, was einen leicht veränderten Fokus von passiver Beachtung bzw. Wahrung zu aktiver Förderung kultureller – und indirekt auch sprachlicher – Vielfalt andeutet (ebd.). Der erste Revisionsvertrag, der in den Untersuchungszeitraum der empirischen Studie fällt, ist der Vertrag von Nizza, der 2000 beschlossen und 2001 in

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Kraft getreten ist. Er enthält jedoch keine Neuerungen für die EU-Sprachenpolitik, wenn man von der Erwähnung der »Charta der Grundrechte der Europäischen Union« absieht, die in sprachenpolitischer Hinsicht relevanter als der Nizza-Vertrag selbst ist. Konkret heißt es in der »Erklärung zur Zukunft der Union«, die in der Schlussakte des Nizza-Vertrags enthalten ist, dass im Zuge einer »eingehenderen und breiter angelegten Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union […] der Status der in Nizza verkündeten Charta der Grundrechte der Europäischen Union gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Köln« behandelt werden soll (Europäische Gemeinschaften 2001). Die EU-Grundrechtscharta stellt die erste umfassende Kodifikation der Grund- und Menschenrechte für die Unionsbürger in der Geschichte der EU dar. Sie sollte ursprünglich Teil des 2004 unterzeichneten Europäischen Verfassungsvertrages werden, der jedoch an den Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte und nie in Kraft trat (wenngleich große Teile des Verfassungsentwurfes später in den Lissabon-Vertrag übernommen wurden). Stattdessen erlangte die Charta erst 2009 durch den Lissabon-Vertrag Rechtsgültigkeit, wodurch sie auch vor dem EuGh einklagbar wurde (mit Ausnahme von Großbritannien und Polen, für die die Charta rechtlich nicht bindend ist). In der Grundrechtscharta der EU kehren einerseits einige sprachenpolitische Eckpunkte wieder, die bereits aus den anderen primärrechtlichen EU-Dokumenten bekannt sind, zum anderen enthält sie Bestimmungen zur Nichtdiskriminierung, darunter auch gegen Diskriminierung aufgrund von Sprache. So heißt es in Artikel 21, dass Diskriminierungen u. a. »wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale oder der Sprache« verboten sind (Europäische Union 2007a). Zudem findet sich darin sowohl das bereits bekannte Bekenntnis zur Vielfalt wieder (Artikel 22: »Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen«) als auch das Recht zur Verwendung einer beliebigen Amtssprache in der Kommunikation mit der Verwaltung (Artikel 41: »Jede Person kann sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union wenden und muss eine Antwort in derselben Sprache erhalten«). Neben der Wahrung der kulturellen Vielfalt wird in der Präambel auch die Achtung der nationalen Identität versprochen: »Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei.« Die sprachenpolitischen Bestimmungen, die in den Lissabon-Vertrag als den bisher letzten Revisionsvertrag auf Ebene des EU-Primärrechts aufgenommen wurden, enthalten im Detail einige Neuerungen, wobei die grundsätzliche Linie beibehalten wird. An erster Stelle ist die bereits aus dem EWG-Vertrag bekannte

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»Regelung der Sprachenfrage« (Artikel 290) zu nennen, für die im nunmehrigen Artikel 342 zwar weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip gilt, die aber gleichzeitig durch Hinzufügung der Worte »durch Verordnungen« präzisiert wird: »Die Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Union wird unbeschadet der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom Rat einstimmig durch Verordnungen getroffen« [meine Hervorhebung, ND] (Europäische Union 2007b). Damit verweisen der Artikel und die »Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage« nun gegenseitig aufeinander. Eine ähnliche Präzisierung findet sich in Artikel 64, wo das Prozedere für den Beschluss der Sprachenregelung für den Gerichtshof erläutert und wiederum das Einstimmigkeitsprinzip betont und gestärkt wird. Das Initiativrecht wird dabei explizit auch den jeweils anderen Organen zugestanden, wobei in Absatz 2 die Gültigkeit der eigenen Verfahrensordnung des Gerichtshofs punkto Sprachenregelung bis zum Zeitpunkt eines solchen Beschlusses durch den Rat festgehalten wird: Die Vorschriften über die Regelung der Sprachenfrage für den Gerichtshof der Europäischen Union werden in einer vom Rat einstimmig erlassenen Verordnung festgelegt. Diese Verordnung wird entweder auf Antrag des Gerichtshofs nach Anhörung der Kommission und des Europäischen Parlaments oder auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Gerichtshofs und des Europäischen Parlaments erlassen.[…] Bis zum Erlass dieser Vorschriften gelten die Bestimmungen der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und der Verfahrensordnung des Gerichts, die die Regelung der Sprachenfrage betreffen, fort. Abweichend von den Artikeln 223 und 224 AEUV bedürfen Änderungen der genannten Bestimmungen oder deren Aufhebung der einstimmigen Genehmigung durch den Rat (Europäische Union 2007b).

Im Lissabon-Vertrag erfährt aber auch das Bekenntnis zur Vielfalt mit explizitem Bezug auf Sprache eine Aufwertung, nämlich durch Nennung in Artikel 2 über die Ziele der Union: »Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.« Zudem wird der folgende neue Absatz in den bisherigen Artikel 53, unter die Auflistung der Vertragssprachen, eingefügt: »Dieser Vertrag kann ferner in jede andere von den Mitgliedstaaten bestimmte Sprache übersetzt werden, sofern diese Sprache nach der Verfassungsordnung des jeweiligen Mitgliedstaats in dessen gesamtem Hoheitsgebiet oder in Teilen davon Amtssprache ist. Die betreffenden Mitgliedstaaten stellen eine beglaubigte Abschrift dieser Übersetzungen zur Verfügung, die in den Archiven des Rates hinterlegt wird.« In Artikel 34 wird zusammen mit dem gänzlich neuen Petitionsrecht für UnionsbürgerInnen auch deren Recht auf Verwendung von Amtssprachen mit EU-Organen neuerlich angeführt und auf die »beratenden Einrichtungen der Union« ausgedehnt. In sprachenpolitischer Hinsicht erwähnenswert erscheint auch Artikel 188c, in dem erstmals auf die Möglichkeit einer Beeinträchtigung kultureller und sprachlicher Vielfalt und den Umgang damit

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eingegangen wird. Handelsabkommen, die zu einer solchen Beeinträchtigung führen könnten, sind demnach vom Rat einstimmig zu beschließen: »Der Rat beschließt ebenfalls einstimmig über die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen in den folgenden Bereichen: a) Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, wenn diese Abkommen die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union beeinträchtigen könnten.« Der Schlussakte des Lissabon-Vertrags ist schließlich eine Reihe nummerierter Erklärungen beigefügt, die zwar nicht Bestandteil des Vertrags selbst sind (und damit auch nicht zum Primärrecht zählen), aber zum Teil wiederum sprachenpolitische Aussagen treffen: etwa die Erklärung zum bereits im Verfassungsentwurf enthaltenen Leitspruch »in Vielfalt geeint« (Nr. 52), aber auch Erklärungen zu Schreibweisen und zur Rolle von Übersetzungen. So wird in einer der Erklärungen (Nr. 16) die Möglichkeit zur Übersetzung der Verträge in die Amtssprachen als Mittel zur Wahrung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der Union aufgefasst und an die Mitgliedsstaaten appelliert, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. An anderer Stelle erklären die Republiken Lettland, Ungarn und Malta, dass die Schreibweise des Namens der einheitlichen Währung – einschließlich ihrer abgeleiteten Formen, die in der lettischen, der ungarischen und der maltesischen Sprachfassung der Verträge benutzt werden – keine Auswirkungen auf die geltenden Regeln der lettischen, der ungarischen und der maltesischen Sprache hat« (Erklärung Nr. 58). Die weiteren sprachenpolitischen Auswirkungen des Lissabon-Vertrags bleiben großteils noch abzuwarten. Jedoch sieht sich beispielsweise der Übersetzungsdienst der EU durch den Vertrag von Lissabon vor neue Herausforderungen gestellt, wie aus einer Publikation der Generaldirektion Übersetzung hervorgeht (Europäische Kommission 2009a). Dazu zählen laut Eigenangaben vor allem der neue Komitologie-Beschluss (d. h. die Reformierung der Durchführungsbestimmungen von EU-Rechtsakten), die nun verbindliche Konsultation der nationalen Parlamente samt Mitentscheidungsverfahren und die Einführung von Bürgerinitiativen auf EU-Ebene sowie die Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). Diese Neuerungen führen einerseits teilweise zu einem erhöhten Übersetzungsaufwand, andererseits werde die Generaldirektion Übersetzung (etwa in Bezug auf den EAD) nun darauf achten müssen, dass »die Kommission ihre Befugnisse und ihr Initiativrecht, auch hinsichtlich der übersetzungsrelevanten Aspekte, in vollem Umfang behält« (Europäische Kommission 2009a: 57 f.). Die EU-Sprachenpolitik konstituiert und manifestiert sich natürlich nicht nur in den Gründungs- bzw. Revisionsverträgen und den jeweils darauf basierenden Verordnungen, sondern auch in anderen sprachenpolitischen Dokumenten, Ereignissen und Praktiken der EU. Zu den wichtigsten sprachenpolitischen Aktivitäten der EU am Beginn des neuen Millenniums zählen die Lis-

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

sabon-Strategie (2000), das Jahr der Sprachen (2001) und der Aktionsplan 2004 – 2006 zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachvielfalt (Europäische Kommission 2003). Ein weiterer wichtiger Meilenstein in diesem Zusammenhang wurde mit der Schaffung eines Portfolios für Mehrsprachigkeit gesetzt, für das von 2004 bis 2006 der Kommissar für Bildung und Kultur, Jan Figel zuständig war. In diese Periode auffallend aktiver EU-Sprachenpolitik fallen zwei Ereignisse: der Beschluss der »Neuen Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit« (Europäische Kommission 2005) und die Einsetzung einer »hochrangigen Gruppe für Mehrsprachigkeit«. Im darauf folgenden Jahr wurde Mehrsprachigkeit sogar zu einem separaten Portfolio mit einem eigenen EUKommissar : Das Amt des Kommissars für Mehrsprachigkeit übte von 2007 bis 2010 der Rumäne Leonard Orban aus und wurde 2010 – mit Einsetzung des Kabinetts Barroso II – schließlich wieder abgeschafft, sodass das Mehrsprachigkeitsportfolio in das Ressort der Kommissarin für Bildung, Kultur und Jugend zurückkehrte, das derzeit Androulla Vassiliou innehat. Neben einer großen Anzahl weiterer offizieller EU-Dokumente, Aktivitäten und Reden wurde in dieser Periode auch die zweite Mehrsprachigkeitsstrategie der EU mit dem Titel »Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung« beschlossen (Europäische Kommission 2008). Zudem wurde eine hochrangige Intellektuellengruppe unter dem Vorsitz von Amin Maalouf zum interkulturellen Dialog eingesetzt und das »Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs« abgehalten. Nimmt man diese Entwicklungen als Ausgangspunkt, so lässt sich die EU-Sprachen- und Mehrsprachigkeitspolitik (ESMP) im ersten Jahrzehnt seit dem Millennium in die folgenden drei Phasen einteilen (vgl. Krzyz˙anowski/Wodak 2011: 124 ff.; 2010: 120): (1) 2000 – 2003: Periode vor der Schaffung des Portfolios für Mehrsprachigkeit durch die EU-Kommission – Lissabon-Strategie (2000) – Jahr der Sprachen (2001) – Aktionsplan 2004 – 2006 zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt (2003) (2) 2004 – 2006: Mehrsprachigkeit zählt zum Portfolio des Ressorts Bildung und Integration von EU-Kommissar Jan Figel – Neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit (2005) – Hochrangige Gruppe Mehrsprachigkeit unter dem Vorsitz Jan Figels (2006) – Amt des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit wird geschaffen (2006/07) (3) 2007 – 2010: Mehrsprachigkeit ist ein separater politischer Zuständigkeitsbereich mit eigenem EU-Kommissar (Leonard Orban) – »Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung« (2008)

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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Hochrangige Intellektuellengruppe unter dem Vorsitz Amin Maaloufs (2008) Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs (2008) Rückkehr des Mehrsprachigkeitsportfolios in das Ressort der Kommissarin für Bildung, Kultur und Jugend (2010)

Phase (2000 – 2003)

Wenngleich sie in diesem Zeitraum keine geradlinige thematische Schwerpunktsetzung in der ESMP feststellen konnten, messen Krzyz˙anowski/Wodak (2011: 132 f.) der Lissabon-Strategie eine große Bedeutung für die ESMP des gesamten Jahrzehnts zu. Ihrer Analyse zufolge wurde die ESMP an den Zielsetzungen der Lissabon-Strategie ausgerichtet, aber auch an anderen globalen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des Jahrzehnts sowie damit in Zusammenhang stehender ›Makrostrategien‹ der EU. Die Lissabon-Strategie hatte zum Ziel, die Union bis zum Ende des Jahrzehnts »zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen« (Europäischer Rat 2000).51 Für die Erreichung dieses Ziels wurden explizit auch Sprachen, genauer gesagt Fremdsprachen als relevant angesehen. So hält der Europäische Rat, bestehend aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder, in Bezug auf die Aktivitäten der Mitgliedsstaaten fest: »Durch einen europäischen Rahmen sollte festgelegt werden, welche neuen Grundfertigkeiten durch lebenslanges Lernen zu vermitteln sind: IT-Fertigkeiten, Fremdsprachen, technologische Kultur, Unternehmergeist und soziale Fähigkeiten.« Wie Krzyz˙anowski/Wodak (2011: 132 f.) argumentieren, wurden Sprache(n) und Mehrsprachigkeit im Zuge dieses Prozesses vor allem als Fertigkeiten dargestellt, deren Förderung unabdingbar für die Herausbildung und Weiterentwicklung der wissensbasierten Wirtschaft (›knowledge-based economy‹, KBE) in der EU seien. Das Thema Sprache(n) wurde damit auf die gleiche Stufe wie IT-Fertigkeiten oder Medien gestellt (wenn nicht damit gleichgesetzt), während andere Aspekte wie die Bedeutung von Mehrsprachigkeit für das Zusammenleben von Menschen oder für das Demokratieverständnis und den Wertekanon der EU phasenweise ausgeblendet wurden, obwohl sie zuvor noch Berücksichtigung in diversen EU-Dokumenten fanden. Ein expliziter Verweis auf die Lissabon-Strategie findet sich auch im Aktionsplan 2004 – 2006 zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt (Europäische Kommission 2003). In Bezug auf das oben genannte Ziel 51 Nach dem offenkundigen Scheitern dieses ehrgeizigen Ziels wurde die Lissabon-Strategie durch das derzeit aktuelle Nachfolgeprogramm »Europa 2020« abgelöst (siehe Europäischer Rat 2010).

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

der Lissabon-Strategie (Entwicklung der Union zu einer wissensbasierten Gesellschaft und zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum bis 2010) heißt es dort: »Das Erlernen anderer Sprachen trägt zu diesem Ziel bei, indem es die kognitiven Fähigkeiten verbessert und die Kenntnisse in der Muttersprache, auch im Lesen und im Schreiben, fördert.« Im Aktionsplan wird zudem mit der Forderung »Muttersprache plus zwei weitere Sprachen« ein Ziel aufgegriffen, das erstmals 1995 im Weißbuch »Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft« der Kommission formuliert wurde (»Jeder sollte drei Gemeinschaftssprachen beherrschen«) und seitdem in diversen sprachenpolitischen EU-Dokumenten wiederkehrt (Europäische Kommission 1995: 62; vgl. Europäische Kommission 2003: 8). Dazu zählen – neben den späteren Mehrsprachigkeitsstrategien – auch die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates (2002: 21) in Barcelona, sodass die erneute Forderung ›Muttersprache plus zwei‹ in weiterer Folge auch die Bezeichnung ›Barcelona-Ziel‹ erhielt (die dort formulierte Forderung lautet »Fremdsprachenunterricht in mindestens zwei Sprachen vom jüngsten Kindesalter an«). Im Aktionsplan wird zudem auf die mangelnden Fremdsprachenkenntnisse der EU-BürgerInnen bzw. deren Ungleichverteilung in Europa hingewiesen sowie Kenntnisse in einer einzigen ›Lingua franca‹ (gemeint ist wohl Englisch) als ungenügend klassifiziert: Die Sprachkenntnisse sind ungleichmäßig auf die Länder und gesellschaftlichen Gruppierungen verteilt. Die Europäer sprechen nur wenige Fremdsprachen, ihre Kenntnisse sind hauptsächlich auf Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch beschränkt. Das Erlernen einer einzigen Lingua franca reicht nicht aus. Jeder europäische Bürger sollte sich außer in seiner Muttersprache in mindestens zwei anderen Sprachen gut verständigen können [Hervorhebungen im Original, ND] (Europäische Kommission 2003: 4).

Der Aktionsplan skizziert drei übergeordnete Zielbereiche (»Schlüsselbereiche«), nach denen auch die drei Hauptkapitel in Abschnitt 1 des Aktionsplans benannt sind, nämlich: lebenslanges Lernen für alle BürgerInnen, Verbesserung des Sprachunterrichts und Schaffung eines sprachfreundlicheren Umfelds. In Abschnitt 2 werden konkrete Maßnahmen (»Aktionen«) zur Erreichung der Ziele in diesen Bereichen skizziert, wobei zugegeben wird, dass nicht alle Mitgliedsstaaten alle Ziele im anvisierten Zeitraum von 2004 bis 2006 umsetzen werden können. Auch die Gültigkeit des Subsidiaritätsprinzips wird einmal mehr betont, und es wird hervorgehoben, dass die EU bildungspolitische Maßnahmen auf nationaler Ebene nicht ersetzt, sondern nur unterstützt und ergänzt (ebd.: 6). Zudem wird (in fett gedruckter Schrift) explizit darauf hingewiesen, dass die Mitgliedsstaaten für die vorgeschlagenen Maßnahmen keine finanziellen Mittel zuschießen müssen, da diese »im Rahmen bestehender Gemeinschaftsprogramme und -aktivitäten bereitgestellt werden« (ebd.: 7).

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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Gleichzeitig – und darin manifestiert sich eines der markantesten Dilemmata der EU-Sprachenpolitik – findet sich in dem Dokument folgendes Eingeständnis: »Jedoch wäre es illusorisch zu glauben, dass die europäischen Programme die Hauptlast bei der Förderung des Fremdsprachenerwerbs und der sprachlichen Vielfalt tragen können« (ebd.). Sprachenvielfalt wird im Aktionsplan vor allem unter dem Aspekt der Förderung von Fremdsprachenkenntnissen über alle Alters- und Bildungsstufen hinweg betrachtet, wobei »das Angebot ebenso die kleineren europäischen Sprachen wie auch die größeren Sprachen, Regional-, Minderheiten- und Migrantensprachen sowie Landessprachen und die Sprachen unserer wichtigsten Handelspartner in der ganzen Welt umfassen« solle. Zu den vorgeschlagenen Aktionen und möglichen Maßnahmen, die im Aktionsplan Erwähnung finden, zählen u. a. folgende Punkte: Fremdsprachenlernen ab dem Kindergarten, Verbreitung von Forschungsergebnissen zum frühen Sprachenlernen, Entwicklung von Unterrichtsmaterialien im Sokrates-Programm »Lingua 2«, Einsatz von CLIL (Content and Language Integrated Learning), Nutzbarmachung bestehender Mobilitäts- und Austauschprogramme z. B. im Rahmen von Sokrates/Comenius, Unterricht von weniger verbreiteten Sprachen an Schulen, Veröffentlichung von Informations- und Unterrichtsmaterialien auf der »Europa«-Seite zur Förderung des Sprachenlernens im Erwachsenenbereich, Verfolgen eines ganzheitlichen Zugangs zum Sprachenlernen (Verbindung von Mutter-, Fremd-, Unterrichts- und Migrantensprachen), Einsatz von E-Learning, häufigere Verwendung von Untertiteln in Filmen, Anstellung von LehrerInnen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten bzw. Erleichterung derselben und Schaffung eines neuen europäischen Indikators für Sprachenkompetenz. 2.

Phase (2004 – 2006)

Die »Neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit« (Europäische Kommission 2005), aus der einzelne Textstellen in den Gruppendiskussionen und Interviews zitiert und zur Debatte gestellt wurden (siehe Kapitel 4), kann als Weiterführung und Ergebnis des Aktionsplans verstanden werden. Auch in diesem EU-Dokument, das zu den sprachenpolitischen Meilensteinen in der zweiten Periode der ESMP zählt (s. o.), wird die Bedeutung der (sprachlichen) Vielfalt für die Union hervorgehoben, wobei – analog zur Lissabon-Strategie – eine verstärkte Tendenz zur Thematisierung wirtschaftlicher Aspekte der Mehrsprachigkeit festzustellen ist (Studer et al. 2008: 60). Ein weiteres Spezifikum dieses Dokuments besteht darin, dass im Text nicht nur eine Definition von Mehrsprachigkeit zu finden ist, sondern auch eine abstraktere, beinahe (sprach-)philosophische Betrachtung des Phänomens Sprache. So ist dem Text ein slowakisches Sprichwort voran-

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

gestellt, das zuerst in der Originalsprache und darunter in folgender Übersetzung wiedergegeben wird: »Je mehr Sprachen du sprichst, desto mehr bist du Mensch« (Europäische Kommission 2005: 2). In den ersten Absätzen des Textes wird Sprache zudem so deutlich wie in kaum einem anderen EU-Dokument als das Herzstück von Kultur charakterisiert (Studer et al. 2008: 60); darüber hinaus wird Sprache in Übereinstimmung mit dem slowakischen Sprichwort nicht nur für die Identität von Menschen, sondern für das Menschsein überhaupt als konstitutiv erachtet: »Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität« (Europäische Kommission 2005: 2). Im Absatz davor wird außerdem auf einen für die EU spezifischen Umgang mit Vielfalt verwiesen, der sich vom Schmelztiegelkonzept unterscheidet. Insofern, als der Schmelztiegel als Metapher für die US-amerikanische Einwanderungs- und Integrationspolitik gilt, lassen sich diese Ausführungen als Versuch der Abgrenzung von den USA interpretieren – letztlich auch in Hinblick auf deren Sprachenpolitik: »Es ist diese Vielfalt, die die Europäische Union zu dem macht, was sie ist: kein ›Schmelztiegel‹, in dem Unterschiede verschmolzen werden, sondern ein Miteinander vielfältiger Unterschiede. Ein Miteinander, das unsere zahlreichen Muttersprachen als Reichtum begreift und als Weg zu mehr Solidarität und gegenseitigem Verständnis.« Mehrsprachigkeit wiederum wird – wohl in Anlehnung an die akademische Differenzierung zwischen individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit – sowohl in Hinblick auf Sprachkenntnisse als auch auf Sprachgemeinschaften definiert: »Unter Mehrsprachigkeit versteht man sowohl die Fähigkeit einer Person, mehrere Sprachen zu benutzen, als auch die Koexistenz verschiedener Sprachgemeinschaften in einem geografischen Raum« (Europäische Kommission 2005: 3). Dass die politische bzw. ideologische Komponente von Mehrsprachigkeit durch die Kommission erkannt wird, kommt zumindest implizit durch den folgenden nachgestellten Satz zum Ausdruck: »Hier bezeichnet der Begriff [Mehrsprachigkeit, ND] die neue politische Strategie der Kommission zur Förderung eines für alle Sprachen günstigen Klimas, in dem sich das Lehren und Lernen zahlreicher Sprachen positiv entwickeln kann« (ebd.).52 Die Ziele der Rahmenstrategie stützen sich dem Dokument zufolge auf drei übergeordnete Ziele (ebd.): 52 Diese dreiteilige Definition von Mehrsprachigkeit findet sich in ähnlicher Weise auch auf der Website der Generaldirektion Übersetzung wieder (unter der Überschrift »Mehrsprachigkeit – Arbeitsdefinitionen«). Mehrsprachigkeit wird demnach definiert als »[1] Fähigkeit einer Person, in mehreren verschiedenen Sprachen zu kommunizieren [2] gleichzeitiges Vorhandensein mehrerer Sprachgemeinschaften in einem geografischen oder politischen Gebiet [3] politische Entscheidung einer Organisationen, in mehr als einer Sprache zu arbeiten« (siehe http://ec.europa.eu/dgs/translation/translating/multilingualism/index_de. htm; letzter Zugriff am: 07. 05. 2012).

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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– Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt in der Gesellschaft; – Förderung einer gesunden, multilingualen Wirtschaft; – Zugang der Bürger/innen zu den Rechtsvorschriften, Verfahren und Informationen der Europäischen Union in ihrer eigenen Sprache. Innerhalb des ersten Bereichs werden zum einen bereits bekannte Ziele und Empfehlungen (»Muttersprache plus zwei«, CLIL, Sprachenkompetenzindikator, früher Fremdsprachenerwerb etc.) erneut genannt, zum anderen werden Vorschläge etwa in Bezug auf eine verbesserte Lehrerausbildung, die Erforschung von Übersetzungstechnologien, die Förderung von Mehrsprachigkeit an Hochschulen oder die Einrichtung von Lehrstühlen für Mehrsprachigkeitsforschung gemacht. Als Ausgangspunkte hierfür dienen einmal mehr die LissabonStrategie und deren wirtschaftspolitische Zielsetzung, aber auch Statistiken über mangelnde Fremdsprachenkenntnisse in der EU-Bevölkerung und die Dominanz des Englischen. So wird erwähnt, dass die Fremdsprachenkenntnisse der EU-BürgerInnen weiterhin – vor dem Hintergrund des Barcelona-Ziels – zu wünschen übrig lassen, und dass »Englisch allein nicht genügt«, zudem wird Besorgnis über mögliche negative Einflüsse der Englischdominanz auf die Vitalität anderer europäischer Sprachen ausgedrückt und die Erforschung dieser Frage für die Zukunft in Aussicht gestellt. Im zweiten Schlüsselbereich, der multilingualen Wirtschaft, wird einerseits die Wichtigkeit von Sprachkenntnissen für die Arbeitsmarktchancen der EuropäerInnen, aber auch für das Funktionieren des Binnenmarktes und die steigenden Mobilitätsanforderungen für die Arbeitskräfte betont. Andererseits wird auf eine aktuelle Studie verwiesen, die »Hinweise« enthielten, »dass europäische Unternehmen Geschäftschancen verlieren, weil sie die Sprachen ihrer Kundinnen und Kunden nicht beherrschen«. Als eine der Maßnahmen in diesem Bereich kündigt die Kommission »eine Studie zu den Auswirkungen fehlender Sprachenkenntnisse auf die europäische Wirtschaft« an, die 2006 tatsächlich veröffentlicht und als »ELAN-Studie« (»Effects on the European economy of shortages of foreign language skills in enterprise«) bekannt wurde (CiLT 2006). Zu den am häufigsten zitierten Ergebnissen dieser Studie zählt, dass von 1.964 befragten Klein- und Mittelbetrieben 11 % (195 Unternehmen) angaben, dass sie einen Auftrag aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse verloren, wobei laut Eigenangabe mindestens 10 Unternehmen Aufträge im Wert von 1 Mio. Euro entgingen. Ein weiteres Resultat war, dass Betriebe, die in sprachbezogene Maßnahmen investieren (Einstellung von MuttersprachlerInnen bzw. MitarbeiterInnen mit Fremdsprachenkenntnissen, Einsatz professioneller DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen und Sprachmanagement) einen um 44,5 % höheren Exportumsatz erzielen als Unternehmen, die auf solche Investitionen verzichten. Neben dem steigenden Bedarf an interkulturellen Kommunikati-

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

onskompetenzen im Wirtschaftssektor betont die Kommission auch die Notwendigkeit von Kenntnissen in den Sprachen der EU und globaler Handelspartner – insbesondere in schnell expandierenden Betrieben. Weiters macht die Kommission auf die Bedeutung von Neuen Medien und Übersetzungstechnologien in einer multilingualen Informationsgesellschaft aufmerksam sowie auf den wachsenden Sektor von »Sprachenberufen und -industrien«. Erwähnung finden auch Produktinformationsrichtlinien (Verpackung, Etikettierung etc.) zum Schutz von Konsumenteninteressen und die interinstitutionelle mehrsprachige Terminologiedatenbank IATE (Inter-Agency Terminology Exchange), die der Allgemeinheit für EU-spezifische Anfragen kostenfrei zugänglich gemacht werden solle. Die Kommission kündigt zudem die Entwicklung eines Online-Verzeichnisses mit einem Überblick über die derzeit boomenden Zertifizierungen von Sprachkenntnissen an, um die Transparenz in diesem unübersichtlichen Feld zu erhöhen und KonsumentInnen eine treffsicherere Wahl geeigneter Kursangebote zu ermöglichen. Im letzten, vergleichsweise kurzen Abschnitt über »Mehrsprachigkeit und die Beziehungen Kommission – Bürger/innen« wird schließlich sowohl auf Mehrsprachigkeit innerhalb der EU-Verwaltung als auch im Kontakt zwischen Kommission und BürgerInnen eingegangen. Zu den Eckpunkten, die hier (aber auch in vielen anderen sprachenpolitischen Dokumenten der EU) genannt werden, zählen unter anderem: das Recht der BürgerInnen, in einer EU-Amtssprache ihrer Wahl mit den EU-Organgen zu kommunizieren, der Beitrag des umfangreichen EU-Übersetzungs- und Dolmetschdienstes für Demokratie und Transparenz sowie dessen verhältnismäßig geringe Kosten (»1,05 % des Gesamtbudgets« bzw. »2,28 E pro Bürger/in pro Jahr«) und der Ausbau des mehrsprachigen Online-Angebots der EU. Im Abschnitt »Schlussfolgerungen« werden zudem eine Ministerkonferenz zur Mehrsprachigkeit sowie die Einsetzung einer hochrangigen Gruppe für Mehrsprachigkeit und eine weitere Mitteilung der Kommission angekündigt, die auf den Ergebnissen dieser Gruppe aufbauen werde. Nachdem die hochrangige Gruppe am 20. September 2006 eingesetzt wurde, erschien die neue Mitteilung 2008 unter dem Titel »Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung«. Sie stellt die zweite EU-Mehrsprachigkeitsstrategie dar und ersetzt damit die erste aus dem Jahr 2005. Diese beiden Meilensteine fallen bereits in die dritte und letzte Periode der EU-Sprachenpolitik des ersten Jahrzehnts im neuen Millennium. 3.

Phase (2007 – 2010)

Der Abschlussbericht der hochrangigen Gruppe für Mehrsprachigkeit, die insgesamt sechs offizielle Sitzungen in den Jahren 2006 und 2007 abhielt, deckt

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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folgende Bereiche ab: Sprachenlernen, Sprache und Medien, Sprache und Wirtschaft, Übersetzen und Dolmetschen, Regional- und Minderheitensprachen sowie Mehrsprachigkeitsforschung (Europäische Kommission 2007a). In dem Bericht kommt die Gruppe unter anderem zum Schluss, dass die EU-BürgerInnen ermutigt werden sollten, sich für andere Sprachen und Kulturen zu öffnen und in anderen Mitgliedsstaaten zu arbeiten oder zu studieren sowie ihre kognitiven und muttersprachlichen Kompetenzen zu stärken. Der Bericht hält außerdem fest, dass sich Fremdsprachenlernen langfristig gesehen auch auf andere kognitive und soziale Kompetenzen der Lernenden positiv auswirkt bzw. stärkt und unterstützt. Thematisiert werden auch die Potentiale des Edutainement und des Einsatzes von Untertiteln für Filme zusätzlich zur Synchronisation. Zur Verringerung des Demokratiedefizites und Stärkung der europäischen Identität wird vorgeschlagen, eine europäische Öffentlichkeitssphäre (»European public sphere«) durch den Aufbau europaweiter Medien (Zeitungen, Rundfunk etc.) zu schaffen. Im wirtschaftsbezogenen Abschnitt werden die Ergebnisse der bereits erwähnten ELAN-Studie ausführlich diskutiert. Bemerkenswert gegenüber den bisherigen sprachenpolitischen Kommunikationsanstrengungen der EU erscheint, dass das Augenmerk nicht nur auf EU-Sprachen, sondern auch auf Migrantensprachen (migrant languages bzw. non-community languages) gerichtet wird – einer Kategorie, die nicht nur in vielen EU-Dokumenten, sondern etwa auch in der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Europarat 1992) explizit ausgeklammert wird. Betont wird insbesondere, dass MigrantInnen und deren Sprachen nicht ausschließlich als Problem gesehen werden sollten, wie das bisher meist der Fall sei (etwa in Bezug auf mangelnde Sprachkenntnisse), sondern auch als Potential und Ressource für die Gesellschaft – nicht nur aus kultureller, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht (etwa zur Anbahnung von Geschäften und Handelsbeziehungen auf internationaler Ebene). Wenn Migrantensprachen Wertschätzung (etwa durch Unterricht in diesen Sprachen) erfahren, dann steigt auch die Motivation von MigrantInnen die Sprache des Gastlandes zu erlernen, so die AutorInnen des Berichts (Europäische Kommission 2007a: 23). Language learning – both of languages of the host society and of migrant communities – and interlingual communication are of utmost importance to integration and intercultural dialogue. Moreover, the migrant communities in our societies represent an economic and cultural resource which should be recognised, developed and made use of in the social and economic enviroments (Europäische Kommission 2007a: 10).

Dieser Punkt, d. h. die verstärkte Berücksichtigung von Migranten- bzw. Zuwanderersprachen, stellt neben der Erwähnung einer »externe[n] Dimension der Mehrsprachigkeit« (s. u.) auch eine der größten Neuerungen in der zweiten Mehrsprachigkeitsstrategie gegenüber der ersten dar. So wird im Abschnitt über

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

»Mehrsprachigkeit für interkulturellen Dialog und sozialen Zusammenhalt« argumentiert, dass alle Sprachen wertgeschätzt und als Ressource begriffen werden sollten (Europäische Kommission 2008: 8): Jede der in Europa gesprochenen Landes-, Regional-, Minderheiten- und Zuwanderersprachen fügt unserem gemeinsamen kulturellen Hintergrund eine Facette hinzu. […] In unserer Gesellschaft gibt es auch sprachliche Ressourcen, die noch überhaupt nicht genutzt werden: unterschiedliche Muttersprachen und andere in den Familien und Nachbarschaften gesprochene Sprachen sollten größere Wertschätzung erfahren […] – seien sie aus der EU oder aus Drittländern.

Im gleichen Abschnitt werden Vorschläge zur »Überwindung von Sprachbarrieren im lokalen Umfeld« (Tourismus, Studium, Arbeitsmarkt, Gericht etc.) gemacht, etwa das Anbieten von Dienstleistungen in mehreren Sprachen oder der Einsatz von KulturmittlerInnen und DolmetscherInnen. Im Abschnitt über »Mehrsprachigkeit und Wohlstand« wird neuerlich auf die Ergebnisse der ELAN-Studie Bezug genommen und auf die Möglichkeiten zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, aber auch der Arbeitsmarktchancen durch Fremdsprachenkompetenz verwiesen (ebd.: 8 f.): »Bessere Sprachkenntnisse lassen sich in allen Geschäftsbereichen als Trumpfkarte ausspielen, nicht nur in Verkauf und Marketing. […] Sprachliche und interkulturelle Kompetenz erhöhen die Aussichten auf einen besseren Arbeitsplatz. Insbesondere bedeutet das Beherrschen mehrerer Fremdsprachen einen Wettbewerbsvorteil.« In Kapitel 6 (»Lebenslanges Lernen«) sind die bekannten sprachenpolitischen Ziele (v. a. »Muttersprache plus zwei«), jedoch nur wenige Neuerungen zu finden. So werden etwa »mehr Gelegenheiten, um mehr Sprachen zu lernen« und ein »effektiver Sprachunterricht« gefordert – einen Beitrag hierzu könnten demzufolge etwa Mobilitätsprogramme und verbesserte Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrende (etwa im Bereich des Zweitsprachenerwerbs) oder der Einsatz neuer Technologien (Internet-Lernangebote, Videokonferenzen etc.) leisten. Im nächsten Kapitel wird das Potential von »Medien, neue[n] Technologien sowie Human- und Maschinenübersetzungsdienste[n]« zur Überwindung von Sprachbarrieren und Bewusstmachung der Werte sprachlicher und kultureller Vielfalt in der EU-Bevölkerung herausgestrichen (ebd.: 12). Eine größere sprachenpolitische Neuerung stellt demgegenüber das achte Kapitel über die »externe Dimension der Mehrsprachigkeit« dar, das jedoch vergleichsweise kurz ausfällt. In diesem Abschnitt wird darauf aufmerksam gemacht, dass Sprachenvielfalt nicht auf die EU beschränkt ist, sondern auch außerhalb der Union existiert und daher für deren Außenbeziehungen mit Drittstaaten nutzbar gemacht werden kann, zumal »einige EU-Sprachen, die als europäische Weltsprachen bezeichnet werden, auch in vielen Nichtmitgliedstaaten auf verschiedenen Kontinenten gesprochen werden« (ebd.: 15). Abschließend kündigt die

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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Kommission an, in folgenden Bereichen zur Umsetzung der Mehrsprachigkeitsstrategie beizutragen: nachhaltige Zusammenarbeit mit Interessensvertretern und Mitgliedsstaaten (etwa im Rahmen des Prozesses »Allgemeine und berufliche Bildung 2010«), Einrichtung einer Diskussionsplattform über Methoden zur Mehrsprachigkeitsförderung (gemeinsam mit Medien, NGOs usw.), Veranstaltung einer zweijährlichen EU-Sprachenkonferenz und Einbringung des Querschnittsthemas Mehrsprachigkeit in die jeweils relevanten EU-Politikbereiche. Bereits 2001, also ein Jahr nach dem Beschluss der Lissabon-Strategie, hielt die EU gemeinsam mit dem Europarat und der UNESCO das Europäische Jahr der Sprachen ab, in dessen Rahmen eine Vielzahl von Projekten in zahlreichen europäischen Ländern veranstaltet wurden.53 Zu den Zielen, die für das Jahr der Sprachen aufgegriffen wurden, zählten nicht nur das Barcelona-Ziel (»Muttersprache plus zwei«), sondern auch die Bewusstmachung und Förderung der Sprachenvielfalt abseits der offiziellen EU-Amtssprachen. Im Jahr der Sprachen einigte man sich außerdem darauf, den 26. September zum Europäischen Tag der Sprachen zu machen. Dieser Tag wird seither jährlich begangen, um weiterhin auf die Ziele der supranationalen europäischen Sprachenpolitik (Bewahrung des sprachlichen Erbes, Beitrag zur Wertschätzung aller Sprachen, Förderung des Fremdsprachenlernens etc.) aufmerksam zu machen. 2008 fand mit dem Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs ein ähnliches gelagertes Ereignis statt, das neben dem stärker kulturpolitischen ebenfalls einen sprachenpolitischen Impetus aufwies.54 Beim Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs, das am 18. Dezember 2006 ausgerufen wurde, handelte es sich um eine gemeinsame Initiative der EUStaaten, der Kommission und des Europäischen Parlaments mit primärem Fokus auf die Mitgliedsstaaten. Im offiziellen Rechtsakt, mit dem das Jahr ausgerufen wurde, sticht die mehrmalige Referenz auf die Lissabon-Strategie und deren wirtschaftspolitische Agenda hervor. So wird der interkulturelle Dialog im Sinn der Lissabon-Strategie als Vehikel zur Wohlstandssteigerung charakterisiert, da er Innovationspotential mit sich bringe und mit der Fähigkeit zur Anpassung an neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen einhergehe (Euro53 Für Details siehe http://ec.europa.eu/languages/orphans/european-year-of-languages_de. htm (letzter Zugriff am: 03. 05. 2012). 54 Für Details siehe http://europa.eu/legislation_summaries/culture/l29017_de.htm (letzter Zugriff am: 04. 05. 2012). Parallel zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs fand 2008 auch das Internationale Jahr der Sprache statt, das von den Vereinten Nationen – unter Schirmherrschaft der UNESCO – ausgerufen wurde und u. a. zur Verankerung des Internationalen Tages der Muttersprache (21. Februar) führte. Trotz vielfacher gemeinsamer Kooperationen mit anderen supranationalen Organisationen wie UNO, Europarat etc. kann im Rahmen der vorliegenden Übersicht nur auf die EU-Sprachenpolitik im engeren Sinn eingegangen werden.

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

päisches Parlament und Rat 2006). Auch Wachstum und Arbeitsplätze könne der interkulturelle Dialog – durch Ankurbelung des Kultur- und Kreativsektors – schaffen. Daneben wird auch der Beitrag der kulturellen (und sprachlichen) Vielfalt zum Erbe der EU-Mitgliedsstaaten, zur Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und zur »Herausbildung eines aktiven und weltoffenen europäischen Bürgersinns« hervorgehoben (ebd.). In einer externen Evaluation des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs wird der Kommission zwar bescheinigt, die finanziellen Ressourcen effizient verwaltet und eine Vielzahl von AkteurInnen erreicht und damit die erwünschte Sensibilisierung erreicht zu haben. Als weniger erfolgreich werden jedoch die langfristigen Auswirkungen und die Nachhaltigkeit des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs beurteilt, etwa in Hinblick auf eine grundsätzlichere Einstellungsänderung in der Bevölkerung, aber auch in Bezug auf strukturelle Veränderungen und eine »sektorübergreifenden Mobilisierung« (Europäische Kommission 2010). Aus sprachenpolitischer Sicht relevant erscheint in diesem Zusammenhang insbesondere die Einsetzung einer zweiten Beratergruppe aus Anlass des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs: Die sogenannte Intellektuellengruppe für den interkulturellen Dialog, bestehend aus Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich, traf 2007 unter dem Vorsitz des Schriftstellers Amin Maalouf auf Wunsch der Kommission (d. h. von Präsident Barroso und Mehrsprachigkeitskommissar Orban) dreimal zusammen, um die Kommission »hinsichtlich des Beitrags der Mehrsprachigkeit zum interkulturellen Dialog und zum gegenseitigen Verständnis der Bürger in der Europäischen Union zu beraten« (Maalouf 2008). Bereits der Titel des Abschlussberichtes der Intellektuellengruppe lässt die programmatische Ausrichtung des Dokuments – Mehrsprachigkeit als Weg zu einer vertieften europäischen Integration – erkennen: »Eine lohnende Herausforderung: Wie die Mehrsprachigkeit zur Konsolidierung Europas beitragen kann« (ebd.). Wie schon bei der hochrangigen Gruppe für Mehrsprachigkeit weist auch der Bericht der Intellektuellengruppe intertextuelle Verknüpfungen zur zweiten EU-Mehrsprachigkeitsstrategie aus dem Jahr 2008 auf, etwa in Hinblick auf die Rolle von Migrantensprachen oder das Konzept der »Adoptivsprache«. So wird letzteres in der Mehrsprachigkeitsstrategie als Punkt erwähnt, über den »noch eingehender nachgedacht werden sollte« (Europäische Kommission 2008: 7). Unter dem Begriff Adoptivsprache, der aus Sicht der Intellektuellengruppe von der EU forciert werden sollte, versteht die Gruppe keine zweite Fremdsprache, sondern »gewissermaßen eine zweite Muttersprache« (Maalouf 2008: 11): Adoptivsprache bedeute demnach, »dass jeder Europäer ermutigt werden soll, aus freiem Ermessen eine besondere Sprache zu wählen, die sich sowohl von jener Sprache unterscheidet, die seine Identität begründet, als auch von der Sprache der internationalen Kommunikation« (ebd.). Eine solche Adoptivsprache, die aus persönlichen Motiven und

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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Neigungen erlernt werden würde, sollte der Beratergruppe zufolge in schulischen Lehrplänen aufgenommen, aber auch im Hochschulbereich und Berufsleben verankert werden, und zwar unter Einbezug der jeweiligen historischen und kulturellen Aspekte. Der zweite, damit zusammenhängende Eckpunkt des Berichts bezieht sich auf die Problematik der internationalen Verkehrssprache, dem die Gruppe eben jenes Konzept der Adoptivsprache gegenüberstellt. Dem Bericht zufolge schwäche die Rivalität zwischen Englisch und den anderen Sprachen beide Seiten, zudem nehme die Bedeutung von Englisch zwar zu, gleichzeitig sei aber eine Beschränkung auf Englisch allein immer weniger ausreichend. Die Adoptivsprache solle zur Bildung entsprechender Sprachkontingente in der EU-Bevölkerung beitragen – sei es in Wirtschaft, Politik und Kultur oder in darüber hinausgehenden Bereichen. Dadurch ließe sich die folgende Forderung der Intellektuellengruppe erfüllen: »Die bilateralen Beziehungen zwischen den Völkern der Europäischen Union sollten vorzugsweise in den Sprachen dieser Völker gestaltet werden, und nicht in einer dritten Sprache« (Maalouf 2008: 11).

›De facto‹-Sprachenpolitik Neben der ›de-jure‹ Sprachenpolitik, die sich in den genannten Rechtsakten, politischen Ereignissen und PR-Aktivitäten der EU niederschlägt, stellt sich natürlich auch die Frage nach der tatsächlich umgesetzten und praktizierten (›de facto‹) Sprachenpolitik in Europa – sei es in den Mitgliedstaaten der Union oder im EU-Institutionengefüge selbst. Eine der deutlichsten Diskrepanzen zwischen ›de-jure‹ und ›de facto‹-Sprachenpolitik auf EU-Ebene betrifft den Unterschied zwischen Amts- und Arbeitssprachen. Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, werden bereits in der allerersten und sprachenpolitisch grundlegenden »Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage« zwar die Termini Amtsund Arbeitssprachen verwendet, aber bewusst nicht unterschieden. Die 23 EUAmtssprachen sind also ›de jure‹ gleichzeitig die EU-Arbeitssprachen und umgekehrt. ›De facto‹ haben sich allerdings in vielen EU-Organen Englisch, Französisch und Deutsch als interne Arbeitssprachen durchgesetzt, während die tatsächliche Berücksichtigung aller 23 EU-Amtssprachen nur auf bestimmte Situationen und Kontexte beschränkt bleibt (vgl. Kraus 2004: 142). Zur Unterscheidung dieser beiden sprachenpolitischen Praktiken bzw. ›Sprachregimes‹ wurden in der Forschung Begriffspaare und Termini wie ›Vollsprachenregime‹ vs. ›Dreisprachenregime‹ (Wu 2005: 17 f.)‹ ›sprachliche Diversifizierung‹ vs. ›Leitsprachenmodell‹ (de Cillia 2003b; 2003d) und ›integraler‹ vs. ›selektiver Multilingualismus‹ (Ross 2003: 10 ff.) sowie ›hegemonic multilingualism‹

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

(Krzyz˙anowski/Wodak 2010) geprägt.55 Selbst die Europäische Kommission scheint es nicht vermeiden zu können, die zwei unterschiedlichen Kategorien von EU-Sprachen explizit zu benennen und voneinander abzugrenzen – zumindest in nicht-rechtlichen Texten und Genres wie Werbungs- und Informationsmaterialien oder PR-Broschüren. Nachdem Amts- und Arbeitssprachen durch die Verordnung Nr. 1 formal und rechtlich gleichgesetzt sind, weicht die Kommission hierfür auf den informellen, d. h. rechtlich nicht verankerten Begriff der Verfahrenssprache (engl. procedural language) aus. Diese Bezeichnung steht für die drei Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch, während mit Nichtverfahrenssprachen (non-procedural languages) alle anderen EU-Amtsund Arbeitssprachen gemeint sind (vgl. das Glossar in Europäische Kommission 2009a: 75 f.).: Bei der Europäischen Kommission werden Deutsch, Englisch und Französisch als Verfahrenssprachen bezeichnet, denn in diesen Sprachen müssen die Dokumente für die Arbeit des Kommissarskollegiums erstellt werden. Die zwanzig anderen Fassungen in den Nichtverfahrenssprachen müssen ebenfalls vorliegen, aber im Allgemeinen erst 48 Stunden nach der Sitzung. Allerdings hat der Begriff »Verfahrenssprachen« keine rechtliche Grundlage, obgleich er aus praktischen Gründen intern verwendet wird: Er ist ein rein interner Arbeitsterminus der Kommission. Wenn die Vertreter der Mitgliedstaaten die Legislativvorschläge der Europäischen Union erörtern, erwarten sie, dass alle Sprachfassungen vorliegen; wäre dies nicht der Fall, könnte dies politische Schwierigkeiten nach sich ziehen (Europäische Kommission 2009a: 56 f.).

Die Behauptung, dass es sich bei der Verfahrenssprache um einen »rein interne[n] Arbeitsterminus der Kommission« handelt, dessen Verwendung lediglich »aus praktischen Gründen« erfolgt, wird allerdings insofern konterkariert, als die obige Definition eindeutig nicht in einem Text zum rein internen Gebrauch zu finden ist, sondern in einer offenbar auf Öffentlichkeitswirksamkeit ausgerichteten Publikation, die im Internet von der EU der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird. Zum Problem, dass zwischen interner und externer Kommunikation in der Praxis keine scharfe Trennlinie gezogen werden kann (Ross 2003: 26), kommt hinzu, dass der Begriff Arbeitssprache an anderen Stellen letztlich doch in der gleichen Bedeutung wie Verfahrenssprache verwendet wird (während der Terminus Verfahrenssprache vor allem in Bezug auf den EuGh wiederum auf den juristischen Sinn – ›die Sprache des Gerichtsver55 Zwei weitere Beispiele für ähnlich gelagerte Termini zur Differenzierung unterschiedlicher Sprachenregime wären: (1) symmetrisch/vollständig (Dolmetschungen erfolgen aus und in alle Amtssprachen) vs. asymmetrisch/eingeschränkt (Dolmetschungen erfolgen aus allen Amtssprachen, aber nur in einige wenige Zielsprachen) (vgl. Wu 2005: 148) und (2) präsidial (eine einzige Sprache ist Amtssprache) vs. kollegial (einige wenige Sprachen sind Amtssprachen) vs. egalitär (alle Sprachen sind Amtssprachen) (Haarmann 1973: 151 ff.; vgl. Wu 2005: 29 f., 70).

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

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fahrens‹ – beschränkt sein kann). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere das sogenannte Delors-Kommuniqu¦ aus dem Jahr 1993, in dem die Kommission unter ihrem damaligen Präsidenten Jacques Delors die bereits zuvor praktizierte Unterscheidung zwischen den EU-Amtssprachen (für nach außen gerichtete Dokumente) und den drei Arbeitssprachen (für den internen Gebrauch) explizit hervorhob – vermutlich, um damit dem Wunsch nach Aufwertung des Deutschen nachzukommen (vgl. Wu 2005: 42; Ross 2003: 26); »Wenn Dokumente nach außen gerichtet sind, werden sie in den Amtssprachen der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt […]. Soweit Dokumente für den internen Gebrauch der Kommission vorgelegt werden, werden sie in den Arbeitssprachen Deutsch, Englisch und Französisch verfasst«.56 Ähnliche Sprachregelungen jenseits des Primärrechts und zusätzlich zur sekundärrechtlichen Verordnung Nr. 1 existieren auch für die anderen EU-Organe – zumeist in Form von Geschäftsordnungen und Verfahrensbestimmungen. So gilt etwa innerhalb des EuGh das Französische als alleinige interne Arbeitssprache (als Sprache des Verfahrens kann hingegen jede der EU-Amtssprachen dienen), während der Rat und vor allem das Europäische Parlament das Vollsprachenregime in ihrer Sprachenpraxis zumindest anstreben, wobei das Parlament diesem Anspruch nach allgemeiner Einschätzung mithilfe des umfangreichen Übersetzungs- und Dolmetschdienstes am ehesten gerecht wird (vgl. Ross 2003: 29 ff.). Allerdings hängt der tatsächliche Sprachgebrauch in den EU-Organen stark vom jeweiligen situativen Kontext ab, sodass sich der integrale Multingualismus in vielerlei Hinsicht als unerreichtes Ideal entpuppt, etwa wenn er abseits der Plenarsitzungen selbst im Europäischen Parlament dem selektiven Multilingualismus auf Basis von Englisch und Französisch weicht (Kraus 2008: 127; vgl. Wodak et al. 2012). Interessant ist auch, dass die Kommission in der oben erwähnten Informationsbroschüre neben den vermeintlich hohen Übersetzungs- und Dolmetschkosten auch das Vollsprachenregime bzw. den integralen Multilingualismus selbst als Mythos (Irrglaube, Vorurteil) im negativen Sinn (und nicht etwa als anzustrebendes Ideal) charakterisiert, während sie demgegenüber das Dreisprachenregime bzw. den selektiven Multilingualismus nicht nur als die tatsächlich gelebte, sondern auch als positive und richtige Praxis des Sprachgebrauchs in den EU-Organen darstellt:

56 Erklärung des Sprechers der Kommission über den Beschluss der Ausführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung der Kommission vom 01. 09. 1993 (BIO/93/202), online verfügbar unter http://ec.europa.eu/dorie/fileDownload.do?docId=261495& cardId=261495 (letzter Zugriff am: 17. 07. 2012).

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

Die Mehrsprachigkeitspolitik leidet in Europa unter etlichen Vorurteilen, von denen sich einige hartnäckig halten. Da ist beispielsweise der weit verbreitete Irrglaube, alle Schriftstücke der EU würden in alle Sprachen übersetzt. Richtig ist: Es werden nur die Gesetze und zahlreiche für die Öffentlichkeit bestimmte Texte von allgemeiner Geltung in alle Amtssprachen, die an die EU gerichteten Texte hingegen oft nur in eine einzige Sprache übersetzt (Europäische Kommission 2009a: 56).

Die Daten zu den Übersetzungen offizieller EU-Dokumente können tatsächlich als Indiz für die Zurückdrängung nicht nur des Voll-, sondern auch des Dreisprachenregimes gewertet werden. So kann das numerische Verhältnis zwischen den Zielsprachen der Übersetzungen zwar als relativ ausgewogen betrachtet werden, wenngleich sich auch hier die Dominanz des Englischen und der anderen beiden Arbeits- bzw. Verfahrenssprachen niederschlägt: 12 % der Texte werden in das Englische übersetzt, 10 % in das Französische und 8 % in das Deutsche, während sich die anderen EU-Amtssprachen mit drei bis vier Prozent zu Buche schlagen (mit Ausnahme des Irischen, das auf 0,3 % kommt) (Europäische Kommission 2009a: 61). Zieht man jedoch die Statistiken zu den Ausgangssprachen heran (Europäische Kommission 2009b: 6), d. h. die Aufschlüsselung der Sprachen, in denen die Texte vor ihrer Übersetzung ursprünglich konzipiert und verfasst wurden, so wird die Zurückdrängung der anderen EU-Amts- und -Arbeitssprachen – insbesondere des Französischen und Deutschen – durch das Englische deutlich: Während die Zahl der Amtssprachen und der übersetzten Seiten zwischen 1997 und 2008 kontinuierlich stieg, nahm die Anzahl der englischen Ausgangstexte im gleichen Zeitraum um ein Drittel zu, während der Anteil für das Deutsche um die Hälfte und für das Französische sogar um drei Viertel zurückging (siehe Tabelle 9).57 Noch 1989 wurde fast die Hälfte aller Übersetzungen aus dem Französischen angefertigt und weniger als ein Drittel aus dem Englischen, während 2008 bereits über zwei Drittel der Übersetzungen Englisch als Ausgangssprache hatten.58

57 Mit der aktuellen Statistik aus dem Jahr 2008 wurden auch die interviewten österreichischen Politiker konfrontiert und gebeten, zur Problematik der Arbeitssprachen im Allgemeinen und dem diesbezüglichen Status des Deutschen im Besonderen Stellung zu beziehen (siehe Kapitel 4.3 und Leitfaden im Anhang D.1). 58 Die Zahlen für 1989 stammen aus Phillipson (2001: 131), sind jedoch insofern mit Vorsicht zu genießen, als ihre Summen nicht 100 % ergeben. In der von Phillipson genannten Quelle (Pym 2000) sind die genannten Prozentsätze für 1989 außerdem nicht zu finden, sodass die Zahlen nicht verifiziert werden konnten.

127

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

Tabelle 9: Ausgangssprachen für Übersetzungen von EU-Dokumenten (vgl. Europäische Kommission 2009b: 6) Sprache der Ausgangstexte Englisch Französisch Deutsch andere Sprachen

1989 29,5 % 49,3 % 8,9 % 3,2 %

1997 45,4 % 40,4 % 5,4 % 8,8 %

2004 62 % 26 % 3,1 % 8,8 %

2008 72,5 % 11,8 % 2,7 % 13 %

Anzahl übersetzter Seiten

n.a.

1,1 Mio.

1,3 Mio.

1,8 Mio.

Neben der exemplarischen Erörterung des tatsächlich praktizierten Sprachenregimes in den EU-Organen hat sich die Übersicht über die EU-Sprachenpolitik in diesem Kapitel bisher auf das Primärrecht (Gründungs- und Revisionsverträge), das Sekundärrecht (Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse etc.) und das Tertiärrecht (Mitteilungen der Kommission) beschränkt.59 Eine weitere Kategorie, die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen wäre, stellt die Rechtsprechung durch den EuGh in Streitsachen dar (vgl. Wu 2005: 39). Ohne in aller Ausführlichkeit auf diesen Aspekt der EU-Sprachenpolitik eingehen zu können, soll die sprachbezogene EU-Rechtsprechung an dieser Stelle am Beispiel des Gerichtsfalls ›Groener‹ dennoch Erwähnung finden – nicht zuletzt deshalb, weil dieser Streitfall, der 1989 vor dem EuGh ausgetragen wurde, in Form eines Impulstextes in den Gruppendiskussionen thematisiert und diskutiert wurde.60 Der Fall ›Groener‹ stellt eines der klassischen Beispiele für das Aufeinanderprallen von EU- bzw. EWG-Recht und nationaler Sprachenpolitik eines Mitgliedsstaates dar (vgl. Dovalil 2010: 100 f.; Kraus 2008: 159; Usher 1998: 228 f.). Im Rechtsstreit ›Groener‹ manifestierte sich dies im juristischen Konflikt zwischen dem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit (als einer der vier Grundfreiheiten in der EU/EWG) und der sprachenpolitischen Gesetzgebung eines Mitgliedsstaates zur Förderung und dem Schutz des Irischen andererseits. Anita Groener, eine niederländische Staatsbürgerin, verklagte 1989 den Bildungsminister Irlands und den Berufsschulausschuss der Stadt Dublin mit der Begründung, dass die Angeklagten ihr eine dauerhafte Vollzeitstelle als Kunstdozentin am College of Marketing and Design in Dublin wegen eines fehlenden Irischzeugnisses verwehrten, obwohl sie auf Englisch unterrichten sollte. Der verpflichtende Nachweis von Irischkenntnissen stellte daher aus Sicht der Klägerin eine Verletzung ihres Rechts auf Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EWG dar. 59 Mitteilungen der Kommission gelten als Tertiärrecht bzw. »soft law«, d. h. als »formal unverbindbliche Handlungsformen«, die auf »politische Wirkungen« abzielen (Böttger 2010: 195 f.). 60 Siehe Urteil des Gerichtshofes vom 28. November 1989 in der Rechtssache C-379/87 (Europäischer Gerichtshof 1989).

128

Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

Anita Groener hatte bereits eine befristete Anstellung als Teilzeitdozentin an diesem College inne und bewarb sich nach zwei Jahren um die Vollzeitdienstplanstelle, was vom College selbst unterstützt wurde. Der Minister hatte jedoch bereits zuvor in einem Rundschreiben verfügt, dass der Nachweis von Irischkenntnissen Voraussetzung für den Antritt von Vollzeitdauerplanstellen in bestimmten Bildungsbereichen (darunter der Kunstunterricht an besagtem College) ist. Nachdem Anita Groener weder eine Befreiung von dieser Bestimmung erreichen konnte noch die erforderliche Sonderprüfung zum Nachweis von Irischkenntnissen bestand, erhob sie Klage beim irischen High Court, der wiederum beim EuGh um Vorabentscheid über die Auslegung der EWG-Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit ansuchte.61 Sprachenpolitischer Hintergrund der Angelegenheit ist, dass das Irische in der Verfassung der Republik Irland als Nationalsprache und erste Amtssprache (vor Englisch) verankert ist, wenngleich das Irische nur von einem kleinen Teil der irischen Bevölkerung beherrscht wird. Aus Sicht der Angeklagten stellte die Förderung des Irischen jedoch eines der vorrangigsten Ziele irischer Sprachenpolitik dar, und das erwähnte Rundschreiben des Ministers reihte sich demnach in die Regierungsmaßnahmen zur Erreichung dieses sprachenpolitischen Ziels ein, zumal DozentInnen auch jenseits des Unterrichts eine wichtige Rolle für die Aktivitäten der jeweiligen Bildungseinrichtungen spielen würden. Der EuGh folgte in seinem Urteil im Wesentlichen dieser Argumentationslinie: »Nach den Akten wird Irisch zwar nicht von der gesamten irischen Bevölkerung gesprochen; gleichwohl war es seit vielen Jahren die Politik der irischen Regierung, die Verwendung des Irischen als eines Mittels des Ausdrucks der nationalen Identität und Kultur nicht nur zu wahren, sondern auch zu fördern« (Europäischer Gerichtshof 1989: 3993). Der Gerichtshof erachtete das Vorgehen der Angeklagten (d. h. die Verknüpfung der Postenvergabe an Irischkenntnisse) daher als gerechtfertigt und mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbar an, »sofern dieses Verlangen Teil einer Politik zur Förderung der National- und ersten Amtssprache ist und verhältnismäßig und ohne Diskriminierung durchgeführt wird« (eine solche Diskriminierung bestünde etwa, wenn der Erwerb von Irischkenntnissen innerhalb Irlands zu erfolgen hätte) (Europäischer Gerichtshof 1989: 3994). Der EuGh hielt damit gleichzeitig fest, dass sein Urteil der nationalen Sprachgesetzgebung keine generelle Priorität gegenüber den Grundfreiheiten der EWG einräume, und dass sich der EuGh das Recht vorbehalte, Urteile je nach Fall und Kontext individuell zu fällen.

61 Konkret handelte es sich dabei um Artikel 48 und Absatz 3 EWG-Vertrag und des Artikels 3 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft.

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

129

Die historischen Meilensteine, die aktuellen Entwicklungen, aber auch die Widersprüche und Diskrepanzen der EU-Sprachenpolitik auf den verschiedensten Ebenen (de jure- vs. de facto-Sprachenpolitik, Primär- vs. Sekundärrecht, interne vs. externe Kommunikation, nationale vs. supranationale Zuständigkeit usw.) wurden zum Teil in den Gruppendiskussionen und Politikerinterviews (zumeist aufgrund entsprechend vorgegebener Interview- bzw. Moderatorenfragen), aber auch in den Printmedientexten thematisiert. Aus diesem Diskursmaterial (Gruppendiskussionen, Interviews und Zeitungsartikel) besteht das eigentliche Untersuchungskorpus, das für die Analyse des österreichischen Diskurses über ›(Mehr-)Sprachigkeit‹ im Rahmen der empirischen Fallstudie herangezogen wird (siehe Kapitel 4). Eine der zentralen Forschungsfragen in diesem Zusammenhang lautet, ob und wie die oben skizzierten Entwicklungen und Tendenzen der EU-Sprachenpolitik in Österreich wahrgenommen und interdiskursiv verarbeitet werden, insbesondere in Hinblick auf eventuell wahrgenommene oder diskursiv konstruierte Widersprüche und Übereinstimmungen zwischen der Sprachenpolitik Österreichs und der EU. Um diese Frage zu beantworten, wurden dem Triangulationsprinzip entsprechend unterschiedliche Datenquellen und Genres in mehreren Handlungsfeldern sowie verschiedene Perspektiven und (partei-)politische Positionen berücksichtigt (vgl. Kapitel 2.4). Um zu untersuchen, wie die sprachenpolitischen Kommunikationsanstrengungen der EU auf der nationalen österreichischen Ebene rezipiert werden, wurde zunächst eine Makroanalyse der Themen von EU-Pressetexten über Mehrsprachigkeit vorgenommen – diese Analyse wird samt Ergebnissen im nächsten Abschnitt dargestellt.

3.1.2. Sprachenpolitische Kommunikationsanstrengungen der EU: Schlagwortanalyse von EU-Pressemitteilungen62 Dass die Grenze zwischen EU-interner und EU-externer Kommunikation in der Praxis oftmals fließend verläuft, wurde bereits erwähnt. Dennoch macht die theoretische Unterscheidung zwischen diesen beiden Ebenen für analytische Zwecke Sinn, denn die diskursiv betriebene Sprachenpolitik der EU kann sich bei aller Überlappung prinzipiell an verschiedene Adressatenkreise richten, für die jeweils spezifische Genres zum Einsatz kommen. Das für den vorliegenden Abschnitt relevante Genre ist das der EU-Pressemitteilungen: Diese sollen mit Bezug zum Thema Mehrsprachigkeit mittels Schlagwortanalyse auf Makroebene untersucht werden, um in weiterer Folge Rückschlüsse auf die Rezeption der 62 Der folgende Abschnitt wurde großteils aus Dorostkar/Flubacher (2010) übernommen und für den Zeitraum 2000 bis 2010 aktualisiert.

130

Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

sprachenpolitischen EU-Pressetexte in den Printmedien auf nationaler österreichischer Ebene ziehen zu können (siehe Kapitel 4.2). Die EU-Pressemitteilungen sind ein klassischer Fall von EU-externer Kommunikation: Diese wird dadurch definiert, dass sie ihre primären Adressaten nicht innerhalb der EU-Institutionen selbst hat, sondern außerhalb. Abbildung 6 soll die terminologische Unterscheidung zwischen internen und externen Kommunikationspraktiken der EU veranschaulichen (vgl. die Unter scheidung zwischen »inside« und »outside perspective on multililingualism« in Krzyz˙anowski/Wodak 2010):

Abbildung 6: interne und externe Kommunikationspraktiken der EU

Wie aus Abbildung 6 hervorgeht, kann zwischen einem Typ interner Kommunikation und zwei Typen externer Kommunikation in der EU unterschieden werden. EU-interne Kommunikation findet innerhalb der EU-Institutionen statt, beispielsweise zwischen der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament (im Rechteck links dargestellt). Innerhalb der einzelnen EUOrgane kann wiederum zwischen verschiedenen Institutionen, Abteilungen usw. unterschieden werden: Die für die EU-Sprachenpolitik besonders relevanten institutionellen Akteure in der Europäischen Kommission wären etwa das Kabinett des EU-Kommissars Orban (2006 – 2010), die Einheit für Mehrsprachigkeit (Unit 5) und die Generaldirektion (DG) für Übersetzung oder Kommunikation. Die EU-interne Kommunikation bleibt in weiterer Folge nicht auf die Kommission beschränkt, sondern findet zwischen mehreren EU-Organen statt, etwa um sprachenpolitische Dokumente wie die »Neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit« oder den »Aktionsplan 2004 – 2006« zu verabschieden und zu implementieren. Der Ablauf dieser EU-internen Kommunikation zum Zweck der (sprachen-)politischen Entscheidungsfindung ist in der

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

131

Geschäftsordnung der Europäischen Kommission63 festgelegt und folgt nach Studer et al. (2008: 35 ff.) in etwa folgendem Muster : Die Europäische Kommission erarbeitet einen Vorschlag, der dem Europäischen Parlament und dem Rat präsentiert wird, bevor er im Fall der Verabschiedung durch diese beiden Institutionen zum Zweck der Implementierung wieder zurück an die Kommission geht. Der letzte Schritt, das Kommunizieren der verabschiedeten Sprachenpolitik durch die einzelnen PR-Abteilungen der EU-Institutionen an die breite Öffentlichkeit, wäre dann bereits ein Fall von EU-externer Kommunikation. Diese kann wiederum in zwei Typen unterteilt werden: Der erste Typ umfasst die Kommunikation zwischen Organen und Mitgliedsstaaten der Union (siehe mittlere Spalte der Abbildung 6). EU-externe Kommunikation zweiten Typs bezeichnet hingegen die Kommunikation zwischen den EU-Organen und den Nicht-Mitgliedsstaaten (inklusive assoziierten Staaten) sowie anderen supranationalen Organisationen wie dem Europarat (siehe rechte Spalte der Abbildung 6).64 Um die externen Kommunikationsanstrengungen der EU zu untersuchen, wurde in einem ersten Schritt eine Suchanfrage in der EU-Datenbank ›Press Releases Rapid‹ (http://europa.eu/rapid) ausgeführt. Diese frei zugängliche Online-Datenbank wird von der Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Kommission verwaltet und enthält vorwiegend Pressemitteilungen der Kommission seit dem Jahr 1985, aber auch verschiedene Dokumenttypen (zum Beispiel Reden) der anderen EU-Institutionen. Die Datenbank bietet neben einer Volltextsuche auch ein englisch- und französischsprachiges Interface für Suchabfragen nach Dokumenttyp, Themengebiet, Referenznummer eines Dokuments sowie nach Schlagworten. Um Pressemitteilungen und andere Dokumenttypen zu finden, die von der EU zum Thema Sprachenpolitik und Mehrsprachigkeit veröffentlicht wurden, beschränkte sich die Suchabfrage in der Datenbank auf Dokumente aus dem Zeitraum zwischen Jänner 2000 und Dezember 2010, die unter MULTIL (= »multilanguage«) und 27 (= »multilingualism«) verschlagwortet wurden. Die auf diese Weise herausgefilterten 146 Dokumente wurden in einer Offline-Datenbank (›FileMaker Pro‹) als Korpus gespeichert und nach folgenden – von der Datenbank stammenden – Metadaten kategorisiert und geordnet: Referenznummer, Dokumenttyp, Datum, Titel, Lead, Ort, Sprachen und Schlagworte des veröffentlichten Dokuments.

63 Die Geschäftsordnung der Europäischen Kommission stammt aus dem Jahr 2000 und wurde seitdem mehrfach geändert, zuletzt am 15. November 2011 (siehe Europäische Kommission 2011). 64 Da der Fokus dieses Abschnitts auf den sprachenpolitischen Kommunikationsanstrengungen der EU in Form von Pressemitteilungen liegt, wird die EU-interne Kommunikation im Folgenden nicht weiter behandelt.

132

Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

In einem nächsten Schritt wurde eine quantitativ-deskriptive Makroanalyse des Korpus vorgenommen, indem die Häufigkeit der oben angeführten Daten ausgewertet wurde. Tabelle 10 gibt eine Übersicht über die Häufigkeit der Dokumenttypen, das Erscheinungsjahr und die Sprachen, in denen die Dokumente in der »Rapid« Datenbank zur Verfügung standen: Tabelle 10: Übersicht EU-Pressetexte – Dokumenttyp, Erscheinungsjahr und Sprachversionen Dokumenttyp EC Press Release EC Speech EC Memo Committee of the Regions Court of Justice European Ombudsman Council of the European Union Court of Auditors European Personnel Selection Office

n 56 49 26 4 3 3 3 1 1

Jahr 2007 2006 2008 2009 2005 2004

n 52 28 27 26 8 5

Summe

146

Summe

146

Sprachen English French German Romanian Italian Dutch Spanish Greek Portuguese Czech Danish Finnish Slovakian Hungarian Polish Slovenian Swedish Estonian Lithuanian Latvian Maltese Bulgarian Gaelic Farsi

n 138 98 87 68 60 57 56 55 55 54 54 54 54 53 53 53 53 51 51 51 51 47 19 1

Wie der ersten Spalte von Tabelle 10 zu entnehmen ist, stellt die ›EC Speech‹, also Reden der EU-Kommission, den häufigsten Dokumenttyp in dem Korpus dar, knapp gefolgt von Pressemitteilungen der Kommission. Das ›EC Memo‹ liegt abgeschlagen an dritter Stelle, während die restlichen Dokumenttypen im vorliegenden Korpus schwach vertreten sind. Die meisten Dokumente zum Thema Mehrsprachigkeit wurden 2007 veröffentlicht, also in dem Jahr, in dem Leonard Orban sein Amt als EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit antrat. In dem Jahr vor, aber auch nach seinem Amtsantritt wurden beinahe um die Hälfte weniger EU-Pressetexte über Mehrsprachigkeit publiziert. Die dritte Spalte der Tabelle 10 zeigt wiederum, dass die meisten dieser Dokumente in den drei Arbeitssprachen der Kommission, Englisch, Französisch und Deutsch, verfügbar sind, und dass Rumänisch an vierter Stelle folgt. Dass Rumänisch als relativ neue EU-

133

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

Amtssprache gleich nach Deutsch den vierten Platz belegt, kann durch den Amtsantritt von EU-Kommissar Orban erklärt werden, der selbst aus Rumänien stammte und vor allem Reden in seiner Muttersprache Rumänisch hielt. Die meisten Reden im Korpus (33 von insgesamt 49) wurden von Kommissar Orban im Jahr 2007 gehalten, was wiederum die personelle Bedeutung des EU-Mehrsprachigkeitskommissars für die Kommunikation der EU-Sprachenpolitik unterstreicht. In der Hoffnung, Aussagen über die intertextuellen bzw. interdiskursiven Verflechtungen des EU-Diskurses über Mehrsprachigkeit mit anderen Diskursen (beispielsweise über Bildung, Wirtschaft oder Migration) treffen zu können, wurde die Häufigkeit der Schlagworte im EU-Pressekorpus ausgewertet. Tabelle 11 stellt einen Ausschnitt der insgesamt 212 Schlagwörter dar, mit denen die EUPressetexte über Mehrsprachigkeit in der ›Rapid‹ Datenbank verschlagwortet wurden, und gibt die Bedeutung der 25 häufigsten ›Keywords‹ im Korpus sowie deren übergeordnete Schlagworte laut der Beschreibung der ›Rapid‹ Datenbank wieder : Tabelle 11: Übersicht EU-Pressetexte – Schlagworte Schlagwort MULTIL COMDOC 27 ORBAN SPEECH EDUCAT FIGEL TRANSTOR 1465 CULTURE TRANS ROUM CONFER

Schlagwort-Beschreibung Multilanguage Commission Document Multilingualism

Übergeordnete(s) Schlagwort(e)

Culture Institutional Questions – EC Institutions Institutional Questions – EC Institutions Leonard Orban Institutional Questions – EC Institutions – Commission – Commission Members Speech Personnel and Administration Education and Training Social Policy Jan Figel Institutional Questions – EC Institutions – Commission – Commission Members Translator Culture n.a. Institutional Questions – EC Institutions Culture Culture Translation Culture Romania Europe Conference Institutional Questions – EC Institutions – Conference; Personnel and Administration – Conference

n 126 126 110 104 46 30 23 23 19 20 25 14 16

65 Aufgrund eines technischen Problems war es nicht möglich, die Beschreibung des Keywords »14« in der Datenbank abzufragen.

134

Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

(Fortsetzung) Schlagwort

Schlagwort-Beschreibung ENLARGEMENT Enlargement of the Community INTERNET Internet SUPSCHOOL

BULG INTERCUL INTERPRETER IRL LISBONSTRAT

Enseignement Sup¦rieur66 Belgium Translation and Interpreting Bulgaria Intercultural Interpreter Ireland Lisbon Strategy

YOUTH

Youth

21

External Relations and European Neighbourhood Policy

B TRANSINTER

Übergeordnete(s) Schlagwort(e)

n

Institutional Questions

10

Industrial Policy – Traditional Industry Education Youth and Culture

10 10

Europe Personnel and Administration

13 15

Europe Culture – Culture Culture Europe Institutional Questions – Institutional Relations – Commission / EP – Commission Programme Social Policy – Education and Training Institutional Questions – EC Institutions

8 8 9 6 6

8 5

Da die 212 aufgetretenen Schlagworte teils redundant und noch dazu wenig aussagekräftig sind, wurden einige ›Keywords‹ von der folgenden Analyse ausgeschlossen, darunter Eigennamen wie Orban oder Belgium sowie redundante Keywords wie multilingualism und speech. Zudem wurden die verbleibenden ›Keywords‹, die m. E. zum gleichen thematischen Bereich gehören, zu einem übergeordneten Thema zusammengefasst (beispielsweise wurden die drei Schlagwörter Translation and Interpreting, Translator und Interpreter zum Thema Translation and Interpretation gebündelt). Tabelle 12 gibt die Anzahl der auf diese Weise bereinigten Schlagworte und Themen im EU-Pressetextkorpus wieder :

66 Für dieses französische Schlagwort (dt. ›höhere Bildung‹) gibt es in der Datenbank aus unbekannten Gründen kein englisches Äquivalent.

135

(Mehr-)Sprachigkeit in der EU-Sprachenpolitik

Tabelle 12: Übersicht EU-Pressetexte – Schlagwortgruppen Schlagworte

Themen

Education and Training, Enseignement Sup¦rieur, Enseignement Inf¦rieur, University, Erasmus, Erasmus Mundus, Youth Translation and Interpreting, Translator, Interpreter Small and Medium Sized Industries, Enterprise, Economic Growth, Economic and Monetary Affairs, Competitivity, Jobs, WTO, Employment, Trade, Internal Market and Services Culture Internet and Websites Intercultural and Multicultural

Education

Immigration, Illegal Immigration, Integration, Social Cohesion Enlargement of the Community Lisbon Strategy External Relations and European Neighbourhood Policy

Anzahl der Verschlag-wortungen 66

Translation and Interpreting Economy

55

Culture Internet and Websites Intercultural and Multicultural Immigration, Integration and Social Cohesion Enlargement of the Community Lisbon Strategy External Relations and European Neighbourhood Policy

19 15 12

35

11 10 6 5

Wie die Ergebnisse der Schlagwortauswertung zeigen, wurden die meisten EUDokumente über Mehrsprachigkeit im Korpus mit ›Keywords‹ aus dem Themenbereich Bildung verschlagwortet, dicht gefolgt vom Thema Übersetzen und Dolmetschen. Den dritten Platz nimmt das Themengebiet Wirtschaft ein, das zudem mit zehn ›Keywords‹ die meisten Schlagwörter innerhalb eines Themas aufweist. Die EU-Dokumente wurden zwischen zehn- bis zwanzigmal mit Schlagwörtern aus den Themenbereichen Kultur, Internet, Inter- und Multikulturalität, Immigration sowie EU-Erweiterung verknüpft, während die Lissabon-Strategie und die EU-Außenbeziehungen nur sechs- bzw. fünfmal als Schlagworte benutzt wurden. Diese Resultate weisen auf eine spezifische Verknüpfung des EU-Diskurses über Mehrsprachigkeit mit anderen Diskursen und Themen hin, die sich weitgehend den in Kapitel 2.5.2.1 beschriebenen Themenbereichen der Mehrsprachigkeit zuordnen lassen (vor allem Bildung, Wirtschaft, Kultur und Migration). Während Internet als Teil des sozialen Feldes der neuen Medien und Technologie begriffen werden kann, lassen sich EUErweiterung, EU-Nachbarschaftspolitik und Lissabon-Strategie als spezifische Teilbereiche der EU-Politik verstehen. Einzig Übersetzen und Dolmetschen, das

136

Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

aufgrund der genannten Zahlen eine wichtige Rolle im EU-Diskurs über Mehrsprachigkeit spielen dürfte, lässt sich keinem der zuvor genannten Felder eindeutig zuordnen und müsste daher in einer Übersicht über soziale Felder der Mehrsprachigkeit eventuell als eigenes soziales Handlungsfeld ergänzt werden. Da ein einzelnes Dokument mit mehreren Schlagwörtern desselben Themas verschlagwortet werden kann (zum Beispiel Translation und Translator), ist es wichtig anzumerken, dass die oben angeführten Zahlen nicht eins zu eins die Anzahl der Themen im Korpus widerspiegeln, sondern vielmehr die Anzahl der Verschlagwortungen innerhalb eines Themas durch die Datenbankbetreiber. Die Zahlen geben dennoch Aufschluss über die interdiskursiven Verflechtungen im Korpus und lassen Rückschlüsse darauf zu, welche Themen in den externen sprachenpolitischen Kommunikationsanstrengungen der EU dominant sind. Dieser methodische Ansatz hat zudem den Vorteil, dass er das Datenmaterial nicht in ein von der Forschung vorgegebenes Kategoriensystem presst, sondern die in den Daten bereits vorhandene Kategorisierung berücksichtigt. Der Frage, ob und wie die sprachenpolitischen EU-Kommunikationsanstrengungen auf der nationalen österreichischen Ebene in den Printmedien rezipiert werden, wird in Kapitel 4.2 nachgegangen. Im nächsten Abschnitt erfolgt zunächst der Überblick über die österreichische Sprachenpolitik, ergänzt durch eine exemplarische Analyse politischer Werbung zum Thema Sprache bzw. ›Sprachigkeit‹ in Österreich. Dabei wird insbesondere auf unmittelbare Zusammenhänge zur (Sprachen-)Politik der EU und auf die Rolle des Themas ›(Mehr-)Sprachigkeit‹ vor dem Hintergrund lingualistischer Konstruktionen einzugehen sein.

3.2. (Mehr-)Sprachigkeit in der österreichischen Sprachenpolitik 3.2.1. Bestandsaufnahme im historischen Kontext (Mehr-)Sprachigkeit nimmt in der österreichischen Sprachenpolitik in vielerlei Hinsicht eine deutlich andere Stellung ein als in der EU-Sprachenpolitik. Die Divergenzen in der sprachenpolitischen Ausrichtung mögen einerseits wenig überraschen – handelt es ich bei Österreich doch um einen Nationalstaat und bei der EU um ein supranationales Gefüge mit entsprechend unterschiedlichen Aufgaben, Zielen und Zuständigkeitsbereichen. Andererseits erscheint der Vergleich zwischen der nationalen Ebene und der supranationalen Ebene Europas insofern nicht unberechtigt, als beide Ebenen de facto Teil voneinander sind und sich die EU-Sprachenpolitik in vielen Fällen (gerade in puncto ›Mehrsprachigkeit‹) explizit an die Mitgliedsstaaten richtet, wie bereits der letzte Abschnitt zeigte. Um das Verhältnis zwischen supranationaler EU- und natio-

(Mehr-)Sprachigkeit in der österreichischen Sprachenpolitik

137

naler österreichischer Sprachenpolitik, das auch im Datenmaterial der empirischen Fallstudie eines der Hauptthemen darstellt, näher zu beleuchten, sollen nun die wichtigsten Eckpfeiler der österreichischen Sprachenpolitik erläutert werden.67 Die österreichische Sprachenpolitik ließe sich zumindest bis in die Zeiten der Habsburgermonarchie zurückverfolgen, dem Fokus und Zeitraum der Untersuchung entsprechend wird sich die folgende Übersicht allerdings schwerpunktmäßig auf das späte 20. und das frühe 21. Jahrhundert beschränken. Die Vorläufer der österreichischen Sprachenpolitik in der Habsburgermonarchie sind aber schon allein deshalb erwähnenswert, weil sich der Vielvölkerstaat der österreichisch-ungarischen Monarchie nicht nur für einen Vergleich mit der heutigen Republik Österreich, sondern auch mit der Europäischen Union heranziehen lässt. Historiker wie Stourzh (1990) vertreten etwa die Ansicht, dass einzelne Sprachgruppen in der Monarchie einen besseren Schutz und mehr Rechte genossen hätten als im heutigen Österreich (vgl. de Cillia/Wodak 2002: 12). Andere wiederum sehen im mehrsprachigen Vielvölkerstaat der Habsburgermonarchie und in den relativ weitgehenden Sprachenrechten, die er seinen Völkern zugestand, einen historischen Vorläufer der Europäischen Union und ihrer dezidierten Mehrsprachigkeitspolitik – zumindest aber ein geeignetes Vergleichsobjekt, aus dem sich Erkenntnisse über die supranationale Sprachenpolitik der Gegenwart gewinnen lassen (vgl. Rindler Schjerve/Vetter 2003: 36; Goebl 1994). Fest steht jedenfalls, dass die Habsburgermonarchie schon Ende des 19. Jahrhunderts Zerfallserscheinungen zeigte und nach ihrem tatsächlichen Ende im Jahr 1918 von einer österreichischen Republik abgelöst wurde, deren Bevölkerung größtenteils deutschsprachig war. Dementsprechend hätte diese Erste Republik nach dem Willen ihrer Gründungsväter »Deutschösterreich« heißen sollen, was jedoch im Zuge der Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg von den Alliierten abgelehnt wurde – diese setzten stattdessen den Namen »Republik Österreich« durch. Um die ›deutsche‹ Identität der Ersten Republik und ihre »Eigenschaft als deutscher Nationalstaat« dennoch verankern zu können, wurde Deutsch in der Verfassung zur Staatssprache erklärt (Stourzh 1990: 31 f.; vgl. de Cillia/Wodak 2002: 12). Dies kann gewissermaßen als Startschuss für diejenige Art von Sprachenpolitik aufgefasst werden, die seit dem 19. Jahrhundert im Kontext des ›nation-building‹ in Europa Schule gemacht hat, und die vielfach auf dem (historisch weiter zurückreichenden) sprachideologischen Prinzip ›ein Staat – eine Sprache‹ aufbaut. Dennoch blieb die Erste, aber 67 Die hier gerafft wiedergegebene Übersicht über die österreichische Sprachenpolitik orientiert sich vor allem an de Cillia/Wodak (2002) und de Cillia/Wodak (2006) sowie de Cillia (1998).

138

Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

auch die Zweite Republik bis heute mehrsprachig und räumte ihren sprachlichen Minderheiten (›Volksgruppen‹)68 – nicht selten über Umwege und gegen politische Widerstände – gewisse Rechte ein, auch wenn beides (Mehrsprachigkeit und Sprachenrechte) nicht mehr das gleiche Ausmaß wie in der Habsburgermonarchie erreicht haben mögen. So wurde und wird die sprachenrechtliche Situation in Österreich bei weitem nicht von allen Akteuren (etwa von ExpertInnen und Betroffenen) als befriedigend wahrgenommen – nicht nur in Hinblick auf die ›autochthonen‹ Minderheiten, sondern vor allem auch die weniger geschützten, aber im öffentlichen Diskurs zunehmend in den Blickpunkt rückenden Gruppen der Gehörlosen und der ›MigrantInnen‹ (gemeint sind zumeist Drittstaatsangehörige). Markantester Kristallisationspunkt der Ideologisierung von Sprache waren seit der Ersten Republik die zweisprachigen (slowenisch-deutschen) Gebiete in Kärnten, aber auch – in geringerem Ausmaß – das Burgenland, wo sowohl Roma als auch ungarisch- und kroatischsprachige Minderheiten ansässig sind. Obwohl der 1920 beschlossene Staatsvertrag von St. Germain explizite Minderheitenschutzbestimmungen im Verfassungsrang enthält (Artikel 62 – 69), standen in den 1920er Jahren vor allem in Kärnten sprachenpolitische Maßnahmen mit dem Ziel der Assimilierung und Eindeutschung an der Tagesordnung (de Cillia/Wodak 2002: 14).69 Den Höhepunkt erreichte die minderheitenfeindliche Politik aber in der Zeit des Nationalsozialismus, also nach dem ›Anschluss‹ bzw. der Besetzung Österreichs durch Hitler-Deutschland im Jahr 1938. Von Vertreibung und Verfolgung durch das NS-Regime waren unter anderem die Kärntner SlowenInnen betroffen, aber auch TschechInnen in Wien sowie Roma und Sinti im Burgenland, während die kroatischen und ungarischen Minderheiten vergleichsweise verschont blieben (ebd.: 15). Widerstand gegen die NSMaßnahmen kam vonseiten slowenischer PartisanInnen und ihrer ›Befreiungsfront für Kärnten‹ (›Osvobodilna Fronta‹), aber auch von tschechischen Gruppen, die erfolgreiche Anschläge auf Rüstungsbetriebe verübten. Das nationalsozialistische Regime betrieb außerdem eine explizite Sprach- bzw. Sprachlenkungspolitik, die von Umbenennungen von Straßennamen und Übertragungen von Fremdworten ins Deutsche bis hin zu Verwendungsverbo68 Während in Artikel 7 des Staatsvertrages von 1955 noch von ›Minderheiten‹ die Rede ist, wird der Begriff der ›Volksgruppe‹ im Volksgruppengesetz von 1976 eingeführt und rechtlich verankert (siehe unten). Eine ähnliche terminologische Diskrepanz ist in den MinderheitenSchulgesetzen für Kärnten und das Burgenland festzustellen: Ersteres spricht von ›Minderheiten‹, letzteres von ›Volksgruppen‹. 69 Quelle für die österreichischen Rechtstexte, die in diesem Kapitel zitiert werden, ist das Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes unter http://www.ris.bka.gv.at (letzter Zugriff am: 16. 05. 2012). Die wichtigsten Rechtsvorschriften zur volksgruppenspezifischen Sprachenpolitik finden sich außerdem unter http://www.bka.gv.at/site/3515/default.aspx (letzter Zugriff am: 16. 05. 2012).

(Mehr-)Sprachigkeit in der österreichischen Sprachenpolitik

139

ten für bestimmte sprachliche Ausdrücke reichte (inklusive der Bezeichnung ›Österreich‹, die durch ›Ostmark‹ ersetzt wurde). Nach der Befreiung von der NS-Diktatur und der Gründung der Zweiten Republik schien das Pendel zunächst in die entgegengesetzte Richtung auszuschlagen: Um sich von Nazi-Deutschland abzugrenzen, wurde Österreich als erstes ›Opfer‹ Hitlers dargestellt – ein Bild, das bis in die 80er Jahre dominant bleiben sollte und als ›Opferthese‹ bekannt wurde. Ähnlich motiviert war auch die – sowohl sprach- als auch sprachenpolitisch relevante – Umbenennung des Unterrichtsfachs Deutsch in ›Unterrichtssprache‹ (hierfür wurde in Anspielung auf den damaligen Unterrichtsminister Felix Hurdes auch die sarkastische Bezeichnung ›Hurdestanisch‹ geprägt). Auch in der Minderheitensprachenpolitik wendete sich das Blatt in den ersten Jahren nach 1945: In den zweisprachigen Gebieten Kärntens wurde zweisprachiger Unterricht in der Primarschule eingeführt, zudem wurden im Staatsvertrag von 1955 spezifische Schutzbestimmungen für die slowenische und kroatische Minderheit verankert (siehe unten). Die Umsetzung dieser Rechte erfolgte in den Jahrzehnten danach jedoch vielfach schleppend, und auch der zweisprachige Unterricht in Deutsch und Slowenisch erlitt mehrere Rückschläge, was u. a. mit dem Widererstarken des deutschnationalen Lagers erklärt werden kann (ebd.: 17). So wurde 1958 nach den so genannten ›Schulstreiks‹ die Abmeldung vom zweisprachigen Unterricht durch die Eltern möglich, um im Jahr darauf schließlich eine verpflichtende Anmeldung zu diesem Unterricht einzuführen – beide Maßnahmen führten zu einem Rückgang an SchülerInnen, die am zweisprachigen Unterricht teilnahmen. Ein weiteres markantes Ereignis und gleichzeitig Tiefpunkt österreichischer Sprachenpolitik stellt der ›Ortstafelsturm‹ in Kärnten 1972 dar, bei dem die verfassungsmäßig garantierten und soeben aufgestellten zweisprachig slowenischdeutschen Ortstafeln durch BürgerInnen rechtswidrig abmontiert wurden {vgl.Pührer, 2007 #661}(vgl. Pührer 2007) Dies führte zum endgültigen Ausbruch eines fast 40 Jahre lang andauernden Ortstafelkonflikts (s. u.). Darüber hinaus waren die Jahrzehnte danach einerseits von der Einführung und sukzessiven Verschärfung sprachbezogener Gesetze im Bereich des Fremdenrechts geprägt (Staatsbürgerschaftsrecht, Integrationsvereinbarung etc.), andererseits zeitigten der Fall des ›Eisernen Vorhangs‹ (1989) und der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (1995) auch in anderen Bereichen Auswirkungen auf die österreichische Sprachenpolitik, wie unter anderem das Protokoll Nr. 10 (Bestandteil des österreichischen EU-Beitrittsvertrages) und die zunehmende sprachenpolitische Institutionalisierung zeigen (gegründet wurden bspw. das Österreich Institut, das Österreichische Sprachdiplom und das Europäische Fremdsprachenzentrum sowie DaF/DaZ-Lehrstühle an mehreren österreichischen Universitäten).

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

Die bisher skizzierten Entwicklungen und Tendenzen österreichischer Sprachenpolitik können auch an der derzeit gültigen Rechtslage in Österreich nachvollzogen werden. An erster Stelle sei Artikel 8 des Bundesverfassungsgesetzes (BV-G) genannt, in dem Deutsch als Staatssprache der Republik verankert wird: »Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik« (BV-G Art. 8 Abs. 1). Spezielle Bestimmungen zum Schutz oder der Förderung der deutschen Sprache innerhalb Österreichs, z. B. in Form einer Quotenregelung für das Verhältnis zwischen deutsch- und fremdsprachiger Musik im Radio, existieren nicht.70 Im nächsten Absatz (eingefügt im Jahr 2000) bekennt sich die Republik zu ihrer sprachlichen und kulturellen Vielfalt und dazu, diese zu achten, zu sichern und zu fördern. Der 2005 eingefügte Absatz 3 enthält die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache »als eigenständige Sprache«, allerdings ohne bisher tatsächliche Rechtswirksamkeit entfaltet zu haben (der nachfolgende Satz lautet lediglich: »Das Nähere bestimmen die Gesetze«; diese fehlen jedoch bis heute). In Artikel 7 des Staatsvertrages von Wien, der 1955 in Kraft trat und seither im Verfassungsrang steht, werden die Minderheitenschutzrechte für die slowenische und kroatische Volksgruppe festgeschrieben. In den relativ großzügigen Bestimmungen wurde bewusst auf ein numerisches Prinzip, d. h. auf die Kopplung der Rechte an bestimmte prozentuale Minderheitenanteile in der Bevölkerung, verzichtet: Stattdessen ist von »Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung« die Rede. Die im Staatsvertrag verankerten Rechte umfassen den bereits erwähnten Anspruch auf Elementarunterricht in den beiden Sprachen sowie die Zulassung derselben als Amtssprachen und das Recht auf zweisprachige Ortstafeln in den genannten Gebieten sowie das Verbot minderheitenfeindlicher Organisationen. Das 1976 verabschiedete Volksgruppengesetz (VGG) stellt das Ausführungsgesetz zu diesen Bestimmungen im Staatsvertrag dar. Volkgruppen werden darin 70 Gleichwohl brachte die FPÖ im österreichischen Parlament mehrere Anträge zum Schutz und Erhalt der deutschen Sprache nach französischem Vorbild ein (die im Folgenden zitierten Anträge sind unter http://www.parlament.gv.at zu finden, letzter Zugriff am: 21. 07. 2012). Im Antrag vom 10. 07. 2008 (Nr. 885/A) fordern FPÖ-Abgeordnete ein Bundesgesetz, in dem neben staatlichen Fördermaßnahmen Gebote zur Verwendung der deutschen Sprache in Handel, Arbeit, Bildungswesen, Druckwerken sowie Musik- und Fernsehprogrammen verankert werden sollen. Ein detaillierterer Antrag vom 22. 01. 2009 (Nr. 404/A) enthält u. a. Bestimmungen zu einem Sprachbeirat, einem Sprachbericht und einer Radioquotenregelung sowie zu Aufschriften auf Produkten und im öffentlichen Raum. Zuletzt wurde in einem Entschließungsantrag (Nr. 1801/A(E)) vom 07. 12. 2011 die »Verluderung der deutschen Sprache durch den völlig überzogenen Einsatz fremdsprachiger Ausdrücke« (v. a. Anglizismen) beklagt und ein nationaler Aktionsplan zum Schutz und Erhalt der deutschen Sprache gefordert.

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definiert als »die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum« (VGG §1 Abs. 2). Neben den bereits im Staatsvertrag eigens angeführten slowenischen und kroatischen Gruppen sind das die im VGG oder dessen später erlassenen Verordnungen genannten Volksgruppen der UngarInnen, der TschechInnen und SlowakInnen sowie der Roma (die letzten drei seit 1993). Allerdings wurde im VGG das ursprünglich nicht vorgesehene numerische Prinzip eingeführt: Zweisprachige topographische Aufschriften sollten demnach nur in Gebieten mit einem Bevölkerungsanteil von mindestens 25 % Volksgruppenangehörigen angebracht werden. Nicht nur VolksgruppenvertreterInnen und ExpertInnen hielten diese bis 2011 gültige Bestimmung des VGG als unvereinbar mit dem Staatsvertrag, auch der österreichische Verfassungsgerichtshof sah sich dazu veranlasst, große Teile des VGG aufzuheben. Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes wurden von der Kärntner Landesregierung allerdings jahrelang nicht umgesetzt, sodass der bereits seit Jahrzehnten andauernde ›Ortstafelstreit‹ bis ins 21. Jahrhundert prolongiert wurde. Eine maßgebliche Rolle in diesem Zusammenhang spielte der damalige Landeshauptmann Jörg Haider, der im Wahlkampf vor den Nationalratswahlen 2006 den Slogan »Kärnten wird einsprachig!« (als Versprechen, und nicht etwa als Warnruf) inserieren ließ (siehe unten; dieses Wahlkampfinserat wurde z. T. auch in den Fokusgruppen zur Diskussion gestellt). Tatsächlich gab Haider daraufhin die Anweisung, mehrere zweisprachige (deutsch-slowenische) Ortstafeln abzumontieren und durch einsprachige (deutsche) Ortstafeln zu ersetzen, die mit kleineren, unterhalb befestigten slowenischen Zusatzschildchen ergänzt waren (siehe Abbildung 7). Haider beteiligte sich unter Anteilnahme der Medien selbst an der De- und Neumontage der Ortstafeln, um diesen Akt öffentlichkeitswirksam zu bewerben.

Abbildung 7: BZÖ-Inserat im Nationalratswahlkampf 2006 (Quelle: Kleine Zeitung, 03. 09. 2006)

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Eine ähnliche, ebenfalls verfassungswidrige Aktion hatte Haider im gleichen Jahr bereits zuvor unternommen: In Reaktion auf ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, das er zu umgehen versuchte, ließ er die betreffenden Ortstafeln auf ihrer ursprünglichen Position um einige Meter versetzen. Beide Handlungen mussten letztlich wieder rückgängig gemacht werden, dennoch ließ die lang ausstehende politische Lösung des Ortstafelstreits vorerst weiter auf sich warten. Erst im Jahr 2011 wurde unter dem Nachfolger Haiders ein Kompromiss mit den SlowenenvertreterInnen und der Regierung erzielt, was letztlich zur Novellierung des VGG im gleichen Jahr führte. Für das neue VGG war zunächst eine niedrigere als die ursprüngliche Prozentzahl, nämlich 17,5 % Minderheitenanteil vorgesehen, was aufgrund der neuerlichen Diskrepanz zum Staatsvertrag u. a. auf Kritik des österreichischen Bundespräsidenten und des slowenischen Präsidenten stieß. Daher wurde in der letztgültigen, tatsächlich in Kraft getretenen Novellierung auf eine explizite Nennung von Zahlen, Anteilen, Prozentsätzen o.Ä. verzichtet, um stattdessen die betreffenden Gebiete in einem Anhang zum Gesetz namentlich anzuführen (es handelt sich dabei um 164 Orte in 24 Gemeinden in Kärnten und im Burgenland). Vom numerischen Prinzip wurde dabei insofern nicht zur Gänze Abstand genommen, als die nun namentlich verankerten Orte im Wesentlichen der zuvor anvisierten prozentualen Lösung (17,5 % Minderheitenanteil) entsprechen (zusätzlich sind jene Ortschaften im Gesetz angeführt, die bereits in der Topographieverordnung von 1977 verankert sind, sowie jene, für die ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes auf Grundlage einer 10 %-Regelung vorliegt). Nicht nur dieser Punkt blieb bis heute umstritten, sondern auch die Verfassungskonformität der zuvor durchgeführten kärntenweiten Volksbefragung über den erzielten Ortstafelkompromiss. Von der sprachenpolitischen Gesetzgebung in Österreich sind nicht nur die autochthonen, sondern auch die allochthonen bzw. ›neuen‹ Minderheiten betroffen. Verpflichtende Deutschkenntnisse wurden in Österreich erstmals in der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 festgeschrieben. Die entsprechende Bestimmung in §10a war damals aber noch vergleichsweise flexibel und unspezifisch formuliert worden: »Voraussetzungen jeglicher Verleihung sind unter Bedachtnahme auf die Lebensumstände des Fremden jedenfalls entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache.« Bereits einige Jahre später wurde die Deutschnachweispflicht aber auf das Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht ausgedehnt, wo sie im Rahmen der so genannten ›Integrationsvereinbarung‹ wesentlich strenger und genauer definiert wurde. Seit 2003 sieht die ›Integrationsvereinbarung‹ verpflichtend vor, dass Drittstaatsangehörige im Zuge ihrer Niederlassung in Österreich innerhalb eines festgelegten Zeitraums Deutschkenntnisse auf einem bestimmten Niveau nachweisen. Viele ExpertInnen monieren, dass die ›Integrationsvereinbarung‹ entgegen ihrer eigentlichen Be-

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zeichnung weder etwas mit Integration noch mit einer Vereinbarung zu tun habe, sondern eine Zwangsverordnung zur Erschwernis der Zuwanderung von bestimmten Bevölkerungsgruppen darstellt. Aus Sicht von Sprachlehr-/-lernforscherInnen sind an der Maßnahme insbesondere der Zwangscharakter und der Sanktionsdruck problematisch (bei Nichterfüllen droht im schlimmsten Fall die Ausweisung), nicht zuletzt deshalb, weil sich die Unfreiwilligkeit des Deutschlernens negativ auf den Zweitspracherwerb auswirken kann (vgl. Boeckmann et al. 2003; Plutzar 2010; de Cillia 2011). Fest steht, dass die ›Integrationsvereinbarung‹ 2003 eingeführt, als solche bis heute nicht evaluiert, aber bereits zwei Mal novelliert wurde, um die sprachlichen Anforderungen vom ursprünglichen A1-Niveau auf A2 (2005) und schließlich auf B1 (2011) zu heben (diese Niveaus sind nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, GERS definiert). In diese Reihe sukzessiver Verschärfungen des österreichischen Fremdenrechts anhand des Unterscheidungsmerkmals Sprache fügt sich auch die Regelung ›Deutsch vor Zuwanderung‹ ein, der zufolge Drittstaatsangehörige seit 01. 07. 2011 unabhängig von der ›Integrationsvereinbarung‹ bereits bei der Beantragung der Erstniederlassungsbewilligung Deutschkenntnisse auf Niveau A1 nachweisen müssen.71 In der derzeit gültigen Fassung müssen Drittstaatsangehörige für ihre Niederlassung innerhalb von zwei Jahren Deutschkenntnisse auf Niveau A2 nachweisen, für Daueraufenthaltstitel und Staatsbürgerschaftserwerb auf Niveau B1 innerhalb von 5 Jahren. Wird die Integrationsvereinbarung innerhalb einer bestimmten Frist erfüllt (18 Monate für Niveau A2), werden bis zu 50 % der Kosten für Deutsch-Integrationskurse vom Staat refundiert. Die ›Integrationsvereinbarung‹ wird im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) damit gerechtfertigt, dass Deutschkenntnisse Drittstaatsangehörige zur gesellschaftlichen Teilnahme befähigen (NAG § 14 Abs. 1):

71 Im Mai 2012 wurde allerdings durch Medienberichte bekannt, dass ein EuGh-Urteil die Deutschpflicht für türkische StaatsbürgerInnen in Österreich zu Fall gebracht hatte: Laut Entscheid des EuGh vom 15. 11. 2011 (Rechtssache C-256/11) dürfen die Verschärfungen des österreichischen Fremdenrechts seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 (darunter die ›Integrationsvereinbarung‹ und die Regelung ›Deutsch vor Zuwanderung‹) aufgrund eines Assoziierungsabkommens zwischen der Türkei und der EWG aus dem Jahr 1963 auf türkische StaatsbürgerInnen nicht angewendet werden (siehe EuGh-Urteil unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62011CJ0256:DE:HTML, letzter Zugriff am: 21. 07. 2012). Der österreichische Verwaltungsgerichtshof schloss sich dem EuGh-Urteil an, sodass türkische StaatsbürgerInnen (mit Erwerbsabsicht in Österreich) Deutschkenntnisse seither nicht mehr verpflichtend nachweisen müssen, sondern freiwillig erwerben können (auch im Rahmen von geförderten ›Integrationsvereinbarungskursen‹).

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Die Integrationsvereinbarung dient der Integration rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassener Drittstaatsangehöriger (§ 2 Abs. 2). Sie bezweckt den Erwerb von vertieften Kenntnissen der deutschen Sprache, um den Drittstaatsangehörigen zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu befähigen.

Ob das bezweckte Ziel, Drittstaatsangehörigen die gesellschaftliche Teilhabe durch die Verpflichtung zum Deutschkenntnisnachweis zu ermöglichen, tatsächlich erreicht wird oder nur ein vorgeschobenes Argument zur Rechtfertigung einer Maßnahme zur Zuwanderungserschwernis darstellt, ist wie gesagt umstritten und bleibt zumindest so lange offen, bis die Integrationsvereinbarung umfassend und unabhängig evaluiert wird. Eine Tendenz, die sich im österreichischen Fremdenrecht jedenfalls bemerkbar macht, ist nicht nur die Politisierung von Sprache (im Sinn des Lingualismus), sondern auch eine Zuwanderungserschwernis für bestimmter Gruppen von Drittstaatsangehörigen (eben jene mit mangelnden Deutschkenntnissen oder aber auch mit geringem sozioökonomischen Status) und eine Zuwanderungserleichterung für jene, die bestimmte Sprachkenntnisse, Qualifikationen oder Einkommen nachweisen können. Dies bezeugt vor allem die sogenannte ›Rot-weiß-rot-Karte‹, die im Zuge des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 als neuer Aufenthaltstitel im NAG eingeführt wurde und Hochqualifizierten, Fach- und Schlüsselkräften sowie StudienabsolventInnen erteilt wird. Neu daran ist, dass in mehreren Kategorien nach normierten Kriterien Punkte verteilt werden, darunter in den Bereichen Qualifikation, Berufserfahrung und eben Sprachkenntnisse (allerdings nur in Deutsch und Englisch). Bei Erreichen einer bestimmten Punkteanzahl wird der Aufenthaltstitel erteilt. Als Vorbild für die ›Rot-weiß-rot‹-Karte kann die ›Green-Card‹ der Vereinigten Staaten gewertet werden, aber auch die 2009 eingeführte ›Blue Card‹ der Europäischen Union wäre zu nennen. Letztere stellt ebenfalls einen Aufenthaltstitel für besonders hochqualifizierte Drittstaatsangehörige dar – in diesem Fall für jene, die zum Zweck der Erwerbstätigkeit in die EU einreisen. Interessant ist, dass die ›Blue Card‹ nicht an den Nachweis von Sprachkenntnissen gebunden ist und stattdessen andere Kriterien zur Voraussetzung macht (wie einen Studienabschluss und ein hohes Einkommen). Was die Zusammenhänge zwischen österreichischer Sprachenpolitik und Europäischer Union betrifft, sind mit Hinblick auf die empirische Fallstudie insbesondere zwei Aspekte hervorzuheben: die fehlende Implementierung des EU-Ziels »Muttersprache plus 2« in der österreichischen Schulsprachenpolitik und das dem österreichischen EU-Beitrittsvertrag beigefügte »Protokoll Nr. 10 über die Verwendung spezifischer österreichischer Ausdrücke der deutschen Sprache im Rahmen der Europäischen Union«. Das Protokoll Nr. 10 wurde von österreichischen PolitikerInnen vor der Ab-

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stimmung zum österreichischen EU-Beitritt im Jahr 1994 ins Leben gerufen (siehe Anhang F). Darin werden 23 Bezeichnungen als spezifisch österreichische Ausdrücke festgeschrieben, die »den gleichen Status« haben und »mit der gleichen Rechtswirkung verwendet werden« dürfen wie die jeweils entsprechenden bundesdeutschen Ausdrücke (beispielsweise Erdäpfel für Kartoffel). Dieses Protokoll stellt einen integralen Bestandteil des österreichischen Beitrittsvertrages und damit EU-Primärrecht dar – es steht also auf der gleichen juristischen Stufe wie die EU-Gründungsverträge selbst. Bezeichnenderweise handelt es sich bei diesen 23 vorgeblichen Austriazismen ausschließlich um Vokabel aus dem Lebensmittelbereich. Auf eine Expertise von LinguistInnen wurde verzichtet, was prompt deren Kritik an der völlig willkürlichen und unvollständigen Auswahl der Ausdrücke hervorrief (siehe bspw. de Cillia 1997; Pollak 1994; Pohl 1998; o.J.). Das Protokoll Nr. 10 wurde in der österreichischen Bevölkerung aber öffentlichkeitswirksam beworben – etwa durch Slogans wie »Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat« oder »Alles bleibt, wie es ißt«. Damit sollte in Österreich zum einen eine möglichst breite Zustimmung zum EU-Beitritt erreicht, zum anderen Befürchtungen vor einer Verdrängung des österreichischen durch das bundesdeutsche Deutsch zerstreut werden. Erfolgreich waren die PRAktionen insofern, als die ÖsterreicherInnen 1994 tatsächlich zu zwei Drittel für eine EU-Mitgliedschaft votierten. Danach geriet das Protokoll Nr. 10 allerdings weitgehend in Vergessenheit, sowohl in den Medien als auch in der österreichischen Bevölkerung und unter PolitikerInnen (siehe Kapitel 4.1.2.1, vgl. Linke 2002). Das Thema des österreichischen Deutsch in der EU erlebte aber nach 10 Jahren eine Neuauflage durch den sogenannten ›Marmeladenkrieg‹ (vgl. de Cillia 2006). Dieser wurde 2003 von der auflagenstärksten Zeitung Österreichs, der Kronen Zeitung, gegen die EU ausgerufen. Streitpunkt war die Bezeichnung Marmelade, die im Widerspruch zur österreichischen Tradition laut EURichtlinie ausschließlich für Produkte aus Zitrusfrüchten zuzulassen war (nach dem Vorbild englischsprachiger Länder), während für andere Früchte die Bezeichnung Konfitüre vorgeschrieben wurde (siehe Richtlinie 2001/113 des Rates in Europäische Gemeinschaften 2002). Der Ausdruck Marmelade war nicht in das Protokoll Nr. 10 aufgenommen worden, zudem hatten die österreichischen PolitikerInnen verabsäumt, im Vorfeld eine grundsätzlich leicht zu erwirkende Ausnahmeregelung für die betreffende Richtlinie zu verlangen. Letztendlich wurde das ›Kriegsbeil‹ begraben, indem auf Initiative des damaligen österreichischen Agrar-Kommissars Franz Fischler die Richtlinie im Nachhinein abgeändert wurde, sodass der Ausdruck Marmelade für den Verkauf von Konfitüre auf dem österreichischen Markt, nicht aber für den Export zugelassen wurde (siehe Europäische Gemeinschaften 2004). Wie de Cillia (2006: 130) feststellt, ist hinter dem Protokoll Nr. 10 eine kurzfristige Aktion nationalen Identitätsma-

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nagements zu vermuten, während die Gründe für den ›Marmeladenkrieg‹ vor allem in einer Machtdemonstration der auflagenstärksten Zeitung Österreichs zu suchen sind. Ob und wie diese beiden (sprach-)ideologisch durchsetzten politischen Ereignisse von österreichischen BürgerInnen wahrgenommen werden und welche Meinungen sie in diesem Zusammenhang über das österreichische Deutsch vertreten, wird auch Gegenstand der österreichischen Fallstudie sein (v. a. im Kapitel über die Gruppendiskussionen). Die sprachenpolitische Position der Republik Österreich in puncto österreichisches Deutsch ist als ambivalent einzustufen. Einerseits wurden seit 1945 – wie bereits erwähnt zunächst zur Abgrenzung von Deutschland – erste Schritte zur Institutionalisierung und Kodifizierung des österreichischen Deutsch gesetzt, wie etwa die Publikation des Österreichischen Wörterbuchs, die Entwicklung des Österreichischen Sprachdiploms oder die Gründung des Österreich Instituts zeigen (siehe hierzu de Cillia/Wodak 2006). Darüber hinaus sind aber abgesehen vom Protokoll Nr. 10 bis heute kaum nennenswerte sprachenpolitische Initiativen der Regierung in Hinblick auf das österreichische Deutsch und dessen Förderung auszumachen. In Hinblick auf das Verhältnis zwischen der Sprachenpolitik Österreichs und der EU ist allerdings ein weiterer ›Sprachenstreit‹ erwähnenswert, der sich während der finnischen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 1999 ereignete: Deutschland und Österreich boykottierten die informellen Ministerratszusammenkünfte, weil Finnland darauf bestand, aus Platzgründen keine deutsche Dolmetschung anzubieten und sich dabei darauf berief, dass bei Ratssitzungen üblicherweise nur Englisch und Französisch sowie die Sprache des jeweiligen Gastgeberlandes als Konferenzsprachen zugelassen würden (vgl. Wu 2005: 106). Bevor Finnland schließlich einlenkte, folgte auf deutscher Seite ein Brief von Bundeskanzler Schröder mit dem Hinweis auf das von Deutschland favorisierte Dreisprachenregime (ebd.). Laut Ross (2003: 22) wird bei Expertentreffen auf Ministerratsebene seither nur noch Englisch als Arbeitssprache verwendet. Was den zweiten Aspekt, die Umsetzung des EU-Ziels »Muttersprache plus zwei« betrifft, genügt ein Blick auf die Statistiken zum Fremdsprachenunterricht an Österreichs Schulen (Haller 2007: 3; vgl. de Cillia/Krumm 2010; vgl. Eurydice-Netz 2008: 37): Im Pflichtschulbereich erlernen ca. 90 % aller SchülerInnen in Österreich nur eine einzige Fremdsprache (92,85 % auf der Primarstufe und 89,81 % auf der Sekundarstufe 1) – zumeist ist dies Englisch. Selbst auf der Sekundarstufe 2, auf der sich das Fremdsprachenangebot merklich ausdifferenziert, erhalten immer noch ca. 60 % aller SchülerInnen in nur einer einzigen Fremdsprache Unterricht (die Sekundarstufe 2 bzw. die Matura wird mittlerweile von ca. zwei Dritteln der österreichischen Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren absolviert) (ebd.). Diese Schulsprachenpolitik spiegelt sich natürlich auch in den Fremdsprachenkenntnissen der österreichischen Bevölkerung

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wider : Zwar beherrschen nach der letzten Eurobarometer-Umfrage zum Thema Sprache(n) 78 % der ÖsterreicherInnen eine, aber nur 27 % zwei Fremdsprachen so gut, dass sie sich laut Eigenangabe darin unterhalten können (Europäische Kommission 2012: 18; 2006: 10). Der Anteil von ÖsterreicherInnen mit Kenntnissen in zwei Fremdsprachen sank zuletzt sogar von 32 % im Jahr 2005 auf 27 % im Jahr 2012 (Europäische Kommission 2006: 10). Immerhin hat sich seit der ersten Eurobarometerumfrage die Einstellung der ÖsterreicherInnen über die Nützlichkeit des Fremdsprachenlernens deutlich verändert: Waren es im Jahr 2000 nur 59 % der befragten ÖsterreicherInnen, die das Beherrschen einer Fremdsprache als sehr nützlich einstuften (einer der niedrigsten EUWerte), so sind es 2005 bereits 79 % und 2012 81 % (Europäische Kommission 2006: 29; 2012: 134). Unterdurchschnittlich im EU-Vergleich ist dagegen immer noch die Antwort auf die Frage, ob man in der EU neben der eigenen Muttersprache mehr als eine weitere Sprache beherrschen sollte, auch wenn die Akzeptanz dieses Anspruchs in der Bevölkerung langsam steigt: Nur 43 % der ÖsterreicherInnen teilten diese Ansicht im Jahr 2005 (50 % im Durchschnitt der EU-25), während es 2012 65 % waren (EU-27: 69 %) (Europäische Kommission 2006: 57; 2012: 136). Das EU-Ziel »Muttersprache plus zwei«, das seit den 1990er Jahren auf EU-Ebene zu unterschiedlichsten Anlässen wie ein Mantra wiederholt wird (siehe Kapitel 3.1), scheint in Österreich also immer noch keinen breiten Konsens zu genießen – weder in der Bevölkerung noch unter den PolitikerInnen. Das Barcelona-Ziel wird in Österreich somit nicht nur auf Ebene der Sprachkenntnisse verfehlt, sondern auch auf schulpolitischer Ebene von den Verantwortlichen nicht umgesetzt. Wie österreichische Politiker diese Diskrepanz zwischen der Sprachenpolitik Österreichs und der EU diskursiv aufgreifen und argumentativ rechtfertigen, ist ebenfalls Bestandteil der Fallstudie in Kapitel 4.3. Die österreichische Schulsprachenpolitik scheint im öffentlichen Diskurs insgesamt weniger mit der EU und dem Fremdsprachenlernen in Zusammenhang gebracht zu werden, sondern viel stärker mit dem Thema Migration verwoben zu sein. Die Debatte kreist dabei häufig um die hohe Anzahl von SchülerInnen mit Migrationshintergrund bzw. Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache. Da österreichische Schulstatistiken die Herkunftsländer der Eltern nicht erheben, weicht man in offiziellen Statistiken zumeist auf das Kriterium der Muttersprache aus, sodass die beiden Gruppen (bspw. in der Medienberichterstattung) häufig gleichgesetzt werden (vgl. Wroblewski/Herzog-Punzen berger 2010: 107; Suchan´/Wallner-Paschon 2009: 53; Dorostkar/Preisinger 2013; Dorostkar/Preisinger im Druck). Der Anteil von SchülerInnen nichtdeutscher Muttersprache schwankt in Österreich je nach Region und Schultyp stark: Österreichweit betrug er im Schuljahr 2010/11 über alle Schulen gerechnet etwa 18,4 %, in Wien hingegen 43,3 % (BMUKK 2012). Das differenzierte und frühzeitig selektierende Schulsystem in Österreich bewirkt, dass MigrantInnen

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in Hauptschulen oder Sonderschulen überproportional vertreten sind und dadurch in ihrer Bildungskarriere zusätzlich benachteiligt werden. Was die rechtliche Situation betrifft, ist insbesondere Paragraph 3 im Schulunterrichtsgesetzes (SchUG) hervorzuheben: Laut §3 Abs. (1b) ist als »ordentlicher Schüler« aufzunehmen, »wer die Unterrichtssprache der betreffenden Schule soweit beherrscht, daß er dem Unterricht zu folgen vermag« – in aller Regel ist dies Deutsch. 2007 wurde eine Bestimmung eingeführt, wonach die Erziehungsberechtigten »dafür Sorge zu tragen« haben, »dass ihre Kinder zum Zeitpunkt der Schülereinschreibung die Unterrichtssprache […] soweit beherrschen, dass sie dem Unterricht zu folgen vermögen« (SchUG §3 Abs. 3). Das österreichische Netzwerk SprachenRechte, in dem sich BildungsexpertInnen, LinguistInnen und SprachpraktikerInnen engagieren, hat an dieser Bestimmung kritisiert, dass »die Verantwortung für die Beherrschung der Unterrichtssprache bereits zu Schuleintritt den Eltern übertragen wird, anstatt davon auszugehen, dass es die Aufgabe der Volksschule ist, diejenigen Kinder, die eine dialektale Varietät des Deutschen oder eine andere Erstsprache als Deutsch in der Primärsozialisation erworben haben, in den ersten Jahren an die bildungssprachliche Varietät der deutschen Sprache heranzuführen« (Netzwerk SprachenRechte 2012). Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gem. Art. 15a B-VG über die verpflichtende frühe sprachliche Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen (Nr. 336/ME), in der Sprachstandserhebungen im Kindergarten zur Feststellung des Sprachförderbedarfs fixiert werden (diese Vereinbarung lag 2012 als Entwurf vor und sollte die ausgelaufene Vereinbarung aus dem Jahr 2008 ersetzen) (für Details siehe Wroblewski/Herzog-Punzenberger 2010; Plutzar 2010). Die Bedeutung der frühen Sprachförderung nimmt in der österreichischen Bildungspolitik insgesamt zu: So schreibt der österreichische Staat seit Herbst 2010 den Besuch des letzten Kindergartenjahres halbtags für alle 5-jährigen Kinder verpflichtend vor. Damit sollen insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund und jene aus sozioökonomisch benachteiligten Familien in ihrem Bildungsprozess (v. a. im Erwerb des Deutschen) unterstützt werden. Verpflichtungen wie diese mögen sich zwar nur indirekt auf das Deutschlernen beziehen, sind aber dennoch z. T. sprachenpolitisch motiviert. Im österreichischen Diskurs über Migration und Bildung wird dabei häufig argumentiert, dass eine zu hohe Anzahl von SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache pro Schulklasse zur Verschlechterung des Bildungs- und Sprachniveaus der ganzen Klasse beiträgt, wie etwa Dorostkar/Preisinger (im Druck) in ihrer Studie über Leserkommentarforen einer österreichischen Online-Zeitung analysieren. Zu den politischen Mitteln, die (v. a. im rechten Lager) dagegen beschworen werden, zählen nicht nur Vorschläge zur Beschränkung des ›Migrationsanteils‹ pro Klasse oder zur Einführung von ›Ausländerklassen‹

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(siehe Kapitel 3.2.2), sondern auch die rechtliche Verankerung bestimmter Sprachverwendungsgebote und -verbote. So macht sich etwa die FPÖ dafür stark, Deutsch nicht nur wie bisher als Unterrichtssprache, sondern per Gesetz als offizielle Schulsprache festzuschreiben. Die FPÖ hat im österreichischen Parlament, aber auch in mehreren Gemeinderäten und Landtagen (darunter in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich) Anträge mit der Forderung eingebracht, im gesamten Schulgebäude und auch in den Pausen die Verwendung der deutschen Sprache vorzuschreiben, um Probleme und Konflikte in der Schule zu vermeiden sowie Verständigung und Integration zu fördern. So heißt es etwa im oberösterreichischen Antrag: »Die Einführung des Begriffs der Schulsprache soll die grundsätzliche Verwendung der deutschen Sprache zur Verständigung unter den Schülern und mit den Lehrern im Schulgebäude und am Schulgelände auch in den Pausen sowie vor, zwischen und nach den Unterrichtseinheiten zur Norm erheben« (FPÖ 2012). Die FPÖ-Anträge wurden von den anderen Parteien bisher immer abgelehnt, interessanterweise wurden in den letzten Jahren aber unabhängig davon mehrere Fälle publik, in denen DirektorInnen ähnliche Deutschverwendungsgebote an ihren Schulen durchzusetzen versuchten. Im Jahr 2008 sprach beispielsweise der Direktor der Linzer Schule HLWAuhof die »ausdrückliche ›Empfehlung‹« an seine SchülerInnen aus, dass diese nicht nur im Unterricht, sondern auch in den Pausen die deutsche Sprache verwenden sollen (orf.at 2008). Dies rechtfertigte er einerseits mit einer dadurch zu erwartenden Verbesserung der Deutschkompetenzen unter den vielen SchülerInnen nicht-deutscher Muttersprache, andererseits mit dem Gebot der Höflichkeit, keine Sprache zu verwenden, die Anwesende nicht verstehen. Der Direktor verwies zudem auf das Vorbild einer Berliner Realschule (Herbert-Hoover-Schule), wo Anfang 2006 eine ähnliche Bestimmung in die Hausordnung aufgenommen wurde: »Die Schulsprache unserer Schule ist Deutsch, die Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland. Jeder Schüler ist verpflichtet, sich im Geltungsbereich der Schule nur in dieser Sprache zu verständigen« (Lau 2006). Laut ›Zeit‹-Bericht wurde diese Bestimmung von SchülerInnen und Eltern mitbeschlossen und durch die Schulkonferenz bestätigt, dennoch rief das Ereignis – anders als in Österreich – ein vergleichsweise starkes und zumeist negatives Medienecho hervor (letzteres v. a. in Zeitungen der türkischen Minderheit). Mit dem Fall aus dem Jahr 2008 wurden die interviewten österreichischen Politiker konfrontiert und um entsprechende Stellungnahmen gebeten (siehe Kapitel 4.3). Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei diesem Fall um kein singuläres Ereignis handelt, sondern um eine diskursiv bedingte Tendenz, dass also die spezifische Prägung des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ seit den 1990er Jahren zur Einführung und zunehmenden Akzeptanz solcher Deutschverwendungsgebote in der Schule bei-

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getragen hat. Für diese Sichtweise spricht auch, dass in den vergangenen Jahren mehrmals über ähnlich gelagerte Fälle berichtet wurde. So nahm 2010 eine katholische Privatschule in Salzburg, die HLW Elisabethinum in St. Johann am Pongau, ein Deutschverwendungsgebot in die Hausordnung der Schule auf, nachdem dies im Schulgemeinschaftsausschuss beschlossen wurde (vgl. de Cillia 2011: 184). Interessanterweise gab es allerdings das Zugeständnis, dass die Verwendung anderer Sprachen als Deutsch kurzfristig und ausnahmsweise im Fall von Gefühlsausbrüchen (Freude, Ärger, Weinen etc.) erlaubt sein soll. In dieser Argumentation kommt der sprachideologische Charakter des Deutschgebots deutlich zum Ausdruck: Deutsch soll zusammen mit anderen Prestigesprachen die zentrale Bildungssprache mit vollem Funktionsspektrum sein, während Migrantensprachen auf untergeordnete, expressiv-affektive Kommunikationsfunktionen reduziert werden. Besonders bemerkenswert ist zudem, dass die Maßnahme offenbar deshalb getroffen wurde, weil sich einzelne SchülerInnen aufgrund des Fremdsprachengebrauchs von einigen MitschülerInnen ausgeschlossen gefühlt hatten, obwohl an der Schule nur 15 von 400 SchülerInnen eine andere Muttersprache als Deutsch hatten (derStandard.at 2010). Die Argumentationsstrategie, die hinter dieser Rechtfertigung erkannt werden kann (›trajectio in alium‹ bzw. OpferTäter-Umkehr), ist im Diskurs über Migration insgesamt immer häufiger anzutreffen – etwa, wenn behauptet wird, dass AusländerInnen sowie marginalisierte und benachteiligte Gruppen oder MenschenrechtsaktivstInnen rassistisch, diskriminierend oder ausgrenzend agieren und zur ›Überfremdung‹ beitragen würden. Zuletzt berichtete die österreichische Presse im Mai 2012 über ein umstrittenes Deutschverwendungsgebot: An der Vorarlberger Mittelschule Lochau im Bezirk Bregenz hatte der Direktor in einem Informationsschreiben an die Eltern festgehalten, dass Deutsch die Unterrichtssprache sei und die SchülerInnen auch in den Pausen Deutsch sprechen sollen (diePresse.com 2012). Auch hier wurde wieder argumentiert, dass das Gebot das Deutschlernen fördere und Missverständnisse sowie Konflikte zu vermeiden helfe – so könnten LehrerInnen etwa Streitgespräche zwischen SchülerInnen nur dann schlichten, wenn sie auf Deutsch geführt werden. Anlass für das Schreiben war dem Direktor zufolge ein Vorfall auf dem Schulhof, »bei dem rund 10 Schüler eine Art Truppenübung absolviert haben. ›Es gab einen Befehlshaber, der Befehle erteilte und die anderen Kinder haben diese befolgt‹« (Vonbank 2012). Ob und inwiefern das Deutschverwendungsgebot als probates Mittel zur Vermeidung oder Klärung solcher Vorfälle angesehen wurde, bleibt unklar – zu vermuten ist jedoch, dass das Schulpersonal Probleme damit hatte, mit den SchülerInnen einen Konflikt rund um diesen Vorfall auf Deutsch zu klären. Die österreichischen Zeitungen beriefen sich auf einen Bericht der deutsch-türkischen Wochenzeitung ›Zaman

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Österreich‹ (Uslucan 2012a), der zufolge das Schreiben des Direktors zu Protesten von Eltern und SchülerInnen geführt hatte, zumal der Gebrauch der nichtdeutschen Muttersprache im Pausenhof bereits Ermahnungen durch LehrerInnen, aber auch Denunziationen von SchülerInnen nach sich gezogen hätte und Strafen wie ›Nachsitzen‹ vorgesehen seien. Dies wiederum hätte Trotzreaktionen von SchülerInnen (Boykott des Unterrichts der betreffenden LehrerInnen) sowie insgesamt eine Spaltung unter den SchülerInnen bewirkt – und damit das Gegenteil dessen, was die Maßnahme eigentlich bezwecken sollte. Nach Bekanntwerden des Zaman-Berichtes wurde ein Expertengespräch zwischen dem Direktor, einem Bezirksschulinspektor, zwei ElternvertreterInnen und einer türkischstämmigen Schulpsychologin einberufen, das jedoch weitgehend ergebnislos verlief (Uslucan 2012b). Unklar bleibt auch, in wie vielen weiteren österreichischen Schulen ähnliche Regelungen bestehen, die gegen weniger Widerstand auf SchülerInnen- und Elternseite durchgesetzt wurden und daher keine Erwähnung in der Medienberichterstattung fanden. Laut Canan Uslu, die sich als betroffene Mutter gegen das Deutschgebot an der Schule ihres Kindes engagierte, gibt es in Vorarlberg mehrere Schulen mit ähnlichen Sprachregimen: »Vor allem in den kleineren Gemeinden ist das Sprechen einer anderen Sprache als Deutsch verboten. Viele Eltern wehren sich auch nicht dagegen, weil sie befürchten, dass dies Auswirkungen auf den Schulerfolg ihrer Kinder haben könnte. Doch ich bin der Meinung, dass man sich gegen etwas Rechtswidriges wehren sollte« (Uslucan 2012a). Die Deutschpflicht in Form von Verwendungsgeboten oder obligatorischen Sprachkenntnisnachweisen spielt in Österreich nicht nur im Fremdenrecht und in der Schulsprachenpolitik eine Rolle, sondern hat sich seit einigen Jahren auf andere Bereiche wie die Wohnungspolitik, das Gesundheitswesen oder die Privatwirtschaft ausgeweitet. Auch diese Fälle sind aus den Medien bekannt, können hier aber weder im Detail behandelt noch eigenen Nachprüfungen unterzogen werden, sondern lediglich beispielhaft erwähnt werden. In Vorarlberg wurde etwa im Rahmen eines einjährigen Pilotprojektes beschlossen, gemeinnützige Sozialwohnungen nur noch an WohnungswerberInnen zu vergeben, die Deutschkenntnisse nachweisen können. Die sprachenpolitische Praxis des Krankenhauses ›Göttlicher Heiland‹ liegt etwas länger zurück (vgl. de Cillia 2011: 185): Noch im Jahr 1999 mussten der Zeitschrift ›Profil‹ zufolge jene MitarbeiterInnen dieses Krankenhauses, die einen ausländisch klingenden Namen hatten (z. B. »Fr. Zorica«), einen deutschen Namen in der Krankenauskommunikation annehmen (z. B. »Fr. Rosi«), und Angestellte der dortigen Caf¦taria wurden per Rundschreiben verpflichtet, ausnahmslos Deutsch zu sprechen (profil 1999). Gerechtfertigt wurde dies in einem Leserbrief vom ärztlichen Leiter des Krankenhauses damit, dass ältere PatientInnen sich darüber beklag-

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ten, dass das Personal nicht Deutsch spreche und dies zu »Verunsicherung, Angst und Misstrauen« führten, ob »man etwa ausgerichtet« werde (Steinhart 1999), d. h., ob das Personal schlecht über die PatientInnen rede (argumentationsanalytisch handelt es sich hier wiederum um eine ›trajectio in alium‹ bzw. Opfer-Täter-Umkehr). Ein Journalist der Zeitschrift ›Falter‹ (Gepp 2011) recherchierte vor kurzem einen ähnlichen Fall, wonach einzelne Wiener Bäckereien ihren Angestellten die Verwendung von Türkisch und Serbokroatisch im Kundengespräch verboten hatten (die Bäckereien stritten dies ab, gaben aber z. T. entsprechende Regelungen für die Kommunikation unter den Angestellten zu). Gewissermaßen unter umgekehrten Vorzeichen rief im Sommer 2010 eine mehrsprachige Initiative im privatwirtschaftlichen Sektor Empörungs- und Protestwellen in der Bevölkerung hervor, die teilweise auch durch Boulevardzeitungen und politische Parteien unterstützt wurden: Stein des Anstoßes waren zweisprachig deutsch-türkische Produktbezeichnungen auf Milchverpackungen der Firma NÖM, die exklusiv an türkische Supermärkte in Ost-Österreich geliefert wurden (die Parallelität zum Kärntner Ortstafelstreit ist bei aller politisch-historischen Verschiedenheit nicht zu übersehen). Ein weiterer Fall, der am Schnittpunkt zwischen Religions- und Schulpolitik angesiedelt ist, wird in einzelnen Interviews und Gruppendiskussionen von den GesprächsteilnehmerInnen selbst thematisiert und soll daher ebenfalls Erwähnung finden: Anfang 2009 wurde eine Studie über islamische Religionslehrer bekannt (Khorchide 2009), die unter anderem aufzeigte, dass in Österreich ein Fünftel der IslamlehrerInnen Demokratie und Islam für unvereinbar halten. Als Reaktion auf diese Studie wurde eine Vereinbarung zwischen dem österreichischen Unterrichtsministerium und der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich geschlossen, die u. a. eine Überprüfung der Deutschkenntnisse der IslamlehrerInnen vorsieht und das Niveau B2 des GERS als Mindestniveau für alle österreichischen LehrerInnen festlegt. Laut Medienberichten wurden nur IslamlehrerInnen ohne deutschsprachigen Matura- oder Studienabschluss Deutschtests unterzogen – von diesen elf der insgesamt 169 LehrerInnen wurden drei aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse zusätzliche Sprachschulungen verordnet.72 Im Bereich der Schulsprachenpolitik ist ein weiteres diskursives Ereignis nennenswert, das zwar nicht in den Untersuchungszeitraum der Fallstudie fällt und für diese daher nicht mehr berücksichtigt werden konnte, aber 72 Im Mai 2012 wurde hingegen im ›Standard‹ berichtet, dass der Wiener Stadtschulrat entgegen seiner bisherigen Praxis den B2-Nachweis von LehrerInnen an Musikkonservatorien verlangt, selbst wenn diese eingebürgert sind und/oder österreichische Studienabschlüsse vorweisen könnten (Brickner 2012). Laut Bericht untersagte der Stadtschulrat die Verwendung der betreffenden LehrerInnen, wogegen ein Konservatoriumsleiter beim Unterrichtsministerium Berufung einlegte (der Rechtsstreit war zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit noch offen).

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aufgrund seiner Auswirkungen auf die bildungspolitische Gesetzgebung exemplarisch ist: Im Frühjahr 2011 wurden Pläne der Karl-Franzens-Universität Graz bekannt, bis zum Studienjahr 2012/13 ein Lehramtsstudium für Türkisch einzuführen. Hintergrund dieser Pläne sei ein Vorhaben der Regierung, Türkisch als zweite lebende Fremdsprache auf der Sekundarstufe 2 einzuführen und somit zum Maturafach zu machen, berichtete die Tageszeitung ›Presse‹ (Schwarz/Bayrhammer 2011). BefürworterInnen, darunter auch LinguistInnen, argumentieren, dass Türkisch als Maturafach bei vielen SchülerInnen mit Migrationshintergrund für einen adäquaten Erwerb der Bildungssprache notwendig sei (neben dem muttersprachlichen Unterricht, der an Österreichs Schulen bereits praktiziert wird)73. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Türkisch in Österreich sei sie zudem als zweite lebende Fremdsprache auch für Kinder mit deutscher Muttersprache ein sinnvolles Angebot, das außerdem dazu beitrage, weit verbreitete Vorurteile gegenüber der türkischen Sprache in der österreichischen Bevölkerung abzubauen. Nachdem auch andere Medien ausführlich und z. T. kritisch über das Vorhaben »Türkisch als Maturafach« berichteten, schwächten die verantwortlichen PolitikerInnen die Bedeutung eines solchen bildungspolitischen Schritts (wohl aus Sorge um dessen Unpopularität) jedoch ab und dementierten, dass es aufseiten der Politik konkrete Pläne zur Einführung von Türkisch als Maturafach in der nahen Zukunft gebe. Skeptisch äußerten sich neben Oppositionsparteien aus dem rechten Lager vor allem PolitikerInnen der kleineren Koalitionspartei ÖVP: Die damalige Innenministerin Maria Fekter z. B. wägte die Einführung von Türkisch als Maturafach gegen Deutschkenntnisse ab und räumte letzteren im Sinne eines »Entweder-Oder« Priorität ein: »Zuerst sollen alle Staatsbürger und die, die bei uns zur Schule gehen, Deutsch können« (diePresse.com 2011). Tatsächlich unternahm die Regierung bis heute keine weiteren Schritte zur Einführung von Türkisch als Maturafach, sodass letztlich auch die Karl-Franzens-Universität Graz von ihrem ursprünglichen Vorhaben abrückte und ihre Pläne zur Einführung eines Lehramtsstudiums vorerst auf Eis legte. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die nationale Sprachenpolitik Österreichs – mit Ausnahmen in der Volksgruppen- und Schulsprachenpolitik – vorwiegend auf die Förderung der Staatssprache Deutsch ausgerichtet ist, während sie in den übrigen Bereichen dem ›Laissez-faire‹-Prinzip folgt. Eine engagierte Mehrsprachigkeitspolitik, wie sie von der EU auch für die nationale Ebene als Ziel formuliert wird (»Muttersprache plus zwei«, curriculare Veran73 Für eine ausführlichere Darstellung der österreichischen Migrations- und Schulsprachenpolitik (in Bezug auf muttersprachlichen Unterricht, ›Deutsch als Zweitsprache‹-Unterricht, das Unterrichtsprinzip ›Interkulturelles Lernen‹ usw.) sei verwiesen auf: de Cillia (2003c), Fleck (2003), BMUKK et al. (2008) und Wroblewski/Herzog-Punzenberger (2010).

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kerung des Adoptivsprachenkonzepts, Ausschöpfung des Potentials von Migrantensprachen usw.), ist bestenfalls in Teilbereichen der staatlichen Sprachenpolitik zu erkennen und steht – soweit überhaupt vorhanden noch am Anfang ihrer Entwicklung. Eine übergeordnete sprachenpolitische Ausrichtung und Strategie der Republik Österreich oder ein dezidiertes österreichisches Mehrsprachigkeitskonzept, das sich an den EU-Zielen orientiert, ist bislang nicht auszumachen.74 So wird in einem Länderbericht zur Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich, der im Zuge des »Language Education Policy Profile«-Prozesses erstellt wurde, festgehalten, dass »weite Bereiche der Sprachenpolitik in Österreich relativ unkoordiniert bleiben bzw. zu unterschiedlichen Stellen ressortieren (Sprachenpolitik der autochthonen Minderheiten – Bundeskanzleramt; Staatssprache Deutsch und Migration – Innenministerium) bzw. gar nicht geregelt sind (Sprachplanung im Zusammenhang mit der Staatsprache Deutsch, im Speziellen der im Protokoll Nr. 10 des österreichischen EU-Beitrittsvertrags explizit erwähnten österreichischen Varietät des Deutschen; Sprachenpolitik und Medien)« (BMUKK et al. 2008: 29; vgl. de Cil lia/Krumm 2011).75 Positive Tendenzen und Weiterentwicklungsbemühungen zur Förderung der Mehrsprachigkeit in der österreichischen Schulsprachenpolitik stünden dem Bericht zufolge in Widerspruch zu Maßnahmen in anderen sprachenpolitischen Feldern wie der sogenannten ›Integrationspolitik‹. Auch innerhalb der Schulsprachenpolitik herrscht den ExpertInnen zufolge weiterhin Handlungsbedarf, etwa was die Diversifizierung des Fremdsprachenangebots

74 Eine Stelle zur nationalen Koordinierung der österreichischen Sprachenpolitik existiert bislang lediglich in Form des Österreichischen Sprachenkomitees (ÖSKO), das eine partizipative sprachenpolitische Plattform darstellt, in dem sich ExpertInnen und Organisationen vernetzen. Das ÖSKO wurde 2003 durch das Unterrichtsministerium (in Kooperation mit dem Österreichischen Sprachen-Kompetenz-Zentrum und dem Wissenschaftsministerium) gegründet und verfügt für den Zeitraum 2011 bis 2013 erstmals über ein Arbeitsprogramm, das die Bereiche PädagogInnenbildung, Gelingensbedingungen der Mehrsprachigkeitsförderung sowie »Monitoring und Awareness rasing« abdeckt (ÖSZ o. J.). Das Ziel von ÖSKO besteht darin, »bereichs- und institutionenübergreifenden Austausch zu sprachenpolitischen Entwicklungen zu ermöglichen, Entwicklungsprozesse zu beobachten, zu initiieren und abzustimmen und die Sichtbarkeit des Themas ›Sprachen und Mehrsprachigkeit‹ nach innen und nach außen zu erhöhen« (ebd.: 2). 75 Der Länderbericht wurde vom österreichischen Unterrichtsministerium in Auftrag gegeben und im Rahmen des LEPP-Prozesses erstellt. Ziel dieses Prozesses ist nicht, eine externe Evaluation durchzuführen, sondern eine freiwillige Selbstanalyse und Bewertung der sprachlichen Bildung im jeweiligen Land unter Mitwirkungen von ExpertInnen auf der nationalen Ebene vorzunehmen, um die europäische Mehrsprachigkeit auf individueller und gesellschaftlicher Ebene unterstützen zu können. Der Prozess durchläuft dabei drei Phasen, in denen jeweils ein Länderbericht (BMUKK et al. 2008), ein (unveröffentlichter) Expertenbericht und schließlich ein Profil über die Sprach- und Sprachunterrichtspolitik (ÖSZ et al. 2009) erstellt wird.

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und die Nutzung von MigrantInnen-, Minderheiten- oder Nachbarsprachen in der Bildungspraxis anbelangt.

3.2.2. Politische Werbung zum Thema ›Sprachigkeit‹ In den Gruppendiskussionen und in den Politikerinterviews wurden die GesprächsteilnehmerInnen mit diversen sprachbezogenen Plakaten, Slogans und Inseraten aus der politischen Werbung konfrontiert und um Stellungnahmen gebeten. Auf diese Impulsmedien, aber auch auf andere sprachbezogene Texte im Handlungsfeld der politischen Werbung soll nun in Hinblick auf den empirischen Teil dieser Arbeit ausführlicher eingegangen werden, wobei insbesondere der politisch-historische Kontext und die intertextuellen Verflechtungen sowie die Auswirkungen auf die aktuelle sprachenpolitische Gesetzgebung zu erläutern sein werden. Auf diese Weise soll zudem die bisherige Bestandsaufnahme über die österreichische Sprachenpolitik durch die visuell-mediale Dimension des Diskurses über (Mehr-)Sprachigkeit zugleich ergänzt und veranschaulicht werden.76 Ähnlich wie die sprachenpolitische Gesetzeslage hat auch die sprachbezogene politische Werbung in Österreich eine Vorgeschichte, wenngleich eine kürzere, die sich zumindest bis in die 1990er Jahre zurückverfolgen lässt. Ein Wahlkampftext zum Thema ›Sprachigkeit‹ aus dieser Zeit, der von de Cillia (2001: 4) dokumentiert wurde, stammt aus einer Postwurfsendung der FPÖ im Jahr 1999 (siehe Abbildung 8 ) (vgl. ArduÅ-Sedlak 1999; de Cillia/Wodak 2002: 23; de Cillia 2011: 182): Wußten Sie, daß … … in den Deutsch-Lesebüchern unseren Wiener Kindern bereits seitenweise türkische und serbokroatische Texte aufgezwungen werden?

Abgesehen davon, dass der präsupponierte Inhalt dieses Fragesatzes jeder faktischen Grundlage entbehrt, findet sich darin eine diskursive Strategie wieder, die für den Lingualismus typisch ist: eine kulturalistisch-moralistische Argumentation, die auch im aktuellen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ häufig anzutreffen ist. Der Kulturtopos, der sich hinter diesem Satz verbirgt, steht ganz im Zeichen des lingu(al)istischen Moralismus (siehe 4.1.2.2.3 für eine ausführlichere Behandlung des Kulturtopos). Erkennbar ist dies insbesondere am Gestus der Empörung, der den gesamten Text durchzieht (dieser enthält mehrere Frage76 Für eine argumentative Analyse der sprachbezogenen politischen Werbung in Österreich unter dem Aspekt des lingu(al)istischen Paternalismus und Moralismus siehe Dorostkar (2012a).

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sätze, die jeweils mit »Wussten Sie, daß …« beginnen). Die Empörung entzündet sich an der Wahrnehmung, dass gesellschaftliche Werte, Normen und Sitten, die als selbstverständlich empfunden werden und als unhinterfragbar erscheinen, verletzt würden. Lingu(al)istisch ist der Moralismus insofern, als dass der moralische Verstoß eine sprachideologisch begründete Norm betrifft (›Wiener Kinder haben in der Schule keine Texte auf Türkisch oder Serbokroatisch zu lesen‹). Wie de Cillia (2001: 4) festhält, tritt der moralisierende Empörungseffekt des Fragesatzes nur bei negativ repräsentierten und abgewerteten Migrantensprachen wie Türkisch und Serbokroatisch ein, nicht jedoch z. B. bei Prestigesprachen wie Englisch oder Französisch. Zudem wird über die Konstruktion einer Wir-Gruppe (»unseren Wiener Kindern«) suggeriert, dass Kinder mit türkischer oder serbokroatischer Muttersprache nicht zu den Wiener Kindern zählen, und dass die genannten Migrantensprachen für letztere eine Zumutung oder sogar schädlich sein könnten (ebd.). Die Behauptung, dass die fremdsprachigen Texte aufgezwungen wären, kann wiederum als eine argumentative Umkehrungsstrategie (›trajectio in alium‹) interpretiert werden, da hier der sprachliche Anpassungs- und Assimilierungsdruck, mit dem anderssprachige Kinder und MigrantInnen in Österreich konfrontiert sind, auf die deutschsprachige Mehrheit projiziert wird.

Abbildung 8: FPÖ-Wahlwerbung im Nationalratswahlkampf 1999

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Zum politisch-historischen Kontext des FPÖ-Flyers ist zu sagen, dass er im Nationalratswahlkampf 1999 eingesetzt wurde, also in einer Zeit, die davor durch Kampagnen gegen AusländerInnen (Volksbegeheren »Österreich zuerst!«) und danach durch einen machtpolitischen Umschwung in Österreich (›schwarz-blaue Wende‹) geprägt war. Bei den Nationalratswahlen im Jahr 2000 erreichte die FPÖ mit 27 % der Stimmen erstmals den zweiten Platz nach den Sozialdemokraten und ging mit der drittstärksten Partei ÖVP unter deren Kanzlerschaft in eine Regierungskoalition. Aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ und deren Nähe zum Rechtsextremismus, die immer wieder im mehrdeutigen Sprachgebrauch hoher Funktionäre zum Ausdruck kam, beschlossen die EU-14 daraufhin Maßnahmen (›Sanktionen‹) gegen Österreich (für Details siehe Kopeinig/Kotanko 2000; Hummer/Pelinka 2002; Strauß/ Ströhle 2010). Die Maßnahmen bestanden in einer Reduktion der bilateralen Beziehungen, wurden aber nach Vorliegen des sogenannten ›Weisenberichtes‹ über die politische Lage in Österreich noch im gleichen Jahr wieder aufgehoben (Ahtisaari et al. 2000). Der Weisenbericht hielt allerdings fest, dass »hohe Parteifunktionäre der FPÖ […] über eine lange Zeit hinweg Stellungnahmen abgegeben [haben], die als fremdenfeindlich oder sogar als rassistisch verstanden werden können« (ebd.: Ziffer 88). Vielen Beobachtern zufolge sind in den »verwendeten Formulierungen nationalistische Untertöne, manchmal sogar Untertöne, die typisch nationalsozialistischen Ausdrücken nahe kommen«, zu erkennen bzw. »eine Verharmlosung der Geschichte dieser Zeit«, wie es in dem Bericht weiter heißt (ebd.). Gewissermaßen als Initialzündung für die Verschiebung der politischen Macht in Österreich, aber auch für eine allmähliche Veränderung des österreichischen Diskurses über Migration und Sprache, kann das Volksbegehren »Österreich zuerst!« angesehen werden. Das Volksbegehren wurde 1993 von der FPÖ initiiert und erhielt ca. 400.000 Unterschriften (ca. 7 % Stimmbeteiligung), was einem Durchschnittsergebnis unter allen bisherigen österreichischen Volksbegehren entspricht, in der damaligen Medienberichterstattung aber als Niederlage für den FPÖ-Parteivorsitzenden Jörg Haider interpretiert wurde, da sich dieser zuvor eine weit höhere Beteiligung erhofft hatte (siehe Reisigl/Wodak 2001: 151 ff. für eine ausführlichere Untersuchung des Volksbegehrens aus kri tisch-diskursanalytischer Sicht). Auch wenn das Volksbegehren zu keiner sofortigen Umsetzung der Forderungen auf legislativer Ebene führte, gab es indirekte und längerfristige Auswirkungen in politischer und diskursiver Hinsicht. Eine der gängigen Interpretationen lautet, dass das Volksbegehren nicht nur ein Wegbereiter für die zunehmende Verschärfung des österreichischen Fremdenrechts war, sondern dass es darüber hinaus fremdenfeindliche Positionen, die ursprünglich auf die extreme Rechte beschränkt waren, nun auch in der politischen Mitte ›salonfähig‹ machte (vgl. Ahtisaari et al. 2000: 23 Abs. 81).

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Zu den unmittelbaren Folgen und Protesten gegen das Volksbegehren zählt die Abspaltung des Liberalen Forums von der FPÖ unter der Führung von Heide Schmidt, die Gründung der Menschenrechtsorganisation ›SOS Mitmensch‹ und die Organisation des ›Lichtermeers‹, einer Großdemonstration am Wiener Heldenplatz mit 200.000 bis 300.000 TeilnehmerInnen. Neben der Forderung eines Zuwanderungsstopps, einer Ausweispflicht für AusländerInnen am Arbeitsplatz und einer sofortigen Ausweisung und einem Aufenthaltsverbot für ausländische StraftäterInnen enthielt der Text des Volksbegehrens auch zwei Punkte zur Schulsprachenpolitik (zitiert nach Reisigl/ Wodak 2001: 200 f.): (6) Die Verabschiedung eines Bundesgesetzes zur Änderung des Schulorganisationsgesetzes mit der eine Begrenzung des Anteils von Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache in Pflicht- und Berufsschulklassen auf höchstens 30 % gewährleistet ist; bei einem mehr als 30 %igen Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache Errichtung von Ausländer-Regelklassen. (7) Entspannung der Schulsituation durch Teilnahme am Regelunterricht nur bei ausreichenden Deutschkenntnissen (Vorbereitungsklassen).

Die in Punkt 6 geforderte Segregation von Kindern im Schulwesen anhand des Unterscheidungsmerkmals Muttersprache trägt Reisigl/Wodak (2001: 157) zufolge rassistische Züge und wird argumentativ mithilfe einer Kombination von Kultur-, Belastungs- und Bedrohungstopos gerechtfertigt.77 Die Argumentation baut dabei auf dem verallgemeinernden Trugschluss auf, dass Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache aufgrund eben dieser Eigenschaft Sprachdefizite im Deutschen aufweisen, und dass ein zu hoher Anteil solcher Kinder pro Klasse daher schädlich für den Bildungsprozess aller Kinder in dieser Klasse wäre (dieser ›Topos der Muttersprache‹ wird in Kapitel 4.3.2.2.3 ausführlicher behandelt). Punkt 7 steht mit der vorangehenden Forderung in Zusammenhang, ist aber allgemeiner formuliert, bezieht sich auf alle Schulen und führt nun explizit ausreichende Deutschkenntnisse als Differenzierungsmerkmal und Voraussetzung für die Teilnahme am Regelunterricht an. SchülerInnen mit unzureichenden Deutschkenntnissen sollen statt dem Regelunterricht Vorbereitungsklassen besuchen. Dadurch solle eine Entspannung der Schulsituation bewirkt werden, was auf der argumentativen Ebene wiederum auf einen Belastungs- und Bedrohungstopos verweist (›Zu viele Kinder nicht77 Die Schlussregel des Bedrohungs- bzw. Belastungstopos lautet: Weil eine Person/eine Institution/ein Land mit bestimmten Problemen stark belastet oder überlastet ist bzw. weil eine Belastung oder Gefahr durch eine politische Entscheidung droht, ist diese Entscheidung abzulehnen bzw. sollten Handlungen ausgeführt werden, die diese Belastung oder Gefahr vermindern oder verhindern. Auf den Kulturtopos und die Definition seiner Schlussregel wird in Kapitel 4.1.2.2.3 ausführlicher eingegangen.

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deutscher Muttersprache in einer Klasse sind eine Gefahr für die Kinder mit deutscher Muttersprache in dieser Klasse‹). Wie genau bestimmt werden soll, wann ein Kind eine Vorbereitungsklasse, eine Ausländer-Regelklasse oder eine (Inländer?-)Regelklasse besuchen muss/darf, geht aus dem Text nicht hervor. Interessanterweise besteht aber eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem FPÖ-Konzept der ›Vorbereitungsklassen‹ und dem Wiener Modell zur Sprachförderung »1+1«, das unter der sozialdemokratischen Stadtregierung 2009 umgesetzt wurde. Nach diesem Modell werden Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache und ungenügenden Deutschkenntnissen (diese werden bei einer vorgezogenen Schuleinschreibung überprüft) nicht in die erste Klasse der Volksschule aufgenommen, sondern in Vorschulklassen zusammengefasst, wo sie entsprechende Förderungen in Deutsch erhalten sollen (dieses Modell wurde ebenfalls in einer Stellungnahme des Netzwerks SprachenRechte kritisiert, siehe Plutzar 2009). Auch unter der neuen FPÖ-Führung von Heinz-Christian Strache wurden die bewährten diskursiven Strategien für die politische Werbung aufgegriffen und ausgebaut, letzteres gerade auch in Hinblick auf das Thema ›Sprachigkeit‹. Eine hervorstechende Rolle nahm dabei, nicht zuletzt aufgrund seiner mehrmaligen großflächigen Affichierung in unterschiedlichsten Kontexten, der Slogan »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹« ein (siehe Abbildung 9). Die FPÖ setzte den Slogan im Wien-Wahlkampf 2005 sowie im Nationalratswahlkampf 2006 und 2008 ein (er wurde auch in den Gruppendiskussionen als Impulsmedium verwendet, um Stellungnahmen von BürgerInnen zu elizitieren; siehe Kapitel 4.1). Die zentrale diskursive Strategie, die in diesem Slogan zum Tragen kommt, besteht in der Konstruktion einer positiv besetzten, vorbildhaften ›Wir‹-Gruppe (Deutsch), der eine negativ repräsentierte, normverletzende Gruppe der ›Anderen‹ entgegengestellt wird (»Nix versteh’n«). In der visuellen Gestaltung der Plakate mit dem Slogan fällt nicht nur der typische rote Schriftzug auf, in dem die FPÖ auch andere diskriminierende Reime affichieren ließ (u. a. »Daham statt Islam«78 und »Heimatliebe statt Marrokanerdiebe«), sondern auch die Abbildung des Wiener Stephansdoms im Hintergrund, der wohl auf die kulturellen (christlich-abendländischen) Werte in Österreich verweisen soll. Eine Variante des Plakats aus dem Wien-Wahlkampf 2005 enthält zusätzlich zum Slogan ein Porträt des FPÖ-Spitzenkandidaten H.C. Strache und einen Text, der z. T. sprachenpolitische Forderungen aus dem Volksbegehren »Österreich zuerst!« aufgreift (»Begrenzung des Anteils nichtdeutschsprachiger Kinder auf 30 % pro Klasse«). Zusätzlich werden »verpflichtende Deutschkurse im Kindergarten« und die »Einbürgerung erst nach 15 Jahren« verlangt. Ein Text in kleinerer Schriftart direkt unter dem Slogan enthält eine Schuldzuweisung an die Adresse 78 ›Daham‹ ist ein in Österreich gebräuchlicher Ausdruck für ›daheim‹ bzw. ›zu Hause‹.

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des regierenden SPÖ-Bürgermeisters, Michael Häupl: »SPÖ-Häupl ist verantwortlich dafür, dass unsere Kinder nicht mehr ordentlich Deutsch lernen.« Auch hier finden sich mit der Konstruktion der ›Wir‹-Gruppe (»unsere Kinder«) und dem Topos der Muttersprache zwei zentrale diskursive Strategien wieder, die bereits aus dem FPÖ-Flyer von 1999 bekannt sind. Ebenfalls leicht wiederzuerkennen ist der Gestus der Empörung und Moralisierung, der mit Elementen der Polemisierung vermischt wird.

Abbildung 9: FPÖ-Wahlwerbung in Wien-Wahlkampf 2005

Interessant ist nun der Punkt, an dem die sprachbezogenen Wahlkampfmaterialien nicht mehr auf die FPÖ allein beschränkt bleiben, sondern auch von den anderen Parteien in deren politischer Werbung aufgegriffen werden. Eine implizite Bezugnahme auf die FPÖ-Plakate kann bereits während des WienWahlkampfes 2005 in einem Wahlplakat der Grünen erkannt werden (siehe Abbildung 10). Darauf ist die Grüne Spitzenkandidatin Maria Vassilakou (seit Ende 2010 Vizebürgermeisterin Wiens) mit dem Text »Nie mehr sprachlos! Wiener Mut für mehrsprachige Schulen« zu sehen, der offenbar als Gegenslogan zum Spruch »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹« konzipiert wurde. Das Adjektiv sprachlos kann hier als doppeldeutiges Wortspiel interpretiert werden, das sich zum einen auf die wörtliche Bedeutung ›ohne Sprache‹ und zum anderen auf den übertragenen Wortsinn ›schweigend‹, ›bestürzt‹, ›fassungslos‹ usw. bezieht. In beiden Fällen überwiegen negative Konnotationen, da Sprachlosigkeit durch die Adverbialphrase und den Appell nie mehr! als nicht wünschenswerter und politisch zu bekämpfender Zustand charakterisiert wird (während sprachlos in anderen Kontexten etwa auch im Sinn von positiv ›überrascht‹ oder ›verblüfft‹ verwendet werden kann). Der zweite Teil des Slogans (»Wiener Mut für mehrsprachige Schulen«) liefert einen Hinweis darauf, wer nicht mehr ›ohne Sprache‹ sein soll: die SchülerInnen in Wien. Dies ergibt in intertextueller Hinsicht

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durchaus Sinn: DiskursteilnehmerInnen wie die FPÖ verengten das Verständnis von Sprache und Sprachkenntnissen zunächst auf Deutsch und Deutschkenntnisse, um die ›Sprachigkeit‹ bestimmter Schülergruppen dann negativ als NichtDeutschsprachigkeit zu definieren. Folgt man dieser (trugschlüssigen) Logik, so sind Nicht-Deutschsprachigkeit und Sprachlosigkeit gleichzusetzen, womit nicht-deutschsprachige SchülerInnen letztlich als sprachlose Wesen erscheinen. Diesen Trugschluss aufseiten des politischen Gegners prangert das Plakat an, wenn auch auf subtile und implizite Weise. Was den übertragenen Sinn von sprachlos betrifft, kann der Slogan so gedeutet werden, dass die Grünen die auf Einsprachigkeitsvorstellungen basierende Sprachenpolitik der anderen Wiener Oppositionsparteien bzw. der Stadtregierung nicht mehr ›schweigend‹ hinnehmen und sich stattdessen ›mutig‹ für mehrsprachige Schulen einsetzen wollten. Bemerkenswert ist der Grüne Wahlwerbungstext auch aufgrund der expliziten Verwendung des Begriffs mehrsprachig, dem im politischen Diskurs der Stellenwert eines Schlagworts zukommt (vgl. Kapitel 2.4 und 2.5.2.3). Mehrsprachig(keit) fungiert bei den Grünen als positiv konnotiertes Fahnenwort, das von anderen Parteien wie der FPÖ bewusst gemieden oder (etwa als Fremdsprachigkeit oder Sprachengewirr) negativ umgedeutet wird (siehe unten). Das Fahnenwort Mehrsprachigkeit kehrt zusammen mit dem Schlagwort Vielfalt auch in der Grünen Wahlwerbung im Wien-Wahlkampf 2010 wieder. In einem Inserat mit der Überschrift »Kompromisslos gegen rechte Hetze« (in durchgehenden Großbuchstaben) fordern die Wiener Grünen drei Punkte: »Klares Bekenntnis zu Zuwanderung und Vielfalt« sowie »Chancen nutzen – Mehrsprachigkeit fördern« und »Staatsbürgerschaft für in Wien geborene Kinder« (diese drei Slogans wurden auch in einem großformatigen Plakat der Grünen im gleichen Wahlkampf verwendet, siehe Abbildung 10 rechts). Auch in dieser Wahlwerbung der Grünen ist die intertextuelle Bezugnahme und Selbstdarstellung als diskursive Gegenkraft (»gegen rechte Hetze«, »klares Bekenntnis zu Zuwanderung«) deutlich erkennbar. Während sich die rechte Hetze auf diverse Wahlwerbungsplakate aus dem politisch rechten Spektrum beziehen lässt, kann das »Bekenntnis zu Zuwanderung« als Gegenstandpunkt zu einer FPÖ-Forderung verstanden werden, die bereits im Volksbegehren »Österreich zuerst!« explizit ausformuliert wurde: »1. Die Verabschiedung eines Bundesgesetzes, um die Staatszielbestimmung ›Österreich ist kein Einwanderungsland‹ im BundesVerfassungsgesetz 1920 (idf 1929) zu verankern« (zitiert nach Reisigl/ Wodak 2001: 200). Intertextuelle Verbindungen zwischen den sprachbezogenen Wahlplakaten der österreichischen Parlamentsparteien waren auch im Nationalratswahlkampf 2008 festzustellen, als die ÖVP Plakate und Inserate mit einem Text veröffentlichte, der sich offenbar am bisherigen FPÖ-Duktus orientierte: »Es reicht! Wer

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Abbildung 10: Wahlwerbung der Grünen im Wien-Wahlkampf 2005 und 2010

bei uns lebt, muss unsere Sprache lernen. Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung. Keine Rechte ohne Pflichten« (auch diese Wahlwerbung wurde in den Gruppendiskussionen als Impulsmedium eingesetzt). Der Ausruf »Es reicht!«, der auf dem Plakat bzw. Inserat innerhalb einer eigenen Sprechblase grafisch abund hervorgehoben erscheint, ist insofern als ein Fall von ›double voicing‹ einzustufen, als er sich sowohl auf den darauf folgenden Text als auch auf eine gleichlautende mündliche Äußerung des ÖVP-Vizekanzlers und Spitzenkandidaten Wilhelm Molterer bezieht, mit der dieser die seit zwei Jahren bestehende ›Große Koalition‹ zwischen SPÖ und ÖVP aufkündigte und damit Neuwahlen herbeiführte. Unmittelbarer Anlass für diesen Bruch war ein Leserbrief, den der Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer sowie der damalige Infrastrukturminister und heutige Bundeskanzler Werner Faymann an den Herausgeber der Kronen Zeitung richteten. Darin legten sie den Standpunkt der SPÖ dar, dass in Zukunft »Vertragsveränderungen« der EU, »die die österreichischen Interessen berühren« (etwa ein EU-Beitritt der Türkei oder eine Änderung des bereits ratifizierten Lissabon-Vertrags) »durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden sollen« (diePresse.com 2008). Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form dieser Stellungnahme stieß beim Koalitionspartner, der sich als traditionelle ›Europa-Partei‹ verstand, auf vehemente Ablehnung.

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Soweit zur Skizzierung des politisch-historischen Kontextes; zieht man den unmittelbaren, textinternen Kotext des Slogans »Es reicht!« heran, so offenbart sich darin einmal mehr der moralisierende und empörungsheischende Impetus der sprachbezogenen politischen Werbung in Österreich. Ähnlich wie der Spruch »Deutsch statt ›Nix versteh’n!« verweist der Ausruf »Es reicht!« auf einen als unhaltbar empfundenen Zustand, nämlich auf mangelnde Deutschkenntnisse unter (bestimmten) Zuwanderergruppen. Die diskursive Konstruktion der ›Wir-Gruppe‹, die von der problematisierten Fremdgruppe der ZuwanderInnen abgegrenzt wird, erfolgt durch die Pronomen uns und unsere, wobei die Bezeichnung unsere Sprache für Deutsch steht – eine häufig anzutreffende Nominationsstrategie, die die monolinguale Sichtweise auf Mensch und Gesellschaft naturalisiert und die mehrsprachige Verfasstheit Österreichs (etwa die Volksgruppen- und Migrantensprachen oder die Österreichische Gebärdensprache) ausblendet. Als politisches Mittel gegen den solcherart konstruierten, unerwünschten Zustand der Nicht-Deutschsprachigkeit wird der Deutschkurs als Voraussetzung für Zuwanderung propagiert (»Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung«). Der letzte Satz schließlich rechtfertigt diese Forderung mit einer Argumentationsstrategie, die im Diskurs über Migration ebenfalls weit verbreitet ist, nämlich der Aufrechnung von Pflichten und Rechten in Form eines Bringschuldtopos (»Keine Rechte ohne Pflichten«). Der Begriff der ›Bringschuld‹ stammt ursprünglich aus dem Schuldrecht, wo er sich als juristischer Terminus auf die Verpflichtung von SchuldnerInnen bezieht, ihren Gläubigern eine Leistung (ihre ›Schuld‹) zu bringen (im Gegensatz zur ›Holschuld‹, bei der sich die Gläubiger die Leistung bei den SchuldnerInnen abholen müssen). Auf MigrantInnen bezogen besagt die Schlussregel hinter diesem Topos, dass zugewanderte Personen ihre Situation als MigrantInnen selbst verursacht haben (daran ›selbst schuld‹ sind) und migrationsbedingte Probleme daher selbst in Angriff nehmen müssen, indem sie Pflichten gegenüber der Mehrheitsgesellschaft bzw. dem Zielstaat erbringen, bevor sie Rechte von diesem in Anspruch nehmen. Solche Pflichten bestehen diesem Verständnis zufolge aus Integrationsund Anpassungsleistungen wie dem Deutschlernen oder der Eingliederung in den Arbeitsmarkt (auf dem MigrantInnen allerdings strukturell benachteiligt sind, wie die mangelnde Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Österreich zeigt). Was sich an dieser Argumentationsstrategie ablesen lässt, ist also eine Verschmelzung ökonomistischer Konzepte (›SchuldnerInnen‹, ›Selbstverantwortung‹, ›Leistung‹ usw.) mit moralistisch-kulturalistischen Diskurselementen (›Schuldige‹, ›Integration‹, ›Anpassung‹ usw.). Die Wahlwerbungstexte der FPÖ und der ÖVP ähneln einander also sowohl auf der Ebene der diskursiv-sprachlichen Mittel und Realisierungsformen als auch auf inhaltlicher Ebene, sodass durchaus von einer weitgehenden Übernahme bzw. Imitation der FPÖ-Wahlkampfstrategie durch die ÖVP ausgegan-

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Abbildung 11: ÖVP-Wahlwerbung im Nationalratswahlkampf 2008

gen werden kann. Die intertextuellen Verknüpfungen in der politischen Werbung zum Thema ›Sprachigkeit‹ manifestierten sich in Österreich aber nicht nur auf indirekte und implizite Weise, sondern kamen auch explizit zum Vorschein, als die FPÖ in einem Inserat auf ein türkisches SPÖ-Wahlplakat Bezug nahm und es dort sogar kleinformatig abbildete (vgl. de Cillia 2011: 183; Dorostkar 2012a). Neben dem Porträt des SPÖ-Spitzenkandidaten und nunmehrigen Bundeskanzlers Werner Faymann befand sich auf diesem SPÖ-Plakat ein Text, der ausschließlich auf Türkisch abgefasst war. Diese Abweichung von der deutschsprachigen Norm in der politischen Werbung bewirkte, dass die metasprachliche Dimension (der türkischen Sprachgebrauch) gegenüber der referentiellen Dimension (dem Inhalt des türkischen Textes) in den Vordergrund rückte und Aufmerksamkeit erregte – ein Effekt, der von den WerbungsmacherInnen wohl auch intendiert war. Die FPÖ nahm das SPÖ-Plakat zum Anlass, massive Kritik am politischen Gegner zu üben und sich über dessen türkische Wahlwerbung und Migrationspolitik zu empören. Das ganzseitige Inserat, das etwa in der Gratis-Zeitung ›Heute‹ vom 25. 09. 2008 erschien, ist mit dem bereits

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bekannten roten Schriftzug »Deutsch statt ›Nix versteh’n« überschrieben und beinhaltet neben der Abbildung des SPÖ-Plakats ein Porträt des FPÖ-Spitzenkandidaten H.C. Strache vor einer rot-weiß-roten Fahne sowie mehrere Hervorhebungen einzelner Textstellen in gelber Farbe und den Slogan »Jetzt geht’s um uns Österreicher« am unteren Ende der Seite (siehe Abbildung 12). Im fett gedruckten Lead fordert der FPÖ-Spitzenkandidat etwas, was aus seiner Sicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nämlich dass man als österreichischer Staatsbürger mit Wahlrecht »unsere Sprache sprechen« müsse. Im ersten Absatz unterhalb des Leads wird diese Selbstverständlichkeit damit begründet, dass Sprachkenntnis für die Integration notwendig sei. Auch hier fällt die Verwendung der Bezeichnungen unsere Sprache statt ›deutsche Sprache‹ und Sprachkenntnis statt ›Deutschkenntnisse‹ auf: In beiden Fällen handelt es sich um eine generalisierende Synekdoche des Typs ›totum pro parte‹. Der von der FPÖ vorgebrachten Selbstverständlichkeit wird im Haupttext die unvorstellbare Position der SPÖ gegenübergestellt: Diese setze sich nicht für Integration und Sprachkenntnis ein, sondern vertrete Parallelgesellschaften, fordere das Wahlrecht für Ausländer und »verschenkt […] Staatsbürgerschaften in großer Zahl«. Sämtliche der bereits erwähnten diskursiven Strategien kommen in diesem Text zur Anwendung, darunter : Naturalisierung (Selbstverständlichkeit), Empörung und Moralisierung (unvorstellbar) sowie Selbst- und Fremdgruppenkonstruktion (uns Österreicher, unsere Sprache vs. Ausländer, die »nicht Deutsch können«). Grundlage für die moralisierende Empörung (unvorstellbar) bildet diesmal die Wahrnehmung, dass sich das türkische Plakat ausschließlich an türkischsprachige Wahlberechtigte richtet, die kein Deutsch beherrschen. Auf argumentativer Ebene wird damit ›Türkischsprachigkeit‹ trugschlüssig mit ›NichtDeutschsprachigkeit‹ gleichgesetzt: »Für FPÖ-Strache unvorstellbar, für SPÖFaymann eine Selbstverständlichkeit: Wahlwerbung auf Türkisch für jene, die offenbar nicht Deutsch können, aber trotzdem wählen dürfen.« Ähnlich wie in den anderen Wahlkampftexten beruht diese Argumentation neben dem Ideal muttersprachlicher Kompetenz (dem ›Native Speaker‹-Konzept) auf der sprachideologischen Annahme, dass Staaten und Menschen im Normal- bzw. Idealfall einsprachig sind.

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

Abbildung 12: FPÖ-Inserat im Nationalratswahlkampf 2008 (Hervorhebungen im Original)

Sprachbezogene politische Werbung spielte auch im Wien-Wahlkampf 2010 eine Rolle. Der bis dahin dominante FPÖ-Slogan »Deutsch statt ›Nix versteh’n« war in der Wahlwerbung zwar nicht mehr zu sehen, jedoch griff neben der FPÖ insbesondere die Wiener ÖVP neuerlich auf bereits bekannte Wahlkampfstrategien zum Thema ›Sprachigkeit‹ zurück. Diese diskursiven Strategien wurden diesmal vor allem in Bezug auf das Bildungs- und Schulwesen rekontextualisiert. Die zentralen sprachbezogenen ÖVP-Slogans lauteten »Unser Kurs in der Bildung: der Deutschkurs« und »reden wir über bildung. am besten auf deutsch« (siehe Abbildung 13), die beide auf Wortspielen basieren (Kurs als ›politischer Kurs‹ vs. ›Sprachkurs‹; reden über vs. reden auf). Der erste Slogan wurde in einem Inserat

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neben dem Porträt der ÖVP-Spitzenkandidatin Christine Marek von folgendem Text begleitet: Wer in unseren Schulen etwas lernen will, muss Deutsch können. Daran führt kein Weg vorbei. Wenn viele Kinder in einer Klasse Sprachprobleme haben, leiden alle darunter. Die Auswirkungen spürt man dann viele Jahre später. Wenn die, die neu zu uns kommen, zuerst unsere Sprache lernen, profitiert am Ende ganz Wien davon. Sie ist der Schlüssel zum Zusammenleben und zur Integration. »Kinder sind unsere Zukunft. Ihre Bildung ist das Wichtigste.« Christine Marek

Neben den bereits bekannten diskursiven Strategien und Konzepten (unsere Sprache, »Schlüssel zur Integration« usw.) ist in diesem Text vor allem die explizite Ausformulierung argumentativer Schlussregeln auffällig (›Wer X will, muss Y tun‹ oder ›Wenn X, dann Y‹). Diese Schlussregeln lassen sich als Gegenüberstellung von Bedrohungstopos (»leiden alle darunter«) und Nutzentopos (»profitiert ganz Wien«) analysieren, die beide der Rechtfertigung des Deutschlerngebotes dienen. Ob und wie das Deutschlernen, das als Voraussetzung für das Lernen in der Schule und als »Schlüssel zur Integration« dargestellt wird, durch den geforderten Deutschkurs bei SchülerInnen tatsächlich am besten gefördert werden kann, scheint zweitrangig. Was demgegenüber in den Vordergrund tritt, ist die Betonung und Propagierung von Deutschkenntnissen als obligatorisch und alternativlos (»muss Deutsch können«, »führt kein Weg vorbei«) sowie als zeitlich vorrangig (»zuerst unsere Sprache lernen«) – letzteres entgegen linguistischer Expertisen, wonach das Gelingen des Erstspracherwerbs für den späteren Zweitspracherwerb nicht nur unterstützend wirkt, sondern für diesen eine unabdingbare Voraussetzung darstellt. Deutschlernen, Deutschkenntnisse und Deutschkurs werden im ÖVP-Plakat somit weitgehend auf die Funktion – untereinander austauschbarer – politischer Schlagwörter reduziert.

Abbildung 13: ÖVP-Wahlwerbung im Wien-Wahlkampf 2010

Ein etwas längerer sprachbezogener Werbungstext aus dem Wien-Wahlkampf 2010 war in der September-Ausgabe der FPÖ-Broschüre ›Wir Wiener‹ zu finden (vgl. Dorostkar 2012b). Der Text ist, wie die gesamte Broschüre, journalistischen Genres nachempfunden und wie ein Zeitungsartikel aufgebaut: Er nimmt zwei Spalten auf einer insgesamt dreispaltigen A4-Seite ein und ist mit

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zwei Burka-tragenden Frauen illustriert (siehe Anhang I). Die polemisierende Schlagzeile, die an die empörungsheischende Frage aus dem FPÖ-Flyer von 1999 erinnert, lautet: »…Sie wissen nicht, was ›Dari‹ ist???«. Im fett gedruckten Lead wird zunächst die gleiche Frage (diesmal mit nur einem Fragezeichen) wiederholt, um dann bis in den ersten Absatz des Haupttextes im Frage-Antwort-Stil fortzufahren: Sie wissen nicht, was ›Dari‹ ist? Das ist genormtes, schriftliches Neu-Persisch. Und Sie fragen sich, warum das hier erörtert wird? Ganz einfach: Dari ist eine der vielen Sprachen, die die bereits 223 Begleitlehrer in Wiens Schulen verwenden. Integration auf »sozialdemokratisch« …

Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass die FPÖ wie schon im Wahlkampf 2005 neuerlich versucht, die Bildungspolitik der in Wien regierenden SPÖ durch sprachbezogene Diskursstrategien zu diffamieren. Dies zeigt auch der weitere Textverlauf: Bis vor einigen Jahren setzte die SPÖ in Wien vor allem auf Fremdsprachigkeit. Als der absolut regierenden SPÖ die daraus resultierenden gesellschaftlichen und politischen Probleme über den Kopf wuchsen, wurde eine neue Parole ausgegeben […]. Damit sie das Deutsche überhaupt erlernen könnten, müssten sie zuerst ihre Muttersprache perfekt beherrschen. Zur Rechtfertigung dieser fragwürdigen These beruft man sich gerne auf ›SprachexpertInnen‹, die […] über dieselbe ideologisch gefärbte Sichtweise verfügen.

Der Begriff Fremdsprachigkeit lässt sich in diesem Kontext als Stigmawort und negative Umdeutung des Schlagworts ›Mehrsprachigkeit‹ analysieren, das hier zur Diffamierung der SPÖ eingesetzt wird. Wie bereits in Kapitel 2.4 und 2.5.2.3 festgestellt wurde, handelt es sich bei Fremdsprachigkeit (aber auch bei einsprachig in Abbildung 7) um ein Schlagwort, das ideologisch polysem ist, das also je nach (partei–)politischer Positionierung als Fahnenwort oder als Stigmawort Verwendung findet. Während im BZÖ- und FPÖ-Werbungstext einsprachig positiv und Fremdsprachigkeit negativ konnotiert ist, tritt im Sprachgebrauch anders positionierter DiskursteilnehmerInnen der umgekehrte Fall ein – etwa, wenn der Slogan »Einsprachigkeit ist heilbar«79 bemüht wird oder Fremdsprachen als Angebot und Ressource wahrgenommen werden. Demgegenüber scheint sich das Schlagwort ›Mehrsprachigkeit‹ zwar als Fahnenwort für Parteien wie die Grünen zu eignen, nicht jedoch als Stigmawort zur Diffamierung gegnerischer Positionen, sodass es etwa in den Werbungsmaterialien der FPÖ gänzlich vermieden wird. 79 Der Slogan »Einsprachigkeit ist heilbar!« wurde als Titel einer linguistischen Publikation geprägt (Ammon et al. 1997). Er wird seitdem in unterschiedlichsten Kontexten immer wieder aufgegriffen, beispielsweise von der Integrationssprecherin der österreichischen Grünen als Schlagzeile eines Gastkommentars (Korun 2011).

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Interessanterweise nimmt die FPÖ in ihrem Werbungstext auf die Ideologisierung des Themas Sprache explizit Bezug, erkennt diese aber nur beim politischen Gegner SPÖ und nicht etwa bei sich selbst. Die »ideologisch gefärbte Sichtweise« besteht der FPÖ zufolge in der bereits erwähnten Auffassung von LinguistInnen, dass die Beherrschung der Erstsprache für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb unerlässlich ist. In einer Kombination von Anti-Autoritätstopos (SprachexpertInnen unter Anführungszeichen) und Prädikationen wie ideologisch gefärbt und fragwürdige These werden die epistemischen Geltungsansprüche der gegnerischen Position zu entkräften versucht. Das sprachideologische Fundament der FPÖ-Argumentationslinie, die im restlichen Text weiter ausgebaut wird, knüpft demgegenüber nicht am akademischen Diskurs, sondern am ethnozentrischen Commonsense an. Dies zeigt sich nicht nur an der Reproduktion monolingualer Sichtweisen, sondern – dem semiotischen Prinzip der ›Ikonisierung‹ entsprechend – auch an der Bewertung von Sprachen und Sprachverwendung aufgrund der jeweiligen SprecherInnen und umgekehrt. So wird muttersprachliche Anderssprachigkeit im FPÖ-Text nur bei bestimmten Sprachen negativ charakterisiert, nämlich bei Migrantensprachen. Diesen werden im Einzelnen durch ethnisch-kulturelle Fremdrepräsentation Eigenschaften wie exotisch und entbehrlich (im Fall von Dari) zugeschrieben oder gar als eine Art Terroristensprache gebrandmarkt (Pashtu: »die Staatsprache im Afghanistan der Taliban«). Demgegenüber wird Englisch als eine der »prestigeträchtigen und obligatorischen Sprachen des Pflichtfächerkanons« bezeichnet und damit explizit von den nicht erwünschten Migrantensprachen (wie Dari und Farsi) abgegrenzt. Eine Diskrepanz in der Bewertung zwischen der Sprache und ihren SprecherInnen ergibt sich interessanterweise allein bei Persisch (Farsi) und den in Österreich lebenden PerserInnen: Die Perser sind Angehörige eines alten Kulturvolks und jene unter ihnen, die in Österreich leben, entsprechen dem zumeist voll und ganz als Ärzte u. dergleichen. Der Sohn eines Persers führt sogar das »urwienerische« Kabarett Simpl (Michael Niavarani). Trotzdem hat Dari, so wie auch Farsi […] nichts als Unterrichtssprache in Österreichs öffentlichen Schulen verloren – nicht einmal in Form von Begleitlehrern.

Die diskursive Strategie, die hier verfolgt wird, zeichnet sich durch konzessive Konjunktionen wie trotzdem aus und ist als Abschwächungs- und Rechtfertigungsstrategie auch aus anderen Zusammenhängen bekannt (etwa in Satzeinleitungen wie ›Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber …‹). Die vorgeschobene Abschwächung bzw. Distanzierung (›Disclaiming‹) dient dabei der Rechtfertigung von Vorurteilen, Pauschalisierungen oder radikalen Standpunkten, die im zweiten Satz (bzw. Satzteil) der konzessiven Satzverbindung folgen. Im Fall des FPÖ-Textes wird die Position, dass die Verwendung von Migrantensprachen als Unterrichtssprache verboten werden soll, zu legitimieren versucht, indem zwischen positiv

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klassifizierter Sprechergruppe (Perser) und negativ bewerteter Sprache bzw. Sprachverwendung (Dari, Farsi) unterschieden wird. So kann die FPÖ ihren Standpunkt aufrechterhalten, wonach die Vielfalt an Sprachen im muttersprachlichen Unterricht in ihrer Gesamtheit ein »kontraproduktive[s] und überdies teure [s] babylonische[s] Sprachengewirr« an Wiens Schulen darstellt (zur Metapher des Turms von Babylon siehe auch die Ergebnisse der Fallstudie in Kapitel 4). Das jüngste Beispiel für sprachbezogene politische Werbung stammt aus der integrationspolitischen Kampagne »Zusammenleben« der Wiener SPÖ, in der das folgende zentrale Statement auf Plakaten beworben wurde: »Die gemeinsame Sprache in Wien ist Deutsch. Wer hier leben will, muss Deutsch können« (siehe Abbildung 14, Punkt 2). Die Kampagne wurde außerhalb von Wahlkämpfen Anfang 2012 gestartet und beruhte auf dem SPÖ-Papier »Wiener Positionen zum Zusammenleben«, das wiederum auf Basis einer Befragung unter SPÖ-Mitgliedern erstellt wurde (SPÖ Wien 2012). Zweck des Positionspapiers ist, Grundsätze und elementare Spielregeln des Zusammenlebens in Wien und »des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft« festzuhalten, so der Einleitungstext. Der erste Grundsatz, der wie die fünf restlichen Positionen in roter, fett gehaltener Schriftart hervorgehoben ist, lautet: »Wer in Wien leben will, soll sich auch zu Wien und zu einem Zusammenleben in Respekt und Rücksichtnahme bekennen.« Im Text darunter heißt es: »In Wien darf es keine Ausgrenzung von Menschen geben. Wien bemüht sich um ein Miteinander auf allen gesellschaftlichen Ebenen und in allen Stadtteilen. Basis dafür sind gemeinsame Regeln und die gemeinsame Sprache.« Bereits in diesem ersten Grundsatz wird also gefordert, dass gemeinsame Regeln eingehalten und »die gemeinsame Sprache« verwendet wird, um Ausgrenzung zu verhindern und ein Miteinander zu ermöglichen. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass die Verwendung verschiedener Sprachen zu Ausgrenzung (›trajectio in alium‹) und Durcheinander führt bzw. eine Gefahr für die gesellschaftliche Kohärenz (Zusammenhalt) darstellt. Auch wenn dies nicht explizit behauptet wird, sind die dahinter liegenden Annahmen und Präsuppositionen, die auch aus anderen Zusammenhängen bekannt sind (z. B. Deutschverwendungsgebot vs. babylonisches Sprachengewirr in der Schule), deutlich (wieder-)erkennbar. Die erste Position leitet mit der Thematisierung von Sprache zum zweiten Grundsatz über, der damit besondere analytische Aufmerksamkeit verdient und daher an dieser Stelle samt Begleittext zur Gänze wiedergegeben sei (SPÖ Wien 2012: 3): Die gemeinsame Sprache in Wien ist Deutsch. Wer hier leben will, muss Deutsch können. Die gemeinsame Sprache der Verständigung in Wien ist Deutsch. Es besteht die Verpflichtung, Deutsch zu lernen. Erst die gemeinsame Sprache ermöglicht das Verstehen der Wiener Lebensart. Deutsch ist die Voraussetzung für Integration und ein auf allen Seiten funktionierendes Zusammenleben. Deutsch eröffnet persönliche und berufliche

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Aufstiegschancen. Mehrsprachigkeit hilft bei der beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung. Zeitgemäße Einrichtungen wie Kindergarten und Ganztagsschule helfen bei der Integration und der Entwicklung von Kindern zu gebildeten, aufgeschlossenen und mündigen Erwachsenen.

Dieser Text weist einerseits Parallelen zu den bisher erörterten diskursiven Strategien auf, andererseits ist darin eine spezifische Verwendung des Schlagworts Mehrsprachigkeit zu finden. Deutsch wird darin zum wiederholten Mal nicht als unsere Sprache, sondern als gemeinsame Sprache bezeichnet, was zunächst zwei Eindrücke erweckt: (1) Deutsch wird der Status einer Verkehrssprache oder ›Lingua franca‹ zugeschrieben und (2) die scharfe Abgrenzung zwischen einem positiv konstruierten ›Wir‹ und den fremdartigen ›Anderen‹ wird zugunsten einer Gemeinsamkeit (einer gemeinsamen Sprache) aufgehoben. Der restliche Text steht jedoch im Widerspruch zu einer solchen Lesart, sodass gemeinsam wie schon im ersten Grundsatz eher im Sinn von ›einheitlich‹ zu verstehen ist, d. h. wie die gemeinsamen Regeln ist auch die gemeinsame Sprache als allgemeingültige, verbindliche Norm von allen zu befolgen, die in Wien leben; Abweichungen sind nicht zu dulden. Einmal mehr wird damit nicht nur von einsprachigen, sondern auch von monokulturellen Idealvorstellungen ausgegangen, was auch in der strategischen Verwendung von Singularformen und Definitartikeln Ausdruck findet (»die gemeinsame Sprache«, die Wiener Lebensart). Bereits im zweiten Satz der Überschrift und des Absatzes darunter wird deutlich, dass es neuerlich darum geht, den obligatorischen Charakter von Deutschkenntnissen und Deutschlernen hervorzuheben. Dabei fällt neben der inhaltlichen auch die syntaktische Ähnlichkeit zur Wahlwerbung der Wiener ÖVP auf: »Wer hier leben will, muss Deutsch können. […] Es besteht die Verpflichtung, Deutsch zu lernen.« In einer kulturalistisch-moralistischen Argumentation wird »die gemeinsame Sprache« als einziger Weg zum Verständnis »der Wiener Lebensart« schlechthin konstruiert, aber auch – wie bei ÖVP und FPÖ – als »Voraussetzung für Integration und […] Zusammenleben« propagiert. Letzteres lässt sich als Nutzentopos der Variante ›pro bono omnium‹ (zum Nutzen aller) interpretieren, während das Versprechen von persönlichen und beruflichen Aufstiegschancen als ›pro bono eorum‹-Argument (zum Nutzen der Anderen) einzustufen wäre. Interessant ist, wie in diesem Kontext das Schlagwort ›Mehrsprachigkeit‹ Verwendung findet: Während Deutschkenntnisse als Verpflichtung und unabdingbare Voraussetzung, als einzige Möglichkeit zu sprachlicher Verständigung und kulturellem Verständnis für das Leben in Wien erklärt werden, kommt Mehrsprachigkeit nur der Stellenwert eines unterstützenden Hilfsmittels für die berufliche und persönliche Weiterentwicklung zu. Für grundlegende Entwicklungsprozesse spielt Mehrsprachigkeit diesem Verständnis zufolge offenbar keine zentrale Rolle, sondern sie kann lediglich einen

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

zusätzlichen Nutzen bringen. Berücksichtigt man den Ko- und Kontext dieses Abschnitts im SPÖ-Positionspapier, so scheint das Fahnenwort Mehrsprachigkeit an dieser Stelle die Funktion zu haben, positive Assoziationen hervorzurufen und damit die negativen Seiten des Pflicht- und Zwangscharakters rund um Deutschlernen und Deutschkenntnisse abzuschwächen oder zu verschleiern. Dies trifft auch auf die bildungsbezogenen Fahnen- und Hochwertwörter zu, die im letzten Satz in konzentrierter Form Anwendung finden, darunter : Integration, Entwicklung, gebildet und aufgeschlossen.

Abbildung 14: Plakat der SPÖ Wien aus der Kampagne »Zusammenleben« 2012

3.3. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Wie der historische Überblick über die Sprachenpolitik Österreichs und der EU sowie die exemplarischen Analysen zur sprachbezogenen PR-Kommunikation und politischen Werbung zeigen, hat die Bedeutung von (Mehr-)Sprachigkeit seit dem Millennium sowohl in der österreichischen als auch in der EU-Sprachenpolitik deutlich zugenommen. Die diskursive Konstruktion von Sprache und ›Sprachigkeit‹ in der EU und in Österreich folgt dabei allerdings jeweils eigenen Prinzipien und Regeln. Wie der Vergleich zwischen den sprachenpolitischen EU-Kommunikationsanstrengungen und der politischen Werbung in Österreich zeigt, wird (Mehr-)Sprachigkeit auf nationaler und supranationaler Ebene diskursiv auf sehr unterschiedliche Weise konstruiert und kontextuali-

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

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siert: Während in den EU-Pressetexten (Mehr-)Sprachigkeit für Themen wie Bildung, Übersetzen und Dolmetschen sowie Wirtschaft relevant gesetzt wird, überwiegt in der politischen Werbung Österreichs die Verknüpfung mit dem Diskurs über Migration. Zwischen der sprachenpolitischen Ausrichtung Österreichs und der EU bestehen insgesamt in mehreren Punkten Widersprüche, obwohl die nationale und supranationale Sprachenpolitik aus übergeordneter Perspektive dennoch in spezifischer und komplexer Weise aufeinander bezogen sind – nicht zuletzt auch deshalb, weil die EU und ihre Mitgliedsstaaten jeweils Teil voneinander sind. So nimmt ›Mehrsprachigkeit‹ auf EU-Ebene den Stellenwert eines Gründungsprinzips ein, das primärrechtlich verankert ist und auch für das Sekundär- und Tertiärrecht (Verordnungen, Strategiepapiere, Rechtsprechung usw.) eine Rolle spielt. ›Mehrsprachigkeit‹ im Sinn des vielschichtigen ›European Multilingualism‹ umfasst dabei mehrere Dimensionen, darunter das EU-Amtssprachenregime, das eingeschränkte Arbeitssprachenregime, das Bekenntnis zur sprachlichen Vielfalt als kulturelles Erbe Europas und die proklamierte Förderung von Fremdsprachkenntnissen aus demokratie-, integrations- oder wirtschaftspolitischem Kalkül. Auf der nationalen österreichischen Ebene dagegen steht, mit einigen wenigen Ausnahmen in der Schul- und Minderheitensprachenpolitik, die Förderung der Staatssprache Deutsch im Vordergrund, wobei sprachenpolitische Initiativen wie das Protokoll Nr. 10, die Integrationsvereinbarung oder die sprachbezogene politische Werbung vor allem aus wahltaktischem Kalkül zu erfolgen scheinen. Ein dominierendes Konzept in der österreichischen Sprachenpolitik ist das der Integration, das sich jedoch nicht wie bei der EU auf das politische Zusammenwachsen europäischer Staaten bezieht, sondern auf Regelungs-, Beschränkungs- und Selektionsmechanismen für die Zuwanderung von Menschen (de facto von Drittstaatsangehörigen) nach Österreich. ›Sprachigkeit‹ kommt dabei eine herausragende Rolle als Unterscheidungsmerkmal für Personengruppen zu: Über die im Commonsense verankerte Gleichsetzung von Deutschkenntnissen mit ›Integration‹ (sei es als Integrationsvoraussetzung, -willigkeit, -fähigkeit oder -ausmaß), gelingt es, zwischen erwünschten (›integrierbaren‹) und unerwünschten (›nicht integrierbaren‹) MigrantInnen zu unterscheiden, ohne soziohistorisch belastete und gesellschaftlich problematisierte Konzepte wie Volks- und Religionszugehörigkeit, Rasse oder Hautfarbe explizit heranziehen oder gar explizit rechtlich ausformulieren und verankern zu müssen. Betrachtet man die in weiten Teilen Europas vorherrschende Auffassung von der Normalität und Idealität einsprachiger Menschen und Staaten, so lassen sich wesentliche Bestandteile der EU-Sprachenpolitik allerdings auch als eine Fortsetzung und Multiplizierung der monolingualen Nationalsprachenpolitik auffassen. Während in Österreich eine spezifische Form von Einsprachigkeit

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

(›Deutschsprachigkeit‹) als Garant für sozialen Zusammenhalt auf nationaler Ebene gilt, ist es auf EU-Ebene ›Mehrsprachigkeit‹, die als kohäsionsbildende Kraft propagiert wird. So paradox es klingen mag besteht ein wesentliches Element dieser EU-Mehrsprachigkeit jedoch darin, eben jene nationalstaatliche Einsprachigkeit in den einzelnen Mitgliedsstaaten nun nicht mehr in der Einzahl (z. B. ›Deutschsprachigkeit‹), sondern in der Mehrzahl (›Vielfalt‹) aufrechtzuerhalten. Positiv formuliert ist es auf nationaler österreichischer Ebene Deutsch als »die gemeinsame Sprache« (bzw. als unsere Sprache) und auf EU-Ebene die Sprachenvielfalt als das kulturelle Erbe Europas, die sozialen Zusammenhalt stiften soll. Negativ formuliert gilt auf der nationalen österreichischen Ebene v. a. die Nicht-Deutschsprachigkeit (›Nicht-Integration‹) von MigrantInnen als Risiko für die soziale Kohäsion, während im offiziellen Diskurs der EU unterschiedlichste Faktoren wie mangelnde Fremdsprachenkenntnisse unter EUBürgerInnen oder eine zu starke Reduzierung des EU-Sprachenregimes auf eine einzige, einheitliche europäische Sprache (›Lingua franca‹) als kohäsionsgefährdend wahrgenommen werden. Sieht man von der offiziellen Argumentationslinie der EU ab, so beruht das derzeit bestehende Amts- und Arbeitssprachenregime darüber hinaus auf einer EU-typischen Kompromisskultur, in der auf nationale Interessen und Empfindlichkeiten – darunter die Nationalsprachenpolitik der einzelnen Mitgliedsländer – Rücksicht genommen wird, und die das machtpolitische Gleichgewicht zwischen den einzelnen Staaten möglichst zu erhalten versucht (über die Geschichte der begrifflichen Minimalkompromisse in der EU siehe auch Jung/Wengeler 1995). So ist auch zu erklären, dass in diversen EU-Dokumenten immer wieder die Gültigkeit des Subsidiaritätsprinzips hervorgehoben wird, sodass etwa Fragen der kulturellen Vielfalt an die Achtung der »nationalen Identität der Mitgliedstaaten« geknüpft werden. Dass sich die akkordierte europäische Machtbalance diachron gesehen dennoch verschieben kann und die politische Struktur der Union damit immer wieder stückweise neu verhandelt und umgestaltet wird, hat nicht nur die Übersicht über die Vielzahl von Gründungs- und Revisionsverträgen der EU gezeigt, in denen auch die sprachenpolitischen Prinzipien der Union teils fortgeschrieben, teils ausgebaut und ergänzt werden. Auch die beiden Episoden eines ›Sprachenstreits‹ zwischen der EU und Österreich während der finnischen Ratspräsidentschaft und im ›Marmeladenkrieg‹ verweisen auf die fragile Balance in Bezug auf das heikle Thema ›Sprachigkeit‹ und die Notwendigkeit, diese im Bedarfsfall (wenn die Balance gefährdet erscheint) neu zu verhandeln und wiederherzustellen. Das Verhältnis zwischen nationaler und supranationaler Sprachenpolitik kann dabei am Wechselspiel zwischen Diskurs und gesellschaftlichen Strukturen nachvollzogen werden, beispielsweise am Zusammenwirken zwischen einer Zeitungskampagne und EU-Verordnungen zur Produktetikettierung. Wie die analysierten Beispiele nahelegen, sind Erfolg und

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

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Misserfolg in der Kommunikation zwischen der EU und Österreich in puncto Sprachenpolitik auf beiden Seiten vor allem durch Machtfaktoren bedingt: Während auf nationaler Ebene PolitikerInnen oder ZeitungsmacherInnen aus je eigenem Kalkül Veränderungen im EU-Recht (Protokoll Nr. 10, Marmeladenrichtlinie usw.) bewirken können, stößt die nationale Umsetzung von EU-Zielen wie ›Muttersprache plus zwei‹ in Österreich auf Grenzen, die neben unterschiedlichen sprachideologischen Ausrichtungen nicht zuletzt auch im Subsidiaritätsprinzip begründet liegen. Für die jüngsten Entwicklungen und Tendenzen in der österreichischen und EU-Sprachenpolitik sind eine Vielzahl von Bedingungen und Ereignissen auschlaggebend, sodass die Sprachenpolitik weder auf nationaler noch auf supranationaler Ebene als isoliert vom jeweiligen sozio-historischen Kontext, sondern in ihrer Interaktion mit anderen Politikfeldern zu betrachten ist. Auf EU-Ebene schlug sich etwa die Erweiterung auf aktuell 27 Mitgliedsstaaten und 23 Amtssprachen ebenso nieder wie die Lissabon-Strategie mit ihrer wirtschaftspolitischen Zielsetzung, die EU bis 2010 zum führenden Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Den Höhepunkt der EU-Sprachenpolitik, gemessen am Output von Pressemitteilungen und anderen EU-Dokumenten (inkl. Reden), aber auch in Bezug auf die Institutionalisierung auf Ebene der EU-polity und die damit einhergehende mediale Aufmerksamkeit auf nationaler Ebene, stellten die Ernennung des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit sowie dessen Aktivitäten in den Jahren 2007 bis 2010 dar. Auf österreichischer Ebene waren dagegen offenkundig andere Ereignisse und Tendenzen für die sprachenpolitische Entwicklung seit den 1990er Jahren ausschlaggebend. Beginnend mit dem Volksbegehren »Österreich zuerst!« fanden populistisch-fremdenfeindliche Positionen Schritt für Schritt auch in der politischen Mitte und regierenden Elite Akzeptanz. Das Thema Sprache und ›Sprachigkeit‹ eignete sich in diesem Zusammenhang in besonderer Weise als Vehikel und Projektionsfläche für kulturalistisch-moralistische Empörung, mit deren Hilfe wiederum restriktive Zuwanderungspolitik gerechtfertigt und durchgesetzt werden konnte. In diesem Zusammenhang ist auch die Einführung und schrittweise Verschärfung der Integrationsvereinbarung sowie die Implementierung der Regelung ›Deutsch vor Zuzug‹ zu sehen: Die verpflichtende Deutschsprachigkeit für bestimmte Personengruppen (d. h. konkret Drittstaatsangehörige) wurde damit nicht nur als Lösung für gesellschaftspolitische Probleme propagiert, sondern tatsächlich auch in Gesetzesform gegossen. Lingualistische Prinzipien gelangten dabei Stück für Stück auch abseits der Staatspolitik vermehrt zum Durchbruch, sodass etwa mehrere DirektorInnen Deutschverwendungsgebote an ihren Schulen verankerten, zweisprachige Milchverpackungen zu Protestaktionen in der Bevölkerung führten, Musiklehrende mit österreichischer Staatsbürgerschaft der Schulleitung Deutschkenntnisse nachweisen mussten oder Bäckerei- und

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Sprachenpolitik auf supranationaler und nationaler Ebene

KrankenhausmitarbeiterInnen die Verwendung von Migrantensprachen im Kundengespräch verboten wurde. Die sprachbezogene diskursive Praxis und die gesellschaftlichen Strukturen beeinflussten sich in Österreich gegenseitig: Unabhängig davon, ob sie die Regierung als Gesetze verankerte, ob sie die Opposition als parlamentarische Anträge formulierte, oder ob sie sich in der politischen Werbung diverser Bundes- und Landesparteien niederschlugen, fanden die lingualistischen Konstruktionen und sprachenpolitischen Forderungen (v. a. der FPÖ) nach und nach auch außerhalb der Tagespolitik Verbreitung. Auch das Handlungsfeld der politischen Werbung ist in Österreich in zunehmendem Ausmaß vom Thema ›Sprachigkeit‹ und von damit in Zusammenhang stehenden lingualistischen Konstruktionen geprägt. Wie die Analyse in Kapitel 3.2.2 zeigte, wurde das Thema ›Sprachigkeit‹ seit dem Millennium von allen österreichischen Parlamentsparteien mehr oder weniger intensiv für Wahlkampf- und Werbungszwecke aufgegriffen. Der FPÖ kommt in dieser Hinsicht mit ihrem Slogan »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹« aus dem Jahr 2005 einmal mehr eine Vorreiterrolle zu, wobei auch hier die diskursiven Kontinuitäten bis zum Volksbegehren »Österreich zuerst!« von 1993 zurückreichen. Auffälligster gemeinsamer Referenzpunkt der Thematisierung von ›Sprachigkeit‹ war in diesem Zusammenhang das bereits erwähnte Konzept der ›Integration‹. Die diskursiven Strategien, die die FPÖ in ihren sprachbezogenen Kampagnen einsetzte, fanden auch in den Werbungsmaterialien der anderen Parlamentsparteien Nachahmung – mit Ausnahme der Grünen, die in ihrer Wahlwerbung gezielt Gegenstandpunkte einnahmen. Auch die SPÖ wendete mit einem Plakat im Nationalratswahlkampf 2008 zunächst eine alternative Diskursstrategie an, die darin bestand, den Plakattext zur Gänze auf Türkisch abzufassen, um auf der metasprachlichen Dimension des Sprachgebrauchs Aufmerksamkeit zu erregen (was von der FPÖ umgehend scharf kritisiert wurde). Dennoch ist das SPÖ-Plakat möglicherweise weniger als inhaltlicher Gegenstandpunkt zu den FPÖ-Positionen zu verstehen als vielmehr als zielgruppenspezifische Werbung, die sich an WählerInnen mit Türkischkenntnissen richtet. Für diese Lesart spricht auch, dass das neueste SPÖ-Plakat zum Thema ›Sprachigkeit‹ (»Wer hier leben will, muss Deutsch können«) keineswegs Gegenpositionen zum vorherrschenden Lingualismus vorbringt, sondern ganz im Gegenteil auf die gleichen diskursiven Strategien wie FPÖ, BZÖ und ÖVP zurückgreift. Zu den zentralen Diskursstrategien und sprachlichen Mitteln in diesem Zusammenhang zählen die positive Selbst- und negative Fremdrepräsentation anhand des Unterscheidungsmerkmals Sprache, synekdochische sprachbezogene Nominationen des Typs ›totum pro parte‹ (unsere Sprache, die Sprache, Sprachkenntnisse usw.) sowie Argumentationsstrategien wie der Topos der Muttersprache (in Kombination mit dem Topos der Belastung bzw. Bedrohung) oder der Bringschuldtopos. In geringerem Ausmaß spielen neben dem

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

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vorherrschenden kulturalistisch-moralistischen Deutungsrahmen auch paternalistische Nutzentopoi des Typs ›pro bono eorum‹ eine Rolle für die Propagierung und Rechtfertigung von Deutschgeboten. Der Begriff Mehrsprachigkeit wird nur in der Grünen Wahlwerbung explizit verwendet, wo ihm der Stellenwert eines positiv konnotierten Fahnenwortes zukommt. Ideologische Polysemie liegt beim Schlagwort Mehrsprachigkeit insofern nicht vor, als es sich aufgrund seiner ideologieübergreifenden positiven Konnotation nicht als Stigmawort zur Diffamierung des politischen Gegners eignet. Eine Verwendung als Hochwertwort ist allerdings ebenso wenig gegeben, da Parteien wie die FPÖ das Schlagwort Mehrsprachigkeit bewusst zu vermeiden scheinen, um damit nicht ungewollt gegnerische Positionen zu bekräftigen. So weicht die FPÖ stattdessen auf Wortschöpfungen wie Fremdsprachigkeit oder Sprachengewirr aus, die als negative Umdeutung von Mehrsprachigkeit die Funktion von Stigmawörtern einnehmen, mit denen v. a. der politische Gegner SPÖ diffamiert werden soll. Ob und wie die sprachbezogenen Themen, Strategien und Mittel von der Bevölkerung, den Medien und den interviewten PolitikerInnen in Österreich auch über die bisher analysierten Diskurselemente hinausgehend aufgegriffen werden, wird Gegenstand des nächsten Kapitels sein. In den Gruppendiskussionen und Politikerinterviews wurden sowohl zentrale Zitate aus den offiziellen sprachenpolitischen EU-Dokumenten als auch Beispiele aus der sprachbezogenen politischen Werbung in Österreich zur Diskussion gestellt, um über die Rezeption des Verhältnisses zwischen österreichischer und EU-Sprachenpolitik Aufschluss zu erhalten. Die Analyse österreichischer Zeitungsartikel zur EUSprachenpolitik soll darüber hinaus auch einen Vergleich mit den sprachenpolitischen PR-Bemühungen der EU ermöglichen.

4. Empirische Fallstudie: Analyse des Diskurses über (Mehr-)Sprachigkeit in Österreich

4.1. Gruppendiskussionen 4.1.1. Erhebungsmethode Gruppendiskussionen, manchmal auch als Fokusgruppen- oder Gruppeninterview bezeichnet, werden im DHA zumeist eingesetzt, um neben Texten aus der öffentlichen Sphäre auch Diskursmaterial aus dem halb-öffentlichen und halb-privaten Bereich zu erheben (siehe Kapitel 2.5.1) (vgl. de Cillia/Wodak 2009b; Krzyz˙anowski 2008; Wodak et al. 2009)(vgl. Wodak et al. 2009). Diese Erhebungsmethode ist in der Markt- und Meinungsforschung weit verbreitet, um Motive und Verhalten von KonsumentInnen zu erforschen (vgl. Alemann/ Tönnesmann 1995: 116). Darüber hinaus konnte sie mittlerweile als vergleichsweise junge Methode in den Sozialwissenschaften insgesamt Fuß fassen, wo sie beispielsweise verwendet wird, um die Rezeption von Boulevardzeitungen zu untersuchen (vgl. Bruck/Stocker 2002). Die Gruppendiskussion kann sehr allgemein als »Gespräch mehrerer Teilnehmer zu einem Thema« definiert werden, »das der Diskussionsleiter benennt, und dient dazu, Informationen zu sammeln« (Lamnek 2010: 372). Das Ziel ist, eine Gruppe zwischen idealerweise fünf bis zwölf Personen zu einem bestimmten Thema zu befragen und eine Diskussion zwischen den TeilnehmerInnen zu elizitieren (vgl. Bruck/Stocker 2002: 48 f.). Aufgabe der moderierenden Person ist, die Fragen vorzubereiten und in einer angemessenen, jedoch flexiblen Reihenfolge und Formulierung zu stellen, und dafür zu sorgen, dass die Dauer der Redebeiträge der TeilnehmerInnen möglichst ausgewogen ist. Gruppendiskussionen eignen sich vor allem dazu, marginalisierten und ansonsten wenig berücksichtigten Stimmen in ihrer Diversität Raum zu geben, sodass mehrere unterschiedliche Perspektiven während des Gesprächs entfaltet werden können (vgl. Morgan 1996). Die vorliegende Arbeit macht sich diese Stärke der Gruppendiskussion zunutze: Sie lässt unterschiedliche Stimmen in einer gemeinsamen Diskussion zum Thema Mehrsprachigkeit und Sprachen-

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Empirische Fallstudie

politik zu Wort kommen und ermöglicht den TeilnehmerInnen, ihre Meinungen, Sichtweisen und Erfahrungen miteinander zu vergleichen und dazu Stellung zu beziehen. Für diesen Zweck wurde der Typ der ›ermittelnden‹ Gruppendiskussion gewählt, die im Unterschied zur ›vermittelnden‹ nicht auf die Gruppendynamik fokussiert, sondern auf Meinungen und Einstellungen einzelner TeilnehmerInnen (vgl. Lamnek 2010: 379). Dem Prinzip der ›segmentation‹ entsprechend (Morgan 1998: 59) wurde bei der Zusammensetzung der drei Diskussionsgruppen darauf geachtet, dass innerhalb der Gruppen eher Homogenität und zwischen den Gruppen möglichst große Diversität der TeilnehmerInnen besteht. Die Gruppen der drei Diskussionen, die zwischen März 2009 und Jänner 2010 durchgeführt wurden, setzten sich jeweils wie folgt zusammen: acht Studierende der Universität Wien (UNI), fünf SeniorInnen des Wiener Seniorenzentrums (WUK) und zehn TeilnehmerInnen eines Kurses zur Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung im Fach Deutsch des Wirtschaftsförderungsinstituts in Mödling (WIFI). Während die UNI-Gruppe eine sogenannte ›stranger group‹ bildete, d. h. künstlich zusammengesetzt war, kannten sich die TeilnehmerInnen der beiden anderen Gruppen aufgrund ihrer Aktivitäten im WUK bzw. WIFI bereits vor der Diskussion. Sie stellten daher eher eine natürlich zusammengesetzte ›familiy group‹ dar, wenngleich alle DiskutantInnen über Aushänge o.Ä. zu einer freiwilligen Teilnahme bewegt und durch den Moderator ausgewählt wurden. Die Homogenität in und die Diversität zwischen den Gruppen war einerseits durch das Alter, andererseits vor allem durch die gemeinsamen Aktivitäten gegeben, die die TeilnehmerInnen üblicherweise an dem Ort ausübten, an dem auch die Diskussion stattfand (Studium an der Universität Wien, Aktivitäten im Wiener Seniorenzentrum, Teilnahme am Erwachsenenkurs am WIFI Mödling). Weitere personenbezogene Faktoren, die innerhalb der Gruppen eher gleiche und zwischen den Gruppen eher unterschiedliche Ausprägung fanden, waren der Bildungsgrad, der berufliche Status und die Fremdsprachenkenntnisse der TeilnehmerInnen. Eine detaillierte Übersicht über die personenbezogenen Daten, die nach jeder Diskussion jeweils durch einen kurzen Fragebogen erhoben wurden, befindet sich im Anhang (Abschnitt E). Allen drei Gruppen wurden auf Basis eines gemeinsamen Leitfadens acht Fragen gestellt, die sich in Formulierung und Reihenfolge glichen oder zumindest ähnlich waren (siehe Anhang D.2). Diese acht Fragen, die sich teils in mehrere Unterfragen gliederten und Sprachenpolitik im weitesten Sinn zum Thema hatten, waren Bestandteil folgender vier Fragenblöcke: Bedeutung des Begriffs ›Mehrsprachigkeit‹ (Frage 1), Sprache und Kultur bzw. Identität (Frage 2), Sprache und Minderheiten bzw. Migration (Frage 3) sowie Sprachenpolitik in der EU und in Österreich (Frage 4 – 7). Diese vier Fragenkomplexe entsprechen auch der Gliederung der jeweiligen Primärdokumente in MAXQDA.

Gruppendiskussionen

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Gerahmt wurde die Diskussion durch eine Einleitung des Moderators, nach der die DiskutantInnen ersucht wurden, sich vorzustellen und ihre Gründe für die Teilnahme zu nennen, sowie durch eine Schlussfrage, in der die Diskutierenden um ein kurzes Resümee der ihrer Meinung nach wichtigsten Aspekte der zu Ende gegangenen Diskussion gebeten wurden (Frage 8). Der Moderator konfrontierte die TeilnehmerInnen während des Gesprächs mit unterschiedlichen Impulstexten (siehe Leitfaden im Anhang D.2) und bat sie um deren Einschätzung und Bewertung. Diese Impulstexte, die in die vom Moderator gestellten Fragen eingebettet waren und auf PowerPoint-Folien präsentiert wurden, beinhalteten unterschiedliche sprachenpolitische Zitate und Statements aus nationalen und supranationalen Kontexten (bspw. aus der EU-Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit), österreichische Wahlkampfinserate sowie einen Auszug aus einem EU-Rechtstext (›Protokoll Nr. 10‹) und die Zusammenfassung eines Gerichtsfalls aus dem Jahr 1989 (Fall ›Groener‹). Die Fragen drehten sich u. a. um die Bedeutung des Englischen als ›Lingua franca‹, die Rolle des österreichischen Deutsch oder den Stellenwert der EU-Amtssprachen. Die Diskutierenden wurden zudem aufgefordert, zur Mehrsprachigkeitspolitik der EU und der sprachbezogenen Fremdenrechtspolitik Österreichs Stellung zu nehmen sowie die Rolle des EU-Mehrsprachigkeitskommissars Leonard Orban einzuschätzen. Auf diese Weise sollte in der anschließenden Analyse untersucht werden können, wie der sprachenpolitische Diskurs auf der Ebene der Bevölkerung (re-)produziert wird, welche benachbarten Diskurse aufgegriffen werden, welche Einstellungen, Ideologien und diskursiven Strategien dabei eine Rolle spielen, und nicht zuletzt wie der sprachenpolitische Diskurs der EU auf der nationalen Bevölkerungsebene rezipiert wird. Die jeweils ca. zweistündigen Gruppendiskussionen80 wurden auf Video und Audio aufgenommen, anonymisiert und nach den Konventionen der Halbinterpretativen Arbeitstranskription (HIAT) transkribiert (siehe Anhang G). Die Auswertung erfolgte mit dem QDAS-Tool MAXQDA nach dem bereits beschriebenen kritisch-diskursanalytischen Schema (siehe Kapitel 2.5.3). Im Folgenden werden die Ergebnisse aus der Analyse der Gruppendiskussionen erörtert, ohne jedoch ausführlich auf die Gruppenprozesse und die Gruppendynamik einzugehen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Äußerungen der Diskussionteilnehmenden nicht isoliert, sondern in einer Gruppe getätigt werden, sodass die Interaktion in der Gruppe die Redebeiträge der Teilnehmenden beeinflussen kann. Insbesondere ist festzuhalten, dass durch die Erhebungssituation in der Gruppe sozial erwünschte Inhalte bzw. vorherrschende Gruppenmeinungen eher geäußert werden können als sozial uner80 Die UNI-Diskussionsrunde dauerte mit 133 Minuten am längsten, die WIFI-Diskussion mit 75 Minuten am kürzesten, und die SeniorInnen diskutierten 108 Minuten lang.

182

Empirische Fallstudie

wünschte bzw. tabuisierte Inhalte und Meinungen. Weiters kommt es bei den vorliegenden Gruppendiskussionen häufiger als bei den Interviews vor, dass TeilnehmerInnen während der Diskussion ihre Meinung ändern oder Rückfragen an den Moderator stellen bzw. an dessen Sichtweise zu den gestellten Fragen interessiert sind. Zudem werden in der Gruppe öfters Themen und Argumente anderer TeilnehmerInnen aufgegriffen, was zu einer Themenselektion führen kann, die sich bspw. in Einzelinterviews nicht ergeben hätte. Auf der anderen Seite können durch die Gruppendiskussion Aussagen und Meinungen einer relativ großen Anzahl von Personen in einer realistischen und den Diskutierenden entgegenkommenden Gesprächssituation eingefangen werden, sodass die Gruppendiskussion als geeignete Methode erscheint, um den – auf andere Weise nur schwer zu erhebenden – halb-privaten Diskurs über Sprache im sprachenpolitischen Kontext zu untersuchen.

4.1.2. Ergebnisse 4.1.2.1. Themen und Inhalte: Verlauf der Diskussionen Fragenkomplex 1: Was bedeutet Mehrsprachigkeit? Danach gefragt, ob sich die Teilnehmenden selbst als mehrsprachig bezeichnen, machen die meisten ihre Definition von Mehrsprachigkeit vom Niveau ihrer Fremdsprachenkenntnisse abhängig. Mehrsprachigkeit wird somit diskursiv größtenteils als ein Zustand konstruiert, der erst ab einem bestimmten Niveau der Sprachkenntnisse in zumindest zwei Sprachen vorliegt (Muttersprachniveau, »höher als Schulniveau«; STW2)81 oder mit dem Erwerb von Elternsprachen verbunden ist. Gleichzeitig bleibt dieser dominierende Definitionsansatz nicht unumstritten und dient als Ausgangspunkt für divergierende Sichtweisen, wonach Mehrsprachigkeit etwa bei jedem Menschen mit unterschiedlichen sprachlichen Kenntnissen unabhängig von deren Niveau als potentiell gegeben anzusehen ist. Mehrsprachigkeit wird in diesem Zusammenhang auch mit anderen Faktoren wie Kultur, Identität oder Emotionen assoziiert: Sie ist bspw. dann vorhanden, wenn in anderen Sprachen nicht nur auf einem bestimmten Niveau gesprochen, sondern auch darin gedacht und gefühlt wird oder wenn sie eine »Flexibilität in mehreren Kulturen« (STW3) mit sich bringt. Nähe und Ferne sowie Eigenes und Fremdes spielen in dieser Hinsicht immer wieder als bestimmende Faktoren und Kontrastierungsstrategien eine Rolle: Mehrspra81 Die Sprecherkürzel setzen sich aus folgenden Bestandteilen zusammen: ST = Studierende, W = weiblich, M = männlich, 1 – 9 = Sprecherzuordnung; SPK = WIFI-KursteilnehmerIn; SE = SeniorIn.

Gruppendiskussionen

183

chigen Menschen sind mehrere Sprachen nah, sie fühlen sich in diesen Sprachen zu Hause, sie sind ihnen nicht fremd. Zweisprachigkeit wird zwar mit zweisprachig aufwachsen assoziiert, ansonsten aber kaum gegenüber der Bezeichnung Mehrsprachigkeit abgegrenzt, sodass der Gebrauch der Begriffe Mehrsprachigkeit und Zweisprachigkeit als weitgehend synonym erscheint. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass muttersprachliche Kenntnisse in Deutsch und Fremdsprachenkenntnisse in Englisch mitunter als ausreichend für die Bezeichnung mehrsprachig angesehen werden: »Ja ich sag mal mehrsprachig sind ma alle, da alle mal Deutsch und Englisch können. Sind amal zwei Sprachen, somit iss mehrsprachig.« (SPK4). Zusammenhänge zwischen Sprache, Denken und Kultur, die vor allem Mehrsprachige zu erkennen und zu ihrem Vorteil einzusetzen verstünden, werden immer wieder thematisiert. Mehrsprachige Menschen hätten demzufolge das Potential, neue Perspektiven auf und durch andere Kulturen zu erhalten bzw. andere Denkweisen von zuvor fremden Kulturen zu verinnerlichen. Weil dann seh [ND: ich] auf einmal das von der andern Seite. Von total andern Denkschemata, da merk ich, wie konstruiert unsere Kultur eigentlich ist. […] Alleine schon die Ausdrucksweise ist anders und dadurch hast du schon gewisse Schemata im Kopf, die anders sind. Da hast du dann sozusagen a ›französisches Gehirn‹ oder so ((lacht))« (STM2).

In der WUK-Gruppe wird die Frage, ob und wie Menschen überhaupt in Sprachen denken, auf einer geradezu (sprach-)philosophischen Ebene erörtert: SEM1 ist der Meinung, dass man in gar keiner Sprache denkt, das Denken der Sprache quasi vorgelagert ist, während die anderen DiskussionsteilnehmerInnen diesen Gedankengang in Frage stellen oder unbeachtet lassen. In der WIFI-Gruppe wird Mehrsprachigkeit zudem nicht nur in Bezug auf Sprachfähigkeitsformen, sondern auch hinsichtlich der Verfügbarkeit sprachlicher Produkte bzw. Medien in mehreren Sprachen diskutiert: Betriebsanleitungen, Internetseiten, Formulare, Ortstafeln oder DVDs erscheinen neben Menschen als diejenigen Entitäten, denen das Prädikat mehrsprachig zukommen kann. Die Frage, inwieweit Mehrsprachigkeit die Normalität oder die Ausnahme darstellt, wird von den Diskutierenden der UNI-Gruppe selbst aufgeworfen. In der Diskussion dieses Themas wird in weiterer Folge auf die europäische Geschichte und durch Vergleiche auf andere Länder Bezug genommen sowie auf Nachbarsprachen, Sprachprestige, Sprecherzahlen, Englisch als Verkehrssprache, wirtschaftliche Vorteile, Migration und die Mentalität in Österreich. Mehrsprachigkeit als Norm wird zumeist als etwas Erstrebenswertes angesehen, das allerdings paradoxerweise nur in besonderen oder anderen Gebieten und Gruppen zu finden ist – beispielsweise außerhalb Europas bzw. in »dreiviertel

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Empirische Fallstudie

der Welt« (STM2) oder »in der Schweiz« (SEW3), in Österreich hingegen nur bei den Volksgruppen, etwa in Kärnten oder im Burgenland (SEW2, SPK9). Als Grund dafür, dass in Österreich bspw. kaum Nachbarsprachen gelernt werden, werden Ressentiments, unterschiedliche Mentalitäten oder Wertigkeiten von Sprachen genannt (STM2, STW1, STM1). In der Darstellung der WIFI-Gruppe trifft Mehrsprachigkeit als Norm zudem eher auf die Gruppe der anderen, jüngeren Generation (SPK8) zu, die vermehrt schon früher mehrere Sprachen zu lernen anfange. Diesen Alterstopos, wonach das forcierte Fremdsprachenlernen und Mehrsprachigkeit eher Sache der jüngeren Generation sei, findet man auch in der Senioren-Gruppe. Die Analyse mit dem Softwaretool MAXQDA weist in Übereinstimmung damit das Thema Sprachkenntnisse bzw. Sprachniveau im ersten Fragenblock als dominant aus. Daneben wird frühkindliche Zweisprachigkeit und – indirekt damit verbunden – Migration thematisiert, zudem das Sprachenlernen bzw. der Spracherwerb. Auch Einsatzbereiche von Fremdsprachenkenntnissen werden genannt: Die TeilnehmerInnen nennen die Verwendung von Fremdsprachen im Beruf, in der Familie, in einem anderen Land, oder um fremdsprachige Medien nutzen zu können. Tabelle 13 gibt einen Überblick über die am häufigsten codierten Themen und Subthemen im ersten Teil (Fragenkomplex 1) der drei Gruppendiskussionen. Tabelle 13: Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 1) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10)

Makrocode (Thema)

101

Bildung

51

Subcode (Subthema\Sub-Subthema …)

Sprachenlernen Sprachkenntnisse Zwei- und mehrsprachiges Aufwachsen Schule & Schulbildung Frühkindliches Fremdsprachenlernen Kindergarten Einsprachigkeit Sprachstatus Sprachliche Domänen Muttersprache & Elternsprache Verkehrssprache & Lingua franca, ELF Nachbarsprachen Sprachprestige Gedankensprache

Anzahl der Codierungen pro Subcode (ab n=3) 25 24 17 15 9 5 3 15 9 6 5 5 3

185

Gruppendiskussionen

(Fortsetzung) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10)

Makrocode (Thema)

15

Wirtschaft

13 13

Subcode (Subthema\Sub-Subthema …)

Arbeit & Arbeitsplätze Tourismus & Reisen & Mobilität Wirtschaft (allg./sonst.) Migration Migration (allg./sonst.) Prinzipien & Zwang & Pflicht & Werte Verbot Assimilation & Anpassung

Anzahl der Codierungen pro Subcode (ab n=3) 6 6 3 10 5 3

Fragenkomplex 2: Sprache und Kultur – Sprache und Identität Der Fragenkomplex »Sprache und Kultur bzw. Identität« wird mit folgendem Zitat aus der EU-Mehrsprachigkeitsstrategie von 2005 eingeleitet: »Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität« (Europäische Kommission 2005). Die DiskussionsteilnehmerInnen werden gebeten, das Zitat zu bewerten und eine Vermutung abzugeben, von wem es stammen könnte. Wenngleich einige DiskutantInnen das Zitat PolitikerInnen auf der nationalen Ebene zuordnen würden, bringt es niemand mit supranationaler Politik bzw. der EU in Verbindung. Interessanterweise werden in der WUK-Gruppe in diesem Zusammenhang Linkspolitiker bzw. Marx und Engels (SEW2) genannt, während der Student STM2 eher an rechtspopulistische Meinungsführer (Strache, Mölzer) denkt und eine negative Bewertung damit verbindet. Die meisten anderen DiskutantInnen geben sich ratlos oder glauben, dass das Zitat von einem Schriftsteller stammen könnte. Vor allem in der WIFI-Gruppe erntet das gebrachte Zitat Zustimmung und wird als Bestätigung des bereits Gesagten gesehen, wonach Sprache, Identität und Kultur eng zusammenhängen. In dieser Gruppe wird das Zutreffen der Zitataussage zudem als Erklärung dafür herangezogen, dass »manche Menschen […] aggressiv werden, wenn jetzt irgendwie türkische Leute untereinander Türkisch reden […] oder bestimmte Dialekte halt nicht ··· vertragen können […] wenn zwei Landsmänner zusammenkommen und deren Landessprache sprechen, ja.« (SPK3). In den anderen Gruppen wird das Zitat aber auch kritisch gesehen, indem bspw. betont wird, dass Sprache nur eine von mehreren kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten und Identitätsaspekten des Menschen darstellt – wie Musik, Kunst oder Kleidung. Abgelehnt wird insbesondere die Gültigkeit des

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Empirische Fallstudie

Zitats im Umkehrschluss, wonach sprachlose Wesen keine Menschen wären – vor allem, wenn Sprache ungerechtfertigterweise auf das gesprochene Wort reduziert wird und etwa Gebärdensprachen ausschließt. Auffallend ist, dass Sprachen immer wieder als Vergleichs- und Abgrenzungsmittel thematisiert werden. So wird die Sicht, dass Sprache den Unterschied zwischen Mensch und Nicht-Mensch ausmacht, von STM2 als rechtes bis neonazistische Auffassung kritisiert, während SPK3 sprachliche Unterschiede als quasi natürlichen Faktor für das Entstehen von Aggressivität heranzieht. Zudem erläutern die DiskussionsteilnehmerInnen ihre eigenen Erfahrungen mit Sprache als Mittel, das einen sowohl von den ›Anderen‹ abzugrenzen als auch die Zugehörigkeit zu einer ›Wir‹-Gruppe herzustellen vermag. Insgesamt relativieren vor allem die StudentInnen die Rolle von Sprache für ihre Identität, indem sie andere Identitätsfaktoren neben Sprache nennen und die Bedeutung der von ihnen gesprochenen Sprachen und Varietäten teils durch abschwächende Partikel (»mehr oder weniger wichtig«, »doch nicht so wichtig«, »macht nicht wirklich die Identität aus«) herunterspielen. Auch Sprachpurismus und zwanghaften Spracherhalt lehnen die StudentInnen eher ab und akzeptieren Phänomene wie Sprachwandel und die zunehmende Bedeutung von Englisch als ›Lingua franca‹ als quasi natürliche und unaufhaltsame Entwicklungen. Der Muttersprache, dem österreichischen Deutsch und Dialekten wird vor allem in der Seniorengruppe ein wichtiger Stellenwert für die (eigene) Identität und Entwicklung eingeräumt. Einige StudentInnen bedauern in diesem Zusammenhang, dass sie selbst keinen Dialekt beherrschen, während die SeniorInnen es in ihrer Verantwortung sehen, den Dialekt an die Enkelkinder weiterzugeben. Das Protokoll Nr. 10 In Form einer Österreich-spezifischen Frage, die das Thema Sprache(n) und Kultur bzw. Identität vor allem in Hinblick auf das österreichische Deutsch vertiefen sollte, werden die TeilnehmerInnen gefragt, ob sie das so genannte ›Protokoll Nr. 10‹ kennen (siehe Kapitel 3.2.1) und welche Meinung sie dazu haben. Das Protokoll Nr. 10 »über die Verwendung spezifisch österreichischer Ausdrücke der deutschen Sprache im Rahmen der Europäischen Union« wurde im Zuge des EU-Beitritts Österreichs 1995 als Teil des Beitrittsantrags verankert und schreibt vor, dass die darin festgehaltenen 23 »spezifisch österreichischen Ausdrücke der deutschen Sprache den gleichen Status« haben und »mit der gleichen Rechtswirkung verwendet werden wie die in Deutschland verwendeten entsprechenden Ausdrücke« (vgl. Markhardt 2005: 158 ff.; de Cillia 1998; 2006). Das Protokoll Nr. 10 ist im Anhang zu finden (Abschnitt F). Außer dem Sprachwissenschaftler STM2 und SEM1 hat in den drei Diskussionsrunden laut eigenen Angaben niemand das Protokoll Nr. 10 bzw. dessen Inhalt gekannt. Mehrere TeilnehmerInnen in allen drei Gruppen ergänzen zwar,

Gruppendiskussionen

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dass ihnen zumindest die öffentliche Diskussion über dieses Thema bekannt gewesen sei, jedoch verwechseln einige dieser DiskutantInnen die Geschichte des Protokolls Nr. 10 mit dem späteren, sogenannten ›Marmeladenstreit‹ im Jahr 2003 (siehe Kapitel 3.2.1). Das Protokoll Nr. 10 wird insgesamt ambivalent bewertet – mit Ausnahme der Seniorengruppe, die ihm eindeutig positiv gegenübersteht: »Soit ma verteidigen mit Zähnen und Klauen!«, meint etwa SEM1. Die WIFI-KursteilnehmerInnen konstatieren einerseits belustigt »Angst vor die Deutschen!«, beklagen andererseits aber – ebenso wie die SeniorInnen – einen negativen Einfluss der bundesdeutschen Medien (v. a. des Fernsehens) auf das österreichische Deutsch sowie insgesamt mangelnde muttersprachliche Deutschkenntnisse in der (jüngeren) österreichischen Bevölkerung. Auffällig an der Bewertung des Protokolls Nr. 10 bei der UNI-Gruppe ist, dass vier der sieben StudentInnen der Ansicht sind, dass dieses Protokoll für sie persönlich zwar nicht wichtig sei, aber durchaus für andere eine große Rolle spielen könnte und daher seinen Zweck – in einem positiven Sinn – erfülle. So meint STM3: »Ah und ich finds okay, dass es verankert is, oiso mir persönlich liegt relativ/ oiso mir is es nicht wichtig, oder nicht, nicht wahnsinnig wichtig, aber ich glaub, es is was relativ Unbürokratisches, damit man vielleicht ein paar Leute zufrieden stellen kann. Damit sie nicht wieder auf dieses Brüssel schimpfen müssen.« STW4 stimmt der Aussage von STM3 zu und führt dann weiter aus: […] aber ich denk mir, wie du sagst, mir persönlich ist es nicht so wichtig, aber es gibt genug Leuten, denen das sehr wichtig ist, denen auch das Österreichische an sich sehr wichtig is, und ich würd schon sagen, dass es ah dass mas als eigene Sprache bezeichnen kann […] wo ich mir denk, ähm wenn mas dann schon als Sprache bezeichnet, dann gibt’s/ versteh ich, dass a die Leute dran hängen, und dass dann · dass, wenn eben diese Wörter verschwinden – diese und andere natürlich, also ich wills jetzt nicht, nicht auf diesen · acht oder zehn Wörtern aufhängen – dass das a für viele ein Identitätsverlust is Und solangs Österreicher gibt, denen das wichtig is – und das wird wahrscheinlich ein ganze Zeit lag noch so bleiben – ahm kann ich’s verstehen.

STM1 meint übereinstimmend: »Aber wie eben ich und der STM3 gsagt ham, kanns sicher/ kanns locker passieren, dass da manche Leute · ahm oiso, dass dass manche Leute drauf stehen, dass so was erhalten bleibt«, fügt aber gleichzeitig sarkastisch an: »Ja, sch/ könnte man in der Kronenzeitung · ah irgendwie beilegen oder so.« Auch STW2 meint eher ironisch, dass sie das Dokument zwar nicht gekannt habe, es aber »eine gute »Übersetzungshilfe. ((lachend)) Für die Deutschen« darstelle. Ebenfalls weniger ernst genommen wird das Protokoll Nr. 10 von denjenigen DiskussionsteilnehmerInnen, die darin ein Beispiel für die Überreglementierung (SPK3) durch die EU sehen. Diese Resultate korrespondieren mit einer Studie über die Rezeption des Protokoll Nr. 10 in den Printmedien (de Cillia 1998: 88 ff.), wonach sich die österreichische Presse in

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Empirische Fallstudie

den 90er Jahren ebenfalls vorwiegend in (selbst-)ironischer Distanz zum Protokoll Nr. 10 übte. Wie die obige, durch die Software MAXQDA gestützte Analyse zeigt, werden folgende Themen und Inhalte mit dem Fragenkomplex Sprache – Kultur – Identität verknüpft: Sprache als Kriterium für das Menschsein, Sprachwandel, Englisch als ›Lingua franca‹, bedrohte Sprachen, Spracherhalt, österreichisches Deutsch und österreichische Dialekte. Eine zusammenfassende Darstellung der dominanten Themen und Subthemen sowie deren Codierungshäufigkeiten im zweiten Teil der drei Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 2) findet sich in Tabelle 14. Tabelle 14: Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 2) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10) 74

47

33 24

22 14

Makrocode (Thema)

Subcode (Subthema\Sub- Anzahl der Subthema …) Codierungen pro Subcode (ab n=3) Sprachvarietäten Österreichisches Deutsch 21 Dialekt (allg./sonst.) 21 Bundesdeutsches Deutsch 15 Wienerisch 7 Hochdeutsch 6 Sprachstatus Sprachliche Domänen 8 Gedankensprache 5 Gebärdensprache 4 Menschensprache 4 Muttersprache & 4 Elternsprache Sprecherzahl 4 Verkehrssprach & Lingua 4 franca; ELF Hochsprache 3 Sprachprestige 3 Kultur Identität 17 Kultur (allg./sonst.) 9 Kunst & Hochkultur 7 Prinzipien & Freiheit 6 Werte Streit & Konflikt 5 Zwang & Pflicht & Verbot 5 Assimilation & 4 Anpassung Bildung Schule & Schulbildung 9 Sprachkenntnisse 9 Sprachenlernen 4 EU Verordnungswut 7 Marmeladenstreit 5

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Gruppendiskussionen

(Fortsetzung) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10)

Makrocode (Thema)

14 13

Medien Politik

Subcode (Subthema\Sub- Anzahl der Subthema …) Codierungen pro Subcode (ab n=3) Medien (allg./sonst.) 14 10 Sprachpolitik bzw. Regulierung des Sprachgebrauchs PolitikerInnen & Parteien 3

Fragenkomplex 3: Sprache und Minderheiten – Sprache und Migration Das Thema »Sprache und Minderheiten bzw. Migration« wird vom Moderator mit folgendem Statement eingeleitet, das die Diskutierenden wiederum einem Autor bzw. einer Autorin zuordnen und bewerten sollen: »Ausländer, die keine Landessprache sprechen, sollten ihr Aufenthaltsrecht verlieren.« Dieses Statement stellt zwar kein Zitat aus einer bestimmten, belegbaren Quelle dar, jedoch wird die Verknüpfung von Aufenthaltsrecht und Sprachkenntnissen sowohl in Österreich (aber bspw. auch in der Schweiz) in der Öffentlichkeit häufig thematisiert.82 In Österreich werden zudem seit mehreren Jahren Drittstaatsangehörige im Rahmen der sogenannten ›Integrationsvereinbarung‹ zum Nachweis von Deutschkenntnissen verpflichtet (siehe Kapitel 3.1). Die Mehrheit der DiskutantInnen ordnet das Statement, wonach AusländerInnen ohne Landessprachkenntnisse ihr Aufenthaltsrecht verlieren sollen, spontan PolitikerInnen aus den Parteien des rechten politischen Spektrums (FPÖ und BZÖ) wie H.C. Strache oder Peter Westenthaler zu. Jedoch würden einige der TeilnehmerInnen die Aussage prinzipiell PolitikerInnen aller österreichischen Parlamentsparteien zutrauen, den Grünen allerdings eher weniger. Die Studierenden stehen in ihrer Bewertung dem Statement großteils ablehnend gegenüber, während vor allem in den anderen beiden Diskussionsgruppen Verständnis für die Forderung nach Landessprachkenntnissen bei MigrantInnen gezeigt wird, wenngleich nicht alle DiskutantInnen die Ausweisung als drakonische Maßnahme bei unzureichenden Deutschkenntnissen begrüßen würden. Begründet wird dies damit, dass Deutschkenntnisse im eigenen Interesse der MigrantInnen lägen, da diese Deutsch auf Ämtern, beim Arztbesuch, im 82 Die Formulierung des präsentierten Statements stammt aus der Schweizer Forschergruppe im Projekt LINEE, die Gruppendiskussionen mit dem gleichen Leitfaden durchführten. Die Formulierung »keine Landessprache« (statt: »die Landessprache«) deutet auf den Kontext eines mehrsprachigen Landes (in diesem Fall der Schweiz) hin, wie auch ein Student in der Gruppendiskussion (STM2) richtigerweise bemerkt.

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Empirische Fallstudie

Beruf und in Notfallsituationen benötigten sowie letztendlich für deren eigene Integration bzw. Assimilierung (SEM1): »Na sie können ja/ können sich auch viel besser integrieren, wenn sie auch unsere Sprache sprechen.« (SPK9). Diese Sichtweise wird in den beiden Gruppen durch Beispiele aus der eigenen Erfahrung zu belegen versucht, indem bspw. auf mangelnde Deutschkenntnisse des kroatischen Hausmeisters (SEW1) hingewiesen wird oder auf Putzfrauen am eigenen Arbeitsplatz sowie deren Familie und Verwandtschaft, die »grad amal ›bitte‹ und ›danke‹ sagen« bzw. »alle kein Wort Deutsch« können (SPK5). Als Referenzpunkte, die im Diskurs über Migration immer wieder Verwendung finden, werden hierfür zudem nach Österreich eingewanderte, »einfachste Menschen aus dem Dorf« in Anatolien (SEM2) herangezogen sowie allgemeiner das Gesellschaftsschichtproblem (STW2), das sich durch die soziale Benachteiligung nicht nur von Migrantenfamilien, sondern von bildungsfernen Schichten (STW1) generell ergebe. In einem anderen Zusammenhang wird in der WIFIGruppe die angeblich zu hohe staatliche Unterstützung von AsylwerberInnen kritisiert, während die Seniorengruppe das Statement gerade in Hinblick auf Flüchtlinge als nicht unterstützenswert ansieht. Sprachbezogene Wahlkampfwerbung in Österreich Um die Thematik Sprache und Minderheiten bzw. Migration in Hinblick auf die österreichische (Sprachen)politik zu vertiefen, werden den Diskutierenden zwei sprachbezogene Wahlwerbungstexte aus dem österreichischen Nationalratswahlkampf 2008 auf PowerPoint-Folien präsentiert, die folgende Slogans enthielten: »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹« (FPÖ)83 und »Wer bei uns lebt, muss unsere Sprache lernen. Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung« (ÖVP). Diese Slogans stießen vor allem bei den Studierenden, zum Teil aber auch bei den SeniorInnen auf starke, teils emotionale Ablehnung, wie die folgenden Charakterisierungen zeigen: »Propaganda […] am Rücken der Immigranten« (STW3), die »Plakate produzieren in mir einen Schauern · und Gänsehaut« , weil […] ich find […] das is genauso primitiv wies kurz is und […] persönlich als beleidigend, (STW4), »furchtbare Plakate […] die Schuld was auch immer auf Ausländer zu schieben […]« (STW1), »Aiso i mog diesee Ooat ned. I dua des ned amal ignorieren, nicht. I hoss des!« (SEW1). Gleichzeitig wird in allen drei Gruppen mehr oder weniger explizit davon ausgegangen, dass die präsentierten Plakate, so umstritten sie auch sind, »Probleme, die es gibt« ansprechen, auch wenn diese dadurch hochgeschaukelt würden (STW3). Mehrere DiskutantInnen sind darüber hinaus der Ansicht, dass das ÖVP-Plakat Slogans und Forderungen der FPÖ imitiere, um FPÖ-WählerInnen auf die Seite der ÖVP zu ziehen. In der 83 Der FPÖ-Slogan »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹« wurde bereits im Wiener Land- bzw. Gemeinderatswahlkampf 2005 und im Nationalratswahlkampf 2006 großflächig plakatiert.

Gruppendiskussionen

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WIFI-Gruppe werden die Plakate zwar einerseits zum Anlass genommen, über politische Bildung und die Manipulierbarkeit von JungwählerInnen im Alter von 16 Jahren zu diskutieren. Andererseits klingen in dieser Gruppe fremdenfeindliche Töne an, wenn bspw. der hohe Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund an Wiener Schulen und die schlecht funktionierende Integration der Ausländer (SPK9) beklagt und gleichzeitig als Grund für die Popularität der FPÖ herangezogen wird: »Oder zum Beispiel in Wien in den Schulen, da is das eigentlich schon voll schrecklich mit die Ausländer […] mich wunderts gar nicht, dass daa so stark die FPÖ gewählt wird, weil die Österreicher sind eigentlich in Wiener Schulen schon richtig arm.« (SPK5). Lediglich finanziell gut abgesicherte Eltern könnten diesem Problem aus Sicht der WIFI-TeilnehmerInnen entgehen, indem sie ihre Kinder in Privatschulen schicken, da diese nur von wenigen SchülerInnen mit Migrationshintergrund besucht würden. Wie die Analyse der Themen und Inhalte mit MAXQDA zeigt, kehren in der Diskussion der Thematik »Sprache und Minderheiten bzw. Migration« einige der Themen wieder, die bereits innerhalb der ersten beiden Fragenblöcke angeschnitten wurden, v. a. das Sprachenlernen, das an dieser Stelle der Fragestellung entsprechend in Hinblick darauf diskutiert wird, ob und wie MigrantInnen in Österreich Deutsch lernen sollen. Auch die Bedingungen des Deutschlernens für MigrantInnen und dessen Nutzen sowie die Einsatzbereiche von Landessprachkenntnissen für diese Personengruppe werden ausführlich thematisiert. Damit in Zusammenhang stehend wird auch der Status und das Prestige von in Österreich gesprochenen Sprachen besprochen und mit Amtssprachen in anderen europäischen Ländern verglichen. Dominant ist weiters das Thema der österreichischen Politik, insbesondere des Fremdenrechts, das durch die Moderatorenfrage zur ›Integrationsvereinbarung‹ und die Präsentation der österreichischen Wahlkampfinserate angestoßen wird. Nicht nur die Wahlkampfinserate, sondern auch das erste, nicht aus einer bestimmten Quelle zitierte Statement werden umgehend mit österreichischen PolitikerInnen vor allem rechter Parteien in Verbindung gebracht. In weiterer Folge wird das Thema Wahlkampf mit dem Schüren von Emotionen, dem Thema der Fremdheit, des Nationalismus und – wenn auch nicht explizit benannt – der Xenophobie in Österreich in Verbindung gebracht, wobei deren ausdrückliche Thematisierung v. a. in der WIFI-Gruppe mit fremdenfeindlichem Sprachgebrauch durch die TeilnehmerInnen teilweise Hand in Hand geht. In 15 werden die wichtigsten Themen und Subthemen des dritten Teils aller drei Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 3) im Verhältnis zu deren Codierungshäufigkeiten dargestellt (siehe Tabelle 15).

192

Empirische Fallstudie

Tabelle 15: Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 3) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10)

Makrocode (Thema)

Subcode (Subthema\SubSubthema …)

69

Bildung

47

Migration

39

Prinzipien & Werte

Sprachkenntnisse Sprachenlernen Schule & Schulbildung Tests & Prüfungen Universität Kindergarten Migration (allg./sonst.) Integration Asylwerber & Flüchtlinge Minderheiten Staatsbürgerschaftsprüfung & Einbürgerung Zwang & Pflicht & Verbot

39

27 20 19 17 10

Assimilation & Anpassung Egalität & Chancengleichheit Exklusion & Ausgrenzung Freiheit Sprachstatus Landessprache Verkehrssprache & Lingua franca; ELF Sprachliche Domänen Muttersprache & Elternsprache Politik Wahlen & Wahlkampf PolitikerInnen & Parteien Wirtschaft Arbeit & Arbeitsplätze Kosten Wirtschaft (allg./sonst.) Recht Fremdenrecht Ideologie Rassismus & Xenophobie Idealismus Kultur Identität Kultur (allg./sonst.)

Anzahl der Codierungen pro Subcode (ab n=3) 27 21 6 4 4 3 28 8 3 3 3 14 9 5 3 3 10 10 7 4 15 9 10 6 3 19 10 3 3 3

Gruppendiskussionen

193

Fragenkomplex 4: Supranationale und nationale Sprachenpolitik Der EU-Mehrsprachigkeitskommissar und die EU-Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit Die erste Frage zum Themenkomplex »Mehrsprachigkeitspolitik der EU« lautet, ob die DiskussionsteilnehmerInnen gewusst haben, dass es seit 2007 mit Leonard Orban einen eigenen EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit gibt (bzw. bis Februar 2010 gegeben hat), und wie ihre Meinung zu diesem Amt lautet bzw. ob es ihnen wichtig ist.84 Die Mehrheit der TeilnehmerInnen antwortet, dass sie erst durch die Ankündigung der Gruppendiskussion davon erfahren und zuvor noch nie von diesem Amt gehört haben. Lediglich die Europäistik-StudentInnen kennen zwar den Namen des Kommissars nicht, haben aber laut eigenen Angaben bereits im Rahmen ihres Studiums vom Kommissarsposten Kenntnis erlangt. Aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades des Kommissars dominieren im Folgenden unter den Teilnehmeräußerungen eher Frage- als Aussagesätze: Insbesondere herrscht Unklarheit über die Aufgabenbereiche des Kommissars und darüber, ob nur die EU-Amtssprachen oder auch Regional- und Minderheitensprachen in sein Ressort fallen, sowie ob es sich um ein einziges oder nur den Teil eines Ressorts handelt. Auch Fragen zu den Fremdsprachenkenntnissen des Kommissars und zu den Gründen für die Einführung dieses Amtes (bzw. dessen Abschaffung im Jahr 2010) werden gestellt und diskutiert. Unter anderem wird spekuliert, dass das Amt nur aufgrund des Beitritts Rumäniens und Bulgariens 2007 zustande gekommen und ein Versorgungsposten (STM2) sein könnte. Als mögliche Gründe dafür, dass das Amt nur bis 2010 existiert hat, werden u. a. ein zu geringes Budget und ausbleibende Erfolge, aber auch zu gefährliche Resultate seiner Arbeit vermutet (SEW2). Wiewohl einige TeilnehmerInnen in dem Amt eine positiv zu beurteilende Anerkennung der Mehrsprachigkeit auf EU-Ebene sehen, überwiegt insgesamt Ratlosigkeit in Bezug auf das Amt des EU-Mehrsprachigkeitskommissars. Als ein Beispiel für die EU-Mehrsprachigkeitspolitik präsentiert der Moderator den DiskussionsteilnehmerInnen ein weiteres Zitat aus dem EU-Strategiepapier von 2005 und bittet um dessen Einschätzung und Bewertung. Das Zitat, das mit Quellenangabe wiedergegeben wurde, lautet folgendermaßen:

84 Die Abschaffung des Kommissariats für Mehrsprachigkeit zeichnete sich in der Öffentlichkeit erst Ende 2009 ab, sodass diese Entwicklung nur in der Seniorengruppe thematisiert werden konnte.

194

Empirische Fallstudie

Es ist die Vielfalt, die die Europäische Union zu dem macht, was sie ist: kein »Schmelztiegel«, in dem Unterschiede verschmolzen werden, sondern ein Miteinander vielfältiger Unterschiede. Ein Miteinander, das unsere zahlreichen Muttersprachen als Reichtum begreift und als Weg zu mehr Solidarität und gegenseitigem Verständnis. (Europäische Kommission 2005)

Die TeilnehmerInnen werten das Zitat mehrheitlich als eher positiv, wenngleich nicht alle etwas zu diesem Textauszug zu sagen haben. Zwei DiskutantInnen bezeichnen das Zitat unabhängig voneinander als schöne Darstellung (STW2) bzw. »schöne, idealistische Utopie« (SEM1), die aber leider von der Realität abweiche und (noch) nicht umgesetzt wird bzw. werden kann. Als Grund hierfür werden zum einen die immer noch bestimmenden unterschiedlichen nationalen Interessen gesehen, zum anderen die zunehmende Machtlosigkeit der PolitikerInnen gegenüber Globalisierungsprozessen und kapitalistischem Profitstreben. In der WIFI-Gruppe wird das Zitat als teilweise widersprüchlich wahrgenommen, da die »zahlreichen Muttersprachen« aus Sicht von SPK3 nicht unbedingt zu »gegenseitigem Verständnis« führen, sondern vielmehr im Gegenteil die sprachliche Verständigung erschweren würden. Europäische Sprachenvielfalt vs. Lingua franca In der nächsten Frage bittet der Moderator die Diskutierenden, auf Vor- und Nachteile der europäischen Sprachenvielfalt und der 23 EU-Amtssprachen einzugehen. Die Frage wird vor allem von den StudentInnen stark abwägend diskutiert, wobei in allen drei Gruppen mehrere, teils aus dem akademischen Diskurs bekannte, Pro- und Kontra-Argumente diskutiert werden: der bürokratische Aufwand und die Fehleranfälligkeit des Dolmetsch- und Übersetzungsdienstes der Union, der zwar hohe Kosten verursache, aber auch Arbeitsplätze schaffe, das Recht der einzelnen EU-Länder und EU-BürgerInnen, ihre Landessprachen weiterzuverwenden oder die Rücksichtnahme auf unterschiedliche Identitäten und Kulturen. Danach gefragt, ob es für sie persönlich wichtig ist, in ihrer Muttersprache als einer der offiziellen EU-Amtssprachen mit den EU-Institutionen kommunizieren zu können, fallen die Antworten ähnlich aus wie in Bezug auf die Frage nach der Wichtigkeit des Protokoll Nr. 10: Den Diskutierenden persönlich sei die Kommunikationsmöglichkeit mit den EU-Institutionen in der Muttersprache nicht wichtig, die prinzipielle Möglichkeit dazu schätzen sie aber positiv ein, vor allem hinsichtlich der Chancengleichheit gegenüber (österreichischen) BürgerInnen ohne entsprechende Fremdsprachenkenntnisse (vgl. die Bezeichnungen einfacher Bürger und kleiner Mann, S. S. 209 [kleinen Mann (STW2)]). Während die Studierenden ihre fremdsprachlichen Kompetenzen teils als ausreichend für Kontakte mit EU-Behörden einschätzen, empfinden es einige WIFI-TeilnehmerInnen und SeniorInnen als wichtig, zumindest theoretisch ihre eigene

Gruppendiskussionen

195

Muttersprache gegenüber den EU-Organen verwenden zu können. Gleichzeitig wird vor allem in diesen beiden Gruppen die Meinung geäußert, dass es praktisch nie vorkomme, dass sie selbst bzw. Privatpersonen in direkten Kontakt mit EU-Behörden träten, und wenn es doch vorkomme, so würden sich diese Personen ohnehin ausreichend auf Englisch verständlich machen können. Auf die Frage, ob eine einheitliche, gemeinsame europäische Sprache bzw. ›Lingua franca‹ wünschenswert sei, entgegnen die meisten Diskutierenden, dass die Durchsetzung einer solchen Sprache von staatlicher bzw. supranationaler Seite nicht begrüßenswert sei. Lediglich SPK9 meint, dass am ehesten Englisch als ›Lingua franca‹ in Frage käme und Vorteile mit sich brächte: »Du könntest aber in dem Fall dann davon ausgehen, dass wirklich alle sehr gut Englisch sprechen können und das würd auch im Ausland alles einfacher für dich machen.« Bedenken gegenüber einer Einführung einer ›Lingua franca‹ werden in der WIFI-Gruppe damit begründet, dass die eigenen Identitäten (SPK7) ansonsten verloren gehen, zudem würde sich selbst eine Einheitssprache in unterschiedliche Varietäten bzw. verschiedene Dialekte (SPK3) auseinanderentwickeln, sodass wiederum mit Verständnisproblemen zu rechnen sei. Gleichzeitig wird die Herausbildung des Englischen als ›Lingua franca‹ in den nächsten »zwei, drei Generationen« (SPK4) nicht nur prognostiziert, sondern gleichsam als natürlicher Prozess beschrieben, der auch ohne Verordnungen vonseiten der Politik stattfinde. Die sprachenpolitische Förderung von Englischkenntnissen in der Bevölkerung wird von den Diskutierenden aber begrüßt. Die Bedeutung des Englischen und seine zunehmende Verbreitung werden vor allem von STW3 und STW4 als natürlich beschrieben, im Gegensatz zu einer »künstliche[n] oder · von oben herab verordnet[en]« ›Lingua franca‹, die von den meisten Diskutierenden abgelehnt wird. Vor allem STW4 streicht argumentativ heraus, dass sich das Englische auf natürliche Weise herauskristallisiert habe, dass diese Entwicklung unaufhaltsam sei, man aber das Englische und seinen Einfluss nicht fürchten müsse, da es um einen Nutzen und Zweck gehe, »nämlich miteinander zu kommunizieren und ··· um irgendwas zu erreichen und do muss ma eben · irgend/ irgendeine Sprache auswählen und · können nicht alle dreiundzwanzig Sprachen (auswählen)«. EU-Rechtsprechung: Der Gerichtsfall ›Groener‹ Im Rahmen der sechsten Diskussionsfrage lässt der Moderator die TeilnehmerInnen einen Gerichtsfall aus dem Jahr 1989 diskutieren, der allen Anwesenden in einer kurzen Zusammenfassung als Handout ausgeteilt und auf PowerPoint-Folie präsentiert wird. Der Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofes im Fall ›Groener‹ stellt praktiziertes EU-Recht in Sprachenfragen dar und kann somit als Anwendung und Produkt der EU-Mehrsprachigkeitspolitik (als praktizierte ›language policy‹) verstanden werden (siehe Ka-

196

Empirische Fallstudie

pitel 3.1.1). Die StudentInnen sollten den Text lesen und beurteilen, ob sie den Entscheid des EuGh nachvollziehbar finden. Die Kurzzusammenfassung des Gerichtfalls ›Groener‹ lautet folgendermaßen: Die Niederländerin Anita Groener bewirbt sich um eine Vollzeitstelle als Dozentin an einem College für berufliche Bildung in Dublin (Irland), in welcher Englisch als Unterrichtssprache gilt. Einstellungsvoraussetzung ist sowohl für irische als auch für sonstige Staatsangehörige der Besitz eines Irischzeugnisses bzw. die Ablegung einer mündlichen Sonderprüfung in Irisch. Frau Groener fällt bei der Irischprüfung durch. Eine Befreiung vom Nachweis der Irischkenntnisse wird ihr nicht gewährt. Anita Groener ist mit ihrer Bewerbung also nicht erfolgreich, weil sie nicht genügend Kenntnisse in der ersten offiziellen Landessprache (Irisch) aufweist. Groener wird nicht von der Bildungsinstitution zurückgewiesen, sondern von dem zuständigen Bildungsministerium abgelehnt. Groener fühlt sich diskriminiert und klagt die Bildungsinstitution beim Europäischen Gerichtshof an. Der Europäische Gerichtshof entscheidet jedoch, dass ein Staat berechtigt ist, Kenntnisse der offiziellen Landessprache zu verlangen, weil die betreffende Stelle eine öffentliche ist, auch wenn Irisch für die Stelle nicht direkt notwendig ist.

In allen drei Diskussionsgruppen, v. a. in der UNI-Gruppe, werden zunächst untereinander Verständnisfragen gestellt und Hintergrundwissen, etwa über den sprachlichen Status des Irischen ausgetauscht. In der WIFI-Gruppe wird irrtümlich vermutet, dass es sich beim Irischen um eine englische Varietät ähnlich dem Britischen oder Amerikanischen Englisch mit starkem Akzent (SPK9) handelt, bis der Moderator die TeilnehmerInnen über dieses Missverständnis aufklärt. In den anderen Gruppen wird insbesondere hervorgehoben, dass Irisch nur noch von sehr wenigen Menschen als Muttersprache beherrscht wird – STM2 nennt die Zahl 20.000. Die Diskutierenden stellen vor allem den Umstand, dass Irisch für die Stelle der Klägerin gar nicht notwendig sei, in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Dennoch sieht die Mehrheit der TeilnehmerInnen das Urteil des EuGH als gerechtfertigt an, da Irischkenntnisse in diesem Fall eine Einstellungsvoraussetzung darstellen. Insbesondere der Punkt, dass für Frau Groener die gleichen, ihr bekannten Regeln gelten wie für alle anderen in- oder ausländischen StaatsbürgerInnen sowie die Überlegung, dass Frau Groener ihre Irischkenntnisse nachträglich noch verbessern und die Prüfung vermutlich ein weiteres Mal antreten kann, werden als Argumente zugunsten des Gerichtsurteils herangezogen. STW1 etwa stuft die irische Sprachenpolitik als nicht diskriminierend ein, weil man IrischKenntnisse im Gegensatz zu Merkmalen wie Geschlecht, Alter oder Nationalität relativ leicht selbst beeinflussen bzw. erwerben könne. Als Gegenargument wird angeführt, dass IrInnen aufgrund ihrer Schulbildung möglicherweise leichteren Zugang zum Erwerb von Irischkenntnissen hätten und dadurch bevorzugt bzw. Nicht-Irinnen wie Frau Groener diskriminiert würden.

Gruppendiskussionen

197

STM3 wirft demgegenüber ein, dass Irisch seines Wissens selbst von Iren nur zu einem geringen Ausmaß in der Schule gewählt und gelernt wird, sodass die Diskriminierung eine innerirische wäre, da nur noch Personen mit Irisch als Muttersprache gegenüber anderen bevorzugt wären. Am stärksten fällt die Zustimmung zum Gerichtsurteil in der WIFI-Gruppe aus : Ähnlich wie SEW3, die die sprachliche Einstellungsvoraussetzung »bei einer soo doch hohen Stellung« als gerechtfertigt ansieht, wird es in dieser Gruppe als selbstverständlich angesehen, dass man BewerberInnen für die Lehre im tertiären Bildungssektor sprachliche Qualifikationen abverlangt. Demgegenüber sind unter den SeniorInnen die vehementesten Gegner des Gerichtsurteils zu finden: SEW2 etwa bezeichnet das Urteil als ungerecht, SEW1 als zu hart und SEM1 gar als politische Schikane, auch SEM2 meint, das ist abzulehnen. Um diese Einschätzung zu stützen, werden Vergleiche mit der Situation in mehrsprachigen Ländern wie der Schweiz oder Belgien gezogen, wo nach Einschätzung der SeniorInnen Kenntnisse in einer bestimmten Sprache bzw. Varietät unabhängig von deren beruflichen Nutzen als Einstellungsvorsetzung für eine sich bewerbernde Person undenkbar seien, wenn diese bereits eine Landessprache beherrsche. In der Studentengruppe zieht STM3 einen ähnlichen Vergleich, wenngleich er dies gewissermaßen in Form eines historischen Gedankenexperiments tut: Wenn sich Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg zur Unterscheidung Deutschlands definiert hätte als »jener deutscher Sprachraum, der auch einen slowenisch-sprachigen ah Teil hat, in seinem Volk« und Slowenisch zur Amtssprache erklärt worden wäre, dann müsste heutzutage »eine Niederländerin, die in Wien unterrichten möchte, auf Deutsch, ah Slowenisch lernen. Auch wenn sie Slowenisch gar nicht braucht.« STM2 meint, »es zwingt eine Minderheit der Mehrheit ihren Willen auf«, während STM3 die Forderung nach Irischkenntnissen wie in dem diskutierten Fall als anachronistisch ansieht: die »ganze Irisch-Sache is jaa historisch auch · a bissl überholt«, da Irisch als Minderheitensprache für Muttersprachler zwar geschützt werden solle, es aber ansonsten »90 Jahre nach der Unabhängigkeit von Irland« immer noch lediglich zur Abgrenzung Irlands gegenüber dem Vereinigten Königreich benutzt werde. Auf Nachfrage des Moderators, ob den StudentInnen noch andere ähnliche Situationen zum Fall ›Groener‹ einfallen, in denen man mehrsprachig in bestimmten Sprachen sein muss, bringt STW2 das Beispiel der Schule: Dort könnte man dies theoretisch von den LehrerInnen, die mit MigrantInnen zu tun haben, verlangen. STM2 fällt daraufhin das Beispiel der IslamlehrerInnen ein, deren Deutschkenntnisse in Österreich »grad ein großes Thema« waren (siehe Kapitel 3.2.1). STW1 merkt an, dass von den IslamlehrerInnen in Österreich aber nicht Mehrsprachigkeit, sondern Deutschkenntnisse verlangt werden, obwohl laut STM2 islamische ReligionslehrerInnen des Korans wegen

198

Empirische Fallstudie

zumindest auch das klassische Arabisch beherrschen sollten. Abschließend zu dieser Frage wird diskutiert, ob IslamlehrerInnen heutzutage noch über Arabischkenntnisse verfügen, und ob ReligionslehrerInnen auch Altgriechisch und Latein beherrschen müssen. In der WIFI-Gruppe werden andere Berufe genannt, in denen ebenfalls eine hohe Qualifikation, einschließlich Fremdsprachenkenntnissen, Einstellungsvoraussetzung sei, etwa an der Universität oder in der Privatwirtschaft. Vergleich zwischen supranationaler und nationaler Sprachenpolitik Im Rahmen der siebenten Frage bittet der Moderator die Diskutierenden, einen Vergleich zwischen der EU-Mehrsprachigkeitspolitik und der österreichischen Sprachenpolitik vorzunehmen und insbesondere darauf einzugehen, ob und in welchen Bereichen sie sprachenpolitische Maßnahmen in Österreich wahrnehmen. Die Frage scheint mehreren DiskussionsteilnehmerInnen zunächst unklar zu sein bzw. eine längere Phase des Nachdenkens zu erfordern. In der WIFI-Gruppe weisen mehrere der Anwesenden darauf hin, dass sie die Bezeichnung ›Sprachenpolitik‹ bisher nicht kannten und dementsprechend auch keine sprachenpolitischen Aktivitäten etwa der österreichischen Regierung wahrgenommen hätten. Nach mehreren Erklärungsversuchen und Paraphrasierungen der Frage durch den Moderator werden in dieser Gruppe die Tätigkeiten der Bildungsministerin und die Rechtschreibreform als zwei Beispiele für österreichische Sprachenpolitik genannt. In der UNI-Gruppe zählen die StudentInnen mehrere sprachenpolitische Bereiche auf, in denen die österreichische Politik tätig geworden, oder aber auch untätig geblieben sei, darunter : der ungelöste Ortstafelstreit in Kärnten, das Fehlen mehrsprachiger Behördenformulare in Kärnten und im Burgenland, das Forcieren von Deutschkenntnissen von MigrantInnen und deren Kindern sowie zu wenig muttersprachlicher Unterricht und Zweitsprachenförderung an Österreichs Schulen. Tabelle 16 gibt eine Übersicht über die wichtigsten Themen und Subthemen sowie die Anzahl der jeweiligen Codierungen. Tabelle 16: Themen und Subthemen – Gruppendiskussionen (Fragenkomplex 4) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10) 61

Makrocode (Thema) Bildung

Subcode (Subthema\Sub-Subthema Anzahl der …) Codierungen pro Subcode (ab n=3) Sprachkenntnisse 23 Sprachenlernen 11 Universität 8 Muttersprachlicher Unterricht 5 Schule & Schulbildung 4

Gruppendiskussionen

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(Fortsetzung) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10) 61

44

38

29

12

11

Makrocode (Thema)

Subcode (Subthema\Sub-Subthema Anzahl der …) Codierungen pro Subcode (ab n=3) Tests & Prüfungen 4 Sprachstatus Verkehrssprache & Lingua franca; 20 ELF Muttersprache & Elternsprache 16 Landessprache 5 Minderheiten- und Regionalsprache 4 Sprecherzahl 4 EU EU-Recht (allg./sonst.) 16 EU & Europa (allg./sonst.) 13 11 Sprachenpolitische EUEreignisse\EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit (allg./sonst.) Prinzipien Solidarität 6 & Werte Vielfalt 6 Diskriminierung 5 Exklusion & Abgrenzung 4 Kohärenz & Einheit 3 Zwang & Pflicht & Verbot 3 14 Wirtschaft Arbeit & Arbeitsplätze Wirtschaft (allg./sonst.) 7 Kosten 3 Tourismus & Reisen & Mobilität 3 Übersetzung Übersetzung (allg./sonst.) 6 Terminologiearbeit 3 Übersetzungs- und 3 Dolmetschdienst der EU Migration Minderheiten 6 Migration (allg./sonst.) 5

4.1.2.2. Diskursive Strategien 4.1.2.2.1. Nominationsstrategien Die Gruppendiskussionen, wie auch die Politikerinterviews und Printmedienartikel, wurden nach der Themenanalyse in Hinblick darauf untersucht, mit welchen Nominations- und Prädikationsstrategien Sprache im Allgemeinen und Sprachigkeit im Besonderen vor dem Hintergrund nationaler und supranationaler Sprachenpolitik diskursiv konstruiert werden. Neben Bezeichnungen und Charakterisierungen von Sprachen selbst wurden dabei vor allem Orte und soziale Akteure als wichtigste Hauptkategorien mitberücksichtigt. In MAXQDA

200

Empirische Fallstudie

wurde für diese drei Analysekategorien ein Makrocode erstellt, der sich in ein bis zwei Subcodes untergliedert. Mit dem Code, der sich in der auf diese Weise entstehenden hierarchischen Baumstruktur auf der jeweils niedrigsten Ebene befindet, wurden die entsprechenden Textstellen codiert (siehe Kapitel 2.5.3). Tabelle 17 gibt das Codesystem für die Nominationsstrategien sowie die Anzahl der Codierungen auf jeweils niedrigster Codeebene für alle drei Gruppendiskussionen wieder. Tabelle 17: Nominationsstrategien – Codesystem und Codierungshäufigkeit (Gruppendiskussionen) Makrocode

Subcode 1

Ortsnamen (Toponyme)

Staaten Staatengemeinschaften & supranationale Institutionen Städte Ortsnamen (sonst./allg.) Bundesländer Kontinente Ausland Einzelsprachen Kollektiva (inkl. Nationyme) Berufsbezogene Anthroponyme Sprachbezeichnungen (sonstige) Beziehungsbezogene Anthroponyme Eigennamen Politikbezogene Anthroponyme Sprachbezogene Anthroponyme Wirtschaftsbezogene Anthroponyme Religionsbezogene Anthroponyme Dialekt Varietäten

Soziale Akteure (Anthroponyme)

Sprachbezeichnungen (Linguonyme)

Subcode 2

Anzahl der Codierungen 205 78 42 36 24 13 8 498 376 117 51 41 38 28 23 13 2 47

Österreichisches Deutsch Varietäten (sonstige) Bundesdeutsches Deutsch

24 13 4

Gruppendiskussionen

201

Bezeichnungen für Staaten, darunter zum weitaus größten Teil für Österreich sowie Kollektiva und Einzelsprachen wurden am häufigsten codiert. Auf den ersten Blick etwas überraschend wirkt die hohe Codierungsanzahl für berufsbezogene Bezeichnungen – diese hängt v. a. mit dem häufigen Auftreten politischer Professionyme (z. B. EU-Kommissar) zusammen (vgl. Reisigl 2003: 162). Die quantitativen Ergebnisse lassen zwar nur sehr bedingt auf diskursive Zusammenhänge schließen, geben aber einen guten ersten Überblick über diejenigen Analysekategorien, die im jeweiligen Diskursmaterial besonders häufig Anwendung gefunden haben. Darunter befinden sich zumeist auch diejenigen Codes, deren Codierungen in einem zweiten Schritt sowohl hinsichtlich der Verteilung von types (Typen) und tokens (Vorkommnisse) als auch qualitativ genauer unter die Lupe genommen werden müssen, um zu aussagekräftigen Resultaten zu gelangen. Als Beispiel hierfür mögen wiederum die berufsbezogene Anthroponyme (Professionyme) herangezogen werden: Am häufigsten taucht unter diesen der Typ Kommissar auf, der in Form der tokens EU-Kommissar, Kommissar und Kommissare realisiert wird, danach folgt Lehrer (tokens: u. a. Englischlehrer, Islamlehrer, Sprachlehrer) und an dritter Stelle befindet sich Politiker (tokens: Politikerin usw.). Weitere Typen für Professionyme, die mehrmals realisiert werden, sind Sprachwissenschaftler und Schriftsteller sowie Putzfrau. Für die qualitative Analyse ist natürlich die Berücksichtigung des Kontextes bzw. Kotextes unabdingbar : Nur so lässt sich beispielsweise nachvollziehen, warum ausgerechnet die Berufsbezeichnung Putzfrau in zwei Gruppendiskussionen unabhängig voneinander mehrmals gebraucht wird: Dieses Professionym wird in beiden Fällen verwendet, um von eigenen Erfahrungen mit einer nichtösterreichischen Frau zu berichten, die die Landessprache Deutsch aus Sicht der Diskutierenden entweder zu schlecht beherrscht, um auf Deutsch ausreichend kommunizieren zu können, oder aber so gut Deutsch gelernt hat, dass sie es in ihrem Heimatland selbst unterrichten kann. In zweiterem Fall dient das Professionym zur Veranschaulichung des beruflichen Aufstiegs von der Putzfrau zur Sprachlehrerin aufgrund des Erwerbs von Kenntnissen in der Zweitsprache Deutsch (SEW3). SPK5 hingegen erzählt keine Erfolgsgeschichte, sondern stellt die Kommunikationsbarriere zwischen ihr und den Putzfrauen am Arbeitsplatz als Ärgernis dar : »Wie gsagt, wenn zum Beispiel die Putzfrau kommt […], ich komm ma vaoascht vor, wenn die nur ›bitte, danke‹ sagen kann und mir nicht sagen kann, was sie will von mir.« In beiden Fällen wird mit Putzfrau eine umgangssprachlich zwar geläufige, gleichwohl negativ konnotierte Bezeichnung für einen Beruf mit geringem sozialen Prestige gewählt, der nicht nur mit Geschlecht und Herkunft, sondern auch mit Sprachkenntnissen verknüpft wird. Neben dem bereits erwähnten Hausmeister (SEW1) und einer Abwäscherin (STM2) wird mit dem Hilfsarbeiterberuf ein weiterer Beruf niedrigen sozialen

202

Empirische Fallstudie

Prestiges mit mangelhaften Deutschkenntnissen assoziiert, die sich laut SEW2 dann als gefährlich für die Kinder von Männern in solchen Berufen herausstellen können, wenn die Kinder deshalb »die Führung in den Familien« übernehmen. Innerhalb der Ortsnamen wird in den Gruppendiskussionen neben den Bezeichnungen für – vorwiegend europäische – Staaten und Länder vor allem auf die Staatsgemeinschaft EU und, zu einem geringeren Teil, auf deren einzelne Organe Bezug genommen, wobei durchgängig das Akronym EU verwendet und auf die volle Bezeichnung verzichtet wird. In zwei Fällen wird in Form einer synekdochischen ›pars pro toto‹ die Nomination Brüssel für die Europäische Union verwendet. Von den zahlreichen EU-Institutionen wird (im Kontext der Moderatorenfrage zum Gerichtsfall ›Groener‹) lediglich der Europäische Gerichtshof bzw. EuGH öfter genannt, während die (EU-)Kommission nur zwei Mal Erwähnung findet. Andere supranationale Organisationen, die in den Diskussionen benannt werden, sind die UNO und der Europarat. Eine Besonderheit stellt die Bezeichnung Vereinigte Staaten von Europa dar, mit der durch Analogiebildung zu den »Vereinigten Staaten von Amerika« auf die umstrittene Idee referiert wird, die Europäische Union zu einem föderalen europäischen Bundesstaat auszubauen (vgl. Kraus 2008: 60). Die Bezeichnung Vereinigte Staaten von Europa (VSE) stellt hierbei ein Schlag- und Reizwort dar, das zum Bestandteil eines ideologischen Vokabulars an der Schnittstelle zum Diskurs über Europa und die politische Struktur der EU zählt. Charakteristisch hierfür ist, dass das Konzept der VSE im Diskurs inhaltlich unterspezifiziert bleibt, während die damit verbundene Bezeichnung als Fahnen- bzw. Stigmawort ideologische Positionen markiert und diesen gegenüber fundamentale Zustimmung oder Ablehnung signalisiert. Die kontinentalen Bezeichnungen Europa und Amerika werden häufig metonymisch (für die EU bzw. die USA) gebraucht, während Afrika als Referenzpunkt für die Normalität von Mehrsprachigkeit bzw. Multikulturalität herangezogen wird. Mit dem Toponym Ausland wird vorwiegend jener Ort beschrieben, an dem sprachliche Kenntnisse erworben werden können, bzw. für den sich das Sprachenlernen lohnt. Unter den Städtenamen dominiert, dem Lebensmittelpunkt und Universitätsstandort der meisten Diskutierenden entsprechend, Wien, gefolgt von Graz und Traiskirchen. Letzteres ist den TeilnehmerInnen als niederösterreichischer Ort bekannt, der ein Flüchtlingsheim beherbergt, und wird vorwiegend von SPK4 ins Treffen geführt, um die aus ihrer Sicht negativen Auswirkungen der Flüchtlings- und Zuwanderungsproblematik zu bekräftigen. Unter den Bundesländern werden am häufigsten Kärnten und Burgenland, als zweisprachige Gebiete, angeführt. Unter den sonstigen Toponymen stechen in der Analyse insbesondere jene Bezeichnungen hervor, die geographische Nähe ausdrücken, wie Komposita mit dem Determinans Nachbar- (Nachbarland, Nachbarstaat) oder Grenzgebiet. Mit Hilfe dieser Toponyme machen die meisten

Gruppendiskussionen

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Diskutierenden darauf aufmerksam, dass ÖsterreicherInnen in der Regel nur selten Landessprachen der zahlreichen Nachbarländer Österreichs lernen. Die restlichen geographischen Bezeichnungen (etwa Ostösterreich, Waldviertel, Ostdeutschland, Kalabrien, jenseits der Enns) werden zumeist als Beispiele für Regionen mit bestimmten sprachlichen Ausprägungen bzw. Varietäten angeführt, oder aber als Herkunftsorte von Personen mit bestimmten Sprachkenntnissen (z. B. zum Atlantik hin, osteuropäische Länder). Hervorhebenswert erscheint weiters die Bezeichnung Anatolien, die nicht nur in den Gruppendiskussionen als Bezeichnung für eine rückständige, ländliche Region der OstTürkei herangezogen wird, aus der Türken aus ›bildungsfernen‹ (und damit auch sprachlich wenig anpassungsfähigen) Schichten nach Österreich einwandern. In der zweiten Hauptkategorie, den sozialen Akteuren, sind neben den bereits erwähnten Professionymen Bezeichnungen für Kollektive am zahlreichsten vertreten und unter diesen insbesondere Ethnonyme bzw. Nationyme: Zu den häufigsten zählen Österreicher, Deutsche, Türken, Franzosen, Tschechen und Iren (man beachte das vorherrschende ›generische Maskulinum‹). Das de-spatialisierende Kollektivum (die) Ausländer ist ein Beispiel für einen Kollektivnamen, der im Gegensatz zu den beiden anderen untersuchten Datentypen (Politikerinterviews und Printmedienartikeln) in den Gruppendiskussionen immer wieder gebraucht wird. Andere raumbezogene Anthroponyme, mit denen Kollektive bezeichnet werden, sind Einheimische, Migranten, Immigranten und Flüchtlinge und Asylwerber. Darüber hinaus finden sich Kollektiva, die über die Unterscheidung zwischen Teil und Ganzem funktionieren, wie Minderheit und Gruppe, sowie die sehr allgemeinen Kollektiva Leute bzw. Menschen. Auffallend häufig werden die alters- bzw. familienbezogenen Kollektiva Kinder, Eltern, Großeltern, Jugendliche, 16-Jährige o.Ä. verwendet, was auf die starke Setzung bildungsbezogener Themen durch die TeilnehmerInnen hindeutet, die im Diskurs über Sprachigkeit eine große Rolle spielen. Familienbezogene Anthroponyme machen auch einen großen Teil der beziehungsbezogenen Bezeichnungen (›Relationyme‹) aus, mit denen sich die TeilnehmerInnen auf Personen aus ihrem eigenen Beziehungs- bzw. Bekanntschaftskreis beziehen, und die in ihrer Frequenz ein weiteres Spezifikum der Gruppendiskussionen darstellen (bspw. mein/e Nachbar, Freundin, Frau, Vater, Mutter, Verwandten, Schwester, Bekannten, Enkelkinder). Unter den politikbezogenen Anthroponymen dominieren die Parteinamen FPÖ und ÖVP, während die Grünen und das BZÖ seltener und die Großpartei SPÖ gar nicht erwähnt wird. Die starke Bezugnahme auf rechtspopulistische Parteien spiegelt sich zudem in den Nominationen Vlaams Blok und Strache-Mölzer-Typen wider, mit denen sich STM2 auf mögliche Autoren der zitierten Statements bezieht – in erstem Fall kommt eine fremdsprachliche Parteienbezeichnung zur Anwendung und in letzterem eine Kom-

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Empirische Fallstudie

position zweier Eigennamen (wiederum aus dem Bereich rechtspopulistischer Politik) mit dem generalisierenden Anthroponym Typ. Politische Personenbezeichnungen, die von Orientierungsmetaphern Gebrauch machen (z. B. Linkspolitiker, SEW2) sind im Gruppendiskussionskorpus hingegen relativ selten. Eine ähnliche Tendenz ist bei den Eigennamen festzustellen: Den ersten Platz nimmt hier mit Strache der Parteichef der FPÖ ein, gefolgt von ÖVP-Innenministerin Fekter und BZÖ-Politiker Westenthaler sowie Mölzer (FPÖ) und Sarkozy (Frankreichs Staatspräsident) – allesamt Akteure als aus dem rechten politischen Spektrum, denen wiederum die gebrachten Zitate zugetraut werden und mit populistischem politischen Handeln assoziiert werden. Häupl (SPÖBürgermeister) und Efgani Dönmez (Bundesrat der Grünen) sowie Marx und Engels werden demgegenüber nur jeweils einmal in diesem Zusammenhang erwähnt. Eine für Metasprachdiskurse bedeutsame Kategorie sind sprachbezogene Anthroponyme, wobei Adjektive und Substantivierungen des Typs -sprachige, -sprachiger usw. für den zu untersuchenden Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit wie bereits in Kapitel 2.4 beschrieben von besonderer Relevanz sind. Während sich Adjektive dieses Typs auch auf Länder, Medien o.Ä. beziehen, sind die Substantivierungen in erster Linie der Bezugnahme auf Menschen vorbehalten. In den Gruppendiskussionen wird dieser Nominationstyp in folgenden Formen realisiert: deutschsprachig, Einsprachige, englischsprachig, französischsprachig, gleichsprachig, italienischsprachig, muttersprachig, mehrsprachig und slowenischsprachig. Relativ häufig gebraucht werden zudem die Bezeichnungen Muttersprachler und Sprecher, während das Kollektivum Sprachgruppen nur einmal Anwendung findet. Zahlenmäßig schwächer vertreten sind religions- und wirtschaftsbezogene Anthroponyme, die jedoch einen starken Konnex zur Frage der (sprachlichen) Integrations- bzw. Anpassungsfähigkeit erkennen lassen, bspw. in Bezug auf Juden oder Muslime. Wirtschaftsbezogene Bezeichnungen wie die Wirtschaft oder die Konzerne werden im Zusammenhang mit dem Thema Sprache(n) anthropomorphisiert und generalisierend-synekdochisch bzw. metonymisch gebraucht, wenn bspw. SEM2 meint: »Zähneknirschen aller oder sehr vieler Lehrer is, dass die ·Kinder nicht gut Deutsch können – aber da san die selber Schuid — und die Wirtschaft dann sagt: ›Wir können die Leute nicht aufnehmen, weil sie nicht amal ordentlich Deutsch sprechen‹, ned!«. Das Thema Sprachkenntnisse bzw. Sprachgebrauch ist mehrfach mit wirtschaftsbezogenen Anhtroponymen assoziiert, wobei sich eine Differenzierung zwischen eben jenen anthropomorphisierten wirtschaftlichen Akteuren bzw. Arbeitgebern (Wirtschaft, Konzerne, Firmen) und wirtschaftlich benachteiligten Personengruppen bzw. Arbeitnehmern (Normalverdiener, Arbeiterfamilien) abzeichnet: Während erstere auf (Fremd-)Sprachenkenntnisse pochen, oder aber im Unterschied zur EU

Gruppendiskussionen

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bereits eine unternehmensinterne Verkehrssprache bzw. ›Lingua franca‹ durchgesetzt haben, können es sich letztere nicht leisten Fremdsprachen zu lernen bzw. erhalten nicht die Gelegenheit dazu. Unter den Nominationsstrategien erweisen sich erwartungsgemäß die Sprachbezeichnungen (Linguonyme) als besonders aufschlussreich für den Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit. Wenig überraschend dominieren in den Gruppendiskussionen bei weitem die Bezeichnungen für Einzelsprachen mit ca. 500 Nennungen, während die Nomination von Dialekten und Varietäten weitaus seltener vorkommt. Bezeichnend erscheint, dass ca. ein Drittel aller Einzelsprachbezeichnen auf Englisch entfällt (160 Codierungen), das damit häufiger als Deutsch Erwähnung findet (128 Codierungen). An dritter Stelle folgen weit abgeschlagen Französisch (31), Irisch (21), Türkisch (13), Slowenisch (12), Russisch (9), Tschechisch (8), Holländisch (6), Latein (6), Persisch (6), Spanisch (7) und Ungarisch (6). Serbisch und Bosnisch werden je vier Mal genannt, je drei Mal BKS und Kornisch, Kurdisch, Schwedisch, die restlichen Sprachen jeweils nur ein bis zwei Mal. Die Auswahl dieser Nominationen ist natürlich vorwiegend durch die persönliche Sprachbiographie und die teils vorgegebenen Themensetzungen in den Gruppendiskussionen bedingt, vermag aber gleichzeitig eine Tendenz über die wichtigsten Nominationsstrategien aufzuzeigen, mit denen auf der Bevölkerungsebene Sprache im Sinn von ›Sprachigkeit‹ konstruiert wird. Dialekte und Varietäten werden wesentlich seltener als Einzelsprachen genannt, sei es durch Eigenthematisierung der TeilnehmerInnen oder in Form von Antworten auf Moderatorenfragen. In der Kategorie Dialekt wurde die gleichnamige Bezeichnung mit 20 Mal etwa gleich oft codiert wie Wienerisch. Der oberösterreichische Dialekt findet drei Mal Erwähnung, andere Bezeichnungen wie niederösterreichischer Dialekt, Steirisch, Grazer Dialekt oder bayrischer Dialekt werden je einmal gebraucht. Unter diesen Nominationen finden sich Substantivierungen wie Steirisch und adjektivisch erweiterte Nominalgruppen wie der Wienerische Dialekt sowie Kompositabildungen, deren Determinans ein Toponym enthält (Bergdialekt, Dorfdialekt). Wenngleich sich vor allem in der UNI-Gruppe ein hoher metasprachlicher Reflexionsgrad und ausgeprägtes Sprachbewusstsein erkennen lässt, fällt in Bezug auf die Bezeichnungen sprachlicher Varietäten dennoch eine geringe Differenzierung zwischen einzelnen metasprachlichen Begriffen auf, die manchmal synonym verwendet oder wie in Dialektsprachen gar zu einem Kompositum zusammengefügt werden (SEM1). Dementsprechend wird auch das österreichische Deutsch durchgehend uneinheitlich bezeichnet und eingeordnet: als österreichisches Deutsch (7), als Österreichisch (7), als österreichische Sprache (3), als deutsch-österreichische Sprache, als österreichische Landessprache (1) oder als unsern Dialekt (1). STW4, zum Beispiel, meint in einer

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Empirische Fallstudie

späteren Passage in Bezug auf das Protokoll Nr. 10, dass man das »Österreichische […] als eigene Sprache bezeichnen kann, weil es gibt Charakteristika den/ in den Dialekten, die wir alle gemeinsam ham, Satzstellungen, ahm Wortstellungen im Satz, die uns vom deutschen Deutsch eindeutig unterscheidet, oiso auch Grammatik.« Eine andere Studentin (STW3) stellt ihr österreichisch gefärbtes Hochdeutsch dem schönen Hochdeutsch gegenüber. Hochdeutsch dient insgesamt vier Mal als Referenz, während Standard als Determinans oder eigenes Linguonym weder in Bezug auf das österreichische Deutsch noch auf andere Varietäten Anwendung findet. Das topologische Determinans Hoch kommt an anderen Stellen zwei Mal im Kompositum Hochsprache vor. Neben Hochsprache wird auch Schriftsprache als Gegenstück zum Dialekt dargestellt. Die Standardvarietät des bundesdeutschen Deutschen wird, sofern sie überhaupt explizit Erwähnung findet und nicht etwa zum Hochdeutschen gerechnet wird, zweimal als deutsches Deutsch und je einmal als Deutsch-Deutsch und ihr Deutsch sowie einfach nur als Deutsch bezeichnet. Die Uneinheitlichkeit in den Bezeichnungen für sprachliche Varietäten lässt auf Unsicherheiten der TeilnehmerInnen schließen, wie das österreichische Deutsch zu klassifizieren und wie es terminologisch von anderen sprachlichen Varietäten (deutsches Deutsch, Dialekt, schöne Hochsprache, normal) abgegrenzt werden kann. Schließlich fehlen in den Äußerungen der Diskutierenden auch Hinweise darauf, dass diese das Konzept des Deutschen als plurizentrische Sprache (vgl. Clyne 2004; 1992) kennen, wonach das österreichische Deutsch eine dem bundesdeutschen Standard prinzipiell gleichberechtigte nationale Standardvarietät des Deutschen darstellt (vgl. de Cillia/Wodak 2009a: 157 ff.). Weniger uneinheitlich werden die Bezeichnungen für Varietäten des Englischen gebraucht, die sich in Amerikanisches Englisch, Amerikanisch und Britisches Englisch – neben der einmaligen Nennung von Schulenglisch – erschöpfen. Die sonstigen Bezeichnungen für Varietäten und Sprachen fallen sehr heterogen aus und waren Anlass für den Klassifikationsversuch von Linguonymen in Kapitel 2.5.2.2. Die gebrauchten Linguonyme stellen zum Teil Ad-hoc- bzw. Gelegenheitsbildungen dar, was auf eine hohe lexikalische Produktivität von Linguonymen schließen lässt. Hervorhebenswert erscheinen an dieser Stelle die negativ konnotierten Linguonyme Mischmaschdeutsch, Mischmasch, PidginTürkisch und Gastarbeitertürkisch, deren Gebrauch sich auf die Gruppendiskussionen beschränkt. In Form einer prädikativen Nomination betont SEM1, dass das Mischmaschdeutsch weder einen Dialekt noch eine Hochsprache darstellt, sondern eben eine ›Mischung‹ aus beidem, die zwar unter deren BenutzerInnen (Kindern in der Schule oder im Kindergarten) verständlich ist, ansonsten aber Kommunikationsprobleme bereite (vgl. hierzu die Topos-Gruppe der Homogenität in Kapitel 4.1.2.2.3). Diese als defizitär dargestellten Sprachformen (schlechte Sprache, SEW3), die aus Sicht von STM2 bzw. SEM1 man-

Gruppendiskussionen

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gelhaftem Input im Erstspracherwerb bei türkischen bzw. Wiener Kindern geschuldet sind, stehen im Kontrast zu positiv konnotierten Linguonymen wie Schriftsprache, Hochsprache, aber auch unsere Sprache bzw. eigene Sprache oder adverbialen Konstruktionen wie »vernünftig reden« (SEM1). Die Verantwortung für mangelhaften Input läge den beiden Diskutanten zufolge im Fall der türkischen Kinder bei den Eltern, die »die eigene Sprache nicht wirklich schätzen und respektieren«, während die Ursache im Fall der Wiener Kinder im sprachlichen Umfeld in Kindergarten und Schule sowie im schlechten Einfluss durch Medien gesehen wird. Die Verknüpfung von Linguonymen mit Deiktika und phorischen Elementen wie unsere, eigene, ihre usw. verweist auf die Rolle, die Sprache für die Konstruktion von Eigenem und Fremden spielt bzw. umgekehrt: wie die Unterscheidung zwischen Wir und den Anderen für die Konstruktion von Sprache bedeutsam ist. Diese wechselseitige Konstituierung wird an den allseits gebräuchlichen Linguonymen Muttersprache (›Relationsbildung‹) und Fremdsprache (›Dissimilierung‹) nur zu deutlich – Landessprache, Ortssprache (›Spatialisierung‹) und einheimische Sprache (›Origination‹) wären weitere Beispiele. In der UNI-Gruppe wird die kohäsionsbildende Nomination unsere Sprache (vgl. Reisigl 2007a: 248) auf dem Wahlkampfinserat der ÖVP sogar explizit thematisiert sowie metasprachlich und metadiskursiv reflektiert: Der Linguistik-Student STM2 kritisiert, dass im Inserat die Bezeichnung unsere Sprache im Sinn von »unsere Sprache ist Deutsch« plakatiert werde, obwohl in der Verfassung die »autochthonen Gruppen angeführt« werden. Damit spielt STM2 auf die in Österreich gesetzlich anerkannten Volksgruppensprachen an – diese andern Sprachen werden laut STW2 in Österreich sowieso abgewertet wie das Beispiel der Wahlkampfinserate zeige. Als mögliche Gründe dafür, dass solche Formulierungen und Slogans in großen Teilen österreichischen Bevölkerung gut ankommen (STM3), vermuten die DiskussionsteilnehmerInnen in der UNIGruppe ein starkes nationales Zugehörigkeitsgefühl (STM2), eine eingeschränkte Denkweise (STM3) sowie das Gefühl der (sprachlichen) Ausgeschlossenheit von einem »Teil der Bevölkerung […], der kaum eine Fremdsprache lernt oder (nie damit) konfrontiert war, wirklich jetzt im Ausland zu sein und unter allen Mühen sich zu verständigen.« (STW3). 4.1.2.2.2. Prädikationsstrategien Ausgehend von den Nominationsstrategien wurde mit Hilfe von MAXQDA analysiert, welche mehr oder weniger positiven sowie negativen Eigenschaften die GruppendiskussionsteilnehmerInnen einzelnen Orten, sozialen Akteuren und Sprachen zuschreiben. Hierfür wurde die Codestruktur der Nominationscodes für die Prädikationscodes weitgehend übernommen, statt einzelnen Wörtern und Wortgruppen wurden jedoch ganze Redebeiträge (›turns‹) mit

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Empirische Fallstudie

entsprechenden Subcodes codiert. Gewissermaßen als roter Faden während der Auswertung hat sich wiederum das Konzept der ›Sprachigkeit‹ herausgestellt: Der prototypische Fall einer Prädikation im untersuchten Diskurs über (Mehr-) Sprachigkeit ist die Charakterisierung eines Ortes oder eines sozialen Akteurs aufgrund seiner sprachlichen Eigenschaften (seiner ›Sprachigkeit‹), d. h. aufgrund ortsspezifischer Sprachverbreitung bzw. Sprachverhaltens oder akteursspezifischer Sprachkenntnisse. Das Merkmal Sprache bzw. Sprachigkeit dient jedoch nicht nur als Mittel, sondern auch als Objekt solcher Charakterisierungen und Bewertungen, d. h. Sprachen (und zu einem geringeren Teil bestimmten Sprachfähigkeitsformen) werden selbst wiederum positive oder negative Eigenschaften zugeschrieben. Über diese sprachbezogenen Prädikationen im engeren Sinn hinausgehend spielen jedoch eine Reihe weiterer Merkmalszuschreibungen eine Rolle für die diskursive Konstruktion von Sprache bzw. Sprachigkeit, die in der Analyse ebenfalls mitberücksichtigt wurden. Hierzu zählen u. a. Bewertungen sprachenpolitischer Akteure, Ereignisse und Statements sowie Verknüpfungen zwischen nations-, ideologie- und sprachbezogenen Prädikationen. Unter der Kategorie Orte wurden, wenig überraschend, vorwiegend Prädikationen für den Staat Österreich und die supranationale Organisation der Europäischen Union codiert. Österreich wird vorwiegend als nicht-mehrsprachiges und sprachlich homogenes Land dargestellt, zumindest in der Einschätzung jener DiskussionsteilnehmerInnen, die Mehrsprachigkeit in Österreich als Ausnahme, und nicht als Norm wahrnehmen. Dies ist insofern als negative Charakterisierung aufzufassen, als die Diskutierenden diesen Umstand gleichzeitig bedauern und mit der positiv besetzten Mehrsprachigkeit in anderen Ländern vergleichen. Wie man aus den Äußerungen der DiskutantInnen schließen kann, bezieht sich die Ausnahme von der einsprachigen Regel nicht nur auf ÖsterreicherInnen mit Fremdsprachenkenntnissen, sondern auch auf die mehrsprachigen Bundesländer Österreichs, allen voran auf Kärnten und das Burgenland. Mehrsprachigkeit ist SEW2 zufolge etwas, was es in Österreich in diesen Bundesländern gibt: »In Österreich gibts ja Mehrsprachigkeit. Ös/ (eher) aiso in den · Bundesländern, also in Burgenland Kroatisch, Ungarisch, in ah Kärnten Slowenisch […].« Dass Österreich mehrsprachig ist, wird demgegenüber nur im Kontext des zweiten Impuls-Zitats85 behauptet: Der Äußerung von STM2, wonach der Plural in Landessprachen auf ein mehrsprachiges Land schließen lässt, fügt STM1 hinzu: zum Beispiel Österreich. An dieser Stelle lässt sich eine gewisse Parallele zwischen der Charakterisierung Österreichs als mehrsprachiges Land einerseits und als Einwanderungsland andererseits fest85 Das zweite Impuls-Zitat lautete: »Ausländer, die keine Landessprache sprechen, sollten ihr Aufenthaltsrecht verlieren.«

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stellen: Im untersuchten Korpus (und im darüber hinausreichenden Diskurs über Migration), wird in Form eines Definitionstopos argumentiert, dass Österreich (nicht) als mehrsprachiges Land bzw. Einwanderungsland gelten bzw. anerkannt werden sollte, weil daraus bestimmte (positive oder negative) Folgerungen gezogen bzw. Handlungen abgeleitet werden würden. Im Gegensatz zu PolitikerInnen der FPÖ betonen die DiskussionsteilnehmerInnen, dass Österreich sowohl historisch gesehen als auch gegenwärtig ein Einwanderungsland ist (vgl. demgegenüber das Interview mit PBF in Kapitel 4.3). Die Diskrepanz zwischen Mehrsprachigkeit als Norm und Ausnahme wird mit jener zwischen Ein- und Auswanderungsland in Zusammenhang gebracht, wenn etwa STM1 meint: »[grinst] Dass die Österreich eher weniger · ahm in ein anderes Land reisen und die Bereitschaft zeigen, eine Sprache zu lernen in Österreich, war immer Einwanderungsland, · aber eher · nicht Auswanderungsland, oiso · / i glaub das spielt eine Rolle.« Auch SPK3 zweifelt nicht am Status Österreichs als Einwanderungsland und führt ihn als Grund für zunehmende Mehrsprachigkeit an, wenngleich er diese auf die zugewanderte Bevölkerung reduziert: »Ich sag, es nimmt immer mehr zu, oba ··· wir ham einfoch an gewissen Teil von Ausländern — ·· in Österreich war das immer scho so — und ·· deswegen wirds immer mehr Leute geben, die einfach ihren/ ·· zwei Muttersprachen im Prinzip habn.« An dieser Stelle sei ein Vorgriff auf die Kategorie der sozialen Akteure erlaubt: In den beiden Äußerungen von STM1 und SPK3 wird die Differenzierung in eine sprachlich definierte In- und eine Out-Group ersichtlich, dies jedoch gewissermaßen unter umgekehrten Vorzeichen: Indem STM1 Erfahrungen von Migration und Mobilität mit einer positiv konnotierten Bereitschaft zum (Fremd-) Sprachenlernen koppelt, grenzt er sich implizit von der wenig mobilen und sprachaffinen Mehrheit der Österreicher ab. SPK3 hingegen differenziert zwischen der österreichischen, nicht-mehrsprachigen In-Group, der er sich implizit selbst zurechnet, und der ausländischen, muttersprachlich mehrsprachigen Out-Group. Insbesondere bei den Studierenden fällt auf, dass implizit eine quasi elitäre Wir-Gruppe konstruiert wird, die nicht auf nationaler Zugehörigkeit basiert, sondern auf der Abgrenzung zum einfache[n] Bürger (STW4) oder kleinen Mann (STW2), der über weniger (Fremd-)Sprachenkenntnisse verfügt als man selbst, sowie zur Mehrheit jener ÖsterreicherInnen, die »halt weniger studieren« (STW2). In engem Zusammenhang mit der Charakterisierung Österreichs als Einwanderungsland steht die historische Betrachtung Österreichs als Vielvölkerstaat während der Habsburgermonarchie, die nicht nur in den Gruppendiskussionen, sondern vor allem auch in den Politikerinterviews (und insgesamt eher bei den älteren GesprächsteilnehmerInnen) Erwähnung findet. So meint etwa SEM1:

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Empirische Fallstudie

Ah des is ein ganz anderer Aspekt gewesen, weil des war · von der, von der Monarchie her schon ein Vielvölkerstaat und daher von der, von der ah von der Struktur schon mehrsprachig und schon mehr-kulturell, wenn ma des so/ vielleicht multikultureller Fleckerlteppich, wenn ma ah einen landläufigen Ausdruck verwenden will.

SEM1 konstruiert in weiterer Folge eine historische Diskontinuität (»Heute · schaut es etwas anders aus«), indem er behauptet, dass »heute« weniger Bereitschaft zu Assimilation und Vermischung als noch bei den Tschechen und Ungarn der Habsburgermonarchie vorhanden sei. Als ein Beispiel für eine solche Assimilation und Vermischung nennt SEM1 bikulturelle Ehen: »[…] die äh böhmische Köchin hat den, den ah österreichischen ah Korporal ka/ gheirat und, und, und, und all diese Dinge sind passiert.« SEM1 möchte es hierbei offen lassen, ob die mangelnde Bereitschaft die Mehrheitsgesellschaft oder die Zugewanderten betreffe, was sich auch in folgender Agens-verschleiernder PassivKonstruktion widerspiegelt: »Von welcher Seite nicht gewollt wird, möcht i jetzt dahin gestellt werd/ äh lossn.« Gleichzeitig lässt der Kotext darauf schließen, dass SEM1 eher auf eine Verweigerungshaltung auf der Seite der Zugewanderten anspielt: So fordert er immer wieder mehr oder weniger explizit eine von ihm positiv charakterisierte Assimilation von MigrantInnen, zudem leitet er seinen Redebeitrag mit einer Kurzfassung des zuvor diskutierten Problems ein, wonach zugewanderte Väter ihre Frauen in manchen Fällen den Besuch eines Deutschkurses verbieten (»›Da Papa, da Papa wüs ned, dass die Mama in den Deutschkurs geht.‹«). Österreich und dessen Bundesländer werden als die Orte charakterisiert, an denen bestimmte Sprachen und Varietäten (bspw. das österreichische Deutsch) nicht nur gesprochen, sondern auch unterschiedlich wertgeschätzt werden: Andere Sprachen als Deutsch im Allgemeinen sowie Nachbarsprachen oder slawische Sprachen im Besonderen werden den Diskutierenden zufolge beispielsweise abgewertet oder unterschätzt. Als mehrsprachig charakterisiert werden an mehreren Stellen Afrika, Belgien und die Schweiz, einmal auch das Amazonasgebiet, womit nicht nur ein Kontrast zu Österreich, sondern auch zu Teilen Europas hergestellt wird: STW4 etwa stellt fest, dass »viele doch nur eine Muttersprache/ nur eine Sprache können oft […] in vielen Gegenden Europas«. Anders als »dreiviertel der Welt« sieht »eine kleine Minderheit, nämlich Europa« Mehrsprachigkeit als Ausnahme und als Problem statt als Chance, meint auch STM2. In dieser metadiskursiven Bewertung ist eine weiteres kontrastierendes Prädikationsmuster erkennbar, das sich nicht auf einzelne Orte, soziale Akteure oder Sprachen bezieht, sondern auf (Mehr-)Sprachigkeit selbst: Diese wird auf dem einen, positiven Ende des Pols als Chance und Bereicherung charakterisiert, auf dem anderen, negativen Ende jedoch als Problem und Herausforderung (vgl. 32 in Kapitel 5). An anderer Stelle wird das Muster auf ähnliche Weise

Gruppendiskussionen

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realisiert, indem Mehrsprachigkeit gleichzeitig als Fluch und Segen dargestellt wird – diesmal jedoch auf den konkreten Sprachgebrauch, und weniger auf eine gesamtgesellschaftliche Problemlage bezogen: Und des, des is auch der Fluch der Mehrsprachigkeit, beim Anwenden, dass wenn Sie plö/ in am Vortrag stecken und, und irgendwos zu referieren ham, und Ihner foit plötzlich des · englische Wort ned ein, sondern es foit Ihner irgendans von aner ondan Sproch ein, des im Englischen goa ned klingt, weils Deutsch is und plötzlich a ondare/ oiso das is auch ein Fluch der Mehrsprachigkeit. Obwohl sie ein Segen is. (SEM1).

Die Europäische Union wird zwar insofern als mehrsprachig klassifiziert, als sie einen supranationalen Zusammenschluss von mehreren Ländern darstellt, die auf internationaler Ebene sozusagen verschiedensprachig und auf intranationaler Ebene mehr oder weniger mehrsprachig sind. Demgegenüber prophezeit bspw. SEM1 in Übereinstimmung mit mehreren DiskussionsteilnehmerInnen eine Zurückdrängung der europäischen Sprachenvielfalt zugunsten des Englischen: Olles, olles lernt Englisch! Wir werden irgendwann amal in unserer ·· [ironisch] großartigen Europäischen Union ·· – woascheinlich · Englisch reden.« Auch die Abschaffung des Postens des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit wird in diese Richtung gedeutet: Und wenn dieser Kommissar, ·· oder Kommissär, ahm ah ein Ausdruck dessen is, dass es wichtig is, dass es eine Mehrsprachigkeit in d/ in der EU gibt, dann — und den selbst abschafft— dann hod die EU gsogt: »Eigentlich brauch mas ned, mir mochn a Sproch, oder zwa, des is Deutsch und, und Englisch und Italienisch und Französisch, und aus und olle ondan solln si an die Sprachen wenden!

Weitere negative Eigenschaften, die der Europäischen Union zugeschrieben werden, sind ihre Abhängigkeit von der globalisierten Wirtschaft sowie von (widersprüchlichen) nationalen Interessen, ihre Tendenz zur Überreglementierung und ihre Bürgerferne, die sich teilweise in entsprechender EU-Skepsis der Bevölkerung niederschlage. Als positives Merkmal wird demgegenüber die Sensibilität für Mehrsprachigkeit sowie für Minderheiten hervorgehoben und werden die entsprechenden finanziellen Förderungen für Projekte in diesem Bereich gelobt. Andere Länder, Städte und Regionen werden zum Teil als Herkunfts- oder Zielländer von Migrationsbewegungen charakterisiert, zum Teil als jene Orte, an denen MigrantInnen besser integriert seien als in Österreich – darunter bemerkenswerterweise Afrika sowie mehrmals Frankreich bzw. Paris (im Gegensatz etwa zu Wien oder Traiskirchen): »Ich frag mich jetzt — das is ma so eingefallen — ·· ah Paris. ··· Wie haben das die Franzosen geschafft? ((1 s)) Die Integration von tausenden · Schwarzen, Muslims […].«

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Empirische Fallstudie

Neben den bereits genannten Berufsgruppen werden vor allem drei Gruppen sozialer Akteure einer Charakterisierung und Bewertung unterzogen: MigrantInnen/Flüchtlinge, ethnische Kollektive, Jugendliche/Kinder und einzelne Parteien/PolitikerInnen. Die genannten Berufsgruppen werden tendenziell zweigeteilt in jene Berufe, für die sprachliche Qualifikationen in der Landessprache Deutsch vonnöten sind bzw. während der Berufsausübung erworben werden können (Bedienerin, Krankenschwester, Journalist), und jene, in denen dies nicht der Fall bzw. nicht möglich ist (Abwäscherin, Disponenten, Hilfsarbeiter, Schuhverkäufer). Eine weitere Gruppe Berufsausübender wird dahingehend charakterisiert, dass diese von der Pflicht, Deutsch zu lernen (im Rahmen der Integrationsvereinbarung) ausgenommen sind (Fußballer). Ein Spezifikum stellen Lehrer dar, die als sprachlich unqualifiziert dargestellt werden, darunter Fremdsprachenlehrer, Englischlehrer und Islamlehrer, wobei letzteren mangelhafte Sprachkompetenz nicht nur in Hinblick auf den jeweiligen Unterrichtsgegenstand (klassisches Arabisch für das Fach Islamische Religion), sondern vor allem auf die Landessprache Deutsch bezogen zugeschrieben wird (vgl. Kapitel 3.2.1). Wenig Gelegenheit, um Deutsch zu lernen, und dementsprechend schlechte Deutschkenntnisse haben nach Ansicht der Diskutierenden neben Ausländern im Allgemeinen insbesondere Flüchtlinge, eingewanderte Eltern, Frauen und Mütter, wobei letzteren wie bereits zuvor diskutiert manchmal der Besuch von Deutschkursen von (männlichen) Familienmitgliedern verboten werde. Dies betreffe STW2 zufolge beispielsweise »die · Kopftuchfrau, die im/ nur in ihrer Familie lebt, ·· dies halt nicht kann · oder nicht lernen will · oder nicht lernen darf […]«. STW2 schwächt die Nomination Kopftuchfrau zwar ab, indem sie sie auf metadiskursiver Ebene als klassisches Stereotyp bewertet, sie kritisiert die Bezeichnung aber ansonsten nicht. Dass sie den negativ konnotierten, diskriminierenden Ausdruck durch ›double voicing‹ (Bakhtin 1994: 106) dennoch zitiert, gewissermaßen nicht um ihn herum kommt, lässt auf eine starke diskursive Verankerung dieses prädikativen Grundmusters (Kopftuchfrau = unwillig/unfähig zu gesellschaftlicher/sprachlicher Anpassung/ Integration) schließen. Rückständigkeit, gesellschaftliche Isolation und Defizite in der Landessprache Deutsch werden dieser kulturalistischen Prädikationsstrategie folgend nicht nur mit dem Kopftuch muslimischer Frauen verknüpft, sondern wie zum Teil bereits diskutiert mit bestimmten Berufen, einem geringen Bildungsgrad und bestimmten Herkunftsregionen (Anatolien, Türkei, Ex-Jugoslawien) in Verbindung gebracht. Dass MigrantInnen vor allem in der Studierendengruppe als sozial benachteiligt charakterisiert werden, fügt sich in das bisher gezeichnete Bild: MigrantInnen – auf sprachlicher Ebene als Patiens realisiert – werden als Opfer, manchmal auch als Sündenbock der Gesellschaft dargestellt. Sie werden

Gruppendiskussionen

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als Personengruppen konstruiert, die stark von den Umständen, in denen sie sich befinden, determiniert sind und daher selbst bei vorhandenem Willen nicht das tun können, was sinnvoll wäre (z. B. Deutschkurse besuchen). Demgegenüber werden in der WIFI-Gruppe ÖsterreicherInnen als Opfer und Benachteiligte konstruiert, diesmal jedoch als Opfer eines starken Zuwanderungsanstiegs (»[…] die Österreicher sind eigentlich in Wiener Schulen schon richtig arm«, SPK5). Das Agens der Benachteiligung wird in beiden Fällen verschleiert, sodass unklar bleibt, wer oder was genau für die benachteiligenden Umstände verantwortlich ist. Die implizit verhandelten Gründe und Ursachen für die genannten Benachteiligungen oszillieren in den Prädikationsstrategien der DiskussionsteilnehmerInnen zwischen der Herkunftskultur der Betroffenen (wie oben beschrieben) auf der einen Seite und der Aufnahmegesellschaft auf der anderen Seite (siehe Tabelle 18). Die Aufnahmegesellschaft wird beispielsweise für den Assimilationszwang von Minderheiten, für die Verweigerung von Arbeitserlaubnissen für Flüchtlinge und für Fremdenfeindlichkeit verantwortlich gemacht. Vor allem im Kontext der Diskussion um die Wahlkampfinserate wird der Verantwortungsbzw. Opfertopos herangezogen, um dem in Tabelle 18 skizzierten prädikativen Muster entsprechend MigrantInnen als Opfer zu konstruieren und der Mehrheitsgesellschaft in Teilen oder als Ganzes Schuld zuzuweisen: »Es is/ muss man nicht viel denken und ·· ja! Und es auch leichter · die Schuld für was auch immer auf Ausländer zu schieben, weil viele Ausländer, zumindest die ohne Staatsbürgerschaft, können sowieso nicht wählen […].« (STW1). Etwas später in der Diskussion präzisiert STW1, dass es ihrer Wahrnehmung nach zwar tatsächlich zuwanderungsbedingte Probleme gebe, die Ursachen dafür aber nicht bei den MigrantInnen allein zu suchen seien: »[…] Probleme. An denen jetzt nicht die Migranten an sich alleine Schuld sind, sondern die Gesellschaftsstrukturen, aber da wird meiner Meinung nach zu viel weg geschaut, dass wir zum Beispiel · sehr, sehr viele Kinder aus Ex-Jugoslawien und der Türkei haben, von denen ganz wenige Matura machen und noch viel weniger studieren.« (STW1).

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Empirische Fallstudie

Tabelle 18: Prädikationsmuster ›MigrantInnen vs. ÖsterreicherInnen‹ MigrantInnen vs. ÖsterreicherInnen (bestimmte) MigrantInnen

Position A

Position B

Opfer, Benachteiligte

von Herkunftsmilieu determiniert: bildungsfern, rückständig in Familie und kulturellreligiösen Gebräuchen verhaftet (Kopftuchfrau), sozial isoliert Defizite in der Zweitsprache Deutsch, mehrsprachig aufgrund eines Migrationshintergrundes Opfer, Benachteiligte

der Mehrheitsgesellschaft ausgeliefert Assimilationsdruck ausgesetzt, marginalisiert

(bestimmte) ÖsterreicherInnen

von Herkunftsmilieu determiniert: bildungsfern, eingeschränkte Sichtweise (kleiner Mann) einsprachig aufgrund geringer fremdsprachlicher Bildung, Defizite in der Muttersprache Deutsch, DialektsprecherInnen fremdenfeindlich, FPÖWählerInnen

der starken Zuwanderung ausgeliefert, geraten in die Minderheit (bspw. an Wiener Schulen)

Überfremdung ausgesetzt

Im untersuchten Diskurs steht weniger die Abgrenzung einer als homogenen konstruierten und positiv charakterisierten Gruppe der Österreicher von einer negativ evaluierten Gruppe von Nicht-Österreichern im Vordergrund, sondern vielmehr die Differenz zwischen bestimmten Österreicher-Gruppen und bestimmten Ausländer-Gruppen. Wie bereits erwähnt grenzen sich vor allem die Studierenden als ÖsterreicherInnen von anderen Teilen der österreichischen Bevölkerung ab, die etwa als fremdenfeindlich, bildungsfern oder einsprachig dargestellt werden. Am stärksten wirkt die Abgrenzung zwischen einer österreichischen Wir-Gruppe und einer nicht-österreichischen Fremdgruppe demgegenüber bei den WIFI-TeilnehmerInnen, die ÖsterreicherInnen als Opfer – eines starken Zuwanderungsanstieges – beklagen oder den Status von eingebürgerten Personen als echte ÖsterreicherInnen, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes mehrsprachig sind, in Frage stellen: »[…] die meisten ·· Österreicher — sogenannten Österreicher — sind mehrsprachig.« (SPK4). Durch das metasprachlich gebrauchte Adjektiv sogenannt wird die nachfolgende Nomination Österreicher abgeschwächt und deren Zutreffen in Zweifel gezogen – eine ähnliche Prädikationsstrategie, wenngleich sozusagen unter

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Gruppendiskussionen

umgekehrten Vorzeichen, findet sich in der Studierendengruppe, wo STM2 eine ethnische Gruppe nicht als homogen, sondern als inhomogen zu konstruieren versucht: »Weil die sogenannten Türken sind keine. Sondern Osseten oder Abchasen oder ((unverst.)).« Die Charakterisierung des Kollektivs der NichtÖsterreicherInnen wiederum erfolgt dem Differenzierungsschema ›guter‹ Ausländer vs. ›schlechter‹ Ausländer : »Also ess/ ich mein, es gibt in Österreich auch solche und solche. Also/ ((2 s)) um was da meistens so in den Wahlkämpfen geht, u/ und was meistens diskutiert wird, sind eben · die schlechten.« (SPK4). In einem Statement von STW1, das ihrem zuvor zitierten Redebeitrag unmittelbar voran geht, kommt eine weiteres Prädikationsmuster zum Einsatz, das in Bezug auf politische Akteure, insbesondere an der Schnittstelle zum Diskurs über Migration, eine maßgebliche Rolle spielt: Aber ich find, das Thema wird in allen Parteien falsch angegangen. Es gibt nur diese zwei Pole, es gibt nur ›Alle Ausländer sind furchtbar und wollen sich nicht integrieren‹ und dann gibt’s wieder von den Grünen, die ich sehr schätz und meist auch wähl/ jetzt macht ma schon auch wieder in Richtung ›Alles is super, es gibt gar keine Probleme.‹ Und so was is ja auch wieder nicht, weil es gibt schon Probleme.

Das Prädikationsmuster, das dieser Aussage zugrunde liegt, basiert auf der Unterscheidung zwischen (1) jenen politischen Kräften, die bestimmte Probleme (das Ausländerproblem, aber auch das Sprachenproblem, SEM2) negieren und schönreden (negative Evaluation) bzw. differenziert und ausgewogen, mit Sensibilität behandeln (positive Evaluation), und (2) jenen, die sie identifizieren und lösen (positive Evaluation) bzw. hochschaukeln und instrumentalisieren (negative Evaluation). Eine tabellarische Darstellung dieses Prädikationsmusters, das auf der Charakterisierung politischer Akteure aufgrund ihres Umgangs mit gesellschaftlichen Problemen beruht, erfolgt in Tabelle 19. Tabelle 19: Prädikationsmuster ›Politische Akteure‹ Politische Position A Akteure Positive Probleme differenziert, ausgewoEvaluation gen, sensibel behandeln (Pragmatismus, Konsens, Kompromisse) Negative Probleme negieren und schönreden Evaluation (›Gutmenschentum‹, ›politische Korrektheit‹)

Position B Probleme identifizieren und lösen (Realismus, ›Law and order‹, ›hart durchgreifen‹) Probleme hochschaukeln und instrumentalisieren (Rechtspopulismus, Xenophobie)

Dieses Prädikationsmuster verweist auf eine für den Diskurs über (Mehr-) Sprachigkeit typische Polyphonie: Die DiskursteilnehmerInnen nehmen auf zahlreiche Stimmen Bezug, indem sie gewissermaßen in Form von Meta-Prädikationen sozialen AkteurInnen Bewertungen zuschreiben und diese Bewer-

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Empirische Fallstudie

tungen wiederum bewerten. Im oben veranschaulichten Fall bewerten die Diskutierenden die Evaluation gesellschaftspolitischer Probleme durch politische Akteure vorwiegend negativ : Probleme werden in der Wahrnehmung der Diskutierenden von PolitikerInnen bzw. Parteien entweder schöngeredet (Grüne) oder hochgeschaukelt (FPÖ). Neben MigrantInnen im Allgemeinen und den autochthonen Minderheiten in Österreich werden häufig bestimmte Gruppen von Nicht-ÖsterreicherInnen als zwei- oder mehrsprachig bezeichnet: Zum einen betrifft dies insbesondere ›Türken‹ als die meistgenannte Gruppe von MigrantInnen und zum anderen die Bevölkerung in Nachbarländern wie Slowenien, Ungarn oder Tschechien, die den Diskutierenden zufolge neben ihrer Muttersprache zumeist auch Deutsch beherrschen. Hierbei tritt öfter der Fall ein, dass die Deutschkenntnisse der in Österreich lebenden MigrantInnen kritisiert und diejenigen der Menschen aus den Nachbarländern gelobt werden, als umgekehrt. SEM2 hebt die tschechische Minderheit hervor, die er als nationalbewusst einstuft und als Gruppe mit zahlreichen Institutionen in Österreich (Schulen, Vereine, Heime) charakterisiert sowie als Menschen, die früher bestens Deutsch gekannt haben, während die Tschechen heute »etwas, bissal · reserviert gegenüber der deutschen Sprache« seien. Auch die Gruppe der Deutschen findet besondere Erwähnung, und zwar hinsichtlich der Beziehung zwischen österreichischem Deutsch und bundesdeutschem Deutsch. In einer abermaligen historischen Betrachtung charakterisiert SEM2 die Deutschen als diejenigen, die 1938 mit dem Anschluss an das nationalsozialistische Deutsche Reich einen Sprachbruch herbeigeführt haben. Als Beispiele für Fremdworte, die vor 1938 im österreichischen Deutsch üblich gewesen wären, nennt SEM2 Trottoir (statt Gehsteig), Lavoir (statt Waschbecken) und Kinooperateur (statt Bildwerfmeister).

An einer anderen Stelle werden Deutsche mit dem österreichischen Tourismus in Zusammenhang gebracht. Deutsche werden hierbei sowohl als eine zahlenmäßig stark vertretene Touristengruppe charakterisiert als auch als ArbeitnehmerInnen im touristischen Sektor, die beispielsweise in Tirol zu einem stärkeren Gebrauch

Gruppendiskussionen

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des bundesdeutschen Deutsch sowie zu einer Vermischung beitragen: »Aiso es gibt ja scho so eine Vermischung, ja? Aiso · in Tirol arbeiten ja im/ in den Hotels fost nur Deutsche. Und die sprechen dort natürlich ihre deutschen Ausdrücke, ja? Und da kommen a so vü deutsche Touristen.« (SEW2). Deutsche werden darüber hinaus nicht nur als diejenigen charakterisiert, die das österreichische Deutsch weder verstehen noch beherrschen, sondern die SPK4 zufolge zudem ein ignorantes und arrogantes Verhalten gegenüber dem österreichischen Deutsch an den Tag legen: Es weiß a jeder, was damit gmeint ist, egal obs so gschriebn oder so gschriebn,/ oja, die Deutschen ((grinsend)) wissen nicht, was sie mit die österreichischen Ausdrücke anzufangen sollen, hab ich schon oft mitbekommen, aber ((1 s)) einfach aus dem Grund, weils eana scheißegal is, wenn sies ned verstehen, · da rein, da raus. ((Handgeste vom einen Ohr zum anderen)) ›Wir sind was Besseres.‹ ((2 s)) Ja, das is so! (1 s)) So hab ich das Gfühl, egal mit wem ich gesprochen und unsere Ausdrücke verwend,/ ·· kennens nicht. ·· Und warum? ›Interessiert mich nicht.‹ ›Ja warum? Wir wissen ja eure auch.‹

Die zweite Gruppe sozialer Akteure, die in sprachlicher Hinsicht charakterisiert werden, sind Kinder und Jugendliche. Diese werden vorrangig als SchülerInnen bzw. Lernende konstruiert, denen bestimmte Eigenschaften wie abnehmende Deutschkenntnisse und zunehmende Englischkenntnisse zugeschrieben werden. Vor allem die Studierenden stellen junge Leute, zu denen sie sich vermutlich selbst zählen, als zunehmend mobil und englischsprachig dar: »Aber gleichzeitig glaub ich, dass nebenbei ganz natürlich passiert, dass vor allem junge Leute, die vielleicht auf ERASMUS gehen oder sonst auch irgendwie herum reisen, dass, dass die ganz natürlich Englisch vor allem können, und Englisch is halt einfach · wahrscheinlich die einfachste Sprache am Kontinent.« (STM3). Auch Kinder lernen den Diskutierenden zufolge immer mehr Sprachen, sei es an der Schule oder in der Familie. Einerseits sei dies zwar günstig, weil man besser Sprachen lerne, je jünger man sei, wie mehrere TeilnehmerInnen unabhängig voneinander darlegen. Andererseits ist SPK4 dem frühen Fremdsprachenlernen gegenüber skeptisch eingestellt, wie sie aufgrund eigener Erfahrungen mit ihrem Sohn berichtet: […] es hat absolut keinen Sinn ghabt, er hat das Englisch überhaupt ned angnommen und ich habs auch gsehen bei anderen Kindern, im Kindergarten, es nimmt kein Kind an. Also die zweieinhalbjährigen Hasen ist viel zu früh….Ich sag mit drei, vier: Okay. ·· Aber alles davor ist viel zu früh. Und da sollten uns unsere gewissen ·· Herren der Politik noch mal drüber nachdenken, weil · das ist zu früh. Die Zweieinhalbjährigen, wenn sies vorher scho a bissl gwohnt sind, von daheim her oder was oder a Unterstützung von daheim bekommen, (da is es) — vor allem wenns später dran sind mitm Reden oder was — dann redens ein wirres Zeug daher und mischen das Englisch und Deutsch und ma verstehts überhaupt nimma und weiß überhaupt nicht mehr, was sie wollen. (SPK4)

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Empirische Fallstudie

In dieser Einschätzung wird die Vorstellung von Sprachen, als jeweils homogene und geschlossene Entitäten deutlich – aufgrund dieser Prämisse wird das Mischen von Sprachen während des Spracherwerbs als negativ bewertet und das frühe Fremdsprachenlernen als Überforderung dargestellt. Die Charakterisierung von Sprache(n) erfolgt in engem Zusammenhang mit den oben angeführten Prädikationsstrategien in Bezug auf soziale Akteure und Orte – vereinfacht gesagt steht hierbei vor allem die Frage im Mittelpunkt: Wer spricht welche Sprachen wo? Daneben wird von einer Reihe weiterer, nicht weniger relevanter Prädikationsstrategien Gebrauch gemacht, die u. a. auf folgenden Merkmalskriterien beruhen: Prestige, Lernbarkeit, Status (z. B. als Verkehrssprache oder Minderheitensprache), Nützlichkeit und Wichtigkeit von Sprache(n). Wie bereits erwähnt, wird in den Gruppendiskussionen vor allem die Rolle des Englischen sowie des Deutschen diskutiert, einen geringeren Anteil machen andere Sprachen, Varietäten und Dialekte aus. Englisch wird als internationale ›Lingua franca‹ charakterisiert, die auch auf der europäischen Ebene aufgrund natürlicher Entwicklungen den Status einer de facto-Verkehrssprache eingenommen hat und die Wissenschafts- und Wirtschaftssprache schlechthin darstellt. Immer wieder wird betont, dass bereits sehr viele Menschen Englisch beherrschen oder es lernen (sollten), auch die TeilnehmerInnen selbst möchten eigenen Angaben zufolge (noch) besser Englisch können. Darüber hinaus wird das Englische als Unterrichtssprache, als erste Fremdsprache bzw. schulischer Unterrichtsgegenstand, als Reisesprache und als Kommunikationssprache sowie als Sprache der (internationalen) Politik bezeichnet. Kontroversiell wird diskutiert, ob Englisch tatsächlich eine so einfach zu erlernende Sprache ist, wie von STM3 (siehe oben) angesprochen wird – vor allem der Sprachwissenschaftsstudent STM2 meldet aus linguistischer Sicht seine Bedenken gegen diese Sichtweise an. In Kontrast zu den dominant positiven Charakterisierungen wird die Rolle des Englischen vergleichsweise selten dahingehend kritisiert, dass sie die Entwicklung zu einer Einsprachigkeit in der EU begünstige bzw. die Bedeutung anderer Sprachen schwinden lasse. Die Dynamik des Englischen könnte sich einigen Diskutierenden zufolge zudem insofern negativ auswirken, als sie zu einer unerwünschten Vermischung von Sprachen – einem Mischmasch(deutsch) – oder einer Fragmentierung in mehrere, untereinander unverständlicher (Pidgin-)Varietäten des Englischen führen könnte. Noch positiver wird die Sprache Deutsch charakterisiert, der in der Darstellung der DiskussionsteilnehmerInnen ein herausragender Stellenwert als Mutter-, Eltern- bzw. Familiensprache zukommt und den meisten auf die eine oder andere Weise wichtig für ihre eigene Identität ist. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass Deutsch häufig als unsere Sprache tituliert wird oder als jene Sprache, die einem bzw. einer nah ist. Deutsch erschließe zudem als Kommunikationsmittel nicht nur den deutschsprachigen Raum, sondern stelle ein »Tor in den Westen«

Gruppendiskussionen

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(SEW3) dar – beispielsweise aus Sicht Polens, wo »Kurse für deutsche Sprache boomen« (SEW3). Einen gewissen Stellenwert nehme Deutsch nach wie vor als internationale Wirtschaftssprache bzw. für die Berufsausübung auch außerhalb des deutschsprachigen Raums ein. Deutsch wird mehrheitlich als wichtig für die Nachbarländer Österreichs eingestuft, nur SEM2 glaubt, dass diese Rolle des Deutschen zunehmend vom Englischen abgelöst werde. Wie bereits dargestellt, verknüpfen viele der Diskutierenden Deutschkenntnisse mit einer erwünschten Integration bis hin zu Anpassung von MigrantInnen in Österreich, wenngleich das Erlernen des Deutschen für diese Gruppe – sowohl aufgrund der Komplexität der Sprachstrukturen als auch aufgrund erschwerender Faktoren aufseiten der Aufnahme- und Herkunftsgesellschaft – mitunter schwierig sei. Unter den Einzelsprachen wird neben den autochthonen Minderheitensprachen öfter auf das Französische, als internationale bzw. europäische Verkehrssprache und Unterrichtsgegenstand sowie auf das Türkische Bezug genommen. Letzteres wird mit MigrantInnen und mit muttersprachlichem Unterricht sowie mit IslamlehrerInnen in Verbindung gebracht, zudem wird es als eine Sprache beschrieben, die bei ÖsterreicherInnen Aggressionen auslösen könne. Daneben werden vereinzelt andere Sprachen charakterisiert, darunter ›unwichtige‹ bzw. ›wenig verbreitete‹ und ›kaum nützliche‹ Sprachen (Latein, Slowenisch, Ungarisch), vom Aussterben bedrohte Sprachen (Sorbisch, Manx, Kornisch, Ladinisch, Estnisch, Slowenisch), stark identitätsstiftenden Sprachen (Bretonisch, Baskisch, Galizisch), eine schwierig zu erlernende Sprache (Ungarisch), eine leicht zu erlernende Sprache (Schwedisch) und eine mit dem Deutschen eng verwandte Sprache (Jiddisch). Betrachtet man die Charakterisierung von Dialekten durch die Diskutierenden, so scheinen Dialekte auf einer allgemeinen Ebene vor allem als Mittel der Auszeichnung und Abgrenzung gegenüber anderen Dialekten, Varietäten und Sprachen zu dienen. Der Gebrauch von Dialekten wird vorwiegend positiv beschrieben, etwa als schön, interessant, »sprachlich für mich wichtig« (STW4) oder als ›authentisch‹. Im Fall von mangelnden Kenntnissen – und dies scheint eine dialektspezifische Prädikationsstrategie zu sein, – könne der Gebrauch von Dialekten aber auch künstlich oder ›komisch‹ wirken: Und mitm Wienerisch is es so ähnlich, aiso ich versteh Wienerisch, aiso ich glaub, ich versteh auch das ärgste, tiafste Wienerisch, ((lachend; mehrere Diskutierende lachen, grinsen)) aber wenn ich selber red, is es irgendwie künstlich, aiso · ja. (STW3) Ich versteh die Dialekte, aber wenn ich sie sprech, lacht mich jeder aus. (STW1) Hat in der Türkei gewohnt, lebt in Bayern, ·· kann Bruchteile Türkisch, ··· aber wenn er was (kann), dann mischt er die Bruchteile Türkisch was er aufn bayrischen Dialekt, göttlich! (SPK4)

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Empirische Fallstudie

Dialekte stellen in den Augen mehrerer Diskutierender ein Zugehörigkeitsmerkmal dar, dem man sich in der konkreten Interaktion je nach Sprechsituation möglichst anpassen sollte. Auch im umgekehrten Fall, dass GesprächspartnerInnen den eigenen Dialekt nicht verstehen, sollte man auf die Hochsprache und den ortsüblichen Dialekt wechseln: ((2 s)) Na ich sag amal der Dialekt macht (schon) viel aus, weill ··· wenn ich in Kärnten binn, schlag ich sicherlich nicht den Wiener Dialekt ein […]. (SPK4) […] damals, hab i mi scho a bemüht, dass i in kürzester Zeit den Dorfdialekt kenn. Nach, nach vier Wochen Urlaub, nach vier Wochen Urlaub hab i gred wie de, wie de Bauernkinder. Des hod ma gfoin! Irgendwie. (SEW1) […] und wenn ich mit ihm in die Steiermark fahr — in ein kleines Dorf noch dazu — / dort reden alle Dialekt, da fällt ma furchtbar auf, wenn man keinen Dialekt redet. Und ich versuch jetz eh das immer mehr · ein bisschen auch anzunehmen, aber ·· das is was/ ein, ein Teil, der mir fehlt, den ich gern auch hätt, nicht das ausschließlich DialektKönnen, sondern als Wahlmöglichkeit. Wo ich das Gfühl hab, das fehlt mir und das trennt mich ein bisschen · von andern Österreichern, die das schon können. Insbesondere von denen die bildungsferner sind (in ihrem Land). Mit denen ich dann vielleicht auch gern mal reden möchte, im Heurigen oder so, wo ich sofort auffall alss irgendwie anders und nicht dazu gehöre. (STW1)

Am letzten Zitat wird deutlich, dass in den Vorstellungen der DiskutantInnen nicht jeder Mensch, der eine Sprache spricht, auch einen Dialekt beherrscht. Während bei STW1 das Bedauern darüber vorherrscht, dass sie keinen Dialekt redet, vermisst STW4 in bestimmten Situationen, wo dies nicht geboten scheint (z. B. in Wien oder in Interaktion mit Deutschen), die Möglichkeit, Steirisch oder Grazer Dialekt zu reden. Wenngleich die Diskutierenden Dialekte als überwiegend positiv, manchmal als explizit förderungswürdig darstellen, kommen vor allem in den zuletzt zitierten Schilderungen der Studierenden auch negative Aspekte zum Vorschein: So werden Dialekte etwa nicht nur mit dem Sprachgebrauch in der Familie, sondern auch mit sozial niedrigen (tiafste Wienerisch) bzw. bildungsfernen Schichten in Zusammenhang gebracht, oder im Fall des Wienerischen mit undeutlichem Sprechen assoziiert (STM1). Vor allem die SeniorInnen bedauern, dass Wienerisch zu wenig gesprochen werde, während die Studierenden eher nicht glauben, dass das Wienerische verloren geht (STM1) bzw. untergeht (STM3), oder dass man es konservieren soll (STM3). SEM1 charakterisiert Dialekte am Beispiel des Wienerischen zudem als Ursprachen, die zu den heutigen Sprachen zusammengewachsen sind bzw. sich »durch die (Dichterlinge) und durch die die Schriftgelehrten« zu Hochsprachen entwickelt haben. Als etymologischen Beleg führt er hierfür die Ähnlichkeit des Wortes Seife im Wienerischen (Soaf) und im Englischen (soap) an.

Gruppendiskussionen

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Die Diskutierenden stellen in ihren Prädikationsstrategien vereinzelt sprachphilosophische Überlegungen an, die sich nicht auf Einzelsprache, sondern auf das Wesen von Sprache im Allgemeinen (im Sinn von ›langage‹) beziehen. In Hinblick auf Sprachwandel und Spracherhalt wird wie bereits erwähnt von einigen die These vertreten, dass »Sprache nicht wirklich konservierbar« (STM3) ist bzw. »dass sich gewisse Sprachentwicklungen nicht aufhalten lassen, auch nie auflassen/ ah aufhören/ aufhalten lassen werden […].« (STW4). Ebenfalls ausführlich diskutiert wird in Zusammenhang mit dem ersten Impuls-Zitat86 die Frage, ob tatsächlich erst die Sprache einen Menschen zum Mensch macht. Diese These wird von einigen TeilnehmerInnen insofern zurückgewiesen, als sie im Umkehrschluss (STW3) dazu missbraucht werden könnte, bestimmte Personengruppen als ohne Sprache (STW3) zu brandmarken. So könnten etwa Gehörlose, die keine Gebärdensprache erlernt haben, vom Menschsein ausgeschlossen und zu Unmenschen, zu Nicht-Menschen oder zu Tieren degradiert werden, wie etwa STM2 meint, der die These dementsprechend mit nationalsozialistischem Gedankengut in Verbindung bringt. Sprache wird dennoch etwa von SEM1 als Hauptkommunikationsmittel eingestuft, über das Tiere mit ihrer Lautkommunikation nicht in gleicher Weise verfügen, zudem setzt er sie mit Kultur gleich: »Sprache ist Kultur«. Gebärdensprache wird von SEM1 als potentiell »allumfassende[n] Sprache für alle Länder« charakterisiert, da Gebärdensprache nicht auf Worte, sondern eben nur auf Gebärden angewiesen sei, womit SEM1 vermutlich eine stärkere Interkomprehensibilität von Gebärden im Vergleich zu Worten unterstellt. Lediglich SEW2 verweist darauf, dass die Charakterisierung von SEM1 nur auf eine internationale Gebärdensprache zutreffen könne, da es unterschiedliche Gebärdensprachen gebe, bspw. »a österreichische Gebärdensprache und a amerikanische« (SEW2). Auch metaphorische bzw. metonymische Charakterisierungen von Sprache lassen sich beobachten: Im obigen Zusammenhang werden Gebärdensprachen von SEM2 etwa als potentielles »Esperanto der Hände« charakterisiert, während STM1 und STW1 Sprache ausdehnen auf »Kommunikation durch, durch Kleidung und durch durch den Konsum verschiedener Zeitungen« (STM1) oder Gestik, Mimik und Kunst (STW1), die allesamt genauso identitätsbildend seien wie Sprache im engeren Sinn. Weiterer Anlass für sprachphilosophische Überlegungen ist die Thematisierung des Verhältnisses zwischen Sprache und Denken: Häufig wird hierbei, im Sinn des sprachlichen Relativitätsprinzips (›Sapir-Whorf-Hypothese‹), von einer wechselseitigen Beeinflussung von Sprache und Weltbild bzw. kulturellem 86 »Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität.« (Europäische Kommission 2005).

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Empirische Fallstudie

Verständnis ausgegangen: »Weil dann seh auf einmal das von der andern Seite. Von · total andern Denkschemata, da merk ich, wie konstruiert unsere Kultur eigentlich is. […] Da hast du sozusagen · a ›französisches Gehirn‹ oder so. ((lacht))« (STM2). STW4 meint in Hinblick auf die »Unterscheidung zwischen ›Konfitüre‹ und ›Marmelade‹«, die im österreichischen und im bundesdeutschen Deutsch unterschiedlich ausfällt (vgl. Kapitel 3.2.1 zum ›Marmeladenstreit‹), dass »Sprache ja schon auch viel mit Weltbild z/ mit Verständnis von der Welt zu t/ zu tun« hat, »weil du änderst dein Weltbild«. Lediglich SEM1 geht davon aus, dass das Denken der Sprache vorgelagert ist, wie er mehrmals den Diskutierenden zu erklären versucht: »Und da meine ich, des is wirklich mein/ meine Idee, dass man in gar keiner Sprache denkt. Denn, was auf uns zukommt, sind · Eindrücke, die sich bei uns als Assoziation, oiso als Eindruck in unserem Gehirn, niedersetzen.« Wenngleich offenbar die meisten TeilnehmerInnen den sprachphilosophischen Überlegungen von SEM1 weder folgen noch zustimmen können, so kann man diesen doch entnehmen, dass SEM1 zufolge Gedanken (Assoziationen bzw. Gedankengut) gewissermaßen erst nachträglich in Sprache assimiliert bzw. übersetzt werden müssen – konsequent weitergedacht, würde dies bedeuten, dass Gedanken zumindest am Ort ihres Ursprungs von Sprache unbeeinflusst bleiben.

4.1.2.2.3. Argumentationsstrategien Argumentation stellt einen maßgeblichen Bestandteil eines jeden Diskurses dar (vgl. Kapitel 2.5.2) – so auch im Fall des untersuchten Diskurses über Sprache im sprachenpolitischen Kontext, wo Argumentationsstrategien zur diskursiven Konstruktion von Sprache beitragen und im Zuge der Topos-Analyse Aufschluss über Sprachideologien zu geben vermögen. Wie schon bei den Nominationsund Prädikationsstrategien wurde auch bei den Argumentationsstrategien der Versuch unternommen, vor allem sprachbezogene Topoi mit Hilfe von MAXQDA über mehrere hierarchische Stufen durch Makro- und Subcodes zu klassifizieren und mit den jeweiligen Textstellen im Korpus zu verlinken (zu ›codieren‹). Hierbei wurde einerseits auf bisherige Topos-Analysen und Schlussregeldefinitionen zurückgegriffen, andererseits wurden auch neue Kategorisierungsversuche vorgenommen – letztere insbesondere in Hinblick auf sprachbezogene Argumentationsstrategien. Wenngleich die Zuteilung von Topoi in Über- und Unterkategorien aufgrund des häufigen Ineinanderwirkens verschiedener Topoi keine unumstößliche Klassifikation und insbesondere keinen Ersatz für bisherige kontextabstrakte bzw. formale Klassifikationsmodelle (vgl. Kienpointner 1992) darstellen kann, so vermag sie doch einen Überblick über die Bündelung bestimmter kontextspezifischer Topoi zu nicht rein formal festgelegten Argumentationsmustern auf einer Makroebene zu geben.

223

Gruppendiskussionen

Auf einer solchen Makroebene haben sich folgende fünf Überkategorien für Topoi herauskristallisiert (vgl. Blackledge 2005: 67 ff.): Homogenität, Quantität, Nutzen und Gerechtigkeit sowie Verantwortung. Tabelle 20 gibt das Codesystem für die Argumentationsstrategien bzw. Topoi sowie die Anzahl der Codierungen im Korpus der Gruppendiskussionen wieder. Tabelle 20: Argumentationsstrategien – Codesystem und Codierungshäufigkeit (Gruppendiskussionen) Makrocode

Subcode 1

Subcode 2

Homogenität

Topos der sprachlichen Homogenität Topos der kulturellen Homogenität Topos der Anpassung

Kulturtopos, Topos der Sprachtradition

Topos der Sprachverbreitung Zahlen- bzw. Kostentopos Topos der Nutzen sprachlichen Weiterbildung Topos der beruflichen Qualifikation Gerechtigkeit Topos der sprachlichen Identität Topos der sprachlichen Ebenbürtigkeit Verantwortung Topos der Selbstverantwortung Topos der Verantwortung

Quantität

Anzahl der Codierungen Topos der Sprachvermischung, 45 Topos des Sprachniveaus

Topos der gesellschaftlichen Anpassung, Topos der sprachlichen Anpassung, Topos der Landessprachkenntnisse 34

6

4

3

Wie aus der obigen Aufstellung ersichtlich wird, wurden Topoi der Kategorie Homogenität und der Quantität besonders häufig codiert, während die übrigen drei Makrocodes in der Analyse der Gruppendiskussionen seltener zum Einsatz gekommen sind. Dieses Ergebnis korrespondiert auf einer oberflächlichen Ebene mit der Beobachtung, dass Sprachen häufig als abgeschlossene, in sich homogene und

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Empirische Fallstudie

zählbare Entitäten wahrgenommen werden (vgl. Makoni/Pennycook 2007a: 2 und 11 f.). Über die quantitativen Befunde hinausgehend sind für die Argumentationsstrategien aber vor allem die Schlussregeln der einzelnen Topoi maßgeblich, die im Folgenden sowohl für die Makro- als auch die Subcodes angeführt und anhand des vorliegenden Sprachmaterials in ihrem diskursiven Gesamtzusammenhang betrachtet werden sollen. – Homogenität: »Je homogener Elemente in einem System in relevanten Bereichen sind, desto weniger konfliktanfällig ist dieses System/desto besser funktioniert dieses System.« Homogenität stellt ein zentrales Konzept für all jene Argumentationsstrategien im Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit dar, die auf ›Commonsense‹-Vorstellungen bzw. Prämissen rund um Sprache, Kultur und Anpassung kreisen. Am deutlichsten kommt dies im Topos der Sprachvermischung zum Vorschein, wonach bestimmte Probleme entstehen, wenn unterschiedliche Sprachen verwendet, erlernt oder eben vermischt werden. Dies betrifft nicht nur Phänomene des Sprachwandels, etwa den Einfluss von Anglizismen auf das Deutsche (vgl. Spitzmüller 2005b). Vielmehr steht bei diesem Topos der Erfolg von Spracherwerb und Sprachgebrauch im Mittelpunkt, der mehreren TeilnehmerInnen in den Gruppendiskussionen durch das Mischen von Sprachen, d. h. durch die Zerstörung ihrer Homogenität, gefährdet scheint. Beispiele für den Gebrauch des Topos in Zusammenhang mit Spracherwerb von Kindern wären die Skepsis von SPK4 gegenüber dem frühen Fremdsprachenlernen (»… dann redens ein wirres Zeug daher und mischen das Englisch und Deutsch und ma verstehts überhaupt nimma«) und das von SEM1 konstatierte Mischmaschdeutsch in Kindergarten und Schule. In Bezug auf Sprachgebrauch (unter Erwachsenen) besagt der Topos, dass Kommunikationsbarrieren oder Missverständnisse auf der Ebene interpersonaler Interaktion entstehen, wenn GesprächsteilnehmerInnen nicht (a) die gleiche oder (b) eine gemeinsame Sprache sprechen. Fall (b) wird von den Diskutierenden beispielsweise in Hinblick auf die EU-Amtssprachenregelung und die Rolle von Englisch als de facto-Arbeitssprache bzw. Verkehrssprache diskutiert: »Wir wollen das erreichen, wir wollen miteinander kommunizieren und ··· um irgendwas zu erreichen und do muss ma eben · irgend/ irgendeine Sprache auswählen und · können nicht alle dreiundzwanzig Sprachen (auswählen).« SPK3 lässt hingegen keinen Zweifel daran, dass sich ›die gleiche Sprache‹ in Fall (a) auf die gleiche Muttersprache bezieht, dass es also im Umkehrschluss »verschiedene Muttersprachen« sind, die zu Verständnisproblemen führen: »Ah ··· wenn ma jetzt ·· verschiedene Muttersprachen hat, tut man sich relativ schwer, dass man untereinander sich versteht.« Das zuletzt gebrachte Beispiel führt uns zum Konzept der Muttersprache (vgl. Doerr 2009; Train 2009b), von dem die Sprachideologien der Teilnehmenden

Gruppendiskussionen

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besonders stark geprägt sind. In den auf Homogenität basierenden Argumentationsstrategien schlägt sich dieses Konzept insbesondere im Topos des Sprachniveaus nieder, wonach einzelne Sprachen (seltener Varietäten und Dialekte) als jeweils homogene Entitäten unterschiedlich gut beherrscht werden können, wobei gilt: Je eher eine Person über eine muttersprachlichen Kompetenz in dieser Sprache verfügt, desto besser beherrscht sie diese Sprache. Diese Vorstellung folgt dem Ideal des ›Native Speaker‹, und ist in den Darstellungen der GruppendiskussionsteilnehmerInnen auch für die Definition von Mehrsprachigkeit maßgeblich. Mehrsprachigkeit stellt in diesem argumentativen Zusammenhang eine numerische Erweiterung des Konzepts der Muttersprache dar, gewissermaßen eine ›Muttersprachigkeit‹ im Plural. Die Regel, wonach normalerweise jeder Mensch nur eine Muttersprache hat, erhält auf diese Weise einen modifizierenden Zusatz, der das Konzept der Muttersprache aber nicht außer Kraft setzt, sondern im Gegenteil fortschreibt: Die Schlussregel »Wenn eine Person eine Sprache auf muttersprachlichem Niveau beherrscht, ist sie ein ›Native Speaker‹« wird zu folgendem Topos erweitert: »Wenn eine Person mehrere Sprachen auf muttersprachlichem Niveau beherrscht, ist sie ›mehrsprachig‹.« Sprache als homogene Einheit wird in vielen Fällen mit einer ebenso einheitlich gedachten Kultur verknüpft. Sprache erscheint als ein wichtiges Merkmal von Kultur, wenn nicht gar als das Hauptmerkmal schlechthin (vgl. erstes Impuls-Zitat87). In vielen argumentativen Zusammenhängen steht hierbei die Prämisse im Mittelpunkt, dass das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen zu Problemen führt und deshalb die Einheit der je eigenen Kultur zu schützen ist. Als weiteren Homogenitätstopos lässt sich daher der Kulturtopos mit folgender Schlussregel sprachbezogen spezifizieren: »Wenn MigrantInnen aus dem gleichen Herkunftsland im Zielland Gruppen bilden und mit Gruppen von MigrantInnen anderer Herkunft aufeinandertreffen, führt dies aufgrund deren unterschiedlicher Kultur/Herkunft/ Muttersprachen zu Konflikten/Streit/ Problemen zwischen diesen Menschen/Gruppen.« Hervorhebenswert an diesem Topos erscheint, dass nicht nur die Verschiedenartigkeit zwischen Herkunftsund Mehrheitskultur als Quelle von Problemen angesehen wird, sondern auch die Verschiedenartigkeit von Herkunftskulturen in der gleichen Mehrheitsgesellschaft, sodass etwa Immigrantengruppen als ›per se‹ untereinander zerstritten (STM2) dargestellt werden können. Sprachen sind demnach in ihrer Homogenität vor Einflüssen durch andere Sprachen, aber auch aufgrund kultureller Tradition zu schützen, und nicht nur wegen Problemen wie sozialen Konflikten, Verständigungsproblemen und 87 »Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität.« (Europäische Kommission 2005).

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Empirische Fallstudie

Sprachentwicklungsstörungen, die angeblich aus Inhomogenität resultieren. So meint etwa SPK4 in Bezug auf spezifisch österreichische Ausdrücke, wie sie im Protokoll Nr. 10 festgehalten sind: »Ich sag amal, es is doch irgendwo Tradition und von unseren Vätern, Urgroßvätern und weiß Gott was alles, ·· irgendwie hat sich da eingebürgert und das ghört zu Österreich einfach. So wie teilweise des Dirndl auch zu Österreich ghört.« Diese Argumentationsstrategie könnte man als Topos der Sprachtradition folgendermaßen definieren: »Wenn bei den Vorfahren eines Landes ein bestimmten Sprachgebrauch üblich war und somit zur Tradition in diesem Land wurde, ist dieser Sprachgebrauch zu schützen/zu fördern/zu erhalten.« Die Kombination von Kultur- und Anpassungstopos stellt wohl eine der am weitesten verbreiteten und bekanntesten Argumentationsstrategien dar, die auf Homogenität basieren und an der Schnittstelle zum Zuwanderungsdiskurs Gebrauch finden. Beim Topos der gesellschaftlichen Anpassung wird davon ausgegangen, dass die kulturelle Anpassung von MigrantInnen an die Mehrheitsgesellschaft die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben ohne Gefahr für das Gemeinwohl darstellt. Die explizite oder implizite Forderung nach gesellschaftlicher Anpassung wird mit der Integration von MigrantInnen zu rechtfertigen versucht, die zumeist als Anstrengung aufseiten der Zugewanderten eingemahnt wird, wenn etwa von sich integrieren, integrationswillig oder integrationsfähig die Rede ist. Die dahinter stehende Schlussregel lautet: »Wenn sich eine Person als AusländerIn an die Kultur bzw. Werte und Regeln der Aufnahmegesellschaft anpasst, ist sie im Beruf erfolgreich/ist sie eine integrierte/eine gute, keine schlechte AusländerIn.«88 Während Kultur sowie Regeln und Werte zumeist relativ abstrakte Konzepte bleiben, die nur punktuell etwa im Sinn von Erwerbsarbeit, Gesetzestreue oder Nicht-Straffälligkeit konkretisiert werden, vermag der sprachspezifische Anpassungstopos wesentlich konkreter und direkter an ›Commonsense‹-Vorstellungen anzuschließen. Sprache nimmt in solchen Vorstellungen eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Stellung unter allen kulturellen Ausformungen ein (vgl. erstes Impuls-Zitat). Die Schlussregel des sprachspezifischen Anpassungstopos lässt sich in zumindest zweierlei Hinsicht spezifizieren, nämlich auf einer gesellschaftlichen Ebene als Topos der Landessprachkenntnisse und auf einer individuellen Ebene interpersonaler Kommunikation als Topos der sprachlichen Anpassung. Der Topos der Landessprachkenntnisse basiert auf folgender Schlussregel: »Weil Kenntnisse in der Landessprache/in einer gemeinsamen Sprache Voraussetzung 88 Vgl. die Schlussregel des Anpassungstopos bei Wengeler (2007: 174): »Nur wenn Zuwanderer bereit sind, sich an Regeln und Werte, die in Deutschland gelten, anzupassen und eigene Anstrengungen zu unternehmen, kann die Integration von MigrantInnen gelingen und weitere Zuwanderung zugelassen werden«.

Gruppendiskussionen

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für erfolgreiche Integration/Anpassung/gesellschaftliche Kohärenz sind, sollen ZuwanderInnen die Landessprache/die gemeinsame Sprache erlernen.« Mangelnde Deutschkenntnisse werden in den Gruppendiskussionen (außer in der UNI-Gruppe) als Merkmal für mangelnde Anpassung oder Integration dargestellt. Während damit Assoziationen zu gesellschaftlichen Problemlagen auf Makroebene erweckt werden, entpuppen sich die Konzepte von Integration und Anpassung im (halb-)privaten Diskurs nicht selten als tarnendes Vehikel für die sprachliche Darstellung xenophober Gefühle, die die Begegnung mit Ausländern bei den Diskutierenden auslösen. So fühlt sich etwa SPK5 verarscht, wenn ein Ausländer sie in seiner Sprache anspricht, oder wenn die Putzfrau ihr gegenüber nur »bitte, danke« äußern kann (die trugschlüssige Täter-Opfer-Umkehr bezüglich Ausländerfeindlichkeit in der Argumentation von SPK5 wird weiter unten anhand des Topos der steigenden Zuwanderung und des Schuldtopos erörtert). Ja, aber das is ja auch, wenn sich die Ausländer besser integrieren würden, wär auch sicher die Ausländerfeindlichkeit nicht so hoch. Weil ich glaub, ich glaub, das is keinem recht, wenn du irgendwo sitzt und es redet dich irgendwer blöd auf seine Sprache an und du verstehst sowieso nix. Da kommst da mal · voll verarscht vor. Aber/weil ich/ Wie gsagt, wenn zum Beispiel die Putzfrau kommt und mit irgendwelche Sachen / ich komm ma vaoascht vor, wenn die nur ›bitte, danke‹ sagen kann und mir nicht sagen kann, was sie will von mir. Also ich find · so was ghört dazu, wenn ich mein/ Und da sind eigentlich wir Österreicher dann immer als ausländerfeindlich, radikal und alles abgstempelt. ··· Obwohl ·· i mein, sicher, man kann nicht alle in einen Topf werfen […]. (SPK5)

Noch unvermittelter und kaum verschleiert verhilft SEW1 ihren fremdenfeindlichen Gefühlen sprachlich Ausdruck, wenn sie die Konfrontation mit verschiedenen Sprachen in der Wiener Straßenbahn (Balkanexpress) als so laut und so unmöglich beschreibt.

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Empirische Fallstudie

In der Einleitung ihres Redebeitrages verknüpft SEW1 die Forderung nach (sprachlicher) Anpassung zunächst mit ihren Erfahrungen in der Straßenbahn, um nach einem relativierenden Einwurf von SEM2 ihre Schilderung mittels Rückgriff auf das Stereotyp vom lauten Ausländer zu bekräftigen. Wenngleich Homogenität sicherlich einer der zentralsten Konzepte im untersuchten Diskurs über Sprache darstellt, so entfalten die darauf basierenden Topoi ihre Wirkung zumeist doch erst in Kombination mit anderen Konzepten, von denen als nächstes die Kategorie der Quantität näher beleuchtet werden soll. – Quantität: »Weil die quantitativen Merkmale bzw. Zahlen einen bestimmten, in einem inhaltlich spezifischeren Topos behaupteten Zusammenhang belegen, sollte eine bestimmte Handlung ausgeführt/unterlassen werden.« Quantität stellt schon allein insofern ein herausragendes Kriterium im untersuchten Diskurs dar, als es für den Schlüsselbegriff ›Mehrsprachigkeit‹ konstitutiv ist. Wie bereits dargelegt wurde, bezieht sich das Präfix »Mehr« in diesem Lexem im Diskurs zuallererst auf eine numerische Addition von zwei oder mehr Sprachen, die auf muttersprachlichem Niveau beherrscht werden. Darüber hinaus spielt das Konzept der Quantität aber mindestens in zwei weiteren Punkten eine Rolle für die Argumentation in den Gruppendiskussionen, nämlich für den Kostentopos und den Topos der Sprachverbreitung. Während sich

Gruppendiskussionen

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ersterer auf finanzielle Belastungen bezieht, argumentiert letzterer vor allem hinsichtlich der Anzahl von SprecherInnen einer bestimmten Sprache. Die Schlussregel des Kostentopos lautet: »Weil etwas viel/wenig Geld kostet, empfehlen sich Handlungen, durch die sich das investierte Geld rentiert/sollten Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern/brauchen keine Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern.« In den Gruppendiskussionen findet dieser Topos fast ausschließlich in Bezug auf jene Kosten Anwendung, die Sprachkurse oder die Übersetzungs- und Dolmetschdienste der EU verursachen. Sprachkurse sind in der Argumentation der Diskutierenden oft für jene zu teuer, die sie am dringendsten benötigen würden wie MigrantInnen oder Flüchtlinge. Auch sprachinteressierte ÖsterreicherInnen können sich Sprachkurse oftmals nicht leisten, wie in der WIFI-Gruppe argumentiert wird. Aus diesem Umstand wird geschlussfolgert, dass Sprachkurse vom Staat finanziell gefördert werden sollten, um sie für die genannten Personengruppen erschwinglich zu machen. Auffällig ist hierbei, dass in Analogie zu finanziellen Kosten häufig gleichzeitig von zeitlichen Kosten im metonymischen Sinn (›etwas kostet Zeit‹) die Rede ist: »Ja, also dem kann ich mich nur anschließen. Ich find auch, man soll so gut wie möglich fördern, und ich glaube auch, dass die meisten Immigranten selber Interesse haben, wenn sie Möglichkeit haben zeitlich und finanziell die Sprache zu lernen.« (STW4). Lediglich in der WIFI-Gruppe behauptet eine Teilnehmerin im Gegensatz dazu, dass AsylwerberInnen ohnehin (zu) viel Geld vom Staat – u. a. auch für Deutschkurse – erhalten würden, was von den Mitdiskutierenden aber prompt in Zweifel gezogen wird.

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Empirische Fallstudie

Kritisch

Neben den individuellen Kosten, die Sprachlernende – teils abgefedert durch staatliche Zuschüsse – zu tragen haben, ist in sprachenpolitischen Metasprachdiskursen auch häufig von ›Kosten der Mehrsprachigkeit‹ die Rede, die ganze Gesellschaften und Staaten – etwa auf der supranationalen Ebene der EU – zu tragen hätten (vgl. de Cillia et al. 2003). Diese ›Kosten der Mehrsprachigkeit‹ werden wiederum nicht nur hinsichtlich ihrer finanziellen Natur diskutiert, sondern auch in Bezug auf den Verlust von Zeit im Sinn von Effizienz – wenn etwa aufgrund langwieriger Übersetzungsprozesse Entschlüsse auf EU-Ebene aufgeschoben werden müssen (vgl. Wu 2005: 88). Während LinguistInnen in den ›Kosten der Mehrsprachigkeit‹ lohnenswerte Investitionen erkennen und PolitikwissenschafterInnen oft Effizienzverluste beklagen, argumentiert die EU, dass die finanziellen Kosten der Übersetzungs- und Dolmetschdienste ohnehin niedrig sind und somit kein Handlungsbedarf besteht (vgl. S. 277 [Die Vergleiche, die zur argumentativen]). Auch die Diskutierenden in der UNI-Gruppe heben die vergleichsweise niedrigen Kosten des Übersetzungs- und Dolmetschdienstes hervor. Dass die sprachenpolitischen Kommunikationsanstrengungen der EU beinahe direkt bis zur Bevölkerungsebene durchdringen, scheint allerdings eher die Ausnahme als die Regel zu sein und kann in diesem Fall damit erklärt werden, dass in der UNI-Gruppe mehrere Europäistik-StudentInnen an der Diskussion teilnehmen. Darauf deutet auch hin, dass die StudentInnen von diesem Argument von Dritten erfahren haben. STM1 und STW3 bestätigen folgende Aussage von STW4: »Wir ham (amal · irgendwer hat) uns vorgerechnet, dass das/ dass die Kosten, die

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eben für die Übersetzungen · ahm gesch/ also geschätzt wird·en. Dass das immer übertrieben ist, und dass in Wahrheit gar nicht so viel is […] ich habs nicht selber nachgrechnet, aber anscheinend ist der Kostenaufwand relativ gering.« Beim Topos der Sprachverbreitung geht es nicht – wie bei ›Mehrsprachigkeit‹ – um die Anzahl von Sprachen, die beherrscht werden, sondern in erster Linie um die Anzahl von SprecherInnen einer Sprache. Die dahinter stehende Schlussregel besagt, dass »sich eine Sprache oder Sprachvarietät gegenüber anderen weniger verbreiteten durchsetzen bzw. diese verdrängen wird/dass sich das Erlernen dieser Sprache lohnt/dass diese Sprache nützlich ist, wenn sie viele SprecherInnen hat/in bestimmten Domänen überregional weit verbreitet ist/und zusätzlich leicht zu erlernen ist.« Auch dieser Topos basiert auf der Vorstellung von Sprachen als abgeschlossene, in sich homogene und zählbare Einheiten. Die starke Verbreitung einzelner Sprachen – allen voran des Englischen – wird von den GruppendiskussionsteilnehmerInnen argumentativ zumeist als positive Eigenschaft ins Treffen geführt, hingegen vergleichsweise selten als Bedrohung für andere Sprachen, die dadurch noch weniger gesprochen werden und damit Bedeutungsverlust bzw. Marginalisierung erleben. Das Bedrohungsszenario betrifft in der Argumentation der Diskutierenden vor allem die jeweils weniger dominante Varietät von plurizentrischen Sprachen wie Deutsch oder Englisch. So meint etwa SPK4 in Bezug auf das Englische: »Weil vor allem das Amerikanische Englisch wird viel mehr gebraucht wie das Britische Englisch«; und in Bezug auf die Dominanz des bundesdeutschen gegenüber dem österreichischen Deutsch: »Also egal welches Kochbuch ma aufschlagt, und da steht was mit Schlagobers drin, steht ›Sahne‹.« Wenn es demgegenüber nicht um die Bedeutung von Varietäten, sondern von Sprachen geht, wird vor allem die Entwicklung des Englischen zu einer weltweiten Verkehrssprache als natürlich und nützlich für deren SprecherInnen und für Sprachlernende beschrieben, zumal es leicht zu erlernen sei: Und andererseits glaub ich, dass grad jetzt in Europa · sich so zwei, drei Sprachen herausbilden, die irgendwie mittlerweile fast jeder kann, · also Englisch, Deutsch · und · weiß nicht, Französisch oder Spanisch oder so, ·· uund, und ist dadurch schon sehr konzentriert und wenn jetzt in Graz niemand Slowenisch kann, nur so wenige Slowenisch können, dann könnts vielleicht interessant sein, dass in Slowenien fast jeder Deutsch spricht. Oder sehr viele Leute deutsch sprechen. Und ja in Slowenien vielleicht auch aah · interessanter ist ein Sprache zu sprechen, die wirtschaftlich sehr starken Sprachraum mit, weiß nicht, hundert Millionen Einwohnern · erschließt, als umgekehrt ähm zwei Millionen von uns. (SMT3)

Sprachen wie Ungarisch oder Slowenisch sind deshalb weniger nützlich, weil sie kaum gesprochen werden, zu wenig verbreitet, wirtschaftlich zu unbedeutend oder zu schwierig zu erlernen seien: »Na, im Ungarischen eigentlich nicht. Da is mir der Aufwand zu groß und der Nutzen zu klein.« Für die Befolgung des Effizienzprinzips – größter Nutzen bei kleinstem Aufwand – spielt natürlich das

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Empirische Fallstudie

Verhältnis zwischen Welt- bzw. Verkehrssprachen wie Englisch und anderen weniger bedeutenden Sprachen eine große Rolle: Die Leuten fahren ja nach Slowenien. Ahm aber dadurch, dass auch eben Englisch Verkehrssprache is und viele, so wie du ((zu STM3)) eben sagst, Deutsch können, also ·· fließend, plus dann Englisch, wenns gar nicht geht, stellt sich dann einfach auch nicht die Frage, ob wir jetzt Fran/ äh Slowenisch lernen, aber · das eben das was, was ihr eben angesprochen habts, dass es halt dann keinen · / es hat · halt · für die Grazer nicht/ keinen Nutzen. ·· Slowenisch zu lernen. Weil sies nicht/ weils nicht notwendig is, und weils dann halt auch dann keinen Wert hat, in dem Sinn, dass es nicht · brauchbar is. (STW4)

Ein anderer, auf Quantität beruhender Topos, der vor allem an der Schnittstelle zu Diskursen über Migration eine herausragende Rolle spielt, ist der Topos der steigenden Zuwanderung: »Weil immer mehr ›Ausländer‹ nach Österreich zuwandern, geraten ÖsterreicherInnen in die Minderheit/entstehen bestimmte Probleme/steigt die Ausländerfeindlichkeit der ÖsterreicherInnen.« Der letzte Teil dieser Schlussregel basiert hierbei auf dem Trugschluss der Nicht-Verantwortlichkeit (›traiectio in alium‹), wonach ›Ausländer‹ nicht Opfer, sondern Ursache von Fremdenfeindlichkeit wären. Parallelen ergeben sich auch zum Topos der Sprachverbreitung, da sich der steigende Anteil von ›Ausländern‹ in der Bevölkerung in der Wahrnehmung der DiskursteilnehmerInnen hauptsächlich in Form der anderen, ›fremden‹ Sprachen der MigrantInnen bemerkbar macht. Im (halb-) privaten Diskurs auf Bevölkerungsebene wird mit dem Topos der steigenden Zuwanderung häufig argumentiert, dass der steigende Anteil von MigrantInnen und deren mangelhafte Deutschkenntnisse zu Problemen im Schulwesen führen, v. a. zu einer Senkung des Bildungs- oder Sprachniveaus der SchülerInnen in einer bestimmten Klasse oder Schule (vgl. Dorostkar/Preisinger im Druck). Im Folgenden wird zwar nicht explizit auf eine solche Nivellierung nach unten Bezug genommen, sondern nur auf nicht näher bestimmte negative Konsequenzen für österreichische SchülerInnen (voll schrecklich), die gegenüber Ausländern in der Klasse in die Minderheit geraten und sich deshalb arm bis hin zu veroascht vorkommen müssen. Bemerkenswert an dem folgenden Auszug aus der WIFIGruppendiskussion ist der thematische Übergang von der Kritik an zu geringer politischer Bildung Jugendlicher, die aufgrund rechtspopulistischer Wahlwerbung Parteien wie die FPÖ wählen, zur Kritik am zu hohen ›Ausländeranteil‹ an Wiener Schulen:

Gruppendiskussionen

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Als SPK8 etwas später in der Diskussion von »nur einem Ausländer« an seiner Schule zu berichten beginnt, unterbricht ihn SPK5, um die steigende Zuwanderung explizit zu benennen. SPK5 charakterisiert die Bevölkerungsentwicklung gewissermaßen als unaufhaltsam, worin ihr SPK1, SPK4 und SPK6 beipflichten: »Ja, aber die nächste Generation, die hat schon wieder, weiß ich nicht, um sieben, Ausländer mehr in der Klasse wie du. Das steigt ja. Zum Beispiel bei uns in X, wo ich wohn, da waren früher nicht wirklich Ausländer, da haben fast keine gwohnt. Jetz ham die überall dazu baut, in den niegelnagelneuen Bauten wohnen fast nur Ausländer drinnen.« SPK2 versucht Gegenargumente gegen diese Sicht vorzubringen, indem sie umdenken fordert. Sie stellt dabei – dem Prinzip des ›double voicing‹ (Bakhtin 1994: 106) entsprechend – zwei unterschiedliche Sichtweisen einander gegenüber und lässt ihre Präferenz für die zuletzt zitierte Stimme erkennen: »A bissl umdenken und ned nur des ›Aus-

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Empirische Fallstudie

länder, du oabeitst nix und du lebst nur von meim Göd‹, sondern a ›Es gibts genügend multikulturelle · Informationen, dies du selbst in den eigenen ·· Gedankengut und in deinen Bereich aufnehmen konnst.‹« Während sich das erste deiktische Pronomen du eindeutig auf Ausländer bezieht, bleibt beim zweiten unklar, ob es wiederum auf Ausländer oder auf jemanden aus der Diskussionsrunde referiert. In weiterer Folge erntet dieses Argument zwar Zustimmung, wird jedoch so interpretiert, dass MigrantInnen auch nützlich wären, da man sie für Berufe benötige, die Inländer nicht machen wollen. Dies führt uns zur ToposKategorie des Nutzens. – Nutzen: »Wenn etwas/ein Handeln/ein Verhalten von Nutzen ist, dann ist dieses etwas/Handeln/Verhalten zu fördern/durchzuführen.« Der Nutzentopos überlappt sich natürlich zum Teil mit dem Sprachverbreitungstopos, wie an den jeweiligen Schlussregeln, aber auch den oben gebrachten Beispielen zu erkennen ist. Der hauptsächliche Unterschied besteht im Prinzip darin, dass Nützlichkeit im Sprachverbreitungstopos die Konsequenz darstellt, im Nutzentopos hingegen die Bedingung. Beim Nutzentopos steht demgemäß in erster Linie im Vordergrund, dass Sprachen dann erlernt, gebraucht und gefördert werden sollten, wenn diese Sprachen von Nutzen sind. Wie bereits geschildert wurde, erscheinen den GruppendiskussionsteilnehmerInnen Sprachen vor allem aufgrund ihrer hohen Sprecheranzahl, ihrer weiten Verbreitung, ihrer leichten Erlernbarkeit oder ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit nützlich. Das hat zum einen Konsequenzen für die staatliche Ebene, wie sich mit Hilfe des Topos der Sprachbildung argumentieren lässt: »Weil die sprachliche (Aus-/ Weiter-) Bildung von BürgerInnen dem Staat, der Wirtschaft/dem beruflichen Werdegang der BürgerInnen etc. nützt, soll der Staat Sprachbildung (finanziell, schulisch, konzeptionell etc.) fördern.« Dieser Topos weist wiederum in einigen Aspekten Parallelen zum Kostentopos und dem Topos der Verantwortung auf (siehe S. 229 [Die Schlussregel des Kostentopos lautet] bzw. S. 237 [Verantwortung: »…«]). Auf der persönlich-individuellen Ebene wird unter Anwendung des Topos der sprachlichen Qualifikation argumentiert, dass Kenntnisse in der Landessprache bzw. in Fremdsprachen nützlich für die berufliche Karriere sind/die Chancen am Arbeitsmarkt erhöhen/Voraussetzung für die Ausübung oder den Ausbildungsweg für höher qualifizierte Berufe sind. Im Zuge der Diskussion über den ›Groener‹-Fall werden wie bereits in Kapitel 4.1.2.2.2 beschrieben etliche Berufe genannt, für die Mehrsprachigkeit in der einen oder anderen Form eine Voraussetzung darstellt, während sie für andere Berufe nicht benötigt würden: In der Privatwirtschaft, zum Beispiel, braucht man eigentlich sehr viel andere Sprachen. Eine Freundin von mir, die arbeitet zum Beispiel in einer Spedition, bei der is

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vorausgsetzt, dass die/ ich glaub, drei Sprachen oder was muss die können. Da is, weiß ich nicht, Slowakisch und alles dabei. I mein, Englisch is sowieso vorausgsetzt. Deutsch musst können. Das sind meistens noch Tschechisch, Slowakisch, mit den ganzen internationalen Firmen, mit denen die zu tun ham, müssen die · Sprachen beherrschen. (SPK5).

SPK4 lässt in Form eines Konzessivsatzes (obwohl) erkennen, dass für sie als Österreicherin Einsprachigkeit in Deutsch für jedwede berufliche Karriere bzw. für den dementsprechenden Ausbildungsweg in Österreich eigentlich genügen sollte, dass sie es aber akzeptiere müsse, wenn dies in bestimmten Bereichen wie der Universität nicht (mehr) der Fall ist: Die Uni setzt auch fließend Englisch fast vor. Fließend Englisch in ((0,5 s)). Also in Schrift und Wort fast immer voraus. Also ich wusst/ ich würds nicht schaffen die Aufnahmeprüfung auf da Uni, weil ich einfach · Englisch so fließend, wies die verlangen, ned kann. Also somit ·· muss ich mich auch damit abfinden, obwohl ich · Österreicherin bin. (SPK4)

Ungeachtet dessen, welche Aufnahmeprüfung SPK4 hier meint und wie gut sie tatsächlich über deren Anforderungen informiert ist, nimmt sie mit dieser Aussage auf einen historisch bedingten Wandel gesellschaftlicher Anforderungen hinsichtlich (Sprach-)Bildung Bezug. Dieser Wandel stellt auch insofern das naturalisierte 1:1-Verhältnis zwischen Staat und Sprache in Frage, als dass es für BürgerInnen eines Staates in einigen Fällen nicht mehr ausreichend ist, ausschließlich die Staatsprache zu erlernen, zu verwenden oder zu beherrschen. Die Wahl des Lexems abfinden im oben zitierten Ausschnitt deutet auf eine Resignation vor diesem möglicherweise als ungerecht empfunden Wandel hin. ›Gerechtigkeit‹ als eine weitere, übergeordnete Topos-Kategorie soll im nächsten Abschnitt eingehender besprochen werden. – Gerechtigkeit: »Weil Personen/Handlungen/Situationen in relevanter Hinsicht gleich oder ähnlich sind, sollten sie gleich behandelt werden.« Maßgeblich für die Stichhaltigkeit der Gerechtigkeitsargumentation ist natürlich die Frage, was »in relevanter Hinsicht« bedeutet, d. h. welcher Aspekt der Gleichheit bzw. Ähnlichkeit relevant gesetzt wird. In dem oben zitierten Gesprächsexzerpt wird die österreichische Nationalität als Basis für Gerechtigkeit bzw. Ähnlichkeit herangezogen, und zwar im Sinn von: »Weil alle ÖsterreicherInnen gleich sind/Deutsch sprechen, sollen für alle ÖsterreicherInnen Deutschkenntnisse für die berufliche Karriere ausreichend sein.« Trugschlüssig erscheint diese Argumentationsstrategie dann, wenn man die vermeintliche Gleichheit bzw. Deutschsprachigkeit aller ÖsterreicherInnen als gemeinsames Merkmal nicht gelten lässt, weil sie zu unzutreffend bzw. zu irrelevant für die Gültigkeit der Schlussfolgerung im zweiten Teil der Schlussregel erscheint. Ar-

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Empirische Fallstudie

gumentation auf Grundlage des Gerechtigkeitstopos spielt natürlich insbesondere in der Diskussion des ›Groener‹-Falles eine Rolle: Die Voraussetzung von Kenntnissen in einer Fremdsprache wäre für STW1, anders als im Statement von SPK4, erst dann ungerecht bzw. diskriminierend, wenn keine Möglichkeit bestünde, diese Fremdsprache zu lernen. Prinzipiell kann STW1 zufolge jeder Mensch eine Fremdsprache wie Irisch lernen, wenngleich möglicherweise nicht immer zu den gleichen Bedingungen – im Sinn von Chancengleichheit bzw. Chancengerechtigkeit: Ich denk grundsätzlich schon, dass jede Interpretation und jeder Arbeitgeber grundsätzlich das Recht hat, selbst zu entscheiden, wen er einstellt oder nicht. Wenn das was iss, was in der Macht des einzelnen is. Also Geschlecht kann man nicht ändern oder Alter oder Nationalität, aber so etwas wie Irisch-Kenntnisse kann man lernen, auch wenns mühsam is. Wenns einem halt so wichtig is. Also ich würds deshalb nicht als Diskriminierung sehen. (STW1).

Ein spezifischerer Topos, der ebenfalls auf dem Konzept der Gerechtigkeit beruht und zum Teil mit dem Konzept der Muttersprache (siehe oben) kombiniert wird, ist der Topos der sprachlichen Identität. Dessen Schlussregel lautet wie folgt: »Weil die (Erst-)Sprache ein identitätsstiftender Bestandteil eines jeden Menschen ist, soll jeder Mensch das Recht auf seine eigene (Erst-)Sprache haben.« Mit Hilfe dieses Topos wird in den Gruppendiskussionen argumentiert, dass die EU-Amtssprachenregelung bzw. das Konzept der europäischen Sprachenvielfalt sinnvoll und notwendig ist: So meint etwa SPK3: »Im Prinzip ist es richtig so, weils ein Zusammenschluss von mehreren Ländern is, jedes hat seine eigene Sprache, eigene Identität, die soll privat bleiben«, woraufhin SPK8 ergänzt: »Und jeder hat das Recht darauf, dass in seiner · Sprache ·· kommuniziert wird.« (SPK8). Was das »Recht auf seine eigene (Erst-)Sprache« beinhaltet (Spracherwerb bzw. Sprachgebrauch im privaten und öffentlichen Bereich), wird etwa in Zusammenhang mit dem Konzept der ›linguistic human rights‹ (Skutnabb-Kangas/Phillipson 1994) auf linguistischer, rechtswissenschaftlicher und politischer Ebene diskutiert und zum Teil in Rechtsdokumenten wie der »Universal Declaration of Linguistic Rights«89 oder der« European Charter for Regional or Minority Languages»90 festgelegt. – Verantwortung: »Wenn ein Land/eine Gruppe/eine Person (mit-)verantwortlich ist für die Entstehung von Problemen, sollte es/sie sich an der Lösung der so entstandenen Probleme beteiligen.«

89 siehe http://www.unesco.org/cpp/uk/declarations/linguistic.pdf (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 90 siehe http://conventions.coe.int/treaty/en/Treaties/Html/148.htm (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012)

Gruppendiskussionen

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Je nachdem, welche Art von Problemen in den Vordergrund tritt, wird im Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit immer wieder ähnlichen Kategorien und Gruppen von sozialen Akteuren Verantwortung zugeschrieben, seien es PolitikerInnen, Staaten, Eltern, LehrerInnen, MedienmacherInnen oder AusländerInnen. Probleme werden in diesem Kontext in erster Linie als negative Auswirkungen auf das Gemeinwohl verstanden. Wer die Verantwortung für Probleme dieser Art trägt, ist in dieser Hinsicht TäterIn bzw. SchuldigeR und muss gewissermaßen einen Beitrag zur Wiedergutmachung leisten. Die in diesem Sinn eigentlich besser als Schuldtopos bezeichnete Argumentationsstrategie zählt sozusagen zum diskursiven Grundinventar – so auch in den Gruppendiskussionen. Im Zusammenhang mit dem Topos der steigenden Zuwanderung wurde bereits die trugschlüssige Opfer-Täter-Umkehr (›trajectio in alium‹) erwähnt. Mit diesem Topos der Nicht-Verantwortlichkeit schiebt SPK5 die Schuld, die Personen aufgrund fremdenfeindlichen (Sprach-)Handelns auf sich laden, auf die Opfer eines solchen Handelns ab: Ja, aber das is ja auch, wenn sich die Ausländer besser integrieren würden, wär auch sicher die Ausländerfeindlichkeit nicht so hoch. Weil ich glaub, ich glaub, das is keinem recht, wenn du irgendwo sitzt und es redet dich irgendwer blöd auf seine Sprache an und du verstehst sowieso nix. Da kommst da mal · voll verarscht vor. Aber/weil ich/ Wie gsagt, wenn zum Beispiel die Putzfrau kommt und mit irgendwelche Sachen / ich komm ma vaoascht vor, wenn die nur ›bitte, danke‹ sagen kann und mir nicht sagen kann, was sie will von mir. Also ich find · so was ghört dazu, wenn ich mein/ Und da sind eigentlich wir Österreicher dann immer als ausländerfeindlich, radikal und alles abgstempelt. ··· Obwohl ·· i mein, sicher, man kann nicht alle in einen Topf werfen […]. (SPK5)

Verantwortung betrifft aber nicht nur Probleme auf der kollektiven, sondern auch auf der individuellen Ebene, und umfasst damit ebenso die wesentlich positiver konnotierte Form der Selbstverantwortung. Der Topos der Selbstverantwortung besagt im Wesentlichen, dass ein Land/eine Gruppe/eine Person Lösungen oder Entscheidungen selbständig und ohne Einmischung von außen herbeiführen oder treffen soll, wenn die damit in Zusammenhang stehenden Probleme oder Auswirkungen dieses eine Land/diese eine Gruppe/diese eine Person betreffen bzw. in dessen/deren Verantwortungsbereich fallen. Besonders interessant erscheint diese Schlussregel nicht nur in Hinblick auf Parallelitäten zum Grundgedanken des Liberalismus, sondern auch zum Subsidiaritätsprinzip, das für die EU-Sprachenpolitik eine wesentliche Rolle spielt. Wenngleich die GruppendiskussionsteilnehmerInnen das Subsidiaritätsprinzip nicht explizit erwähnen, thematisieren sie zumindest implizit dessen Nichtbeachtung in Form von Überreglementierungen und Kompetenzüberschreitungen durch die EU. So kritisiert etwa STW1 die Bezeichnungsvorschriften für regionale Produkte: »Ja, ich versteh überhaupt nicht, wiesoo/ ich mein, ich find die · EU prinzipiell sehr

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Empirische Fallstudie

gut. % Aber wieso sie überhaupt vorschreiben muss, wie in Österreich die Produkte heißen.« Auch SPK3 kritisiert diese Art der – aus seiner Sicht unangemessenen – Einmischung, die sich für ihn auch im Protokoll Nr. 10 offenbart: »Also ich glaub, dass ··· dasss inn der EU fast schon Überreglementierungen gibt. Weil ·· in Gottes Namen, wer ›Beiried‹ sogn (soll, will), soll ›Beiried‹ sagen in Deutschland und wer ›Roastbeef‹ sagen will in Österreich, solls auch tun! Beziehungsweise solls drinnen stehen in die Protokolle, wies will, ··· wobei ich glaub in öffentliche Protokolle wird von diesen Wörtern da relativ wenig erwähnt werden. Glaub ich.«

4.1.3. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse Die Gruppendiskussionen wurden durchgeführt, um Einblicke in den halbprivaten Diskurs über ›Sprachigkeit‹ in der österreichischen Bevölkerung zu erhalten. Im Vordergrund stand die Frage, wie Sprache im Allgemeinen und (Mehr-)Sprachigkeit im Besonderen in drei Gruppen von BürgerInnen unterschiedlichen Alters sowie Berufs- und Bildungshintergrunds diskursiv konstruiert werden, und wie die nationale und die supranationale Sprachenpolitik im Vergleich zwischen Österreich und der EU auf der österreichischen Bevölkerungsebene wahrgenommen und interdiskursiv aufgegriffen werden. Die diskursanalytischen Ergebnisse verweisen einerseits auf enge Zusammenhänge zwischen dem halb-privaten Diskurs in der Bevölkerung und dem öffentlichen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ in Österreich, wie er sich in den Printmedien oder in der politischen Werbung manifestiert. Andererseits entwickeln die DiskussionsteilnehmerInnen zum Teil eigene, gruppenspezifisch oder individuell bedingte diskursive Strategien und Standpunkte, die von denjenigen, die im öffentlichen Diskurs vorherrschen, abweichen oder sich sogar explizit gegen diese wenden. Letzteres trifft insbesondere auf die Stellungnahmen zu den sprachbezogenen Wahlkampfinseraten und -plakaten zu, die vom Moderator zur Diskussion gestellt werden und bei vielen TeilnehmerInnen nicht nur auf vehemente Ablehnung stoßen, sondern von einigen auch in ihrer diskursiven Beschaffenheit dekonstruiert werden. Was den Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit auf der supranationalen Ebene der EU betrifft, so scheint dieser kaum auf die österreichische Bevölkerungsebene vorgedrungen zu sein – zumindest, wenn man von den Antworten der GruppendiskussionsteilnehmerInnen ausgeht, die natürlich nicht als repräsentativ im statistischen Sinn aufzufassen sind und daher nur bedingt auf die gesamte österreichische Bevölkerung umgelegt werden können. So belegen die Stellungnahmen der DiskutantInnen etwa, dass diese (mit Ausnahme der Europäistik- und Linguistik-StudentInnen) zuvor weder vom EU-Kommissar für

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Mehrsprachigkeit noch vom Protokoll Nr. 10 gehört hatten, sei es vom Namen, Inhalt oder den damit verbundenen öffentlichen Debatten. Die sprachenpolitischen Aktivitäten und Entwicklungen aufseiten der Europäischen Union (Mehrsprachigkeitsstrategie, Aktionsplan, Jahr des interkulturellen Dialogs, Tag der Mehrsprachigkeit etc.) scheinen den Diskutierenden insgesamt weit weniger bekannt und präsent zu sein als diverse sprachenpolitische Themen und Ereignisse in Österreich (Integrationsvereinbarung, Wahlwerbung, muttersprachlicher Unterricht, Deutschkenntnisse von IslamlehrerInnnen etc.). Intertextuelle Verbindungen zu den EU-Kommunikationsanstrengungen können aber bspw. im Statement einer Europäistik-Studentin erkannt werden, die die vermeintlich hohen Kosten der EU-Übersetzungs- und Dolmetschdienste auf eine ähnliche Weise relativiert wie die Europäische Kommission in ihren PRKommunikaten. Die meisten DiskutantInnen haben allerdings nicht nur von den sprachenpolitischen Ereignisse und Aktivitäten auf EU-Ebene kaum Kenntnis genommen, sondern auch der Begriff und das Konzept der Sprachenpolitik ist vielen unbekannt– sei es in Bezug auf Österreich oder die EU. In das bisher gezeichnete Bild fügt sich, dass die EU-Sprachenpolitik, wie sie sich in den präsentierten Zitaten aus den EU-Strategiepapieren manifestiert, von mehreren TeilnehmerInnen als idealistisch, utopisch und realitätsfern charakterisiert wird. Selbst das Recht für UnionsbürgerInnen, mit EU-Behörden die eigene Muttersprache zu verwenden, sofern sie einer der EU-Amtssprachen ist, wird von mehreren DiskussionsteilnehmerInnen als ein eher theoretischer Aspekt empfunden, der in der Praxis so gut wie nie Anwendung findet und insbesondere für das eigene Leben keine Rolle spielt. Dementsprechend wird die Europäische Union von vielen der Teilnehmenden als bürgerfern charakterisiert; weitere negative Eigenschaften, die der EU zugeschrieben werden, sind ihre Ohnmacht gegenüber der globalisierten Wirtschaft sowie gegenüber national(istisch)en Interessen der Mitgliedsländer und ihre Tendenz zu Bürokratisierung und Überreglementierung. Positiv beurteilt werden hingegen die Bemühungen der EU, sich für Mehrsprachigkeit und Minderheiten(sprachen) sowie die europäische Terminologieentwicklung einzusetzen und entsprechende Fördermaßnahmen zu ergreifen. In Hinblick auf die Konstruktion und Definition von ›Mehrsprachigkeit‹ herrscht unter den DiskussionsteilnehmerInnen ein Verständnis vor, das am ›Native Speaker‹-Konzept orientiert ist und sich als numerisch erweiterte ›Muttersprachigkeit‹ begreifen lässt. Mehrsprachig ist demnach, wer in zwei oder mehr Sprachen über Kenntnisse verfügt, die dem muttersprachlichen Niveau gleichen oder zumindest nahe kommen. Zum Teil wird dieses Verständnis aber auch hinterfragt und als Ausgangspunkt für alternative Standpunkte herangezogen, wonach für ›Mehrsprachigkeit‹ weniger das Niveau von Sprachkenntnissen als vielmehr Fragen der jeweils selbst erlebten Kultur, Identität und

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Empirische Fallstudie

Gefühlswelt ausschlaggebend sind. Zwar wird reflektiert, dass je nach Perspektive Mehrsprachigkeit als Norm oder Ausnahme aufgefasst werden kann, jedoch tendieren die Diskutierenden dazu, Mehrsprachigkeit weniger als ›eigene‹ als vielmehr als ›fremde‹ Norm zu konstruieren. So wird die mehrsprachige Norm Weltgegenden, Regionen oder Gruppen zugeschrieben, die nicht unbedingt die eigenen sind, weil sie beispielsweise außerhalb Österreichs oder nur in bestimmten österreichischen Regionen und Minderheiten zu finden ist (bspw. auf anderen Kontinenten oder in Kärnten und im Burgenland). Abseits der Definition über Sprachkenntnisse wird mit Mehrsprachigkeit aber auch die Verfügbarkeit von sprachlichen Artefakten (Ortstafeln, Formulare, Betriebsanleitungen, Filme usw.) in mehreren Sprachen assoziiert. Wie bereits erwähnt sind in diskursiver Hinsicht auch Unterschiede zwischen den drei Gruppen festzustellen. Bei den StudentInnen fällt auf, dass sie sich zu einem größeren Teil als mehrsprachig bezeichnen als die DiskutantInnen der anderen Gruppen. Mehr oder weniger explizit konstruieren sich die StudentInnen zudem teilweise als Gruppe, die über mehr Fremdsprachenkenntnisse und insgesamt eine höhere Bildung verfügt als andere österreichische Bevölkerungsgruppen. Dementsprechend fällt auch die Beurteilung sprachenpolitischer Maßnahmen und ihrer Bedeutung für das eigene Leben bei den Studierenden anders aus als in den anderen Gruppendiskussionen: So stufen die Studierenden das Protokoll Nr. 10 und das Recht auf Verwendung aller EUAmtssprachen in der Kommunikation mit Unionsorganen als weitgehend irrelevant für sich selbst ein, weil sie sprachliche Merkmale für ihre eigene Identität als nicht oder nur teilweise ausschlaggebend betrachten, und weil sie sich befähigt sehen, mit EU-Behörden auch in Fremdsprachen wie Englisch oder Französisch zu kommunizieren. Demgegenüber beurteilen die Studierenden aber die gleichen sprachenpolitischen Maßnahmen als potentiell bedeutsam für andere, zahlenmäßig stärker vertretene österreichische Bevölkerungsgruppen, denen sie geringere Fremdsprachenkenntnisse und eine stärkere identitätsstiftende Bindung zur muttersprachlichen Sprachvarietät zuschreiben. EU-Skepsis, geringere Mobilität und sprachliche Ein- bzw. Ausgeschlossenheit in einer einzigen Sprache (d. h. Deutsch) sind weitere Fremdcharakterisierungen für diese Gruppe der ›Anderen‹, die damit nicht aufgrund ethnischer, sondern ›innerösterreichischer‹ (bildungs- und schichtspezifischer) Merkmale konstruiert und von einer ›Wir‹-Gruppe aus studentischer Sicht abgegrenzt wird. Umgekehrt beklagt eine der WIFI-DiskussionsteilnehmerInnen – die nicht an der Universität studieren, sondern die Matura in einem Erwachsenenkurs nachholen –, dass man sich als Normalverdiener Sprachkurse oftmals nicht leisten könne, selbst wenn die Motivation dazu vorhanden wäre und zunehmend Fremdsprachenkenntnisse für den Beruf verlangt werden. Metasprachliche und metadiskursive Reflexion spielt in der Studierenden-

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gruppe insgesamt eine große Rolle, was auch auf ein vergleichsweise ausgeprägtes Sprachbewusstsein unter den Studierenden auf allen Ebenen (sprachsystemisch, sozial-symbolisch und pragmatisch) schließen lässt (vgl. Neuland 1993: 735 f.). So wird in der UNI-Gruppe etwa mehrmals darauf verwiesen, dass in Österreich einzelne Sprachen und Varietäten bzw. deren SprecherInnen unterschiedliche Wertschätzung auf gesellschaftlicher und individueller Ebene erfahren. Sprachphilosophische Erörterungen, die im sprachenpolitischen Diskurs der öffentlichen Sphäre weitgehend ausgeblendet bleiben, finden sich neben der UNI-Gruppe aber auch in der Seniorengruppe, wenn etwa Zusammenhänge zwischen Sprache und Denken sowie die Bedeutung der Sprache für das Menschsein diskutiert werden. Die Studierenden machen auch auf argumentative Trugschlüsse, rassistische Deutungsmuster und diskursive Strategien wie die negative Fremd- und positive Selbstrepräsentation mittels exkludierender Linguonyme wie unsere Sprache im sprachenpolitischen Diskurs in Österreich aufmerksam und versuchen diese teilweise zu dekonstruieren oder ihnen auf diskursiv-argumentativer Ebene Paroli zu bieten. In der UNI-Gruppe werden insbesondere Gegenstandpunkte zu den (sprachen-)politischen Positionen der FPÖ vorgebracht, u. a. in Bezug auf den Status Österreichs als Einwanderungsland: Anders als die FPÖ, die im Volksbegehren »Österreich zuerst!« eine Verfassungsänderung für die Aufnahme der Staatszielbestimmung »Österreich ist kein Einwanderungsland« gefordert hat, plädieren die Diskutierenden dafür, Österreich als (mehrsprachiges) Einwanderungsland anzuerkennen, um sowohl der historischen Entwicklung als auch der gegenwärtigen Realität Rechnung zu tragen. Anhand des Prädikationsmusters ›MigrantInnen vs. ÖsterreicherInnen‹ konnte gezeigt werden, dass in den Gruppendiskussionen entweder MigrantInnen oder ÖsterreicherInnen als Opfer und Benachteiligte im migrations- und sprachenpolitischen Kontext konstruiert werden. Insbesondere in der WIFIGruppe, vereinzelt aber auch in der Seniorengruppe sind jene Stimmen relativ stark vertreten, die ÖsterreicherInnen als Opfer steigender Zuwanderung darstellen und die sprachliche und kulturelle Integration bzw. Assimilation von MigrantInnen einfordern. Dies wird neben Kultur- und Anpassungstopoi auch mit dem Topos der Landessprachkenntnisse argumentiert. Hier sind damit auch die diskursiven Kontinuitäten zwischen öffentlichem und halb-privatem sprachenpolitischen Diskurs am deutlichsten zu erkennen. Das übergeordnete Argumentationsmuster rekurriert dabei vor allem auf das Homogenitätskonzept: Sprachliche und kulturelle Verschiedenheit wird demnach als potentielle Gefahr für das Zusammenleben und die gesellschaftliche Kohärenz (sowohl unter MigrantInnen als auch zwischen Mehrheits- und Minderheitsangehörigen) angesehen, während sprachlich-kulturelle Einheit Zusammenhalt und friedliche Koexistenz sichern würden. Was die politischen Akteure betrifft, so werden

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Empirische Fallstudie

diese entweder negativ als Probleme negierend und beschönigend oder als Probleme hochschaukelnd und instrumentalisierend charakterisiert. Demgegenüber wünschen sich die DiskutantInnen entweder PolitikerInnen, die Probleme differenziert und ausgewogen angehen, oder aber solche, die sie ohne Umschweife identifizieren und umgehend lösen. Was sich durch alle Diskussionsgruppen durchzieht, sind uneinheitliche Begrifflichkeiten und Konzeptualisierungen für das österreichische Deutsch, das beispielsweise als eigene Sprache, als Dialekt, als gefärbtes Hochdeutsch oder als mündliches Deutsch bezeichnet und verstanden wird. Ähnlich wie beim Konzept der Sprachenpolitik fehlt den DiskussionsteilnehmerInnen offenbar auch das abstrakte Vokabular, um das österreichische Deutsch etwa als nationale Standardsprache oder Varietät des plurizentrischen Deutsch zu begreifen. Interessant ist, dass die Unterschiede zwischen dem Amerikanischen und dem Britischen Englisch bei den Diskutierenden sowohl auf lexikalischer als auch auf kognitiver Ebene eindeutiger verankert zu sein scheinen. Thematisiert wird das österreichische Deutsch allerdings in seiner Bedeutung für die Abgrenzung zu Deutschland, den Deutschen und dem bundesdeutschen Deutsch. Neben den historischen Gründen für dieses Abgrenzungsstreben (insbesondere nach Ende der Nazi-Herrschaft) werden auch die wirtschaftliche und mediale Dominanz des bundesdeutschen Deutsch sowie die angebliche Ignoranz der Deutschen gegenüber dem österreichischen Deutsch erwähnt. Die Wichtigkeit von sprachlichen Kompetenzen in Dialekten wie dem Wienerischen wird vor allem von den SeniorInnen betont, die sich auch selbst in der Verantwortung der Dialektweitergabe an Enkelkinder sehen. Dialekte werden in allen drei Diskussionsgruppen vor allem als Auszeichnungs-, Abgrenzungs- und Zugehörigkeitsmerkmal charakterisiert (im überwiegend positiven Sinn) sowie als zusätzliches Interaktions- und Ausdrucksmittel dargestellt, das möglichst flexibel und in Anpassung an die jeweilige Kommunikationssituation eingesetzt werden sollte. Skeptisch beurteilt wird hingegen vielfach eine ›Vermischung‹ sprachlicher Elemente – seien es Dialekte, Migrantensprachen oder Fremdsprachen – auch hier manifestiert sich das Homogenitätsprinzip auf argumentativer Ebene (als Topos der Sprachvermischung). Dies trifft auch auf das Englische als ›Lingua franca‹ zu, von dem befürchtet wird, dass es sich durch die zunehmende Popularisierung und Verbreitung in untereinander weitgehend unverständliche Subvarietäten auseinanderentwickeln könnte. Ansonsten wird die Entwicklung des Englischen zur Weltsprache und europäischen ›Lingua franca‹ aber als weitgehend positiv charakterisiert, nämlich als natürlicher Prozess, der unbeeinflusst von politischen Interventionen vonstattengeht und als solcher daher auch nicht aufgehalten werden kann oder sollte. Dies bedeutet aus Sicht der DiskussionsteilnehmerInnen aber auch, dass Englisch nicht als einheitliche europäische Sprache in der EU ›top down‹ durchgesetzt werden

Österreichische Printmedien

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sollte. Eine ähnliche Sichtweise äußern einige Diskutierenden auch in Hinblick auf das EuGh-Urteil im Fall ›Groener‹, indem sie sich gegen sprachenpolitische Maßnahmen ›von oben‹ aussprechen, mit denen Sprachen wie Irisch ›künstlich‹ erhalten oder wiederbelebt werden sollen, obwohl dies nicht unbedingt dem Willen der Bevölkerung entspreche. Das nächste Kapitel befasst sich mit der Analyse des Diskurses über (Mehr-) Sprachigkeit in den österreichischen Printmedien, die – wie schon der Name (›Medium‹) sagt – eine Mittelstellung bzw. Vermittlungsposition zwischen Bevölkerungs- und Politikerdiskurs einnehmen.

4.2. Österreichische Printmedien 4.2.1. Erhebungsmethode Im Zentrum der Printmedienanalyse steht die Frage, wie die EU-Sprachenpolitik und die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit der EU in den nationalen österreichischen Printmedien rezipiert wird. Wie bereits in Kapitel 3.1.2 dargestellt wurde, hat die EU im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zahlreiche Anstrengungen unternommen, um in der Öffentlichkeit für ihr Konzept der europäischen Sprachenvielfalt zu werben. Insbesondere in den Jahren 2006 bis 2008 wird die EU-Mehrsprachigkeitspolitik in zahlreichen Reden und Pressemitteilungen der Europäischen Kommission thematisiert und öffentlichkeitswirksam zu vermitteln gesucht. Die Kommunikationsanstrengungen, die während der Amtszeit des EU-Mehrsprachigkeitskommissars Leonard Orban ihren Höhepunkt erreichen, gehen von der supranationalen Ebene aus, richten sich aber durch massenmediale Verbreitung – etwa auf diversen EU-Websites – an ein disperses Zielpublikum. Dieses Publikum ist nicht mehr wie in der EU-internen Kommunikation auf Akteure der EU-Institutionen während der sprachenpolitischen Verabschiedungs- und Implementierungsphase beschränkt. Vielmehr stellt die sprachenpolitische Öffentlichkeitsarbeit eine Form EU-externer Kommunikation dar und soll gerade auch Akteure auf der nationalen Ebene – Bevölkerung, Medien, PolitikerInnen, NGOs usw. – erreichen. Die nationalen Medien der einzelnen EU-Mitgliedsländer spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, um der Bevölkerung in den einzelnen Mitgliedsstaaten die (sprachen-)politischen Anliegen der EU zu vermitteln und das häufig kritisierte »Kommunikationsdefizit« der EU auszugleichen (vgl. Wodak 2009). Um zu untersuchen, wie und in welchem Ausmaß die sowohl EU-intern als auch EU-extern kommunizierte EU-Sprachenpolitik von den nationalen Printmedien thematisiert und interdiskursiv verarbeitet wird, wurde ein Korpus von österreichischen Printmedienartikeln zum Thema EU-Mehrsprachigkeitspoli-

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Empirische Fallstudie

tik erstellt.91 In das Korpus aufgenommen wurden all jene Texte, die die wichtigsten sprachenpolitischen Ereignisse auf EU-Ebene thematisieren und vor 01. 01. 2011 in österreichischen Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften erschienen sind. Neben der Ernennung und dem Amtsantritt Leonard Orbans als EU-Mehrsprachigkeitskommissar im Jahr 2006 bzw. 2007 wurde die Veröffentlichung der folgenden offiziellen EU-Dokumente in die Auswahl der maßgeblichen sprachenpolitischen EU-Aktivitäten aufgenommen: (1) »Aktionsplan zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt 2004 – 2006« (Europäische Kommission 2003), (2) »Neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit« (Europäische Kommission 2005) sowie (3) »Entschließung des Rates vom 21. November 2008 zu einer europäischen Strategie für Mehrsprachigkeit« (Europäische Union 2008b). Die ersten beiden Texte zählen zum Dokumententyp »Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen«. Das dritte Dokument des Typs »Entschließung des Rates« stellt eine Folgemaßnahme einer weiteren Mitteilung der Kommission mit dem Titel »Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung« (Europäische Kommission 2008) dar. Darin fordert der Rat die Kommission und Mitgliedsstaaten unter Verweis auf die bisherigen sprachenpolitischen Aktivitäten und Dokumente der EU erneut zur Umsetzung der bereits erwähnten sprachenpolitischen Ziele auf (z. B. »Muttersprache plus zwei«, Einsatz von CLIL und Übersetzungstechnologien oder mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Mehrsprachigkeit). Die drei Mitteilungen scheinen somit aufgrund ihrer spezifischen Klassifikation als EU-Rechtsdokumente explizit über ihre offiziellen Adressaten Auskunft zu geben (»Europäisches Parlament, Rat, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen«). Gleichzeitig werden die genannten EU-Dokumente bzw. die darin geäußerten Grundaussagen aber wie bereits erwähnt über die PR-Abteilungen der EU, insbesondere durch die Arbeit der Generaldirektion Kommunikation, über die EU-Institutionen hinausgehend einem Zielpublikum auf nationaler Ebene zu vermitteln gesucht. Für die Erstellung des Printmedienkorpus wurden die Datenbanken ›Wiso Praxis/Presse‹ und ›APA DeFacto-Campus‹ eingesetzt, die sämtliche Volltexte aus jeweils über hundert Quellen der täglichen und wöchentlichen Berichterstattung zumeist ab dem Jahr 2000 enthalten. ›Wiso Praxis/Presse‹ deckt hierbei die digitalen Zeitungsarchive im deutschsprachigen Raum (Deutschland, 91 Teile der im Folgenden dargestellten Printmedienanalyse (v. a. die Auswertung der Metadaten in Kapitel 4.2.2.1) basieren auf einer bereits zuvor veröffentlichen Teilstudie (Dorostkar/Flubacher 2010), die im Rahmen des EU-Projekts LINEE (»Languages in a Network of European Excellence«) durchgeführt wurde.

Österreichische Printmedien

245

Schweiz und Österreich) ab, während ›APA DeFacto‹ laut Eigenangaben das größte Medienarchiv Österreichs darstellt (die Liste der jeweiligen österreichischen Printmedien-Quellen der beiden Datenbanken ist im Anhang (Abschnitt J) wiedergegeben92. Die Suchabfrage in den Datenbanken wurde online mittels eines Algorithmus durchgeführt, der mehrere Suchwörter für (1) Mehrsprachigkeit und (2) die Europäische Union mit (3) Schlüsselbegriffen zu den oben angeführten sprachenpolitischen EU-Ereignissen (Amtsantritt Orbans, Mitteilungen der Kommission, Entschließung des Rates) kombiniert.93 Die Suchparameter wurden so definiert, dass sämtliche österreichische Printmedienartikel bis ins Jahr 2010 erfasst wurden, die zumindest ein Suchwort aus jeder der drei oben beschrieben Kategorien (Mehrsprachigkeit, Europäische Union und sprachenpolitische EU-Ereignisse) im Volltext enthielten. Bevor die aus der Suchanfrage resultierenden Texte in das Korpus aufgenommen werden konnten, mussten jene Texte entfernt werden, die mehrfach ausgegeben wurden, identisch waren oder sich nicht auf eines der oben definierten sprachenpolitischen Ereignisse bezogen. Die danach verbliebenen 51 Texte wurden lokal archiviert und nach MAXQDA importiert, wo für die Printmedientexte eine eigene Dokumentengruppe – neben den Gruppendiskussionen und Interviews – erstellt wurde. Die Analyse mit MAXQDA erfolgte nach dem bereits beschriebenen diskursanalytischen Schema des diskurshistorischen Ansatzes, das an die Möglichkeiten der computergestützten Annotation mit MAXQDA angepasst wurde (vgl. Kapitel 2.5.3). Von der Analyse ausgenommen wurden jene Textteile, die zwar den Kotext für relevante Textstellen bildeten, jedoch in keinem thematischen Zusammenhang mit den drei vordefinierten Suchwortkategorien standen (so wurde bspw. in Texten, die mehrere Kurzmeldungen unterschiedlichster Thematik umfassten, nur Meldungen zum Thema Mehrsprachigkeit mit Codes versehen, während die restlichen Kurzmeldungen zu anderen Themen unannotiert blieben). Die Printmedienartikel nehmen insofern eine besondere Stellung im Gesamtkorpus dieser Untersuchung ein, als sie grundlegend anderen Produktionsund Rezeptionsbedingungen unterliegen als die während des Forschungsprozesses mündlich durchgeführten Gruppendiskussionen und Interviews. Einige 92 siehe auch http://www.wiso-net.de und http://www.defacto.at (letzter Zugriff jeweils am: 21. 07. 2012) 93 Der exakte Suchalgorithmus der am 07. 11. 2008 durchgeführten Anfrage in der Datenbank wiso praxis lautete: (*sprachigkeit, multilinguali*, bilinguali*, sprach*vielfalt, sprach*politik, amtssprache*, minderheit*sprache, arbeitssprache*, (sprachliche* adj2 vielfalt*)) UND (eu, union, kommission) UND (aktionsplan, orban, rahmenstrategie*, mehrsprachigkeitsstrategie*, strategie*). Am 19. 01. 2011 wurde der gleiche Algorithmus – mit angepasster Syntax – auf APA DeFacto-Campus für eine ergänzende Suchabfrage ausgeführt, um weitere Quellen und den Zeitraum bis Jahresende 2010 zu erschließen.

246

Empirische Fallstudie

der wichtigsten Charakteristika dieser jeweiligen Kommunikationsformen, im Fall der Presseartikel etwa deren massenmediale Verbreitung sowie Prägung durch institutionelle Rahmung und konzeptionelle Schriftlichkeit, wurden bereits in Kapitel 2.5.1 dargestellt. An dieser Stelle sei lediglich auf zwei Spezifika in Zusammenhang mit der Erhebung des Printmedienkorpus verwiesen. Die Recherche mit Hilfe elektronischer Datenbanken unterliegt Einschränkungen sowohl methodischer als auch technischer Art: So können etwa Texte, die keines der vordefinierten Suchworte enthalten, nicht gefunden werden, selbst wenn sie thematisch relevant wären. Zudem entspricht das elektronische Äquivalent nicht dem Originaltext in seinem ursprünglichen semiotischen Gesamtzusammenhang: die Anordnung eines Textes auf der Seite, angrenzende Artikel, Bilder, Diagramme und Ähnliches werden in Datenbanken nur ungenügend erfasst. Dennoch erweisen sich Online-Datenbanken als praktisches und unverzichtbares Tool, um systematische Recherchen zu ermöglichen, die ohne elektronische Hilfsmittel zu aufwändig wären. Außerdem können die auf diese Weise erhobenen Daten im digitalen Textformat für PC-gestützte Analysen – etwa in MAXQDA – weiter verwendet werden. Eine weitere Besonderheit bei der Erhebung von Daten mit Hilfe von elektronischen Datenbanken liegt darin, dass diese nicht nur Primärdaten etwa in Form der jeweiligen Zeitungs- und Zeitschriftentexte zur Verfügung stellen, sondern auch darüber hinausgehende Metadaten über die Beschaffenheit dieser Texte liefern. Zu den Metadaten, auf die aufgrund der Auswertung der beiden Datenbanken zurückgegriffen werden konnte, zählen u. a. Informationen über das Datum, die Seitenangabe, das Ressort, die Wortanzahl, über Titel und Lead des Artikels sowie den Namen der Zeitung. Zusätzlich zu diesen Daten wurde im Rahmen einer Metadatenanalyse auch festgehalten, um welche journalistische Textsorte (Bericht, Interview, Kommentar etc.) es sich beim jeweiligen Text handelt und welches der oben definierten sprachenpolitischen Ereignisse er thematisiert. Zudem wurde versucht, folgende Informationen über die Zeitung, in der er veröffentlich wurde, in Erfahrung zu bringen: Verbreitungsgrad (regional vs. national), Reichweite (Anzahl täglicher LeserInnen), Erscheinungsform (täglich/wöchentlich bzw. klein-/großformatig) und politische Ausrichtung (links/rechts bzw. liberal/konservativ). Die Ergebnisse der Metadatenanalyse, die im Rahmen einer makroanalytischen Untersuchung der Themen und Inhalte im Printmedienkorpus durchgeführt wurde, werden im nächsten Kapitel dargestellt.

247

Österreichische Printmedien

4.2.2. Ergebnisse 4.2.2.1. Themen und Inhalte: Makro- und Metadatenanalyse Die Datenbankrecherchen förderten 53 Artikel zu Tage, die die EU-Mehrsprachigkeitspolitik nach den vordefinierten Kriterien thematisierten. Diese 53 Artikel, von denen zwei jeweils gleichlautend an einem anderen Datum bzw. in unterschiedlichen Blättern veröffentlicht wurden, stammen aus zwölf österreichischen Tageszeitungen und zwei Wochenzeitschriften der Jahre 2003 sowie 2005 bis 2010 (siehe Tabelle 21).

Tabelle 21: Zeitungsübersicht – Datenbankrecherche Zeitungsname

Artikelanzahl

Politische Ausrichtung

national / regional

Die Presse

10

national

Wiener Zeitung

8

bürgerlichliberal95 liberal96

Salzburger Nachrichten Der Standard

7

national

Kurier

6

christlichliberal98 linksliberal99 bürgerlichliberal liberal100 liberal101

regional

6

Oberösterreich- 3 ische Nachrichten Tiroler 3 Tageszeitung

national

national national regional

Reichweite (Anzahl täglicher Leser)94 0,271 Mio. (3,8 %) n.a. / (Auflage: 40.000)97 0,253 Mio. (3,6 %) 0,374 Mio. (5,3 %) 0,575 Mio. (8,1 %) 0,342 Mio. (4, 8 %) 0,280 Mio. (3,9 %)

Erscheinungsart / Format täglich großformatig täglich (Di-Sa) großformatig täglich großformatig täglich großformatig täglich großformatig täglich großformatig

Anmerkungen

Besitzer : Republik Österreich 1x identisch/ OÖN

1x identisch/ SN

täglich großformatig

94 siehe Media Analyse 2010, http://www.media-analyse.at (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 95 lt. Blattlinie, siehe http://diepresse.com/unternehmen/613276/Die-PresseBlattlinie (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 96 vgl. http://derstandard.at/1259282342864/Reinhard-Goeweil-Wiener-Zeitung-soll-liberale-offene-Qualitaetszeitung-werden (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 97 vgl. http://www.observer.at/wiener-zeitung-soll-liberale-offene-qualitatszeitung-werden972 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012). 98 vgl. Blattlinie: »Die Salzburger Nachrichten sind […] dem christlichen Weltbild verpflichtet, und treten unabdingbar für die Freiheit des einzelnen Menschen ein«, http:// www.voez.at/l8 m90w161 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 99 vgl. Lengauer/Vorhofer (2010: 166) 100 lt. Blattlinie, http://www.zis.at/index.aspx?id=75 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 101 vgl. Blattlinie: »freie, pluralistische Gesellschaftsordnung«, http://www.voez.at/l8 m90w 149 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012)

248

Empirische Fallstudie

(Fortsetzung) Zeitungsname

Artikelanzahl

Politische Ausrichtung

national / regional

Reichweite (Anzahl täglicher Leser)94

Erscheinungsart / Format

Anmerkungen

Kleine Zeitung

2

christlichliberal102

regional

0,855 Mio. (12 %)

täglich kleinformatig

Vorarlberger Nachrichten Wirtschaftsblatt

2

konservativ

2

wirtschafts- national liberal103

0,181 Mio. (2,6 %) 78.000 (1,1 %)

täglich großformatig täglich großformatig

2x identisch/ unterschiedliches Datum

Falter

1

Kärntner Tageszeitung Österreich

1

linksliberal liberal

regional

1

profil

1

populistisch linksliberal

überregional überregional

0,102 Mio. (1,4 %) 48.000 (0,7 %) 0,680 Mio. (9,6 %) 0,450 Mio (6,3 %)

wöchentlich großformatig täglich kleinformatig täglich kleinformatig wöchentlich kleinformatig

Summe

53 (bzw. 51 ohne identische Texte)

national

Schwerpunkt: Wirtschaft Schwerpunkt: Wien Besitzer bis 2009: SPÖ tw. gratis erhältlich

Auffallend viele Texte, ungefähr zwei Drittel aller Artikel, erscheinen in Zeitungen, die in Österreich – unabhängig von deren teilweise identischer Selbstcharakterisierung – sowohl in der Fachliteratur als auch im öffentlichen Diskurs häufig als ›Qualitätszeitungen‹ bzw. ›Qualitätsmedien‹ bezeichnet werden (bspw. Standard, Presse, Salzburger Nachrichten, Wiener Zeitung)104. Dieses Attribut dient vor allem zur Abgrenzung gegenüber dem Boulevard, der unter den österreichischen LeserInnen allerdings über eine ungleich höhere Reichweite verfügt. Es kann als österreichische Spezifizität gewertet werden, dass mit dem kleinformatigen Boulevardblatt Kronen Zeitung eine einzige Tageszeitung über eine Reichweite von ca. 39 % verfügt (weit abgeschlagen folgen die Kleine Zeitung und die gänzlich bzw. teilweise gratis erhältlichen Boulevardzeitungen Heute und Österreich mit ca. 10 – 12 % Reichweite).105 Umso bezeichnender erscheint, dass den Ergebnissen der Datenbankrecherche zufolge kein einziger 102 vgl. Blattlinie: »auf dem Boden christlicher Weltanschauung, tritt für eine plurale, demokratische Gesellschaftsordnung […] ein«, http://www.kleinezeitung.at/allgemein/ueberuns/1041/index.do (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 103 vgl. Blattlinie: »liberale österreichische Tageszeitung […] Entfaltung der Marktwirtschaft […] gegen ihre Beschränkungen«, http://www.voez.at/l8 m90w141 (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 104 Zur Unterscheidung zwischen Boulevard und Qualitätszeitung vgl. Udris/Lucht (2009: 35 f.). 105 Siehe Media Analyse 2010 unter http://www.media-analyse.at (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012). Für Studien über den manipulativen Charakter der Kronen Zeitung in der Vergangenheit siehe u. a.: Menz (1989) und Gruber/Wodak (1992).

Österreichische Printmedien

249

Artikel in der Kronen Zeitung mit einem der Stichwörter zur EU-Mehrsprachigkeitspolitik erscheint, während von den drei anderen Zeitungen mit der größten Reichweite lediglich die Kleine Zeitung und Österreich insgesamt dreimal über die relevanten sprachenpolitischen EU-Ereignisse berichten. Die Schlussfolgerung, dass die Kronen Zeitung gar nicht über EU-Mehrsprachigkeitspolitik berichtet, wäre jedoch verfehlt. Vielmehr verwendet sie in ihrer Berichterstattung über die genannten sprachenpolitischen EU-Ereignisse keine der im Suchalgorithmus festgelegten Stichwörter-Kombinationen.106 Während in den Jahren 2003 bzw. 2005 nur ein bzw. zwei Artikel EU-Mehrsprachigkeitspolitik zum Thema machen, erscheint mit 28 Artikeln mehr als die Hälfte der recherchierten Printmedientexte im Jahr 2006. Der Höhepunkt der Berichterstattung fällt somit auf das Jahr, in dem die Erweiterung der EU durch Rumänien und Bulgarien unmittelbar bevorsteht und die Kommissarsposten teilweise neu aufzuteilen sind. Dementsprechend wird in diesen Artikeln vorwiegend über die Ernennung Leonard Orbans als EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit und dessen neu eingerichtetes Ressort berichtet. Interessanterweise reißt die Berichterstattung über EU-Sprachenpolitik danach abrupt ab, sodass im Jahr 2007 nur noch zwei Artikel wiederum über den Amtsantritt Orbans berichten. In den folgenden zwei Jahren wird mit jeweils 7 – 8 Artikeln wieder etwas mehr über EU-Sprachenpolitik berichtet, im Jahr 2010 allerdings nur noch viermal. Zum Jahreswechsel zwischen 2009 und 2010 steht dabei ein weiteres Mal die EU-Personalpolitik im Zentrum der Thematisierung von Orbans Mehrsprachigkeitsressort. Tabelle 22 gibt eine Übersicht über die Metadaten der einzelnen Artikel, die von den Datenbanken zur Verfügung gestellt bzw. mit eigenen Auswertungen bezüglich Textsorte und thematisiertem sprachenpolitischen Ereignis ergänzt wurden.

106 Weitet man die Suchanfrage aus, indem man bspw. den letzten Teil des Suchalgorithmus streicht (d. h. die Stichwörter »aktionsplan, orban, rahmenstrategie*, mehrsprachigkeitsstrategie*, strategie*«), so weist die Datenbank u. a. folgende Kurzmeldung als Treffer aus, die am 18. 11. 2006 unter dem Titel »EU-Kommissar fürs Krenreiben« in der Kronen Zeitung erschienen ist: »Millionen Menschen in Europa haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Die EU hat die gegenteilige Sorge. Brüssel findet keine Arbeit für die in der Regel ohnehin unqualifizierten EU-Kommissare: Da auch das neue Mitglied Rumänien einen Kommissar bekommen muss, den 27., wurde für ihn das Ressort ›Mehrsprachigkeit und Übersetzungen‹ erfunden. Somit wird der Rumäne mit 18.233 Euro Gage pro Monat (!) der teuerste Dolmetsch aller Zeiten.« (N.N. 2006). Da eine solche erweiterte Suchanfrage zu viele Treffer generiert, konnten diese für eine systematische Analyse im Rahmen der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt werden. Jedoch finden sich einige der wichtigsten diskursiven Strategien und Stilmittel des zitierten Kronen Zeitung-Artikels (u. a. Zahlen- und Kostentopos) auch im Artikel der Boulevard-Zeitung Österreich vom 12. 02. 2010 wieder, der als Bestandteil des analysierten Printmedienkorpus (Artikel 39/2010) weiter unten behandelt wird.

APO Außenpolitik Auslands-Chronik APO Europa ALL Außenpolitik ALL na APO Europa Außenpolitik

2006 – 10 – 31 2006 – 10 – 31 2006 – 10 – 31 2006 – 11 – 03 2006 – 11 – 16 2006 – 11 – 16 2006 – 11 – 27

2006 – 11 – 28 2006 – 11 – 28

IPO Innenpolitik APO Europa

APO Europa Außenpolitik

ALL REPORT

2006 – 11 – 01 Kleine Zeitung

2006 – 11 – 28 2006 – 11 – 28

ALL REPORT

2006 – 05 – 31 Kleine Zeitung

Kurier Der Standard Wiener Zeitung Tiroler Tageszeitung Die Presse Die Presse Salzburger Nachrichten Die Presse Salzburger Nachrichten Tiroler Tageszeitung Wiener Zeitung

ALL bi ALL bi

2005 – 09 – 22 Die Presse 2006 – 04 – 22 Die Presse

Ressort KAR Karriere EXT Extra

Zeitung

2003 – 08 – 16 Der Standard 2003 – 09 – 24 Falter

Datum

Tabelle 22: Übersicht Printmedienartikel – Datenbankrecherche

Bericht Kurzbericht

Bericht Bericht

Hintergrundfakten/Quiz Hintergrundfakten/Quiz Bericht Bericht Bericht Bericht Kurznotizen Bericht Bericht

Bericht Hintergrundinformationen/ Tipps Bericht Bericht

Textsorte

9 6

8 9

6 8 5 14 38 4 8

47

23

K23 K23

186 153

328 261

162 162 351 579 371 425 496

275

275

369 449

Ernennung Orbans Ernennung Orbans, (Jahr des interkulturellen Dialogs) Ernennung Orbans Ernennung Orbans

Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans

Aktionsplan

Aktionsplan, (europäisches Jahr der Sprachen), (Gründung des Sprachenkomitees und universitärer Sprachenzentren)

Seite Wort- Ereignis/Thema anzahl 2 185 Aktionsplan 15 521 Aktionsplan

identische Texte

beinahe identische Texte

Anmerkung

250 Empirische Fallstudie

Kurznotizen Kurznotizen Kurznotiz Kurznotizen Kurznotizen Kurznotizen Kurznotizen Kurznotiz Kurznotiz Kurznotiz Kommentar Interview Interview Bericht Bericht Kurzbericht Kurzbericht Bericht

Außenpolitik [Überblick] [n.a.] Außenpolitik APO Europa Außenpolitik Außenpolitik Allgemein Europa Außenpolitik [Der Standpunkt] Außenpolitik APO Außenpolitik Osteuropa APO Europa [n.a.] [n.a.] [n.a.] ALL Die Welt

2006 – 11 – 29 Der Standard 2006 – 12 – 13 Kurier 2006 – 12 – 13 Neue Kärntner Tageszeitung 2006 – 12 – 13 Oberösterreichische Nachrichten 2006 – 12 – 13 Die Presse 2006 – 12 – 13 Salzburger Nachrichten 2006 – 12 – 13 Der Standard 2006 – 12 – 13 Tiroler Tageszeitung 2006 – 12 – 13 Wiener Zeitung 2006 – 12 – 14 Oberösterreichische Nachrichten 2006 – 12 – 22 Salzburger Nachrichten 2006 – 12 – 27 Salzburger Nachrichten 2006 – 12 – 29 Der Standard 2006 – 12 – 29 Wirtschafts-Blatt 2007 – 01 – 05 Die Presse 2007 – 01 – 23 Kurier 2008 – 02 – 01 Kurier 2008 – 02 – 18 Kurier

2008 – 09 – 19 Wiener Zeitung

Kurznotizen

Textsorte

Zeitung

Ressort

Datum

(Fortsetzung)

6

4 10 4 5 5 4–5

10

1

4 11 64 6

6 9

6

4 4 6

287

535 331 490 242 96 772

1001

413

275 64 80 57

202 298

106

393 295 49

Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans (Maalouf-Report) (Maalouf-Report), (Jahr des interkulturellen Dialogs) Strategie

Ernennung Orbans

Ernennung Orbans

Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans

Ernennung Orbans Ernennung Orbans

Ernennung Orbans

Ernennung Orbans Ernennung Orbans Ernennung Orbans

Seite Wort- Ereignis/Thema anzahl

Anmerkung

Österreichische Printmedien

251

Zeitung

2010 – 09 – 13 Die Presse 2010 – 02 – 23 Kurier 2010 – 02 – 13 Salzburger Nachrichten 2010 – 02 – 12 Österreich

2009 – 02 – 20 Vorarlberger Nachrichten 2009 – 02 – 20 Der Standard

2008 – 10 – 10 Vorarlberger Nachrichten 2008 – 11 – 08 Die Presse 2008 – 11 – 20 Wiener Zeitung 2009 – 11 – 23 Salzburger Nachrichten 2009 – 11 – 23 Oberösterreichische Nachrichten 2009 – 09 – 21 profil 2009 – 09 – 16 Wiener Zeitung 2009 – 09 – 16 Wirtschafts-Blatt 2009 – 09 – 11 Presse

2008 – 10 – 01 Wiener Zeitung

Datum

(Fortsetzung)

Bericht Bericht Bericht Bericht

Außenpolitik Europa

[Bildung]

Bericht

Bericht Kurzbericht Kurznotiz Bericht

Österreich Europa Osteuropa Inland

Thema

Bericht

Politik

Bericht

Reisebericht Bericht Bericht

Zeichen der Zeit Europa Außenpolitik

Lokal

Bericht

Hintergrundbericht

Textsorte

ALL Management – Recht – Verwaltung [Fußnoten eines Europarechtlers] Politik

Ressort

2, 4

24 6 5

2

A11

30 6 9 4

5

S2 6 5

A2

26

764

687 309 448

305

289

977 118 40 384

259

536 174 259

270

548

Ressort Orbans/ Nachbesetzung Aktionsplan Ressort Orbans/Bilanz Zitat Orbans, (Übersetzungsstrategie) Ressort Orbans/Gehalt

Ressort Orbans Zitat Orbans Zitat Orbans Ressort Orbans/ Nachbesetzung Ressort Orbans

Ressort Orbans

Zitat Orbans, (Übersetzungsstrategie) Rede Orbans Strategie

Strategie, (Tag der Sprachen), (Jahr der Sprachen)

Seite Wort- Ereignis/Thema anzahl

identische Texte

Anmerkung

252 Empirische Fallstudie

Zeitung

Mittelwert

2010 – 02 – 10 Wiener Zeitung

Datum

(Fortsetzung)

Management – Recht – Verwaltung [Fußnoten eines Europarechtlers]

Ressort Hintergrundbericht

Textsorte

347

Seite Wort- Ereignis/Thema anzahl 11 467 Zitat Orbans Y

Anmerkung

Österreichische Printmedien

253

254

Empirische Fallstudie

Neben der ungleichen Verteilung der erzielten Treffer in einzelnen Zeitungen (vorwiegend in ›Qualitätszeitungen‹) und Zeiträumen (mehrheitlich im Jahr 2006), fallen zwei weitere Ergebnisse der makroanalytischen Auswertung auf: Der überwiegende Teil der Artikel thematisiert das Amt des EU-Mehrsprachigkeitskommissars Orban und realisiert hierbei tatsachenbetonte Textsorten wie Bericht oder Kurznotiz. Meinungsbetonte journalistische Darstellungsformen wie Kommentar, Glosse oder Leitartikel sind hingegen praktisch gar nicht vertreten. Lediglich in den Salzburger Nachrichten findet sich in der Rubrik ›Der Standpunkt‹ ein Kommentar, in dem der Autor Gerald Stoiber argumentiert, dass Zuwanderung ein sinnvolleres Ressort gewesen wäre als das »schwammige Portfolio ›Mehrsprachigkeit‹«: »Zuwanderung wäre ein Aufgabengebiet, das eines EU-Kommissars würdig wäre. EU-Kommissionspräsident Jos¦ Manuel Barroso fehlte zu dieser Entscheidung aber der Mut. Daher betreut Frattini das Thema mit und der neue rumänische EU-Kommissar Leonard Orban muss ab Jänner versuchen, das schwammige Portfolio ›Mehrsprachigkeit‹ mit Leben zu erfüllen. Er wird Mühe haben, mehr als nur der Leiter des Übersetzungsdienstes zu sein.« (5/2006). Eine Besonderheit stellt die im Korpus vertretene Textsorte Reisebericht dar : Martin Leidenfrost bedient sich dieser Textsorte in seiner Kolumne »Brüssel zartherb«, die in der Presse-Beilage Spectrum erscheint, um über die Arbeits- und Lebensweise der als langweilig charakterisierten Eurokraten, darunter auch Leonard Orban, aus der Perspektive eines nach Brüssel gereisten Beobachters zu berichten (vgl. Leidenfrost 2010). Über sprachenpolitische EU-Ereignisse, die sich nicht um die Ernennung Leonard Orbans als EU-Mehrsprachigkeitskommissar drehen, wird vergleichsweise selten berichtet: Sechsmal wird der Aktionsplan thematisiert und viermal über die EU-Mehrsprachigkeitsstrategie aus den Jahren 2005 oder 2008 berichtet, wobei die Artikel über den Aktionsplan teilweise identisch sind. Neben den Ereignissen, nach denen in der Datenbankrecherche gezielt gesucht wurde, berichten einige Artikel im Untersuchungskorpus über eine Reihe weiterer sprachenpolitischer Ereignisse, die mit ersteren eng zusammenhängen, darunter das Europäische Jahr der Sprachen 2001, das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs 2008 und die Veröffentlichung des sogenannten MaaloufReports (vgl. Kapitel 3.1.1). Bei letzterem handelt es sich um einen Bericht der von der Kommission eingesetzten »Intellektuellengruppe für den interkulturellen Dialog« unter der Leitung von Amin Maalouf (Maalouf 2008). Darüber hinaus ist in zwei Artikeln nicht von der EU-Mehrsprachigkeitsstrategie im Sinn der oben definierten sprachenpolitischen EU-Ereignisse die Rede, sondern von einer Übersetzungsstrategie der EU, die festlege, in welche und wie viele Sprachen bestimmte EU-Dokumente übersetzt werden müssen (20/2008 und 37/ 2010). Zahlenmäßig bleibt die Thematisierung dieser Ereignisse aber in der Minderheit gegenüber der Berichterstattung über das Amt bzw. Ressort des EU-

Österreichische Printmedien

255

Mehrsprachigkeitskommissars Leonard Orban im Ausmaß von 35 Artikeln bzw. zwei Dritteln aller Texte im Printmedienkorpus. In mehreren Artikeln bildet EUSprachenpolitik allerdings kein Haupt-, sondern ein Nebenthema: So wird beispielsweise Orban als EU-Mehrsprachigkeitskommissar nur am Rande erwähnt oder zitiert, um auf die hohen Gehälter der EU-Funktionäre zu verweisen, um die Rolle des Englischen in der Schule zu erörtern, oder um über ein neues slowakisches Sprachgesetz zu berichten. Was die Einteilung in Ressorts betrifft, erscheinen die meisten Artikel im Ressort »Außenpolitik«, wobei Presse und Wiener Zeitung im enger spezifizierten Ressort »Europa« über die EU-Sprachenpolitik berichten und das WirtschaftsBlatt unter »Osteuropa«. Die durchschnittliche Länge aller Artikel beträgt 347 Wörter (Median: 305 Wörter), wobei die Spanne von 40 Wörtern in einer Kurznotiz bis hin zu ca. 1.000 Wörtern in einem Bericht des Magazins profil oder in einem Interview mit Leonard Orban in den Salzburger Nachrichten reicht. Geht man von der durchschnittlichen Artikellänge in Qualitätszeitungen aus, die für Korpora anderer Studien berechnet wurde (vgl. bspw. Ehrensperger 2009: 113 ff.), erscheint die durchschnittliche Länge der Artikel über EUMehrsprachigkeitspolitik vergleichsweise gering. Auffallend ist auch die Platzierung der Artikel: Nur vier der 53 recherchierten Artikel werden auf den ersten drei Seiten abgedruckt. Dies kann neben der Kürze der Artikel und der geringen Anzahl meinungsbetonter Texte als Indikator dafür gewertet werden, dass die EU-Mehrsprachigkeitspolitik kein vorrangiges Thema für die printmediale Berichterstattung darstellt. In dieses Bild fügt sich, dass von den recherchierten Printmedientexten einige aus beinahe gleichlautenden EU-Pressemitteilungen oder Agenturmeldungen übernommen sein dürften. So weist beispielsweise der Bericht über den Aktionsplan im Standard aus dem Jahr 2003 starke intertextuelle Bezüge zu einer Pressemitteilung der EU-Kommission107 auf, die in gekürzter und kaum reformulierter Version wiedergegeben wird – der jeweils erste Absatz der beiden Texte ist etwa identisch (PM 2003/1). Mitunter wird auch wortwörtlich aus den thematisierten EU-Dokumenten zitiert, ohne dies sichtbar zu machen: In PM 2003/2 betrifft dies beispielsweise den Satz »Die neue Union wird 450 Millionen Europäer mit unterschiedlichem ethischem [sic], kulturellem [sic] und sprachlichem [sic] Hintergrund vereinen.«108 Dieser Satz wird samt Rechtschreib- und Grammatikfehlern aus dem Aktionsplan – möglicherweise über weitere intertextuelle Schnittstellen wie Presse- oder Agenturmeldungen – in 107 vgl. http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/03/1112& language=DE (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012) 108 vgl. http://ec.europa.eu/education/doc/official/keydoc/actlang/act_lang_de.pdf (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012)

256

Empirische Fallstudie

den Falter übernommen und lautet dort: »Die Europäische Union wird demnächst 450 Millionen Europäer mit unterschiedlichem ethischem, kulturellem und sprachlichem Hintergrund vereinen.« Insbesondere das doppelt falsch geschriebene ethischem mag nicht nur als Hinweis auf die Kopierpraxis in den Printmedien gelten, sondern auch auf die starke Arbeitsbelastung des Übersetzungsdienstes der EU. Über EU-Mehrsprachigkeitspolitik wird in den österreichischen Printmedien insgesamt in einem vergleichsweise geringen Ausmaß berichtet, wenngleich die besonders aktive Phase der EU-Sprachenpolitik vor und während der Amtszeit Leonard Orbans Spuren in der Berichterstattung hinterlässt. Hierbei werden vorrangig Fakten und Informationen über EU-Sprachenpolitik aus einer quasi ›neutralen‹ Perspektive vermittelt, indem bereits vorhandene Texte (etwa Pressemitteilungen und Agenturmeldungen) kompiliert und massenmedial reproduziert werden. Argumentative Stellungnahmen und ausführliche Reportagen sowie selbst recherchierte Hintergrundberichte (etwa Waldemar Hummers Kolumne »Fußnoten eines Europarechtlers«) bilden hingegen die Ausnahme, ebenso wie der einzige im Printmedienkorpus vertretene Boulevard-Artikel, der aus der Zeitung Österreich stammt (39/2010). Letzterer bedient sich dabei dem Genre entsprechend weder einer ›neutralen‹ Perspektive noch einer sachlich-rational begründeten Argumentationslinie, sondern eines für den Boulevard typischen Kampagnenstils, in dem der moralisierende Appell an Gefühle der Empörung gegen die hohen Gagen der EU-Kommissionsbeamten, darunter das Gehalt des namentlich genannten Leonard Orban, im Vordergrund steht (vgl. Bruck/Stocker 2002: 26 ff.). Zusätzlich zur Metadatenanalyse wurden die Themen und Inhalte der Printmedientexte mit MAXQDA nach dem oben beschriebenen Schema analysiert (vgl. Kapitel 2.5.2). In Übereinstimmung mit der Metadatenanalyse zeigte sich, dass die meisten der codierten Themen dem Makrocode Europäische Union und dabei vor allem den Subcodes EU-Personalpolitik und EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit sowie EU-Erweiterung zuzuordnen waren. Weitere Makrocodes, deren Subcodes besonders häufig zur Annotation von Themen eingesetzt wurden, sind: Sprachstatus (Subcodes: v. a. Amtssprache, Fremdsprache, Minderheiten- und Regionalsprache) sowie Bildung (v. a. Sprachenlernen und Sprachkenntnisse), Wirtschaft (v. a. Kosten und Wirtschaft im Allgemeinen) und Übersetzung (v. a. Übersetzungs- und Dolmetschdienste der EU) sowie Prinzipien und Werte (v. a. Vielfalt und Demokratie). Tabelle 23 gibt eine Übersicht über die dominanten Themen und Subthemen im Printmedienkorpus (ab 10 Codierungen pro Makrocode).

257

Österreichische Printmedien

Tabelle 23: Themen und Subthemen – Printmedienanalyse Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10) 122

Makrocode (Thema)

EU

Subcode (Subthema\Sub-Subthema …)

Anzahl der Codierungen pro Subcode (auf Absatzebene) Sprachenpolitische EU-Ereignisse\EU- 28 Kommissar für Mehrsprachigkeit\EUKommissar für Mehrsprachigkeit (allg./sonst.) Sprachenpolitische EU-Ereignisse\EU- 21 Kommissar für Mehrsprachigkeit\Kandidatur bzw. Amtsantritt 2006/07 EU & Europa (allg. & sonst.) 14 EU-Erweiterung 11 EU-Personalpolitik\EU9 Personalpolitik (allg./sonst.) Sprachenpolitische EU6 Ereignisse\Aktionsplan 2004 – 2006 EU-Personalpolitik\Österreichische 4 EU-Personalpolitik Lissabon-Vertrag 4 4 Sprachenpolitische EUEreignisse\Mehrsprachigkeitsstrategie 2008 EU-Recht\EU-Recht (sonstiges) 3 Lissabon-Strategie 2 2 Sprachenpolitische EUEreignisse\Barcelona-Ziel der Dreisprachigkeit 2 Sprachenpolitische EUEreignisse\Bericht der Intellektuellengruppe unter Maalouf Sprachenpolitische EU-Ereignisse\EU- 2 Kommissar für Mehrsprachigkeit\Amtsende 2010 Sprachenpolitische EU2 Ereignisse\Europäischer Tag der Sprachen Sprachenpolitische EU2 Ereignisse\Europäisches Jahr der Sprachen 2001 Sprachenpolitische EU2 Ereignisse\Übersetzungsstrategie Vereinigte Staaten von Europa 2 1 Sprachenpolitische EUEreignisse\Europäisches Jahr des interkulturellen Dialogs

258

Empirische Fallstudie

(Fortsetzung) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=10)

41

21

24

13 11

Makrocode (Thema)

Subcode (Subthema\Sub-Subthema …)

Sprachenpolitische EU-Ereignisse\Sprachenpolitische EU-Ereignisse (allg./sonst.) Sprachstatus Amtssprache Fremdsprache Arbeitssprache Minderheiten- & Regionalsprache Englisch als Lingua Franca Adoptivsprache Gebärdensprache Muttersprache & Elternsprache Landessprache Unterrichtssprache Wirtschaft Kosten Wirtschaft (allg. & sonst.) Arbeit & Arbeitsplätze Tourismus, Reisen & Mobilität Bildung Sprachenlernen Sprachkenntnisse Bildung (allg. & sonst.) Schule & Schulbildung Universität Demokratie Streit & Konflikt Toleranz Übersetzung Übersetzungs- & Dolmetschdienst der EU Übersetzung (allg. & sonst.) Prinzipien Vielfalt und Werte

Anzahl der Codierungen pro Subcode (auf Absatzebene) 1 11 7 6 5 4 2 2 2 1 1 10 6 3 2 8 8 3 3 2 3 1 1 9 4 6

Die Teilergebnisse, welche die hier präsentierten Makroanalysen erbracht haben, erhärten die These, dass durch die Diskurse über Mehrsprachigkeit auf supranationaler politischer und nationaler medialer Ebene ein Bruch verläuft. Mehrsprachigkeit wird auf EU-Ebene in Zusammenhang mit Themen vor allem aus dem sozialen Feld Bildung, Übersetzen und Dolmetschen sowie Wirtschaft gebracht, aber auch auf zahlreiche andere Bereiche wie Kultur, Internet, Migration, Europäische Nachbarschaftspolitik, EU-Erweiterung und LissabonStrategie wird Bezug genommen. Die Kommunikation dieses EU-Diskurses über Mehrsprachigkeit nach außen erfolgt zwar laufend und erreicht im Jahr 2007 mit

259

Österreichische Printmedien

dem Amtsantritt des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit einen Höhepunkt, dennoch wird der EU-Diskurs über Mehrsprachigkeit nur zu einem kleinen Teil in den österreichischen Medien rezipiert. Das Hauptaugenmerk der österreichischen Medienrezeption liegt hierbei im Vergleichszeitraum auf der Ernennung von Kommissar Orban in Form von tatsachenbetonten Berichten und Kurzmeldungen mit Hauptaugenmerk auf die EU-Personalpolitik. Eine argumentative Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit und EU-Sprachenpolitik unter Bezugnahme auf Subthemen und angrenzende Diskurse aus den Feldern Bildung, Migration, Wirtschaft usw. findet in den österreichischen Printmedien kaum statt.

4.2.2.2. Diskursive Strategien 4.2.2.2.1. Nominationsstrategien Die Analyse der Nominationsstrategien im Printmedienkorpus erfolgte wie bei den Gruppendiskussionen mit Hilfe von MAXQDA, wobei das gleiche hierarchische Codesystem für die Codierung der einzelnen Nominationen auf Wortbzw. Wortgruppenebene zum Einsatz gekommen ist. Tabelle 24 gibt eine Übersicht über die einzelnen Makro- und Subcodes sowie die Anzahl der Codierungen in der Dokumentgruppe der Printmedienartikel (ab n=1). Tabelle 24: Nominationsstrategien – Codierungen (Printmedien) Makrocode

Subcode 1

Ortsnamen (Toponyme)

Staatengemeinschaften & supranationale Institutionen Staaten Städte Ortsnamen (sonst./allg.) Kontinente Bundesländer Berufsbezogene Anthroponyme Eigennamen Kollektiva (inkl. Nationyme) Politikbezogene Anthroponyme Sprachbezogene Anthroponyme Einzelsprachen

Soziale Akteure (Anthroponyme)

Sprachbezeichnungen (Linguonyme)

Subcode 2

Anzahl der Codierungen 243 146 93 30 22 1 218 188 60 19 1 85

260

Empirische Fallstudie

(Fortsetzung) Makrocode

Subcode 1 Sprachbezeichnungen (sonstige) Varietäten

Subcode 2

Anzahl der Codierungen 21

Österreichisches Deutsch

1

In der Kategorie der Ortsnamen fällt die steigende Anzahl der Codierungen von der regionalen zur globalen Ebene auf: Während mit Kärnten ein einziges Bundesland Erwähnung findet, werden Staatengemeinschaften und supranationale Institutionen ca. 250-mal angeführt. Wenig überraschend wurden mit letzterem Subcode sowie mit Kontinente ausschließlich Bezeichnungen für die Europäische Union und deren einzelne Institutionen sowie Vorkommnisse von Europa codiert. Das Akronym EU führt hierbei mit über 100 Nennungen gegenüber der ausgeschriebenen Variante mit ca. 10 Codierungen, gefolgt vom EU-Parlament mit ca. 30 Erwähnungen. Üblich sind auch Kurzformen wie Parlament (dreimal), Kommission (zwölfmal) oder Union (neunmal), deren Desambiguierung durch den Ko- und Kontext erfolgt. Etwas seltener finden folgende synonyme Bezeichnungen für die EU-Institutionen Gebrauch: Europaparlament (17-mal), Europäische Kommission (siebenmal) oder Europäisches Parlament (dreimal) sowie die Umschreibungen Brüsseler Behörde (zweimal), EU-Exekutivbehörde oder EU-Club (je einmal). Zu den zuletzt genannten periphrasierenden Bezeichnungen (bspw. durch Metonymien oder Antonomasien), die für journalistische Textsorten charakteristisch sind, zählt auch die Nomination Thinktank der EU-Kommission. Worauf sich diese metonymische Bezeichnung (gemeint ist offenbar das European Policy Center) tatsächlich bezieht, geht weder aus dem jeweiligen Satz noch aus dem Ko- und Kontext hervor : »Die ehemalige bulgarische Verbraucherschutz-Kommissarin Meglena Kuneva wird Leiterin des Thinktanks der EU-Kommission.« (27/2010). Supranationale Organisationen, die kein Bestandteil der EU sind, finden kaum Erwähnung: Lediglich die UNESCO und der Europarat, die beide in sprachenpolitische Aktivitäten wie das Europäische Jahr der Sprachen bzw. des interkulturellen Dialogs involviert waren, werden ein- bzw. zweimal genannt. Unter den sonstigen Ortsnamen dominiert neben vereinzelten regionalen Toponymen wie Baskenland oder Wales vor allem die Bezeichnung Mitgliedsstaat, die sich auf die EU-Mitgliedschaft bezieht und im Printmedienkorpus insgesamt siebenmal vorkommt. Weitere Komposita dieser Art sind Mitgliedsländer, Heimatstaat und Nationalstaat sowie EU-Staat, Nationalstaat und Super-Nationalstaat, die zumeist nur jeweils einmal als Nominationen fungieren. Ein Spezifikum der Printmedientexte innerhalb des untersuchten Diskurses

Österreichische Printmedien

261

über Sprache stellt das metaphorisch bzw. metonymisch gebrauchte Toponym Babylon bzw. Babel dar, mit dem insgesamt dreimal vor allem auf potentiell negative Auswirkungen der EU-Sprachenvielfalt referiert wird. Die übrigen Städtenamen mit insgesamt ca. 100 Codierungen nehmen insofern eine Ausnahmestellung ein, als sie zum überwiegenden Teil nicht in die syntaktischen Strukturen des Fließtextes eingebettet sind, sondern isoliert an dessen Anfang gestellt werden, um dort der journalistischen Textsorte des Berichts entsprechend den Ort der Berichterstattung anzuzeigen. Bei den Städtebezeichnungen dominiert dementsprechend mit 55 Nennungen die Stadt Brüssel, die als Standort der wichtigsten europäischen Institutionen wiederum auf den thematischen Fokus auf die Europäische Union verweist. Wie schon in den Gruppendiskussionen wird das Toponym Brüssel mitunter metonymisch und/oder personifizierend verwendet, um sich auf EU bzw. ihre politischen Aktivitäten zu beziehen. Neben Brüssel wird achtmal auf Straßburg, ebenfalls einem wichtigen EU-Sitz, und 15-mal auf Wien verwiesen. Auf Berlin und Bukarest wird jeweils viermal Bezug genommen, wobei Bukarest vor allem als Hauptstadt des EU-Beitrittskandidaten Rumänien und als Heimatland Orbans eine Rolle spielt. Mit Ausnahme von Klagenfurt handelt es sich bei den restlichen, jeweils einmal Erwähnung findenden, Städten um europäische Hauptstädte (Bratislava, Lissabon, Ljubljana, London, Paris und Sofia). Bei den Nennungen einzelner Staaten führt Rumänien mit insgesamt 62 Codierungen, gefolgt von Österreich mit 30 und Bulgarien mit 24 Codierungen, was dem Fokus der österreichischen Berichterstattung auf die beiden EU-Beitrittsstaaten entspricht. Bezeichnungen für Deutschland finden sich fünfmal sowie je dreimal für die Slowakei und für Irland, wobei auf letzteres zweimal mit der Antonomasie grüne Insel Bezug genommen wird. Die übrigen Nominationen dieser Kategorie verteilen sich auf Staaten, auf die jeweils ein- bis zweimal referiert wird. Innerhalb der zweiten Makrokategorie für Nominationen, den sozialen Akteuren, sind berufsbezogene Anthroponyme und Eigennamen besonders stark vertreten, während Personenbezeichnungen, die sich auf persönliche Beziehungen, Sprache, Religion oder Wirtschaft beziehen, kaum bis gar nicht vorhanden sind. Als einziges sprachbezogenes Anthroponym wurde die Nominalphrase »100 Millionen Menschen mit deutscher Muttersprache« codiert, die in Artikel 20/2008 als indirektes Zitat des Deutschen Bundestages Verwendung findet und dort mit dessen Forderung nach stärkerer Berücksichtigung des Deutschen bei der Übersetzung von EU-Dokumenten in Verbindung steht. Noch stärker als bei den Gruppendiskussionen ergibt sich die hohe Anzahl der Codierungen bei den berufsbezogenen Personenbezeichnungen aufgrund der häufigen Nennung politischer Ämter, allen voran des EU-Kommissars. Das Lexem Kommissar tritt in unterschiedlichen Nominationsvariationen insgesamt

262

Empirische Fallstudie

130-mal unter den codierten Wörtern und Wortgruppen auf. Das Amt von Leonard Orban wird mit folgenden unterschiedlichen Bezeichnungen belegt, von denen nur die einmalig gebrauchte Nomination Leiter des Übersetzungsdienstes ohne den Wortbestandteil Kommissar auskommt: (EU-)Kommissar für Mehrsprachigkeit, (EU-)Kommissar für Vielsprachigkeit und (EU-)Kommissar für Sprachenvielfalt sowie Sprachenkommissar bzw. Sprachen-Kommissar. Daneben finden sich zahlreiche Komposita für andere Ressorts wie Bildungskommissar, Außenkommissar, Kommunikationskommissarin, Steuerkommissar, Verbraucherschutzkommissarin usw. Von den vielen übrigen berufsbezogenen Bezeichnungen soll im Folgenden nur noch auf jene eingegangen werden, die sich auf sprachbezogene Berufe beziehen. Dazu zählen die jeweils einmalig auftretenden Bezeichnungen Europas Multi-Sprach-Talente, irische Übersetzer, Linguisten und Sprachvermittler. Öfter gebraucht werden die berufsbezogenen Anthroponyme Übersetzer (achtmal) und Schriftsteller (viermal). Als Schriftsteller charakterisiert werden dabei Amin Maalouf, der Interviewpartner Lojze Wieser in Text 25/2008, sowie Umberto Eco, wobei die beiden zuletzt genannten auch als Verleger bzw. Linguist bezeichnet werden. Auch auf die überaus zahlreich vorhandenen Eigennamen im Printmedienkorpus kann im Folgenden nur kursorisch eingegangen werden. Zu den frequentesten Eigennamen zählt erwartungsgemäß Leonard Orban, dessen voller Name oder Nachname insgesamt ca. 80-mal Erwähnung findet. Dahinter folgt der Name der Kandidatin aus dem zweiten EU-Beitrittsland Bulgarien, die EUKommissarin (Maglena) Kuneva (bzw. Kunewa) mit insgesamt 21 Vorkommnissen. Ebenfalls im zweistelligen Bereich befindet sich ansonsten nur noch der Name des EU-Kommissionpräsidenten Barroso, in dessen ersten Kabinett Orban mitwirkte (16 Codierungen). (Varujan) Vosganian, der ursprüngliche Kandidat Rumäniens für das Amt des EU-Mehrsprachigkeitskommissars, kommt auf neun Nennungen. Die restlichen Eigennamen entfallen vor allem auf andere PolitikerInnen der supranationalen Ebene, zu einem geringeren Teil auf nationale österreichische PolitikerInnen und auf die Namen der jeweiligen ArtikelAutorInnen. Während Eigennamen im Printmedienkorpus im Vergleich zu den Gruppendiskussionen und Interviews stärker vertreten sind, wurden Kollektiva in den Printmedientexten vergleichsweise selten codiert. Am weitaus häufigsten wird in den Artikeln auf das Kollektiv der Bürger Bezug genommen. Dieses Lexem findet sich insgesamt ca. 25-mal, wobei es zu etwa gleichen Teilen nicht näher spezifiziert wird, als Determinatum der Zusammensetzungen EU-Bürger und Unionsbürger fungiert oder innerhalb von Bezeichnungen wie Europas Bürger bzw. europäische Bürger vorkommt. Auch von Europäern ist öfters die Rede – insgesamt zeichnet sich also eine Dominanz der Bezeichnungen für die europäische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit ab. Daneben wird auf Europas

Österreichische Printmedien

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Minderheiten, Basken, Roma, Kärntner (Slowenen), Katalanen, Maltesen, Schotten, Einwohner von Wales, Zuwanderer, Deutsche, Letten, Franzosen, Iren, die Bewohner der grünen Insel und Österreicher sowie Schüler und Studenten Bezug genommen. Unter den ebenfalls vergleichsweise selten codierten politikbezogenen Anthroponymen, die sich jedoch zum Teil mit den bereits erwähnten berufsbezogenen Personenbezeichnungen überschneiden, finden sich vor allem Bezeichnungen für PolitikerInnen anhand von Parteizugehörigkeiten, die auf der supranationalen EU-Ebene (vorrangig als EU-Parlamentarier) tätig sind. Genannt werden hierbei in erster Linie die österreichischen Parlamentsparteien SPÖ und ÖVP, etwas seltener auch Fraktionen im EU-Parlament wie christlich-demokratische Fraktion und Fraktion der europäischen Sozialdemokraten. Jeweils einmal wird zudem auf deutsche Politiker, europäische Sozialisten, liberale Politiker und den Parteilosen (gemeint ist Leonard Orban) sowie die rumänische Konservative Partei (PC) Bezug genommen. Wertet man die Codes der Kategorie Sprachbezeichnungen aus, so fällt auf, dass zwar eine Reihe von Einzelsprachen benannt werden, jedoch keine Dialekte und nur eine einzige Varietät (Österreichisch) Erwähnung finden. Aufschlussreich ist auch die Verteilung der erwähnten Einzelsprachen: Englisch (seltener: die englische Sprache) dominiert hier mit 30 Codierungen, gefolgt von Deutsch (seltener: die deutsche Sprache) und Französisch mit 12 bzw. 13 Codierungen. Neben diesen drei ›großen‹ europäischen Sprachen bzw. EU-Arbeitssprachen, wird auch häufiger auf die 2007 neu hinzugekommenen EU-Amtssprachen Rumänisch und Bulgarisch Bezug genommen (sieben- bzw. fünfmal). Unter den Sprachen Europas finden ansonsten nur noch Irisch bzw. Gälisch und Italienisch (je viermal), Maltesisch (dreimal) sowie Katalanisch, Slowakisch und Ungarisch (je einmal) Erwähnung. Die sonstigen Sprachbezeichnungen, die teilweise auch unter Sprachstatus codiert wurden, umfassen vor allem Bezeichnungen für Sprache im Allgemeinen, für die Sprache(n) von MigrantInnen sowie für gemeinsame Sprachen. Spezifisch für die Printmedien erscheint die Verwendung des Lexems Idiom als Synonym für Sprache, was wiederum der Tendenz zu lexematischer Variation in journalistischen Textsorten geschuldet sein dürfte: So werden etwa im Artikel 2/2007 mit Gälisch, Irisch und keltisches Idiom drei verschiedene Bezeichnungen für die gleiche Sprache gefunden. Bezeichnungen wie Migrationssprache, Einwanderersprache und Migrantensprachen sowie Sprachen aus Drittstaaten lassen auf ein Bedürfnis schließen, zwischen ›fremden‹ und ›eigenen‹ Sprachen zu unterscheiden. Äquivalente Bezeichnungen für ›eigene‹ Sprachen, die den ›fremden‹ direkt gegenüberstehen, scheinen in den Printmedien jedoch weitgehend zu fehlen – im Gegensatz zu den Gruppendiskussionen und Politikerinterviews, wo Linguonyme wie unsere Sprache, einheimische Sprache oder autochthone Sprache (letztere allerdings im Sinn von

264

Empirische Fallstudie

Minderheitensprache) zu finden sind. Europas Sprachen oder gemeinsame Sprache wären Beispiele für Linguonyme in den Printmedien, die sich in diese Reihe einfügen ließen und etwa Bezeichnungen wie Sprachen aus Drittstaaten gegenüberstehen. Interessanterweise handelt es sich bei keinem der genannten Linguonyme des Typs ›eigene‹ Sprachen um zweigliedrige Komposita wie im Fall der Bezeichnungen für ›fremde‹ Sprachen, sondern um Wortgruppen, die zumeist aus einem prädikativen Adjektiv und dem Substantiv Sprache bestehen. Einen Spezialfall stellt das Linguonym (persönliche) Adoptivsprache dar, das dem Maalouf-Report entnommen ist und dort laut Artikel 25/2008 »›keineswegs eine zweite Fremdsprache, sondern gewissermaßen eine zweite Muttersprache‹« bezeichnen soll. Die Bezeichnung zweite Muttersprache erinnert wiederum an das gleichnamige Konzept in der Sprachenpolitik der Sowjetunion (russ. Sc_a_Z a_U^_Z pXl[), das ab den 1960er Jahren dazu diente, Russisch als transnationale Verkehrssprache in der sowjetischen Bevölkerung auch unter Nichtrussen durchzusetzen (vgl. Haarmann 1988: 1661; 1999: 770 f.). 4.2.2.2.2. Prädikationsstrategien Die meisten Prädikationsstrategien, die unter dem Makrocode Orte codiert wurden, beziehen sich auf die supranationale Staatsgemeinschaft Europäische Union und den Kontinent Europa. Die Bezeichnungen Europa und Europäische Union bzw. EU scheinen in den Printmedienartikeln weitgehend synonym gebraucht zu werden, wobei Europa als generalisierende Synekdoche des Typs ›totum pro parte‹ bzw. als Metonymie (geographische statt politische Entität) fungiert. Europa und die EU werden vor allem in kultureller, sprachlicher und zum Teil auch wirtschaftlicher Hinsicht positiv charakterisiert, wobei die Sprachenvielfalt bzw. Vielsprachigkeit gewissermaßen als bindendes Glied dieser positiven Eigenschaften dient. Die europäische Sprachenvielfalt wird nicht nur als herausragendes Merkmal des reichen kulturellen Erbes Europas angeführt, sondern auch als wirtschaftlicher Vorteil für die EU. So heißt es beispielsweise im Lead eines Artikels von Waldemar Hummer : »Seit mehreren Jahren besinnt sich die EU ihrer Sprachenvielfalt, die sie nicht nur als Träger eines reichen Kulturerbes, sondern auch als Wirtschaftsfaktor sieht.« (21/2008). Dem Wirtschaftsfaktor auf kollektiver Ebene der EU entsprechen die beruflichen Möglichkeiten auf individueller Ebene des Unionsbürgers: »Das Erlernen anderer Sprachen als die eigene Muttersprache durch die Unionsbürger ist wichtig, um damit die kulturellen, sozialen und beruflichen Möglichkeiten, die eine EU der 27 Mitgliedstaaten mit sich bringt, besser nützen zu können.« (21/2008). Diese beiden Textstellen sind zudem ein Beispiel für das im Printmedienkorpus charakteristische Phänomen des ›double voicing‹: Zumeist referieren die Zeitungsartikel die sprachenpolitischen Standpunkte der EU, indem sie die Stimme der EU mit jener der journalistischen AutorInnen zusammenfallen lassen.

Österreichische Printmedien

265

Verben des Meinens oder Berichtens (z. B. sehen) und Modalverben (z. B. soll) sowie Konjunktivformen (z. B. sei) weisen darüber hinaus auch auf der Textoberfläche auf die intertextuellen Verknüpfungen zwischen EU- und Printmedientexten hin (wie Kapitel 4.2.2.1 gezeigt hat, wird aber zum Teil auch auf den Konjunktiv der indirekten Rede verzichtet). Darüber hinaus legen die Prädikationsstrategien implizite oder explizite Vergleiche nahe, wenn Europa (bzw. die EU) beispielsweise als stolz auf seine Sprachenvielfalt und sein kulturelles Erbe charakterisiert wird oder als Besitzer bzw. Auftraggeber des größten Dolmetschdienstes der Welt sowie als politisch-kulturelles Gegenkonzept zum Superstaat bzw. Einheitsbrei der Vereinigten Staaten von Amerika. Innerhalb dieser Prädikationsstrategien wird die Bedeutung der USA für die EU insbesondere hinsichtlich ihrer politischen Systeme (im Sinn von polity) als ambivalent bewertet. So gehen in Artikel 4/2006 sowohl der Interviewer als auch Orban als Interviewter von einer wünschenswerten Entwicklung der EU zu einer politischen Union aus, wenngleich Orban die Rolle der USA als diesbezügliches Vorbild gerade in Hinblick auf die Sprachenpolitik in Frage stellt: »[ND: Interviewer :] Aber ist eine politische Union überhaupt möglich, etwa nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika? Orban: Kein Zweifel, die EU wird immer mehr zur politischen Union. Mehr Kompetenzen werden auf die Unionsebene transferiert werden. Auf der anderen Seite kann man die EU nicht mit den USA vergleichen. Ein großer Unterschied ist unsere Vielfalt von Kulturen und Sprachen.« Das kulturelle Erbe im Allgemeinen und die Sprachenvielfalt im Besonderen werden in den Artikeln nicht nur als positive Eigenschaften Europas bzw. der EU konstatiert, vielmehr dienen diese Prädikationsstrategien als Ausgangspunkt für Forderungen nach deren Schutz, Erhalt und Förderung im Sinn der EU-Sprachenpolitik, über die die Artikel berichten. Die Begründung dieser Forderungen wird mit der Charakterisierung Europas als demokratisch verknüpft, etwa in direkten Zitaten des Verlegers Wieser (»Sprache und Kultur ist ein demokratisches Recht«, 25/2008) oder im Interview mit Orban (»Europa ist sehr demokratisch, von den Mitgliedsstaaten bis nach Brüssel. Ich sehe den Mangel an einer gemeinsamen Sprache nicht als Hindernis.«). Dem zuletzt gebrachten Zitat Orbans in Artikel 4/2006 geht eine kritische Frage des Interviewers voran, in der er sich unter Berufung auf Kritiker ebenfalls der Strategie des ›double voicing‹ bedient: »Ohne gemeinsame Sprache gebe es keine europäische Öffentlichkeit und auch keine demokratische EU, sagen die Kritiker.« Damit kommen wir zur Auswertung der Prädikationsstrategien, die auf negativen Charakterisierungen der EU und Europas basieren. Im Printmedienkorpus sind diese zahlenmäßig zwar schwächer vertreten als die positiven Charakterisierungen, aufgrund ihrer Bündelung zu übergeordneten Prädikationsmustern aber dennoch aufschlussreich. Auffallend ist dabei, dass die der

266

Empirische Fallstudie

EU zugeschriebenen negativen Eigenschaften weniger deren gegenwärtigen Zustand, sondern vielmehr Gefahren ihrer zukünftigen Entwicklung betreffen. Dies tritt insbesondere auf den Artikel 25/2008 zu, dessen Schlagzeile dementsprechend Die Zukunft Europas lautet. Darin wird der Verleger und Schriftsteller Lojze Wieser mehrmals direkt und indirekt zitiert, um folgende drohende Auswirkungen unerwünschter Entwicklung der EU anzusprechen: das wilde Wachsen der EU, die Missachtung der Rolle der Sprache, die Entwicklung zu einem Superstaat und der drohende Einheitsbrei aus Sprachen und Kulturen. Um eine solche Entwicklung und damit auch das Ende der EU abzuwenden, sei Vielfalt nötig. Damit kommt Wieser zum gegenteiligen Schluss wie die oben zitierten Kritiker (4/2006), die im Gegensatz dazu eine gemeinsame Sprache fordern: »Sprache und Kultur ist ein demokratisches Recht. Wenn dieses Recht missachtet wird, drohen Menschen politisch zurückzuschlagen. Nur in Vielfalt kann eines Tages so etwas wie europäische Öffentlichkeit entstehen.« Wieser wendet sich damit gegen eine Stimme in der EU, die aus pragmatischen Gründen für Englisch als gemeinsame Sprache plädiert und in einem Zitat des VizeKommissionspräsidenten Günter Verheugen Ausdruck findet: »Englisch verstehen alle. […] So weit können die nationalen Präferenzen nicht gehen, dass man nicht die besten Möglichkeiten der Kommunikation nutzt, die man hat.« Das Muster, das sich aus diesen Prädikationsstrategien destillieren lässt, findet sich in Tabelle 25. Tabelle 25: Prädikationsmuster ›Europäische Union‹ Europäische Union Positive Evaluation Negative Evaluation

Position A

Position B

Sprachenvielfalt, Vielsprachigkeit Demokratie & europäische Öffentlichkeit Einheitsbrei, Einheitssprache

gemeinsame Sprache

Superstaat, wildes Wachsen Vereinigte Staaten von Amerika

Demokratie & europäische Öffentlichkeit modernes Babylon, Sprachenstreit nationale Präferenzen Sprachnationalismus

Das Oszillieren zwischen positiver und negativer Charakterisierung der sprachlichen Verfasstheit Europas bzw. der EU wird auch an den Schlagzeilen der einzelnen Artikel deutlich. Im Gegensatz zur häufigeren Erwähnung positiv konnotierter Schlagwörter wie Sprachenvielfalt, Vielsprachigkeit und Mehrsprachigkeit innerhalb der Fließtexte dominiert in den Schlagzeilen zumeist eine negative bzw. dramatisierende Wortwahl wie die folgenden Beispiele zeigen:

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Lost in Translation109 (2/2007), Ein EU-Kommissar fürs Sprachgewirr (21/2006), Sprachenstreit in der Union (20/2008), Erneut Sprachenstreit in der Union (1/ 2006) und EU-Alarm um Dolmetscher (1/2009 bzw. 4/2009). Der prinzipiell eher positiv konnotierte Ausdruck Sprachenvielfalt wird in der Schlagzeile des Artikels 29/2010 (Babylonische Sprachenvielfalt in der EU) durch das vorangehende attributive Adjektiv babylonisch in eine eher negative Charakterisierung gewendet. Die Babylon-Metapher findet sich im Printmedienkorpus mehrmals in Verbindung mit negativen Beschreibungen eines Zustandes, den es zu überwinden gelte: babylonische Verhältnisse, Babel-ähnliche Zustände oder babylonische Zustände sowie Sprachenbabel. Die Frage des Interviewers in Artikel 4/ 2006, ob die Charakterisierung der EU mit ihren 23 Amtssprachen als modernes Babylon für Orban zutreffend sei, verneint dieser, um ihr eine positive Darstellung der EU-Sprachenvielfalt gegenüberzustellen: »Ich teile diese Charakterisierung nicht. Die EU ist eines der ehrgeizigsten politischen Projekte. Die Sprachenvielfalt ist eine der Besonderheiten dieses Projekts. Diese Vielfalt ist für die Union sehr wichtig und muss bewahrt werden.« Prädikationsstrategien, die auf das semantische Feld ›Konflikt‹ zurückgreifen (etwa Sprachenstreit, Clinch oder Deutschland kämpft für deutsche Sprache), stehen im Printmedienkorpus zumeist in Zusammenhang mit der Charakterisierung einzelner EU-Staaten bzw. deren Sprachenpolitik. Die Sprachenpolitik Deutschlands und Frankreichs, aber auch diejenige diverser europäischer Sprachminderheiten, wird in 2/2007 als Sprach-Nationalismus klassifiziert. In Form generalisierender Synekdochen (›totum pro parte‹) werden hierfür nicht Bezeichnungen für politische Akteure wie Regierungen oder Staaten, sondern Kollektiva herangezogen (Katalanen, Basken, Deutsche, Franzosen usw.). Die Minderheiten werden hierbei als aufgemuntert beschrieben, Deutschland und Frankreich als große Länder klassifiziert und Franzosen als stolz charakterisiert: Vielen Europäern geht aber auch das nicht weit genug. Aufgemuntert durch den irischen Erfolg, fordern jetzt Katalanen, Basken, Schotten und die Einwohner von Wales die offizielle EU-Anerkennung ihrer Idiome. Doch Sprach-Nationalismus ist auch den großen EU-Ländern nicht fremd: Die Deutschen murren über die Dominanz des Englischen und Französischen und pochen darauf, dass Deutsch eine der drei »EUArbeitssprachen« ist. Demonstrativ hält denn auch die Ratspräsidentschaft alle Pressekonferenzen in der Muttersprache ab. Stolze Franzosen hingegen weigern sich weiterhin strikt, Englisch als die de facto europäische Lingua Franca anzuerkennen. (21/ 2008)

In diesem Absatz wird auch die Rolle deutlich, die einzelnen Sprachen innerhalb des ›Sprachkampfs‹ zugedacht wird: Geht es den europäischen Minderheiten um 109 Diese Schlagzeile spielt auf den gleichnamigen Titel eines Films von Sofia Coppola aus dem Jahr 2003 an.

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Empirische Fallstudie

die Anerkennung als EU-Amtssprache nach dem Vorbild des Irischen, so handelt es sich bei der sprachenpolitischen Zielsetzung Deutschlands (metonymisch als Ratspräsidentschaft bezeichnet) und Frankreichs um die Verankerung des Deutschen bzw. Französischen als EU-Arbeitssprache, während Englisch den Status einer »de facto europäischen Lingua Franca« einnimmt. In den Artikeln 26/2008 und 20/2008 wird in ähnlicher Weise vom Vorstoß diverser politischer Akteure Deutschlands (Bundesländer, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat) berichtet, dem Deutschen zu einer stärkeren Berücksichtigung in der Übersetzung von EU-Dokumenten zu verhelfen. Zur Bekräftigung dieser Forderungen wird Deutschland als größte wirtschaftliche Macht in Europa (26/2008) und das Deutsche als Sprache von 100 Millionen Menschen mit deutscher Muttersprache (20/2008) charakterisiert. In 1/2008 erscheint nicht Frankreich, sondern Portugal als sprachenpolitischer Widerpart, der nach einer Aufwertung der eigenen Landessprache in der EU strebt und hierfür die Bedeutung des Portugiesischen als global verbreitete Sprache hervorhebt, die »auch in Brasilien gesprochen« wird (vgl. die Prädikationsstrategien in Bezug auf Sprachen, S. 274 [Charakterisierung von Sprache(n) ]). Dem Artikel zufolge schließt sich Österreich der Forderung Deutschlands nicht an, sondern setzt sich für eine stärkere Verankerung des Potenzials von Migrantensprachen ein. Die Europäische Kommission wird demgegenüber als ablehnend gegenüber den ›sprachnationalistischen‹ Forderungen der einzelnen Mitgliedsstaaten beschrieben und nimmt quasi die Rolle als Bewahrerin des Status quo ein, die mit realpolitischen Argumenten zu punkten versucht: »Dagegen wehrt sich wiederum die EU-Kommission, die auf begrenzte Kapazitäten hinweist.« (1/2008). Eine ähnliche ›Story line‹ findet sich in einem, nicht im Korpus vertretenen ›Presse‹-Artikel von Regina Pöll vom 31. 01. 2007 mit der Schlagzeile »Berlin drängt seine Sprache in die EU: Deutschland will Deutsch, Österreich aber Englisch in den EU-Institutionen forcieren« (Pöll 2007). Darin heißt es in Bezug auf die Bemühungen Deutschlands, Deutsch als EU-Arbeitssprache zu forcieren: Die hohen Kosten sind es, warum Wien den deutschen Vorstoß nicht unterstützt. Österreich forciert eher eine breite Verwendung von Englisch. »Es wäre erstrebenswert, würden alle nur noch auf Englisch verhandeln«, meint Florian Haug vom Außenministerium – freilich nur »aus Gründen der Sparsamkeit und Effektivität«. In Brüssel bleibt man zum Sprachen-Vorstoß der deutschen Regierung gelassen. Indem man die amtlichen Dokumente auf Deutsch bereitstellt, entspreche man bereits den Vorgaben, heißt es in der EU-Kommission. (Pöll 2007)

Auf Grundlage dieses Artikels wurde am 29. 03. 2007 von einem FPÖ-Abgeordneten eine parlamentarische Anfrage an das österreichische Außenministerium »betreffend die Gleichstellung des Deutschen als Arbeitssprache in der

Österreichische Printmedien

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EU« gerichtet. Die schriftliche Antwort der damaligen Außenministerin Ursula Plassnik auf die zentrale Frage nach der österreichischen Sprachenpolitik in Hinblick auf den Status des Deutschen als EU-Arbeitssprache fiel folgendermaßen aus: Darüber hinaus unterstützt Österreich selbstverständlich die Bemühungen um eine Aufwertung der deutschen Sprache in der Europäischen Union. Österreich hat daher etwa während seiner Ratspräsidentschaft 2006 auf die Verwendung der deutschen Sprache, insbesondere auch als Arbeitssprache der Europäischen Union, besonderen Wert gelegt. Lediglich bei einzelnen Ratsarbeitsgruppen auf Beamtenebene sowie bei informellen Ministertreffen, bei denen die Verwendung der deutschen Sprache aus technischen bzw. finanziellen Gründen nicht angeboten wird, nimmt Österreich im Sinne von Sparsamkeit und Effizienz, an deren Einhaltung Österreich als Nettozahler besonders interessiert ist, eine pragmatische Haltung hinsichtlich des Sprachenregimes ein.110

In der Kategorie der sozialen Akteure sind jene Prädikationsstrategien besonders häufig vertreten, die auf den Eigennamen Leonard Orban bezogen sind. Wie bereits erwähnt stellt die Ernennung Orbans zum EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit das am häufigsten thematisierte sprachenpolitische Ereignis im Printmedienkorpus dar. So wird etwa über Orban als Rumäniens Ersatzkandidat für den Kommissarsposten berichtet, der ursprünglich für Varujan Vosganian vorgesehen war. Dieser musste den Printmedienberichten zufolge auf das Amt als EU-Mehrsprachigkeitskommissar verzichten, nachdem er im EU-Parlament – insbesondere aufgrund dessen angeblicher früherer Tätigkeit für den Geheimdienst Securitate – als ungeeigneter Kandidat kritisiert wurde. Während Vosganian (der statt EU-Kommissar letztlich rumänischer Wirtschaftsminister wurde) aus diesem Grund als umstrittener Kandidat charakterisiert wird, erhält Orbans Kandidatur im EU-Parlament laut Medienberichten eine breite Mehrheit. Über Orban wird aber nicht nur im Vorfeld seiner Ernennung ab 2006 berichtet, sondern auch während seiner Amtszeit und insbesondere gegen Ende derselben im Jahr 2010, als das Mehrsprachigkeitsportfolio wieder in das Ressort des Bildungskommissars übernommen wurde. Orban wird in den Printmedien als nicht unumstritten (18/2006) charakterisiert, wobei die Kritik vielschichtiger und vielstimmiger erfolgt als im Fall Vosganians. Zum einen überlagern sich die kritischen Stimmen unterschiedlicher DiskursteilnehmerInnen, d. h. journalistischer AutorInnen, EU-Parlamentarier (v. a. SPÖ-Abgeordneter) und nicht explizit benannter Quellen, in der zumeist negativen Charakterisie-

110 Die parlamentarische Anfrage samt dem o.g. Artikel sowie die darauf erfolgte schriftliche Antwort der Außenministerin finden sich unter http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/ XXIII/J/J_00584/ (letzter Zugriff am: 12. 12. 2011).

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Empirische Fallstudie

rung Orbans. Zum anderen wird sowohl an den beruflichen Qualifikationen Orbans als auch am Amt des EU-Kommissars als solches Kritik geübt. Das Ressort des EU-Mehrsprachigkeitskommissars wird als nicht klar abgegrenzt (18/2006, 20/2006), als »Verlegenheitsjob«(17/2006, 21/2006, 23/2006) und als zu teuer (21/2006, 22/2006, 39/2010) sowie als gar nicht notwendig (22/ 2006) bezeichnet. Das Aufgabengebiet des Mehrsprachigkeitskommissars wird in der Beschreibung des Artikels 21/2006 auf die Leitung des Übersetzungs- und Dometschdienstes reduziert, um daraufhin nicht näher spezifizierte kritische Stimmen in Brüssel zu zitieren, die es als fraglich ansehen, ob das Mehrsprachigkeitsressort »den Tag eines Kommissars ausfüllt«. Auch im Interview mit dem Standard wird Orban mit der Einschätzung von KritikerInnen konfrontiert, wonach das Ressort ein »zu kleiner Aufgabenbereich für einen Kommissar« sei (1/2006). Orban weist diese Einschätzung in seiner Antwort zurück und rechtfertigt sein Ressort als wichtig sowie als komplizierte und »technische, aber auch politische Materie«. Die insgesamt sechsmalige Charakterisierung des EU-Mehrsprachigkeitskommissariats als »Verlegenheitsjob« erfolgt ausschließlich unter Anführungszeichen, um sich dabei mehr oder weniger direkt auf KritikerInnen aus dem EUParlament zu berufen. Die Bezeichnung Verlegenheitsjob wird durch beigefügte Attribute wie teuer, überbezahlt oder künstlich geschaffen zusätzlich negativ bestimmt, wobei zur Untermauerung dieser Darstellung mehrmals die Höhe von Orbans monatlichem Gehalt angeführt wird (21/2006, 22/2006, 23/2006). Artikel 23/2006 stellt die Kritik am EU-Mehrsprachigkeitsressort zusätzlich in den Mittelpunkt der Berichterstattung, indem die negative Charakterisierung in Form einer rhetorischen Frage zu folgender Schlagzeile verdichtet wird: »Braucht EU einen Sprach-Kommissar?«. Der nachfolgende Lead fasst die Eckpunkte der Kritik an Orban zusammen: »18.233 Euro MonatsGage [sic]. Widerstand gegen einen ›überbezahlten Verlegenheitsjob‹.« Artikel 21/2006 verweist darauf, dass die genannten Kritikpunkte zwar nicht im eigentlichen Verantwortungsbereich Orbans liegen, dieser sich im Zuge seiner Kandidatur aber dennoch dafür rechtfertigen müsse: »Und er wird auch für etwas geradestehen müssen, für das er nichts kann: Kommissionspräsident Jos¦ Manuel Barroso hat ihm das Dossier Mehrsprachigkeit zugeteilt. Beim Hearing werden ihn kritisch gesinnte Abgeordnete fragen, ob der ›Verlegenheitsjob‹ wirklich 18.233 Euro Monatsgage wert ist.« Auch in der Boulevard-Zeitung Österreich wird auf die hohen Kosten verwiesen, die die EU-Kommissare verursachen, wobei Orban und sein Ressort nicht eigens thematisiert werden, sondern in einer tabellarischen Aufstellung über Reisekosten und Spesen sämtlicher Kommissionsmitglieder an vorletzter Stelle aufscheinen (39/2010). Die Wortwahl in diesem Artikel orientiert sich deutlich am Boulevard-typischen Register und hebt sich damit von den anderen Texten im Printmedienkorpus ab (die

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Metaphern EU-Gagenkaiser, Jet-Set-King und Spesenparadies EU sowie die Hyperbeln Luxusleben und Horror-Bericht mögen als Beispiele für den emotionalisierenden Sprachgebrauch im Österreich-Artikel genügen). Positivere Charakterisierungen des Mehrsprachigkeitsressorts finden sich nicht nur seltener, sondern mischen sich zudem mit einer eher negativen Bilanz über Orbans Arbeit gegen Ende seiner Amtszeit von Herbst 2009 bis Frühling 2010. Artikel 1/2009 bedient sich einer Litotes (»nicht ganz so unwichtig«), um die Bedeutung des Ressorts im Rückblick einer erneuten Bewertung zu unterziehen, wobei der Zahlentopos und das deiktisch gebrauchte Adverb hier auf den personellen Mangel an qualifizierten DolmetscherInnen in den EU-Sprachvermittlungsdiensten verweisen: »Die Zahlen zeigen, dass das viel geschmähte Ressort für Mehrsprachigkeit in der Kommission doch nicht ganz so unwichtig ist. Der Rumäne Leonhard Orban als erster Amtsinhaber hat hier seit fast drei Jahren offenbar nicht viel ausrichten können.« Vor dem gleichen thematischen Hintergrund beklagt der für die EU-Kommission tätige Übersetzer Husch in den Salzburger Nachrichten (29/2010) den Personalmangel im EU-Sprachendienst seit den EU-Erweiterungen 2004 bzw. 2007, um gleichzeitig negativ über die Leistungen Orbans als EU-Mehrsprachigkeitskommissar zu bilanzieren: »Dennoch sei außer ›vollmundigen Versprechungen‹ vom damaligen EU-Sprachenkommissar Leonard Orban bis heute nichts passiert, kritisiert man im Europa-Ausschuss. Übersetzer Husch: ›Das lag daran, dass die Sprachendienste nicht so viele Stellen bekommen haben, wie sie hätten bekommen müssen‹«. Das konzessive Konjunktionaladverb dennoch in der Einleitung des ersten Satzes bezieht sich auf eine Stellungnahme des Bundestages, wonach alle parlamentarischen EU-Vorlagen in die deutsche Sprache übersetzt werden müssen. Auf diese Weise wird das Thema des Personalmangels in den Übersetzungs- und Dolmentschdiensten mit der Debatte um die Aufwertung des Deutschen als EUArbeitssprache verbunden. Eine gemischte Charakterisierung der Arbeit Orbans findet sich auch in einem Artikel in den Vorarlberger Nachrichten. Darin wird der Linguist Konrad Ehlich in seiner Einschätzung zitiert, dass das Mehrsprachigkeitsressort aus nationalem Kalkül der Mitgliedsstaaten mit einem zu geringen Budget ausgestattet wird: »›Wann immer heute von Einsparungen die Rede ist, wird Leonard Orbans Posten zuerst genannt.‹ Orban ist Kommissar für Mehrsprachigkeit. Der Job bleibt überschaubar. 2005 betrug das Budget 30 Millionen Euro, ›das ist ein Drittel Promille des Gesamthaushalts‹. Denn angesichts der Verkehrssprache Englisch brennt den Mächtigen die Pflege nationaler Sprachen nicht unter den Nägeln. Das hält Ehlich für falsch« (61/2009). Deutlich negativer fällt der Rückblick auf das Amt des EU-Mehrsprachigkeitskommissars im Kurier aus: »Leonard Orban, der als Kommissar für Vielsprachigkeit unbekannt blieb, dürfte rumänischer EU-Botschafter in Brüssel werden.« (20/2010).

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Als am 9. Februar 2010 die Amtszeit des Kabinetts Barroso I in der EUKommission zu Ende geht, wird in den österreichischen Printmedien im Vorfeld gehäuft über die Nachbesetzung des österreichischen EU-Kommissarspostens berichtet, insbesondere über die Frage, ob und wer ein einflussreiches Ressort bekommen könnte. In diesem Kontext wird das Ressort des EU-Mehrsprachigkeitskommissars wiederum in einem negativen Zusammenhang erwähnt: Während einige Artikel lediglich davon berichten, dass Orban nicht mehr als EU-Kommissar im nächsten Kabinett tätig sein wird, ziehen Presse (48/2009) und Profil (12/2009) das Ressort Mehrsprachigkeit als Beispiel für einen niedrigen Kommissarsposten heran, wobei das unpersönliche Pronomen man zur Verschleierung der betreffenden sozialen Akteure eingesetzt wird: »Weil man nicht mit einem eher niedrigen Kommissarsposten abgespeist werden will – etwa jenem für Mehrsprachigkeit, den derzeit der Rumäne Leonard Orban besetzt -, ist weiterhin Ex-Finanzminister Wilhelm Molterer Favorit.« (48/2009). Unter Berufung auf einen nicht näher benannten Beobachter wird das Ressort in diesem Artikel zudem indirekt als unwichtig charakterisiert: »Ziel sei es, ein ›sehr schönes, wichtiges Dossier in der EU-Kommission‹ für Österreich bei EUKommissionschef Jose Manuel Barroso durchzusetzen, sagte ein Beobachter.« Im Artikel des Magazins Profil wird Bundeskanzler Faymann sowohl im Fließtext als auch in einer Bildunterschrift mit einer ähnlichen – als Scherz interpretierten – Aussage zitiert: »Dass es um die Besetzung der künftigen Kommission ging, war kein Geheimnis. Doch Fragen von Journalisten wehrte Faymann ab, und flüchtete sich in einen Scherz: ›Mir ist jedes Ressort recht, mit Ausnahme des Kommissars für Vielsprachigkeit‹«. Die Kritik an Ressort und Aufgabenbereich des EU-Mehrsprachigkeitskommissars geht teilweise mit einer ebenfalls eher kritischen Charakterisierung der Person Orbans einher. In einer Bildunterschrift der Tiroler Tageszeitung (19/ 2006) wird Orban etwa mit einem ironischen Unterton als »guter Technokrat« bezeichnet, wobei unklar ist, auf welche Quelle sich das durch Anführungszeichen angedeutete Zitat bezieht. In 21/2006 wird Orban als »Politiker aus der zweiten Reihe« charakterisiert, womit vermutlich gemeint ist, dass Orban Vosganian als Kandidat ersetzen musste. Zu finden sind auch gemischte Einschätzungen, etwa in einem Zitat des österreichischen EU-Abgeordneten Hannes Swoboda (SPÖ), der auf Grundlage des Hearings folgende Bewertung abgibt: »Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass er ein seriöser Mann ist. Er muss noch ein bisschen dazulernen.« (21/2006). Neben eher neutralen Darstellungen durch personenbezogene Eigenschaften wie Alter (45-jährig) oder Nationalität (Rumäne) werden auch mehrmals die Fremdsprachenkenntnisse Orbans thematisiert. Interessant hieran ist, dass diese unterschiedlich bewertet und mit Orbans beruflicher Qualifikation bzw. dem Mehrsprachigkeitsressort in Zusammenhang gebracht werden. In Bezug auf das von der EU ausgerufene Bar-

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celona-Ziel, wonach jedeR EU-BürgerIn neben der Muttersprache noch zwei weitere Fremdsprachen beherrschen soll, findet sich etwa folgende Beurteilung der Fremdsprachenkenntnisse Orbans: »Leonard Orban wird allerdings die Vorgabe seiner Behörde noch nicht ganz erfüllen, da er neben seiner Muttersprache nur Englisch fließend beherrscht.« (21/2006). In eine ähnliche Stoßrichtung weist ein Artikel in der Presse: »Der neue rumänische Kommissar selbst erfüllt das Ziel noch nicht: Orban spricht laut eigenen Angaben neben Rumänisch fließend Englisch, beherrscht aber Französisch und Italienisch lediglich passiv.« (23/2006). Die Selbstcharakterisierung Orbans bezüglich seiner Fremdsprachenkenntnisse im Interview mit dem Standard (1/2006) gestaltet sich demgegenüber deutlich anders: »Standard: Welche Sprachen sprechen Sie? Orban: Neben meiner Muttersprache Rumänisch noch Englisch, Französisch, ich verstehe Italienisch und ich spreche ein bisschen Deutsch.« Der Artikel aus der Kolumne »Brüssel zartherb« nimmt insofern eine Sonderstellung im Printmedienkorpus ein, als sich der Autor Martin Leidenfrost darin eines literarischen Registers bedient, um Orban als handelnde Figur in seinem Reisebericht auftreten zu lassen. Der Fokus der Kolumne liegt auf einer humorvoll-anekdotischen Beschreibung des Brüsseler Lebens der Eurokraten, denen im Allgemeinen ein Ruf als langweilig vorauseile. Die Episode über Orban bettet Leidenfrost anhand folgender Charakterisierung in seiner Kolumnenserie ein: Der Kommissar, der mir als der langweiligste empfohlen worden war, eröffnete eine Ausstellung ›über die galicische Sprache im Kontext ihrer linguistischen Diversität.‹ Die Veranstaltung fiel geschickt in die Mittagspause, so verdreifachten sich die kaum 20 Zuhörer ab Öffnung des Büffets. Leonard Orban, Kommissar für Mehrsprachigkeit, sagte auf Englisch, dass er allen Sprachen ›committed‹ sei. Auch sprach er sich für ›multi-diversity‹ aus. Der hagere rumänische Brillenträger trug einen graubraunen Anzug mit graubrauner Krawatte, am Revers den mehrfarbigen Sticker der Kampagne ›Our words, our worlds‹. Als er zuhörte, stand er mit vorne verschränkten Händen da, milde lächelnd. Als er zu den historischen Schautafeln geführt wurde, sagte er auf Französisch: ›Das war wirklich eine Unterdrückung. Ich kenne diese Geschichte sehr gut.‹

Auch in diesem, teils ironisch gebrochenen, Textausschnitt wird Orban unter anderem anhand seiner Fremdsprachenkenntnisse charakterisiert, wobei dies auf indirektere Weise erfolgt, indem in verschiedenen Sprachen vorgetragene Schlagworte und Sätze aus Orbans Rede zitiert werden. Gemeinsam ist diesen Prädikationsstrategien ein gewisses Maß an Autoreferentialität, die sich dadurch ausdrückt, dass das abstrakte Thema der EU-Mehrsprachigkeitspolitik auf konkrete fremdsprachliche Kenntnisse und Äußerungen des EU-Mehrsprachigkeitskommissars heruntergebrochen wird. In der Kategorie Kollektiva wurden vor allem Prädikationsstrategien codiert,

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Empirische Fallstudie

die sich auf EU-Bürger beziehen. Diesem Kollektiv werden durch Kombination von finiten Berichtsverben mit Empfehlungscharakter (vorschlagen, empfehlen) und infiniten Modalverben (sollen, müssen) wünschenswerte sprachbezogene Eigenschaften zugeschrieben. Im Vordergrund steht dabei die Annahme, dass die EU-BürgerInnen bisher zu wenige Fremdsprachen beherrschen und künftig mehr Sprachen – darunter wie im Aktionsplan vorgesehen insbesondere eine Adopotivsprache (27/2008) – lernen sollen. Die Förderung von Kenntnissen in mehreren Sprachen wird hierbei nicht nur als sprachenpolitisches Ziel der EU thematisiert, sondern auch aufgrund persönlicher Überzeugung gefordert, etwa vom Schriftsteller und Verleger Lojze Wieser : »Wieser bemängelt, dass Europas Bürger nach wie vor zu wenige Sprachen lernen. Drei bis vier müssten es sein, die jeder beherrscht, ›meinetwegen auch holprig‹« (25/2008). Zu den codierten Prädikationsstrategien in Bezug auf andere Kollektiva zählen mehrere sprachbezogene Charakterisierungen von Ethnien, darunter jene der Franzosen als stolz, wobei sich das Nationym Franzosen metonymisch auf die rigorose französische Sprachenpolitik innerhalb der EU bezieht (2/2007). In Artikel 4/2006 – und damit kommen wir zur Charakterisierung von Sprache(n) – findet sich zudem eine von Leonard Orban vorgenommene Gegenüberstellung von Deutschen und Österreichern, die durch eine Interviewfrage elizitiert und im Lead des Artikels antizipierend wiederholt wird: »[ND: Interviewer :] Würden Sie dafür plädieren, Österreichisch neben Deutsch aufzuwerten? Orban: Die Unterschiede sind klein. Ich habe einmal einen Österreicher gefragt, wo der Unterschied sei. Er hat mir gesagt, ein Österreicher sei ein Deutscher mit Sinn für Humor.« An dieser Sequenz sind aus diskursanalytischer Perspektive folgende Punkte bemerkenswert: (1) In der Interviewfrage werden die Linguonyme Österreichisch und Deutsch einander gegenübergestellt, als ob es sich um zwei unterschiedliche Sprachen, und nicht um zwei Varietäten der gleichen Sprache handeln würde. Österreichisch fungiert hier als Bezeichnung für das österreichische Deutsch, während das Linguonym Deutsch ambig bleibt und sich sowohl auf die Varietät des bundesdeutschen Deutsch als auch die plurizentrische Sprache Deutsch in ihrer Gesamtheit beziehen kann. (2) In der darauf folgenden Antwort greift Orban weder das vom Interviewer konstruierte Verhältnis der beiden Sprachen bzw. Varietäten noch die damit verbundenen Linguonyme auf. Vielmehr verlagert Orban die differenzierende Prädikationsstrategie des Interviewers von der sprachlichen auf die ethnische Ebene, indem er mit den partikularisierenden Synekdochen ein Österreicher und ein Deutscher nicht auf differenzstiftende Merkmale der beiden Sprachen bzw. Varietäten, sondern der jeweiligen Ethnien zu sprechen kommt. Dadurch ergibt sich eine Diskrepanz, ein ›mismatch‹ zwischen der Frage des Interviewers und der Antwort des Interviewten, die auf Übersetzungsfehler oder Verständnisprobleme zurückzuführen

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sein könnte: Auf Englisch, das möglicherweise als Interviewsprache zum Einsatz kam, sind die Bezeichnungen für die beiden Sprachen bzw. Varietäten aufgrund von Homonymität die gleichen wie für die jeweiligen Ethnien (engl. Austrian bzw. German), womit es durch Verwechseln der jeweiligen Bezeichnungen zu einem unbeachteten Missverständnis entweder aufseiten der Redaktion oder des Interviewten gekommen sein könnte. (3) Unter Berufung auf einen nicht näher charakterisierten Österreicher (›double voicing‹) bedient sich Orban eines ethnisierenden Witzes, der Österreichern stereotypisch die positive Eigenschaft Humor zuschreibt und Deutschen abspricht. Die Pointe des Witzes ist in der ihm zugrundeliegenden Assimilationsstrategie zu suchen, die die beiden Ethnien als ansonsten identisch erscheinen lässt. Ob Orban die Eigenschaft Humor tatsächlich auf die beiden Ethnien oder aufgrund eines Missverständnisses doch auf die jeweiligen Sprachen bezogen hat, kann zwar nachträglich nicht mehr überprüft werden, spielt für das skizzierte Zusammenwirken der beiden Prädikationsstrategien Differenzierung und Assimilierung in dieser Sequenz jedoch keine entscheidende Rolle. Neben der deutschen Sprache wird im Printmedienkorpus vor allem das Englische einer näheren Charakterisierung unterzogen. Diese beiden, aber auch andere europäische Sprachen werden durch diverse Prädikationsstrategien miteinander in ein Verhältnis gesetzt, das in den Artikeln wie bereits erwähnt als Sprachenstreit charakterisiert wird. In Artikel 26/2008 werden etwa durch indirekte Rede Diplomaten zitiert, die die Marginalisierung des Deutschen innerhalb der EU durch ein metaphorisches Idiom (›im Schatten stehen‹) beklagen: »Es sei für die größte wirtschaftliche Macht in Europa nicht hinnehmbar, dass Deutsch weiter im Schatten von Englisch und Französisch stehe, sagten Diplomaten am Rande des EU-Bildungsministerrates am Freitag in Brüssel.« Neutraler wird der Status des Deutschen innerhalb der EU in einem Artikel der Wiener Zeitung charakterisiert: »Deutsch ist eine der Arbeitssprachen in der EU, aber weniger verbreitet als Französisch und Englisch.« (26/2008). Englisch wird demgegenüber einerseits als eine Sprache mit einem höheren Stellenwert bzw. mit einer Dominanz (2/2007) in der EU und weltweit charakterisiert: »Eine Sprache setzt sich immer mehr durch: Englisch ist in Europa und in der Welt die Lingua franca.« (25/2008). Andererseits antwortet Orban im Interview mit den Salzburger Nachrichten in Bezug auf die Fremdsprachenkenntnisse der EUBürgerInnen, »dass Englisch nicht reicht.« (4/2006). Gegenüber den Gruppendiskussionen fällt hinsichtlich der Charakterisierung von Sprachen auf, dass diese in den Printmedien durch Genitivattribute mit Eigennamen bekannter, kanonisierter Schriftsteller, die in der jeweiligen Sprache geschrieben haben, verknüpft werden (ein Phänomen, das bei den Politikerinterviews wiederkehrt, wo Deutsch als »Sprache Goethes und Schillers« bezeichnet wird; siehe 0). So wird etwa das Französische als Sprache Vol-

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taires und das Englische als Sprache Shakespeares charakterisiert. Im letzteren Fall wird die Prädikationsstrategie antonomasisch, d. h. als periphrasierender Ersatzbegriff für Englisch verwendet, wobei Englisch wie schon bei Orban als nicht ausreichende Fremdsprache charakterisiert wird: »Dass es im Zeitalter grenzüberschreitender Mobilität in Europa mit dem Erlernen der Sprache Shakespeares nicht getan ist, hat die Maalouf-Gruppe deutlich gemacht.« (25/ 2008). Demgegenüber wird im gleichen Artikel die Prädikation Sprache Voltaires von dem entsprechenden Linguonym Französisch in einer Apposition begleitet: »Englisch ist in Europa und in der Welt die Lingua franca. Auch in den Europäischen Institutionen hat sie die Sprache Voltaires, das Französische, verdrängt.« In beiden Fällen erfüllt die Prädikationsstrategie der Genititvattribuierung mit Eigennamen die Funktion, das kulturelle Gewicht der beiden Sprachen und ihr Spannungsverhältnis zur jeweils anderen Sprache zu bekräftigen. 4.2.2.2.3. Argumentationsstrategien Wie bereits erwähnt herrschen bei den Texten im Printmedienkorpus tatsachenbetonte Textsorten vor, während die Datenbankrecherche kaum meinungsbetonte Artikel über die EU-Mehrsprachigkeitspolitik als Treffer erzielte. Im Vergleich zu den anderen beiden Subkorpora, den Gruppendiskussionen und Politikerinterviews, wurden daher in MAXQDA weniger Argumentationsstrategien codiert. Diese nehmen dennoch eine wichtige Rolle in den Printmedien ein – vor allem in Form von Topoi, deren implizit bleibende Schlussregeln indirekt und verdeckt angewendet werden. Auf indirekte Weise kommen Topoi etwa im Rahmen des bereits geschilderten ›double voicing‹ zum Tragen, wenn Kritiker oder Beobachter sowie Interviewpartner durch direkte und indirekte Rede zitiert werden. Solche Argumentationsstrategien sind zumeist in Aussagen zu finden, die als relativ offen deklarierte Meinungen einzelnen sozialen AkteurInnen zugeschrieben werden. Demgegenüber argumentieren JournalistInnen zuweilen aber auch wesentlich verdeckter außerhalb solcher expliziten Meinungsäußerungen, beispielsweise indem bestimmte Aspekte der im Artikel verhandelten Themen durch spezifische Schlagzeilen- und Leadformulierungen in den Vordergrund gerückt werden. Ein Topos, der in den Printmedienartikeln besonders häufig wiederkehrt, ist der Kostentopos (vgl. S. 229 [Die Schlussregel des Kostentopos]). In Bezug auf das Gehalt der EU-Kommissare, darunter auch des Mehrsprachigkeitskommissars Orban, wird dieser Topos etwa in folgenden Schlagzeilen und nachfolgenden Leads akzentuiert: Teurer Abschied der Kommissare Das Ende der Karriere in der EU-Behörde in Brüssel fällt leicht: Es gibt großzügige Zahlungen und danach oft gute Jobs. (20/2010)

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Luxusleben um 2.000 Euro pro Tag Ärger über Spesenparadies EU – Chef verpulverte 730. 270 Euro (39/2010)

Implizit wird auf diese Weise anhand des Kostentopos argumentiert, dass die EU-Kommissare mehr an ihrem persönlichen finanziellen Reichtum und an ihrer beruflichen Karriere interessiert sind als sich für die Anliegen der EU und ihrer Bevölkerung einzusetzen – dass also die Kosten für die EU-Kommission inadäquat eingesetzt werden. Eine stärker sprachbezogene Argumentation bezieht sich demgegenüber auf die Kosten der Dolmetsch- und Übersetzungsdienste der EU (vgl. S. 230 [Neben den individuellen Kosten, ]). Auf die Feststellung Orbans, dass es ihm gleichzeitig um die Erhaltung der Sprachenvielfalt und der Funktionstüchtigkeit der EU geht, erwidert etwa der Interviewer in Artikel 4/2006: »Dabei explodieren die Kosten.« Mit der Metapher der Kostenexplosion konfrontiert der Interviewer seinen Gesprächspartner also wiederum implizit mit der Argumentation, dass die Kosten gegenüber dem damit verbundenen Nutzen unverhältnismäßig hoch und darüber hinaus gefährlich sind. Aufgrund ihrer klaren intertextuellen Bezüge bemerkenswert fällt die Antwort Orbans aus, mit der er den vorgebrachten Kostentopos zu entschärfen sucht: »Es geht um ungefähr ein Prozent des EUHaushalts oder rund eine Milliarde Euro im Jahr. Das heißt, das kostet jeden EUBürger weniger als eine Tasse Kaffee. Ich denke, das ist nicht zu teuer, um diese Vielfalt zu bewahren. Das ist sehr akzeptabel.« Er bedient sich dabei eines Vergleichstopos, der in diversen EU-Publikationen immer wieder in ähnlicher Form vorgebracht wird. Als Referenzpunkt des Vergleichs dient in diesen EU-Stellungnahmen meist der Gesamthaushalt der Europäischen Union, auffallend häufig aber auch – wie in der Antwort Orbans – die Kosten einer Tasse Kaffee. So heißt es beispielsweise in einer Broschüre der Kommission (Generaldirektion Presse und Kommunikation) aus dem Jahr 2004 mit dem Titel »Viele Sprachen, eine einzige Familie«: »Bis zur Erweiterung 2004 wurden in den großen Organen – Europäische Kommission, Ministerrat und Europäisches Parlament – insgesamt fast drei Millionen Seiten pro Jahr übersetzt. Die jährlichen Ausgaben für Übersetzer und Dolmetscher beliefen sich auf 2 EUR pro EU-Bürger und waren damit etwas teurer als eine Tasse Kaffee. Durch die Zunahme von elf auf 20 Amtssprachen steigen die Kosten, allerdings nicht auf das Doppelte.« (Europäische Kommission 2004b: 18). Die Vergleiche, die zur argumentativen Rechtfertigung der Kosten für die Übersetzungs- und Dolmetschdienste der Union herangezogen werden, finden sich in zahlreichen EU-Veröffentlichungen, darunter Broschüren anderer Generaldirektionen und in Reden Orbans wieder (Europäische Kommission 2004b; Europäische Kommission 2004a; Orban 2008). Intertextuelle Spuren dieser Topos-Realisation sind zudem sowohl in den Gruppendiskussionen als auch in

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Empirische Fallstudie

anderen Printmedienartikel leicht aufzuspüren: Auch die Europäistik-StudentInnen der UNI-Gruppe versuchen die vermeintlich hohen Kosten der EUSprachvermittlungsdienste zu relativieren, allerdings ohne die exakten Zahlen nennen zu können, die ihnen vermutlich im Rahmen ihres Studiums vermittelt wurden (vgl. S. 230 [Neben den individuellen Kosten, ]). Noch deutlicher ist die Ähnlichkeit zwischen Orbans Kostentopos im Interview mit den Salzburger Nachrichten (4/2006) und der Realisation des Kostentopos in einem Artikel von Waldemar Hummer in der Wiener Zeitung vom 01. 10. 2008, wo sich Hummer auf ähnliche Zahlen wie Orban beruft: »Der finanzielle Aufwand für den Übersetzerdienst alleine beträgt mit 280 Millionen Euro allerdings nur einen Bruchteil des gesamten EU-Haushalts von 129 Milliarden Euro und stellt für jeden Unionsbürger eine jährliche Belastung von lediglich 0,60 Euro dar. Zählt man den Übersetzer- und Dolmetscherdienst der EU zusammen, dann erhöhen sich die Kosten auf jährlich 1,1 Milliarden Euro, was etwa einem Prozent des EUBudgets entspricht.« (21/2008). Wie an den Adverbien nur und lediglich zu erkennen ist, argumentiert Hummer hier ähnlich wie Orban, dass die Kosten vergleichsweise niedrig sind und daher weiterhin in die EU-Sprachenvielfalt investiert werde sollte. Im Interview mit dem Linguisten Konrad Ehlich verteidigt dieser nicht nur die mit der EU-Sprachenvielfalt verbunden Kosten, sondern argumentiert, dass diese sogar noch zu gering sind. Den Kostentopos setzt Ehlich allerdings nicht in Hinblick auf die Sprachvermittlungsdienste ein, sondern in Bezug auf das Budget des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit, das Ehlich zufolge ungerechtfertigterweise von Einsparungen bedroht sei: »›Wann immer heute von Einsparungen die Rede ist, wird Leonard Orbans Posten zuerst genannt.‹ Orban ist Kommissar für Mehrsprachigkeit. Der Job bleibt überschaubar. 2005 betrug das Budget 30 Millionen Euro, ›das ist ein Drittel Promille des Gesamthaushalts‹.« Der Kostentopos ist hier in ein direktes Zitat Ehlichs eingebettet und wird vom Autor des Artikels, Thomas Matt, in folgendem vorangehenden Satz mit einem Schuldtopos kombiniert: »Schuld ist (auch) die EU.« Aus dem Kotext geht hervor, wie dieser Schuldtopos zu interpretieren ist: Die EU trägt (Mit-)Schuld daran, dass das Deutsche aufgrund von Einsparungen im Bereich des Ressorts für Mehrsprachigkeit seine Funktionalität in immer mehr Domänen zugunsten der Verkehrssprache Englische einbüßt. Unter Berufung auf das gleiche Zahlenmaterial wie bei Orban (»eine Milliarde Euro«) erfolgt die Realisation des Kostentopos allerdings auch in die entgegengesetzte Argumentationsrichtung, d. h. um mit (zu) hohen Kosten der Dolmetsch- und Übersetzungsdienste zu argumentieren. In Artikel 2/2007 geschieht dies bspw. mit Hilfe der Litotes »nicht ganz billig«: »Auf seine Vielsprachigkeit ist Europa stolz: Sogar einen eigenen Kommissar gibt es jetzt dafür, den Rumänen Leonard Orban. Mehrsprachigkeit ist aber freilich nicht ganz billig. Fast eine Milliarde Euro werden 2007 die Übersetzungsdienste für alle EU-

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Institutionen kosten. Rund 3000 Dolmetscher sind im Einsatz. Im vergangenen Jahr wurden 1,5 Millionen Seiten und 11.000 Konferenzen übersetzt.« Der von der EU durchaus erfolgreich eingesetzte Vergleichstopos wird – dies sei an dieser Stelle angemerkt – zum Teil auch von LinguistInnen und PolitikwissenschafterInnen kritisch betrachtet und relativiert: Bezieht man die Kosten des Dolmetsch- und Übersetzungsdienstes nicht auf das Gesamtbudget (das zum allergrößten Teil für Wachstums- und Agrarpolitik eingesetzt wird), sondern nur auf das Verwaltungsbudget der EU, so fällt der Anteil nämlich wesentlich größer aus. Coulmas (1991: 23) schätzt in einer älteren Publikation, dass der Anteil des Dolmetsch- und Übersetzungsdienstes am EU-Verwaltungsbudget 40 % ausmacht, den aktuellen Haushaltszahlen der EU zufolge sind es offiziell jährlich ca. 13 %.111 Neben Kostentopoi sind im Printmedienkorpus auch Zahlentopoi zu finden, die nicht auf Kosten Bezug nehmen, sondern auf die Anzahl von SprecherInnen vor allem des Deutschen und somit als Sprachverbreitungstopos einzustufen sind. Mit Hilfe des sprachbezogenen Kollektivums »100 Millionen Menschen mit deutscher Muttersprache« wird argumentiert, dass die deutsche Sprache innerhalb der EU entsprechende Berücksichtigung etwa im Rahmen der Übersetzungsstrategie finden müsse (laut deutschen ParlamentarierInnen in Artikel 20/2008), bzw. dass das Deutsche nicht riskiere »vor die Hunde« zu gehen (laut Konrad Ehlich in Artikel 61/2009). In engem Zusammenhang mit dem Kostentopos steht ein Zahlentopos, der die Kombinationen von Sprachen im Rahmen von Dolmetschungen und Übersetzungen in Form von Ausgangs- und Zielsprachen betrifft. Mit diesem Topos wird argumentiert, dass die steigende Anzahl von Sprachkombinationen aufgrund neu hinzukommender EU-Amtssprachen die Übersetzungs- und Dolmetschdienste (finanziell bzw. personell) überfordert: »Nicht nur sind mit der neuen Erweiterung rumänisch und bulgarisch dazugekommen, sondern auch Irisch, das die erste offizielle gälische EUSprache ist. Eine Herausforderung sogar für Europas Multi-Sprach-Talente: Etliche EU-Dokumente müssen jetzt in all diese Sprachen übersetzt werden. Insgesamt gibt es nun 506 mögliche Sprachkombinationen. Kein Wunder also, dass sogar die EU-Fremdsprachenprofis überfordert sind.« (2/2007). Mit Hilfe des Zahlentopos wird in diesem Absatz ein Kontrast zwischen Professionalität und Überforderung des Dolmetsch- und Übersetzungspersonals aufgebaut, der sich in einer Diskrepanz zwischen positiven Bezeichnungen (Europas MultiSprach-Talente, EU-Fremdsprachenprofis) und der negativen Merkmalszuschreibung überfordert niederschlägt, wobei die Überforderung als verständlich 111 Siehe Finanzrahmen 2007 – 2013 unter http://ec.europa.eu/budget/figures/fin_fwk0713/ fwk0713_de.cfm; vgl. MEMO 05/10 unter http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do? reference=MEMO/05/10 (letzter Zugriff jeweils am: 12. 07. 2012).

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(kein Wunder) charakterisiert und der steigenden Anzahl von Sprachkombinationen angelastet wird. Der Topos der sprachlichen Qualifikation bzw. Weiterbildung suggeriert, dass viele der in den Printmedienartikeln thematisierten (sprachen-)politischen Probleme gelöst werden können, indem EU-BürgerInnen in Zukunft mehr europäische Fremdsprachen lernen und beherrschen als dies bisher der Fall ist, weshalb das Fremdsprachenlernen von (bildungs-)politischer Seite entsprechend gefördert werden müsse. Das betrifft zum einen wirtschaftliche Aspekte und Zielsetzungen auf EU-Ebene: Laut Medienberichten sieht die EU die Förderung von Fremdsprachkenntnissen in der EU-Bevölkerung als wichtig für die Lissabon-Strategie an, deren Ziel es war, die EU bis 2010 »zum führenden Wirtschaftsraum der Welt« zu machen (1/2005). Zum zweiten wird ein Bezug auf das individuelle Leben einzelner EU-BürgerInnen hergestellt: Durch Fremdsprachenkenntnisse würden diese mehr Mobilität, Wissen und Arbeitsplatzsicherheit, aber auch ein erhöhtes kulturelles Verständnis erlangen. Der Erwerb dieser Eigenschaften wird als notwendig für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU-BürgerInnen in der wissensbasierten Gesellschaft angesehen, womit die kollektiven Interessen der EU auf politischer Ebene mit jenen der EUBürgerInnen auf individueller Ebene gleichgesetzt werden. So heißt es z. B. in einem Bericht über den Aktionsplan, in dem die damals dafür zuständige Bildungs- und Kulturkommissarin Viviane Reding zitiert wird: »›Nur wenn die EUBürger verstärkt Sprachen lernen, können sie besser von der Freizügigkeit im gemeinsamen Markt profitieren, in der wissensbasierten Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben und die anderen Europäer in der erweiterten Union besser kennen lernen und verstehen‹, sagt Viviane Reding.« (2/2003). Eine ähnliche Aussage findet sich in einer Antwort Orbans im Interview mit den Salzburger Nachrichten (4/2006): »Sprachen helfen nicht nur bei der Jobsuche, sondern auch beim Zugang zu anderen Kulturen.« Neben der Nutzen-Argumentation spielt aufseiten der EU aber auch die Werte-Argumentation eine Rolle: Die genannten Eigenschaften (Mehrsprachigkeit, interkulturelles Verständnis, Wissen, Wettbewerbsfähigkeit, Mobilität etc.) werden nicht nur als nützlich, sondern auch als positive Werte ›per se‹ dargestellt, d. h. als Werte, die aufgrund ihrer selbst verfolgt werden sollten, und die keinerlei weiteren Begründungen oder Bedingungen unterliegen. Dies kommt beispielsweise im Interview mit Orban zum Ausdruck, der auf einer expliziten, metadiskursiven Ebene für positive Begriffe wie Bereicherung und Ermutigen im Zusammenhang mit Sprachkenntnissen anstelle negativ besetzter Ausdrücke wie Probleme oder Hindernisse plädiert. Orban fordert damit implizit einen entsprechenden Perspektivenwechsel bzw. eine interpretative Umdeutung in Bezug auf die EUSprachenpolitik: »Klar gibt es gewisse Probleme, wenn etwa mangelnde Sprachkenntnisse der Mobilität im Wege stehen. Ein italienischer Arzt oder

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Architekt, der in Deutschland arbeiten will, muss die Sprache können. Ich würde aber nicht von einem Hindernis sprechen. Wir müssen das positiv sehen. Wir müssen die Leute ermutigen, Fremdsprachen zu lernen und dies als eine Bereicherung zu sehen.« Der Topos der sprachlichen Qualifikation findet aber nicht nur in Bezug auf EU-BürgerInnen, sondern auch auf EU-PolitikerInnen Anwendung. In Kombination mit einem Verantwortungstopos wird Orban in Artikel 20/2008 mit dem Argument zitiert, dass es nicht Aufgabe der EU-Kommission, sondern Deutschlands sei, Fremdsprachenkenntnisse unter EU-BeamtInnen zu fördern, damit das Deutsche als EU-interne Arbeitssprache eine ähnlich starke Rolle wie das Französische oder Englische einnehmen könne. Orban hatte zuvor mehr Geld und mehr Anstrengungen der deutschen Behörden gefordert, um für die deutsche Sprache zu werben. »Die Förderung bestimmter Sprachen ist nicht die Aufgabe der Kommission.« Das Deutsche sei als eine von drei Arbeitssprachen der Kommission sogar privilegiert. Die Brüsseler Behörde übersetze alle entscheidenden Dokumente. »Aber wir können die Beamten nicht zwingen, ein Dokument in Deutsch zu entwerfen, wenn sie nicht flüssig Deutsch sprechen«, betonte Orban. Deutschen Politikern rät er : »Übernehmt das Beispiel der Franzosen!« Frankreich biete kostenlose Sprachkurse für Diplomaten und Journalisten an.

Mit Hilfe eines Analogietopos kommt Orban zum Schluss, dass Deutschland eine ähnliche Sprachenpolitik wie Frankreich verfolgen müsse, um dies zu erreichen. Die Schlussregel dieses Topos lautet: »Weil in einem anderen Land eine in relevanter Hinsicht mit der anstehenden Handlung vergleichbare Handlung zu positiven Folgen geführt hat, sollte die in Frage stehende Handlung ausgeführt werden.« Der in Zusammenhang mit dem Aufgabengebiet des EU-Mehrsprachigkeitskommissars gebrauchte Verantwortungstopos findet sich auch in anderen Printmedienartikeln wieder. Zum einen wendet Orban darin diesen Topos an, um zu argumentieren, dass bestimmte sprachenpolitische Fragen nicht in sein Aufgabengebiet fallen, sondern Angelegenheit der jeweiligen Mitgliedsländer seien. Zum anderen werden in den Printmedien vor allem Stimmen zitiert, die diese Argumentationslinie Orbans als Schwäche des EU-Kommissars interpretieren, nämlich als Anzeichen für fehlendes Profil und Wissen um das eigene Aufgabengebiet sowie als mangelnden politischen Willen oder als verlegene bzw. ausweichende Antwort (20/2006, 17/2006).

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Empirische Fallstudie

4.2.3. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse Vorrangiges Ziel der Printmedienanalyse war, einen Vergleich zwischen den sprachenpolitischen EU-Kommunikationsanstrengungen und deren Rezeption in den österreichischen Medien zu ziehen. Zieht man hierfür die Ergebnisse aus der Schlagwortanalyse der EU-Pressetexte heran (siehe Kapitel 3.1.2), so fallen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht Diskrepanzen zwischen der EU-Kommunikation und ihrer Rezeption und Rekontextualisierung auf nationaler Ebene in Österreich auf (vgl. LINEE 2009: 19 ff.). Zwar wurden einige EU-Pressemitteilungen zum Teil wortwörtlich in den österreichischen Zeitungen abgedruckt, und auch die Ernennung Orbans zum EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit, die einen Höhepunkt in der Geschichte der EU-Sprachenpolitik darstellt, findet ihren Niederschlag in der österreichischen Berichterstattung. Rein quantitativ betrachtet steht die Vielzahl an sprachenpolitischen Veröffentlichungen der EU (146 PR-Texte zwischen 2000 und 2010) aber einer relativ geringen Anzahl an österreichischen Zeitungstexten über die EU-Sprachen- und Mehrsprachigkeitspolitik gegenüber (53 Artikel im Vergleichszeitraum). Auch in Bezug auf die Themenverteilung ergeben sich deutliche Unterschiede: Während in den EU-Pressetexten Mehrsprachigkeit vor allem im Kontext von Bildung, Übersetzen und Dolmetschen sowie Wirtschaft thematisiert wird, ist es auf nationaler österreichischer Ebene fast ausschließlich die Ernennung des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit, über die als personalpolitisches Ereignis berichtet wird. Andere zentrale sprachenpolitische Entwicklungen auf EU-Ebene wie der Aktionsplan zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt oder die EU-Mehrsprachigkeitsstrategien der Jahre 2005 und 2008 wurden in der österreichischen Presse trotz entsprechender PR-Bemühungen der EU dagegen kaum als berichtenswerte Themen aufgegriffen. Hinzu kommt, dass die Entscheidung der Kommission zur Schaffung eines eigenen EU-Mehrsprachigkeitsressorts in den österreichischen Printmedien weniger als sprachenpolitischer Meilenstein als vielmehr als Kuriosum und Fehlentwicklung (bspw. als Verlegenheitsjob) thematisiert wird, die einem Mangel an ›seriöseren‹ Ressorts nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens oder auch dem fehlenden Mut des Kommissionspräsidenten geschuldet sei. Dementsprechend wird auch im Jahr 2010, kurz vor der Abschaffung des separaten Mehrsprachigkeitsressorts, wieder die personalpolitische Dimension in den Medien in den Vordergrund gestellt, wobei diesmal vor allem die Sorge im Zentrum steht, ob Österreich aufgrund eigener europapolitischer Versäumnisse mit dem als unwichtig wahrgenommenen Mehrsprachigkeitsressort abgespeist werden könnte. Die Beobachtung, dass der EU-Sprachen- und Mehrsprachigkeitspolitik in der österreichischen Presse nicht der Stellenwert eines Themas beigemessen wird, für das ein breites Interesse mit einem entsprechenden In-

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formations- und Diskussionsbedürfnis in der Bevölkerung besteht, wird durch zwei weitere Indizien gestützt: Zum einen sind in der österreichischen Presseberichterstattung über die EU-Sprachenpolitik kaum meinungsbetonte Genres wie Kommentare vertreten, zum anderen waren die Zeitungsnachrichten hauptsächlich auf vergleichsweise kurze Berichte und APA-Meldungen in den sogenannten ›Qualitätszeitungen‹ beschränkt, die in Österreich über eine vergleichsweise geringe Leserreichweite verfügen. Was die diskursiven Strategien und sprachlichen Mittel in den österreichischen Printmedien betrifft, so fallen auch Unterschiede zur politischen Werbung der österreichischen Parlamentsparteien auf. So sind synekdochische Linguonyme des Typs ›totum pro parte‹, mit denen Eigen- und Fremdgruppen konstruiert und bewertet werden (z. B. unsere Sprache), in den Zeitungsartikeln kaum zu finden (am ehesten in Zitaten mündlicher Äußerungen). Dies hängt wiederum mit dem thematischen Fokus auf EU-Sprachenpolitik sowie der bereits erwähnten informationsbetonten und faktenorientierten Berichterstattung zusammen. Die Presse orientiert sich in der EU-spezifischen Berichterstattung also weniger am österreichischen Diskurs über (Deutsch-)Sprachigkeit als vielmehr am EU-Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit: Das machen bspw. Bezugnahmen auf Konzepte wie Adoptivsprache oder Sprachenvielfalt und Vielsprachigkeit deutlich, die der offiziellen Argumentationslinie der EU entsprechend als Wirtschaftsfaktor oder als Chancen für Unionsbürger dargestellt werden. Argumente der EU werden auch in Bezug auf die Forderung nach mehr Fremdsprachenkenntnissen in der EU-Bevölkerung referiert: Sprachkenntnisse stellen demnach aus Sicht von Kommissar Orban nicht nur nützliche Kompetenzen dar, sondern auch positive Werte, die mit Bereicherung und Ermutigen statt mit Problemen und Hindernissen assoziiert werden sollen. Diese metadiskursive Stellungnahme bezieht sich zumindest implizit auf den sprachenpolitischen Diskurs auf nationaler Ebene, in dem oftmals negative Aspekte von ›Sprachigkeit‹ in den Vordergrund gestellt werden, wie bereits die Analyse der sprachbezogenen Wahlwerbung in Österreich gezeigt hat. Auf der Ebene der Argumentationsstrategien finden in den Zeitungsartikeln über die EU-Sprachen- und Mehrsprachigkeitspolitik insbesondere der Kostentopos, der Sprachverbreitungstopos und der Verantwortungstopos sowie der Vergleichstopos Anwendung. Die Kostenfrage, die sich vor allem auf den Übersetzungs- und Dolmetschdienst der EU bezieht, wird unterschiedlich bewertet: EU-Kommissar Orban und Linguist Ehlich charakterisieren sie im Interview als gerechtfertigt und vergleichsweise gering, während JournalistInnen stärker das Ausufern der Kosten – etwa im Kontext der letzten EU-Erweiterungsrunde – thematisieren. Eine der Strategien zur Verteidigung der Kosten stellt der relativierende Vergleich dar, der mit einer Tasse Kaffee oder dem EUGesamtbudget gezogen wird. Mit dem Sprachverbreitungstopos wird aufseiten

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deutscher PolitikerInnen argumentiert, dass der Status der deutschen Sprache aufgrund ihrer hohen Sprecheranzahl im EU-Arbeitssprachenregime aufgewertet oder zumindest abgesichert werden müsse. Der Verantwortungstopos dient insbesondere dazu, sprachenpolitische Schuld- und Zuständigkeitsfragen zu delegieren, wobei dies je nach diskursiver Positionierung auf unterschiedliche Weise erfolgen kann: So sieht sich etwa Mehrsprachigkeitskommissar Orban im Interview nicht für die Förderung der deutschen Sprache zuständig, während der Linguist Ehlich mit der Auffassung zitiert wird, dass der Funktionalitätsverlust der deutschen Sprache in der geringen Dotierung des Budgets für das Mehrsprachigkeitsressort begründet liege und damit in den Verantwortungsbereich der EU falle. Einer der wenigen Berührungspunkte mit dem Handlungsfeld der politischen Werbung in Österreich ist in der häufigen Verwendung der Metapher vom babylonischen Turm durch österreichische JournalistInnen zu erkennen, die damit zum Teil auch die europäische Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt negativ umdeuten (babylonische Sprachenvielfalt, babylonische Zustände, Sprachenbabel usw.). Dem Prinzip ›only bad news are good news‹ enstprechend werden in den Printmedien auch vergleichsweise oft sprachbezogene Konflikte und Bedrohungen in den Vordergrund gerückt, insbesondere in den Schlagzeilen (Sprachenstreit in der Union, EU-Alarm um Dolmetscher, Lost in Translation usw.). In den wenigen Boulevardzeitungsartikeln zum Thema der EU-Sprachenpolitik wird zudem empörungsheischend gegen das angeblich zu hohe Gehalt des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit polemisiert (EU-Gagenkaiser, »EU-Kommissar fürs Krenreiben«, »der teuerste Dolmetsch aller Zeiten« usw.). Damit oszilliert die österreichische Berichterstattung zwischen positiven und negativen Charakterisierungen europäischer Sprachenvielfalt und Sprachenpolitik sowie zwischen alarmistischen und nüchternen Darstellungen derselben. Abseits der fakten- und informationsorientierten Berichterstattung dominiert in den untersuchten Printmedientexten jedoch ein bildungsbürgerliches, an die Grenze des akademischen Diskurses heranreichendes Register, wie u. a. die Kolumne »Brüssel zartheb« und die Interviews mit dem Linguisten Konrad Ehlich oder dem Schriftsteller Lojze Wieser sowie die Diskussion und Verwendung relativ abstrakter Begriffe wie Superstaat, Nationalstaat, Sprach-Nationalismus oder Adoptivsprache zeigen.

Politikerinterviews

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4.3. Politikerinterviews 4.3.1. Erhebungsmethode Das Interview stellt eine in den Sozialwissenschaften weit verbreitete Methode dar, die sich aus Sicht des diskurshistorischen Ansatzes vor allem dazu eignet, subjektive Meinungen, Bewusstseinslagen und Einstellungen zu einem bestimmten Themen- bzw. Problemkomplex mündlich abzufragen und in transkribierter Form im Analysekorpus mitberücksichtigen zu können (vgl. Wodak et al. 1998: 401 f.). Das qualitative problemorientierte Interview kommt in diversen DHA-Studien für die Erhebung von Diskursausschnitten aus der halböffentlichen Sphäre zur Anwendung (vgl. Kapitel 2.5.1). Charakteristisch für diese Interviewmethode, die auch im Rahmen der vorliegenden Studie eingesetzt wurde, ist eine teilstrukturierte Befragung mittels Leitfaden zu einem gesellschaftlich relevanten Problembereich, der die interviewte Person betrifft (vgl. Hölzl 1994: 63 f.). Der Leitfaden dient dazu, die thematischen Grenzen des zu behandelnden Problembereichs festzulegen, dabei aber genügend Spielraum für eine flexible und offene Interviewführung zu lassen, sodass beispielsweise während des Interviews Anpassungen in der Fragenreihenfolge vorgenommen oder spontane Zusatz- und Zwischenfragen gestellt werden können (vgl. Hopf 1991: 177). Dieses methodische Verfahren bietet somit den Vorteil, dass die Interviewten ihre subjektiven Erfahrungen, Erlebnisse und Einschätzungen frei, d. h. ohne Vorgabe von Antwortmöglichkeiten darlegen und damit auch zusätzliche, von Forscherseite ungeplante Aspekte einbringen können. Wodak et al. (1998: 401) weisen in diesem Zusammenhang auf einige wichtige Unterschiede zwischen der Gruppendiskussion und dem Interview hin, die sich vor allem auf das Wegfallen der Gruppendynamik sowie die privatere Gesprächssituation (im Sinn nicht-öffentlicher Zugänglichkeit) beim Interview zurückführen lassen. In der sprachlichen Interaktion zwischen interviewender und interviewter Person treten somit folgende soziale Faktoren, die für Gruppendiskussionen charakteristisch sind, in den Hintergrund oder werden gänzlich beseitigt: Unterbrechung durch andere GesprächsteilnehmerInnen, Herausbilden von Meinungen, die die Gruppe dominieren, Zwang zur Konformität und damit Anpassung abweichender Ansichten an die dominierenden Gruppenmeinungen sowie Orientierung von Aussagen an Regeln sozialer Erwünschtheit und politischer Korrektheit. Im Kontext der vorliegenden Studie kommt diesbezüglich ein weiteres Spezifikum hinzu: Während in den Gruppendiskussionen BürgerInnen aus unterschiedlichen Gruppen der österreichischen Bevölkerung am Gespräch beteiligt waren, wurden die Interviews mit österreichischen Politikern durchgeführt. Die Interviews stehen zwar wie bereits erwähnt stärker in einem nicht-öffentlichen

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Kontext als die Gruppendiskussionen, da letztere öffentlich zugänglicher waren: Sowohl die (teils öffentlich erfolgte) Einladung zur Gruppendiskussion als auch die tatsächlich am Gespräch beteiligten DiskutantInnen umfassten einen größeren Personenkreis als dies bei den einzelnen Interviews der Fall war. Was das Publikum betrifft, ist die öffentliche Zugänglichkeit der beiden realisierten Genres ähnlich einzustufen: Weder eine unmittelbare Zuhörerschaft noch ein nachträglich massenmedial vermitteltes Publikum, das etwa für journalistische Politikerinterviews eine große Rolle spielt, war bei den Gruppendiskussionen und Interviews vorhanden.112 Die Nicht-Öffentlichkeit der durchgeführten Politikerinterviews wird jedoch dadurch relativiert, dass PolitikerInnen in der Regel in einem weitaus öffentlicheren Kontext agieren als bspw. die BürgerInnen, die an den Gruppendiskussionen beteiligt waren. In den Politikerinterviews stehen daher auch nicht-private Themen stärker im Vordergrund als in den Gruppendiskussionen. Dieses Spannungsverhältnis der Politikerinterviews zwischen nicht-öffentlicher Zugänglichkeit und nicht-privater Themensetzung (vgl. Kapitel 2.5.1) lässt sich auch anhand einer Unterscheidung zwischen frontstage und backstage begreifen, die auf Goffman (1959: 17 ff.) zurückgeht (vgl. Wodak 2009: 9). Demnach spielten sich die Politikerinterviews im Rahmen der vorliegenden Studie aufgrund des fehlenden Publikums eher auf der backstage als auf der frontstage ab: »Backstage is where performers are present but the audience is not, and the perfomers can step out of character without fear of disrupting the performance.« (Wodak 2009: 10). Anzeichen dafür, dass die Interviewten spontan und kurzfristig aus ihrer Rolle als Politiker treten, sind auch in den Interviews mit den Sprachenpolitikern zu finden. So weist PA1 zweimal explizit darauf hin, dass er im Interview seine persönliche Sichtweise (private Meinung) wiedergibt, die er etwa in Bezug auf verpflichtendes Deutschlernen für MigrantInnen nicht als Politiker (im Außenministerium) »zu vertreten habe«: »Ob mans zu einer Voraussetzung macht, um überhaupt die Zuwanderung zu erlauben, ((ea)) des ist eine eine · wirklich politische Frage, dazu hab ich meine Meinung, aber sozusagen das ist etwas, was ich nicht hier [im im] Außenministerium ahm zu vertreten habe. Meine private Meinung ist, ahm ah ich würde das · durchaus für einen vernünftigen Schritt ah sehen, das zu verlangen.« In seiner Einschätzung des ersten Zitats betont PA1 ebenfalls, dass es »keine offizielle österreichische sprachenpolitische Haltung zu so einer Frage« gibt und er daher im Interview nur seine eigene Meinung äußern kann. Wie das nächste Kapitel zeigen wird, treten Rollenverschiebungen wie diese bzw. unterschiedlich gelagerte Identitätsakzentu112 Die Interviews und Gruppendiskussionen wurden zwar nicht massenmedial vermittelt, sind aber natürlich als wissenschaftliche Publikationen für das fachwissenschaftliche und interessierte Publikum (in anonymisierter und transkribierter Form) verfügbar.

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ierungen aufseiten der Politiker in den Interviews mehrmals auf. Dies geschieht allerdings eher implizit, beispielsweise im Rahmen von persönlichen Anekdoten, die die Politiker im Interview wiedergeben, die sich für Auftritte auf der politischen frontstage aber kaum eignen würden (so erzählt beispielsweise PUK von den eigenen Angstzuständen in der New Yorker U-Bahn aufgrund der vielen dort anwesenden Afro-American People oder über eine Begegnung mit »einer sehr jungen, hübschen, blonden Frau« im Zug, mit der er sich erfolgreich in der Fremdsprache Englisch unterhalten konnte)113. Über die diskursive Ebene des jeweiligen Gesprächs hinausgehend macht sich der backstage-Charakter der vorliegenden Interviews auch durch soziale Praktiken bemerkbar, die sich auf der frontstage ebenfalls nicht finden würden, beispielsweise ungeplant eingehende Anrufe, Unterbrechungen durch SekretärInnen oder das Einnehmen eines Mittagessens während des Gesprächs (letzteres kam etwa im Interview mit PUK vor). Selbstverständlich ergeben sich aufgrund individuell unterschiedlicher Gesprächsstrategien aufseiten der Interviewten diesbezüglich graduelle Differenzen: So spricht beispielsweise PUK öfter private Themen an und bedient sich in stärkerem Ausmaß der Sprache der Nähe als etwa PA1 – das Spannungsverhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit in den Politikerinterviews bleibt insgesamt gesehen dennoch bestehen. Das Analysekorpus umfasst sechs Interviews mit österreichischen PolitikerInnen, deren Aufgabengebiet in der einen oder anderen Form sprachenpolitische Fragen umfasst. Davon wurden fünf Interviews in der Zeit zwischen Juni und September 2009 mündlich durchgeführt. Ein weiteres Interview konnte aufgrund zeitlicher Beschränkungen aufseiten des Interviewten nicht in mündlicher Form stattfinden, sodass der betreffende Politiker die Interviewfragen stattdessen im Februar 2010 schriftlich beantwortete.114 Mit Ausnahme des Interviews mit PA2, das an dessen Arbeitsplatz in einem österreichischen Nachbarland stattfand, wurden alle Interviews in den jeweiligen Ministerien und Parteizentralen in Wien durchgeführt. Von den sechs Interviews wurden zwei 113 Die Sprecherkürzel für die Politikerinterviews setzen sich aus folgenden Bestandteilen zusammen: P = Politiker, UK = Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ; A = Außenministerium; B = Bildungssprecher ; 1 – 2 = Sprecherzuordnung; G = Grüne; F = FPÖ; S = SPÖ. 114 Das Interview mit PBS weist daher aufgrund seiner schriftlichen Durchführung spezifische Merkmale auf, die in den mündlich durchgeführten Interviews nicht zu finden sind (und umgekehrt): Das Interview mit PBS ist insgesamt deutlich stärker an der Sprache der Distanz bzw. konzeptueller Schriftlichkeit orientiert, so beinhaltet es beispielsweise in den Text eingebettete Hyperlinks zu externen Textquellen oder Zitate aus sprachenpolitischen Dokumenten, die in direkter Rede wiedergegeben werden. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass PBS anders als die anderen interviewten Politiker die Möglichkeit hatte, externe Quellen, BeraterInnen, MitarbeiterInnen usw. für die schriftliche Beantwortung zu konsultieren.

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mit Diplomaten des Außenministeriums und eines mit einem leitenden Beamten im Unterrichtsministerium sowie drei mit den Bildungssprechern der Parteien SPÖ, FPÖ und Grüne durchgeführt (die anderen beiden Parlamentsparteien, BZÖ und ÖVP, boten trotz wiederholter Anfragen keine Interviewtermine an). Während PBF und PBG die Oppositionsparteien FPÖ und Grüne repräsentierten, waren die restlichen Politiker der seit 2008 auf Bundesebene regierenden ›Großen Koalition‹ zwischen SPÖ und ÖVP zuzuordnen, wobei sich das Außenministerium unter ÖVP- und das Unterrichtsministerium unter SPÖFührung befand. Ursprünglich vorgesehen war ein weiteres Interview mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, das die Einschätzungen der österreichischen Bundespolitiker mit einer sprachenpolitischen Positionierung der EU aus der eigenen, supranationalen Perspektive ergänzen sollte. Nach Rücksprache mit der Leitung der Europäischen Kommission in Österreich konnte das anfänglich zugesagte Interview mit der Kontaktperson jedoch nicht stattfinden. Als Begründung wurde von dieser angeführt, dass die Vertretung der Kommission nicht die eigene EU-(Sprachen-)Politik kommentiere könne. Dies kann als ein Indiz dafür gewertet werden, dass die EU ihre sprachenpolitischen Texte bewusst mit einer Vielzahl interpretativer Leerstellen konzipiert, die von den jeweiligen RezipientInnen gefüllt werden sollen – was diese auch tatsächlich auf unterschiedlichste Weise tun, wie die bisherigen und folgenden Ausführungen zeigen. Die EU als Produzentin hält sich demgegenüber mit allzu eindeutigen Interpretationen der eigenen, bereits ausformulierten und veröffentlichten Sprachenpolitik zurück, um deren ausgeprägte Mehrdeutigkeit und Interpretationsbedürftigkeit aufrechtzuerhalten und ihre Akzeptanz zu erhöhen. Wie die kritisch-diskursanalytischen Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, spiegelt sich dies nicht nur in den Formulierungen der wichtigsten offiziellen EUDokumente wider, sondern auch in deren Rezeption und Rekontextualisierung auf nationaler Ebene. So können beispielsweise zwei interviewte Politiker – einer aus dem rechten, der andere aus dem linken Lager – geradezu entgegengesetzte sprachenpolitische Ansichten vertreten, aber trotzdem beide dem gleichen Zitat aus einem sprachenpolitischen Dokument der EU zustimmen, weil sich dessen Inhalte und Aussagen flexibel genug interpretieren und an die jeweilige parteipolitische Linie anpassen lassen. Die fünf mündlich durchgeführten Interviews dauerten zwischen 35 Minuten (PBG) und 50 Minuten (PUK) und wurden auf einem digitalen Tonträger aufgenommen. Auf Grundlage der Audioaufnahmen und mit Hilfe der Transkriptionssoftware EXMARaLDA wurden die Gespräche nach HIAT transkribiert und ebenso wie die Gruppendiskussionen und Printmedienartikeln in die MAXQDA-Projektdatei importiert (vgl. Kapitel 4.1.1 und 2.5.3). Da pro Gespräch nur zwei Sprecher (Interviewer und Politiker) zu transkribieren waren, wurde an-

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ders als bei den Gruppendiskussionen aus Platzgründen auf die Partiturschreibweise in MAXQDA verzichtet. Der Fokus des Interview-Leitfadens lag auf Fragen zur nationalen und supranationalen Sprachenpolitik sowie deren Verhältnis zueinander, wie sie sich aus Sicht der österreichischen Bundespolitik darstellen. Um Vergleiche zu den Gruppendiskussionen zu ermöglichen, wurden teilweise ähnliche Fragen und Impulszitate aus den Gruppendiskussionen für den Interviewleitfaden übernommen. Der Interview-Leitfaden umfasste drei Fragenkomplexe: Innerhalb des ersten, kurzen Fragenblocks wurden die Interviewten gebeten, ihren politischen Tätigkeitsbereich zu beschreiben und auf die Frage einzugehen, ob und inwiefern sie sich selbst (nicht) als sprachenpolitische Akteure bezeichnen würden. Der zweite Fragenkomplex hatte den Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ und die aktuelle EU-Sprachenpolitik zum Thema: Die Interviewten wurden u. a. aufgefordert, ihre Ad-hoc-Assoziationen zum Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ sowie ihre Einschätzungen zum Ressort und zur bisherigen Arbeit des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit zu erläutern. Außerdem sollten die österreichischen Politiker zu zwei Zitaten aus der EU-Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit (Europäische Kommission 2005) Stellung beziehen (vgl. Kapitel 4.1.2.1).115 Der dritte und längste Block rückte Fragen über das Verhältnis zwischen supranationaler EUSprachenpolitik und nationaler österreichischer Sprachenpolitik in den Vordergrund: Gefragt wurde u. a., inwieweit Österreich die auf EU-Ebene festgelegten sprachenpolitischen Ziele (nicht) umsetzt, und ob sich aus Sicht der österreichischen Politiker Diskrepanzen zwischen der Sprachenpolitik Österreichs und der EU feststellen lassen, sowie welche Bedeutung die EU-Sprachenvielfalt für die europäische Integration hat. Außerdem sollten die Interviewten Vor- und Nachteile der europäischen Sprachenvielfalt und insbesondere der EU- Amtssprachenregelung einschätzen, die Rolle des Deutschen als EUArbeitssprache bewerten sowie auf das Verhältnis nationaler österreichischer und supranationaler EU-Politik gegenüber neuen Minderheiten eingehen. Innerhalb des dritten Blocks wurden die Fragen zur konkreteren Veranschaulichung mit mehreren Impulstexten verknüpft, d. h. mit Zitaten aus sprachenpolitischen EU-Dokumenten, Statistiken zum schulischen Fremdsprachenunterricht in Österreich und einem Zeitungskommentar mit einem Vorschlag für eine österreichische Zuwanderungspolitik sowie Textausschnitten über drei 115 Diese beiden Zitate sind identisch mit dem ersten und dritten Impuls-Zitat aus den Gruppendiskussionen. Sie lauten: (1) »Es ist diese Vielfalt, die die Europäische Union zu dem macht, was sie ist: kein ›Schmelztiegel‹, in dem Unterschiede verschmolzen werden, sondern ein Miteinander vielfältiger Unterschiede. Ein Miteinander, das unsere zahlreichen Muttersprachen als Reichtum begreift und als Weg zu mehr Solidarität und gegenseitigem Verständnis« und (2) »Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität.«

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sprachenpolitische Ereignisse auf nationaler österreichischer Ebene (Ortstafelstreit, Fremdsprachenverbot in der Schulpause und sprachbezogene Wahlwerbung). Abschließend hatten die Interviewten die Möglichkeit, die aus ihrer Sicht wichtigsten Aspekte der besprochenen Thematik hervorzuheben und diesbezüglich ihre eigene (sprachen-)politische Vision darzulegen. Der vollständige Interview-Leitfaden befindet sich im Anhang (Abschnitt D.1).

4.3.2. Ergebnisse 4.3.2.1. Themen und Inhalte: Gesprächsverlauf Fragenkomplex 1: Politischer Tätigkeitsbereich und sprachenpolitische Selbstdefinition Die interviewten Politiker sind sowohl aufgrund ihrer politischen Funktion als auch aufgrund der eigenen Definition ihres Tätigkeitsbereiches unterschiedlichen politischen Arbeitsfeldern wie Außen-, Bildungs- und Kulturpolitik zuzuordnen. Dennoch wären alle befragten Politiker damit einverstanden, als sprachenpolitische Akteure bezeichnet zu werden, wenngleich aus unterschiedlichsten Motiven. PA1 sieht sich etwa als Kulturpolitiker im Außenministerium für die Rolle des Deutschen im internationalen und europäischen Kontext zuständig, aber auch für die Umsetzung der EU-Mehrsprachigkeitspolitik, insbesondere für die Förderung von Kenntnissen in europäischen Fremdsprachen. Im Unterschied zu den anderen interviewten Politikern gibt PA1 an, dass er sich zusammen mit seinen KollegInnen bereits zuvor unabhängig vom Interview mit der Frage auseinandergesetzt hat, inwieweit sie sich in beruflicher Hinsicht als sprachenpolitische Akteure verstehen. Sie kamen zum Schluss, dass sie in ihrem Bereich der Außenpolitik ein wichtiger sprachenpolitischer Akteur sind, dass jedoch weiterhin ein sprachenpolitisches Gesamtkonzept für Österreich fehlt: »Ja, wir sind ein sprachenpolitischer Akteur in jedem Fall, ahm wir stellen nur fest, dass es ein gewisses Defizit in der Formulierung von sprachenpolitischen Grundsätzen in Österreich gibt, und dass wir als Außenministerium das Defizit alleine nicht ausgleichen können.« Auch PA2 würde sich selbst als Leiter eines Kulturforums in einem österreichischen Nachbarland und als einer der Aufsichtsratsvorsitzenden der Österreich Institut GmbH als sprachenpolitischen Akteur bezeichnen, dem insbesondere die Förderung und Verbreitung des Deutschen als Fremdsprache im österreichischen Ausland ein Anliegen ist. PUK ist leitender Beamter im Unterrichtsministerium, der laut eigenen Angaben vor allem mit Schulentwicklung

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und Schulversuchen befasst ist. »Sprachenlernen und damit auch Sprachenpolitik« fasst er als einen Teilbereich dieses Aufgabengebiets auf, betont jedoch, dass er kein Sprachwissenschaftler ist. In ähnlicher Weise argumentiert der Sprecher der SPÖ, dass er sich selbst als sprachenpolitischen Akteur versteht, weil die österreichische Schulpolitik in seinen Verantwortungsbereich fällt und es ihm ein Anliegen ist, die Mehrsprachigkeit im österreichischen Bildungssystem zu fördern sowie dementsprechende internationale Kontakte mit ExpertInnen zu pflegen. Demgegenüber verknüpfen die Sprecher von FPÖ und Grünen die Frage nach dem politischen Tätigkeitsbereich und der Selbstdefinition als Sprachenpolitiker mit spezifischeren inhaltlichen Aussagen, die bereits zum Teil auf die parteiideologische Positionierung verweisen. Nach einer Rückfrage, was der Interviewer unter einem sprachenpolitischen Akteur verstehe, bejaht PBG die Frage, ob er sich als sprachenpolitischen Akteur sieht, und führt als Begründung dafür an, dass Sprache ein unabdingbares Vermittlungsmedium für jeden Bildungsprozess darstellt, was man auch daran erkennen könne, dass bei jedem Test (selbst im naturwissenschaftlichen Bereich) unweigerlich auch Sprache getestet werde. Darüber hinaus sieht er Mehrsprachigkeit als unbestrittene Grundvoraussetzung für AbsolventInnen schulischer Bildung an. Im Gegensatz dazu sieht sich der Sprecher der FPÖ insofern als sprachenpolitischen Akteur, als er das Thema Sprache als »einen sehr · wesentlichen Punkt ·, den ich in meiner Arbeit zu beachten habe« bewertet. Im nächsten Satz leitet PBF direkt zur Linie der Freiheitlichen über, die er durch deren Umgang mit dem Thema Migration definiert: »Ah wie Sie wissen ist die Linie der Freiheitlichen · eine, die · Migrationsströme und die Probleme, die da · sich ah heraus ergeben, besonders kritisch anschauen, und natürlich die Probleme, die kommen, auch lösen wollen. Und ein · Punkt dabei ist, dass Integration in erster Linie dann funktionieren kann, wenn eine gemeinsame Sprache gesprochen wird.« Während die übrigen Politiker das Thema Sprachenpolitik mit ihrem politischen Tätigkeitsfeld (d. h. Bildungs-, Außen- und Kulturpolitik) verbinden, wählt PBF eine andere Strategie für die thematische Einbettung und Einleitung seines Statements, indem er Sprachenpolitik mit dem für die FPÖ insgesamt charakteristischen Thema der Zuwanderung sowie der damit verbundenen Parteilinie unmittelbar verknüpft. Fragenkomplex 2: Der Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ und die österreichische Sprachenpolitik Danach gefragt, was die interviewten PolitikerInnen spontan mit dem Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ assoziieren, werden durchgehend ähnliche Themen aufgegriffen, darunter vor allem Sprachkenntnisse, Bildung, Migration und zum Teil Europa. PBFs Antwort sticht durch eine besonders enge Definition hervor, die

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Mehrsprachigkeit auf den erst- und zweitsprachlichen Spracherwerb aufgrund von Migration beschränkt und schulisch angeeignete Fremdsprachenkenntnisse explizit vom Bedeutungsumfang des Begriffs ›Mehrsprachigkeit‹ ausschließt: Also Mehrsprachigkeit in erster Linie, was die · die Muttersprache betrifft, und was die Sch/ Umgangssprache im Land betrifft. […] Also Mehrsprachigkeit ist jetzt net für mi, dass i in der Schule vielleicht amal Englisch und Französisch mehr schlecht als recht ah gelernt habe, ·· ah Mehrsprachigkeit bedeutet (aber) wirklich, eine Person aufgrund der Herkunft eine Sprache spricht, also die Muttersprache, und dann aufgrund der persönlichen Situation sich eventuell in einem anderen Land aufzuhalten, eine zweite Sprache ebenfalls für nahezu existenzwichtig [hält]. (PBF)

Im Unterschied zu den anderen Politikern heben die Beamten des Außenministeriums die europäische Dimension des Begriffs ›Mehrsprachigkeit‹ in ihren Antworten hervor, indem sie das damit bezeichnete Phänomen als konstitutiv für Europa bzw. die EU betrachten. So spricht etwa PA1 von Mehrsprachigkeit als einem »der Prinzipien des europäischen Selbstverständnisses, des europäischen Projektes« und PA2 assoziiert damit »ein[en] Wunsch ahm oder ein Ideal in Europa, dass die vielen Sprachen, die wir in Europa sprechen, doch etwas Lebendiges sind«. Mit Mehrsprachigkeit assoziiert der Sprecher der Grünen ähnlich wie PBF in erster Linie Probleme aufgrund von Migration, insbesondere in Bezug auf den Umgang mit »Kindern mit migrantischem Hintergrund« aus der Türkei, den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und »anderen nicht-deutschsprachigen Ländern«. Neben der Migrationsproblematik führt PBG im Gegensatz zu PBF jedoch auch schulisch erworbene Fremdsprachenkenntnisse als zweiten Aspekt des Begriffs ›Mehrsprachigkeit‹ an. Der Sprecher der SPÖ listet in seiner schriftlichen Antwort zunächst folgende Stichwörter als Ad-hoc-Assoziationen zum Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ auf: »eine Realität unserer Gesellschaft, Vielfalt, Offenheit, Mobilität, interkulturelle Kompetenz, Prestige-Sprachen versus weniger häufig verbreitete Sprachen, aber auch Unsicherheit, wie man damit umgeht.« Im zweiten Teil seiner Antwort unterscheidet er in einer Definition, die auf den Gemeinsamen Referenzrahmen des Europarats zurückgeht (Quetz et al. 2001; Council of Europe 2001), zwischen »individueller Mehrsprachigkeit (Plurilingualismus)« und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit. Zudem führt PBS an, dass Mehrsprachigkeit bedeute, in mehreren Sprachen – inkl. regionalen Varietäten – kommunikationsfähig oder teilkompetent zu sein und verweist diesbezüglich auf den Europarat und den LEPP-Bericht (BMUKK et al. 2008). PUK bezieht sich in seiner ausführlichen Antwort auf die Frage nach dem Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ ebenfalls auf den LEPP-Prozess als eine von vielen Aktivitäten und Kooperationen des Unterrichtsministeriums im Bereich der Sprachenpolitik (vgl. Fußnote 75). Zunächst bezeichnet PUK Mehrsprachigkeit allerdings als »zentrale […] gesellschaftliche Herausforderung, kon-

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kretisiert im Bildungssystem«, um den Begriff anschließend historisch-narrativ einzubetten. Hierbei spannt PUK den Bogen seiner Erzählung von der »lange[n] Tradition von Einsprachigkeit, mit hoher Prioritätsetzung natürlich aufs Deutsche« nach dem Zweiten Weltkrieg über den Fall des Eisernen Vorhangs bis zum EU-Beitritt Österreichs und aktuelleren Migrationsentwicklungen »durch die generelle Mobilität« und Globalisierung. Diese historischen Entwicklungen verknüpft PUK in seiner Darstellung mit einem Paradigmenwechsel in der Fremdsprachendidaktik sowie Sprachlehr- und Sprachlernforschung »seit den siebziger Jahren«, den er als einen Wandel von grammatikorientierten Konzepten zum kommunikativen Ansatz nachzeichnet. Die nächsten beiden Fragen im zweiten Block beziehen sich auf die Ernennung Leonard Orbans zum EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit und seine bisherige Arbeitsbilanz. Mit Ausnahme von PBF stehen die interviewten Politiker dem Ressort und der Arbeit Orbans als EU-Mehrsprachigkeitskommissar grundsätzlich positiv gegenüber. Dennoch vermuten neben PBF auch PA1 und PBG, dass das Amt weniger aufgrund sachpolitischer und inhaltlicher Notwendigkeiten geschaffen wurde als vielmehr aufgrund des Fehlens entsprechender anderer Ressorts für die neuen EU-Beitrittskandidaten im Jahr 2007. Zudem führen vor allem die Beamten des Außenministeriums an, dass der Handlungsspielraum des Kommissars in seiner Arbeit begrenzt ist, da der Großteil seines Budgets an Fixausgaben für den Übersetzungs- und Dolmetschdienst gebunden ist (PA1), darüber hinaus müsse Orban die Wünsche und Prioritätensetzungen der Kommission in ihrer Gesamtheit berücksichtigen (PA2) und das Subsidiaritätsprinzip befolgen (PUK). PBF ist der Ansicht, dass Kommissar Orban während seiner Amtszeit absolut keine erwähnenswerten Veränderungen herbeiführen konnte. Als Beispiel hierfür erwähnt PBF den Umstand, dass weiterhin jedem Mitgliedsland alle relevanten Übersetzungen »in seiner Muttersprache« zur Verfügung gestellt werden müssen, und dass die deutsche Sprache nach wie vor nicht ausreichend als EU-Arbeitssprache berücksichtigt werde – ersteres bewertet PBF positiv, letzteres negativ. PA2 vertritt in beiden Punkten eine ähnliche Meinung: Er glaubt ebenfalls nicht, dass Orban Wesentliches ändern konnte, und bezeichnet den Status des Deutschen als »größte Muttersprachlergruppe […] innerhalb der EU« zwar einerseits als Glücksfall, spricht sich andererseits jedoch aus wirtschaftlichen und kulturellen Gründen für eine noch stärkere Förderung der deutschen Sprache außerhalb Österreichs aus. Die anderen Politiker ziehen eine positivere Bilanz über die Arbeit Orbans: PA1 meint, dass Mehrsprachigkeit durch Orban zu einer in mehreren Generaldirektionen behandelten Querschnittsmaterie wurde, PBS betont die Wichtigkeit einer zentralen Anlaufstelle für die Mitgliedsstaaten zum Thema Sprache und Mehrsprachigkeit, wie sie unter Orbans Amtszeit eingeführt wurde, und PBG

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sieht die Thematisierung von Sprachkenntnissen im europäischen Kontext durch Orban als wichtig und vorbildhaft für Österreich an. Die umfangreichste Auflistung der beruflichen Leistungen Orbans während seiner Tätigkeit als EUMehrsprachigkeitskommissar stammt von PUK, der neben dem »großen Brocken des Übersetzungsdienstes« unter anderem folgende sprachenpolitische Ereignisse im Verantwortungsbereich Orbans sieht: die Einberufung einer Philosophenrunde zum Thema Mehrsprachigkeit (d. h. die hochranginge Intellektuellengruppe unter dem Vorsitz von Amin Maalouf), die Eröffnungskonferenz zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs im Februar 2008 sowie Reden und Entschließungen zum Thema Sprache und Mehrsprachigkeit vor dem Hintergrund des europäischen Friedensprojektes sowie der wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung Europas. PUK und PBS erwähnen darüber hinaus sprachenpolitischen Kooperationen zwischen der EU und dem Europarat unter Orbans Federführung sowie seine Mitwirkung an Aktivitäten des Österreichischen Sprachen-Kompetenz-Zentrums (ÖSZ) oder des ebenfalls in Graz befindlichen Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarates (European Center for Modern Languages, ECML). Das erste Zitat, das den Interviewpartnern vorgelegt wurde, stammt aus der EU-Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit und lautet folgendermaßen: Es ist diese Vielfalt, die die Europäische Union zu dem macht, was sie ist: kein ›Schmelztiegel‹, in dem Unterschiede verschmolzen werden, sondern ein Miteinander vielfältiger Unterschiede. Ein Miteinander, das unsere zahlreichen Muttersprachen als Reichtum begreift und als Weg zu mehr Solidarität und gegenseitigem Verständnis. (Europäische Kommission 2005).

Mit Ausnahme der beiden Beamten aus dem Außenministerium schätzen die Politiker dieses Statement als prinzipiell positiv ein, wenngleich sie den dahinterstehenden Grundgedanken mehrmals als idealistisch (PA2), realitätsfern (PBG) oder schwer umsetzbar (PUK, PBS) bezeichnen. Am stärksten lehnt PA1 die Aussage des Zitats ab, da es seiner Meinung nach den emotionalen Wert von Sprache überbetont, anstatt ihren Kommunikationswert hervorzuheben. Gleichzeitig sieht er das Zitat als »typische Formulierung« eines »Kompromisses innerhalb der Europäischen Union an«. Obwohl auch PA1, dem Kompromisscharakter des Zitats entsprechend, »jeden Teil dieses Satzes unterschreiben könnte«, bewertet er ihn insofern als falschen Satz, als er die von Europa ausgehende Gefahr (eines drohenden Schmelztiegels) in den Vordergrund stellt anstatt Europa positiver darzustellen und zu stärken. Die Positionen zum zweiten Zitat – »Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität« (Europäische Kommission 2005) – verteilen sich ähnlich wie beim ersten Zitat: Die deutlichste Ablehnung stammt von PA1, während die anderen Politiker dem

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Zitat mehr oder weniger uneingeschränkt zustimmen können. PA1 würde das Zitat nicht unterschreiben, da die zugrundliegende Aussage auf Vorstellungen einer primordialen Funktion (primordial function) von Sprache beruhe, die die Konstruktion von exklusiven Zugehörigkeiten im Sinn von In-Out-Gruppen bewirke. Zwar ist es laut PA1 richtig, dass Sprache »Teil unserer Identität« ist, jedoch sieht er sie als veränderbarer Teil, zudem sei Sprache in kultureller Hinsicht nicht entscheidend, sondern vielmehr »das Zusammenkommen von unterschiedlichen historischen Erfahrungen gerade in unterschiedlichen Sprachen, Kulturen, Religionen, Einflüssen«, wie das Beispiel der mitteleuropäischen Kultur und die »Einflüsse der Wiener Kultur« zeigen. PA2, PBF und PUK stimmen den Aussagen der beiden Sätze vorbehaltlos zu, während PBS das Zitat aufgrund des Ausdrucks »unmittelbarster« und wegen seiner Anfälligkeit für Missinterpretationen kritisiert: Ähnlich wie einige TeilnehmerInnen der Gruppendiskussionen argumentiert PBS, dass Sprache nur eine von mehreren kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten ist, und dass das Zitat bei einer engen Definition von Sprache (bspw. als Lautsprache) eine Lesart erlaubt, die bestimmten Personengruppen ihr Menschsein abspricht (bspw. Gehörlosen oder Personen »mit einer psychischen, geistigen oder körperlichen Einschränkung«). Unter der Bedingung einer weiten Definition von Sprache, die bspw. Gebärdensprachen einschließt, würde PBS die Aussage des Zitats allerdings positiv bewerten. Danach gefragt, welche Konsequenzen das Zutreffen oder Nicht-Zutreffen des Zitats für die nationale Sprachenpolitik und die konkrete Gesetzgebung in Österreich hat bzw. haben sollte, führen die Politiker unterschiedlichste Aspekte an. PA1 plädiert für eine pragmatische Vorgangsweise, die in Österreich auch andere Sprachen als Deutsch in relevanten Bereichen zulässt (bspw. im künstlerischen oder wissenschaftlichen Sektor). PA2 erkennt ein Muttersprachen-, nicht ein Fremdsprachenproblem, das sich bei vielen ÖsterreicherInnen in mangelhaften Kenntnissen in der Muttersprache Deutsch ausdrücke, weshalb diese aus Sicht von PA2 stärker gefördert werden müsse. PBF folgert aus dem seiner Meinung nach zutreffenden Zitat, dass MigrantInnen Deutsch lernen und sich »gewissen Normen, sogar unter Anführungszeichen · dem Schmelztiegel · unterwerfen müssen«. Den österreichischen Schmelztiegel sieht PBF hierbei nicht mehr durch das Vorhandensein »unterschiedlichste[r] Nationen sogar in einem Staat« geprägt, wie es noch während der Habsburgermonarchie der Fall gewesen sei, vielmehr sei für Österreich charakteristisch, dass die Mehrheit der ÖsterreicherInnen der »deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft, und daher auch Sprachgemeinschaft« angehören. Im Gegensatz dazu spricht sich PBG für eine Stärkung der autochthonen Minderheiten in Österreich aus, insbesondere was die Geltendmachung ihrer im Staatsvertrag festgelegten und höchstgerichtlich bestätigten Rechte betrifft, und betont vor dem Hintergrund des Zitats,

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dass die Förderung der Erstsprache bzw. des muttersprachlichen Unterrichts an Österreichs Schulen forciert werden müsse. PUK sieht sich durch das Zitat in seinem Plädoyer für einen Mehrsprachigkeitsansatz auf der schulischen Ebene bestätigt, während PBS den Schutz der sprachlichen Menschenrechte nach dem Vorbild der Universal Declaration on Linguistic Rights (UNESCO 1996) einmahnt und Maßnahmen als sinnvoll erachtet, »die die sprachliche Kompetenz von Menschen mit besonderen Bedürfnissen fördern […], z. B. durch die Ausbildung bilingualer ÖGS-LehrerInnen.« Fragenkomplex 3: Das Verhältnis zwischen supranationaler EU-Sprachenpolitik und nationaler österreichischer Sprachenpolitik Der dritte Fragenblock wird mit der Frage (1) eingeleitet, in welchen Bereichen die interviewten Politiker eine Umsetzung sprachenpolitischer Maßnahmen in Österreich erkennen können, die den auf EU-Ebene formulierten Zielen entsprechen. Die Beamten des Außenministeriums verweisen in dieser Frage auf das Unterrichtsministerium, wobei PA1 in diesem Kontext die sehr ambitionierten und um Förderung der Mehrsprachigkeit bemühten KollegInnen lobend hervorhebt, wenngleich er »insgesamt […] kein großes politisches Interesse an dieser Fragestellung« feststellen kann. Als mögliche Gründe für das mangelnde sprachenpolitische Interesse führt PA1 die große sprachliche Homogenität in Österreich an (weil »95 Prozent […] Deutsch als Umgangssprache verwenden«) sowie eine Vermeidungsstrategie auf politischer Ebene, die eine Umgehung der Minderheitendiskussion zum Ziel hat und auf die Sorge um mangelnde Zustimmung aus der Bevölkerung zurückgeführt werden könne (als Beispiel hierfür führt PA1 die damals aktuelle Diskussion um die Deutschkenntnisse österreichischer IslamlehrerInnen an). Seine Einschätzung, dass man in Bezug - ·· viel zu wenig bisher auf Migration »die sprachenpolitischen Konsequenzen hm gezogen hat«, deckt sich weitgehend mit der Sichtweise von PBG, dass Österreich, u. a. in der Förderung der Erstsprache, weit hinterher hinkt. PBF sieht das Barcelona-Ziel, wonach jeder und jede EU-BürgerIn zwei europäische Fremdsprachen erlernen und beherrschen soll, auf österreichischer Ebene als verfehlt an, kritisiert aber gleichzeitig die fehlende Festlegung des gewünschten Sprachniveaus durch die EU. Als prioritär schätzt PBF jedenfalls den adäquaten Erwerb der Erstsprache sowohl für Kinder mit als auch ohne Migrationshintergrund ein, wobei erstere darauf aufbauend die Zweitsprache Deutsch erlernen sollen. Letzteres dürfe nicht den Eltern überlassen werden, sondern müsse extrem forciert werden und den Schwerpunkt auf (vor-)schulischer Ebene bilden, wobei Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache nach Ansicht von PBF in eigenen Klassen, ggf. außerhalb des Regelunterrichts und getrennt von Kindern mit deutscher Muttersprache, unterrichtet werden sollten. PUK verweist im

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Kontext dieser Frage auf den bereits mehrfach erwähnten Multisprachenansatz, während PBS mehrere Aktivitäten im Bildungssektor (Bildungsstandards für Sprachen, L1- und L2-Förderung sowie Harmonisierung der LehrerInnenbildung und sprachliche Frühförderung) nennt und beteiligte Institutionen (u. a. ÖSZ, BIFIE, CEBS116) auflistet. In der nächsten Frage (2) werden die Politiker mit einer Statistik des ÖSZ konfrontiert, wonach ca. 90 % aller österreichischen SchülerInnen auf der Primarstufe und Sekundarstufe I lediglich in einer einzigen lebenden Fremdsprache (zumeist in Englisch) Unterricht erhalten, obwohl die EU seit Jahren das Barcelona-Ziel »Muttersprache plus zwei« propagiert. Die befragten Politiker führen mehrere Erklärungsansätze für diese Diskrepanz zwischen supranationaler Zielformulierung und nationaler Umsetzung an und nennen diesbezüglich vor allem folgende Faktoren: die alleinige Zuständigkeit für bildungspolitische Fragen auf nationaler Ebene (PA1), den Nutzen der dominanten Fremdsprache Englisch (PA1) und Nachholbedarf auf der österreichischen Ebene (PBG) sowie die notwendige Abstimmung zwischen mehreren Kompetenzebenen in Österreich (»Bund, Land, Bildungseinrichtungen …«) (PBS). Wie die Antworten auf die entsprechende Nachfrage zeigen, sind allerdings vor allem die Beamten des Außenministeriums sowie PBF ohnehin wenig überzeugt, dass SchülerInnen in zumindest zwei lebenden Fremdsprachen auf der Sekundarstufe I Unterricht erhalten sollten. PA1 bejaht die Frage, ob eine einzige lebende Fremdsprache im Pflichtschulbereich genügt, am eindeutigsten: Zumindest für SchülerInnen mit deutscher oder englischer Muttersprache sei dies ausreichend, andere Muttersprachen der SchülerInnen sollten seiner Meinung nach jedoch als Drittsprachen im Unterricht Berücksichtigung finden. PBF hält es aufgrund der fehlenden Qualifikation vieler Englisch-LehrerInnen (im Sinn mangelnder Native SpeakerKompetenz) nicht für sinnvoll, mit Englisch als erster Fremdsprache bereits in der Volksschule zu beginnen. Auch in der Hauptschule oder AHS-Unterstufe wäre es PBF zufolge besser, nur eine Fremdsprache zu erlernen, wobei je nach Schulstandort und schulautonom festgelegtem Schwerpunkt statt Englisch auch eine Nachbarsprache als erste lebende Fremdsprache möglich sein sollte: »[…] wenn man mal die Muttersprache gscheit kann, wenn man mit einer Fremdsprache beginnt und dann vielleicht die zweite draufsetzt, dass das eigentlich die best/ die richtigere ·· Abfolge wäre, als wann man Kinder gleich in zwei Fremdsprachen konfrontiert.« Auch PA2 sieht den Unterricht in zwei lebenden Fremdsprachen im Pflichtschulbereich als nicht unbedingt notwendig an, sondern würde dies der Entscheidung der LehrerInnen überlassen, die die (Lern-) 116 ÖSZ: Österreichisches Sprachen-Kompetenz-Zentrum; BIFIE: Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens; CEBS: Center für berufsbezogene Sprachen.

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Fähigkeiten der SchülerInnen am besten einschätzen könnten. PA2 glaubt allerdings, dass die »Lehrer in der Schule« mit »viel größeren Problemen« als dem mangelnden Fremdsprachenangebot konfrontiert sind, und führt folgende Beispiele für solche Probleme an: die große Anzahl muslimischer Mädchen in Wiener Hauptschulen, die nicht einmal am Turnunterricht teilnehmen, sowie die Ausbildung und Vermittlung von Fertigkeiten für das Berufsleben. PBG, PBS und PUKvertreten demgegenüber eine konträre Position, indem sie sich deutlich für eine Verankerung einer zweiten lebenden Fremdsprache auf der Sekundarstufe I aussprechen. PBG wünscht sich eine Aufhebung der Trennung (in Hauptschule und Gymnasium) auf der Sekundarstufe I (vgl. »Initiative Neue Mittelschule« unten), sodass SchülerInnen »spätestens mit zwölf« Jahren auf einer gemeinsamen Stufe eine weitere, zweite Fremdsprache erlernen können. PUK spricht sich ähnlich wie PA1 neben Deutsch und Englisch für eine »Intensivierung der jeweiligen Muttersprache« im Pflichtschulbereich aus und wäre darüber hinaus für die Einführung von Türkisch als Maturafach, wenngleich diese Maßnahme aufgrund von Diskussionen und drohenden »Volksbegehren von Strache«, dem Bundesparteiobmann der FPÖ, umstritten sei. Für PBS ist das Barcelona-Ziel auch ein »Ziel der österreichischen Bildungspolitik«, wenngleich dessen Umsetzung aus den oben genannten Gründen noch »die nötige Zeit« brauche. PBS sieht vor allem eine stärkere Berücksichtigung von Minderheitensprachen in der Schule und entsprechenden Anpassungen in der LehrerInnenbildung (Aufnahme weiterer Sprachen in die Curricula der Pädagogischen Hochschulen und Lehramtsstudien) als notwendig an. Laut PBS werden bereits erste bildungspolitische Maßnahmen (»aufgrund der Ergebnisse aus dem österreichischen LEPP-Prozess«) umgesetzt, die die »schulische Mehrsprachigkeit in der Sekundarstufe I« fördern sollen, beispielsweise die Entwicklung von Kompetenzbeschreibungen für die romanischen Sprachen oder die Schwerpunktsetzung auf Mehrsprachigkeit in der »Initiative Neue Mittelschule« (geplante Einführung einer zweiten lebenden Fremdsprache ab der 3. Klasse in allen Neuen Mittelschulen Vorarlbergs). Auf die Thematisierung der Widersprüchlichkeit zwischen sprachenpolitischen Zielformulierungen auf EU-Ebene und der entsprechender Umsetzung auf österreichischer Ebene war auch die nächste Frage (3) ausgerichtet, in deren Rahmen die interviewten Politiker gebeten wurden, zu folgenden diskursiven Ereignissen rund um die österreichische Sprachenpolitik Stellung zu beziehen: (1) dem Kärntner »Ortstafelstreit« und der BZÖ-Kampagne »Kärnten wird einsprachig!« im Rahmen des Nationalratswahlkampfes 2006, (2) dem Verwendungsverbot anderer Sprachen als Deutsch in der Pausenkommunikation an einer Linzer Schule (orf.at 2008) und (3) der politischen Werbung mit Slogans wie »Deutsch statt ›Nix versteh’n‹« (FPÖ) oder »Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung« (ÖVP) während des Nationalratswahlkampfes 2008.

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Die Sprecher von FPÖ und Grünen äußern Verständnis für die Vorgehensweise des Linzer Direktors, seinen SchülerInnen die Verwendung der Sprache Deutsch in der Pause zu ›empfehlen‹, da das Sprechen einer gemeinsame Sprache dabei helfe, Konflikte und Gruppenbildungen zu vermeiden sowie Integrationsprozesse zu befördern. PBG spricht sich dennoch vehement dagegen aus, den Gebrauch der Muttersprache zu sanktionieren oder MigrantInnen zur Assimilation aufzufordern. Im Slogan »Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung« sieht PBF insofern keinen Widerspruch zu Zielen der EU-Sprachenpolitik, da Zuwanderung aus FPÖ-Sicht »in erster Linie« Migrationsbewegungen aus außereuropäischen Ländern betreffe und verpflichtende Deutschkurse für Drittstaatsangehörige – im Gegensatz zu EU-BürgerInnen – somit nicht EU-gesetzwidrig sind. Darüber hinaus entspricht die »Empfehlung« des Linzer Direktors der FPÖ-Forderung nach Einführung der Schulsprache Deutsch, so PBF. PBS und PUK gehen auf die angesprochene Thematik kaum ein – so meint etwa PBS nur, dass »tendenzielle Aussagen bestimmter politischer Gruppen, insbesondere in Wahlkämpfen […] immer äußerst kritisch zu hinterfragen bzw. zu betrachten« sind. Die Beamten des Außenministeriums betrachten die Skepsis gegenüber der Verwendung anderer Sprachen als Deutsch weniger aus einer schulpolitischen als aus einer historischen Perspektive: PA1 sieht die Ablehnung bestimmter Sprachen in der »Tradition der Habsburgermonarchie« begründet, die »nicht von der Gleichheit von Sprachen geprägt, sondern von einer starken Durchlässigkeit von der sozialen Bedeutung von Sprachen« gekennzeichnet war. Einerseits meint PA1, dass die Ablehnung beispielsweise gegenüber slawischen Sprachen oder dem Türkischen aufgrund kultureller Dominanzvorstellungen zur politischen Instrumentalisierung in Österreich genutzt wird. Andererseits glaubt er, dass verpflichtend zu erwerbende Deutschkenntnisse tatsächlich sinnvoll und im Interesse der MigrantInnen sind, dass sie deren Voraussetzungen verbessern, dass »eine gute Kenntnis der deutschen Sprache einfach die Lebenschancen in allen Bereichen für ah Kinder oder Menschen mit […] nichtdeutschsprachigem Migrationshintergund erhöht.« PA2 verneint den sprachenpolitischen Charakter der drei gebrachten Beispiele und betont – ausgehend vom Beispiel des Kärntner Ortstafelstreits –, dass es sich dabei um »eine rein politische Frage, keine sprachpolitische Frage« handelt. Als Begründung dient wiederum ein historischer Referenzpunkt: Anders als PA1 nimmt PA2 allerdings nicht auf die Habsburgermonarchie, sondern auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs Bezug, genauer gesagt auf die »Austreibung der Deutschen und in aah ··· den Ereignissen in in der Hitler-Zeit und danach«. Die Ablehnung des Slowenischen von einem Teil der KärntnerInnen erklärt PA2 damit, dass Slowenisch von machen nicht als Fremdsprache wahrgenommen werde, sondern

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als »Sprache der Partisanen, die möglicherweise den ((ea)) Onkel oder Großvater und so weiter umgebracht haben, nicht«. Die nächsten beiden Interview-Fragen (4 und 5), die wieder auf die sprachenpolitische EU-Ebene zurückführen, thematisieren diverse Vor- und Nachteile der EU-Amtssprachenregelung, insbesondere in Bezug auf die europäische Integration und die Kosten des EU-Übersetzungs- und Dolmetschdienstes. Die deutlichste Zustimmung zum derzeitigen Status quo der EU-Amtssprachenregelung und des Übersetzungs- und Dolmetschdienstes stammt interessanterweise neben PBS vom Sprecher der tendenziell EU-kritischen FPÖ: PBF hält eine europäische Einheitssprache »aus unserer Sicht für undenkbar«, spricht sich für die Beibehaltung der EU-Sprachenvielfalt aus und hält dem Kostenargument entgegen, dass der derzeitige Übersetzungs- und Dolmetschapparat der EU nicht nur relativ geringe Kosten im Vergleich zu den gesamten EU-Personalkosten (Kopfgeldern) verursacht, sondern auch wichtige Arbeitsplätze sichert. Auch PBS führt die vergleichsweise geringen Kosten für das Übersetzungs- und Dolmetschservice als Gegenargument an und beruft sich hierbei auf Zahlen zum Gesamthaushalt der EU – dieser Kostenvergleich findet sich nicht nur im Diskurs der EU, sondern auch in den Gruppendiskussionen und in den österreichischen Printmedien wieder. Mit Hinweis auf den gescheiterten Versuch, Esperanto als einheitliche Weltsprache durchzusetzen, sowie auf die Bedeutung von Sprache als »Ausdruck von Identität, Kultur und Befindlichkeit« sowie für Heimat und Sicherheit lehnt PBS die Einführung einer gemeinsamen europäischen Sprache wie Esperanto oder Englisch ab, wenngleich er die Wichtigkeit des Englischen als Brückensprache anerkennt. Wesentlich skeptischer gegenüber der EU-Sprachenvielfalt fallen die Antworten der beiden Beamten des Außenministeriums aus: PA1 plädiert weniger aus Kostengründen als aus Sorge um das europäische Projekt und dessen Zusammenwachsen für die Einführung einer einzigen Sprache als gemeinsame Kommunikationssprache und »kommunikative Ebene aller Europäer«. Zwar sollen neben dieser Kommunikationssprache auch diverse emotional wichtige Sprachen im öffentlichen Raum Berücksichtigung finden, jedoch glaubt PA1, dass das sprachenpolitische Prinzip der EU nicht aufrechtzuerhalten ist, wonach alle EU-BürgerInnen das Recht auf die Verwendung der eigenen Muttersprache in der Kommunikation mit EU-Institutionen haben (sofern es sich bei der Muttersprache um eine der EU-Amtssprachen handelt). PA2 bestätigt den Nutzen einer einheitlichen Sprache auf EU-Ebene im Allgemeinen sowie des Englischen als Lingua franca im Besonderen, wenngleich er neben Englisch noch weitere Sprachen im Sinn der Mehrsprachigkeitsförderung unterstützt sehen möchte. Mehrsprachigkeit, insbesondere wie sie im Barcelona-Ziel anvisiert wird (Muttersprache plus zwei weitere europäische Fremdsprachen), erscheint PA2 allerdings nicht durchsetzbar, da zu viele Leut‹ »erstens nicht

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sprachbegabt sind, zweites faul sind, […] drittens auch in ihrem Umkreis überhaupt nicht […] herausgefordert werden«. Auch wenn damit ein hoher (finanzieller) Aufwand verbunden ist, sei die Sprachenvielfalt in Form der 23 EU-Amtssprachen wegen der derzeitigen Situation auf EU-Ebene (»aufgrund der gesetzlichen und rechtlichen Lage«, PA1) unvermeidbar (PA1) bzw. notwendig (PA2), aber »keine besondere Trumpfkarte Europas« (PA1). Eine unentschieden wirkende Zwischenposition nehmen PUK und PBG ein, indem sie das positive Potential einer einheitlichen Sprache bzw. des Englischen als Lingua franca etwa in Bezug auf europäische Integration bzw. Identität und kommunikative Kompetenz hervorheben (»Englisch ist die Lingua franca, und die muss beherrscht werden«, PUK), sich aber gleichzeitig für die Bewahrung der (sprachlichen) Vielfalt aussprechen, die ebenso wichtig für die europäische Identität sei (PBG). In Form einer Zusatzfrage wurden die Politiker (mit Ausnahme von PUK und PBG) gefragt, ob es sinnvoll wäre, das Modell der EUSprachenvielfalt in Form der Amtssprachenregelung auch auf die nationale österreichische Ebene umzulegen und anzuwenden. Während PBS ausweichend darauf hinweist, dass die Adaptierbarkeit dieses EU-Modells für die nationale Ebene erst überprüft werden müsste, lehnen die anderen Politiker (PA1, PA2, PBF) diesen Vorschlag explizit ab. So hält PA1 »eine volle Mehrsprachigkeit in Österreich selber […] [ND: für] nicht unbedingt realistisch und und nicht einmal zielführend«, wenngleich er sich für mehr Sprachenrechte für (autochthone) Minderheiten in deren Gebieten ausspricht. PA2 begründet seine Ablehnung eines EU-ähnlichen Modells auf nationaler Ebene damit, dass neue Minderheiten wie TürkInnen oder arabische und asiatische ZuwanderInnen seiner Meinung nach »Deutsch können sollen und deshalb das [ND: ein EU-ähnliches Amtssprachenmodell] gar nicht notwendig haben«. Als Begründung führt PBF an, dass es in Kärnten und im Burgenland für die Minderheitensprachen Slowenisch und Kroatisch bereits »entsprechende Übersetzungen, Verordnungen und Verlautbarungen« gebe und ein darüber hinausgehendes Übersetzungs- und DolmetschModell nach EU-Vorbild für Österreich seiner Meinung nach überbordend wäre. Nach einer Überleitung vom Thema der Amtssprachen zu den EU-Arbeitssprachen werden die Politiker gefragt, ob ihrer Meinung nach das Deutsche als EU-Arbeitssprache (Frage 6) aufgewertet bzw. dem Englischen und Französischen gegenüber gleichberechtigter behandelt werden sollte. Eindeutig bejaht wird diese Frage von PBF, der den Verzicht auf Gebrauch und Förderung des Deutschen auf EU-Ebene durch PolitikerInnen und Regierungen Österreichs und Deutschlands aufgrund vorauseilenden Gehorsams und Unterwürfigkeit als unerhört und skandalös bezeichnet. Als Erklärung für die marginalisierte Rolle des Deutschen auf EU-Ebene verweisen PA1 und PBF auf den Nationalsozialismus bzw. »Ereignisse des Nazi-Regimes«, die zu einer negativen Konnotation bzw. Diskreditierung der deutschen Sprache geführt haben. Demgegenüber sollte PA1

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und PBF zufolge die deutsche Sprache aufgrund ihrer hohen Anzahl muttersprachlicher SprecherInnen einen höheren Stellenwert (PA1) auf EU-Ebene einnehmen. Anders als PBF glaubt PA1, dass die österreichische Regierung sich für dieses Ziel einsetzt, wenngleich »mit etwas weniger missionarischem Charakter als das Deutschland macht.« Auch PBG und PBS sprechen sich für eine stärkere Gleichberechtigung des Deutschen gegenüber dem Englischen und Französischen als EU-Arbeitssprache aus, wobei PBG diese Frage nicht als zentral betrachtet, während PBS für eine konsequente Verwendung des Deutschen durch österreichische RepräsentantInnen auf EU-Ebene plädiert. Im Gegensatz dazu hielte PA2 eine Beschränkung auf Englisch als einzige EU-Arbeitssprache für »wahrscheinlich das Sinnvollste«, wenngleich aufgrund unterschiedlicher nationaler Interessen unrealistisch. In diesem Zusammenhang verweisen sowohl PA2 als auch PUK auf Forderungen und Ansprüche diverser EU-Staaten wie Spanien, Portugal oder Italien ihre jeweiligen Amtssprachen ebenfalls als EU-Arbeitssprachen zu verankern, falls der Status des Deutschen offiziell aufgewertet werden sollte. Da man nicht alle diese Ansprüche erfüllen könne, sei es nach Ansicht von PA2 »gescheiter es so zu lassen, wie es ist«. Die letzten beiden Fragen (7 und 8) im dritten Block konfrontieren die interviewten Politiker nochmals gesondert mit dem Thema Zuwanderung und neue Minderheiten aus der sprachenpolitischen Perspektive Österreichs und der EU. Zunächst werden die Politiker gefragt, ob sie eine Diskrepanz zwischen der österreichischen und der EU-Sprachenpolitik in Bezug auf neue Minderheiten erkennen können, etwa hinsichtlich der Schwerpunktsetzung auf die Förderung der Staatssprache Deutsch innerhalb Österreichs im Gegensatz zur Hervorhebung des Potentials von Migrantensprachen bspw. im EU-Strategiepapier »Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung« (Europäische Kommission 2008). Unter den befragten Politikern bestätigen nur PBF und PA2 explizit, dass sie eine solche Diskrepanz wahrnehmen, wobei sich beide gegen die verstärkte Förderung von Migrantensprachen in Österreich im Sinn des genannten EU-Strategiepapiers aussprechen, da ihrer Meinung nach die Priorität für MigrantInnen stattdessen auf dem Erlernen der Zweitsprache Deutsch liegen sollte. PBF zufolge sei dies für den Erfolg von MigrantInnen am Arbeitsmarkt notwendig, zudem »sollte jeder, der sich hier [ND: in Österreich] ·· bewähren möchte und sein Leben gestalten möchte, sich wahrscheinlich eher an der Mehrheit orientieren zu haben als die Mehrheit dann an der Minderheit«. PA2 empfindet »weitere Förderungen von Migrantensprachen« als einseitige Scheuklappen- und Multikulti-Perspektive der EU, die die Gefahr eines Spaltpilzes für die Gesellschaft sowie negative Konsequenzen für die gesellschaftliche Kohärenz in Österreich mit sich zu bringen droht. Na das/ da gehts einfach auch um die Kohärenz innerhalb einer Gesellschaft. Es ist

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natürlich notwendig, eine ((ea)) gemeinsame Sprache zu finden, und warum sollte das nicht Deutsch sein in Ö/ in Österreich, n†cht […] Ja, wenn das so ist, wenn die EU ·· darauf setzt ah ah weitere Förderungen auch der Migrantensprachen, ((ea)) ah dann seh ich da eine Diskrepanz, und ich ah ·· ah kenne ja nur die österreichische Situation, n†cht, ah ((ea)) und drum bin ich dafür, aber ((ea)) wenn ich mir jetzt überleg, wie das so in Frankreich oder England ist, n†cht, wo sie bei/ England Pakistani haben und die Franzosen Algerier, Marokkaner ·· (und) Ähnliches, ja warum sollte die EU Maro/ also Arabisch ·· ah mit der Ausformung Marokkos, n†cht, muss man (noch) dazu sagen, dass das wieder ein anderes Arabisch ist als Ägypten oder Irak, ··· ah ah Arabisch dort unterstützen und weiter fördern, ah das würde doch ein ((2 s)) ah ph ((atmet aus)) einen Spe/ Spaltpilz hineinbringen in eine (größere) Gesellschaft, dies/ die ohnehin kämpft, um ah um Kohärenz, ((2 s)) gesellschaftliche Kohärenz, also ((ea)) das ·· find ich eine schon sehr ge/ Scheuklappen aus einer aus einer ah Multikulti-Multisprachkult- ah -Perspektive in allein gesehene ·· Politik, also ah find ich absurd eigentlich.

Ähnlich wie PBF hält auch PA1 rechtlich verankerte Verpflichtungen zum Deutschlernen für MigrantInnen für sinnvoll und zumindest implizit für wichtiger als die Förderung von Migrantensprachen. PBG glaubt, dass die Zuwanderungspolitik Aufgabe der Mitgliedsländer bleiben (und nicht auf EU-Ebene bestimmt werden) sollte, da die einzelnen Mitgliedsstaaten mit unterschiedlichen Problematiken (in Österreich etwa mit der türkischen Minderheit) konfrontiert seien. Lediglich PBS sieht explizit »keine Diskrepanz zu Österreich« in der EU-Sprachenpolitik, da diese primär anerkannte (im Gegensatz zu neuen) Minderheitensprachen sowie Staats- bzw. Nationalsprachen berücksichtigt. Mit dieser Aussage scheint PBS als einziger der befragten Politiker die EU-Sprachenpolitik in der Frage der neuen Minderheiten zumindest implizit zu verteidigen (PUK konnte aus Zeitgründen nicht zu dieser Thematik befragt werden), während keiner der interviewten Politiker Kritik an der Sprachenpolitik Österreichs gegenüber neuen Minderheiten (etwa in Form verpflichtender Deutschkurse) übt. Im Rahmen der letzten Frage (9), die wie die vorhergehende die Problematik der neuen Minderheiten behandelt, werden die Politiker um Einschätzung des folgenden Zitats aus einem Zeitungskommentar von Carl Djerassi (2008) gebeten: Da Einwanderung zumindest ein Teil der Lösung sein muss, würde ich vorschlagen, zu einer aktiven Politik zu wechseln, also zu versuchen, Menschen nach Österreich zu bringen, die sich nicht nur assimilieren, sondern ökonomisch und gesellschaftlich zur Entwicklung des Landes beitragen können […] Deutsch aber erst nach der Einwanderung zu lernen ist ein Riesenhemmnis. Wie wäre es, eine österreichische Organisation, ähnlich dem deutschen Goethe-Institut, in einigen der wichtigsten Universitätsstädte dieser Länder (z. B. Hyderabad, Bangalore, Ibadan, Ile-Ife, S¼o Paulo und insbesondere Rio Grande do Sul, wo es viele Deutsche gibt) einzurichten, mit einem Schwerpunkt auf intensivem Sprachunterricht.

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Djerassis Vorschlag, der Überalterung der österreichischen Bevölkerung durch gezielte Förderung von Neuzuwanderung und entsprechende Deutschlernangebote im österreichischen Ausland entgegenzuwirken, wird von keinem der interviewten Politiker explizit abgelehnt, sondern im Gegenteil großteils positiv bewertet. PBG glaubt zwar nicht, dass das Hauptproblem der mangelnden Sprachkompetenz vieler einheimischer und migrantischer Kinder in Österreich (in der Muttersprache bzw. Zweitsprache Deutsch) durch österreichische Pendants zum Goethe-Institut im Ausland entschärft werden könne, da solche Einrichtungen das entsprechende Zielpublikum (etwa »Bauern aus Anatolien«) nicht erreichen würden. Dennoch stimmt PBG Djerassi in der Forderung nach gesteuerter Zuwanderung – etwa in Form eines von PBG bevorzugten GreenCard-Modells – zu, wenngleich dieses aus Menschenrechtsgründen etwa den Familiennachzug nicht erschweren dürfe. Auch PBS hält Djerassis Idee für einen »konstruktive[n] Vorschlag, der die Zuwanderung von Fachkräften fördern würde«, wenngleich ein solches Modell sehr stark profitorientiert wäre und die Problematik von Flüchtlingen und »beruflich gering qualifizierten Personen« nicht außer Acht lassen dürfe. Eben diesen Aspekt hebt PBF positiv hervor, wenn er sich dafür ausspricht, qualifizierte Personen nach Österreich zu holen statt die Armut zu importieren, d. h. Personen mit geringer beruflicher Qualifikation und schlechten Aussichten am Arbeitsmarkt einwandern zu lassen, die dem Staat hohe Kosten im Sozialbereich verursachen würden. Auf erneute Nachfrage bestätigt PBF mehrmals, dass er das Modell Djerassis unterstützen würde, wenngleich er in Übereinstimmung mit der FPÖ-Line betont, dass »Österreich kein Zuwanderungsland« ist, d. h. Österreich könne mit Ausnahme bestimmter qualifizierter Personen »zum ökonomischen Vorteil des Landes« keine große Anzahl von MigrantInnen (Populationen) aufnehmen. Auch PA2 stimmt dem Vorschlag Djerassis zunächst nur mit »Ja« zu, ergänzt dann allerdings auf Nachfrage, dass er als 63-Jähriger nicht konservativer sein wolle als Djerassi als über 80-Jähriger, dass er aber Bedenken gegenüber dem Funktionieren einer solchen bunten Gesellschaft wie in Amerika (als Resultat einer aktiven Zuwanderungspolitik) habe. PUK schätzt Djerassis Ideen als positiv ein und glaubt, dass Initiativen wie das Österreichische Sprachdiplom in die von Djerassi skizzierte Richtung gehen, jedoch hält PUK die Errichtung von österreichischen Instituten oder Schulen in einer mit Deutschland vergleichbaren Anzahl (aus finanziellen Gründen) für nicht machbar. »Zur Gänze unterschreiben« kann PA1 den Vorschlag Djerassis, zumal Österreich in bestimmten Regionen bereits über »eigene Sprachinstitute im Ausland« verfüge und die deutsche Sprache das Potential zu einer regionalen Kommunikationssprache in Mittel- und Südosteuropa habe. Als Beispiel für eine sprachenpolitische Maßnahme in diesem Zusammenhang nennt PA1 Deutschkurse für türkische Imame in der Türkei, die später in Österreich eingesetzt werden.

Politikerinterviews

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Abschließend (Frage 10) wird den Politikern die Möglichkeit gegeben, ihre eigene (sprachen-)politische Vision rund um das besprochene Themenfeld darzustellen sowie auf deren Umsetzbarkeit im eigenen politischen Tätigkeitsbereich einzugehen. Mit Ausnahme von PBF und PA2 wünschen sich alle interviewten Politiker eine Förderung von Mehrsprachigkeit in unterschiedlichen Facetten, darunter : frühe Fremdsprachenförderung (PA1), Erreichung des Barcelona-Ziels (PBG), positive Sicht auf Mehrsprachigkeit, Anerkennung der (sprachlichen) Vielfalt als Bereicherung (PBG) und Überwindung der sprachlichen Diskriminierung (PBS). Während PA1 Mehrsprachigkeit als eine Utopie betrachtet, »nach der wir streben müssen«, hält es PA2 für illusorisch, dass »alle aah zweiundzwanzig Sprachen sprechen«. Selbst die – prinzipiell erstrebenswerte – Beherrschung von Englisch, Französisch und Deutsch ist PA2 zufolge möglicherweise weniger sinnvoll als die Förderung von Kenntnissen in Englisch und den jeweiligen Nachbarsprachen. Die Politiker führen als Antwort auf die letzte Frage auch stärker individuell geprägte Vorstellungen an, die teilweise bereits zuvor Erwähnung gefunden haben und/oder in Zusammenhang mit dem politischen Arbeitsfeld der Interviewten stehen. So möchte etwa PA2 als Leiter eines Kulturinstituts in einem österreichischen Nachbarland das Deutsche als Fremdsprache in diesem Nachbarland fördern, um deren Bevölkerung die eigene Identität und Kulturverbindung mit Deutsch besser verstehen zu helfen. Darüber hinaus definiert PA2 als persönliches Ziel, Fremdsprachen wie Tschechisch, Ungarisch oder Russisch zu lernen. Im Unterschied zu den anderen Politikern betont PBF abschließend keine positiven Aspekte der Mehrsprachigkeit, sondern verleiht nochmals der Forderung seiner Partei FPÖ Ausdruck, Kinder mit deutscher Muttersprache so lange getrennt von SchülerInnen nichtdeutscher Muttersprache zu unterrichten, bis letztere dem Regelunterricht auf Deutsch folgen können. Dies würde helfen, wechselseitige Behinderungen zu vermeiden und die gleichen »Chancen zu einer guten Entwicklung« für alle Kinder im österreichischen Schulwesen sicherzustellen. PA1 plädiert schließlich ein weiteres Mal für die Unterscheidung zwischen dem kommunikativen und dem emotionalen Wert von Sprachen und möchte (ungeachtet in welcher Sprache) möglichst viele Menschen mit der österreich-bezogenen Kulturarbeit, in der er tätig ist, erreichen. Dominante Themen: Quantitative Auswertung mit MAXQDA Die Themenanalyse der Politikerinterviews erfolgte – wie bei den Gruppendiskussionen und Printmedienartikeln – mit der qualitativen Datenanalysesoftware MAXQDA (siehe Kapitel 2.5.3). Die quantitative Auswertung der einzelnen Makro- und Subcodes aller sechs Interviews ergibt, dass insgesamt die meisten Themen unter dem Makrocode Sprachstatus, gefolgt von Bildung sowie Prinzipien & Werte codiert wurden (siehe Tabelle 26).

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Empirische Fallstudie

Tabelle 26: Themen und Subthemen – Politikerinterviews (Gesamtauswertung) Anzahl der Codierungen pro Makrocode (ab n=45) 143

124

77

56

53 49

46

Makrocode (Thema)

Subcode (Subthema\Sub-Subthema …)

Sprachstatus Muttersprache & Elternsprache Verkehrssprache & Lingua franca; ELF; Weltsprache Fremdsprache Minderheiten- & Regionalsprache Nachbarsprachen Zweitsprache Arbeitssprache Sprachliche Domänen Kommunikationssprache Bildung Schule & Schulbildung Sprachkenntnisse Sprachenlernen Bildung (allg. & sonst.) Kindergarten Prinzipien Kohärenz & Einheit & Werte Prinzipien & Werte (allg. & sonst.) Vielfalt Zwang & Pflicht & Verbot Assimilation & Anpassung Streit & Konflikt EU EU & Europa (allg./sonst.) Sprachenpolitische EUEreignisse\EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit (allg./sonst.) Sprachenpolitische EUEreignisse\Barcelona-Ziel Politik Sprachenpolitik Politik (allg./sonst.) Regierungspolitik Migration Migration (allg./sonst.) PolitikerInnen & Parteien Minderheiten Integration Kultur Kultur (allg./sonst.) Identität Kunst & Hochkultur

Anzahl der Codierungen pro Subcode (ab n=5) 23 21 15 10 9 9 7 7 6 36 33 17 14 6 13 12 10 10 7 6 38 6 5 21 11 8 24 11 9 8 28 15 5

Zusätzlich zu dieser quantitativen Gesamtauswertung der Themen wurden die Makrocodes für jedes Interview einzeln berechnet. Diese Einzelfallauswertung zeigt auf, dass sich Sprachstatus und Bildung in allen sechs Interviews unter den drei Themen mit der häufigsten Frequenz befinden, während sich die Interviews

307

Politikerinterviews

im jeweils dritten Thema dieser Statistik unterscheiden. Neben Sprachstatus und Bildung werden folgende Themen von den einzelnen Politikern aufgegriffen: EU (PA1), Kultur (PA2), Politik (PBG) und Migration (PBF) sowie Prinzipien & Werte (PBS und PUK). Tabelle 15 gibt die fünf Makrocodes bzw. Themen mit der höchsten Anzahl an Codierungen pro Interview wieder (siehe Tabelle 27). Tabelle 27: Themen – Politikerinterviews (Einzelfallauswertung) PA1 Bildung

n PA2 24 Sprachstatus 23 Bildung

n PBG 29 Bildung

Sprach17 status EU 18 Kultur 12 Prinzipien 15 Prinzipien 9 Kultur 9 Migration 9

Sprachstatus Politik Prinzipien Migration

n PBF 19 Bildung

n PBS 31 Sprachstatus 27 Bildung

n PUK n 25 Sprach22 status 16 Prinzipien 18

17 Sprachstatus 14 Migration 14 Prinzipien 11 Bildung 12 Prinzipien 12 Politik 10 Politik 7 EU 11 Kultur 5 EU

17 11 10

4.3.2.2. Diskursive Strategien 4.3.2.2.1. Nominationsstrategien Wie schon die Gruppendiskussionen und Printmedientexte wurden auch die Politikerinterviews nach der Analyse der Themen und Inhalte zunächst in Hinblick darauf untersucht, mit Hilfe welcher Bezeichnungen (Nominationen) jene sozialen Akteure, Orte und Sprachen konstruiert werden, die für den österreichischen Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit im sprachenpolitischen Kontext relevant sind. Das aus den vorherigen Kapiteln bereits bekannte Codesystem für die Nominationsstrategien findet sich in Tabelle 16 ebenso wieder wie ein Überblick über die Anzahl der jeweiligen Codierungen im Teilkorpus der Politikerinterviews (siehe Tabelle 28). Tabelle 28: Nominationsstrategien – Codierungen (Politikerinterviews) Makrocode

Subcode 1

Ortsnamen (Toponyme)

Staaten Staatengemeinschaften & supranationale Institutionen Ortsnamen (sonst./allg.) Kontinente Städte Bundesländer Ausland Kollektiva (inkl. Nationyme)

Soziale Akteure (Anthroponyme)

Subcode 2

Anzahl der Codierungen 205 143 58 32 31 19 4 218

308

Empirische Fallstudie

(Fortsetzung) Makrocode

Sprachbezeichnungen (Linguonyme)

Subcode 1 Berufsbezogene Anthroponyme Politikbezogene Anthroponyme Eigennamen Sprachbezogene Anthroponyme Wirtschaftsbezogene Anthroponyme Religionsbezogene Anthroponyme Beziehungsbezogene Anthroponyme Einzelsprachen Sprachbezeichnungen (sonstige) Dialekt Varietäten

Subcode 2

Anzahl der Codierungen 103 44 33 29 3 3 2 244 85 7

Varietäten (allg./ sonst.) Bundesdeutsches Deutsch

4 1

Im Vergleich zu den Gruppendiskussionen und Printmedienartikeln fällt bei den Politikerinterviews eine relativ hohe Anzahl an Staatsbezeichnungen, Kollektiva sowie sprachbezogenen Anthroponymen auf. Neben Staatsnamen dominieren in der Makrokategorie Ortsnamen vor allem Bezeichnungen für Staatsgemeinschaften und supranationale Institutionen, wobei mehr als die Hälfte der Staatsnamen auf Bezeichnungen für Österreich entfällt und unter den Staatsgemeinschaften beinahe ausschließlich auf die EU bzw. Europäische Union referiert wird. Unter den Städten wird mehrmals auf Wien und New York Bezug genommen, 15 weitere Städte vorwiegend außerhalb Österreichs werden je einbis zweimal genannt. Die Politiker erwähnen jedes der neun österreichischen Bundesländer (mit Ausnahme Wiens, auf das ausschließlich als Stadt Bezug genommen wird) mindestens einmal, am öftesten Kärnten mit insgesamt sieben Nennungen. In der Kategorie Kontinente wurden ausschließlich Vorkommnisse des Typs Europa und Amerika codiert, wobei Europa mit 26 Codierungen (inkl. Europa der Vaterländer sowie Mittel- und Südosteuropa mit je einer Codierung) führt. In der Kategorie Staaten werden nach Österreich am häufigsten die USA bzw. Amerika, Rumänien, die Türkei und Deutschland sowie ca. 20 weitere Länder genannt. Während die Türkei vor allem als Herkunftsland von MigrantInnen in Österreich Erwähnung findet und Rumänien als EU-Beitritts- und

Politikerinterviews

309

Heimatland des EU-Mehrsprachigkeitskommissars Leonard Orban, werden Amerika bzw. die USA vorranging in Zusammenhang mit dem Schmelztiegelkonzept thematisiert (siehe Schlagwort- und Metaphernanalyse ab S. 311 [Die Analyse der Nominationsstrategien in den Politikerinterviews auf Basis der MAXQDA]). In der zweiten Makrokategorie soziale Akteure wurden zum überwiegenden Teil Kollektiva und berufsbezogene Anthroponyme codiert. Unter den Kollektiva dominieren neben Ethnonymen (Österreicher, Türken, Franzosen usw.) Bezeichnungen für Kinder (z. B. »Kinder mit migrantischem« bzw. »türkischem Hintergrund« oder Mädchen) und die allgemeine Bezeichnung Menschen sowie spatialisierende Anthroponyme wie Migrant, Asylant oder Zuwanderer (vgl. Kapitel 4.1.2.2.1). Darüber hinaus findet sich in der Kategorie der Kollektiva eine Reihe weiterer Vorkommnisse mit einer geringeren Frequenz, auf die teilweise noch gesondert einzugehen sein wird (z. B. Communities, deutsche Volks- und Kulturgemeinschaft sowie Lateinamerikaner). Vor allem PUK fällt mit dem Gebrauch von Kollektiva auf, die die anderen Politiker vermutlich aufgrund ihrer teils negativen Konnotation (darunter pejorative bzw. ›politisch inkorrekte‹ Ausdrücke) zu meiden scheinen. PUK verwendet diese Kollektiva jedoch nicht, ohne sich – dem Prinzip des ›double voicing‹ entsprechend – gleichzeitig davon zu distanzieren, indem er sie anderen, nicht näher spezifizierten Stimmen zuweist (bspw. »Neger«, »der ›gute Christenmensch‹«, »Proletariat gegen Bürgertum« oder abschwächt (bspw. »etwas dunkelfarbige Männer und Frauen«). In der Gruppe der berufsbezogenen Anthroponyme werden wie schon in den Gruppendiskussionen und Printmedien Bezeichnungen für den EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit häufig gebraucht, anders als in diesen Texten finden sich in den Politikerinterviews aber auch zahlreiche Vorkommnisse für LehrerInnen (inkl. Lehrerschaft und Lehrkräfte) sowie für WissenschaftlerInnen und ExpertInnen (bspw. Sprachwissenschaftlerin, Bildungswissenschaftler oder Expertengruppen). Familien- bzw. beziehungsbezogene Anthroponyme (»Onkel oder Großvater«, Nachbar) kommen in den Interviews äußerst selten – innerhalb der Nennung von Beispielen – vor, während sprachbezogene Anthroponyme vergleichsweise häufig Verwendung finden (bspw. Deutschsprechende, »Menschen mit anderem Sprachhintergrund«) und teilweise stärker fachspezifischer Natur sind als in den anderen Datentypen (bspw. autochthone Sprachgruppen oder »SprecherInnen anerkannter Minderheitensprachen«). »Menschen, die nicht die Sprache sprechen« (PA1) kann demgegenüber als Beispiel für ein sprachbezogenes Anthroponym genannt werden, das die für den untersuchten Diskurs typische Synekdoche des Typs ›totum pro parte‹ aufweist (die Sprache im Sinn von »die deutsche Sprache«). Die Desambiguierung dieser mehrdeutigen Bezeichnung erfolgt hier ebenso wie beim sprachbezogenen Anthroponym deutscher Kärntner (PA2) – d. h. deutschsprachiger Kärntner – durch den Kontext

310

Empirische Fallstudie

(oder, falls dieser keine Desambiguierung zulässt, durch Selbstkorrektur : »Migrationskindern nicht-deutscher Herkunft/deutschsprachiger Herkunft«, PA1). Bezeichnungen dieser Art eröffnen zusätzliche Bedeutungsebenen bzw. Konnotationen, indem Synonymität zwischen Sprache und Einzelsprache sowie zwischen Ethnie und Einzelsprache suggeriert wird. Eine ähnliche Funktion erfüllt das vorangestellte Possesivpronomen »unser«, das in der Sprachbezeichnung unsere Sprache Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe indiziert (»[…] wir haben ja das Glück, dass unsere Sprache ja zu zu den großen Sprachen zählt«, PA2). Die Vorkommnisse politikbezogener Anthroponyme entsprechen neben dem bereits erwähnten Kommissar für Mehrsprachigkeit den politischen Tätigkeitsbereichen (Bildungssprecher, Freiheitliche, Grüne usw.) der interviewten Politiker bzw. dem zur Diskussion gestellten Begriff des sprachenpolitischen Akteurs. Die wenigen wirtschaftsbezogenen Anthroponyme werden von den Politikern vor allem im Kontext zur letzten inhaltlichen Frage in Bezug auf Djerassis Vorschlag einer Politik der ›qualifizierten Zuwanderung‹ gebraucht (Top-Manager, Leistungsträger und Fachkräfte). Als Eigennamen werden neben Politikern (Alois Mock, Orban, Gerhard Kurzmann, Landeshauptmann Haider, Strache) vor allem Schriftsteller und Wissenschaftler genannt (bspw. Djerassi, Chomsky, Goethe, Schiller, Huntington). Die meisten religionsbezogenen Anthroponyme beziehen sich auf den Islam (Muslime, »Imame oder Religionslehrer«), etwa bei PA1, der auf die Unterstützung seines Ministeriums in Bezug auf »Deutschkurse für türkische Imame, bevor sie nach Österreich kommen« hinweist. Der gute Christenmensch (im Gegensatz zum »Neger«) wird von PA2 als eines der Bilder thematisiert, das Bücher wie »Hatschi Bratschis Luftballon« vermitteln, während die jüdische Bevölkerung als Beispiel für ein Kollektiv herangezogen wird, in dem die deutsche Sprache nach dem Nationalsozialismus diskreditiert war (»nicht nur bei sozsagen (der) jüdischen Bevölkerung, sondern sondern insgesamt«, PA1). Die deutsche Sprache, um hiermit zu zur dritten und letzten Makrokategorie der Sprachbezeichnungen überzuleiten, zählt mit 80 Tokens noch vor Englisch (n=69) erwartungsgemäß zu den am häufigsten codierten Einzelsprachen, gefolgt von Französisch und Türkisch. Auf jeweils fünf bis zehn Codierungen kommen Tschechisch, Slowenisch, Spanisch und Italienisch sowie Latein, während ca. 13 weitere Sprachen jeweils seltener als fünfmal codiert wurden. Sowohl Dialekte als auch Varietäten werden vergleichsweise selten benannt. Während erstere ausschließlich in Form der allgemeinen Bezeichnung Dialekt Erwähnung finden (u. a. Dialekt in Vorarlberg, Dialektvariante), findet sich unter letzteren kein einziges Token für das österreichische Deutsch (erwähnt werden: Hochdeutsch, Standardsprache und die deutsche Variante). Dagegen wurden in der Kategorie der sonstigen Sprachbezeichnungen vergleichsweise viele Codierun-

Politikerinterviews

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gen vorgenommen, u. a. von eher fachsprachlichen Termini (Erstsprache, Zweitsprache, Drittsprache, Plansprache, Herkunftssprache, Lingua franca, Begegnungssprache, autochthone Sprache) und Abkürzungen (L1, MHSPR) sowie von weiteren Komposita und Gelegenheitsbildungen (u. a. Omama-Türkisch, Küchensprache, Schulenglisch, Kommunikationssprache, (österreichische) Kultursprache, dominante Mehrheitssprache, Migrationssprache, Gemeinschaftssprache, Prestigesprache) und von Sprachfamilienbezeichnungen (romanische Sprachen, slawische Sprachen). Auf die einzelnen Types und Tokens in der Makrokategorie Sprachbezeichnungen wird im nächsten Kapitel über die Prädikationsstrategien detaillierter eingegangen (siehe Abschnitt 4.3.2.2.2). Metaphern und Schlagworte Die Analyse der Nominationsstrategien in den Politikerinterviews auf Basis der MAXQDA-Codes wurde durch eine Metaphern- und Schlagwortanalyse ergänzt, um Bezeichnungen berücksichtigen zu können, die sich im bestehenden Codesystem für die Nominationsstrategien nicht abbilden ließen (bspw. Schmelztiegel, Kohärenz, Parallelgesellschaft oder Einheitsbrei). Diese ergänzende Analyse sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die diskursiven Strategien der Politiker in stärkerem Ausmaß auf Schlagwörter und Metaphern beruhen als dies bei den anderen Datenquellen (Gruppendiskussionen und Printmedienartikel) der Fall war. Die Analyse der Nominationsstrategien wird daher im folgenden Teil mit einem besonderen Fokus auf Schlagwörtern und Metaphern fortgesetzt. Mit der Metapher des Schmelztiegels werden die Politiker im Rahmen des ersten Impuls-Zitats aus der EU-Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit konfrontiert, zu der die interviewten Politiker Stellung beziehen sollen. In diesem EU-Strategiepapier (Europäische Kommission 2005) wird der Schmelztiegel als das Verschmelzen von vielfältigen Unterschieden dargestellt und daher als politisches Konzept für die EU verworfen. Im Zuge einer Nachfrage werden die Politiker gebeten, darauf einzugehen, warum ihrer Meinung nach der Schmelztiegel im EU-Mehrsprachigkeitspapier in diesem Kontext negativ bewertet wird. Die Metapher des Schmelztiegels evoziert bzw. ›triggert‹ in den Antworten der Politiker mehrere Schlagwörter, die mit dem Schmelztiegel gleichgesetzt oder in Verbindung gebracht werden (bspw. Einheitsbrei, Assimilation, Kohärenz oder Parallelgesellschaft). In der Terminologie der kognitiven Linguistik könnte man von einem Frame sprechen, der durch das Schlagwort Schmelztiegel aktiviert wird und so Wissen über dieses Konzept verfügbar macht. So verweisen die Politiker in ihren Stellungnahmen zum o.g. Zitat weitgehend übereinstimmend darauf, dass der Ausdruck auf Englisch Melting Pot (of Nations) lautet, aus Amerika stammt und üblicherweise zur Beschreibung der USA gebraucht wird sowie zur Abgrenzung der EU gegen-

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Empirische Fallstudie

über den USA dient. Die interviewten Politiker thematisieren den Begriff Schmelztiegel vor allem als negativ konnotiertes Stigmawort, das sie als synonym zu anderen Stigmawörtern wie Anpassung, Assimilation oder kulturellen Einheitsbrei auffassen. So wird PA1 zufolge unausgesprochen das Ziel des Schmelztiegels verfolgt, wenn im aktuellen Diskurs über Migration sprachliche Integration eingefordert wird, obwohl das auf die Habsburgermonarchie zurückgehende Schmelztiegelkonzept historisch gesehen keinen Erfolg gebracht habe: Ah in Österreich selbst gab es natürlich klare ah Überlegungen, dass alles, was wir unter sprachlicher Integration bezeichnen können, Assimilation bedeutet. Das heißt Anpassung an die dominante Mehrheitssprache jeweils. Der Erfolg war nicht gegeben sozusagen, ah ahm da/ das Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie hängt sicher damit zusammen, dass diese Form der Integration nicht gelungen ist, aber die Zielsetzung ist : Schmelztiegel. Und das ist ja bis heute ein sprachpolitisches Problem, das wir bei ah Immigranten haben, dass ein durchschnittlicher Österreicher unter Integration Schmelztiegel, Anpassung und Assimilation versteht […] Nja, das politische Ziel ist in Österreich unausgesprochen Assimilation. (PA1)

Was an dieser Stelle deutlich wird, sind wiederum die unterschiedlichen Stimmen im Diskurs, die im Sinn des bereits mehrfach erwähnten ›double voicing‹ zitiert und einander gegenübergestellt sowie implizit oder explizit bewertet werden. Bei PA1 sind dies beispielsweise die Stimme der EU, der österreichischen Politik und der Habsburgermonarchie sowie seine eigene Stimme: Obwohl PA1 ein sprachpolitisches Problem darin sieht, dass die derzeitige österreichische Politik unausgesprochen das Ziel der Assimilation bzw. des Schmelztiegels verfolgt, distanziert er sich gleichzeitig mit sprachlichen Mitteln der Abschwächung (angeblich, würde) vom Gegenkonzept der EU. Dieses bestehe darin, dass der Schmelztiegel – verstanden als kultureller Einheitsbrei – vermieden und stattdessen in kulturelle Vielfalt investiert wird. Da dieses ›Anti‹-Schmelztiegelkonzept der EU den emotionalen Wert von Sprache zu stark betone, ist es aus Sicht von PA1 abzulehnen. Na ja, das ist zum zum einen · ist Schmelztiegel halt sozusagen der Begriff, mit dem man sich von den USA unterscheidet, das ist hier deutlich deshalb verwendet. Und zum anderen gehts immer um den ahm/ ((ea)) meistens in der deutschsprachigen Formulierung heißts dann den kulturellen Einheitsbrei, ·· der vermieden werden soll, und der angeblich drohen würde ah, wenn wir ah wenn wir sozusagen hier · nicht entsprechend investieren würden in die in die kulturelle Vielfalt oder kulturellen Unterschiede. (PA1)

Weniger Divergenz zwischen einzelnen Stimmen tritt bei PUK auf, der in Übereinstimmung mit der EU-Stimme den Schmelztiegel mit dem Ziel der Formung eines europäischen Einheitsbreibürgers ablehnt – PUK bedient sich

Politikerinterviews

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hier wiederum des Anti-Mirandums Einheitsbrei und erweitert es zu einem dreigliedrigen Kompositum. Die Metapher Einheitsbrei lässt auf semantischer Ebene eine Verbindung zur Metapher Schmelztiegel erkennen, die auf einer Analogie zwischen metallurgischem Verfahren und Zubereitung einer Speise beruht: Der Schmelztiegel stellt dabei das Gefäß bzw. Instrument dar, das Verschmelzen bzw. Vermischen den Prozess und die homogene Masse bzw. der Einheitsbrei das Ergebnis. Die ursprünglichen Bestandteile dieses – durch die Metapher implizit angedeuteten – Verfahrens (gewissermaßen das Rohmaterial bzw. die Zutaten, um im o.g. Bild zu bleiben) stellen »die kulturelle Vielfalt oder kulturellen Unterschiede« (PA1) dar bzw. die unterschiedlichen Identitäten, die »sich wieder in Sprache aus[drücken]« (PUK). Dem unerwünschten Resultat eines europäischen Einheitsbreibürgers (PUK) auf individueller Ebene entspricht auf der staatlichen Ebene der ebenfalls abgelehnte Einheitsstaat (PBF). Während die Homogenisierung von EU-BürgerInnen und EU-Staaten im Sinn von Einheitsbrei und Schmelztiegel keine Zustimmung findet, können jedoch vor allem PBF und PBS dem Schmelztiegelkonzept auch positive Aspekte abgewinnen. PBS assoziiert das Verschmelzen mit einer Metaphorik aus der Pflanzenwelt (befruchten) und deutet damit das von der EU negativ charakterisierte Schmelztiegelkonzept positiv um, indem er den Schmelztiegel mit Nominationen wie Austausch und Synthese (vgl. Photosynthese) in Verbindung bringt. Unter Anwendung eines Autoritätstopos beruft sich PBS hier auf die Stimme der Wissenschaft (Migrationssoziologie): »Wenn eine Kultur mit einer anderen verschmilzt bzw. sich gegenseitig befruchtet, kann dies auch ein Zeichen dafür sein, dass ein Austausch stattfindet und es zu einer positiven Synthese kommt. Zu dieser Thematik liefert u. a. die Migrationssoziologie wichtige Erkenntnisse.« (PBS). Widersprüche in den unterschiedlichen Rekontextualisierungsstrategien der Politiker in Bezug auf die Metapher des Schmelztiegels, wie sie in der EURahmenstrategie für Mehrsprachigkeit gebraucht wird, findet sich im Fall von PBF auch innerhalb ein und desselben Interviews. So scheint vor allem PBF den Schmelztiegel als politisches Konzept für die EU-Ebene – bezogen auf die Beziehung zwischen den einzelnen EU-Mitgliedsländern bzw. EU-BürgerInnen – abzulehnen, während er es in Hinblick auf die nationale österreichische Ebene – bezogen auf die Beziehung zwischen ÖsterreicherInnen und MigrantInnen – als sinnvoll erachtet. Ähnlich wie PA1 verweist PBF auf die »Schmelztiegel-Funktion, die seinerzeit die Monarchie gehabt hat«, anders als PA1 stellt PBF das Schmelztiegelkonzept der Monarchie allerdings als erfolgreich dar (»Und das hat ja funktioniert mit Zuwanderung aus · aus Tschechien oder oder aus Ungarn oder anderen Gebieten der Monarchie«). PBF tritt dafür ein, dass sich einbürgerungswillige MigrantInnen in Österreich »gewissen Normen, sogar unter Anführungszeichen dem Schmelztiegel unterwerfen müssen«, womit PBF vor

314

Empirische Fallstudie

allem das Erlernen der deutschen Sprache meint. Dies wird damit begründet, dass »die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher […] was Sprache und Kultur betrifft, zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft und daher auch Sprachgemeinschaft [gehören]«. Das Gegenkonzept zum Schmelztiegel, wie es PBF auf EU-Ebene in Form des Übersetzungs- und Dolmetschdienstes verwirklicht sieht, sei daher für die nationale österreichische Ebene ungeeignet, vielmehr gelte es den identen Heimatstaat zu schützen statt auf Deutschkenntnisse zu verzichten. PBF stützt sich im Rahmen seiner Argumentationslinie auffallend häufig auf bestimmte andere Stimmen (etwa: MigrantIn, EU-Politik, Österreichische Politik, FPÖ-Politik), die durch unterschiedliche Personalpronomen (wir, jeder, man, ich) markiert und in direkter Rede wiedergegeben werden. Ja, also wir sind ··· ein · ein Staat, wir haben unsere kulturelle Identität mit dem Ausdruck der Sprache, und die gilt es in erster Linie zu fördern und zu unterstützen. Und jeder, der freiwillig zu uns kommt ·· und sagt »I möchts in Österreich · aus wirtschaftlichen Gründen · besser haben«, · der wird sagen müssen (wie gsagt) »Ich bin zwar stolz, aus diesem oder jenen · Land zu kommen, aber ich möchte entweder später Österreicher werden«, dann wird sich (da) gewissen Normen, sogar unter Anführungszeichen dem Schmelztiegel · unterwerfen müssen · aus unserer Sicht, sonst wird er das nicht in Anspruch nehmen können. Es ist nichts anderes als der Schmelz/ oder die Schmelztiegel-Funktion, die seinerzeit die Monarchie gehabt hat, wo eben unterschiedlichste Nationen sogar in einem Staat waren, das ist ja in Österreich ((ea)) ja nicht der Fall. Ah es ist ja in der · der Mehrheit · der Österreicherinnen und Österreicher gehören ja was Sprache und Kultur betrifft zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft, und daher auch Sprachgemeinschaft, wiewohl natürlich Dialekt und eigene historische Entwicklungen nicht hintangehalten sein sollen oder übersehen werden sollen. Aber das ist es, und es möcht jetzt jemand da dazu gehören · oder nicht. Und das hat ja funktioniert mit Zuwanderung aus · aus Tschechien oder oder aus Ungarn oder anderen Gebieten der Monarchie. […] Na ja ((3 s)) es kommt darauf an, ((4 s)) ist es jetzt der idente/ ist es jetzt der idente Heimatstaat, ·· dens da ·· zu schützen und zu unterstützen gilt, oder ist es eben die Zuwanderung, dass jetzt durch Zuwanderung, wo man sagt »Na ja, wir wollen jetzt keinen Schmelztiegel haben«, ah ··· dass jetzt die Eigensta/ zum Beispiel dass ich sag die türkische Sprache muss jetzt in Österreich unterstützt und gestützt werden, also das ist ·· gut und schön, wenn sich ein türkischer Heimatverein · irg · endwo ah · bildet und die eben ah ihre Kultur dort feiern, aber das kann nicht das Ziel des Staates sein, im/ (wegen) der Integration zu sagen, wir br/ wir können jetzt auf die Deutschkenntnisse verzichten oder zu sagen »Das genügt uns, und wir werden jetzt halt auch so wie eine EU, egal wie viele Nationen zu uns herkommen, wi/ wir werden für alle die Dolmetscher entsprechend suchen.« (PBF).

Der Schmelztiegel geht in den Ausführungen von PBF und PA2 mit zwei Dominanzvorstellungen einher, nämlich der Dominanz einer gemeinsamen Spra-

Politikerinterviews

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che über andere Sprachen (Englisch für die USA und Deutsch für Österreich) sowie der Dominanz des Alten (Einheimische bzw. autochthone Minderheiten) über das Neue (MigrantInnen bzw. neue Minderheiten). PA2 verdeutlicht den Unterschied zwischen der Rolle der USA als Zuwanderungsland und Melting Pot und dem Status Europas als Identität bzw. Idee, die »ja immer schon« vorhanden war. Im Rahmen einer Dissimilierungsstrategie betont PA2 die Heterogenität dieser europäischen Identität bzw. Idee, indem er den Stolz auf die jeweils eigene Geschichte einzelner europäischer Länder erwähnt und die Idee auf die individuelle Ebene verlagert (»die Idee des Europa so wie sie halt seit Jahrhunderten jeder in sich gespürt hat«). Die zum Einsatz kommenden sprachlichen Mittel der Abschwächung (halt nur) machen deutlich, dass die aktuellen Entwicklungen rund um die EU aus Sicht von PA2 nicht die gleiche Tragweite haben (sollten) wie die Entstehung der USA. Das ist, ah weil in Amerika aah ·· eine Vielfalt war, diie global ((ea)) war und eine Einigkeit/ eine Ein/ ein einigenden Moment gesucht hat, das war eben die englische Sprache, und ((ea)) ah das hat sich ja durch viele Jahre gehalten und bewährt. Und als Gegenentwurf ah ist dann halt ein Europa, das eben nicht eine gemeinsame Sprache ah sucht, eine/ gemeinsame Inhalte sucht, aber nicht eine Sprache im technischen Sinn. Und aah dieses Gegenkonzept ah hm ·· muss deshalb auch ((ea)) ah so stehen, weil ja ah alle Beitrittskandidaten mehr oder weniger stolz auf ihre jahrhundert- oder jahrtausendalte Geschichte ah sind, ··· und ah und und man ja die/ und Staatsbürger neue Identität aufbauen kann. Man wandert ja nicht in/ nach Europa, so wie man nach Amerika gewandert und dort sich integrieren oder assimilieren will oder eben in in/ bereit ist, in Melting Pot einzusteigen, sondern man ist ja schon immer Europa gewesen und bildet halt nur eine neue ahm ein ein neues Miteinander und lebt die Idee des Europa so wie sie halt seit Jahrhunderten jeder in sich gespürt hat. (PA2).

Während PA2 allgemein von einem europäischen Gegenentwurf bzw. Gegenkonzept zum amerikanischen Schmelztiegel spricht, finden PUK und PBF spezifischere Bezeichnungen für ein solches Gegenkonzept: PUK stellt dem Schmelztiegel die Metapher des Salad Bowl gegenüber, die er als ein Zusammenführen und gewisses Durchmischen (beispielsweise durch bi-nationale Ehen) charakterisiert, nicht als »Verschmelzen in weinseliger, urseliger Harmonie«. PBF wiederum lehnt den Schmelztiegel auf europäischer Ebene vehement ab (man beachte die Kampfmetapher) und spricht sich stattdessen für ein »Europa der Vaterländer« aus, wobei er diesbezüglich mehrmals auf die Stimme der FPÖ verweist: »Also Freiheitliche Sicht ist das Europa der Vaterländer, und da ist an sich/ das würde gerade eine ganz spezielle/ eh eben dieses/ ·· diesen/ dieses Ankämpfen gegen den Einheitsstaat, da wurde (halt) ›Schmelztiegel‹ in irgendeiner Form genannt, das ist an sich durchaus freiheitliche Position. Würd ich unterstützen.« Betrachtet man die historischen und intertextuellen bzw. interdiskursiven Verknüpfungen, so ist das »Europa der Vaterländer« weniger

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Empirische Fallstudie

als Bezeichnung eines Gegenmodells zum Schmelztiegel gebräuchlich als vielmehr als Gegenbegriff zur bereits erwähnten Idee der »Vereinigten Staaten von Europa«, die jedoch wiederum den Vergleich zu Amerika nahelegt. Ursprünglich stammt die Bezeichnung »Europa der Vaterländer« von Charles de Gaulle, der damit ein Gegenkonzept zum europäischen Vaterland bzw. »Vaterland der Europäer« – letztere Bezeichnung wird Konrad Adenauer zugeschrieben – etablierte (vgl. Jung/Wengeler 1995: 98 f.). Mit dem »Europa der Vaterländer«, wie es Charles de Gaulle formulierte, war die Überzeugung verbunden, dass die europäische Integration nicht zu weit gehen und die Nationalstaaten ihre Autonomie bewahren sollten. Wie Jung/Wengeler (1995) festhalten, lässt sich die supranationale Einigung zwar heutzutage von keiner politischen Kraft mehr prinzipiell in Frage stellen, die – durch die seit 2008 akute Finanzkrise möglicherweise beschleunigte – Kompetenzverlagerung von der nationalen auf die supranationale Ebene bleibt in politischen und medialen Diskursen jedoch weiter umstritten. Die Dichotomie zwischen den »Vereinigten Staaten von Europa« (diese Bezeichnung wird auch in den Gruppendiskussionen aufgegriffen; vgl. Kapitel 4.1.2.2.1) und dem »Europa der Vaterländer« ist somit keineswegs als obsolet für den gegenwärtigen Diskurs über die EU einzustufen, sondern lässt sich für politische Zwecke weiterhin nutzbar machen: So hat etwa die FPÖ die Bezeichnung »Europa der Vaterländer« leicht variiert in ihr 2011 beschlossenes FPÖ-Parteiprogramm übernommen. Darin folgt auf das Bekenntnis »zu unserem Heimatland Österreich als Teil der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft« und »zu unseren heimischen Volksgruppen« das Bekenntnis zu »einem Europa der freien Völker und Vaterländer« (Freiheitliche Partei Österreichs 2011: 2). Die intertextuellen Bezugnahmen auf die »deutsche Sprach- und Kulturgemeinschaft« sowie das »Europa der Vaterländer« macht PBF unter Verweis auf die Parteilinie der FPÖ explizit, sodass die die Übereinstimmung zwischen der Stimme des Politikers und der Partei bei PBF wesentlich stärker in den Vordergrund tritt als bei den anderen befragten Politikern. Während das Gegensatzpaar Schmelztiegel vs. Gegenentwurf bzw. Salad Bowl sowohl auf die supranationale als auch auf die nationale Ebene bezogen wird, wenden die Politiker in Bezug auf die nationale Ebene weitere kontrastierende Nominationsstrategien an: So wird etwa der idente Heimatstaat (PBF) mit der Staatssprache Deutsch der Monarchie (PBF) bzw. dem Vielvölkerstaat (PUK) gegenübergestellt, wo »jede Volksgruppe ihre/ ·· in ihrer Sprache sprechen konnte« (PUK). In Bezug auf die (Habsburger-)Monarchie bzw. den Vielvölkerstaat werden unterschiedliche, teils widersprüchliche Prädikationsstrategien realisiert: PA1 betont – im Gegensatz zur obigen Einschätzung von PUK – wie bereits erwähnt die »stark[e] Durchlässigkeit von der sozialen Bedeutung von Sprachen« in der letztlich auch deshalb gescheiterten Habsburgermonarchie, während PBF einerseits die Schmelztiegel-Funktion der in dieser Hinsicht er-

Politikerinterviews

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folgreichen Monarchie als vorbildlich für das Österreich der Gegenwart anerkennt, andererseits das heutige Österreich als identen Heimatstaat und Teil der deutschen Volks-, Kultur- und Sprachgemeinschaft stark von der Monarchie abgrenzt, »wo eben unterschiedlichste Nationen sogar in einem Staat waren«. Außer den o.g. Bezeichnungen (Monarchie, Heimatstaat usw.) wurden in der Kategorie der sonstigen Ortsnamen folgende Toponyme codiert, die ebenfalls als kontrastierende Begriffe bzw. Gegenbeispiele zum Schmelztiegel auf nationaler Ebene angeführt werden: Little-Italy und Little-China (PBG) sowie China Town (PUK). PBG gebraucht die Toponyme dieses Typs, um die Bezeichnung Schmelztiegel für die USA in Frage zu stellen, während PUK die mehrsprachige ›linguistic landscape‹ an solchen Orten als Beispiel für die Realisierung des Salad-Bowl-Prinzips nennt, das er dem seiner Meinung nach überholten Schmelztiegelkonzept gegenüberstellt. Neben mehreren Toponymen, die bereits in Bezug auf die Gruppendiskussionen und Printmedienartikel besprochen wurden (bspw. Mitgliedsstaaten, Nachbarländer), erscheinen zwei weitere Nominationsstrategien in der Kategorie sonstige Ortsnamen erwähnenswert: PA2 listet in seiner Reaktion auf das letzte Impuls-Zitat im Interview eine Reihe von Flurnamen bzw. geographischen Verwaltungseinheiten auf, um der globalen und europäischen Vielfalt, die er vor allem mit Bezeichnungen für Zuwanderergruppen verbindet (buntes Gesicht, Communities, Ibero-Amerikaner, Lateinamerikaner), eine regionale Vielfalt auf Ebene einzelner österreichischer Bundesländer gegenüberzustellen (Täler, Gaue, Vierteln und dortige Dialekte). PA2 lässt innerhalb dieser ersten Nominationsstrategie eine klare Präferenz zu der zuletzt genannten regionalen Viefalt erkennen: […] Ah ein Beispiel ist natürlich Amerika. Ich war noch nie in Amerika, ah aber da/ das funktioniert ah ah ah manchmal gut, manchmal schlecht, n†cht. So weit ich weiß, gibt/ ah finden sich diese ((ea)) Zuwanderer dann ((2 s)) ah in Communities, n†cht, in Gemeinschaften, gemeinsamen chinesischen und und ·· jüdischen und ah ·· weiß der Teufel was ah ah ((2 s)) Ibero-Amerikaner und und ·· wie die heißen ·· und Lateinamerikaner und ((4 s)) ich ((2 s)) ich kenn eine Aufsplittung Österreichs eigentlich nur ((ea)) nach Bundesländern, nach Kärnten, Tirol und da wieder eine Aufspiel/ Aufsplitterung nach Tälern, und in ah Salzburg nach Gauen und in Oberösterreich nach Vierteln, und da/ die erkennt man ihrem Dialekt und nach ·· ah nach gewissen Eigenheiten, aber [das ist schon ah ich mein eine ((klopft auf das Papier mit dem Zitat))] ganze ((ea)) völlig andere Gesellschaft. Mir hat eigentlich diese Aufsplitterung bis jetzt Österreichs in die besagten Einzelheiten, in die Individualitäten, ((ea)) Spezifika eigentlich genügt, und ich hab als Bund genug gefunden einen Tiroler von einem ··· von einem Nord-Tiroler oder Ost-Tiroler unterscheiden zu können und deren Eigenart.

Im Zuge einer zweiten Nominationsstrategie (kleine Länder) setzt PA2 die Größe von Staaten mit der Größe von Sprach- bzw. Sprechergemeinschaft gleich, wenn

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Empirische Fallstudie

er argumentiert, dass kleine Länder stärker auf Mehrsprachigkeit angewiesen sind (aufgezwungen) als große. Zwar greift PA2 die logische Inkonsistenz dieser Gleichsetzung auf (»ka guats Beispiel«), als er die Schweiz als Beispiel für ein kleines Land nennt, bekräftigt in seiner Argumentation aber zugleich die Gültigkeit seiner Schlussregel »je kleiner, desto mehrsprachiger«. Wie der oben zitierte Auszug aus dem Interview mit PA2 vor Augen führt, stellt der Schmelztiegel in den Interviews keine isolierte Metapher dar, sondern ist durch Rekurrenz semantischer Merkmale (›Isotopie‹) nicht nur mit bestimmten Schlagworten (bspw. Kohärenz) verbunden, sondern auch mit anderen Metaphern (bspw. Spaltpilz), die sich zu teils kontrastierenden Metaphernfeldern gruppieren (bspw. Schmelztiegel/Verschmelzung vs. Spaltpilz/ Aufsplittung). Im Vordergrund steht dabei der Gegensatz zwischen Homogenität und Heterogenität, die von den Interviewten als Konzepte und Zielvorstellungen in Bezug auf die EU und Österreich sowie die Rolle von Sprache unterschiedlich und teils widersprüchlich bewertet werden. Die Metapher Kleister bzw. Kitt für die Rolle, die Religion oder Kirche früher als vereinendes, identitätsstiftendes Merkmal gespielt haben, ist ebenfalls Bestandteil des Metaphernfeldes rund um Verschmelzung. PUK scheint sich insofern für die Suche nach einem neuen identitätsstiftenden Merkmal für die europäische Bevölkerung (»im Rahmen der Werteerziehung«) auszusprechen, als er das Entstehen von Parallelgesellschaften ablehnt, er plädiert jedoch gleichzeitig im Sinn der Salad Bowl-Metapher für die Erhaltung von Individualität und unterschiedlichen Identitäten, die sich in Sprache bzw. Regionalsprachen ausdrücken: Ich muss die Individualität erhalten, j‚, das ist unheimlich schwierig, weil natürlich sozsagen solche Kleister oder Kitt wie früher die Religion war oder die Kirche oder soziale Grundmuster, die sich in den Familien gspiegelt haben, so nimma da san, und damit kommts sozsagen zur Suche […] (PUK).

Das Schlagwort der Parallelgesellschaft bzw. Parallelkultur als Teil dieses Metaphern- und Schlagwortkomplexes wird in den Interviews nicht nur von PUK, sondern auch von PA2 und PBG als Anti-Mirandum aufgegriffen. PBG stellt dem von der EU geforderten Miteinander (als Gegenkonzept zum Schmelztiegel) die Befürchtung der Parallelgesellschaft entgegen. PBG lässt allerdings zunächst offen, ob diese Befürchtung Ausdruck seiner eigenen Stimme ist, oder der ihm zitierten FPÖ zuzuordnen ist (›double voicing‹) –: »Na ja, es ahm/ Miteinander wär ja sehr positiv, nur es entwickelt sich natürlich schon/ es gibt schon problematische Entwicklungen, und ah das ist das, was ja die Freiheitlichen in ihrer Wahlpropaganda immer sehr stark in den Vordergrund stellen, · diese Parallelgesellschaften, und nun, glaub ich, ah die die · konstruktive Politik aufpassen muss, dass sie · Fehlentwicklungen · auch zur Kenntnis nimmt, und ich glaub, wir haben in diesem Bereich teilweise Fehlentwicklungen.« Erst auf Nachfrage be-

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stätigt PBG, dass auch er in Österreich »eine Entwicklung hin zu einer Parallelgesellschaft« sieht. PA2 wiederum sieht das Verbot der Verwendung anderer Sprachen als Deutsch in der Schulpause als eine Möglichkeit, der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenzuwirken: [Es] muss darauf gedrungen werden, dass die Kinder miteinander kommunizieren können und das auch in der Freizeit tun, und nicht ah Parallelgesellschaften schon im kleinsten Raum, nämlich in den zwanzig- bis dreißigköpfigen Klassengemeinschaft die Parallelgesellschaften bilden. Da ist es wichtig, dass (eben) ein gewisser Klassenzusammenhalt ah da ist, und da ist es dann natürlich gescheiter die Kinder anzuhalten ›Sprecht alle Deutsch!‹ als ›Sprecht alle Türkisch!‹

Das Schlagwort der Integration ist ebenfalls Bestandteil der bereits geschilderten Isotopie bzw. ›Konnotationskette‹ und wird in den Politikerinterviews im Kontext zweier unterschiedlicher politischer Handlungsfelder aufgegriffen: der nationalen Migrationspolitik mit dem Thema der »Integration von MigrantInnen« in Österreich und der damit zusammenhängenden Integrationsvereinbarung sowie des supranationalen Projektes der EU mit dem Thema der europäischen Integration. Im Unterschied zum Integrationsbegriff im Kontext der Zuwanderung wird das Schlagwort der europäischen Integration nicht von den Politikern, sondern durch den Interviewer in das Gespräch eingeführt, und zwar im Rahmen der Frage, ob eine »einheitliche europäische Sprache der europäischen Integration mehr nützen würde als die europäische Sprachenvielfalt«. Hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit in der Deutung des Schlagworts Integration: Einerseits lehnen die Politiker den Vorschlag einer einheitlichen europäischen Sprache größtenteils ab und stellen auch deren Nützlichkeit für die europäische Integration in Frage, etwa aufgrund mangelnder Akzeptanz einer solchen Sprache in Politik und Bevölkerung. Andererseits erwähnen sie im Kontext des nationalen politischen Handlungsfeldes nicht nur immer wieder die eminente Bedeutung der (deutschen) Sprache für die Integration von MigrantInnen in Österreich, sondern bewerten auch die Verpflichtung zum Erwerb von Deutschkenntnissen im Rahmen der Integrationsvereinbarung überwiegend positiv. So meint PBG etwa in Bezug auf die Integrationsvereinbarung: Der/ das Problem ist da [ND: bei der Integrationsvereinbarung], das Erlernen der deutschen Sprache ist ah für Migrantinnen eine Notwendigkeit, wenn man/ wenn sie ah Chancen haben wollen aufm Arbeitsmarkt, wenn sie sich in die Gesellschaft integrieren wollen. Das Problem ist immer, was ist die Integration, was ist Assimilation in diesem Zusammenhang. Also Ersteres ja, Zweiteres darf nicht ah gefordert werden, kann passieren, passiert auch, ((ea)) aber kann nicht Ziel der Politik sein. Ja ah von daher halt ich das schon für wichtig, dass man Angebote macht, an Zuwanderer und Zuwanderinnen, und dass man ahm das ah Erlernen der deutschen Sprache auch als hohen Wert ihnen vermittelt.

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Empirische Fallstudie

Hinsichtlich der einheitlichen europäischen Sprache auf supranationaler Ebene führt PBG weiters aus: Ja, das ist logisch, das ist ah wenn ich eine einheitliche Sprache habe, die akzeptiert ist, ··· (sagma), dann wäre es logisch, dass es in Richtung Integration geht. […] Das wär das Ziel, also ((ea)) ich gl/ dass das Ideal ist, eine einheitliche Sprache für ein/ für die Identität eines Landes ist unbestritten. Aber gerade die europäische Un/ ah Identität muss eben von dieser Vielfalt ausgehen. % Also ich würd das für fatal halten, wenn man jetzt plötzlich ((ea)) die Entwicklung machen würde nur noch Englisch, es geht eh · sehr stark in diese Richtung, aber ((ea)) ah das entspricht sicherlich nicht dem europäischen Grundgedanken.

Einmal mehr macht sich in den scheinbaren Widersprüchlichkeiten solcher Aussagen (pro/contra ›Integration durch einheitliche Sprache‹) die ideologische Polysemie der Schlagwörter Integration und Assimilation bemerkbar : Diejenigen Politiker, die Assimilation negativ (Stigmawort) und Integration positiv (Fahnenwort) interpretieren, versuchen die beiden Begriffe voneinander abzugrenzen. Dies ist nicht nur bei PBG (siehe Zitat oben), sondern etwa auch bei PA1 der Fall: Dieser sieht »ein sprachpolitisches Problem« darin, »dass ein durchschnittlicher Österreicher unter Integration Schmelztiegel, Anpassung und Assimilation versteht«. Auch PUK scheint auf die Bedeutung von Integration als Assimilation anzuspielen und diese abzulehnen, wenn er mit Inklusion einen Ersatzbegriff für dieses negativ charakterisierte Schlagwort vorschlägt: Das haßt net »Integration«, j‚, da simma momentan, »die sollen sich gfälligst integrieren«, mit der Diskussion von Parallelkulturen (wie wirs in Deutschland haben), sondern sie brauchen eine Inklusion als leitendes Prinzip, j‚. Und Inklusion haßt sozusagen ein Zusammenführen, nicht ein Verschmelzen in weinseliger, urseliger Harmonie, auf Wien bezogen, j‚, sondern in einem ah ·· gewissen Durchmischen.

Tabelle 29 versucht das Beziehungsgeflecht zwischen den wichtigsten Metaphern und Schlagwörtern in den Politikerinterviews anhand einer Einordnung in positiv und negativ konnotierte Schlagwörter (Fahnenwörter/Miranda vs. Stigmawörter/Anti-Miranda) abzubilden. Tabelle 29: Metaphern- und Schlagwortanalyse – Politikerinterviews positive/negative Konnotation

positive Konnotation Metapher Schmelztiegel (pos./neg.), Kleis- Salad Bowl (Instrument) ter/ Kitt (pos./neg.) (pos.) Durchmischen Metapher Verschmelzung (pos./neg.), (Prozess) Synthese/Befruchten/Austausch (pos.) (pos.)

negative Konnotation Spaltpilz (neg.) Aufsplittung (neg.)

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Politikerinterviews

(Fortsetzung) positive/negative Konnotation Metapher/ Schlagwort (Ergebnis) Schlagwort (Prozess/Ergebnis)

Referenz

positive Konnotation

›supranationaler‹ Schmelztiegel: Einheitsbrei(bürger) (neg.), Einheitsstaat (neg.); ›nationaler‹ Schmelztiegel: identer Heimatstaat (pos.) Assimilation/Anpassung/ Inklusion Integration (pos./neg.) (pos.) Kohärenz (pos.)

Miteinander (pos.)

USA, tw. (Habsburger)monarchie/ Vielvölkerstaat

tw. EU

negative Konnotation

Multikulti (neg.) Parallelgesellschaft (neg.), Parallelkultur (neg.) tw. Österreich

4.3.2.2.2. Prädikationsstrategien Im vorigen Abschnitt wurde eine Reihe von Schlagwörtern in Hinblick auf ihre spezifischen Eigenschaften als Stigma- und Fahnenwörter sowie Miranda und Anti-Miranda untersucht. Die Schlagwortanalyse im vorangehenden Kapitel überschneidet sich in zumindest zweierlei Hinsicht mit der nun folgenden Analyse der Prädikationsstrategien: Zum einen wurden die Schlagwörter aufgrund ihrer spezifischen Konnotationen zur positiven bzw. negativen Charakterisierung einzelner Nationen, Staatsgemeinschaften, politischer Konzepte usw. gebraucht, zum anderen bewerteten die Politiker auf einer metasprachlichen Ebene die Schlagwörter selbst als eher positiv oder negativ (bspw. als überholt oder idealistisch). Die Prädikationsstrategien in den Politikerinterviews wurden aber nicht nur in Bezug auf Schlagwörter und Metaphern analysiert, sondern wie schon bei den Gruppendiskussionen und Printmedienartikeln auf Grundlage der bereits codierten Nominationsstrategien in Hinblick auf die Bewertung von Sprachen, Orten und sozialen Akteuren im sprachenpolitischen Kontext. Die Ergebnisse aus der Codierungsarbeit und Auswertung mit MAXQDA werden im Folgenden dargestellt. Die meisten Prädikationsstrategien in der Kategorie Orte beziehen sich erwartungsgemäß auf einzelne Staaten und hier insbesondere auf Österreich. So wirft etwa PBF Österreich, aber auch Deutschland bzw. deren Regierungen wie bereits geschildert ein sprachenpolitisches Versagen vor, was die Verwendung des Deutschen als EU-Arbeitssprache betrifft. PA1 stellt ein allgemeines »Defizit in der Formulierung von sprachenpolitischen Grundsätzen in Österreich« fest und sieht »kein großes politisches Interesse an dieser Fragestellung [ND: der Mehrsprachigkeit]«, während PUK von zu geringen zur Verfügung stehenden

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Empirische Fallstudie

(finanziellen) Mitteln für die Förderung des Deutschen außerhalb Österreichs spricht. Andere interviewte Politiker heben demgegenüber unterschiedliche Mängel vor allem im schulischen Fremdsprachenunterricht hervor (u. a. unqualifizierte VolksschullehrerInnen, unzureichender muttersprachlicher Unterricht, Verfehlen des Barcelona-Ziels v. a. im Pflichtschulbereich sowie zu geringe Erst-, Zweit- und Fremdsprachkenntnisse). Österreich wird darüber hinaus häufig als nicht mehrsprachig bzw. sprachlich homogen charakterisiert, wobei diese Eigenschaft unterschiedlich bewertet wird: PBF deutet diesen Umstand positiv im Sinn eines identen Heimatsstaates Österreichs, das Teil der »deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft und daher auch Sprachgemeinschaft« sei, während PBG in Bezug auf die gering ausgeprägten (Fremd-)Sprachenkenntnisse in der österreichischen Bevölkerung ein Hinterherhinken in der internationalen Entwicklung erkennt und von einer Katastrophe spricht. PBF beharrt zudem darauf, dass Österreich zwar ein Land mit »autochthon gewachsenen Minderheiten«, aber kein Zuwanderungsland ist bzw. sein kann. PBF schränkt die Bedeutung des Begriffs Zuwanderung in diesem Zusammenhang nicht nur auf Drittstaatsangehörige (d. h. Nicht-EU-BürgerInnen) ein, sondern auch auf nicht-qualifizierte MigrantInnen. PA1 bezeichnet eine volle Mehrsprachigkeit für Österreich nicht nur als nicht realistisch, sondern auch als nicht zielführend – in ähnlicher Weise spricht sich PA2 gegen ein mehrsprachiges Österreich aus (»schützenswertige Vielsprachigkeit ((ea)) ist auf Europa bezogen«). PA1 kritisiert dennoch, dass in Österreich andere Sprachen als Deutsch abgewertet werden – ein Phänomen, das ihm zufolge in der historischen Tradition der Habsburgermonarchie steht. Zudem beklagt PA1 die leichte politische Instrumentalisierbarkeit dieser Art von Sprachideologien in Österreich (»kulturelle Ausgrenzungen, Ablehnungen, ah Vorstellungen der Überlegenheit«). Bezüge zur Zeit der Monarchie sind in den Politikerinterviews insgesamt häufig, wobei sowohl historische Kontinuitäten (siehe PA1 oben) als auch Brüche zur Gegenwart Österreichs herausgestellt werden (letzteres etwa in Form des Gegensatzes identer Heimatstaat vs. Vielvölkerstaat). Positivere Einschätzungen der österreichischen Sprachenpolitik werden vor allem von PBS und PUK aus Sicht der eigenen sprachenpolitischen Aktivitäten (z. B. LEPP-Prozess) formuliert, aber auch PA1 sieht bei aller Kritik ambitionierte Beamte und Kollegen am Werk. Im Gegensatz zu Österreich werden die USA und England nicht nur als Beispiele für einen mehr oder weniger gut funktionierenden (sprachlichen) Schmelztiegel angeführt, sondern auch als inhomogene, in Communities aufgesplittete Länder charakterisiert sowie als Zielland assimilationsbereiter ArbeitsimmigrantInnen. Als sprachenpolitische Vorbilder werden die Staaten Frankreich und die Schweiz genannt, ersteres in Bezug auf ein von der FPÖ forciertes, aber nicht durchgesetztes Sprachengesetz zum Schutz der deutschen

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Sprache (bzw. der österreichischen Kultursprache) und zweiteres hinsichtlich ihrer Mehrsprachigkeitspolitik. Als sprachenpolitischer Vorreiter in Sachen muttersprachlicher Unterricht wird zudem Skandinavien erwähnt (»[…] so weit wie etwa Skandinavien, ((ea)) dass wir auch fördern den Sprachunterricht ah in der in der Muttersprache von Migranten, und nicht nur deutscher Sprache, simma in Österrerich noch nicht«, PA1), während die EU bzw. Europa als sprachenpolitisches Modell lediglich vom Interviewer thematisiert wird. Die EU bzw. Europa wird häufig insofern als mehrsprachig charakterisiert, als die Union bzw. der Kontinent als Konglomerat mehrerer Staaten mit je unterschiedlichen Nationalsprachen, seltener auch Minderheitensprachen, dargestellt wird. Die Beibehaltung dieser Art von europäischer Vielsprachigkeit erscheint den meisten Politikern nicht nur als notwendig für den Bestand der Union und des Projekts Europa (Ist-Bedingung bzw. ›Locus a circumstantia‹), sondern wird auch mit einer Forderung nach verstärkter positiver Besetzung des Mehrsprachigkeitskonzeptes (Soll-Bedingung bzw. Definitionstopos) verknüpft. So bezeichnen bestimmte Politiker (v. a. PBS und PBG) Mehrsprachigkeit nicht nur als Trumpfkarte, Riesenbereicherung oder Chance, sondern rufen auf metasprachlicher Ebene gleichzeitig dazu auf, das Fahnenwort Mehrsprachigkeit in eben diesem Sinn zu gebrauchen. Dass die europäische Sprachenvielfalt beibehalten werden muss (im Sinn des Locus a circumstantia bzw. Topos der äußeren Umstände), wird auch damit begründet, dass die einzelnen europäischen Länder bzw. EU-Mitgliedsstaaten stolz auf ihre Kulturen und Sprachen sind und diese nicht zugunsten einer sprachlichen oder kulturellen Vereinheitlichung aufgeben würden. Unter den codierten Prädikationsstrategien für sonstige Orte (inkl. Bundesländer) finden sich zahlreiche Charakterisierungen wieder, die bereits in den Printmedienartikeln und Gruppendiskussionen identifiziert wurden (u. a. Anatolien als Herkunftsregion bildungsferner MigrantInnen, Europa als weitgehend englischsprachiger Raum, Kärnten und Burgenland als Orte anerkannter Minderheitensprachen sowie das südliche Kärnten als Schauplatz des Ortstafelkonfliktes, der von PBG als Schande bezeichnet wird). Unter den Städten finden vor allem New York und Wien als jene Orte Erwähnung, denen ein unterschiedlicher Grad an (kultureller und sprachlicher) Durchmischung im Lauf ihrer Geschichte beigemessen wird, d. h. das gegenwärtige New York und das historische Wien bzw. ihre Bevölkerungen werden als heterogen charakterisiert: »Das ist/ war ja viel durchmischter in Wien, [j‚], Wien war die drittgrößte europäische tschechische Stadt, n¦t, bevor man dann den Eisernen Vorhang runtergelassen hat […] In Wien nimmt das jetzt auch zu.« (PUK). Neben den USA und Österreich bzw. der Habsburgermonarchie wird auch Tschechien als ein Land mit (neuen) Minderheiten charakterisiert (»Tschechien zum Beispiel hat seine ((ea)) M/ Vietnamesen«, PA2). In der Makrokategorie der sozialen Akteure waren Prädikationsstrategien

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Empirische Fallstudie

vor allem als Charakterisierungen in Bezug auf Kollektive und Professionyme – zu einem geringeren Teil auch Eigennamen und Politonyme – festzustellen. Innerhalb der berufsbezogenen Anthroponyme werden LehrerInnen vor allem hinsichtlich ihrer – zumeist als mangelhaft oder verbesserungswürdig beschriebenen – beruflichen Qualifikation charakterisiert. PUK und PBS thematisieren die Reformbedürftigkeit der Ausbildung von LehrerInnen, wobei sich PUK eine stärkere Berücksichtigung des Bereichs Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wünscht und PBS ein größeres Fremdsprachenangebot in der LehrerInnenbildung verankert sehen möchte. PBF kritisiert hingegen vor allem die nicht auf Native Speaker-Niveau liegenden Englischkenntnisse von EnglischLehrerInnen im Pflichtschulbereich. Positiver wird die Berufsgruppe der ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen charakterisiert: So spricht PBF in Bezug auf die EU-Übersetzungs- und Dolmetschdienste von etwas Sinnvollem und Richtigem, das Arbeitsplätze bringt. Die Gruppe der Politiker wird je nach ihrem Tätigkeitsfeld (national, supranational, Ressort, Partei usw.) unterschiedlich charakterisiert. Was die nationale Ebene betrifft, beschreibt PA1 seine Kollegen im Unterrichtsministerium als »sehr ambitionierte Beamten, die die hier sowohl das Thema der Mehrsprachigkeit als auch der Frage wie geht man mit Minderheitensprachen in Österreich ahm ·· sehr positiv und und und offensiv angehen«, wenngleich er das politische Interesse an sprachenpolitischen Fragestellungen in Österreich als insgesamt gering einstuft. PA1 stellt auch die zuständigen Minister positiv dar, nämlich als motiviert und um den »größten Nutzen […] für Schüler« bemüht. Mit Hilfe dieser Prädikationsstrategie sowie durch Hinweis auf die nationale Kompetenz in Bildungsfragen – im Gegensatz zum Empfehlungscharakter der sprachenpolitischen EU-Ziele – rechtfertigt PA1 die Beschränkung auf Englisch als einzige lebende Fremdsprache im österreichischen Pflichtschulbereich. Jaa, ahm also ah ((atmet aus)) das hängt mit dem/ mit der Tatsache zusammen, dass ahm Bildungspolitik nach wie vor eine nationale Kompetenz ist in der Europäischen Union. Ah hier gibt es die ·· Empfehlungen, in dem Fall über die Mehrsprachigkeit, auch Barcelona-Ziel, aber die Kompetenz ist eine nationale, und daher sind die zuständigen Minister jeweils · im Grunde motiviert ah das zu tun, was den größten Nutzen haben könnte aus ihrer Sicht für Kinder, für Schüler. Ah und da ist nun einmal die Dominanz des Englischen so stark, dass ah auch hier (sozsagen) das Englische einen Vorrang hat. Ah wenn man sich die Sekundarstufe zwei anschaut, ist es ja anders ((ea)) ahm · und ahm also bei Zweitsprachen gibts ja eine relativ große Breite ah in Österreich, · da ist es erfreulich, aber in der Sekundarstufe eins ist es tatsächlich so, dass man als nationales sprachpolitisches Ziel vorgibt, · dass sich möglichst jeder Österreicher in einer Fremdsprache spricht, in Englisch, ausdrücken können soll.

In Bezug auf das erste Impuls-Zitat, das den Interviewpartnern vorgelegt wurde, ordnet PA2 den Autor dieses seiner Meinung nach idealistischen Zitats einem

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Politikerinterviews

Kulturpolitiker zu, »der so etwas schnell hinschreibt, aber sich nicht ah nicht ah an die Realitäten hält, wo einfach der ah ·· der Durchschnittsmensch ah andere Interessen hat und auch weiterhin ah gehabt hat, hat und haben wird als irgendeine Sprache zu lernen und zu brauchen, n†cht.« Den Typus des idealistischen Kulturpolitikers charakterisiert er weiters als »abgehoben«, schwächt diese abwertende Einschätzung sogleich wieder ab und deutet sie positiv um: »[…] abgehoben ist vielleicht negativ, das möcht ich nicht sagen, […] [aber] eine Schicht kulturell Interessierter, zivilisatorisch bewusster ((ea)) Menschen, diie ahm ·· die weiterhin eben halt aah ··· beim Feuilleton bleiben und nicht in der/ in die aah ·· Tagespolitik einsteigen können, n†cht.« Wenngleich sie dem Zitat prinzipiell zustimmen würden, gelangen PUK und PBG in diesem Zusammenhang zu einer ähnlichen Einschätzung wie PA2 (PUK: »die Formulierung ist eine leichte ·· ahm politische Überhöhung, pathetisch-politisch«; PBG: »hochmundig-erhaben, die Realität ist davon leider noch etwas entfernt«). Sowohl die Charakterisierung der EU-Sprachenpolitik als idealistisch bzw. abgehoben als auch die Berufung auf den sprachlich desinteressierten Durchschnittsmenschen folgt hierbei einem kontrastierenden Prädikationsmuster, das im untersuchten Diskurs häufig anzutreffen ist (vgl. die Nominationen einfacher Bürger und kleiner Mann in den Gruppendiskussionen, S. S. 209 [oder kleinen Mann (STW2)]). Die Schlussfolgerungen aus der Zustandsbeschreibung der EUSprachenpolitik als idealistisch fallen allerdings unterschiedlich aus: Während PA2 die Umsetzung der EU-Ziele auf nationaler Ebene an Bedingungen wie Finanzierbarkeit und Interesse aufseiten der BürgerInnen knüpft, scheinen PBS und PBG gerade aufgrund des sprachenpolitischen Aufholbedarfes Österreichs an den EU-Zielen festzuhalten, auch wenn sie sie als idealistisch und schwer umsetzbar charakterisieren. PUK erwähnt etwa mehrmals die »Schwierigkeit der Umsetzung« – beispielsweise in Bezug auf das Barcelona-Ziel – und spricht in diesem Zusammenhang von den »Mühen der Täler/ der Ebene«. In Form eines Appells, der auch an ihn selbst gerichtet ist und durch die Wiederholung des Modalverbs müssen bekräftigt wird, hält PUK schließlich fest: »An dem müssma arbeiten. Da muss man auch Commitment schaffen.«

Tabelle 30: Prädikationsmuster ›Politische Elite vs. Bevölkerung‹ – Interviews Politische Position A Elite vs. Bevölkerung Positive Eva- Durchschnittsmensch (vgl. »der einluation fache Bürger«; kleiner Mann)

Position B ambitionierte Beamte; motivierte Minister ; kulturell Interessierte, zivilisatorisch bewusste Menschen

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Empirische Fallstudie

(Fortsetzung) Negative Evaluation

EU-Sprachenpolitik: abgehoben, idealistisch, pathetisch-politisch, hochmundig-erhaben

nationale österreichische Sprachenpolitik: Defizit, hinkt hinterher

Über das genannte Prädikationsmuster hinausgehend werden österreichische Politiker auch in Bezug auf sprachenpolitische Aspekte charakterisiert, die die Verwendung des Deutschen als Arbeitssprache auf EU-Ebene und die österreichische Migrationspolitik betreffen. Was Ersteres betrifft, fordert PBS, dass »die deutschen und österreichischen VertreterInnen in EU-Gremien / Abteilungen konsequent die deutsche Sprache verwenden« (dies impliziert, dass österreichische PolitikerInnen dies bisher nicht tun würden). In Bezug auf die österreichische Migrationspolitik bezichtigt PBF »alle anderen Parteien« (mit Ausnahme seiner eigenen Partei FPÖ) die hohen Kosten, die durch Zuwanderung im staatlichen Bildungs- und Sozialbereich entständen, abzustreiten und diesbezüglich sogar zu lügen (»Es san/ in Wirklichkeit san des die großen Lügen«). In sprachenpolitischer Hinsicht kritisiert PBF dabei, dass wir (gemeint ist Österreich) schlecht qualifizierte MigrantInnen importieren und »denen sogar noch eher Hemmnisse in den Weg legen, die bereit sind, auch im Ausland bereits die Sprache zu lernen«. Wie bereits erwähnt charakterisiert PBF darüber hinaus mehrmals explizit die Position der FPÖ (bspw. Kritik an Migrationsströmen, Bekenntnis zur deutschen Volks-, Kultur- und Sprachgemeinschaft sowie zum »Europa der Vaterländer«). In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die anderen interviewten Politiker die Positionen der eigenen Partei im Rahmen von (positiver) Selbstpräsentation seltener anführen als PBF, demgegenüber aber häufiger auf den Standpunkt des politischen Gegners der Freiheitlichen durch Fremdpräsentation referieren. Die mehrmalige Erwähnung der FPÖ erfolgt hierbei interessanterweise weniger im Zuge einer offenen, negativen Charakterisierung der FPÖ-Politik. Vielmehr scheint die metadiskursive Darlegung und Einordnung der allgemein bekannten FPÖ-Standpunkte im Vordergrund der ambivalenten Fremdpräsentation freiheitlicher Positionen zu stehen, d. h. die Politiker referieren in erster Linie auf die gewissermaßen unüberhörbare Stimme der FPÖ im Diskurs über Migration und Sprache, grenzen sich von dieser aber nicht nur ab, sondern stimmen ihr in Teilaspekten auch implizit zu. PBG etwa charakterisiert die FPÖ zwar indirekt als rechtspopulistische Partei, die keine konstruktive Politik verfolgt, stimmt jedoch der Diagnose der FPÖ hinsichtlich bestimmter Fehlentwicklungen rund um Migration wie der Herausbildung von Parallelgesellschaften zu: Na ja, es ahm/ Miteinander wär ja sehr positiv, nur es entwickelt sich natürlich schon/ es gibt schon problematische Entwicklungen, und ah das ist das, was ja die Freiheitlichen

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in ihrer Wahlpropaganda immer sehr stark in den Vordergrund stellen, · diese Parallelgesellschaften, und nun, glaub ich, ah die die · konstruktive Politik aufpassen muss, dass sie · Fehlentwicklungen · auch zur Kenntnis nimmt, und ich glaub, wir haben in diesem Bereich teilweise Fehlentwicklungen. Also · ich seh die Entwicklung derzeit nicht l/ nur positiv. Und es ist eigentlich eine · ja für für rechtspopulistische Parteien derzeit ein · leider sehr gut zu beackerndes Feld. (PBG)

Im Zuge einer ebenfalls ambivalenten Prädikationsstrategie distanziert sich PUK zwar vom Assimilationsansatz der FPÖ und der von ihr betriebenen Verhinderung eines Maturafachs Türkisch. Gleichzeitig stellt er den diskursiven Einfluss der FPÖ als einen Faktor dar, über den Sprachenpolitiker nicht hinwegsehen können (bspw. wenn er über Volksbegehren ausgeübt wird): »Und genauso gibts ja schon erste Diskussionen mit Türkisch, j‚. Und ich wäre so/ persönlich bin/ nur bringens es momentan nicht durch, j‚, also wanns schon wieder a Volksbegehren von Strache unterschrieben, j‚, ah als Maturafach« (PUK). Während PUK als Beamter des Unterrichtsministeriums dessen sprachenpolitische Machtlosigkeit in diesem Punkt der Oppositionspartei FPÖ und ihrem Mobilisierungspotential zuschreibt, sieht PBG die sprachenpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten seiner Partei aufgrund eben jenes Status‹ als Oppositionspartei beschränkt: »… aber da sind wir natürlich der · siebte Zwerg hinterm siebten Berg, die/ wer ah nicht in der Regierung ist, der hat wenig Möglichkeiten, · ah wirklich entscheidend einzugreifen.« (PBG). Wie schon bei den Gruppendiskussionen fällt auch in den Politikerinterviews eine spezifische, sprachbezogene Verwendung von Professionymen auf: Während PflegerInnen oder Straßenkehrer als Berufe von MigrantInnen mit zu geringen Deutschkenntnissen und niedrigem sozio-ökonomischen Status charakterisiert werden, sieht beispielsweise PBG Deutschkenntnisse von Top-Managern in Wien als nicht unbedingt notwendig an. Die interviewten Politiker, allen voran PUK, beziehen sich in ihren Aussagen zudem immer wieder auf Wissenschaftler oder Experten im Allgemeinen und im Speziellen auf Sprachwissenschafter, Spracherwerbsforscherin, Kultur- bzw. Völkerwissenschaftler und Bildungswissenschaftler. Die Verwendung dieser Professionyme dient vor allem der Bezugnahme auf Autoritäten, die die Argumentation der Interviewten zu stützen und zu belegen vermögen, aber auch der Abgrenzung der eigenen Perspektive als Politiker gegenüber der wissenschaftlichen Profession. Die Distanzierung von der wissenschaftlichen Perspektive geht dabei häufig mit der Abschwächung der eigenen Aussage als Politiker im Interview einher – etwa bei PUK in Bezug auf seine Ablehnung der Burka (»Weil es ist auch die Wegnahme von Identität […] eine Machtdemonstration des Mannes gegenüber der Frau […] nehm i jetzt amal an, bin kein Kultur- Völkerwissenschafter«) oder bei PBF, der seine Bedenken gegenüber einem gleichzeitigen Lernbeginn in zwei unterschiedlichen Fremdsprachen in der Schule abschwächt (» … da möcht ich mich

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Empirische Fallstudie

nicht versteigen, vielleicht sagen das ah entsprechende Bildungswissenschaftler anders — aber ich würde glauben, wenn man mal die Muttersprache gscheit kann, wenn man mit einer Fremdsprache beginnt und dann vielleicht die zweite draufsetzt, dass das eigentlich die best/ die richtigere ·· Abfolge wäre, als wann man Kinder gleich in zwei Fremdsprachen konfrontiert«). Diejenigen Politiker, die sich in ihren Aussagen explizit auf Sprachwissenschaftler berufen (PUK und PBG), heben ähnlich wie PBF im vorigen Zitat deren Schlussfolgerungen in Bezug auf die immense Bedeutung der Mutter- bzw. Erstsprache für den weiteren Zweit- bzw. Fremdsprachenerwerb hervor: »… weil ((2,5 s)) der Großteil, nicht alle, aber der Großteil der Sprachwissenschaftler auch davon ausgeht, dass ah die Zweitsprache nur über die kompetente Erwerbung der Erstsprache möglich ist.« (PBG). PUK nennt als einziger Politiker mehrmals konkrete Namen von SprachwissenschaftlerInnen – etwa einer Spracherwerbsforscherin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften oder in Bezug auf eine Wissenschaftlergruppe, die mit der Erarbeitung eines »Pluralistic Approach« beauftragt wurde.117 Der weitaus am häufigsten gebrauchte Eigenname ist erwartungsgemäß der des EU-Mehrsprachigkeitskommissars, Leonard Orban. Die Charakterisierung Orbans erfolgt vor allem in Hinblick auf seine Arbeit in seiner Funktion als EUKommissar, deren Bewertung durch die interviewten Politiker unterschiedlich ausfällt (siehe S. 293 [Die nächsten beiden Fragen im zweiten Block]). PUK hebt zuallererst hervor, dass er Orban persönlich kannte, und mit Sicherheit nur sagen könne, dass er den Job nicht weitermachen wird (Orban war ab 2010 nicht mehr Mitglied des nachfolgenden Kabinetts Barosso II; sein Ressort wurde daraufhin wieder den Agenden des Bildungs- und Kulturkommissariats zugeteilt). Mit Ausnahme von PBF, der Orbans Arbeit ausschließlich negativ darstellt, beurteilen die interviewten Politiker Orbans Leistungsbilanz als EU-Kommissar abwägend, wobei sie negative Aspekte seiner Arbeit vor allem äußeren Umständen wie Orbans beschränkten Umsetzungsmöglichkeiten zuschreiben. In diesem Zusammenhang kann auch PUKs Einschätzung gesehen werden, dass es sich bei Orbans Tätigkeitsfeld um einen weichen Bereich, metaphorisch gesprochen um Software handle. PUK stellt die Arbeitsbilanz Orbans als positiv dar, indem er von weiteren metaphorischen Wendungen Gebrauch macht (Fäden aufgreifen, Gewicht geben), die durch entsprechende Adjektiva und Adverbien teils abgeschwächt (paar, gewisses), teils verstärkt werden (geschickt): »…er hat aus dem etwas gemacht und auch ganz geschickt ein paar Fäden aufgegriffen, die in die Richtung gehen, die ich Ihnen da skizziert hab, und hat dem ein gewisses Gewicht gegeben. Und ich würde heute sagen, dass natürlich ist 117 siehe »A Framework of Reference for Pluralistic Approaches to Languages and Cultures« (FREPA) unter http://carap.ecml.at (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012).

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Politikerinterviews

es eine s/ ein weicher Bereich, Software […].« Trotz des Subsidiaritätsprinzips, das Bildungsfragen der nationalen Kompetenz überantwortet, sei Orban einiges gelungen, etwa in Bezug auf das Barcelona-Ziel und den Sprachenkompetenzindikator, zudem habe er PUKs Erfahrung nach viel vorangetrieben und gut angegangen. In der Gruppe der Kollektiva erfolgen sprachbezogene Charakterisierungen vor allem in Hinblick auf MigrantInnen und Minderheiten im Allgemeinen sowie auf Kinder und Türken im Besonderen. MigrantInnen und neue Minderheiten werden von den PolitikerInnen nicht nur sprachliche Defizite in der Zweitsprache Deutsch, sondern auch in deren jeweiliger Erstsprache zugeschrieben und als bildungs- bzw. gesellschaftspolitisches Problem identifiziert, weshalb entsprechende Maßnahmen vor allem im schulischen Bereich gefordert werden. Die Diagnose (Sprachdefizite in der Erst- und Zweitsprache) und die sprachtheoretischen Vorannahmen (etwa: eine adäquate Beherrschung der Erstsprache als Voraussetzung für darauf aufbauenden Zweitspracherwerb) decken sich unter den interviewten Politikern weitgehend, jedoch werden unterschiedliche, teils widersprüchliche Schlussfolgerungen daraus gezogen (etwa: Verstärkung des muttersprachlichen Unterrichts vs. Separierung deutschsprachiger von nicht-deutschsprachigen VolksschülerInnen bis letztere dem Regelunterricht auf Deutsch folgen können). Ein solcher Widerspruch tritt beispielsweise in der Argumentation von PBF im folgenden Transkriptionsausschnitt auf: PBF spricht sich zunächst für das Erlernen der Erstsprache als Basis für den darauffolgenden Zweitsprachenunterricht aus. Nach einer Nachfrage des Interviewers (MOD), ob diese Aussage als Argument für die Wichtigkeit des muttersprachlichen Unterrichts interpretiert werden kann, relativiert PBF seine ursprüngliche Behauptung. Er distanziert sich dabei von der Interpretation des Interviewers (»abgesehen davon beziehungsweise«) und fordert nun statt dem Erstspracherwerb »das Erlernen der deutschen Sprache extrem zu forcieren« und zu dem Schwerpunkt in der Schule zu machen. PBF

Ah zuerst mus amal die eigene Erstsprache, die Muttersprache muss amal beherrscht werden, und dann kann i erst amal aufbauen ((ea)) und sagen, so ah jetzt lern ich eine Fremdsprache, weil das hat man ja auch gesehen, es war ja früher das das Dogma, wo ah Migranteneltern gesagt wurde, bitte sprecht mit euren Kindern zu Hause nicht mehr in der Muttersprache, sondern eben in, zum Beispiel in Österreich, Deutsch. ˇ MOD Hm PBF Und das war eigentlich ein verhängnisvoller Fehler, weil von jenem, der die Sprache selbst nicht gut kann, die Sprache zu erlernen, ist eigentlich der größte Fehler. % Da wärs gscheiter gewesen, wanns die Muttersprache zuerst amal im Kleinkinderalter amal ordentlich lernen, weil dann kann man nämlich mit dieser Erstsprache kann man erst überhaupt ein Spr/ Verständnis für eine Zweitsprache aufbauen, [(als Beginn)] dann für eine dritte Sprache. ˇ] MOD [Hm *

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Empirische Fallstudie

ˇ ((ea)) Das heißt, ah Sie würden sich dann auch einsetzen für MOD Hm muttersprachlichen Unterricht an der Schule für Kinder mit Migrationshintergrund, dass Sie Ihre Muttersprache zuerst lernen und dann darauf aufbauend ((ea)) Deutsch als Zweitsprache? PBF Also abgehen davon beziehungsweise es nicht den Eltern überlassen, sondern das Erlernen der deutschen Spraache extrem zu forcieren, ((2 s)) und mit mit Begleiterlehrern dazu, also wenn wenns wirklich so ist, dass die Kinder in einer Muttersprache bereits aufgewachsenen sind — da gibts ganz klare Zahlen auch vom Kindes- und Kleinkinderalter, ah von den von den Jahren her — dass man auch dass man auch noch ah den den die eigene Muttersprache nicht vernachlässigt, aber der Schwerpunkt für Kinder muss auf jeden Fall in Österreich auf die deutsche Spra/ auf das Erlernen der deutschen Sprache ((ea)) ah gerichtet werden. Und da sind wir dafür, dass sogar zunächst die deutsche Sprache so intensiv gelernt werden muss, ah dass unter Umständen bei manchen Bereichen die Teilnahme am Regelunterricht an einer Volksschule noch gar nicht möglich sein *

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MigrantInnen werden darüber hinaus nicht nur negative Eigenschaften in Bezug auf Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation zugeschrieben, sondern im Interview mit PBF auch als Gruppe konstruiert, die aus außereuropäischen Ländern nach Österreich einwandern, um dort auf Kosten des Ziellandes bestimmte Vorteile für sich zu lukrieren. PBF unterstellt MigrantInnen diese negativ (als moralisch verwerflich oder egoistisch) charakterisierten Beweggründe, indem er deren imaginierte Stimme in direkter Rede wiedergibt und durch ›double voicing‹ mit seiner eigenen Stimme kollidieren lässt: »›Eigentlich möcht ich alle Vorteile des österreichischen Staats haben inklusive Staatsbürgerschaft, aber dazu tun und/ mog i eigentlich überhaupt nichts.‹« Sowohl Kinder mit als auch ohne Migrationshintergrund werden punkto Sprachkompetenzen in ähnlicher Weise (d. h. als zu wenig kompetent in der Erstund Zweitsprache) charakterisiert. Darüber hinaus werden Kindern in den Interviews aber auch positive Eigenschaften zugeschrieben, etwa in Bezug auf deren zunehmende Mehrsprachigkeit (»immer mehr Kinder [wachsen] mehrsprachig auf«, PBS) oder hinsichtlich deren Sprachlernfähigkeiten (»…dass Kinder natürlich je jünger sie sind, umso leichter auch Fremdsprachen lernen«, PBF). Die Rolle der Eltern wird in Hinblick auf den Spracherwerb ihrer Kinder unterschiedlich bewertet: So erachtet PA2 die Mithilfe durch das Elternhaus als notwendige Voraussetzung für das schulische Erlernen von Nachbarsprachen, während PBF den Zweitspracherwerb »nicht den Eltern überlassen will« (siehe Zitat oben). Türken bzw. die türkische Minderheit in Österreich werden in diesem Zusammenhang nicht nur immer wieder als Beispiel für MigrantInnen mit sprachlichen Defiziten genannt, sondern auch als Teil einer spezifischen Problematik (PBG) identifiziert, die über die rein sprachliche Ebene hinausgeht (vgl. hierzu die Befunde in de Cillia/Wodak 2009a: , die u. a. Zusammenhänge mit den 9/11-Attentaten nahelegen): Türken erscheinen in den Interviews als

Politikerinterviews

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subjektiv und zahlenmäßig zunehmend wahrgenommene Zuwandergruppe, denen sowohl eine Tendenz zur Bildung von Communities und Parallelgesellschaften attestiert als auch die Verletzung bestimmter, in Österreich geltender Werte und Normen zugetraut wird (PUK nennt diesbezüglich Zwangsverheiratungen oder das Tragen der Burka als Beispiele). Die Beziehung zwischen TürkInnen und der restlichen Bevölkerung Österreichs steht auch im Mittelpunkt der Charakterisierung von ÖsterreicherInnen. Seiner Meinung (»Umgang mit Differenz, mit dem Anderen ist für den Österreicher immer noch schwierig«), verleiht PUK Ausdruck, indem er von der partikularisierenden Synekdoche des Österreichers Gebrauch macht. PUK schließt sich in der solcherart charakterisierten Gruppe der ÖsterreicherInnen explizit ein, indem er anhand mehrerer beispielhafter Erlebnisse und Anekdoten von den eigenen Angstzuständen gegenüber dem Anderen (etwa in der New Yorker U-Bahn) berichtet. Auch PBG schreibt die von ihm mehrfach konstatierten Fehlentwicklungen beiden Seiten (d. h. der türkischen Minderheit und der österreichischen Mehrheit) zu, wenn er die Tendenz zur gegenseitigen Abschottung anprangert und die fehlende Akzeptanz und Bereitschaft der Mehrheitsgesellschaft, »das als Bereicherung zu verstehen«, kritisiert. Sowohl die türkische Minderheit als auch die österreichische Mehrheitsgesellschaft werden dabei – auch in sprachlicher Hinsicht – als homogen charakterisiert. PA1 erwähnt etwa explizit eine »große Homogenität« in der österreichischen Bevölkerung in Bezug auf »Deutsch als Umgangssprache«, während PBF in diesem Zusammenhang von der Zugehörigkeit der österreichischen Mehrheitsbevölkerung zur »deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft und daher auch Sprachgemeinschaft« spricht. In Bezug auf Minderheiten stellt PA1 die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung zwischen autochthonen und neuen Minderheiten in Frage und kritisiert die Beschränkung auf den Schutz autochthoner Sprachgruppen – etwa in Südtirol – als rechtsnationalistische Rückzugspositionen. Während PA1 in der Minderheitenpolitik für eine kasuistische Analyse und Entscheidungen plädiert, nimmt PBG das zweite Impuls-Zitat zum Anlass, die österreichische Politik gegenüber autochthonen Minderheiten scharf zu kritisieren: »Also es ist eine absolute Schande, was sich im Süden Kärntens nach wie vor abspielt: · klarer Verstoß gegen Staatsvertrag, klarer Verstoß gegen gegen höchstgerichtliche Erkenntnisse, also · unsäglich!.« Viele der soeben erläuterten Prädikationsstrategien werden in Verbindung mit sprachbezogenen Anthroponymen wie nicht-deutschsprachige Menschen oder »Menschen mit Minderheitensprachen« realisiert. Während das Merkmal der Nicht-Deutschsprachigkeit ein Konstituens für die oben beschriebene defizitorientierte Charakterisierung bestimmter migrantischer Communities darstellt, wird die Eigenschaft, einer sprachlichen Minderheit anzugehören, in Bezug auf Schutz und Bewahrung thematisiert – etwa bei PBG, der vor dem

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Empirische Fallstudie

Entwurzeln von Minderheiten aufgrund eines Schmelztiegel-Effektes warnt: »[…] da dürfen/ müssen sicherlich aufpassen, dass ah · Menschen grad ah mit ah Minderheitensprachen nicht entwurzeln, das wäre eine Gefahr.« Sprachen werden in den Interviews zur Charakterisierung von Menschen und Personengruppen eingesetzt, sind darüber hinausgehend aber auch selbst Gegenstand von Bewertungen und Klassifizierungen. So wird Deutsch nicht nur als österreichische Staatssprache (PA1) bezeichnet, sondern auch als österreichische Kultursprache (PBF), als »größte Muttersprachlergruppe […] innerhalb der EU« (PA2) oder als »Sprache Goethes und Schillers« (PBF). Die positive Charakterisierung der deutschen Sprache auf deskriptiver Ebene korrespondiert in normativer Hinsicht mit diversen sprachenpolitischen Rechtfertigungen und Forderungen in Bezug auf den Status des Deutschen. So wird etwa bekräftigt, dass Deutschkenntnisse (weiterhin) eine Voraussetzung für den Erwerb von Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsberechtigung in Österreich darstellen sollen, dass die Fremdsprache Deutsch im österreichischen Ausland noch interessanter werden soll (PA2) sowie, dass Deutsch nicht mehr aufgrund der »Ereignisse des Nazi-Regimes« negativ besetzt sein (PBF) und nicht nur den Status einer Unterrichts-, sondern auch einer Schulsprache erhalten sollte (d. h. SchülerInnen sollen in der Schule auch außerhalb des Unterrichts Deutsch sprechen müssen) (PBF). Auch der englischen Sprache werden überwiegend positive Eigenschaften zugeschrieben, wobei dem Englischen vor allem eine über die nationale Zuwanderungspolitik hinausgehende Rolle zugedacht wird: So wird Englisch auf der deskriptiven Ebene etwa als wichtige Brückensprache (PBS) bzw. als Lingua franca (PA2, PUK) klassifiziert, die als solche weitgehend akzeptiert sei (»eine gemeinsame Sprache […], mit der alle aah mehr oder weniger können«, PA2). Englisch wird zudem als wichtige Kulturfertigkeit (PA2) und als Sprache Shakespeares (PBF) bezeichnet sowie dessen Status als »erste lebende Fremdsprache« (PBG) im schulischen Bereich hervorgehoben und als dermaßen (lern-)motivierend, demgegenüber aber auch als »gar nicht so leicht« zu erlernen beschrieben. Anders als PBF, der die mangelnde Qualifikation von EnglischlehrerInnen kritisiert, attestiert PBG dem Unterricht in der Fremdsprache Englisch eine ausreichende Qualität in Österreich (der schulische Englischunterricht werde »inzwischen · ordentlich gemacht«). Aufgrund dieser Charakterisierungen wird in normativer Hinsicht vor allem gefolgert, dass (in der österreichischen Bevölkerung) jeder bzw. alle Englisch beherrschen sollen (zumindest auf einem Grundlevel bzw. Mindeststandard), wobei dezidierte Forderungen nach Englisch als einzige lebende Fremdsprache im Pflichtschulbereich sowie als gemeinsame Sprache (PA1) jenen Einschätzungen gegenüber stehen, die die Förderung des Englischen nur als eine von mehreren Sprachen als wichtig erachten, »aber nicht als einzige Sprache« (PA2).

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Am deutlichsten spricht sich PA1 für die Beibehaltung des Status des Englischen als einzige lebende Fremdsprache im österreichischen Pflichtschulbereich aus, wobei er nicht nur eine entsprechende Prioritätensetzung im schulischen Bereich fordert, sondern auch für die Verwendung des Englischen als ›Lingua franca‹ auf gesellschaftlicher und politischer Ebene plädiert. Als sprachenpolitisches Ziel formuliert PA1 dementsprechend: dass sich möglichst jeder Österreicher in einer Fremdsprache spricht, in Englisch, ausdrücken können soll. (PA1) den Großteil der österreichischen Bevölkerung quer durch die Generationen ahm ah in eine Lage versetzen, dass sie sich in englischer Sprache in allen wesentlichen Dingen ah artikulieren und ausdrücken können. (PA1) möglichst mehr Kommunikationsmöglichkeiten, dort wo es nicht um die Emotion geht ((ea)) einfach durch die Verwendung einer gemeinsamen Sprache, sprich Englisch herzustellen (PA1).

Neben der deutschen und englischen Sprache nehmen die interviewten Politiker explizite oder implizite Charakterisierungen in Bezug auf eine Reihe weiterer Einzelsprachen vor. Französisch, Spanisch und Esperanto werden hinsichtlich ihres internationalen Status charakterisiert, d. h. als frühere (Französisch) bzw. gescheiterte europäische Lingua franca (Esperanto) sowie als global verbreitete Sprache (Spanisch). Italienisch, Slowenisch und Tschechisch, aber auch Russisch finden vor allem als (österreichische) Nachbarsprachen Erwähnung, die aus Sicht der Politiker insbesondere in den entsprechenden Grenzregionen als Bereicherung (PA2) wahrgenommen werden oder in beruflicher Hinsicht einen Vorteil darstellen. Dieser Sichtweise stellt PA2 allerdings die ablehnende Haltung jener KärntnerInnen gegenüber, die das Slowenische als »Sprache der Partisanen« wahrnehmen: »Ahm und es gibt welche, ((2 s)) ah die das ablehnen, aber nicht deshalb, weils eine Fremdsprache ist, sondern deshalb weils eben die Sprache der Partisanen ist, die möglicherweise den ((ea)) Onkel oder Großvater und so weiter umbracht haben, n†cht.« Während Slowenisch vor allem als Nachbarsprache und autochthone Minderheitensprache thematisiert wird, erwähnen die interviewten Politiker Kroatisch sowohl als autochthone Sprache einer österreichischen Volksgruppe als auch als Minderheitensprache österreichischer ImmigrantInnen im thematischen Zusammenhang mit dem muttersprachlichen Unterricht. Unter den Migrantensprachen nehmen die interviewten Politiker am häufigsten auf Türkisch Bezug, das unter anderem aufgrund seiner geplanten, jedoch umstrittenen Einführung als Maturafach in Österreich thematisiert wird (vgl. Kapitel 3.2.1). PUK erwähnt hierbei nicht nur die politischen Widerstände gegen die Einführung von Türkisch als Maturafach, sondern zeichnet die Rolle des Türkischen im österreichischen Schulwesen nach, das in Form eine Muttersprachenunterrichts zunächst mit der Intention ange-

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Empirische Fallstudie

boten worden sei, dass türkische MigrantInnen eher früher als später wieder in ihr Heimatland zurückkehren würden: »Davor wars so, dass wir ah eher auch ah ein bisschen ah Türkisch als Muttersprachenunterricht angeboten haben, j‚, auch teilweise mit der Erwartung, ja, die werden dann wiedermal zurückgehen.« (PUK). Die Gelegenheitsbildung Omama-Türkisch verwendet PUK als Bezeichnung für eine spezifische Dialektvariante, die er als Beispiel für die mangelhafte Beherrschung der Muttersprache unter türkischen Kindern heranzieht. PUK bedient sich dieser Prädikationsstrategie, um die Bedeutung der Erstsprache für den Zweitspracherwerb hervorzuheben, wobei er sich in diesem Punkt auf entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen beruft (vgl. S. 329 [In der Gruppe der Kollektiva erfolgen sprachbezogene Charakterisierungen]). Da wirds dann nochamal schwieriger, weil wir sehen heute, dass oft auch Kinder kommen in den ah Kindergarten, net, und die reden Omama-Türkisch. Also das ist dann so eben so eine Dialektvariante, j‚, Also die haben, und des is auch wieder, bestätigen einige Untersuchungen, sagen Wissenschaftler, Expertinnen, dass es natürlich nicht gut ist, wann man in keiner Sprache gut ausgebildet wird […] (PUK).

Nicht nur Einzelsprachen, sondern auch andere Linguonyme wie Muttersprache, Minderheitensprache oder Sprache im Allgemeinen wurden in Hinblick auf deren Charakterisierung, Bewertung und Klassifizierung untersucht. PBF charakterisiert Minderheitensprachen etwa dahingehend, dass sie auf »einige aah klar umrissene Gebiete von Minderheiten« begrenzt sind, »die aber auch speziellen Schutzbestimmungen unterliegen.« Abgesehen von der bewussten Ausklammerung aller nicht-autochthonen Sprachen beschränkt PBF den Terminus Minderheitensprache dabei offenbar auf Slowenisch und Kroatisch in Kärnten und im Burgenland, obwohl in Österreich insgesamt acht Minderheitensprachen offiziell anerkannt sind: »Na ja, welche Minderheitensprachen gibts in Österreich? Wir haben Slowenisch und Kroatisch, und da gibts an sich in deren Bereichen gibts bereits die entsprechenden Übersetzungen, Verordnungen, Verlautbarungen in Kärnten und im Burgenland, das gibt es.« (PBF). Demgegenüber hinterfragt PA1 wie bereits erwähnt die Unterscheidung zwischen autochthonen und allochthonen Sprachgruppen und plädiert in dieser Frage stattdessen für eine kasuistische Sprachenpolitik. Wir haben natürlich ein Kernproblem der Sprachpolitik: Macht es noch einen Sinn zwischen den so genannten autochthonen Minderh/ Sprachgruppen, die in einem Gebiet leben, zu unterscheiden und jenen, ah die zugewandert sind oder nicht auto/ in einem geschlossenen Gebiet leben? Meiner Ansicht nach macht es keinen Sinn mehr, sondern man muss sich ziemlich kasuistisch einfach jeden Fall anschauen, sozusagen wie man damit umgeht. Ah das/ ich halte das sozsagen eher für rechtsnationalistische aah Rückzugspositionen ah zu behaupten, ah dass man sich nur kümmern soll um jene Bereiche, wos autochthone Sprachgruppen noch gibt, und die soll man doch schützen, ahm — la Südtirol. (PA1)

Politikerinterviews

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Das Linguonym Küchensprache wird – ähnlich wie Omama-Türkisch oder Schulenglisch – als ad hoc gebildete Bezeichnung für eine defizitäre sprachliche Varietät bzw. ein unterentwickeltes sprachliches Niveau verwendet. Während Schulenglisch – im Gegensatz zum Native Speaker – als unzureichendes sprachliches Niveau für EnglischlehrerInnen definiert wird, fungiert Küchensprache als Negativ-Beispiel für sprachenpolitische Zielsetzungen wie das ›Barcelona-Ziel‹. Das heißt, ah davon zu sprechen, ah eine zusätzliche Fremdsprache zu erlernen, die über/ ·· da muss man dann sagen, welches Niveau wirdn dann gewünscht von der von der EU, das man dann erreichen soll. Wanns nur das Niveau sein soll, dass i in Italien oder in Frankreich Urlaub machen kann, und dass i dann durt entsprechend mi in an Lebensmittelgeschäft oder in ana Gastronomie dann verständlich machen kann, ((ea)) das ist ja hoffentlich ja nicht gemeint von der EU, dass es auf das/ das ich/ die Küchensprache sich dann reduziert. […] Ich glaube, es nämlich/ es kommt oft dazu, dass in der Pflichtschule · Lehrer eingesetzt werden, die oft selbst nicht hundertprozentig Englisch wie ein Native Speaker ··· ah machen können. Also i hab Schulenglisch, und wenn i jetzt Englisch unterrichten müsste mit dem Stand meines Schulenglisch, dann würde wahrscheinlich auch an den Kindern nichts Gutes tun. (PBF)

Wie aus den bisher diskutierten Ergebnissen hervorgeht, teilen die interviewten Politiker die dominant erscheinende Vorannahme, wonach Sprache im Allgemeinen und Muttersprache im Besonderen für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen und individuellen Prozesse eine herausragende Bedeutung beizumessen ist. Abweichungen von dieser selbstverständlich erscheinenden Prämisse scheinen nur bis zu einem gewissen Grad formuliert zu werden: So präferieren beispielsweise PA1 und PBS die Sichtweise, wonach Sprache nur eines von mehreren Kultur- und Identitätsmerkmalen des Menschen sei, während die meisten anderen Politiker in Übereinstimmung mit dem zweiten Impuls-Zitat in Sprache das primäre Kultur- und Identitätsmerkmal erkennen. Die sprachideologischen Vorannahmen werden allerdings in unterschiedlichste argumentative Zusammenhänge verwoben und führen wie bereits dargestellt zu teils konträren Schlussfolgerungen. Welche Schlussregeln (Topoi) hierfür eine Rolle spielen, wird Gegenstand des nächsten Kapitels sein. 4.3.2.2.3. Argumentationsstrategien Die Argumentationsstrategien in den Politikerinterviews wurden auf der Basis des MAXQDA-Codesystems analysiert, das bereits für die Gruppendiskussionen und Printmedienartikel zum Einsatz gekommen ist (vgl. Kapitel 4.1.2.2.3 und 4.2.2.2.3). Wie die Übersicht über die einzelnen Makro- und Subcodes sowie deren Codierungshäufigkeiten zeigt, spielen wie schon bei den Gruppendis-

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Empirische Fallstudie

kussionen vor allem Topoi innerhalb der Makrokategorien ›Homogenität‹ und ›Quantität‹ eine wichtige Rolle für die sprachbezogene Argumentation der Politiker (siehe Tabelle 31). Häufiger als in den Gruppendiskussionen und Printmedien kommen außerdem Topoi der Kategorie ›Verantwortung‹ zur Anwendung. Die restlichen Codierungen verteilen sich auf die Makrocodes ›Nutzen‹ und ›Alter‹. Tabelle 31: Argumentationsstrategien – Codesystem und Codierungshäufigkeit (Politikerinterviews) Makrocode Homogenität

Subcode 1

Subcode 2

Topos der sprachlichen Topos der Muttersprache, Homogenität Topos des Schulpublikums, Topos der Sprachvermischung, Topos des Sprachniveaus Topos der kulturellen Kulturtopos Homogenität Topos der Anpassung Topos der gesellschaftlichen Anpassung, Topos der Landessprachkenntnisse Topos der Quantität Sprachverbreitung Zahlen- bzw. Kostentopos Verantwortung Topos der Verantwortung Topos der Selbstverantwortung Topos der sprachlichen Nutzen Weiterbildung Topos der beruflichen Qualifikation Alter Topos des kindlichen Sprachlernfähigkeit Topos des Alterskonservativismus

Anzahl der Codierungen 39

15

7

6

3

Innerhalb der Makrokategorie ›Homogenität‹ kann vor allem der Topos der Muttersprache als dominante Argumentationsstrategie identifiziert werden. Dieser Topos wird in unterschiedlichsten Varianten realisiert, denen jedoch ein Rückgriff auf einen Komplex sprachideologischer Vorannahmen gemeinsam ist, der weiter oben unter dem Überbegriff des ›Lingualismus‹ gefasst wurde (vgl. Kapitel 2.4). Die spezifischen sprachideologischen Vorstellungen, die dem Topos der Muttersprache zugrunde liegen, rekurrieren vor allem auf das Ideal des ›Native Speaker‹ und auf Vorstellungen von Einsprachigkeit als Norm (vgl.

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S. 224 [Das zuletzt gebrachte Beispiel führt uns zum Konzept der Muttersprache]). Die Schlussregel der in den Interviews am häufigsten codierten ToposVariante, die auf die bereits mehrfach erwähnte These von der Beherrschung der Erstsprache als Voraussetzung für den Zweitspracherwerb Bezug nimmt, lässt sich folgendermaßen formulieren: »Weil die Beherrschung der (migrantischen) Muttersprache wichtig für den Erwerb der Zweitsprache (Deutsch) ist, sollen Eltern in deren Muttersprache mit ihren Kindern kommunizieren/sollen MigrantInnen muttersprachlichen Unterricht in ihrer Herkunftssprache erhalten.« Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, verknüpfen die Politiker diesen Topos häufig mit einem Autoritätstopos, der durch Verweis auf entsprechende wissenschaftliche Expertisen die Richtigkeit der Behauptung belegen und die Argumentation der Politiker stützen soll. Als Beispiel für die Realisation dieses Topos sei an dieser Stelle ein Ausschnitt aus dem Interview mit PA1 angeführt: »[ND: Die Förderung des muttersprachlichen Unterrichts] Wär wünschenswert, weil ah weil alle Untersuchungen zeigen, ah dass ah eine/ eine sozusagen gute Sprachkenntnis in der eigenen Muttersprache auch hilfreich ist dann beim Erlernen ((ea)) der deutschen Sprache.« Eine trugschlüssige Variante des Topos der Muttersprache, die sich mehr noch als in den Politikerinterviews vor allem in der politischen Werbung finden lässt (vgl. Kapitel 3.2.2), basiert demgegenüber auf folgender Schlussregel: »Wenn eine Person nicht Deutsch als Muttersprache hat, ist sie eine MigrantIn/ beherrscht sie kein Deutsch/beherrscht sie die Sprache nicht.« Wesentlich für diesen Topos ist, dass eine bestimmte Muttersprache, nämlich die der Mehrheitsbevölkerung, essentialisiert und als Norm gesetzt wird. Die Abweichung von dieser Norm wird durch negative Formulierungen markiert, die sich beispielsweise in sprachbezogenen Anthroponymen wie »Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache« (PBF) oder »Menschen, die nicht die Sprache sprechen« (PA1) niederschlagen. Im österreichischen Diskurs wird von der Norm der deutschen Muttersprache ausgegangen, sodass der Parameter ›Muttersprache‹ aufgrund dieser impliziten Normsetzung binär bestimmt wird (beispielsweise: ›mit vs. ohne deutsche Muttersprache‹ bzw. ›deutschsprachig vs. nicht-deutschsprachig‹). Zudem ermöglicht der Topos die unterschwellige Signalisierung von Zugehörigkeit, die nicht nur über Sprachgemeinschaften konstruiert wird, sondern darüber hinausgehend ikonisierend auf weitere Formen sozialer Zugehörigkeit verweist (etwa: Migrationshintergrund, sozio-ökonomischer Status, Bildungsgrad etc.). Als trugschlüssig erweist sich der Topos allerdings nicht nur insofern, als MigrantInnen und Personen nicht-deutscher Muttersprache vorschnell gleichgesetzt werden. Die Trugschlüssigkeit offenbart sich auch dort, wo dem Ideal der muttersprachlichen Kompetenz entsprechend von der nichtdeutschen Muttersprache auf mangelhafte Deutschkenntnisse oder sogar auf unzureichende Sprachkompetenz im Allgemeinen geschlossen wird.

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Ebenfalls auf dem Ideal der muttersprachlichen Kompetenz bzw. des ›Native Speaker‹ basiert der Topos des Sprachniveaus, der bereits in Zusammenhang mit den Gruppendiskussionen diskutiert wurde (siehe S. 224 [Das zuletzt gebrachte Beispiel führt uns zum Konzept der Muttersprache]). Unter den Politikern macht etwa PBF von diesem Topos Gebrauch, um muttersprachliche Kompetenz sowohl als Definitionskriterium für Mehrsprachigkeit als auch als Anforderung für die berufliche Qualifikation von EnglischlehrerInnen heranzuziehen (siehe Interviewausschnitte auf S. 292 [Also Mehrsprachigkeit in erster Linie] und S. 335 [Das heißt, ah davon zu sprechen] Die auf die österreichische Schul- und Bildungspolitik bezogene Argumentation der interviewten Politiker lässt sich vor dem Hintergrund eines weiteren Topos analysieren, der ebenfalls der Makrokategorie ›Homogenität‹ zuzuordnen ist und dem Kulturtopos ähnelt. Dieser Topos rückt den steigenden Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund bzw. nicht-deutscher Muttersprache an österreichischen Schulen in den Vordergrund, um die Dringlichkeit bestimmter schulpolitischer Probleme zu betonen und entsprechende Lösungen zu fordern bzw. zu rechtfertigen. Die Schlussregel dieses Topos, der in formaler Hinsicht dem Zahlentopos entspricht und aufgrund seiner inhaltlichen Spezifizierung als Topos des Schulpublikums bezeichnet werden könnte, lautet: »Wenn es in einer Schule oder Schulklasse zu viele SchülerInnen mit einem anderen sprachlichen, kulturellen, ethnischen oder religiösen Hintergrund als die Mehrheitsbevölkerung gibt, sinkt das (Sprach-)Niveau dieser Schule oder Schulklasse/entstehen bestimmte Probleme oder Konflikte.« Das beanstandete Problem- und Konfliktpotential wird dabei nicht nur einer mangelnden Homogenität angelastet, sondern an bestimmten abweichenden Merkmalen wie Nicht-Deutschsprachigkeit, türkischem Migrationshintergrund oder muslimischer Religionszugehörigkeit festgemacht. Wie der Topos des Schulpublikums in den Politikerinterviews in Hinblick auf ersteres (PBF) und letzteres (PA2) zum Einsatz kommt, kann anhand der folgenden beiden Beispiel-Ausschnitte nachvollzogen werden: Derzeit beobachte ich es, dass · Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache · die Kinder mit deutscher Muttersprache, wenn sie von vorne in der/ in einer gemeinsamen Schulklasse und im Regelunterricht drinnen sind, dass sie die · zum Teil sogar in ihrer ·· behindern, ·· und dass das sogar eine wechselseitige Behinderung ist. (PBF) In Wien wird die Hälfte der ah der Hauptschüler nicht einmal zum Turnunterricht kommen, weil sie ah dreiviertel oder oder neunzig Prozent Muslime sind und die Mädchen dabei/ jetzt ah na also da gibts ah so/ solche Probleme […]. (PA2)

Der Topos des Schulpublikums überschneidet sich wie bereits erwähnt mit dem Kulturtopos, dessen Schlussregel besagt, dass in bestimmten Situationen spezifische Probleme zwischen Menschen auftreten, wenn diese aufgrund unter-

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schiedlicher ethnisch-kultureller Zugehörigkeiten durch verschiedene ethnischkulturelle Eigenschaften bzw. Mentalitäten geprägt sind (vgl. Wengeler 1997: 143). Wie schon in den Gruppendiskussionen wird auch in den Politikerinterviews argumentiert, dass bestimmte MigrantInnen bzw. Kinder mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer gemeinsamen Kultur und Sprache dazu neigen, jeweils in sich homogene, aber untereinander verschiedenartige Gruppen (Communities) zu bilden, die zudem als mehr oder weniger inkompatibel zur Mehrheitsbevölkerung (als Parallelgesellschaft) konstruiert werden. Dem Kulturtopos zufolge sind daher Konflikte sowohl zwischen diesen Gruppen als auch im Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung gewissermaßen vorprogrammiert. PBG versucht diese Dynamik mit einer Analogie zum Mannschaftssport aufgrund seiner eigenen Erfahrung als Trainer einer Nachwuchsfußballmannschaft zu veranschaulichen, um damit sein Verständnis mit dem Grundgedanken hinter dem Verbot der Verwendung anderer Sprachen als Deutsch in der schulischen Freizeit Ausdruck zu verleihen: […] ich hab festgestellt, ich war ·· Zeitlang auch Trainer einer Nachwuchsfußballmannschaft, also da hab ich so Acht-, Neun-, Zehnjährige trainiert, etwa zu fünfzig Prozent türkische Minderheit. Und da ist es natürlich ein Riesenproblem, wenn die Kinder nicht diesselbe Sprache sprechen, weil das führt zur gegenseitigen/ zur Gruppenbildung, man versteht sich viel weniger als Einheit, ah gerade in einem hochsensiblen Bereich wie Mannschaftssport ahm tauchen sehr sehr schnell unnötige Konflikte auf, die lachen, die anderen wissen nicht, worüber lachen die, und so weiter.

Im folgenden Ausschnitt aus dem Interview mit PBF wird das Zusammenwirken des Kulturtopos mit einer weiteren Argumentationsstrategie deutlich, die in den Politikerinterviews häufig zum Einsatz kommt. Dabei handelt es sich um den Topos der Landessprachkenntnisse, mit dessen Hilfe argumentiert wird, »dass Integration in erster Linie dann funktionieren kann, wenn eine gemeinsame Sprache gesprochen wird« (PBF), d. h. dass MigrantInnen die Landessprache erlernen sollen, weil Kenntnisse in dieser gemeinsamen Sprache eine Voraussetzung für die erfolgreiche Integration bzw. gesellschaftliche Kohärenz darstellen. Ah die andern Situation, die zum Beispiel die, was sehr interessant ist, der Direktor, der empfohlen hat, in den Pausen auch Deutsch e zu sprechen, das ist auch ein Antrag der · Freiheitlichen, wo wir Deutsch nicht nur als Unterrichtssprache, sondern auch als Schulsprache sehen wollen. Das heißt, im Gebäu/ im Schulgebäude selbst sollen die Kinder möglichst angehalten werden untereinander Deutsch zu sprechen. Wann ma · hot ah Schulen, die wie ichs gestern gehört hab in der Schule im zwölften Bezirk in der X-Gasse mit sechsundzwanzig Nationen, ((2 s)) und es san zwa oder drei von jeder Nation, die sich in der Pause da unterhalten, das ist keine Integration, weil dann bilden sich unter Umständen wiederum kleine Gruppen, Kleinstgruppen. Ah ich will gar net auf die Probleme hingehen, dass es unter Umständen von den Elternhäusern her da

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auch durchaus nationalistische ah · Tendenzen gibt, die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen, also Serben, Albaner, Ähnliches, und da ist des olles nicht förderlich, wenn die Kinder nicht miteinander reden, und deswegen nicht, weil sie nicht die gemeinsame Sprache haben. Wir glauben, dass die Kinder sich besser integrieren und besser zueinander finden, wenn sie angehalten sind, sich mit einer Sprache zu unterhalten. (PBF)

Der Topos der Landessprachkenntnisse, der auf dem Konzept ›Integration durch Sprache‹ (vgl. Plutzar 2010) beruht, geht zumeist mit einer mehr oder weniger expliziten Forderung nach der Anpassung von MigrantInnen an die Mehrheitsgesellschaft einher. Als Schlussregel eines solchen Topos der gesellschaftlichen Anpassung lässt sich folgender Satz formulieren: »Wenn sich eine Person als MigrantIn an die Mehrheits- bzw. Aufnahmegesellschaft anpasst, ist sie integriert/ist sie im Beruf erfolgreich/leistet sie einen Beitrag zur Sicherung gesellschaftlicher Kohärenz und des Gemeinwohls.« Die Verknüpfung der beiden Topoi erfolgt zum einen durch Berufung auf die Prämisse, dass Integration nur durch sprachliche und gesellschaftliche Anpassung der Minderheit an die Mehrheit (PBF) erreicht werden könne. Zum anderen wird die Anpassungsforderung damit gerechtfertigt, dass Anpassung bzw. deren Ergebnis (Integration oder gesellschaftliche Kohärenz) nicht nur zum gesamtgesellschaftlichen Wohl beitrage, sondern im Interesse der MigrantInnen selbst liege und eine Notwendigkeit für deren eigenes Wohl darstelle. Andernfalls hätten sie beispielsweise »keine Chance am Arbeitsmarkt«, wie etwa PBG und PBF – letzterer unter Verwendung des synekdochischen Linguonyms die Sprache (gemeint ist Deutsch) – paternalistisch argumentieren. (Weil eines), wenn jemand nach Österreich kommt und die Sprache nicht beherrscht, der wird keine Chance am Arbeitsmarkt haben. (PBF) Jeder, der am Arbeitsmarkt sein will und dort gebraucht werden · soll, der wird um die Sprache nicht herumkommen. (PBF) Der/ das Problem ist da, das Erlernen der deutschen Sprache ist ah für Migrantinnen eine Notwendigkeit, wenn man/ wenn sie ah Chancen haben wollen aufm Arbeitsmarkt, wenn sie sich in die Gesellschaft integrieren wollen. (PBG)

Wie die bisherigen Überlegungen zeigen, basieren die oben dargestellten Argumentationsstrategien zu einem beträchtlichen Teil auf dem Topos der Nützlichkeit (auch: Vorteils- bzw. Nutzentopos). Der Nutzen sprachlicher und gesellschaftlicher Anpassung wird dabei entweder für alle Beteiligten bzw. für die Öffentlichkeit hervorgehoben (›pro bono omnium‹ bzw. ›pro bono publico‹) oder – im paternalistischen Sinn – für die MigrantInnen bzw. die Anderen propagiert (›pro bono eorum‹) (vgl. Dorostkar 2012a). Das paternalistische Argument, wonach Interventionen wie die ›Integrationsvereinbarung‹ auch gegen den Willen der davon betroffenen MigrantInnen gerechtfertigt sind, weil

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diese dadurch einen Nutzen davon tragen würden (›pro bono eorum‹), geht allerdings vielfach mit einem kulturalistisch-moralisierenden Argument einher. Anders als beim rein paternalistischen Argument steht dabei weniger eine vorgebliche Schädigung (›harm‹) der betroffenen MigrantInnen im Vordergrund (bspw. deren Chancenlosigkeit am Arbeitsmarkt) als vielmehr ein Ärgernis (›offense‹) aufseiten der Mehrheitsgesellschaft, das durch die Verletzung bestimmter Normen und Werte hervorgerufen wird, die für diese Gesellschaft geltend gemacht werden (vgl. Wolf 2010: 223).118 Der Verstoß gegen eine solche Norm, zu der in Österreich der Gebrauch der deutschen Sprache und die Vermeidung bestimmter Sprachen in spezifischen Situationen (etwa in der Schule oder vor Gericht) zählt, ruft Empörung hervor, die freiheitseinschränkende Maßnahmen zur Verhinderung solcher Verstöße berechtigt erscheinen lässt. Einer solchen Empörung, die an der mutmaßlichen Nicht-Deutschsprachigkeit österreichischer StaatsbürgerInnen mit Migrationshintergrund Anstoß nimmt, verleiht PBF im folgenden Satz Ausdruck: »Und wann ichs aus meiner beruflichen Praxis wann ich in einem Gerichtsverfahren bin, ah wo ein österreichischer Straftäter ·· zum Richter sagt, er braucht an Dolmetscher, ·· dann versteh ich die Welt nicht.« Für die Politikerinterviews ist ein weiterer Aspekt des Nützlichkeitstopos relevant: Der ökonomische Nutzen, den die MigrantInnen aufgrund ihrer Einwanderung nach Österreich und den dort erworbenen Rechten für sich selbst lukrieren würden, wird gegen bestimmte Pflichten der MigrantInnen im Sinn einer ›Bringschuld‹ aufgerechnet. PBF betont in diesem Zusammenhang den Aspekt der freiwilligen Einwanderung »aus wirtschaftlichen Gründen«, um die Gegenüberstellung der beidseitigen Kosten-Nutzen-Rechnung zu plausibilisieren. Und jeder, der freiwillig zu uns kommt ·· und sagt »I möchts in Österreich · aus wirtschaftlichen Gründen · besser haben« […] wird sich (da) gewissen Normen, sogar unter Anführungszeichen dem Schmelztiegel · unterwerfen müssen. (PBF) Also ich glaub es ist schon so, es sollte jeder, der sich hier ·· bewähren möchte und sein Leben gestalten möchte, wird sich wahrscheinlich eher an der Mehrheit orientieren zu haben als die Mehrheit dann an der Minderheit. (PBF) 118 Die moralphilosophische Fragestellung, in welchen Situationen freiheitseinschränkende Interventionen bzw. Zwangsmaßnahmen gerechtfertigt sind, wird in der Ethik in Hinblick auf zwei Prinzipien diskutiert: John Stuart Mills ›harm principle‹, wonach die Anwendung von Zwang nur zur Abwendung von Schaden für Dritte zulässig ist, und das davon abgegrenzte, von Joel Feinberg geprägte ›offense principle‹ (Feinberg 1971). Letzteres sieht Zwangsmaßnahmen zur Abwehr von Ärgernissen als gerechtfertigt an, auch wenn diese keine Schädigung Dritter beinhalten. Zur Unterscheidung zwischen ›harm principle‹ und ›offense principle‹ siehe bspw. Cohen-Almagor (1993), Simester/von Hirsch (2002) oder Shoemaker (2000).

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Empirische Fallstudie

Eine explizite Verbindung des Nutzen- mit dem Kostentopos im Sinn der oben erwähnten Kosten-Nutzung-Rechnung nimmt PBF im Kontext des letzten Impuls-Zitats über die Frage der ›qualifizierten Zuwanderung‹ bzw. profitorientierten Immigrationspolitik (PBS) vor: »[…] es kostet jeder Zuwanderer derzeit zweitausend Euro in die Staatskasse/ aus der Staatskassa, bevor/ pro Jahr, bevor er überhaupt was hineinzahlt.« Die Politiker greifen in diesem thematischen Zusammenhang vor allem auf den Topos der sprachlichen Qualifikation bzw. Weiterbildung zurück, wonach Landes- und Fremdsprachenkenntnisse von BürgerInnen für deren berufliche Karriere und damit indirekt auch für den Staat nützlich seien, weshalb entsprechende bildungspolitische Maßnahmen zur Förderung solcher Sprachkenntnisse gesetzt werden müssten. Der Kostentopos findet in den Politikerinterviews nicht nur in Bezug auf jene Kosten Anwendung, die MigrantInnen dem Staat aufgrund der Inanspruchnahme von Sozialleistungen kosten würden, sondern auch auf die bereits erwähnten ›Kosten der Mehrsprachigkeit‹ (siehe S. 227 [Neben den individuellen Kosten]). So erkennt PA2 in der Frage der EU-Sprachenvielfalt zwei Richtungen, für die es einen Mittelweg zu finden gelte, nämlich zum einen die Position (vor allem der kleinen Staaten), die die Beibehaltung der europäischen Sprachenvielfalt aus identitären Gründen als essentiell erachtet, und zum anderen der entgegengesetzte Standpunkt, wonach die EU-Sprachenvielfalt hinderlich und zu kostenintensiv ist: Ja, die einen sehen es (für) essentiell, auch diejenigen kl/ vor allem kleinen Staaten, die ((ea)) der EU beitreten sehen das als sehr essentiell, als/ ((ea)) natürlich, um ·· ihre Identität in der EU zu wahren, eine Frage, die ja immer wieder auftaucht. Und die anderen wieder sie fühlen sich gehindert durch ah durch dreiundzwanzig ah oder (zweiundzwanzig) Sprachen, die wir grad haben, und und weisen auf die Kosten, die die ((ea)) die diese Vielsprachigkeit verursachen. (PA2)

PA1 schwächt die Relevanz des Kostentopos in dieser Frage ab, um stattdessen ein anderes Argument gegen die EU-Sprachenvielfalt hervorzuheben, nämlich deren negative Auswirkungen auf die europäische Integration: »Ah ich glaub nicht, dass das durchhaltbar ist, · gar nicht so sehr wegen der Kostengründen, sondern weil sozusagen ah das verhindert ah ein/ teilweise, dass Zusammenwachsen auch dieser/ dieses europäischen Projektes.« PBF versucht ebenfalls, das Kosten-Argument in diesem Punkt zu entkräften, indem er die Kosten des Übersetzungs- und Dometschdienstes dem Nutzen durch die Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Bereich gegenüberstellt. Also ah i würd sagen, auch wenn das viel Geld kostet, i man die ganzen Übersetzer oder Ähnliches täten sich schön bedanken, net? Also die Arbeitsplätze der Dolmetscher und Übersetzer, ich glaub, die würden das amal nicht so sehen, sondern die würden sagen,

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dass ist eigentlich was sehr Sinnvolles und Richtiges, und daher Übersetzer- und Dolmetschertätigkeit · ah bringt ·· Arbeitsplätze. (PBF)

PBF und PBS machen darüber hinaus von der – vor allem in EU-Kreisen populären (aber auch im Printmedien- und Gruppendiskussionskorpus auffindbaren) – Relativierungsstrategie Gebrauch, die Kosten des EU-Amtssprachenregimes im Verhältnis zu den EU-Gesamtausgaben als vergleichsweise gering darzustellen: »Natürlich kostet das Geld, aber ·· in der Relation zu dem, was die EU insgesamt an an Geldern, Kopfgeldern (zsamsetzt) oder Ähnliches halt ich das für eine vernachlässigbare Größe.« Während PBF seine Position hier mit derjenigen der »Dolmetscher und Übersetzer« durch ›double voicing‹ fusioniert, überlagert sich die Stimme von PBS im folgenden Ausschnitt mit dem Standpunkt der EU, auf den sich PBS explizit – durch Paraphrase, direktes Zitat und Quellenangabe im Internet – beruft: Die EU führt immer wieder an, dass die Dolmetschkosten nur einen geringen Teil des Gesamtbudgets ausmachen und belegt dies auch mit Zahlen. Beispiel: »Gesamtkosten für Übersetzen und Dolmetschen in allen EU-Institutionen: 1 Prozent des Gesamthaushalts der EU im Jahr 2005 (ca. 1,123 Mrd. Euro, d. h. weniger als 2,30 Euro jährlich je Bürger).« (PBS)

Der Kostentopos stellt in diesem Kontext auch insofern einen Zahlentopos dar, als er mit der Anzahl von Sprachen operiert und auf dieser Basis folgenden kausalen Zusammenhang suggeriert: ›Je mehr Sprachen, desto teurer‹ (bzw. in weiterer Folge: ›desto ineffizienter‹, ›desto inkohärenter‹ usw.). Als eine eigene Unterart des Zahlentopos wurde der Topos der Sprachverbreitung definiert, der – vereinfacht formuliert – die Attraktivität und Durchsetzungsfähigkeit von Sprachen an die Anzahl von SprecherInnen dieser Sprache koppelt (siehe S. 231 [BeimTopos der Sprachverbreitung geht es nicht]). PBF bedient sich dieses Topos etwa, um der negativen Konnotation der deutschen Sprache aufgrund der »Ereignisse des Nazi-Regimes« entgegenzutreten und ein stärkeres sprachenpolitisches Engagement für eine entsprechende Berücksichtigung des Deutschen als EU-Arbeitssprache aufseiten der österreichischen und deutschen Regierung einzufordern: »Noch dazu, wann ma sehen, dass an sich die Deutschsprechenden in Österreich/ in Europa ja keine wirkliche Minderheit san, ((ea)) sondern dass das ja in die siebzig Millionen hineingeht.« In ähnlicher Weise argumentiert PBS, dass Deutsch aufgrund seiner großen (muttersprachlichen) Sprecherzahl neben Englisch und Französisch als EU-Arbeitssprache fungieren solle, zumal diese drei Sprachen in jeweils mindestens drei Staaten als Amtssprachen verankert sind: Aus meiner Sicht ist es sinnvoll innerhalb der EU als Arbeitssprachen die genannten drei Sprachen in jedem Fall anzubieten, da Englisch, Deutsch und Französisch die am weitesten verbreiteten Muttersprachen sind und jede dieser Sprachen in mindestens

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Empirische Fallstudie

drei Ländern als Amtssprachen verwendet werden (Deutsch in Österreich, Deutschland, Liechtenstein, Belgien, Italien (Südtirol), Luxemburg; Englisch in UK, Irland und Malta, Französisch in Frankreich, Belgien und Luxemburg). (PBS)

PBF verwendet den Zahlentopos in einem weiteren Zusammenhang, nämlich als Beleg für die Behauptung, dass die Beherrschung der Erstsprache von großer Bedeutung für den Zweitspracherwerb ist. Die Zahlen stehen hierbei metonymisch für das Alter der Kinder, die die Erst- oder Zweitsprache erwerben (»von den Jahren her«) bzw. für Ergebnisse aus nicht genannten Studien, die die Richtigkeit der Behauptung belegen sollen: »[…] da gibts ganz klare Zahlen auch vom Kindes- und Kleinkinderalter, ah von den von den Jahren her — dass man auch ··· dass man auch noch ·· ah den den · die eigene Muttersprache nicht vernachlässigt […].« Der Zahlentopos schließt an diesem Punkt an den Alterstopos an, der in den Interviews ebenfalls in den unterschiedlichen thematischen und argumentativen Zusammenhängen zum Einsatz kommt. An erster Stelle ist hier ein Topos zu nennen, der im Diskurs über (Mehr-)Sprachigkeit besonders tief verankert zu sein scheint, nämlich der Topos der kindlichen Sprachlernfähigkeit. Dessen Schlussregel lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: »Je jünger ein Mensch ist, desto leichter/schneller kann er eine oder mehrere Sprachen erlernen.« PBF macht von diesem Topos Gebrauch, um seine eigene Aussage in Bezug auf eine sinnvolle Reihenfolge beim schulischen Fremdsprachenlernen zu relativieren. […] ich würde glauben, wenn man mal die Muttersprache gscheit kann, wenn man mit einer Fremdsprache beginnt und dann vielleicht die zweite draufsetzt, dass das eigentlich die best/ die richtigere ·· Abfolge wäre, als wann man Kinder gleich in zwei Fremdsprachen konfrontiert, weiß auf der andern Seiten, dass Kinder natürlich je jünger sie sind, umso leichter auch Fremdsprachen lernen. (PBF)

Gewissermaßen unter umgekehrten Vorzeichen kann der gleiche Topos dazu dienen, das Fremdsprachenlernen älterer Menschen (»mit fuffzig Jahr«, PBF) als Ausnahmeerscheinung darzustellen. Ähnlich wie in den Gruppendiskussionen argumentierten einige Politiker, dass das Fremdsprachenlernen in erster Linie für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie junge, gebildete oder mobile Menschen attraktiv sei, während »der Durchschnittsmensch ah andere Interessen hat und auch weiterhin ah gehabt hat, hat und haben wird als irgendeine Sprache zu lernen und zu brauchen, n†cht.« (PA2). Ausgehend von der Prämisse, dass alte Menschen konservativer seien als junge, wendet PA2 den Alterstopos in einer ironischen Brechung auf sich selbst an: Auf Basis dieses Topos des Alterskonservativismus argumentiert PA2, dass er jünger sei als Djerassi und deshalb in Fragen der Migration und Diversität nicht konservativer als er sein dürfe: Zu diesem Statement [ND: das letzte Impuls-Zitat]. Na ja, ahm es ist/ das ist/ das sind ja Assoziationen eines ah ··· Dreiundsechzigjährigen, i man der Carl Djerassi ist ja über

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- wenn der das sagt, dann darf einer, der zwanzig achtzig, glaube ich schon, ahm der/ hm Jahre jünger ist, ah nicht nicht ah noch konservativer sein als er, ah aber das natürlich eine Gesellschaft, die bei uns besteht aus ah aus jungen Familien, ah deren Mitglieder aus Hyderabad, Bagalore, Iba-dan, ·· Ile- ·· -Ife, hmhmhm S¼o Paulo und Rio Grande do - bei allen ah bei aller Sul, das ist ··· ah natürlich nicht meine Wunschvorstellung, hm Freude, wenn (jetzt) hin und wieder ein buntes Gesicht zu sehen, j‚, aber es ist schon ein Unterschied, ob man hier als Mehrheitsgesellschaft, aus der ich ja komm, hin und wieder ein buntes Gesicht sieht, oder ob die Gesellschaft so bunt ·· und so/ ah jeweilig so einen anderen Hintergrund, ahm ··· ah wie das die Zukunft dann ist bei solchen Zuwanderern. (PA2)

Die Realisation eines Alterstopos, der sich stärker an dessen ›klassischer‹ Schlussregel »wenn etwas alt ist, ist es gut« orientiert und in seiner trugschlüssigen Variante auch als ›argumentum ad antiquitam‹ bezeichnet wird, findet sich bei PA2 in der Abwandlung »wenn etwas alt ist, ist es gut und deshalb besonders schützenswert«. Mit Hilfe dieses Topos argumentiert PA2, dass das Schmelztiegel-Konzept für die EU aufgrund der »jahrhundert- oder jahrtausendalte[n] Geschichte« ihrer Mitgliedsstaaten anders als für die USA ungeeignet ist. Wegen des ›alten‹, gewissermaßen historisch gewachsenen Stolzes auf die unterschiedlichen Facetten der europäische(n) Identität(en) müsse die EU daher auf ihrem Gegenkonzept beharren, das im ersten Impuls-Zitat zum Ausdruck kommt (»kein ›Schmelztiegel‹, in dem Unterschiede verschmolzen werden, sondern ein Miteinander vielfältiger Unterschiede«, Europäische Kommission 2005). Um die unterschiedliche Motivations- und Interessenslage in der Bevölkerung in Bezug auf das Fremdsprachenlernen hervorzuheben, wird in den Politikerinterviews nicht nur der Alterstopos, sondern auch der Topos der Selbstverantwortung bemüht. Ob eine Person eine Fremdsprache erlernen soll, ist dieser Argumentation zufolge in erster Linie Angelegenheit der betreffenden Person selbst, die diese Entscheidung in Abhängigkeit von ihren individuellen – beispielsweise hobbymäßigen Interessen – trifft: »Ja, aber das muss · das muss wirklich dem Individuum überlassen bleiben.« (PBF). Die sprachenpolitische Förderung von Fremdsprachenkenntnissen in der europäischen Bevölkerung zu Zwecken der besseren Verständigung unter EU-BürgerInnen stößt daher auf Ablehnung bei PBF und seiner Partei: »Also diese Zwangsverordnung und Zwangsbeglückung ›Habt euch alle lieb‹ lehnen wir an sich ab.« Der Selbstverantwortungstopos kommt bei PBF bezeichnenderweise allerdings nur dort als Argument gegen ›zwangsbeglückende‹ Sprachlernmaßnahmen zur Anwendung, wo diese die Kommunikationsmöglichkeiten unter BürgerInnen auf supranationaler Ebene verbessern sollen, während entsprechende Zwangsmaßnahmen zum Erlernen der Staatssprache auf nationaler Ebene – etwa im Rahmen der

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Empirische Fallstudie

›Integrationsvereinbarung‹ – bei PBF keinerlei Bedenken in diese Richtung auslösen. Im Gegensatz dazu wendet PBG den Topos der Selbstverantwortung mit Bezug auf eben jene nationale sprachenpolitische Zielebene an: »Was Menschen in ihrer Freizeit tun, ist prinzipiell ihre Angelegenheit, wie sie sich da unterhalten, was sie/ welche Kultur sie da bevorzugen. Das ist die/ ich glaub nicht, dass sich der Staat überall einmischen muss.« PBG bedient sich dieser liberalen Argumentationslinie allerdings nur, um ihre Gültigkeit sogleich wieder einzuschränken, worauf bereits das abschwächende Adverbialadjektiv prinzipiell antizipierend hinweist. Im Sinn des Subsidiaritätsprinzips erachtet PBG eine sprachenpolitische Intervention des Staates – und damit eine Beschränkung des von ihm prinzipiell vertretenen liberalen Grundgedankens – dort für notwendig, wo mangelnde Sprachkompetenz, etwa in der vorherrschenden Umgangssprache zu sozialer Ungerechtigkeit führt. Ich glaub schon, dass wir schauen müssen, dass Zuwanderung stärker gesteuert wird als das derzeit der Fall ist, ahm ((2,5 s)) geh aber schon von einem Menschenbild aus, dass ah Menschen ·· s/ auch selbst Verantwortung haben und selber in der Lage sein müssen, zu wissen wie groß die die Bedeutung [ND: der Beherrschung der vorherrschenden Umgangssprache] ist. Also ich kann mir gut vorstellen, dass ein Top-Manager nach Wien kommt ohne Deutsch können zu müssen beispielsweise. Das ··· ist sehr gut möglich. Ah das Problem haben wir eher auf der anderen Seite der sozialen Skala. ··· Ah Menschen, die dann auch nicht erkennen, dass die/ für sie speziell die Beherrschung der Umgangssprache, der vorherrschenden Umgangssprache ein wesentliches Element zur · zum beruflichen Erfolg auch sein kann. Also ((ea)) das ist eigentlich das ah d/ das Hauptproblem dieser (Geschichte). Was Menschen in ihrer Freizeit tun, ist prinzipiell ihre Angelegenheit, wie sie sich da unterhalten, was sie/ welche Kultur sie da bevorzugen. Das ist die/ ich glaub nicht, dass sich der Staat überall einmischen muss. Faktum aber bleibt, dass halt ah es natürlich fatal ist, wenn man ah intelligente Kinder haben aus ah migrantischen Familien, die aufgrund mangelnder Sprachkompetenz vom ersten Tag ihrer Schulpflicht weg keine Chance mehr haben. (PBG)

Der Topos der Selbstverantwortung mündet an dieser Stelle also in den Topos der (staatlichen) Verantwortung, wobei die Verlagerung des sprachenpolitischen Primats im Sinn des Subsidiaritätsprinzips nicht nur von der individuellen, sondern auch von der supranationalen Zuständigkeitsebene auf die nationale österreichische Verantwortungsebene gefordert bzw. gerechtfertigt wird, d. h. sprachenpolitische Probleme sollen vor Ort (PBG) gelöst werden. Wie oben dargestellt trifft letzteres etwa auf PBFs Argumentation in Bezug auf die Förderung des Fremdsprachenlernens zu, eine ähnliche Ansicht vertritt aber auch PBG hinsichtlich der Minderheiten(sprach)politik. Na gut, das wird schon ah Aufgabe der Mitgliedsländer sein, weil das ja regional auch

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sehr unterschiedliche Problematiken sind. Ah ·· bei uns sehr stark jetzt die die türkische Minderheit. Das Problem gibts in in in vielen Ländern in dieser Form nicht. % Die haben ((ea)) wesentlich weniger Migranten und Migrantinnen und natürlich auch andere Sprachen. Also ((ea)) auf diese Probleme, glaube ich, sollte man vor Ort · reagieren, es sollte aber Common Sense sein, dass man darauf reagiert. Und des ist eigentlich das Problem: dass das bei uns nicht gemacht wird. (PBG)

PBG wirft der österreichischen Regierung damit vor, ihre sprachenpolitische Verantwortung nicht wahrzunehmen, und räumt an anderer Stelle gleichzeitig ein, als politische Oppositionskraft »der · siebte Zwerg hinterm siebten Berg« zu sein und wenig Möglichkeiten in den genannten sprachenpolitischen Fragen zu haben, um »wirklich entscheidend einzugreifen« (PBG). Der letzte Teil dieser Argumentation beruht auf einem, dem Verantwortlichkeitstopos entgegengesetzten Topos der Heteronomie119, dessen Schlussregel folgendermaßen formuliert werden kann: »Wenn die Handlungen eines Akteurs oder einer Akteurin fremdbestimmt sind, ist er oder sie für die Folgen dieser Handlungen nicht verantwortlich/nicht zur Rechenschaft zu ziehen« (Reisigl 2003: 184). In den Politikerinterviews werden allerdings weniger bereits durchgeführte politische Handlungen als fremdbestimmt dargestellt, vielmehr wird die politische Machtlosigkeit aufgrund äußerer Umstände (etwa wegen fehlender Regierungsbeteiligung oder zu geringer Budgetmittel) hervorgehoben, d. h. jegliche Verantwortung für das fremdbestimmte Unterbleiben bestimmter politischer Handlungen wird abgewiesen. Diese spezifische Variante des Heteronomietopos findet sich in den Interviews auch in der Fremdcharakterisierung der EUSprachenpolitik und insbesondere des EU-Mehrsprachigkeitskommissars durch die österreichischen Politiker wieder. Dass Orban in manchen sprachenpolitischen Bereichen während seiner Amtsperiode als EU-Mehrsprachigkeitskommissar nicht viel ausrichten konnte (PA2), wird etwa nicht ihm als Person angelastet, sondern äußeren Umständen zugeschrieben, die die mangelnden Einflussmöglichkeiten dieses Amtes bedingen würden. Zu solchen externen Faktoren zählen in der Wahrnehmung der interviewten Politiker etwa der geringe budgetäre Spielraum des EU-Mehrsprachigkeitskommissars aufgrund fixer Ausgaben für den EU-Übersetzungs- und Dolmetschdienst, übergeordnete bzw. entgegengesetzte Interessen und Prioritätensetzungen der Kommissionsführung, das Subsidiaritätsprinzip sowie die damit zusammenhängende Notwendigkeit zu Sensibilität und Kompromissen in Fragen der Sprachen-, Kulturund Identitätspolitik aufgrund unterschiedlicher nationaler Interessenslagen. 119 Dieser Topos firmiert unter einer Reihe weiterer Bezeichnungen, darunter : Topos der Fremdbestimmtheit, Topos der Unfreiheit, Topos des äußeren Zwangs oder Topos der äußeren Umstände bzw. ›Locus a circumstantia‹ (vgl. Reisigl 2003: 183 f., 204; 2007a: 43; Wodak et al. 1998: 78 f.).

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Empirische Fallstudie

Zur Veranschaulichung der Realisation dieses Topos auf Textebene seien abschließend zwei Ausschnitte aus den Interviews mit den beiden Beamten des österreichischen Außenministeriums angeführt. Nun direkt zu Ihrer Frage, ob sich was geändert hat, ahm ·· für uns nicht, aber natürlich der Orban ist meiner Meinung nach ein ein guter Kommissar, aber er kann natürlich nur so viel ah ausrichten wie tatsächlich seine Wünsche und seine Vorstellungen ah in Ges/ in der Gesamtheit der Wünsche und Vorstellungen der Kommission Berücksichtigung finden und Beachtung finden und da ist natürlich die Sprachenfrage ((ea)) Nummer eins oder zwei gerade in Zeiten wie diesen. (PA2) Das [ND: das erste Impuls-Zitat] ist eine typische Formulierung, ah die ein Kompromiss innerhalb der Europäischen Union ist, ah weil wir gerade in dem Bereich, wos um Kultur und Sensibilität geht, dazu gehört die Sprache (PA1).

4.3.3. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse Was an den Politikerinterviews insgesamt auffällt, ist eine Fragmentierung des sprachenpolitischen Diskurses in eine Vielzahl unterschiedlicher Stimmen, Positionen, Aussagen und Meinungen. So nehmen die interviewten Politiker beispielsweise nicht nur auf ihre beruflichen Aktivitäten, auf EU-Dokumente, Expertenstimmen und öffentliche Debatten in Österreich Bezug, sondern auch auf politische Kontrahenten, auf das Programm der eigenen Partei oder auf ihre persönlichen Meinungen und Erfahrungen. Der sprachenpolitische Diskurs, wie er sich in den Politikerinterviews in der halb-öffentlichen Sphäre manifestiert, ist damit zwar von einer prinzipiellen Durchlässigkeit sowohl zum öffentlichen (politischen und medialen) als auch zum akademischen und (halb-)privaten Diskurs geprägt, weist andererseits aber auch spezifische intertextuelle Brüche und Widersprüche – v. a. zum sprachenpolitischen Diskurs der EU – auf. Wie und in welchem Ausmaß die Rekontextualisierung der Diskurselemente aus den jeweiligen Sphären erfolgt, fällt im Einzelnen nämlich sehr unterschiedlich aus und wird vor allem von der beruflichen und der (partei-)ideologischen Position der interviewten Politiker beeinflusst. Bereits das Verständnis des Begriffs ›Mehrsprachigkeit‹ spiegelt den jeweiligen beruflichen Fokus und die sprachideologische Positionierung der interviewten Politiker wider. Während die Bildungssprecher ›Mehrsprachigkeit‹ vor allem mit Sprachkenntnissen, Bildung und Migration assoziieren, fällt der Bezug zu Europa und der EU in den Äußerungen der Außenpolitiker wesentlich stärker aus. Besonders deutlich treten die unterschiedlichen Auffassungen von ›Mehrsprachigkeit‹ in den Definitionen des FPÖ-Bildungssprechers und der interviewten Diplomaten hervor : PBF sieht ›Mehrsprachigkeit‹ auf erst- und zweitsprachliche Kompetenzen im Migrationskontext beschränkt, die Außenpolitiker

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hingegen verstehen ›Mehrsprachigkeit‹ als konstitutives Element für Europa und die EU (im Sinn der ›europäischen Mehrsprachigkeit‹). Auch der Schlagwortcharakter des Begriffs ›Mehrsprachigkeit‹ offenbart sich in den Interviews, beispielsweise wenn PBS und PBG ähnlich wie der EU-Mehrsprachigkeitskommissar im Zeitungsinterview dafür plädieren, den Ausdruck im positiven Sinn – nämlich als Fahnenwort – zu verwenden und ›Mehrsprachigkeit‹ bspw. als Trumpfkarte, Riesenbereicherung oder Chance zu begreifen. Demgegenüber verwendet PBF den Begriff ›Mehrsprachigkeit‹ nur, wenn er explizit danach gefragt wird, und vermeidet ihn ansonsten, um ihn nicht in seiner Funktion als Fahnenwort gebrauchen zu müssen. Denn neben der engen Mehrsprachigkeitsdefinition fällt bei PBF auch auf, dass er den Begriff ›Mehrsprachigkeit‹, wo er sich nicht vermeiden lässt, möglichst neutral und bar seiner positiven Konnotationen zu gebrauchen versucht: So beschränkt er ›Mehrsprachigkeit‹ zunächst auf das Phänomen der Migration, das er einerseits negativ mit soziopolitischen Problemen in Österreich assoziiert, das er andererseits aber auch als politische Kerndomäne seiner Partei darstellt und für deren positive Selbstpräsentation heranzieht. Als er vom Interviewer auf die europäische Dimension der Mehrsprachigkeit angesprochen wird, passt PBF seine diskursive Strategie an, indem er die »Mehrsprachigkeit der EU« auf den technischen Aspekt reduziert, »dass jedes Mitgliedsland ·· die entsprechenden Übersetzungen bekommt.« Die diskursiven Strategien, die zur Fremd- und Selbstpräsentation einer Partei realisiert werden, betreffen interessanterweise in allen Politikerinterviews ausschließlich die FPÖ: Während PBF der einzige Politiker ist, der im Interview seine eigene Partei positiv darstellt, nehmen die anderen Politiker im Rahmen von Fremdpräsentation ebenfalls auf die FPÖ Bezug, charakterisieren diese aber nicht ausschließlich negativ, sondern zum Teil auch als ein zu berücksichtigender Machtfaktor in Österreich sowie als eine Partei, die mit ihrer ständigen Thematisierung heikler gesellschaftspolitische Probleme rund um Migration die öffentliche Meinung in Österreich erfolgreich (zu ihren Gunsten) zu beeinflussen versteht. Nicht nur zum Begriff ›Mehrsprachigkeit‹, sondern auch zum Konzept der Sprachenpolitik liegen bei den Politikern unterschiedliche Reflexionsgrade vor : PA1 berichtet von bereits vorangegangen internen Diskussionen mit seinen KollegInnen über die Frage, ob sie sich selbst als SprachenpolitikerInnen sehen – eine Frage, die sie für sich bejahen konnten, wenngleich sie Defizite »in der Formulierung von sprachenpolitischen Grundsätzen« feststellten und PA1 ein generell mangelndes Interesse an sprachenpolitischen Fragestellungen in der österreichischen Politik beklagt. Demgegenüber ist dem Bildungssprecher der Grünen (ähnlich wie der WIFI-Diskussionsgruppe) der Begriff der Sprachenpolitik offenbar so wenig bekannt, dass er nachfragen muss, was der Interviewer darunter versteht.

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Anders als bei den Gruppendiskussionen ist den Politikern Leonard Orban als EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit zwar ein Begriff, dennoch fällt die Bilanz über dessen Amtszeit – ähnlich wie in den Printmedien – eher durchwachsen aus: Mehrere Politiker sind der Meinung, dass Orban während seiner Amtsperiode nichts Wesentliches bewirken konnte, dass der Kommissarsposten aufgrund mangelnder alternativer Ressorts für die neuen Beitrittsländer geschaffen wurde und über zu wenig Budget- und Gestaltungsspielraum verfügte. Diejenigen Politiker, die relativ detailliert auf die einzelnen sprachenpolitischen Tätigkeiten und Leistungen Orbans eingehen, charakterisieren diese hingegen vorwiegend positiv. Gemeinsamkeiten zwischen den Gruppendiskussionen und den Politikerinterviews sind vor allem in der Rekontextualisierung der Zitate aus der EU-Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit zu finden: Dem ersten ImpulsZitat (»kein Schmelztiegel […], sondern ein Miteinander«) wird von mehreren Politikern Realitätsferne, Idealismus und mangelnde Umsetzbarkeit attestiert. Die Kritik des zweiten Impuls-Zitats (»Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur«) bezieht sich hingegen auf dessen undifferenzierte und vorschnelle Verknüpfung von Sprache und Kultur, die problematische Zugehörigkeitszuschreibungen erleichtere und andere Identitätsfaktoren als Sprache außer Acht lasse. Was sich in den Interviews ebenfalls wiederfindet, ist die kritische Interpretation des zweiten Zitatteils (Sprache »macht uns zum Menschen«), wonach eine zu enge Definition von Sprache als Alleinstellungsmerkmal des Menschen (z. B. als gesprochene Sprache) bestimmte Personengruppen vom Menschsein ausschließen würde (z. B. Gehörlose). Volle Zustimmung ernten beide EU-Zitate hingegen interessanterweise beim Bildungssprecher der EU-kritischen FPÖ, der zudem die Arbeit des EU-Kommissars für Mehrsprachigkeit negativ bewertet und wie bereits erwähnt Mehrsprachigkeit auf den Migrationskontext und rein technische Fragen der Übersetzung im EU-Kontext beschränkt wissen will. Dies kann so erklärt werden, dass es PBF aufgrund der Mehrdeutigkeiten und interpretativen Leerstellen der EU-Zitate gelingt, die sprachenpolitischen Statements der EU durch Rekontextualisierung in Übereinstimmung mit der eigenen Parteilinie zu bringen: So kommt die Verknüpfung von Sprache und Kultur der FPÖ-Auffassung von der »deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft« entgegen, ebenso wie die Ablehnung eines supranationalen Schmelztiegels durch die EU mit dem FPÖ-Konzept vom »Europa der Vaterländer« in Einklang gebracht werden kann, zumal der Schmelztiegel für die FPÖ nur auf nationaler österreichischer, nicht aber auf supranationaler europäischer Ebene in Frage kommt. Auch die anderen Politiker sprechen sich zwar für Kohärenz und gegen Parallelgesellschaften sowie Spaltpilze auf nationaler Ebene aus, lehnen aber einen Einheitsbrei auf supranationaler Ebene als Produkt eines Schmelztiegels ab. Die Diskussion des Schmelztiegelkonzepts kreist dabei um mehrere Schlagworte und Metaphern, die sich zu semantischen Feldern gruppieren und positiv oder

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negativ konnotierte Isotopien (›Konnotationsketten‹) bilden (beispielsweise Schmelztiegel-Kleister-Kitt-Kohärenz-Integration vs. Spaltpilz-AufsplittungMultikulti-Parallelgesellschaft). Die EU-Sprachenpolitik erweist sich in interdiskursiver Hinsicht also nicht nur als kompatibel mit einer auf Einsprachigkeit ausgerichteten Nationalsprachenpolitik, sondern auch als potentielle Argumentationsstütze für eben diese. Umgekehrt lassen die EU-Stellungnahmen aber auch entgegengesetzte Interpretationen und Schlussfolgerungen zu, etwa die Forderung nach einer einheitlichen europäischen Kommunikationssprache Englisch bei PA1. Dieser beklagt, dass die EU nach seiner Lesart des ersten Impuls-Zitats den emotionalen Wert von Sprachen zulasten ihres Kommunikationswertes überbetone. Andere Politiker wie PBS und PBG fokussieren in ihrer Interpretation des ersten ImpulsZitats auf den Aspekt des Miteinanders und der Solidarität, wenn sie einfordern, dass Menschen ihre Kulturen und Sprachen praktizieren können sollen, ohne dabei auf Vorurteile zu stoßen, sowie für »Kontakt und Verständnis zur Mehrheitsbevölkerung« plädieren. Offenbar in Anspielung auf den im ersten ImpulsZitat erwähnten muttersprachlichen Reichtum stellt PBG zudem die Überlegung an, dass ein Mehrsprachigkeitskonzept wie in der Schweiz auch für Österreich Sinn machen könnte. Einige der interviewten Politiker verwenden deutlich mehr linguistisches und (sprachen-)politisches Fachvokabular als die TeilnehmerInnen der Gruppendiskussionen (das trifft insbesondere auf PUK und PBS, der die Interviewfragen schriftlich beantwortete, zu). Vor allem unter den Nominationsstrategien finden sich Beispiele hierfür, etwa Linguonyme und Abkürzungen wie L1 (Erstsprache), »Zweit- und Drittsprachen«, ÖGS (Österreichische Gebärdensprache), MHSPR (Minderheitensprachen) und CLIL (Content and Language Integrated Learning) oder Kollektiva wie autochthone Minderheiten und Communities. Zum Teil orientiert sich dieses fachspezifische Vokabular an sprachenpolitischen Begriffen und Konzepten, die auf der supranationalen europäischen Ebene geprägt wurden, z. B. Plurilingualismus (individuelle Mehrsprachigkeit) vs. Multilingualismus (gesellschaftliche Mehrsprachigkeit), LEPP (Language Education Policy Profile), Europäisches Sprachenportfolio, Pluralistic Approach oder Europäischer Fremdsprachenindikator. Auch der Kostenvergleich (Kosten des Übersetzungsdienstes vs. EU-Gesamtbudget) sowie Forderungen nach »L1+2« (›Muttersprache plus zwei‹), nach »mehrsprachigkeitsdidaktischen Modellen und diversifizierenden Sprachenangeboten« und nach einer »Harmonisierung der LehrerInnenbildung« in Österreich werden von den Politikern (wiederum v. a. von PBS) bekräftigt und lassen dabei intertextuelle Bezüge zur supranationalen Sprachenpolitik auf europäischer Ebene erkennen. Ähnlich wie in den Printmedien dient die Rekontextualisierung der europäischen Sprachenpolitik bei den meisten der interviewten Politiker allerdings

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vorwiegend dazu, um mehr oder weniger sachlich die sprachenpolitische Linie der EU und des Europarates zu referieren, und weniger um spezifische parteioder sprachenpolitische Positionen, Argumente und Ziele für die nationale österreichische Ebene damit zu verknüpfen. Schlussfolgerungen in Bezug auf die Sprachenpolitik Österreichs leiten die Politiker also nicht so sehr aus dem sprachenpolitischen Diskurs der EU ab, sondern vielmehr aus dem österreichischen Diskurs über Migration und ›Integration‹ (vgl. Blackledge 2005: 225). In diesem Zusammenhang greifen die Politiker auch weniger auf akademische und fachspezifische Ausdrücke zurück, sondern auf diskursive Strategien, die bereits aus den anderen Sphären und Handlungsfeldern des sprachenpolitischen Diskurses in Österreich bekannt sind (wie z. B. der politischen Werbung). Dazu zählen neben einer Vielzahl von Ethnonymen wie Österreicher, Türken usw. das generalisierend-synekdochische Linguonym unsere Sprache sowie sprachbezogene oder spatialisierende (und z. T. pejorative) Anthroponyme wie Migrant, Asylant, Zuwanderer oder »Migrationskinder nicht-deutscher Herkunft/ deutschsprachiger Herkunft«. In argumentativer Hinsicht beruhen solche diskursiven Strategien hierbei vor allem auf dem Topos der Muttersprache, mit dem von erstsprachlichen Kompetenzen ikonisierend (und z. T. trugschlüssig) auf nicht-sprachliche Zugehörigkeitsmerkmale (z. B. ethnischer Natur) geschlossen wird. Die diskursive Abgrenzung der ›Wir‹-Gruppe von der Gruppe der ›Anderen‹ wird im Fall von PBF durch parteiprogrammatische Konzepte wie die deutsche Volks-, Kultur- und Sprachgemeinschaft sowie das »Europa der Vaterländer« gestützt. In bildungspolitischer Hinsicht findet sie ihre Entsprechung bei PBF zudem in der konkreten Forderung nach einer Trennung zwischen Kindern deutscher und nicht-deutscher Muttersprache in jeweils eigenen Unterrichtsklassen. Auch die lingualistischen Argumentationsstrategien, die bereits am Beispiel der politischen Werbung und der Gruppendiskussionen analysiert wurden, kehren in den Stellungnahmen der interviewten Politiker wieder, darunter v. a. solche, die auf dem Prinzip sprachlich-kultureller Homogenität bzw. Anpassung beruhen, wie z. B. der Topos der Landessprachkenntnisse oder der Topos des Schulpublikums. Die gesetztlich verankerte Verpflichtung zum Nachweis von Deutschkenntnissen bei MigrantInnen wird dabei sowohl mit Nutzentopoi paternalistischer (›pro bono eorum‹) als auch moralistischer Ausprägung (›pro bono publico‹) legitimiert. Auch der Bringschuldtopos, wonach es MigrantInnen der Mehrheitsgesellschaft aufgrund ihrer freien Entscheidung zur Migration schuldig sind, ihre Pflichten (›Integrationsleistungen‹) zu erfüllen, werden zur diskursiven Rechtfertigung sprachlicher Zwangsmaßnahmen durch den Staat herangezogen. Was die vom Interviewer angesprochenen Diskrepanzen zwischen nationaler österreichischer und supranationaler europäischer Sprachenpolitik betrifft, so tendieren mehrere Politiker in ihren Antworten dazu, die Sprachenpolitik

Politikerinterviews

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Österreichs und die der EU als voneinander getrennte und weitgehend unabhängige Handlungsfelder zu betrachten. Für Irritationen bei den interviewten Politikern sorgen insbesondere Stellungnahmen der EU zur Migrationssprachenpolitik sowie Fragen des Interviewers zur Sinnhaftigkeit eines ›Anti‹Schmelztiegelkonzeptes bzw. eines Amtssprachenregimes oder Übersetzungsund Dolmetschdienstes nach EU-Vorbild auf der nationalen österreichischen Ebene. Migrations(sprachen)politische Fragen fallen nach dem Verständnis einiger Politiker offenbar nur dann in den Zuständigkeitsbereich der EU, wenn es sich um UnionsbürgerInnen handelt, die von einem EU-Land in das nächste ziehen. Das Thema der EU-Binnenmigration wird in der öffentlichen Debatte allerdings eher unter dem Aspekt der Mobilität thematisiert (v. a. im Diskurs der EU) und steht nicht im Fokus des Diskurses über Migration auf nationaler österreichischer Ebene, wo Migration vor allem mit Drittstaatsangehörigen assoziiert wird. Dass die interviewten Politiker dazu tendieren, die beiden Diskurse entlang dieser Linien auseinander zu halten, zeigt sich in einigen Frage-Antwort-Sequenzen. So antwortet bspw. PBF auf die Frage nach Widersprüchen zwischen der Sprachenpolitik Österreichs und der EU, dass diese aus seiner Sicht nicht existieren würden, weil unter Migration nur außereuropäische Zuwanderung zu verstehen sei. In ähnlicher Weise antwortet PA2 (abgeschwächt durch eine ›tagquestion‹) auf die Frage nach dem Vorhandensein eines ›Schmelztiegels‹ oder ›Miteinanders‹ in Österreich: Ihm zufolge beziehe sich das erste Impuls-Zitat ausschließlich auf die Beziehungen zwischen den EU-Mitgliedsländern und sei für die Situation innerhalb Österreichs irrelevant (»Was die Zuwanderung, die Asylant/ also Migranten betrifft, das ist ja hier nicht gefragt, n†cht, das ist ja nicht/ kein Thema, oder?«). Auch PBS sieht keinen Widerspruch zwischen der österreichischen Migrationssprachenpolitik und der EU-Sprachenpolitik, da letztere PBS zufolge »primär die Nationalsprachen und die anerkannten MHSPR bzw. Staatssprachen«, und nicht die neuen Minderheitensprachen berücksichtige. Unter den anderen Politikern befinden sich einige, die die erwähnten Diskrepanzen zwar auch wahrnehmen und etwa das Subsidiaritätsprinzip und die politischen Strukturen und einen Reformstau innerhalb Österreichs dafür verantwortlich machen. Allerdings mischen sich in diese Sichtweise auch Stellungnahmen, die die Bedeutung solcher Diskrepanzen herabstufen oder sogar implizit gutheißen und damit indirekt zu deren Fortbestand beitragen, etwa wenn einzelne Politiker die Meinung vertreten, dass Englisch als einzige lebende Fremdsprache im Pflichtschulbereich ausreiche, dass die Förderung und Forderung von Deutschkenntnissen bei MigrantInnen wichtiger sei als die Unterstützung ihres Erstspracherwerbs, oder dass nicht sprachbezogene bildungs- und migrati-

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Empirische Fallstudie

onspolitische Probleme insgesamt vordringlicher seien. Ähnlich wie in den Gruppendiskussionen werden zwei Personengruppen konstruiert und voneinander abgegrenzt, von denen die eine für das Fremdsprachenlernen quasi prädestiniert sei, während das Fremdsprachenlernen für die andere Gruppe aufgrund unterschiedlichster Gründe (mangelndes Interesse, schlechterer sozioökonomischer Status, fehlende finanzielle und zeitliche Ressourcen usw.) nicht in Frage komme. Gleichzeitig sind einige Politiker aber der Ansicht, dass sich die österreichische Politik in solche privaten (hobby- bzw. Freizeit-mäßigen) Belange wie die individuelle Entscheidung von BürgerInnen, ob und welche Fremdsprachen sie lernen, nicht einmischen solle. Diese Sichtweise wird insbesondere mit dem Topos der Selbstverantwortung argumentiert, der (ähnlich wie das Subsidaritätsprinzip) dazu dient, entweder die sprachenpolitische Zuständigkeit (im Fall migrationspolitischer Materien) oder aber die sprachenpolitische Untätigkeit (z. B. in Hinblick auf den Fremdsprachenerwerb von BürgerInnen) des österreichischen Staates einzufordern bzw. zu rechtfertigen.

5. Resümee

Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel genommen, den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ auf den folgenden drei Ebenen kritisch-diskursanalytisch zu beleuchten, zu vergleichen und zu ›entflechten‹: (1) die Verknüpfungen zwischen öffentlicher und halb-privater bzw. halb-öffentlicher Sphäre, (2) das Verhältnis zwischen nationaler (österreichischer) und supranationaler (EU-) Sprachenpolitik und (3) die Zusammenhänge zwischen Diskurs und sprachenpolitischer Praxis (in Form von gesellschaftlich-institutionellen Rahmenbedingungen und Strukturen, Regelungen, Gesetzen usw.). Die Annäherung an diese drei Ebenen erfolgte über die Analyse von Themen, diskursiven Strategien (v. a. Nomination, Prädikation und Argumentation) und sprachlichen (inkl. rhetorischen) Mitteln, mit denen Sprache bzw. ›Sprachigkeit‹ diskursiv konstruiert wird. Ad (1): Dass das Thema Sprache(n) im gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Diskurs Österreichs eine Renaissance erlebt, hat die vorliegende Arbeit anhand von Diskursausschnitten aus der öffentlichen Sphäre (politische Werbung und Printmedien), der halb-öffentlichen Sphäre (Politikerinterviews) und der halb-privaten Sphäre (Gruppendiskussionen mit BürgerInnen) gezeigt. Die Analyse der Diskursausschnitte machte deutlich, dass Sprache in diesen drei Sphären auf eine Weise zum Thema gemacht wird, die sich einerseits in relevanter Hinsicht vom Diskurs über ›Mehrsprachigkeit‹ auf der supranationalen Ebene der EU unterscheidet, mit diesem andererseits aber gemeinsam hat, dass auf das gleiche diskursive ›Pool‹ zur Konstruktion von Sprache zurückgegriffen wird. Die sprachtheoretische Prämisse in diesem Zusammenhang lautete, dass Sprache einen konstitutiven Bestandteil sozialer Wirklichkeit und damit ein diskursives Konstrukt darstellt : Was (eine) Sprache ist, wird also nicht so sehr dadurch bestimmt, wie Menschen sprechen, sondern wie wir als Menschen über Sprache sprechen. Charakteristisch für die Konstruktion von Sprache auf nationaler und supranationaler Ebene ist die sprachenpolitische Dimension, d. h. die Fokussierung auf Fragen des Status und der Funktion von mehreren Sprachen sowie deren Beziehungen unter-

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Resümee

einander. Damit unterscheidet sich der aktuelle Diskurs über Sprache von jenen ›Metasprachdiskursen‹, die das ausgehende 20. Jahrhundert geprägt hatten: Während für letztere sprachpolitische Fragen relevant waren, die das innere System einer Sprache betrafen (v. a. in Bezug auf Sprachnormen und Sprachwandel, z. B. Jugendsprache oder Anglizismen im Deutschen), kreist der Metasprachdiskurs des beginnenden 21. Jahrhunderts um das Makrothema ›Sprachigkeit‹. Dieser Kunstterminus wurde in der vorliegenden Arbeit eingeführt, um als Bezeichnung für sämtliche Sprachfähigkeits-, Sprachverfügbarkeits-, Sprachverwendungs- und Sprachverbreitungsformen zu dienen, die im sprachenpolitischen Kontext thematisiert werden. Neben der thematischen ist die ideologische Dimension des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ bestimmend: Die Makroideologie dieses Diskurses fußt auf dem Prinzip des ›Lingualismus‹ – einem Konzept, das in dieser Arbeit in Analogie zum Terminus ›Sprachigkeit‹ entwickelt wurde. ›Lingualismus‹ bezieht sich hierbei auf die Überzeugung, dass sich bestimmte politische Probleme unterschiedlichster Natur in erster Linie – wenn nicht ausschließlich – über die (sprachenpolitische) Thematisierung und Beeinflussung von Sprache (im Sinn von ›Sprachigkeit‹) lösen lassen. Lingualismus lässt sich darüber hinaus als ein in sich heterogener sprachideologischer Komplex begreifen, der verschiedenartigste Vorstellungen über Sprache umfasst, darunter die Auffassung von der Normalität und Idealität einsprachiger Menschen und Staaten sowie das Konzept der Muttersprachigkeit bzw. des ›Native Speaker‹. Sprachen werden darüber hinaus als in sich abgeschlossene und homogene sowie als natürliche und zählbare Einheiten konstruiert, die soziokulturelle Werte, Nützlichkeiten und Zugehörigkeiten indizieren. Dieses sprachideologische Fundament liegt der Konstruktion von Sprache als ›Sprachigkeit‹ im Allgemeinen zugrunde, d. h. sowohl das Konzept der Ein- als auch das der Mehrsprachigkeit beruht auf lingualistischen Prinzipien. Wie die Analyse des Diskurses über Sprachigkeit gezeigt hat, ist in diesem Zusammenhang eine zunehmende Verbreitung des Lingualismus – d. h. eine Lingualisierung – sowohl auf der Ebene nationaler als auch supranationaler (Sprachen-)Politik feststellbar. Ad (2): Worin sich der nationale österreichische und der supranationale europäische Diskurs über ›Sprachigkeit‹ unterscheiden, ist allerdings, dass Sprache auf der nationalen Ebene als diskursives ›Surrogat‹ herangezogen wird, das gesellschaftlich problematisch gewordene Konzepte wie Volks-, Rassen- oder Religionszugehörigkeit ersetzt. Sprache im Sinn von ›Sprachigkeit‹ kann auf diese Weise als Unterscheidungs- und Selektionsmerkmal politisch instrumentalisiert werden, indem es bspw. für die fremdenrechtliche Beschränkung der Zuwanderung nach Österreich nutzbar gemacht wird, ohne hierfür offen rassistische oder diskriminierende Begriffe verwenden zu müssen. Sprache als ›Sprachigkeit‹ erweist sich darüber hinaus auch deshalb als

Resümee

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äußerst vielseitiges und flexibel einsetzbares Konzept, weil es im Commonsense verankert und damit Bestandteil jenes kollektiven Wissens ist, das als selbstverständlich gilt und nicht hinterfragt wird. Diesen Umstand macht sich auch die politische Werbung zunutze, wie die Analyse diverser Kampagnen, Wahlinserate und Plakate österreichischer Parlamentsparteien gezeigt hat. Gesetzlich verankerte Deutschlerngebote, die aus populistisch-wahltaktischen Motiven propagiert und als ›integrationsfördernde‹ Maßnahmen getarnt und gerechtfertigt werden, stellen dabei gewissermaßen nur den Eisberg eines Diskurses dar, der seine Wirkung jenseits der Gesetzgebung auch in der Privatwirtschaft, in Schulen oder Krankenhäusern entfaltet. Die zunehmende Verknüpfung und Gleichsetzung der ›Migrationsfrage‹ mit der ›Sprachenfrage‹, die im Konzept ›Integration durch Sprache‹ Ausdruck findet, wurde in Kapitel 3 als diskurshistorische Entwicklung von den 1990er Jahren bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Die schrittweise Infiltration des Metasprachdiskurses mit dem Migrationsthema hat in Österreich aber nicht nur den gesellschaftspolitischen Diskurs nachhaltig geprägt, sondern hat über diesen Diskurs wiederum Einfluss auf machtpolitische Verhältnisse, gesellschaftliche Strukturen und die Gesetzgebung (v. a. im Bereich des Fremdenrechts) ausgeübt (vgl. Blackledge 2005: 225; Siebert-Ott 1998: 284). Zu den wichtigsten diskursiven Strategien und sprachlichen Mitteln, mit denen Sprache im sprachenpolitischen Kontext Österreichs konstruiert wird, zählen synekdochische Linguonyme des Typs ›totum pro parte‹ (unsere Sprache, die Sprache usw.), Argumentationsmuster der Kategorie Homogenität (z. B. Muttersprachen- und Sprachniveautopos sowie Topos der Landessprachkenntnisse und des Schulpublikums), der Kategorie Quantität (z. B. Sprachverbreitungs- und Kostentopos) sowie Nutzentopoi der Typen ›pro bono eorum‹ und ›pro bono publico‹. Um dies systematisch herauszuarbeiten, wurde auf das kritisch-diskursanalytische Instrumentarium des diskurshistorischen Ansatzes (DHA) zurückgegriffen. Was die in Kapitel 2 beschriebene diskursanalytische Methodologie betrifft, so wurde dafür plädiert, die Gräben zwischen deskriptiven und kritisch-diskursanalytischen Ansätzen zum beidseitigen Gewinn zu überwinden. Um dem Untersuchungsgegenstand gerecht zu werden, wurde der DHA mit diskurslinguistischen Konzepten wie der Schlagwortanalyse sowie Erkenntnissen aus der Sprachideologie- und Metasprachdiskursforschung ergänzt. In diesem Zusammenhang fanden analytische Konzepte wie die ideologische Polysemie, der semiotische Prozess der Ikonisierung oder das interdiskursive Prinzip des ›double voicing‹ Anwendung. Erweitert wurde der DHA zudem mit dem Konzept der Prädikationsmuster sowie der inhaltlichen Gruppierung von Topoi zu übergeordneten Argumentationsmustern (als

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Resümee

›Makrocodes‹). Schließlich wurde der Einsatz des Softwaretools MAXQDA als Möglichkeit beschrieben, nicht nur quantitative und qualitative Aspekte diskursanalytisch miteinander zu verschränken, sondern vor allem dem Vorwurf zu begegnen, dass die Kritische Diskursanalyse aufgrund ihres gesellschaftskritischen Anspruchs beliebig bzw. nach präferierten Modellen vorgehe und ihre Ergebnisse daher unweigerlich subjektiv verzerrt seien. Anhand von MAXQDA und dem diskursanalytischen Schema des DHA wurde erörtert, wie qualitative Daten-Analyse-Tools nutzbar gemacht werden können, um kritisch-diskursanalytische Untersuchungen direkt am Textmaterial systematisch sowie intersubjektiv nachvollziehbar vorzunehmen und damit auf die Kritik an der Kritischen Diskursanalyse zu reagieren. Innerhalb der zweiten Untersuchungsebene wurde der Frage nachgegangen, wie und in welchem Ausmaß der supranationale sprachenpolitische Diskurs der EU in Österreich rezipiert und interdiskursiv aufgegriffen wird. Ausgangspunkt der österreichischen Fallstudie in Kapitel 4 war hierbei die Hypothese, dass zwischen dem Diskurs über ›Sprachigkeit‹ auf der nationalen und der supranationalen Ebene ein Bruch verläuft, der in sprachenpolitischer Hinsicht Auswirkungen auf die gesellschaftliche Verfasstheit Österreichs und Europas zeitigt. Dass der sprachenpolitische Diskurs über ›Sprachigkeit‹ innerhalb von Österreich gesellschaftlich konstituiert und konstituierend ist, konnte im Rahmen der diskursanalytischen Kontext-, Makro- und Mikroanalyse gezeigt werden. Was die EU-Sprachenpolitik betrifft, so deuten die Ergebnisse der Fallstudie darauf hin, dass die sprachenpolitischen Kommunikationsbemühungen der EU auf der nationalen österreichischen Ebene kaum fruchten. Die Hypothese trifft also insofern zu, als die supranationale Sprachenpolitik der EU den österreichischen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ wenig bis gar nicht zu beeinflussen vermag und dieser daher seine Wirkung auf die österreichische Gesellschaft weiterhin weitgehend ›ungebremst‹ entfalten kann. Ad (3): Wie die Mikroanalyse in Hinblick auf Themen, diskursive Strategien (Nomination, Prädikation und Argumentation) sowie sprachliche und rhetorische Mittel gezeigt hat, wird der EU-Diskurs über ›Mehrsprachigkeit‹ nicht nur flexibel, vieldeutig und widersprüchlich rekontextualisiert, sondern zumeist auch nur in Bruchstücken rezipiert und interdiskursiv aufgegriffen. Neben einem mangelnden Kenntnisstand über Konzepte wie Sprachenpolitik oder sprachlicher Plurizentrizität sowie über das Amt des EU-Kommissars über Mehrsprachigkeit in den Gruppendiskussionen spiegelte sich dies auch in den österreichischen Printmedien wider : Diese griffen kaum sachpolitische Positionen und Argumente in Bezug auf die EU-Sprachenpolitik auf, sondern berichteten fast ausschließlich über personalpolitische Entscheidungen und Unstimmigkeiten rund um die Ernennung Orbans zum EU-Kommissar für

Resümee

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Mehrsprachigkeit. Der Diskurs über ›Mehrsprachigkeit‹, wie er von der EU zu verbreiten versucht wird, scheint zudem vielfach eine Angelegenheit der ›Elite‹ zu sein (vgl. Wodak 2003): So wird die EU-Sprachenpolitik in Österreich fast ausschließlich von Qualitätszeitungen mit geringer Leserreichweite thematisiert, wobei vorwiegend informations- und faktenorientiere, aber kaum meinungsbetonte Genres wie Kommentare oder Leitartikel zum Einsatz kommen. Auch in den Gruppendiskussionen wussten die Studierenden mit universitärer Ausbildung insgesamt zwar wenig, unter den drei Gruppen aber immer noch am besten über die EU-Sprachenpolitik Bescheid. Ähnlich wie bei den Studierenden zeichnete sich auch bei den interviewten österreichischen Politikern ab, dass diese sprachenpolitische Materien zwar als ihren Aufgabenbereich betrachten, in dem sie auch über entsprechendes Wissen verfügen, gleichzeitig aber vielfach der Ansicht sind, dass ›Mehrsprachigkeit‹ im Sinn von umfangreichen Fremdsprachenkenntnissen nur für hochgebildete Bevölkerungsschichten und besonders sprachinteressierte ÖsterreicherInnen erstrebenswert sei, und dass dieses Thema der individuellen Entscheidung einzelner BürgerInnen überlassen bleiben und nicht unbedingt eine politische Priorität des österreichischen Staates darstellen sollte. Obwohl die interviewten Politiker für die Umsetzung der (auch auf EUEbene formulierten) Sprachenpolitik verantwortlich wären, tragen sie den sprachenpolitischen Diskurs der EU in vielen Fällen also nicht mit. Wie die Analyse gezeigt hat, sind damit auch zahlreiche Gegensätze zwischen Diskurs und gesellschaftlichen Strukturen und Praktiken in Bezug auf Sprache(n) festzustellen: So gibt es in Österreich bspw. keinerlei Anzeichen dafür, dass das Barcelona-Ziel (›Muttersprache plus zwei‹) auf nationaler Ebene umzusetzen versucht wird (vgl.; de Cillia/Haller 2013 Eurydice-Netz 2008: 37), während auf EU-Ebene die Tendenz zu beobachten ist, dass sich Englisch zur wichtigsten, wenn nicht einzigen Verkehrssprache entwickelt. Dieser monolingualen supranationalen Perspektive entspricht auf nationaler österreichischer Ebene wiederum die Fokussierung auf die Staatssprache Deutsch aufgrund migrationspolitischer Überlegungen: Seit den 1990er Jahren werden MigrantInnen unter Sanktionsdruck zum Nachweis von Deutschkenntnissen auf immer höheren Niveaus verpflichtet, obwohl die ›Integrationsvereinbarung‹ bisher nicht evaluiert wurde und offenkundig auf Prinzipien der Diskriminierung aufgrund von Merkmalen wie Sprache und Drittstaatsangehörigkeit beruht. Widersprüche sind aber auch im supranationalen Diskurs über ›Mehrsprachigkeit‹ der EU selbst zu finden: So fordert die EU einerseits zur Förderung von Fremdsprachkenntnissen in der Bevölkerung, zur Ausschöpfung des Potentials von Nachbar- und Migrantensprachensprachen sowie zum aktiven Erhalt und Schutz von Minderheitensprachen auf, um damit unterschiedlichsten Interessen und Ansprüchen Rechnung zu tragen (z. B. in Bezug

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Resümee

auf die europäische Integrations-, Demokratie- oder Wirtschaftspolitik). Andererseits betreibt sie unter dem Etikett europäischer Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt ein Amts- und Arbeitssprachenregime, das einer Multiplikation der einsprachigkeitsorientierten Nationalsprachenpolitik der einzelnen Mitgliedsländer gleichkommt und diese damit aktiv unterstützt und fortschreibt (vgl. Blommaert/Verschueren 1998b: 207). Dem ›Mehrsprachigkeitsdiskurs‹ und der ›de jure‹ Mehrsprachigkeitspolitik der EU stehen damit in vielen Fällen keine ›Mehrsprachigkeitspraxis‹, sondern eine ›Einsprachigkeitspraxis‹ und ›de facto‹ Einsprachigkeitspolitik gegenüber. Um die fragile Balance der (ungleichen) Machtverhältnisse zwischen den einzelnen Mitgliedsländern aufrechtzuerhalten, setzt die EU in ihrer Sprachenpolitik auf strategische Mehrdeutigkeit und Vagheit, die sie gleichzeitig zu wahren und zu verschleiern versucht. Die interpretativen Leerstellen, die die EU in ihren sprachenpolitischen Dokumenten und Praktiken mehr oder weniger bewusst offen lässt, werden auf nationaler Ebene auf unterschiedlichste Weise gefüllt, wie insbesondere die Analyse der Politikerinterviews gezeigt hat. Die heterogenen bis gegensätzlichen Interpretationen und Deutungsmöglichkeiten, die die EU-Sprachenpolitik in ihrer österreichischen Rezeption damit auf sich vereint, sollen so zu ihrer Akzeptanz auf der nationalen Ebene beitragen – was dem offiziellen EU-Motto ›in Vielfalt geeint‹ in auffälliger, wenngleich ungewohnter Weise entspricht. Mehrsprachigkeit und Einsprachigkeit, Kohärenz und Parallelgesellschaft, kulturelles Erbe und Sprachengewirr, Vielfalt und Einheit erweisen sich im sprachenpolitischen Diskurs damit letztlich als unterschiedliche Seiten der jeweils gleichen Medaille, als hochgradig relationale Konzepte, die vom jeweiligen diskursiven Standort und Bezugsrahmen abhängen: So wird beispielsweise Einsprachigkeit, Einheit und Kohärenz für Österreich gefordert, für die EU jedoch abgelehnt; gleichzeitig wird die multiplizierte Einsprachigkeit, Einheit und Kohärenz innerhalb der einzelnen Mitgliedsländer jedoch als europäische Mehrsprachigkeit und Vielfalt, als kulturelles Reichtum und Erbe proklamiert und eingemahnt (vgl. Blommaert/ Verschueren 1998b: 207). Umgekehrt finden sich aber auch Stimmen, die mehr oder weniger offen für Englisch als einheitliche europäische ›Kommunikationssprache‹ plädieren, um die europäische Einigkeit und Integration aufrechtzuerhalten oder voranzutreiben, und der Auffassung sind, dass in dieser Hinsicht kontraproduktive Kräfte (z. B. nationalistischer oder irrationalemotionaler Natur) abgewehrt oder auf eng umgrenzte kulturell-identitäre Bereiche (Kunst, Literatur, Brauchtum etc.) eingeschränkt werden können und sollen. Zu den hervorstechendsten Ergebnissen in diesem Zusammenhang zählt der Schlagwortcharakter von Begriffen wie ›Mehrsprachigkeit‹ oder ›Sprachenvielfalt‹, die von einer (partei-)politischen Position aus als Fahnenwort verwendet werden, während sie von anderen (politischen) Parteien

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vermieden oder negativ als Fremdsprachigkeit oder Sprachengewirr gedeutet werden. Die Relationalität der verwendeten Begriffe und Konzepte wurde insbesondere in der ideologischen Polysemie bestimmter sprachbezogener Schlagworte deutlich: Während z. B. beim BZÖ oder der FPÖ der Ausdruck Einsprachigkeit/ einsprachig als positiv konnotiertes Fahnenwort, Fremdsprachigkeit/ fremdsprachig aber als negativ konnotiertes Stigmawort zur Diffamierung des politischen Konträhenten fungiert, liegt bei Parteien wie den Grünen der umgekehrte Fall vor (einsprachig dient als Stigmawort, fremdsprachig als Fahnenwort). Die Bipositionalität des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ wird in Tabelle 32 anhand eines Prädikationsmusters veranschaulicht. Darin werden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zentrale Schlagwörter des Diskurses in Beziehung zur positiven oder negativen Evaluierung gesetzt, die zwei diskursiven Grundpositionen im Diskurs über ›Sprachigkeit‹ entsprechen. Der Diskurs entwickelt sich entlang dieser beiden Positionen, die einander unversöhnlich gegenüber zu stehen scheinen, obwohl sie nicht nur miteinander verbunden sind, sondern sich erst in Abgrenzung voneinander konstituieren und somit letztendlich aufeinander angewiesen sind. Den DiskursteilnehmerInnen sind diese beiden Positionen in ihrer Grundstruktur bekannt, sie orientieren sich in ihren Äußerungen daran, greifen dabei aber auf das gleiche diskursive ›Pool‹ zur Konstruktion von Sprache zurück. Die Diskurselemente, die dabei zur Anwendung kommen (Themen, diskursive Strategien, sprachliche Mittel usw.), können innerhalb und zwischen den Positionen miteinander kombiniert werden, sodass zwischen den Positionen flexibel gewechselt werden kann. Oberflächlich betrachtet erscheint der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ dadurch oftmals heterogen, beliebig und in sich widersprüchlich (vgl. Jung 1995: 275 ff., der in Bezug auf die Fremdwortdebatte in Deutschland von einer neuen Unübersichtlichkeit im sprachenpolitischen Diskurs spricht und in diesem Zusammenhang eine Auflösung der Rechts-Links-Polarisierung feststellt). Bei näherer Betrachtung sind jedoch diskursive Prinzipien und Regelmäßigkeiten zu erkennen, die eine eigene ›Logik‹ bilden, die die DiskursteilnehmerInnen befolgen, aber auch weiterentwickeln.

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Tabelle 32: Prädikationsmuster ›Sprachigkeit‹ ›Sprachigkeit‹ Position A Positive Mehrsprachigkeit Evaluation Sprachenvielfalt interkultureller Dialog

Negative Evaluation

Position B Einsprachigkeit sprachliche Einheitlichkeit Kohärenz durch gemeinsame Sprache kulturelles Erbe Schutz der eigenen Sprache Bereicherung Vertrautes, Nähe, Stolz, positive Gefühle Chancen Identität jung, modern, global bewährt, traditionell, regional zusätzliche Kompetenzen ausreichende Kompetenzen Vorteil, Segen Vorteil, Segen Einsprachigkeit Fremdsprachigkeit Nationalismus Sprachengewirr (»Babylon«) Rechtspopulismus Spaltpilz irrationale Gefühle Parallelkulturen eingeschränkte Sichtweise, verpasste Herausforderungen Chancen Bildungsferne, Kompetenzdefizite Probleme, Kompetenzdefizite Nachteil, Fluch Nachteil, Fluch

Diese ›Logik‹ herauszuarbeiten und die damit verbunden diskursiven Positionen zu entflechten, war das Ziel dieser Arbeit. Empfehlungen für eine künftige Sprachenpolitik der EU oder Österreichs würden, so sinnvoll sie auch sein mögen, unweigerlich der gleichen Logik verhaftet bleiben. Wer an dieser Stelle dennoch sprachenpolitische Leit- und Richtlinien aus linguistischer Sicht erwartet hat, wird möglicherweise enttäuscht sein, jedoch in der zitierten Literatur vielfach fündig werden. Im Vordergrund dieser Arbeit stand die Absicht, auf Distanz zu jenen beiden Positionen zu gehen, die den Diskurs über ›Sprachigkeit‹ konstituieren, um deren gemeinsame Basis identifizieren und kritischdiskursanalytisch beleuchten zu können. Denn die Kenntnis dieser gemeinsamen diskursiven Basis stellt m. E. die Voraussetzung dar, um nachhaltige Veränderungen und Innovationen im sprachenpolitischen Diskurs herbeizuführen. Forschungsdesiderate lassen sich in diesem Zusammenhang mannigfach formulieren: So wäre es etwa sinnvoll, den schlaglichtartig skizzierten akademischen und supranationalen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ auf mikrotextueller Ebene genauer zu analysieren, um ein vollständigeres Bild über die intertextuellen und interdiskursiven Zusammenhänge zu erhalten. Das Printmedienkorpus, das auf Texte über sprachenpolitische EU-Ereignisse beschränkt war, müsste ebenfalls auf Themen außerhalb des EU-Spektrums erweitert werden, um einen tieferen Einblick in den österreichischen Diskurs über ›Sprachigkeit‹ in der öffentlichen Sphäre zu gewinnen. Weitgehend ausgeklammert wurde zudem die rasant an Bedeutung gewinnende Online-Diskurswelt: So könnten

Resümee

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etwa diverse Internet-Foren (z. B. im Rahmen von Bürgerbeteiligungsverfahren) und Leserkommentar-Postings (z. B. auf Online-Zeitungsportalen) untersucht werden, um nähere Aufschlüsse über die halb-private bzw. halb-öffentliche Sphäre des Diskurses über ›Sprachigkeit‹ zu erhalten. Wünschenswert wären auch historische und internationale Vergleichsstudien, z. B. mit den neuen EUMitgliedsstaaten, assoziierten Ländern oder Nicht-EU-Staaten sowie in Hinblick auf sprachenpolitische Ereignisse vor dem Millennium. In theoretisch-methodologischer Hinsicht könnte es sich für kritisch-diskursanalytische bzw. diskurslinguistische Studien auch jenseits der Sprachenpolitikforschung als fruchtbar erweisen, die Analyse von Kontrastierungsstrategien, Prädikationsmustern und diskursiven Positionen zu systematisieren und theoretisch fundiert weiterzuentwickeln. Betrachtet man die historische Entwicklung der Metasprachdiskurse, so mag ein plötzlicher Ausbruch aus der geschilderten diskursiven ›Logik‹ in naher Zukunft unwahrscheinlich erscheinen. Schrittweise Veränderungen wie die Verlagerung vom sprachpolitischen zum sprachenpolitischen Fokus im Diskurs über Sprache zeichneten sich jedoch bereits in der jüngsten Vergangenheit ab (vgl. Jung 1995: 279). Dass nun nicht mehr so sehr eine einzelne Sprache und deren inneres Sprachsystem im Vordergrund öffentlicher Debatten stehen, sondern die Funktionen und Beziehungen von mehreren Sprachen, kann Anlass zu Optimismus sein. Ob und wie sich die diskursive Konstruktion von Sprache im Allgemeinen und der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ im Besonderen weiterentwickeln, bleibt abzuwarten. Fest steht jedenfalls, dass Sprache und ihre lingualistische Konstruktion auch in Zukunft Diskurs und Gesellschaft prägen und damit Gegenstand soziolinguistischer Untersuchungen bleiben werden.

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Anhang

A.

Abstract in deutscher Sprache

›Mehrsprachigkeit‹ ist zu einem der zentralen Schlagwörter innerhalb eines Diskurses avanciert, der seit mehreren Jahren nicht nur in der akademischen, sondern auch in der öffentlichen und privaten Sphäre zunehmend Verbreitung findet. Sprachenpolitische Bemühungen zur Förderung von Mehrsprachigkeit haben seit dem Millennium vor allem auf der supranationalen europäischen Ebene zugenommen. So trat z. B. im Jahr 2007 erstmals ein EU-Kommissar mit separatem Portfolio für Mehrsprachigkeit sein Amt an und sowohl 2005 als auch 2008 beschloss die Kommission eine offizielle Mehrsprachigkeitsstrategie. Obwohl die sprachenpolitischen Kommunikationsanstrengungen der Europäischen Union auf die nationale Ebene abzielen, scheinen die Mitgliedsstaaten in ihrer Sprachenpolitik oftmals andere Prinzipien zu verfolgen als die EU. In einer kritisch-diskursanalytischen Fallstudie wird daher untersucht, wie und in welchem Ausmaß der sprachenpolitische Diskurs der EU auf der nationalen österreichischen Ebene rezipiert wird. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wie Sprache im Sinn von ›Sprachigkeit‹ in der Politik, den Medien und der Bevölkerung Österreichs diskursiv konstruiert wird. Hierzu werden Interviews mit Politikern, Printmedienartikel sowie Gruppendiskussionen mit BürgerInnen nach dem diskurshistorischen Ansatz (DHA) analysiert, wobei das Hauptaugenmerk auf sprachbezogenen Nominations-, Prädikations- und Argumentationsstrategien liegt. Der Kunstterminus ›Sprachigkeit‹ wird in der vorliegenden Arbeit als Sammelbegriff für sämtliche Formen von Sprachfähigkeit, -verwendung, -verbreitung und -verfügbarkeit eingeführt. Neben dem Thema ›Sprachigkeit‹ ist für den sprachenpolitischen Diskurs dessen ideologische Fundierung im ›Lingualismus‹ bestimmend – einem Konzept, das im theoretischen Teil dieser Arbeit entwickelt wird. Der ideologische Kern des Lingualismus besteht demnach in der Überzeugung, dass bestimmte politische Probleme durch die Thematisierung und Beeinflussung von Sprache (im Sinn von ›Sprachigkeit‹) zu lösen sind.

388

Anhang

Die Ergebnisse zeigen, dass der Diskurs über ›Sprachigkeit‹ durch zahlreiche Widersprüche geprägt wird, die auf Bruchlinien zwischen verschiedensten Ebenen zurückführbar sind: nicht nur zwischen der supranationalen und der nationalen Sprachenpolitik, sondern auch zwischen öffentlicher und privater Diskurssphäre sowie zwischen Rhetorik und tatsächlicher Umsetzung. Im sprachenpolitischen Diskurs Österreichs spielt ›Deutschsprachigkeit‹ eine größere Rolle als ›Mehrsprachigkeit‹, wie etwa die Analyse der politischen Werbung oder institutioneller Regelungen wie die Verankerung von Deutschgeboten an Schulen und im Fremdenrecht zeigt. In den österreichischen Printmedien wird kaum über sprachenpolitische EU-Ereignisse berichtet: Die meisten Artikel zu diesem Thema stammen aus ›Qualitätszeitungen‹, werden allerdings kaum in meinungsbetonten Genres (z. B. in Kommentaren oder Leitartikeln), sondern vorwiegend in fakten- und informationsbetonten (Kurz-) Berichten realisiert. Auch in den Politikerinterviews und Gruppendiskussionen wird der EU-Diskurs über ›Mehrsprachigkeit‹ in vielerlei Hinsicht als eine Angelegenheit der ›Elite‹ wahrgenommen. Die diskursiven Brüche wirken sich letztendlich nicht nur auf den Diskurs selbst aus, sondern schlagen sich in sprachenpolitischer Hinsicht auch auf gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse nieder (z. B. in Form von Fremdsprachenverwendungsverboten, einem geringen Fremdsprachenangebot im Pflichtschulbereich oder Diskriminierungen Drittstaatsangehöriger aufgrund von Sprache).

B.

Abstract in englischer Sprache

›Multilingualism‹ has become one of the pivotal catchwords in a discourse which for several years has been spreading not only in the field of academics, but also in the public and private sphere. Efforts to promote European ›multilingualism‹ through language political action exist particularly on the supranational level, where they have gained in importance since the millennium: in 2007, for example, a European Commissioner with a separate portfolio on multilingualism took office and in 2005 and 2008 two strategies on multilingualism were officially adopted by the European Commission. While the European Union’s language political communication efforts are aimed at the national level, the member states often seem to follow language political principles that differ significantly from those of the EU. With this perspective in mind and focussing on an Austrian case study, the present thesis investigates how and to what degree the European Union’s discursively conducted multilingualism policy is perceived at the Austrian national level. Furthermore, it pursues the questions of how language (in the sense of ›languageness‹) is constructed discursively in politics, the media and among

Abstract in französischer Sprache

389

citizens in Austria. For this purpose, interviews with politicians, print media articles and focus group discussions are analysed following the discourse-historical approach (DHA) with a focus on language-related nomination, predication and argumentation strategies. The notion of ›languageness‹ (›Sprachigkeit‹) is introduced as an umbrella term for all forms of proficiency, usage, spread and availability of language(s). The language political discourse is constituted by both the topic of languageness and the ideological principle of ›lingualism‹ – a concept which is developed in the theoretical part of the thesis. The ideological core of lingualism lies in the belief that specific political problems are to be solved by publicly addressing and influencing language (in the sense of languageness). As the results show, the discourse on ›languageness‹ is characterised by numerous contradictions that can be traced to discursive ruptures between multiple levels, not only between supranational and national language politics, but also between the public and the private sphere and between rhetorics and actual implementations. In the Austrian language political discourse, for example, German language skills (›Deutsch-Sprachigkeit‹) play a fundamentally more important role than multilingualism (›Mehr-Sprachigkeit‹). This is reflected, inter alia, in political advertisement on the topic of language skills and in institutional practices aimed at compelling specific groups to learn or use a particular national language in certain contexts (e. g. in school outside of lessons or regarding permanent residence requirements). Of the very few news reports about language political events on the EU level that are published in the Austrian print media, most articles are published by the quality press. Furthermore, information-oriented news genres (press reports, newslets etc.) dominate the press coverage, whereas opinion-oriented genres (commentaries, editorials etc.) are rare. In a similar vein, the EU discourse on ›multilingualism‹ is perceived, to a large extent, as a topic exclusive to ›elites‹ by both the interviewed politicians and the focus groups participants. The discursive ruptures effect not only the discourse itself, but also social structures and power relations (e. g. in the form of bans on foreign language use, the lack of second foreign language courses in compulsory schools or discrimination of third-country nationals on the grounds of language).

C.

Abstract in französischer Sprache

«Multilinguisme» est devenu un des principaux mots cl¦s au sein d’un discours qui depuis plusieurs ann¦es se r¦pand non seulement dans les sphÀres acad¦miques, mais aussi dans les sphÀres publiques et priv¦es. Depuis le millenium, les efforts de politique linguistique pour d¦velopper le multilinguisme se sont

390

Anhang

accrus, en particulier au niveau europ¦en supranational. Ainsi, un commissaire de l’UE a, pour la premiÀre fois, d¦but¦ son mandat avec un portefeuille s¦par¦ pour le multilinguisme, et tant en 2005 qu’en 2008, la commission a adopt¦ une strat¦gie officielle pour le multilinguisme. Malgr¦ le fait que les efforts de communication en linguistique politique visent une dimension nationale, la politique linguistique des ¦tats membres semble souvent suivre d’autres principes que ceux de l’EU. Cette ¦tude de cas men¦e d’aprÀs l’analyse critique du discours ¦tudie, au niveau national autrichien, la maniÀre dont est reÅu le discours de politique linguistique de l’UE, et dans quelle mesure. Dans ce but, l’analyse se concentre sur des interviews avec des politiciens, des articles de presse, ainsi que des discussions de groupes men¦es d’aprÀs l’approche historique du discours («diskurshistorischer Ansatz», DHA). L’accent est mis sur des strat¦gies de nomination, de pr¦dication et d’argumentation. Le terme «languit¦» («Sprachigkeit») est introduit dans ce travail en tant qu’hyperonyme pour toutes les formes de capacit¦ linguistique, d’utilisation et de diffusion. A cút¦ de ce thÀme de «languit¦», celui de «linguisme» («Linguismus») est d¦terminant pour le discours de politique linguistique et ses fondements id¦ologiques – un concept qui est d¦velopp¦ dans la partie th¦orique de ce travail. Le noyau id¦ologique du linguisme repose cependant dans la conviction que certains problÀmes peuvent Þtre r¦solus en th¦matisant et en influenÅant la langue (au sens de «languit¦»). Les r¦sultats montrent que le discours sur le «languit¦» est marqu¦ par de nombreuses contradictions qui trouvent leur origine dans la rupture entre les diff¦rentes dimensions: non seulement entre la politique linguistique supranationale et nationale, mais aussi entre la sphÀre publique et priv¦e, tout comme entre la rh¦torique et la mise en œuvre pratique. Dans la politique linguistique autrichienne, la germanophonie («Deutsch-Sprachigkeit») joue un plus grand rúle que le multilinguisme («Mehr-Sprachigkeit»), comme le montrent les analyses de campagnes ¦lectorales ou de rÀglements institutionnels comme l’ancrage de l’imp¦ratif de parler et d’apprendre l’allemand dans les ¦coles ainsi que dans le droit des ¦trangers. Dans les m¦dias imprim¦s autrichiens, il est — peine question des r¦sultats de l’UE dans le domaine de la linguistique politique: la plupart des articles portant sur ce thÀme viennent de «journaux de qualit¦» et n’ont — vrai dire pas ¦t¦ r¦alis¦s dans des textes d’opinion (commentaires, ¦ditoriaux, etc.) mais principalement dans de cours textes informatifs rapportant des faits. De mÞme, dans les interviews de politiciens et les groupes de discussion le discours de l’UE sur le multilinguisme est perÅu, — bien des ¦gards, comme l’affaire de l’¦lite. Les clivages discursifs n’ont finalement pas uniquement de r¦percussions sur le discours lui-mÞme, mais aussi, au plan de la linguistique politique, sur les structures sociales et les rapports de pouvoir (par exemple sous la forme d’interdictions d’utiliser des langues ¦trangÀres, de discriminations des

Leitfäden

391

ressortissants de pays tiers en raison de la langue ou d’une offre plus limit¦e en langue ¦trangÀre pendant la scolarit¦ obligatoire).

D.

Leitfäden

D.1.

Interviewleitfaden (Politikerinterviews)

0.

Politisches Arbeitsfeld

- Was genau ist Ihr Tätigkeitsbereich? Inwiefern würden Sie sich selbst (nicht) als sprachenpolitischen Akteur bezeichnen? 1.

Der Begriff »Mehrsprachigkeit« und EU-Sprachenpolitik

- Was verbinden bzw. assoziieren Sie ad hoc mit dem Begriff »Mehrsprachigkeit«? - Die EU verfügt seit 2007 über einen eigenen EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit. Diesen Posten hat noch bis Ende 2009 der Rumäne Leonard Orban inne. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Hat die EU nur ein neues Ressort für Rumänien gebraucht oder ist die Mehrsprachigkeitspolitik tatsächlich so essentiell für die EU, dass man ein eigenes Ressort für Mehrsprachigkeit benötigt? - Hat sich seit der Ernennung von EU-Kommissar Orban 2007 etwas wesentlich geändert bzw. wird es Ihrer Ansicht nach Auswirkungen auf die Sprachenpolitik der EU und Österreichs haben, wenn es ab 2010 keinen eigenen EUKommissar für Mehrsprachigkeit mehr geben wird? Inwiefern (nicht)? - Beschreiben Sie bitte Ihre Assoziationen zu den folgenden Ausschnitten aus der »Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit« der EU: Zitat 1 Es ist diese Vielfalt, die die Europäische Union zu dem macht, was sie ist: kein ›Schmelztiegel‹, in dem Unterschiede verschmolzen werden, sondern ein Miteinander vielfältiger Unterschiede. Ein Miteinander, das unsere zahlreichen Muttersprachen als Reichtum begreift und als Weg zu mehr Solidarität und gegenseitigem Verständnis (COM(2005) 596 final, siehe: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=COM:2005:0596:FIN:DE:HTML).

– Inwiefern stimmen Sie dieser Aussage (nicht) zu und wie bewerten Sie ihre Bedeutung? - Wieso wird der »Schmelztiegel« erwähnt? Warum glauben Sie, wird das Konzept des Schmelztiegels in diesem Kontext negativ erwähnt?

392

Anhang

Zitat 2 Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität (COM 2005 596, siehe oben).

– Inwiefern stimmen Sie dieser Aussage (nicht) zu und wie bewerten Sie ihre Bedeutung? - Welche Konsequenzen hat das Zutreffen bzw. Nicht-Zutreffen dieser Aussage für die nationale Sprachenpolitik bzw. die konkrete Gesetzgebung in Österreich?

2.

Das Verhältnis zwischen supranationaler EU-Sprachenpolitik und nationaler österreichischer Sprachenpolitik

- In welchen Bereichen werden in Österreich sprachenpolitische Maßnahmen gesetzt, um die auf EU-Ebene formulierten ambitionierten Ziele zu erreichen? - Laut einer Studie des Österreichischen Sprachenkompetenzzentrums (Schuljahr 2004/2005) erhalten ca. 90 % aller österreichischen SchülerInnen auf der Sekundarstufe I nur in einer einzigen lebenden Fremdsprache Unterricht, nämlich in Englisch (siehe http://www.oesz.at/download/pu blikationen/Schulischer_FSU_in_OE_2007.pdf, S. 3). Die EU gibt hingegen seit 2002 als »Barcelona-Ziel« aus, dass alle EU-BürgerInnen neben ihrer Muttersprache weitere zwei Fremdsprachen erlernen sollen. Wie interpretieren Sie diese Diskrepanz – ist sie auf Unterschiede zwischen EU- und nationaler Sprachenpolitik zurückzuführen? Genügt das Ziel der Zweisprachigkeit (Deutsch + Englisch) im Pflichtschulbereich? - Wie sind auf dem Hintergrund der ambitionierten sprachenpolitischen Ziele der EU die folgenden österreichischen Fälle einzuschätzen: – Ortstafelstreit und Kampagne »Kärnten wird einsprachig!« – Empfehlung der Direktion einer Linzer Schule an ihre SchülerInnen, in der Pause keine Fremdsprachen, sondern nur Deutsch zu sprechen (siehe http:// ooe.orf.at/stories/32278) – Wahlkampfkampagnen mit Slogans wie »Deutsch statt nix versteh’n« (FPÖ) oder »Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung« (ÖVP) aus dem letzten Nationalratswahlkampf - Der Leitspruch der EU lautet »Einheit in Vielfalt«, was sich auch im Bekenntnis der EU zur sprachlichen Vielfalt Europas und der EU-Sprachenpolitik niederschlägt. Es wird oft argumentiert, dass eine einheitliche europäische Sprache der europäischen Integration mehr nützen würde als die europäische Sprachenviefalt – was halten Sie von dieser Behauptung? - Ebenfalls oft zu hören ist, dass die europäische Sprachenvielfalt zu viel Geld kosten würde. Stellen die Übersetzungs- und Dolmetschdienste Ihrer Mei-

Leitfäden

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-

393

nung nach eine Geldverschwendung oder eine Trumpfkarte dar? Macht dieses Modell nur für die supranationale Ebene Sinn oder könnten sich Österreich von diesem Modell etwas abschauen? Zwar können die EU-Bürger theoretisch in allen offiziellen EU-Sprachen mit den EU-Institutionen kommunizieren, innerhalb der EU (v. a. der Kommission) bedient man sich aber hauptsächlich der Arbeitssprachen Französisch, Englisch und Deutsch, wobei Deutsch eine immer geringere Rolle spielt: 72 % aller EU-Dokumente werden ursprünglich in englischer, 12 % in französischer und nur drei Prozent in deutscher Sprache entworfen (Quelle: http:// www.euractiv.com/de/kultur/eu-ubersetzungspolitik-bleibt-bedeutung/ar ticle-170521). Sollte auf dem Hintergrund der genannten Zahlen Ihrer Meinung nach die Rolle des Deutschen als Arbeitssprache in der Kommission wieder aufgewertet werden und warum (nicht)? Sollte man im Sinne der europäischen Sprachenvielfalt auf mehr als drei Arbeitssprachen setzen, oder sollte man sich gleich nur auf Englisch als Arbeitssprache beschränken? Neue Minderheiten: Die EU führt in einem neuen Strategiepapier der Kommission mit dem Titel »Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung« (COM(2008) 566) erstmals auch die Gruppe der Neuzuwanderinnen an, deren mitgebrachte Herkunfts- und Familiensprachen im Gastland eine Chance darstellen sollen (siehe http://ec.europa.eu/ education/languages/pdf/com/2008_0566_de.pdf, S. 5 – 7). Die österreichische Sprachenpolitik setzt im Bereich der Zuwanderungspolitik hingegen eher auf die Förderung der Staatsprache Deutsch, v. a. bei MigrantInnen aus nicht EU-Ländern (verpflichtende Deutschkurse im Gastland oder sogar schon im Heimatland, restriktive Maßnahmen wie Abschiebung bei Nichterfüllung etc.). Sehen Sie hier eine Diskrepanz zwischen EU-Sprachenpolitik und österreichischer Sprachenpolitik? Während Österreich aufgrund der Überalterung seiner Bevölkerung und des Geburtenrückganges stark auf Neuzuwanderung angewiesen ist, wird von Seiten österreichischer Politik Zuwanderung restriktiv gehandhabt bzw. sogar tw. geleugnet. Der Schriftsteller und Entwickler der Anti-Baby-Pille, Carl Djerassi, hat dazu am 13.12.08 im Standard ein Statement und einen Vorschlag abgegeben, um deren Einschätzung ich Sie bitten würde: Da Einwanderung zumindest ein Teil der Lösung sein muss, würde ich vorschlagen, zu einer aktiven Politik zu wechseln, also zu versuchen, Menschen nach Österreich zu bringen, die sich nicht nur assimilieren, sondern ökonomisch und gesellschaftlich zur Entwicklung des Landes beitragen können. […] Deutsch aber erst nach der Einwanderung zu lernen ist ein Riesenhemmnis. Wie wäre

394

Anhang

es, eine österreichische Organisation, ähnlich dem deutschen Goethe-Institut, in einigen der wichtigsten Universitätsstädte dieser Länder (z. B. Hyderabad, Bangalore, Ibadan, Ile-Ife, S¼o Paulo und insbesondere Rio Grande do Sul, wo es viele Deutsche gibt) einzurichten, mit einem Schwerpunkt auf intensivem Sprachunterricht. (Djerassi 2008)

3.

Abschließend:

- Haben Sie eine Vision, Mehrsprachigkeit betreffend, und können Sie in ihrem Arbeitsfeld etwas zur Umsetzung dieser Ziele beitragen? D.2.

Gruppendiskussionsleitfaden (UNI-Gruppe)

Eröffnungsfrage 1: Könnt ihr euch bitte zunächst vorstellen, mit eurem Namen und eurer Studienrichtung, und gleich dazu sagen, was euch heute zur Teilnahme bewogen hat bzw. was euch am Thema Mehrsprachigkeit interessiert? – Frage 1a: Bezeichnet ihr euch selbst als mehrsprachig (warum / nicht, in welchen Sprachen)? – Frage 1b: Was fällt euch spontan zum Stichwort Mehrsprachigkeit ein, was assoziiert ihr mit Mehrsprachigkeit (nur die Sprachen, die ihr selbst beherrscht, oder etwas anderes)? - Frage 1c: Ist Mehrsprachigkeit eurer Meinung nach generell eher die Norm oder die Ausnahme?

10’

Frage 2: Vor der nächsten Frage möchte ich euch gerne ein Statement präsentieren: »Sprache ist der unmittelbarste Ausdruck von Kultur. Sie macht uns zu Menschen und ist Teil unserer Identität.« (COM 2005 596, 1.1). Von wem, glaub ihr, könnte dieses Statement stammen, und was haltet ihr von diesem Zitat? - Frage 2a: Gibt es eine oder mehrere Sprachen, die für eure Identität besonders wichtig sind (das können die anfangs erwähnten Sprachen sein, aber auch sprachliche Varietäten wie Dialekte, Sprachvarianten usw.)? Welche?

Leitfäden

395

- Frage 2b: Das österreichische Deutsch wurde beim EU-Beitritt Österreichs im Protokoll Nr. 10 verankert (Folie). Diese Ausdrücke haben laut diesem Protokoll »den gleichen Status und dürfen mit der gleichen Rechtswirkung verwendet werden« wie die bundesdeutschen Ausdrücke, und in EURechtsakten müssen diese spezifisch österreichischen Ausdrücke den bundesdeutschen Ausdrücken hinzugefügt werden (de facto durch Schrägstrich). Meine Frage: Habt ihr das gewusst und was haltet ihr von dieser Verankerung (vielleicht können zunächst die Nicht-Sprachwissenschaftler etwas dazu sagen)?

20 – 30’

Frage 3: Noch ein Statement: »Ausländer, die keine Landessprache sprechen, sollten ihr Aufenthaltsrecht verlieren.« Von wem, glaubt ihr, könnte diese Aussage stammen, und wie bewertet ihr sie? - Frage 3a: Drittstaatsangehörige (d. h. Nicht-EU-BürgerInnen), die in Österreich leben, müssen im Rahmen der so genannten »Integrationsvereinbarung« bereits verpflichtend Deutschkurse besuchen bzw. Prüfungen ablegen. Was haltet ihr von dieser Regelung? - Frage 3b: Was sagt ihr zu diesen beiden Wahlkampfinseraten aus dem letzten Nationalratswahlkampf (»Deutsch statt nix versteh’n« und »Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung«)?

20 – 30’

Frage 4: Jetzt zur supranationalen Ebene: Ich habe ja bereits erwähnt, dass es seit 2007 einen eigenen EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit gibt. Wiederum meine Frage: Habt ihr das schon vorher gewusst, und wie wichtig ist es eurer Meinung nach, dass es diesen EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit gibt? 10’

396

Anhang

Frage 5: Vor der nächsten Frage möchte ich euch gerne ein Zitat präsentieren. Dieses Zitat stammt aus einem EU-Strategiepapier zur Mehrsprachigkeit (2005). Zitat: Es ist die Vielfalt, die die Europäische Union zu dem macht, was sie ist: kein »Schmelztiegel«, in dem Unterschiede verschmolzen werden, sondern ein Miteinander vielfältiger Unterschiede. Ein Miteinander, das unsere zahlreichen Muttersprachen als Reichtum begreift und als Weg zu mehr Solidarität und gegenseitigem Verständnis. (COM(2005) 596: 2) Was haltet ihr von diesem Textauszug? – Frage 5a: Die EU hat mittlerweile 23 Amtssprachen und betont immer wieder ihr Konzept der europäischen Sprachenvielfalt. Inwiefern, glaubt ihr, sind diese vielen Amtssprachen ein Vor- oder ein Nachteil? – Frage 5b: Wie wichtig ist euch, dass ihr mit EU-Institutionen in eurer Muttersprache kommunizieren könnt? - Frage 5c: Es wird oft argumentiert, dass eine einheitliche europäische Sprache bzw. eine Lingua Franca wie Englisch, Latein oder Esperanto die europäische Integration viel besser vorantreiben könnte als die europäische Sprachenvielfalt. Wie seht ihr das? - Frage 5d: Ebenfalls oft zu hören ist das Kostenargument: Die Übersetzungsund Dolmetschdienste der EU würden zu viel Geld verschlingen? Was ist eure Meinung dazu?

20’

17:30 od. 17:50

Frage 6: Ich möchte jetzt von der EU-Ebene wieder auf die österreichische Ebene zurückkommen und euch um einen Vergleich dieser beiden Ebenen bezüglich Sprachenpolitik und Mehrsprachigkeitspolitik bitten. Nehmt ihr als ÖsterreicherInnen auch so etwas wie eine nationale Sprachenpolitik in Österreich wahr? Inwiefern gibt es also eurer Wahrnehmung nach eine österreichische Sprachenpolitik und in welchen Bereichen nehmt ihr solche nationalen sprachenpolitischen Maßnahmen wahr (oder auch nicht) (vielleicht wieder zuerst die Nicht-Sprachwissenschaftler)? 5 – 10’

17:40 od. 18:00

Frage 7: Ich würde abschließend gerne zur Anwendung von Mehrsprachigkeitspolitik kommen und ein konkretes Beispiel eines Gerichtsfalls diskutieren.

Fragebogenresultate (Gruppendiskussionen)

397

Bitte lest dafür diesen kurzen Text durch und überlegt euch, ob ihr diesen Gerichtsentscheid (siehe Handout) gerecht und nachvollziehbar findet. Wie beurteilt ihr ihn? Die Niederländerin Anita Groener bewirbt sich um eine Vollzeitstelle als Dozentin an einem College für berufliche Bildung in Dublin (Irland), in welcher Englisch als Unterrichtssprache gilt. Einstellungsvoraussetzung ist sowohl für irische als auch für sonstige Staatsangehörige der Besitz eines Irischzeugnisses bzw. die Ablegung einer mündlichen Sonderprüfung in Irisch. Frau Groener fällt bei der Irischprüfung durch. Eine Befreiung vom Nachweis der Irischkenntnisse wird ihr nicht gewährt. Anita Groener ist mit ihrer Bewerbung also nicht erfolgreich, weil sie nicht genügend Kenntnisse in der ersten offiziellen Landessprache (Irisch) aufweist. Groener wird nicht von der Bildungsinstitution zurückgewiesen, sondern von dem zuständigen Bildungsministerium abgelehnt. Groener fühlt sich diskriminiert und klagt die Bildungsinstitution beim Europäischen Gerichtshof an. Der Europäische Gerichtshof entscheidet jedoch, dass ein Staat berechtigt ist, Kenntnisse der offiziellen Landessprache zu verlangen, weil die betreffende Stelle eine öffentliche ist, auch wenn Irisch für die Stelle nicht direkt notwendig ist. Frage 7a: Fallen euch ähnliche Situationen ein, in denen es Bedingung ist mehrsprachig in BESTIMMTEN Sprachen mehrsprachig zu sein? Wenn ja, in welchen Sprachen? Frage 8 / Schlussfrage: Was ist euch nach dieser Diskussion jetzt letztendlich am wichtigsten in Bezug auf Mehrsprachigkeit – das kann ein bereits diskutierter oder ein neuer Aspekt sein? 15’ (Gesamtdauer: 105 – 130’)

E.

Fragebogenresultate (Gruppendiskussionen)

32

25

22

22

27

43

w

w

w

m

m

m

Studienbeginn

BWL (abgebrochen); Geschichte (fertig); Europastudien (noch nicht fertig) Sprachwissen-schaft

10

2001 BWL: 2 Semester 2003 Geschichte 2008 – 2009 Europastudien

Politikwissen-schaft SS 07

Rechtswissen-schaft SS 04

WS 04: Sozialökonomie (jetzt fast fertig); WS 06: Psychologie (2. Abschnitt) Sozial- und Kultur- Sozial- und Kulturanthroanthropolo-gie; Eu- pologie 1995 – 2002; Euroropäische Studien päische Studien seit 2008 Europäische Studi- Europäische Studien 2008 – en; Russisch Diplom 2009 2 Semester ; Russisch Diplom 2002 – 2008

m/ Alter Studium w w 23 Sozioökonomie, Psychologie

Fokusgruppe StudentInnen 04. 03. 2009

Studentin

Beruf

Ja

Nein

Ja

Ja

Rezeptionist

Praktikantin (RA) + Gerichtspraktikum Rezeptionist (16 Std. / Woche) Student

Sozialarbeit Ja; von 2003 – 2008 Fonds Soziales Wien / Migrationsberich Ja nebenberuflich bei einer kleinen NGO; ca. 10 Stunden

Ja; Studentenjobs

Berufstätig

Englisch, Persisch, (frz-passiv)

Englisch, Französisch

Englisch, Französisch

Englisch, Spanisch, Bosnisch

Englisch, Russisch, Bosnisch/ Kroatisch/Serbisch, Italienisch, Französisch

Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch

Englisch, Bosnisch/Kroatisch/ Serbisch, Russisch, Italienisch, Französisch, Spanisch

Fremdsprachenkenntnisse

398 Anhang

21

33

40

18

w

w

w

w

ja

ja

nein

nein

nein

nein

ja

ja

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

Fachschule für wirtschaftliche Berufe Bürokauffrau, AHS 8.Klasse VS; HS; HAS Mittelschule; Handelsschule

m/ Alter Berufs- Arbeits- Kinder- Bildungs- Ausbildung / w tätig los karenz karenz Schule / Lehre m 19 ja nein nein nein VS, 4 Kl. AHS, Poly, Lehre Industriekaufmann

Fokusgruppe WIFI-Kurs 15. 05. 2009

Kaufm. Angestellte – Sachbearbeiterin Bürokauffrau

Bürokauffrau

Industriekaufmann

erlernter Beruf

Vertrags-bedienstete

Vollzeit

Teilzeit

derzeit Voll-/ ausgeübter Teilzeit Beruf AuftragsVollzeit sachbearbeiter

Englisch – nicht gut Englisch

Englisch 7.–8. Klasse

Englisch (Fremdsprache); Spanisch, Italienisch, Französisch (Grundkenntnisse) Englisch gut; Italienisch wenig

Fremdsprachenkenntnisse

Fragebogenresultate (Gruppendiskussionen)

399

23

19

24

26

22

w

w

w

m

m

ja

ja

ja

ja

ja

(Fortsetzung)

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein

Volksschule, Gymnasium, 3 Jahre HTL (danach abgebrochen), Lehre zum Karosseriebautechniker

Lehre

Gymnasium; 2 Jahre HAK; 2 Jahre Lehre als Verwaltungsassistentin Industriekauffrau, Lehre

Lehre

KFZ-Mechaniker, KFZ Elektriker, Straßenerhaltungsfachmann Karosseriebautechniker

Industrie-kauffrau

Friseurin

Werkvertrag Vollzeit

Vollzeit

Straßenerhaltungsfachmann Karosseriebautechniker

Englisch (mittel)

Englisch (nicht perfekt, aber ich komm durch) etwas Englisch

Teilzeit Englisch Schulkenntnis; 30 Stunden Türkisch Bruchteilhaft Vollzeit Englisch

LKW-Fahren Call Center

Vertrags-bedienstete

Fakturistin

400 Anhang

72

62

77

68

85

w

w

m

m

ja

ja

Pensionist

Höhere Schule unterbrochen mit 14

ja

Pflichtschule, ja Berufsbildende mittlere Schule, höhere Schule; Lehrerbildungsanstalt Uni/Hochschulja studium

Höhere Schule; Uni/Hochschulstudium nicht abgeschlossen Berufsbildende mittlere Schule

Alter Ausbildung

w

m/ w

Journalist

Ingenieur beim ORF

VS-Lehrerin

nein

-

Tätigkeiten im WSZ [Wiener SeniorInnen Zentrum im WUK]

D Mutterspr. E perf. W & S F gute Kenntnisse NK perf. W& S Spanisch gute Kenntnisse keine

Englisch A2 – 3 Französisch A2 Italienisch A1 Englisch (begrenzt)

Logopädin ehrenamtlich (mehrfach) Behindertenbetreuung

Englisch

Fremdsprachenkenntnisse

ehrenamtlich Angestellte i.d. bei Senioren zwischenstaatl. Sozialversicherung

Beruf vor Pension Beruf derzeit

Fokusgruppe Wiener SeniorInnen Zentrum im WUK 14. 01. 2010

Fragebogenresultate (Gruppendiskussionen)

401

402

F.

Anhang

Protokoll Nr. 10

Quelle: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen& Gesetzesnummer=10007687 Gesamte Rechtsvorschrift für EU-Beitrittsvertrag – Akte – Protokoll Nr. 10, Fassung vom 19. 06. 2012 Langtitel VERTRAG ZWISCHEN DEM KÖNIGREICH BELGIEN, DEM KÖNIGREICH DÄNEMARK, DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, DER GRIECHISCHEN REPUBLIK, DEM KÖNIGREICH SPANIEN, DER FRANZÖSISCHEN REPUBLIK, IRLAND, DER ITALIENISCHEN REPUBLIK, DEM GROSSHERZOGTUM LUXEMBURG, DEM KÖNIGREICH DER NIEDERLANDE, DER PORTUGIESISCHEN REPUBLIK, DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH GROSSBRITANNIEN UND NORDIRLAND (MITGLIEDSTAATEN DER EUROPÄISCHEN UNION) UND DEM KÖNIGREICH NORWEGEN, DER REPUBLIK ÖSTERREICH, DER REPUBLIK FINNLAND, DEM KÖNIGREICH SCHWEDEN ÜBER DEN BEITRITT DES KÖNIGREICHS NORWEGEN, DER REPUBLIK ÖSTERREICH, DER REPUBLIK FINNLAND UND DES KÖNIGREICHS SCHWEDEN ZUR EUROPÄISCHEN UNION SAMT SCHLUSSAKTE (EU-BEITRITTSVERTRAG) PROTOKOLL NR. 10 ÜBER DIE VERWENDUNG SPEZIFISCH ÖSTERREICHISCHER AUSDRÜCKE DER DEUTSCHEN SPRACHE IM RAHMEN DER EUROPÄISCHEN UNION (NR: GP XIX RV 11 AB 25 S. 4 BR: AB 4933 S. 591) StF: BGBl. Nr. 45/1995 Änderung (Anm.: etwaige idF-Liste siehe Stammvertrag) Vertragsparteien Mitgliedstaaten siehe Stammvertrag

Protokoll Nr. 10

403

Text Im Rahmen der Europäischen Union gilt folgendes: 1. Die in der österreichischen Rechtsordnung enthaltenen und im Anhang zu diesem Protokoll aufgelisteten spezifisch österreichischen Ausdrücke der deutschen Sprache haben den gleichen Status und dürfen mit der gleichen Rechtswirkung verwendet werden wie die in Deutschland verwendeten entsprechenden Ausdrücke, die im Anhang aufgeführt sind. 2. In der deutschen Sprachfassung neuer Rechtsakte werden die im Anhang genannten spezifisch österreichischen Ausdrücke den in Deutschland verwendeten entsprechenden Ausdrücken in geeigneter Form hinzugefügt.

404

G.

Anhang

Transkriptionskonventionen (HIAT)

vereinfacht nach: Rehbein, Jochen/Schmidt, Thomas/Meyer, Bernd/Watzke, Franziska/Herkenrath, Annette (2004): Handbuch für das computergestützte Transkribieren nach HIAT. In: Arbeiten zur Mehrsprachigkeit Folge B 56, H. 56, S. 76 – 78. Online verfügbar unter http://www.exmaralda.org/files/azm_56.pdf (letzter Zugriff am: 21. 07. 2012). Zeichen . ? ! / – , : „“ % ’ () (( )) ____

Gekennzeichnete Phänomene Äußerungen mit deklarativem Modus Äußerungen mit interrogativem Modus Äußerungen mit exklamativem, adhorativem, potativem, Aufforderungs- oder Heische-Modus Schrägstrich Satz- und Wortabbrüche Reparaturen Gedankenstrich Parenthesen, nicht abschließender Teil einer gemeinsam konstruierten Äußerung, Vorsprechen Bindestrich Teilwörter auch bei Pausen innerhalb eines Wortes auch in der Spur für besondere Betonung [akz] Komma (Beistrich) Sprechhandlungsaugmente, Herausstellungen und Ausklammerungen, Nebensätze, Reihung (nicht bei Planungsindikatoren wie »äh«) Doppelpunkt Ankündigung (nicht bei Dehnung von Phonemen, die durch Verdopplung von Zeichen gekennzeichnet wird, z.B. »uund«) Anführungszeichen uneigentliches Sprechen (zwischen den Anführungszeichen) Ligaturbogen schneller Anschluss (nur am Äußerungsbeginn) Apostroph Glottalverschluss (nur bei verneinenden Interjektionen wie »’À’À« oder »’—’—«) Runde Klammer schwer verständlicher Passage (zwischen den Klammern) Doppelte runde unverständliche Passage, nicht phonologische PhänoKlammer mene, numerische Pausenangabe unterstrichene besondere Betonung (Emphase, Akzent) Passagen

Bezeichnung Punkt Fragezeichen Ausrufezeichen

Zeichen für tonale Bewegungen (für Interjektionen wie »hm« oder »ja«) Zeichen ’ ’ ˆ ˇ -

Bezeichnung Gravis Akut Zirkumflex Caron Makron

Gekennzeichnete Phänomene fallend steigend steigend-fallend fallend-steigend gleichbleibend

Transkriptionskonventionen (HIAT)

405

Pausenzeichen Zeichen Bezeichnung Einfacher Pausenpunkt Doppelter Pausenpunkt Dreifacher Pausenpunkt ((5 s)) Numerische Pausenangabe

*

Gekennzeichnete Phänomene kurzes Stocken im Redefluss

* *

geschätzte Pause bis zu einer halben Sekunde

* * *

geschätzte Pause bis zu einer dreiviertel Sekunde gemessene Pause oder geschätzte Pause ab einer dreiviertel Sekunde

Modifikationen für die Politikerinterviews - Zeilen- statt Partiturschreibweise - [] gleichzeitig geäußerte Passagen, Kommentare - betonte Silben bzw. Wörter werden unterstrichen (besondere Betonung, Emphase) Formatierung der Sprecherspuren und Sprechersiglen

406

H.

Anhang

Transkriptionen

Sämtliche Transkriptionen sowie die MAXQDA-Projektdatei samt kostenlosem Reader sind unter http://www.univie.ac.at/sprachigkeit/lingualismus.zip downloadbar.

I.

Politische Werbung (FPÖ-Magazin ›Wir Wiener‹)

Printmedien-Quellen

J.

Printmedien-Quellen

J.1.

Datenbank WISO Praxis/Presse

407

presse österreich (provided by APA-DeFacto): – Der Standard (ab 03. 01. 2000) – NEWS – Nachrichtenmagazin (A) (ab 24. 01. 2002) – Die Presse (ab 02. 01. 2002) – Oberösterreichische Nachrichten (ab 01. 01. 1993) – Falter (ab 05. 08. 1998) – Profil (ab 05. 01. 1998) – FORMAT (ab 01. 01. 1999) – Salzburger Nachrichten (ab 02. 01. 2001) – Kleine Zeitung (ab 01. 01. 2002) – Tiroler Tageszeitung (ab 03. 01. 2000) – Kurier (ab 01. 01. 2002) – Vorarlberger Nachrichten (ab 02. 01. 2002) – Neue Kärntner Tageszeitung (ab 01. 01. – Wiener Zeitung (ab 01. 01. 2000) 2004) – Neue Kronen Zeitung (APAKRON) (ab – Wirtschaftsblatt (ab 01. 01. 1996) 01. 01. 2002) – Neues Volksblatt (ab 02. 01. 1999)

J.2.

Datenbank APA DeFacto-Campus

Österreichische Tageszeitungen Der Standard Die Presse Heute Kleine Zeitung Kurier Medianet Neue Kärntner Tageszeitung Neue Kronen Zeitung Neue Vorarlberger Tageszeitung Neues Volksblatt

Oberösterreichische Nachrichten Oberösterreichs Neue Österreich Salzburger Nachrichten Salzburger Volkszeitung Tiroler Tageszeitung TT Kompakt Vorarlberger Nachrichten Wiener Zeitung Wirtschaftsblatt

Österreichische Zeitschriften a3-bau a3-boom a3-eco a3-gast a3-volt APA-Journale Arbeit & Wirtschaft Architektur & Bau Forum Augustin Auto Aktuell Bau & Immobilien Report BauZeitung Bestseller Blick ins Land

Kommunal Konsument LiVE LK-Handelszeitung Medien Manager Medium Magazin Monitor Murtaler Zeitung News Niederösterreichische Nachrichten Niederösterreichische Rundschau Oberösterreichische Rundschau Österr. Gastgewerbezeitung Profil

408 Burgenländische Volkszeitung Bus Cash Computerwelt Datum Der Grazer der Österr. Journalist Der Wirtschaftsjournalist Die Wirtschaft Echo Economy E-Media Energie Report ExtraDienst Factory FaktuM Falter FM Format Furche Geld-Magazin Gewinn Horizont (Österreich) Hotel & Touristik Industriemagazin Innovations-Report it& t business Kärntner Monat Kärntner Wirtschaft

Anhang

Raiffeisenzeitung Regal Reise aktuell Report Plus Saison Salzburger Woche Solidarität Sportzeitung Steirer Monat Telekommunikationsreport Tourist Austria International Trend TV-Media Umweltschutz Verkehr Werben & Verkaufen Wiener Wienerin WOCHE Bildpost WOCHE Ennstal WOCHE Graz und Umgebung WOCHE Hartberger Bezirkszeitung WOCHE Kärnten WOCHE Obersteiermark WOCHE Südweststeiermark WOCHE Weiz Woman

Sachregister

Abduktion 71, 73, 98 Abgrenzung 20, 70, 116, 146, 171, 186, 197, 199, 209, 214, 219, 242, 248, 311, 327, 352, 361 Ad-hoc-Bildung 89, 335 Adoptivsprache 122 f., 258, 264, 283 f. Agenturmeldungen 255 f., 283 Aktionsplan 2004 – 2006 , 19, 112 – 115, 130, 140, 239, 244 f., 249, 254 f., 257, 274, 280, 282 Alterstopos 85, 184, 336, 344 f. Ambiguität 65, 76, 157, 260, 274, 288, 309 f., 350, 360 Analogietopos 83, 281 Anderssprachigkeit 88, 91, 156, 169 Anglizismen 27 f., 34, 52, 54 f., 90 f., 140, 224, 356 Anpassungstopos 223, 226, 336 Topos der gesellschaftlichen Anpassung 223, 226, 336, 340 Topos der sprachlichen Anpassung 223, 226 Anti-Mirandum 93, 313, 318, 320 f. APA DeFacto-Campus 66, 99, 244 f., 407 Arbeitsmarkt 16, 117, 120, 163, 234, 302, 304, 319, 340 f. Arbeitsplatz 120, 158, 190, 201, 249, 280, 287 Argumentationsmuster 82 f., 222, 241, 357 Argumentationsstrategie 13 f., 33, 81, 87 – 89, 101, 222 – 226, 276, 283, 335 f., 339 f., 352

argumentationstheoretisch 42, 81, 88 Argumentationstypologie 13, 82 Assimilation 88, 185, 188, 192, 210, 241, 299, 306, 311 f., 319 – 321 Autoritätstopos 83, 86, 313, 337 Babylonischer Turm 15 f., 91 f., 170, 261, 266 f., 284, 362 Barcelona-Ziel 114, 117, 120 f., 146 f., 153, 175, 244, 257, 273, 296 – 298, 300, 305 f., 322, 324 f., 329, 335, 351, 359, 392 bildungsfern 190, 203, 214, 220, 323, 362 Boulevardzeitung 152, 179, 248 Bringschuldtopos 163, 176, 352 Bundesdeutsches Deutsch 78, 188, 200, 206, 217, 222, 242, 274, 308 Bundesverfassungsgesetz 39, 140 Burgenland 138, 140, 142, 184, 198, 202, 208, 240, 301, 323, 334 Bürgerferne 211, 239 BZÖ 64 – 66, 168, 176, 189, 203 f., 288, 298, 361 CDA, siehe Kritische Diskursanalyse CLIL 115, 117, 244, 351 Code 22, 25, 97 – 101, 200 f., 245, 263, 311 Makrocode 184 f., 188 f., 192, 198 – 200, 223, 256 – 260, 264, 305 – 308, 336 Subcode 184 f., 188 f., 192, 198 – 200, 223, 257 – 260, 306 – 308, 336 Code-Switching 91 Codesystem 13 f., 95, 97 – 99, 200, 207, 223, 259, 307, 311, 335 f.

410 codieren 95, 97 – 99, 222, 245, 256, 321 Commonsense 22, 29, 33, 55, 169, 173, 224, 226, 357 Datenbankrecherche , 13, 63, 94, 247 f., 254, 276 Datenmaterial 13, 44, 49, 62 – 64, 66, 95, 97, 99 f., 136 f. Datentyp 13, 17, 66 f., 69 f., 203, 309 de Cillia, Rudolf 34 f., 39, 48, 58, 71, 75 f., 80, 84, 179, 186 f., 206, 230, 330, 359 ,de facto‘-Sprachenpolitik 16, 39, 123 Definitionstopos 82, 209, 323 Delors, Jacques 125 Delors-Kommuniqu¦ 125 Demokratiedefizit der EU 61 f., 105, 119 deskriptiv 46, 48 f., 83, 132, 332, 357 Deutsch als Schulsprache 79, 149, 299, 332, 339 Deutschkurs 20, 159, 162 f., 166 f., 190, 210, 212 f., 229, 298 f., 303 f., 310, 392 f., 395 Deutschlerngebot 16, 57, 167, 357 Deutschsprachigkeit 53, 161, 163, 165, 174 f., 235, 331, 338, 341, 388 Deutschverwendungsgebot 16, 62, 143, 149 – 151, 170, 175 Deutungsmuster 54 f., 241 DHA, siehe diskurshistorischer Ansatz Dialogizität 67, 87 Diffamierung 53, 168, 177, 301, 310, 361 Diskriminierung 22 f., 38, 49, 56, 83, 109, 128, 150, 159, 196 f., 199, 212, 236, 305, 356, 359, 388 Diskursbegriff 24, 44 – 46, 49, 51 Diskursgemeinschaft 57 Diskursgeschichte 47 f. diskurshistorischer Ansatz 17 f., 42, 46, 48 – 50, 57 f., 70 – 73, 75 f., 81, 83, 87, 89, 96, 98 f., 179, 245, 285, 357, 387, 390 diskursive Konstruktion von Sprache 18, 22, 81, 88, 101, 172, 207 f., 222, 355 f., 361, 363 diskursive Makrostrategien 75 – 77 Diskursive Strategien 17, 23, 71 f., 75 f., 88 f., 159 f., 165 – 167, 171, 176, 181, 199,

Sachregister

238, 241, 249, 259, 283, 307, 311, 349, 352, 355, 357 f., 361 Diskursivität 40 – 42 Diskurslinguistik 18, 42, 44 – 47, 49 Diskurssemantik 46 – 49 Diskurssphäre 13, 57, 66, 69 f., 388 halb-private Sphäre 17, 63, 70 öffentliche Sphäre 17, 23, 63, 70, 355, 363 Diversität 179 f., 273, 344 Djerassi, Carl 303 f., 310, 344, 393 Dolmetsch- und Übersetzungsdienst der EU 111, 194, 254, 256, 262, 277 – 279, 294, 351 double voicing 18, 87, 162, 212, 233, 264 f., 275 f., 309, 312, 318, 330, 343, 357 Drittstaatsangehörige 16, 42, 138, 142 – 144, 173, 175, 189, 299, 322, 353, 388, 395 Ehlich, Konrad 51, 271, 278 f., 283 f. Einheitssprache 79, 195, 266, 300 Einsprachigkeit 15 f., 20, 23, 37, 53, 81, 88, 93, 101, 141, 163, 165, 168 f., 171, 173 f., 184, 204, 208, 214, 218, 235, 293, 298, 336, 351, 356, 359 – 362, 392 Einwanderungsland 161, 208 f., 241 Einzelsprache 54, 76, 77, 92, 100, 200 f., 205, 219, 221, 259, 263, 308, 310, 333 f. ELAN-Studie 117, 119 f. Elite 14, 21, 61, 88, 175, 325, 359, 388 f. Englischsprachigkeit 13, 35, 47, 81, 145, 204, 217, 323 EU-Beitritt 21, 59, 108, 139, 143 – 145, 154, 162, 186, 193, 261 f., 282, 293, 308, 395, 402 EU-externe Kommunikation 60, 129 – 131, 243 EU-Grundrechtscharta 109 EU-interne Kommunikation 60, 129 – 131, 243 EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit 20, 72, 112, 122, 132 f., 175, 181, 193, 199, 211, 239, 243 f., 249, 254 – 257, 259, 262, 269 – 273, 276, 278, 281 f., 284, 289, 293 f., 306, 309, 328, 347, 349 f., 359, 391, 395

411

Sachregister

EU-Mehrsprachigkeitspolitik 104, 112 f., 115, 193, 195, 198, 243 f., 247, 249, 255 f., 273, 276, 282 f., 290 EU-Mehrsprachigkeitsstrategie 112, 114, 118 f., 121 f., 185, 239, 245, 249, 254, 257, 282, 387 Europa der Vaterländer 308, 315 f., 326, 350, 352 Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 119, 236 europäische Identität 61, 105, 119, 301, 315 Europäische Mehrsprachigkeit 104 f., 154, 173, 284, 349, 360 Europäischer Gerichtshof 61, 106, 110, 127 f., 195 f., 202, 397 Europarat 121, 131, 202, 260, 292, 294, 352 EU-Sanktionen gegen Österreich 42, 157 EU-Sprachencharta 107 Evaluation 28, 122, 154, 215 f., 266, 325 f., 361 f. Exklusion 192, 199, 241, 295 explizite Sprachenpolitik 39 Fahnenwort 20, 53, 93, 161, 168, 172, 177, 320, 323, 349, 360 f. Fairclough, Norman 30, 41 – 43, 47, 50, 57 Faymann, Werner 162, 164 f., 272 Fekter, Maria 153, 204 Förderung von Mehrsprachigkeit 117, 121, 154, 300, 305, 387 Forschungsdesign 44, 63, 98 Foucault, Michel 45 – 48, 51, 55 FPÖ 53, 64, 66, 140, 149, 155, 157 – 161, 163 – 171, 176 f., 189 – 191, 203 f., 209, 214, 216, 232, 241, 268, 288, 291, 298 – 300, 304 f., 314 – 316, 318, 322, 326 f., 348 – 350, 361 FPÖ-Flyer 157, 160, 168 Fremdenrecht 16, 49, 57, 139, 143 f., 151, 157, 191 f., 357, 388 Fremdpräsentation 169, 176, 326, 349 Fremdsprachenunterricht 114, 146, 289, 322

Fremdsprachigkeit 53, 88, 93, 140, 156, 161, 168, 177, 184, 361 f. Fremdwörter 54, 91, 138, 216, 361 frühes Sprachenlernen 115, 148, 184, 217, 224 Gebärdensprache 39, 79, 140, 163, 186, 188, 221, 258, 295, 351 Generaldirektion Kommunikation 60, 130 f., 131, 244, 277, 293 Generaldirektion Übersetzung 111, 116, 130, 277, 293 Genre 57 – 62, 66 f., 70 – 72, 88, 106, 124, 129, 167, 246, 249, 254, 256, 260 f., 263, 276, 283, 286, 359, 388 f. Gerechtigkeitstopos 82, 236 Groener, Anita 61, 90, 127 f., 181, 195 – 197, 202, 234, 236, 243, 397 Grounded Theory 95, 97 f. Grüne 64, 66, 160 f., 168, 176 f., 189, 203 f., 215 f., 261, 263, 287 f., 291 f., 299, 310, 349, 361 Gruppe der ,Anderen‘ 159, 163, 184, 209, 214, 240, 283, 352 Gymnasium 297 f. Habermas, Jürgen 45, 48 Habsburgermonarchie 137 f., 209 f., 295, 299, 312, 316, 322 f. Haider, Jörg 141 f., 157, 310 halb-private Sphäre 21, 63, 355 Häupl, Michael 160, 204 Heterogenität 31, 34, 47, 57, 71, 87, 104, 206, 315, 318, 323, 356, 360 f. HIAT 63, 99, 181, 288, 404 Hochdeutsch 188, 206, 242, 310 Hochrangige Gruppe Mehrsprachigkeit 112 Hochrangige Intellektuellengruppe 112 f., 122 f., 254, 257, 294 Hochwertwort 30, 93, 172, 177, 320 f. Hummer, Waldemar 256, 264, 278 Hyperbel 88, 90, 271 Hypothese 16, 22 f., 97 f., 221, 358 idealistisch

194, 239, 294, 321, 324 – 326

412 Ideologie 26 f., 31 – 33, 39 f., 46, 55 f., 62, 93, 177, 181, 192, 208 ideologische Polysemie 50, 93, 177, 320, 357, 361 ideology broker 40, 44 Idiom 80, 92, 263, 267, 275 Ikonisierung 33, 169, 357 implizite Sprachenpolitik 39 Inhaltsanalyse 28, 72, 100 Inklusion 320 f. Inserat 63, 66, 155, 161 f., 164, 166, 207 integraler Multilingualismus 125 Integrationsvereinbarung 19, 60, 62, 139, 142 – 144, 173, 175, 189, 191, 212, 239, 319, 340, 346, 359, 395 Interaktion 25, 43, 69, 73, 175, 181, 220, 224, 242, 285 Interdiskursivität 17, 23, 54, 57, 62, 70 f., 106, 129, 133, 136, 238, 243, 315, 351, 357 f., 362 Internet 56, 94, 120, 124, 134 f., 258, 343, 363 Intertextualität 57, 71, 122, 133, 155, 160 f., 164, 239, 255, 265, 277, 315 f., 348, 351, 362 Irisch 90, 126 – 128, 196 f., 205, 236, 243, 262 f., 267 f., 279, 397 Islam 152, 159, 197 f., 201, 212, 219, 296, 310 Jahr der Sprachen 112, 121, 254, 257, 260 Jahr des interkulturellen Dialogs 71, 112 f., 121 f., 239, 254, 257, 294 Kärnten 16, 20, 138 – 142, 184, 198, 202, 208, 220, 240, 260, 298, 301, 308, 317, 323, 331, 334, 392, 408 kausal 81, 83, 101, 343 Kienpointner, Manfred 71, 81 – 85, 88 f., 222 Kindergarten 20, 115, 148, 159, 171, 184, 192, 206 f., 217, 224, 306, 334 Kodiskurs 71 f. Kollektiva 98, 200 f., 203, 259, 262, 267, 273 f., 307 – 309, 329, 334, 351 Kommunikationsanstrengung 94, 106,

Sachregister

119, 129, 131, 136, 172, 230, 239, 243, 282, 358, 387 Kommunikationsdefizit der EU 61, 243 Kommunikationsform 71, 246 Konditionalsatz 85 f., 101 Konklusion 81, 84 – 86 Konnotation 37, 39, 53, 81, 160, 177, 301, 309 f., 320 f., 343, 349 Konnotationskette 318 f., 351 konservativ 246, 248, 263, 304, 344 f. kontextabhängig 50, 76, 81 kontextabstrakt 81, 222 Kontextanalyse 70 – 72, 106 Kontrastierungsstrategie 87 f., 90 f., 99 f., 182, 363 Kostentopos 223, 228 f., 234, 249, 276 – 279, 283, 336, 342 f., 357 Kotext 71 f., 163, 201, 210, 245, 278 Kritische Diskursanalyse 17 f., 23, 31, 41 – 44, 46 – 50, 52, 94 – 98, 102, 181, 288, 355, 357 f., 362 f., 387 Kritische Theorie 40, 48 Kronen Zeitung 20, 145, 162, 248 f., 407 Krzyz˙anowski, Michał 58, 179 Kulturtopos 155, 158, 223, 225, 336, 338 f. Kundengespräch 152, 176 Kunst 91, 185, 188, 221, 287, 306, 360 Laissez-faire-Sprachenpolitik 36 f., 39, 153 language policy 34 – 37, 40, 195 language politics 34 f., 389 Leidenfrost, Martin 254, 273 LEPP 154, 292, 298, 322, 351 Leserkommentarforen 148, 363 liberal 22, 26, 32, 158, 237, 246 – 248, 263, 346 lingua franca 29, 79, 105, 114, 171, 174, 181, 184, 186, 188, 192, 194 f., 199, 205, 218, 242, 258, 267 f., 275 f., 300 f., 306, 311, 332 f., 396 Lingualismus 15 f., 18, 49, 52, 55 – 57, 91, 98, 136, 144, 155, 175 f., 336, 352, 356, 363, 387, 406 linguistischer Paternalismus 55, 92, 155, 177, 340 f., 352

Sachregister

Linguonym 13, 76 f., 91 f., 100, 200, 205 – 207, 241, 259 f., 263 f., 274, 276, 283, 308, 310 f., 334 f., 340, 351 f., 357 Lissabon-Strategie 112 – 115, 117, 121, 135, 175, 257 f., 280 Litotes 88, 90, 271, 278 Maalouf, Amin 112 f., 122, 254, 257, 262, 264, 276, 294 Macht 15, 17, 30, 32, 36, 42, 46 – 48, 73, 81, 86, 116, 118, 129, 144, 149, 157, 179, 185 f., 194, 215, 220 f., 225, 232, 236, 268, 275, 286 f., 289, 294, 302, 311, 316, 319 f., 328, 331, 334, 338, 344, 350, 355, 357, 360, 388, 391 – 394, 396 Makroanalyse 70, 72, 106, 129, 132, 258 Makrocode 223, 256, 306 f., 336, 358 Makroebene 43, 129, 222 f., 227 Makrothema 57, 70 Marmeladenstreit 145 f., 174, 187 f., 222 MAXQDA 18, 50, 63, 73, 84, 94, 97 – 99, 101 f., 180 f., 184, 188, 191, 199, 207, 222, 245 f., 256, 259, 276, 288 f., 305, 309, 311, 321, 335, 358, 406 mehrsprachiges Land 81, 189, 197, 208 f. (Mehr-)Sprachigkeit 17, 19 – 21, 23, 41, 53, 91, 102 – 104, 106, 129, 136, 155, 172 f., 179, 204 f., 208, 210, 215, 224, 237 f., 243, 283, 307, 344, Mehrsprachigkeitsforschung 56, 117, 119 Mehrsprachigkeitsportfolio 112 f., 269 Menschenrecht 109, 158, 296, 304 Metadaten 94, 131, 244, 246, 249 metadiskursiv 65, 88, 207, 210, 212, 240, 280, 283, 326 Metapher 13, 18, 45, 47, 70, 73, 90 – 92, 116, 170, 267, 271, 277, 284, 311, 313, 315, 318, 320 f., 350 Metaphernfeld 318 Metasprachdiskurs 21, 23, 49 – 52, 54, 90, 204, 230, 356 f., 363 Metasprache 18, 24, 27, 49, 51 Metonymie 70, 90 – 92, 260, 264 Migrantensprachen 78, 115, 119, 122, 150, 154, 156, 163, 169, 176, 242, 263, 268, 302 f., 311, 333

413 Migrationspolitik 164, 175, 289, 303 f., 319, 326, 332, 354, 359, 393 Mikroanalyse 70 – 72, 99, 106, 358 Mikroebene 41, 43 Mischmaschdeutsch 77, 91, 206, 224 Modalverben 88, 265, 274 Mölzer, Andreas 185, 203 f. Multikulturalität 135, 202, 210, 234, 302 f., 321, 351 Multilingualismus 351 integraler Multilingualismus 123, 125 selektiver Multilingualismus 123, 125 muttersprachlicher Unterricht 153, 170, 198, 239, 296, 322 f., 329 f., 333, 337 Nachbarsprache 79, 155, 183 f., 210, 297, 305 f., 330, 333 Nation 76 f., 121, 137, 208, 295, 311, 314, 317, 321, 339 Nationalisierung 77 f. Nationalismus 157, 191, 267, 284, 340, 360, 362 Nationalsozialismus 38, 138 f., 157, 186, 216, 221, 242, 301, 310, 332, 343 Nationalstaat 103, 136 f., 174, 260, 284, 316 Native Speaker 55, 165, 225, 239, 297, 324, 335 – 338, 356 Neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit 19, 59 f., 112, 115, 130, 181, 193, 244, 289, 294, 311, 313, 350, 391 nicht-diskursiv 42 Nominationsstrategie 13, 76, 80, 88 – 90, 98 – 100, 163, 199 f., 205, 207, 259, 307, 309, 311, 316 f., 321, 351 Norm 22, 30, 55, 149, 156, 164, 171, 173, 183 f., 202, 208 f., 240, 295, 313 f., 331, 336 f., 341, 356, 394 Nutzentopos 167, 171, 234, 340 pro bono eorum 171, 177, 340 f., 352, 357 pro bono publico 340, 352, 357

öffentliche Sphäre 16, 21, 61, 179, 241, 285, 348, 355, 362 Ökolinguistik 73 f.

414 online 63, 118, 125, 131, 148, 245 f., 362 f., 404 Orban, Leonard 16, 21, 112, 122, 130, 132 – 134, 181, 193, 243 – 245, 249, 254 – 256, 259, 261 – 263, 265, 267, 269 – 278, 280 – 284, 293 f., 309 f., 328 f., 347 f., 350, 358, 391 Ortstafelstreit 39, 61, 141 f., 152, 198, 290, 298 f., 392 Österreichisches Deutsch 78, 188, 200, 260 ÖVP 64 – 66, 153, 157, 161 – 163, 166 f., 171, 176, 190, 203 f., 207, 263, 288, 298, 392 Parallelgesellschaft 165, 311, 318 – 321, 326 f., 331, 339, 350 f., 360, 362 Peirce, Charles S. 33, 98 Perspektivierungsstrategien 87 – 89 Pflichtschule 335 Plakat 62 f., 66, 70, 155, 159 – 162, 164 f., 167, 170, 176, 190 f., 238, 357 plurizentrisch 206, 231, 242, 274, 358 political correctness 26, 38, 215, 285, 309 politische Werbung 17, 58, 62 f., 65, 68, 70, 136, 155, 159 – 166, 170 – 173, 176 f., 190, 232, 238 f., 283 f., 290, 298, 337, 352, 355, 357, 388, 406 polity 104, 175, 265 Portfolio für Mehrsprachigkeit 112, 387 Positionierung 52 f., 87, 168, 284, 288, 291, 348 PR 123 f., 131, 145, 172, 177, 239, 244, 282 Prädikationsmuster 13 f., 18, 210, 214 f., 241, 265 f., 325 f., 357, 361 – 363 Prädikationsstrategie 80, 88, 98, 100, 199, 207, 212 – 214, 218 f., 221 f., 264 – 269, 273 – 276, 311, 316, 321, 323 f., 327, 331, 334 Pragmatik 24 f., 51 Pressemitteilung 17, 60 f., 63 – 66, 68 – 70, 106, 129 – 132, 175, 243, 255 f., 282 Press Releases Rapid 60, 63, 66, 94, 106, 131 Primärrecht der EU 108 f., 145, 173 Privatwirtschaft 151 f., 198, 234, 357

Sachregister

pro bono publico 171, 340 Produktetikettierung 118, 152, 174 Protokoll Nr. 10 59, 139, 144 – 146, 154, 173, 175, 181, 186 – 188, 194, 226, 238 – 240 Qualitätszeitungen 388

248, 254 f., 283, 359,

Rassismus 22, 26, 32, 43, 49, 56, 83, 150, 157 f., 192, 241, 356 Rechtfertigung 22, 26, 32, 42, 48, 56, 75, 105, 144, 147, 150, 167 – 169, 177, 226, 270, 277, 332, 338, 352, 354 Rechtspopulismus 185, 203 f., 215, 232, 326 f., 362 Rechtsprechung 61, 127, 173, 195 Rede 40, 57, 60 f., 66 f., 112, 131 – 133, 175, 243, 265, 273, 277, 294, 340 Regionalsprache 78, 199, 256, 258, 306, 318 Reisigl, Martin 34, 42, 44 f., 47 – 51, 57 f., 62, 70 f., 76 f., 81, 84, 87 – 90, 92, 201, 207, 347 Rekontextualisierung 57, 166, 282, 288, 313, 348, 350 f., 358 Religion 74 f., 109, 152, 204, 212, 261, 295, 318 Rezeption 27, 48, 51, 61, 94, 106, 129, 177, 179, 187, 282, 288, 360 rhetorisch 16, 34, 44, 47, 70 – 72, 90, 270, 355, 358, 388 f. Schlagwort 13, 18, 21, 47, 53, 90, 92 – 94, 131, 133 – 136, 161, 167 f., 171, 177, 266, 273, 309, 311, 318 – 321, 350, 361, 387 Schlagwortanalyse 13, 46, 129, 282, 311, 320 f., 357 Schlüssel zur Integration 167 Schmelztiegel 116, 194, 289, 294 f., 311 – 318, 320 – 322, 332, 341, 345, 350 f., 353, 391, 396 Schuldtopos, siehe Topos der Schuld Schulpolitik 147, 152, 154, 291, 299, 338 Schweiz 99, 184, 189, 197, 210, 245, 318, 322, 351

Sachregister

Selbstpräsentation 103, 326, 349 Selbstverantwortungstopos 84, 223, 237, 336, 345 f., 354 Selektion 72, 173, 356 selektiven Multilingualismus 125 Slogan 20, 92, 141, 145, 155, 159 – 161, 163, 165 f., 168, 176, 190, 207, 298 f., 392 Sozialdemokraten 64, 157, 159, 168, 263 Soziale Akteure 50, 54, 76, 80 f., 88, 199 f., 203, 207, 209 f., 212, 217 f., 237, 259, 261, 269, 272, 307, 309, 321, 323 soziale Praxis 22 f., 41 f., 48, 50, 287 soziales Handlungsfeld 50, 58, 70, 72, 136 soziale Wirklichkeit 22, 32, 42, 50 f., 355 Sozialwissenschaft 72, 94, 179, 285 Soziolinguistik 21, 24, 27, 33, 105, 363 Spaltpilz 302 f., 318, 320, 350 f., 362 Spitzmüller, Jürgen 21, 24 – 28, 32, 40, 44 – 49, 51 f., 54, 90 f., 95, 224 SPÖ 64, 66, 70, 160, 162, 164 f., 168 – 170, 172, 176 f., 203 f., 248, 263, 269, 272, 287 f., 291 f. Sprachbewusstsein 24, 29 – 31, 205, 241 sprachbezogenen Prädikationen 208 sprachbezogenes Anthroponym 76, 200, 204, 259, 261, 308 f., 331, 337 Spracheinstellung 24, 27 – 29, 31, 33 Sprachenfrage 19, 59, 105 – 107, 110, 123, 195, 348, 357 Sprachengewirr 15, 91 f., 161, 170, 177, 267, 360 – 362 Sprachenrechte 137 f., 236, 296, 301 Sprachenregime 30, 38, 107, 123 – 127, 146, 173 f., 269, 284, 343, 353, 360 Sprachenstreit 19, 39, 146, 174, 266 f., 275, 284 Sprachideologie 18 f., 22 – 24, 26, 28, 30 – 33, 40, 55, 222, 224, 322, 357 Sprachigkeit 16 f., 53 – 58, 161, 164, 166, 173 f., 176, 203 – 205, 208, 283, 307, 344, 355 f., 362 Sprachkurs 166, 229, 240, 281 Sprachlehr- und -lernforschung 52, 143 Sprachliche Domäne 184, 188, 192, 231, 278, 306

415 sprachliche Mittel 17, 23, 81, 87 – 90, 92, 101, 163, 176, 283, 312, 315, 357, 361 sprachliches Relativitätsprinzip 221 Sprachlosigkeit 160 f., 186 Sprachphilosophie 55 f., 221 f., 241 Sprachplanung 35, 37 – 39, 154 Sprachpolitik 34, 37 – 39, 189, 334 Sprachstatus 36, 38 f., 184, 188, 192, 199, 256, 258, 263, 305 – 307 Sprachstruktur 32, 37, 219 Sprachsystem 29, 34, 36, 38 f., 54, 91, 363 Sprachtheorie 24, 30 f., 329, 355 Sprachvarietät 28, 188, 231, 240 Sprachverbreitungstopos 84, 223, 228, 231 f., 234, 279, 283, 336, 343 Sprachwandel 24, 29, 34, 54, 74, 91, 186, 188, 221, 224, 356 Sprichwort 115 f. Staatsbürgerschaft 161, 165, 175, 213, 330, 332 Staatsvertrag 39, 138 – 142, 295, 331 Standardsprache 52, 78, 242, 310 Stereotyp 33, 75, 212, 228, 275 Stigmawort 53, 93, 168, 177, 202, 312, 320, 361 Strache, Heinz-Christian 159, 165, 185, 189, 203 f., 298, 310, 327 strukturalistisch 25, 45 f. Subcode 100 f., 200, 208, 222, 224, 256, 259, 305, 335 Subsidiaritätsprinzip 39, 103, 108, 114, 174 f., 237, 293, 329, 346 f., 353 Subthema 13, 53, 57, 62, 73, 184, 188, 191 f., 198, 256 f., 259, 306 Synekdoche 70, 90, 92, 165, 264, 267, 274, 309, 331 Syntax 47, 90, 171, 245, 261 Technologie 117 f., 120, 135, 244 Textbegriff 51 Thema 51 – 53, 72 – 75 Makrothema 50, 53, 57, 72, 356 Subthema 184 f., 188 f., 192, 198 f., 257 f., 306 These 20, 22, 31, 81, 96, 168 f., 221, 258, 337

416 token 51, 57, 70 f., 98, 100, 201, 310 f. Topoi 13, 18, 33, 45, 47, 81 – 87, 99, 101, 163, 176, 206, 222 – 225, 228 f., 231 f., 234 – 237, 276 f., 279, 281, 323, 335 – 338, 340, 343 – 348, 357 Toponym 76, 91 f., 99 f., 200, 202, 205, 259 – 261, 307 f., 317 Topos der Heteronomie 347 Topos der kindlichen Sprachlernfähigkeit 84 f., 344 Topos der Landessprachkenntnisse 86, 223, 226, 241, 336, 339 f., 352, 357 Topos der Muttersprache 158, 160, 176, 336 f., 352 Topos der Schuld 227, 237, 278 Topos der Sprachbildung 234 Topos der sprachlichen Identität 84, 223, 236 Topos der sprachlichen Qualifikation 84, 234, 280 f., 342 Topos der Sprachtradition 223, 226 Topos der Sprachvermischung 223 f., 242, 336 Topos der steigenden Zuwanderung 227, 232, 237 Topos des Schulpublikums 336, 338, 352, 357 Topos des Sprachniveaus 223, 225, 336, 338 Topos-Gruppe ,Alter‘ 85 Topos-Gruppe ,Gerechtigkeit‘ 235 Topos-Gruppe ,Homogenität‘ 86, 223, 336, 338, 357 Topos der sprachlichen Homogenität 223, 336 Topos der kulturellen Homogenität 223, 336 Topos-Gruppen 84, 101 Topos-Gruppe ,Nutzen‘ 234 Topos-Gruppe ,Quantität‘ 228, 357 Toulmin, Stephen 81, 84 Tourismus 120, 185, 199, 216 f., 258 trajectio in alium 150, 152, 156, 170, 237 Transformation 57, 75, 265 Transkription 63 f., 98 f., 406 Tropen 70 f., 90 – 92, 101

Sachregister

Trugschluss 83 f., 158, 161, 165, 227, 232, 235, 237, 337, 345, 352 type 37, 41, 57, 61, 88, 98, 130 f., 201, 203, 311, 357

Überfremdung 54, 150, 214 Überreglementierung 187, 211, 237 – 239 Übersetzung von EU-Dokumenten 13, 127, 261, 268 Umdeutung 38, 161, 168, 177, 280, 284 Unterrichtssprache 79, 139, 148 – 150, 169, 196, 218, 258, 339, 397 Vassilakou, Maria 160 Verantwortungstopos 223, 234, 281, 283 f., 336 Verbot 38, 109, 139 f., 149, 151 f., 169, 176, 185, 188, 192, 199, 210, 212, 306, 319, 339, 388 Vereinigte Staaten von Europa 104, 202, 257, 316 Verfahrenssprache 79, 124, 126 Verfassungsgerichtshof 61, 141 f. Vergleichstopos 277, 279, 283 Verstärkungs- und Abschwächungsstrategien 71, 76, 87 f., 153, 169, 212, 214, 309, 312, 315, 325, 327 – 329, 342, 353 Vertrag von Amsterdam 108 Vertrag von Lissabon 107 – 111, 162, 257 Vertrag von Maastricht 107 f. Vertrag von Nizza 108 Vertrag von Rom 106, 108 Vielvölkerstaat 137, 209 f., 316, 321 f. Volk 15, 62, 76, 173, 197, 295, 309, 314, 317, 322, 326, 331, 352, 356 Volksbegehren „Österreich zuerst!“ 157, 159, 161, 175 f., 241 Volksgruppe 138, 140 f., 153, 163, 184, 316, 333 Volksschule 148, 159, 297, 330 Vorurteil 125 f., 153, 169, 351 Westenthaler, Peter 189, 204 Wettbewerbsfähigkeit 105, 113 f., 120, 244, 280 Wienerisch 78, 188, 205, 219 f., 242

417

Sachregister

Wiener Kreis 55 Wieser, Lojze 262, 265 f., 274, 284 ,Wir‘-Gruppe 156, 159 f., 163, 186, 209, 214, 240, 352 WISO Praxis/Presse 63, 99, 244 f. wissensbasierte Wirtschaft 113 f., 280 wissenssoziologisch 29 Wodak, Ruth 34, 39, 48 – 50, 57 f., 61 f., 71, 73, 75 – 77, 80 f., 84, 87 – 89, 96, 179, 206, 243, 248, 285 f., 330, 347

Würfelmodell

68

Zählbarkeit 55 f., 224, 231, 356 Zahlentopos 271, 279, 338, 343 f. Zeitungskommentar 168, 246, 254, 283, 289, 303, 359, 388, 405 Zeitungsmeldung 245, 259 zweisprachig 22, 56, 296 Zweisprachigkeit 53, 81, 85, 138 – 141, 152, 175, 183, 202, 392