Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Strömungen seiner Zeit 9783486759150, 9783486759143


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German Pages 87 [96] Year 1927

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Praktischer Grundzug von Mazzinis System und Plan der Untersuchung
Das unmittelbar politische Programm Mazzinis
Ursprung von Mazzinis politischem Programm aus der Situation der beginnenden Dreißigerjahre
Geistige Grundlage von Mazzinis System; der italienische Nationalgedanke vor Mazzini
Die Literatur im Dienste der Politik Mazzinis
Die Literatur als Quelle politischer Ideen
Die Geschichte im Dienste der Politik Mazzinis
Die Geschichtsphilosophie
Herders Einfluß auf Mazzini
Die Geschichtsphilosophie der Saint-Simonisten
Das soziale Programm im Dienste der Politik Mazzinis
Die Religion im Dienste der Politik Mazzinis
Die Ethik im Dienste der Politik Mazzinis
Der Staat Mazzinis
Die Nationalitätslehre Mazzinis
Mazzini und Fichte
Ende
Zeittafel
Literaturverzeichnis
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Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Strömungen seiner Zeit
 9783486759150, 9783486759143

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OTTO VOSSLER

MAZZINIS POLITISCHES DENKEN U N D WOLLEN IN DEN GEISTIGEN STRÖMUNGEN SEINER ZEIT

M Ü N C H E N UND BERLIN 1927 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

B E I H E F T 11 D E R H I S T O R I S C H E N

ZEITSCHRIFT

Gedruckt mit UnterstQtzung der P h i l o s o p h i s c h e n I. S e k t i o n d e r U n i v e r s i t l t

FakaltSt

MOnchen

ALLE RECHTE, E I N S C H L I E S S L I C H DER OBERSETZUNG, VORBEHALTEN

Meinem Vater gewidmet

Vorwort. Zwei Fragestellungen liegen diesem Versuche zu Grunde. Einmal soll untersucht werden die Entstehung von Mazzinis System unter dem Einflüsse der geistigen Strömungen, mit denen dieser in Berührung kam. Es soll versucht werden, zu verfolgen, welchc Ideen seiner Zeit Mazzini übernommen hat, durch wessen Vermittlung, welchen Schulen und Systemen er nahegestanden und von welchen Denkern bei ihm Spuren zu finden sind. Diese Frage nach dem Was? und Woher? aber soll anderseits stets von der Frage nach dem Warum?, nach dem Wozu? begleitet werden; d. h. neben der geistesgeschichtlichen Frage nach der Herkunft und Zusammensetzung soll immer die politische Frage nach Bedeutung und Sinn des Systems gestellt werden, die F r a g e nach dessen realem Untergrunde und realem Ziele. Diese zweite Frage scheint mir durch den besonderen politischen Charakter des Systems gefordert zu sein. Bei einer nur der Erkenntnis dienenden, sich selbst genügenden Philosophie möchte die Betrachtung der geistigen Bedingtheit allein genügen, bei einem System aber, das der Tat dient, dessen Kern und Sinn ein exote-t rischer, politischer ist, würde sie wohl einer Untersuchung von Werkzeugen gleichen, ohne Rücksicht auf deren Gebrauch und Bestimmung. Daher soll die verdoppelte Fragestellung nicht eine Spaltung und Sprengung der Arbeit bedeuten, sondern es soll im Gegenteil die vereinte Untersuchung der geistigen u n d der politischen Bedingtheit den Weg öffnen zum Verstehen von Mazzinis Gedanken. Die vorliegende Arbeit ist unter der freundlichen Anleitung von Geheimrat H. Oncken entstanden und von der Münchener Philosophischen Fakultät I. Sektion als Dissertation angenommen worden. Es ist mir eine besondere Freude, an dieser Stelle auszusprechen, wie sehr ich mich meinen Lehrern Mareks und Oncken verschuldet und verpflichtet fühle, sowie der genannten Fakultät für die Unterstützung bei der Drucklegung meinen herzlichsten Dank auch hier zum Ausdruck bringen zu dürfen. Cambridge, Mass. U. S. A., den 12. Juli 1927. Otto

Vossler.

Inhalt. Praktischer Grundzug von Mazzinis System und Plan der Untersuchung Das unmittelbar politische Programm Mazzinis Ursprung von Mazzinis politischem Programm aus der Situation der beginnenden Dreifiigerjahre Geistige Grundlage von Mazzinis System; der italienische Nationalgedanke vor Mazzini Die Literatur im Dienste der Politik Mazzinis Die Literatur als Quelle politischer Ideen Die Geschichte im Dienste der Politik Mazzinis Die Geschichtsphilosophie Herders Einfluß auf Mazzini Die Geschichtsphilosophie der Saint-Simonisten Das soziale Programm im Dienste der Politik Mazzinis . . . Die Religion im Dienste der Politik Mazzinis Die Ethik im Dienste der Politik Mazzinis Der Staat Mazzinis Die Nationalitätslehre Mazzinis Mazzini und Fichte Ende Zeittafel

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Literaturverzeichnis

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Praktischer Grundzug von Mazzinis System und Plan der Untersuchung. Mazzini schreibt in einem Briefe an Ludmilla Assing, die Übersetzerin seiner Schriften ins Deutsche, er fürchte, seine Werke möchten in Deutschland, wo der Gedanke tief und in seiner eigenen Sphäre lebe, ohne auf unverzügliche und praktische Ergebnisse zu blicken, nicht gediegen, nicht durchdacht genug erscheinen. „Trotzdem", fährt er fort, „ist es vielleicht nicht überflüssig, daß man sehe, wie ein Ziel zu dem Streben veranlaßt, den Gedanken der T a t dienen zu lassen, dem einzigen Ziele, welches in der Zeitepoche, in welcher wir geboren wurden, wahrhaft wichtig ist 1 )." Das „einzige Ziel", dem der Gedanke dienen soll, das ist die einige freie Nation, das einige freie Italien. Das System also ist nach dem Zeugnis des eigenen Urhebers kein im philosophischen Sinne in sich geschlossenes, autonomes, sich selbst genügendes, es ist nicht, unbekümmert um die praktischen Ergebnisse, nur auf Erkenntnis gerichtet. Der Wille, der ihm zu Grunde liegt, ist nicht wissenschaftlicher Erkenntnistrieb, sondern im Gegenteil, ein in höchstem M a ß e praktischer, politischer Wille. Das System hat einen außerhalb der Sphäre des reinen Gedankens befindlichen Kern, ein praktisches Ziel, und mit ihm als dem praktischen und wahren — nicht aber zugleich theoretischen — Mittelpunkt des Ganzen ist jeder der einzelnen Teile durch seine Willensrichtung eng verbunden, während die philosophische Verbindung der einzelnen Teile untereinander oft vernachlässigt und nur mangelhaft durchgeführt ist. Aber nicht nur praktisch steht die Idee der Nation vor oder über der Theorie, sondern auch chronologisch, entstehungsgeschichtlich. Mazzini geht nicht von der Philosophie aus, um erst nachträglich in ein fertiges oder noch sich auswachsendes und rundendes System eine politische Realität unterordnend einzufügen — wie etwa Fichte — sondern er geht von der Politik aus und baut um ein gegebenes politisches Programm herum erst allmählich und immer weiter ausgreifend ein System auf. E r hat 1) Apr. 1867. Gius. Hamburg 1868. S. III.

Mazzinis

Schriften.

Übersetzt

v.

L.

A.

2

von Anfang an den Gedanken des Wiederaufstiegs Italiens und umgibt, verbündet und verschmilzt ihn nacheinander mit einer bunten, immer reicheren Reihe von Gedanken mancherlei Art und Herkunft, bis schließlich ein umfassendes Gedankengebäude dasteht, in dem anscheinend der Ursprung und das Ziel nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, während es in Wirklichkeit die Seele ist, aus der das Ganze seinen Sinn erhält, der Mittelpunkt und Schwerpunkt, auf den alle Teile in gewaltiger Einheit zielen. Ich glaube daher in der Behandlung des Systems nicht, wie das bisher geschehen ist, dem theoretischen und nur scheinbaren Aufbau desselben folgen zu müssen, sondern dem praktischen, dem tatsächlichen. Es soll demnach das unmittelbar politische Programm Mazzinis, das der innerste Kern der wesentlich späteren, umkleidenden Ideologie ist, vorangestellt werden; dann werden noch in Kürze die Ideen zu betrachten sein, die schon vor Mazzinis Auftreten mit dem nationalen Gedanken verbunden sind und die die Richtung und Färbung des behandelten Systems bestimmen. Erst dann, wenn wir uns mit den politischen und geistigen Grundlagen und Vorbedingungen von Mazzinis Gedankengebäude bekannt gemacht haben, können wir zur Betrachtung desselben übergehen. Da nun, wie aus dem Vorhergehenden erhellt, die Verfolgung der tatsächlich gar nicht bestehenden logischen Entwicklung der Lehre grundsätzlich verfehlt wäre, ein nachträglich konstruiertes und falsches Bild ergäbe, so wird am besten unsere Betrachtung der zeitlichen Entwicklung der Gedanken des Revolutionärs angeschlossen. Wir werden also nacheinander untersuchen, wie Mazzini sein politisches Wollen zuerst mit literarischen, dann mit historischen und geschichtsphilosophischen, weiter mit sozialen, mit religiösen und zuletzt mit ethischen Ideen stützt und verbindet. Trotz der dabei unvermeidlichen Einteilung und Abteilung in gesonderte Kapitel wird, wie ich hoffe, der Eindruck des inneren Zusammenhanges sich nicht verwischen, und es wird so das allmähliche Wachsen und Ausgreifen der Lehre beobachtet werden können. Mazzinis Gedanken über Staat und Nation sollen als letzte betrachtet werden, weil sie mit dem Elemente, das am spätesten in das System eingebaut wird, mit der Ethik, aufs engste verbunden sind und erst durch diese ihre besondere und volle Ausbildung erlangen, und weil sie den Höhepunkt und die Vollendung des ganzen Systems darstellen. In den letzten drei Kapiteln — über die Ethik, den Staat und die Nation —, die durch ihren sittlichen Grundcharakter zu einer Einheit zusammengehalten werden, wird übrigens im Gegensatz zu den früheren der Nach-

3 weis der Quellen Mazzinis nur spärlich und unsicher sein können. Daher soll für diesen letzten Abschnitt die Aufzeigung der unmittelbaren Vorbilder ersetzt werden durch einen Vergleich von Mazzinis patriotischer Lehre mit der Fichtes. Dieser Vergleich wird uns, besonders in der eigentümlichen ethischen Grundauffassung, die enge Verwandtschaft des italienischen und des deutschen Patrioten enthüllen und soll zugleich ein Rückblick auf das ganze Mazzinische System und eine Würdigung desselben bedeuten.

Das unmittelbar politische Programm Mazzinis. Das politische Programm, das, schon in den früheren Schriften angedeutet 1 ), Mazzini im Jahre 1831 bei der Gründung der „Giovine Italia" formuliert hat, erstrebt die Errichtung einer einigen, unabhängigen gesamtitalienischen Republik*). Alle italienischen Einzelstaaten sollen verschwinden, auch der Kirchenstaat. Als der nationale Feind wird Österreich erkannt, das alle italienischen Gebiete räumen muß. Im Inneren soll Monarchie und Adelsherrschaft beseitigt, dafür Gleichheit und Freiheit streng durchgeführt werden. Über die endgültige Verfassung wird auf Grund der Volkssouveränität die Nation selbst entscheiden. Träger der Einheitsbewegung soll nicht eine einzelne Person, nicht eine einzelne Sekte oder Klasse, sondern das gesamte Volk sein. Um auch die niederen Klassen zu gewinnen, werden diesen materielle Vorteile, Handelsfreiheit, Steuerermäßigung und Ähnliches in Aussicht gestellt. Die nationale Unabhängigkeit ßoll und kann, nur aus der eigenen Kraft der Nation, niemals mit der Hilfe fremder Regierungen errungen werden. Die gesamte italienische Erhebung soll auch unabhängig sein von der revolutionären Initiative des Auslandes — gemeint ist Frankreich. Jede Verhandlung mit Regierungen, gleichviel ob angeblich freundlichen oder feindlichen, jedes Vertrauen auf diplomatische Künste, Bündnisse, Verträge und Versprechungen der Kabinette ist verpönt. Der Weg zur Einheit ist einzig und allein gleichzeitiger Aufruhr des gesamten Volkes in Italien und nationaler Krieg, zunächst Bandenkrieg, bis zur völligen Befreiung der Halbinsel. *) Vgl. Mannucci, S. 174 passim. *) Für das politische Programm M's vergleiche man vor allem E. N. Bd. II. S. 45 ff., 59 ff., 67 ff., 76 ff., 85 ff ( 1 8 3 1 ) . In diesen Schriften M.s tritt im Gegensatz zu den früheren und zu den späteren das unmittelbar und rein Politische gegenüber dem Ideologischen auffallend in den Vordergrund.

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Zur Verbreitung dieses Programms und als Vorkämpfer im nationalen Kriege wird die "Giovine Italia" eingerichtet, ein Geheimbund nach dem Muster der Carboneria, jedoch mit wesentlichen Verbesserungen in der Organisation. Das Ziel des Bundes soll allen Mitgliedern vollständig bekannt und von ihnen freiwillig angenommen werden, die symbolischen Spielereien sind abgeschafft, die Hierarchie wird möglichst vereinfacht und eine — nicht streng eingehaltene — Altersgrenze von vierzig Jahren eingeführt. Dies ist im wesentlichen das unmittelbar politische Programm, das Mazzini bis an sein Lebensende nahezu unverändert verfolgt hat.

Ursprung von Mazzinis politischem Programm aus der Situation der beginnenden Dreißigerjahre. Mit der Gründung der "Giovine Italia" tritt der moderne italienische Nationalgedanke — abgesehen von dem mißglückten Unternehmen Murats und den sehr unklaren und unreifen Versuchen der Carboneria — zum ersten Male aus dem Reiche der tatenlosen Sehnsucht und der Träume in das Gebiet der praktischen Politik. E s ist selbstverständlich, daß Mazzini, als er das Programm entwarf, welches das langgehegte Ideal in die Wirklichkeit umsetzen sollte, in erster Linie durch die politische Situation der Zeit, durch die vorhergehenden politischen Erfahrungen, kurz durch politische Überlegungen bestimmt wurde 1 ). l ) Auf die Einflüsse, die M. in seiner Jugend den unitarischen und republikanischen Gedanken schon nahegelegt hatten, will ich hier nicht eingehen. Gaet. Salvemini (Studi Storici X X . 1 9 1 1 , 1.) und besonders Mannucci haben das Wichtigste darüber schon gesagt. — Auf die republikanische Tradition von M.s Vaterstadt ist schon wiederholt hingewiesen worden. Ohne den Wert dieser Überlieferung ableugnen zu wollen, glaube ich, daß gerade der Mangel einer eigenen lebendigen genuesischen Tradition für Mazzini besonders bedeutsam ist. Mit dem Wiener Vertrag war die glorreiche Geschichte der Republik endgültig abgebrochen, die Genuesen hatten ihr altes Vaterland verloren, das neue, Sardinien, wurzelte noch nicht in den Herzen. Dadurch eben, daß Mazzini in der Seele weder Genuese noch Piemontese sein konnte, war das größte Hindernis zur Bildung des unitarischen Gedankens, der partikulare Patriotismus in ihm ausgeschaltet. Die Lage des lange Jahre von Frankreich beherrschten Genua hat eine große Ähnlichkeit mit der politischen und psychologischen Situation der 1 8 1 5 von Preußen und Bayern erworbenen Gebietsteile etwa, in denen ebenfalls die radikale und unitarische Tendenz stärker war als in den Stammprovinzen.

5 D a ß Mazzini den Augenblick für günstig und für gekommen hielt, ist großenteils aus der Julirevolution, oder genauer aus der europäischen Krisenstimmung, welche die beginnenden Dreißigerjahre kennzeichnet, zu erklären. E r glaubte, wie viele seiner Zeitgenossen 1 ), daß die Pariser Revolution nur der Anfang einer allgemeinen Umwälzung sei, daß sich in der allernächsten Zukunft alle Völker einig gegen alle Fürsten erheben würden, um endgültig die Ideale von 1789 zu verwirklichen 2 ). Der größte Fortschritt des Programms, das Mazzini in dieser hoffnungsfreudigen Stimmung entwarf, ist die Überordnung des außenpolitisch-nationalen Problems über das innerpolitische, die Erkenntnis, daß erst die Unabhängigkeit nach außen die Freiheit im Inneren sichern könne. 1820 und 1821 war versucht worden, die Reformen im engen Rahmen des Einzelstaates durchzuführen, ohne Rücksicht auf das Ganze, 1831 hatten sich die Aufständischen sogar ängstlich bemüht, sich nicht in die Verhältnisse des Nachbarstaates einzumischen, und alle drei Erhebungen waren mit österreichischer Hilfe einzeln und nacheinander niedergeschlagen worden. Mazzini suchte diesem Fehler vorzubeugen durch die Forderung eines gleichzeitigen Aufstandes in ganz Italien, der sich gleich von vornherein gegen d i e Macht wenden sollte, die in erster Linie die Freiheit und die Einheit verhindert hatte, gegen Österreich. Mazzini lehnte weiterhin im Kampfe gegen den nationalen Feind den Bund mit den Fürsten ab, und man muß zugeben, daß diese Forderung politisch nicht unbegründet war. 1820, 1821 und 1831 war das Vertrauen auf die Fürsten unheilvoll gewesen, Mazzini hatte den Verrat dreier Fürsten an seinem Vaterlande miterlebt. Bevor er sich aber endgültig für die Republik entschied, hatte er selbst versucht, Karl Albert für die Führung der nationalen Bewegung zu gewinnen3), war aber abgewiesen worden. Es gab in Italien außer dem Hause Savoja keine einheimische Dynastie, es gab x ) Man denke etwa an die pessimistischen Äußerungen Goethes und Niebuhrs aus dieser Zeit. *) E . N. II. S. 19, 3 1 und andere. 3 ) M. hat später den bekannten Brief an K a r l Albert als Falle bezeichnet. (S. E . I. I. S. 51 f f . ) . Die neueren Historiker dagegen neigen dazu, in ihm einen emstlichen Versuch zur Überzeugung des Königs zu sehen. Mir scheint, daß beide Auffassungen einander nicht ausschließen sollen. Der Brief ist offenkundig eine Art Ultimatum, das beide Möglichkeiten, Annahme und Ablehnung, ins Auge faßt und die doppelte Absicht verfolgt, entweder den jungen König zu gewinnen, oder aber die Hoffnungen zu zerstören, welche die Patrioten vielfach noch auf ihn setzten.

6 keine nationale monarchische Tradition, es gab unter den Fürsten Italiens keine Persönlichkeit, um die sich die Patrioten hätten scharen können, und die außerhalb des eigenen Staates Anhänger gefunden hätte. Alle Fürsten waren mehr oder weniger mit Österreich verbunden, alle waren eifersüchtige Partikularisten, antinational und reaktionär. Monarchie und Einheit und Freiheit Italiens waren bei der politischen Lage der Dreißigerjahre tatsächlich unvereinbar. Unter solchen Umständen entschied sich Mazzini, um das nationale Programm zu ermöglichen, entschlossen für die Republik. E r erkannte, daß, nachdem die Machtmittel der italienischen wie der ausländischen Regierungen nicht für die nationale Sache gebraucht werden konnten, dafür Ersatz geschaffen werden mußte und glaubte diesen bei den Völkern finden zu können. E r täuschte sich zwar in der Annahme, die italienisch-republikanische Einheitsbewegung werde in einer bevorstehenden europäischen Umwälzung durch die revolutionären Elemente aller Länder unterstützt werden. Dagegen stellte er mit dem Gedanken der unitarischen Republik in Italien selbst das wirkungsvolle Bündnis zwischen den nationalen und den liberalen Tendenzen her, das durch den Gegensatz gegen das zugleich antinationale und reaktionäre Österreich bzw. gegen das ganze wiederhergestellte Regime der Halbinsel ein sehr natürliches und festes war. Dasselbe Bündnis wurde auch später in etwas veränderter Form von den Neuguelfen und seit 1849 von der Piemontesischen Schule übernommen und trug schließlich wesentlich zum Siege der Einheitsbewegung bei. Bei Mazzini, der auf die Hilfe der Regierungen gänzlich verzichten mußte und sich nur auf das Volk stützen konnte, war im Gegensatz zu Gioberti und Victor Emanuel die demokratische Seite des Bündnisses naturgemäß stärker betont1). Auch in diesem Punkte suchte Mazzini aus den früheren Erfahrungen zu lernen. Die vorhergegangenen Aufstände waren liberale Bewegungen gewesen, an denen nur ein Teil der Bevölkerung, die Carbonari, die Militärs, das Bürgertum teilgenommen hatten; die große Masse des Volkes war gleichgültig geblieben, gar nicht daran interessiert und auch gar nicht aufgerufen worden. 1831 hatten sich die Führer der Aufständischen geweigert, die Massen zu bewaffnen und hatten während ihrer Herrschaft versäumt, irgendetwas für die niederen Klassen zu tun. Mazzini, der außerdem eben erst ' ) Vgl. bes. E . N. Bd. II. S. 195/6. " N o i Italiani, più ch'altri abbiamo bisogno d'avere le moltitudini con noi, perchè nessun popolo forse ha più ostacoli da superare." ( 1 8 3 2 . )

7 gesehen hatte, welche entscheidende Rolle in den Pariser Kämpfen gerade die unteren Schichten gespielt hatten und wie leicht der Sieg der vereinten Bevölkerung gewesen war1), machte sich diese Erfahrungen zunutze, forderte die Erhebung a l l e r Klassen und nahm in sein Programm die Punkte auf, durch die besonders die unteren Schichten für die patriotische Bewegung gewonnen und ihr Mißtrauen gegen die Revolution beseitigt wer' den sollte, das durch die bisherigen Aufstände und durch den „Verrat" des Bürgerkönigs am vierten Stande gerechtfertigt scheinen konnte. Wenn Mazzini Hilfe und Abhängigkeit vom Auslande ablehnte, so dachte er dabei besonders an die Enttäuschung der unglücklichen Revolutionäre der Romagna, die auf die Unterstützung Frankreichs gehofft hatten*) und an die, von Paris abhängige, kosmopolitische Carboneria, die immer noch dem Traume der Weltbefreiung durch Frankreich nachhing und während der günstigen Zeit nach der Julirevolution die Gelegenheit zu entschlossenem Handeln versäumt und ihre Unfähigkeit endgültig bewiesen hatte. Was schließlich Mazzinis eng mit diesen Ideen verknüpftes Mißtrauen gegen jede Regierung und gegen deren Versprechungen, gegen alle offizielle Diplomatie betrifft, so ist das einesteils gewiß jener, den damaligen Demokraten eigenen schroffen Unterscheidung von edlem Volke und grundsätzlich böser und falscher Regierung zuzuschreiben*). Anderseits aber war dieses Mißtrauen wohl begründet und eine Reaktion gegen die so oft schon unheilvolle Leichtgläubigkeit der italienischen Patrioten. Die Revolutionen von 1820 und 1821 waren von den Regierungen mit diplomatischen und nicht besonders edlen Künsten niedergeschlagen worden, nachdem die Aufständischen dem Worte des Königs bzw. Prinzen vertraut hatten; Ciro Menotti war das Opfer der Hinterlist Franz IV. von Modena gewesen, und ein Hauptgrund des Mißerfolgs der Revolutionäre der Romagna war der Glaube an den „Verräter" Louis-Philippe, der die edle Pariser Revolution verfälscht, an die Heilige Allianz verkauft und das von den französischen Demo') Auch die Erinnerung an den spanischen Freiheitskampf gegen Napoleon spielt in M.s Vorstellungen eine gewisse Rolle. *) Vgl. bes. E. N. II, 3 ff. 1 8 3 1 . "Une Nuit de Rimini en 1 8 3 1 " , ein Fluch gegen das treulose Frankreich Louis-Philippes. *) Man vergleiche etwa das ähnliche Verhalten der gleichzeitigen polnischen Patrioten. Feldmann, „Gesch. d. pol. Ideen in Polen seit dessen Teilungen ( 1 7 9 5 — 1 9 1 4 ) " . Mchn. 1917, Kap. IV. „Der Glaube an die Völker".

8 kraten geforderte Eingreifen zugunsten der italienischen Freiheitsbewegung vereitelt hatte. Die politische Rechtfertigung der übrigen Programmpunkte Mazzinis leuchtet ohne weiteres ein, und es ist leicht, in ihnen das Streben zu erkennen, früher begangene Fehler zu vermeiden. Betrachtet man den Operationsplan Mazzinis im ganzen, so muß man zugeben, daß er gegenüber der Politik der CarbonariEpoche einen gewaltigen Fortschritt bedeutete. Mazzini verbesserte, wo es möglich war, die Mängel der vorhergegangenen Aufstände und hatte sich die Lehren von 1820, 1821 und besonders 1831 zunutze gemacht. Freilich waren diese Lehren deutlich genug gewesen, und die obige Darlegung der Fehler, auf die Mazzini verbessernd reagiert hat, mag leicht als eine Aufzählung von Selbstverständlichkeiten empfunden werden. Die Selbstverständlichkeit aber, die man in Mazzinis politischem Programm findet, ist sicher nicht die Selbstverständlichkeit des Banalen, sondern die Selbstverständlichkeit und Einfachheit, die dem genialen Gedanken eigen ist. Die hinreißende Kühnheit, mit welcher der Revolutionär unerschrocken das letzte und höchste Ziel zeichnet, die verblüffende Sicherheit, mit der er seinen Landsleuten den klaren, geraden W e g zeigt, der sie dahin führen soll und mit der er als erster eine Reihe der grundlegenden Programmpunkte aufstellt, nach denen sich die italienische Einigung später vollzogen hat, sind sicher das Zeugnis eines einzigartigen politischen Blickes. Inwieweit unter den Voraussetzungen, auf denen M'azzini baute, sich doch auch illusorische befanden, will ich hier nicht untersuchen, und noch weniger der müßigen F r a g e nachgehen, ob dieser Plan Mazzinis wirklich durchführbar war oder nicht. Sicher ist, daß, wenn der italienische Nationalgedanke damals verwirklicht werden sollte, der W e g , den Mazzini wies, außerordentlich klug gewählt war und die in jener Zeit größtmöglichen Aussichten auf Erfolg bot. D a s aber, worauf es mir hier ankommt, ist, daß man erkenne, daß das Programm der "Giovine Italia" nicht einfach der Ausdruck eines abstrakten, voreingenommenen, unpolitischen und weltfremden Denkers ist, sondern vielmehr sich der politischen Wirklichkeit gewandt anzupassen sucht, bei aller Kühnheit mit den Tatsachen rechnet und bei einem genialen ¡Wagemut einen sicheren, praktischen, realpolitischen Zug verrät. Zum Doktrinär und Utopisten ist Mazzini erst später geworden, als er in einem eigenartigen Erstarrungsprozeß d.ie hoffnungsvoll entworfenen Anfänge nicht weiterentwickelte, und während alles um ihn her sich änderte und vorwärtsschritt, mit einer Unbeug-

9 samkeit, die oft wie unbelehrbarer Eigensinn anmutet, an dem in vielen Punkten schon veralteten, von den Ereignissen überholten ursprünglichen Plane festhielt und immer noch in der Welt und in den Vorstellungen der beginnenden Dreißigerjahre weiterlebte. Die Uhr der Verbannten geht nach, spottete Giusti. Damals aber, als Mazzini zuerst in das politische Leben eintrat, stand er noch in enger Berührung mit der Heimat und mit der Wirklichkeit seiner Zeit und verstand es, in dem Programm der "Giovine Italia" ein Meisterstück politischen Denkens zu entwerfen, das heute noch mit seiner Vereinigung von Einsicht und Kühnheit einen gewaltigen und hinreißenden Eindruck ausübt.

Geistige Grundlage von Mazzinis System; der italienische Nationalgedanke vor Mazzini. Wir haben nun Mazzinis Plan, soweit er die unmittelbar praktischen Mittel betrifft, welche die nationale Idee verwirklichen sollen, kennengelernt, und ich glaube auch angedeutet zu haben, daß er in dieser Hinsicht durch politische Gründe, Erfahrungen und Überlegungen bestimmt ist. Mazzini will aber die nationale Sache nicht nur durch materielle, praktische Kräfte, sondern auch durch geistige, moralische gefördert wissen, und er stellt seiner "Giovine Italia" die doppelte Aufgabe, für das Vaterland zu kämpfen u n d zu lehren. "Pensiero e Azione" ist das Schlagwort seines Bundes, und der "Giovine Italiano" soll, wie sein Führer selbst, Verschwörer und Erzieher in einer Person sein. Mazzini verlegt also den politischen Kampf auch auf geistiges Gebiet, er fühlt das Bedürfnis, sein praktisches Programm auch im Reiche des Gedankens zu befestigen, es mit einzelnen Ideen, Ideenreihen, mit einem ganzen System, schließlich gar mit einer Religion zu stützen und zu stärken. Ähnlich wie in einem Kriegsplane Land- und Seestreitkräfte vereint zur Niederwerfung des Gegners zusammenwirken, so geht bei Mazzini parallel mit der praktisch-politischen eine umfassende geistig-politische Aktion auf dasselbe Ziel des Wiederaufstiegs Italiens. Mit dieser Tendenz der Verwendung moralischer Mittel zu patriotisch-politischen Zwecken ist Mazzini kein Neuerer1), son*) Die französische Revolution galt damals fast ausschließlich als Werk der rationalistischen Literatur, und die Reaktion der Heiligen Allianz bediente sich ihrerseits ebenfalls einer reichen ideologischen Hilfe. Belh. d. H. Z. 11

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10 dem der Fortsetzer und der Höhepunkt einer in Italien besonders stark ausgebildeten Tradition. Die italienischen Patrioten, die für ihr Vaterland keine 'Kanonen und Bajonette ins Feld führen konnten, hatten im Reiche der Gedanken Hilfe gesucht und gefunden, hatten gegen Napoleons Entnationalisierungsversuch den ersten großen Sieg des jungerstarkten italienischen Nationalgedankens erfochten, und hatten in der Verteidigung dieses Gedankens eine geschickt verkleidete, geistig-politische Taktik ausgebildet 1 ). E s würde aber zu weit führen, im einzelnen zu verfolgen, welche Ideen und Tendenzen schon vor Mazzini in patriotisch-politischem Sinne verwendet worden waren. E s mag die Feststellung genügen, daß der nationale Geist, besonders seit der Französischen Revolution und unter ider hapoleonischen Herrschaft gewaltig erstarkt, schon das ganze Geistesleben der Nation gefärbt und durchdrungen hatte, und daß die Italiener nachgerade jede Gedankenströmung, woher sie auch kommen mochte, sub specie patriae resurrecturae zu betrachten gewohnt waren und sie mit mehr oder weniger Geschick in den Dienst der nationalen Erziehung, der nationalen Idee stellten und nach Kräften die moralische Einheit und den moralischen Wiederaufstieg ihres Volkes förderten. Ich beschränke mich daher auf einen zusammenfassenden Überblick über die großen geistigen Mächte, die Italien beherrschten, teils enger, teils lockerer mit dem nationalen Gedanken in Verbindung gebracht worden waren, und die Mazzinis Denken die Richtung gegeben haben. Das, was den italienischen 'Nationalgedanken von Anfang an charakterisiert, ist die Verbindung mit der Literatur. Seit dem Zerfall des Römischen Reiches in politische Ohnmacht gesunken, war das italienische Volk bis auf die Tage Mazzinis nicht in der Lage, aus eigenen Kräften ein unabhängiges nationales Staatswesen zu errichten. Sein politischer Wille, durch den Druck der europäischen Lage unterbunden, konnte sich nicht anders äußern als in Wünschen und Sehnen, daher denn, seit es eine italienische Literatur gibt, d. h. etwa seit den Tagen Dantes und Petrarcas, der nationale Drang der Italiener seinen Ausdruck in der Dichtung sucht und findet. Dadurch bekommt der italienische Nationalgedanke einen wesentlich poetischen, literarischen und weiterhin humanistischen Zug, der sich von Petrarca bis auf Carducci und D'Annunzio ohne Unterbrechung verfolgen läßt. Die lautesten Rufer des Nationalgefühls sind demzufolge auch im Zeitalter Mazzinis Poeten und Literaten ge' ) Vgl. Hazard, bes. livre II

u. I I I ;

Luchaire, bes. cap.

IV.

11 wesen. Alfieri 1 ) und Foscolo 8 ) haben wohl am frühesten und a m unmittelbarsten das nationale Denken des jungen Mazzini wie seiner Generation überhaupt beeinflußt, aber auch die übrige ganze italienische Nationaldichtung und ein g r o ß e r Teil der europäischen, besonders der liberalen Literatur war ihm vertraut und gab, wie man sich denken kann, seiner politischen Gedankenwelt eine ästhetische, poetische, literarische Färbung, einen ebenso hochfliegenden und kühnen, wie oft unpraktischen und weltfernen Zug. Man darf daher sagen, d a ß von dieser Seite her, d. h., um das Ganze unter ein Schlagwort zu bringen, von der literarisch-humanistischen Tradition her, ein phantastisches und sentimentales Prinzip der politischen Schwäche sowohl, wie auch des idealistischen und ideologischen Edelmuts, Opfersinns und Hochgefühls 8 ) in Mazzinis politisches Verhalten einfließt und es allerseits durchsetzt. Eine zweite und noch ältere, wesentlich italienische Quelle, aus der Mazzinis politisches Fühlen, Denken und Wollen gespeist wird, ist die zu seiner Zeit wiedererstarkte römisch-katholische Kirche mit ihrem Gedanken der Civitas Dei, die in einer Civitas terrena sich verwirklichen soll*). Mazzini hat zwar, sobald das kritische D e n k e n in ihm erwachte, sich entschieden von seiner Kirche abgewendet und ist weiterhin zum Angriff gegen sie vorgegangen, aber was er als Kind und Knabe in einem tiefreligiösen Elternhause 5 ) mit der Muttermilch eingesogen und mit der 1 ) Bei Alfieri findet sich im Keime schon die von M. ausgearbeitete Verbindung des gesamtitalienischen Gedankens mit dem patriotischen Amte der Literatur, mit der Forderung einer neuen, strengen Heldenmoral und mit freiheitlichen Tendenzen. An Stelle der letzteren setzt Foscolo, bei sonst gleichbleibender Verbindung, modernere demokratische Tendenzen, und er zeichnet auch schon die Vereinigung von Patriotismus und Romantik vor. *) Vgl. S. E. I. Bd. I, 16. (1861) "L'Ortis mi capitò allora (in der Studienzeit) fra le mani, mi infanatichì : lo imparai a memoria." Vgl. ferner S. E. I. Bd. IV, 44. (1861); E. N. I, 303 (1830) u. a. a. 3 ) E. N. IX, 438: (Juli 1834) "Serbiamoci intatta questa visione d'una Italia creata ad esser Verbo delle nazioni — e s'è sogno, sia pure. — Adoriam questo sogno — il sublime escito dal mondo abbia un rifugio nelle nostre anime. — " 4) Die Neuguelfenpartei bildete sich zwar erst 1843, jedoch war die Verbindung von Nationalismus, Liberalismus—Demokratie und von Katholizismus in der Person und in den Schriften Manzonis schon zu M.s Frühzeit deutlich vorgezeichnet. 6 ) Vgl. Gaet. Salvemini, Studi Storici XX. Ricerche e documenti; Achille Neri: Il padre di G. M.; Mannucci op. cit.

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12 Luft eingeatmet hatte, hat er auch als reifer Mann aus seinem seelischen und geistigen Dasein nie wieder vollständig auszuschalten und abzuscheiden vermocht. Katholisch, nicht im dogmatischen Sinne, wohl aber im psychologischen Sinn des Wortes, ist zweifellos der Drang, durch metaphysische und ethische Ideen das politische Wollen und Wirken bestimmt sein zu lassen und diese jenseitigen Prinzipien höher zu stellen als die praktischen Rücksichten auf die augenblickliche Lage des Tages. Daher man denn sagen darf, daß die katholische Tradition dem politischen Fühlen und Denken Mazzinis jenen ausgeprägt metaphysischen Zug mitgeteilt hat. Diesen zwei wesentlich italienischen geistigen Mächten, dem Humanismus und dem Katholizismus, gesellen sich, vom Norden Europas her einbrechend, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts etwa erstens die französischen Revolutionsideen und zweitens die Romantik zu. Der Eindruck, den diese Bewegungen auf das italienische Volk machten, war ein ungeheurer 1 ), und beide haben ganz wesentlich zur Stärkung und Ausbildung des italienischen Nationalgefühls beigetragen. Die Grundgedanken der Französischen Revolution brauche ich zunächst nur mit den Schlagworten „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" anzudeuten; worauf es uns hier ankommt, ist die Tatsache, daß in den Ohren der Italiener diese Schlagworte, die für die ganze Menschheit als solche und für das einzelne Individuum gemeint waren, eine wesentlich nationale Bedeutung annahmen. Freiheit klang im Munde der Italiener wie nationale Unabhängigkeit, Gleichheit wurde zur Gleichberechtigung der Nationen, Brüderlichkeit bedeutete für sie nationale Einheit oder auch Freundschaft der Nationen'). In einem Volke, das von nationaler Sehnsucht erfüllt war und der Verwirklichung der nationalen Wünsche entbehrte, war diese Umdeutung nur natürlich und beinahe notwendig. ') Vgl. Hazard und Luchaire. *) In verschiedenen „jakobinischen" Zeitschriften der Halbinsel — Mazzinis eigener Vater hatte an einer solchen mitgearbeitet (A. Neri) — erhob sich noch vor der Jahrhundertwende der Ruf nach der "Repubblica Italiana una e indivisibile"; in der gleichen Zeit entstand in Anlehnung an die Farben des revolutionären Frankreich das Symbol des italienischen Einheitsgedankens, die grün-weiß-rote Trikolore; 1797 schon begründete Melch. Gioja mit den bekannten Argumenten der rationalistischen Revolutionsideologie die Forderung der unitarischen italienischen Republik. M. kannte dessen Gedanken, wie E. N. III, 261 (1833) beweist: "Melch. Gioja toccò, non certo esaurì, tutti i punti importanti nella dissertatione : Quale dei governi

13 Was schließlich die Romantik betrifft, so war sie bei ihren kräftigsten Vertretern, bei den Deutschen, eine wesentlich geistige, philosophische, spekulative und ästhetische Bewegung gewesen, politisch war sie uninteressiert oder neigte eher zur reaktionären Richtung. Sobald sie aber die Alpen überschritt, wurde sie nahezu vollständig politisiert und in den Dienst der nationalen Sache gestellt, so daß, nach Manzonis Angabe „Romantiker" soviel wie Liberaler und Patriot bedeutete. Wir kennen kaum einen italienischen Dichter der sogenannten romantischen Schule, der nicht mehr oder weniger entschieden diese Wendung mitgemacht hätte. Welch ausschlaggebende und nachhaltige Bedeutung diese Schule für Mazzini hatte, der ihr selbst angehörte, soll im Verlauf der Untersuchung noch gezeigt werden. Aus dieser zusammenfassenden Übersicht der großen geistigen Strömungen, mit denen allen der nationale Gedanke in Verbindung getreten war, ersieht man, daß, wenn auch keine abschließende Theoretisierung des italienischen Nationalismus, so doch verschiedene Ansätze zu einer solchen zustandegekommen waren. In diesen Ansätzen aber ist die Richtung und die Methode vorgezeichnet, nach welcher Mazzini weiterbauen sollte. Von grundlegender Bedeutung für die geistige Richtung von Mazzinis System ist, daß in den Zwanziger- und Dreißigerjahren die Romantik in feindlichem Gegensatz zu den rationalistischen Ideen der Revolution das europäische Geistesleben beherrschte und durch die Dichter der romantischen Patriotenschule, aus der Mazzini selbst hervorgegangen ist, die nationafe Vorkämpferin in Italien war. Nun war aber der italienische Nationalgedanke, wie gezeigt, anderseits eng mit den Ideen von 1789 verbunden, und diese lagen außerdem noch der extrem demokratischen und republikanischen Seite von Mazzinis politischem Programm zugrunde und waren damit — aus praktisch-politischer Notwendigkeit — wieder stark in den Vordergrund geschoben worden. Daraus ergab sich für Mazzini die Notwendigkeit, in seinem Systeme zwischen den beiden wesentlich feindlichen Gedankenströmungen einen Ausgleich zu schaffen, und er hat auch, der führenden liberi meglio convenga all' Italia, e opinò pel sistema unitario." Indes geht die Übereinstimmung zwischen M. und G. nicht über die allgemeinen Punkte Republik und Einheit hinaus, während die Ideologie des Sensualisten G. derjenigen des Idealisten M. diagonal entgegengesetzt ist. Mannucci scheint S. 179—181 diesen Gegensatz zu übersehen, sowie auch die Tatsache, daß die Idee der gesamtitalienischen Republik keineswegs nur G. eigen und zu M.s Jugendzeit und gar in M.s Hause durchaus kein Geheimnis war.

14 europäischen Gedankenrichtung folgend, die Umbildung des demokratischen und nationalen Prinzips durchgeführt, in der an Stelle des früheren rationalistisch-französischen Einflusses der idealistisch-romantische, vorwiegend deutsche Einfluß bestimmend wurde. Was schließlich die Methode betrifft, nach der Mazzini sein System aufbaut, so glaube ich — abgesehen freilich von dem angeborenen geistigen Charakter Mazzinis — wiederum die Dichterpatrioten verantwortlich machen zu können. Ich habe vorhin auf den edlen, hochfliegenden aber unpraktischen Zug hingewiesen, den Mazzini seiner literarischen Erziehung verdankt, hier kommt es mir auf den edlen, hochfliegenden aber unwissenschaftlichen Zug an. Kritische Genauigkeit, philosophisch strenges Denken sind nun einmal nicht die Sache der Poeten und auch nicht Mazzinis, der sich in allen seinen Schriften viel eher als Dichter denn als Denker offenbart. E r unternimmt, wie seine patriotischen Vorgänger — freilich nachdrücklicher und umfassender als diese — in allen Systemen, Schulen und Gedankenrichtungen, mit denen er in Berührung kommt, gleichsam Beutezüge, um alles zusammenzutragen, was sich für den nationalen Gedanken, oder genauer, für sein politisch-pädagogisches Programm eignet oder was sich, mehr oder weniger willkürlich umgedeutet, dafür verwerten läßt. E r hält sich ebensowenig wie seine poetischen Vorgänger streng an einen bestimmten Denker oder an ein bestimmtes System, sondern er adoptiert durchaus eklektisch, woher es auch sei, aber immer von dem nationalen Willen geleitet, nur einzelne losgelöste Ideen, Ideenreihen, allgemeine Tendenzen, Stimmungen, Grundrisse, um diese oft disparaten Elemente ohne viel philosophische Skrupel mehr gefühlsmäßig durch den Schwung der Begeisterung miteinander zu verbinden, mehr addierend als subordinierend. Logisch ist dieses Verfahren sicherlich eine Schwäche; für die agitatorische Wirkung aber — und auf die kommt es an — ist zusammen mit dem Radikalen und Einseitigen von Mazzinis Denkweise gerade dieses Intuitive, Instinktive, das Zwiespältige und Widerspruchsvolle, die verschwommene hohe Überzeugung, die es möglich macht, Elemente aus einander entgegengesetzten Gedankenrichtungen nebeneinander zum selben Zwecke zu verwenden, äußerst günstig. Philosophisch-logisch aber bedeutet das — ich widerhole es — eine Schwäche, und es hat jeder Versuch, Mazzinis System im Zusammenhange darzustellen, notwendigerweise etwas Willkürliches und Sprunghaftes. E s ist bedeutsam und sicher kein Zufall, daß Mazzini selbst sein System niemals — auch in "Foi et Avenir" nicht — zusammen-

15 hängend entwickelt hat, sondern d a ß er immer nur, je nach Bedarf, größere oder kleinere Bruchstücke davon seinen Schriften eingestreut hat. A l s Grund für diese T a t s a c h e „Zeitmangel" anzuführen, scheint ebenso verfehlt wie das Unternehmen der Leute, die — wohl weil sie mehr Zeit hatten — meinten, das „Versäumnis" Mazzinis nachholen oder g a r seine „Philosophie" ergänzen zu können. Mit solchen Versuchen tut man Mazzini sicher keinen Gefallen, sie beweisen nur, ohne es zu wollen, seine philosophische S c h w ä c h e und zielen dabei am Kerne, an der Seele und an der Rechtfertigung des Systems vorbei, an dem alles belebenden und alles beherrschenden patriotisch-politischen Willen.

Die Literatur im Dienste der Politik Mazzinis. D i e A n f ä n g e des Systems liegen schon vor der Gründung der "Giovine Italia" und gehen, wie sich sehr leicht erkennen läßt, in Mazzinis erste Schriften zurück. W i r haben schon gehört, d a ß die Dichter die Führer der nationalen B e w e g u n g waren und d a ß in erster Linie die D i c h t u n g als eine A r t patriotischen Erziehungs- und Propagandamittels behandelt wurde. Mazzini bediente sich nun zur Verbreitung der politischen Ideen nicht der Dichtung selbst, die eine etwas schwere und unbeholfene W a f f e war, sondern er griff n a c h dem Muster des Mailänder "Conciliatore" und der Florentiner " A n t o l o g i a " zu einer leichteren, schnelleren und schärferen W a f f e , der periodischen Literaturkritik. Schon diese erste Entscheidung ist bezeichnend für den politischen Tätigkeitsdrang Mazzinis 1 ), der damit gleichsam in das Hauptquartier eintrat, das die nationale Aktion der Schriftsteller leitete. W i e Mazzini sein A m t als Kritiker auffaßte, m a g man a u s seinen eigenen W o r t e n entnehmen: " L a controversia letteraria (gemeint ist der K a m p f zwischen Klassikern und Romantikern, an dem Mazzini als eifriger Romantiker teilnahm) si convertiva in politica : bastava mutare alcune parole per avvedersene. E r a n o guerricciole, z u f f e di bersaglieri sul limite di due campi 2 )." E s sind also literarische Ideen die ersten, die *) S. E. I. Bd. I, 19 ( 1861 ). "La via dell'azione a ogni modo era chiusa; e la questione letteraria mi parve campo ad aprirmela quando che fosse." ff. ») S. E. I. Bd. I, 20 (1861); vgl. auch E. N. I, 229. "L'affaticarsi pe'laberinti della critica, quando l'animo nato ad oprare si ribella a quanto ha faccia di pedanteria, pesa spesso a chi legge, più spesso a chi scrive "

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Mazzini in den Dienst der Politik stellte, sie sind der Anfang seiner politischen Ideologie. Schon Alfieri und Foscolo 1 ) hatten das ernste erzieherische und patriotische Amt der Dichtung nicht nur ausgeübt, sondern auch ausdrücklich gefordert. Eine theoretische Vertiefung und Rechtfertigung erhielt aber diese Forderung erst durch die Ideen der romantischen Literaturkritik2), die in erster Linie durch die Staël und A. W . von Schlegels Wiener Vorlesungen in Italien verbreitet wurden. Vor allem übernahmen die Italiener den Gedanken der Romantik vom Verbundensein von Dichter und Zeitumgebung, den Gedanken, daß die Dichtung nicht isoliert, unabhängig von Zeit und Raum nach einem unabänderlichen, überall gültigen, klassischen Schönheitsgcsetze nur für sich lebe, sondern daß sie mit ihrer historischen Umgebung, mit der politischen Lage, der gesellschaftlichen Struktur, dem Glauben, den Bedürfnissen des einzelnen Volkes zusammenhänge, dadurch in ihrer nationalen und zeitlichen Verschiedenheit bestimmt und gerechtfertigt, ein Ausdruck, eine Funktion all dieser Faktoren, mit einem Worte ein Ausdruck der Gesellschaft sei. Dieser Satz, der in seiner allgemeinen Fassung in der verschiedensten Weise angewendet werden kann3), wurde in Italien, wo das praktische politische Interesse schon stark in die Kunst eingedrungen war, weniger zum historisch-kritischen Verstehen der künstlerischen Produktion früherer Zeiten und fremder Völker benützt, als vielmehr zu einer Rechtfertigung der schon bestehenden Politisierung der Literatur und weiterhin zu einem stark politisch gefärbten Postulate umgedeutet. Die Dichtung sollte nicht mehr höfisch, gelehrt, zeitlos, wirklichkeitsfern und ein eitler Wohlklang für die Ohren müßiger Ästheten sein, sondern die Verbindung mit der Gegenwart, mit der Wirklichkeit, mit dem Volke suchen, teilnehmen an den Fragen, die die Nation bewegten und ihnen Ausdruck verleihen, einen positiven, zeitgemäßen, d. h. moralisch-politischen Ideengehalt haben, sie sollte nicht für sich, *) Vgl. z. B. Foscolos Mahnung an die Italiener in "Jacopo Ortis" 1803. Brief vom 4. XII. 1798. 2 ) Die klassische Begründung war freilich schon im Satze Horaz' gegeben: Aut prodesse volunt aut delectare poetae. 3 ) De Bonald und De Barante, die als erste (nach B. Croce, La Critica, 6. VII. 1904, S. 341 f.) den Gedanken der "Littérature comme expression de la société" aussprachen, verwendeten ihn, um zu zeigen, daß die Geschichte die Literatur, nicht aber die Literatur den Verlauf der Geschichte beeinflusse; also gerade im entgegengesetzten Sinne der italienischen Romantiker und vor allen Mazzinis.

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sondern für die Nation leben, wirken, lehren, bessern, erziehen. Kurz, die Literatur sollte als Teil der Institutionen einen praktischen Zweck haben, nach Berchet sollte sie "migliorare i costumi degli uomini", nach Ermete Visconti hatte sie "il bene pubblico e il bene morale", nach Manzoni „l'utile" zum Ziele1). D a ß die romantische Literaturform als die freie*) (autoritätsfeindliche, liberale), volkstümliche®) (demokratische) und gemütsbetonte 4 ) (National g e f ü h 1) für diese „nützliche", d. h. patriotisch-erzieherische Aufgabe als besonders geeignet erschien, leuchtet ohne weiteres ein. Diese Anschauungen übernahm Mazzini schon fertig in seiner ersten jugendlich begeisterten Schrift, die mit den bezeichnender. Worten beginnt : "Quando le lettere formavan, come debbono, parte delle istituzioni, che reggevano i popoli, e non si consideravano ancora come conforto, bensì com' utile ministero, fu detto il poeta non essere un accozzatore di sillabe metriche, ma un uomo libero, spirato dai Numi a mostrare agli uomini la verità sotto il velo dell'allegoria..." usw.6) Mazzini sagt uns auch, woher er den grundlegenden Gedanken der Verbundenheit von Kunst und Zeitumgebung hat : "Il vincolo, che annoda in un popolo le istituzioni, le lettere, e i progressi della civiltà, indovinato un Secolo innanzi dal nostro Vico 6 ), . . . . . diede cominciamento ad una nuova scuola . . . . Herder, A. W. Schlegel, ed altri mostrarono co'loro scritti, che la vita intellettuale dei popoli non va disgiunta dalla loro vita civile e politica. Una donna, che seppe far piangere, e meditare, la Staël, comunicò prima l'impulso al mezzodì dell'Europa. Sismondi, Ginguené, Salfi, per tacer d'altri minori, si slanciarono animosi sul nuovo sentiero. Eichhorn, Bouterweck, Meiners nella Germania scrissero filosoficamente Storie Letterarie . . ." usw.7) Auch die spezifisch italienische Umdeutung dieser Idee zur Rechtfertigung *) Vgl. Borgese. *) S. E. I. Bd. I, 20 ( 1861). "Per noi l'indipendenza in fatto di Letteratura non era se non il primo passo a ben altra indipendenza : una chiamata ai giovani perchè ispirassero la loro alla vita segreta che fermentava giù giù nelle viscere dell'Italia." ') E . N. I, 319 (1830) "il carattere dell'epoca, epperò della nuova letteratura è in sommo grado popolare." 4) E . N. I, 277 (1830). " L e moltitudini imparano col cuore: studiate (an die Dichter) le vie che a quello conducono.. ') E. N. I, 3 (1826 oder 1827). ' ) Über ihn vergleiche Seite 31. ') E. N. I, 114 (1828).

18 der Tendenzliteratur machte Mazzini mit kraft der Behauptung: "I veri confini dell'arte sono tratti dall'utile e dall'inutile 1 )." Bald aber erweiterte Mazzini, ohne sie aber aufzugeben, diese enge Auffassung der italienischen Romantiker bei Gelegenheit seines Faust-Artikels "L'utile, e la moralità d'uno scritto devono calcolarsi più vastamente, che non s'è fatto finora . . ."') E r wandte sich gegen das Prokrustesbett 3 ) der klassischen wie der romantischen Kritiker und wollte der Literatur mehr Freiheit geben, sie nicht wie bisher an eine unmittelbare, engbestimmte und engbegrenzte erzieherische A u f g a b e binden, sondern ihr mehr Spielraum lassen, sie sollte ganz allgemein "infiammarci a considerazioni, ed affetti di un ordine universale 4 )". Dem Wesen der Kunst wird diese weitherzigere Ansicht zweifellos gerechter — und das geht uns hier nichts an —, man denke aber ja nicht, d a ß Mazzini damit die Literatur etwa vom Dienst für das Wohl der Menschen und im besonderen des Vaterlandes befreien wollte, oder daß er gar die Autonomie der Kunst anzuerkennen und auf ihre wertvolle Hilfe im politischen Kampfe zu verzichten gedachte. Ganz im Gegenteil: mit der Erweiterung der Grenzen der Dichtung verstärkte Mazzini — so paradox das klingt — ihre utilitaristische Stellung, er lockerte die Fesseln, mit denen die romantischen Kritiker die Kunst gebunden hatten, aber nicht um sie zu erlösen, sondern damit sie um so besser und umfassender für das praktische Ziel wirken und dienen könne: "forse p i ù v a n t a g g i o deriva dal commovere l'anima universalmente, che non dall'inculcarle un Vero determinato 6 )". Und zwei Seiten weiter: "Qualunque libro riesca a promuovere nei suoi lettori questa occulta potenza, questo senso indefinito, padre, delle belle cose, e delle o p e r e g e n e r o s e , parmi dunque risponda al d i s e g n o d e l l a c i v i l t à , e tocchi la meta a cui deve tendere lo scrittore 6 )." ') E. N . 1 , 59 (1828). ') E. N. I, 132 ( 1 8 2 9 ) ; vgl. auch E . N. I, [30 (1829), wo M. die Ansicht bekämpft, welche die Dichtungen "accusa d'inutili, se l'utile non ne sgorga diretto e come consequenza voluta dallo scritt o r e " . Man sieht hier, wie M. doch an der ..Nützlichkeit" als Kriterium festhält. *) E. N. I, 130 (1829). 4)

E . N. I, 132 (1829).

') E. N. I, 132 (1829). Diese Stelle schließt unmittelbar das auf Seite 19 unter Fußnote 2 angeführte Zitat an. •) E. N. I, 134 (1829).

an

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Aus diesem letztzitierten Satze erkennt man schon, daß die Erweiterung der Grenzen der Kunst zusammenhängt mit einer Erweiterung ihrer Aufgabe, ihres Zieles, d. h. mit der in derselben Zeit beginnenden Ausbildung und Erweiterung von Mazzinis politisch-philosophischem Glauben. Das „utile" als Grundtendenz behält Mazzini in seiner stark praktischen Einstellung bei, aber es bedeutet für ihn nicht mehr, wie für die anderen Romantiker, nur die einfache und direkte Verbreitung moralischer, liberaler und patriotischer Tendenzen, sondern mehr und mehr die Verbreitung der neuen mazzinianischen, vorwiegend geschichtsphilosophischen Verkleidung und Vertiefung dieser Tendenzen. Und H a n d in Hand mit der philosophisch-universalistischen Steigerung seiner Ideologie geht die philosophisch-universalistische Steigerung des Amtes, das Mazzini der Literatur zuweist. E r fordert nunmehr als die wirksamste Dichtung eine „philosophische" Dichtung: "il vero scrittore Europeo sarà un filosofo, ma colla lira del poeta tra le mani 1 )." Ich will nun nicht im einzelnen berichten, wie sich Mazzini diesen philosophischen Dichter vorstellt und welche Vorschriften er ihm macht. D a s Wesentliche ist, d a ß der Dichter, besonders der dramatische, nicht willkürlich und ziellos die Zügel schießen lassen darf, anderseits auch nicht bloß getreu die Tatsachen darstellen, einen bloßen Abklatsch der Wirklichkeit (il vero dei fatti) geben soll, sondern daß er hinter und über der Wirklichkeit die ewigen, universalen Gesetze (il vero dei principii) darstellen soll, die den Gang der Weltgeschichte zur Freiheit leiten, und von denen die empirische Wirklichkeit nur ein materieller Ausdruck ist, daß er den Geist des Alls aufsuchen, erkennen und den Zuschauern vor die Sinne bringen soll8). So werden also die Dichter zu "interpreti delle leggi universali, che promuovono gli umani eventi®)" und diese geschichtsphilosophische Tendenz, die Veranschaulichung der ewigen Idee im einzelnen Ereignis soll der Charakter der neuen romantischen, oder wie es später heißen wird, der „sozialen" 4 ) Literatur des Jungen Europa sein. Man vergesse nun nicht, zu welchem praktischen Zwecke Mazzini diese Umwandlung der Dichtung und ganz besonders des historischen Dramas in einen geschichtsphilosophischen Anschauungsunterricht, in "una specie di bigoncia popolare, una cat•) E . N . I, 220 ( 1 8 2 9 ) . ') V g l . bes. E . N . I, 290 f f . ( 1 8 3 0 ) . ') E . N. I, 277 ( 1 8 3 0 ) . ') Zuerst E . N. I, 324 (1830).

20 tedra di filosofia dell'umanità 1 )" vornehmen will: zur E r h ö h u n g der praktischen Wirksamkeit der Kunst 1 ). A u f Grund dieser Umwandlung geht Mazzini auch tatsächlich einen Schritt weiter in der Tendenz, die Literatur zu praktisch-politischem Dienste heranzuziehen und er geht damit über die italienischen Romantiker hinaus 3 ). Die Dichtung, die "desunte dal passato le leggi dell'avvenire" 4 ) offenbaren soll, wird nun — wie man leicht weiterfolgern kann — aus einem „Ausdruck der Gesellschaft" zu einem Führer der Gesellschaft : "in questo periodo della società, l'ufficio della Letteratura a n c h ' e s s o si muta, e dove prima esprimeva, e seguiva, p r e c e d e , e i n d o v i n a " 5 ) und weiter "per lui (Schiller) il poeta era e d è veramente — un uomo che sta fra il passato e il futuro: prima d'essere artefioe, era cittadino dell'epoca in ch'egli era nato, e ne presentiva i destini. Scriveva a un mondo che, giovine, e all'aurora del suo sviluppo, attendeva la rivelazione del proprio pensiero . . . egli si sentiva consegrato dal genio alla missione religiosa di cacciar sulla terra e fra l e moltitudini de'principii fecondi e luminosi di sublimi speranze, perchè l'epoca, compiuta quasi l'opera di distruzione, non si rimanesse incerta, e scettica d'avvenir« 6 )." S o soll die philosophisch vertiefte, vom Genius erleuchtete D i c h t u n g endlich die ganze Menschheit auf ihrem W e g e zum Fortschritt führen, ihr vorauseilen, sie wird zum Seher, zum Propheten und Messias'), l)

E. N. I, 290 (1830). ') Vgl. bes. E. N. I, 306/7 und 295. *) Vgl. über die fortschreitende Abwendung M.s von der strengen, italienischen, romantischen Schule E. N. I, 130 (1829), 290/1 (1830); E. N. III, 69 (1832); E. N. VIII, 96 (1836). 4)

E. N. I, 291 (1830); vgl. auch E. N. I, 305 (1830).

') E. N. I, 191/2 (1829). ') E. N. I, 312 (1830). ') Die Ansichten, die M. unabhängig von den Saint-Simonisten über die „nützliche" wie auch „prophetische" Literatur entwickelt hatte, fand er später in den saint-simonistischen Theorien nahezu übereinstimmend wieder. Vgl. z. B. Oeuvres de St.-S. et d'Enfantin, Bd. 41, S.. 89 "s'ils (die Männer der überwundenen Epoche) gardent un modeste silence sur cette manière d'être de l'homme, qui, seule, sait parler au cœur et émouvoir, s'ils ne disent rien sur les beaux arts, c'est qu'ils ne les considèrent que comme un délassement, dont le but utile est de charmer les loisirs d'une fastieuse et onéreuse oisiveté"; das sind dieselben Vorwürfe, die M. und die italienischen Romantiker so oft gegen die Klassizisten

21 "Guardate in alto: siate profeti dell'avvenire, — là è poesia. Presiedete alla creazione d'un nuovo mondo, del mondo della libertà" (an die Dichter des 19. Jh. E . N. Bd. I, 370, 1832) ruft er. U n d weiter: "la poesia è vita, moto, foco, stella che illumina il cammino dell'avvenire, colonna di luce che passeggia davanti a'popoli, come agli Ebrei nel deserti ')." Damit hat nun endlich die in Italien von Parini, Alfieri, Foscolo angebahnte Auffassung des Dichters als Erzieher, die von den Romantikern fortgeführt, ausgebaut und mit dem Gedanken des „Verbundenseins" und des „utile" theoretisiert worden war, in Mazzinis menschheitsführendem Dichterpropheten ihren Höhepunkt erreicht. Als die treibende Kraft in dieser ansteigenden Entwicklung ist ohne Schwierigkeit der mehr oder weniger unmittelbare politische Wille zu erkennen, zumal wenn man den Inhalt der philosophischen und prophetischen Dichtung betrachtet, der natürlich kein anderer ist, als Mazzinis zuversichtlicher Fortschritts-, Freiheits- und Menschheitsglaube. Es

mag

interessieren,

daß

Mazzini

das

Ideal

der

„philo-

sophischen" D i c h t u n g — nicht eigentlich der prophetischen, denn diese sollte ja sein besonderes S y s t e m verkünden und blieb daher in der H a u p t s a c h e W u n s c h und F o r d e r u n g — a m ehesten in der

erhoben hatten. Vgl. ferner Oeuvres, Bd. 41, S. 112. "Le p o è t e . . . . est . . . le chantre divin, placé en tête de la société pour servir d'interprète à l'homme, pour lui donner des lois, pour réprimer ses penchants rétrogrades, pour lui révéler les joies de l'avenir, et soutenir, exciter sa marche progressive . . ." (1828). Auch diese Auffassung vom Amt des Dichters stimmt mit der M.s überein und ist für diesen einer der Anknüpfungspunkte, die ihm die St.-S. Theorien näher brachten. Von den St.-S. übernahm dann M. die typische Einordnung des leeren, unnützen (klassischen) und des egoistischen: gleichgültigen oder verzweifelten Dichters (Goethê, Byron) in. dié : individualistische Kulturepoche, und die Verbindung des gläubigen, beglückenden und führenden Dichters mit der sozialen Epoche,' vgl. z. B. Oeuvres usw. Bd. 41, S. 173 (1825) und Mazzini E. N. I., 349 ff. (1833). Der Gedanke des prophetischen, Dichterberufs findet sich — teils auf St.-S. zurückgehend auch bei Lamennais und bei dessen Freund und Schüler V. Hugo: " L e poète en des jours impies vient préparer des jours meilleurs . . ." Ausg. Nelson, Bd. 27, S. 145. "Le législateur est l'exécuteur des volontés du poète." Op. cit. Bd. 42, S. 163. Vgl. dazu Rud. Ziegler, „Utopien und gesellschaftliche Reformpläne bei V. Hugo." Münchener Diss. 1925. ') E. N. I, 363 (1832).

22 deutschen 1 ) Dichtung verwirklicht sah 2 ). Diese Sympathie ist nicht nur allgemein aus seiner romantischen Einstellung zu erklären — übrigens galt unsere ganze Literatur der zweiten Blütezeit in Italien für „romantisch" — sondern sie liegt doch tiefer begründet. Mazzini forderte den "filosofo . . . colla lira del poeta tra le mani", und wo konnte er diesen eher finden als im L a n d e der Dichter und Denker, in der Literatur, deren Eigenart und Größe nicht zuletzt im Bunde von Philosophie und Kunst bestand, bei dem Volke, das zugleich die neue Geschichtsphilosophie und die neue Kunstkritik 3 ) ausgebildet hatte4). S o schließen denn auch die bedeutendsten Aufsätze, in denen Mazzini seine An!) E s sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß M. das Deutsche, das er als "lingua assai difficile, ma che dev'esser bellissima, e dì più . . . . secondo me dolcissima a parlarsi" bezeichnet (in der Schweiz! E . N. X , 1 5 0 ; 13. Okt. 1834), in Genua überhaupt nicht kannte und es auch später nur zu höchst mangelhaften Kenntnissen brachte, so daß sich mit Sicherheit annehmen läßt, M. sei die deutsche Literatur in der Hauptsache nur so weit zugänglich gewesen, als sie ins Italienische, Französische oder Englische übersetzt war. Über M.s deutsche Sprachkenntnisse vgl. E . N. I X . 330, 7. Mai 1 8 3 4 ; E . N. IX, 4 1 8 , 2. J u l i 1 8 3 4 ; E . N. X , 237/8, 30. Nov. 1834; und den in "Rivista popolare" 1905, S. 295 veröffentlichten Brief Aur. S a f f i ' s vom 16. V I I . 1 8 8 5 ; " M . non conosceva la lingua tedesca in modo da poter leggere e intendere facilmente gli scrittori della medesima. Seguiva però attentamente il moto del pensiero germanico nelle traduzioni e nelle riviste, e spesso piacevagli di penetrare, quasi per istinto, coli' aiuto del dizionario, il senso de' poeti . . . " Im Februar 1836 versuchte M. Lessings „ E r ziehung des Menschengeschlechts" aus dem Deutschen zu übersetzen. E . N. IX, 230/1. 2 ) Vgl. E . N. V I I I , 50 ( 1 8 3 5 ) . " L e drame historique que nous rêvons, le drame dont la première ébauche nous est venue d'Allemagne, le drame vers lequel convergera peut être toute la littérature de l'époque nouvelle, embrassera ciel et terre." 3 ) Vor der deutschen Kunstkritik — besonders vor der Lessings — hatte M. einen ganz besonderen Respekt. Vgl. E . N. I, 328 ( 1 8 3 0 ) ; E . N. X , 337 (2. II. 1 8 3 5 ) ; E . N. V I I I , 102, 1 1 5 ( 1 8 3 6 ) . 4 ) Vgl. E . N. I, 1 1 6 ( 1 8 2 8 ) "quindi ne'scrittori germanici tu vedi bellamente avvicendarsi due doti in apparenza contrarie: nè mai la fantasia è in essi si fervida che non covi alcunché di profondo e di grave, nè l'intelletto è cosi severo, che il cuore e la immaginazione non v'abbian gran parte." Vgl. auch E . N. I, 187 ( 1 8 2 9 ) , wo M. von der deutschen Literatur bemerkt, sie sei "rivolta più all'avvenire, che interprete del presente" kraft des in Deutschland blühenden philosophischen Geistes.

23 sichten über die geforderte Literatur zuerst entwickelt, alle an W e r k e deutschen Geistes a n : an F . Schlegels „Geschichte der alten und neuen Literatur" 1 ) an den Faust 2 ), an Goethes Wort von der kommenden Weltliteratur 3 ), an Schillers „Don Carlos" 4 ). Welcher von unseren Dichtern Mazzini bei seiner philosophischen und freiheitlichen Einstellung am nächsten stand, ist leicht zu erraten: es ist Schiller 5 ), der „sentimentalische" Dichter, dessen Werke so oft von einer bewußten Idee ausgehend, diese veranschaulichen wollen, dessen tragische Personen „keine wirklichen W e s e n " sind, „die bloß der Gewalt des Moments gehorchen und bloß ein Individuum darstellen, sondern ideale Personen, Repräsentanten ihrer Gattung, die das Tiefste der Menschheit aussprechen" (Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie). U n d von den Schillerschen Personen wählt sich Mazzini — höchst bezeichnend — zur Veranschaulichung seiner Theorien über das D r a m a den Marquis Posa. 1 ) Storia della Letteratura antica e moderna di F. C. di Schlegel, E. N. I, 1 1 3 ff. (1828). 2 ) Faust, Tragedia di Goethe. E. N. I, 127 (1829). s ) D'una Letteratura Europea, E. N. I, 177 ff. (1829). ) E . N. X , 3 2 3 , 30. Jan. 1835. ) E . N X , 3 2 3 , 30. Jan. 1835. 3 ) Vgl. auch E . N. IX, 423. " C o s ' è questa vita, se non consacrata ad un idea ? — Io m'ammazzerei subito se lasciassi. — Però ho meno merito a f a r e . " 10. Juli 1834. 4 ) E . N. X , 189, 1 1 . Nov 1834. s ) E . N. X , 1 1 8 , 1. Okt. 1834. •) Vgl. auch E . N. IX, 456, Juli 1834. "Sostituita l'idea fredda e grave d'un dovere fatale, necessario a compirsi all'entusiamo ch'io ho sentito potentissimo ne'primi tempi penso, opero, scrivo e parlo senza gioia, senza emozione di lode o di biasmo, senza moto d'affetti umani...." !

65 Ora sto in faccia al destino e lo guardo solo. M'avanzano dei doveri, e questi saprò compirli anche dopo aver disperato di me . . Mi sento legato dalle vittime e dalla mia coscienza. Però sosterrò fino all'estremo delle mie forze la parte che un qualche cosa più forte di me m'ha assegnata 1 )". Und dieses Versprechen hat er wahrlich in vollstem Maße gehalten. Selten hat ein Mensch mit solcher Selbstverleugnung, mit solchem sittlichen Mut so ausschließlich und zäh nur der Verwirklichung einer hohen Idee gelebt, mit solch unerbittlicher Strenge gegen sich selbst auf alle Freuden des Daseins verzichtet, um unbeirrt und unbekümmert um die Welt bis zum Ende den dornenvollen W e g zu gehen, den ihn sein Gewissen wies. E s ist wahrlich nicht Phrase, wenn Mazzini einem zagenden Freunde schreibt: "Mazzini è morto, non avrai a fare che collo Strozzi2)." Diese düster-strenge Lebensauffassung, deren Grundzüge restloser Verzicht auf irdisches Glück und unerbittliche, aktive Pflichterfüllung sind4), findet erst spät in den öffentlichen Schriften Mazzinis seinen vollen Ausdruck: noch in "Foi et Avenir" (1835) nur zaghaft, und erst in den "Doveri dell'Uomo" (1841 bzw. 1860) entschieden und abschließend formuliert. E s versteht sich nun eigentlich von selbst, daß die sittlichen Vorstellungen des Revolutionärs in hohem Maße an der christlichen Moral orientiert sind 4 ); aber Mazzini entkleidet freilich — wie schon D e Sanctis bemerkt — die christliche Lehre aller freundlichen und tröstenden Züge, um einseitig die seinem Charakter und seiner Aufgabe gemäßen asketischen und streng gebietenden Forderungen zu betonen. Mit diesem Streben nach freudloser und unerbittlicher Strenge des Sittengebots erinnert Mazzinis Moral an die kantische Lehre, welcher sie psychologisch ) E. N. V, 3 4 7 - 3 4 8 , 18. Juli 1833. *) E. N. V, 348, 18. Juli 1833. Strozzi ist der Name, den M. als Haupt und Mitglied der "Giovine Italia" führt. *) E. N. V, 384, 28. Juli 1833. "Amate la patria, e più ancora la libertà, lavorate per l'avvenire, non isperate nulla per voi: rinnegate cuore, passioni, speranze, rinnegate tutto, fuorché un sentimento di dovere, di missione, e di martirio." 4 ) E. N. XIV, 338, 31. März 1838. "La morale du Christ est éternelle: l'Humanité y ajoutera; elle ne lui òtera pas une seule ligne."

66 sittliche Aufgabe der "Giovine Europa" formuliert1). Später stellt er einen dem kantischen sehr ähnlichen Satz auf : "ad ogni opera vostra nel cerchio della Patria o della famiglia, chiedete a voi stessi: se questo ch'io fo fosse fatto da tutti e per tutti, gioverebbe o nocerebbe all'Umanità? E se la coscienza vi risponde: nocerebbe, desistete: desistete, quand'anche vi sembri che dall'azione vostra escirebbe un vantaggio immediato per la Patria o la famiglia 2 )". Die Verwandtschaft mit der Auffassung Kants ist hier unverkennbar, man darf sich aber durch diese Ähnlichkeit nicht dazu verführen lassen, hinter Mazzinis Satze dieselbe unendlich feine und gründliche Gedankenarbeit wie bei dem deutschen Philosophen zu suchen. Von der Autonomie des Sittengesetzes weiß der Revolutionär nichts. Für ihn ist dieses das Gebot der transzendenten Gottheit, und nur durch den göttlichen Willen erscheint es ihm genügend gefestigt. So gelingt es Mazzini auch nicht, oder vielleicht besser, so beabsichtigt Mazzini auch nicht, nach dem Vorbild Kants den Eudämonismus gänzlich zu verwerfen; er schaltet ihn nur im Diesseits unerbittlich aus und das ist völlig genügend für Mazzinis Absicht, durch keinerlei irdisches Glückstreben gehemmte oder nur bedingte heldenhafte Pflichterfüllung zu erziehen. An dem Glauben einer Belohnung im Jenseits dagegen hält Mazzini fest, und dieser Glaube wirkt in eben derselben Richtung, wie die Leugnung des irdischen Glücksstrebens, er soll die unbedingte, durch keinerlei diesseitige Rücksichten geschwächte, restlose pflichtgemäße Aufopferung erzeugen. Von Kants Feststellung, daß es nichts Besseres gibt als den guten Willen, weiß unser Revolutionär begreiflicherweise nichts; er leugnet sie zwar nicht ausdrücklich, aber er übergeht sie. Schon dieser kurze Vergleich genügt, um die Ähnlichkeit, wie die Verschiedenheit zwischen Kant und Mazzini zu zeigen. Es ist wohl unverkennbarer kantischer Geist, der uns — wahrscheinlich auf Umwegen dorthin gelangt — in Mazzinis Sittenlehre entgegentritt, aber es ist nicht kantische Philosophie*). Ersterer ist für den Agitator ») E. N. I, 3 1 7 — 3 1 8 , 1830. *) S. E. I. X V I I I , 55—56, 1841. *) Vgl. E. N. I, 1 1 6 — 1 1 7 , 1828. M.s eigenartiges UrteU über die deutsche Philosophie und über die "disquisizioni kantiste". "Pure avviene sovente, che in simile divagamento ti si sveli qualche mistero della umananatura, qualcheincognitoriavvicinamentotragliesseri, come avvenne a Colombo di scoprire un mondo nell'America, mentr'iva in traccia d'una chimerica estenzione dell'Asia verso L'Oriente."

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äußerst wertvoll, mit der letzteren weiß er nichts anzufangen. A. Levi bedauert bei dieser Gelegenheit die philosophische Inkonsequenz Mazzinis; meines Erachtens sehr mit Unrecht. Mazzini ist gar nicht inkonsequent: er weicht, obwohl er dieselben praktischen moralischen Forderungen aufstellt wie Kant, von dessen Autonomie des Sittengesetzes ab und ersetzt sie durch die überkommenen Gedanken der gottbefohlenen Moral unter Belohnung des Guten im Jenseits. Ich sehe gerade in diesem Abweichen Mazzinis von der Philosophie Kants Konsequenz, gerade in seiner philosophischen Schwäche agitatorische und erzieherische Stärke. Kant sucht die reine Sittlichkeit, Mazzini die heroische Tat, und damit ist seine Auffassung der gottgebotenen und im Jenseits belohnten Sittlichkeit als die psychologisch für den Durchschnitt verständlichere und geeignetere vollauf gerechtfertigt. Diese selbe mehr praktische als philosophische Einstellung verrät auch die weitere Ausbildung von Mazzinis Gedanken über die Pflicht. Ihnen liegt nicht so sehr die Frage zu Grunde: woher kommt die Pflicht, was ist ihr Wesen? als vielmehr die Frage: was fordert die Pflicht, was ist der Inhalt der pflichtgemäßen Tat ? Man wird sich nicht wundern, daß der Revolutionär alle seine Ideale und Ziele, so wie er sie schon zu religiösen Begriffen gemacht hat, nunmehr auch, mehr oder weniger direkt, als sittliche Begriffe, als sittliche Forderungen auffaßt. Bei der Durchführung dieses Gedankens ist er aber auch weit mehr in seinem Elemente und weit glücklicher als mit seinen religiösen Reformversuchen. Er hält sich zunächst wieder an die Lehren der Saint-Simonisten, welche dem auflösenden "égoïsme", "intérêt" und "droit" der individualistischen Epoche, die verbindenden Begriffe von "dévouement" und "devoir" entgegensetzten und statt der vollendeten Konstituierung des Individuums die Konstituierung der Gesellschaft, die "association" als die beherrschende Aufgabe des kommenden Zeitalters bezeichnen. Mit dieser neuen Aufgabe ändert, erweitert sich auch das Sittengebot. Auch die christliche Moral ist nur individualistisch: sie fordert die Rechtfertigung des Individuums vor Gott, fordert, daß der Christ auf s e i n Seelenheil bedacht sei und betrachtet das kontemplative, das weitabgewandte und nur der Rettung der eigenen Seele gewidmete Leben als das gottgefälligste. Anders die neue Moral. Nicht das Individuum, sondern die Gesellschaft, die Menschheit ist das Zeichen der beginnenden Epoche, und nicht das Individuum und seine Seele, sondern die Gesellschaft ist das Objekt, das Ziel des moralischen Handelns; statt des Lebens für das

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eigene Seelenheil gilt das tätige Wirken für die Gesellschaft, für die Menschheit als die höchste Sittlichkeit. Der Mensch ist nicht für sich da, sondern für seine Mitmenschen, er hat nicht zu beten, sondern zu handeln 1 ); er hat unter Verzicht auf alle Freuden zu arbeiten, zu kämpfen, sich zu opfern, um der Menschheit und dadurch Gott zu dienen. Gott wird nicht fragen: was hast du für deine Seele getan? sondern: was hast du für deine Brüder getan, für den Fortschritt des Menschengeschlechts. Die ganze fortschrittliche Entwicklung der Menschheit faßt Mazzini als Mission auf, als die durch zunehmend gemeinsames Streben errungene, immer vollständigere und reinere Verwirklichung der göttlichen Idee. Die Weltgeschichte erscheint ihm als ein Kampf, in dem 'die fortschrittliche Partei die göttliche Wahrheit jeweils um einen Grad vollständiger und reiner erkennt, und diese höhere Wahrheit in heldenhaftem, selbstlosem Ringen gegen die alte Partei in die Wirklichkeit umsetzt, um so die Menschheit ihrer gottgewollten letzten Bestimmung einen Schritt näher zu bringen. Die fortschrittliche Entwicklung, die Herder als der Vorsehung W e r k betrachtet, in dem der Mensch als mehr oder weniger unbewußtes Werkzeug eine nahezu nur passive Rolle spielt, wendet der Revolutionär bezeichnenderweise durchaus aktivistisch in einen sittlichen Kampf um den Fortschritt*), der — wohl von der Vorsehung sicher geleitet — von der Menschheit in hartem Ringen erstritten werden muß. Damit ist auch die sittliche A u f g a b e des Individuums bestimmt. Das Leben ist eine Mission, es hat nur als tätige Mitwirkung an der Erkämpfung des Fortschritts der Gattung einen Sinn. Dieser Kampf um den Fortschritt der Gesamtheit erfordert erstens restlose Selbstverleugnung und Aufopferung des Einzelnen, zweitens als notwendiges gottgewiesenes Mittel, den Zusammenschluß der Einzelnen zu gemeinsamer Tätigkeit, die "associazione" und drittens die kompromißlose und restlose Übereinstimmung von "pensiero e azione", die Aufhebung jeden Zwiespalts zwischen Erkennen und Handeln, zwischen Theorie und Praxis. E s braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden, d a ß diese erhabene und strenge Sittenlehre durchaus auf die Erziehung des italienischen Verschwörers zugeschnitten ist, d a ß Mazzini in geschickter und glücklicher Weise, indem er den ») V g l . E. N IV, S. X V I I I , 1834. " L a vertu c'est Taction." Diese aktivistisch-sittliche A u f f a s s u n g der Geschichte ist bei M. ungleich schärfer betont als bei den St.-S. und läßt sich nur mit dem ethischen Idealismus Fichtes vergleichen. 2)

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Fortschritt zu einem sittlichen Begriff macht, die Forderungen der "Giovine Italia" zu Geboten des Sittengesetzes erhebt. Der Revolutionär steht hier in schroffstem Gegensatz zum Denken Machiavellis, indem er auf die mittelalterliche Auffassung von der unbedingten Herrschaft der Moral über die Politik zurückgreift, auf die Auffassung, die zur selben Zeit auch von der Ideologie der Heiligen Allianz wiederaufgenommen wird. Dieses unmittelbare Eingreifen des Sittengesetzes in das politische Handeln erzeugt wohl jene schroffe Inkonzilianz, die Mazzini aus politischen Gründen in den Dreißiger- und Vierzigerjahren mit Recht von den Unitariern fordert; es wird aber andererseits auch ein Hauptgrund sein für die Erstarrung von Mazzinis politischem Denken, die in späterer Zeit in veränderter Situation verfehlt und unheilvoll wirken wird.

Der Staat Mazzinis. Mit dieser — wenn ich so sagen darf — Ethisierung des gesamten Lebens gerät nun Mazzini in einen — übrigens sehr bewußten und beabsichtigten — Gegensatz zu der Staatstheorie der französischen Revolution und der zeitgenössischen Demokratie (vgl. S. 49 f.). Seine Lehre settzt in saint-simonistischer Art dem Individuum den Gedanken der Gesamtheit — Fichte würde sagen der Gattung — entgegen, von der der Einzelne ein gar nicht loslösbarer Teil, ein unselbständiges für sich allein genommen unglückliches, ja lebloses Glied ist, und verbindet diesen Gedanken mit der sittlichen Forderung der Pflicht gegenüber der Menschheit. Sie sieht den Wert, die Aufgabe und den Sinn des Lebens des Individuums ausschließlich im aufopfernden, selbstlosen Dienst für den Fortschritt der Allgemeinheit. Man erkennt leicht, daß in einer solchen Lehre kein rechter Platz mehr bleibt für absolute Menschenrechte, sondern daß sie nur absolute Menschenpflichten anerkennen kann. Noch 1831 steht Mazzini auf dem Boden der Erklärung der Menschenrechte, wenn er schreibt: "i popoli combattono a rivendicare i diritti voluti dalla natura 1 )." Schon 1833 dagegen erklärt er zunächst nur in einem Briefe an einen Freund : "La libertà è una negazione — non constituisce nulla. Distrugge, non fonda 2 )." Und dasselbe ») E. N. II, 19, 1 8 3 1 . Vgl. auch die Schrift "Une Nuit de Rimini en 1 8 3 1 " , E. N. II, 3 ff., 1 8 3 1 . *) E. N. IX, 98, 2. Okt. 1833.

70 gilt von der Gleichheit1). In der nämlichen Zeit, in der Bich Mazzini aus den schon erwähnten Gründen von der französischen Revolution lossagt, nimmt er auch zu ihren Errungenschaften öffentlich eine veränderte Stellung ein: "déjà se manifeste au loin un but vaste et nouveau, pour lequel la liberté et l'égalité ne seront que des moyens nécessaires, des conditions requises" ff.*). "Elle (la Révolution française) a préparé l'instrument qui doit conquérir le terme successif 8 )". In analoger Weise „überwindet" oder „überholt" Mazzini die "fraternité qui sanctifie le présent mais ne crée pas l'avenir 4 )" durch den Begriff der "association". Mit diesen Gedanken folgt er noch der saintsimonistischen Lehre, welche Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht als Endzweck, sondern als Mittel zur Erreichung des höheren, sozialen Ziels der neuen Epoche betrachtet. Erst später — am klarsten in den "Doveri dell'Uomo" (1841) — geht Mazzini über diese Gedanken hinaus, seinen eigenen Weg weiter, den die Saint-Simonisten mit ihrer Gegenüberstellung von "intérêt" und "droit" der alten Epoche und "devoir" der neuen freilich schon angedeutet hatten 4 ), aber lange nicht mit jener Entschlossenheit und Klarheit des Italieners zu Ende gegangen waren. Noch 1834 bezeichnet Mazzini mit den Saint-Simonisten Freiheit und Gleichheit als Mittel zu dem höheren Zwecke des neuen Zeitalters, in den "Doveri" dagegen sind sie notwendige Mittel zur Pflichterfüllung und damit selbst sittliche Forderungen. Die Freiheit besteht demnach nur darin, ungehindert dem Guten, genauer dem Fortschritt der Menschheit dienen zu können; sie ist im Grunde gar kein Recht mehr, sondern löst sich auf in eine Pflicht 4 ). Und ebenso ist die Gleichheit nicht als absolutes *) Über „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" vgl. E. N. IX, 98, 2. Okt. 1833. ^ E . N. IV, 132, 1834. ') E . N. IV, 148, 1834. «) E. N. IV, 136, 1834; vgl. auch E. N. IV, 189, 1835. " L a Révolution française a jeté plutôt la guerre et la réaction parmi les classes que l'union." •) M. erwähnt zum ersten Male 1834 (E. N. IV, 136) "l'école des d e v o i r s substitutée à celle des d r o i t s " . Der damit angedeutete Gedanke wird aber erst später von ihm ausgeführt. •) Vgl. E. N. X, 318, 28. Jan. 1835. " — diritti e doveri sono una cosa sola — tutto è mezzo, e subietto all'Progresso — or Progresso continuo. Ogni dualità andrà a fondersi nell'Unità." E. N. IV, 10 (1834). " L a libertà è ü diritto che ogni uomo ha d'esercitare senza ostacoli e restrizioni le proprie facoltà nello sviluppo della propria missione speciale e nella scelta dei mezzi che possono meglio

71 Recht des Individuums unverletzlich, sondern nur als unumgängliche Vorbedingung zur organischen "associazione 1 )", dem gottgewiesenen — von Mazzini aus naheliegenden Gründen sehr gepriesenen und sehr betonten — Mittel zur wirksamen Erfüllung der Pflicht an der Gesamtheit. Der Staat Mazzinis ist also nicht eine Einrichtung zum Schutze der „natürlichen" Rechte des Individuums, das innerhalb seiner staatlich anerkannten Freiheitssphäre tun und lassen kann, was es will, und nur die Freiheitssphäre des Nebenmenschen zu achten braucht2), sondern der Staat hat die positive, sittliche Pflicht, idie gottgesetzte fortschrittliche Aufgabe der Menschheit zu erkennen, die gemeinsame Arbeit der Bürger zur Erreichung dieses Zieles zusammenzufassen, wodurch sie erst wirksam gestaltet wird, und so zu organisieren, daß jeder seine Pflicht an der Menschheit voll erfüllen kann. Mit dieser sittlichen, menschheitlichen Aufgabe des Staates, nicht mit den Rechten des Individuums, rechtfertigt Mazzini Demokratie und Republik: der göttliche Wille der Geschichte — „das Allgemeine" würde Hegel sagen3) — offenbart sich dem Volke und im Volke, nicht dem Einzelnen4), und nur Freiheit und Gleichheit verbürgen die vollste Mitarbeit Aller am Fortschritt der Menschheit. Man sieht, wie weit sich Mazzini von der rationalistischen Staatsidee entfernt hat, oder besser, wie er den praktisch beibehaltenen Forderungen der französischen Revolution eine neue und zeitgemäßere Ideologie unterlegt hat, welche weitgehende Parallelen zu den Gedankengängen der damaligen Konservativen agevolarne il compimento... Ogni missione costituisce un vincolo di Dovere." >) Uber "associazione" vgl. E. N. VI, 255, 1835. Die Abhängigkeit von den St.-S. ist ganz unverkennbar und von M. selbst (E. N. VI, 256, Note) angedeutet. *) Noch 1832, E. N. II, 136, steht M. auf diesem Standpunkte; man vgl. damit E. N. IV, 326, 1860, wo die sittliche Auffassung des Staates kurz und klar dargelegt ist. >) Vgl. Hegel „Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Die Vernunft in der Geschichte", Leipzig (F. Meiner) 1920, S. 82—83. *) Das Ergebnis des allgemeinen gleichen Wahlrechts ist also für M. ebensowenig wie für Lassalle, der eine überraschend ähnliche Begründung der Volkssouveränität aus Hegeischen Gedanken ableitet — nicht die empirische Summe der Leidenschaften und Interessen der Einzelnen, sondern das „Allgemeine", die „Vernunft", in der Terminologie M.s der Wille der göttlichen Vorsehung in der Geschichte.

72 aufweist. W i r haben den einen Grund dieser Entwicklung schon kennengelernt in dem Streben Mazzinis, Italien von der französischen revolutionären und geistigen Hegemonie zu befreien und eine, der politischen Lage Italiens angemessenere, eigene und zugleich unverbrauchte und höhere Ideologie zu schaffen. Der zweite Grund ist vorwiegend psychologischer Natur. Mazzini führt aus, daß es im Leben eines Volkes Krisen gebe — und er denkt dabei wie immer an die italienische Nation — in der jeder alles für die Allgemeinheit einsetzen müsse. Wie könnte man aber im Namen der Lehre der individuellen Rechte, gar der Rechte anderer, von jemand die notwendige restlose Aufopferung fordern, die Hingabe sogar des Lebens, das doch das höchste aller Rechte ist 1 ) ? Was hier Mazzini in Beziehung aut seine Landsleute sagt, das gilt am ersten in Beziehung auf ihn selber. Je mehr er für die Befreiung Italiens einsetzen und leiden muß, desto höher und edler erscheint ihm dieses Ziel. Der Verbannte, der sein ganzes Dasein der Erneuerung seines Vaterlandes widmet, kann nicht und will nicht bloß für den ärmlichen liberalen Freiheitsbegriff kämpfen, nur dafür, daß jeder für sich einen kleinen Bezirk hat, in den er sich ungestört gemütlich zurückziehen kann, unter der Bedingung, daß er seinen Nebenmenschen hübsch in Ruhe läßt, sondern er muß in seiner sittlichen und aktiven Natur diesen Freiheitsbegriff, der vor seinen Augen zu spießigem Rentierideal einerseits und zu einem Mittel rücksichtsloser Unterdrückung des Schwächeren durch den Stärkeren andererseits geworden ist, durch einen neuen, sittlichen Freiheitsbegriff ersetzen, dessen Wesen nicht egoistisch und passiv'), sondern durchaus altruistisch, sozial und aktivistisch ist, durch eine Freiheit nicht des Genusses, der Ruhe und Willkür, sondern der Arbeit, der Pflicht und des sittlichen Dienstes an der Allgemeinheit. Aus solchen Motiven bekämpft Mazzini mit seiner Auffassung des Staates als sittlicher Gemeinschaft, als Werkzeug zur Erreichung des göttlichen Ziels der Menschheit, das Staatsideal Rousseaus, das er als einen öden Versicherungsvertrag auf Gegenseitigkeit bezeichnet"), wie er auch den "stato gendarme 4 )", den Nachtwächterstaat des Libe») S.

E.

I. B d .

VII,

S.

289 f.,

1849;

vgl.

auch

E.

N.

IV,

2) V g l E N . I V , 324 " . . . l'inertie et l ' i g o i s m e sont pas des erreurs, mais des crimes." (1835.) ') V g l E N . I I I , 323, 1861 4) V g l . C a r l o Cantimori, " S a g g i o suH'Idealismo di G. Roma 1922, S. 3 3 1 .

non

324, 1835.

M."

73 ralismus verwirft. Mit solchen Gedanken und Tendenzen nähert sich Mazzini, wie man leicht erkennt, den wohlbekannten Ideen unserer großen Denker des beginnenden Jahrhunderts, die dem rationalistischen Staate der französischen Revolution eine der mazzinischen nahe verwandte historisch-ethische Staatsauffassung gegenüberstellen.

Die Nationalitätslehre Mazzinis. Bevor ich aber auf diese Ähnlichkeit und auf den Wert von Mazzinis Staatstheorie eingehe, sei noch der praktische, wenn auch nicht theoretische Gipfel des ganzen Systems betrachtet, das Nationalitätsprinzip, das mit der Staatslehre des Revolutionärs insoferne aufs engste verbunden ist, als dieser keinen Unterschied zwischen Staat und Nation kennt. Die Nation ist für Mazzini ebensowenig wie der Staat ein bloßes Aggregat von Individuen, die durch irgendwelche Interessen zusammengehalten werden, ebensowenig wie der Staat Selbstzweck und autonom, sondern Mittel zu den höheren Zwecken der Menschheit, sittliches, letzten Endes religiöses Prinzip. Nicht rationalistisch und empirisch, gleichsam von unten her, will Mazzini die Nationalität begründet wissen, nicht eigentlich aus juristischen, geographischen, ethnographischen, linguistischen, auch nicht aus historischen Motiven — dies alles sind nur Kennzeichen, und nicht einmal notwendige, der Nation — sondern er rechtfertigt die Nation idealistisch, spekulativ, wenn ich so sagen darf: von oben her, oder besser: nach oben hin, teleologisch. "Nelle questioni di nazionalità, come in tutte le altre, il solo fine è sovrano 1 )." "La nationalité c'est la part que Dieu fait à un peuple dans le travail humanitaire. C'est sa mission, sa tâche à accomplir sur la terre, pour que la pensée de Dieu puisse se réaliser dans le monde: l'œuvre que lui donne droit de cité dans l'humanité: le baptême qui lui confère un caractère et lui assigne son rang parmi les peuples ses frères')." Die Nation ist also ein Werkzeug ») S. E. I. Bd. X V I I , S. 165, 1871. ») E. N. VI, 127, 1835; E. N. IV, 17, 1834. "Tout Peuple a une mission spéciale qui concourt à l'accomplissement de la mission générale de l'Humanité. Cette mission constitue sa Nationalité. La Nationalité est sacrée." Diese teleologische Auffassung der Nation kann zur Rechtfertigung des schrankenlosen Imperialismus mißbraucht werden. M. selbst, der ein scharfer Gegner des "nazionalismo" im Gegensatz zur "nazionalità" ist, liegt diese Folgerung durchaus fem. Belb. d. H. Z. 11

6

74 zur Arbeit für das Wohl und die Fortentwicklung des Ganzen, sie wird geweiht und geheiligt durch die menschheitliche A u f gabe, die sie nach ihrer besonderen Befähigung zu lösen berufen ist Sie ist die höchste, notwendigste Form der Assoziation, der gottbestimmte Rahmen, in dem der Menschheit gedient wird. Mit dieser Argumentation geht nun Mazzini auffallenderweise noch weiter im konstruktiven, spekulativen und universalistischen Denken als Hegel, der Philosoph, der wenigstens in der Sphäre der bewußten Wirklichkeit die Nation autonom setzt und keine höhere Instanz über ihr anerkennt. Mazzini dagegen kennt eine solche: die Menschheit. Und gerade durch den übernationalen Begriff der Menschheit will er die Nation begründen, so wie Schiller, die Frühromantiker und Fichte. E s ist wohl richtig, daß damit die Nation — wenn man so will — degradiert wird zu einem Mittel, aber eben dadurch, d a ß sie nicht Selbstzweck, sondern das unumgängliche, erhabenste Mittel zu einem höheren, menschheitlichen, sittlich-religiösen Ziele ist, tritt an Stelle des bloß passiven Rechtes zur Nation die zwingende sittliche Pflicht zur Nation. Man sieht, in wie hohem M a ß e Mazzinis Gründe abstrakt sind, wie sehr das Konstruierte, das Spekulative, das Utopische bei ihm überwiegt gegenüber der nüchternen, empirischen und objektiven Betrachtung der Realität, und man kann sich mitunter kaum des Gefühls enthalten, daß der Idealist in seinem erhabenen, hochfliegenden Streben den festen Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verliere. Diese Befürchtung scheint sich vollends zu bestätigen, wenn man die Vorschläge des Revolutionärs über die Neugestaltung der europäischen Karte betrachtet. D a ß Mazzini den Gedanken eines europäischen Staatenbundes wiederaufnimmt 1 ), einer nicht näher gekennzeichneten brüderlichen Vereinigung der freien Nationen ist bekannt und an sich nicht sonderlich neu und originell2). x)

sozial

M.

findet

gestaltet

diesen

als

Gedanken,

politisch

und

freilich mehr

national,

schon

ökonomisch

in die

e i n g e b a u t v o r u n d ü b e r n i m m t w o h l a u s ihr a u c h d e n V o r s c h l a g europäischen, Juli

1834,

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che senza

E.

und

St.-S.-Lehre

N.

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454, lavoro

m a t e r i a l e di c o s p i r a z i o n e , s o v r a i n t e n d e s s e a l l a d i r e z i o n e g e n e r a l e moto europeo" J)

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einheitliche deutlich

und

75 R e c h t e i g e n a r t i g u n d ü b e r r a s c h e n d d a g e g e n sind die V o r stellungen d e s R e v o l u t i o n ä r s ü b e r d e n U m f a n g d e r b e f r e i t e n N a tionen. Gott selbst h a b e — so meint Mazzini — schon d u r c h die g e o g r a p h i s c h e S t r u k t u r , wenigstens in E u r o p a die B i l d u n g u n d A b g r e n z u n g von N a t i o n a l s t a a t e n vorgezeichnet. H ö r e n wir also, was die göttliche G e o g r a p h i e s a g t : die S k a n d i n a v i s c h e n S t a a t e n sollen z u s a m m e n eine N a t i o n bilden, ebenso S p a n i e n u n d P o r tugal, e b e n s o die A l p e n l ä n d e r (vgl. die N o t e S. 75—76), e b e n s o Belgien u n d die N i e d e r l a n d e — die sich d o c h e b e n e r s t g e t r e n n t h a t t e n . A n m a n c h e n Stellen a b e r scheint die G e o g r a p h i e u n k l a r zu sein. So will Mazzini U n g a r n d a s eine Mal mit B ö h m e n u n d M ä h r e n , d a s a n d e r e mit R u m ä n i e n , d a n n wieder mit D e u t s c h l a n d bewußt im besonderen italienischen Interesse handelt. Die Gründung erfolgt drei Tage nach der Niederwerfung des Aufstandes von Lyon, nachdem also das demokratisch-revolutionäre Prestige Frankreichs einen neuen Stoß erlitten hat, und verrät eine unverkennbare Spitze gegen Frankreichs Ansprüche auf die geistige und politische Hegemonie. M. selbst bemerkt in einem Briefe, nachdem er sich über das Gelingen der "Giov. E u r . " ziemlich skeptisch geäußert hat: "Pure v'è tal cosa, che mi sembra d'alta importanza, e questa in parte almeno la Giovine Europa l'otterrà — ed è l ' e m a n c i p a z i o n e d a l l a F r a n c i a , intendo dal dominio esclusivo sulle idee e sui moti esercitata fino a ora con tanta rovina di cose dalla Francia" . . . ff. (E. N. IX, 454—455, Juli 1834, vgl. auch E. N. X, 252.) "Quella parola "Umanità" (das Schlagwort der Giov. It. und der Giov. Eur.; über die Bedeutung des Schlagworts vgl. E. N. IX, 98—99) rubava forse lo scettro della civilizzazione alla Francia" (E. N. IX, 100, 2. Okt. 1833) und dieses Szepter sollte eben in dem neuen Europa in die Hände Italiens übergehen (vgl. E. N. IX, 1 1 7 , 7. Okt. 1 8 3 3 ) ; schließlich sagt M. ganz klar: " L a Giovine Europa è in fondo la condanna della supremazia esclusiva francese . . . se io fossi francese, forse non v'entrerei — è bene però che v'entrino . . ." (E. N. X, 252—253, 18. Dez. 1834.) Klarer und energischer als gegen Frankreich ist die "Giov. E u r . " selbstverständlich gegen die internationale Reaktion und in erster Linie gegen die österreichische Monarchie gerichtet, die durch Erweckung der demokratischen Freiheitsbewegung und des ungarischen, deutschen, tschechischen, polnischen Nationalismus von innen her gesprengt werden soll. Ebenfalls Österreich-feindlich ist der Plan der "Giov. E u r . " in einer um Savoyen und Tirol vergrößerten Schweiz einen Gegner Österreichs und zugleich einen festen Schutzwall Italiens gegen Norden zu schaffen (vgl. E . N. IX, 3 1 1 , April 1834). Ferner stellt die wenige Wochen nach dem mißglückten Einfall in Savoyen erfolgte Gründung einen Akt der Prestige-Politik dar. Die Entmutigung, die nach dem Mißerfolg vom Februar 1834 in den Reihen der "Giov: It." sich verbreitet hat, soll durch das Vertrauen, das 6»

76 verbinden, und schließlich kommt er auf die vom italienischen Standpunkte aus geradezu wahnsinnige Idee, einen Donaustaat zu bilden, eine regelrechte Erneuerung, ja sogar V e r g r ö ß e r u n g von Österreich 1 ). M a n meint wirklich in diesen ganz willkürlichen, für unser G e f ü h l unerträglichen Verschiebungen und Verkoppelungen fremder Nationen die Pläne eines absolutistischen K a b i netts zu erkennen, und doch handelt es sich um nichts anderes als um die ehrlichsten, friedlichsten V o r s c h l ä g e Mazzinis, des Propheten nationaler Befreiung. E s scheint hier ein Rätsel vorzuliegen, ein Mißverständnis; sind doch für uns gerade solche Pläne, wie die eben erwähnten, eine krasse Verletzung des Nationalitätsprinzips. U n d doch läßt sich der Widerspruch lösen. E r liegt nämlich begründet in der unbewußten Annahme e i n e s Nationalitätsprinzips. E s gibt ja g a r nicht e i n Nationalitätsprinzip, das für alle Nationen gleichermaßen gültig und anwendbar wäre, sondern jede Nation und jede Zeit hat ihren «igenen und besonderen nationalen Gedanken, der sich auf andere Völker und Zeiten nicht übertragen läßt. E s wäre verfehlt, von Mazzini zu erwarten, daß er gerade denselben haben sollte, wie wir heutzutage. Unser heutiges Nationalgefühl, das wir so gerne die Revolutionäre der Nachbarländer mit ihrem Beitritt zur "Giov Eur." bekunden, widerlegt und zerstört werden (vgl. E. N. IX, 362, Mai 1834 und S. 443, 25. Juli 1834). Die Italiener sollen durch das Bewußtsein oder durch den Wahn, daß ein mächtiger, geschlossener Bund der europäischen Freiheitspartei hinter ihnen stehe, bestärkt werden. M. selbst erklärt, daß „Die junge Schweiz" unter allen Umständen, wenn nicht tatsächlich, so doch wenigstens dem Namen nach gegründet werden müsse, um des Eindrucks willen, den man damit auf Italien mache (E. N. IX, 310, April 1834, S. 345, 23. Mai 1834), und er äußert sich später befriedigt über die ermutigende Wirkung, die die "Giov. Eur." auf die Stimmung der Italiener ausübe. Schließlich muß M.s Gründung als Ausdruck des Geistes der internationalen Emigration verstanden werden, die sich in der Schweiz zu Beginn der Dreißigerjahre versammelt; haben doch am Einfall in Sävoyen außer den Italienern auch Polen, 'Schweizer, Deutsche und Franzosen teilgenommen, und diese Leute sollen durch den neuen internationalen Bund befriedigt, zusammengehalten und womöglich vermehrt werden. Man sieht also, daß in dem — wenn auch reichlich utopischen, so doch nicht gänzlich nutzlosen — Unternehmen M.s sich der freiheit- und menschheitliebende Idealismus recht gut mit dem italienischen Interesse verträgt. 1 ) Über weitere Vorschläge zur Neuordnung der europäischen Karte vgl. die ausführliche und gut belegte Zusammenstellung: A. Levi, " L a Filosofia politica di G M " Bologna 1922, Kap. IX, S. 233 ff.

77 als d a s Nationalgefühl schlechthin betrachten, ist in allererster Linie an historisch und politisch gewordene Gebilde gebunden, an den schon bestehenden nationalen Staat; es ist wesentlich empirisch, historisch, realistisch und politisch und wehrt sich gegen die Einmischung übernationaler Elemente. Nun ist die Frage: konnte Mazzini einen derartigen Nationalgedanken haben, oder überhaupt brauchen ? Diese Frage ist entschieden zu verneinen. Die „historischen" Gründe sprachen gegen ein einiges Italien, die politischen geradeso, jede empirische, realistische Betrachtung mußte damals den Gedanken an ein einiges Italien schwächen, wenn nicht zerstören. Wenn Mazzini den nationalen Gedanken für sein Vaterland überhaupt retten wollte, so konnte das nur mit geistigen, ethischen, religiösen, übernationalen, „unpolitischen" Mitteln geschehen. Man m u ß immer den grundlegenden Unterschied im Auge behalten zwischen dem Nationalgedanken einer staatlich schon geeinten Nation — der kann und muß realistisch, „politisch" sein — und zwischen dem einer Nation, die sich ihren Staat, ihre Einheit erst noch erkämpfen muß, — die braucht einen spekulativen, idealistischen, teleologischen und „unpolitischen" Nationalgedanken. Die Italiener bilden zur Zeit der "Giovine Italia" noch keine Nation 1 ), für sie ist die Nation noch Traum, Gedanke, Wille und Ziel, weshalb ihr Nationalbegriff notwendigerweise utopisch, idealistisch, voluntaristisch, ethisch und teleologisch sein muß. Für Italien übrigens sind die an sich gefährlichen übernationalen und teleologischen Argumente unschädlich, wegen der tatsächlich so eindeutig gezeichneten natürlichen Grenze. Überträgt man jene aber — oder gar die in Italien nützliche Praxüs des Zusammenlegens historischer Staaten — auf andere Nationen und Zeiten, dann kommen allerdings bedenkliche Dinge dabei heraus. Gerade daran aber erkennt man, daß der Mazzinische Nationalgedanke der ganz besondere Nationalgedanke des Italien der Dreißigerjahre ist, besonders und nur für dieses e i n e Volk und für diese e i n e Zeit geschaffen. Es ist also nicht so, wie man sich das gerne vorstellt, daß der Nationalgedanke von Anfang an frisch und rein in seiner heutigen Gestalt ins Leben springt, es ist aber andererseits nicht so, d a ß er vom „Befangensein" in unpolitischem und universalistischem Denken wie von störendem Beiwerk sich loslösen, sich befreien muß, son*) M. selbst leugnet, um den Abstand zwischen dem Bestehenden und dem Erstrebten größer zu machen, auch den Gedanken der italienischen Kulturnation, indem er die Italiener seiner Zeit als "gente", nicht als " p o p o l o " oder "nazione" betrachtet.

78 d e m im Gegenteil, gerade dieses angeblich Störende ist ein notwendiger, integrierender Bestandteil, die kräftige und wertvolle Stütze, die der Nationalwille sich sucht. Es wäre verfehlt, zu sagen, der nationale Gedanke Mazzinis habe sich aus dem Universalismus, aus den über- oder unpolitischen Vorstellungen noch nicht rein herausentwickelt, denn wir haben gesehen, daß umgekehrt die italienische nationale Idee erst durch Mazzini entschieden und systematisch mit unpolitischen Elementen verbunden wird, daß sie bei Mazzini selbst immer stärker und tiefer sich in universalistische und übernationale Vorstellungen eintaucht, und daß dies nicht eine Schwächung, sondern Stärkung des nationalen Wollens bedeutet. So fremd und sonderbar auf den ersten Blick das Nationalitätsprinzip des Italieners anmuten mag, so wird man doch zugeben müssen, d a ß es ebensogut wie unser modernes ein „echtes" Nationalitätsprinzip ist, d a ß es — der politischen Lage und dem politischen Bedürfnis der italienischen Nation glänzend angepaßt und praktisch höchst wirksam — trotz oder vielmehr: gerade wegen seiner universalistischen, „impolitischen" Elemente nicht minder „politisch" ist als unser heutiger Nationalgedanke.

Mazzini und Fichte. Dieser Nationalbegriff Mazzinis mit der ihm zu Grunde liegenden geschichtsphilosophischen und ethischen Ideologie erinnert in manchen Zügen an ähnliche Gedanken aus dem Deutschland des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Wir haben gesehen, daß Herder, Lessing und Kant indirekt und direkt Mazzini beeinflußt haben, und es wäre nicht schwer, Parallelen zwischen dem System des Italieners und denen der deutschen Denker aufzufinden, welche die Ideen Herders, Lessings, Kants ihrerseits aufgenommen und verarbeitet haben; Parallelen freilich, die immer da aufhören, wo praktische Rücksichten dem Revolutionär die logische Weiterführung und Vertiefung einer Linie verbieten oder überflüssig machen. Gar viele von Mazzinis Äußerungen über die Geistigkeit der Geschichte etwa, über den dynamischen Charakter der Geschichte, über den Fortschritt, den er als fortwährende Schöpfung, als Selbstbefreiung des Geistes auffaßt, über "Pensiero e Azione", die in Gott zusammenfallen, über die beherrschende Rolle der Religion im Leben der Völker möchte man auf Hegel zurückführen und auf Hegeische Weise interpretieren. Die Argumente, die Mazzini dem Denken des 18. Jahrhunderts, der rationalistischen Staats-

79 lehre der Revolution gegenüberstellt, erinnern oft auffallend an Hegels Gedanken und man wäre leicht versucht, die Mazzinische Begründung der Volkssouveränität und Demokratie, die mit der Lassalles im wesentlichen übereinstimmt, wie diese aus der Hegeischen Philosophie abzuleiten. Und doch ist wenigstens eine direkte Abhängigkeit des Italieners vom deutschen Philosophen so gut wie sicher auszuschließen 1 ); die erwähnten Gedanken lassen sich zumeist überzeugender und vollständiger auf die Saint-Simonisten zurückführen, ohne daß es nötig wäre, Hegel heranzuziehen, und die Ähnlichkeiten zwischen Mazzini und dem Deutschen werden durch wesentliche Verschiedenheiten und Gegensätze wieder reichlich aufgehoben. Die allgemeinen Übereinstimmungen beweisen wohl die internationale Verbreitung deutschen Denkens in jener Zeit, nicht aber engere geistige Beziehungen des Revolutionärs zu Hegel. Anders ist das Verhältnis zwischen Mazzini und Fichte. Zwar fehlt ein sicherer Anhaltspunkt dafür, daß der Italiener diesen Philosophen gekinnt hai'), ferner ist der ganze schwierige, wenn ich so sagen darf, obere Teil des Fichteschen Systems, die Erkenntnistheorie, die Metaphysik, die Lehre vom Ich und Nicht-Ich, Mazzini vollkommen fremd geblieben. Und doch *) M. nennt Hegel zuerst 1832 (November) in einem Briefe an Ch. Didier (E. N. V, 196), wo er ihn gegen Romagnosis.Angriffe verteidigt. Aus jener, wie aus den übrigen Stellen kann man jedoch keineswegs auf eine genauere Kenntnis der Hegeischen Philosophie schließen. Erst 1837 (E. N. VIII, 380—381) findet sich wiedet eine Erwähnung Hegels, und zwar eine nur bedingt anerkennende. 1842 — in einer Zeit also, wo sein Denken schon abgeschlossen ist — bittet M. einen Freund um die italienische Übersetzung der Geschichtsphilosophie Hegels. (E. N. X X I I I , 14.) In seinem Alter hat sich M. wiederholt gegen die Hegeische Philosophie, gegen die "immobiliti hdgelienne", gegen ihre Verherrlichung des reaktionären Preußen geäußert. Vgl. auch " L a Critica" X (1912), S. 73—77. Auch Schelling ist einige Male von M. genannt, jedoch für diesen ohne besondere Bedeutung, trotz gelegentlicher Parallelen. *) Fichte wird von M. auffallend selten genannt. Die Bemerkung E. N. I, 219, 1829, über den neuen ausländischen Verteidiger Machiavellis kann nicht mit Sicherheit auf Fichte bezogen werden. Nur als deutschen Patrioten erwähnt M. Fichte E. N. II, S. 258, 1832 und E. N. X X I , 211/1. Ein unwesentliches freies Zitat aus Fichte findet sich E. N. VI, 247, 1835. E. N. VIII, 381, 1837, Wird der "Idealismo di Fichte" als Vorläufer Hegels bezeichnet. Eine Bemerkung über Fichte, die gegen die genauere und tiefere Kenntnis und gegen das Verstehen Fichtes spricht, findet sich E. N. VIII, 191, 1836.

80 w ü ß t e ich keinen patriotischen Denker, mit dem sich der italienische Revolutionär besser vergleichen ließe, mit dem er eine tiefere Verwandtschaft hätte als mit Fichte. V o n der Politik zur Philosophie gehend der eine, der andere von der Philosophie zur Politik, gelangen sie beide — von ähnlichem, radikal-sittlichem und aktivem Charakter und in ähnlicher politischer L a g e — zu einer im tiefsten übereinstimmenden A u f f a s s u n g von Staat und Nation. D e r Kernpunkt von Fichtes und Mazzinis patriotischer Lehre ist die E t h i k ; beide erkennen in der H e b u n g der sittlichen K r ä f t e das vornehmste Mittel, um ihr Vaterland, das in politischer Ohnmacht schmählich erniedrigt darniederliegt, zu neuem Leben zu erwecken. Beide verkünden eine ähnliche, von der christlichen wie von der heidnischen unterschiedene, auf Kant zurückgehende M o r a l ; beide haben jene bezeichnende A u f f a s s u n g von der Trägheit, der "inerzia", als dem radikalen Übel der menschlichen Natur, und von der Tätigkeit, der "azione", als dem sittlichen Handeln. Mazzini faßt wie Fichte das Individuum als Glied der sittlichen Weltordnung, und weist dem Einzelnen die "missione", die Bestimmung zu, an der V e r w i r k lichung des sittlichen Endzweckes des Ganzen mitzuarbeiten. Diese Bestimmung ist das oberste Gesetz seines Daseins, ihrer m u ß sich das Individuum in jedem Augenblick bewußt sein, nach ihr muß es sein D e n k e n , Handeln und Wollen, sein ganzes L e b e n gestalten. D e r Mensch hat nicht an sich, sondern an das Ganze zu denken, er lebt nicht für sich, sondern für die Menschheit; „er opfert sich und seine Glückseligkeit dem Ideal seiner A u f g a b e , die in der sittlichen Gemeinschaft der Gattung wurzelt 1 )". E r handelt nicht um der Belohnung willen, nicht um sich des Erreichten zu freuen, sondern um in der Vollendung seiner A u f g a b e eine höhere A u f g a b e , ein neues Sollen zu finden. W ä h r e n d aber Fichte das ewige Sollen selbst als den U r g r u n d aller W i r k lichkeit, als autonom setzt und mit Gott identifiziert, kennt Mazzini, weniger radikal als D e n k e r , einen transzendenten Gott als Urheber des Sittengesetzes; aber darin stimmt er wieder durchaus mit Fichte überein, d a ß er nur in der "missione", nur im Sollen den Sinn des Lebens erkennt. Diese Sittenlehre, deren Grundforderung tätiges, selbstloses Wirken für die — immanent oder transzendent — gottgebotene Fortentwicklung der Gattung ist, vertieft und festigt Fichte in einer fortschrittsgläubigen Geschichtsphilosophie. Zwar !) W. Windelband, Gesch. der neueren Phil. Heidelberg 1907. Bd. II, S. 228.

81 unterscheidet sicn der Italiener vom Deutschen in der Auffassung und Abgrenzung der früheren Zeitalter, die er nicht so konsequent wie dieser durch das Verhältnis des Individuums zur Gattung und durch die jeweilige ethische Entwicklungsstufe bestimmt sein läßt; dagegen ist die Kennzeichnung der zwei bzw. drei letzten Epochen bei Mazzini und bei Fichte auffallend ähnlich. Das „Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit", in dem nach Zerstörung jeder Autorität das Individuum nur auf sich selbst bedacht, seine Freiheit ziel- und zügellos mißbraucht, in Egoismus, Eudämonismus, Utilitarismus, in Willkür und Anarchie versinkt, stimmt mit Mazzinis "epoca individuale" oder "critica" nahezu vollkommen überein, die ja auch im wesentlichen die Zeit des Rationalismus bezeichnet. Fichte und Mazzini verwerfen diese egozentrische und auflösende Epoche als unsittlich, weil des Gattungszweckes uneingedenk; nur die — vorerst negative — Freiheit des Individuums aber betrachten sie als ihre bleibende Errungenschaft, als die notwendige Vorbedingung und als das Mittel zur Lösung der Aufgabe der neuen Epoche. Diese, von Fichte das „Zeitalter der beginnenden" bzw. „der vollendeten Vernünftigkeit" genannt, hat wiederum die größte Ähnlichkeit mit Mazzinis "epoca organica". Ihr Kennzeichen ist die Herrschaft des Sittengesetzes, die Herrschaft der Pflicht, der Gattungsveraunft; in ihr, der neuen Epoche, unterwirft sich das Individuum der Gattungsvemunft, dem göttlichen Willen in der fortschreitenden Menschheit, und es findet seine wahre Freiheit, indem es durch bedingungslose Erfüllung seiner besonderen Bestimmung die Bestimmung der Gattung fördert. Diese hohe sittliche Lebensauffassung findet dann bei Fichte wie bei Mazzini zuletzt und am schönsten ihren Ausdruck in der Auffassung vom Wesen des Staates und der Nation. Und zwar macht der Deutsche unter dem Eindrucke des Umsturzes der alten Polizeistaaten die nämliche Wandlung von der rationalistischen zur organischen und schließlich zur sittlichen Staatsidee durch, die wir ebenso bei dem Italiener unter dem Eindruck der Enttäuschung der Julirevolution und der folgenden Jahre sich vollziehen sahen. Beide überwinden die Auffassung vom Staate als einer bloßen Einrichtung zum Schutze der bürgerlichen Rechte, der Ruhe und Sicherheit, indem sie mit vollem Nachdruck den Begriff der Pflicht in die Lehre vom Staate einbauen. Beiden bedeutet Bürger sein in erster Linie: seine Pflicht erfüllen, und beide betonen, daß der Staat eines der höchsten sittlichen Güter sei und wertvollste sittliche Aufgaben zu erfüllen habe. In der Richtung aller individuellen

82 Kräfte auf den Zweck der Gattung sehen sie das Wesen des Staates. Und wie dem Einzelnen, so weisen sie im Rahmen der sittlichen Weltordnung auch dem Staate und der Nation eine besondere Bestimmung zu und mit dieser besonderen Bestimmung begründen sie die Nationalität und das Recht und die Pflicht der Nation zu politischer Selbständigkeit. Freilich ist es keine im heutigen Sinne volle nationale Selbständigkeit, die die beiden Patrioten im A u g e haben; das Sittengesetz und die Menschheit bleiben der Nation übergeordnet, fordern aber auch die Nation 1 ). Wir haben gesehen, warum das so ist und sein muß. Hier sei noch hinzugefügt, d a ß der Deutsche der napoleonischen Zeit, wie der Italiener der Dreißigerjahre nicht nur an keine bestehende materielle nationale Macht anknüpfen können, sondern daß ihren Völkern auch ein bestehender, historischer, reifer nationaler Geist noch fehlt. Daher unternehmen es beide — von patriotischem Fühlen und Wollen durchdrungen — , ihren Völkern den nationalen Geist erst neu und rational zu schaffen und einzuhauchen. Für Fichte bedeutet Deutsch sein : ein absolut Erstes und Ursprüngliches im Menschen selber, an Freiheit, an unendliche Verbesserlichkeit, an ein ewiges Fortschreiten unseres Geschlechts glauben; ähnlich besteht für Mazzini der italienische Nationalgeist im Glauben an Gott, an die Menschheit, an den ewigen Fortschritt, an Freiheit und Pflicht. So legen beide Patrioten um den neuen nationalen Geist ihrer Völker zu erheben und zu beleben, in ihn ihre höchsten Ideale, den besten und edelsten Teil ihres eigenen Wesens. Und beide stolze Bürger der zwei universalen und gebildetsten Nationen Europas stellen in der tiefsten politischen Erniedrigung ihrer Völker das leuchtende Idealbild des wahren Vaterlandes auf, das, kraft seiner sittlichen Überzeugung, allein die Menschheit aus dem trüben Chaos der Gegenwart retten kann und muß. So begründet endlich Fichte mit demselben erhabenen Gedanken den Primat seiner Menschheitsnation der Deutschen, wie Mazzini den Primat der "Terza R o m a " : er soll darin bestehen, besser, reiner und edler als andere Nationen den Zwecken der Menschheit zu dienen. Wir erkennen die innigste und tiefste Verwandtschaft im Denken der beiden Patrioten. Derselbe hohe, strenge Geist des l)

Vgl.

überhaupt

Fichtes

wirklich

Meinung, geben

der Kosmopolitismus

notwendig

in M e i n e c k e „ W e l t b ü r g e r t u m " , Umanità, vuole

„daß

könne,

Patria.

es g a r k e i n e n

sondern

daß

Patriotismus S

in

Kosmopolitismus der

werden

9 2 ) mit M a z z i n i s

Wirklichkeit

müsse"

Wort.

Chi

(zitiert vuole

83 ethischen Idealismus, der die Morgenröte der deutschen Freiheits- und Einheitsbewegung verklärt, dieselbe sittliche Überzeugung, die unsere Freiheitskrieger beseelt, kämpft mit Mazzini für die Einheit Italiens und erhebt die Verschwörer des Risorgimento. Diese Übereinstimmung im erwachenden nationalen Denken der beiden Nachbarvölker, die sich im vergangenen Jahrhundert ihre Einheit erringen, ist keine zufällige. Sie scheint mir besonders bedeutsam deshalb, weil wenigstens eine direkte Abhängigkeit Mazzinis von Fichte so gut wie ausgeschlossen ist, und weil der Italiener auf dem entgegengesetzten Wege des Deutschen, nämlich von der Politik zur Philosophie gehend, zu denselben Vorstellungen gelangt wie Fichte. Ich sehe darin einen Beweis für die geschichtliche Notwendigkeit und eine Rechtfertigung von Fichtes sowohl wie Mazzinis nationaler Idee, und glaube, daß die Gegenüberstellung des deutschen und des italienischen Patrioten für das Verständnis beider wertvoll sein kann. Wir pehen an ihrem Beispiele, wie aus ähnlichen geistigen und politischen Vorbedingungen eine wesentlich übereinstimmende politische Ideologie entsteht.

Ende. Es bleibt nur wenig mehr über Mazzinis System zu sagen. Wir haben gesehen, daß der Revolutionär kein origineller Denker ist. Er wählt vielmehr aus den reichen Geistesströmungen seiner Zeit mit instinktiver Sicherheit d i e Ideen heraus, die seinem praktischen Ziele dienen können. Sein Geist ist nicht wie der des schöpferischen Philosophen dem Lichte zu vergleichen, das nach allen Richtungen hin seine Strahlen versendet, sondern eher dem Brennglas, das die Strahlen bricht und auf e i n e n Punkt sammelt. Logisch sind die Gedanken Mazzinis oft nur schwach begründet und ungenügend miteinander verbunden; aber um so fester und inniger werden sie zusammengehalten durch den einzigen mächtigen Willen und durch Idie große sittliche Persönlichkeit des Verschwörers, so daß sein System doch als gewaltige Einheit dasteht. Ferner haben wir immer wieder beobachtet, daß das Abstrakte nicht als etwas wirklich Selbständiges und Absolutes, als Fremdes von außen zur Politik kommt und diese vergewaltigt, sondern daß vielmehr das Abstrakte aus der konkreten politischen Wirklichkeit, aus dem konkreten politischen Willen hervorwächst, ihn stützt, kräftigt und erhebt. In der bis ins einzelne gehenden Übereinstimmung der Gebote der erhabensten

84 geistigen Mächte mit den praktischen Forderungen der Politik, in der harmonischen Verschmelzung von "Pensiero e A z i o n e " haben wir den vollen Wert, den höchst politischen W e r t von ¡Mazzinis System erkannt. Freilich in derselben engen A n p a s s u n g der ewigen Ideen an die politische Wirklichkeit des Vaterlandes, die Mazzinis einzigartige Stärke ausmacht, liegt a u c h der Keim der S c h w ä c h e und des tragischen Schicksals des Idealisten. Sobald sich die politische L a g e Italiens wesentlich verschiebt, d. h. mit d e m Übertritt Savoyens in das nationale Lager, zerreißt die Einheit von Mazzinis Glauben. Die überirdischen Mächte, mit denen sich der Verschwörer verbunden hat, gehen ewig und unabänderlich ihren geraden W e g weiter, während die irdische Politik von nun an neue und eigene, stets wandelnde P f a d e einschlägt. Mazzini folgt, wie ihm sein Gewissen gebietet, den höheren Gewalten. Ihnen bleibt er treu, und die Ehrlichkeit seines Glaubens macht ihn zum weltfremden Utopisten. Fortan ist nicht mehr der unbeugsame und unversöhnliche Geist Mazzinis, sondern das vielgewandte Genie Cavours Führer im K a m p f e um Italiens Einheit.

Zeittafel. 1805 22. Juni: Giuseppe Mazzini geboren in Genua als Sohn des Jacomo Mazzini, Arzt und Professor an der Universität. Kränkliche Kindheit. Rechtsstudium in Genua. Etwa 1828 Eintritt in die Carboneria. Im selben Jahre Aufnahme literarisch politischer Tätigkeit im "Indicatore Genovese", nach dessen Unterdrückung im "Indicatore Livomese", und als dieser ebenfalls unterdrückt wird, in der "Antologia". 1830 Mazzini als Carbonaro verhaftet und in die Festung Savona gebracht; etwa 6 Monate später wegen mangelnder Beweise freigesprochen, jedoch unter freiheitsbeschränkenden Bedingungen, so daß Mazzini 1831 unter dem Eindruck der Revolution in der Romagna und der Juli-Revolution das Exil wählt. Verspäteter Versuch mit corsischen Revolutionären an der Bewegung in Zentral-Italien teilzunehmen. Rückkehr nach Marseille. 1831 Mai oder Juni: Brief an Karl Albert. Mazzini in Abwesenheit zu Kerker verurteilt. 1831 Jahresende: Gründung der "Giovine Italia". 1832 Aus Frankreich ausgewiesen, flieht Mazzini nach mehrmonatiger Verborgenheit in Marseille 1833 nach Genf.

85 1833 Geplanter Aufstand in Piemont entdeckt, Hinrichtung von elf Beteiligten; Mazzinis Freund Jacopo Ruffini begeht im Kerker Selbstmord, Mazzini selbst zum Tode verurteilt. 1834 1. Februar: Der große Einfall der "Giovine Italia" in Savoyen mit italienischen, deutschen, französischen und polnischen Revolutionären unter Ramorinos militärischer Führung mißglückt. Klägliche Intrigen der Pariser Carbonari, Uneinigkeit innerhalb der "Giovine Italia". Mazzini aus der Schweiz ausgewiesen, lebt verborgen in Lausanne, Bern, Solothurn, Bienne, Grenchen und Langenau. Zeit der größten inneren und äußeren Not. 1834 Mai: "Giovine E u r o p a " und Tochtergesellschaften (Jeune Suisse) gegründet. 1836 Mazzini verläßt die Schweiz und läßt sich 1837 in London nieder, schreibt Aufsätze vorwiegend literarischen Inhalts für "Westminster Review", "British and Foreign Review", "Monthly Chronicle", "Foreign Quarterly". 1841 gründet er eine freie Abendschule für italienische Kinder, die "Working Men's Association" und dazu die Zeitschrift "Apostolato Popolare", in welchem Teile der "Doveri dell' Uomo" erscheinen (bis 1843). 1847 Gründung der "People's International League" in Anlehnung an die frühere "Giovine Europa". 1847 September: Brief an Pius IX. 1848 April bis Ende Juli: Mazzini im befreiten Mailand. Nach Übergabe der Stadt folgt er den Garibaldinem nach Bergamo, agitiert dann von Lugano aus für den republikanischen Krieg gegen Österreich. 1849 Februar: Ankunft in Livorao. Als Mitglied der provisorischen Regierung in Florenz arbeitet er vergeblich für den Zusammenschluß der Toskana und des Kirchenstaates. 1849 5- März. Ankunft in Rom. Als Triumvir der Römischen Republik — vom 23. März bis Ende Juni — tatsächlich in diktatorischer Stellung, wahrt er Ordnung und Ruhe und organisiert die Verteidigung der Stadt gegen Oudinot. Nach dem Falle Roms Flucht nach Marseille und Genf. In Lausanne gründet Mazzini die kurzlebige "Italia del Popolo". Im Frühjahr 1850 versucht er in Paris gegen Louis Napoleon zu arbeiten. Nach kurzem Aufenthalt in England und der Schweiz begibt er sich nach London; dort bleibt er von nun an dauernd, abgesehen von mehreren pol/ischen Reisen nach der Schweiz und nach Italien. 1853 Von Mazzini vorbereiteter Arbeiteraufstand in Mailand mißlingt. 1857 Nach einem Aufstand in Genua Mazzini wieder zum i o d e verurteilt.

86 i8$9 und wieder 1860 agitiert Mazzini in Genua, Florenz, Rom und Neapel für einen republikanischen Aufstand in Mittel- und Süd-Italien. 1865 Von Messina wiederholt zum Abgeordneten gewählt, nimmt er wegen Verweigerung des Treueides seinen Sitz nicht ein. 1869 Auf Vorstellungen der italienischen Regierung hin wieder aus der Schweiz ausgewiesen. 1870 Mazzini in Palermo, wo er einen republikanischen Aufstand plant, verhaftet; etwa 2 Monate Festung in Gaeta, dann begnadigt. 1872 10. März: Mazzinis Tod in Pisa. Offizielle Ehrung des Toten durch das geeinte Italien.

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Hefil Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter. Von Dr. H a n s Baron. 130 S. 8°. 1924. Brosch. M. 3.70 Heft 2 Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt. Von Prof. Dr. E r n s t Troeltsch. 4. Aufl. 110S.8°. 1925.Brosch.M.3.50 Heft 3 Englands Stellung zur deutschen Einheit 1848-1850. Von Dr. H a n s Precht. 192 S. 8°. 1925. Brosdi. M. 530 Heft 4 Der tierische Magnetismus in Preußen vor und nach den Freiheitskriegen. Aktenraäßig dargestellt von Prof. Dr. Wilhelm E r m a n 128 S. 8°. 1925. Brosch. M. 4.80 Heft 5 Die Idee einer altgertnanisdien Freiheit vor Montesquieu. Fragmente aus der Geschichte politischer Freiheitsbestrebungen in Deutschland, England und Frankreich vom 16. bis 18. Jahrhundert. Von Dr. E r w i n Hölzle. 118 S. 8°. 1925. Brosch. M. 5 . ~ Heft 6 Rankes Begriff der Weltgeschichte. Von Dr. Gerh. M a s u r . 141 S. 8°. 1926. Brosch. M. 5.30 Heft 7 Drei Gestalten aus dem modernen Katholizismus. I. A. Möhler, Melchior von Depenbrock,). J. Döllinger. Von Prof. Dr. F r i t z Vigener. 192 S. 8°. 1926. Brosch. M. 8.50 Heft 9 Anton G r a f zu Stolberg «Wernigerode, ein Freund und Rat» gefcer König Friedrich Wilhelms IV. Von Dr. O t t o G r a f z u Stolberg-Wernigerode. 144 S. 8°. 1926. Brosch. M. 5.50 Heft 9 Zwischen Nationalismus und Demokratie. Gestalten der französischen Vorrevolution. Von Dr. E. H o f f m a n n . L i n k e . 324 S. 8°. 1927. Brosch. M. 9.50 Heft lO Die italienische Kaiserpolitik des deutschen Mittelalters. Mit besonderem Hinblick auf die Politik Friedrich Barbarossas. Ein Beitrag zur Frage der historischen Urteilsbildung. Von Prof. Dr. G e o r g von Below. 167 S. 8°. 1927. Brosch. M. 7. -

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