Marginale Zeichentechniken: Pause, Abklatsch, Cut&Paste als ästhetische Strategien in der Vormoderne 9783110987799, 9783110663655

Motoric--mechanical drawing techniques like tracing, copying, and cut and paste are among the fundamental workshop pract

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German Pages 256 Year 2022

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Inhaltsverzeichnis / Contents
EINFÜHRUNG
Marginalisiert = marginal. Randständige Zeichentechniken in Praxis, Theorie und Forschung
PAUSE – KONTUR
Version – Kopie – zeichnerische Nachschöpfung? Zu zwei Zeichnungen von Cristofano Allori
Die Pauskopie im Corpus der Rembrandt-Zeichnungen. Neue Erkenntnisse aus kunsthistorischer und kunsttechnologischer Sicht
Brotkrumen – als Zeichenmaterial und schöpferisches Mittel? Zu Phänomenologie, Praxis und theoretischem (Nicht‑)Diskurs von Auslöschungen und Überarbeitungen in Zeichnungen des 17. Jahrhunderts
Fallstudien aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München
Wenn die Rückseite zur Hauptsache wird. Beobachtungen zur Zeichnung Allegorie der Wollust von Crispijn de Passe d. Ä.
Pricked Lines, Repetition and the Art Market: The Stoning of Saint Stephen by Luca Cambiaso’s Workshop
ABKLATSCH – SPIEGELUNG
Abklatsche wie sie im Buche stehen. Zur Phänomenologie der Nachnutzung
The Mirror of Process: Nicolaes Berchem and the Rise of Counterproof Drawing Practices in the Netherlands
“Des deux cotés”: The Lateral Reversal of Images as Aesthetic Strategy and Epistemic Concern in Early Eighteenth-century French Counterproofs and Prints
Fallstudien aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München
Der Abklatsch zur Vorbereitung von Mezzotinto-Arbeiten? Jan van Somer kopiert Pierre Lombarts Kupferstichserie der Countesses
Counterproofs. Reversing and sharing drawings
CUT&PASTE – VERWANDLUNGEN
Zwischen Klappvariante und Klebekorrektur: Überlegungen zur Papiermontage in der italienischen Zeichnung um 1600
Pasted Quadratura Drawings. A Focus on the Collection of the Prints and Drawings Department in the Louvre Museum
From Marginal to Central: Processes of Cutting, Pasting and Assembling in Jacques-Louis David’s Drawing Practices
AUSBLICK
Zeichnen als Darstellen. Inwendige Komplexitäten in Zeichnungen
Bildnachweise
Recommend Papers

Marginale Zeichentechniken: Pause, Abklatsch, Cut&Paste als ästhetische Strategien in der Vormoderne
 9783110987799, 9783110663655

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Marginale Zeichentechniken

Iris Brahms (Hrsg.)

Marginale Zeichentechniken Pause, Abklatsch, Cut&Paste als ästhetische Strategien in der Vormoderne

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung sowie von Henning Hoesch.

ISBN 978-3‑11-066365-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-098779-9 Library of Congress Control Number: 2022942853 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Nicolaes Berchem, Four Sheep and a Cow, c. 1652, red chalk on paper, with counterproof, 130 × 195 mm, Washington, National Gallery of Art, inv. no. 2002.141.1 © National Gallery of Art, Washington Satz: LVD GmbH, Berlin Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis / Contents

EINFÜHRUNG 11

Iris Brahms Marginalisiert = marginal. Randständige Zeichentechniken in Praxis, ­Theorie und Forschung

PAUSE – KONTUR 29

Claudia Steinhardt-Hirsch Version – Kopie – zeichnerische Nachschöpfung? Zu zwei Zeichnungen von Cristofano Allori

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Thomas Ketelsen und Carsten Wintermann Die Pauskopie im Corpus der Rembrandt-Zeichnungen. Neue Erkenntnisse aus kunsthistorischer und kunsttechnologischer Sicht

63

Armin Häberle Brotkrumen – als Zeichenmaterial und schöpferisches Mittel? Zu Phänomenologie, Praxis und theoretischem (Nicht‑)Diskurs von ­Auslöschungen und Überarbeitungen in Zeichnungen des 17. Jahrhunderts

Fallstudien aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München 89

Jacqueline Klusik-Eckert Wenn die Rückseite zur Hauptsache wird. Beobachtungen zur Zeichnung Allegorie der Wollust von Crispijn de Passe d. Ä.

97

Federica Mancini Pricked Lines, Repetition and the Art Market: The Stoning of Saint Stephen by Luca Cambiaso’s Workshop

ABKLATSCH – SPIEGELUNG 105

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Iris Brahms Abklatsche wie sie im Buche stehen. Zur Phänomenologie der ­Nachnutzung

129

Robert Fucci The Mirror of Process: Nicolaes Berchem and the Rise of Counterproof ­Drawing Practices in the Netherlands

145

Stefano de Bosio “Des deux cotés”: The Lateral Reversal of Images as Aesthetic Strategy and Epistemic Concern in Early Eighteenth-century French Counterproofs and Prints

Fallstudien aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München 163

Susanne Wagini Der Abklatsch zur Vorbereitung von Mezzotinto-Arbeiten? Jan van Somer kopiert Pierre Lombarts Kupferstichserie der Countesses

173

Nino Nanobashvili Counterproofs. Reversing and sharing drawings

CUT&PASTE – VERWANDLUNGEN 181

Heiko Damm Zwischen Klappvariante und Klebekorrektur: Überlegungen zur Papier­ montage in der italienischen Zeichnung um 1600

209

Federica Mancini Pasted Quadratura Drawings. A Focus on the Collection of the Prints and Drawings Department in the Louvre Museum

223

Tamar Mayer From Marginal to Central: Processes of Cutting, Pasting and Assembling in Jacques-Louis David’s Drawing Practices

AUSBLICK 239

Arno Schubbach Zeichnen als Darstellen. Inwendige Komplexitäten in Zeichnungen

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EINFÜHRUNG

1  Albrecht Dürer, Grablegung, 1504, Feder in Schwarz auf Vergé, 292 × 210 mm, Washington D.C., National Gallery of Art, Department of Prints and Drawings, Inv. Nr. 1972.13.1

Iris Brahms

Marginalisiert = marginal Randständige Zeichentechniken in Praxis, Theorie und Forschung

1. Auftakt Erst ansatzweise ist die Vielzahl von elementaren Zeichenpraktiken erforscht, die Gegenstand des vorliegenden Bandes bilden. Als elementar sind sie insofern zu verstehen, da sie grundlegende Techniken sowohl in etwaigen Werkprozessen, als auch zur Motivsicherung darstellen. Dabei werden sie über Jahrhunderte und Regionen hinweg tradiert, gehören zur Ausbildung und werden von hochrangigen Meistern angewendet. Vor diesem Hintergrund sind diese Praktiken – der Band konzentriert sich auf die Auswahl von Ab- und Durchpausen, Wegradieren, Gegen- oder Umdrucken und schließlich auf Schneide-Klebe-Techniken1 – weniger als marginal denn als marginalisiert zu betrachten. Wenn wir „marginal“ im Titel verwenden, erlaubt die darin aufscheinende Anspielung darauf hinzuweisen, dass stets Marginalisiertes – auch wenn es an sich geläufig ist – in der breiten Wahrnehmung doch marginal erscheint. Der daraus entstehenden, letztlich jedoch verfälschten Einschätzung dieser Zeichenpraktiken wollen wir mit diesem Band entgegentreten und verstehen ihn als Auftakt für die wissenschaftlich internationale und interdisziplinäre Theoretisierung der ausgewählten Techniken, die zukünftig anhand von etwaigen Praktiken wie das Cliché-verre oder die Klecksographie erweitert werden kann.2 Der Frage danach, warum es überhaupt zu einer Marginalisierung der besagten Verfahren kam, möchten wir uns folgendermaßen annähern: 1

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Vgl. Iris Brahms, Thomas Ketelsen (Hrsg.), Die Kunst der Pause. Transparenz und Wiederholung (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), in: Der un/gewisse Blick, H. 24, Köln 2017; Thomas Ketelsen (Hrsg.), Der Abklatsch. Eine Kunst für sich (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), in: Der un/gewisse Blick, H. 15, Köln 2014; Thomas Ketelsen (Hrsg.), Die Zeichnungen des Giulio Cesare Bedeschini. Schätze aus der Jesuitensammlung I (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-­ Richartz-Museum & Fondation Corboud), in: Der un/gewisse Blick, H. 13, Köln 2013. Vgl. Thomas Ketelsen (Hrsg.), Vom Licht gezeichnet. Camille Corot und das Experiment ‚Cliché-verre‘ (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum& Fondation Corboud), in: Der un/gewisse Blick, H. 1, Köln 2010; Thomas Ketelsen (Hrsg.), Die Klecksographie. Zwischen Fingerübung und Seelenschau (Ausst.

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Iris Brahms

Bislang stand ein klassifizierter Zeichnungsbegriff, wie er in der italienischen Renaissance durch Leon Battista Alberti und Leonardo da Vinci formuliert und von Giorgio Vasari kategorisiert wurde, im Zentrum der Zeichnungswissenschaft. Dieser Zeichnungsbegriff richtet sich auf eine Entwurfspraxis, wonach der Umsetzung eine aus dem Verstand entwickelte Bildfindung (concetto) vorausging und dem disegno komplexe Sachverhalte wie Entwurf und Zeichnung eingeschrieben wurden. Damit wurde der disegno eng mit den kognitiven Fähigkeiten verknüpft und ohne Fragen zur technischen und materiellen Umsetzung einseitig nobilitiert. Insofern bleiben ebenso die motorischen, routinierten wie mechanischen Zeichnungsverfahren unseres Bandes weitgehend unbedacht, finden nur vereinzelt in Kunsttheorie und -traktatistik Erwähnung (Cennini, Armenini) und werden ansonsten mitunter abgewertet (Vasari, Baldinucci).3 So auch vom Kunstkenner und Schriftsteller Jonathan Richardson (1667–1745), der Peter Paul Rubens‘ Überarbeitungen von Zeichnungen alter Meister, die Übermalungen und Schneide-Klebe-Techniken umfassen, als Beschädigung ansah.4 Dass dies von Künstler:innen ganz anders gesehen werden konnte, können etwa Beischriften auf Zeichnungen nahelegen, wenn beispielsweise Albrecht Dürer, der selbst von Druckgraphiken älterer Meister wie Andrea Mantegna abpauste,5 dieses Verfahren unter dem Begriff „durchzeichnen“ auf einem Studienblatt zur Grünen Passion vermerkte (Abb. 1).6 Indem das Durchpausen hier explizit ausgewiesen ist, wird dem Verfahren eine gezielte Aufmerksamkeit zuteil, deren Bewandtnis darin liegen mochte, das Blatt als einen Zwischenschritt in einem weitaus komplexeren Werkprozess zu deklarieren, in den verschiedene Hände der Werkstatt involviert waren.7 In der Underweysung der Messung (1525) attestiert Dürer dem Abpausen mittels eines Zeichenapparates (Abb. 2), – wobei das Gesehene zuerst

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Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), in: Der un/gewisse Blick, H. 11, Köln 2013. Friedrich Weltzien, Fleck – Das Bild der Selbsttätigkeit. Justinus Kerner und die Klecksografie als experimentelle Bildpraxis zwischen Ästhetik und Naturwissenschaft, Göttingen 2011. – Hinzu kommt die erst jüngst umfangreich und theoretisch erschlossene Funktion von Gliederpuppen sowie Wachsmodellen, siehe Markus Rath, Die Gliederpuppe. Kult – Kunst – Konzept, Berlin/Boston 2016; Michael W. Kwakkelstein, Mannikins and Wax Models. Study Aids in the Artist’s Workshop, in: Albert Elen, Chris Fischer (Hrsg.), Fra Bartolommeo, Rotterdem 2016, S. 21–31. Siehe hierzu vor allem die Beiträge von Claudia Steinhardt-Hirsch, Armin Häberle, Iris Brahms, Stefano de Bosio, Nino Nanobashvili und Heiko Damm in diesem Band. Jonathan Richardson, An Account of Some of the Statues, Bas-reliefs, Drawings and Pictures in Italy, London 1722, S. 79. Siehe auch Jeremy Wood, Rubens mit Schere und Kleister. Der Künstler als schöpferischer Bearbeiter, in: Stefan Weppelmann (Hrsg.), Rubens. Kraft der Verwandlung (Ausst. Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum), München 2017, S. 94–101, S. 95. Vgl. Stephanie Porras, ‚ein freie hant‘: Autonomie, Zeichnen und der junge Dürer, in: Daniel Hess, Thomas Eser (Hrsg.), Der frühe Dürer (Ausst. Kat. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum), Nürnberg 2012, S. 245–259, 249. Iris Brahms, Durchtzeichet. Zu Nähe und Distanz beim Pausen, in: Brahms/Ketelsen 2017 (wie Anm. 1), S. 6–13, 9–11. Christof Metzger (Hrsg.), Albrecht Dürer (Ausst. Kat. Wien, Albertina), München 2019, S. 332–356 (Christof Metzger). In einem zukünftigen Forschungsprojekt, das alle Zeichnungen zur Grünen Passion materialkundlich untersuchte, könnte die Bewandtnis der Pause genauer ermittelt werden.

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Marginalisiert = marginal

2  Albrecht Dürer, Underweysung der Messung, Nürnberg: Hieronymus Andreae 1525, Buch mit Holzschnittillustrationen, 130 × 148 mm (Illustration), Dresden, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Inv. Nr. S.B.616

auf einer in den Rahmen eingespannten Glasscheibe oder einem ebenso installierten geölten Papier gezeichnet und sodann auf die Malgrundlage als Vorzeichnung übertragen wird, – denn auch einen didaktischen Nutzen für „all dennen die yemand wollen ab Conterferen/ vnd die irer Sach nit gewiß sind.“8 Auch wenn sich hieraus nun ableiten ließe, dass solche Hilfsverfahren mit einer geringeren Versiertheit und Handfertigkeit von angesprochenen Portraitmaler:innen verbunden waren, sollte die hohe Komplexität solcher Perspektivapparate nicht außer Acht geraten. Zudem sollte vor einer voreiligen Abwertung bedacht werden, dass es im künstlerischen Schaffen generell um ein Ausloten und Überschreiten bekannter Figurationen und gewohnter Verfahren geht, was erklärt, dass selbst hochrangige Künstler wie Leonardo und Michelangelo neben vielen anderen das Pausverfahren zum Arretieren oder Variieren von Figuren nutzten.9

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H. 268; SMS 274.197. Unter „Ein anders will ich leren was man sieht wie man das mag durchzeychnen“ auf der Abb. 2 gegenüberliegenden Buchseite von Dürers Underweysung der Messung. Zu Leonardo siehe Brahms 2017 (wie Anm. 6), S. 9–10 sowie den Beitrag von Claudia Steinhardt-Hirsch in diesem Band. Zu Michelangelo siehe Iris Brahms‘ Aufsatz in diesem Band.

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Iris Brahms

Ebenso setzte Dürer das Pausverfahren nach eigenen Zeichnungen ein, wie die Studie von Eva im British Museum zeigt.10 Margaret Holben Ellis und Marjorie B. Cohn konnten anhand der Kompositionsstudie in der Morgan Library zum Sündenfall-Kupferstich von 1504 zeigen, dass sich Dürer zur Anpassung der Figurenkonstellation darüber hinaus der Schneide-Klebe-Technik bediente.11 So auch, um nur wenige Schlaglichter zu werfen, Rembrandt und noch viel mehr Jacob Jordaens sowie Peter Paul Rubens wie verschiedene italienische Künstler, darunter Giulio Cesare Bedeschini und Pietro da Cortona.12 Zu diesem Spektrum kommen etliche, mitunter unerkannte Abklatsche hinzu, die stets die Frage aufwerfen, wie intentional sie waren und inwieweit sie von den Künstler:innen selbst initiiert wurden.13 Unerkannt sind sie auch deshalb, weil nicht selten Contre-preuves wie Pausen einer Überarbeitung unterzogen wurden, die das zugrundeliegende Verfahren verschleiert oder gänzlich unkenntlich macht. Daher schlummern unzählige solcher Blätter in den Depots vieler Sammlungen, wie freilich auch ausradierte Vorzeichnungen selten ausgewiesen sind. Trotz vereinzelter Erwähnungen in den Schriftquellen fiel die kunsthistorische Beschäftigung mit solchen Verfahren äußerst gering aus. Fernab der tatsächlichen Bestände hat diese Bilanz ihre Auswirkung auf die Kunstgeschichte und -wissenschaft sowie die darin verankerte Zeichnungsforschung, welche indes selbst gegenüber den Disziplinen der Malerei und Architektur marginalisiert ist, nicht verfehlt. Ein Grund für Letzteres dürfte darin liegen, dass Zeichnungen vor allem als ein Zwischenstadium im Arbeitsprozess angesehen werden, ihnen daher allein ein vorläufiger Status auf dem Weg zum ausgereiften Werk zuerkannt und demzufolge eine ebenbürtige Komplexität des zugrundeliegenden theoretischen Diskurses aberkannt wird.14 Rudolf Arnheim bringt die Frage wie folgt auf den Punkt: „Wenn ein Künstler eine Zeichnung als Vorstudie für eine Radierung oder einen Holzschnitt anfertigt,

10 London, The British Museum, Inv. Nr. SL,5218.182, Feder in Braun, braun laviert, 277 × 177 mm; Margaret Holben Ellis, Marjorie B. Cohn, Drawing for Printing: An Expanded Fabrication Narrative for Dürer’s Adam and Eve of 1504, in: Master Drawings LV,4 (2017), S. 435–352, Abb. 12. 11 Ibid. 12 William Worth Bracken, Rembrandt’s Lamentation over the Dead Christ in the British Museum: A Reconsideration, in: Master Drawings 56,2 (2018), S. 149–168; Justus Lange, Birgit U. Münch (Hrsg.), Reframing Jordaens. Pictor doctus – Techniken – Werkstattpraxis, Petersberg 2018; Wood 2017 (wie Anm. 4). Ketelsen 2013 (wie Anm. 1); Pietro da Cortona, Entwurf zum Wandbild Das eherne Zeitalter im Palazzo Pitti, Feder in Braun, braun laviert, über Vorzeichnung in schwarzem Stift, Klappe im Architekturprospekt, 332 × 260 mm, Inv. Nr. 2627; außerdem Pietro da Cortona, Jugendlicher Kopf mit Lorbeerkranz, um 1625, in: Patrick Elliott (Hrsg.), Cut and Paste. 400 Years of Collage (Ausst. Kat. Edinburgh, National Galleries of Scotland), Edinburgh 2019, S. 54, Nr. 4. Außerdem siehe Heiko Damms Beitrag in diesem Band. 13 Siehe Manfred Hoß, Der Abdruck einer Rötelzeichnung. Goltzius‘ Juno im Dresdner Kupferstich-Kabinett, in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett (Hrsg.), o.T. (Hans-Ulrich Lehmann zum 65. Geburtstag), Dresden 2010, S. 48–49; Thomas Ketelsen, Carsten Wintermann, „For ever“: Die Gedächtnisspur der Zeichnung, in: ibid., S. 52–53. Siehe das entsprechende Kapitel in diesem Band. 14 Im Gegenteil bemerkte Jeremy Wood (wie Anm. 4, S. 95): „Zeichnungen wirken flüchtig und spontan, können jedoch ebenso kompliziert sein wie ein Gemälde.“

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Marginalisiert = marginal

der von ihm selbst oder einem anderen Handwerker ausgeführt wird, ist dann die Zeichnung das Kunstwerk oder verdient nur der ausgeführte Druck diese Bezeichnung?“15 Nach weiteren Beispielen zu diesem Aspekt resümiert Arnheim: Wenn man indessen von der Erkenntnis ausgeht, daß sich Eigenschaften des Kunstwerkes in all seinen verschiedenen Erscheinungsformen wiederfinden, so gelangt man zu einem interessanten und faßlichen Problem. Man kann fragen: In welcher Weise haben die verschiedenen Manifestationen am Werk teil, und was ist daran das jeweils Besondere? Anstatt dekretieren zu wollen, daß eine Kopie oder Reproduktion – ob als Fälschung oder in ehrbarer Absicht entstanden – das Kunstwerk ist oder nicht, fragt man: Welche Eigenschaften des Werkes finden sich in einer solchen Kopie? Welche sind verlorengegangen?16 Wenn wir mit diesem Band noch einen Schritt zurückgehen und, bevor wir die Phänomenologie von Wiederholung und Kopie diskutieren, das –  sagen wir – „Handwerkliche“ von Zeichnungen in den Fokus rücken,17 möchten wir auf eine der ältesten Kulturtechniken in zweifacher Hinsicht aufmerksam machen: einerseits als Verfahren komplexer Aushandlungen im steten, undurchdringlichen Wechselbezug zwischen Hand und Geist –  Geist und Hand,18 andererseits als körperliche Arbeit mit all den damit verbundenen Implikationen von Körperwissen und -erfahrung in Relation zum Material. Erzielt der Band mit diesem Ansatz vernachlässigte Erkenntnisse zur Kunstproduktion selbst, aber auch zu deren Rezeption, leistet er ebenso einen wesentlichen Beitrag zu einer jüngeren methodischen Entwicklung innerhalb der Kunstwissenschaft und Kunst-Anthropologie. Der Zeichen- wie Zeichnungsprozess (als Form der poiesis19) kann so von seiner inneren Stringenz her reflektiert werden und die immer noch stark „platonisch“ geprägte Kunstgeschichtsschreibung um eine lang verdrängte, aber ebenso grundlegende Perspektive bereichert werden. Damit soll jedoch keineswegs die dezidierte Wertschätzung der freien Handzeichnung, die im 18. Jahrhundert einen besonderen Höhepunkt erreichte, in Abrede gestellt werden. Ebenso wenig soll das erfolgreiche Bestreben, die bildenden Künste unter den artes liberales

15 Rudolf Arnheim, Kopie und Fälschung, in: ders., Neue Beiträge, Köln 1991, S. 351–365, S. 353. 16 Arnheim 1991 (wie Anm. 15), S. 354. 17 Georges Didi-Huberman, Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln 1999, S. 12–13: „die Unterscheidung zwischen den freien Künsten und den mechanischen Künsten“ – „Begreift man nun, warum es keine Geschichte des Abdrucks in den bildenden Künsten gibt? Weil Vasari die Techniken des Abdrucks von vornherein in den Bereich der nicht-künstlerischen Reproduktion, der handwerklichen Nicht-erfindung verweisen musste.“ 18 Hierzu sei auf den intensiven philosophischen Diskurs seit Rudolf Arnheim über Maurice Merleau-Ponty hin zu Jacques Derrida und Jean-Luc Nancy verwiesen. 19 Valeska von Rosen, David Nelting, Jörn Steigerwald (Hrsg.), Poiesis: Praktiken der Kreativität in den Künsten der Frühen Neuzeit, Zürich/Berlin 2013; Andreas Beyer, Dario Gamboni (Hrsg.), Poiesis: Über das Tun in der Kunst, Berlin/München 2014.

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zu verankern, in Zweifel gezogen werden.20 Doch sind parallel dazu die verschiedenen zu allen Zeiten geläufigen Techniken, mit denen sich der zeichnerische Arbeitsprozess materialwie arbeitsökonomisch gestalten ließ, ebenso wenig von der Hand zu weisen. Die Bewandtnis solcher Verfahren wie Pausen, Radieren, Gegendrucke und Schneide-Klebe-Praktiken lassen sich allerdings nicht hinreichend mit einer bloßen Vereinfachung des zeichnerischen Entwurfsvorgangs erklären. Vielmehr dürfte es um eine formal getreue Wiedergabe der Vorlage gegangen sein, die sich beim Pausen an den Konturen orientiert, bei ausradierten Vorzeichnungen durch die Folgezeichnung übernommen wird, beim Gegendruck eine Spiegelverkehrung bewirkt und bei Schneide-Klebe-Verfahren variierende, mitunter ältere Elemente passgenau eingliedert. Die aufgezählten Verfahrensweisen dienten also der Weitergabe von Vorlagen, gehören demnach zu Kopiertechniken und stehen in Fragen zur Ähnlichkeit zum bzw. Abweichung vom Vorbild in kaum lösbaren Widersprüchen.21 Ihr uneingeschränkter Wert besteht einerseits in der Weitergabe und Tradierung, andererseits in der Anregung und Beflügelung der Phantasie. Das Paradox scheint aus heutiger Sicht zu sein, dass gerade den genannten mechanischen Zeichnungspraktiken wie dem Pausen (neben dem Nachzeichnen), dem Ausradieren, dem Abklatschen oder den Schneide-Klebe-Techniken ein hohes Inspirationspotential eingeschrieben ist, so dass sie letztlich genau das einlö-

20 Zur neuen und erst 1765 eingeführten Kategorie der Technik in Bezug auf die Künste siehe Paul Taylor, From mechanism to technique. Diderot, Chardin, and the practice of painting, in: Sven Dupré, Christine Göttler (Hrsg.), Knowledge and Discernment in the Early Modern Arts, London/New York 2017, S. 296– 316. Taylor erklärt die Skepsis gegenüber dem Technik-Begriff u.a. mit der negativen Konnotation in der Kunsttheorie und der eng verwandten Bedeutung zur Begrifflichkeit des Mechanischen und Mechanismus. 21 Zu diesem Themenkomplex sei hier eine Auswahl der jüngeren Forschung angeführt: Marion Heisterberg, Zwischen exemplum und opus absolutum. Studien zum Abzeichnen im italienischen Tre- und Quattrocento zwischen Mustertransfer und Kopie, Berlin/München 2020, S. 429: „Die Kopie, die ein konkretes Kunstwerk formgenau abzubilden versucht, ist folglich als Katalysator und Folgeerscheinung einer Fiktion zu verstehen, deren unlösbarer Widerspruch auch ihr größtes Kapital zu sein scheint.“ Außerdem siehe Antonia Putzger, Marion Heisterberg, Susanne Müller-Bechtel (Hrsg.), Nichts Neues schaffen. Perspektiven auf die treue Kopie 1300–1900, Berlin/Boston 2018; Andreas Beyer, Étienne Jollet, Markus Rath (Hrsg.), Wiederholung – Répétition. Wiederkehr, Variation und Übersetzung in der Kunst, Berlin/München 2018; Tatjana Bartsch, Marcus Becker, Horst Bredekamp, Charlotte Schreiter (Hrsg.), Das Originale der Kopie. Kopien als Produkte und Medien der Transformation von Antike, Berlin/ Boston 2010. – Eine Brücke lässt sich von hier aus auf Reproduktionsverfahren des 18. Jahrhunderts in ihrem Anspruch der objektivierten Nachahmung schlagen, siehe hierzu u.a. Markus A. Castor, Die Objektivierung der zeichnenden Hand. Radierung als Erkenntnisinstrument zwischen Kopie und Neuerfindung bei Anne-Claude Philippe de Thubières, in: ders. et al. (Hrsg.), Druckgraphik: Zwischen Reproduktion und Invention, Berlin 2010, S. 107–132. In transkultureller Perspektivierung analysiert Aaron Hyman Rubens-Kopien in Lateinamerika, siehe Aaron M. Hyman, Rubens in Repeat. The Logic of the Copy in Colonial Latin America, Los Angeles 2021. Hinzu tritt die der Kunst zugrundeliegende Denkfigur des Palimpsestes, siehe u.a. Klaus Krüger, Bild – Schleier – Palimpsest. Der Begriff des Mediums zwischen Materialität und Metaphorik, in: Ernst Müller (Hrsg.), Begriffsgeschichte im Umbruch?, Hamburg 2005, S. 81–112; ders., Das Bild als Palimpsest, in: Hans Belting (Hrsg.), Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007, S. 133–164.

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Marginalisiert = marginal

sen, was auch von einem freien Entwurf eingefordert wird – so unsere These. Ähnlich formuliert Arnheim, nach dem „nur selten […] sich der geistige Entwurf eines Werkes von seiner Realisation in einem sinnlich wahrnehmbaren Medium trennen [läßt].“22 Er fährt fort: Die tatsächliche visuelle Wirkung von Formen, Farben und Bewegung kann erst beurteilt werden, wenn das Gemälde, die Skulptur, der Tanz oder Film von den Augen des Künstlers geprüft wird. Die Erschaffung eines solchen Werkes besteht in einem Dialog zwischen dem Schöpfer und seinem Entwurf, der im Medium allmählich Gestalt annimmt. Auf keinen Fall läßt sich das Werk als bloße Ausführung einer bereits in sich vollendeten Vision des Künstlers begreifen. Das Medium bietet ständig Überraschungen und Anregungen. Daher ist das Werk nicht so sehr eine Kopie des geistigen concetto als vielmehr eine Fortsetzung jenes Gestaltungs- und Erfindungsprozesses, der im Geist des Künstlers begann.“23 Das Thema ist insofern von aktueller Relevanz, bedarf es doch fundierter Analysen und konsequenter Diskussionen, um die eingeschliffenen Sichtweisen am Gegenstandsbereich der Zeichnung zu überprüfen, die bis heute die für den Kunsthandel und die Sammlungsgeschichte der Museen relevanten Qualitätsfragen prägen: Denn es werden – generell gesprochen – eben keine Abklatsche, Ausradierungen, Pausen oder Schneide-Klebe-Zeichnungen um ihrer selbst willen gesammelt. Vor dem Hintergrund, dass solche Techniken in der Zeichnungswissenschaft eine zu geringe Rolle spielen, werden im Band explizit diese „marginalen“ Verfahren in Fallstudien für den Zeitraum von ca. 1600 bis ca. 1800 auf ihre medialen wie kunst-anthropologischen Belange hin hinterfragt. Dabei gelingt es, technische Versiertheit als Bedingtheit für die kreative und künstlerisch intellektuelle Leistung zu verstehen und die Relevanz der Praxis für die Theorie stärker ins Bewusstsein zu rücken, nicht zuletzt, um für eine erhöhte Aufmerksamkeit praxeologischer Prozesse zu plädieren.

2. Methodik Solche Verfahren als ästhetische Strategie aufzufassen, noch bevor „Ästhetik“ mit Alexander Gottlieb Baumgarten im 18. Jahrhundert eine Kategorie der Wissenschaft wurde,24 liegt darin begründet, dass sie grundlegend für praxeologische Aushandlungen in den Bildkünsten der Vormoderne waren und damit – marginalisiert, aber latent – von hoher Relevanz für die Ausbildung und Theoretisierung von Ästhetik sind. Gerade da, so unser Aufruf, wo es um unerkannte, möglicherweise gar subversive Verfahren geht, muss ihre Bedeutung für die ästhetische Aushandlung bedacht und untersucht werden. Zwanglos lässt sich hierfür an

22 Arnheim 1991 (wie Anm. 15), S. 354. 23 Ibid. 24 Zu diesem Themenkomplex siehe etwa Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens, München/Wien 2000.

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Iris Brahms

Forschungsfragen anschließen, die das Verständnis ästhetischer Positionen vor dem 18. Jahrhundert behandeln.25 Das Thema der marginalen Zeichentechniken knüpft unmittelbar an wesentliche Beiträge der Kunstwissenschaft an, die wie Valeska von Rosen eine Relativierung des vorherrschenden „Nobilitierungsdiskurses“ der Künste einfordern.26 Nicola Suthor konstatierte im Anschluss an Philipp Sohm eine spürbare „Vermeidung, den Begriff von Kunst aus der Praxis heraus zu entwickeln“ und bezog dies auf den platonisierenden Diskurs der Kunsttheorie, dem die Kunstgeschichte maßgeblich folge.27 Nach Philippe Cordez habe die Kunstgeschichte und Kunst-Anthropologie ästhetische Fragen fokussiert und dabei den Bereich des Technischen vernachlässigt.28 Den von ihm verfolgten Ausgangspunkt bilden die Werkzeuge und Instrumente der Kunstproduktion, während Magdalena Bushart und Henrike Haug in ihrer Tagungsreihe „Interdependenzen“ verschiedene Techniken des künstlerischen Schaffens unter Aspekten wie „Spur der Arbeit. Oberfläche und Werkprozess“ (2018) oder „Unzeitgemäße Techniken. Historische Narrative künstlerischer Verfahren“ (2019) beleuchten. Mit diesen einer Zäsur gleichkommenden Forschungspositionen soll einer fortgesetzten Materialabkehr und einer Marginalisierung der künstlerischen Reflexion des Praktischen Einhalt geboten werden.29 Im Kern dieser Neuorientierung setzt der Band an und stellt motorische, routinierte wie mechanische Praktiken der zeichnerischen Aneignung ins Zentrum der Überlegungen. Dass hiermit Grundlegendes für die Kunst-Anthropologie wie Medialität geleistet wird, basiert auf der Annahme, dass die Bildproduktion der Vormoderne von der Zeichnung ihren Ausgang nimmt. Schon hier zeigt sich das ebenso ursprüngliche Streben nach arbeits- wie material25 Vgl. u.v.a.m. Valeska von Rosen, Klaus Krüger (Hrsg.), Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, München/Berlin 2003. In einem interdisziplinären Zugriff geschieht dies aktuell etwa im Tübinger Sonderforschungsbereich 1391 Andere Ästhetik. 26 Valeska von Rosen, Velázques’ poiesis. Das Porträt des Bildhauers Juan Martínez Montañés, in: Beyer/ Gamboni 2014 (wie Anm. 19), S. 1–21. 27 Nicola Suthor, ‘Il pennello artificioso’. Zur Intelligenz der Pinselführung, in: Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Lazardzig (Hrsg.), Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert, Berlin/New York, S. 114–136, S. 114; dies., Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München u.a. 2010; Philip Sohm, Style in the art theory of early modern Italy, Cambridge (UK) 2001, S. 153. 28 Philippe Cordez, Werkzeuge und Instrumente in Kunstgeschichte und Technikanthropologie, in: ders., Matthias Krüger (Hrsg.), Werkzeuge und Instrumente, Berlin 2012, S. 1–20, 7. Siehe außerdem Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Lazardzig (Hrsg.), Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert, Berlin/New York 2006; Barbara Wittmann, Werkzeuge des Entwerfens, Zürich 2018. Ein besonderes Augenmerk im Bereich von Zeichnungen verdienen Anweisungen zum Zuschneiden von Gänsefedern, wie sie in Handbüchern zur Kalligraphie ausgeführt werden, etwa in Jan van de Veldes Spieghel Der Schrijfkonste: In Den Welcken Ghesien Worden Veelderhande Gheschriften Met Hare Fondementen Ende Onderrichtinghe Wtghegeven, Amsterdam 1605(1610), https://digital.francke-halle.de/ fsaad/content/titleinfo/296146 (letzter Zugriff 5.4.2022). Mit Dank für weiterführende Diskussionen an Birgit Reissland. 29 Vgl. Wolf-Dietrich Löhr, ‚Autorità del pennello‘. Der Pinsel als Werkzeug und Bedeutungsträger im Treund Quattrocento, in: von Rosen/Nelting/Steigerwald 2013 (wie Anm. 19), S. 118.

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ökonomisierten Verfahren, die es auf verschiedenen Ebenen der Produktions- wie Rezep­ tionsästhetik zu kontextualisieren gilt. Der sich daraus ergebende komplexe und dringliche Fragenapparat steht nun in einer Publikation zur Verfügung, die mit internationalen Expert:innen von Universitäten, Museen und anderen Forschungseinrichtungen interdisziplinär und ergebnisorientiert erarbeitet wurde. Bemerkenswerte wissenschaftliche Ergebnisse konnten auch deshalb erzielt werden, da es essenziell um die produktive Zusammenarbeit von internationalen Wissenschaftler:innen in unterschiedlichen Institutionen und gerade nicht um eine Dichotomie einer eher objekt- und einer eher theorie-orientierten Kunstwissenschaft ging.

3. Buchkonzept Der Band ist in drei Kapitel zu den behandelten Zeichentechniken eingeteilt: Pause – Kontur, Abklatsch – Spiegelung, Cut&Paste – Verwandlungen. Zu den je drei Aufsätzen kommen in den ersten beiden Kapiteln je zwei Fallstudien aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München hinzu. Diese konnten im Anschluss der gemeinsam mit Thomas Ketelsen und Ulrich Pfisterer am 9. November 2018 am Zentralinstitut für Kunstgeschichte München veranstalteten Tagung im Studiensaal der Sammlung rege diskutiert, analysiert und kontextualisiert werden. Die drei Kapitel verklammert abschließend ein philosophischer Ausblick zur Ästhetisierung von Zeichentechniken. Zu den zentralen Fragen des Bandes gehören: Welche Praktiken und Funktionen von Pausen, Ausradierungen, Gegendrucken und Schneide-Klebe-Verfahren gibt es, welche davon sind quellenkundlich in Kunsttheorien, Künstlertraktaten und Rezeptbüchern vertreten? Inwiefern bleiben das Paus- bzw. Gegendruckverfahren, aber auch Ausradierungen und Einklebungen im Zeichnungsprozess ersichtlich, oder aber werden bei der weiteren Überarbeitung verdeckt30 bzw. in anderen Fällen visuell hervorgehoben? Darüber hinaus: Worin zeigt sich eine Aufwertung dieser Verfahren? – Mehr noch als beim Durchpausen kommt es beim Abklatsch unausweichlich zu einer spiegelverkehrten Aufnahme. Denn für den Gegendruck wurde das Original, sei es eine Zeichnung, Druckgraphik oder gar Malerei, benässt, um es auf eine neue Oberfläche abzuziehen. Entsprechend druckgraphischer Verfahren ist die Seitenverkehrung relevant, woraus sich vehemente Fragen ergeben wie etwa: Wie bewusst wurde gerade die Seitenverkehrung entsprechend Leon Battista Alberti zur Überprüfung einer gelungenen Komposition bzw. des Helldunkels31 eingesetzt? Welche weiteren Refle­ 30 Ein besonderer Fall stellen in dieser Hinsicht sog. Fischleimpausen dar, die mit Sicherheit weit öfter eingesetzt wurden, als heutzutage nachvollziehbar ist. Denn sie wurden direkt auf die grundierte Tafel oder Leinwand aufgebracht und übermalt. Vgl. Carsten Wintermann: Die substituierende Pause in der frühniederländischen Zeichenkunst, in: Brahms/Ketelsen 2017 (wie Anm. 1), S. 54–58 und Christian Müller: Eine Fischleimpause nach einem Werk aus dem Umkreis von Albrecht Dürers Kalvarienberg, Fragment, in: ibid., S. 59–62. 31 Leon Battista Alberti, Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, hrsg. v. Oskar Bätschmann, Darmstadt 2000, § 46, S. 284–285.

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xionen lassen sich kulturhistorisch auch anhand von schriftlichen Quellen (Traktate, Kunstkritik und -theorie) verankern? – Zwecks Veränderung und Überprüfung eines neuen Entwurfs konnten einzelne Partien einer Zeichnung ab- oder ausgeschnitten, hinzugeklebt und wieder entfernt werden. Welcher Status kommt den neu zusammengesetzten bzw. collagierten Blättern zu? Und welche Rückschlüsse lässt das Verfahren des cut & paste auf die Wertigkeit der verwendeten, zerschnittenen Blätter zu? Wurden etwa nur Studienblätter zerschnitten, während Reinzeichnungen davor bewahrt blieben?

3.1 Pause – Kontur Claudia Steinhardt-Hirsch geht anhand von zwei Zeichnungen des Florentiner Künstlers ­Cristofano Allori (1577–1621) der Frage nach dem kreativen Potenzial von Kopien nach und differenziert unter Einbeziehung spezifischer Pausvorgänge die in der Zeichnungsforschung geläufigen Begriffe „Version“, „Kopie“ und „Nachschöpfung“. Interessanterweise gehörte eines der Blätter zur Sammlung Filippo Baldinuccis, der im Vocabolario Toscano dell’arte del Disegno von 1681 ein gängiges Pausverfahren – das „Kopieren mit Licht“ (lucidare) auf ein transparentes Papier – beschreibt. Steinhardt-Hirsch stellt Baldinuccis Kritik an dem Verfahren, letztlich nicht der Feinheit einer freien Zeichnung zu entsprechen sowie keines ästhetischen Urteils und keiner Handfertigkeit zu bedürfen, in Relation zu Leonardo und Raffaello Borghinis viel ausführlicheren Ausführungen zum Pausen in Il Riposo von 1584. Mit Blick auf Giulio Mancinis Discorso di pittura (1617–1628) wird erneut deutlich, wie wesentlich der Diskurs über die Originalität eines (Kunst-)Werkes in der Vormoderne war. In diese komplexe Aushandlungen führen Thomas Ketelsen und Carsten Wintermann Differenzierungen von Kopien in Rembrandts Werkstatt sowie nach rembrandtesken Zeichnungen bzw. Kopien ein. Unter Joseph Meders Begriff der „Paus-Kopie“ (1919), denen eine vom Original durchgepauste Vorzeichnung zugrunde liegt, verhandelt das Autorenteam den Gegensatz zu frei gezeichneten Kopien, um abschließend an einer Weimarer Pauskopie sogar deren Wiedergabe von Überlieferungsspuren des Vorbilds plausibel zu machen. Das Phänomen der unzähligen Kopien nicht nur nach Zeichnungen von Rembrandt selbst, sondern auch von Schülerzeichnungen, von denen sich unter der Kategorie der Pauskopie vier in Weimar befinden, stellt das Team in Zusammenhang mit der Veräußerung von Rembrandts Zeichenkonvoluten nach dem Insolvenzverfahren 1656/1658, als Meister- wie Schülerzeichnungen unterschiedslos auf den Markt kamen und diese von da an Gelegenheit für neue Pauskopien boten. – Aus anderer Perspektive beleuchtet Armin Häberle solche Vorzeichnungen, wenn er diesem Verfahren anhand von Zeichnungen Nicolas Poussins und Stefano della Bellas nachgeht, um zu zeigen, wie sehr es diese darauf anlegten, derartige Hilfsmittel der ersten Formfindung zu tilgen. Denn erst mit mikroskopischen Untersuchungen lassen sich Spuren ausradierter Vorzeichnungen entdecken. Häberle knüpft mit seinen Untersuchungen an eine landläufige Einschätzung der Zeichnungskunde an und widerlegt, dass Poussin wie della Bella aus freier Hand derart diszipliniert zeichneten; nicht, um deren Virtuosität in Frage zu stellen, jedoch um sie unter anderem und neuem Blickwinkel zu be-

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trachten, welcher sich mit Bedingungen zeichnerischer Kreativität und darin verankerter schöpferischer wie auch produktiv-zerstörerischer Verfahren auseinandersetzt. Unter den Fallstudien zu den Beständen aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München diskutiert Jacqueline Klusik-Eckert Crispijn de Passes d.Ä. Zeichnung einer Allegorie der Wollust und macht anhand von deren Rückseite und der darauf befindlichen Pauszeichnung deren Funktion zur Überprüfung der Komposition für den darauffolgenden Druck wahrscheinlich, zu dem sie sich seitenrichtig verhält. In ähnlicher Weise beleuchtet Federica Mancini die Zeichnung mit einer Steinigung des Hl. Stephan aus Luca Cambiasos Werkstatt und bewertet deren durchstochene Konturlinien als Merkmal einer effizienten Wiederholung für den Kunstmarkt.

3.2 Abklatsch – Spiegelung Reflexionen über die freie Linie bilden den Auftakt von Iris Brahms‘ Beitrag. Das unlösliche und nicht auseinanderzuhaltende Beziehungsgeflecht zwischen Hand und Geist macht das Paradox des Abklatsches umso anschaulicher, ist er doch nach Georges Didi-Huberman sowohl Berührung wie Verlust, ähnlich wie unähnlich. Unter dem Fokus auf Abklatsche in Büchern können Phänomenologien der Nachnutzung spezifiziert werden: etwa die Kategorie der en passant, nicht intentional entstandenen Abklatsche, die zumal in aufgelösten Sammelbänden Rückschlüsse über die einstige Ordnung zulassen; oder die Kategorie der Motivsicherung von Vorlagen, die im Buch einer assoziativen Reihenfolge entsprechend zusammengebunden wurde; oder aber die Kategorie der Wertschätzung, die zur Herstellung von Gegendrucken nach herausgelösten Zeichnungen führte. An das hier angelegte Spek­trum und den differenzierten Nutzen von Büchern für das Verfahren knüpft Robert Fucci mit einem sog. Skizzenbuch mit Rötelzeichnungen von Nicholas Berchem an, die intentional auf der gegenüberliegenden Seite abgeklatscht wurden und sich somit dieselbe Komposition auf der Doppelseite spiegelverkehrt gegenübersteht. Der Contre-preuve wird hierbei als Verfahren des Überprüfens und Variierens diskutiert, während eine andere Landschaftszeichnung Berchems eine weitere Dimension aufzeigt. Denn hier wurde der zugrundeliegende Abklatsch überarbeitet und in diesem Zuge ein eigenständiges Werk hervorgerufen, das als Gegendruck kaum mehr erkennbar ist. An diesem Dreh- und Angelpunkt zeigt sich erneut eine Dynamik, die erklärt, warum die thematisierten Zeichenpraktiken als marginalisiert bezeichnet werden müssen, wurden sie doch zugunsten des Topos der freien Handzeichnung mitunter kaschiert. Ein anderes Deutungsspektrum stellt Stefano de Bosio mit seiner Untersuchung zu französischen Reproduktionsstichen des 18. Jahrhunderts vor. Hierbei wurde das ausgefeilte Abklatschverfahren zur Übertragung in die Druckgraphik angewendet, wobei dem Prozedere eine besondere Nähe zum Original zuerkannt wurde und daraus eine Eigenwertigkeit der Gegendrucke hervorging. De Bosio stellt das vorrangige Interesse an formaler Verlässlichkeit heraus, das zwar von der Farbe abließ und die Spiegelverkehrung auch bei ikonographischen Unstimmigkeiten in Kauf nahm, aber zu nichts Geringerem führte, als dass Contre-preuves als selbständige Kunstwerke verschenkt wie verkauft wurden und darüber soziale Netzwerke entstanden.

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In den Fallstudien diskutiert Susanne Wagini Jan van Somers Kopien nach Pierre Lombarts Kupferstichserie der Countesses und deren Abklatsche in Vorbereitung einer eigenen Produktion von Mezzotinto-Arbeiten. Nino Nanobashvili gibt ausgehend von Francesco Solimena einen Überblick über Funktionen von Abklatschen, die sich in Italien bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen, und erläutert anhand von Filippo Esengrens Zeichnungsalben, die zu einem Drittel aus Abklatschen bestehen, ein wenig bekanntes Beispiel für die Praxis der Seitenverkehrung ebenso wie des Austausches von Gegendrucken.

3.3 Cut&Paste – Verwandlungen Schneide-Klebe-Praktiken haben nicht allein durch eine verstärkte Reliefbildung eine drei­ dimensionale Komponente, wie etwa Peter Paul Rubens Figurenstudie von 1610/1620(?) im Städel Museum durch einige Überlappungen der vier weitgehend auf Stoß aneinandergefügten Papierstücke zeigt (Abb. 3).32 Sie können darüber hinaus mit Klappen tatsächlich in den Raum ausgreifen. Ähnlich zu Buchseiten können die Flügel von Lucas Cranachs Altarmodellen (Abb. 4–6)33 auf- und zugeklappt und somit das Bildprogramm in Form und Funktion demonstriert werden. In einem systematischen Zugriff auf Schneide-Klebe-Praktiken in italienischen Zeichnungen um 1600 entwickelt Heiko Damm verschiedene Kategorien zu deren Funktionalität: Sie reichen von der komponierenden Montage, die Versatzstücke aus anderen Zeichnungen aufnimmt und integriert, über Korrektur- und Verbesserungsansprüche bis hin zur pragmatischen Lösung, Variationen von Details mittels alternativer Klappen vorzuführen. Zweifellos stellen solche Klappen eine Herausforderung für die Konservierung und Dokumentation dar. Mit­unter liefern sie jedoch bedeutende Hinweise für die Datierung, wenn beispielsweise Giovanni de‘ Vecchi für eine Korrekturklappe ein Brieffragment verwendet hat, das einen terminus post quem für die Ausführung des zum Sujet zugehörigen Katha­ rinenfreskos in S. Maria sopra Minerva angibt. Einmal mehr erklärt sich die Bedeutung solcher Praktiken für die Forschung von selbst, so dass sich deren intensivierte Betrachtung als unabdingbar erweist. Federica Mancini erarbeitet anhand eines im Louvre aufbewahrten Konvoluts von italie­ nischen Quadratura-Zeichnungen des 17. Jahrhunderts eine Rekonstruktion etwaiger Werkprozesse unter Einbindung von Perspektivtraktaten sowie mit Blick auf den künstlerischen Austausch über Generationen hinweg. Mitunter wurden in Zusammenarbeit verschiedener Künstler:innen im Format angepasste figurative Details – gezeichnete oder auch gedruckte – eingeklebt, um eine weitere Dekorationsstufe zu veranschaulichen. Mancini stellt die Bedeutung von Zeichnungen als Übersetzungsinstrumente heraus, auf deren Grundlage sich

32 Joachim Jacoby, Städels Erbe. Meisterzeichnungen aus der Sammlung des Stifters (Ausst. Kat. Frankfurt a.M., Städel Museum), Dresden 2020, S. 206–207, Nr. 74. 33 Dürer, Holbein, Grünewald. Meisterzeichnungen der deutschen Renaissance aus Basel und Berlin (Ausst. Kat. Kunstmuseum Basel, Staatliche Museen zu Berlin), Ostfildern-Ruit 1997, S. 253–256, Nr. 17.3 (Dieter Koepplin).

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3  Peter Paul Rubens, Figurenstudie, 1610/1620 (?), Feder und Pinsel in Braun, Grau, Schwarz und ­Deckweiß, auf vier auf Stoß zusammengefügten, sich stellenweise überlappenden Papierstücken, 407 × 322 mm, Frankfurt a.M., Städelsches Kunstinstitut, Inv. Nr. 2834

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4  Lucas Cranach, Entwurf eines Flügel­ altares mit der Beweinung Christi, um 1519/1520, Feder in Braun, Grau und Schwarz, auf Vergé, 393 × 247 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. KdZ 387

6  Lucas Cranach, Altar mit geschlossenen Außen­ flügeln, wie Abb. 4

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5  Lucas Cranach, Altar mit geschlossenem linken Innenflügel und geschlossenem rechten Außen­flügel, wie Abb. 4

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die Beteiligten verschiedener Disziplinen wie Architektur und Malerei verständigen und anweisen konnten. Tamar Mayer indes stellt in Jacques-Louis Davids Œuvre einen breiten Einsatz von Paus- und Collagetechniken vor und diskutiert dabei das Pausen als grund­legende Methode, die Davids schon von Zeitgenossen bemerkte klare Qualität der Linie zu erklären vermag. Anhand der komplexen Entwurfsprozesse zu seinen höchst gefeierten Historiengemälden, darunter der Raub der Sabinerinnen, erläutert Mayer die mehrfachen Klebe-Schneide-Schritten als abgewogene und sich gegenseitig bedingende Variationsstufen bis hin zum fertiggestellten Gemälde. Davids kompositorisches Gespür für ikonographische Gruppenkonstellationen kommt auch darin zum Ausdruck, was Mayer als ‚virtuelles‘ Herausschneiden und Hineinkleben bezeichnet, wenn nämlich einzelne politische Figuren für Die Verteilung der Adlerstandarten etwa ausgetauscht werden mussten. Darüber hinaus untersucht Mayer das Herauslösen und Ergänzen von Zeichnungen anhand des Chicagoer Skizzenbuchs als postume Sammelpraxis, die Davids Werdegang zu veranschaulichen vermag.

3.4 Ausblick Abschließend geht Arno Schubbach mit Immanuel Kants Theorie zur Darstellung der Frage nach, wie die ästhetische Erfahrung von den Techniken des Zeichnens beeinflusst wird, bzw. wie das Verhältnis der Wahrnehmung zu Zeichentechniken zu konzipieren ist. Damit wird auf eben jene Rezeptionsebene abgehoben, die nicht mehr nur dem Werkprozess angehört, sondern darüber hinaus den Betrachtenden einschließt. Auch wenn es in der Geschichte der Zeichnung vielfache und weit zurückreichende Tendenzen gibt, die thematisierten Zeichenpraktiken zu verbergen, knüpfen Schubbachs Gedanken an jene Aspekte unmittelbar an, die in den kunsthistorischen Beiträgen von Dürer über Berchem zu David und Poussin als expliziten wie impliziten Umgang verschiedentlich ermittelt und analysiert wurden. Aus philosophischer Perspektive wurden damit bemerkenswerte Ansätze für eine Theoretisierung marginalisierter Zeichentechniken entwickelt.

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PAUSE – KONTUR

Abb. 1 Cristofano Allori, Studie eines Knabenkopfes mit Arbeitsmütze, um 1600, Rötel auf Vergé, 220 × 167 mm, Frankfurt, Städel Museum, Inv. Nr. 17179

Claudia Steinhardt-Hirsch

Version – Kopie – zeichnerische ­Nachschöpfung? Zu zwei Zeichnungen von Cristofano Allori

Eine kürzlich im Kunsthandel für die Graphische Sammlung im Städel Museum erworbene und bisher unpublizierte Zeichnung des Florentiner Künstlers Cristofano Allori (Abb. 1) zeigt den Kopf eines Jünglings mit auffälliger Schirmmütze in leichter Neigung nach rechts.1 Mit zartem Kohlestift hat Allori mit wenigen Umrisslinien die Gestalt des Kopfes, Mütze, Augen und Ohren festgelegt und der Zeichnung dann in einem zweiten Schritt mit Rötelstift Farbe verliehen. Charakteristisch dabei sind die Verwendung von Parallel- und Kreuzschraffuren bei der Wiedergabe von stofflichen Bereichen wie den Haaren und der Mütze und die weich verreibende Rötelmodellierung im Bereich des Gesichtes. Es ist insbesondere hier, dass der Künstler den graphischen Duktus der Linie verlässt und Denkkategorien eines Malers anwendet. Es geht, wie bei fast allen Rötelzeichnungen Alloris, um die Modellierung von Schattenpartien, die in einen bewegten Kontrast zu den Aussparungen auf dem weißen Papier eintreten und nicht nur das auf den ersten Blick hervortretende Relief hervorbringen, sondern im Wesentlichen ein ausgeprägtes Helldunkel erzeugen. Wie durch einen starken Schlagschatten ist somit die linke Partie des Kopfes beleuchtet, während die rechte Seite in ein weicheres, diffuses Gegenlicht abtaucht. Dadurch fängt sich das Gesicht in einer atmosphärischen Präsenz, welche durch den forschen Ausdruck und den klar auf den Betrachter gerichteten Blick verstärkt wird. Es handelt sich bei dieser Zeichnung nicht um einen Studienkopf, wie beispielsweise die vollendete Studie eines Alten Mannes, nach rechts gebeugt aus dem Louvre (Abb. 2).2 Die 1

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Mein großer Dank gilt Martin Sonnabend, der mich auf die Zeichnung aufmerksam gemacht hat und mir das uneingeschränkte Studium derselben vor Ort ermöglichte. Ebenso möchte ich der Chefrestauratorin für Papier am Städel, Ruth Schmutzler, danken, die mich die Zeichnung unter dem Mikroskop untersuchen ließ und mir ihre Vorarbeiten zur Verfügung stellte. Vgl. auch den online Eintrag von Martin Sonnabend: https://sammlung.staedelmueseum.de/de/werk/knabenkopf-mit-arbeitsmuetze (aufgerufen am 17.06.2021). Catherine Monbeig Goguel, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins, Inventaire général des Dessins Italiens, Bd. IV: Dessins toscanes, XVIe–XVIIIe siècles, T. II: 1620–1800, Mailand 2005, Nr. 3.

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Claudia Steinhardt-Hirsch

Abb. 2  Cristofano Allori, Alter Mann, nach rechts gebeugt, um 1620, schwarze und rote Kreide mit Weißhöhungen auf blauem Papier, 273 × 209 mm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, Inv. Nr. 26

Pariser Zeichnung, die aus dem Besitz von Filippo Baldinucci stammt und in einer ähnlichen Technik ausgeführt wurde wie das Frankfurter Blatt, verblüfft durch die fast vollständig aufgelöste Linie und die chromatische Farbmodellierung der Zeichenstifte auf blauem Papier. Der Kopf des alten Mannes ist eine sorgfältige Studie für das Gemälde Der Hl. Manetto d’Antella heilt einen Lahmen in der Cappella dell’Antella in Santissima Annunziata in Florenz und wurde nach der Weihe der Kapelle 1602 geschaffen. Das meisterhafte Auftauchen der greisen Gesichtszüge aus dem blauen Tiefengrund und die vor allem durch Aussparungen erzeugte Lichtwirkung, die insbesondere den Kopf und die Haare des Heiligen aufleuchten lassen, sind bis in das kleinste Detail durchexerziert und verleihen der Zeichnung trotz ihrer Funktion als Studie einen künstlerischen Eigenwert. Bei der Frankfurter Zeichnung, die ähnliche Lichtwirkungen verfolgt wie das Pariser Blatt, handelt es sich dagegen um ein Porträt ad vivum, das sehr wahrscheinlich im Atelier entstanden ist und eine schnellere Arbeitsweise erforderte. Die Kombination von schwarzer und roter Kreide ist, auch wenn sie hier kaum merklich wahrnehmbar ist, aufschlussreich für Alloris Abhängigkeit von der Florentiner Zeichentradition, die mit Andrea del Sarto einen klaren Bezugspunkt für Allori darstellte. Sartos Synthese aus zeichnerisch empfundener Linie in schwarzer Kreide und an der Natur orientierter Helldunkelmodellierung in roter Kreide unterschied sich deutlich von der ausschließlich modellierend vorgehenden Rötelzeichnung emilianischer Prägung, wie sie beispielsweise die Zeichnungen Antonio da Correggios zei-

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Version – Kopie – zeichnerische N ­ achschöpfung?

gen.3 In Florenz konnte sich diese Technik seither insbesondere bei den Porträtzeichnungen etablieren und wurde in der weiteren Auseinandersetzung mit niederländischen Vorbildern wie Hendrick Goltzius und den rot-schwarzen Zeichnungen Federico Zuccaris zum Standard in der dortigen Zeichenkunst um 1600.4 Cristofano Allori steigerte jedoch ihre Ausdrucksqualitäten durch die typisch frühbarocke Dramatisierung des Helldunkelkontrastes, die seine Farbmodellierung charakterisiert und, anders als in der bisherigen Forschung behauptet, weder mit den Rötelzeichnungen der Carracci noch mit denjenigen Andrea del Sartos verglichen werden kann.5 Diese meisterlich beherrschte Farbmodellierung in der Zeichnung blieb auch seinem ersten Biographen Filippo Baldinucci nicht verborgen, der im dritten Band seiner Notizie dei Professori del Disegno von 1681–1728 das Arbeiten in Schwarz-Rot als besonderes Talent Alloris lobte: „[…] und die Köpfe zeichnete er mit schwarzem und rotem Stift, bis zum letzten Strich ausgeführt, weil er in dieser Art und Weise den roten und schwarzen Stift zu verwenden, manchmal mit ein wenig Weißhöhung, eine so herausragende Fähigkeit besaß, dass seine Porträts wahrhaft farbig wirkten.“6 Das Frankfurter Blatt ist ein charakteristisches Beispiel für den Einsatz von Rötel in den Porträtzeichnungen Cristofano Alloris. Es besticht nicht nur durch die sorgfältige Modellierung, sondern auch durch die sichere und zum Teil schnelle Arbeitsweise im Bereich der Mütze und die nur skizzenhaft angedeutete Halspartie. Trotz der sorgfältigen Ausführung

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Vgl. dazu Marzia Faietti, La pietra rossa in Andrea del Sarto e nel Correggio. Convergenze e divergenze, in: Luca Fiorentino, Michael W. Kwakkelstein (Hrsg.), Disegni a pietra rossa. Fonti, techniche e stili, 1500–1800 ca., Florenz 2021, S. 79–90. Vgl. dazu auch die Rezension von Iris Brahms, REV‑CONF: Red Chalk Drawings. Sources, Techniques and Styles, c. 1500–1800 (Florence, Italy, September  18–19, 2019), in: ArtHist.net, Dec 16, 2019 (aufgerufen am 29.9.2020). Vgl. dazu auch den Hinweis auf den Vortrag von Alessandra Baroni auf derselben Konferenz in der Rezension von Iris Brahms (wie Anm. 3). So geschehen bei Carlo del Bravo: “Per simili ritratti I suggerimenti principali potevano venire, credo, da Annibale Carracci […].” Del Bravo, Su Cristofano Allori, in: Paragone 205 (1967), S. 8–83, S. 69. Dagegen haben sich bereits Miles Chappell und zuletzt auch Andrea Czére gegen eine solche Interpretation ausgesprochen. Chappell konstatiert zwar die Abhängigkeit von del Sarto, betont aber den besonderen Sinn Alloris für die psychologische Präsenz der Dargestellten in den Porträts. Miles Chappell, Portraits and Pedagogy in a Painting by Cristofano Allori, in: Antichità viva, XVI (1977), Nr. 5, S. 20–34, S. 22. Andrea Czére wiederum stellt Alloris Zwischenstellung als Zeichner zwischen Tradition und Innovation heraus. Andrea Czére, Between dependence and independence. Some Early Portraits by Cristofano Allori, in: L’arte del Disegno. Festschrift für Christel Thiem, München/Berlin 1997, S. 99–104. Baldinucci bezieht sich dabei auf Alloris berühmtestes Gemälde, der Judith mit dem Kopf des Holofernes im Palazzo Pitti von ca. 1610, für das der Florentiner Künstler eine Reihe von Kopfstudien angefertigt hat, die Baldinucci besaß: „[…] e le teste disegnò più e più volte di matita rossa e nera, finite all’ultimo segno, perché in questo del toccar di matita rossa e nera, e talvolta con un poco di gesso, egli ebbe un talento particolarissimo, e tale che i ritratti che faceva parevan veramente coloriti.“ Filippo Baldinucci, Notizie dei Professori del Disegno da Cimabue in qua, hrsg. von Ferdinando Ranalli, Florenz 1845–1847, Bd. 3, 1846, S. 727.

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Claudia Steinhardt-Hirsch

Abb. 3  Cristofano Allori, Studie eines Jungenkopfes mit Kappe, um 1600, rote Kreide auf Vergé, 250 × 183 mm, Privatsammlung Tobey, USA, ohne Inv. Nr.

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Version – Kopie – zeichnerische N ­ achschöpfung?

haftet der Zeichnung etwas Momenthaftes, Transitorisches an, das insbesondere durch die lichthaltigen Aussparungen verstärkt wird. Die Unmittelbarkeit, mit welcher der Junge aus dem Blatt in Richtung der Betrachtenden hinausblickt, gewinnt eine eigene Relevanz im Vergleich mit einer zweiten Zeichnung von Cristofano Allori aus der privaten Sammlung Tobey (Abb. 3).7 Auf der diesmal nur in roter Kreide ausgeführten Zeichnung erscheint derselbe Junge mit derselben Kappe wieder. Die Zeichnung zeigt sich lediglich etwas ruhiger in der Strichführung, der starke Schlagschatten wurde abgemildert, was Konsequenzen für die markanten Gesichtszüge hat. Das Gesicht wirkt dadurch insgesamt etwas weicher und fülliger. Ebenso ist das in der Frankfurter Zeichnung etwas tief liegende rechte Ohr des Jungen leicht begradigt und fügt sich dem Kopf anatomisch schlüssiger an. Auch die Dynamik der Kopfneigung wurde zurückgenommen, so dass insgesamt eine zeichnerisch beruhigtere und harmonischere Gesamtkomposition erreicht wurde. Die Elemente des Gesichtes aber, Augen, Nase und Mund entsprechen sich völlig.8 Einzig der Gesichtsausdruck der Zeichnung in amerikanischen Privatbesitz erscheint weniger forsch, was im Wesentlichen mit dem Duktus der Schraffuren und der kontinuierlicheren Modellierweise des Gesichtes zu tun hat. An der Eigenhändigkeit beider Zeichnungen besteht kein Zweifel. Alloris Begabung für die Porträtkunst wurde nicht nur von seinem ersten Biographen Baldinucci betont, auch die einschlägige Forschung zu den Zeichnungen Alloris hat sich immer wieder auf die zahlreichen Kopfstudien in Rötel konzentriert.9 Ein sehr schönes Beispiel ist die Zeichnung mit zwei Jünglingsköpfen in unterschiedlicher Proportion aus den Uffizien in Florenz (Abb. 4).10 Sie kann ähnlich wie die beiden soeben betrachteten Beispiele keinem Gemälde zugeordnet werden. Vielmehr scheint der Künstler in seiner charakteristischen Schwarz-Rot-Technik die Intensität des Blickens, das bei den beiden dargestellten Jünglingen unterschiedliche Ausprägung erfährt, zum Thema des Blattes gemacht zu haben. Der in seinen Proportionen etwas kleinere Kopf des älteren bärtigen Jünglings links ist dem Betrachter zwar zugewandt, ent-

  7 Linda Wolk-Simon, Carmen C. Bambach (Hrsg.), An Italian Journey. Drawings from the Tobey Collection: Correggio to Tiepolo, (Ausst. Kat. New York, The Metropolitan Museum of Art), New Haven/London 2010, Nr. 40, S. 140–141.   8 Ruth Schmutzler verdanke ich den Hinweis, dass es sich bei den beiden Köpfen offenbar auch um dieselben Maßangaben in der Proportionierung handelt. Sie hat die Frankfurter Zeichnung auf durchsichtige Folie kopiert und mit der in den Originalmaßen übereinstimmenden Abbildung im New Yorker Katalog abgeglichen.   9 Andrea Czére führt die aus Dokumenten überlieferten zahlreichen Porträts an, die heute nicht mehr alle überliefert sind und verweist auf die doppelte Funktion der Zeichnungen mit Kopfstudien als autonome Kunstwerke und als Vorzeichnungen für religiöse Gemälde. Czére 1997 (wie Anm. 5), S. 99. Mina Gregori betont die intensive Rezeptionsgeschichte der Kopfstudien, die von den Zeitgenossen nicht nur sehr bewundert, sondern auch gesammelt wurden, in: Mina Gregori, Note su Cristofano Allori, in: Scritti di Storia dell’arte in onore di Ugo Procacci, 2 Bde., Mailand 1977, Bd. 2, S. 520–526, S. 522. Und Miles Chappel stellt heraus, dass Allori in weitaus stärkerem Maße ein Interesse an der Zeichnung als autonomes Kunstwerk besaß als seine Zeitgenossen. Chappell 1977 (wie Anm. 5), S. 24. 10 Anna Petrioli Tofani, Inventario. Disegni di Figura, Bd. 1, Florenz 1991, Inv. Nr. 908 F.

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Claudia Steinhardt-Hirsch

Abb. 4  Cristofano Allori, Porträt zweier junge Männer, um 1620, schwarze und rote Kreide mit Weiß­ höhungen auf Vergé, 195 × 257 mm, Florenz, Gabinetto disegni e stampe degli Uffizi, Inv. Nr. 908 F (recto)

zieht sich aber durch den Schrägblick einer direkten Kommunikation mit dem Betrachter. Eine leise Melancholie beschreibt den Gemütszustand beider Jünglinge, die jedoch durch den offeneren und intensiveren Blick des proportional größer wiedergegeben und im verlorenen Profil vom Betrachter abgewandten jüngeren Mannes differenziert wird. Einmal mehr beweist Allori in diesem Beispiel, dass er ein feines zeichnerisches Gespür für die Darstellung unterschiedlicher Seelenzustände hat. Die beiden hier im Fokus stehenden Zeichnungen aus Frankfurt und der Sammlung Tobey zeigen dasselbe psychologische Gespür, sind jedoch im Œuvre Alloris einzigartig. Es handelt sich um den einzigen bisher bekannten Fall, dass der Florentiner Künstler eine Komposition wiederholt hat. Selbst die zahlreichen Studien für das Gemälde Judith mit dem Haupt des Holofernes zeigen nie denselben Kopf zweimal. Auf den ersten Blick scheint die Frankfurter Zeichnung also eine Vorstufe zu der weiter ausgeführten Zeichnung aus der Tobey Sammlung zu sein. Die fast deckungsgleiche Komposition lässt allerdings darauf schließen, dass es sich hier nicht um eine Version oder eigenständige Wiederholung des gleichen Motivs handelt, sondern dass hier ein mechanischer Übertragungsprozess erfolgt ist. Da die Richtung des Kopfes in beiden Fällen dieselbe ist, ist

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Abb. 5  Cristofano Allori, Mann mit Mütze, um 1620, schwarze und rote Kreide auf Vergé, 195 × 257 mm, ­Florenz, Gabinetto disegni e stampe degli Uffizi, Inv.  Nr. 908 F (verso)

eine bei niederländischen Rötelzeichnungen bereits mehrfach nachgewiesene Verwendung als Abklatsch in der Frankfurter Zeichnung eher unwahrscheinlich.11 Auf dem Verso der oben erwähnten Zeichnung von Cristofano Allori aus den Uffizien findet sich zwar eine Darstellung eines Mannes mit Mütze, die sehr wahrscheinlich ein Abklatsch einer anderen Komposition von Allori ist (Abb. 5),12 jedoch ist dieses Beispiel im Œuvre Alloris singulär und scheint eher dem Zufall geschuldet zu sein. Die stark verblasste Darstellung mutet jedenfalls nicht als gewähltes Gestaltungelement durch den Künstler an. Bei den beiden Blättern des Jünglings aus der Sammlung Tobey und dem Städel wird vielmehr von einer anderen Methode auszugehen sein, mit der die Komposition eins zu eins auf das andere Blatt übertragen wurde.

11 Eines der wenigen mir bekannten Beispiele aus der italienischen Zeichenkunst des 17. Jahrhunderts, in dem der Abklatsch dieselbe Seitenrichtigkeit zeigt, ist der Abklatsch einer Zeichnung von Pier Francesco Mola mit badenden Nymphen aus der Graphischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln (Rötel auf Vergé, 145 × 256 mm, Inv. Nr. Z 1974), auf die mich Iris Brahms hingewiesen hat. Die Zeichnung, von der der Abklatsch stammt, wird heute im British Museum aufbewahrt und war eine Zeichnung Molas nach einem Gemälde von Palma Vecchio, die der römische Barockkünstler allerdings nach einem Stich anfertigte, so dass ein Abklatsch notwendig war, um die Komposition Palma Vecchios seitenrichtig wiederzugeben. Zu dem komplexen Spiel mit Spiegelungen, die der Künstler dabei anwandte vgl. Michael Venator in: Thomas Ketelsen (Hrsg.), Der Abklatsch. Eine Kunst für sich (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum  & Fondation Corboud), Köln 2014, Köln 2014, S. 69, Nr. 39. Vgl auch die Überlegungen zum Phänomen des Abklatsches von Thomas Ketelsen und Michael Venator, ebd. S. 5–23 und seiner Technik von Thomas Klinke, ebd. S. 24–31. 12 Dies wurde bereits von Anna Petrioli Tofani im Inventar der Florentiner Figurenzeichnungen vorgeschlagen. Die eingehende Untersuchung des Blattes hat gezeigt, dass dies sehr wahrscheinlich ist. Insbesondere die verschwommene Struktur des Striches lässt darauf schließen. Ob es sich jedoch um einen automimetischen Abklatsch handelt, um in der Terminologie Ketelsens zu bleiben (s. Anm. 11), ist jedoch schwer zu entscheiden. Vgl. Petrioli Tofani, Inventario. Disegni di Figura, Bd. 1, Florenz 1991, Inv. Nr. 908 F.

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Eine eingehende Analyse der Frankfurter Zeichnung unter dem Mikroskop hat nur wenige Spuren zu Tage gefördert. Darunter sind einige kleine Löcher unterhalb des Kinns bzw. rechts oberhalb der Umrisslinie der Kinnpartie, am linken Auge des Jungen, oberhalb des linken Auges am hellen Rand der Kappe und am unteren linken Bildrand zu nennen. Da spätere Restaurierungen oder kleinere Retuschen im Bereich der Löcher nicht auszuschließen sind, ist die Beweislage jedoch äußerst dünn, dass die Frankfurter Zeichnung tatsächlich von Allori selbst mechanisch bearbeitet wurde. Auch die leichten Drucklinien, die sich im Kinnbereich auf dem Papier beobachten lassen und möglicherweise Griffelspuren zum Durchdrücken von Linien sind, sind nicht kontinuierlich in der gesamten Komposition zu finden. In der zeitgenössischen Literatur der frühen Neuzeit lässt sich wenig Konkretes über graphische Übertragungstechniken finden. Einzig ein Passus in Filippo Baldinuccis Vocabolario Toscano dell’arte del Disegno von 1681 beschreibt ein Pausverfahren, das, wie er selbst behauptet, gängige Werkstattpraxis der Künstler war und häufig angewendet wurde. Es findet sich unter dem Lemma Lucidare und beschreibt die Reproduktion einer Zeichnung oder Schrift durch das Auflegen von durchsichtigem Papier: Kopieren durch Licht. Eigener Begriff unserer Künstler und Kunsthandwerker: Dies geschieht auf unterschiedliche Weise: entweder mit Hilfe von fettigen und transparenten Papieren oder mit Papieren, die aus Fischleim gemacht sind, oder mit Spiegeln oder mit schwarzen Tüchern, die auf Rahmen aufgezogen werden. Man nimmt eines der oben genannten Instrumente und platziert es auf dem Gemälde oder auf der Zeichnung, die man kopieren möchten, so dass man sie, indem die Konturen auf der Oberfläche durchscheinen, präzise ausführen kann, ohne sie durch das Urteil des Auges und durch den Gehorsam der Hand nachahmen zu müssen; und man kann sie dann auf Papier oder einen anderen Ort, auf den man kopieren möchte, übertragen. Das schwarze Tuch, das auf einen Rahmen aufgezogen wird, ist für die großen Werke von Vorteil, auf diese Art, dass es auf die zu übertragende Sache gelegt wird und die Konturen mit Gips versehen werden; dann legt man das Tuch auf den Tisch oder die Leinwand, wo man arbeiten will, und indem man es schlägt und leicht reibt, fällt die Kreidekontur darauf. Dies sind alles Erfindungen, die von denen, die wenig wissen, mit wenig Erfolg angewendet werden; denn die äußerst feinen Kleinigkeiten der Konturen, in denen die Vollkommenheit der Zeichnung besteht, werden mit solchen Instrumenten niemals so eingefangen, dass sie gut werden.13 13 „Copiare per via di luce. Termine proprio de’ nostri Artefici: il che si fa in diverse maniere, o con l’aiuto di carte unte e trasparenti, o con carte fatte di colla di pesce, o con specchi, o con veli neri tirati sul telaio; prendesi uno de’ soprannominati strumenti e ponendolo sopra la pittura o disegno, che si vuol copiare, acciochè, trasparendo al disopra i contorni, vi si possan fare per l’appunto, senza la fatica dell’immitargli a forza del giudizio dell’occhio, e ubbidienza della mano; e si posson poi calcare sopra carta, o altro, dove si vorranno copiare. Del velo nero tirato sopra un telaio si vagliono nell’opere grandi in questa forma che postolo sopra la cosa da lucidarsi, d’intornano sopravi con gesso; di poi posano il velo sopra la tavola, o tela, dove vogliono operare, e battendolo, e strofinandolo leggiermente, fanno

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Dieser ausführliche Bericht Baldinuccis zeigt, dass die Technik der Übertragung zum grundlegenden Künstlerwissen gehört hat. Wir dürfen also davon ausgehen, dass sie auch um 1600 gängige Werkstattpraxis war. Bereits Leonardo verwendet den Begriff des lucidare, wobei er sich in seinem Malereitraktat auf die seit Filippo Brunelleschi gängige Praxis der Perspektivdarstellung mittels Velum oder Glasplatten bezieht und die Diskussion in den Bereich der Unterscheidung von Umrisslinie und Schattengebung überführt.14 Anders als bei Baldinucci wird hier also keine graphische Übertragungstechnik zum Zwecke der Kopie beschrieben. Vielmehr geht es Leo­ nardo hier, ebenso wie in den anderen Passagen des Buches, um die Übertragung der sichtbaren Wirklichkeit in Malerei als einen Akt der Simulation. Baldinucci nimmt in seiner Definition demgegenüber eine entscheidende Bedeutungsverschiebung vor. Bleibt man in Florenz, so lässt sich erst 1584 bei Raffaello Borghini eine genauere Beschreibung des Lucidare nachweisen. In seinem einschlägigen Werk zur Florentiner Kunst, Il Riposo, greift der Autor zunächst Leonardos Definition auf, dass die mit Hilfe der carta lucida – dem transparenten Papier – dargestellten Figuren wie die Figuren selbst erscheinen würden.15 In einem zweiten Schritt aber erläutert Borghini nicht nur, wie solche Papiere hergestellt wurden, sondern auch, wie sie verwendet wurden. Er unterscheidet dabei drei Sorten von Pauspapier: Pergament aus Ziegenhaut, das sehr dünn geschabt wird und mit Öl eingerieben wird, Papier, das aus kochendem Fischleim hergestellt, über einem glatten Marmorstein bearbeitet und schließlich mit Olivenöl und Leinsamenöl eingerieben wird und schließlich sehr dünnes

sopra esse cadere il contorno di gesso; invenzioni tutte, che da chi sa poco, si adoperano con poco frutto; perché le più squisite minutezze de’ dintorni, nelle quali consiste la perfezzione del disegno, con tali istrumenti non si pigliano mai in modo, che bene stieno. Dico da chi sa poco; perché possono gli eccellenti Artefici valersene con utilità pigliando da luciso il dintorno d’un certo tutto, e poi riducendo le parti con maestra mano a stato perfetto.” Filippo Baldinucci, Vocabolario Toscano dell’arte del Disegno, mit einer kritischen Anmerkung v. Severina Parodi, Florenz 1975, S. 85. 14 „Qual è più importante nella pittura, o’ l’ombre, o’ i lineamenti suoi? Di molta maggiore investigattione et speculattione sono l’ombre nella pittura che li suoi lineamenti; e la proua di questo s’insegna, che li lineamenti si possono lucidare con ueli o’ vetri piani interposti infra l’occhio e la cosa, che si debbe lucidare; ma l’ombre non sono comprese da tale regola, per la insensibilità delli loro termini, li quali il piu delle uolte sono e lume confuse, come si dimostra nel libro de ombra e lume.” Leonardo da Vinci, Libro di Pittura. Codice Urbinate lat. 1270 nella Biblioteca Apostolica Vaticana, hrsg. v. Carlo Pedretti, Carlo Vecce, 2 Bde., Florenz 1995, Bd. 2, § [413], S. 304. ”Was ist wichtiger in der Malerei, entweder der Schatten oder ihre Konturen? Die Schatten in der Malerei bedürfen viel größerer Untersuchung und Berechnung als ihre Konturen. Und der Beweis davon lehrt uns [der Umstand], dass die Konturen mit Tüchern oder flachen Scheiben übertragen werden können, die man zwischen das Auge und die Sache, die man übertragen möchte, stellt. Aber die Schatten sind in dieser Regel nicht enthalten, wegen der Unsichtbarkeit ihrer Grenzen, die häufig diffus sind, wie in dem Buch über Schatten und Licht gezeigt werden wird.“ (Übersetzung CST‑H). 15 „Dove lasciate voi la carta da lucidare le figure? Mediante la quale si ritraggono le cose così bene e così appunto che paiono quelle stesse.” Raffaello Borghini, Il riposo, Florenz 1584, S. 144.

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weißes Papier, das mit Nussöl behandelt wird und möglicherweise unserem modernen Pergamentpapier ähnlich war.16 Mit derselben Ausführlichkeit, mit der er die Herstellung der Papiere beschrieben hat, fährt Borghini fort, ihre Verwendung zu beschreiben: „Wenn ihr sie dann verwenden wollt, legt das durchsichtige Papier auf die Figuren, die ihr zu Tage fördern wollt & macht es fest, so dass es sich nicht bewegt und ihr werdet darauf alle Konturen und alle Linien, die es gibt, sehen.“17 In einem weiteren Schritt beginnt man die sichtbaren Konturen und Linien mit dem Stift oder der Feder vorsichtig abzuzeichnen, bevor dann der eigentliche Übertragungsprozess beginnt. Dazu muss das durchsichtige Papier mit einem weiteren farbigen oder weißen Papier zusammengeklebt, die Konturen mit farbigen oder weißen Kreiden versehen werden und schließlich das Ganze auf ein Trägermedium gepresst werden, ähnlich einem Abklatsch. Die so gewonnenen Konturen sollten mit einem Stift nachgezeichnet werden, da sich die Kreiden beim Übermalen schnell verlieren.18 Es ist offensichtlich, dass Baldinucci sich bei

16 “Di tre maniere sono le carte da lucidare, rispose il Sirigatto, la prima si fà con carta di capretto, la quale sia ben rasa, e ridotta sottile egualmente, e poi si unge con olio di linseme chiaro, e bello, e si lascia seccare per ispatio di piu giorni. La seconda si fa in questo modo, bisogna pigliare colla di pesce, ò di spicchi, e metterla in molle in acqua Chiara à discretion, poi farla bollire tanto che sia bene strutta, e come sia colata due volte, e diuenuta tiepida darla con penelleo, sicome si è detto del tignere le carte, sopra vna pietra di marmo, ò di porfido vnta prima con olio d’vliua. Poi sopra detta colla fa di mestiero darui sottilmente olio di linseme bollito, poi lasciare asciugar l’olio per due, ò tre giorni, e con la punta d’vn coltello con destrezza andare spiccando la detta colla, ò carta, che sarà bella, e buona. La terza (e questa è piu facile, e piu in vso, e non men buona che l’altre) si fa con fogli sottili bianchi, e che habbiano del sugante, e squadrati s’impastano insieme con diligenza, non bastando vn solo per la grandezza delle figure, che si deono lucidare, e si vngono con olio di noce, il quale è più sottile, e migliore dell’olio di linseme, e si lascia seccare per qualche giorno, e questa sarà bonissima carta.” Borghini 1584 (wie Anm. 15), S. 144–145. 17 “Quando poi volete adoperarla mettete la carta lucida sopra le figure, che volete ricavare, & appiccatelaui che non si muova & vedrete apparir di sopra tutti i dontorni, e tutte le linee che vi saranno.” Ebd., S. 145. 18 “all’hora con mattita ò penna andate diligentemente disegnādo sopra la carta tutti i profili, e lineamenti, che vi si dimostreranno: volendo poi trasportare il disegno, che hauete fatto sopra la carta lucida in tauola, ò in tela, ò in altra carta, se il campo d’essa tauola, ò tela, da pittori chiamato mestica, sarà di colore coperto, pigliere fogli bianchi tanti che coprano à punto la carta lucida, e gli appiccherete insieme con essa; poi habbiate gesso pesto, ò biacca spoluerizata, e date di detta poluere sopra il foglio bianco da quella parte, che va appiccata sopra la tauola, ò tela: & accommodate che saranno dette carte, cioè la lucida, e quella de’ fogli bianchi sopra la tauola, ò tela (sìcche il foglio bianco da quella parte che hauete dato di gesso, ò di biacca vi si posi, e non si muoua, e la carta lucida venga ad esser di sopra dimostrando il disegno che prima vi haueuate fatto) all’hora habbiate vno stecchetto d’auorio, ò di scopa, ò d’altro legno netto, & accomodato & andate sopra i profili, e lineamenti calcando con lo stecchetto talmente che ricerchiate tutto il disegno, e poi leuate via le carte che trouerete il medesimo disegno sopra la vostra tauola, ò tela, che si vede su la carta lucida: è se il campo, ò mestica, che noi vogliam dire, fosse di color chiaro, ò bianco, date alla carta bianca, che va attaccata con la lucida in cambio di gesso, ò di biacca, poluere di carboni, e vi verrà il disegno di line nere, sicome il detto di sopra

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seiner viel kürzeren Definition im Vocabolario Toscano ziemlich genau auf diese von Borghini beschriebene Methode bezieht. Gleichzeitig klingt in der Definition Baldinuccis aber auch Kritik an einem zu starr verfolgten Schematismus an. Insbesondere in den letzten Zeilen wird klar, dass Übertragungstechniken nicht den künstlerischen Eingriff und die Überarbeitung des Kopierten überflüssig machen. Welche Rolle aber spielen Borghinis Ausführungen für die beiden hier betrachteten Zeichnungen von Allori? Die durch das Mikroskop durchgeführte Anamnese, die leichte Griffelspuren und drei kleine Löcher ergeben hat, wird durch Borghinis Beschreibung einleuchtender. Es erscheint nun sehr wahrscheinlich, dass der Florentiner Künstler ein durchsichtiges Papier auf der Frankfurter Zeichnung befestigt hat, um die Konturen durchzupausen und damit eine zweite Version des Knabenkopfes herzustellen, die Zeichnung aus der Sammlung Tobey. Diese diente ihm aber nicht dazu, eine direkte Kopie von der Frankfurter Zeichnung herzustellen, sondern lediglich dazu, den Kopf des Knaben in seiner Gesamtkomposition zu wiederholen, um ihn dann schließlich umzuarbeiten. Es ist auffällig, dass die für das Frankfurter Blatt so charakteristische und spannungsvolle Helldunkelmodellierung in der zweiten Version zugunsten einer geglätteten und korrigierten Variante völlig aufgegeben wurde. Man wird also hier nicht von einer Kopie im strengen Begriffssinn sprechen, sondern eher von einer Version.19 Welche Funktion hat dieses Beispiel im Werk Alloris? Lässt sich die Zeichnung der Sammlung Tobey als reine Fingerübung verstehen oder hatte sie gar, wie Jörg Martin Merz es für einige Zeichnungen Pietro da Cortonas nachgewiesen hat,20 marktwirtschaftliche oder sammlungstechnische Aspekte? Auch wenn das kopierende Verfahren in Alloris Werk bisher einzigartig ist, so scheint es zeitgenössischen Berichten zufolge indes eine sehr verbreitete künstlerische Praxis gewesen zu sein. Doch anders als bei Pietro da Cortona werden für Alloris Jünglingzeichnungen keine marktwirtschaftlichen Interessen ausschlaggebend gewesen sein. Vielmehr scheint der Florentiner Künstler, verschiedene Wirkungen in seinen beiden Zeichnungen verfolgt zu haben. Lässt sich dabei im Frankfurter Blatt die Helldunkelmodellierung als Hauptinteresse aus­ machen, so wurde in der Zeichnung aus der Sammlung Tobey die anatomisch richtige Wie-

di line bianche. E perche dette line non sono molto stabili, e nel dipingnerui sopra facilmente si cācellano, sarà bene andarle ritrouando con matita, accioche ogni minima cosa non le ui guasti.” (Ebd., S. 145 f.) 19 Zur begrifflichen Unterscheidung vgl. Wolfgang Augustyn, Ulrich Söding, Original-Kopie-Zitat. Versuch einer begrifflichen Annäherung, in: dies. (Hrsg.), Original – Kopie – Zitat. Kunstwerke des Mittelalters und der Frühen Neuzeit: Wege der Aneignung – Formen der Überlieferung, Passau 2010, S. 14. 20 Jörg Martin Merz, Kopien nach und Imitationen von Zeichnungen Pietro da Cortonas, in: Birgit Münch et al. (Hrsg.), Fälschung, Plagiat, Kopie. Künstlerische Praktiken in der Vormoderne, Petersberg 2014, S. 109–126. In dem Aufsatz finden sich auch weitere Beispiele für das kopierende Zeichnen, wie es beispielsweise Giorgio Vasari in der Vita Michelangelos auch für dessen Zeichnungen nach alten Meistern beschreibt. Vasari wertet diese Zeichnungen als besondere künstlerische Fähigkeit Michelangelos und Zeichen seiner künstlerischen Exzellenz. Vgl. auch Merz 2014 mit weiteren Beispielen, S. 117–118.

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dergabe des Kopfes und der bravouröse zeichnerische Ausführungsgrad verfolgt. Damit aber rückt das Beispiel in die Nähe künstlerischer Manifestation von Bravura.21 Dieser Begriff, der in der Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts seine Hochzeit erlebte, bezeichnet das Zusammenspiel von Hand und Intellekt, in der die technische Beherrschung der Hand mit der künstlerischen Konzeption ineins gesetzt werden.22 Bravura veranschaulicht die Vorgehensweise Alloris in der Zeichenwerkstatt. Denn der Künstler belässt es nicht bei der reinen mechanischen Übertragung der Konturen, sondern nutzt den Übertragungsprozess, um zwei unterschiedliche Lichtwirkungen zeichnerisch zu studieren. In der Variation zeigt sich somit nicht nur die autographe Hand Alloris, sondern auch die Suche nach der adäquaten künstlerischen Form. Dass das kopierende Zeichnen, anders als heutige Kategorien von Originalität und ­Authentizität es nahe legen würden, in der Frühen Neuzeit als Beweis des künstlerischen Talents gewertet werden konnte, zeigt wiederum sehr deutlich die Begebenheit aus dem Leben des Carlo Maratta, die Giovan Pietro Bellori in seinen Viten erzählt.23 Ganz zu Beginn der Biographie über den römischen Barockmaler wird gleichsam topisch seine jugendliche Unermüdlichkeit im Zeichnen von Figuren und ihren Körperteilen betont. Als junger Künstler habe Maratta als Autodidakt Kopien von Kupferstichen und anderen Kunstwerken angefertigt, bis er im Elternhaus in Camerano in den Marken ein Exemplar der damals verbreiteten Zeichenschulen in Form eines Libro de‘ Primi Principii del disegno24 gefunden habe, dessen Studium er sich unermüdlich zuwandte. Diese Zeichnungen wurden seinem älteren Bruder, der bereits in Rom als Künstler tätig war, zugesandt; doch dieser wollte den damals elfjährigen Knaben herausfordern und sandte ihm eine Zeichnung mit Elementen aus eben diesen Principii mit der Aufforderung diese nachzuzeichnen. Aber Carlo, obwohl er diese ersten Elemente im Voraus geübt hatte, wie wir gesagt haben, unternahm in seiner Absicht erfolgreicher zu sein, alle Anstrengungen, um sich selbst zu übertreffen. Er wandte seine Seele jedoch einer Raffinesse zu, die ihm sein Einfallsreichtum nahelegte, und nahm ein halbes Blatt weißes Papier, legte es auf die ihm zugesandte Zeichnung und kopierte sie fleißig mit einem Bleistift und konturierte sie äußerst genau mit der Feder. Nachdem er sie so kopiert hatte, schickte er sie an

21 Zu Begriff und Kontextualisierung vgl.: Nicola Suthor, Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München 2010. Die Autorin konnte nachweisen, dass der Begriff etymologisch seine Wurzeln in der militärischen Fechtkunst hatte und von dem Degenhelden „il Bravo“ abstammte. 22 Ebd., S. 233. 23 Giovan Pietro Bellori, Le Vite de’ Pittori, Scultori e Architetti Moderni (Rom 1672), hrsg. von Evelina Borea, Turin 1976, S. 574 f. 24 Zur Tradition dieser Zeichenschulen vgl.: Nino Nanobashvili, Die Ausbildung von Künstlern und Dilettanti. Das ABC des Zeichnens, Petersberg 2018; Ulrich Pfisterer: Was ist ein Zeichenbuch?, in: Maria Heilmann et al. (Hrsg.), Punkt, Punkt, Komma, Strich. Zeichenbücher in Europa, ca. 1525–1925, Passau 2014, S. 1–10; Hans Dickel, Deutsche Zeichenbücher des Barock. Eine Studie zur Geschichte der Künstlerausbildung, Hildesheim 1987.

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seinen Bruder, der vermutete, dass sie mit solcher Genauigkeit kopiert wurde, und ihn beauftragte, sie in verschiedenen Größen, einer größeren und einer kleineren, erneut herzustellen.25 Auf diesen Moment hatte dieser aber nur gewartet, um sein eigentliches Talent zu zeigen, und er überzeugte den Bruder mit den Zeichnungen in den geforderten Größen, so dass dieser ihm zu einem Platz in der Zeichenschule des Andrea Camassei in Rom verhalf.26 Was Bellori in diesen Zeilen verhandelt, ist die Frage, inwieweit das kopierende Zeichnen die Originalität und Meisterschaft eines Künstlers bereits in der Ausbildung beweisen könne. In gewisser Weise führt Carlo Maratta in seinem gewitzten Handeln die Forderung nach einer absoluten Kopie ad absurdum, indem er sie herstellt. Dass das zeichnende Kopieren ein Thema in der zeitgenössischen Kunst der Frühen Neuzeit war, zeigt auch ein wenig bekannter Text von Filippo Baldinucci. Es handelt sich um ein gedrucktes Manuskript von 1687, das Baldinucci in der literarischen Form eines Briefes an Vicenzio Capponi, der seit 1638 Konsul der Accademia del Disegno in Florenz war, schrieb.27 Dort breitet er seine Vorstellung von einem guten Kenner und guter Kennerschaft aus und handelt ausgiebig von der Bedeutung des Kopierens in der künstlerischen Ausbildung und Geschmacksbildung, ebenso wie von der Relevanz, die großen Meister zu kopieren. Letzteres hält er, wie schon vor ihm Cenino Cennini, für grundlegend, um eine eigene maniera, also künstlerische Handschrift, zu entwickeln. In einem kurzen Passus spricht Baldinucci auch vom Kopieren von Zeichnungen.28 Er nennt die einschlägigen bekannten Beispiele von Michelangelo, betont aber auch die Schwierigkeiten, gute Kopien von Zeichnungen anzufertigen, weil insbesondere dort die individuelle Strichführung des Abzeichnenden deutlich wird. Der Autor bezieht sich dabei auf den skizzenhaften Charakter der Zeichnung, weil insbesondere in ihm die unverfälschte Handschrift des Künstlers zum Ausdruck kommt.29 25 „[…] ma Carlo, ancorché avanti si fosse esercitato in questi primi elementi, come si è detto, con tutto ciò, volendo superare se stesso, fece ogni sforzo per riuscir meglio al suo intento. Rivolse però l’animo ad una finezza che li suggerí l’ingegno, e preso un mezzo foglio di carta bianca, lo soprapose als disegno inviatogli e diligentemente lucidatolo col lapis lo ditornò giustissimo con la penna; avendolo così contrafatto l’inviò al fratello, il quale sospettando dal vederlo copiato con tanta giustezza, gli commise che ei di nuovo lo rifacesse in varie grandezze, con disegnare uno maggiore ed un altro più piccolo.” Bellori 1976 (wie Anm. 22), S. 574 f. 26 Ebd. 575. 27 Filippo Baldinucci, Lettera di Filippo Baldinucci nella quale risponde ad alcuni quesiti in materie di pittura, Rom/Florenz 1687. 28 Ebd., S. 7. 29 “S‘e si parla di disegni, e particolarmente de' primi pensieri, o schizzi, che fa il pittore di capriccio; come che in essi egli dia essere apparente al suo concetto con un solo tirar di penna, o di stile, senz'altra manifattura, egli è certo, che in questi cessano in gran parte le difficoltà, perché il punto pare che si riduca ad assai meno capi di quel che sia nelle pitture; onde a colui, che congiunta ad una buona intelligenza del disegno ha gran pratica nel portamento della penna, o dello stile dell'artefice, della macchia, e della franchezza del suo tocco, è più facile il dar nel segno; onde vi è più certa la regola, quanto più lontano fu il pericolo dell'essere stati contrafatti, atteso che è difficilissimo a chi che sia l'imitare con

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Baldinucci verdeutlicht dies mit der Metapher von einem Zeichner, der Spuren im Staub verfolgt, diese aber nicht über eine lange Strecke ganz genau treffen kann, weil die motorische Bewegung so individuell ist, dass sie nicht kopiert werden kann. Darin steckt die Idee der Zeichnung als Ausdruck körperlicher Determiniertheit des Künstlers. Wenige Jahre zuvor hatte in Rom Giulio Mancini in seinem Discorso di pittura Begriffe des Originals (originaria, originale) und der Kopie (copia) verhandelt und sie, wie Julia Saviello nachweisen konnte, unmittelbar von paläographischen Termini eines archetypo oder primo scritto abgeleitet.30 Mancini überträgt diese Termini, mit denen er möglicherweise die Neuordunung und Inventarisierung der Biblioteca Apostolica Vaticana plante, unmittelbar auf die schöpferische Arbeit des Künstlers und spricht vom primo artefice, dem Urheber einer schöpferischen Komposition und dem secondo artefice, dem Kopisten, der nicht selber erfindet, sondern die Komposition eines anderen übernimmt. Im Fall der hier vorgestellten Zeichnungen von ­Cristofano Allori, fallen beide Künstlerfiguren zwar in eins. Der Vorgang des Entwerfens verschiedener Versionen aber, die durch die mechanische Übertragung möglicherweise den Arbeits- und Lernprozess ökonomischer gestaltete, lässt sich in gleichem Sinne mit dem von Mancini eröffneten Diskurs über die Urschrift (archetipo) und ihre Kopien (secondo scritto) verstehen. Ähnlich wie bei der Schrift geht es also um eine formgebundene Version, die im Prozess des Machens künstlerisches Wissen generiert. In diesem gemeinsamen Bedeutungsspektrum von Zeichnung und Schrift liegt die spezifische Vorstellung von Händigkeit und damit auch von Meisterschaft, der das Kopieren als künstlerische Praxis nichts anhaben kann, weil sie gleichsam eines Spuren-Hinterlassens im franchezza quei velocissimi e sottilissimi tratti in modo, che paiano originali, senza mancare ne punto, ne poco alle parti del buon disegno, in quella guisa appunto, che a chi velocemente va ditro a colui, ché cammina sopra la polvere, puot'esser possibile per qualche pezzo di via il porre il piede nell'orme di lui, ma non già a lungo andare farlo si bene, che le prime vestigia non prendano altra forma da quella, che' a proprio suo talento, e senza legarsi ad imitazione stampò colui, che fu il primo a correre.” Ebd. „Es ist die Rede von Zeichnungen und insbesondere von den ersten Gedanken oder Skizzen, die der Maler aus einer Laune heraus macht; so wie er seinem Konzept in ihnen mit einem einzigen Strich der Feder oder des Stiftes ohne irgendeine andere Arbeit der Hand sichtbaren Ausdruck verleiht, so ist er sicher, dass in diesen die Schwierigkeiten weitgehend aufhören, weil es scheint, dass sich der Kern [der Sache] auf weniger Köpfe als bei den Gemälden beschränkt. Daher ist es für den, der mit einem guten Verständnis für das Zeichnen ausgestattet ist und eine gute Übung im Führen der Feder oder des Stifts des Künstlers, der Skizze und der Genauigkeit seines Striches hat, leichter, ins Schwarze zu treffen. Und daher ist diese Regel am sichersten: Die Gefahr gefälscht zu werden ist umso weiter weg, vorausgesetzt es ist für denjenigen, der diese sehr schnellen und sehr feinen Striche genau nachahmen soll, sehr schwierig, dass sie echt erscheinen, ohne einen Punkt oder sehr wenige Teile, die zur guten Zeichnung gehören, zu verfehlen, wie es in derselben Weise jemandem, der schnell hinter einem, der auf Staub wandelt, möglich ist, ein Stück des Weges in dessen Fußstapfen zu treten, aber es nicht auf lange Sicht so gut zu machen, dass die ersten Überreste keine andere Form annehmen als die, die derjenige, der als erster lief, nach seinem eigenem Können und ohne sich an eine Nachahmung zu binden, einprägte.“ (Übersetzung CST‑H). 30 Giulio Mancini. Discorso di Pittura, in: Considerazioni sulla pittura, hrsg. v. Adriana Marucchi, 2 Bde., Rom 1956, Bd. 1, S. 291–332, S. 327. Vgl dazu auch Julia Saviello, Die falschen Haare: Original und Kopie bei Giulio Mancini, in: Münch 2014 (wie Anm. 20), S. 77–86, S. 79.

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Staub die Bewegung der zeichnenden Hand auf dem Papier als Arbeitsprozess in sich birgt. Die beiden hier betrachteten Blätter können somit als Beispiele künstlerischer Arbeit und künstlerischen Anspruchs gedeutet werden, die in einer unermüdlichen Suche nach der überzeugenden Form auf dem Papier sichtbar werden.31

31 Wie sehr Cristofano Allori auf der Suche nach der überzeugenden Form gewesen ist, lässt sich wiederum in seiner Biographie bei Baldinucci nachlesen. Dort berichtet der Autor, dass Allori wegen seiner ständigen zeichnerischen Suche nach der richtigen Form von Ludovico Cigoli ermahnt worden sei, er werde mit dieser Arbeitsweise nicht viel zu Stande bringen. Allori aber habe geantwortet, dass er sich damit begnüge, wenige Sachen gut zu machen und nicht ganz Florenz wiedergeben wolle. Baldinucci 1846 (wie Anm. 29), S. 7.

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Abb. 1  Rembrandt, Die Verkündigung an Maria, um 1638, Feder in Braun, Weißkorrekturen, auf Vergé, 144 × 124 mm, ­Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie, Inv. Nr. D2618

Thomas Ketelsen, Carsten Wintermann

Die Pauskopie im Corpus der ­Rembrandt-Zeichnungen Neue Erkenntnisse aus kunsthistorischer und kunst­technologischer Sicht Eine der frühesten Verwendungen des Ausdrucks ‚Kopie‘ im Zusammenhang mit Rembrandt-Zeichnungen ist durch den Kunsthändler und Sammler Jan Pietersz Zoomer überliefert. Dieser hatte bei der Erfassung seines Bestands an Rembrandt-Zeichnungen festgestellt, dass keine Kopie darunter sei: „zonder een copy“.1 Was Zoomer, der mit Rembrandt freundschaftlich verbunden war, unter dem Ausdruck Kopie verstand, oder was er gar über den Vorgang des Kopierens von Rembrandt-Zeichnungen wusste, erklärt er leider nicht. Eine Kopie ist eine Kopie ist eine Kopie – so erscheint es uns jedenfalls, wenn wir der Handhabe des Ausdrucks Kopie in den letzten 100 Jahren innerhalb der kritischen Forschung zu den Zeichnungen Rembrandts bis heute verfolgen: Denn was meinte Otto Benesch, wenn er angesichts von Rembrandts Federzeichnung Die Verkündigung an Maria in Besançon (Benesch 99) im 1. Band seines Werkverzeichnisses von 1955 (2. Aufl. 1973) von einer Zeichnung in Weimar als einer „inferior copy“2 spricht? Und versteht Martin Royalton Kisch unter dem Ausdruck Kopie heute dasselbe, wenn er in seiner Online-Aktualisierung des Benesch-Kataloges dem Eintrag zu dieser Zeichnung hinzufügt: „A copy is in Weimar“3? Ebenso knapp und ohne weiteren Kommentar vermerkte Benesch zu der damals noch Rembrandt zugeschriebenen Zeichnung Rebekka und Elieser am Brunnen in Washington: „There is a copy in Weimar (…)“4. Meinte er mit dem Ausdruck Kopie aber dasselbe, was Werner Sumowski darunter versteht, wenn er angesichts der Neuzuschreibung einer rembrandtesken Zeichnung Die Anbetung der Könige an Karel van Savoy vermerkt: „A copy […] is found in 1

2 3

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Zit. nach Peter Schatborn, Oude tekeningen, nieuwe namen  – Rembrandt en tijdgenoten, in: Peter Schatborn, Leonore van Sloten, Oude tekeningen, nieuwe namen – Rembrandt en tijdgenoten (Ausst. Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis), Amsterdam 2014, S. 20. Otto Benesch, The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1973 (2. Aufl.), Bd. 1, S. 30, unter Nr. 99. Siehe Martin Royalton Kisch, Online-Katalog The Drawings by Rembrandt: A Revision of Otto Benesch’s Catalogue raisonné, unter Benesch Nr. 99; URL: http://rembrandtcatalogue.net/about/4571905042 (letzter Aufruf: 13.2.2022). Benesch 1973 (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 39, unter Nr. 503.

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the collection of J. W. van Goethe in Weimar“5. Und verweist der Ausdruck Kopie tatsächlich auf dasselbe Phänomen, wenn in der aktuellen Datenbank des Louvre festgehalten wird, dass es von der Zeichnung Die Standhaftigkeit des Mucius Scaevola (La fermeté de Mucius Scaevola), dort unter „Manier Rembrandts“ erfasst, ebenfalls eine Kopie in Weimar gibt: „Il existe une copie d'après ce dessin au Goethe Museum de Weimar“.6 Der scheinbar undifferenzierten Handhabe des Ausdrucks Kopie in den zitierten Einträgen entspricht der Umstand, dass zugleich keine weiteren Kriterien angeführt werden, die es ermöglichen würden, die genannten Kopien zu spezifizieren: weder mit Blick auf das Verfahren des Kopierens oder die verwendeten Papiere und Zeichenmaterialien, noch mit Blick darauf, was kopiert wurde, entweder eine originale Zeichnung Rembrandts oder eine rembrandteske Schülerzeichnung. Die bisherige Verwendung des Ausdrucks Kopie in der Forschungsliteratur suggeriert allenfalls, dass eine Kopie immer nur eine Kopie ist, und im besonderen Fall der vier Kopien in Weimar, dass diese sich als Kopien nicht voneinander unterscheiden.

1. Die Pauskopie Im Unterschied zur alltäglichen Verwendung des Ausdrucks Kopie hatte Joseph Meder in seinem Handbuch zur Zeichnung eigens den Ausdruck „Pause = Kopie{.]“ zur weiteren Differenzierung des Kopienwesens eingeführt, und zwar durchaus mit Blick auf die Werkstatt Rembrandts.7 Mit Hilfe dieses Ausdrucks ging es Meder darum, die vermeintlich gängige Werkstattpraxis des Kopierens auch in der Werkstatt Rembrandts von den außerhalb des Werkstattbetriebes entstandenen Wiederholungen oder gar Fälschungen zu unterscheiden: „Von den freien Kopien sind die Pause = Kopien zu unterscheiden, die von jungen Gehilfen, Kupferstechern und ebenso von Fälschern herrühren.“8 Der Ausdruck Pauskopie meint ausschließlich Kopien, denen eine vom Original durchgepauste Unterzeichnung zugrunde liegt, die dem Kopisten in einem zweiten Schritt als Vorzeichnung für seine Kopie gedient hat. Die Einführung des Begriffs ist insofern zweckdienlich, als er es ermöglicht, zwischen „freien Kopien“ und Pauskopien überhaupt zu unterscheiden. Die Grundannahme Meders ist dabei, und hier folgte er der Rembrandt-Forschung, dass das Kopieren zur alltäglichen Werkstattpraxis gehörte. Diese Annahme gilt bis heute: So stellte Sumowski zum Kopien­wesen in Rembrandts Werkstatt generell fest: „Die Lehre begann mit dem Kopieren von Zeichnungen”9. Und in seinem Online-Katalog der Rembrandt-Zeichnungen im British Museum zitiert Royalton Kisch den Kollegen Mark Jones mit der Feststellung, dass “a large number of such copies of subject drawings by Rembrandt survive, suggesting that he [Rembrandt] asked his

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Werner Sumowski, Drawings of the Rembrandt School, 10 Bde., New York 1979-92, Bd. 10, S. 5242– 5243, unter Nr. 2318x. 6 Online-Datenbank Département des Artes graphiques, Musée du Louvre, Paris, unter Inv. Nr. 22.988. 7 Joseph Meder, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Wien 1919 (Nachdruck 2018), S. 663. 8 Ibid. 9 Werner Sumowski, Gemälde der Rembrandt-Schüler, Bd. 1, Landau/Pfalz 1979, S. 11.

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Die Pauskopie im Corpus der R ­ embrandt-Zeichnungen

pupils to copy them”.10 Im Folgenden nun sollen die Aussagen der beiden Rembrandt-Forscher mit Blick auf den von Meder eingeführten Sachverhalt der Pauskopie auf den Prüfstand gestellt werden. Denn zum einen kann gezeigt werden, dass heute nur wenige Kopien nach originalen Rembrandt-Zeichnungen nachzuweisen sind; zum anderen aber, dass es sich bei diesen Kopien in der Hauptsache um Pauskopien handelt. Hinzu kommt, dass es sich bei diesen Pauskopien zum größten Teil um Kopien nach rembrandtesken Schülerzeichnungen und nicht nach Originalen Rembrandts selbst handelt. Die Zusammenschau dieser drei gewonnen Einsichten in das Kopienwesen lässt weitergehende Rückschlüsse auf das Kopienwesen in der Werkstatt Rembrandts zu.

2. Die Unterzeichnung einer Kopie Rein stilkritisch ist es heute kein Problem, im direkten Vergleich eine Rembrandt-Kopie vom Original zu unterscheiden, auch oder gerade, wenn wie im Fall der Verkündigung an Maria in Weimar11 Rembrandts Originalzeichnung in Besancon12 strichgenau kopiert wurde (Abb. 1, 2). Zur Unterscheidung von Kopie und Original trägt zudem der Tatbestand bei, dass die meisten Kopien eine mit schwarzem Stift ausgeführte Unterzeichnung aufweisen: „Man nahm mit Recht an“, so bemerkte bereits Wilhelm R. Valentiner angesichts der zum größten Teil mit dem bloßen Auge zu sehenden Unterzeichnungen, „dass es sich dabei schwerlich um Originale handeln könne, da Rembrandt einer solchen Vorarbeit im Allgemeinen nicht zu bedürfen scheint.“13 Das Vorhandensein einer Unterzeichnung dient bis heute dazu, bislang irrtümlicherweise als Originale angesehene Zeichnungen dem Künstler abzuschreiben und als Kopie eines Schülers nach einem unbekannten Original Rembrandts zu bestimmen.14 So liegt auch der mit der Feder in Eisengallustinte ausgeführten Verkündigung an Maria in Weimar im Gegensatz zum Original in Besançon eine zum Teil mit dem bloßen Auge zu erkennende Unterzeichnung zugrunde (Abb. 3). Trotz dieser Unterzeichnung hatte Valentiner die Federzeichnung im ersten Band seines Werkverzeichnisses noch als Original aufgenommen, konnte aber den Zuschreibungsirrtum bereits wenige Jahre später mit dem Verweis auf

10 Vgl. den Eintrag in der online-Datenbank des British Museum zu Inv. Nr. 1873.0510.3544, Rembrandt (anonymous), Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht an Jakob, hier das Zitat von Mark Jones, Fake? The Art of Deception, London 1990, Nr. 16a. 11 Vgl. Benesch 1973 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 30, unter Nr. 99. 12 Zur Zeichnung in Besançon siehe Benesch 1973 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 30, Nr. 99; zuletzt Peter Schatborn, Katalog der Zeichnungen, in: ders., Erik Hinterding, Sämtliche Zeichnungen und Radierungen, Köln 2019, S. 54, Z 56. 13 Wilhelm R. Valentiner, Rembrandt. Des Meisters Handzeichnungen, 2. Bde., Stuttgart/Berlin/ Leipzig o. J. (1925, 1934), Bd. 1, S. XXIV. 14 Vgl. Royalton Kisch, Online-Katalog (wie Anm. 3), Benesch Nr. 69: ehemals Rembrandt, jetzt als Kopie Govaert Flinck zugeschrieben; Benesch Nr. 98: ehemals Rembrandt, jetzt als Kopie Govaert Flincks zugeschrieben; Benesch Nr. 116: ehemals Rembrandt, jetzt als Kopie Govaert Flincks zugeschrieben; Benesch Nr. 287: ehemals Rembrandt, jetzt als Kopie nach einer unbekannten Rembrandt-Zeichnung bestimmt!

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Abb. 2  Anonym (Rembrandt-Schule?), Verkündigung an Maria, nach 1658(?), Eisengallustinte, Unterzeichnung in schwarzer Kreide, auf Vergé, 148,5 × 155 mm, Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen, Inv. Nr. GHz / Sch. I.309, Nr. 0874/5 (ID 28819)

Abb. 3  Unterzeichnung von Abb. 2 (Infrarot­reflektographie)

das zutage getretene Original korrigieren.15 Die durch die Infrarotreflektographie-Aufnahme sichtbar gemachte Unterzeichnung auf dem Weimarer Blatt hat dem Kopisten als Vorzeichnung gedient – soweit besteht in der Forschung allgemein Konsens. Kommen wir daher zum Procedere des Kopierens selbst. 15 Valentiner 1925/1934 (wie Anm. 13), Bd., 1, S. 481, Nr. 285, Bd. 2, S. 432, unter Nr. 814.

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Abb. 4  Überblendung von Abb. 1 auf Abb. 2

Schon der einfache Abgleich der Größenverhältnisse von Original und Kopie zeigt, dass es sich bei letzterer nicht um eine aus der Hand gezeichnete freie Wiederholung handelt, die deutlich sichtbare Unterschiede und Abänderungen aufweisen würde, sondern um eine passgenaue Kopie. Im Fall des Weimarer Blattes wurde die mit Graphit ausgeführte Unterzeichnung mit dem Lineament des Originals in Besançon abgeglichen (Abb. 4). Die Überblendung zeigt eine vollständige und maßstabsgetreue Überlagerung von Original und Weimarer Unterzeichnung, die das Lineament des Originals minutiös, d. h. „Strich für Strich“, wiederholt. Das Weimarer Blatt zeigt dabei auf der rechten Seite einen größeren Ausschnitt als das Original, das somit zu einem späteren Zeitpunkt beschnitten worden sein muss. Auf der Basis dieser 1:1 kopierten Unterzeichnung wurde dann mit Feder in Eisengallustinte die Kopie Strich für Strich deckend auf der Vorzeichnung als Pauskopie ausgeführt.

3. Das Durchpausen Angesichts der Passgenauigkeit von Original und Unterzeichnung stellt sich bei der Weimarer Kopie von selbst die Frage, mit welchen Hilfsmitteln eine solche Unterzeichnung zum Zwecke der Herstellung einer Kopie hervorgebracht werden konnte. Jedenfalls nicht mit der freien Hand! Meder hatte zwar den Ausdruck Pauskopie eingeführt, es aber bei dem Hinweis auf die „auffallende Deckung aller Formen“ zwischen Original und Kopie belassen, ohne den Vorgang des Kopierens selbst genauer zu beschreiben. Das relativ feine Papier der Weimarer

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Kopie lässt nun die Vermutung zu, dass der Kopist seinen Pausbogen zusammen mit dem Original gegen das Licht gehalten hat, um mit dem Graphitstift von vorne das darunterliegende Lineament auf den leeren Bogen durchzuzeichnen. Die so entstandene Pause hätte zur Herstellung der Kopie in einem zweiten Schritt nur mit der Feder übergangen werden müssen. Das danebenliegende Original böte zudem die Möglichkeit, beim reinen Nachzeichnen einzelne Ergänzungen anzubringen.16 Mit Blick auf dieses Procedere des Kopierens entfällt somit ein besonderes Charakteristikum der freien Kopie, wie es Sumowski für die Rembrandt-Werkstatt beschrieben hat: Das Original ist jeweils in dynamischem Vorgang entstanden, dessen Energien sich in Lebendigkeit und Graduierung des Striches äussern. Der Kopist muß, von einem vollendeten Werk ausgehend, schematisch arbeiten, die Vorlage Zug um Zug wiederholen; er sieht stückweise und reproduziert stückweise. Sein Zögern wirkt sich im Linienbild aus; er vergröbert die Andeutung und addiert die Einzelheit.17 Auf der Grundlage der durchgepausten Unterzeichnung zieht der Kopist – gleichsam blind – seine Linien mit der Feder, jedoch ohne jede weitere anschauliche Vergewisserung des Originals. Er sieht eben nicht „stückweise“ seine Vorlage, die er kopieren will, d. h. die originale Zeichnung, sondern er wiederholt mechanisch beim Vorgang des Kopierens die ihm bereits im Ganzen vorliegende Pauskopie des Originals Strich für Strich.

4. Kopien nach rembrandtesken Zeichnungen der 1640er Jahre Auch bei den drei anderen Federzeichnungen in Weimar, die von der Forschung als Kopien erkannt worden sind, lassen sich auf den ersten Blick Unterzeichnungen nachweisen, wenngleich diese mitunter auch nur noch schwer zu erkennen sind. Und wie bei der Verkündigung an Maria handelt es sich in allen drei Fällen nicht um mit der Hand frei ausgeführte Nachzeichnungen der jeweiligen Zeichnungsvorlage, etwa zu zeichnerischen Übungszwecken, die der Einübung in die handeling des Meisters dienen,18 sondern um maßstabsgetreue, die Strichführung der Vorlagen 1:1 nachahmende Kopien. So zeigt das Weimarer Blatt Rebekka und Elieser am Brunnen19 dieselbe Komposition, die auf einer Zeichnung in Washington zu

16 Auf dem kaschierten Blatt in Besançon konnten durch den bloßen Augenschein keine Übertragungs­ spuren wie etwa Vertiefungen oder ein Farbabtrag auf dem Lineament entdeckt werden. Auch wissen wir durch die Kaschierung des Blattes nicht, ob die Zeichnung zum Zwecke der Übertragung rückseitig geschwärzt wurde. Auf die Handhabe des Storchenschnabels zur Übertragung der Komposition ist als weitere Möglichkeit für das Duplizieren einer Zeichnung hinzuweisen. 17 Sumowski 1983 (wie Anm. 9), S. 11. 18 Zum Ausdruck der handeling siehe Yannis Hadjinicolaou, Denkende Körper – Formende Hände. Handeling in Kunst und Kunsttheorie der Rembrandtisten, Berlin/Boston 2016. 19 Vgl. Benesch 1973 (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 145, unter Nr. 503.

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sehen ist (Abb. 5, 6).20 Interessant im Zusammenhang mit der Frage nach dem Kopienwesen in der Werkstatt Rembrandts ist nun der Umstand, dass das Original, nach dem kopiert wurde, heute als anonyme rembrandteske Schülerarbeit vom Beginn der 1640er Jahre angesehen wird; die Zeichnung ist jedenfalls in dem neuen Werkverzeichnis von Peter Schatborn nicht mehr aufgeführt. Die Weimarer Kopie lässt somit den Schluss zu, dass bereits in den 1640er Jahren auch rembrandteske Schülerarbeiten kopiert wurden, und zwar mittels der Pauskopie. Denn wieder lässt der Abgleich der in Beinschwarz ausgeführten Unterzeichnung (Abb. 7) mit der originalen Zeichnung in Washington eine maßstabs- und detailgetreue Übernahme des originalen Lineaments erkennen. Das dünne Papier der Pause hätte wie bei der Verkündigung an Maria ein direktes Durchpausen von vorne erlaubt. Da das durchgepauste Lineament jedoch keine eigene Strichführung erkennen lässt und die Partikel lose zwischen den Fasern des Papiers liegen, ist zu vermuten, dass es sich bei der Pauskopie um eine durchgedrückte Zeichnung handelt. Entweder war das Original rückseitig mit Beinschwarz eingefärbt oder es wurde eine ebenfalls eingeschwärzte Zwischenkopie verwendet. Entsprechende Zwischenpausen (oder so genannte Patronen) haben sich jedoch nicht erhalten. Durch das bloße Durchgriffeln der Hauptkonturen jedenfalls, so unser Vorschlag, wurde dann die Komposition auf dem darunterliegenden Bogen unmittelbar übertragen.

5. Die Kopie nach einer Kopie nach einer Kopie Die Zeichnung in Washington gehört zu einer großen Anzahl von abgeschriebenen, seit den 1640er Jahren entstandenen Rembrandt-Zeichnungen, wodurch das zeichnerische Werk des Künstlers radikal reduziert wurde, auf gerade einmal knapp über 700 eigenhändige Zeichnungen, die Schatborn in seinem neuen Werkverzeichnis erfasst hat. Durch diese rein quantitative Reduzierung ist aber nicht nur die Zahl der zumeist anonym bleibenden Schülerzeichnungen immens angestiegen, sondern damit einhergehend auch, wie die Zeichnung Rebekka und Elieser in Weimar (Abb. 6) zeigt, die Zahl der nach diesen Schülerzeichnungen angefertigten Kopien. Zu den Kopien nach rembrandtesken Schülerzeichnungen gehört nun auch die dritte Kopie im Weimarer Bestand mit der Darstellung der Standhaftigkeit des Mucius Scaevola vor Porsenna.21 Die Kopie geht zurück auf eine Zeichnung in Paris, die seit Frits Lugt Katalog von 1933 unter der Zuschreibung „Manier Rembrandts“ geführt wird (Abb. 8, 9).22 Die digitale Überlagerung der freigestellten Unterzeichnung (Abb. 10) mit der Zeichnung in Paris legt wiederum den Schluss nahe, dass es sich bei der Unterzeichnung um eine Pauskopie handelt, die aufgrund der Passgenauigkeit nur vom Original abgenommen worden sein kann. Das für die Kopie verwendete Papier ist wiederum sehr fein, so dass es sich durchaus zum direkten Durchpausen geeignet hätte. Und wie bei der zuvor besprochenen Kopie Re-

20 Benesch 1973 (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 139, Nr. 503. 21 Vgl. Frits Lugt, Musée du Louvre, Inventaire général des Dessins des École du Nord. École hollandaise, Tome III: Rembrandt, ses élèves, ses imitateurs, ses copistes, Paris 1933, S. 55 f., unter Nr. 1291. 22 vgl. Lugt 1933 (wie Anm. 21), S. 55–56, Nr. 1291.

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Abb. 5  Rembrandt-Schule, Rebekka und Elieser am Brunnen, um 1640, Feder in Braun, Weiß­höhungen, auf Vergé, 210 × 332 mm, Washington, National Gallery of Art, Inv. Nr. 1942.9.665

becca und Elieser am Brunnen zeigt der Strich der Pause keine Richtung, das Kohlepigment ist aufgedrückt und hat sich in den Zwischenräumen der Papierfasern abgesetzt. Die Pauskopie ist somit vermutlich wieder eine durchgedrückte Zeichnung, entweder vom Original selbst, dessen Rückseite dann schwarz eingefärbt gewesen sein muss, oder von einer eigens angefertigten Zwischenpause mit eingeschwärzter Rückpause. Zwei weitere Detailzeichnungen des Mucius Sacaevola in Paris23 und München24 weisen auf das besondere Interesse an der Vervielfältigung gerade dieses Motivs hin. Zu fragen ist also, wie diese Wiederholungen selbst entstanden sind: Handelt es sich um den zweifachen, ja dreifachen Einsatz ein- und derselben Pause, oder um die Pause nach einer Pause usw.? Diese Frage stellt sich auch bei der heute ebenfalls nicht mehr Rembrandt selbst zugeschriebenen Zeichnung David trennt sich von Jonathan in Paris25, von der wenigstens zwei Paus-

23 Musée du Louvre, Département des artes de graphiques, Inv. Nr. 22920 A; vgl. Lugt 1933 (wie Anm. 22), S. 56, Nr. 1292. 24 Staatliche Graphische Sammlung, München, Inv. Nr. 5060; vgl. Wolfgang Wegner, Die niederländischen Zeichnungen des 15.–18. Jahrhunderts, 2 Bde., Berlin 1973, Bd. 1, S. 169, Nr. 1159, Bd. 2, Tf. 324. 25 Musée du Louvre, Département des artes de graphiques, Inv. Nr. RF 4666; vgl. Lugt 1933 (wie Anm. 22), S. 4, Nr. 1115, sowie Benesch 1973 (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 151, Nr. 552, Abb. 682, um 1643/44 datiert.

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Abb. 6  Anonym (Rembrandt-Schule?), Rebekka und Elieser am Brunnen, nach 1658, Feder in Braun, laviert, Unterzeichnung in schwarzer Kreide, auf Vergé, 199 × 319 mm, Klassik Stiftung Weimar, ­Graphische Sammlungen, Inv. Nr. KK 5511 (ID 447184)

Abb. 7  Unterzeichnung von Abb. 6 (Infrarotrefklektographie)

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Abb. 8  Rembrandt-Schule, Die Standhaftigkeit des Mucius Scaevola, um 1655, Feder in Braun, laviert, Weißhöhungen, auf Vergé, 200 × 312 mm, Paris, Musée du Louvre, Département des Artes graphiques, Inv.  Nr. 22988

kopien bekannt sind. Auf beiden Kopien in Paris26 und Dresden27 ist die Komposition wieder mit schwarzem Stift im Maßstab 1:1 zum Original vorgezeichnet worden. Da beide Kopien im Detail dieselben Abweichungen zum Original aufweisen, könnte man annehmen, das Dresdner Blatt sei eine Wiederholung der Pariser Kopie – oder vice versa. Interessanterweise trägt die Kopie in Dresden nun die alte Namensaufschrift „Gerbrand van den Eeckhout“. Erstmals überhaupt wurde eine Pause durch die Künstleraufschrift somit einem Rembrandt-Schüler zugeschrieben. Eeckhout war in der zweiten Hälfte der 1630er Jahre in der Werkstatt Rembrandts tätig, seine ersten signierten und datierten Zeichnungen zu Beginn der 1640er Jahre weisen ihn als selbstständigen Zeichner mit eigener handeling aus. Sollte Rembrandts David trennt sich von Jonathan jedoch erst gegen Mitte der 1640er Jahre entstanden sein, was Benesch für die noch als Original angesehene Zeichnung annahm, kommt Eeckhout als Zeichner der Dresdner Kopie nicht infrage. Die beiden Pausen in Paris und

26 Musée du Louvre, Département des artes de graphiques, Inv. Nr. 22952, recto; vgl. Lugt 1933 (wie Anm. 22), S. 43, Nr. 1235. 27 Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1473; vgl. Christian Dietrich, Thomas Ketelsen, Rembrandt. Die Dresdner Zeichnungen 2004 (Ausst. Kat. Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett), Dresden 2004, S. 123–124, Nr. 53.

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Abb. 9  Anonym (Rembrandt-Schule?), Die Standhaftigkeit des Mucius Scaevola, nach 1658(?), Feder in Braun, Unterzeichnung in schwarzer Kreide, laviert, Weißhöhungen, auf Vergé, 200 × 310 mm, Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen, Inv. Nr. GHz / Sch. I.309, Nr. 874 (ID 28821)

Abb. 10  Unterzeichnung von Abb. 9 (Infrarotreflektographie)

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Abb. 11  Karel van Savoy, zugeschrieben, Die Anbetung der Könige, um 1660, Feder in Braun, laviert, Weißkorrekturen, auf Vergé, 161 × 235 mm, Schweiz, Privatsammlung

Dresden zeigen jedenfalls, dass mittels Pauskopien nicht nur eine, sondern gleich mehrere Kopien angefertigt werden konnten; ob es sich bei diesen allerdings um Pausen von Pausen handelt, werden erst weitere Untersuchungen der entsprechenden Zeichnungen ergeben.

6. Von der Pauskopie zum Fake? Aufgrund der bislang zusammengetragenen Beobachtungen zur Pauskopie, vor allem ihre Passgenauigkeit und die Mehrfachwiederholungen von Zeichnungen betreffend, drängt sich die Vermutung auf, dass es sich bei den Pauskopien, die unisono nach Originalen von Rembrandt wie nach rembrandtesken Schülerzeichnungen ab den 1640er Jahren entstanden sind, nicht nur um Kopien der „jungen Gehilfen“28 sondern „ebenso von Fälschern“29 handeln könnte. Die vierte Pauskopie im Weimarer Bestand legt jedenfalls diesen Schluss nahe: Die Anbetung der Könige war von Valentiner bereits als Kopie erkannt worden, aber dennoch als Beleg für das vermisste Original Rembrandts aus der Zeit von um 1657 mit in das

28 Meder 1919 (wie Anm. 7), S. 663. 29 Ibid.; vgl. auch Valentiner 1925/1934 (wie Anm. 13), Bd. 1, S. XXIV.

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Abb. 12  Anonym (Rembrandt-Schule?), Die Anbetung der Könige, nach 1668(?), Feder in Braun, Unterzeichnung in Graphit, laviert, auf Vergé, 153 × 233 mm, Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen, Inv. Nr. GHz/Sch. I, 309, Nr. 474 (ID 28820)

Abb. 13  Unterzeichnung von Abb. 12 (Infrarotrefklektographie)

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Werkverzeichnis aufgenommen worden.30 Im zweiten Band seines Werkverzeichnisses konnte Valentiner dann auf das aufgefundene Original verweisen (Abb. 11, 12).31 Aber bereits 1957 ging Benesch angesichts der von Valentiner noch als eigenhändig angesehenen Zeichnung von einer Schülerarbeit aus, ein Urteil, das von Werner Sumowski aufgegriffen und spezifiziert wurde. Zusammen mit der Zeichnung Versöhnung Jakobs mit Esau in Berlin, die Valentiner ebenfalls noch als eigenhändige Rembrandt-Zeichnung bestimmt hatte32, schrieb er die Anbetung der Könige Karel von Savoy zu, einem Künstler, dessen Schülerschaft bei Rembrandt in den 1640er Jahren nur vermutet werden kann.33 Das Blatt in Weimar ist somit wiederum nur die Kopie nach einer heute als Schülerzeichnung erachteten rembrandtesken Zeichnung. Und wieder handelt es sich um eine Pauskopie auf der Grundlage einer Unterzeichnung in Graphit, die 1:1 nach der originalen Zeichnung abgenommen wurde (Abb. 13). Die Pauszeichnung diente dem Kopisten somit wiederum als Vorzeichnung für die mit der Feder und Pinsel in braunem Ocker schematisch ausgeführte Kopie. In der rechten unteren Ecke ist das ungewöhnliche Zeichenmittel durch einen Wasserschaden flächig verteilt, sodass die Unterzeichnung heute freiliegt. Das Besondere bei dieser Kopie ist, dass auch die Weiß-Korrekturen auf dem Original mitkopiert wurden. Der Kopist verwendete hierfür nicht, wie beim Original, Kreide oder Bleiweiß zum flächigen Abdecken der zu korrigierenden Stellen, sondern Feldspat, ein bislang in der Werkstatt Rembrandts nicht nachgewiesenes Zeichenmaterial, was zudem keine besonderen Deckeigenschaften besitzt.34 Anzunehmen ist, dass der Kopist den Eindruck der Überarbeitung der von ihm kopierten Zeichnung in seiner Kopie vermitteln wollte. Und auch die Verwendung eines braunen Ockers lässt möglicherweise darauf schließen, dass die damals bereits ansatzweise verbräunte Eisengallustinte des Originals nachgeahmt wurde. Durch die Pauskopie wurde somit das Erscheinungsbild der Zeichnung wiederholt, einschließlich der vorgenommenen Korrekturen auf dem Original. Auch auf anderen Kopien nach Rembrandt-Zeichnungen wurden die Veränderungen mitkopiert.35 Bei der Anbetung der Könige in Weimar entsteht somit der Eindruck, dass es sich um eine bewusst hergestellte Kopie handelt, die außerhalb der Werkstatt zum alleinigen Zweck des Verkaufs angefertigt wurde. Denn welche Funktion hätte eine solche Pauskopie im Werkstattbetrieb für die Ausbildung der Schüler oder Mitarbeiter ansonsten

30 Feder in Braun, Unterzeichnung in Graphit, laviert, 153 × 233 mm, Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen, Inv. GHz/Sch. I, 309, Nr. 474; vgl. Valentiner 1925/1934 (wie Anm. 13), Bd. 1, Nr. 304. 31 Valentiner 1925/1933 (wie Anm. 13), Bd. 2, Nr. 816. 32 Vgl. Holm Bevers, Zeichnungen der Rembrandtschule im Berliner Kupferstichkabinett. Kritischer Katalog, Dresden 2018, S. 190–192, Nr. 99. 33 Schweizer Privatbesitz; vgl. Sumowski 1979–1992 (wie Anm. 5), Bd. 10, S. 5242–5243, Nr. 2318*. 34 Sichtbar in der UVFC-Aufnahme. 35 So auf einer weiteren Pauskopie nach Rembrandts Berliner Kreuzaufrichtung, die sich in Turin, Biblioteca Reale, befindet; vgl. Holm Bevers, Rembrandt. Die Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett. Kritischer Katalog, Ostfildern 2006, S. 168–170, Nr. 49, mit Abb. der Kopie, S. 168. Freundlicher Hinweis von Ryszard J. P. Miskiewicz, Basel.

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haben können? Die Kopie wurde jedoch nicht durch die falsche Signatur unten links besiegelt, da diese erst zu einem späteren Zeitpunkt mit einer Eisengallustinte aufs Blatt gekommen ist.

7. Die Frage nach der Rolle der Pauskopie im Werkstattbetrieb Auffallend ist, dass es sich bei den vier Kopien im Weimarer Bestand der Rembrandt-Zeichnungen ausschließlich um Pauskopien und nicht um freie, eigenhändige Kopie handelt. Dieser Sachverhalt mag zum einen dem Zufall geschuldet sein. Zum anderen aber lassen sich eine Vielzahl von weiteren, bislang nur als Kopien angesehene Zeichnungen nachweisen, bei denen es sich ebenfalls um Pauskopien handelt. Auffallend ist ebenfalls, dass wenigstens drei der Weimarer Pauskopien nicht nach originalen Zeichnungen Rembrandts (jedenfalls nach heutiger Erkenntnis) entstanden sind. Vielmehr handelt es sich um Kopien nach rembrandtesken Schülerzeichnungen der 1640er und 1650er Jahre.36 Mit Blick nun auf den Umstand der Pauskopien und das Kopieren von rembrandtesken Schülerzeichnungen lassen sich erste Vermutungen für das Kopienwesen in der Werkstatt Rembrandts anstellen: Einerseits lässt sich feststellen, dass das freie Kopieren nach Rembrandt-Zeichnungen in den 1630er Jahren, aber dann vor allem ab den 1640er Jahren in der Werkstatt eine untergeordnete Rolle gespielt haben muss, da sich nur wenige Kopien nach eigenhändigen Zeichnungen Rembrandts erhalten haben. Zu dieser Gruppe von Kopien nach Originalen gehört die Verkündigung an Maria.37 Neben diesen wenigen heute vorhandenen Kopie nach originalen Rembrandt-Zeichnungen muss andererseits die hohe Anzahl von Kopien nach Schülerzeichnungen von der Mitte der 1640er Jahren an überraschen. Zu diesen Kopien nach rembrandtesken Schülerzeichnungen gehören die anderen drei Pauskopien in Weimar. Wieso aber wurde in Rembrandts Werkstatt auch nach Schülerzeichnungen kopiert und nicht, wie zu vermuten wäre, ausschließlich nach Zeichnungen des Meisters? Sollte man also weiter davon ausgehen, dass die Pauskopien in der Werkstatt Rembrandts entstanden sind, wäre genauer als bisher nach der Funktion der Pauskopie für den Werkstattbetrieb zu fragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die betreffenden Mitarbeiter Rembrandts ab den 1640er Jahren andere Möglichkeiten hatten, sich der handeling des Meisters anzupassen als mittels der Paus­ kopie.

36 Zu weiteren rembrandtesken Pauskopien siehe Thomas Ketelsen, Ryszard J. P. Miskiewicz, Die „Pause = Kopie“ – Einblicke in Rembrandts Zeichenwerkstatt, in: Dresdner Kunstblätter 50:6 (2006), S. 335–342. Zu einem großen Konvolut an Kopien des 18. Jahrhunderts nach Zeichnungen von Rembrandt und seinen Schülern in Braunschweig siehe Thomas Döring, Aus Rembrandts Kreis. Die Zeichnungen des Braunschweiger Kupferstichkabinetts (Ausst. Kat. Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum), Braunschweig 2006, S. 136–168. 37 Zweifel an der Eigenhändigkeit äußert Royalton Kisch, siehe Online-Katalog (wie Anm. 3), unter Benesch 99.

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8. Eine mögliche Plausibilisierung der Pauskopie Mit dem geäußerten Zweifel an der Sinnfälligkeit des Durchpausens als Form der Ausbildung innerhalb der Werkstatt Rembrandts drängt sich verstärkt die Frage auf, wann und wo diese Pauskopien hergestellt wurden. Entstanden diese tatsächlich noch in Rembrandts Werkstatt, oder sind die Pauskopien erst außerhalb der Werkstatt angefertigt worden? Eine Plausibilisierung für die Existenz der vielen Kopien nach Schülerzeichnungen bietet sich jedoch an: So hat Peter Schatborn in seinen Studien zur Geschichte der Rembrandt-Zeichnungen immer wieder auf das Insolvenzverfahren in den Jahren 1656/58 verwiesen, das zur Veräußerung eines großen Teils von Rembrandts eigenem Besitzstand geführt hat.38 Dabei kam erstmals auch ein großes Konvolut an Zeichnungen auf den Markt, das sowohl „schetsen“ mit biblischen Historien, die in vier Alben aufbewahrt waren, umfasste, als auch Landschafts- und Tierdarstellungen sowie vor allem Genreszenen nach dem Leben, wozu eine große Gruppe an Frauen und Kinderstudien gehörte. In seinen frühen Studien vermutete Schatborn noch, dass es sich bei den veräußerten Zeichnungen, zwischen 1500 und 2000 Blättern, nur um Rembrandts eigene Zeichnungen gehandelt habe, die Zeichnungen der Schüler hingegen zu eigenen Zwecken in deren Besitz geblieben waren.39 Jüngst schloss Schatborn jedoch nicht mehr aus, dass die in der Werkstatt angefertigten rembrandtesken Schülerzeichnungen zusammen mit Rembrandts eigenen Zeichnungen in den thematisch geordneten Zeichnungskonvoluten aufbewahrt waren.40 Folgt man dieser plausibel erscheinenden Hypothese, so gelangten 1658 zusammen mit den Originalen Rembrandts auch die Schülerzeichnungen auf den Markt, die zu diesem Zeitpunkt, so ist weiter anzunehmen, unterschiedslos als Originale angesehen und verkauft wurden. Da Rembrandt seine Zeichnungen nicht signiert hatte, war es zum einen ein geradezu aussichtsloses Unterfangen, die in Konvoluten zusammengefassten Zeichnungen zu spezifizieren. Zum anderen konnte es nicht unbedingt im Interesse der Händler gewesen sein, die kennerschaftliche Unterscheidung zwischen Original und Schülerzeichnung weiter voranzutreiben, da wohl eher merkantile Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden haben werden. Sobald das große Konvolut an Rembrandt-Zeichnungen im Besitz der Händler war, wird nun die Möglichkeit bestanden haben, sowohl von den Originalen wie von den rembrandtesken Schülerzeichnungen Pauskopien anzufertigen, um letztere dann als gleichwertige Originale zu verkaufen. In einem besonderen Fall lässt sich die Entstehung einer Kopie nach einer Originalzeichnung außerhalb der Werkstatt Rembrandts sehr genau nachweisen. Zu den frühesten Sammlern von Rembrandt-Zeichnungen gehörte Jan Boursse, ein Bruder des Malers Esayas Boursse. Er besaß zwei „groote prenteboecks“ mit Radierungen und Zeichnungen von Rem-

38 Vgl. Peter Schatborn, Tekeningen van Rembrandt, zijn onbekende leerlingen en navolgers in het Rijksmuseum, Amsterdam 1985, S. X: Korte geschiedenis van de toeschrijvingen aan Rembrandt. 39 Ibid. 40 Schatborn 2014 (wie Anm. 1), S. 20.

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brandt; eines der beiden Bücher sei „nahezu voll“ von Zeichnungen gewesen.41 Unter den Zeichnungen befand sich laut eines Inventars von 1671 auch die Darstellung „Het stoute Kind“. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der genannten Zeichnung um jene Rembrandt-Zeichnung Das ungezogene Kind, die sich heute in Berlin befindet.42 Vermutlich hat Jan Boursse selbst eine Kopie nach der Zeichnung angefertigt, denn auf der 1:1‑Pauskopie in Hamburg findet sich die rückseitige (alte) Aufschrift, dass sie von Boursse selbst stammt.43 Das Blatt hat, wie alle bisher vorgestellten Kopien, eine Stiftsvorzeichnung, was bereits für eine Kopie spricht. Die digitale Überlagerung von Original und Kopie zeigt zudem, dass es sich wiederum um eine 1:1‑Pauskopie handelt, die zeichnerisch sehr uninspiriert ist, ebenso wie eine weitere Kopie in Budapest, die Hofstede de Groot allerdings noch als Original ansah.44 Die Entstehung der Pauskopie erst nach der Auflösung von Rembrandts eigener Zeichnungssammlung ist somit auch für die anderen Pauskopien zu vermuten, sowohl die nach Originalzeichnungen, wie die nach den rembrandtesken Schülerzeichnungen. Jedoch würde erst die systematische Untersuchung der für die Kopien verwendeten Papiere es erlauben, deren Entstehungszeitraum genauer einzugrenzen, wie auch die weitere Spezifizierung der verwendeten Paus- und Zeichenmaterialien (neben Kreide sind es Kohle und Beinschwarz, neben Eisengallustinte auch Ocker) eventuell verallgemeinernde Aussagen über das besondere Procedere des Kopierens erlauben würde. Der Blick auf das Kopierwesen sollte uns jedenfalls veranlassen, die Frage nach Rembrandts Werkstattbetrieb genauer als bisher zu untersuchen, um insbesondere die Funktion des Kopierens von Zeichnungen neu zu bestimmen. Vielleicht wurden in der Werkstatt Rembrandts nie in dem bislang angenommenen Ausmaß Zeichnungen kopiert.

41 Vgl. Hofstede de Groot, Die Urkunden über Rembrandt, Den Haag 1906 [Reprint Erfurt 2018], S. 404, Nr. 322 (24. Nov. 1671). 42 Vgl. Holm Bevers 2006 (wie Anm. 35), S. 64–67, Nr. 13. 43 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 22085; vgl. Annemarie Stefes, Niederländische Zeichnungen 1450–1850, 3 Bde., Köln u. a. 2011, Bd. 2, S. 465, Nr. 861, Bd. 3, S, 323, Abb. 861; s. auch Bevers 2006 (wie Anm. 35), S. 67 und Schatborn 2014 (wie Anm. 1), S. 14–15. 44 Szépmüvészeti Múzeum, Budapest, Inv. Nr. 1735; vgl. Teréz Gerszi, 17th-Century Dutch and Flemish Drawings, Budapest 2005, S. 238–239, Nr. 233.

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Brotkrumen – als Zeichenmaterial und schöpferisches Mittel? Zu Phänomenologie, Praxis und theoretischem (Nicht‑)Diskurs von Auslöschungen und Überarbeitungen in Zeichnungen des 17. Jahrhunderts Auslöschungen und subtraktive Überarbeitungen scheinen weniger eine marginale, als die vermutlich am stärksten marginalisierte Zeichentechnik innerhalb jenes Feldes künstlerischer Verfahren zu sein, die meist, beispielsweise in Joseph Meders Grundlagenwerk „Die Handzeichnung“ (1919/1923), unter dem Begriff der Behelfe zusammengefasst wurden.1 Alle nicht unmittelbar händisch Substrat auf einen Bildträger aufbringenden Arbeitsweisen gelten demnach als Behelfe, wobei auch flächige Färbungen des Bildträgers als vorbereitend vom ‚Zeichnen‘ ausgenommen sind.2 Meders prägendes Konzept der Zeichnung konzen­ triert sich auf diesen Moment des „eigentlichen“ Zeichens, bei dem ein Bildgedanke in perpe­tuierendem Zusammenspiel von Kopf und Hand mit Werkzeug auf dem Bildträger kondensiert und sichtbare Substanz wird.3 Der Versuch, ein stringentes Konzept dieser Verknüpfung von Bildgedanken und ihrer Materialisierung zu formulieren, kennzeichnet die kunsttheoretischen Überlegungen mit Konstanz, von Konrad Fiedler über Henri Focillon und

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Joseph Meder, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung., Wien 19232. (E. A. 1919), S. 190–191, 320–321, 521–558. Cf. Meder 1923 (wie Anm. 1). Meders Grundlagenwerk blieb in Detailliertheit und Umfang einzigartig. Selbst die Neuauflage durch Winslow Ames blieb weitestgehend unverändert [Joseph Meder, The Mastery of Drawing, übersetzt von Winslow Ames, 2 Bde., New York 1978]. Auch Walter Koschatzky und Daniel Marcus Mendelowitz entwickelten kein anderes Verständnis des Zeichnens [Walter Koschatzky, Die Kunst der Zeichnung, Salzburg 1977; Daniel Marcus Mendelowitz, A Guide to Drawing. New York 1976; Ders., Drawing, Stanford 1980]. Zum Model der Hand als denkendem, in Synergie zum Gehirn aktivem Organ cf. Horst Bredekamp, Denkende Hände. Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaften, in: Angela Lammert et al. (Hrsg.), Räume der Zeichnung, Berlin 2007, S. 1–24. Auch Spuren von Kopien wurden in dieses Konzept eingefügt [Piera Giovanna Tordella, Forme dell’ idea e dialettica invenzione-esecuzione nel disegno tra quattro e cinquecento. Il ruolo delle punte acrome, in: Marzia Faietti et al. (Hrsg.), La tecniche del disegno rinascimentale: dai materiali allo stile. Atti del convegno internazionale Firenze, 52:2/3 (2008), S. 109–130, S. 117–120].

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Maurice Merleau-Ponty bis Horst Bredekamp oder Gottfried Boehm.4 Fiedlers frühe Forderung eines integrativen Konzeptes der Werkgenese blieb in der sich erst ausformenden Zeichnungsforschung allerdings ohne Resonanz.5 Der Mythos vom Primärstatus der Zeichnung und von der in ihr konservierten Unmittelbarkeit des Künstlerischen sowie der psychologischen Verfasstheit der Produzentinnen und Produzenten, scheinen eine Engführung des Konzeptes „Zeichnen“ auf psycho-motorische oder dialektische Mechanismen, insbesondere der Vorstellung des perpetuierenden „Kopf-Hand-Wechselspiels“, befördert zu haben.6 Neurobiologische Studien stellten diese Dichotomie zwischen immaterieller Bildidee und ihrer materiellen Manifestierung erneut in Frage.7 So forderte Semir Zeki ein Verständnis von Wahrnehmung als einem verschränkten Vorgang.8 Allerdings verortete er nun kreatives Handeln im neuralen System, was in der Konsequenz zu einer Marginalisierung der Substantiierung des Bildes führt.9 Demgegenüber fokussieren Konzepte, die eine Zeichnung als Ergebnis einer Aktivität der gesamten Physis begreifen, meist auf den performativen Moment der Mate­rialwerdung.10 Interessanterweise führten aber auch Überlegungen, die die Werkentstehung als Ergebnis nichtlinearer Prozesse und einer immer schon unterbrochenen Abfolge von „Gesten“ beschreiben, nicht zu einer Thematisierung oder Neubewertung von Rekur­ sionen und Auslöschungen als einem intrinsischen Teil kreativen Handelns.11 Die Schwierigkeiten dieser Engführungen liegen in der folgerichtigen Hierarchisierung von „eigentlichem Zeichenakt“ und den diesen stützenden Verfahren.12 Die Dichotomie zwischen „Zeichnen“ und „Behelfen“ ist die logisch zwingende Konsequenz eines desinte­ grativen Konzeptes von Zeichnung, das sich persistent mit dem Problem konfrontiert sieht, diesen „Behelfen“ eine elementare Rolle innerhalb einer Werkgenese zugestehen zu müs-

  4 Konrad Fiedler, Über den Ursprung der künstlerischen Thätigkeit, Leipzig 1887. http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/fiedler_kuenstlerische_1887 (letzter Zugriff am 5.5.2019); Henri Focillon, Vie des formes , suivi de Éloge de la main, Paris 19706. (E. A. 1934), S. 101–128, S. 127–128; Maurice Merleau-Ponty, Le doute de Cézanne, in: Sens et non-sens (Pensées), Paris 19665. (E. A. 1948), S. 15–44, S. 32; Bredekamp 2005 (wie Anm. 3); Gottfried Boehm, Spur und Gespür. Zur Archäologie der Zeichnung, in: Friedrich Teja Bach, Wolfram Pichler (Hrsg.), Öffnungen: Zur Theorie und Geschichte der Zeichnung, München 2009, S. 43–59, S. 56–59.   5 Fiedler 1887 (wie Anm. 4), S. 7–8, 101–104, auch S. 2–3, 53, 44, 81.   6 Die sich im frühen 20. Jahrhundert ausbildende wissenschaftliche Zeichnungsforschung war zuallererst mit Fragen der Ordnung und Attribution konfrontiert. Ihre Entwicklung fußt daher stark auf kennerschaftlichen Traditionen und lief parallel mit der Entwicklung der Psychologie sowie den Bildungsreformbewegungen, in der die frühneuzeitliche Vorstellung der persönlichkeitsbildenden Potenz des Zeichnen-Lernens widerhallt. Jüngere Überlegungen zum Status von Bildern fokussieren meist auf die Wahrnehmung und ihre psychomotorische Prozessierung [cf. Gottfried Boehm (Hrsg.), Was ist ein Bild? (Bild und Text), München 19952].   7 Semir Zeki, Inner Vision, Oxford 1999, S. 3, 7.   8 Ibid., S. 13–15.   9 Zeki 1999 (wie Anm. 7), S. 13–15. 10 Cf. David Rosand, Drawing acts, Cambridge 2002, S. 13. 11 Gottfried Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: Boehm 1995 (wie Anm. 6), S. 11–38, S. 25. 12 Siehe Rosand 2002 (wie Anm. 10).

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sen – diese sich also als hermeneutisch relevant erweisen – aber im Kern als nicht unmittelbar künstlerisch gelten dürfen.13 Lange wurden in den „Behelfen“ Strategien zur Bewältigung physischer oder intellek­ tueller Unzulänglichkeiten gesehen.14 Studien, die solche Techniken thematisieren, stellen erste Schritte ihrer Sichtbarmachung dar.15 Dennoch dominiert der schöpfende, substanziierende „Akt“ als Zentrum des Zeichnens die Deutungsperspektiven.16 Die Kernproblematik der Beschreibung kreativen Handelns als ‚Akt‘ liegt in der Zuspitzung auf den Augenblick der Handlung, Materialisierung oder der Expression einer ihr vorgelagerten, primär gedanklichen Leistung. Alle dafür notwendigen externen wie internen Bedingungen oder auf diesen Kulminationspunkt hinleitenden Handlungsstränge unterliegen dadurch per se einer Vor- oder Nachordnung.17 Im Grunde beschreiben diese Konzepte eine Entwicklungsgeschichte des Objektes als Amplifikation, in der Auslöschungen oder Umarbeitungen als Dellen in einer stetigen Kurve der fortschreitenden Werkelaboration erscheinen müssen.18 Reduktionen oder Eliminationen von Werkspuren sind so vorrangig als ikonoklastische statt schöpfende Handlungen verstanden worden, weshalb sie nicht nur den Behelfen zugeordnet wurden, vielmehr stellen sie immer schon die Vorstellung einer stetigen Werkentwicklung in Frage.

13 Julius von Schlosser, Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance: Fragmente zur Geschichte der Renaissanceplastik, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, 31 (1913–1914, 1914), S. 67–135, S. 100–128, v. a. 111–118; cf. auch Kurt Badt, Die Kunst des Nicolas Poussin, Köln 1. Ed.1969, S. 134–137. 14 Siehe Schlosser 1914 (wie Anm. 13); Meder 1923 (wie Anm. 1). Als Beispiele können das sogenannte Velum oder die Camera obscura gelten, für die Unterstützung der imaginativen Leistung collagierende Verfahren oder die Nutzung von Vorlagen und Modellen. 15 Françoise Viatte und Christina Petrinos, Repentirs, Paris 1991; Lizzie Boubli, L’atelier du dessin italien à la Renaissance., CNRS (Hrsg.), Paris 2003. In jüngerer Zeit z. B. Thomas Ketelsen (Hrsg.), Schätze aus der Jesuiten-Sammlung I: Die Zeichnungen des Giulio Cesare Bedeschini, in: Der ungewisse Blick, Bd. 13, Köln 2014 oder Louise Rice, Bernini and the creative process: The presentation drawings, in: Sybille Ebert-Schifferer et al. (Hrsg.), Bernini disegnatore: Nuove prospettive, Rom 2017, S. 115–162. Auffällig ist, dass das Thema der Behelfe hauptsächlich in Ausstellungen thematisiert und erst mit Verzögerung seitens der universitären Forschung aufgegriffen wurde. Maßgeblich hierfür könnten die verfeinerten kunsttechnologischen Untersuchungsmethoden sein, deren Befunde die bisherigen Annahmen zu Werkprozessen in Frage stellen [cf. Peter M. Lukehard, Evidence of Drawing: Giovanni Battista Paggi and the Practice of Draftsmanship in Late Sixteenth-Century Italy, in: Nino Nanobashvili, Tobias Teutenberg (Hrsg.), Drawing education. Worldwide! Continuities – Transfers – Mixtures, Heidelberg 2019, S. 53–78, 61, 72–74, https://heiup.uni-heidelberg.de/catalog/book/457 (letzter Zugriff am 7.6.2019)]. 16 Auch in Ausstellungen, die die Werkgenese thematisieren, bleibt dies spürbar [Chris Fischer und Jesper Svenningsen, Art in the making, Copenhagen 2018, S. 15, 23–37]. Das Konzept von Zeichnen als ‚Akt‘ wurde zuletzt von David Rosand stark gemacht. Demnach wird Bedeutung generiert, indem Rezipienten den Zeichenakt (als Geste) der Produktion in der Betrachtung nachvollziehen [Rosand 2002 (wie Anm. 10), S. 23.]. 17 Cf. Das gestufte Modell vom kreativen Akt in: Mendelowitz 1980 (wie Anm. 3), S. 447; Fiedler 1887 (wie Anm. 4), S 9. 18 Cf. Tordella 2008 (wie Anm. 3), S. 109.

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Ausradierungen erwiesen sich in der Konsequenz als ein besonders sperriges künstlerisches Verfahren, das einem positiven, bildenden „Akt des Zeichnens“ diametral entgegensteht.

1. „Schöpferische“ versus „zerstörende“ Zeichentechniken? Eine Dichotomie als künstlerische und wissenschaftliche ­Herausforderung 1.1 Auslöschung als künstlerische Leistung – ein Exkurs Die Frage, inwieweit auch Ausradierungen eine produktive Kraft innewohne, wurde zum allerersten Mal von Robert Rauschenberg aufgeworfen. Mit “Erased de Kooning Drawing“ (1953) (Abb. 1) testete er aus, inwieweit ein Kunstwerk vollständig ikonoklastisch konstituiert werden könne, ein Handlungsstrang, der die Aufmerksamkeit von der Akkumulation von Substraten und Spuren als zentralem künstlerischem Produktionsmerkmal auf deren Auslöschung und Unsichtbarmachung hin verschiebt.19 Willem De Kooning hatte Rauschenberg dafür eine seiner Zeichnungen überlassen. Nach der Ausradierung der vorhandenen Darstellung, entwickelte Rauschenberg mit Jasper Johns die aktuelle Präsentationsform.20 Die Arbeit führte zu einer langanhaltenden und moralisch aufgeladenen Diskussion um den Werkstatus als auch seine Autorschaft, die bis heute nachwirkt. Das San Francisco Museum of Modern Art, in dem sich das Werk heute befindet, unterzog das Blatt 2010 verschiedenen Analysen, um die verbliebenen Reste der ursprünglichen De Kooning-Zeichnung wieder sichtbar zu machen.21 Die Bildgebung hat die Hoffnung auf eine klare Sicht dessen, was Rauschenberg tilgte, nicht erfüllt, denn schon für De Kooning waren Ausradierungen und Überarbeitungen integraler Bestandteil seiner Arbeitsweise, was bis zur vollständigen Entfernung und Neuanlage einer Zeichnung führen konnte (Abb. 2).22 Daher stellt die Infrarotaufnahme auch alle bereits durch De Kooning selbst vorgenommenen Auslöschungen wieder her, ohne dass diese von denen Rauschenbergs unterschieden werden könnten.23 Rauschenbergs Werk setzt frühere ‚Entmystifizierungen‘ der künstlerischen Schöpfung, beispielsweise die Aktionen Marcel Duchamps zwingend voraus.24

19 Sarah Roberts, Erased de Kooning Drawing (Part of Rauschenberg Research Project), 2013, https:// www.sfmoma.org/essay/erased‑de-kooning-drawing/ (letzter Zugriff am 20.6.2018). 20 Roberts 2013 (wie Anm. 19), Nr. 1–9. 21 Robin D. Myers, Notes on the infrared imaging of Robert Rauschenberg’s Erased de Kooning Drawing (Part of the Rauschenberg Research Project), 2013, https://www.sfmoma.org/artwork/98.298/research-materials/document/EDeK_98.298_040/ (letzter Zugriff am 20.06.2018). 22 Roberts 2013 (wie Anm. 19), Nr. 14. 23 Ibid., Nr. 14–15; Myers 2013 (wie Anm. 17). 24 Ibid.

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Abb. 1  Robert Rauschenberg, Erased de Kooning Drawing, 1953, Spuren von Zeichenmitteln auf Papier mit Label und vergoldetem Rahmen, 64,14 × 55,25 × 1,27 cm, San Francisco Museum of Modern Art, Purchase through a gift of Phyllis C. Wattis © CourtesyRobert Rauschenberg Foundation. Photo: Ben Blackwell

Abb. 2  Der digital verstärkte Infrarot-Scan von Robert Rauschenbergs Erased de Kooning Drawing, 1953 zeigt Spuren der ursprünglichen Zeichnung von Willem de Kooning. ­VIS-Scan: Ben Blackwell, 2010; Infrarot-Scan und Processing: Robin D. Myers, 2010 © Courtesy Robert Rauschenberg Foundation und SFMoMA

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1.2 Radiermittel und Verfahrensanweisungen in historischen Quellen und Zeichenbüchern25 Kautschuk-Radiergummis wurden erst im späten 18. Jahrhunderts erfunden, die gegenwärtigen polyvinylbasierten Radiermittel kamen erstmals 1965 auf den Markt. 26 Da sich die vorliegende Studie auf die Zeit davor konzentriert, werden diese Radiermittel und ihre Spuren nicht thematisiert.27 Gleiches gilt für le dolage, aus der Lederproduktion stammende Hautabfälle, deren Anwendung um 1800 in Frankreich erwähnt wird, als auch für die experimentelle Verwendung von Baumpilzen (u. a. Birkenporling, Zunderschwamm).28 Doch selbst das morphologische Erscheinungsbild oder die Prävalenz bis in die Gegenwart reichender Techniken sind wissenschaftlich bislang kaum erfasst worden.29 Verstetigtes Training und die Übung des wahrnehmenden Sensoriums bilden bereits um 1400 für Cennino Cennini die grundlegenden Strategien, den Schwierigkeiten, ein auf Anhieb ästhetisch zufriedenstellendes Kunstwerk zu schaffen, zu begegnen.30 Ephemere Zeichnungen auf grundierten, wiederverwendbaren Holztafeln im Rahmen der künstlerischen Ausbildung und der Entwurfspraxis stellen eine Variante dieser Strategie dar.31 Cenninis Äußerung ist ein früher Hinweis auf die kaum zu überschätzende, weil grundständige Bedeu25 Der Begriff Zeichenbücher bezieht sich auf didaktische Schriften. Cf. Ulrich Pfisterer, Was ist ein Zeichenbuch? in: Maria Heilmann et al. (Hrsg.), Punkt, Punkt, Komma, Strich. Zeichenbücher in Europa ca. 1525– 1925, Passau 2014, S. 1–10, Kat. S. 11–30 (Autorenkollektiv). 26 Joseph Priestley erwähnt 1770 erstmals die Erfindung des ‘Radiergummis’: “Since this Work was printed off, I have seen a substance excellently adapted to the purpose of wiping from paper the marks of a black-lead-pencil. It must, therefore, be of singular use to those who practise drawing. It is sold by Mr. NAIRNE, Mathematical Instrument-Maker, opposite the Royal Exchange. He sells a cubical piece, of about half an inch, for three shillings; and he says it will last several years.” [Joseph Priestley, A Familiar Introduction to the Theory and Practice of Perspective. 2, London 1770, xvi (Preface) note]. Das von ihm empfohlene Radiermittel zur Entfernung von Vorzeichnungen ist die Brotkrume [Ibid. S. 6]. Kurt Wehlte, Germar Wehlte (Hrsg.), Werkstoffe und Techniken der Malerei, Ravensburg 1998, [9.,] überarb. Aufl., (aktualisierte Ausg.), S. 292. 27 Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 191. 28 Ibid., S. 191; Nérée Boubée, Nouvelles scientifiques, M. de Brébisson […], in: Nérée Boubée et al. (Hrsg.), L’Écho du monde savant: journal analytique des nouvelles et des cours scientifiques 1e année/Nr. 25, 19.09.1834, S. 97–100, S. 99. 29 Eine der raren Studien ist: E. J. Pearlstein et al., Effects of eraser treatment on paper, in: Journal of the American Institute for Conservation 22 (1982), Nr. 1, S. 1–12. Die Studie beschäftigt sich ausschließlich mit der Wirkung von in der Restaurierung verwendeten Reinigungsmitteln. Der künstlerische Gebrauch von Radiermitteln wird nicht thematisiert. 30 Bianca Silvia Tosatti, Cennini, Cennino di Drea, in: Enciclopedia dell’ Arte Medievale, 1993, http://www. treccani.it/enciclopedia/cennino‑di-drea-cennini_%28Enciclopedia-dell%27-Arte-Medievale%29/ (letzter Zugriff am 11.3.2014); Cennino Cennini, Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei des Cennino Cennini da Colle di Valdelsa, Albert Ilg (Hrsg., Übers., in: Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Neuzeit., N. F.), Wien 1871, S. 4 (Cap. 1); URL: https://play. google.com/books/reader?id=cDFSAAAAcAAJ&printsec=frontcover&output=reader&hl=de (letzter Zugriff am 01.08.2019). 31 Cennini 1871 (wie Anm. 30), S. 6–8 (Cap. 5–6, 8).

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tung vergänglicher und in den Blättern häufig spurenlos bleibender Arbeitsschritte, nicht nur im Rahmen der künstlerischen Ausbildung, sondern für die gesamte Werkelaboration im Allgemeinen.32 Schon er nannte Brotkrume als Mittel zur Entfernung von Bleizinngriffelspuren von Papier:33 Das Innere des Brotes, zu einem Ballen geknetet oder als Brösel, wurde genutzt, um reibend Zeichenmittel von Papier oder Pergament abzunehmen.34 Gebräuchlich waren daneben nach Giovanni Battista Armenini, der den Eliminationstechniken 1587 eine Seite widmete, auch abrasive Materialien wie Bimsstein oder Schulp*.35 Besonders letzterer scheint sich bei Rötel und anderen Kreiden als vorteilhaft erwiesen zu haben.36 Armeninis Hinweis, dass diese Materialien optimale Arbeitsmittel beim Aktzeichnen („per gl’ignudi“) und zur Perfektionierung jedmöglicher Werkelaboration seien, verdient Beachtung.37 Brotkrume als auch Schulp erwiesen sich im Experiment als effektive Korrekturmittel (Abb. 3). Daneben dienen scharfe Klingen bis heute der Substratentfernung.38 Bereits 1431 tradierte Jehan de Begue die Herstellung eines Tintenlöschers auf Alaun-­ Basis.39 Experimente bestätigen, dass Eisengallustinte innerhalb von etwa 10 Minuten nach ihrem Auftrag damit effektiv von Papier getilgt werden kann (Abb. 4).40 Begue empfahl fer32 Zu den ephemeren Prozessen zählen alle Formen des Modellbaus, der Arbeit mit Figurinen und Draperien. Hilfszeichnungen, die als nicht-korrelierende Darstellungen und „Kontaminationen“ auf Blättern erscheinen, stellen gewissermaßen ein intermediäres Produkt zwischen spurlos bleibenden archivierten Zeichnungen dar: cf. Poussins Skizze zweier Figuren, die von zwei weiteren Zeichnungen, einem Bacchanal und Zwei Kentauren, überlagert wird [Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv. Nr. 905 E verso]. 33 Cennini 1871 (wie Anm. 30), S. 10 (Cap. 12). 34 Ibid.; Wehlte/Wehlte 1998 (wie Anm. 26), S. 291–292. 35 Giovanni Battista Armenini, De veri precetti della pittura (Libri Tre), Ravenna 15871, S. 56 https://archive. org/details/deveriprecettide00arme (letzter Zugriff am 17.2.2016). *Schulpe sind die aus Calciumkarbonat bestehenden Auftriebskörper von Sepien [KM Sherrard, Cuttlebone morphology limits habitat depth in eleven species of Sepia (Cephalopoda: Sepiidae), in: The University of Chicago Press (Hrsg.), The Biological Bulletin 198 (June 2000), Nr. 3, S. 404–414]. 36 Armenini 1587 (wie Anm. 35), S. 56. Experimente des Autors stützen dies. 37 Ibid. Interessanterweise ging es Armini dabei nicht um die Farbigkeit des Rötels, die ja schon eine gewisse Verlebendigung hervorruft, s. etwa Iris Brahms, Einleitung: Warum Farbe notwendig ist für die Geschichte der Zeichnung, in: Farbe aufs Papier! Synergie und Divergenz in Zeichnungen der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Iris Brahms, Petersberg 2020, S. 12–27, 16. 38 Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 89, 190–191; Lovis Corinth, Das Erlernen der Malerei: ein Handbuch, Yvonne Schwarzer (Hrsg.), Witten 2008, (E. A. 1908), S. 10. 39 Manuscript of Jehan Le Begue, in: Mary Philadelphia Merrifield, Original Treatises, Dating from the XIIth to the XVIIIth Centuries, [o]n the Arts of Painting […], 1./2 vols., London, 1849, S. 1; 62 Nr. 34 / 63, Nr. 34: „’Se vis elevare litteras de carta’ – Accipe alumnis roche, et tere et impasta cum succo pomi aranzii, et pone ad auram, et dimitte siccari; postea frica super litteras, et levabit eas a carta.” Die Paste wurde bis zu einem unbekannten Restfeuchtigkeitsgrad luftgetrocknet. Über ihre Verbreitung ist nichts bekannt. 40 Experimentreihe des Autors, 5.–6.8.2019: Restfeuchte Tintenlöschpaste aus Kaliumalaun (Trocknung 24 h); handgeschöpftes Baumwollhadernpapier (Silberburg); Eisengallustinte nach John de Beauchesne und John Baildon, A booke containing divers sortes of hands, as well the English as French secretarie […], London 1571; übertragen von Cynthia Karnes in: The Iron Gall Ink Website, 1998, https://irongal-

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Abb. 3  Radierproben mit Krume von Hefeweißbrot [Typ Manchet], Doppel­ striche: obere unbearbeitet, untere jeweils radiert: Bleistift (Grafit, 2B, oben re.) zeigte das beste, Pflanzenkohle (unten li.) das schlechteste Resultat. Die härtere piemontesische schwarz-graue Kreide (Zecchi, Florenz, ohne Abb.) ließ sich wie Grafit gut abtragen. Französischer Pierre noire (Kremer Pigmente, Aichstetten, oben li.) und Rötel (Kremer Pigmente, ohne Abb.) neigten bei Brot im Unterschied zu Schulp zu starkem Schmieren, ließen sich aber signifikant reduzieren. Die abrasive Wirkung auf das Papier war bei Brot und Schulp erstaunlich gering. © Armin Häberle, VG Bild-Kunst

ner Knochenasche oder Kalk zur Entfernung öliger Substanzen von Papier oder Pergament.41 Der Hofarzt Théodore Turquet de Mayerne beschrieb in den von ihm am französischen und englischen Hof zusammengetragenen Verfahren (1620–1637), dass auch ältere Tintenspuren in einem mehrstufigen Prozess mit Salpetersäure und Alaun auslöschbar seien, und empfahl Pottasche zur Reinigung von fleckigen Papieren.42 Brot dient in seiner Sammlung vielfach als Mittel der Bereinigung diverser Substrate sowie zur Klärung von Pflanzenölen.43 Ihm zufolge ließen sich Metallminenstriche von nicht grundiertem Papier nur mit Brot, von grundiertem Papier für wiederverwendbare Tafeln (analog zu Cenninis Holztäfelchen) allerdings leicht mit Pinsel und Wasser tilgen.44 Die Zeichenkohle lässt sich mit der Fahne von (Zeichen‑)Federn oder mit Vogelbälgen vom Papier abnehmen.45 Im 17. Jahrhundert erschienen insbesondere in Frankreich und England Handreichungen zu künstlerischen Techniken und der Nutzung von Radiermitteln. Henry Peacham nannte

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link.org/how‑to-make-ink-recipes-and-instructions.html (letzter Zugriff am 9.10.2015  = . Test nach 5  Min., 10  Min., 2 h und 12 h des Tintenauftrags: optimale Wirkung nach 5  Min. und 10  Min. Die Quellung des Papiers kann durch stärkere Trocknung der Paste auf ein Minimum reduziert werden, ohne die Bleichwirkung zu schmälern. Le Begue (wie Anm. 39), S. 62–64, Nr. 38. De Mayerne‑Ms, in: Ernst Berger, Quellen für Maltechnik während der Renaissance und deren Folgezeit, (16.–18. Jahrhundert) in Italien, Spanien, den Niederlanden, Deutschland, Frankreich und England nebst dem De Mayerne Manuskript (Beiträge zur Entwicklungs-Geschichte der Maltechnik, 4), München 1901, S. 99–373(–408), Nr. 124, S. 210–211. Ibid., Nr. 84 S. 176–178, Nr. 133 S. 218–219, Nr. 309 S. 318–319, Nr. 322 und 323 S. 324–327. Ibid., Nr. 55 S. 152–153, Nr. 84 S. 176–177; Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 97, Fn 5. Ibid., Nr. 84 S. 176–178.

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Abb. 4  Tintenlöscher nach Le Begue, 1431: Innerhalb von 10 Minuten ließ sich der Rohrfederstrich vollständig löschen (unten), nach zwei (Mitte) und 12 Stunden (oben) war der Effekt gering oder fehlte. Längere Trocknung der Paste zu einem Block reduzierte die Papierquellung. © Armin Häberle, VG Bild-Kunst

Brotkrume unentbehrlich zur Korrektur von Misslungenem und zur Entfernung von Hilfs­ linien und Vorzeichnungen.46 Alexander Browne beschrieb in seiner Kompilation 1669 die Herstellung lavierter Darstellungen über einer Primärzeichnung mit Kohle oder Grafit.47 Die Vorzeichnung sollte zuerst mit spitzem Pinsel dünn nachgezogen, dann mit Brotkrume ausradiert oder reduziert werden, um letztlich die Lavierung aufzutragen.48 Filippo Baldinucci betonte 1681 die gute Radierfähigkeit von Blei-Zinn- und Silberminen sowie von Grafit.49 Christophe Ballard empfahl 1697 in seinem Lehrwerk zum Zeichnen von Plänen und Architekturprospekten bei den Übertragungstechniken die Verwendung von Weißbrot in Analogie vor der Anlage einer Lavierung.50 Schon Claude Boutet hatte in seinem populären, 1672 46 “[…] and be not without the crummes of fine manchet or white bread, to rub out your lead or coale, when you have done amisse, or finished your worke.” [Henry Peacham, The gentlemans exercise, or, An exquisite practise  […], London 1634, (E. A. als ’Graphice or the most auncient and excellent Art of Drawing, London 1612), S. 15, 17, 19]. 47 Alexander Browne et al., Ars pictoria: or, An academy treating of drawing, painting, limning and etching […], London 1669, S. 95–96. 48 Ibid., S. 96. 49 Filippo Baldinucci, Vocabolario Toscano dell’ Arte del Disegno […], Firenze 1681, Lemma cancellare, Lemma Stile http://www.archive.org/details/vocabolariotoscaOObald (letzter Zugriff am 6.10.2014). 50 Christophe Ballard (Hrsg.), L’art de dessiner proprement les plans, porfils, elevations geometrales, et perspectives, soit d’architecture militaire ou civile […], A Paris 1697, S. 253–254. https://archive.org/ details/lartdedessinerpr00giff/page/n6 (letzter Zugriff am 26.10.2017).

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ersterschienenen Traktat das Entfernen von Kopierspuren von Gemälden und Papier mit Weißbrot empfohlen.51 Roger de Piles widmete 1684 in seinem Malereitraktat der Zeichnung als Medium der Ausbildung wie Entwurfspraxis Aufmerksamkeit.52 Seine Anmerkungen zur Radierfähigkeit trockener Zeichenmittel mit Brot sind werktechnisch präzise.53 Er sah in den Auslöschungen kein auf die Ausbildung beschränktes Verfahren, sondern eine zu jedem Zeitpunkt legitime künstlerische Praxis.54 Vor allem betonte er die künstlerische Freiheit, Werkverfahren beliebig zu kombinieren und individuell zu transformieren.55 De Piles‘ Schriften waren über das Akademieumfeld Frankreichs hinaus prägend.56 In Charles-Antoine Jomberts Neuauflage von 1766 findet sich dieser Abschnitt unverändert, so dass seine Aussagen als durchgehend akzeptiert angesehen werden dürfen.57 1688 erschien in London ein aus älteren Schriften kompiliertes, bildkünstlerisches Lehrbuch, das ähnlich detaillierte Handreichungen enthält: Have alwayes in a readinefs by you the Crumbs of fine Manchet* or White-bread; the ufe whereof is, when you have drawn any thing with Black-lead that difliketh you, you may ftrew fome of thefe Crumbs upon the defective member, and with a linnen cloth rub it hard upon the defective place, and it will fetch out the Black-lead, and leave the Paper or Parchment fair and white. It is alfo ufefull when you have finifhed a piece, either Head, Leg, Arme, or whole Bodie with Black-lead, and would trace it over with Ink to finifh it , the Blacklead will be feen in many places, being thicker then the line of your Pen ; wherefore when you have finifhed your Drawing with Ink, and that dry, rub it over with thefe Crumbs, and it will not only take off the fuperfluous Black-lead, but all other fpots of your Paper.58

51 Claude Boutet, L’Ecole de la mignature, Dans laquelle on peut aisément apprendre à peindre sans Maître, […], A Brusselle 1691, 5. ed. (E. A. 1672), S. 7, 20–21 https://play.google.com/books/reader?id=Ack-AAAAcAAJ&hl=de&pg=GBS.PP15 (letzter Zugriff am 17.11.2018). Das Buch wurde bis Ende des 18. Jahrhunderts vielfach in Brüssel, Paris und Lyon aufgelegt. 52 Roger de Piles, Les premiers elemens de la peinture pratique enrichis de figures de proportion mesurées sur l’antique, desinées & gravées par J. B. Corneille peintre de l’Academie royale, Paris 1684, https:// gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k12700848 (letzter Zugriff am 15.11.2017). 53 Ibid., S. 9–14. 54 Ibid., S. 9–13. 55 Ibid., S. 12–13. 56 Marc Le Cannu, Roger de Piles (1635–1709), in: Encyclopædia Universalis, 2019, https://www.universalis.fr/encyclopedie/roger‑de-piles/ (letzter Zugriff am 17.8.2019). 57 Roger de Piles, Charles-Antoine Jombert (Hrsg.), Élémens de peinture pratique, A Amsterdam [etc.] 1776, Erstausg. 1684 als: Les premiere Élémens de la peinture pratique, S. 39–45 https://archive.org/ details/lmensdepeinturep00pile_0 (letzter Zugriff am 24.11.2015). 58 Dorman Newman, Richard Jones (Hrsg.), The excellency of the pen and pencil, […], London 1688, S. 13. * Manchet ist ein weit verbreitetes Hefeweißbrot: cf. Anonym, The making of fine Manchet. / The making of manchets after my Ladie Graies vse., in: Sam Wallace (Hrsg.), The good Huswifes Handmaide for the Kitchin, London 1594, Digital anotated edition 3/2011, S. 51a–52a, http://www.staff.uni-giessen. de/gloning/ghhk/ (letzter Zugriff am 13.7.2019).

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Nicolas Buchotte empfahl 1722 ebenfalls die Auslöschung von Crayon-Vorzeichnungen mittels Brotkrumen.59 Das sich vorrangig an Wissenschaftler richtende Lehrwerk Joseph Priestleys hob 1770 schließlich die gute Radierfähigkeit von Grafit hervor und empfahl diesen deshalb zur Anlage von Vorzeichnungen und Hilfslinien.60 Bernard Dupuy Du Grez‘ 1699 in Toulouse erschienenes Malereitraktat zeichnet sich unter anderem durch die Empfehlung aus, mit weißem Stift auf großen Schiefertafeln zu zeichnen, da die Zeichnung mit einem Tuch jederzeit beliebig korrigiert oder wieder ausgelöscht werden könne.61 Dies ist von Bedeutung, da hier ein bereits von Cennini und Mayerne thematisiertes, doppelt ephemeres Verfahren im künstlerischen Gestaltungsprozess hervorgehoben wird.62 Jombert zitiert Dupuy du Grez 1784 in seiner akademischen Lehrschrift, was auf die konstante Wertschätzung und Relevanz dieser Praxis hinweist.63 Anleitungen zum selbständigen Zeichnen-Lernen entstanden schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts, dennoch wurden die Praktiken weiterhin überwiegend unter direkter Anleitung erlernt.64 Die auf die Autodidaxe von Amateuren gerichteten Zeichenbücher entfalteten im 18. und 19. Jahrhundert ihre Blüte.65 In ihnen spiegeln sich professionell erprobte Verfahren, obwohl sie, das belegt Stefano della Bellas „Reitender Tod“ (Abb. 5), nicht den hohen Komplexitätsgrad der Entwurfsverfahren professioneller Künstlerinnen und Künstler abbilden (cf. Abb. 6). Erst Vernon Blake empfahl 1927 in seinem massiv gegen die akademische Künstlerausbildung seiner Zeit polemisierenden Lehrbuch ein generelles Korrekturverbot für künstlerische Arbeiten.66 Die in den Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts entwickelten kunstpädagogischen Neuerungen und die ihnen zugrunde gelegten Annahmen zur Kreativität und psychologischen Verfasstheit haben nicht nur die Kunstpädagogik nachhaltig geprägt. Die Verfemung von Korrekturtechniken griff bis in die Historik durch: So ist der Begriff

59 M. [Nicolas] Buchotte, Les règles du dessin et du lavis; […], Paris 1722, S. 47 http://gallica.bnf.fr/ ark:/12148/bpt6k86599b (letzter Zugriff am 26.10.2017). 60 Priestley 1770 (wie Anm. 26), (Preface) xiv, S. 6. 61 Bernard Dupuy du Grez, Traité sur la peinture pour en apprendre la téorie et se perfectionner dans la pratique, Toulouse 1699, S. 100 https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k111861m (letzter Zugriff am 11.08.2018). 62 siehe Anm. 30, 31; De Mayerne‑Ms. 1901 (wie Anm. 42), Nr. 55 S. 152–153; cf. v. a. Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 73–74, 87, 96–97, 164–168. 63 Charles-Antoine Jombert, Méthode pour apprendre le dessin: […], Paris 1784, S. 47 https://archive.org/ details/gri_33125008513083/page/n14 (letzter Zugriff am 11.08.2018). 64 Peter M. Lukehard, The Practice and Pedagogy of Drawing in the Accademia di San Luca, in: Maria Heilmann et al. (Hrsg.), Lernt zeichnen! Techniken zwischen Kunst und Wissenschaft 1525–1925, Passau 2015, S. 45–58, S. 46, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/3621/1/Lernt_zeichnen_2015.pdf (letzter Zugriff am 10.10.2016). Eine der frühesten Schriften ist Henry Peachams The art of drawing with the pen, […], London 1606. Cf. Fn. 46. 65 Ulrich Pfisterer et al., Zeichenbücherliste, https://www.zikg.eu/projekte/projekte‑zi/episteme-der-linien/ zeichenbuecherliste (letzter Zugriff am 5.10.2019). 66 Vernon Blake, The Art and Craft of Drawing, New York 19712. (E. A. 1927), S. 56, 73.

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Abb. 5  Stefano della Bella, Der Tod reitet nach rechts über ein Schlachtfeld; rechts oben Gewand- und Pferdestudien, zw. 1639–1650, Feder in Braun, Pinsel, grau und braun laviert, über schwarzem Stift und Rötel, Quadrierung mit schwarzem Stift, auf Vergé, 195 × 220 mm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 961 © Albertina Wien

pentimento, als ‚Reuezug‘ übersetzt schon in der Wortwahl vorurteilsbehaftet.67 Auch die Annahme, dass in der Frühen Neuzeit Rötel aufgrund seiner schlechten Korrigierbarkeit das bevorzugte Ausbildungsmedium gewesen sei, lässt sich weder durch Quellen noch durch Objektbefunde untermauern.68 67 ≈ ital. pentimento; franz. repentir, bde. gleichbedeutend mit Reue. Cf. Viatte 1991 (wie Anm. 15). 68 Vielmehr hält es Armenini für besonders leicht, Rötel mit Brotkrumen oder Schulpe zu entfernen: Armenini 1587 (wie Anm. 35), S. 56. Sarah Beth Cantor, Gaspard Dughet: Some problems in the connoisseurship of chalk drawings, Master thesis, University of Maryland, College Park 2005, S. 17–18, Fn. 50 http://drum.lib.umd.edu/bitstream/ handle/1903/3266/umi-umd-3094.pdf?sequence=1&isAllowed=y (letzter Zugriff am 21.12.2015). De Piles erwähnt Rötel als Zeichenmittel in der Ausbildung, betont jedoch die Vorteilhaftigkeit radierbarer

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Abb. 6  Infrarotaufnahme (≥1700 nm ) von Stefano della Bellas Der Tod reitet nach rechts über ein Schlachtfeld, Wien, Albertina, Inv. Nr. 961: Die Eisengallustinte ist weitgehend transparent, alle anderen Zeichenmittel (Kreiden, Grafit, graue Lavierung) erscheinen summarisch. Die primäre Anlage der auf vier Fluchtpunkte orientierten perspektivischen Konstruktion sowie die Quader zur Einschreibung des Reiters, die bereits die Neigung der Schultern berücksichtigen, stellen sich deutlich dar. Spuren von Ausradierungen und Neuanlage im Bereich des zügelhaltenden Arms und oberhalb des Schweifs © Courtesy Albertina Wien

1.3 Ausradierungen und „Pentimenti“ als Herausforderung für die Wissenschaft Auslöschungen in Zeichnungen der Frühen Neuzeit waren innerhalb der Forschung bisher kein Thema. Walter Koschatzky erwähnte die Radiermittel nicht, ebenso wenig Heribert Hutter.69 Daniel Marcus Mendelowitz benannte die leichte Radierfähigkeit von Kreide, ohne

Zeichenmittel für Anfänger. Die Wahl nicht korrigierbarer Zeichenmittel für die Ausbildung aus diesem Grund kennzeichnet er als Minderheitenmeinung [Piles 1684 (wie Anm. 48), S. 9, 11.]. 69 Koschatzky 1977 (wie Anm. 3). Auch in der 9. Auflage von 1999 gibt es keine Ergänzung; Heribert Hutter, Die Handzeichnung. Entwicklung, Technik, Eigenart, Wien, München 1966.

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darauf einzugehen.70 Lediglich Meder gab die Werkzeuge neben basalen Quellen an.71 Selbst jüngere Arbeiten, die die materiellen Präferenzen und Zeichentechniken einzelner Künstler in den Blick rücken und sich stärker auf phänomenologische Befunde stützen, ignorieren häufig die Möglichkeit von Entfernungen und betrachten vorrangig das Strichbild in Relation zum Zeichenmittel.72 Sofern Korrekturen Aufmerksamkeit finden, so als additive Anreicherung.73 Dabei dienen die als „pentimenti“ charakterisierten Veränderungen oft als Argument zur Differenzierung von Original und Kopie oder Meister und Schüler/Mitarbeiter.74 Erstaunlicherweise wurde aber selbst in den hervorragend fundierten Standardwerken zur Phänomenologie von Zeichenmitteln und Werkverfahren nicht in Betracht gezogen, Radiermittel und ihre Spuren zu thematisieren.75

2. Zur Phänomenologie von Auslöschungen in Zeichnungen des 17. Jahrhunderts 2.1 Die Identifikation von Ausradierungen am Beispiel Nicolas Poussins Die großen Sammler des 18. Jahrhunderts verfeinerten die Topoi der Unmittelbarkeit der Zeichnung und ihres Status als Ausdruck der momentanen intellektuellen Kapazität der Künstlerinnen und Künstler.76 Die von ihnen vorgenommenen Gliederungen ebenso wie ihr Zeichnungen beschreibendes Vokabular wurden in die sich formierende Kunstwissenschaft, die im Feld der Zeichnung besonders eng mit den Sammlerkulturen verwoben war, kritiklos integriert.77 Die frühe Intellektualisierung des Schaffens Nicolas Poussins durch Giovan Pietro Belloris Viten scheint eine besondere Affinität zu der Vorstellung geschaffen zu haben, man

70 Mendelowitz 1980 (wie Anm. 3), S. 387, 393. 71 Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 190–191. 72 Achim Gnann, Über den Zusammenhang von Material, Technik und Stil in den frühen Zeichnungen Michelangelos, in: Faietti 2008 (wie Anm. 3), S. 131–157. 73 Ibid., S. 131, 136. 74 Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 320. 75 Carlo James, Visual identification and analysis of old master drawing techniques, Firenze 20101; James Watrous, The Craft of Old Master Drawings, Madison 2006Neuaufl. der Ed. 1967, Univ. of Wisconsin Press. Die Radiermittel bleiben in beiden Werken ungenannt. 76 Vor allem Pierre-Jean Mariette in seinem ABECEDARIO de J. P. Mariette et autres notes inédites de cet amateur sur les arts et les artistes. […], in: Charles-Philippe de Chennevières-Pointel et al. (Hrsg.), Archives de l’art français, tome I–VI, Paris 1853–1862: t. I (1853–54) https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ bpt6k5550709q ; t. IV (1857–1858) https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k55507497 und Ders., Description sommaire des desseins des grands maistres […] du Cabinet de feu M. Crozat. […], Paris 1741 http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b10315541h (letzter Zugriff alle am 14.08.2017). 77 Cf. Koschatzky (wie Anm. 3), S. 8–9, Umschlag.

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könne dem Geist des Künstlers über seine Zeichnungen besonders nahekommen.78 Robert Allerton Parkers Zuspitzung, Poussins Zeichnungen seien nicht nur autobiographische Zeugnisse, sondern sie gestatteten in ihrer Rezeption die Zeitkluft zwischen Betrachtenden und Künstler aufzulösen, kann als symptomatisch gelten für einen Gedankenstrang, der die Zeichnungsforschung bis heute durchzieht:79 Autobiographical in a true sense are the drawings of Nicolas Poussin. No actual incidents of the life of the great French artist, it is true, are reflected in these precious scraps of paper; but as we study them, the very centuries seem to fade away – almost three of them – and as by magic we are transported into the very presence of the grave, gallant spirit who created them. The drawings of all great masters partake of this quality. Undoubtedly their appeal is based upon an intrinsic power to reveal the artist intimately, unpretentiously, spontaneously. They give us the impression of eavesdropping, of peeking through the keyhole into the inner sanctuary of genius. Drawings possess the same appeal of old letters, secret journals, or personal diaries. In them the artist appears before us, not so much in his professional rôle [sic]; but rather they lead us behind the scenes into the workshop of imagination. They are marked also by what experts call a calligraphic quality – they are as personal, as individual, as eccentric at times, as handwriting.80 Pierre-Jean Mariette hatte den Grundstein für diese ästhetische Erwartungshaltung Mitte des 18. Jahrhunderts gelegt.81 Dessen häufig zitierte Charakterisierung prägte die Wahrnehmung des Künstlers nachhaltig:82 „Es gibt nur eine sehr kleine Zahl an von Poussin zu Ende geführten Zeichnungen. […] Ein einfacher Strich, manchmal von einigen hiebartig gesetzten Lavierungen begleitet, genügte ihm, um mit Klarheit auszudrücken, was seine Imagination ersann. […]“83 78 Giovan Pietro Bellori, Le Vite de’ pittori, scvlutori et architetti moderni, Rom 1672, S. 407–462. http:// www.archive.org/details/levitedepittorisOObell (letzter Zugriff am 6.10.2014) / Joachim von Sandrart, Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, Nürnberg 1675/1679/1680, Thomas Kirchner et  al. (Hrsg.), Frankfurt/Main 2008, wissenschaftlich kommentierte Online-Edition („Sandrart.net“), S. 362–367, S. 160 http://ta.sandrart.net/de/ (letzter Zugriff am 9.5.2016); Giovanni Battista Passeri, Vite de’ pittori, scultori, ed architetti:[…], Rom 17721, S. 343–359 https://ia800500.us.archive.org/23/items/ vitedepittoriscu00pass/vitedepittoriscu00pass.pdf (letzter Zugriff am 20.6.2016); André Félibien, Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes avec la vie des architettes. Tome IV, A. Trevoux 1725, in: Claire Pace (Hrsg.), Félibien’s Life of Poussin, London 1981, S. 109–149 (150–172). 79 Die Parallelität zu Rosands Äußerungen ist frappierend [cf. Rosand 2002 (wie Anm. 7), S. 23]. 80 Robert Allerton Parker, The miracle of Poussin’s drawings, in: John Lane Co., N. Y. (Hrsg.), in: International Studio June (1926), S. 21–28, S. 21. 81 Mariette 1857–58 (wie Anm. 71), t. IV, S. 203–205. 82 Cf. den Kommentar in Mariette 1853 (wie Anm. 76), t. I, S. VIII; Selbst Kurt Badt folgt dieser Auffassung [Badt 1969 (wie Anm. 13), I, S. 134]. 83 Mariette 1857–58 (wie Anm. 76), t. IV S. 203 (Übersetzung des Autors).

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Pierre-Marie Gault de Saint Germain konfektionierte Poussin schließlich als idealen Zeichner:84 Wenn man seine Skizzen und Vorhaben untersucht, ist eine der Besonderheiten des Geistes dieses großen Mannes, dass man selten die Entwicklung seiner Ideen verfolgen kann: man sieht keine unsteten Striche, weder Variationen des Genies, das ausprobiert, vorwärts tastet oder seine Gedanken zu Gunsten der Kunst einmauert; was beweist, dass seine Bildvorstellungen niemals durch zufällige Einfälle verführt wurden: Als tiefgründiger Denker gewann er mit seinem Zeichenstift nichts als von den Blüten der Rhetorik reich geschmückte stille Betrachtungen, große, erhabene und ihrem Sujet angemessene Handlungen, und dies immer in Entsprechung mit der Natur.85 Damit ließ sich Poussin nahtlos mit Pierre Corneille und Blaise Pascal oder Michel Montaigne in eine Reihe stellen.86 Dies ließ den Maler als einen Vorreiter einer epochalen, aber erst in dieser Gesamtheit plausibel begründeten, kulturstiftenden Bewegung beschreiben, deren verbindendes Merkmal in einer gemeinsamen Geisteshaltung vermutet wurde.87 Im historischen Diskurs um die künstlerische Qualität Poussins offenbart sich jedoch eine Diskrepanz zwischen Idealisierung und den in seinen Zeichnungen sichtbaren Praktiken. So fällt auf, dass mindestens 69 % der erhaltenen Zeichnungen Poussins multimateriell, also mehrstufig, meist als Kombinationen aus trockenen Zeichenmitteln mit Tinte gefertigt wurden.88 Bei einigen Blättern, die man als reine Tintenzeichnungen kategorisiert hat, finden sich 84 Anthony Blunt, The drawings of Nicolas Poussin, New Haven u. a. 19791, S. 2; Pierre-Marie Gault de Saint Germain, Vie de Nicolas Poussin, considerée comme chef de l’ école françoise. […] (Étrennes aux Beaux-Arts), Paris 1806, S. 3–4, 12–14, 16 u. S. 71 Fn. 19. 85 Gault de Saint Germain 1806 (wie Anm. 84), S. 27–28 (Übersetzung des Autors). 86 Maria Graham, Memoirs of the life of Nicholas Poussin, London, Edinburgh 1820, Pref. xi; siehe Paul Desjardin, La méthode des classiques français : Corneille, Poussin, Pascal, Paris 1904, https://archive. org/details/lamthodedescla00desj (letzter Zugriff am 28.11.2015); Badt 1969 (wie Anm. 13), S. 58, Blunt (1988), S. 137; Walter Friedlaender, Nicolas Poussin: a new approach, New York 1966, S. 37(–39); Louis Marin, Sublime Poussin, Stanford 1999, S. 186–208; Pierre Rosenberg, Nicolas Poussin. Les tableaux du Louvre. Catalogue raisonné, Paris 2015, S. 252–253; Badt hat sich gegen eine Parallelisierung von Poussin und Corneille gewandt [Badt 1969 (wie Anm. 13), S. 61–66] und dies über die Verschiedenheit ihrer inneren Haltung [ibid, S. 63] und ihrem Verhältnis zum ‚Klassischen‘ begründet [ibid., S. 59]. Elizabeth Cropper sah in den Selbstportraits Denkfiguren Montaignes zugrunde gelegt [Elizabeth Cropper, Painting and Possession: Poussin‘s Portrait for Chantelou and the Essais of Montaigne, in: Matthias Winner (Hrsg.), Der Künstler über sich und sein Werk, Weinheim 1989, S. 485–509, S. 489]. 87 Rosenberg 2015 (wie Anm. 86), S. 253; siehe Desjardin 1904 (wie Anm. 86) und Ders., Poussin. Biographie critique, Paris 1903, https://openlibrary.org/works/OL17030833W/Poussin (letzter Zugriff am 30.7.2016); Badt 1969 (wie Anm. 13), S. 58; Friedlaender 1966 (wie Anm. 86), S. 37(–39). Poussins „Modus-Brief“ bot zudem eine übergreifende Verbindung zur Musik. 88 Statistische Auswertung des Autors auf Grundlage von Pierre Rosenberg und Louis-Antoine Prat, Nicolas Poussin. 1594–1665. Catalogue raisonnée des dessins, Milano 19941. Erfasst wurden 533 Darstellungen auf 383 Blättern (382 aus Rosenberg/Prat 1994 und ein dort nicht katalogisiertes Blatt). Unterschiedliche Darstellungen auf einer Seite wurden getrennt erfasst. Als monomateriell wurden alle Dar-

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ferner bisher nicht erfasste Rudimente trockener Zeichenmittel von linienhaftem oder figuralem Charakter, so dass ein akzidentieller Substratantrag ausgeschlossen werden muss (Abb. 7).89 Auffällig sind Blätter, deren (Vor‑)Zeichnung stark gemindert erscheint: Sind die Spuren trockener Zeichenmittel stark fragmentiert und nur rudimentär vorhanden oder von generell sehr schwachem Auftrag, stellt sich die Frage, ob die Vorzeichnung ursprünglich stärker sichtbar war und gezielt reduziert wurde.90 Dass es sich hierbei um Rudimente einer ursprünglich umfangreicheren Vorzeichnung handelt, lässt sich ableiten, wenn sich hinreichende Reste an mindestens drei unterschiedlichen Stellen identifizieren lassen.91 Zur Identifikation ist eine umfassende und akribische Absuche des gesamten Blattes mittels Lupe oder Mikroskop unerlässlich (cf. Markierungen in Abb. 7). Im Werk Poussins finden sich Auslöschungen bei mindestens 23 Darstellungen (≥ 4,3 % des Bestandes).92 Häufig sind die Spuren aber kaum wahrnehmbar. Der Nachweis einer Substratentfernung wird in der Regel erst mittels Auflicht-Mikroskopie bei Vergrößerungen zwischen 7x und 20x verlässlich geführt werden können. Aufrauhungen und Stiftimpressionen im Papier lassen sich dabei auch im Streiflicht sichtbar machen, wobei es schwierig sein kann, sie von reinen Durchgriffelungsspuren abzugrenzen.93

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stellungen mit einem Zeichenmittel/Werkzeug erfasst (singuläre Kreide, Feder/Tinte). Die Nutzung zweier Werkzeuge (z. B. Feder und Pinsel) oder Substrate (z. B. Kreide und Tinte) wurde als multimateriell kategorisiert. Nicht erfasst wurden Quadrierungen und Übertragungsspuren. Daraus ergab sich eine Verteilung von 69,42 % multi- zu 29,46 % monomateriell erarbeiteten Darstellungen. Die statistische Lücke erklärt sich durch nicht genau kategorisierbare Fälle (bspw. vom recto durchscheinende Tintenzeichnungen aufkaschierter Blätter). Auffällig ist jedoch das Fehlen der Nennung von Substratspuren in einer Reihe von Blättern, so dass die Fraktion multimaterieller Blätter etwas höher ausfällt [bspw. Paris, MdL, Inv. Nr. 32482, Moskau, Pushkin-State-Museum, Inv. Nr. 6427]. Die Blätter in Rosenberg/Prat 1994 (wie Anm. 88), Nr. 20, 21, 42, 53, 48r, 51, 53, 55, 60, 121, 125, 139r, 193, 223, 260, 261, 271, 296r, 302, 323r, 326, 368(1), 372, 373r. Beispielhaft ist das Blatt in Moskau, Pushkin-State-Museum, Inv. Nr. 6427 [Rosenberg/Prat 1994 (wie Anm. 88), Nr. 121]. Rudimente von Vorzeichnungen ließen sich auch in anderen Sammlungen nachweisen. Mikroskopisch gesichert sind neben dem genannten die Blätter in Windsor Castle, Royal Collection, RCIN  911882, 911909, 911933, 911979 (Alan Donnithorne); Moskau, Pushkin-State-Museum, Inv. Nr. 6427; Sankt Petersburg, State Hermitage, Inv. Nr. 5081, 5082. Phänomenologisch starke Befunde, die nicht durch Mikroskopie oder technische Analysen abgesichert wurden: Windsor Castle, Royal Library, Inv. Nr. 911905 verso; Firenze, Galleria Degli Uffizi, Inv. 885 E, 882  E, 905  E; Paris, MdL, Inv. Nr. 32482, R. F. 17; Stockholm, National Museum, Inv. Nr. NM 2438/1863; Chatsworth, The Duke of Devonshire and Chatsworth Settlement Trustees, Inv. Nr. 859. Die Identifikation von Tilgungen kann nur die finale Schlussfolgerung aus der umsichtigen und vollständigen Interpretation aller vorhandenen Spuren sein. Der Vorschlag, dass der Nachweis an wenigstens drei, besser mehr Stellen erfolgen sollte, stellt den Versuch dar, einen ersten basalen Mindeststandard zu formulieren. Cf. Anm. 88, bezogen auf den Bestand von 533 Darstellungen. Cf. Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 32476 http://arts-graphiques.louvre.fr/detail/oeuvres/7/209816-Paysage-avec‑le-Ponte-Molle-max (letzter Zugriff am 17.10.2019). Im Bereich der Turmzinnen sind Linienimpressionen sichtbar, fragmentarisch finden sich dort Reste von Grafit, was nahelegt, dass die Impres­ sionen keine Kopier-, sondern Zeichenspuren sind.

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Abb. 7  Nicolas Poussin, Moses vertreibt drei Hirten vom Brunnen, um 1647, Feder mit brauner Tinte, braun laviert, über die gesamte Darstellung verteilte Rudimente von Grafit [G = Grafitspur, Gl… = Grafit­ linienfragment, Imp__ = (Linien‑)Impression im Papier], 119 × 108 mm (stark beschnitten), Moskau, ­Pushkin-State-Museum, Inv. Nr. 6424 © Photo: Pushkin-State-Museum; Bildbearbeitung: Armin Häberle, VG Bild-Kunst

Dass solche Entfernungen dem Künstler selbst zugeordnet werden können und nicht später durch Dritte erfolgten, lässt sich schlussfolgern, wenn die Anzahl solcher Funde im Œuvre hinreichend groß ist und die Provenienzen der Blätter zugleich divers ausfallen, so dass ausgeschlossen werden kann, dass sich alle Zeichnungen zu irgendeinem Zeitpunkt in ein und derselben Hand befanden. Das ist bei Poussin abgesehen von seiner Werkstatt der

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Fall. Dennoch verbleibt eine Unsicherheit, da Manipulationen an Werkspuren sowohl von Händlern wie Sammlern stammen könnten, wiederholt aber auch im Rahmen von Restau­ rierungen bis in die Gegenwart vorgenommen wurden, wofür die aufgezeigten Idealisierungen Poussins hinlänglich Motive böten.94

2.2 Die Identifikation von Tilgungen am Beispiel Stefano della Bellas Der Florentiner Künstler Stefano della Bella wurde für eine zu Poussin gegensätzliche Zeichentechnik und -ästhetik verehrt: für die offensive Zurschaustellung der virtuosen Bildfindung mit suchendem Stift, in der die Formung der Bildgedanken als auf dem Blatt kondensierte Bewegungsspur für die Betrachtenden offen daliege (Abb. 5). Die Infrarotaufnahme einer seiner berühmtesten und virtuosesten Zeichnungen offenbart jedoch zweierlei (Abb. 6): Erstens bestand der primäre Werkschritt in der Konstruktion perspektivischer Strukturen mit Zirkel, Lineal und Grafit, in denen die bildräumliche Orientierung der Figuren vor ihrer Zeichnung abstrakt angelegt wurden. Die Figuren wurden erst danach, aber mit großer Stimmigkeit in das perspektivisch konstruierte Bildgefüge eingeschrieben. Es handelt sich um die Reinform eines „vorbedachten Bildkonzeptes“.95 Die Grafitlinien wurden später wohl insgesamt reduziert, ohne sie völlig auszulöschen, denn wo sie überlaviert wurden, sind sie mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen. An einigen Stellen wurden Darstellungsteile abrasiv abgetragen und neu angelegt. Während die Aufrauhung des Papiers durch die Kaschierung im 19. Jahrhundert flächig verpresst wurde, treten die entsprechenden Stellen in der Infrarot-Aufnahme deutlicher hervor. In della Bellas Œuvre finden sich häufig Zeichen von partiellen Entfernungen, doch sind auch diese mit bloßem Auge oft nur schwer auszumachen (Abb. 8–10).96 Della Bellas strukturierte Planung und sein Aufbieten diverser Zeichenmittel von teils gleicher Farbe offenbart eine äußerst vielgestaltige Werkgenese, die in dieser Form den professionellen Künstlerinnen und Künstlern vorbehalten blieb, da sich Amateure oder Diletanten und Diletantinnen Vorgehensweisen dieses Komplexitätsgrades weder über die Traktate noch in den Zeichenschulen aneignen konnten. Sie bedürfen zwingend einer professionellen Ausbildung, der beruflichen Erfahrung und Ausrichtung auf einen Zweck (hier einer Druckgraphik oder illustrierten Buches) oder Markt, vor allem aber der fortgesetzten Aus­ einan­dersetzung mit anderen Künstlerinnen und Künstlern. Die in den Traktaten erwähnten Verfahren spiegeln sich unzweifelhaft in ihren Zeichnungen, aber sie beschreiben die künstlerischen Praktiken, wie das Blatt der Albertina eindrücklich belegt, eben nicht umfänglich, was der Historik zusätzliche, auch methodische Aufmerksamkeit abfordert. 94 Erich Schleier, Zeichnungen des Giovanni Lanfranco. […], Düsseldorf 2006, S. 13. Koschatzky 1999 (wie Anm. 3), S. 315. Der Verlust an wissenschaftlichen Informationen kann auch bei der Entfernung vermeintlicher Flecken erheblich sein. Das enorme Schadenspotenzial verdeutlicht das della Bella zugeschriebene Blatt, Frankfurt / Main, Städel, Inv. Nr. 517. 95 Ansel Adams prägte den Begriff für die Fotografie [Ansel Adams und Robert Baker, Die Kamera, München 7. Ed.1994, S. 15]. 96 München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 1958-70, Inv. Nr. 1958-78, Inv. Nr. 1958-80.

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Armin Häberle

Abb. 8  Stefano della Bella, Skizzenblatt mit sechs Figuren in unterschiedlicher bewegter Haltung, zw. 1625–1664, Feder mit brauner Tinte über Grafitstift (Vorzeichnungen mit bloßem Auge nicht sichtbar), 99 × 78 mm, Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. Nr. 1958:70 Z © Courtesy Staatliche Graphische Sammlung München

Abb. 9  Stefano della Bella, Skizzenblatt mit sechs Figuren in unterschiedlicher bewegter Haltung, zw. 1625–1664, Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. Nr. 1958:70 Z, Auflicht-Mikroskopie von Figur 5, unten mittig, Kopf: nur schwach verbliebener Grafitantrag, der mit bloßem Auge nicht erkennbar ist. [Zeiss (West Germany), Stemi 4, Vergr. 8x, Bel. 5500K] © Armin Häberle, VG BildKunst, Staatliche Graphische Sammlung München

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Abb. 10  Stefano della Bella, Rückenansicht eines stehenden Mannes mit breitkrempigem Hut, der unter dem linken Arm einen großen Korb mit Bän­ dern trägt, zw. 1625–1664, Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. Nr. 1958:78 Z. Auflicht-­ Mikroskopie der Bänder: oben schwacher Grafitantrag, unten höhere Substratdichte (mit bloßem Auge erkennbar). [Zeiss (West Germany), Stemi 4, Vergr. 8x, Bel. 5500K] © Armin Häberle, VG BildKunst, Staatliche Graphische Sammlung München

Brotkrumen – als Zeichenmaterial und schöpferisches Mittel?

Schlussbetrachtung: Reflexionen zur Marginalisierung von Auslöschungen und korrektiven Techniken Auslöschungen und Überarbeitungen im 17. Jahrhundert waren offensichtlich nicht nur bei Poussin oder della Bella gängige Praxis. Solange Zeichnen in den Werkstätten unter unmittelbarer Anleitung erlernt wurde, bedurfte es wohl auch keiner umfangreichen schriftlichen Anleitungen der intuitiv handhabbaren Materialien zur Korrektur. In den Texten vor 1800 wird der Gebrauch effektiver Radiermittel weder verschwiegen, noch ist er negativ konnotiert. Ihr Gebrauch wird sowohl zur Korrektur als auch der Entfernung von Kopier-, Hilfs- und Vorzeichnungsspuren empfohlen, wobei gerade letzteres häufig erwähnt wird. Die Schriftzeugnisse entsprechen den bisher in den Zeichnungen erhobenen, ersten Befunden, aber auch den experimentellen Erprobungen. Erst mit den Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts scheint sich die Haltung zu Tilgungen verschoben zu haben. Das lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass Künstlerinnen und Künstler der Frühen Neuzeit in ihrem Bemühen, ihre Tätigkeit aus einem handwerklichen Status herauszulösen, solche Praktiken selbst gezielt marginalisiert haben könnten. Der Nachweis von Auslöschungen kann entweder durch die akribische Suche nach Substratrudimenten mit Darstellungscharakter (Linien) erfolgen (Abb. 9, 10) oder durch spezifische technische Bildgebungen (Abb. 2, 6).97 Voraussetzung ist zunächst die Sensibilisierung der an Zeichnungen Forschenden für die Existenz dieser künstlerischen Verfahren. Die akribische Spurenabsuche der Objekte mit Mikroskop als (Gold‑)Standard wäre wünschenswert, da so auch andere ‚marginale Techniken‘ (Abklatsche etc.) mitaufgefunden werden können.98 Die zugängliche Zusammenführung dieser Daten böte die Chance auf valide quantitative oder qualitative Abschätzungen zu Prävalenz, regionalen Clustern oder individuellen Präferenzen von Materialien und künstlerischen Praktiken, um die Zeichnungsforschung auf soliden Daten zu fundieren.99 Das Konzept des „Zeichenaktes“ erweist sich aufgrund der impliziten Vorwegnahmen als problematisch bei der Untersuchung der Werkgenese. Es setzt die Prämisse, dass Zeichnungen unmittelbarer seien als alle anderen bildkünstlerischen Techniken und diese deshalb einen direkten Blick auf den Künstler/die Künstlerin und die Intentionalität der Handlung

97 IR-, UV‑Aufnahmen. Cf. Alessando Zucchiatti et al., PIXE and IRR analysis of sixteenth-century ink drawings by Luca Cambiaso and his school, in: Studies in Conservation 57 (2012), Nr. 3, S. 131–141, v. a. Table 2, Code: SFA, ESP, GTB, SEB, PAD, CTB, Fig. 11. 98 Zeichnungsforscherinnen und ‑forscher sollten auch in der Auflicht-Mikroskopie ausgebildet werden, um die befundbasierte Hermeneutik zu stärken und die Verzahnung von Restaurierung und Wissenschaft zu fördern. 99 So gibt es bspw. bis dato keine valide statistische Erhebung der Häufigkeitsverteilung oder qualitativen Verwendung blauer Papiere. Der Hinweis, dass Produktion und Verbrauch derselben in den Niederlanden besonders hoch gewesen seien, da die Seeleute blaue Kleidung trugen und folglich mehr blaue Hadern anfielen, entbehrt einer datengestützten Grundlage [Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 175, 177]. Statistische Erhebungen könnten helfen, ähnliche Dunkelfelder aufzuhellen.

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Armin Häberle

freigäben. Ephemere Verfahren wie beispielsweise die Nutzung von lebendigen Modellen, gefertigten dreidimensionalen Modellen und von Visiereinrichtungen, das Fertigen von Hilfszeichnungen auf anderen Blättern und die Rückkehr zur „eigentlichen“ Zeichnung, die Nutzung von Vorlagen(-sammlungen) aller Art, kollaboratives und arbeitsteiliges Arbeiten oder Auslöschungen sprechen massiv gegen diese Annahme. Parkers wie Rosands Vorstellung, die Betrachtenden kämen der künstlerischen Leistung durch den Nachvollzug der Genese der Zeichnung als visuelles re-enactment nahe, muss angesichts der ubiquitären Vielfalt dieser, für die Rezipienten völlig spurenlos bleibenden Werkverfahren, verkürzt und hochgradig präjudizierend anmuten.100 Der Versuch, Zeichnung als eine Aktivität des gesamten Körpers zu begreifen, stellt ein weiter gefasstes Verständnis dar. Doch erscheint mir elementar, darauf hinzuweisen, dass der Entstehungsmoment einer Zeichnung keineswegs auf das Individuum beschränkt ist, sondern sich in einem Raum entfaltet, in dem eine ganze Reihe von ephemeren und spurenarm bis zu spurenlos bleibenden und miteinander verschränkten Prozessen ablaufen, deren Fixpunkt letztlich allerdings immer die zeichnende Person selbst ist. Frühe Quellen enthalten bereits Informationen, die dies herausheben, und es gilt sie ernst zu nehmen. Dazu zählt das von Baccio Bandinelli als zwingend notwendig betonte Vor-sich-Ausbreiten anderer Zeichnungen, die Nutzung von komplexen Modellen und umfangreichen Vorlagensammlungen etwa durch Poussin oder das simultane Zeichnen auf verschiedenen Blättern, für das die vielen mit nicht-korrelierenden Partialdarstellungen kontaminierten Zeichnungen Zeugnis ablegen (Abb. 5).101 Ein vorurteilsärmeres Verständnis der Genese von Zeichnungen muss folglich diese Verfahren mit einschließen und ihre Existenz, vergleichbar der Wirkung der postulierten Dunklen Materie als grundlegendem Konzept der Physik, berücksichtigen.102 Die Bildfindung und Werkgenese entspricht einem komplexen System und die „gravitative“ Wirkung ephemerer und tilgender Verfahren ist darin erheblich. Auslöschungen sollten daher, allein weil so beispielsweise Spitzlichter modelliert werden können, als „schöpferisch“ und

100 Rosand 2002 (wie Anm. 7), S. 23: “Our experience of the drawing involves the ‚re‘-enactment of the drawing gesture, our mimic ‚re‘-creation of the creative acts.“ 101 Brief Baccio Bandinellis an Luca Martini, Firenze, 21. Februar 1551, in: Giovanni Gaetano Bottari, Raccolta di lettere sulla pittura, scultura ed architettura scritte da’ più celebri personaggi dei secoli XV, XVI e XVII. 1. Ed., Vol. 1/VII, Rom 1757, S. 67–68; Le Blond de la Tour, Lettre du Sieur Le Blond de la Tour à un de ses amis, contenant quelques instructions touchant de la peinture […]., [Paris] 1669, S. 38–40; Constant Viguier in: Constant-Viguier, Stév. F. und F.‑P. Langlois de Longueville, Manuel de miniature et de gouache, par Stév. F. Constant Viguier, de Paris. Suivi du manuel du lavis à la seppia [sic] et de l’aquarelle, par F.‑P. Langlois de Longueville, [Paris] 1830, S. 66; Langlois de Longueville in: ibid, S. 229– 230, https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k9612138z (letzter Zugriff am 9.11.2018). Bspw. Cardi di Cigoli, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 905v; 916v; 919r/v; Della Bella, Wien, Albertina, Inv. Nr. 961. 102 Zur Geschichte der Dunkle-Materie-Hypothese siehe Robert H. Sanders: The Dark Matter Problem. A Historical Perspective. Cambridge u. a. 2010, v. a. S. 12–20.

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Brotkrumen – als Zeichenmaterial und schöpferisches Mittel?

folglich gleichrangig zum Substanzauftrag betrachtet werden: sie sind nicht marginal, sondern ein intrinsischer und elementarer Teil des Zeichnens.103 Auslöschungen haben, gemeinsam mit dem ‚Pentimento‘ und dem ‚Unwesentlichen‘ lange die negative Polarität der künstlerischen Kreativität formiert. Wohl nur deshalb konnte Rauschenbergs Tilgung als „ikonoklastischer Anschlag“ auf das einzigartige Kunstwerk aufgefasst werden und so seine (wert)volle Sprengwirkung innerhalb des Kunstsystems entfalten.

103 Corinth 2008 (wie Anm. 38), S. 10; Meder 1923 (wie Anm. 1), S. 89; Wehlte/Wehlte 1998 (wie Anm. 26), S. 291.

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Fallstudien aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München

Jacqueline Klusik-Eckert

Wenn die Rückseite zur Hauptsache wird Beobachtungen zur Zeichnung Allegorie der Wollust von Crispijn de Passe d. Ä.

Im Schatten eines großen Baumes schmiegt sich eine leicht bekleidete Frau in die Arme eines recht wohlhabenden Mannes, der sie willig auf seinen Schoß zieht (Abb. 1). Die Lippen zum Kuss vereinigt greift er mit seiner freien linken Hand mit sicherem Griff zu einer vollgefüllten Geldkatze. Es bleibt kein Zweifel daran, dass er für den folgenden Liebesakt bezahlen wird. Flankiert wird das unzüchtige Paar von einer Meerkatze als Symbol der Wollust und ungezügelten Liebe, dass den Betrachter fordernd anblickt; daneben liegen verschiedene Musikinstrumente zum Zeichen des Müßiggangs und des vergnüglichen Zeitvertreibs. Das Paar verbirgt sich vor einer großen Eiche, die ihnen als Sichtschutz von einer weiteren Gruppe dient, welche sich schräg rechts dahinter im Bildmittelgrund befindet. Auch hier geht es recht derb zu. Während ein Mann bereits eine Frau auf dem Schoß liegen hat, wobei ihr Rock hochgerutscht ist, bezirzt sein Kompagnon eine zögernde Dame. Niemand nimmt Kenntnis von einem Wagenüberfall, der sich etwas weiter im Hintergrund abspielt, oder gar von einer Hängung und Folterung, die in der Ferne stattfinden. Auch links des Paares im Vordergrund spielen sich keine erfreulichen Szenen ab. Während ein nackter Knabe an einer armseligen Hütte scheinbar mit einem Hund um das Essen ringt, haben sich daneben weitere nackte Gestalten niedergelassen, die möglicherweise ebenso arm wie hungrig sind. Crispijn de Passe d. Ä. (1564–1637), dem diese Zeichnung traditionell zugeschrieben wird, gelingt in dieser sehr detailliert angelegten Federzeichnung die Darstellung der unkeuschen Liebe und ihre Folgen, wie das Blatt auch genannt wird.1 Bereits seit 1973 wurde es von Wolfgang Wegner als gegenseitige Vorzeichnung für einen Kupferstich erkannt, der von

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Weitere Varianten wären Waarschuwing tegen overspel [Warnung vor Ehebruch], wie der Kupferstich im Onlinekatalog des Rijksmuseums bezeichnet wird, Permalink http://hdl.handle.net/10934/RM0001. COLLECT.161296

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Jacqueline Klusik-Eckert

Crispiijn de Passe d. J. (1593/94–1670) ausgeführt wurde.2 Der Sohn übernahm weitgehend die Figurationen und Draperien aus der Zeichnung des Vaters. Durch geschickte Schnitttechnik im Kupferstich gelingt ihm dabei die Übersetzung der lavierten Bereiche in unterschiedliche Graustufen, so dass die Plastizität der Zeichnung mit den farblich unterschiedlichen Zeichenmitteln relativ gut in das monochrome Lineament des Kupferstiches übertragen wurde. Einzig der Hügel mit der Hinrichtungsszene wurde nicht übernommen (Abb. 2).3 Die Darstellung mit den negativen Auswirkungen eines lasterhaften Liebesspiels ist die kontrastierende Antwort auf den Kupferstich Lobpreis der Ehe (Abb. 3).4 Dort wird im Gegensatz zu der freien Landschaft und den eher reich gekleideten Personen eine genügsame, kinderreiche Familie beim gemeinsamen Essen dargestellt. In den Nebenszenen wird gezeigt, dass Arbeit und ein frommer Lebensstil gute Folgen haben. Damit ergibt sich eine als dialektisches Argument angelegte Gegenüberstellung, wodurch sich die moralisierende Funktion der Warnung vor dem Ehebruch noch verdeutlicht. Die im Kupferstich beigefügten Verse untermauern die in der Zeichnung bereits deutlich erkennbare Grundannahme. Während im ersten Vers der lasterhafte Mann in der Allegorie der Wollust als scortator, frei übersetzt als Hurenbock, beschimpft wird, benennt der zweite Vers die Folgen dieser Taten: Vae tibi, Scortator: vaga, sis et adultera moesta / Iudicium Summi vos quia triste ­manet. // Praemia paupertas, et erunt infamia vobis: Curaq[ue] cordis: edax vermis, et Inda lues. Wehe dir, Hurenbock; wehe dir du freizügige und ehebrechende Frau, denn das Gericht des Höchsten steht euch bevor. Euer Lohn wird Armut, Schande und Herzenskummer sein, der allesverzehrende Wurm und die indische Seuche [Syphilis; J. K.‑E.].5 Wie Ilja M. Veldman bereits 1986 ausführte, dienten diese beiden Drucke vor allem zur Ermahnung junger Frauen.6 Sie konnten aber auch generell in ihrer dialektischen Gegenüberstellung für ein wohlsortiertes, protestantisches Leben stehen, das seine Erfüllung im Fleiß, angedeutet durch die Schaufel, anstatt im Müßiggang, versinnbildlicht durch Musikinstrumente, findet. Der lateinische Text ist hier eher als vom Bild inspirierte Reaktion zu lesen, da

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Wolfgang Wegner, Katalog der Staatlichen Graphischen Sammlung München, 2  Bde., Berlin 1973, Bd. 1, S. 115, Nr. 821, Bd. 2, Taf. 111. Hollstein XVI, S. 93, Nr. 11, hier Crispijn de Passe d. J. nach Crispijn de Passe d. Ä., Waarschuwing tegen overspel, 1611–1639, Kupferstich, 191 × 256 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. RP‑P‑1878‑A‑1378. Hollstein XVI, S. 93, Nr. 10, hier Crispijn van de Passe d. J. nach Crispijn van de Passe d.Ä, Het goede huwelijk, 1611–1639, Kupferstich, 187 × 249 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. RP‑P‑1909-1325. Vgl. Holm Bevers, Niederländische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen Sammlung München, München 1989, S. 69. Vgl. Ilja M. Veldman: Lessons for Ladies: A Selection of Sixteenth and Seventeenth-Century Dutch Prints, in: Simiolus: Netherlands Quarterly for the History of Art 16 (1986), 2/3, S. 113, hier S. 118–119; Ilja M. Veldman, Images for the eye and soul. Function and meaning in Netherlandish prints (1450–1650), Leiden 2006, S. 156-158.

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Wenn die Rückseite zur Hauptsache wird

Crispijn de Passe nur in den seltensten Fällen bereits existierende Verse illustrierte.7 Plausibel ist dabei Holm Bevers Vermutung, dass beide Blätter generell von der Bibelstelle He­bräer 13,4 inspiriert waren: „Die Ehe soll in Ehren gehalten werden bei allen und das Ehebett unbefleckt; denn die Unzüchtigen und die Ehebrecher wird Gott richten.“8 An dieser Stelle könnte dieser Beitrag bereits vorbei sein, wenn im Fokus dieser Publikation nicht das anscheinend Marginale stehen würde. Denn auch ohne den Entstehungszusammenhang zu kennen, lässt sich am Münchner Blatt ablesen, dass die Zeichnung zweifelsohne als Vorlage für einen Kupferstich gedient hat. Bei genauerer Betrachtung verwundern die doppelt gezogenen, im Vergleich zu anderen Zeichenbereichen recht breit angelegten Umrisslinien an den Figuren und Faltenschwüngen. Noch dazu ist dabei an manchen Stellen ein eingedrückter, dünner Grad zu erkennen. Diese Indizien weisen darauf hin, dass das Blatt zur Übertragung auf eine Kupferplatte oder ein Transfermedium gegriffelt wurde.9 Bisher unerwähnt blieb in der Forschung, dass sich auf der Rückseite des Blattes, im Verdeckten und scheinbar Nebensächlichen also, die Komposition mit dem Pärchen vor dem schattigen Baum, der im Werben befindlichen Gruppen und der ärmlichen Hütte wiederholt (Abb. 4). Doch anders als auf der Vorderseite, wo die Figuren mit unterschiedlichen Zeichenmitteln detailliert herausgearbeitet wurden, markieren auf der Rückseite einzig schwarze Kreideschwünge die Umrisse. In wiederholten, scheinbar schnellen und sich korrigierenden Zügen entsteht die Komposition und verhält sich spiegelverkehrt zur Vorderseite. Trotz des spontanen Duktus wird es sich hierbei nicht um einen Entwurf handeln. Vielmehr dürften diese Kreidelinien von einem Übertragungsverfahren stammen: Entweder durch Abpausen der Vorderseite, wenn sie gegen eine Fensterscheibe gehalten wurde,10 oder mittels Durchgriffelung von einer rückwärtig eingeschwärzten Vorlage, so dass sie je nach variierendem Druck teilweise stärker oder schwächer ausfielen.11 Letzteres hieße jedoch, dass es bereits eine Vorlage gäbe, die man gespiegelt dazu, aber seitenrichtig zum entstehenden Druck übertragen hätte, um sie dann durchzupausen und daraus die elaborierte Federzeichnung zu entwickeln. Gerade für die Übertragung von Vorzeichnungen auf Druckplatten sind unterschiedliche Vorgehensweisen überliefert worden und dank einer voranschreitenden Forschung zu Zei-

  7 Vgl. Ilja M. Veldman, Crispijn de Passe and his progeny (1564–1670). A century of print production, Rotterdam 2001 (= Studies in prints and printmaking, Bd. 3), S. 57.   8 Vgl. Bevers 1989 (wie Anm. 5), S. 69. Bibelpassage aus der Lutherbibel 2017.   9 Vgl. Carsten Wintermann: Übertragungstechniken. Ansätze zu einer Spurensuche auf Zeichnungen, in: Thomas Ketelsen et al. (Hrsg.), Zeichnen im Zeitalter Bruegels. Die niederländischen Zeichnungen des 16. Jahrhunderts im Dresdner Kupferstich-Kabinett – Beiträge zu einer Typologie (= Bestandskataloge des Kupferstich-Kabinetts, Staatliche Kunstsammlungen Dresden), Köln 2011, S. 295–309, hier S. 300. 10 Thomas Klinke: Pausenzeichen. Zur Technik der Pause als Hilfszeichnung, in: Iris Brahms, Thomas Ketelsen (Hrsg.), Die Kunst der Pause. Transparenz und Wiederholung, in: Der un/gewisse Blick, H. 24, Köln 2017, S. 20–28, hier S. 25. 11 so auch gesehen von Bevers 1989 (wie Anm. 5), S. 69.

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Jacqueline Klusik-Eckert

Abb. 1 Crispijn de Passe d. Ä., Allegorie der Wollust / Die unkeusche Liebe und ihre Folgen, nach 1600, Feder in Braun und Schwarzbraun, blau laviert, schwarze Kreide, auf Vergé, 184/177 × 255 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 19525

chentechniken nachvollziehbar beschrieben. Die auf die Kupferplatte aufgelegte Zeichnung konnte mit Wachs montiert werden, so dass sie nicht verrutschen konnte.12 Doch wurde vom Münchener Blatt nicht die Kreidezeichnung auf die Kupferplatte durchgegriffelt, sondern die lavierte Federzeichnung der anderen Seite. Wozu diente also die Kreidezeichnung? Gab es sie zuerst und wurde sie als Vorzeichnung für die lavierte Federzeichnung durchgepaust oder galt sie der vorläufigen Überprüfung der lavierten Federzeichnung, indem sie sich zum entstehenden Druck seitenrichtig verhielt? Die beschriebenen Abweichungen und der eher summarische Duktus spricht gegen Ersteres, wohingegen für Letzteres eine summarische Ausführung ausreichte. So wäre das ungewöhnliche Verfahren plausibel und beispielhaft dafür, dass Künstlerwerkstätten wie das Großunternehmen de Passe mit der Zeit eigene und arbeitsökonomische Verfahren entwi-

12 Exemplarisch sei hier genannt Ad Stijnman: Historische Übertragungstechniken für Tiefdruck. Von der Vorzeichnung zur Druckplatte, in: VDR Beiträge zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut 2 (2004), H. 2, S. 48–60, hier S. 50; Wintermann 2011 (wie Anm. 9); Klinke 2017, S. 25.

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Wenn die Rückseite zur Hauptsache wird

Abb. 2 Crispijn de Passe d. J. nach Crispijn de Passe d. Ä., Waarschuwing tegen overspel, 1611–1639, Kupferstich, 191 × 256 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. Nr. RP-P-1878-A-1378

ckelt haben.13 Für mehr Klarheit wäre allerdings eine Untersuchung weiterer Zeichnungen von Crispijn de Passe d. Ä. notwendig, die als Vorlagen für Kupferstiche gedient haben.14 Doch selbst dann ließen sich Schlüsse nur erschwerend folgern, da durchgegriffelte Blätter mit der Zeit rissig oder löchrig geworden sind, somit für Sammler der späteren Jahrhunderte wenig attraktiv erschienen und seltener erhalten sind. Warum jedoch die bekannten Arbeiten bislang nur am Rande Beachtung gefunden haben, mag darin begründet liegen, dass im Œuvre eines Kupferstechers die Zeichnungen als bloße Vorbereitungsarbeiten angesehen und so zu Marginalien werden. Sicher machte die bildhafte Ausführung der Münchner Zeichnung den entscheidenden Unterschied.15 Gerade hier in diesen Randbereichen oder 13 Vgl. Veldman 2001 (wie Anm. 7), S. 53. Die Vorgehensweise beim Erstellen von Vorlagen wird von Ilja M. Veldman beschrieben. Aus den bislang verallgemeinernden Umschreibungen lassen sich jedoch keine endgültigen Rückschlüsse auf diesen Fall ziehen 14 Vgl. Ibid., S. 52. 15 Weder Wolfgang Wegner noch Ilja M. Veldman erwähnen die Kreidespuren, vgl. Wegner 1973 (wie Anm. 2); Veldman 1986 (wie Anm. 6); Veldman 2001 (wie Anm. 7). Grund hierfür konnte eine frühere Montage im Sammlungskontext gewesen sein.

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Jacqueline Klusik-Eckert

Abb. 3 Crispijn van de Passe d. J. nach Crispijn van de Passe d.Ä, Het goede huwelijk, 1611–1639, Kupferstich, 187 × 249, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. Nr. RP-P-1909-1325

Abb. 4 Abb. 1

Rückseite von

Rückseiten von Zeichnungen ergeben sich neue Einblicke in Entstehungsprozesse, die neue Funktionen aufdecken können. Spuren auf Rückseiten oder gegriffelte Linien, angeblich Nebensächliches, helfen, fallspezifische Zusammenhänge aufzudecken.

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Federica Mancini

Pricked Lines, Repetition and the Art Market The Stoning of Saint Stephen by Luca Cambiaso’s Workshop

The iconography of The Stoning of Saint Stephen spread out in Genoa since 1521, when Giulio Romano (around 1499–1546) painted an important version for the church of Santo Stefano. The panel painting, still in situ today, became a model for generations of local artists until the end of the 17th-century. Luca Cambiaso (1527–1585), one of the greatest Genoese masters, drew many sketches on this subject, although no painting is known. Three of them will be considered here: the one belonging to the Graphische Sammlung in Munich (fig. 1), the one held at the Kupferstich-Kabinett in Dresden (fig. 2, 3)1 and the one of the Rijksprentenkabinet in Amsterdam (fig. 4). There are multiple reasons to explain why Cambiaso’s body of work often includes many versions of the same subject. The main one is that his apprentices trained as draftsmen by copying their master’s inventions accurately. These ones were then considered to be produced by Cambiaso himself. In addition, many copies of Cambiaso’s originals were still produced throughout the 17th century to satisfy the requests of the art market. As a matter of fact, for centuries almost every work that closely resembled Cambiaso’s style has systematically been considered as an original by this same artist. The number of drawings attributed to Cambiaso has increased to such a degree that it would be futile to further attempt to continue the complete study on his graphic works ever since the valuable, pioneering research by William and Bertina Suida back in 1958. However, researchers have widely developed a method that could point out Cambiaso’s genuine graphic works and those from his workshop and his followers in the past two decades. This method is based on the analysis of style, on the use of techniques and on the structure of the compositions. All have led to a better understanding of Cambiaso’s draftsmanship. Thanks to this approach, his graphic body of work has been drastically reduced. It has given insight into significant aspects both of Cambiaso’s artistic-educational training and of the artists belonging to the generation 1

A special thanks to Gudula Metze and to Angela Rietschel for providing the image and all the details concerning the drawing, with their usual warm kindness.

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Federica Mancini

Fig. 1 Workshop of Luca Cambiaso, The Stoning of Saint Stephen (between 1585–1600), graphite, pen and ink, brown watercolor, on paper, pricked contours for transfer, 230 × 322 mm, Munich, Graphische Sammlung, inv. no. 2775 Z r

Fig. 4 Workshop of Luca Cambiaso, The Stoning of Saint Stephen (between 1585–1600), pen and brown ink, brown watercolor, on paper, 203 × 297 mm, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, inv. no. RP-T-1957-336

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Pricked Lines, Repetition and the Art Market

Fig. 2 Workshop of Luca Cambiaso, The Stoning of Saint Stephen (between 1585–1600), pen and brown ink, on paper, 223 × 324 mm, Dresden, Kupferstich-Kabinett, inv. no. C 424 r

Fig. 3 Workshop of Luca Cambiaso, The Stoning of Saint Stephen (between 1585–1600), pen and brown ink, on paper, 223 × 324 mm, Dresden, Kupferstich-Kabinett, inv. no. C 424 v

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Federica Mancini

after him (like Giovanni Battista Paggi, Giulio Benso and Andrea Ansaldo). The relevant number of sheets close to Cambiaso’s style that can be now dated to the 17th-century show the high and strong interest of the art market toward this artist even after his death. The Munich drawing representing The Stoning of Saint Stephen is classified as an ori­ ginal by Cambiaso in the Munich collection. The systematic use of cubic forms for the figures clarifies that the sketch belongs to the Genoese artist’s later period, similar to the famous stereometric drawing of the Uffizi, The Study of Figures.2 Looking carefully, many details convey to reconsider this traditional attribution and to regard it instead as workshop version. The composition is drawn with two different kinds of lines: the heads are sharply shaped in cubic volumes and the bodies are smoothly rounded. These two Cambiaso-styles refer to precisely different periods of his activity: the coherent hatchings of the beginning of his career, when he sketched with a sinuous line to start, and the cubic shapes developed from the 1560s onwards. Another element that sets this drawing apart from the originals is the barren quotation of some of Cambiaso’s typical silhouettes, like the one sitting on the far left in the foreground or the one bending close to the previous one, seen from behind.3 These positions are barely taken from other graphic or painted works by the artist. They show a good know­ ledge of Cambiaso’s art, but they look more like repetitions than genuine figures. The third element suggesting that the Munich drawing is more an exercise carried out by the workshop rather than an original sheet by the artist is the unfamiliar use of the diluted ink. If the combination of Cambiaso’s favorite technique, pen and ink with wash to stress the shadow effects,4 became frequent since the 1570s, the application of the liquid ink lines on the Munich sheet resemble rather brown smudges than the delicate and proportioned position of the shadows. The two other versions of The Stoning of Saint Stephen held at the Kupferstich-Kabinett in Dresden and at the Rijksprentenkabinet in Amsterdam are completely identical. Another similar composition held at the Gabinetto di Disegni e Stampe at the Uffizi has the same subject but the characters are displayed differently.5 2

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Florence, Gallerie degli Uffizi, Gabinetto di Disegni e Stampe, inv. no. 13736 F. See Lauro Magnani, entry in: Luca Cambiaso, un maestro del Cinquecento europeo, Genoa, Palazzo Ducale, 2007, p. 404, n°47. Jonathan Bober attributed the drawing to Cambiaso’s workshop. See Bober, in: Luca Cambiaso, un maestro del Cinquecento europeo, Genoa, Palazzo Ducale, 2007, p. 78, fig. 16. See for comparison the Study for a man, seen from behind, one knee to the ground, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 9381 published in: Federica Mancini, Italian drawings in the Musée du Louvre, Genoese drawings 16th – 18th Centuries, Paris 2017, p. 153, n°234. The contrast of light and shadow on the drawings respect Cambiaso’s conception of the Notturni paintings developed in the 1570s. The abundancy of watercolor is visible in the Conversion of Saint Paul by Cambiaso’s workshop held in the Department of Prints and Drawings at the Victoria and Albert Museum, London, Dyce 337. Florence, Gallerie degli Uffizi, Gabinetto di Disegni e Stampe, inv. no. 13788 F, pen and brown ink with brown wash over traces of black chalk, 211 x 302 mm. See Jonathan Bober, entry in: Luca Cambiaso, 1527–1585, Austin, Blanton Museum of Art, 2006, p. 362, n°75.

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Pricked Lines, Repetition and the Art Market

Fig. 5 Workshop of Luca Cambiaso, The Stoning of Saint Stephen (between 1585–1600), graphite, pen and ink, brown watercolor, on paper, pricked contours for transfer, 230 × 322 mm, Munich, Graphische Sammlung, inv. no. 2775 Z v

Compared to the other versions, the Munich drawing is markedly interesting for a technical detail: the pricking of the lines (fig. 5). This is a transferring technique used to repeat a composition onto another support, but it is unusual in Cambiaso’s graphic production. Thus far, there are just two other examples known, both of which are held at the Département des Arts graphiques at the Louvre Museum. The first represents Two Nude Children Playing, heading rightward, a drawing that can now be attributed to Cambiaso’s favorite assistant, Lazzaro Tavarone (1556–1641), after having been considered to be an original by the master since it entered the collection.6 The second sheet, Venus mourning Adonis, belongs to Cambiaso’s workshop.7 6

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Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 9373, pen and brown ink, pricked for transfer, watermark, 263 × 413 mm. Mancini 2017 (as fn. 3), pp. 103-104, n° 105. The writer has found the corresponding painted decoration in the Villa Borsotto in Genoa by Lazzaro Tavarone. The article is about to be published in the Revue des Musées de France 3, 2022. Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 9326, pen and brown ink, pricked for transfer along the outlines and pounced with chalk, laid down on an 18th-century mount, 340 x 243 mm. See Mancini 2017 (as fn. 3), p. 99, n°95.

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Federica Mancini

A presence of powder would suggest that the transfer was eventually done, but neither the Munich sheet nor the Dresden version, both of which I was able to study in the original, show any traces of any pencil powder on the paper. However, the powder may have occurred on some other versions, which are lost today. Furthermore, a final assumption on the use of this transferring technique can be added. At the end of the discussion during the conference on November 10th, 2018,8 one participant suggested that the pricking might have been done some time later after the composition was made. Interestingly enough, the three pricked sheets known by Cambiaso’s workshop, the one in Munich and the two at the Louvre, can be all dated stylistically to the end of the 16th-century. We can assume that the use of pricking, either contemporary or posterior to the Munich drawing, shows the clear intention of repeating in a rapid and precise way a successful iconography, maybe for the art market. The interest in collecting Cambiaso’s drawings and prints began when he was still alive. His apprentices went on practicing his vivid and synthetic style even after his death and, to respond to the growing requests of the collectors, the introduction of the pricking technique might be the proof of the necessity to draw good graphic works in a convenient way and in a short amount of time.

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About the concept see Iris Brahms’ introduction of this volume.

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ABKLATSCH – SPIEGELUNG

Iris Brahms

Abklatsche1 wie sie im Buche stehen Zur Phänomenologie der Nachnutzung

Zum Kunstverständnis der Moderne gehört die Vorstellung, dass Künstler:innen ihre Ideen unmittelbar und spontan zu Papier bringen, um ausgehend davon sowohl neue Bildfindungen zu entwickeln, als auch die Zuverlässigkeit ihrer Handführung herauszubilden und beizubehalten. Charles Baudelaire beschreibt dieses Streben mit einem „Bleistift-, Pinselrausch, der fast einer Raserei ähnelt“ und setzt hinzu: Es ist die Furcht, nicht schnell genug zu sein, das Phantasiegebilde entfliehen zu lassen, ehe die Verknüpfung daraus gewonnen und ergriffen ist; es ist diese schreckliche Angst, von der alle großen Künstler beherrscht sind und sie so sehnlichst wünschen läßt, sich alle Ausdrucksmittel anzueignen, damit niemals die Befehle des Geistes durch die zögernde Hand entstellt würden; damit schließlich die Ausführung, die ideale Ausführung ebenso unbewußt, ebenso fließend werde, wie es die Verdauung ist für das Gehirn des sich wohlbefindenden Menschen, der gespeist hat.2 Diese Sichtweise gilt es freilich, in vielerlei Hinsicht zu differenzieren, vor allem wenn es darum geht, die Beziehung zwischen Geist und Hand zu hinterfragen3 oder gar versuchsweise auszuhebeln. So überließ Willam Anastasi die Führung seiner Hände den Fliehkräften bei der U-Bahnfahrt und Letitia Gendre suchte diese auf einer Achterbahnfahrt zu bezwingen, indem sie aus dem Kopf ausgerechnet von idealerweise geraden Linien bestimmte Interieur1

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In meinem Beitrag setze ich den eher abschätzig konnotierten Begriff „Abklatsch“ allein an Stellen ein, wo die Alternativen wie „Abdruck“, „Umdruck“, „Gegendruck“ oder auch der im Deutschen gebräuchliche französische Terminus „Contre-preuve“ nicht ausreichend klar zu sein oder unpassender (er-)scheinen. Charles Baudelaire, Die Gedächtniskunst, Kap. V von „Der Maler des modernen Lebens“, in: Friedhelm Kemp, Claude Pichois (Hrsg.), Sämtliche Werke / Briefe, Darmstadt, Bd. 5, S. 229–232. Hierzu vgl. Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist, Hamburg 1984. Original: L’Œil et l’esprit, 1961.

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Iris Brahms

szenen zeichnete.4 Was in derartigen Positionen hervortritt, ist die Eigenständigkeit der Händearbeit oder Händigkeit, die – idealistisch gedacht – losgelöst von der Kopfarbeit vielmehr im Rahmen der Bedingungen ein Sensorium für die Materialien entwickelt und zugleich den gesamten Körper einbezieht, welcher sich den Fliehkräften bei Gendre weitgehend, bei Anastasi hinreichend entgegenstellt, um die Unterlage auf den Knien zu halten und das Zeichnen zu ermöglichen. Die Fliehkräfte überwinden also die möglicherweise „zögernde Hand“ und die Ausführung verläuft bei Anastasi versuchsweise unbewusst. Ob sie entsprechend Baudelaire auch als „ideal“ zu bezeichnen wäre, dürfte anzuzweifeln sein, denn letztlich entscheiden die unbeeinflussbaren Fliehkräfte bei der Fahrt und keine „angeeigneten Ausdrucksmittel“ darüber, ob die Ausführung „fließend“ vonstatten geht. Anschaulich wird daran vor allem das künstlerische Bewusstsein über Motorik und körperliche Arbeit, das der tradierten Nobilitierung des Intellekts gegenübersteht, zumal diese in der komplexen Theorie des disegno die künstlerische Handfertigkeit und Versiertheit ins Hintertreffen manövrieren sollte.5 Vor diesen hier allein angedeuteten Hintergründen sind in unserem Kontext die phänomenologischen Zusammenhänge von Nachzeichnungen und ‑bildungen zu hinterfragen, welche die Voraussetzungen für eine formale Übertragung zu optimieren tendieren. Mit optimierten Konstellationen ist das Ziel gemeint, ein weitestgehend mit der Vorlage übereinstimmendes Ergebnis auf möglichst zuverlässige Weise herzustellen – wohl bemerkt nach formalen Kriterien, deren Spezifik noch herauszustellen ist –, wenn also beispielsweise Konturen durchgepaust werden, dazu die Vorlage an eine Fensterscheibe gehalten6 oder aber auch nur dünnes Papier für die Zweitfassung verwendet wird. Auch wenn wir das Abpausen fern einer kreativen Entwurfstätigkeit ansiedeln, gibt es doch zahlreiche Entscheidungsebenen, um das Verfahren gelingen zu lassen. Denn es geht um die Auswahl der Vorlage, die umsichtige Vorbereitung und Anordnung aller notwendigen Gegenstände und

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Hana Gründler, Toni Hildebrandt, Wolfram Pichler, Zur Händigkeit der Zeichnung, in: Zeitschrift für Bildkritik, © eikones 3 (2012), S. 2–19, 11–12; http://www.laetitiagendre.com/videos.php [letzter Zugriff: 27.8.2021] Iris Brahms, Gezeichnete Evidentia. Zur Einführung, in: dies. (Hrsg.), Gezeichnete Evidentia. Zeichnungen auf kolorierten Papieren in Süd und Nord von 1400 bis 1700, Berlin/Boston 2021, S. 20–55, 44/47, Anm. 32. Das Halten eines Manuskriptes gegen eine Fensterscheibe erhält im durch Fra‘ Luca Pacioli dokumentierten Umgang mit Leonardos Schriften einen epistemischen Wert, konnten so die spiegelverkehrten Zeilen besser gelesen werden. Vgl. Carmen Bambach, Leonardos Linkshändigkeit, in: Jürgen Renn u. a. (Hrsg.), Leonardos intellektueller Kosmos, S. 229–239, S. 232. Ebd. wird weiter unten beschrieben, dass „vermutlich mittels Durchpauseverfahren die Umrisse von der Matrix von Leonardos Zeichnungen geometrischer Körper“ für die kolorierten Federzeichnungen auf dem Pergament von Paciolis Manuskript De Divina proportione (Mailand, Veneranda Biblioteca Pinacoteca Ambrosiana S. P. 6) durch einen Amuensis genommen wurden. Mit Blick auf die Etymologie dieses Begriffs von lat. manus (Hand) war dieser Schreibgehilfe sowohl Handarbeiter wie Handlanger, was ob der unumgänglichen Notwendigkeit seiner Tätigkeit die damit verbundene allgemein abwertende Konnotation in Frage stellt.

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Abklatsche wie sie im Buche stehen

Materialien, darunter das diffizile Anschneiden der geeigneten Kielfeder,7 die voraussichtige Planung des Ergebnisses in seinen technischen wie ästhetischen Dimensionen sowie die multisensorische und sorgfältige Ausführung. Um eine schlichte Reproduktion handelt es sich also keineswegs und es fragt sich eher, wann eine Reproduktion überhaupt schlicht ausfallen könnte, sind die Umstände meist komplexer einzuschätzen, als wir es gemeinhin tun. Ebenso wenig ist das kreative Potenzial von Nachzeichnungen, darunter auch Pausen, zu unterschätzen, bieten sie Bestandteile jenes Motivrepertoires, das inventive Weiterentwicklungen begünstigt. Dass sogar die Rückseite einer Präsentationszeichnung kein geringerer als Michel­ angelo für eine Pause verwendet hat, mag so gesehen vielleicht gar nicht mehr allzu sehr erstaunen. Das für Tommaso de‘ Cavalieri ausgeführte Blatt mit Tityos in Windsor (Abb. 1, 2)8 drehte Michelangelo auf die Rückseite und um 90° zu einem Hochformat. Auf diesem Verso zeichnete er die vormals liegende Figur nach und nahm geringe Änderungen vor, so dass nun eine aufrechtstehende bzw. schwebende Figur entstanden ist, deren rechter Arm, da nicht vom Greifvogel verdeckt, ergänzt und deren rechtes Unterbein weniger angezogen wird, um als auferstehender Christus aus dem geöffneten Grab in fast tänzelnder Bewegung aufzusteigen. Aus dieser Figurenkonstellation ging eine ganze Reihe höchst elaborierter Figurenzeichnungen unterschiedlicher Ikonographie hervor.9 Die kreative Leistung steht zweifelsfrei vor Augen, doch fußt sie zuallererst auf einem gemeinhin gering geschätzten, da vermeintlich ausschließlich formalen Kriterien unterliegenden Verfahren, dem Durchpausen.10 Hängt beim Pausen die Linienführung von der jeweiligen Hand ab und verrät häufig schon eine versierte oder aber zaghaft vorantastende Ausführung, verhält sich die Händearbeit beim Abklatschverfahren auf andere Weise. Denn hierfür wird ein befeuchtetes Papier auf das Original gelegt, das unter hohem Druck beispielsweise einer Druckerpresse einen spiegelverkehrten Contre-preuve auf der Gegenseite hinterlässt. Es braucht Erfahrung, das richtige Papier auszusuchen und in rechtem Maß zu befeuchten, um den optimalen Gegendruck

  7 Zur Auswahl und Handhabung der Feder vgl. verschiedene Manuale, darunter Cennino Cennini, Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei, übers. von Albert Ilg, in: R. Eitelberger von Edelberg (Hrsg.), Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, Bd. 1, Wien 1871, S. 11, Cap. 14. Originaltext: Cennino Cennini, Il libro dell’arte, Fabio Frezzato (Hrsg.), Vicenza 2003. Siehe auch Anm. 28 in der Einleitung.   8 Stephanie Buck (Hrsg.), Michelangelo’s Dream (Ausst. Kat. London, The Courtauld Gallery), London 2010, S. 110–117, Nr. 2 (Stephanie Buck). Mit Dank für eine Diskussion des Blattes an Hui Luan Tran (Mainz).   9 Siehe Buck 2010 (wie Anm. 8), S. 146–163, Nr. 9–12 (Stephanie Buck). Siehe zur Rezeption von Michelangelos Strichbild Elvira Bojilova, „In dem Gesang der Linie offenbart sich die Wahrheit der Form“. Die Faktur der Graphik als Metapher, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 64/2 (2019), S. 209–234, S. 225, Abb. 3. 10 Siehe Iris Brahms: Durchtzeichet. Zu Nähe und Distanz beim Pausen, in: Iris Brahms, Thomas Ketelsen (Hrsg.), Die Kunst der Pause. Transparenz und Wiederholung (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Köln 2017, S. 6–13; Friedrich Teja Bach, Struktur und Erscheinung. Untersuchungen zu Dürers graphischer Kunst, Berlin 1996, S. 233–239.

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Abb. 1  Michelangelo Buonarroti, Tityos, 1532, schwarze Kreide auf Vergé, 190 × 330 mm, Windsor, Royal Collection, Inv. Nr. RL 12771 (recto)

zu erzielen; außerdem bedarf es hoher Sorgfältigkeit, die Papiere in der Presse, in einem Buch oder auch lose genau und so anzuordnen, dass ein Verrutschen vermieden wird. Ebenso entscheidet der aufgewandte Druck über die Qualität des Ergebnisses. Aus dem Verfahren ergibt sich demnach eine unmittelbare Nähe von Original und Abdruck durch Berührung, woraus abgesehen von der Seitenverdrehung eine große Übereinstimmung beider Darstellungen hervorgeht. Doch sollte nicht übersehen werden, welche Spuren dieser Prozess hinterlässt: Dem Original werden die verlebendigenden, kontrastierenden und abschließenden Modellierungsdichten buchstäblich abgezogen, während sie im Umdruck zuerst auf die Papierfläche treffen und daher, wenn man so will, die Schnittstelle der nunmehr aufgespaltenen Farbschicht von unten nun die Oberfläche der Modellierung bildet. Rein technisch bedingt büßt die Materialität der jeweiligen Zeichnung an Brillanz ein, was Joseph Meder zum verheerenden Urteil führte, Umdrucke als bloße „Surrogate“ 11 zu werten. Anderer­seits mag zuweilen deren Qualität erstaunen. Umso anschaulicher werden Georges Didi-Hubermans Fragen und Hypothesen zu Verfahren des Abdrucks: Ist der Prozeß des Abdrucks die Berührung mit dem Ursprung oder der Verlust des Ursprungs? Bekundet er die Authentizität der Präsenz (als Prozeß der Berührung) oder im Gegenteil den Verlust der Einzigartigkeit, der sich aus der in ihm angelegten Mög­lichkeit der Reproduktion ergibt? Erzeugt er das Einmalige oder das vielfach Verstreute? Das Auratische oder das Serielle? Das Ähnliche oder das Unähnliche? Die 11 Joseph Meder, Die Handzeichnung, ihre Technik und Entwicklung, Wien 1923 [1919], S. 540.

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Abklatsche wie sie im Buche stehen

Abb. 2  Michelangelo Buonarroti, Auferstandener Christus und Figurenstudie, 1532, schwarze Kreide auf Vergé, 190 × 330 mm, Windsor, Royal Collection, Inv. Nr. RL 12771 (verso)

Identität oder das Unidentifizierbare? Die Entscheidung oder den Zufall? Den Wunsch oder die Trauer? Die Form oder das Formlose? Das Gleiche oder das Veränderte? Das Vertraute oder das Fremde? Die Berührung oder die Distanz?12 Didi-Huberman lässt seine Fragen zunächst in folgende Bemerkung münden: Ich denke, daß der Abdruck das ‚dialektische Bild‘ [nach Walter Benjamin; IB], das Aufrühren all dessen ist: etwas, das uns ebenso die Berührung anzeigt (der Fuß, der sich in den Sand eindrückt) wie den Verlust (die Abwesenheit des Fußes in seinem Abdruck), das uns ebenso die Berührung des Verlusts anzeigt wie den Verlust der Berührung.13

12 Georges Didi-Huberman, Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln 1999, S. 10. – Original: L’Empreinte (Ausst. Kat. Paris, Centre Georges Pompidou), Paris 1997. 13 Ibid.

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Sicher sind diese Fragen für die Neuzeit anders als für die Moderne zu bewerten, schwer ist die Kategorie der (Un‑)Ähnlichkeit in ihrer ambivalenten Bedeutung und Tragweite historisch zu ermitteln, ebenso wenig lässt sich mit Sicherheit feststellen, inwieweit Kopien, serielle Abzüge von Druckgraphiken und die beides vereinigende Reproduktionsgraphik als fern des Originals und somit minderwertig oder gar als weniger authentisch – oder auch weniger auratisch, wenn man diesen postum philosophisch komplex gewordenen Begriff erlauben möchte – erachtet wurden.14 Vieles spricht dafür, dass eine Geringschätzung eher anzuzweifeln ist. In meinem Beitrag geht es indes um Fallbeispiele, die individuelle Antworten auf die Frage geben, inwieweit die gebundenen Seiten eines Buches Prozesse des Abdrucks, spezifischer des Abklatschens von flachen Arbeiten auf Papier, durch Entscheidung oder Zufall begünstigen oder auch limitieren. Daran wird gezeigt werden können, dass eingedenk der paradoxen Berührung-Verlust-Komponente des Ursprungs etwas Nützliches gewonnen werden kann, etwa wenn 1. angestrebt wird, die hinterlassenen Spuren aufzudecken, zu identifizieren und zu kontextualisieren, oder aber wenn 2. die Weitergabe zu neuen kreativen Momenten führt, oder auch wenn es 3. um Sicherung und Nobilitierung von Werken geht.

1. Abklatsche en passant Weist Meder auf die zufällig entstandenen Gegendrucke von bezeichneten Rückseiten auf dem Untersatzpapier hin, die erst bei Ablösen aufgezogener Zeichnungen zutage treten,15 lassen sich ebenso in lange ungeöffneten Klebealben Umdrucke nicht nur von Rötelzeichnungen nachweisen, wie landläufig angenommen wird, sondern auch von Zeichnungen in schwarzem Stift. So finden sich verschiedene en passant entstandene Abdrucke auf montierten Rückseiten von ehemals in Alben eingeklebten Zeichnungen wie im Falle der einstigen Kölner Jesuiten-Sammlung.16 An verschiedenen Stellen lassen sich anhand der hinterlassenen Spuren – teilweise sind die Umdrucke undeutlich oder stark beschnitten, was einmal mehr den ungeplanten Vorgang verdeutlicht – Rückschlüsse auf die vormalige Ordnung in den Alben ziehen.17 Auf dem Untersatzpapier eines um 1700 als deutsch eingeordneten 14 Zu diesem Themenkomplex siehe etwa: Antonia Putzger, Marion Heisterberg, Susanne Müller-Bechtel (Hrsg.), Nichts Neues schaffen. Perspektiven auf die treue Kopie 1300–1900, Berlin/Boston 2018; Marion Heisterberg, Zwischen exemplum und opus absolutum. Studien zum Abzeichnen im italienischen Tre- und Quattrocento zwischen Mustertransfer und Kopie, Berlin/München 2020; Joris C. Heyder, Christine Seidel (Hrsg.), Re-Inventing Traditions. On the Transmission of Artistic Patterns in Late Medieval Manuscript Illumination, Frankfurt a. M. 2015. 15 Meder 1923 (wie Anm. 11), S. 540. Siehe auch Thomas Ketelsen, Carsten Wintermann, „For ever“: Die Gedächtnisspur der Zeichnung, in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett (Hrsg.), o. T. (Hans-Ulrich Lehmann zum 65. Geburtstag), Dresden 2010, S. 52–53. 16 Thomas Ketelsen, Ricarda Hüpel (Hrsg.), Wir Glauben Kunst. Bildermacht und Glaubensfragen. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuiten-Sammlung Col. (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum  & Sammlung Corboud), Köln 2019. 17 Vgl. hierzu die Alben des Fürsten Tommaso Corsini im Istituto Centrale per la Grafica (Rom) und das diesbezügliche „Progetto Corsini“, siehe: https://www.youtube.com/watch?v=jkdSEoPuAbk [letzter Zugriff: 27.8.2021].

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Abklatsche wie sie im Buche stehen

Entwurfes für ein Titelkupfer ist der Gegendruck eines möglicherweise von Pier Francesco Mola gezeichneten Hl. Hieronymus im Gebet zu entdecken.18 Sowohl die Lokalisierung als auch die Kompositionen und Zeichenweise könnten kaum weiter auseinanderliegen, handelt es sich zum einen um eine vielfigurige Anordnung in gleichmäßiger Ausführung und zum anderen um eine energetische Strichführung eines Heiligenporträts. Einzig sind die beiden Blätter ins 17. Jahrhundert einzugliedern, doch ließe sich die Überlegung anstellen, ob nicht ein schwerwiegenderes Kriterium für die benachbarte Einfügung ins Album die Ausführung in Rötel gewesen sein könnte. Mit Blick auf weitere Funde erhärtet sich jedoch die Hypothese einer Einteilung nach Zeichentechniken nicht; vielmehr wurde der Versuch einer Zuordnung nach wenigen Künstlernamen [Carlo Maratta (10 Bände), Paul Bril und Pieter Breugel d. Ä. (2 Bände)] sowie nach Sujets wie Akt (5 Bände) und Landschaft (2 Bände mit Disegni Paesi die Paolo Bril, Pietro Breugel ed altri betitelt) vorgenommen, wobei es auch Alben mit der summarischen Aufschrift Disegni di autori diversi (19 Bände) gab.19 Die weiteren Fälle eines rückseitigen Gegendrucks lassen ebenso das grundsätzliche Interesse an einer Zuordnung nach Entstehungszeit und ‑ort erkennen, auch wenn insbesondere die regionale Zuweisung nicht immer mit dem aktuellen Forschungsstand übereinstimmt. Auf dem Untersatzkarton einer querformatigen Kompositionsstudie mit Judith mit Holofernes‘ Haupt in schwarzer und weißer Kreide auf grauem Papier, die im Florenz des 17. Jahrhunderts ausgeführt sein dürfte, findet sich ein deutlicher Umdruck einer im gleichen Jahrhundert in Italien angefertigten Rötel-Komposition mit einem alten Mann und einer Frau vor Weinfässern diskutierend.20 Ein weiterer Fall stellt der Abdruck eines in schwarzer Kreide gezeichneten Gottvaters mit der Weltkugel dar, der ebenso vor 1700 in Italien entstanden sein wird. Die Darstellung hat sich auf der ehemaligen Albumseite abgedruckt, die sich noch immer auf der Rückseite einer Luigi Garzi zugeschriebenen Rötelzeichnung mit der Predigt

18 Ausst. Kat. Köln 2019 (wie Anm. 16), S. 200–201, Nr. 72 (Iris Brahms), S. 223–225, Nr. 83 (Karen Buttler). 19 Ob die Aufteilung auf die Alben Jacob Heyder verantwortete, dessen Verkaufskatalog 1778 erschien, ist bislang nicht überliefert. 1794 wurde die Sammlung nach Paris verbracht, wo sie auf die Sammlung des Louvre und die Bibliothèque Nationale aufgeteilt und zum größten Teil aus den Klebebänden gelöst wurde. Siehe Thomas Ketelsen, Claudia-Alexandra Schwaighofer, Michael Venator, Die Wiederentdeckung der Zeichnungssammlung der Kölner Jesuiten – zwischen Geschick und Geschichte, in: Ausst. Kat. Köln 2019 (wie Anm. 16), S. 34–54, S. 36–40. – Ein bedeutendes Beispiel für eine stilkritische Anordnung von Zeichnungen in Alben ist die Sammlung des Padre Resta, der die Zeichnungen entsprechend einer kunsthistorischen Enzyklopädie einfügte und mit seinen stilkritischen Einschätzungen versah. Siehe hierzu die beiden Projekte in Rom: https://www.padrerestaproject.eu [letzter Zugriff: 27.8.2021] und Mainz: Elisabeth Oy‑Marra, Irina Schmiedel (Hrsg.), Zeigen – Überzeugen – Beweisen. Methoden der Wissensproduktion in Kunstliteratur, Kennerschaft und Sammlungspraxis der Frühen Neuzeit, Merzhausen/Heidelberg 2020. 20 Florenz (?), Judith mit Holofernes‘ Haupt. Verso: Gegendruck von Inv. Nr. Z 03017, 17. Jahrhundert, schwarze und weiße Kreide auf grauem Vergé. Verso: Rötel auf Untersatzpapier, 113 × 174 mm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. Z 05613; Italien, Alter Mann und junge Frau vor Weinfässern diskutierend, 17. Jahrhundert, Rötel auf Vergé, 179 × 229 mm, Köln, Wallraf-­RichartzMuseum & Fondation Corboud, Inv. Nr. Z 03017.

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Abb. 3 Mitteleuropa, Hl. Familie mit Hirten, um 1700, Feder in Braun, rot-braun laviert, über Vorzeichnung in Graphit, originale Einfassungslinie, auf Vergé, 195 × 114 mm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. Z 05082

Abb. 4 Italien(?), Christus heilt einen Besessenen, 17. Jahrhundert, schwarze und weiße Kreide auf beige getöntem Vergé, 138/140 × 118 mm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. Z 03745

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Abklatsche wie sie im Buche stehen

Abb. 5  Gegendruck von Italien(?), Christus heilt einen Besessenen, wahrscheinlich vor 1794, schwarze und weiße Kreide auf Untersatzpapier von Abb. 3, 195 × 114 mm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. Z 05082 (verso)

Johannes des Täufers befindet.21 Auch das abschließende Beispiel bestätigt die ermittelten Rückschlüsse zur Anordnung und zeigt zudem einmal mehr ein Contre-preuve von schwarzer Kreide: Auf dem umseitigen Unterlagenpapier einer um 1700 in Mitteleuropa entstandenen lavierten Federzeichnung mit der Hl. Familie mit Hirten hat sich deutlich eine wohl italienische Kreidezeichnung in Schwarz und Weiß auf beige getöntem Papier abgedruckt, die die Heilung eines Besessenen durch Christus zeigt (Abb. 3, 4, 5). Zweifellos lässt sich an diesen Fallbeispielen die unermessliche Bedeutung von Abklatschen für dokumentarische Fragen der Provenienz festhalten.

21 Luigi Garzi (zugeschr.), Predigt Johannes des Täufers. Verso: Gegendruck von Inv. Nr. Z 04209, um 1700, Rötel auf Vergé. Verso: schwarze Kreide auf Untersatzpapier, 201 × 151 mm, Köln, Wallraf-Richartz-­ Museum  & Fondation Corboud, Graphische Sammlung, Inv. Nr. Z  03084; Italien, Gottvater mit der Welt­kugel, 17. Jahrhundert, schwarze Kreide auf Vergé, 101 × 165 mm, Köln, Wallraf-Richartz-­ Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. Z 04209.

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2. Abklatsche zur Motivsicherung Wenn Abdrucke allerdings gezielt von ausgewählten Vorlagen genommen wurden, sind die verschiedenen Faktoren, die über das Gelingen des Verfahrens und die Qualität des Produkts entschieden, kontrollierbar. Dazu gehören ein lückenloses, planes Auflegen eines neuen Papiers auf die Vorlage und das stimmige Einlegen in eine Druckerpresse oder das Beschweren mit Platten, Gewichten bzw. Büchern, um den notwendigen Druck zu erzielen. Knifflig können diese Handgriffe ausfallen, ist ein Verrutschen von Vorlage und zunächst leerem Blatt Papier unbedingt zu vermeiden. Aus dem Verfahren ergibt sich aber auch, dass Gegendrucke auf bereits gebundenen Buchseiten nur angefertigt werden können, wenn man den Klappmechanismus dieses Mediums nutzt. D. h. entweder wird eine Darstellung einer Seite auf die Gegenseite abgedruckt wie im Zeichnungsbuch des französischen Malers Michael Corneille d. J. (1642–1708; Abb. 6),22 oder eine externe Vorlage wird zwischen die leeren Seiten gelegt und das Buch sodann mit Bedacht darauf, nichts zu verschieben, zugeklappt und gepresst. Letzterer Prozess wäre denkbar, doch werden offenbar bessere Ergebnisse mit ungebundenen oder fadengehefteten Papieren erzielt, aus denen im Nachhinein ein Buch entstehen konnte. Fol. 25v/26r eines im Städel aufbewahrten süddeutschen Skizzenbuches von 159523 kann die Problematik in ihrer Komplexität verdeutlichen. Denn auf fol. 25v wurde der Abdruck einer unbekannten Federzeichnung mit einer Aktäon-Szene platziert und direkt danach die Seite, welche heute als fol. 26r eingebunden ist, darübergelegt, so dass darauf ein weiterer Contre-preuve entstand. Dieser ist zwar schwächer und heller, verhält sich aber seitenrichtig zur allerersten Vorlage, was für die Weiterentwicklung der Komposition aus künstlerischer Perspektive von Nutzen gewesen sein kann. So naheliegend es wäre, das Abklatschen in einem bereits gebundenen Buch zu vermuten, so sehr ist aus einem triftigen Grund in diesem Fall davon abzusehen. Denn die beiden Gegendrucke liegen in der Bindung, welche als ursprünglich gelten darf,24 nicht direkt übereinander, sondern sind in der Höhe

22 Thomas Ketelsen (Hrsg.), Der Abklatsch. Eine Kunst für sich (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Köln 2014, S. 77, Nr. 23. Da Corneille die Verso-Seiten durchgängig freiließ, dürfte er den autopoietischen Abklatsch auch als Fixierungsmethode der Rötelzeichnung eingesetzt haben, die nun von überschüssigen Pigmenten befreit ist. Den hier diffusen Gegendruck hat er wiederum mit Konturstrichen überarbeitet. Mit Dank an Michael Venator für weiterführende Gespräche. Siehe außerdem Nicolaes Berchems Skizzenbücher (Abb. 6, 8, 9) in Robert Fuccis Beitrag in diesem Kapitel. 23 Monogrammist HWB, Zeichenbuch von 78 Blatt mit sakralen und mythologischen Studien sowie Wappen, 1595, Feder in Schwarz, gelegentlich blau oder grau laviert, einige Blätter koloriert, viele Darstellungen sind Gegendrucke, zum Teil überzeichnet, alter Pergamenteinband, 225 × 163 mm, Frankfurt a. M., Städel Museum, Inv. Nr. 14427. Edmund Schilling, Kurt Schwarzweller, Katalog der deutschen Zeichnungen. Alte Meister (Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstitut), München 1973, S. 37–38, Nr. 144, Taf. 38, 236; Heinrich Geissler, Die Zeichnungen des Augsburger Bildhauers Caspar Meneller. Überlegungen zum Kopierwesen in Deutschland um 1600, in: Münchner Jahrbuch 34 (1983), S. 59–100, S. 59. 24 Mit Dank für die Bestätigung und weiterführende Besprechungen an die Restauratorinnen Ruth Schmutzler vom Städel Museum sowie Sonja Schwoll (London, The National Archives).

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Abklatsche wie sie im Buche stehen

Abb. 6  Michael Corneille d. J. (zugeschr.), Weibliche Standfigur, 1660/62, Rötel auf Vergé, 227 × 165 mm, Köln, Privatsammlung, fol. 21v/22r

auf ihrem jeweiligen Blatt verschoben. Daher muss die Bindung der Lagen erst nach Fertigstellung der Gegendrucke erfolgt sein, auch wenn bei der Zusammenstellung der Lagen darauf geachtet wurde, dass zueinander gehörige Darstellungen auf Doppelseiten zusammenblieben. Dieses Fallbeispiel zeigt aber auch, dass Umdrucke von externen Vorlagen wie auf fol. 26r bevorzugt mit ungebundenen Seiten durchgeführt wurden. Bestätigt wird ein solcher Vorgang beispielsweise auch anhand der mehrfachen, nicht aber voneinander abgedruckten Darstellungen vom Raub der Europa auf fol. 16v/17r (Abb. 7).25 Denn die Linien verlaufen bei der mittleren Figurendarstellung so eng am Falz, dass ein Abdruckverfahren aufgrund der nicht plan aufzuklappenden Bindung im Buchformat ausgeschlossen ist. Allerdings treffen die über beide Buchseiten gehenden Linien so perfekt aufeinander, dass das Nachziehen der abgedruckten Linien wiederum erst im gebundenen Zustand stattgefunden haben wird. Dass die Linien nachgearbeitet wurden, wird vor allem im Vergleich mit nicht überarbeiteten Partien ersichtlich. So ist etwa der untere Teil der Darstellung auf dem Recto blass und zeigt neben Spuren eines wässrigen Übertragungsverfahrens deutlich das matte Erscheinungsbild der gedruckten Linien. Hingegen wird die Überarbeitung an Stellen besonders deutlich, in denen die nachgezogenen Linien von den übertragenen abweichen, wie im Haar der sich ebenfalls umdrehenden Europa auf dem Verso zu beobachten. Anders als bei den Aktäon-Szenen handelt es sich hier jedoch nicht um spiegelverkehrt übereinstimmende Kompositionen, sondern um symmetrisch angeordnete, jedoch 25 Ich danke sehr herzlich Ruth Schmutzler und Martin Sonnabend für die Anfertigung der Abbildungen, die ob der anfälligen Bindung eines besonders behutsamen und aufwändigen Verfahrens bedurfte.

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Abb. 7  Monogrammist HWB, Raub der Europa, 1595, Gegendrucke, auf Vergé, 225 × 163 mm, Frankfurt a. M., Städel, Inv. Nr. 14427, fol. 16v/17r

variierte Ansichten derselben Figurenkonstellation. Denn die Darstellungen unterscheiden sich allein in der Vorder- bzw. Rückansicht, woraus ein besonderes Interesse an Dreidimensionalität hervortritt. Möglicherweise gaben bereits die abgedruckten Federzeichnungen zwei Ansichten eines plastischen Werks wieder, das aus der Gegenbewegung von Stierkopf, der behände an den Hörnern gepackt wird, und Reiterin, die den Kopf abwehrend zurückwirft, eine energetische Kraft entwickelt. Diese raumgreifenden Bewegungen lassen in der Tat auf den Zusammenhang mit einer Skulptur schließen und deren zweifache Ansicht dürfte einen Anlass für Heinrich Geissler gegeben haben, im Zeichner einen Goldschmied zu vermuten, der sich einen Motivvorrat aus neutestamentarischen wie mythologischen Darstellungen zusammengestellt und auf die ersten Seiten des Büchleins eine kleine Sammlung von Wappen in Kupferstichen sowie Contre-preuves eingeklebt hat. Vor einem anderen Hintergrund erhält die Überlegung der Zunft- oder zumindest Dis­ ziplinzugehörigkeit des Zeichners weitere Dimension. Ungefähr mittig im Buch auf fol. 49r findet sich die Studie eines Torso (Abb. 8), der freilich nicht vollends mit demjenigen vom Belvedere übereinstimmt, doch Ähnlichkeiten zu verschiedenen Nachzeichnungen aufweist, die bis nach Süddeutschland gelangten.26 Noch ähnlicher scheint jedoch die Referenz auf 26 Süddeutschland, Antiker Torso und flötespielender Faun in zwei Ansichten, 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, Feder in Schwarz, dunkelgrau laviert, weiß gehöht, auf rotbraun grundiertem Vergé, 443/439 × 304/302 mm, Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 908; Hans Dickel (Hrsg.), Zeichnen seit Dürer.

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Abb. 8 Monogrammist HWB, Studie eines Torso, 1595, Feder in Braun, grau laviert, gelb und rötlich koloriert, auf Vergé, 225 × 163 mm, Frankfurt a. M., Städel, Inv. Nr. 14427, fol. 49 (recto)

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Abb. 9  Niederlande(?), Hans Morinck zugeschrieben, Der Böse Schächer, um 1600, heller Ton, gebrannt, H 28 cm, Konstanz, Städtische Museen, Rosgartenmuseum, Inv. Nr. s 31 b

michelangeleske Werke, die in Kleinplastiken sowie Nachzeichnungen auch über die Alpen hinweg rezipiert wurden, wie beispielsweise die in hellem Ton von einem wohl niederländischen Künstler um 1600 angefertigte Plastik in Konstanz veranschaulicht (Abb. 9).27 Ausgerechnet ein solches Artefakt wird in dem ansonsten einigermaßen unbunten Büchlein koloriert, so dass aus den Lavierungen in Gelb und Grau kombiniert mit Rötel in den verschatteten Muskelpartien eine differenzierte Oberflächengestaltung entsteht, die den Körper mittels des evozierten matten und nicht strahlend glänzenden Widerscheins prägnant hervorhebt, die fingierte Materialität aber weitgehend undefiniert lässt. Darüber hinaus sorgen für eine Verräumlichung die mehrfach überlagerten Schlagschatten, die vom BerühDie süddeutschen und schweizerischen Zeichnungen der Renaissance in der Universitätsbibliothek Erlangen (Kat. Erlangen, Universitätsbibliothek), Petersberg 2014, S. 282–284, Nr. 453 (Manuel Teget-Welz). 27 Der Göttliche. Hommage an Michelangelo (Ausst. Kat. Bonn, Bundeskunsthalle), München 2015, S. 266, Nr. 221 b (Georg Satzinger). – Zur Rezeption des Torso von Belvedere und zum Non-finito bei Michelangelo s. Leonard Barkan, Fragments, in: ders., Unearthing the Past: Archaeology and Aesthetics in the Making of Renaissance Culture, New Haven u. a. 1999, S. 189–207.

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rungspunkt des rechten Oberschenkels ausgehen und dem Torso den Anschein verleihen, aufrecht mit der rechten Schulter an einer Wand zu lehnen. Mit diesem schleierhaft aufgetragenen Schlagschatten erhält das Papier augenscheinliches Volumen, wird dessen Wölbung zum ungebundenen Blattrand hin evoziert und damit dessen Labilität beim Blättern indiziert. Dieses Blatt ist sowohl aufgrund der unvergleichlich vielstufigen und aufwendigen Ausführung, die einen der Kolorierung vorausgegangenen Contre-preuve nicht mehr sicher bestimmen lässt, als auch wegen seiner ungefähr mittigen Anordnung im Buch sowie die Referenz auf die wiederbelebte Antike als Verweis auf die Genealogie und fortgeschriebene Tradition der Kunst von unbedingter Bedeutung. Hinzu kommt, dass es die einzige innerhalb des Buches auftretende Beischrift des Zeichners trägt: Oben mittig steht das Datum 21. September (15)95 mit dem Monogramm „HWB“ geschrieben. In Anbetracht der herausragenden Stellung der Zeichnung innerhalb des Büchleins geht man wohl nicht fehl, die Beischrift als quasi krönenden Abschluss des Körperfragments anzusehen und insofern gar als Platzhalter für den Kopf, der nun eigens auf den Künstler selbst verweist. Paradigmatisch verschmelzen hier kunsttheoretische Vorstellungen des mit dem Intellekt verbundenen disegno – der künstlerischen Erfindungskraft, Phantasie und Kreativität – und der praxistheoretischen Prämisse, diese mit dem Studium und Nachzeichnen von meisterhaften Artefakten zu bereichern, um aus der Tradition heraus Neues zu schaffen. Auch wenn es dabei nach Cennino Cennini etwa ebenso um die Schulung der Handfertigkeit geht,28 scheint der Monogrammist HWB mit diesem Blatt zunächst eine andere Richtung einzuschlagen. Denn denkt man die hier inszenierte Aneignung des fragmentierten Körpers konsequent weiter, fehlen diesem nicht nur der Kopf, sondern ebenso die Gliedmaßen und damit die für die künstlerische Arbeit so notwendigen Hände. Folgt man dieser Fährte, stellt sich die Überlegung ein, ob hiermit eine Anspielung auf die künstlerische Schaffenskraft ins Bild gesetzt ist und entsprechend des topischen Raffaels ohne Hände auf das Primat der Phantasie verwiesen wird.29 Auch wenn somit die künstlerische Ausführung ins Hintertreffen zu geraten droht, lassen sich über die damals virulente paragone-Debatte praxeologische, ästhetische und soziokulturelle Aushandlungsprozesse der beiden künstlerischen Disziplinen Malerei und Bildhauerei ermitteln, die einen primär plastisch arbeitenden Goldschmied bewegt haben mochten. Der reflexive Charakter des Blattes bringt dementsprechend ein Ringen von entgegengesetzten Perspektiven zum Ausdruck, einen Wettstreit der Künste, der mit dem michelangelesken Torso gar im ebenso topischen Paragone der beiden höchst gefeierten Renaissancekünstler Raffael und Michelan28 Vgl. Wolf-Dietrich Löhr, Handwerk und Denkwerk des Malers. Kontexte für Cenninis Theorie der Praxis, in: Wolf-Dietrich Löhr, Stefan Weppelmann (Hrsg.), Fantasie und Handwerk. Cennino Cennini und die Tradition der toskanischen Malerei von Giotto bis Lorenzo Monaco (Ausst. Kat. Berlin, Gemäldegalerie), München 2008, S. 152–177. 29 Vgl. dazu Birgit Recki, Raffael ohne Hände? Kant, Lessing, Valéry und andere über Bedingungen der Möglichkeit von Kunst, in: Violetta L. Waibel, Konrad P. Liessmann (Hrsg.), Es gibt Kunstwerke – Wie sind sie möglich?, Paderborn 2014, S. 33–53, vor allem S. 41–45, S. 42 zur Verbreitung des Topos bereits im frühen 16. Jahrhundert.

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gelo münden mag. Erweitert man diesen Kreis um die transalpine Perspektive gehört wohl Albrecht Dürer dazu, der ein raffaeleskes Rötelblatt mit männlichen Aktstudien zu seinem Besitz zählte, das er mit der bekannten Beischrift versah: „1515 / Raffahell de Urbin der so hoch peim / popst geacht ist gewest hat der hat / dyse nackette bild gemacht vnd hat / sy dem albrecht dürer gen nornberg / geschickt Im sein hand zw weisen“.30 Auf im Nachhinein fast ironische Weise verschränkt sich hier die oben angesprochene neuplatonische Nobilitierung von Raffaels Erfindungskraft, die laut Birgit Recki „frei von Einschränkungen und desto genialer produzieren“31 kann, mit der Virtuosität seiner Ausführung, die selbst Dürer anzuregen vermochte.32 Unter diesem Spannungsbogen verknüpfen sich Händigkeit und Intellekt erneut zu einem unlöslichen Wechselspiel. In Anbetracht dessen, dass der Monogrammist HWB in dem Büchlein ein reiches Motivrepertoire zusammengetragen hat, das er in den meisten Fällen in einem von der damaligen Kunsttheorie vernachlässigten Verfahren, also dem Gegendruck, herstellte, überantwortete er die formale Übertragung einem partiell mechanischen Vorgang und koppelte es zunächst von einer virtuosen Handarbeit, aber auch von einer im modernen Verständnis kreativen Leistung ab. Beides jedoch wird genährt durch eben dieses Prozedere, das eine materiell reduzierte Übertragung einer nunmehr ebenso materiell geschwundenen Vorlage bewerkstelligt und somit eine Weitergabe des Vorbilds erzielt, die gar zu einer Perpetuierung dessen führen kann. Weder die Trennung von Geist und Hand und noch weniger die Aufwertung des einen und die darauf basierende Abwertung des anderen scheinen einen Platz in der Arbeit des Künstlers zu haben, wohl aber die je eigene Wertschätzung der Kopf-Hand-Arbeit eines ganzheitlich wahrgenommenen Körpers. Dass dieser nun gerade fragmentarisch dargestellt und als solches inszeniert wird, mag auf den etablierten Mangel einer ganzkörperlichen Wahrnehmung zurückverweisen. Letztlich ließe sich hiervon gar eine Brücke zum Gegendruckverfahren schlagen, das wie das Fragment zwischen Präsenz und Absenz angesiedelt ist und wie dieses ob seiner Fehlstellen auf etwas Abwesendes, Verlorenes verweist, um es zugleich  – wie nur in der Imagination möglich  – zu reaktivieren.33 Wenn man den Fragment-Begriff jedoch in seiner zweiten Dimension als Bezeichnung für etwas Unfertiges auf-

30 Raffael, Zwei Aktstudien, 1515, Rötel auf Vergé, 403 × 283 mm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 17575. Christopher S. Wood, Eine Nachricht von Raffael, in: Friedrich Teja Bach, Wolfram Pichler (Hrsg.), Öffnungen. Zur Theorie und Geschichte der Zeichnung, München 2009, S. 109–137. 31 Recki 2014 (wie Anm. 29), S. 44. 32 Angesichts von Albrecht Dürers Selbstbildnis als Akt [1503(?), Feder und Pinsel in Schwarz, weiß gehöht, auf grün grundiertem Vergé, 291 × 153 mm, Weimar, Klassik Stiftung, Inv. Nr. KK 106] wird diskutiert, inwieweit das dezidierte Fehlen der Hände nicht auf ähnliche Weise die künstlerische Schöpfungskraft und Händearbeit adressiert. Mit Dank an Wolf-Dietrich Löhr für Austausch und weiterführende Hinweise. Siehe Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer (zugleich Dissertation, Dez. 2012), hrsg. v. Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin, Paderborn 2016, S. 217–218, 268–269, 275, Taf. IV.26. 33 Jacqueline Lichtenstein, The Fragment. Elements of a Definition, in: William Tronzo (Hrsg.), The Fragment. An Incomplete History, Los Angeles 2009, S. 115–129, S. 120.

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Abb. 10 Monogrammist HWB, Neptun, 1595, Feder in Graubraun, grau laviert, auf Vergé, 225 × 163 mm, Frankfurt a. M., Städel, Inv. Nr. 14427, fol. 47 (verso)

ruft, tritt die Potentialität in den Vordergrund,34 die Meders Bezeichnung des Surrogats für das Abklatschverfahren ins Positive zu wenden vermag, indem es als Kondensat einer Bildfindung eine weitere Bearbeitung anregt. Die im Büchlein versammelten Darstellungen weisen auf einen im süddeutschen Raum anzusiedelnden Motivvorrat hin, zu dem der Monogrammist HWB offenbar hinreichenden Zugang hatte, um sogar Gegendrucke abzunehmen. Dass er überhaupt zu diesem Verfahren griff, kann mehrere Ursachen haben. Einerseits könnte ihn das Interesse an formaler Übereinstimmung mit den Vorlagen geleitet haben, an denen er möglicherweise auch seine Handfertigkeit beim Überarbeiten und Nachzeichnen der Linien schulte, andererseits könnte ein gewisser Zeitdruck in einer unruhigen Arbeitsatmosphäre diese Wahl befördert haben, insofern eine ruhige Handführung situativ nicht möglich war, das Befeuchten und Abdrucken der Blätter jedoch gelingen konnte. Dass allerdings der Zeitfaktor beim Gegendruckverfahren nicht zu unterschätzen ist, auch wenn im Wort „Abklatsch“ schon nach dem Grimm’schen Wörterbuch ein rascher Vorgang aufscheint, mag im Laufe des Projektes eine lehrreiche Erfahrung gewesen sein. Denn die Umdrucke des Büchleins fielen häufig blass aus und harrten einer Überarbeitung. Es bedarf zweifelsohne eines guten Maßes an Sorgfalt sowie einer gewissen Zeitspanne für den Trocknungsprozess. Daran wird es eher gemangelt haben, als dass die stilistisch zeitnah einzuordnenden Vorlagen zu alt gewesen sein sollten, um deutlichere Gegendrucke davon zu nehmen. So geht auch die Flussgott-Darstellung auf fol. 47v (Abb. 10) mit Blick auf eng verwandte Federzeichnungen in München und Erlangen auf süddeutsche Vorlagen des ausgehenden 34 Kay Malcher et al. (Hrsg.), Fragmentarität als Problem der Kulturwissenschaften. Einleitung, München 2013, S. 9–32, S. 11.

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16. Jahrhunderts, möglicherweise auf eine Komposition Georg Pechams zurück.35 Mit zögerlicher Hand, um Baudelaire aufzugreifen, suchte der Monogrammist HWB, die Konturen gemäß dem Vorbild nachzuziehen, setzte unsystematische, hiebartige und zuweilen gekritzelte Schraffuren sowie summarische, nicht überall plastische Lavierungen. Beispielsweise am Blattwerk oben links lässt sich beobachten, dass die Ausführung leicht von den anderen Versionen abweicht. Diese Differenz veranschaulicht einen wesentlichen Unterschied zum Gegendruck, der solche Abweichungen nur in starker Überarbeitung zugelassen hätte. Dass der Monogrammist hierbei jedoch nicht zum Umdruckverfahren gegriffen hat, könnte auf die komplexer mit Lavierungen ausgeführte Vorlage zurückzuführen sein, während die nachweislichen Contre-preuves in diesem Büchlein von rein linearen Federzeichnungen stammen. Die Flussgott-Darstellung lässt daher die Zeichenkompetenz des Monogrammisten erkennen und belegt zudem, wie groß dessen Interesse war, geläufige Bildfindungen zusammenzutragen, um sein eigenes Werk referenziell sowie aktuell zu bereichern und somit verkaufsfreundlich zu gestalten. Die spätere Bindung zu einem Buch bekundet das Bestreben, den Motivvorrat nicht nur zu schützen und geordnet mobil machen zu können, sondern auch mit dem nunmehr erforderlichen Um- und Durchblättern Bezüge herzustellen, die kreativ zu nutzen waren und nach Christoph B. Schulz „das Buch als eigenständige Form interessant“36 machen. Das Blättern kann aber auch als raumgreifende Aktion und Störfaktor eine Zäsur ergeben, wie etwa freie Seiten einen Rahmen und Freiraum entsprechend eines Passepartouts für eine gewichtige Darstellung bieten und diese prononcieren, wie es die gegenüberliegende Seite des Torso und sein Verso tun.

3. Virtuose Abklatsche Wie die stilistischen Einordnungen der Vorbilder, auf die der Monogrammist HWB zurückgreifen konnte, eine zeitnahe Anfertigung im ausgehenden 16. Jahrhundert belegen, verwei-

35 Süddeutschland, Flussgott mit Neptun und Meerwesen im Schilf, 1593 datiert, Feder in Grau, grau laviert, auf Vergé, 215 × 153 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 9197 Z; Hans Troschel (1585–1628) zugeschrieben, Flussgott mit Neptun und Meerwesen im Schilf, 1. Viertel des 17. Jahrhunderts, Feder in Schwarz, grau laviert, auf Vergé, 199 × 287 mm, Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 640; Hans Troschel (1585–1628) zugeschrieben, Flussgott mit Neptun und Meerwesen im Schilf, 1. Viertel des 17. Jahrhunderts, Feder in Schwarz, grau und braun laviert, auf Vergé, 199 × 277 mm, Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 641. Außerdem in Schilling/Schwarzweller 1973 (wie Anm. 23), S. 38, fol. 47v Hinweis auf eine Version in der ehemaligen Fürstlich Öttingen-Wallersteinschen Sammlung in Harburg/Donau-Ries. Bislang unpubliziert befindet sich eine weitere Nachzeichnung in München: G. W. Gr(a)esner, Flussgott mit Neptun und Meerwesen im Schilf, 1636 datiert, Feder in Schwarz, grau laviert, auf Vergé, 228 × 172 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Sammlung Halm-Maffei, II, 57, Inv. Nr. 30015 Z. Mit herzlichem Dank an Achim Riether für Auskunft und Recherche. 36 Christoph B. Schulz, Poetiken des Blätterns, Hildesheim/Zürich/New York 2015, S. 31. Freilich bezieht sich Christoph Schulz auf Textbücher mitunter mit Illustrationen und zielt auf inhaltliche Bezüge, doch lassen sich in Zeichnungsbüchern auf visueller Ebene vielschichtige Bezüge ermitteln, die etwa das ästhetische Erscheinungsbild, die Ikonographie oder die künstlerische Technik adressieren.

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sen weit besser gelungene Umdrucke von Federzeichnungen aufgrund prägnanterer Linien erst recht auf eine solche. 32 in Weimar aufbewahrte Contre-preuves wurden einst von Peter Flötners originalen Illustrationen in einem Exemplar der damals aktuellen Luther-Übersetzung der fünf Bücher Moses von 1523 abgenommen, die in der Offizin bei Melchior und Michael Lotter in Wittenberg gedruckt worden war. Von Flötners Originalen sind 35 in Erlangen erhalten.37 An diesem herausragenden Beispiel lässt sich die Bedeutsamkeit des Gegendruckverfahrens auch dahingehend ablesen, dass zwölf Exemplare allein im Umdruck erhalten sind und die Reihe der im Original erhaltenen Sujets bereichern. Was sich indes nicht mehr ermitteln lässt, ist die ursprüngliche Anzahl der Illustrationen, die dem Verfahren ob der guten Qualität der meisten Abdrucke sicherlich erst unterzogen wurden, nachdem sie aus dem Buchkontext herausgeschnitten waren. Ebenso ist ungewiss, ob es nicht auch noch weitere Contre-preuves gegeben hat. Dass Flötners Illustrationen jedoch mit hoher Sorgfalt38 vermutlich einst lückenlos dupliziert wurden, veranschaulicht sowohl die hohe Wertschätzung, die den unkonventionellen Bildfindungen zu einer religionspolitisch aktuellen Position entgegengebracht wurde, als auch den damals unbefangenen Umgang mit solchen Arbeiten auf Papier. Denn das Herauslösen aus ihrem ursprünglichen Kontext und deren Abdrucken dürfte weniger auf eine Geringschätzung des Materials zurückzuführen sein, als ganz im Gegenteil auf eine besondere Anerkennung der künstlerischen Leistung, zumal sich diese auf einen aktuellen religions- und soziopolitischen Diskurs bezieht. Dessen Brisanz wird zu Zeiten des Projekts, das vermutlich um das Todesjahr des von Barbara Dienst überzeugend ermittelten ersten Besitzers, des Humanisten und Reformationsanhängers Vincentius Obsopoeus, 1539 anzusetzen ist,39 kaum abgeklungen sein. War es einst ein individuelles Projekt, für das mit Peter Flötner ein eigenwilliger Künstler ausgewählt wurde,40 wurde mit den Gegendrucken nun eine Rezeption der faszinierenden Darstellungen ermöglicht, die sich über weitere Nachahmungen in jedweder Technik verbreiten konnte. Dass die frei erfundenen Bildlösungen jenseits eines ikonographischen Kanons allerdings zu Missverständnissen führen konnten, zeigen die späteren, paläographisch noch ins 16. Jahrhundert datierenden Beischriften auf den Gegendrucken wie beispielsweise auf jenem mit der Darstellung Verbot von Altären mit Stufen (2. Mose 20,26), der mit dem unzutreffenden Stellenverweis „exodi 34“ versehen wurde (Abb. 11).41 Gleichwohl lässt sich an

37 Iris Brahms, Unmittelbare Nähe als passives Potential der Inspiration. Zu Peter Flötners Bibelillustrationen im Umdruck, in: Ketelsen 2014 (wie Anm. 22), S. 90–94; Kat. Erlangen 2014 (wie Anm. 26), S. 93–97, Nr. 133–164 (Iris Brahms) mit weiterführender Literatur. 38 Diese Folge lässt wunderbar beobachten, dass selbst bei versierter Durchführung zuweilen das Befeuchten auf Kosten des Originals gehen konnte, s. Abrahams Treuebund mit Abimelech [1. Mose 21,22–24 (fol. XIIIr), Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 332; Kat. Erlangen 2014 (wie Anm. 26), Nr. 141r], während der entsprechende Umdruck (Weimar, Klassik Stiftung, Inv. Nr. 296,745.5) gut gelang. 39 Barbara Dienst, Der Kosmos des Peter Flötner. Eine Bildwelt der Renaissance in Deutschland, München/ Berlin 2002, S. 57–58, 202–240. 40 Dienst 2002 (wie Anm. 39), S. 22–23. 41 Vgl. Dienst 2002 (wie Anm. 39), S. 221, Nr. 28.

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Abb. 11 Gegendruck von Peter Flötner, Verbot von Altären mit Stufen, ca. 1539, Tusche auf Vergé, 62 × 65 mm, Weimar, Klassik Stiftung, Inv. Nr. 296,745.22

den Beischriften das Bemühen um eine gezielte Zuordnung ablesen. Das zweifelsfrei feststellbare dokumentarische Interesse bei der Durchführung des Gegendruckverfahrens scheint allerdings von einer Wertschätzung des zeichnerischen Duktus begleitet zu sein: Wenn der Umdruck gegenüber dem Original auch blasser ausfiel, ist hieran doch erstaunlich, wie sehr der einstige Zeichenprozess mit pigmentdichteren Linienansetzen und pigmentärmer auslaufenden Linienzügen nachvollziehbar bleibt, sich eine Zeitlichkeit der zeichnerischen Ausführung ebenso im quasi passiv übertragenen Liniengebilde einschreibt und dieses abgenommene, abgedruckte Liniengespinst durch eine dem Original kongruente Dynamik bereichert. Eine eigene Spannung entsteht mit der ursprünglich linkslastigen Komposition durch die nunmehr seitenverkehrte Drift nach rechts, der der Schreiber seine prägnante Notation förmlich entgegensetzt. Auf die Blattseite entsprechender Darstellung des Originals (Abb. 12) schlägt vielsagend eine weitere Illustration Flötners durch, die zum einen von Flötners freier Verteilung seiner Bildkommentare und ihrer Bezüglichkeit zum Textinhalt zeugt, zum anderen die Referenzialität innerhalb seiner eigenen Bildfindungen aufzeigt, indem hier zum Verbot silberner und goldener Götter (2. Mos. 20,23)42 eine ähnliche, offensichtlich antikisierende Statue im Bildzentrum emporragt. Beide Statuen – und noch dezidierter letztere – lassen mit dem Spitzbart und schmalen Gesicht Anleihen auf Selbstbildnisse des Künstlers erkennen, die Flötner häufig selbstreferenziell in seine Werke integrierte. Wie beim späteren Monogrammisten HWB erhält dies für einen Künstler, der vor allem als Entwerfer von Goldschmiedearbeiten und Interieurs sowie als Druckgraphiker tätig war, besondere Bedeutung, konnte sich in derartigen eher inoffiziellen und privaten Medien die künstlerische Freiheit auch auf kritische Art entfalten, die in komplexen soziokulturellen Zusammenhängen Aufschluss über den Status der spezifischen Disziplinen geben. Dass die künstlerische Ausstattung von Gebrauchsgegenständen 42 Vgl. Dienst 2002 (wie Anm. 39), S. 220, Nr. 26.

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Abb. 12 Peter Flötner, Verbot von Altären mit Stufen, ca. 1523, Tusche auf Vergé, 100/98 × 52 mm, Erlangen, Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 336 (verso)

niemals an „Gewöhnlichkeit“ grenzte, darauf mochte Flötner mit seinen Selbstbildnissen hinweisen. Auch wenn die Weimarer Gegendrucke nicht in Flötners Verantwortungsbereich fielen, erhalten sie für unseren Kontext eine weitere Dimension der Wertschätzung und kenntnisreichen Würdigung, wenn man bedenkt, dass Gegendrucke in der Praxis von Goldschmieden und Druckgraphikern zur Übertragung besonders üblich waren; ersteres nicht zuletzt auch deswegen, weil die Seitenverkehrung bei Pokalentwürfen folgenlos blieb.43

4. Conclusio Kann der naheliegende Ansatz, dass das Potenzial zusammenklappender Seiten eines gebundenen Buches für das Gegendruckverfahren von Künstler:innen gewinnbringend genutzt wurde, an einigen Beispielen nachgewiesen werden (Abb. 6; Fucci Abb. 6, 8, 9), lassen sich

43 Vgl. Peter Flötners Doppelpokal in Erlangen [Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 386; Kat. Erlangen 2014 (wie Anm. 26), S. 103, Nr. 176 (Iris Brahms)] mit dessen Umdruck in Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum, Inv. Nr. Hz. 283; Fritz Zink, Die Handzeichnungen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Die deutschen Handzeichnungen I, Nürnberg 1968, S. 132–133, Nr. 104).

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auch die ungezielt entstandenen Abdrucke in Alben und auf einstigen Albumseiten als Bestätigung für dieses phänomenologische Prinzip beanspruchen. Wenn auch nicht künstlerisch intendiert, erlauben diese hinterlassenen Spuren im Fall der ehemaligen Kölner Jesuitensammlung etwa eine Rekonstruktion der Nachnutzung, nämlich der Zusammenstellung von Zeichnungen, bevor eine weitere Nachnutzung diesen Kontext auflöste. In dieser Hinsicht aufschlussreich ist die Bilanz, dass die Separierung von Flötners Bibelillustrationen zwar ein Interesse an der einzelnen Zeichnung aufweist, dies jedoch nicht zur Vereinzelung der Blätter führte, die bis heute gebündelt in den beiden Sammlungen Erlangen (die erhaltenen Originale) und Weimar (die erhaltenen Contre-preuves) aufbewahrt werden. Das Herausschneiden aus dem Buchkontext ermöglichte erst, wenn es nicht gar ausschlaggebend für diese Entscheidung war, bei versierter Handhabung hochqualitative Gegendrucke herzustellen. Insofern die erhaltenen Originale und Umdrucke separiert auf die beiden Sammlungen verteilt sind, legt den Schluss nahe, dass die Gegendrucke als eigenständige Kopien angesehen wurden und ohne dazugehöriges Original rezipiert wurden, sei es in einer Sammlung oder auch einem Motivvorrat, der möglicherweise weitere Darstellungen zu diesem Themenkomplex auslöste. Als geschätzte Kunstwerke beurteilte auch der Monogrammist HWB die durch Gegendrucke versammelten Vorlagen, um sie dann durch sein Werk zu perpetuieren. Dabei eignete er sie sich durch seine Be- und Überarbeitung wie Zusammenstellung an, die er alsdann in einem Büchlein zusammenband. Dieser Befund führt zur Rezeption des Büchleins als versammelter Bilderspeicher und als Wissensgrundlage, deren geistige Tragweite sich an dieser Stelle nur erahnen lässt. Die Anerkennung der anspruchsvollen Leistung wurde oben durch ihre unzweifelhafte und unlösliche Verquickung mit der geistigen Dimension verdeutlicht. Die Ansätze gestalten sich selbst in der modernen Kategorie des Ready made nicht unähnlich, was Birgit Recki wie folgt prononcierte und damit den von Didi-Huberman entfachten Kreis vom Palimpsestcharakter des Abdrucks zur Referenzialität des Objet trouvé unter anderem Gesichtspunkt zu schließen vermag: Es würde den Rahmen des gegenwärtigen Beitrags sprengen [ebenso auch des vorliegenden; IB], an dieser Stelle auf die zeitgenössische Kunstontologie in ihren differenzierten Befunden einzugehen. [Anm. 26: Siehe exemplarisch Reinold Schmücker, Was ist Kunst? Eine Grundlegung, München 1998.] Stattdessen reicht hier womöglich auch der Hinweis auf die weit verbreitete Intuition, dass es selbst noch in Fällen eines extrem zurückgenommenen Werkcharakters wie etwa beim Transfer eines Ready made oder objet trouvé ein Akt der Interpretation, der Benennung, der Kontextualisierung – und damit allemal ein geistiger Akt ist, auf den wir rekurrieren, wenn wir uns den Kunstcharakter des fraglichen Objektes klarmachen wollen.44

44 Recki 2014 (wie Anm. 29), S. 41.

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Daran ist unbedingt anzuknüpfen und darüber hinaus an künstlerischen Techniken wie hier stellvertretend am Gegendruckverfahren nicht nur der geistige Akt anzuerkennen, sondern ebenso die alle Sinne einbeziehende leibliche Aktivierung, die – indem sie agiert – immer auch reagiert und etwa bei unentwegter Schulung, Förderung und Herausforderung zur Leidenschaft und unbewussten Gewohnheit, ja zum Selbstläufer werden kann und so in einem unlöslichen Wechselspiel auf das Bewusstsein und die Wahrnehmung zurückwirkt. Obgleich Maurice Merleau-Ponty die Schlussfolgerung – „Jede Technik ist ‚Technik des Körpers‘. Sie verkörpert und erweitert die metaphysische Struktur unseres Leibes (chair).“45 – seinen Überlegungen zur Reflexivität des Spiegelbilds anschließt, entfaltet sie in unserem Kontext eine ebenso gewichtige Wirkkraft: Denn eine solch weitreichende Dimension mag im künstlerischen Prozess in ähnlicher Weise bei gespiegelten Darstellungen wie etwa beim Abklatsch und in der Druckgraphik, aber auch bei Porträts und noch vehementer bei Selbstbildnissen zu ermitteln sein. Merleau-Ponty fährt damit fort, dass „der Mensch […] für den Menschen Spiegel“ sei, womit er darauf hinweist, dass die Wahrnehmung uns immer einen Spiegel vorhält und darin „die Metamorphose des Sehenden und des Sichtbaren“46 erkennbar wird. In jedem Fall ist der Contre-preuve nicht ohne körperlichen Einsatz denkbar und seine Vorbedingungen sowie Nachwirkungen ein primär kognitives Ereignis wie Erlebnis, das diese Zeichentechnik auf höchstes Reflexionsniveau stellt.

45 Merleau-Ponty 1984 (wie Anm. 3), S. 287. 46 Merleau-Ponty 1984 (wie Anm. 3), S. 288.

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Robert Fucci

The Mirror of Process: Nicolaes Berchem and the Rise of Counterproof Drawing ­Practices in the Netherlands

The Dutch Italianate painter Nicolaes Berchem (1622–1683) was a brilliant and committed draftsman who was wide-ranging in his techniques and constantly willing to explore the visual potential of various drawing media. He was also one of the first Dutch artists to regularly make counterproofs of his drawings. Berchem’s exploration of counterproofing as a process and his considerations of its functional potential could be quite various, and it deserves a separate study in its own right. This paper will necessarily be more limited in scope, and will begin by focusing on one case of particular interest because it appears to be an exceptionally early example, at least in the Netherlands, of a signed and dated replica counterproof drawing. It was worked up by the artist himself, presumably for sale or exchange or some purpose beyond the studio. The counterproof is a link in a larger series of related works, all of the same composition (evidently of great importance to the artist) comprising: the prototype drawing (1654), the aforementioned counterproof drawing (1655), a major painting (1655), a non-autograph drawn copy indented to prepare an etching (1656), and the etching itself (1656 or later, by Jan de Visscher). This study will address the particulars of this sequence, as well as attempt to contextualize the unusual status of the replica counterproof through a discussion of some other chalk studies in Berchem’s oeuvre that reveal him as one of the most significant experimenters with counterproof drawings in seventeenth-century Dutch practice.

1. Berchem and the counterproof as finished replica The main work under discussion is Berchem’s Travelers in an Extensive Italian Landscape, recently donated to the Ackland Art Museum at the University of North Carolina in Chapel Hill by Sheldon and Leena Peck (fig. 1).1 The drawing had been misidentified as a copy by a 1

Previously unpublished. The drawing will appear in the forthcoming exhibition catalogue, Drawn to Nature: Master Drawings from the Age of Rembrandt in the Peck Collection at the Ackland Art Museum,

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Fig. 1  Nicolaes Berchem, Travelers in an extensive Italian landscape, dated 1655, black chalk, brush in brown ink on paper, 145 × 230 mm, Chapel Hill, Ackland Art Museum, Peck Collection, inv. no. 2017.1.3

Berchem follower when it surfaced on the art market in 2003.2 It was only later recognized by Annemarie Stefes as a genuine autograph work generated from a counterproof.3 The extant prototype is an accepted drawing by Berchem signed and dated 1654 that sold at auction in 1993 (fig. 2).4 The counterproof is a compositionally perfect copy in reverse, as confirmed through digital over-layering, and consists purely of the black chalk underdrawing. The washes added with the brush (which of course cannot be counterproofed) were then applied to each drawing separately. One of the only and more significant differences is that the dog trailing behind the main figure group turns his head back towards the viewer

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text by Robert Fucci, Ackland Art Museum, Chapel Hill, North Carolina, September 23 to December 31, 2022, and The Rembrandt House Museum, Amsterdam, March 18 to June 11, 2023. Sotheby’s, Amsterdam, Nov. 4, 2003, lot 106, as ‘Follower of Nicolaes Berchem’, possibly Abraham Begeyn. The drawing surfaced subsequent to the completion of the catalogue raisonné of Berchem’s drawings by Annemarie Stefes, Nicolaes Pietersz. Berchem (1620–1683): Die Zeichnungen, 3 vols. (Ph. D. dissertation, Universität Bern, 1997). Report by Annemarie Stefes dated Nov. 12, 2011, curatorial file, Ackland Art Museum. I would like to further thank Annemarie Stefes for generously sharing her expertise on Berchem’s drawings in conversations and correspondence during the course of research for my entry on the Ackland sheet for the forthcoming exhibition and catalogue of the Peck Collection, and for the present paper, which is an expansion on the topic. Stefes 1997 (as fn. 2), no. II/51.

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Fig. 2  Nicolaes Berchem, Travelers in an extensive Italian landscape, dated 1654, black chalk, grey washes on paper, 146 × 226 mm, Christie’s, Amsterdam, Nov. 15, 1993, lot 59, present whereabouts unknown

instead of facing forward. A slight ‘ghosting’ of the dog’s original head position in the Ackland sheet helps to confirm its status as a counterproof, since the bolder wash applied to reinforce this head turn created a more saturated spot in the image area. The generally pressed nature of the black chalk lines throughout the image are also typical of a counterproof. While we cannot be entirely sure about the exact process used to create the counterproof, it would have been easiest to use a printing press, presumably a roll press for intaglio printing in order to generate enough overall even pressure. A blank moistened sheet would be placed on top of the original drawing, which itself would be supported by a copperplate, and then run through the press with the usual felt blankets.5 Such a process could easily produce a fully legible image in reverse by picking up the original chalk lines. Using a press was precisely how early manuals described the process of making a counterproof. One finds instructions as early as 1645 in Abraham Bosse’s treatise on printmaking (translated into Dutch in 1662), though he dealt strictly with the counterproofing of prints and of preparatory drawings onto plates.6 Only in the eighteenth century would French writers describe the 5

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For a concise and illustrated description of the counterproof process based on historic methods, see Lisa E. Hall, Counterproofs: An Investigation into the History, Materials, Techniques, and Uses of Red Chalk Counterproofs with an Examination of Other Methods of Copying (unpublished MA thesis, Harvard University, 1990), pp. 6–12. Abraham Bosse, Traicté des Maniere de graver en taille douce sur l’airin, Paris 1645; translated into Dutch as Tractaet in Wat Manieren men op Root Koper Snijden ofte Etzen zal, Amsterdam 1662. For a consideration of these sources and techniques in printmaking, see Ad Stijnman, Engraving and Etching

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Fig. 3 Jan de Visscher, Travelers in an extensive Italian landscape, 1656 or later, etching on paper, 157 × 234 mm, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, inv. no. RP-P-OB-61.954

process of counterproofing specifically for the purpose of creating a second ‘drawing’, also through the use of a press.7 Berchem was an enthusiastic printmaker, especially in the 1640s and 1650s, and it is reasonable to presume that he either had a printing press or easy access to one, and that he would have been familiar with counterproofing techniques as part of the usual practice of printmaking.8 The Ackland sheet was formerly dismissed as a copy due to its similarity to Jan de Visscher’s etching of the subject in reverse of the Berchem’s original, and therefore thought to be the prototype for the replica drawing (fig. 3).9 Aside from the shift in the position of the dog’s head, there are other confirmations that the Ackland sheet is not a copy of the etching. The signature and date are convincingly from Berchem’s hand and even more signifi-

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1400–2000: A History of the Development of Manual Intaglio Printmaking Processes, Houten 2012, p. 321. Among others, Charles-Antoine Jombert, Methode pour Apprendre le Dessein, Paris 1755; and Antoine-Joseph Pernety, Dictionanaire portatif de peinture, schulpture et gravure, Paris, 1757. For a thorough study of these and other early sources on counterproof drawings, see Hall 1990 (as fn. 5). For Berchem as a printmaker, see Gerdien Wuestman, Nicolaes Berchem in Print: Fluctuations in the Function and Significance of Reproductive Engraving, in: Simiolus 24 (1996), pp. 19–53; and idem, Berchem as an Etcher: Effortless, Accomplished and Peerless, in: Pieter Biesboer et al. (eds.), Nicolaes Berchem: In the Light of Italy, Ghent 2007, pp. 119–131. Christiaan Schuckman (compiled by), Hollstein’s Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts ca. 1450–1700, vol. 41, p. 66, no. 94.

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Fig. 4 Copy after Nicolaes Berchem (by Jan de Visscher?), Travelers in an extensive Italian landscape, dated 1656, black chalk, grey washes on paper, 147 × 228 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, inv. no. KdZ 330

cantly much of the modeling of the figures carries greater definition and detail than found in the etching, as do the background elements. This can be seen especially well in the figure of the woman, whose form is built up with remarkably subtle gradations through the application of at least four different tones of wash. Berchem’s pupil, Abraham Begeyn (1637– 1697), had previously been suggested as the author of the Ackland sheet (when it was presumed to be a copy) but the wash applications of Begeyn’s drawings tend to be splotchier and far less precise in their ability to model form, whereas the fluency of the brush here clearly reveals the hand of Berchem himself.10 We can conclude that Berchem created a counterproof of his own 1654 drawing, then carefully worked it up the with the brush and washes at some point shortly thereafter to give it a finished appearance. It appears he carried out this work the following year since he dated it 1655. A same-direction copy of the original drawing dated 1656 in Berlin is slightly weaker in character and bears a non-autograph signature (fig. 4).11 Being indented for transfer it is almost certainly the preparatory drawing for Visscher’s etching. Though the etching is un10 Berchem’s hand in the application of the washes has also been confirmed by Annemarie Stefes in her 2011 report in the curatorial file, Ackland Art Museum. For good example of Begeyn’s distinctive application of wash on a signed drawing by him, see the Goatherder and His Flock (Amsterdam, Rijksmuseum, inv. no. RP-T-1897-A-3334). For further distinctions between Berchem and Begeyn, see Eckhard Schaar, Berchem und Begeijn, in: Oud Holland 69 (1954), pp. 241–245. 11 Berlin, Kupferstichkabinett, inv. no. KdZ 330. See Elfried Bock, Jakob Rosenberg, Die niederländischen Meister: Beschreibendes Verzeichnis sämtlicher Zeichnungen, 2 vols., Berlin 1930, p. 78, no. 330, pl. 64

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Fig. 5  Nicolaes Berchem, Italian landscape with figures and animals, dated 1655, oil on panel, 32.8 × 44.1 cm, Windsor, Collection of Her Majesty the Queen, inv. no. RCIN 40818

dated, Visscher probably executed the plate at some point in or shortly after 1656, and therefore fairly early in his working relationship with Berchem, for whom he would eventually execute more prints than any other artist.12 Although the possibility has not been raised previously, it seems reasonable to suggest that Visscher himself may have made the indented preparatory drawing in Berlin. There are other examples of copies of Berchem’s drawings that have been indented for transfer and likewise served to create Visscher’s etchings after them, and it seems likely that this was done as part of a direct collaboration between painter and printmaker.13 (as Berchem); Stefes 1997 (as fn. 2), no. AZ‑130, and under no. II/51 (as a copy after Berchem). Stefes further notes that the signature is not autograph. 12 For Berchem’s relationships with professional printmakers generally, see Wuestman 1996 (as fn. 8), especially pp. 22–24 for Jan de Visscher. 13 For some examples of other preparatory drawings that Visscher used for Berchem’s prints, see Wuestman 1996 (as fn. 8), p. 24, note 14. Wuestman finds it unlikely, however, that Visscher would have made drawn copies himself, since he could have simply worked from the original drawing, but this does not account for the notion that Berchem was treating his drawings as more than purely preparatory material, i. e. that they also functioned as marketable items in their own right, and he would want copies to be made for the purposes of transfer, therefore only the copies would be indented. For Jan de Visscher’s drawings in general, see John Hawley, An Introduction to the Life and Drawings of Jan de Visscher, in: Master Drawings 52 (2014), pp. 59–94.

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The story, however, does not end there. Berchem also painted his expanded version of the composition around the same time, resulting in one of his most celebrated paintings, the Italian Landscape with Figures and Animals in Windsor (fig. 5).14 This canvas has garnered rapturous responses for nearly two hundred years, more recently being called an “undeniable masterpiece” in a review of the 2006–7 exhibition of Berchem’s works, for which the painting also served as the cover image of the exhibition catalogue.15 The painting is an expanded version of the drawing, enlarged with a panoramic stretch of landscape and the addition of a round fortress-like ruin on the right. Perhaps significantly, the painting is signed and dated 1655, the same year as the counterproof. While the pointing gesture of the woman and the overall composition follow the 1654 drawing, worth noting is that the staff-wielding young shepherd now appears on the other side of the mounted woman. A consideration of the function of the counterproof, at least initially (perhaps while just in the black chalk stage), is that it may have aided in the consideration of the inverted position of the shepherd, though the correspondence is not exact in terms of the positions of the shepherd and his dog. Berchem also made slight adjustments to the woman so that now she leans toward the direction she gestures in order to address the shepherd, instead of away. Since she is riding sidesaddle (though it is difficult to discern at this angle), the dynamics of her torsion would have been challenging to capture, especially when she leans away from her legs as she does in the drawings. In the painting, her body counterbalances the slinging of her legs and pointing arm in a more stable manner. The scale of the figures in the drawings is about the same as those found in the painting (the overall size of which is larger) which would have aided in these considerations. The wealth of material in this case represents one of the most elaborate and complex sets of interrelationships between mediums and techniques pertaining to a single design in Berchem’s oeuvre. We can perhaps credit the accidents of survival for this particular sequence, which seems to reveal a process of working, i. e. thinking through mirroring, that the artist commonly employed when considering the positions of his staffage or the effects of reversal in print. The key feature of the counterproof, however, is its status as an auto­ nomous signed and finished drawing, the only known case of a counterproof in Berchem’s oeuvre being treated as such that has come to light. Autograph replica drawings generated through other means were not unusual at the time. Pieter Molijn made quite a number of them in the years 1654–55, copied by hand.16 These same years also reveal a spike in acti­vity in the production of Berchem’s drawings, and it might well have been the case that there

14 See Christopher White, Dutch Pictures in the Collection of Her Majesty the Queen, 2nd ed., London 2015, pp. 97–98, no. 20. 15 For the early responses and historiography, see White 2015 (as fn. 14), pp. 97–98, no. 20; for the exhibition in which the painting features, Biesboer et al. 2007 (as fn. 8), p. 138, no. 18; the exhibition review­ ­ed and the quote by Guido Jansen in: Burlington Magazine 149 (2007), pp. 354–356. 16 Hans-Ulrich Beck, Pieter Molyn and His Duplicate Drawings, in: Master Drawings 35 (1997), pp. 341– 366.

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was a related burst of market enthusiasm for finished drawings among collectors in the mid1650s. The current literature on the creation and use of counterproof drawings focuses primarily on the eighteenth century, especially in France, where the practice indeed developed considerably.17 The earlier production and various functions of counterproof drawings in the seventeenth century in general, and the Netherlands in particular, is less understood.18 In fact, there remains no comprehensive study of counterproof drawings in seventeenth-century Dutch practice. What follows is an introductory and incomplete foray into Berchem’s previous experiments with counterproof drawings in order to better contextualize the Ackland’s unusual sheet.

2. Berchem’s practical counterproofs A census or even basic survey of seventeenth-century Dutch counterproof drawings in various collections remains a desideratum, but in general it can be stated that they mostly date to the latter half of the century. One of the basic problems in studying counterproof drawings is determining when and by whom the counterproof may have been made. Some assumptions can be made on the basis of the medium of the original. Ink, for example, dries relatively quickly, and thus counterproofs of ink drawings (though outside of consideration in this study) were often made by the artists themselves, though there are exceptions to this rule as well.19 These tend to be rare by comparison to chalk counterproofs, which can easily be generated long after the point of creation of the original. This is especially true in the case of red chalk drawings, since those in black chalk have a tendency to become more naturally fixed over time, while red chalk often remains friable over longer periods.20

17 Joseph Meder, The Mastery of Drawing, 2 vols., translated and revised by Winslow Ames, New York 1978, pp. 399–400; Marianne Roland-Michel, Le dessin français au XVIIIe siècle, Fribourg 1987, pp. 13– 22, 77–85, 146–168; Marjorie B. Cohn, Red Chalk: Historical and Technical Perspectives, Part I: Aspects of Historical Usage, in: Walter Strauss and Tracie Felker (eds.), Drawings Defined, New York 1987, pp. 165–170; Hall 1990 (as fn. 5); Sarah Ubassy-Catala, Hubert Robert et l’usage de la contre-épreuve: De la création à la reproduction, in: Alexandre Holin and Nathalie Poisson-Cogez (eds.), Espaces dessinés / Espaces du dessin, Villeneuve-d’Ascq 2014, pp. 71–83. 18 For some brief considerations of the practice in the Netherlands in the seventeenth century, see Thomas Ketelsen (ed.), Der Abklatsch: Eine Kunst für sich (exh. cat. Cologne, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Cologne 2014, pp. 13–14; and Christien Melzer, Abgeklatscht: Bemerkungen zu einer randständigen Zeichentechnik, in: Rebecca Duckwitz, Christien Melzer (eds.), Von der Genauigkeit des Sehens: Festschrift für Anne Röver-Kann zum 75. Geburtstag, Bremen 2018, pp. 71–76. 19 See, for example, the case of Peter Flötner in the study by Iris Brahms in Ketelsen 2014 (as fn. 18), pp. 90–94. 20 For more on red chalk as a medium, see the conference report by Iris Brahms: Red Chalk Drawings. Sources, Techniques and Styles, c. 1500–1800 (Florence, Italy, Sept. 18–19, 2019), in: ArtHist.net, Dec.16, 2019 (accessed June 24, 2021): https://arthist.net/reviews/22101, as well as the published proceedings: Luca Fiorentino, Michael W. Kwakkelstein (eds.), Disegni a pietra rossa. Fonti, techniche e stili,

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Future watermark and other paper analytical studies will no doubt clarify the situation once more seventeenth-century Dutch counterproof drawings have been examined systematically. Until then, caution should be maintained when considering whether a chalk counterproof was made by the artist, a pupil or close follower, or someone entirely outside of the artist’s orbit. These caveats aside, two particular cases stand out in Berchem’s oeuvre which bear mentioning, since in both cases we can be relatively certain that the artist himself carried out the procedure. The first case is a series of counterproof drawings found in Berchem’s sketchbook preserved in the British Museum.21 It dates to c. 1644–45, shortly after he joined the guild as a master in 1642. The counterproof drawings are found on facing pages, usually the left-hand verso of the previous folium (fig. 6).22 The majority of drawings in the sketchbook focus livestock studies, often highly finished, depicting cows, sheep, and goats, all of which proved to be an evergreen specialty that Berchem repeated in his highly popular etchings. Similar animals invariably populated his landscape paintings as well, and it seems evident that he would use such a sketchbook to build up a stock of motifs that could later be used in his paintings or prints.23 Berchem executed most of the drawings in black chalk in the sketchbook, with a few in red chalk coming towards the end. The presence of the latter perhaps argues for a broader date range for the sketchbook than currently given, since in his other drawings he appears to have used red chalk from 1648 onwards.24 The sketchbook nevertheless remains art-historically significant as being one of the earliest intact small-format (and therefore easily portable) Dutch sketchbooks that clearly used open air models; another notable example being the so‑called Bredius-Kronig sketchbook by Jan van Goyen that he filled with landscape studies beginning in 1644.25 Both sketchbooks are executed primarily in chalk, a dry medium that proved well-suited for outdoor studies and had become increasingly popular among landscape artists. Van Goyen’s teacher, Esaias van de Velde, is credited with making it popular as a landscape drawing medium.26 Only Berchem’s sketchbook, however, contains counterproofs on the facing pages.

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1500–1800 ca., Florence 2021. For counterproofs in black chalk see Iris Brahms’ contribution in this book chapter. Stefes 1997 (as fn. 2), no. I/7. For the specific sheets with counterproofs, see the entries for no. I/7 in Stefes 1997 (as fn. 2), vol. 2, pp. 7–27. Stefes notes over 30 counterproofs on the more than 150 sheets in the London sketchbook, though a number of these might better be termed offsets rather than counterproofs, as will be discussed below. For a discussion of the sketchbook motifs, see Stefes 1997 (as fn. 2), vol. 1, pp. 42–45. Stefes 1997 (as fn. 2), vol. 1, pp. 99; and, for example, Berchem’s Venus, Adonis, and Cupid in the Rijks­ museum, Amsterdam (inv. no. RP‑T‑1993:48), in Biesboer et al. 2007 (as fn. 8), no. T51, p. 101 and p. 147. Edwin Buijsen, The Sketchbook of Jan van Goyen from the Bredius-Kronig Collection, The Hague 1993. George Keyes, Esaias van de Velde and the Chalk Sketch, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 38 (1987), pp. 136–145.

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Fig. 6 Nicolaes Berchem, Resting Cow, from the London sketchbook, c. 1644–45, black chalk on paper, with counterproof, each leaf 96 × 150 mm, London, British Museum, inv. no. 1920,0214.2

Fig. 7 Nicolaes Berchem, Herdsman Playing a Flute, c. 1648, etching on paper, 202 × 146 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, inv. no. RP-P-BI-903

Several of Berchem’s sketchbook animals also feature in his etchings, such as the Herdsman Playing a Flute from c. 1648 (fig. 7).27 The cow or bull in the foreground appears in the same direction as it does in the counterproof. Berchem therefore used the original right-

27 F. W. H. Hollstein, Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts, ca. 1450–1700, vol. 1, no. 6. For the relationship between the sketchbook drawing and the etching, see Stefes 1997 (as fn. 2), no. 1/7, fol. 92; and Wuestman 2007 (as fn. 8), pp. 119–131, p. 120. For other etchings that relate to the sketchbook drawings, see Stefes 1997 (as fn. 2), vol. 2, pp. 7–27.

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Fig. 8 Nicolaes Berchem, Resting Sheep, from the London sketchbook, c. 1644–45, black chalk on paper, with offset, each leaf 96 × 150 mm, London, British Museum, inv. no. 1920,0214.2

hand facing drawing as his model for the plate, but the counterproof must have given him a sense beforehand of the effects of reversal that would take place during printing. The mirroring effects of printmaking can be unexpected or even disconcerting, a sense of which ahead of time might have been reassuring. Berchem’s concern in this case for the mirroring of the image therefore appears related to the aesthetic concern for the effects of left-right distortion. Many professional printmakers contended with this problem simply through some means of reversing the drawn image on the plate in the first place, so that impressions taken from the plate would appear in the same direction as the prototype when printed. Curiously, there is no reason why Berchem could not have used the counterproof as his model on the plate, but he chose instead for a reversed final result in the etching. Outside of purely compositional concerns, we should also consider that Berchem’s occupation with counterproofs in his early sketchbook might relate to their usefulness as fixatives. Since chalk is a friable medium, the facing pages in the sketchbook offered a convenient means to press away and absorb excess chalk that might otherwise smudge and spoil the original. Fixing the image was indeed a primary consideration for the making of a counterproof drawing in the first place, as stated in eighteenth-century artists’ manuals such as Jombert’s.28 The counterproofs thus might have served to better preserve Berchem’s delicate and highly finished studies. Furthering this point, a number of other sheets in the sketchbook bear a light and smudged-appearing ‘offset’ on the facing versos of the left-hand sheet (fig. 8). Although they could be accidental, there were more likely intentionally created though light rubbing, or through pressure applied to the closed sketchbook.

28 Jombert 1755 (as fn. 7), pp. 67–68; Hall 1990 (as fn. 5), pp. 15–16.

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Fig. 9  Nicolaes Berchem, Four Sheep and a Cow, c. 1652, red chalk on paper, with counterproof, 130 × 195 mm, Washington, National Gallery of Art, inv. no. 2002.141.1

It should be noted that the lexical distinction between ‘offset’ and ‘counterproof’ is a modern one.29 For Berchem and his contemporaries, offsets and counterproofs fell under the same general concept. What he appears to have done in the sketchbook is to devote extra effort toward the production of a cleanly transferred image in some cases rather than others. There are no signs in the sketchbook of working up the offsets or counterproofs with additional reinforcing lines of chalk after the initial transfer. It remains unclear how Berchem could have created such clear and legible counterproofs if the drawings had remained bound in a sketchbook, which would have obviated the possibility of using a press. The smudged and more casually produced offsets may have suggested the possibility of producing the clearer type that we now call counterproofs, and led to experiments with their production, even in bound form. Perhaps he moistened the paper slightly to aid in transfer.30 The sketchbook drawings stand as the earliest known counterproofs in Berchem’s oeuvre, and we should not exclude the possibility that he experimented with more than one method of their production.

29 For the distinction and the grey area between them, see Hall 1990 (as fn. 5), pp. 27–29. Meder also mentions unintentional counterproofs that result from offsets, see Meder 1978 (as fn. 17), p. 399. 30 My thanks to Iris Brahms for this keen suggestion.

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Fig. 10  Nicolaes Berchem, Shepherd Playing a Flute and Woman Spinning, dated 1652, etching on paper, 262 × 209 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, inv. no. RP‑P‑BI‑906

The second case is a remarkable single-sheet counterproof in the National Gallery of Art, Washington, that has the distinction of being the only known counterproof by Berchem that appears on the same sheet as the original (fig. 9).31 In other words, the paper was simply folded in half to create the counterproof. The mise‑en-page of the original placed carefully on the right-hand side of the sheet even suggests that a counterproof was planned from the outset. While it has received little study to date, a previous suggestion that this sheet was once part of a sketchbook is untenable.32 There are no signs that it was ever bound at one point.33 All five animals in the drawing reappear in the etching, Shepherd Playing a Flute and Woman Spinning, dated 1652 (fig. 10).34 The date of the etching presumably gives us an approximate date for the drawing, and therefore places it in between the sketchbook from the 1640s and the Ackland counterproof from 1655. In this case, the animals in the etching appear in the same direction as they do in the original drawing, indicating that the counter31 Ger Luijten et al. (eds.), Drawings for Paintings in the Age of Rembrandt (Washington, National Gallery of Art, Paris, Fondation Custodia), Washington, D. C. 2016, p. 59, no. 4 (Arthur K. Wheelock). 32 As stated in the entry by Arthur K. Wheelock 2016 (as fn. 31); for which see also the review by Robert Fucci in: Master Drawings 56 (2018), pp. 409–415, p. 413. 33 My thanks to Stacey Sell and Kim Schenk at the National Gallery for confirming this point. 34 Hollstein (as fn. 27), vol. 1, no. 8.

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proof would have been useful for preparing the image on the plate, rather than giving a feel for the final outcome of image reversal as one finds in the sketchbook. There are no signs of indentations for transfer in the National Gallery sheet, as one might expect given the almost identical size of the animals in both the drawing and etching. In this case Berchem probably made the transfer freehand onto the plate, using the counterproof as his visual guide. Some form of technical transfer from drawing to print was not always considered necessary in the era, as many printmakers would have been comfortable with freehand transfer techniques.35 Another possibility is that Berchem made a separate preparatory drawing for the etching, one depicting the full composition with the shepherd and spinning woman.36 A skeptic might argue that the Washington drawing was made after the etching rather than before, since the animals appear in the same direction as the impression. There are a couple of reasons to doubt this. One is that the style of draftsmanship is clearly Berchem’s own, with his masterful focus on textures as was his norm. Equally notable is his distinctive use of hatching in broad regular parallel strokes, used especially to define larger volumes such as the bodies of the animals. One also finds this style of chalk hatching in the animals in the British Museum sketchbook. This hatching is distinctively different than the type Berchem applies to the same areas with the etching needle. Another reason is that a number of minor compositional differences exist that suggest the drawing’s primacy over the print, for example the cow in the left background dips its head over a trough or low wall in the etching but not in the drawing, cutting off much of its head. We can be relatively sure of the use of a printing press in the case of the National Gallery counterproof. Its use is betrayed by several ‘printing creases’ on the counterproof side of the sheet, running nearly parallel from upper left to lower right (seen especially in the cow). Once the sheet was folded over, the counterproof side must have slipped slightly under the considerable pressure of the press to create the creases, the process of which also left its mark on the original where one can see slight smudging, for example, in a line running upward from the eye of the foremost standing sheep.

3. Shifting functions The relationship of drawn counterproofs to their cousins in printmaking is worth dwelling upon briefly. Printed counterproofs were certainly more commonly encountered in Berchem’s

35 Stijnman 2012 (as fn. 6), p. 154. 36 A drawing in Alençon in reverse of the composition and pounced has indeed been posited as Berchem’s preparatory drawing for etching, though the attribution should perhaps be treated with caution. See Stefes 1997 (as fn. 2), no. II/5 (as Berchem); and the entry by Philippe Durey in: Dessins du Musée d’Alençon du XVIe au XIXx Siècle, Alençon 1981, no. 12 (as attributed to Berchem). Some of the pen work in the Alençon drawing is blocky and not very fluid, for example in the outlines of the sheep, suggesting that the pouncing was perhaps used to make the drawing after the print rather than vice versa.

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The Mirror of Process

day.37 Their usefulness for checking progress on a plate during the course of work had long been a common practice, allowing a printmaker to compare an impression in the same direction with the image on the plate itself. Like a counterproof drawing, a counterproof print by definition tended to be weaker than the original from which it was generated, and therefore, one might assume, less of a commodity. There is good evidence to suggest, however, that counterproof prints had already become collectable items in their own right by the 1640s, and certainly by the 1650s, especially when one considers the abundance that survives from Rembrandt’s hand in those years.38 Furthermore, it appears that Berchem, like Rembrandt, was one of the most avid collectors of prints and drawings amongst the artists of his day, as attested to by Houbraken’s remarks on the subject.39 Berchem’s own collection of works on paper would achieve large sums when it was sold at auction after his death in 1683.40 This is not to suggest that Berchem would have been inspired by Rembrandt directly, but rather that his knowledge of the print trade and his avidity for rarities in the marketplace may have suggested to him the possibilities of counterproofing his drawings from both a functional and an aesthetic point of view, that they could both mirror for the artist and offer an engaging desideratum for collectors, at least in terms of printmaking practice and the print market. As we have seen, counterproof drawings could serve a variety of functions, several of which Berchem had already explored by the time he worked up the Ackland sheet into a finished, signed and dated drawing in 1655. The idea of working up a counterproof into an finished drawing for the marketplace might not have been Berchem’s own (although if there are previous instances that can be securely dated, it would be useful to know them), but this example nevertheless serves as one of the earliest and clearest we have of such a practice, one further benefitted by knowing the surviving prototype, along with a related painting and etching of what the artist himself must have considered one of his most successful inventions.

37 For a survey of printed counterproofs in the era, see Marie-Christine Seigneur, On Counterproofs, in: Print Quarterly 21 (2004), pp. 115–127; which remains the only general study of the subject. 38 On this point, see, with further references, Robert Fucci, Rembrandt’s Changing Impressions, Cologne 2015, no. 3, pp. 51–58, and no. 10, pp. 89–94. 39 Arnold Houbraken, De groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen, 3 vols., Amsterdam 1718–21, vol. 2, p. 112. As told to Houbraken by Jan Pietersz Zomer, Berchem reportedly spent 60 guilders on an engraving after Raphael (the Massacre of the Innocents by Marcantonio Raimondi), an enormous sum for a print at the time, and comparable to the prices Rembrandt apparently spent for some print rarities. 40 Ibid., vol. 2, p. 112. The sale of Berchem’s collection of works on paper was advertised in the Oprechte Haerlemse Courant in 1683.

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Stefano de Bosio

“Des deux cotés” The Lateral Reversal of Images as Aesthetic Strategy and Epistemic Concern in Early Eighteenth-century French Counterproofs and Prints

A passage from Dezallier d’Argenville’s Abregé de la vie des plus fameux peintres encapsulates the relevance of counterproofs within Antoine Watteau’s working methods as follows: “[L]e crayon rouge étoit celui dont il se servoit le plus souvent sur du papier blanc, afin d’avoir des contre-épreuves, ce qui lui rendoit son sujet des deux cotés.”1 According to Dezallier, the use of the red-chalk technique allowed the artist to experiment with his own inventions thanks to the technique of counterproofing, making his drawings available in two, mirrored orientations. Scholars have recently started exploring on a new basis the multiple meanings and functions of drawing counterproofing, with its rich technical and expressive implications.2 These range from the role of the counterproof as part of the fixing process for the traits of red-chalk on paper, to the dissemination and multiplication in a fast and efficient way of an artist’s repertoire of studies, poses and compositions. With a particular reference to the French context of the 18th-century, studies on artists such as Jean-Honoré Fragonard and Hubert Robert have shown that the counterproof could be systematically employed as the basis for further elaborations by the same or even another artist, and that counterproofs could be donated or sold to other artists, patrons, amateurs and connoisseurs, thus becoming an important means for constructing social networks.3 1 2

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Antoine-Joseph Dezallier d’Argenville, Abrégé de la vie des plus fameux peintres […], 3 vols., Paris 1745–52, II, p. 424. See the multifaced survey offered in Thomas Ketelsen (ed.), Der Abklatsch: eine Kunst für sich (exh. cat. Cologne, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Cologne 2014; Joseph Meder, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Vienna 1919 (2nd edition 1923), pp. 538–545. On the role of counterproof in printmaking: Marie-Christine Seigneur, ‘On Counterproofs’, in: Print Quarterly 21: 2 (2004), pp. 115–127. Marianne Roland-Michel, Le Dessin français au XVIIIe siècle, Fribourg 1987, pp. 14–22; Sarah Catala, ‘Les usages de la contre-épreuve dans le dessin français au XVIIIe siècle’, in: Les cahiers d’histoire de l’art 13 (2015), pp. 35–43; Perrin Stein, ‘Originals, copies, mirrors, and multiples’, in: idem (ed.), Fragonard – Drawing triumphant (exh. cat. New York, The Metropolitan Museum of Art), New York 2016, pp. 47–69.

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Limited attention, however, has so far been paid to the specific visual operation that the act of counter-proofing performs on the original drawing: the lateral reversal of the image. This essay seeks to explore some of the theoretical implications and aesthetic assumptions that emerge from the early 18th-century ways of dealing with image reversal. In particular, the choice here is to consider the lateral mirroring implied in the counterproofing of drawings together with the strategies for dealing with image orientation in early 18th-century printmaking. To emerge is how the topic of lateral reversal transversally affected French theories and practices of image-making in the period, in a way that reveals the shortcomings of modern categories such as that of ‘copy’ and ‘reproduction’.

1. Between equivalence and alterity: the image and its left-right reversed double Left-right reversal is intrinsic to a number of media: drawing counterproofs are mirror images in comparison to the original drawings; printmaking produces impressions in reverse in comparison to the matrix/plate; weaving technologies, like the basse-lisse, imply a translation in counterpart of the preparatory design; mirror reflections are laterally reversed; and the history of both the camera obscura and the telescope have similarly dealt with the issue of left-right and upside-down reversal. In a similar vein, reversal variously affected early modern image theory and practice in the West, from the notions of composition and imitation, to those of copy and reproduction. The exploration of the different constellations of meanings pertaining to the lateral reversal of images in early modern Europe is accordingly a very promising and multifaceted research topic.4 A major aspect to emerge from my current research on image reversal is the polysemic and fluctuating relationship that artists and viewers historically established between images and their left-right reversed counterparts.5 To encapsulate the opposite ends of the spectrum of this relation between images and their mirror counterparts, ‘perfect equivalence’ and ‘radical alterity’ seem to be two suitable terms. These two poles – equivalence and alterity – are of interest for the very framing of the historical perception of drawing counterproofs. Significantly, they apply not only to the status of the reversed image and its relation to the original drawing, but also to the way in which the material relation

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For different perspectives and approaches on this topic: Avigdor Posèq, Left and Right in Painting, Jerusalem 2007; Sigrid Weigel, ‘Die Richtung des Bildes. Zum Links-Rechts von Bilderzählungen und Bildbeschreibungen in kultur- und mediengeschichtlicher Perspektive‘, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 64: 4 (2001), pp. 449–474; Andrea Pinotti, Il rovescio dell'immagine: Destra e sinistra nell'arte, Mantova 2010. Stefano de Bosio, ‘Formes de la dissemination. L’image inversée dans les Recueils gravés au XVIIIe siècle’, in: Andreas Beyer, Étienne Jollet, Markus Rath (eds.), Wiederholung/Répétition. Wiederkehr, Wiederholung und Übersetzung in der Kunst, Berlin/Munich 2017, pp. 67–79; Stefano de Bosio, ‘Master and Judge: The Mirror as Heuristic Device in Italian Renaissance Art Theory’, in: Michael Zimmermann (ed.), Dialogical Imaginations: Debating Aisthesis as Social Perception, conference proceedings, Zurich, in press.

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between the original drawing and the subsequent counterproof was apprehended and conceptualized. Counterproofs could show the ‘hand’ of the artist, keeping one of the closest traces possible of their work on the sheet of paper; on the other side, counterproofs, unless retouched, were seen as different from the original drawing. The letter exchange between Pierre-Jean Mariette and Giovanni Bottari concerning a retouched counterproof by Giuseppe Maria Crespi, called Lo Spagnoletto, is in this sense telling: Ho ricevuto il rotolo di stampe, che mi avete mandato per mezzo del sig. Natoire, ed io non saprei come pienamente attestarvi la mia riconoscenza. Sono del tutto contento del disegno dello Spagnoletto di Bologna. La composizione è più bella che io non m’aspettava da questo bravo pittore. Non è per altro che un calco, che noi in Francia chiamiamo ‘contreprouve’; ma questo calco, a cui l’autore medesimo ha dato qualche colpo, vale quanto lo stesso disegno, e io ne fo un gran caso, e non sarà uno de’ minori ornamenti della mia raccolta.6 Mariette characteristically refers to Crespi’s retouched counterproof with a mixture of praise and disappointment. In this oscillation, we see the premises of later, famous assessments on the status of the counterproofs, like Edmond de Goncourt’s at the end of the 19th-century: “Dans une contre-épreuve il n’y a pas la fleur du dessin, mais il y a, si l’on peut dire ainsi, un peu de son âme”.7 For Antoine Watteau, as Dezallier d’Argenville suggested, counterproofs had been consistent with the particular way of composing his works. Watteau often relies on combinatory and additional principles, with the reuse, in reverse, of the same figure studies within different compositional clusters and settings in different paintings.8 But counterproofs were also instrumental in creating Watteau’s public reputation: the painter himself gave them to visitors of his studio, as recorded, for example, by the Swedish count Carl Gustaf Tessin in a letter of 1715, and they were also available on the Parisian art market.9 This is not a phenomenon specific to Watteau, and its persistence characterizes the 6

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Giovanni Gaetano Bottari, Stefano Picozzi (eds.), Raccolta di lettere sulla pittura, scultura ed architettura […], 8 vols., Milan 1822–25, IV, p. 523, Paris, 20 January 1760. In a letter that followed soon after: “Io vi pregai nell’ultima mia di procurarmi qualch’altro disegno dello Spagnoletto; ma oltreché non vorrei che fosse un semplice calco, come quello che ho avuto, benché non ne diminuisca gran cosa il pregio, vorrei che fosse qualche bambocciata, e il sig. Canonico [i. e. Luigi Crespi, the son of Luigi Maria Crespi; SdB] ne dovrebbe avere di questa specie” (ibid., p. 525, Paris, 26 January 1760). Edmond de Goncourt, Catalogue raisonné de l’Œuvre peint, dessiné et gravé d’Antoine Watteau, Paris 1875, p. 346. The remarks on Watteau’s manner of composition by the Comte de Caylus are in this sense exemplary: Comte de Caylus (Anne-Claude-Philippe de Tubières), La vie d’Antoine Watteau, Peintre de Figure et de paysage, 1748, in: Pierre Rosenberg (ed.), Vies anciennes de Watteau, Paris 1984, p. 78. Marianne Roland-Michel, ‘Les achats du comte Tessin’, in: Revue de l’art 77 :2 (1987), pp. 26–28. On Tessin see Guillaume Faroult, Juliette Trey, Xavier Salmon, (eds.), Un Suédois à Paris au XVIIIe siècle (exh. cat. Paris, Musée du Louvre), Paris 2016.

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following decades of the 18th-century.10 Significantly, a similar interest for the dissemination of Watteau’s inventions and the role played by mirror imagery marks the most relevant editorial enterprise concerning Watteau’s work at the beginning of the same century: the monumental collection of prints called Recueil Jullienne, after the name of its promoter, Jean de Jullienne, director of the Gobelins factory, art dealer and collector.11 As a four-volume compendium of more than six hundred plates, the Recueil Jullienne is one of the first projects that put at its centre a contemporary artist, Watteau, who had died in 1721. The first two volumes with the full title Figures des différents caractères de paysages et d’études dessinées d’après nature par Antoine Watteau were published in 1726 and 1728; they consist of 132 and 219 prints respectively, which were made exclusively after drawings by Watteau. Fifteen etchers took part in this publication, among them Jean de Jullienne himself, as an amateur engraver, Jean and Benoit Audran, Laurent Cars, Louis Surugue and the young François Boucher.12 Today, fewer than half of the prints can be matched with the original drawings.13 Where this matching is possible, the prints are generally in reverse in comparison with Watteau’s drawings. Let us here consider the case of François Boucher, who contributed to the Figures with roughly 120 prints. For Boucher, the transposition into prints of Watteau’s drawings played a crucial role in shaping his artistic identity, in what has been recently called a ‘technically-grounded self-discovery’.14 It is apparent how Boucher tried to understand Watteau’s originals mostly by translating onto the etching plate the quick execution and spontaneity that distinguish Watteau as a draughtsman. These etchings are generally in reverse in comparison to the models (fig. 1, 2). At the same time, the prints carefully respect the size of the

10 The production and the collecting of counterproofs are, for example, vividly connected in the following passage from Charles-Nicolas Cochin’s Memoires, in which the author mentions the collection of drawings of Pierre-Jean Mariette: “[Mariette] était chaux désireux des dessins de Bouchardon, il étoit par là à portée d’en obtenir quelques-uns, et surtout un grand nombre de contre-épreuves” (Charles-Nicolas Cochin, Mémoires inédits de Charles-Nicolas Cochin sur le Comte de Caylus, Bouchardon, les Slodtz, Paris 1880, p. 39). These counterproofs had to be obtained by manipulating Edme Bouchardon’s drawings then in the collection of the Comte de Caylus: see Edouard Kopp, ‘Les collectionneurs de Bouchardon’, in: Anne-Lise Desmas, Édouard Kopp, Guilhem Scherf (eds.), Edme Bouchardon, 1698–1762: une idée du beau (exh. cat. Paris, Musée du Louvre), Paris 2016, p. 45. 11 On the historical relevance of the Recueil Jullienne: Isabelle Tillerot, ‘Engraving Watteau in the Eighteenth Century: Order and Display in the Recueil Jullienne’, in: The Getty Research Journal 3 (2011), pp. 33–52.  12 Cordélia Hattori, Le Recueil Crozat, in: Sophie Raux (ed.), Quand la gravure fait illusion. Autour de Watteau et Boucher, le dessin gravé au XVIIIe siècle, Paris 2006, pp. 17–26; Marie-Catherine Sahut (ed.), Antoine Watteau et l’art de l’estampe (exh. cat. Paris, Musée du Louvre), Paris 2010, pp. 47–42. 13 See: Pierre Rosenberg, Louis-Antoine Prat, Antoine Watteau, 1684–1721, catalogue raisonné des dessins, 3 vols., Milan 1996. 14 Eva Lajer-Burchardt, The Painter’s Touch: Boucher, Chardin, Fragonard, Princeton/Oxford 2018, pp. 18– 21.

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figures in the original drawings by Watteau.15 This last circumstance implies the recourse to one of the ‘marginal techniques’ – to use the phrasing suggested by the organisers of this conference – for allowing the transfer of the exact dimensions of the drawing onto the etching plate, although not an easily identifiable one. In 2010, an examination undertaken of the drawings by Watteau published in the Figures and now at the Louvre, did not find signs of tracing, pouncing or red chalk on their verso, that is to say three of the transfer techniques repeatedly mentioned in 18th-century sources.16 Similarly, the flip of the final prints in the Figures in relation to the master’s drawings testifies that the image was not transferred left-right reversed onto the plate, thus excluding also the recourse to counterproofing of the original drawings for this purpose, or the use of a mirror, another technique attested in contemporary sources. While the question about the specific transfer technique adopted by Boucher remains open, such dimensionally coincident but reversed printed images ultimately require us to explore further two of the recurrent terms mobilised in 18th-century discussion on printmaking, and still generally associated with the history of the medium: ‘accuracy’ and ‘faithfulness’. During the same years in which the volumes of the Figures were being published, another ambitious Parisian editorial project involving prints demonstrates a comparable interest for drawings, this time those of the Old Masters. In 1729, the first two volumes of the Recueil Crozat were published; the second part would follow in 1742.17 Promoted by the French financier, art patron and collector Pierre Crozat, these volumes consist of more than one-hundred eighty prints, presenting the “Roman”, and “Venetian” schools of painting. In the Recueil Crozat, forty-five prints are from drawings. Of the forty-five engravers taking part in the project, only five were involved in the copying of the drawings: Charles-Nicholas Cochin the Elder, Nicholas and Vincent Le Suer, Paul Ponce Antoine Robert de Séri and Anne-ClaudePhilippe de Tubières, Comte de Caylus. The participation of the Comte de Caylus, the eclec-

15 Conversely, on choice and implications of fragmenting groups of figures present in a single drawing in more than one print: Sahut 2010 (as fn. 12), p. 71. 16 On these investigations: Sahut 2010 (as fn. 12), p. 75, note 12. For recent discussions of transfer techniques Ad Stijnman, Engraving and Etching 1400–2000, London 2012, pp. 160–161; Anthony Griffiths, The Print before the Age of Photography, London 2016, pp. 35–37.The heavy squaring and tracing in red-chalk that are present on Watteau’s drawing Jeune femme debout (Louvre, inv. no. r. f. 28932) are clearly signs of a transfer, but they seem more likely to be associated not with the preparatory work for the print in the Figures des différents caractères (Figures 1726–1728, vol I, n. 70), but with another publication showing Watteau’s inventions: the Figures de Mode et Figures Françoises et Comiques, published in Paris in 1715, and for which the direct involvement of Watteau as an etcher is discussed. On the drawing inv. no. r. f. 28932 see Rosenberg/Prat Antoine Watteau 1996 (as fn. 13), no. 279. 17 Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux dessins, qui sont en France dans le cabinet du Roy, dans celuy de Mgr le Duc d'Orléans, & dans d'autres cabinets, divisé suivant les différentes écoles, avec un abrégé de la vie des peintres et une description historique de chaque tableau, 2 vols., Paris 1729–1742.

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Fig. 1  Antoine Watteau, Woman Seen from the Back Seated on the Ground, c. 1717–18, red and black chalk, wash and graphite on paper, 146 ×181 mm, London, The British Museum, inv. no. 1895-9‑15-936

tic antiquarian and art amateur, turned out to be instrumental in experimenting with the medium of printmaking in the rendering of drawings in the Recueil.18 The prints combining etching, engraving and chiaroscuro printmaking executed by the Comte de Caylus together with Nicolas le Sueur, are today considered as a major step toward the so‑called imitation drawing, and the later fac-simile.19 Comparing the drawing by Polidoro da Caravaggio of a

18 On Caylus’ approach to etching: Joachim Rees, Die Kultur des Amateurs: Studien zu Leben und Werk von Anne Claude Philippe de Thubières, Comte de Caylus (1692–1765), Weimar 2006, pp. 235–310; Alexandra Blanc, Collections et pratiques d’un amateur au XVIIIe siècle: les recueils de dessins gravés du comte de Caylus, Neuchâtel 2013. On the broader relevance of the amateur’s etching: Perrin Stein, Charlotte Guichard (eds.), Artists and amateurs: etching in eighteenth-century France (exh. cat. New York, The Metropolitan Museum of Art), New Haven 2013. 19 Sophie Raux, ‘La Main invisible. Innovation et concurrence chez les créateurs des nouvelles techniques de fac-similées de dessins au XVIIIe siècle’, in: Raux 2006 (as fn. 12), pp. 57–64; Claudia-Alexandra Schwaighofer, De la gravure d’interprétation au fac-similé: l’aspect technique des recueils d’estampes

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Fig. 2  François Boucher (after a drawing by Antoine Watteau), Woman Seen from the Back Seated on the Ground, etching, in: Figures des différents caractères de paysages et d’études dessinées d’après nature par Antoine Watteau, Paris 1726–28, II, no. 161

Celebration of a Mass (Paris, Musée du Louvre inv. 3561) and the subsequent print in the Recueil by Caylus and Le Sueur (“La Messe”), the original work appears to be addressed and even dissected into its multiple stylistic and material components (fig. 3, 4).20 If we consider its dimension and colours, they are closely preserved in this experimental print, in which engraving is associated with a three-block chiaroscuro, printed in shades of yellow-brown. On the other hand, this print, like the other ones after drawings in the Recueil, is left-right reversed in comparison to the original drawing. This circumstance opens up the crucial question about the very notion of reproduction at work in the Recueil Crozat. The Preface in the first volume of the Recueil, written by Pierre-Jean Mariette, one of the

d’après dessins au XVIIIe siècle, in: Cordélia Hattori, Estelle Leutrat, Véronique Meyer (eds.), À l’origine du livre d’art, Cinisello Balsamo 2010, pp. 121–130. 20 Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux desseins […] 1729–1742 (as fn. 17), I, plate 65.

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Fig. 3  Polidoro da Caravaggio, Celebration of Mass, 1530s, pen and brown ink, and brown wash with white heigtening over traces of black chalk on brown washed paper, 208 ×304 mm, Paris, Musée du ­Louvre, inv. no. 3561

most celebrated connoisseurs of the Parisian milieu,21 along with Pierre Crozat, contains the following statement concerning the prints made after drawings: On donne donc icy des Desseins de tous les grands Maistres, sur-tout de ceux qui ont acquis le plus de reputation dans cette partie de leur Art, qu’on appelle le Dessein, et on la fait avec la plus scrupuleuse exactitude, c’est‑à-dire sans y rien omettre et sans y rien changer. Ainsi les Desseins à la plume ou au crayon ont esté gravez à l’eau forte dans l’esprit des originaux dont l’on a suivi les moindres traits […].22

21 On Pierre-Jean Mariette and his interpretative protocols: Kristel Smentek, Mariette and the Science of the Connoisseur in Eighteenth-Century Europe, Farnham 2014; Valérie Kobi, Dans l’œil du connaisseur: Pierre-Jean Mariette (1694–1774) et la construction des savoirs en histoire de l’art, Rennes 2017. 22 Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux desseins […] 1729–1742 (as fn. 17), I, p. v, in the author’s translation: “We present here drawings by all the great Masters. […] We did it with the most scrupulous exactitude, that is to say without omitting anything and without changing anything. Pen and ink and chalk drawings have been etched in the spirit of the originals, whose every trait has been followed.”

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Fig. 4  Anne Claude Philippe de Tubières, Comte de Caylus and Nicolas le Sueur after a drawing by Polidoro da Caravaggio, ‘La Messe’, etching and woodcut (chiaroscuro woodcut), 264 ×322 mm, from Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux desseins qui sont en France (‘Recueil Crozat’), I, Paris 1729, pl. 49

This passage by Mariette counts among the sharpest statements during the early modern period about visual accuracy, and print as a medium of faithful reproduction. Contrasted with the actual prints published in the Recueil, we see emerging a notion of faithful rendering of the original drawings as not necessarily implying the maintaining of their lateral orientation, and the way of dealing with image reversal in the context of ‘reproductive’ printmaking as a fascinating aspect in the history of objectivity.23 Prints like those by Caylus in the Recueil Crozat, and by Boucher after Watteau’s drawings in the Recueil Jullienne, acknowledge a circumstance that today might sound parado­ xical: reversal can be considered in terms of a search for accuracy. If not abolishing the use of marginal techniques for transferring the drawings to the plate, the reversal of the printed 23 See in particular Lorraine Daston, Peter Galison, Objectivity, New York 2007, pp. 55–62.

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image was instrumental in reducing the impact of the former by enhancing the proximity and intimate understanding of the model. Indeed, the engraver had the forms on the etching plate in the same direction as the drawings, thus continuously confronting his work with the original. Such close relation with the original is an overarching aspect characterizing both counterproofs and the reversed print. For the counterproof, as we have already mentioned, this is connected with the very practice of imprint, with the primordial power of the ‘contact’ with the original and with the theory of the ‘resemblance through contact’.24 For the reversed ‘reproductive’ print, the engraver can be closer to the original and, in particular, to its style, with the possibility, when working on the etching plate, of emulating the very ductus of the artist, that is to say his motoricity: an aspect characteristically echoed in the Preface of the Recueil Crozat with the reference to the engravers’ adherence to ‘every trait’ of the original drawings (‘on a suivi les moindres traits’).25

2. Orientation, reversal, and the production of meaning in the image The Recueil Crozat as well as the second book of the Recueil Jullienne, devoted to the Œuvre d’Antoine Watteau […] Gravé d'après ses Tableaux  & Desseins originaux, published in 1735,26 show the existence of other parameters than the toleration of image reversal in assessing the relation between prints and models. In an annonce published in May 1734 in the Mercure de France, Jean de Jullienne advertises as follows two prints that, as in other cases, were first published individually and then as part of the Œuvre gravé: ”ils sont gravéz de la même grandeur des originaux & au miroir, pour que toutes les actions soient à droite comme dans les tableaux.”27 Made by Charles-Nicolas Cochin the Elder, the two prints are executed after the Love in the Italian Theatre (L’Amour au Théâtre Italien) (fig. 5) and Love in the French Theatre (L’Amour au Théâtre François), two paintings by Watteau now in Berlin.28 This passage from the Mercure de France clearly points to what appears to be the recurrent argument against reversal: the actions performed in the paintings, “les actions” in French. The implicit reference is here to the Pierrot playing a guitar at the centre of the Love in the Italian Theatre, and the two people toasting in the Love in the French Theatre, as well as the violinist and the bag-pipe player. Ultimately, it is the rendering of these specific and culturally-shaped

24 Georges Didi-Huberman, La ressemblance par contact: archéologie, anachronisme et modernité de l'empreinte, Paris 2008. 25 On the new importance of the graphic arts and the reconceptualization of style: Pascal Griener, La République de l’œil. L’expérience de l’art au siècle des Lumières, Paris 2010, pp. 181–247. 26 L'Œuvre D'Antoine Watteau Peintre du Roy en son Academie Roïale de Peinture et Sculpture Gravé d'après ses Tableaux & Desseins originaux…par les Soins de M. de Jullienne, 2 vols., Paris 1735. 27 Quoted in Émile Dacier, Albert Vualart, Jean de Jullienne et les graveurs de Watteau au XVIIIe siècle, 4 vols., Paris 1921–29, II, p. 103. 28 L'Œuvre d'Antoine Watteau 1735 (as fn. 26), I.

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Fig. 5  Charles-Nicholas Cochin (after Antoine Watteau), L’Amour au Théâtre Italien, etching and engraving, 1734, in: L'Œuvre D'Antoine Watteau Peintre du Roy en son Academie Roïale de Peinture et Sculpture Gravé d'après ses Tableaux & Desseins originaux…par les Soins de M. de Jullienne, Paris 1734

interactions between bodies and objects that require the paintings’ orientation in the prints to be maintained. According to the annonce, the two paintings were engraved using a mirror. Nevertheless, the mirror was probably not the only means adopted by Cochin to overcome the reversal: the edges of Love in the Italian Theatre still show traces of thin nails that could have held a grid of threads, which helped to produce a copy.29 Moreover, the National Gallery of Scotland owns a drawing after the Love in the Italian Theatre presenting a squaring grid compatible with that possibly made of threads used for the painting, a circumstance that led to the attribution of this sheet to Charles-Nicholas Cochin.30 If we look at the prints after paintings in the Recueil Crozat we find, similarly, the exis­ tence of a small number of prints that maintain the orientation of their model. In the first

29 Christoper Vogtherr (ed.), Watteau, Pater, Lancret, Lajoüe (Bestandskataloge der Kunstsammlungen: Gemälde), Berlin 2011, pp. 702–708, no. B1, B2. 30 Michael Clarke (ed.), Poussin to Seurat. French drawings from the National Gallery of Scotland (exh. cat. Edinburgh; National Gallery of Scotland), Edinburgh 2010, no. 14, pp. 38–39.

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Stefano de Bosio

6  Claude Duflos (after Raphael), Saint Michael, engraving and etching, in: ­Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux dessins, qui sont en France dans le cabinet du Roy, dans celuy de Mgr le Duc d'Orléans, & dans d'autres cabinets (‘Recueil Crozat’), I, Paris 1729

volume, this is the case for the “Grand” and “Petit” Saint-Michael by Raphael, at the time in the French Royal Collection, and now at the Louvre, engraved by Nicolas de Larmessin and Claude Duflos, respectively (fig. 6); the two Saint Georges by Raphael in the Royal Collection and the collection of Pierre Crozat (now at the Louvre and at the National Gallery of Art in Washington), both engraved by Larmessin.31 This is also the case with the Portrait of Ferry Carondelet by Sebastiano del Piombo (at the time thought to be by Raphael), now in Madrid at the Thyssen-Bornemisza Museum, engraved again by Larmessin (fig. 7).32 In all these prints, aspects connected with the “actions” seem to have justified maintaining the orientation of the original: for the Saint Michaels and Saint Georges, the apparent gesture performed against the devil and the dragon, with spears and swords held in the right hands; in the portrait of Ferry Carondelet, the presence of his secretary writing a letter.

31 Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux desseins […] 1729–1742 (as fn. 17), I, plates 4 and 15; Receuil Crozat, I, plates 16 and 31. 32 Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux desseins […] 1729–1742 (as fn. 17), I, plate 33.

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7  Nicolas de Larmessin (after Sebastiano del Piombo), Portrait of Ferry Carondelet with his secretaries, engraving and etching, in: Recueil d'estampes d'après les plus beaux tableaux et d'après les plus beaux dessins, qui sont en France dans le cabinet du Roy, dans celuy de Mgr le Duc d'Orléans, & dans d'autres cabinets (‘Recueil Crozat’), I, Paris 1729

According to the above-mentioned annonce of 1734 in the Mercure de France, Charles-Nicolas Cochin the Elder had engraved the two paintings by Watteau ‘with a mirror’ in order to respect their “actions”, rather than what we would call the aesthetic or formal component of the image. This acknowledgement opens futher interpretative perspectives to understand why the majority of prints after paintings both in the Receuil Crozat and in the L’Œuvre d’Antoine Watteau are in reverse when compared with their models: The choice to maintain – or not – the orientation of an image appears to be deeply rooted with the ‘functioning’ of each image. In 1745, Charles-Nicholas Cochin the Younger – the son of Cochin the Elder – published a new edition of Abraham Bosse’s treatise on engraving, a text written almost a century earlier. Introducing the techniques for avoiding image reversal, Cochin remarks: S’il est nécessaire que l’estampe vienne du même sens que le tableau ou dessein original, ce qu’on est obligé de faire quand il y a des actions qui doivent se faire de la main droite & qui viendroient à gauche sur l’estampe si l’on gravoit sur le cuivre du même sens que l’original, alors il faut contrépreuver tout de suite son trait sur le cuivre sans le faire d’abord décalquer sur un papier blanc […]. De cette façon l’estampe viendra

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Stefano de Bosio

du même sens que le tableau, mais on est obligé alors de graver au miroir, comme nous l’expliquerons ci‑après.33 According to Cochin, not every print has to follow the orientation of its model: “If it is necessary that the print results in the same direction as the original painting or drawing”. This is a crucial point for understanding early modern attitudes toward lateral reversal. The mobility in the lateral configuration of the image ultimately pertains to the ‘visual effectiveness’ of the printed image itself.34 This ‘effectiveness’ also helps to frame the choice of whether or not to maintain the orientation of the model in a print. Indeed, the apprehension of the visual effectiveness of the reversed image mobilises concepts such as invention, imitation, and emulation that are central in the early modern discourses on image-making, as much as it problematises terms such as copy and reproduction. Consistent with this approach is the persistence, well into the 18th-century, of the role of ‘invention’ in evaluating a print.35 Early modern print technologies, as well as ‘marginal techniques’ such as counter-proofing, thus emerge as one of the privileged contexts to look for alternative interpretative paradigms on reversal. The study of the different approaches to image orientation in prints draws attention to the large category of images existing beyond their lateral configuration. Migrating and disseminating through different media, images unfold themselves revealing their potential two-sidedness. This reversibility, as we have seen, does not necessarily affect the aesthetic production of meaning in the image itself. At the same time, considerations like those by Cochin the Younger and Jullienne help thematize the latent tension that existed between aesthetic and epistemic layers of meaning in the printed image. In other words, they show how the form-based gaze can conflict with an identifying gaze rooted in the iconographical meaning of the image.

33 Charles-Nicholas Cochin, Abraham Bosse, De la manière de graver à l’eau-forte et au burin et de la Gravure en manière noire. Avec la Façon de construire les Presses modernes & d’imprimer en Taille-douce. Par Abraham Bosse, graveur du Roy, Nouvelle Edition, revue, corrigée et augmentée du double, et enrichie de dix-neuf planches en Taille-douce, Paris 1745, p. 61. 34 An expression coined by Michael Bury to question the status of some mid-sixteenth-century engravings by Giorgio Ghisi on account of their free use of works by Raphael and Bronzino as visual sources: Michael Bury, ‘On Some Engravings by Giorgio Ghisi commonly called Reproductive’, in: Print Quarterly 10:3 (1993), pp. 18–19. 35 Rebecca Zorach, Elizabeth Rodini, ‘On Imitation and Invention. An Introduction to Reproductive Print’, in Rebecca Zorach (ed.), Paper Museums: The Reproductive Print in Europe 1500–1800 (exh. cat. David and Alfred Smart Museum of Art, Chicago, New York, Grey Art Gallery and Study Center), Chicago 2005, pp. 1–29; Evelina Borea, Lo specchio dell’arte italiana: Stampe in cinque secoli, Pisa 2009, I, pp. xviii–xix. On the evolution of the notion of copy in 18th-century printmaking: Christian Michel, ‘Les debats sur la notion de graveur/traducteur en France au XVIIIe siécle’, in: Francois Fossier (ed.), Delineavit et Sculpsit. Melanges offerts à Marie-Felicie Perez-Pivot, Lyon 2003, pp. 151–161; Stephen Bann, ‘The Dilemma of Reproduction in Western Art’, in: Shigetoshi Osano (ed.), Between East and West, Krakow 2014, pp. 31– 44.

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In 1978, Francis Haskell devoted a considerable part of his famous essay The Painful Birth of the Art Book to analyze the historical importance of the Recueil Crozat. Referring to the orientation of the prints in the Recueil, Haskell wrote: [T]here are some surprising weaknesses in the organization of the book. Thus, not all the engravings face in the same direction as the pictures which they reproduce, though most of them do, and this inconsistency must have been irritating in view of the fact that many of the pictures had never previously been reproduced.36 The distance between Haskell’s words and those written by Mariette in the Preface of the Receuil Crozat allows us to measure how art history, since its emergence as a field of systematic study in the late 18th-century, has contributed to the elaboration of new epistemic protocols for assessing the apprehension of the printed image and its history, including the framing of the very categories of original and reproductive print.37 Such critical discourse also deeply affected the evaluation of mirror imagery, with these images now appearing as clearly secluded and different from their left-right reversed pendants. Nevertheless, as the present discussion of the early 18th-century Parisian milieu has tried to highlight, this approach is only one of those possible, only one chapter, albeit an extremely important one, in the broader critical history of the meanings and functions of the lateral reversal of images in Western culture.

36 Francis Haskell, The Painful Birth of the Art Book, London 1987, p. 28. 37 Caroline Karpinski, ‘Preamble to a New Print Typology’, in: Lars R. Jones (ed.), Coming about: A Festschrift for John Shearman, Cambridge 2001, pp. 375–380.

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Fallstudien aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München

Susanne Wagini

Der Abklatsch zur Vorbereitung von Mezzotinto-Arbeiten? Jan van Somer kopiert Pierre Lombarts Kupferstichserie der Countesses Die Staatliche Graphische Sammlung München bewahrt sechs Abklatsche von Rötelzeichnungen des aus Amsterdam stammenden Künstlers Jan van Somer (um 1645– nach 1699), die den Teilnehmern des Kolloquiums „Marginale Zeichentechniken“ am 10. November 2018 im Studiensaal vorgestellt wurden. Im Zuge der näheren Beschäftigung mit diesen Blättern ergaben sich interessante Aspekte, die zu einer Hypothese über den Zweck dieser Abklatsche veranlassen. Die sechs Rötelabklatsche sind in Wolfgang Wegners Bestandskatalog der niederländischen Handzeichnungen verzeichnet und wurden von ihm Jan van Somer zugewiesen; spiegelverkehrte Signaturen auf drei der Blätter verraten den Autor.1 Die Darstellungen zeigen Porträts von Damen in Dreiviertelfigur, die Wegner im Titel beschreibend durch ihre Körperhaltung und Beigaben unterschied. So heißt es beispielsweise „Dame, halb nach rechts gewandt, Blumen auf dem Tisch“ oder „Dame zum Beschauer gewandt, einen Zweig in der linken Hand haltend“ (Abb. 1). Wegner war auch eine Rötelzeichnung im Museum in Darmstadt (Abb. 2) bekannt, die eindeutig das Original zum Abklatsch von Inv. Nr. 13213 Z (Abb. 1) ist. Warum allerdings die Darstellungen der sechs Münchner Abklatsche bislang nicht als Kopien nach Gemälden Anthonis van Dycks (1599–1641) thematisiert wurden, ist erstaunlich, zumal van Somer selbst in der Darmstädter Zeichnung angibt, dass das Bildnis auf van Dyck zurückgeht. Es heißt dort „Antonis van Dyck eques / Pinxit / Jan van Somer delin / 1668“. Somit lässt sich eruieren, dass es sich bei den bisher namenlosen Dargestellten

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Wolfgang Wegner, Die niederländischen Handzeichnungen des 15.–18. Jahrhunderts (Kataloge der Staatlichen Graphischen Sammlung München), 2 Bde., Bd. 1, Berlin 1973, S. 130, Nr. 933 bis Nr. 938; entspricht Inv. Nr. 13211 Z bis Inv. Nr. 13216 Z. Spiegelverkehrte Signaturen samt Datierung „1668“ finden sich auf den Inv. Nrn. 13212 Z, 13215 Z, 13216 Z.

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Abb. 1 Jan van Somer, Bildnis der Elizabeth, Countess of Devonshire, um 1668, Rötel auf Vergé (Abklatsch), 300 × 227 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 13213 Z

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Der Abklatsch zur Vorbereitung von Mezzotinto-Arbeiten?

Abb. 2 Jan van Somer, Bildnis der Elizabeth, Countess of Devonshire, 1668, Rötel auf Vergé, 314 × 226 mm, Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Graphische Sammlung, Inv. Nr. AE 810

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Susanne Wagini

um Rachel, Countess of Middlesex,2 Dorothy Sidney, Countess of Sunderland,3 Elizabeth, Countess of Devonshire (Abb. 1, 2),4 Elizabeth, Countess of Castlehaven,5 Anna Sophia, Countess of Carnavon6 und Penelope, Lady Herbert7 handelt, die von van Dyck porträtiert worden waren. Anthonis van Dyck war 1632 nach England an den Hof von König Karl I. gekommen. Noch im selben Jahr wurde er geadelt und zum Hofmaler ernannt. Van Dycks ausdrückliche Aufgabe war es, den englischen Hof zu glorifizieren, und so schuf er eine Vielzahl an Gemälden der königlichen Familie und des Adels.8 In diesen Porträts, gemalt in einem eleganteren und lebendigeren Stil als bislang im England des 17. Jahrhunderts üblich, hob er die Grazie der Dargestellten hervor und näherte die Bildnisse dem Ideal bewundernswerter Schönheit an. Die Gemälde folgen einer durch van Dyck geprägten Typologie. Er zeigt die Dargestellten zumeist in einem seitlich nach außen offenen Raum, teilweise mit Beigaben wie Pflanzen, Vasen, Brunnen etc. Van Dycks neuartige und sinnliche Bildnisse hatten eine derartige Anziehungskraft, dass der aus Paris stammende Kupferstecher Pierre Lombart (1612/1613–1681/1682)9 gegen Ende seines Londoner Aufenthalts (1649–1662) eine Auswahl von zehn Damenporträts und zwei Herrenbildnissen zu einer druckgraphischen Serie zusammenstellte (Abb. 3).10 Vier der von ihm kopierten Gemälde befanden sich im Northumberland House in London und waren

  2 Jan van Somer, Rachel, Countess of Middlesex, 1668, Rötel (Abklatsch), 315 × 240 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 13211 Z. Zum Gemälde von van Dyck siehe Susan J. Barnes, Nora de Poorter, Oliver Millar, Horst Vey, Van Dyck. A Complete Catalogue of the Paintings, New Haven, 2004, S. 629, Nr. IV.A4.   3 Jan van Somer, Dorothy Sidney, Countess of Sunderland, Rötel (Abklatsch), 320 × 232 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 13212 Z; zum Gemälde von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 605, Nr. IV.223.   4 Zum Gemälde von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 500 f., Nr. IV.90.   5 Jan van Somer, Elizabeth, Countess of Castlehaven, Rötel (Abklatsch), 291 × 231 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 13214 Z; zum Gemälde von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 457 f., Nr. IV.42.   6 Jan van Somer, Anna Sophia, Countess of Carnavon, Rötel (Abklatsch), 287 × 235 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 13215 Z; zum Gemälde von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 457, Nr. IV.41.   7 Jan van Somer, Penelope, Lady Herbert, Rötel (Abklatsch), 238 × 218 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 13216 Z; zum Gemälde von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 368, Nr. IV.A28.   8 Oliver Millar, Van Dyck in England, in: Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 417–428, 429–642.   9 Zu Pierre Lombart siehe Grazia Rapacciuolo, Maxime Préaud, Pierre Lombart (1612/13–1681), „Maître graveur en taille-douce“, in: Nouvelles de l’estampe 247 (2014), S. 4–18. 10 Zur Serie der „Countesses“ von Pierre Lombart siehe Simon Turner, Anthony van Dyck (The New Hollstein Dutch  & Flemish etchings, engravings and woodcuts), Teil  IV, Rotterdam 2002, Nr. 250–261; Simon Turner, in: Karen Hearn (Hrsg.), Van Dyck and Britain, London 2009, S. 193, Nr. 105. – Die Kriterien für die Auswahl der zwölf Personen für die Serie ist unklar.

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Der Abklatsch zur Vorbereitungvon Mezzotinto-Arbeiten?

vom 10th Earl of Northumberland bei van Dyck bestellt worden.11 Höchstwahrscheinlich waren auch die restlichen Gemälde van Dycks für Lombart in London zugänglich. Seine um 1661/62 entstandene Serie wurde etwa gleichzeitig in Paris und London publiziert. Sie wurde bekannt unter der Bezeichnung „Les douze beautés“ und in England als die „Countesses“ aufgrund der Bildlegenden der Blätter, die die Gräfinnen jeweils in Latein als „Comitissa“ betiteln; allerdings befinden sich auch zwei Herrenbildnisse, Philip Earl of Pembroke und Henry Earl of Arundel, darunter. Die Porträtstiche sind so angelegt, dass die Zusammengehörigkeit der Blätter betont wird: Die Porträtierten sind in Dreiviertelfigur gezeigt, die Platten haben annähernd das gleiche Format (ca. 350 × 250 mm), sie tragen jeweils am unteren Rand eine lateinische Aufschrift und sind von ca. 15 mm breiten dekorativen Umrandungen eingefasst, die zeitgenössische Gemälderahmen imitieren (Abb. 3). Die Serie war erfolgreich und die Nachfrage groß. Nach dem Tod Lombarts wurde sie in England weiter aufgelegt und beispielsweise noch 1708 als „being one of the best performances in graving, and very proper to adorn rooms, closets etc.“ annonciert.12 Lombarts Set der Countesses war zum Prototyp der druckgraphischen Schönheitengalerien geworden.13 Und nun kommt Jan van Somer ins Spiel. Er hat, wie die Zeichnung im Museum in Darmstadt (Abb. 2) sowie eine weitere Rötelzeichnung mit dem Porträt der Anna, Countess of Morton, im Berliner Kupferstichkabinett14 und schließlich die sechs Abklatsche in der Staatlichen Graphischen Sammlung München belegen, im Jahr 1668 mindestens sieben der Kupferstiche des Pierre Lombart in Rötel kopiert.15 Eindeutig entstanden van Somers Nachzeichnungen auf Grundlage der Stiche des Pierre Lombart, und nicht etwa direkt nach van Dycks Gemälden in England, denn im Jahr 1668, das seine Rötelzeichnungen als Datierung tragen, weilte van Somer in Heidelberg. Zudem entsprechen die Maße der Zeichnungen und der Abklatsche den Maßen der Lombartschen Stiche. Deren Aufschriften mit der Bezeichnung der Dargestellten und die aufwendigen ornamentalen Umrandungen wurden von Jan van Somer dagegen nicht berücksichtigt. 11 Siehe Jeremy Wood, Van Dyck and the Earl of Northumberland. Taste and Collecting in Stuart England, in: Susan J. Barnes, Arthur K. Wheelock (Hrsg.), Van Dyck 350 (Studies in the History of Art 46, Symposium Papers 26), Hanover 1994, S. 281–324. 12 Siehe Antony Griffiths, The Print in Stuart Britain 1603–1689, London 1998, S. 183. 13 Zur Geschichte der Schönheitengalerien siehe Michael Wenzel, Heldinnengalerie – Schönheitengalerie. Studien zu Genese und Funktion weiblicher Bildnisgalerien 1470–1715, Diss. Heidelberg 2001, dort zu Pierre Lombarts Serie, S. 270 (Online: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2006/44. Abge­ rufen am 10.07.2019). 14 Jan van Somer, Bildnis der Anna, Countess of Morton, um 1668, Rötel, 317 × 232 mm, Kupferstichkabinett Berlin, Inv. Nr. 13918. Die Dargestellte ist aufgenommen mit dem Titel „Porträt einer Dame, von vorn, ein wenig nach links gewendet, Kniestück, links Fensterausschnitt“ im Bestandskatalog von Elfried Bock, Jakob Rosenberg, Die Zeichnungen alter Meister im Kupferstichkabinett. Die niederländischen Meister, Bd. 1, Berlin 1931, S. 275. Zum Porträt der Anna, Countess of Morton von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 637, Nr. IV.A24. 15 Vermutlich lässt sich von den Rötelzeichnungen oder Abklatschen des Jan van Somer nach der zwölfteiligen Serie von Pierre Lombart in manchem Kabinett noch das eine oder andere der fehlenden Blätter auffinden.

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Susanne Wagini

Abb. 3 Pierre Lombart, Bildnis der Elizabeth, Countess of Devonshire, um 1661/1662, Blatt aus der Serie der „Countesses“, Kupferstich, Platte 343 × 240 mm, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 33192 D

Es stellt sich die Frage, zu welchem Zweck die Abklatsche von van Somers Rötelzeichnungen hergestellt wurden, sprich: warum kam diese „marginale Zeichentechnik“ zur Anwendung? Kann man davon ausgehen, dass die Abklatsche von van Somer selbst angefertigt wurden? Ein Argument dafür ist, dass für die Münchner Abklatsche Papiere verwendet wurden, die das Wasserzeichen Doppellilie mit den Buchstaben I und K tragen, gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu datieren sind und van Somer Zugriff auf Papiere dieser Papiermühle gehabt haben kann.16 Zudem wurden die Abklatsche in den Konturen verstärkt und schwer lesbare Details mit sicherer Hand sensibel nachbearbeitet, was für van Somer selbst spricht. Doch warum, wenn nicht zur reinen Duplizierung, könnte er seine Rötelzeichnungen abgeklatscht haben? Eine Erklärung wäre, dass van Somer eine eigene Serie von Schönheiten in Nachahmung des erfolgreichen und lukrativen Sets der „Countesses“ von Pierre Lombart geplant hatte. 16 Das Wasserzeichen findet sich auf allen sechs Blättern. Es handelt sich um eine Doppellilie mit den Buchstaben I und K, vergleichbar Gerhard Piccard, Wasserzeichen Lilie (Die Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bd. 13), Stuttgart 1983, Nr. 768–780. Diese Wasserzeichen beziehen sich lt. Piccard auf den Zeitraum 1680 bis 1710. Da Jan van Somer in den Jahren 1668 bis 1670 in Heidelberg gearbeitet haben soll, in jenem Zeitraum, in dem seine 1668 datierten Zeichnungen entstanden, wäre diese Art von Wasserzeichen, das sich auf Dokumenten aus der Region von Ehingen an der Donau, Stuttgart und Durlach findet, nicht unpassend. – Laut freundlicher Mitteilung von Mechthild Haas trägt van Somers Rötelzeichnung in Darmstadt ein Wasserzeichen mit den Buchstaben H/M K S (?).

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Der Abklatsch zur Vorbereitungvon Mezzotinto-Arbeiten?

Abb. 4 Jan van Somer (?), Bildnis der Anne, Countess of Bedford, 1660–1680, Mezzotinto, 320 × 253 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet, Inv. Nr. RP-P-1886-A-10916

Jan van Somer arbeitete in der relativ neuen druckgraphischen Technik des Mezzotinto (auch Schabkunst genannt) sowohl in Amsterdam als auch in den 1680er Jahren in London.17 So wurde er von den beiden Koryphäen des englischen Mezzotinto, den Londoner Herausgebern Alexander Browne (tätig 1659–1706) und Richard Tompson (tätig 1659– 1693) zur Anfertigung ihrer Druckplatten beschäftigt. Der englische Kupferstecher und Antiquar George Vertue (1684–1756) berichtet, „Jan van Somer the mezzotinter has done an abundance of plates after Sir Peter Lely. […] He was prodigious quick. He has in a long summer’s day very near begun and finished a half length plate.“18 Auch wenn Jan van Somer in der Geschichte des Mezzotinto bislang schwer greifbar ist,19 dürfte er dort eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Es ist vielleicht nicht abwegig, in den Rötelzeichnungen samt Abklatschen Vorbereitungen für Mezzotinto-Drucke zu sehen. So lassen sich van Somers Rötelzeichnungen in Darmstadt (Abb. 2) und Berlin gut in Aussehen und Funktion mit einem von Jan Baptist Gaspars (gest. 1691) signierten Blatt vergleichen. Es handelt sich um die Rötelzeichnung mit zwei jungen Männern im British Museum, die ein Gemälde von van

17 Jan van Somer erlernte das Mezzotintoverfahren wohl vor 1665, entweder durch Wallerant Vaillant in Paris oder von Abraham Blooteling, siehe Mary Bryan H. Curd, Flemish and Dutch Artists in Early Modern England. Collaboration and Competition, 1460–1680, Farnham 2010, S. 148. 18 George Vertue, Notebooks, hier zitiert nach Curd 2010 (wie Anm. 17), S. 148. 19 Siehe Griffiths 1998 (wie Anm. 12), S. 230–231.

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Susanne Wagini

Dyck kopiert und zur Vorbereitung eines durch Richard Tompson um 1680/83 herausgegebenen Mezzotinto diente.20 Diese Zeichnung ist quadriert und auf der Rückseite mit Rötel eingefärbt, um mittels eines Griffels das Motiv auf die Druckplatte übertragen zu können. Man geht wohl nicht zu weit, in Jan van Somers Rötelzeichnungen (und den Abklatschen) einen ähnlichen Zweck zu vermuten, auch wenn sie weder eine Quadrierung (sie war nicht notwendig, da die Verkleinerung der Gemälde bereits in Form von Lombarts Stichen vorlag) noch eine rückseitige Röteleinfärbung haben. Ein weiteres Argument für die These, die Zeichnungen Jan van Somers bzw. die Abklatsche seien Vorbereitungen für Druckgraphiken, liefert ein Mezzotinto-Blatt im British Museum. Es handelt sich um das Porträt von Anne, Countess of Bedford (Abb. 4), ebenfalls eine Kopie nach dem Stich des Pierre Lombart aus seiner Serie der „Countesses“.21 Dieser Druck wird im Onlinekatalog des British Museum dem Amsterdamer Künstler Abraham Blooteling (1640–1690) zugeschrieben,22 doch vermerkt der Kommentar: „There is no known lettered impression and the attribution to Blooteling is therefore not certain. It is similar in style to the mezzotints first published in London circa 1680 by Richard Tompson. An attribution to Jan van Somer is plausible.“23 Es ist mehr als verführerisch, diesem Zuschreibungsvorschlag zu folgen und in dem Londoner Mezzotinto ein Beispiel für die Umsetzung einer vorbereitenden Zeichnung des Jan van Somer erkennen zu wollen, die wohl ähnlich ausgesehen haben wird wie seine Rötelzeichnungen in Darmstadt und Berlin beziehungsweise die sechs Abklatsche in München. Durch die Abklatsche hätte sich van Somer der optischen Wirkung des Mezzotintoverfahrens

20 Jan Baptist Gaspars, Porträt zweier junger Männer, vermutlich Lord John und Lord Bernard Stuart (nach dem Gemälde von van Dyck in der National Gallery London, Inv. Nr. 3605), um 1680–1683, Rötel, quadriert und zur Übertragung auf eine Druckplatte verso mit Rötel eingefärbt, 400 × 277 mm, London, The British Museum, Inv. Nr. 1888,1221.5. Siehe The British Museum Collection Online, https://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=752175&partId=1&museumno=1888-12-21-5&page=1 (abgerufen am 10.07.2019). Carol Blackett-Ord, Simon Turner, Early mezzotints, Prints published by Richard Tompson and Alexander Browne, in: The volume of the Walpole Society 70 (2008), S. 8, S. 25 f., Nr. T.66. – Zum Gemälde von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 618, IV.244. 21 Jan van Somer (?), Bildnis der Anne, Countess of Bedford, 1660–1680, Mezzotinto, 320 × 253 mm, London, The British Museum, Inv. Nr. 1838,0420.96. Abgebildet wird in diesem Aufsatz das vergleichbare Exemplar in Amsterdam (Abb. 4). Zum zugehörigen Gemälde von van Dyck siehe Barnes 2004 (wie Anm. 2), S. 445, Nr. IV.22. 22 Das Mezzotinto mit dem Bildnis der Anne, Countess of Bedford wird bereits in Dieuwke de Hoop Scheffer, George S. Key[e]s (Bearb.), Hollstein‘s Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts ca. 1450–1700, Amsterdam 1983, Bd. 27, S. 141, Nr. 129 unter Jan van Somer geführt, dort allerdings fälschlich als „After Peter Lely (?)“. Der Zusammenhang mit den „Countesses“ von Pieter Lombart wurde nicht erkannt. 23 The British Museum Collection Online, https://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=1432524&partId=1&searchText=somer+Blooteling&page=1 (abgerufen am 10.07.2019). – Zwischen Blooteling und van Somer bestand eine enge persönliche Beziehung, siehe Curd 2010 (wie Anm. 17), S. 129–130.

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Der Abklatsch zur Vorbereitungvon Mezzotinto-Arbeiten?

versichert, da in beiden Medien flächige Hell- und Dunkeltöne in weichen Übergängen und samtigen Tonwerten erzeugt werden, die sich in ihrer plastischen und malerischen Wirkung für die Wiedergabe von Gemälden hervorragend eignen. Mit den hier dargelegten Zusammenhängen kommt man der Bedeutung Jan van Somers als „[…] ‘missing link‘ in the story of how mezzotint developed from being a secret for amateurs to a highly commercial technique“24 einen großen Schritt näher.

24 Ben Thomas, The Paradox of Mezzotint. An Exhibition of Mezzotints after Titian, Guido Reni, Van Dyck, Lely, Kneller, Gainsborough, Kauffman, Reynolds and Wright of Derby (Ausst. Kat. University of Kent), Canterbury 2008, S. 33.

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Fig. 1 Unknown draughtsman, Apotheosis of a Saint, 18th century, counterproof from a red chalk drawing on paper, 493 × 360 mm, Munich, Staatliche Graphische Sammlung, inv. no. 14175 Z

Nino Nanobashvili

Counterproofs Reversing and sharing drawings

The drawing from the Staatliche Graphische Sammlung München showing a saint being lifted up by angels into the clouds appears pale and partly blurry (fig. 1). A closer look reveals that the hatchings were executed from upper left to lower right, thus suggesting left-handed workmanship. But the blurriness and upside-down hatchings as well as the flat impression of the lines indicate that the sheet is a counterproof. A dampened sheet of paper was placed on an original red chalk drawing and pressed against it, the image thus being imprinted on the blank paper in reverse.1 In early inventories, and ever since, the sheet was attributed to Francesco Solimena (1657–1747). On closer examination, however, the drawing does not seem to be a preparatory one. Instead, it appears to have been made after a finished altarpiece or a fresco. The draughtsman is clearly not exploring poses and experimenting with the distribution of the figures but rather captures the successful arrangement of the figures. The impressive winged angel in the foreground is the focus of his interest. The composition seems to originate from the first half of the 18th century and might be by Solimena or any other Neapolitan painter.2 Neither the draughtsman nor the subject can be identified with any certainty. Further exam-

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Thomas Ketelsen (ed.), Der Abklatsch. Eine Kunst für sich (exh. cat. Cologne, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Cologne 2014; Marie-Christine Seigneur, On Counterproofs, in: Print Quarterly 21 (2004), pp. 115–127. I wish to thank Cristiana Romalli and Nicola Spinosa for their opinions. The drawing is possibly based on a lost or an unrealised painting by Solimena, which would explain the attribution in Munich. However, no painting or sketch which might have served as a model could be determined until now. The foreshortenings of the figures suggest that the composition was intended for a ceiling or, very likely, for the upper part of an altarpiece. The saint (St Nicholas?) cannot be identified with any certainty due to the lack of his attributes and the narrative context in the lower section. Comparable compositions can be found in the oeuvres of Francesco Celebrano (St Nicho­las, Hampel Fine Art Auctions Munich, Auction 16.06.2010, no. 396) and Giovanni Battista Benaschi (St Nicholas in Gloria, Albertina, Vienna, inv. no. 1026).

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Nino Nanobashvili

ination of the use of counterproofs through the centuries could help to understand the role of the Munich sheet. Counterproofs, which can be traced back to the beginning of the Cinquecento, were used by painters and printmakers likewise. Parmigianino, who produced early etchings in Italy, seems to have transferred his printing experience to the drawing practice. He reversed the figures by offset and traced the lines through the sheet as a way of rethinking the figures, giving them a new meaning in the process.3 But it was not only artists engaged in printmaking who adopted the technique. Raphael, too, created a counterproof of his red chalk drawing of Christ’s Charge to Peter around 1514 for a tapestry. It served to examine the final appearance of the composition in reverse, as it would ultimately appear in the tapestry.4 Evidence of the practice are a very large number of surviving counterproofs by Guercino and his circle. The artist often used counterproofs to flip his compositions and try a different storytelling.5 His heirs on the other hand produced a lot of offsets to keep an impression of a drawing after selling the original sheet.6 One can even find counterproofs after counterproofs, which reverse the composition back to its initial direction, a method often employed by Fragonard. He made a drawing after Solimena’s painting Expulsion of Heliodorus from the Temple, which he possibly gave away. As he wanted to keep a copy of the composition in its original direction, he produced a counterproof, redrew the lines and pressed it against a further sheet in order to mirror the composition once more.7 Hitherto almost unknown to research is a large number of counterproofs from the 1620s by Filippo Esengren, a painter and antiquarian working in Venice since 1614.8 They 3

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As an example for the method of rethinking a figure through a counterproof, Aimee Ng discusses Parmigianino’s drawing Madonna and Child with St Gerome and the Blessed Bernadino da Feltre in the Biblioteca Nacional, Madrid. Aimee Ng, Thinking in Reverse. The Effect of Printmaking on the Drawings of Parmigianino, in: Una Roman D’Elia (ed.), Rethinking Renaissance Drawings, Montreal 2015, pp. 162181, p. 163. For the counterproof after Raphael’s red chalk drawing Christ’s charge to Peter (Royal Collection, Windsor, RCIN 912751), see: Thomas P. Campbell, Bruce M. White (eds.), Tapestry in the Renaissance. Art and Magnificence, New York 2002, pp. 188–190, 204–210; Martin Clayton, Raphael and his Circle. Drawings from Windsor Castle, London 1999, pp. 104–107. Raphael gained his first experience in making designs in opposite direction from engravings. Therefore, he possibly used mirrors to examine his compositions in reverse. The Windsor counterproof is the only one known by him which was used in the design process. Further counterproofs were produced in his workshop to keep them as ricordi when the original drawing was given away. For Guercino’s working process, see Julian Brooks, Guercino. Mind to Paper, Los Angeles 2006. The Royal Collection at Windsor Castle holds 234 counterproofs, partly done and reworked by Guercino himself and partly produced by his heirs. For these sheets, see Denis Mahon, Nicholas Turner, The Drawings of Guercino in the Collection of Her Majesty the Queen at Windsor Castle, Cambridge 1989, pp. 177–178. Further single counterproofs by Guercino and his circle can be found in collections worldwide. For Fragonard’s drawing after Solimena’s painting in the Wallraf-Richartz-Museum in Cologne (inv. no. Z 3251), see Ketelsen 2014 (as fn. 1), p. 70–71, cat. 40. For Esengren, who was possibly originally from the north of Alps, see Nino Nanobashvili, Die Ausbildung von Künstlern und Dilettanti. Das ABC des Zeichnens, Petersberg 2018, pp. 115–121; Christina M.

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Counterproofs

are bound together with red chalk drawings in five albums. Of the 285 sheets showing live models in different poses, around a third are counterproofs.9 Due to the fact that the paper used for the counterproofs is almost identical to that used for the drawings and both show red chalk in similar intensity, it has never been recognised before that they are not drawings themselves. The inventory of Esengren, compiled after his death in 1631, lists 60 similar albums, which were likely already bound during his lifetime.10 The artist, therefore, did not only own a large quantity of similar sheets but obviously made no distinction between drawing or offset. Nearly all sheets of this group show posed models, which were drawn from life by different draughtsmen in an informal academy hosted by Esengren. A closer look at the content of these drawings allows us deeper insights into the activities of this academy, where artists and art lovers discussed antique and musical subjects while drawing at the same time.11 Drawing was part of an intellectual activity and the subjects for study were primarily selected to provide an aid for training the hand as well as a stimulus for discussions. Artists collected these drawings anyway in order to gather a ‘vocabulary’ in their studios which could be used again for later inventions.12 We don’t know if Esengren himself ever made use of the poses compiled in the albums, as no painting is attributed to him today.13 But some of the poses featured in drawings and counterproofs included in the albums obviously

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Ander­son, The Flemish merchant of Venice. Daniel Nijs and the Sale of the Gonzaga Art Collection, New Haven 2015, pp. 73–75; Elisabetta Antoniazzi Rossi, Filippo Esengren, “Pittore, di poi sensale di pitture” e i libri di disegni del Museo d’Arte, in: Bollettino del Museo Civico di Padova 92 (2003/2004), pp. 149– 160. Four albums are kept at Palazzo Zuckermann in Padua (inv. no. 1050-1274), inscribed on their spines LIBRO SESTO DI FILIPPO ESEGRENIO FATO NEL’ACADEMIA DAL NATURAL, LIBRO NONO DI FILIPPO ESEGRENIO FATO NEL’ACADEMIA, LIBRO XXXII DI FILIPPO ESEGRENIO FATO NEL’ACADEMIA D. D.SI[?], LIBRO DI FILIPPO ESEGRENIO FATO NEL ACADEMIA LX8[?]), one is held at Palazzo Correr in Venice (with the inscription LIBRO XVIIII DI FILIPPO ESEGRENIO FATO NEL’ACADEMIA). Several loose drawings have recently been identified in the Statens Museum for Kunst in Copenhagen. Chris Fischer (ed.), Venetian Drawings. Italian Drawings of the Royal Collection of Graphic Art, Statens Museum for Kunst, Copenhagen 2018, pp. 164–172. Hopefully further drawings by Esengren and his circle will be found in other collections. Archivio di Stato di Venezia, Sezionale Notarile, Giovanni Paccini, B. 10785, no. 701–703. See the transcription of the inventory in: Linda Borean, Stefania Mason Rinaldi (eds.), Il collezionismo d’arte a Venezia. Il Seicento, Venice 2007, pp. 336–337. As the description of the albums in the inventory corresponds closely to the inscription on the spines cited above, the drawings must have already been bound into albums by an earlier date i. e. during Esengrens lifetime. Nanobashvili 2018 (as fn. 8), pp. 111–115. For an analysis of the content of the drawings and the activities at the academy, see Nanobashvili 2018 (as fn. 8), pp. 143–175; Catherine Whistler, Drawing in Venice. Titian to Canaletto, Oxford 2015, pp. 9–25. For different ways of reusing life drawings in later paintings in the workshop of Tintoretto, see John Marciari, Drawing in Tintoretto’s Venice (exh. cat. New York, The Morgan Library & Museum, Washington, National Gallery of Art), London/New York 2018. Antoniazzi Rossi supposes that Esengren’s works are today catalogued as works by ‘followers’ of Palma il Giovane or Tintoretto; Antoniazzi Rossi 2003 (as fn. 8).

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Nino Nanobashvili

Fig. 2 Circle of Filippo Esengren, Seated Nudes, 1620s, counterproofs from red chalk drawings on paper, 520 × 420 mm, Padua, Palazzo Zuckermann, inv. no. 1267–1268

served as direct models for paintings of his colleague and close friend Alessandro Varotari, called Padovanino. An example discussed here exemplifies the migration of a motif from a painting to a life drawing, which was subsequently turned into a counterproof and newly interpreted in a further painting. In Esengren’s informal academy, a model was seated in the pose of Apollo from Bronzino’s panel Apollo and Marsyas (fig. 2).14 At least three draughtsmen captured the pose twice on a sheet of which counterproofs survive in the albums.15 It is not possible to reconstruct whether Varotari attended this session. He did, however, make use of the same pose in his painting Orpheus and the Animals, which is not in the direction of the

14 Bronzino’s painting Apollo and Marsyas (1531–32, St Petersburg, Hermitage Museum) possibly was known to Esengren and Varotari in the original. In any case, the motif was widespread both inside and outside the boundaries of Venice through the engraving of Giulio Sanuto from 1562. 15 Further examples, see Nanobashvili 2018 (as fn. 8), pp. 169–175.

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Counterproofs

counterproof but follows the ‘original’ drawing.16 Why, then, is the counterproof relevant for our analysis? In Varotari’s paintings we can find further corresponding poses taken from the albums, but usually they are depicted in reverse.17 This leads to the consideration that if Varotari was present at the aforementioned session in the informal academy and made a drawing after the posed model, he must have taken it with him and left the counterproof in Esengren’s studio. If, on the other hand, he did not attend the session, Esengren must have given him his own drawing later and kept the counterproof for himself. With regard to Esengren, this means that the artist did not only collect these drawings as a stock of ‘vocabulary’ for workshop use but also gave away some of his sketches of which he then kept counterproofs (or vice versa), a practice documented in the studios of Guercino and Raphael as well. Even though a counterproof can be regarded as a mere copy of an ‘original’ drawing and therefore might be considered as contrary to the uniqueness marking the concept of disegno, it was therefore used as a practical working tool for a variety of purposes.18 To return to the Munich offset, this sheet too should be considered against the background of this working process. Its creator either wanted to reverse the copied composition for further use or wished to keep the image because the original drawing was gone.19 The counterproof thus constituted one step within a process, allowing the artist to make further variations and develop new figures.

16 For Varotari’s painting Orpheus and the Animals (Museo del Prado, Madrid), see Claus M. Kauffmann, Orpheus. The Lion and the Unicorn, in: Apollo 98 (1973), pp. 192–196. 17 In further paintings such as St Marcus (Collection Pellegrini) and Judith and Holofernes (private collection), Varotari used reversed images after drawings kept in Esengren’s albums as well. For the paintings, see Maria Ugo Ruggeri, Il Padovanino, Soncino 1993; for the use of counterproofs, Nanobashvili 2018 (as fn. 8), pp. 157–168. 18 Thomas Ketelsen, Michael Venator, Der Abklatsch zwischen Berührung und Distanz. Ein Beitrag zu einer Phänomenologie des Selben in der Zeichnung, in: Ketelsen 2014 (as fn. 1), pp. 5–32, p. 11. 19 It is also possible, albeit less likely, that the Munich counterproof was created because of its soft effect, which was highly appreciated in the 18th-century.

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CUT&PASTE – VERWANDLUNGEN

Heiko Damm

Klappvariante und Klebekorrektur Überlegungen zur Papiermontage in italienischen Zeichnungen um 1600

Unter einer Collage versteht man gemeinhin ein flaches Klebebild, bei dem Papier zumindest als Ausgangsmaterial dient. Dabei wird Nichtzusammengehöriges auf möglichst originelle Weise miteinander verknüpft, aus disparaten Bruch- und Fundstücken eine neue Einheit geformt.1 Jener zugleich zerstörerische wie konstruktive Gestus der Aneignung und Umdeutung fremden Materials, der den Akten des Schneidens, Reißens, Schichtens und Aneinanderfügens einen ästhetischen Eigenwert zuspricht und sie im Werk sichtbar hält, macht das Collagieren zu einem genuin modernen Gestaltungsmittel. Von zentraler Bedeutung ist hierbei zweifellos die namensgebende „Erfindung“ der papiers collés durch Pablo Picasso und Georges Braque am Übergang zum Synthetischen Kubismus: Im Jahr 1912 verwendeten sie erstmals Tapetenfetzen oder Zeitungsfragmente im Sinne eines Materialzitats als integralen Teil der Bildkonstruktion. Sie begründeten damit eine bildnerische Praxis, deren vielfältige Wirkungen bis in die Gegenwart reichen.2 Ebenso unbestreitbar ist aber, dass das Prinzip der schöpferischen Montage unterschiedlicher bildtragender Papiere eine weit zurückreichende Vorgeschichte hat, wovon zahlreiche mit Ein- und Überklebungen versehene graphische Blätter früherer Epochen zeugen.3 In gedruckten Büchern finden sich seit dem 16. Jahrhundert Illustrationen mit aus-

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Vgl. Dietrich Mahlow, Prinzip Collage. Eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen, 1. Dokumentation, internationale Entwicklung, 2., veränderte Auflage, Stuttgart 1987, S. 19. Außerdem grundlegend: Herta Wescher, Die Collage. Geschichte eines künstlerischen Ausdrucksmittels, Köln 1968 und Brandon Taylor, Collage: The Making of Modern Art, London/New York 2004. Verwiesen sei hierzu nur auf Elizabeth Cowling, The fine art of cutting: Picasso’s “papiers collés” and constructions in 1912–14, in: Apollo 142:405 (1995), S. 10–18 und Fèlix Fanés, Sobre els papiers collés, Barcelona/New York/Venedig 2018. Mit einem weit gefassten Collage-Begriff bot eine Ausstellung der National Galleries of Scotland jüngst einen faszinierenden Parcours durch 400 Jahre Entwicklungsgeschichte dieser Technik: Cut and Paste. 400 Years of Collage (Ausst. Kat. Edinburgh, Scottish National Gallery of Modern Art), hrsg. v. Patrick Elliott, Edinburgh 2019.

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klappbaren Elementen, mit denen sich überraschende oder belehrende Verwandlungen inszenieren ließen, und auch das spielerische Collagieren ausgewählter druckgraphischer Fragmente lässt sich mindestens bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen.4 Dass der Gebrauch von Schere (oder Messer) und Kleister im Umgang mit Zeichnungen seit je selbstverständlich war, dass Blätter nach Bedarf geteilt, zugeschnitten und neu arrangiert wurden, führen die Klebealben frühneuzeitlicher Sammlungen eindrücklich vor Augen. Eine bedeutende Rolle spielte das Schneiden und Kleben aber auch im zeichnerischen Prozess selbst, sei es als Korrekturmaßnahme und Hilfsmittel auf dem Weg zur Bildfindung oder um eine alternative Gestaltungsoption aufzuzeigen. Diesen randständigen, aber keineswegs seltenen Praktiken und ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen, Funktionen und wirkungsästhetischen Implikationen möchte sich der Beitrag anhand ausgewählter Beispiele italienischer Handzeichnungen vor allem des ausgehenden 16. Jahrhunderts widmen.

1. Erproben und Ersetzen Im reichhaltigen Bestand italienischer Zeichnungen des Frankfurter Städel Museums findet sich eine Martyriumsdarstellung mit Engelsglorie von unbekannter Hand (Abb. 1).5 Die Zeichnung ist in mancher Hinsicht rätselhaft: Offenkundig unzutreffend ist ihre traditionelle Zuschreibung an Domenichino, allerdings lassen sich schwer Alternativen benennen; eine italienische Herkunft des Werks ist zu vermuten, aber keineswegs gesichert. Auch für eine Datierung gibt es kaum verlässliche Anhaltspunkte.6 Und selbst die ikonographische Bestimmung als Tod des Apostels Jakobus maior ist nicht über alle Zweifel erhaben. Bildmäßig komponiert und von beachtlicher Größe, fesselt das Blatt weniger durch seine künstlerische Qualität als durch die eigentümliche Kombination verschiedener Zeichentechniken und seinen unübersehbaren Collage-Charakter: Auf den ersten Blick lassen sich Schnittkanten und Überlappungen ausmachen, die auf einen Prozess des Zusammenfügens hinweisen, durch welchen der Künstler zu einer Komposition gelangte, die er durch ein abschließend darübergelegtes Liniengitter für gültig erklärte. Was sonst etwa durch den Vergleich mehrerer skizzenhafter Anläufe nachvollziehbar ist, die sich in eine zeitliche Folge ordnen lassen und so die schrittweise Ausformulierung eines Bildgedankens anschaulich machen, vermittelt hier

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Siehe Patrick Elliott, Collage over the Centuries, in: Ausst. Kat. Edinburgh 2019 (wie Anm. 3), S. 9–23, S. 11–12. und ders., ibid., Nr. 1–7, S. 51–55. Als ältestes Beispiel dieser Art dient die anatomische Darstellung eines sitzenden Mannes mit aufklappbarem Oberkörper von Heinrich Vogtherr d. Ä. von 1538 (Nr. 1, S. 51). Unter „Domenichino (?)“, URL: http://www.staedelmuseum.de/go/ds/15256z (zuletzt aufgerufen am 26.08.2020). Ein römisch geschulter Künstler der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts erscheint zumindest denkbar. Analogien in der Konturierung und bei den Gesichtstypen lassen bei einem anonymen Blatt mit der alten Aufschrift „Manfredi“ in der Graphischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums Köln (Inv. Nr. Z 5687) auf dieselbe Hand schließen.

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Klappvariante und Klebekorrektur

Abb. 1 Anonym, Martyrium des Hl. Jakobus maior, Feder in Schwarz, grau laviert, über schwarzem Stift und Rötel auf aus drei Blatt zusammengesetztem Vergépapier, 530 × 329 mm, Frankfurt, Städel Museum, Inv. Nr. 15256 Z

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ein einziges Blatt. Dabei wird der beschwerliche Weg von Versuch und Verwerfen zwangsläufig ausgeblendet oder zugedeckt – was zählt, ist das Ergebnis. Fraglos ist die Frankfurter Zeichnung ein aussagekräftiges Beispiel für die im Barockzeitalter übliche Kombination von zeichnerischem Entwurf und emendierender bzw. ergänzender Montage. Deutlich heben sich die aufgeklebten Partien vom Trägerpapier ab. Dabei entsteht ein kontrastreiches Zusammenspiel unterschiedlich ausgearbeiteter Bildareale, das Fragen nach der Abfolge ihrer Entstehung und der Wahl der jeweiligen Zeichenmittel provoziert. Deutlich sind verschiedene Stadien der Korrektur und Konkretisierung auszumachen. Auffällig ist schließlich das überaus feinmaschige Netz der Quadrierung, das die disparaten Elemente aneinanderbindet und den Tableaucharakter des vielfigurigen Entwurfs unterstreicht. Sicherlich sollte er in ein Altarbild umgesetzt werden, das die Enthauptung des Hl. Jakobus in Jerusalem unter Herodes Agrippa I. (Apg 12,2) zum Thema hat. Im Zentrum der Komposition erblickt man einen jungen Mann in Erwartung seines Martyriums, hinter ihm steht ein Scherge, der in dynamischer Drehung seines Oberkörpers zum tödlichen Schwerthieb ausholt. Die beiden seitlich postierten Figurengruppen sind wie zwei aufgespannte Flügel auf dieses Bewegungszentrum bezogen. Links stehen mehrere Krieger mit Standarten, von denen sich einer, auf seinen Schild gestützt, dem Geschehen zuwendet; nur diese typische Repoussoirfigur ist genauer ausgeführt. Im rechts nachträglich eingefügten Fragment schiebt sich oben ein Reiter ins Bild, der mit seinem Feldherrnstab den Befehl zur Enthauptung zu erteilen scheint. Direkt vor ihm wird ein weiterer Mann zum Richtplatz geführt, den Kopf nachdenklich auf die Hand gestützt. Bei ihm könnte es sich um den Schriftgelehrten Josias handeln, der dem verurteilten Apostel einen Strick um den Hals gelegt hatte, dann jedoch von diesem bekehrt und sogar noch getauft worden war.7 Flan­ kiert wird er von ebenfalls nackt wiedergegebenen Soldaten. Die Figur des reitenden Befehlshabers hatte der Zeichner schon in einer früheren Entwurfsphase angelegt, wie die Vorzeichnung der Schulterpartie in der Blattmitte am äußersten rechten Bildrand zeigt. Die darüber noch sichtbaren Feldzeichen dürften sich einem Planwechsel verdanken: sie sind auf die gegenüberliegende Seite gewandert. Weit weniger additiv wirkt das obere Register: Es wird von einer Engelsglorie beherrscht, überspannt von einem Wolkenbogen mit thronendem Christus, der den Scheitelpunkt der Komposition bildet. Diese Trichterform lässt der Zeichner achsensymmetrisch mit dem Schmetterlingsumriss der Figurengruppierung unten korrespondieren. Die meisten Engel wenden sich anbetend dem ins Licht gehüllten Erlöser zu, doch zwei beugen sich mit Palmzweigen und Märtyrerkronen zum irdischen Geschehen herab. Auffällig ist der gelöste, „malerische“ Duktus der oberen Blatthälfte, Helldunkel und gestaffelter Figurenmaßstab verdeutlichen hier die Weite und Raumtiefe der himmlischen Sphäre. Dagegen wirkt die Konturierung des Bodenpersonals eher steif, fast allzu vorsichtig. Von einer Binnenzeichnung 7

Mit der Liegefigur am unteren Bildrand mag dann womöglich der von Jakobus geheilte Lahme gemeint sein; vgl. Die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine, aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, Berlin 1963, S. 529–530.

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Klappvariante und Klebekorrektur

wird äußerst sparsam Gebrauch gemacht; der Verzicht auf modellierendes rilievo steht hier in eigentümlichem Gegensatz zu den schraffierten Schlagschatten. Die Quadrierung markiert einen vorläufigen Abschluss der Bildfindung und die Möglichkeit ihrer Übertragung in ein anderes Medium – unter Umständen eine weitere Zeichnung oder ein Karton als Zwischenstufe für ein geplantes Gemälde. Ungeachtet der offenen Fragen zu Autor, Sujet und Datierung erweist sich das Blatt doch als außerordentlich mitteilsam, was den kreativen Prozess und die eingesetzten Gestaltungsmittel betrifft. Sie reichen von der skizzenhaften Anlage größerer Gruppen mit weichem Kreidestrich über das Umreißen einzelner Figuren mit einem angespitzten schwarzen Stift sowie – links – mit Feder und Rötel bis zur grauen Lavierung in verschiedenen tonalen Stufen in der (aus zwei Einzelblättern zusammengesetzten) Himmelszone. Dieser mit dem Pinsel aufgetragene Schatten greift nur an einer einzigen, aber bezeichnenden Stelle in die untere Blatthälfte ein, wo er Kopf, Schulterpartie und erhobenen Arm des Henkers erfasst. Zusammen mit dem links hinter diesem sichtbaren dunklen Dreieck ergibt sich hier eine Form, die das V der Engelsglorie fortzusetzen scheint. Auf einer Achse des Heils platziert, wird die zum Todesengel stilisierte Figur zu einem Werkzeug der Gnade. Sein bedrohliches Ausholen bildet zusammen mit dem ergeben seinen Nacken darbietenden Apostel den Knotenpunkt der Komposition. Diese Bildidee muss dem Zeichner – allen im Detail erkennbaren Unsicherheiten zum Trotz – von Anfang an vor Augen gestanden haben. Um sich ihr schrittweise anzunähern, durchlief er nicht nur verschiedene Phasen der Selbstkorrektur, sondern fügte, wie schon angedeutet, auch mehrere bezeichnete Papierfragmente an- und übereinander. An den Rändern des Blattes ist die Ausdehnung des ursprünglich verwendeten Bogens auszumachen, im linken unteren Bereich liegt er frei. Ob sich die Vorzeichnung auch auf die später beklebte obere Blatthälfte erstreckt, ließe sich nur durch eine genauere Untersuchung klären. Ersichtlich ist jedenfalls, dass das grob zugeschnittene Papierstück mit der Martyriumsszene in der Mitte der unteren Blatthälfte zuerst aufgeklebt wurde (sie überschneidet ein wenig die im Vordergrund liegende Figur), dann folgte das obere rechte Viertel des Bildfeldes, schließlich ein etwa gleichgroßes Stück oben links, das ein wenig mehr nach unten reicht (um die Überlappung zu kaschieren, wurden die römischen Feldzeichen nach oben verlängert). Am auffälligsten ist aber die Einfügung des Papierfragments mit dem Reiter sowie vier stehenden Figuren. Auf einem (zumindest heute) helleren Papier ausgeführt, diente diese lineare Zeichnung offenbar der Klärung der zuvor rechts angelegten Kriegerversammlung. Dem Zeichner des Frankfurter Jakobusmartyriums ging es demnach um die Erarbeitung einer stringenten und übersichtlichen, dabei nicht allzu formelhaften Komposition für ein vermutlich großformatiges Altarbild, das klar in ein himmlisches und ein irdisches Register geteilt ist. Obschon das Grundschema von Beginn an festgelegt war, galt es doch, die einzelnen Figurengruppen ins rechte Größenverhältnis zu setzen und miteinander korrespondieren zu lassen. An die Stelle des üblichen Nacheinanders von vorsichtigem Skizzieren mit dem Stift hin zur Festschreibung der Form mit Feder und Lavierung ist eine eigenwillige Kopräsenz der Zeichenmittel getreten. Das Prinzip komponierender Montage fügt die hete­ rogenen Zeichnungsfragmente schließlich zu einer neuen Einheit.

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2. Vergleichen und Verdecken Von solchen im Arbeitsprozess erfolgten Einklebungen, die eine Kurskorrektur besiegeln, sind jene zu unterscheiden, die in einem fortgeschrittenen Stadium der Ausarbeitung oder erst nachträglich vorgenommen werden, um eine alternative Möglichkeit vor Augen zu führen. Letzteres lässt sich, wie schon angedeutet, am einfachsten durch eine Klappe bewerkstelligen: Das beweglich angebrachte Papierstück fordert den Betrachter zur Interaktion auf; er soll es vorsichtig lüften, um zu erfahren, worin genau die Neuerung besteht, und kann durch Auf- und Zuklappen das Vor- und Nachher miteinander in Beziehung setzen. In der Buchgraphik sind vergleichbare Vorrichtungen relativ aufwendig, sie enthüllen Ungesehenes und appellieren damit an Wissbegierde oder sogar Voyeurismus.8 In den Unikaten der Handzeichnung geht es um weniger und mehr: Die oft nur behelfsmäßig angebrachten Klappen richten sich an ein exklusiveres Publikum und bieten zuallererst dem Künstler selbst die Möglichkeit zum vergleichenden (Rück‑)Blick. Als höchst zweckmäßig erweist sich die Klappe in Entwürfen für Architektur, Ornamente oder kunsthandwerkliche Objekte, wo es ja häufiger darum geht, den Auftraggeber entscheiden zu lassen, welcher Ausführungsvariante er den Vorzug gibt. Dies setzt eine grundsätzliche Gleichwertigkeit beider Möglichkeiten voraus, was nicht heißt, dass sie mit derselben Gründlichkeit gezeichnet sein müssen. Denselben Zweck des Auswahlangebots erfüllt aber in den genannten Entwurfszeichnungen auch noch ein anderes Verfahren, nämlich die Darstellung alternativer Formgebungen links und rechts einer Symmetrieachse. Es bietet sich vor allem bei Fassadenaufrissen, Portalen, Fensterrahmen oder Altarädikulä an, ebenso bei Gefäßentwürfen, kann aber auch mit figürlichen Darstellungen zusammenspielen. Um sich zwischen den einander gegenübergestellten Varianten entscheiden zu können, ist es hilfreich, die eine oder andere Seite zeitweise abzudecken. An diesem Problem erweist sich der Vorzug der Klappe, dass man mit ihr ein Detail verändern kann, das Umfeld jedoch gleichbleibt. Über diese banale Funktionsbestimmung hinaus wird ein genauerer Blick auf anzuhebende Einklebungen in den folgenden Abschnitten zeigen, dass damit recht unterschiedliche Wirkungen erzielt werden konnten und dass eine klare Trennung zwischen der Absicht, Alternativen aufzuzeigen, und dem regulierten Zeigen oder Verbergen eines obsolet gewordenen Ansatzes selten möglich ist. Selbstredend impliziert schon die Entscheidung, was auf den ersten Blick sichtbar sein soll und was erst aufgedeckt werden muss, ein hierarchisches Verhältnis, doch können Klappvarianten eben auch letzterem zur Geltung verhelfen. Klassische Beispiele hierfür finden sich unter den Entwürfen, die der auf Architekturdarstellungen spezialisierte Maler Tommaso Laureti (um 1530–1602) 1563 einer Expertenkommission zur Errichtung eines repräsentativen Brunnens auf der Piazza Maggiore in Bologna vorlegte. Von den vierzehn inzwischen bekannten, auf verschiedene europäische Sammlungen verteilten Zeichnungen für dieses ambitionierte Projekt sind zwei mit aufklappbaren 8

Ausst. Kat. Edinburgh 2019 (wie Anm. 3), Nr. 1–7, S. 51–55 (Patrick Elliott).

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Klappvariante und Klebekorrektur

Abb. 2  Tommaso Laureti, Prachtbrunnen, bekrönt mit Herkules und Zerberus, 1563, Feder in Braun, laviert, auf Vergé, 675 × 400 mm, Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. Nr. 14343

Ergänzungen versehen.9 So zeigt ein Blatt im Linzer Stadtmuseum als bekrönende Figur eines reich geschmückten Schalenbrunnens die Ephesische Diana oder Dea Natura, aus deren Brüsten sich feine Wasserstrahlen ergießen. Schließt man die Klappe, erscheint eine andere Naturgottheit, ein flötespielender Pan; kurioserweise entströmt das Wasser nun seiner Trinkflasche und den Röhren seines Instruments.10 Eine ganz ähnliche Zeichnung Lauretis in der Albertina zeigt ebenfalls die vielbrüstige Diana von Ephesos, bei geschlossener Klappe nun aber einen Herkules im Kampf mit Zerberus (Abb. 2).11 Statt gießkannenartig gestreut schießen die Wasserstrahlen hier kraftvoll aus den Rachen des dreiköpfigen Höllenhundes hervor.   9 Für eine Diskussion aller bekannten Brunnenentwürfe Lauretis siehe Anna Schreurs, Stefan Morét, «Mi ricordo che, essendo proposto di volere fare un fonte…“ Pirro Ligorio und die Brunnenkunst, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 38 (1994), S. 280–309, S. 282–298; Richard J. Tuttle, The Neptune Fountain in Bologna: Bronze, Marble, and Water in the Making of a Papal City, hrsg. v. Nadja Aksamija, Francesco Ceccarelli, Turnhout 2015, S. 21–104 und Ingrid Dettmann, Leben und Werk des Malers und Architekten Tommaso Laureti (1530–1602), Phil. Diss., Freie Universität Berlin 2016, S. 87–101 mit Übersicht S. 88–89. 10 Feder in Braun, laviert, 558 × 417 mm, Linz, Stadtmuseum Nordico, Inv. Nr. S 25. Heinz Widauer (Hrsg.), Italienische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts (Ausst. Kat. Linz, Stadtmuseum Nordico), Linz 1991, S. 16–18; Schreurs/Morét 1994 (wie Anm. 9), S. 292–293; Heinz Widauer (Hrsg.), Italienische Zeichnungen des 16. bis 19. Jahrhunderts (Ausst. Kat. Linz, Stadtmuseum Nordico), Linz 1997, S. 74–81. 11 Widauer 1991 (wie Anm. 10), S. 19–21; Schreurs/Morét 1994 (wie Anm. 9), S. 291–292; Widauer 1997 (wie Anm. 10), S. 74–81.

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Diese für ein Brunnenkonzept nicht unwesentliche Änderung führt der Zeichner mit dem Pinsel andeutungsweise über den Klappenrand hinaus. Im Übrigen zeigt der Alternativentwurf, dass der Figurenschmuck im Grunde austauschbar ist, der Wechsel in der Ikonographie hat – zumindest in den Blättern in Wien und Linz – offenbar keine Auswirkungen auf Gestalt und Bildschmuck des Unterbaus, und umgekehrt kann dieselbe Gottheit zwei völlig unterschiedlich konzipierte Brunnenanlagen bekrönen.12 Tatsächlich stieß diese Nonchalance auf Kritik, Kommissionsmitglieder sollen den Zerberus als unpassend für einen öffentlichen Brunnen getadelt haben. So jedenfalls referiert es der – wie Laureti aus Palermo stammende – Maler, Architekt und Antiquar Pirro Ligorio (um 1512/13–1583) in einem dem Brunnenbau gewidmeten Traktat, in dem er sich über den Bologneser Wettbewerb wohlunterrichtet zeigt und die Diskussion der Entwurfszeichnungen Lauretis detailliert beschreibt.13 Dieser nutzte die Vorlage großformatiger Blätter, um seine sprudelnde Phantasie und die Geschwindigkeit seiner Feder vor dem Expertengremium in Szene zu setzen. Die durch die Klappmontierungen zusätzlich gewonnenen Gestaltungsvarianten unterstreichen Flexibilität und Ideenfülle des Künstlers. Trotz der von Ligorio überlieferten Konflikte gelang es Laureti, die Kommission von seiner Kompetenz zu überzeugen; er wurde zum leitenden Architekten jener eindrucksvollen, bis 1567 realisierten Fontana del Nettuno berufen, welcher der für die Skulptur hinzugezogene Giambologna freilich ein ganz anderes Gepräge geben sollte.

3. Verbessern und Verbergen Dass durch sorgsames Überdecken einzelner Partien der Charakter eines Bildentwurfs grundlegend verändert werden kann, zeigt das Beispiel einer anonymen, ehemals Agnolo Bronzino zugeschriebenen Verkündigung in Windsor Castle (Abb. 3).14 Maria und der Engel füllen hier das Bildfeld fast vollständig aus, vom Interieur ist lediglich ein Teil des Himmelbetts zu sehen. Obwohl die Figuren sehr nah aneinandergerückt sind, gelingt es dem Zeichner, den Weg der Botschaftsübermittlung nachvollziehbar zu machen. Die „Magd des Herrn“ sitzt mit gesenktem Blick auf einem niedrigen Schemel, auf ihrem Schoß ein geöffnetes Buch, Hinweis auf die Fleischwerdung des Logos. Der himmlische Bote nähert sich ihr beschwingten Schrittes von der Seite, mit seiner Rechten auf die über Marias Kopf schwebende Geisttaube weisend. Gut erkennbar wurden am Arm und an den Beinen Korrekturen vorgenommen. Unter den abgenommenen Papierstücken ist zu sehen, dass die Pose des Engels zuvor weit dynami12 Die aufmerksame ikonologische Untersuchung der Zeichnungen bei Widauer 1991 (wie Anm. 10), S. 6–46 versucht hingegen, möglichst jedem Figurendetail eine konkrete Bedeutung im Sinne der Herrscherpanegyrik zuzuweisen, erfolgte doch die Errichtung des Brunnens auf päpstlichen Wunsch. 13 Schreurs/Morét 1994 (wie Anm. 9). 14 Siehe Arthur E. Popham, Johannes Wilde, The Italian drawings of the XV and XVI centuries in the collection of His Majesty the King at Windsor Castle, London 1949, Nr. 144 mit der Zurückweisung der Zuschreibung an Bronzino. Martin Clayton schlug Raffaellino del Colle als Autor vor, vgl. https://www. rct.uk/collection/search#/1/collection/905127/the-annunciation (zuletzt aufgerufen am 26.08.2020).

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Klappvariante und Klebekorrektur

Abb. 3 und 4  Hier Giovanni Battista Tinti zugeschrieben, Verkündigung, um 1590, Feder in Braun, grau laviert, weiß gehöht, über schwarzem Stift, auf Vergé, 263 × 181 mm, Windsor, Royal Collection, Inv.  Nr. 905127

scher angelegt war: der Arm aufwärts gestreckt, die Beine in der Schwebe und wie zur Landung angezogen (Abb. 4). In der immer noch tänzerischen Serpentinata-Figur der überarbeiteten Fassung erscheint dieser Wirbel erheblich gedämpft. Was mag den Zeichner zur Überarbeitung seines ersten, mit aller Sorgfalt konturierten und ausgeleuchteten Entwurfs bewogen haben? Möglicherweise kontrastierte die stürmische Landung des Engels zu stark mit der Immobilität Mariens, deren Beine ganz verhüllt sind. Über die Beweggründe für die Konzeptänderung lässt sich nur spekulieren, doch hat es den Anschein, als sei sie als letztgültig zu verstehen, selbst wenn die heute abgelösten Papierstücke schon aufklappbar befestigt gewesen sein sollten. Als Zeichner der in beiden Versionen überzeugenden Szene kommt Giovanni Battista Tinti (1558–1604) in Frage, ein vor allem in Parma tätiger Schüler von Orazio Samacchini (1532– 1577).15 Kennzeichnend für Tintis Werke ist neben der Präzision des Strichs ein eklektischer 15 An seine bisher bekannten graphischen Arbeiten lässt sich das Blatt in Windsor sehr gut anschließen, vgl. Mario Di Giampaolo, Nota al Tinti disegnatore, in: Per A. E. Popham, Parma 1981, S. 119–129 und Ders. (Hrsg.), Disegni emiliani del Rinascimento, Cinisello Balsamo 1989, S. 288–291 sowie Jean Goldman, Nicholas Schwed, in: Suzanne Folds McCullagh (Hrsg.), Strokes of Genius. Italian Drawings from the Goldman Collection (Ausst. Kat. Chicago, Art Institute), New Haven/London 2014, Nr. 26, S. 96–97 und 178–179.

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Zug; mehrere seiner sehr elaborierten Kompositionen variieren berühmte Vorbilder oder sind pasticcioartig aus verschiedenen Versatzstücken zusammengesetzt.16 Stützen lässt sich dieser Zuschreibungsvorschlag just mit der gewissenhaft ausgeführten Umrisszeichnung des erhobenen Arms in der Erstfassung (Abb. 3). Mit der Korrektur der Beinstellung (Abb. 4) schließt sich der Zeichner jedoch enger an das Vorbild Samacchinis an.17 Das Blatt dürfte in den 1580er oder 1590er Jahren entstanden sein und somit in zeitlicher Nähe zu den im Folgenden vorzustellenden römischen Beispielen. Dass deren zeichnerische Kultur Tinti vertraut war, zeigen seine wiederholten Adaptionen von Bildentwürfen Federico Zuccaris (um 1539/40–1609).18 In dessen umfangreichem zeichnerischen Werk spielen Klebekorrekturen nur eine marginale Rolle, doch begegnen sie bezeichnenderweise in Zusammenhang mit besonders ehrgeizigen Projekten. 1563–1565 hielt sich Zuccari, von Giovanni Grimani, dem kunstsinnigen und romerfahrenen Patriarchen von Aquilea berufen, erstmals in Venedig auf, wo er sich bald einen Namen machte und nach öffentlichen Aufträgen strebte. So erbot er sich, das beschädigte Fresko Guarientos von 1365, eine Paradiesdarstellung von beträchtlicher Größe, an der Stirnseite der Sala del Maggior Consiglio im Dogenpalast zu ersetzen.19 Von diesem wagemutigen Vorhaben des jungen Künstlers zeugen zwei auf 1564 zu datierende, delikat aquarellierte Entwurfszeichnungen in Frankfurt20 und Paris,21 von denen letztere das zu16 Hierauf hat schon Di Giampaolo 1981 (wie Anm. 15), S. 119–120 hingewiesen. 17 Verwiesen sei hier vor allem auf eine Verkündigung, die Samacchini gegen 1575 für die Augustinerinnen von S.Maria degli Angeli in Bologna schuf (heute in Forlì, Musei San Domenico, Pinacoteca Civica). Zu diesem Bild, von dessen Beispielhaftigkeit die Stichwiedergaben von Domenico Tibaldi und dessen Schüler Agostino Carracci zeugen, zuletzt Andrea Romagnoli, in: Antonio Paolucci et al. (Hrsg.), L’Eterno e il tempo tra Michelangelo e Caravaggio (Ausst. Kat. Forlì, Musei San Dominico), Cinisello Balsamo 2018, Nr. 130, S. 405 (mit älterer Literatur). 18 Von Giovanni Battista Tinti dürfte auch das Taddeo Zuccari zugeschriebene Blatt mit der Enthauptung des Hl. Jakobus (?) in der Albertina (Inv. Nr. 15463) stammen, ein Pasticcio unter Verwendung von Taddeos weiter unten besprochener Schenkung Ravennas durch Karl den Großen. Für andere Kompositionen zog Tinti offenbar Motive aus Reproduktionsstichen nach Fresken der Zuccari-Brüder heran. Zu diesem Montageprinzip passt sein wiederholter Rückgriff auf Einklebungen: London, The British Museum, Inv. Nr. 1946,0713.591; München, Staatliche Graphische Sammlungen, Inv. Nr. 6906; Parma, Galleria Nazionale, Inv. Nr. 631; Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. Nr. 484. Mehrfach begegnen Klebekorrekturen auch in den Zeichnungen von Tintis ebenfalls emilianisch geprägtem Generationsgenossen Camillo Procaccini (1561–1629), vgl. hierzu Verf. in Heiko Damm, Henning Hoesch (Hrsg.), Galleria portatile. Handzeichnungen Alter Meister aus der Sammlung Hoesch, Petersberg 2017, Nr. 34, S. 145–149. 19 Hierzu zusammenfassend Jean Habert, Venezia e il Paradiso. Un concorso a Palazzo Ducale, in: Jean Habert et al. (Hrsg.), Il Paradiso di Tintoretto. Un concorso per Palazzo Ducale (Ausst. Kat. Paris, Musée du Louvre, Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza, Venedig, Palazzo Ducale), Mailand 2006, S. 9–65. 20 Feder in Schwarz, farbig laviert, über schwarzem Stift, 364 × 454 mm, Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv. Nr. 5466. Die Autorschaft des unter den deutschen Künstlern abgelegten Blattes wurde von Stijn Alsteens erkannt; Joachim Jacoby, Raffael bis Tizian. Italienische Zeichnungen aus dem Städel Museum (Ausst. Kat. Frankfurt a.M., Städel Museum, Paris, Fondation Custodia), Petersberg 2014, Nr. 54, S. 175–177. 21 Feder in Schwarz, farbig laviert, über schwarzem Stift, 287 × 626 mm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 4546. Catherine Loisel in: Ausst. Kat. Paris 2006 (wie Anm. 19), S. 68 zu Nr. 1, S. 70–71 (mit älterer Literatur).

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Abb. 5 Federico Zuccari, Das Paradies, wohl 1564, Feder in Braun über schwarzem Stift, farbig laviert, weiß gehöht, auf Vergé, 403 × 1138 mm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Rogers Fund, Inv. Nr. 61.201

nächst von dem Vorgängerbild übernommene Motiv der Marienkrönung in der Bildmitte mittels einer mandorlaförmigen Überklebung revidiert. Nachdem der Dogenpalast 1577 fast vollständig ausgebrannt war, stand die Neugestaltung des Paradiesbildes erneut auf der Tagesordnung und es kam zu einem Wettbewerb, an dem sich die prominentesten Maler Venedigs beteiligten. Es ist anzunehmen, dass Zuccari aus diesem Anlass die heute im Metropolitan Museum aufbewahrte Version einreichte, ein deutlich größeres und detailliert ausgearbeitetes Blatt, das bereits eine Quadrierung aufweist (Abb. 5).22 Der Umstand, dass hier dieselben gotischen Gewölbeansätze zu sehen sind wie auf der Pariser Zeichnung, obwohl man den Saal zur Zeit der Ausschreibung schon mit einer modernen, die Wand nach oben gerade abschließenden Holzdecke ausgestattet hatte, ließ manche Forscher an der späten Datierung der New Yorker Zeichnung zweifeln.23 Allerdings sind die gravierenden Unterschiede in der Bildorganisation doch am ehesten mit einer stilistischen Weiterentwicklung zu erklären: Zuccari scheint sich in der großzügigen Weitung des Raums und den freien Rhythmen seiner Figurenverteilung venezianischen Gepflogenheiten anzunähern. Es ist durchaus denkbar, dass er den riesigen modello auf der Grundlage seines früheren (Pariser) Entwurfs ausgearbeitet hatte, noch bevor er im Herbst 1582 persönlich nach Venedig reiste. Das zentrale Motiv wurde auch hier überklebt – nun mit einer Deesis, welche die Paradiesdarstellung mit dem Thema des Weltgerichts verknüpft, und diese sofort ins Auge fallende Änderung spricht dafür, dass sich Zuccari mit dem kapitalen Blatt ernsthaft

22 E. James Mundy, Renaissance into Baroque. Italian Master Drawings by the Zuccari (Ausst. Kat. Milwaukee, Miwaukee Art Museum, New York, National Academy of Design), Milwaukee 1989, Nr. 57, S. 184– 185 und Catherine Loisel in: Ausst. Kat. Paris 2006 (wie Anm. 19), S. 68–69 zu Nr. 2, S. 72–73 (mit älterer Literatur). 23 Vgl. hierzu die Diskussion bei Habert 2006 (wie Anm. 19), bes. S. 31.

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um eine Ausführung beworben hatte und seine Bereitschaft signalisierte, auf Auftraggeberwünsche einzugehen.24 Halten wir fest: Bei Federico Zuccari, dem bedeutenden Theoretiker und souveränen Praktiker des disegno, dienen die (seltenen) Einklebungen der Anpassung und Optimierung bereits ausgereifter Bildentwürfe.25 Dies bestätigt die in der Hamburger Kunsthalle aufbewahrte, mit aller Sorgfalt ausgeführte Reinzeichnung für die mit Bedeutung geradezu überfrachtete Verleumdung des Apelles, denn auch wenn sich das ripensamento hier aufklappbar darbietet – in den Kupferstich übertragen hat Cornelis Cort 1572 natürlich allein die revidierte Fassung.26 In Zuccaris römischem Umfeld konnten geklebte Emendationen aber auch viel weniger präsentabel ausfallen und eher der Herstellung einer Arbeitsgrundlage dienen, wie sich an Blättern von Girolamo Muziano (vor 1532–1592) zeigen ließe. Dass auch Muzianos Schüler und Mitarbeiter Cesare Nebbia (um 1540– nach 1622) dieser Korrektur-Modus geläufig war, zeigt sein Entwurf für die (einem Bild Muzianos sehr ähnliche) Himmelfahrt Christi in der Augustinerkirche von Montepulciano.27 Die überarbeitete Hauptfigur wurde auf einem passend zugeschnittenen Papierstück sorgfältig eingepasst und das gesamte Blatt einem vereinheitlichenden Finish samt Quadrierung unterzogen. Erst durch das altersbedingte Schrumpfen des Papiers lassen sich die Klebefugen deutlicher erkennen.28

24 Wenn sich auch Zuccaris Teilnahme am concorso von 1582 nicht eindeutig belegen lässt, so war er doch noch im selben Jahr mit einer vielbeachteten Szene aus der venezianischen Geschichte an der Bildausstattung des Palazzo Ducale beteiligt. Den Zuschlag für das Paradies erhielt bekanntlich Jacopo Tintoretto, der das Gemälde aber aus Altersgründen nicht mehr persönlich ausführen konnte. 25 Das Korrekturblättchen der Louvre-Zeichnung war wohl schon vor der 2006 erfolgten Restaurierung abhebbar – genauere Angaben hierzu bleiben Literatur und Datenbank schuldig. Beim New Yorker Blatt ist dagegen unbekannt, was sich unter dem ganzflächig aufgeleimten Papierfragment befindet. 26 Es handelt sich dabei um die oberste der vier auf dem Rahmen platzierten allegorischen Bildkartuschen; die ursprünglich hier vorgesehene Veritas zwischen Sol und Luna wird ersetzt durch Juno in ihrem Pfauenwagen, die über der halkyonisch stillen See schwebt. Auf das Blatt (Inv. Nr. 21516) wurde im Kontext der Korrektur bereits hingewiesen von Thomas Ketelsen, Phantasien der Wiederholung. Zur Schöpfungskraft der Oberfläche im Zeitalter des disegno, in: ders. (Hrsg.), Die Zeichnungen des Giulio Cesare Bedeschini. Schätze aus der Jesuitensammlung I (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Köln 2013, S. 13–26, S. 15. Eine umfassende Beschreibung und Analyse der Zeichnung bei David Klemm, Italienische Zeichnungen 1450–1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle (Katalog), 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 2009, Nr. 570, S. 372–375. 27 Feder in Braun, laviert, über schwarzem Stift, 249 × 169 mm, Paris, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins, Inv. Nr. 11467; siehe Rhoda Eitel-Porter, Der Zeichner und Maler Cesare Nebbia 1536–1614, München 2009, S. 103, 196. 28 Eine frappierende Analogie hierzu bietet ein wohl nur wenig später entstandenes, in der Sammlung Hoesch aufbewahrtes Blatt, das von Cesare Rossetti (um 1570/75–1627), einem Schüler des Cavaliere d’Arpino, beidseitig mit einer Auferstehung Christi bezeichnet wurde. Sein aufwendigeres Verso zeigt den strahlenden Erlöser über dem verschlossenen Sarkophag schwebend. Um auch dem dynamischen Flattern von Lendentuch und Siegesbanner Raum zu geben, wurde ein T‑förmiges Papierstück aufgeklebt, das sich durch zartere Zeichenmittel, unter anderem eine violette Lavierung, vom Rest des Bildes abhebt. Die Nahtstellen überspielt das in der halbtrocken aufgetragenen Weißhöhung materialisierte

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Abb. 6 Cesare Nebbia, Kaiser Augustus besucht die Bibliotheca Palatina, um 1588, Feder in Braun mit Lavierung, über schwarzem Stift, auf Vergé, 264 × 204 mm, Chicago, Goldman Collection, ohne Inv. Nr.

In Nebbias reichem, inzwischen bestens erschlossenen graphischen Œuvre sind Kompositionsentwürfe für Wandgemälde besonders zahlreich vertreten. Im Pontifikat Sixtus’ V. organisierte er gemeinsam mit Giovanni Guerra (1544–1618), dem in Abstimmung mit den Programmentwürfen die Konzeption dekorativer und allegorischer Rahmensysteme oblag, mehrere umfangreiche und mit größter Effizienz ausgeführte Freskenkampagnen. Hierzu zählt auch die in wenigen Monaten bewältigte Ausmalung des Salone Sistino in der 1587– 90 neu errichteten Vatikanischen Bibliothek, an der Giovanni Baglione zufolge 15 Maler beteiligt waren.29 Von Nebbia haben sich für dieses Großprojekt mindestens sieben Vorzeichnungen erhalten, darunter eine mit Klebekorrektur. Sie bezieht sich auf eine der acht Szenen an der Nordwand, die berühmte Bibliotheken des Altertums zeigen. Dargestellt ist Kaiser Augustus beim Besuch der von ihm gegründeten Bibliotheca Palatina (Abb. 6).30 Umgeben von den in seiner Gunst stehenden Literaten – zwei davon, vielleicht Horaz und Vergil, mit Lorbeerkränzen – sitzt er in der ersten Fassung bequem auf einem mit Sphingen geschmückten Thronsessel. In der korrigierten Fassung steht er dagegen Licht. Vgl. zu dieser Zeichnung Marco Simone Bolzoni in Damm/Hoesch 2017 (wie Anm. 18), Nr. 32, S. 138–141. 29 Zum umfangreichen Ausmalungsprogramm des Bibliotheksgebäudes und zu den beteiligten Künstlern siehe die Beiträge von Angela Böck, Alessandro Zuccari in: Maria Luisa Madonna (Hrsg.), Roma di Sisto V. Le arti e la cultura, Rom 1993, S. 59–90, bes. S. 62–68. 30 Zu diesem Blatt Turner 2008, Nr. 53, S. 138–139, 310; Eitel-Porter 2009 (wie Anm. 27), S. 116 und 166; Dies. in The Art of Papal Rome. From Raphael to Carracci, hrsg. v. David Franklin, Ausst. Kat. Ottawa, Ottawa 2009, Nr. 124, S. 381–383 und 470.

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aufrecht, und der Schreiber im Vordergrund links, dem er vermutlich Annalen diktiert, blickt nun wie lauschend zu ihm auf. Die Änderungen im Hintergrund sind minimal; insgesamt fällt die flüchtigere Ausführung der Überklebung auf, die immerhin etwa ein Drittel der Bildfläche einnimmt. Ihr Hauptzweck war offenbar, Augustus in seiner Rolle als herrscherlicher Stifter und Förderer deutlicher von seiner Umgebung abzuheben. Interessanterweise lässt sich die verworfene Pose des sitzenden Kaisers ganz ähnlich in der Darstellung des Konzils von Nizäa auf der gegenüberliegenden Wand wiederfinden, für die sich aber keine Vorzeichnungen erhalten haben. Der kalligraphische Charakter des Bildtitulus zeigt an, dass es sich bei dem Blatt in der Goldman Collection um einen Modello handelt, den der ausführende Maler seinem Karton zugrunde zu legen hatte, wobei er sich, wie ein Vergleich mit dem realisierten Fresko zeigt, Abweichungen in manchen Details erlauben konnte.31 In diesem Zusammenhang ist der lässige Duktus von Nebbias lavierter Federzeichnung ebenso bemerkenswert wie der Umstand, dass die verworfene (tatsächlich ansprechendere) Fassung unter dem ergänzten Papierfragment sichtbar gehalten wurde. Ähnlich gelagert ist der Fall einer Zeichnung von Nebbias römischem Zeitgenossen Giovanni de’ Vecchi (1543–1615), bestimmt für ein Bildfeld in der Cappella Capranica in S. Maria sopra Minerva, die zugleich der Verehrung des Rosenkranzes geweiht und Grabkapelle der Hl. Katharina von Siena ist. De’ Vecchi schuf hier einen besonders originell konzipierten Wandbildzyklus, dessen einzelne Bildfelder jeweils mehrere Stationen aus dem Leben der Mystikerin auf einer relativ schmalen und zumeist tief fluchtenden Raumbühne zusammenführen.32 Den komplexen Entwurfsprozess lässt ein Blatt in den Uffizien nachvollziehen, auf der links verschiedene Ordensgründer dargestellt sind, die der jungen Katharina im Traum erscheinen (Abb. 7).33 Unzufrieden mit dem schon mehrfach überarbeiteten rechten unteren Viertel seiner Zeichnung, überklebte er es kurzerhand und fügte hier die Episode ein, in der sich die Hl. Katharina der entblößten Seitenwunde Christi nähert, um sich am Quell der Erlösungsgnade zu laben.34 De’ Vecchi macht dieses spektakuläre Motiv zum Blickfänger im Vordergrund, findet damit ein Gegengewicht zu der dichtgedrängten Figurengruppe links und bettet es zugleich in die architektonische Umgebung ein. Bezeichnenderweise weist das eingefügte Blatt selbst zahlreiche Pentimenti auf, so hatte Christus zunächst seine Linke zum 31 Alessandro Zuccari hat den Freskanten mit Nebbias wenig bekanntem Mitarbeiter Francesco Sermei (dok. 1586–99) identifiziert, siehe Madonna 1993 (wie Anm. 29), S. 67, 544. 32 Zuletzt Patrizia Tosini, New documents for the chronology and patronage of the cappella del Rosario in S. Maria sopra Minerva, Rome, in: The Burlington Magazine 152:1289 (2010), S. 517–522 und Nicola Knorn-Ezernieks, Giovanni de’ Vecchi. Seine Stellung in der römischen Malerei um 1600, Hildesheim/ Zürich/New York 2013, Nr. 8, S. 187–201, bes. S. 197 (beide mit der umfangreichen älteren Literatur). 33 Patrizia Tosini in Madonna 1993 (wie Anm. 29), S. 230 und Knorn-Ezernieks 2013 (wie Anm. 32), Nr. 53, S. 310–313. 34 „Schließlich trat er an mich heran, nahm meine Seele in seine Arme und drückte meinen Mund an seine heiligste Seitenwunde. Darauf trat meine Seele mit großem Verlangen ganz in seine Seite ein und fand dort die überwältigende, süße Erkenntnis der Gottheit.“ Raimund von Capua (um 1330–1399), 33 Jahre für Christus. Die Legenda Maior. Das Leben der Hl. Caterina von Siena, vollständige Übersetzung von Josef Schwarzbauer, Kleinhain 2006, S. 249.

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Abb. 7 Giovanni de’ Vecchi, Szenen aus dem Leben der Hl. Katharina von Siena, um 1587, Feder in Braun, bräunlich und violett laviert, auf Vergé, 421 × 303 mm, Florenz, Uffizien, Gabinetto Disegni e Stampe, Inv. Nr. 7370 F

Segen erhoben. Die für den Zeichner typische violett getönte Lavierung überdeckt das unruhige Strichbild, sorgt damit für Harmonisierung der Teile und unione. Nun hat De’ Vecchi für die Korrekturklappe das Konzept eines Briefes verwendet, dessen Adressat, wie aus dem Fragment hervorgeht, kein geringerer als Papst Sixtus  V. ist. Der Künstler verweist hierin auf seine prestigeträchtigen Fresken in der Kuppel des Gesù und bietet seine Mitarbeit an der Ausschmückung der Cappella del Presepe in S. Maria Maggiore an. Der Briefinhalt steht also mit der Zeichnung in keinem direkten Zusammenhang, setzt aber einen terminus post quem für deren Datierung – oder zumindest für den verändernden Eingriff, der frühestens 1586 erfolgt sein kann. Dies ist von Bedeutung, weil die besagte Szene im Fresko erscheint, für De’ Vecchis Katharinenzyklus jedoch aufgrund anderer Quellen und Überlieferungen in der älteren Literatur eine Entstehung bereits in den mittleren 1570er Jahren angenommen worden war.35 Die Uffizien-Zeichnung ist wegen des anschaulichen Konzeptwechsels schon mehrfach mit geöffneter Klebekorrektur abgebildet worden, wird so doch auch die handschriftliche

35 Auf den Umstand, dass der Maler wohl erst um 1577 mit den Arbeiten begonnen hat und noch zehn Jahre später damit beschäftigt war, hat zuerst Patrizia Tosini in: Madonna 1993 (wie Anm. 29), S. 230 hingewiesen; vgl. Patrizia Tosini, Rivedendo Giovanni de’ Vecchi: nuovi dipinti, documenti e precisazioni, in: Storia dell’Arte 82 (1994), S. 303–347, S. 315.

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Notiz des Künstlers sichtbar.36 Allerdings macht schon die Wiederverwendung eines gewiss nicht zur Lektüre bestimmten „Schmierzettels“ deutlich, dass hier (im Gegensatz zum soeben vorgestellten Beispiel Cesare Nebbias) weniger die Nachverfolgung eines früheren Entwurfsstadiums als eine Berichtigung der Bildkomposition beabsichtigt war. Mit ihren zahlreichen Überarbeitungsspuren macht die Zeichnung deutlich, dass sie dem Künstler zum persönlichen Gebrauch diente – wenn er auch bei der Ausführung des Freskos sehr wahrscheinlich von seinem Schüler Francesco Vanni (1563–1609) unterstützt wurde.37

4. Zuschneiden und Zusammenrücken Aus dem Umfeld der Zuccari stammt auch ein kleines, beidseitig bezeichnetes Blatt in der Albertina, an dem die Prozessualität der Bildfindung besonders anschaulich wird (Abb. 8).38 Es zeigt auf dem Recto den Entwurf einer Grablegung Christi, die in zeittypischer Weise Motive der Kreuzabnahme, Beweinung und Salbung vereint. Ein etwas erhöht kniender Mann mit Turban, wohl Nikodemus, hält den Leichnam Christi frontal vor sich, flankiert von der trauernden Maria und einem zweiten Mann, nennen wir ihn Joseph von Arimathäa, der das Grabtuch ausbreitet, während sich Maria Magdalena in liebender Hingabe über die Füße des Erlösers beugt. Auf dem Verso sind es mehrere Engel, die, wiederum mit einem Griff unter die Achseln, den nun stärker seitwärts geneigten Christuskörper stützen (Abb. 9). Beide Seiten ähneln sich nicht nur motivisch, sondern auch im zeichnerischen Duktus: Der Federstrich wirkt durchgehend nervös und suchend, doch lassen sich in der Engelspietà der Rückseite etwas weniger Pentimenti ausmachen, auch findet sich hier bei der Hauptfigur eine konsistente Modellierung der Muskulatur mit dem Pinsel. Die gesamte Lavierung ist, wie sich besonders deutlich am schlangenförmig wehenden Tuch des obersten Engels zeigt, auf die Vorderseite durchgeschlagen und erzeugt dort ein unruhiges Helldunkel. Dass sie dabei die Federzeichnung nicht völlig konterkariert, liegt an den weitgehenden Übereinstimmungen beider Figurationen. So wurden die Positionen von Christi rechtem Arm und Bein auf dem Verso spiegelbildlich wiederholt, aus der rechten Schulter des Nikodemus wurde die

36 Außer in der bereits genannten Literatur auch als Beispiel für ein pentimento in Annamaria Petrioli Tofani, Simonetta Prosperi Valenti Rodinò, Gianni Carlo Sciolla, Il Disegno. Forme, tecniche, significati, Turin 1991, S. 247 (Annamaria Petrioli Tofani). 37 Das um 1585 entstandene Leinwandgemälde Die Hl. Katharina von Siena trinkt aus der Seitenwunde Christi, heute in Rom, S. Lorenzo in Miranda, wird als Gemeinschaftsarbeit von De’ Vecchi mit dem jungen sienesischen Maler angesehen; Tosini 1994 (wie Anm. 35), S. 319, Tosini 2010 (wie Anm. 32), S. 521 und Knorn-Ezernieks 2013 (wie Anm. 32), Nr. 13, S. 222–225. Vanni hat das Thema später noch mehrfach aufgegriffen. 38 Federico Zuccari zugeschrieben. Veronika Birke, Janine Kertész, Die italienischen Zeichnungen der Albertina. Generalverzeichnis, Band I, Inv. Nr. 1-1200, Wien/Köln/Weimar 1992, S. 334, dort der Hinweis auf die Zuschreibungen von Franz Wickhoff 1892 (Cherubino Alberti) und Alfred Stix 1932 (Ludovico Cigoli).

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linke des aufblickenden Engels. Es handelt sich also um eine partielle Pause, die sich aufgrund der geringen Stärke des Papiers leicht bewerkstelligen ließ.39 Solch ein Transfer von Linienzügen auf die Kehrseite desselben Blattes, der dem ursprünglichen Entwurf durch die Spiegelung neue Aspekte abgewinnt und zum Ausgangspunkt einer nur variierten oder auch völlig transformierten Bildidee werden kann, war in der Renaissance gängige Praxis.40 Bei Taddeo Zuccari etwa begegnet das Verfahren auf einem herausragenden Studienblatt in Chicago.41 Hier wiederholt er die in roter Lavierung angelegte Sitzfigur in derselben eigentümlichen Technik auf dem Verso. Überlagert wird sie dort aber interessanterweise von einer Federskizze, die vermutlich eine Beweinung Christi darstellt und jedenfalls erkennbar auf Michelangelos Pietà Bandini rekurriert. Diese Ähnlichkeit mit der vielbewunderten, um 1580 von Cherubino Alberti gestochenen42 Skulpturengruppe wiederum teilt Taddeos Studie mit der hier vorgestellten Engelspietà, und eben dies mag ausschlaggebend dafür gewesen sein, das Blatt in der Albertina ebenfalls Taddeo Zuccari zuzuschreiben.43 Sein Urheber ist indes eher in Durante Alberti (um 1538–1613) zu vermuten, der einer weitverzweigten Künstlerfamilie aus Sansepolcro entstammte. Den größten Teil seiner Laufbahn verbrachte er wie seine beiden etwas jüngeren Vettern Giovanni und Cherubino Alberti in Rom, wo er (wie diese) mit den Zuccari-Brüdern in engem Austausch gestanden haben muss und ein geachtetes Mitglied der Accademia di San Luca wurde, der er 1598 als Principe vorstand. Durantes malerisches Œuvre ist dank eines von ihm verfassten Memoriale recht gut dokumentiert, als Zeichner ist er hingegen bislang nur schwer greifbar.44 Erst vor wenigen Jahren konnte den wenigen bekannten Blättern, gestützt auf eine alte Sammlerauf-

39 „Rückseitig durchgepauste Zeichnungen entstehen, wenn die vorderseitig aufgebrachte Zeichnung das Papier optisch durchdringt und das im Gegenlicht durchschimmernde Lineament auf der Rückseite mit einem Zeichenmittel nachgezogen wird.“ Thomas Klinke, Pausenzeichen. Zur Technik der Pause als Hilfszeichnung, in: Iris Brahms, Thomas Ketelsen (Hrsg.), Die Kunst der Pause. Transparenz und Wiederholung (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Köln 2017, S. 20–28, S. 25. 40 Iris Brahms, „Durchtzeichnet“. Zu Nähe und Distanz beim Pausen, in: Ausst. Kat. Köln 2017 (wie Anm. 39), S. 6–13, S. 9, verweist in diesem Zusammenhang auf Leonardo und Dürer als herausragende Beispiele. 41 Chicago, Art Institute, Inv. Nr. 1928.196 r/v. John A. Gere, Taddeo Zuccaro. His development studied in his drawings, London 1969, S. 77 und Nr. 22, S. 94–95; Mundy 1989 (wie Anm. 22), Nr. 15, S. 88–89; Cristina Acidini Luchinat, Taddeo e Federico Zuccari fratelli pittori del Cinquecento, 2 Bde., Mailand 1998–1999, I, S. 70; Julian Brooks (Hrsg.), Taddeo and Federico Zuccaro. Artist-brothers in Renaissance Rome (Ausst. Kat. Los Angeles, J. Paul Getty Museum), Los Angeles 2007, Nr. 50, S. 60. 42 Bartsch XVII.58.23. 43 Dieser Einschätzung des “mirabile disegno“ bei Acidini Luchinat 1998–1999 (wie Anm. 41), I, S. 115 schließt sich Kristina Herrmann Fiore, Federico Zuccari. La Pietà degli angeli, il prototipo riscoperto del fratello Taddeo e un’Anatomia degli artisti, Rom 2001, S. 30–31 an. 44 Für eine Werkübersicht siehe Madonna 1993 (wie Anm. 37), S. 521; zu den Zeichnungen vgl. John Gere, Philip Pouncey, Italian Drawings in the Department of Prints and Drawings in the British Museum. Artists Working in Rome, c. 1550 to 1640, 2 Bde., London 1983, S. 24–25.

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Abb. 8  Hier Durante Alberti zugeschrieben, Grablegung Christi (recto), um 1580/90, Feder in Braun, laviert, auf Vergé, 258 × 198 mm, Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. Nr. 615 r

schrift, der Entwurf einer historischen Szene hinzugefügt werden.45 Sie bietet aufgrund ihres Figurenreichtums Anhaltspunkte für weitere Zuschreibungen und weist in den Gesichtstypen und den zahlreichen Pentimenti manche Parallele zur Grablegung/Pietà in der Albertina auf. Diese wiederum hat eine Reihe näherer Verwandter in verschiedenen graphischen Sammlungen, die sich alle demselben – nunmehr benennbaren – Autor zuordnen lassen und sämtlich um den aufrecht präsentierten toten Christus kreisen.46

45 Ottawa, National Gallery of Canada, Inv. Nr. 42024, auf Recto und Verso der Vermerk „Durante del Borgo“; siehe David Franklin in Ausst. Kat. Ottawa 2009 (wie Anm. 30), Nr. 105, S. 336–337, 467. 46 Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. KdZ 21247 r/v; Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. 1967-56; Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Inv. Nr. F 261 inf. 158 p. 152.

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Klappvariante und Klebekorrektur

Abb. 9  Hier Durante Alberti zugeschrieben, Engelspietà (verso), um 1580/90, Feder in Braun, laviert, auf Vergé, 258 × 198 mm, Wien, ­Graphische Sammlung Albertina, Inv. Nr. 615 v

Das kleinformatige Wiener Blatt fasziniert durch die hohe Dichte suchender und bekräftigender Federstriche, aus deren Gespinst sich auf beiden Seiten eine nur vorläufige Konfiguration herausschält. Dabei war das Aufkleben des beweglichen Papierschnipsels mit dem flüssiger gezeichneten, auf die Brust gesunkenen Christuskopf auf dem Verso nicht zwingend der letzte Akt, es trug allerdings erheblich zur Verdeutlichung des Bildgedankens bei. Aber nicht nur das Einfügen, auch das Wegschneiden kann als korrigierender Akt in den Ausarbeitungsprozesses eingreifen. Dies lässt ein nahezu quadratisches Blatt im Teylers Museum erkennen, das – an der gezackten Trennlinie erkennbar – aus zwei etwa gleich großen Teilen zusammengefügt wurde und eine Gruppe von Soldaten und Pagen zeigt (Abb. 10).47 Erst ein Vergleich mit einer berühmten Zeichnung im British Museum offenbart, dass es sich hier um das Fragment einer breiter angelegten Szene handelt, die Taddeo Zuccari für die Sala Regia im Vatikanischen Palast entworfen hatte; dargestellt ist Karl der Große, der die Schenkung Ravennas an den Kirchenstaat besiegelt.48

47 Gere 1969 (wie Anm. 41), Nr. 83, S. 156–157; Carel van Tuyll van Serooskerken, The Italian Drawings of the Fifteenth and Sixteenth Centuries in the Teyler Museum, Haarlem 2000, Nr. 314, S. 318–319 (als Taddeo Zuccari). 48 London, The British Museum, Inv. Nr. 1946,0713.108. Gere 1969 (wie Anm. 41), S. 104 und Nr. 104, S. 165; Gere/Pouncey 1983 (wie Anm. 44), Nr. 335, S. 210–211; Ausst. Kat. Los Angeles 2007 (wie Anm. 41), S. 63.

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Abb. 10  Taddeo Zuccari, Studie zur Schenkung Ravennas durch Karl den Großen, um 1564, Feder in Braun über schwarzem Stift, laviert, weiß gehöht, auf braun getöntem Vergé, 255 × 231 mm, Haarlem, Teylers Museum, Inv. Nr. A* 93

Diesen äußerst prestigeträchtigen Freskoauftrag hat der ältere der Zuccari-Brüder in zahlreichen zeichnerischen Studien vorbereitet; von dem Londoner Entwurf wie vom 1564 ausgeführten Wandbild sind mehrere Kopien erhalten.49 Auch das Haarlemer Blatt ist in weiten Teilen erkennbar eine Wiederholung der Zeichnung im British Museum. Hatte Taddeo dort die am rechten Rand postierten Figuren eines aus dem Bild schauenden Pagen mit Federbarett kurzerhand abgeschnitten, den Papierstreifen umgedreht und den revidierten Entwurf erneut angefügt,50 so trennte er hier die zentrale Figur des thronenden Herrschers heraus und rückte die beiden äußeren Fragmente zusammen. Auf diese Weise schloss er die ihrer Mitte beraubte Gruppe notdürftig zu einem engeren Kreis und sorgte rechts unten für einen bildmäßigen Abschluss, indem er jene der ersten Operation zum Opfer gefallene Pagenfigur nun wieder einbezog und zu einem festaiolo ausgestaltete.51 Im realisierten Fresko taucht aber gerade dieser nicht mehr auf; fast alles wurde noch einmal geändert – bis auf die im Teylers-Blatt nur flüchtig skizzierten stehenden Rückenfiguren. Im Unterschied zu der vollständigeren Entwurfszeichnung in London ist das Bildfeld in der Sala Regia jedoch fast ebenso hoch wie breit; das zurechtgestutzte Blattformat in Haarlem nimmt also die realen Gegebenheiten vorweg. Diese dürften Taddeo auch schon zuvor bekannt gewesen sein, er könnte deshalb zunächst eine Art Sockelzone unter dem Querformat geplant haben. Oder aber die Wandfläche, die für seine Supraporte zur Verfügung stand, wurde tatsächlich erst

49 Hierzu Gere 1969 (wie Anm. 41), S. 102–106; Acidini Luchinat 1998–1999 (wie Anm. 41), I, S. 148–150, S. 155, Anm. 76. Hervorgehoben sei die Werkstatt-Kopie in Windsor, Royal Library, Inv. Nr. 6849, Popham/Wilde 1949 (wie Anm. 17), Nr. 1070. 50 Erstmals beschrieben bei Gere 1969 (wie Anm. 41), S. 165. 51 Vgl. Van Tuyll van Serooskerken 2000 (wie Anm. 47), S. 319.

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Abb. 11 Hier Flaminio Allegrini zugeschrieben, Mystische Vermählung der Hl. Katharina von Alexandrien mit den Hll. Markus und Franziskus, 2. Viertel 17. Jh., Feder in Braun über Rötel, laviert, auf Vergé, 323 × 180 mm, Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv. Nr. AE 1578

während der Arbeiten in der Sala Regia durch die ausgreifenden Stuckrahmen der seitlich anschließenden Bildfelder verknappt,52 und Taddeo reagierte mit einer Monumentalisierung seiner Figuren, deren formatfüllende Anordnung er in der zerschnittenen Teylers-Zeichnung erprobte. Ein wenig anders verhält es sich bei einem Bildentwurf von Flaminio Allegrini (um 1587– um 1663), der etwa ein halbes Jahrhundert später entstanden ist (Abb. 11).53 Grundsätzlich zielt auch hier das Zusammenschieben zeichnerischer Fragmente auf eine Veränderung der Bildwirkung, die sich unmittelbar überprüfen lässt. Das schmale, in drei Zonen geteilte Blatt zeigt die mystische Vermählung der Hl. Katharina von Alexandrien in den Wolken, weiter 52 Hierfür spricht die von Bernice Davidson, The Decoration of the Sala Regia under Pope Paul III, in: The Art Bulletin 58:3 (1976), S. 395–423, S. 413 vorgeschlagene Datierung der Stuckarbeiten an der betreffenden Wand auf etwa 1563–1565. 53 Simone Twiehaus in: Peter Märker, Simone Twiehaus (Hrsg.), Prima idea. Dibujos italianos de los siglos XVI y XVII del Graphische Sammlung Hessisches Landesmuseum Darmstadt (Ausst. Kat. Valencia, Fondación Bancaja), [Valencia] 2003, Nr. 59, S. 232–235.

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oben Gottvater, unten den Evangelisten Markus und den Hl. Franz von Assisi. Letztere wurden grob herausgeschnitten – offenbar aus demselben Blatt – und sowohl einander als auch dem visionären Ereignis nahegerückt, die Spuren dieser Kontraktion nur minimal retuschiert. In einem vermutlich früher entstandenen Entwurf in Oxford ist der Abstand zwischen beiden Heiligen hingegen so groß, dass sie zusammen mit dem himmlischen Personal eine Pyramide bilden.54

5. Überkleben und Überzeichnen Als ein Künstler, der das Zerlegen, Bekleben und Neuarrangieren von Zeichnungen weit systematischer betrieben und geradezu zu seinem Markenzeichen gemacht hat, verdient der aus L’Aquila stammende Giulio Cesare Bedeschini (1582–1627) in unserem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit. Fernab der großen Kunstzentren vor allem in den Abruzzen tätig, ist sein eigenwilliges graphisches Oeuvre erst in jüngster Zeit in den Fokus der Forschung geraten.55 Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, welches allein acht seiner Zeichnungen aufbewahrt, widmete ihm 2014 eine monographische Ausstellung, die nicht nur fast alle bisher bekannten Blätter seiner Hand zusammenführen konnte, sondern in beispielhafter Weise auch den damit verbundenen sammlungsgeschichtlichen, stilkritischen sowie produktions- und materialästhetischen Fragen nachspürte. Im Zentrum stand dabei eine Analyse von Bedeschinis ingeniösem cut & paste-Verfahren. Hervorstechendes Merkmal der Mehrzahl dieser Zeichnungen ist das Zutagetreten eines komplexen Bildfindungsprozesses, in dem die schrittweise Annäherung an die Komposition durch Neuordnung, Übereinanderschichten und wiederholte Nachbearbeitung passend zugeschnittener Papierfragmente erfolgt. In einem extremen Fall konnten an einem einzelnen Blatt mindestens achtzehn Einklebungen festgestellt werden.56

54 Oxford, Christ Church, Inv. Nr. 589. Eine reinlicher ausgearbeitete Zeichnung auf blauem Papier bietet die schlichtere Lösung einer irdischen und einer himmlischen Dreiergruppe, vgl. Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. Nr. 752. Simone Twiehaus hat den Zusammenhang der drei Blätter erkannt, sie aber alle Francesco Allegrini (um 1624– nach 1679), dem Sohn Flaminios, zugeschrieben. Die stilistisch und technisch verwandte Zeichnung der Himmelfahrt einer Heiligen in Würzburg, Martin von Wagner-Museum, aus der zu Korrekturzwecken ein Stück aus der Mitte herausgeschnitten wurde, ist jüngst, den Hinweisen von Pouncey und Turčić folgend, Flaminio gegeben worden; Stefan Morét, Römische Barockzeichnungen im Martin-von-Wagner-Museum der Universität Würzburg, Regensburg 2012, Nr. 1, S. 74-75. Vgl. zum Problem der Händescheidung von Vater und Sohn Simonetta Prosperi Valenti Rodinò, Allegrini, Francesco o Flaminio?, in: Gianni Carlo Sciolla (Hrsg.), Nuove ricerche in margine alla mostra: Da Leonardo a Rembrandt. Disegni della Biblioteca Reale di Torino. Atti del Convegno Internazionale di Studi, Turin [1991], S. 229–244. 55 Simonetta Prosperi Valenti Rodinò, Disegni “pseudo-senesi” a Düsseldorf, in: Prospettiva 57–60 (1989/90), S. 176–182 und Catherine Monbeig Goguel, Giulio Cesare Bedeschini. A Draftsman from the Circle of Cigoli, in: Master Drawings 47 (2009), S. 484–488. Wichtige Neuentdeckungen von Michael Venator fanden Eingang in: Ausst. Kat. Köln 2013 (wie Anm. 26). 56 Ausst. Kat. Köln 2013 (wie Anm. 26), Nr. 2, S. 30–32 (Angelika Eder).

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Klappvariante und Klebekorrektur

Zur Veranschaulichung sei ein abschließender Blick auf die größte seiner Kölner Zeichnungen geworfen (Abb. 12).57 Sie zeigt in ihrem oberen Bereich die visionäre Erscheinung der auf einer Wolkenbank thronenden Gottesmutter mit dem Jesuskind und ihrer Mutter Anna, umgeben von einer Engelsglorie, deren Saum fast die Köpfe der beiden darunter kniend einander zugewandten Heiligen berührt. Während Franziskus rechts in einer Haltung, die auf den Empfang der Stigmata verweist, ganz der inneren Schau hingegeben ist, tritt sein Gegenüber, ein schon bejahrter Kardinal mit Kruzifix, mit dem Betrachter in Blickkontakt und deutet zugleich mit seiner Rechten himmelwärts. Es dürfte sich hier um den Eremiten und Kirchenvater Hieronymus handeln, der häufig zusammen mit Franziskus dargestellt und unter anderem als Kronzeuge für die vom Minoritenorden verfochtene Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens herangezogen wurde.58 Die Gruppe der Anna Selbdritt wiederum wendet sich in Blicken und Gesten Franziskus zu. Derart aufeinander bezogen, sorgt die Verteilung der Figuren auch für eine perfekte Balance der beiden Bildhälften. Zu diesem Zweck wurde der bereits gezeichnete Hieronymus ausgeschnitten und um etwa einen Zentimeter nach rechts verschoben, wie die am linken Bildrand klaffende Lücke zeigt. Bekräftigt wird die symmetrische Anordnung von einer zentralen Öffnung im unteren Bereich, eine Art Fenster, dessen architektonische Fassung Bedeschini mehrfach verändert hat. Soweit die Pentimenti eine Beurteilung erlauben, handelt es sich hier um den Ausblick in eine Berglandschaft, Hinweis auf den Rückzugsort beider Heiliger; gut erkennbar ist zumindest das beziehungsreich am Übergang zu diesem Kontemplationsraum abgelegte Buch, auf das Franziskus mit seiner Rechten zu deuten scheint. Mit seinem Gespür für formale Korrespondenzen und die Artikulation innerbildlicher Rahmen und Schwellen bewegt sich Bedeschini erkennbar auf den Spuren seines Florentiner Lehrers Lodovico Cigoli (1559–1613), ohne freilich an dessen subtile Verquickung unterschiedlicher Realitätsebenen heranzureichen.59 Neben der Verwendung einer bläulichen La57 Monbeig Goguel 2009 (wie Anm. 55), S. 484–486; Ausst. Kat. Köln 2013 (wie Anm. 26), Nr. 1, S. 28–29 (Angelika Eder) und Thomas Ketelsen, Ricarda Hüpel (Hrsg.), Wir Glauben Kunst. Bildermacht und Glaubensfragen. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuitensammlung Col. (Ausst. Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud), Köln 2019, Nr. 22, S. 91–92 (Karen Buttler). 58 Unter Bezug auf seine Schrift Adversus Helvidium de perpetua virginitate beatae Mariae. Karen Buttler hat in Ausst. Kat. Köln 2019 (wie Anm. 57), S. 92 die Identifikation der Figur mit dem franziskanischen Kardinal und Kirchenlehrer Bonaventura vorgeschlagen, doch wurde dieser zumeist bartlos dargestellt. Gegen den Versuch, die himmlische Dreiergruppe mit Catherine Monbeig Goguel als mystische Vermählung der Hl. Katharina von Alexandrien zu lesen, spricht meines Erachtens neben der Haltung der rechten Figur (sie müsste sich Christus zuwenden) gerade deren große Ähnlichkeit mit Maria, denn der enge Zusammenschluss des Jesuskindes mit beiden Frauen verdeutlicht Annas Rolle im Heilsplan: Sie ist die Mutter der ewig jungfräulichen Gottesgebärerin. 59 Verwiesen sei hier nur auf die ganz ähnliche Konstellation der Hll. Hieronymus und Franziskus in Cigolis Beweinung Christi (1599) für den Dom in Colle di Val d’Elsa oder die Stigmatisation des Hl. Franziskus mit den Hll. Ludwig von Frankreich und Elisabeth von Thüringen (1602) in der Sammlung der Cassa di Risparmio von Pistoia; die jeweiligen Vorzeichnungen befinden sich in Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv. Nr. 1938 S und 1011 F; siehe Miles Chappell, Missing pictures by Lodovico Cigoli: Some problematical works and some proposals in preparation for a catalogue, in: Paragone 32 (1981),

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Abb. 12 Giulio Cesare Bedeschini, Anna Selbdritt mit den Hll. Hieronymus und Franziskus, um 1610/20, Feder in Braun, braun und blaugrün laviert, über schwarzem Stift, mit Rötel quadriert, auf Vergé, 388 × 259 mm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. Z 3492

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vierung könnte auch die Praxis der miniaturhaften Variation einzelner Figurenposen am Blattrand von Cigoli vermittelt worden sein, womöglich stand er sogar für die Entwicklung des cut & paste-Verfahrens Pate, hat er doch mehrfach Fragmente aus seinen Kompositionsentwürfen herausgelöst und mit ihnen weitergearbeitet.60 Auch von der oben vorgestellten römischen Zeichenpraxis wird Bedeschini angeregt worden sein, doch transformiert er die Technik durch exzessive Anwendung vom Notbehelf zum kreativen Prinzip. So besteht das Kölner Blatt mit der Anna Selbdritt aus fünf Einzelteilen. Die letzte, schlusssteinartige Einklebung liegt über der Quadrierung und lässt sich – bei Bedeschini die Ausnahme – nach unten aufklappen.61 Die geänderte Sitzhaltung des segnenden Jesusknaben wurde in der winzigen Figurenskizze am unteren Blattrand erprobt. Dennoch gab sich der Zeichner wenig Mühe, diese offenkundig nachträgliche Korrektur mit den beiden Frauenfiguren zu verbinden, und gerade dies steigert ihre Wirkung: Auf der Mittel­ achse platziert, hebt sie sich hell von der Umgebung ab und hat somit Teil an der Lichtregie des Bildentwurfs, die sich auch in einzelnen, mit der Feder eingetragenen Strahlenbündeln und der äußerst zart lavierten Figur des Hl. Franziskus kundtut. Auf das schlichte Bildschema der Sacra Conversazione mit klarer Zonenteilung, seitlich postierten Heiligen und fensterartiger Öffnung des Bildzentrums hat Bedeschini mehrfach zurückgegriffen. Als besonders zugängliches und leicht für lokale Kulte adaptierbares Standardformular des nachtridentinischen Altarbildes hatte es vor allem in den ländlichen Regionen Mittelitaliens weiteste Verbreitung gefunden. Innovativ sind also weniger die Kompositionen oder der zeichnerische Stil des Künstlers, sondern sein Entwurfsverfahren. Aus dem Ineinandergreifen von wiederholter Korrektur und erneuter Vorzeichnung ergibt sich bei ihm eine kaum abschließbare Dynamik.62 Werden dabei auch verschiedene Varianten durchgespielt, so mangelt es dem Vorgehen doch keineswegs an Entschiedenheit. Vielmehr zeugen die sichtbaren Arbeitsspuren von einem beherzten Wegschneiden und Hinzufügen, Versetzen und Ergänzen bereits gezeichneter Bildelemente. Solche Wiederverwendung einzelner Teile verrät den Wunsch, Geglücktes zu bewahren. Das Unbekümmerte, ja zuweilen Voreilige im Einsatz der Werkzeuge ist also gepaart mit einer geradezu haushälterischen Ressourcenverwaltung. Auf der Suche nach der passenden Form entpuppt sich der Einsatz des Messers letztlich als rationeller Weg schlagartiger Veränderung des Bildentwurfs, gewissermaßen ein „short cut“ zur gültigen Bildidee. Hierzu passt das überschaubare Figurenrepertoire mit den blockhaften Silhouetten, Kopf- und Handabbreviaturen und stereometrischen Draperien. Bedeschinis Pragmatismus verrät sich aber auch darin, dass er einzelne Figuren bedenkenlos 373, S. 54–104, S. 80–81 und Ders., Disegni di Lodovico Cigoli (1559–1613) (Ausst. Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi), Florenz 1992, Nr. 52, S. 88–90. 60 Zu diesen in Cigolis reichem graphischen Schaffen zwar vereinzelt dastehenden, aber signifikanten Beispielen in Rom (Gabinetto Nazionale, Inv. Nr. F. C. 124194 und F. C. 125618) und in Florenz (Uffizi, Inv. Nr. 8959 F und 1007 F) vgl. Ketelsen 2013 (wie Anm. 26), S. 17–18. 61 Vgl. Thomas Klinke, „Giulio Cesare Bedeschini – ein Meister des cut & paste?“, in: Ausst. Kat. Köln 2013 (wie Anm. 26), S. 76–86, S. 80 und S. 85, Abb. 7. 62 Ibid., S. 80, 82.

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aus anderen Blättern herausschnitt, um sie als Bausteine eines neuen Entwurfs einzusetzen. Bezeichnend ist überdies sein Verfahren, sie wie Schablonen zu verwenden und bisweilen spiegelbildlich einzusetzen.63 Bedeschini betreibt somit eine Fortführung des zeichnerischen Akts mit erweiterten Mitteln: Das schon einmal Ausgeführte wird nicht einfach annulliert (eine Geschichte des Durchstreichens, Überdeckens und Ausradierens bliebe noch zu schreiben64), sondern in Teilen bewahrt und dem kreativen Prozess erneut zugeführt. Im Akt des Heraustrennens wird also nicht nur zerstört, sondern auch geborgen, was wiederverwendet werden kann. Das Verschieben, Drehen und Zurechtstutzen weist dem Fragment einen neuen Kontext zu, durch Fixieren und Anpassung an die Umgebung wird schließlich ein neues Ganzes hergestellt. Hierfür sind häufig weitere zeichnerische Eingriffe und Ergänzungen nötig, doch ist bei Bedeschini von glättender Nachbearbeitung wenig zu bemerken, keineswegs scheinen seine Kompositionen unabänderlich, dafür lässt sich ihnen ihre allmähliche Verfertigung deutlich ablesen. Mit ihrer radikalen Infragestellung der allein zeichnerischen Ausformulierung einer Bildidee sind Bedeschinis Blätter in ihrer Zeit sicherlich einzigartig. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, seine eigenwillige Entwurfspraxis nur als zweckgerichtet zu begreifen – zu kalkuliert scheint das Zusammenspiel von Skizze und Bastelei, offener und geschlossener Form, zu reizvoll der ergänzende Einsatz des Rötels und die unterschiedliche Intensität der Lavierung, zu vielschichtig präsentieren sich die Oberflächen. Der Status solcher fragilen Blätter bei den Zeitgenossen lässt sich schwer beurteilen, aber ihre Bewahrung in der Kölner Jesuitensammlung spricht doch für eine gewisse Wertschätzung, wenn auch der Name des Künstlers lange Zeit in Vergessenheit geraten war.

6. Fazit Die vielfältigen Möglichkeiten, im Medium der Handzeichnung bestimmte Partien zu überdenken oder zu reformulieren, werden gewöhnlich unter dem Begriff des pentimento subsumiert. Es ist aber nützlich, neben den „Reuezügen“ im engeren Sinn, die von der Korrektur einer einzelnen Linie bis zum kompletten Überzeichnen reichen können, den Einsatz von Schneidwerkzeugen und Leim gesondert in den Blick zu nehmen, sei er nun minimalinvasiv oder großflächig.65 Hierbei kann unterschieden werden, ob die Einklebung fest oder flexibel erfolgt, eher als Ausdruck einer Konzeptänderung oder als Angebot einer Alternative zu verstehen ist (Abschnitte 2 und 3). Wird ein schon bezeichnetes Blatt noch einmal zerteilt, Figuren herausgelöst, gespiegelt oder auf den Kopf gestellt, so erlauben die neu verknüpften Fragmente tiefe Einblicke in die Werkgenese (Abschnitte 1 und 4). Virtuos werden die un63 Vgl. hierzu Ketelsen 2013 (wie Anm. 26), S. 22. 64 Vgl. hierzu den Beitrag von Armin Häberle in diesem Band. 65 Joseph Meder, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Wien 19232, S. 320–325, mit dem Hinweis auf den Gebrauch des Radiermessers S. 190. Vgl. zum pentimento auch auch Françoise Viatte (Hrsg.), Repentirs (Ausst. Kat. Paris, Musée du Louvre), Paris 1991 und Uwe Westfehling, Zeichnen in der Renaissance. Entwicklung, Techniken, Formen, Themen, Köln 1993, S. 247–250.

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terschiedlichen Operationen von Giulio Cesare Bedeschini miteinander kombiniert, in den Dienst der Formfindung gestellt und zugleich ästhetisiert (Abschnitt 5). Klappvarianten und Klebekorrekturen, das wollten die hier vorgestellten Beispiele zeigen, bewegen sich im Spannungsfeld von Destruktion und Integration, ästhetischem Kalkül und Arbeitsökonomie. Sie variieren erheblich in Größe und Sichtbarkeit, Präzision der Ausführung und Angleichung an ihr gezeichnetes Umfeld. Sie können ein Detail neu akzentuieren oder die gesamte Komposition radikal verändern, sofort ins Auge springen oder sorgfältig kaschiert sein, die frühere Fassung vollständig zum Verschwinden bringen oder sichtbar halten, ein Zwischenstadium im Entwurfsprozess darstellen oder dessen Abschluss. Dem Versuch einer Klassifizierung sind freilich Grenzen gesetzt, da ohne restauratorische Befunde zumeist kaum zu beurteilen ist, ob bzw. wann simple Einklebungen erst von Sammlern oder in den Museen zu Klappen umfunktioniert oder ganz abgelöst wurden. Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten, dass derartige Fragmentierungen und Hinzufügungen vertiefte Einblicke in den zeichnerischen Werkprozess erlauben und zugleich Strategien der Bedeutungsproduktion in den Blick rücken, nicht zuletzt können sie bisweilen Argumente für die Datierung oder Zuschreibung einer Zeichnung liefern. Das Beispiel Bedeschini lässt erahnen, dass der massive Einsatz von Schneidwerkzeug und Kleber als solcher schon ein Hinweis auf die Autorschaft eines Blattes sein kann. Gleichwohl wurden die genannten Aspekte in der Literatur zu den fraglichen Blättern allzu häufig übergangen oder nur dann eigens besprochen, wenn sich daraus etwa eine Veränderung des Bildkonzepts ablesen ließ. Die europaweite Verbreitung solcher Montagetechniken und ihre Bedeutung für den Entwurfsprozess weit über die hier vorgestellte Epoche hinaus ist jedoch unbestreitbar, was es umso erstaunlicher macht, dass Pragmatik und Ästhetik des Schneidens und Klebens – abgesehen von den luziden Zeilen in Joseph Meders Grundlagenwerk zur Handzeichnung und der bahnbrechenden Würdigung Bedeschinis im Kölner Katalog66  – noch nicht Gegenstand einer systematischen Untersuchung gewesen zu sein scheinen. Sie würde zumal für die Zeichenkunst der Barockzeit vielversprechende Perspektiven eröffnen, wie Fallstudien zu collage-ähnlichen Kompositionsverfahren etwa bei Peter Paul Rubens oder Pietro Testa deutlich machen.67 Ziel meines Beitrages war es, Bausteine für eine vertiefte Beschäftigung mit der Vorgeschichte dieses Phänomens bereitzustellen.

66 Meder 1923 (wie Anm. 65) und Ausst. Kat. Köln 2013 (wie Anm. 26). 67 Siehe Jeremy Wood, Rubens mit Schere und Kleister. Der Künstler als schöpferischer Bearbeiter, in: Gerlinde Gruber et al. (Hrsg.), Rubens. Kraft der Verwandlung (Ausst. Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum, Frankfurt a. M., Städel Museum), München 2017, S. 94–101, bes. S. 96–97 zu der Figurenstudie in Frankfurt, Städel Museum (Inv. Nr. 2834). Zu Testas (mit Blick auf die Übertragung in die Radierung) aus mehreren Fragmenten zusammengefügten Zeichnungen in Florenz, Uffizi (Inv. Nr. 1716 E), Haarlem, Teylers Museum (Inv. Nr. D 29 und D 32) und Weimar, Klassik Stiftung (Inv. Nr. KK 3069) siehe Christel Thiem, A collage by Pietro Testa in Weimar, in: Master Drawings 11 (1973), S. 20–25; Ursula Verena Fischer Pace, in: Hermann Mildenberger et al. (Hrsg.), Geheimster Wohnsitz. Goethes italienisches Museum (Ausst. Kat. Weimar, Kunstsammlungen, Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlung, München, Haus der Kunst), Berlin 1999, Nr. 114, S. 292–293.

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Pasted Quadratura Drawings A Focus on the Collection of the Prints and Drawings ­Department in the Louvre Museum

Illusionistic perspective painted on ceilings, called quadratura since Filippo Baldinucci’s time because of the squared (“inquadrato”) framing of paintings,1 flourished first in the area of Brescia as well as in the Emilia-Romagna2 and then, from the second half of the 16th-century, it spread throughout the Italian peninsula.3 Thanks to the studies by Jürgen Schulz, Ebria lblatt and Ingrid Sjöström, among others, the evolution of this genre is well known. The projected plan of the frescoes required an accurate preparation on paper, but the understanding of this preliminary phase is far less developed. Research has been mostly conducted on drawings of specific groups of artists, such as Agostino Mitelli (1609–1660) and Angelo Michele Colonna (1600 or 1604–1687),4 or on collections, like the body of works assembled by Antonio Certani (1879–1952) that has been put on display a few years ago at

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Filippo Baldinucci was the first historiographic writer who used the word quadratura. See Filippo Baldinucci, Vocabolario toscano dell’Arte del disegno di Filippo Baldinucci Fiorentino, Florence 1681, p. 130: “[…] E quadratura trovasi esser detto all’Arte del dipigner prospettive, cioé dipignere di quadrature che par voce non molto propria.” See also Ingrid Sjöström, Quadratura: Studies in Italian Ceiling Painting, Stockholm 1978, p. 11: “[…] The term acquired its present meaning in painting at the end of the 17th-century. It enjoyed sporadic use much earlier, however, within a special field: namely the art of making proportionate, perspective drawings of the human body based on a sketch of a doll-like figure composed of cubes. As far as is known, Lomazzo alone uses the name quadratura to refer to these drawings, which may of course be derived directly from the primary meaning in this case.” See Jürgen Schulz, A forgotten chapter in the early history of quadratura “painting”, in: The Burlington magazine 103 (1961), pp. 90–102 and Jürgen Schulz, Cristoforo Sorte and the Ducal Palace of Venice, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 10 (1961/63), pp. 193–208. The genesis of deception painting studies is a lecture given by Sir Anthony Blunt in 1959. Anthony Blunt, Illusionist decoration in central Italian Painting of the Renaissance, in: Journal of the Royal Society of Arts, CVII (April 1959), pp. 309–326. See also Sjöström 1978 (as fn. 1), pp. 26–48. See, for instance, Ebria Feinblatt, A boceto by Colonna-Mitelli in the Prado, in: The Burlington Magazine 107 (1965), pp. 349–357 and David Garcìa Cueto, Deux vies pour l’ornement. Les décorations murales d’Angelo Michele Colonna et d’Agostino Mitelli, in: Les Cahiers de l’Ornement 2 (2016), pp. 115–124.

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Federica Mancini

the Fondazione Giorgio Cini in Venice.5 One of the reasons of this lack is certainly the loss of graphic works,6 since many projects were used and probably damaged during the process of transfer onto the walls. This is probably why no drawing is known by Girolamo Curti, called il Dentone (1575–1632), the initiator of quadratura.7 Nor was, until 2014, any graphic work certainly attributed to Tommaso Sandrini (1579/1580–1628), a remarkable quadratura painter mainly active in Brescia.8 This article aims to give a transversal approach to quadratura drawings through the marginal technique of pasting paper patches on the main surface. It will be divided into three parts: showing some examples found at the Louvre Museum, analyzing the impact of this practice and the literature devoted to perspective and, eventually, tracking the connections and flows among the artists sharing this marginal technique on illusionistic drawings.

1. Case Studies of Quadratura Drawings from the Louvre Museum The graphic works taken into consideration are mainly from the prints and drawings department of the Louvre, which holds a collection of almost 180 quadratura projects from the mid-16th-century to the second half of the 18th-century. Among them, only seven show pasted elements: four are studies for ceilings by Tommaso Sandrini, whereas three others

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Imagined architecture, drawings from the collection of the Fondazione Giorgio Cini, Venice, Fondazione Giorgio Cini, April, 20th – September, 17th, 2018, no catalogue. See Ebria Feinblatt, Contributions to Girolamo Curti, in: The Burlington Magazine 117 (1975), pp. 344– 345, and Ebria Feinblatt, Seventeenth-Century Bolognese Ceiling Decoration, Santa Barbara 1992, p. 29. This book is still the most complete and transversal inquiry on the illusionistic decoration. For a biography on the artist, see Erika Giuliani, Dal naturalismo dei Carracci all’illusionismo prospettico di Girolamo Curti detto il Dentone, in: La Percezione e la rappresentazione dello Spazio a Bologna e in Romagna nel Rinascimento fra teoria e prassi, under the direction of Marinella Pigozzi, Bologna 2007, pp. 131–154. Sjöström 1978 (as fn.1), p. 53: “[…] Viola Zanini’s contacts with the Bolognese school seem to have been restricted to Vignola-Danti’s Le due regole; at any rate he doesn’t refer to any Bolognese paintings that he himself has seen, either by 16th-century masters of by his contemporary Girolamo Curti, known as il Dentone, who is considered to be the actual founder of Bolognese quadratura painting. Curti’s work has much in common with that of the Rosa brothers, but there is no evidence that he was directly influenced by them or that he knew of Viola Zanini. […] One of these Bolognese historians, Malvasia, maintains in his Felsina Pittrice. Vite dei Pittori bolognesi (1678) that Curti was the first in Emilia to master the genre to perfection…” Carlo Ridolfi, Le Maraviglie dell’Arte overo le vite degli illustri pittori veneti e dello stato, II, Venice 1648, (ed. Padova, 1827), pp. 492–494. In 2014 an exhibition on the origin of quadratura L’Art du plafond dans l’Italie baroque took place in the Louvre Museum, curated by the author of this essay. In my research I took into consideration the written suggestions by Pietro Roccasecca in a letter of 1999, so 13 drawings have been reclassified under Sandrini’s name. See Federica Mancini, De l’Italie à la France: reconstitution d’un album de dessins de quadratura autrefois conservé au départment des Arts graphiques du musée du Louvre, in: Artitalies, 22 (2016), pp. 80–90. See also Filippo Piazza, La pittura di prospettiva e I quadraturisti bresciani tra XVI e XVII secolo, PhD Dissertation, Università degli studi di Udine, 2016, unpublished, and Filippo Piazza, Disegni di Tommaso Sandrini quadraturista bresciano del primo Seicento, in: Paragone 827 (2019), pp. 3–16.

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Pasted Quadratura Drawings

Fig. 1  Tommaso Sandrini, Study for a Ceiling, before 1630, brown ink, brown and tan watercolour, blue gouache, on paper, 41,5 × 108 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv.  no. 14932

are still classified as anonymous Italian artist of the 17th-century, possibly of the Bolognese area. According to the analyses of Sandrini’s sheets, this practice implied three different intentions: It was used to make corrections and ornamental adjustments, such as in the Study for a ceiling (fig. 1).9 It could help in embellishing the artist’s work in an aesthetic and practical strategy for the presentation to the commissioner. For this purpose, Sandrini pasted the allegories on another Study for a ceiling, a possible cartonetto for the church of San Faustino and Giovita in Brescia.10 He did the same for another cartoon for the vault of the church of San Domenico in Brescia, dated 1615 and signed on the bottom left (fig. 2).11 Here, Sandrini made it to understand that this practice of modification was his modus operandi. Not only did he paste figures of friars reclining on the sides of the arches, but he also left the open spaces within the medallions where the figure painter (possibly Francesco Giugno, 1574– after 1651)12 could place the episodes from San Domenico’s life (fig. 3). The third intention for the use of the pasting technique was to offer immediate alternatives as a visual réper  9 Mancini 2016 (as fn. 8), p. 80, fig. 2. 10 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 14935, graphite, brown ink, brown, green, tan and grey watercolor, blue, red and white gouache, 76 x 101 cm; Mancini 2016 (as fn. 8), p. 83, fn. 24, fig. 5. 11 Mancini 2016 (as fn. 8), p. 83, fn. 21. 12 See Camillo Boselli, Francesco Giugno pittore bresciano, in: Arte veneta 23 (1969 [1970]), pp. 223–226 and Angelo Loda (ed.), I segreti di Francesco Giugno viaggio nel restauro del dipinto su tela (exh. cat. Chiari, Sala Stampe Fondazione Morcelli-Repossi), Chiari 1996.

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Federica Mancini

Fig. 2  Tommaso Sandrini, Cartoon for the Ceiling of San Domenico in Brescia, dated 1615, pen and brown ink, brown and blue watercolour, on paper, 105 × 155 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 5447

toire. This explains the presence of two differently conceived kinds of cornices on the same Study for a ceiling mentioned before (fig. 1) as well as on another project, Study for a ceiling (San Michele in Candiana?), also in the Louvre.13 The thin and poor quality of the paper suggests, in this specific case, a classification of this sketch as a preliminary study instead of a finished cartoon for the ceiling of the church of San Michele in Candiana, as it has been proposed.14 There are three more graphic works from the Louvre showing the paper pasted technique; they prove that this practice was still used in Central and North Italy until the second half of the 17th-century.15 These drawings are stylistically problematic and, therefore, attributed to anonymous Italian artists. In two cases out of three, it looks like they were used to

13 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 14931, graphite, pen and brown ink, brown, blue, tan and green watercolor, heightened with gold, 73,1 x 22,3 cm; Mancini 2016 (as fn. 8), p. 83, fn. 23. 14 The attribution as Piazza 2016 (as fn. 8), p. 40, fig. 60, p. 375, n° D. 9. 15 The sheets represent: Project for an entrance to a gallery (Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 14906, graphite, pen and brown ink, brown watercolour; Mancini 2016 (as fn. 8), p. 83, fn. 18), Illusionistic project for a ceiling (fig. 4, 5) and Project for a gallery (fig. 6).

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Pasted Quadratura Drawings

Fig. 3  (detail of fig. 2), Francesco Giugno?, Episode from San Domenico’ Life, 1615, pen and brown ink, on paper, 15 × 12,3 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 5447

offer more solutions, as a sort of visual répertoire. More precisely, the Illusionistic project for an optical illusionistic ceiling (fig. 4)16 shows a view di sotto in sù (from underneath looking up). A huge staircase leading to a balcony has been sketched on a layer of paper covering more than half of the surface of a larger sheet underneath, to which it is glued at the bottom part. Behind the staircase, we can take sight of a main door, completed on top by a Michelangelesque figure, an Allegory of Justice, lying on the scroll volute of the portal. This illusionistic solution is an alternative to the double series of arcades and columns represented on the larger layer of the paper underneath (fig. 5). In this group of three drawings held at the Louvre, where the pasting technique is still present, the Project for a Gallery (fig. 6)17 shows a totally different approach. Although it is similar in style to the Project for an entrance to a gallery,18 this sheet implies a different use of it. A strip of paper has been glued on the left part of the original drawing. A print is pasted at the center of this paper band,

16 Mancini 2016 (as fn. 8), p. 88. 17 Ibid. 18 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 14906 (as fn. 15).

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Federica Mancini

Fig. 4  Anonymous artist, end of the 16th-­ century, Study for an optical illusionistic Ceiling, 1670–1680, pen and brown ink, brown water­ colour, on paper, 58 × 38 cm, Paris, Musée du ­Louvre, Département des Arts graphiques, inv.  no. 12051

Fig. 5  (variation of fig. 4), Anonymous artist, end of the 16th-century, Study for an optical illusionistic Ceiling, 1670–1680, pen and brown ink, brown watercolour, on paper, 58 × 38 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 12051

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Fig. 6  Anonymous artist, Study for a Gallery, 1650–1660, ­graphite, pen and brown ink, brown watercolour, on paper, 26,1 × 22,5 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, inv. no. 14922

representing Virgin offering her breast to the Christ Child in such a way that it might simulate a painting hung on an illusionistic wall.19

2. The impact of this practice on the literature devoted to perspective Illusionistic painters were often considered as “essentially skilled practitioners of a specialized craft, even if not so learned as the architects in geometric theorems and principles,”20 Claudia Di Maffei concluded. This assumption comes from the fact that some of them, like Matteo Zaccolini, Pietro Accolti, Giuseppe Viola Zanini and Giulio Troili, wrote treatises on ceiling decorations, in which they mostly summarized their own or their colleagues’ experiences.21 The structure of these writings is similar. There are mostly two major parts: The first one, where the authors recall some fundamental mathematic and geometric principles nec19 The hatchings of this etching are reminiscent of the style of Bartolomeo Biscaino (1629–1657), a Genoese painter and engraver. See, for comparison, The Virgin with the Child and saint John the Baptist, Paris, Musée du Louvre, Baron Edmond De Rothschild collection, inv. no. 13352/LR. 20 Claudia Di Maffei, Perspectivists, ad vocem in: Encyclopedia of world art, New York 1966, p. 223 and Sjöström 1978 (as fn. 1), p. 89. 21 Martin Kemp, The Science of Art, Optical themes in western art from Brunelleschi to Seurat, New Haven 1990, p. 69. See also Sjöström 1978 (as fn. 1), pp. 83–84: “The chief function of the latter [treatises; FM]

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Federica Mancini

essary to build architectures. Then follows the second part, where the writers give instructions on how to achieve illusionistic perspectives.22 Of course, the contents can change according to the writer’s interest: Accolti devotes a final section of his book to the use of light and shadows, whereas Viola Zanini concentrates mostly on the type of soils and materials for building architectures.23 Troili’s treatise focuses first on geometric principles and then on to the way of transferring lines, objects, figures and architectural elements with a perspective view.24 More generally, in the literature devoted to perspective, there are no specific references on the pasting technique.25 No mention of this practice has been found either in treatises or in textbooks of a larger range,26 going from Cennino Cennini (ca. 1370– ca. 1440) to writings on deceptions and optical illusions of the 17th-century.27 This omission is due to the fact that the process of pasting elements was rather considered as one of those “technical and formal innovation raised through the practical efforts of the painters, not through directives issued in treatises,” to quote Sjöström.28 This practice belonged to the common handling of drawings and not to the theoretical recommendations for painting illusionistic views. Although the pasting technique offers immediate visual alternatives, it does not compel the conception of the drawing as an entity on its own. We can find an example in Martino

has been to serve as instructional and reference books in education, and to disseminate practical experience.” 22 See: Pietro Accolti, Lo Inganno degl’occhi, Florence 1625; Giuseppe Viola Zanini, Della architettura, Padoa 1677 and Giulio Troili, Paradossi per pratticare la prospettiva senza saperla, Bologna 1683. As for Matteo Zaccolini’s unaccomplished and unpublished Trattato di Prospettiva, it was an ambitious project whose aim was to adjust chromatic effects from a long-distance foreshortened view. The manuscript has been widely studied by Janis Bell, Zaccolini’s Theory of Color Perspective, in: The Art Bulletin 1 (1993), pp. 91–112 and, for a general understanding of Zaccolini’s activity, see Barbara Furlotti, in: Dizionario Biografico degli Italiani (online edition), vol. 100, 2020, ad vocem Matteo Zaccolini. 23 Viola Zanini almost avoids referring on how drawing correctly plans and projects. He devotes only a few pages to the illusionistic conception of the ceiling. See Viola Zanini 1677 (as fn. 22), pp. 22–25. See also, on this issue, Amedeo Bellini, G. Viola Zanini pittore di prospettive e trattatista di architettura, in: Padova e la sua provincia 3 (1981), pp. 3–17. 24 The second section title is Prattica delle Piante in Prospettiva, e de gl’Alzati, Troili 1683 (as fn. 22), pp. 50–118. 25 Vitruvius, I dieci libri dell’architettura di M. Vitruvio, translated by Daniele Barbaro, Venice 1556; Gian Paolo Lomazzo, Scritti sulle arti, Milan 1584 (ed. Florence 1973); Giacomo Barozzi da Vignola (ed. Ignazio Danti), Le due regole della prospettiva practica, Rome 1583. 26 Cennino Cennini, Il libro dell’arte, (French translation by Colette Déroche), Paris 1991; Martino Bassi, Dispareri in materia d’architettura et perspettiva con pareri di eccellenti, et famosi architetti, che li risolvono, Brescia 1572; Paola Barocchi, Scritti d’arte del Cinquecento, XXXII, Verona 1973, 2, pp. 1799– 1832. 27 Filippo Camerota, Linear perspective in the age of Galileo, Ludovico Cigoli’s Prospettiva pratica, Florence 2010; Francesco Scannelli, Il Microcosmo della Pittura, Cesena 1657. See also Sjöström 1978 (as fn. 1), p. 82. 28 Sjöström 1978 (as fn. 1), p. 83.

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Pasted Quadratura Drawings

Bassi’s attitude toward the use of drawings in his treatise Dispareri in materia d’architettura et perspettiva con pareri di eccellenti, et famosi architetti, che li risolvono from 1572. Because the author had disagreed with Pellegrino Tibaldi’s decision of shifting the Annunciation relief held in the Cathedral of Milan, he asked for the opinions on the issue by the most qualified living architects of the time: Andrea Palladio (1508–1580), Giacomo Barozzi da Vignola (1507–1573), Giorgio Vasari (1511–1574) and Giovanni Battista Bertani (ca. 1516– 1576). To get there, Bassi sent them a number of drawings to explain his case.29 He wrote in his letter: “Di questi loro capricci et opinioni fanno indicio i disegni che ne mandano alligati; postovi i caratteri e le linee evidenti et occolte, al meglio che s’è potuto per farli chiari et intelligibili.”30 Overlapping two practical solutions one onto the other is not as “clear and intelligible” as one drawing juxtaposed to the other, Bassi argued.

3. Origins of the marginal technique of pasting: connections, ­exchanges and spreads of and for this technique In scholarship, Brescia is considered as the birthplace of quadratura.31 According to Filippo Piazza, this genre was based on a “solid work of conception through the art of drawing.”32 This opinion is more an assumption than a fact. It is true that Cristoforo (1517/18–1577?) and Stefano Rosa (1524/25– around 1573?) developed the quadratura drawing upon earlier ideas of Giulio Romano (probably 1499–1546) and combined the old and glorious tradition of Venetian fresco painters, who were geographically close. Very few frescoes and no drawings have survived by these painters, though. Besides, little is preserved by Dentone, who is considered to be the true initiator of quadratura.33 Two drawings, a Study for a ceiling at the Cooper Hewitt Museum34 and a Design for a Trompe-l’œil Ceiling with a Loggia at the Metropolitan Museum (fig. 7)35 are thus far the only examples known to have been copied after one of his studies.36 In the Gabinetto di Disegni e Stampe at the Uffizi in Florence, five works are attributed to Dentone that have not been taken into consideration yet. The project for a ceiling37 shows 29 Luigi Vagnetti, Il processo di maturazione di una scienza dell’arte: la teoria prospettica nel Cinquecento, in La Prospettiva rinascimentale, codificazioni e trasgressioni, I, under the direction of Marisa Dalai Emiliani, Florence 1980, p. 473: See also Bassi 1572 (as fn. 26). 30 See Barocchi 1973 (as fn. 26), p. 1819. 31 Jürgen Schulz, Venetian painted Ceilings of the Renaissance, Berkeley 1968, p. 45. 32 Translation by the autor: “solida progettualità disegnativa.” See Piazza 2016 (as fn. 8), p. 53, fn. 154. 33 Di Maffei 1966 (as fn. 20), p. 234. 34 New York, Cooper Hewitt Museum, inv. no. 1938-88-6883, as copy after Girolamo Curti, called Dentone (Bologna, 1575 – Bologna, 1632), pen and brown ink, grey watercolour, 27 x 20 cm; see Feinblatt 1975 (as fn. 6), p. 350, fn. 38, fig. 15. 35 as Faustino Trebbi (1761–1836) after Girolamo Curti. 36 Feinblatt 1992 (as fn. 6), p. 29. 37 Florence, Uffizi, inv. no. 957 Esp, graphite, brown ink and brown watercolor, blue gouache, 28,4 x 60,7 cm; unpublished.

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Federica Mancini

Fig. 7  Faustino Trebbi after Girolamo Curti, Design for a Trompe-l’œil Ceiling with a Loggia, around 1800, pen and brown ink, grey wash, on paper, 28,6 × 18,4 cm, New York, The Metro­ politan Museum of Art, inv. no. 52.570.77

a frieze with putti heavily painted in blue watercolor and a balustrade placed just above them. Upon closer examination, the geometrical fret, close to Sandrini’s cleared style, is pasted. Moreover, the putto in the shell on the left, his position and body details (foreshortened foot, torso and shadows on his face), look like the pasted putto on Sandrini’s Study for a ceiling at the Louvre (fig. 8).38 This similarity strengthens the possible connection between Sandrini and Dentone. They both worked for the Marchese Enzo Bentivoglio between 1613 and 1618,39 so they were very likely in contact. This would mean that Dentone might have adapted Sandrini’s frequently used marginal technique of pasting elements and transmitted it to his assistants. This might be the case for another drawing held at the Louvre, the Study for an optical illusionistic ceiling (fig. 4):40 Its refined architecture and the provision for inserting figures into the space made me suggest some years ago an attribution to Angelo Michele Colonna (Cer-

38 as fn. 9. 39 Piazza 2016 (as fn. 8), p. 38: “…non si dispone ancora di conferme in tal senso, ma è pur sempre vero che entrambi condivisero, in anni diversi, la committenza del marchese Enzo Bentivoglio: Sandrini a Gualtieri, dove lo si trova documentato, come a Ferrara (nel palazzo dei Bentivoglio), nel 1613; Curti invece prestò servizio dal 1618 nel Teatro Farnese di Parma, insieme a vari quadraturisti.” 40 as fn. 17.

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Fig. 8  (detail of fig. 1), Tommaso Sandrini, Putto, before 1630, brown ink, brown and tan water­ colour, on paper, 6,5 × 7 cm (irregular), Paris, Musée du Louvre, Département des Arts ­graphiques, inv.  no.  14932

nobbio 1600 or 1604–1687 Bologna). Colonna was Dentone’s chief compagno,41 and he worked with him between 1623 (the year in which Dentone came back from Rome) and 1632, when Dentone died. The two Bolognese painters, though, worked “closely and interchangeably,”42 as Feinblatt put it, more than their being master and apprentice. The Study for an optical illusionistic ceiling43 shows the continuity of the presence of this technique in the vicinity of Bologna in the first half of the 17th-century as much as a View by Colonna kept at the Uffizi, considered lost by the critics, does for the second half of the century.44

41 Feinblatt 1975 (as fn. 6), p. 350. 42 Feinblatt 1992 (as fn. 6), p. 53. 43 The composition and the style are quite close to another drawing, also in the Louvre (inv. no. 12054), a Study for a façade, which has a signature in the middle, apparently ascribing it to Pietro Antonio (?) Torre, pittore di bologna. There is also a date of either 1651 or 1656. Torre was an apprentice of Francesco Albani, and a perspective painter who worked in the churches San Giuseppe and Sant’Alvise in Venice between 1650 and 1660. See Thieme-Becker, Das Allgemeine Lexikon der bildenden Künstler, Leipzig 1957, 33, p. 304. 44 Florence, Uffizi, inv. no. 4233 S, pen and brown ink, brown watercolor, 19,8 x14 cm. This drawing is considered to be lost by David Garcia Cueto, La estancia española de los pintores boloñeses Agostino Mitelli y Angelo Michele Colonna, 1658–1662, Granada 2005, pp. 171–172, fig. 41. He refers to a drawing by Giuseppe Tonelli, in the Uffizi, inv. no. 5584 S, stating that : “ […] Se conserva en el gabinete de dibujos de los Uffizi un album atribuido al quadraturista Giuseppe Tonelli en el que están recogidos diversas diseños que este artista realizó a partir de obras de Mitelli y Colonna hoy perdidas […] y uno en particular, muestra un fondale decorado del jardín de aquella propiedad en que aparece en el primer

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Federica Mancini

4. Conclusion According to the research on Galeazzo Alessi’s work (1512–1572), drawings were essential instruments for use by architects: they were a way to explain what should be done, in addition to oral or written instructions or using models.45 The marginal technique of pasting ele­ments had a similar meaning in the preliminary phase of quadratura. On the one hand, it served as a basis for communication with the artists collaborating on the project and to clarify their given space or intended intervention. This was the case, for instance, of the leeway given to the painters who inserted figures working with Sandrini (fig. 2, 3). As illusionistic ceilings became more and more complex by 1560, it was less the case of “sharing out the painting of a ceiling” – as Schulz phrases it – than to admit the leading role of a quadratura painter.46 On the other hand, the paper pasting technique added supplementary aesthetical value to the quality of the final project. To do this, the artist had to draw two identical designs in the same scale and then cut and paste the elements correctly onto the larger format (fig. 4, 5, 6). This technique is far from being a shortcut for gaining time and sparing paper while sketching deceptions, which might be the impression in layering drawings one onto the other rather than executing two of them by putting them side by side. In contrast, one could consider that it even requires more time, since the artist must direct his attention to the exact fitting of the complement matched in format. This marginal technique is thus anything but a “quick‑to-apply empirical trick, which permitted facile execution of illusionistic decoration of any kind,” as di Maffei concluded.47 This opinion has been too often advanced, to the detriment of the creative talents of the artists discussed.

término de la ficción una fuente adosada a un muro con un Atlas que sostiene la esfera celeste sobre sus hombros (fig. 41).” 45 Howard Burns, Le idee di Galeazzo Alessi sull’architettura e sugli ordini, in: Galeazzo Alessi e l’architettura del Cinquecento, under the direction of Wolfgang Lotz, International Seminar acts of studies, Genoa, April, 16th – April, 20th 1974, Genoa 1975, pp. 147–148. 46 See Schulz 1968 (as fn. 3b1), p. 40 and Piazza 2019 (as fn. 8). 47 Di Maffei 1966 (as fn. 20), p. 223.

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Tamar Mayer

From Marginal to Central Processes of Cutting, Pasting and Assembling in Jacques-Louis David’s Drawing

The theme of the conference this volume proceeds was ‘Marginal Drawing Techniques’ – however, the essays included demonstrate that these techniques are no longer so marginal. The current essay attempts to highlight this fact by looking at the different uses of cutting, pasting, and assembling in Jacques-Louis David’s drawings. David employed tracings, reversals, squaring, cutting and pasting as part of his preparatory routines, yet they have rarely been the focus of an in‑depth interpretive study. My overall project is a comparative investigation of these techniques and their relationship to some of the artist’s most celebrated historical paintings.1 Concentrating on cutting and pasting, this essay traces several examples where methods of subtracting, adding and replacing took place in David’s work. It offers a conceptual link between cases of physical cutting (collage) and immaterial modes of ‘cutting’ and ‘pasting’ – the assembly of preexisting elements into a new whole – in David’s technique. It concludes with observations on one particularly complex object – a sketchbook with sheets taken out and others inserted in – examining cutting and pasting as part of the culture of collecting. This is a comment on the intricacy of today’s object, a result of multiple rounds of interventions made by collectors of David’s drawings before the book entered a public collection. This essay, therefore, threads together physical, virtual, and posthumous modes of cutting and pasting, both of fragments within a single composition and of drawings within a collection of drawings. It emphasizes the routines of cutting and pasting as key to understanding the complexity of David’s artistic productions, and how these may be accessed today.

1. Collage Cutting and pasting is a technique that artists used in order to make corrections to their drawings or adjust the scale of their format. Within the large corpus of David’s preparatory 1

See: Tamar Mayer, Consequences of Drawing: Self and History in Jacques-Louis David’s Preparatory Practices, PhD Dissertation, The University of Chicago, 2017.

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Tamar Mayer

Fig. 1  Jacques-Louis David, Alexander on the Deathbed of Darius’ Wife, 1779, pen and brown ink, with gray wash, over graphite, on paper, 30.3 × 42.2 cm, Paris, École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, inv. no. EBA 730

work, there are several examples of drawings of figures cut along their contour lines and pasted onto a new sheet of paper.2 A previously drawn figure is preserved and placed upon a fresh, unified background. However, my focus here is on the more complex cases, where David used cutting and pasting as a means of reworking a composition of diverse elements. I will present four selected examples of this practice, chronologically.3 First, a drawing of Alexander on the Deathbed of Darius’ Wife (1779), which is currently at the École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Paris (fig. 1). Here, David pasted three different paper fragments to make corrections to his drawing. The original sheet appears to remain intact underneath, and the shapes of later additions imply that they were blank fragments added on top of the drawing to alter specific areas within it (fig. 2).4 David corrected his drawing by patching the original composition and reworking designated areas within it. 2 3 4

See, for example, nos. 100 and 178 in: Pierre Rosenberg, Louis-Antoine Prat, Jacques-Louis David (1748–1825): Catalogue raisonné des dessins, Milan, 2002, p. 112, p. 191. Recently, Perrin Stein has broadened the scope of research on this phenomenon. See her extensive catalog: Perrin Stein, Jacques-Louis David, Radical Draftsman, New York 2022, esp. cat. nos. 31, 49, 53. On this early drawing, Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2) note that “David must have deliberated the position of the figures for a long time, adding pieces of paper to change his original composition.” [my

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From Marginal to Central

Fig. 2  Jacques-Louis David, Detail of fig. 1

In the next two examples, both preparatory drawings for the Intervention of the Sabine Women (1799),5 David ‘reversed’ his practice: he used fragments ‘saved’ from earlier versions of his composition in order to reconstruct it. The first (fig. 3, from 1794) is made out of many pieces of paper that were removed from their original context and pasted together onto a new support, with additional drawing on top and all around. As I have mentioned elsewhere, “this heavily-worked sheet functions almost like a “puppet theater” of moving characters, figures that were cut, shifted, repositioned and rearranged on top of a new surface” (see fig. 4).6 The second sheet (fig. 5) is a larger, more finished compositional drawing (created towards the end of 1795?) for the Sabines, made out of three sections of paper. Here, too, cutouts from David’s earlier versions became an anchor around which the revised composition was built. In both cases, the tense relationship between the two male warriors was at the core of David’s continuous revisions. Furthermore, in both cases the collage re‑enacts the main theme of the Sabines’ story: women coming in between men to stop them from fighting. The physical acts of intervention and separation were actualized in David’s collage process, as he placed the figures of the men first, and only then the women entering between them.7

5 6 7

translation] See: Ibid., p. 50, no. 30. A recent catalog entry notes that the three pieces of paper were added by the artist without attention to the aesthetic quality of the whole. See: Emmanuelle Brugerolles (ed.), De l'alcôve aux barricades: de Fragonard à David: dessins de l'École des Beaux-Arts, Paris, 2016, pp. 172–173, no. 57. Jacques-Louis David, The Intervention of the Sabine Women, 1799, oil on canvas, 385 × 522 cm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. 3691. Tamar Mayer, “Collage and Process in Jacques Louis David’s Studies for the Intervention of the Sabine Women,” Master Drawings 56:2 (summer 2018), pp. 233–248, p. 239. See: Ibid, pp. 233–248.

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Tamar Mayer

Fig. 3  Jacques-Louis David, Compositional Study for the Intervention of the Sabine Women, 1794, pen and black ink, with gray wash and opaque white, over black chalk, squared in graphite and black ink, on paper, 26 × 34 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, inv. no. RF 5200

Fig. 4  Jacques-Louis David, Detail of fig. 3 seen with transmitted light on a light table, with additional lighting from above

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Fig. 5  Jacques-Louis David, Reconstruction by the author of the sections making up David’s Compositional Study for the Intervention of the Sabine Women, late 1795(?), pen and brown and black ink, with gray wash and opaque white, over black chalk, on three pieces of paper glued together, squared in black chalk, 47.7 × 64 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, inv. no. 26183

My last example is a compositional drawing for the Arrival at the Hotel de Ville (1805), a painting David never completed (fig. 6). Here, three different fragments are glued on top of the original sheet.8 In the early Sabine drawing, fragments cut out from a previous drawing serve as the basis around which the scene is reconfigured, combined with fragments ‘sculpted’ to fit into David’s complex puzzle. In the drawing for the Hotel de Ville, it is very difficult to determine which fragments (if any) are remnants from another version and which are figurines prepared to replace undesired areas in the current composition.9 What is clear is that these fragments are not the foundation around which David reconstructed his composition (as in fig. 3) but that here, too, an intricate negotiation between elements, new and old, has taken place in David’s working process. Irregular contours, particularly if compared

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Arlette Sérullaz, Dessins de Jacques-Louis David, 1748–1825 (exh. cat. Paris, Réunion des musées nationaux), Paris 1991), p. 156, no. 206; Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2), p. 214, no. 203. Studying this drawing in the Louvre’s laboratory revealed that David’s fragments are pasted on top of the original sheet, without the removal of sections underneath. I wish to thank Valentine Dubard, paper conservator at the Louvre at the time, for her guidance and assistance in examining this sheet.

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Fig. 6  Jacques-Louis David, The Arrival of Napoleon I at the Hotel de Ville, Paris, on December 16, 1804, 1805, pen with brown and black ink, grey wash, over graphite and pencil, on beige paper, 26.2 × 40.8 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, inv. no. RF 1916-recto

to cut elements in David’s former Darius’ wife, contribute to this observation. In Darius’ wife (1779) the paper fragments have straighter lines that for the most part do not follow the contour of the figures, while in the Hotel de Ville drawing (1805), cutting is more irregular. These differences imply that in the earlier case David simply covered undesired areas of his drawings and then redrew them, while in the later case, he negotiated fitting fragments into his drawing.10 Working on the Hotel de Ville, David returned to a method he practiced in the Sabines, yet on a more limited scope. The fragments of paper that cover undesired areas that David wished to alter, seem to register a higher level of effort embedded in them. These are not ‘neutral’ additions: the fragment of Josephine is pricked around the figure's waist area, implying that this paper had some sort of history before taking its place within the current composition. The two other fragments of paper are closely aligned with one another, and a fold or tear within one of the figures attests to a potential struggle in trying to make

10 The similarity between David’s process in the Hotel de Ville and in Darius’ wife is that in both cases collage seems to have served to correct undesired areas in his drawing rather than reevaluate the entire composition. However, the differences between the two processes, mainly in terms of the fragments’ outlines, implies that a practice that David developed while working on the Sabines, is one that he returned to while working on the Hotel de Ville.

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Fig. 7  Jacques-Louis David, Detail of fig. 6 seen with transmitted light, with additional lighting from above

them fit next to each other (fig. 7). The Hotel de Ville therefore combines some of the practices David used in Darius' Wife with others he applied in the Sabine process. These four examples of David’s collaged drawings reveal a range of possibilities – from correcting specific areas to reconfiguring an entire composition. They all reflect a process of mediation between preservation of existing forms, modification, and recreation. These practices, I believe, are not unrelated to other additive processes that appear in David’s work during this period. I will refer to them as forms of ‘virtual’ cutting and pasting, which I will reference by looking at David's preparatory work for two other Napoleonic commissions.

2. Virtual Cutting and Pasting During the reign of Napoleon, David worked under new circumstances, which, I believe, helped advance the range of procedures of ‘virtual’ cutting and pasting that appeared in his artistic process. The Coronation of the Emperor Napoleon I and the Crowning of the Empress Joséphine in Notre-Dame Cathedral on December 2, 1804,11 was commissioned in 1804 and the artist began working on it in December 1805. The picture was completed in November 1807, retouched in 1808 and exhibited in the Louvre and the Salon of 1808. The painting began as a depiction of Napoleon crowning himself but was subsequently adapted to present the Emperor crowning his wife, Josephine, instead. The Coronation was the largest painting David had ever made, and it involved integrating over a hundred and fifty individually studied figures into a new pictorial whole. As I have shown elsewhere, this necessitated a regularization and standardization of the artist's transfer techniques, namely, 11 Jacques-Louis David, The Coronation of the Emperor Napoleon I and the Crowning of the Empress Joséphine in Notre-Dame Cathedral on December 2, 1804, 1805–1807, oil on canvas, 621 × 979 cm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. 3699.

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Fig. 8  Jacques-Louis David, The Distribution of the Eagle Standards, 1810, oil on canvas, 610 × 975 cm, Versailles, Musée National du Château, inv. no. MV 2278

advancing his squaring systems.12 One of the challenges that ensued from this intensive use of the grid was avoiding a 'pasted' quality of the many figures transferred from another support onto this grand canvas. The assembly of dozens upon dozens of figures studied over a long period of time involved procedures of 'virtual' cutting and pasting of full figures, yet these figures were, themselves, also a product of an assembly of several parts. In David’s representations of contemporary political figures, his preparatory processes diversified as well. The artist integrated the heads of then well-known politicians, studied over a limited number of sittings in his studio (or through engravings), with the bodies of models that he had available posing for longer periods of time. This can be seen, for example, in David’s preparatory work for The Distribution of the Eagle Standards (fig. 8).13 David’s known method of first drawing his models nude and then ‘dressing’ them up in the appropriate outfit appears in this project as well (fig. 9).14 The ceremony depicted in the Distribution of the Eagles Standards took place in 1804, three days after the Coronation. It shows the Emperor addressing his soldiers, who swear to sacrifice their lives in defense of their country. A preparatory drawing from 1808 currently held at the Louvre (fig. 10) reveals some of the modifications that took place throughout David’s process. The allegorical figure of Victory (top right) was removed, and Josephine’s

12 See: Mayer 2017 (as fn. 1), chapter 3. 13 See, for example, the portrait of Louis Alexandre Berthier (1753–1815) in: Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2), p. 275, no. 288, and a full-body drawing, most likely drawn from the model, for the same figure (Ibid., p. 278, no. 292), currently in Marseille (Musée des Beaux-Arts, inv. no. L. 74.2.3.). 14 This process took place across neighboring folios (as can be seen on 22 recto, 22 verso and 23 recto of the Chicago sketchbook), or over a single sheet where the figure was first drawn nude and then, on top of it, David added clothing (such as folios 19 recto and 20 recto of the same book). See: Jacques-Louis David, Sketchbook, 1809–1810, graphite, black chalk, black crayon, and pen and brown ink drawings on wove paper, sheet: 24.2 × 18.2 cm, book: 25.3 × 20.8 cm, Chicago, The Art Institute, inv. no. 1961.393.

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Fig. 9  Jacques-Louis David, Chicago sketchbook, Figure in uniform from behind, fol. 20 (recto), 1808–10, graphite, black chalk, black crayon, and pen and brown ink drawings on wove paper, 24.2 × 18.2 cm, Chicago, The Art Institute, Helen Regenstein Collection, inv. no. 1961.393

figure (far left) was taken out as well. It is believed that both changes were performed at Napoleon’s request: he wanted Victory removed as it obstructed a direct, non-allegorical celebration of his own military achievements, and he ordered Josephine erased as they were already divorced at the time. While scholars debate over the level of Napoleon’s involvement in the process and David’s response to it, I would like to draw attention to the ways in which the final composition makes tangible these processes of ‘cutting out’ central figures and accounting for their absence.15 As has been mentioned in the literature, in both cases David's modifications do not attempt to obscure, but rather make present the removal of figures from his composition.16 Particularly awkward is the pose he gave Eugène de Beauharnais, the figure who fills the space where Josephine used to sit – so that her absence is highlighted rather than downplayed.17 15 For interpretations of Napoleon’s involvement in David’s process, see: Valérie Bajou, “Painting and Politics under the Empire: David’s Distribution of the Eagles,” in: Mark Ledbury (ed.), David after David: Essays on the Later Work (exh. cat. Williamstown, Mass., Sterling and Francine Clark Art Institute), New Haven 2007, p. 62. See also: Antoine Schnapper, Arlette Sérullaz, Jacques-Louis David, 1748–1825 (exh. cat. Paris, Musée du Louvre, Versailles, Musée national du château), Paris 1989, p. 449. 16 According to Dorothy Johnson, David chose to make the absence of victory palpable – “the disorderly colonels remain the focus of the composition and many of the marshalls still gaze with ardor and heartfelt wonder at the (now invisible) vision of victory above the colonels’ heads in the sky.” See: Dorothy Johnson, Jacques-Louis David: art in metamorphosis, Princeton, N. J. 1993, p. 209. 17 David’s solution for the removal of Josephine’s figure was to fill up the awkward hole created in the composition with the figure of Eugène de Beauharnais, standing in a highly unnatural pose with one leg projected forward. For Bajou’s criticism of this solution, see: Bajou 2007 (as fn. 15), p. 63. See also:

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Fig. 10  Jacques-Louis David, Study for The Distribution of the Eagle Standards, dated 1808, pen, black ink, gray wash and heightened white on graphite pencil on beige paper, 18.2 × 29.1 cm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. RF 1915

Modifications of the Eagles’ composition required adjustments that developed David’s experimentation with erasing full figures and ‘pasting-in’ new ones. David’s procedures of ‘virtual’ cutting and pasting assisted him in the production of pictures representing large assemblies of contemporary political figures: heads, poses and full figures became mobile, transferrable units that could be attached and detached from one another and from the composition as a whole. These processes all pushed the boundaries of David’s assembly techniques, delineating new relations between invention, imposition, and calculation in his artistic process. Challenges to David’s authorship, reflected on the Eagles’ canvas, incidentally also came to characterize a sketchbook that he used during the same period. This book, currently at the Art Institute of Chicago, suffered multiple interventions on the part of collectors, turning it into a complex object – a product of many minds and hands. The final section of this essay expands the discussion on processes of cutting and pasting within the culture of collecting David’s work.

3. Cutting and Pasting in Collecting The Chicago sketchbook is a unique object for two reasons: firstly, since David utilized it differently from the way he used many of his other sketchbooks, and secondly, because the book underwent multiple manipulations after the artist’s death, turning it into a fascinating object of collection. David often began drawing in his sketchbooks from both ends, but in this book the pages at either end are blank and only the central sheets are drawn upon. The book underwent many changes and transformations: some of its drawings were taken out while others were pasted in. Likewise, certain pages of the book have no less than four Antoine Schnapper, David, New York 1980, p. 251, and Anita Brookner, Jacques-Louis David, London 1980, p. 160.

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Fig. 11  Jacques-Louis David, Napoleon in Imperial Robes, 1808–10, black crayon on paper, 25 × 19.7 cm, Versailles, Musée National du Château, inv. no. M. V. 7689

different systems of numbering on them. It is, therefore, almost impossible to trace a clear narrative of its evolution, producing an intricate object – revelatory not only in the context of David’s creative processes but also in the context of its history as an object of collection. The majority of the studies in the Chicago sketchbook (used between December 1808 and November 1810) relate to David’s Eagles. Some of the original pages of this book are missing, some were removed at an early stage and are now held in other collections (such as a drawing of Napoleon in Versailles, fig. 11),18 and some were taken out and are kept, separately, in the Art-Institute’s collection. In addition, other drawings that were not part of this book at the time of David’s death were later inserted into it, pasted onto blank pages. The book was in David’s possession at his death, and at a later, unknown date, became part of the collection of Prince Napoleon Bonaparte (1822–1891).19 It was at this time that the first important manipulation of the book must have taken place – David’s drawings from two other sketchbooks were inserted and pasted into this book. Later, when the book belonged to the collection of the architect Destailleur (1822–1893), several drawings were detached

18 See: Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2), p. 274, no. 286 and: Philippe Bordes, Jacques-Louis David: Empire to Exile (exh. cat. Williamstown, Mass., Sterling and Francine Clark Art Institute), New Haven 2005, pp. 103–108, no. 8. 19 According to Bordes, the book was sold in his 1826 sale, probably as no. 77. See: Ibid., 109.

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Fig. 12  Jacques-Louis David, Chicago sketchbook, Bust of a Man, Head Turned to Right, fol. 44 (recto, loose), c. 1810, black chalk, with touches of black crayon, on off-white laid paper, edge mounted on cream wove paper, 22.6 × 17.9 cm, Chicago, The Art Institute, Helen Regenstein Collection, inv. no. 1961.3939.36

from it and are now a part of other collections.20 Sometime between Destailleur’s sale (the last time this book is described as having 42 drawings) and 1961, when the book was acquired by the Art Institute of Chicago, twelve additional drawings were pasted onto its folios.21 This unique combination of additions and subtractions resulted in a highly compound object. Drawings added to the book when prince Napoleon Bonaparte owned it (prior to 1877) include folios from a sketchbook that David used during his second trip to Rome, in 1784–85 (folios 29, 35, 37). It also includes drawings from another sketchbook used between 1794–1800, currently at the Louvre (R. F. 9137), which are associated with the Sabine Women (folios 31-33, 38 and possibly also 30). Another series of drawings added to the Chicago book are portraits (folios 40-50), mostly related to the Eagles. These were later detached from the bound book and are now kept as loose sheets in the Art Institute’s collection. These drawings (see, for example, fig. 12), were recently dated to David’s period of

20 Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2) identify nos. 286, 294, 295, 296, and possibly also nos. 291, 297 and 298bis. They believe that three drawings currently in Versailles were detached sometime before the Destailleur sale in 1893, while Philippe Bordes suggests it was even before 1880, when two of these detached drawings were owned by Jules David. See: Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2), pp. 1092–1093, and: Bordes 2005 (as fn. 18), p. 109. 21 Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2), pp. 1092–1093. Prior to being acquired by the Art Institute of Chicago, the book also belonged to the collection of D. David-Weill.

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exile in Brussels (1815–1825).22 Through changes made by collectors, the Chicago book provides an expanded view of David’s Eagles – combining drawings created before the original painting with ones created subsequent to it. These additions demonstrate important shifts in the artist’s style and temperament, diversifying his uses of drawing. Interventions on the part of collectors turn this fascinating book into an object that encompasses many of the changes that characterize David’s work. * The variations of cutting and pasting in David’s work – physical cutting of fragments to change a composition, the assembly of diverse elements to compile a composition, or the cutting and pasting of entire drawings in and out of a volume of drawings – all exemplify the composite nature of David’s artworks and of how they were treated over time. These objects combine invention, recalculation and resolution – both on the part of the artist and of his collectors. Connecting the different modes of cutting and pasting in David’s work, this essay traces the ways in which these objects are constructs of diverse approaches, agents and makers.

22 This new dating was determined by Rosenberg and Prat in their grand Catalog Raisonne. See: Rosenberg/Prat 2002 (as fn. 2), p. 1107, no. 1767. This expressive drawing can be associated, according to Schnapper and Sérullaz, with the figure seated at the extreme lower left of the Eagles painting (with a hand on his chest). See: Schnapper/Sérullaz 1990 (as fn. 15), p. 481.

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AUSBLICK

Abb. 1

Arno Schubbach

Zeichnen als Darstellen Inwendige Komplexitäten in Zeichnungen

Das kunsthistorische Vorhaben, Zeichentechniken als ästhetische Strategien zu untersuchen, kann aus der Sicht von Bildtheorie und Philosophie Fragen aufwerfen.1 Denn es sind hier viele Begriffe und ihre jeweiligen Unschärfen im Spiel, so dass sie sich in der Formulierung, zumindest in der Perspektive des Nicht-Kunsthistorikers, kaum zu einem klar umrissenen und fassbaren Sinn fügen. Stattdessen eröffnet sich ein Raum von Deutungsmöglichkeiten, der immer wieder weitere Fragen hervorbringt. Aus der Sicht der Philosophie wird man vielleicht zunächst eine Gemeinsamkeit von Techniken und Strategien suchen: Unter Strategien verstehen wir meist ein planvolles Vorgehen, das einen bestimmten Zweck erreichen soll und dazu eine Folge von Handlungen anordnet. Ähnlich können wir Techniken als methodische Verfahren verstehen, deren korrekte Ausführung gewährleisten soll, einen bestimmten Zweck zu realisieren. Techniken wie Strategien beziehen sich demnach auf strukturierte Folgen von Handlungen und Prozessen, die auf einen Zweck oder ein Ziel ausgerichtet sind. Die Rede von Technik lässt uns dabei an eine reibungslose und mechanische Ausführung denken, die Rede von Strategie akzentuiert dagegen stärker, dass die Handlungen in einem Zusammenhang stehen, auf den sie sich einlassen müssen, um den Zweck zu erreichen. Etwaige Hindernisse werden dabei soweit möglich eingeplant, was in unübersichtlichen Situa­ tionen und angesichts unkalkulierbarer Akteure den Erfolg aber doch niemals garantieren kann. Unter Annahme eines solchen Verständnisses von Strategien und Techniken würden Zeichentechniken und ästhetische Strategien wohl Formen des planvollen Vorgehens und methodischen Verfahrens im Feld der künstlerischen Zeichnung beschreiben. Durch Zeichentechniken sollen Zeichnungen erstellt werden, ästhetische Strategien sollen im Kunstwerk ästhetische Erfahrungen ermöglichen oder in praxi kunsttheoretische Positionen entwickeln. Aus der Sicht der Ästhetik und Kunsttheorie drängt sich damit aber ein Problem auf, das sie 1

Der vorliegende Beitrag ist im Rahmen des durch den Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts „Begriffe und Praktiken der Darstellung in Philosophie, Chemie und Malerei um 1800“ entstanden.

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Arno Schubbach

spätestens seit der Aufklärung immer wieder umgetrieben hat. Die Betonung der Rolle von Techniken und Strategien für das künstlerische Schaffen will nicht so recht passen zu dem modernen Anspruch der Originalität von Kunstwerken und der Spezifik ihrer ästhetischen Erfahrungen. Es scheint vielmehr eine gewisse Spannung zu bestehen zwischen der Orientierung an Techniken und Strategien, Verfahren und Regeln, Vorbildern und Beispielen und dem Zweck und Ziel der Kunst, originelle Kunstwerke zu schaffen und ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen, die nicht auf altvertraute Begriffe und Regeln zu bringen sind. Aus Sicht der Philosophiegeschichte drängen sich als Beispiel für diese Problemlage die einflussreichen Überlegungen aus Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft von 1790 auf.2 Der Begriff des Ästhetischen steht hier ebenso in Frontstellung zum Begrifflichen, wie das Kunstwerk in Spannung zu Techniken und Strategien. Denn Kant schließt sich zwar nicht dem Vorhaben Alexander Baumgartens an, der in seiner Ästhetik von 1750/58 mit Berufung auf Kunst und Literatur eine ästhetische Form der Erkenntnis konzipiert hatte, die statt auf begriffliche Abstraktion auf sinnliche Fülle abzielt und damit die logische Erkenntnis komplementär ergänzen sollte.3 Kant folgt Baumgarten aber doch insoweit, als er allein solche Erfahrungen und Gegenstände als ästhetisch charakterisiert, die nicht unter einem Begriff stehen (und sich bei Kant deshalb nicht als Erkenntnisse qualifizieren).4 Ästhetisch soll demnach heißen, was sich der Herrschaft von Begriff und Regel, Strategien und Techniken entzieht. Das gilt bei Kant insbesondere, wenn auch nicht nur für Kunst und Kunstwerke.5 Bei Kant besteht daher tatsächlich eine Spannung oder ein Widerspruch zwischen Techniken und Strategien des künstlerischen Schaffens auf der einen Seite und dem Anspruch auf die „Originalität“6 von Kunstwerken und dem spezifischen Charakter der ästhetischen Erfahrung auf der anderen. Er betont so zwar, dass das künstlerische Schaffen nicht frei sei von tradierten Regeln und Vorbildern.7 Ganz im Gegenteil kommt es ohne den „Schulzwange“ der „Regeln“8 nicht aus. Der Anspruch auf Originalität erfordere aber, dass über die bloß mechanische Ausführung dieser Regeln hinausgegangen werde. Dies traut Kant allein dem Genie

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Texte Kants werde ich wie üblich nach der Ausgabe Kants gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff., zitieren. Vgl. hier Band 5: Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urtheilskraft, Berlin 1913. Bei wiederholten Referenzen benutze ich das übliche Sigel ‚AA‘ mit Angabe des Bandes und der Seitenzahl. Ergänzend gebe ich unter dem Sigel ‚KU, B‘ auch die Seitenzahl der zweiten Ausgabe der Kritik der Urteilskraft von 1793 an, so dass die zitierten Stellen in den meisten Ausgaben des Textes leicht aufzufinden sein sollten. Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Ästhetik, übersetzt, mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern herausgegeben von Dagmar Mirbach, Hamburg 2007, Bd. 1, S. 533–545 bzw. §§ 555–565, sowie zur Erläuterung die „Einführung“ der Herausgeberin Dagmar Mirbach ibid., S. XXXII–LII. Vgl. AA 05, 188 f./KU, B XLII. Vgl. AA 05, 306 f./KU, B 179 f. AA 05, 308/KU, B 182. Vgl. AA 05, 309 f./KU, B 185–187. AA 05, 310/KU, B 186.

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Zeichnen als Darstellen

zu, dessen Schaffen sich eingeübten Techniken und bewussten Strategien entzieht und sich ihnen geradezu entgegensetzen soll.9 Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Argumentation nicht vor allem deshalb auf das Genie rekurrieren muss, weil sie die Techniken und Strategien des künstlerischen Schaffens in einem relativ strikten Sinne als mechanische Regeln und Verfahren begreift.10 Aber wäre mit Blick auf konkrete künstlerische Praktiken nicht ohne weiteres zu argumentieren, dass die Annahme von Techniken und Strategien zumindest dann eine Idealisierung darstellt, wenn sie auf methodische Verfahren und regelbasierte Techniken reduziert werden, die mechanisch auszuführen wären und stets zu erwartbaren Ergebnissen führen würden? Gegen eine solche Vorstellung spricht zum einen, dass die bloße Ausführung noch keine Erwartbarkeit garantiert, weil die Wechselwirkungen zwischen Körper, Instrument und Materialien im Prozess des künstlerischen Schaffens zu komplex sind. Techniken und Strategien des künstlerischen Schaffens schließen so innovative Momente kaum aus, weil sie es nur anleiten können. Schon aus ganz praktischen Gründen dürfte es kaum vermeidbar sein, sie anzupassen und zu verändern, sobald man sie sich aneignet und sie anwendet. Es scheint daher gar nicht sachgemäß, auf das Genie zu rekurrieren, wo zuallererst sichtbar zu machen ist, wie Techniken und Strategien nicht bloß schulgerecht ausgeführt, sondern reinterpretiert und angepasst, verändert oder ignoriert werden. Denn Techniken und Strategien des künstlerischen Schaffens sind keine Regeln und Verfahren, die bloß mechanisch ausgeführt werden könnten. Vielmehr bilden sie einen sich entwickelnden, praktischen Zusammenhang von geschulten Körpern und an Instrumente gebundene Gewohnheiten, von Rezepten und Hilfsmitteln, von Wertungen und Usancen, die das künstlerische Schaffen durchziehen und organisieren. Ein solcher Zusammenhang schließt innovative Momente nicht aus, sondern ermöglicht sie umso mehr, als sich das künstlerische Schaffen auf ihn einlässt und sich an seinen Elementen abarbeitet. Eine solche Vermutung wäre kunsthistorisch anhand der im vorliegenden Band versammelten Beiträge mit Bezug auf konkrete Situationen des künstlerischen Zeichnens zu überprüfen. Im Folgenden wähle ich jedoch einen anderen, kontrastiven Zugang ausgehend von Kants Diskussion eines wissenschaftlichen ‚Zeichnens‘: Die geometrische Demonstration hat zwar zum Ziel, allgemeingültige Theoreme zu beweisen, und idealisiert dazu das Zeichnen auf die strikt mechanische Ausführung von Regeln. Es bildet dadurch jedoch gerade einen aufschlussreichen Kontrast zum künstlerischen Zeichnen: Indem ich diese Idealisierung herausarbeite und in Abhebung davon das künstlerische Zeichnen mit seinen ganz anderen Zielen diskutiere, möchte ich ein Schlaglicht auch auf Techniken im künstlerischen Zeichnen und ihre ästhetische Bedeutung werfen. Ich wähle also einen Umweg über eine wissenschaftliche Praxis, um mich der Frage nach künstlerischen Zeichentechniken als ästhetischen Strategien zu nähern. Ich werde daher im ersten Abschnitt meines Beitrags Kants Analyse   9 Vgl. AA 05, 307-309/KU, B 181-185 und zusammenfassend AA 05, 317-319/KU, B 199-202. 10 Die Regeln, von denen das künstlerische Schaffen ausgeht, beschreibt Kant tatsächlich als „etwas Mechanisches, welches nach Regeln gefaßt und befolgt werden kann“ (AA 05, 310/KU, B 186).

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der geometrischen Demonstration behandeln, um im zweiten Abschnitt auf das künstlerische Zeichnen zurückzukommen.

1. Geometrisches Zeichnen nach Kant Kants Überlegungen zur geometrischen Demonstration befinden sich in der „Transzendentalen Methodenlehre“, die die Kritik der reinen Vernunft beschließt und das Vorgehen der Philosophie erörtert.11 Kant kritisiert den Anspruch, philosophische Behauptungen nach dem Vorbild der Mathematik beweisen zu wollen, und argumentiert, dass der mathematische Beweis voraussetzt, was der Philosophie gerade nicht möglich sei, nämlich Begriffe in der Anschauung ‚darzustellen‘: „Die philosophische Erkenntniß ist die Vernunfterkenntniß aus Begriffen, die mathematische aus der Construction der Begriffe. Einen Begriff aber construiren, heißt: die ihm correspondirende Anschauung a priori darstellen.“12 Die Unterscheidung des philosophischen vom mathematischen Vorgehen verbindet Kant mit einer terminologischen Innovation, die vom heutigen Leser nur noch schwer nachzuvollziehen ist. Denn Kant führt mit der ‚Darstellung‘ einen Begriff ein, der bis zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft keine terminologischen Weihen genossen hatte, und trägt damit entscheidend dazu bei, dass die ‚Darstellung‘ um 1800 ein geradezu modisches Schlagwort wurde. Vor allem in der Ästhetik und Poetik spielte es eine zentrale Rolle, wie Winfried Menninghaus und Inka Mülder-Bach gezeigt haben.13 Aber auch in der Philosophie machte es Karriere. Kant selbst hat die Konzeption der Darstellung in der Kritik der Urteilskraft von 1900 verallgemeinert14 und so wurde sie für die nachkantischen ‚Darstellungen‘ der Philosophie bei Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel zum Modell.15 11 Die folgenden Ausführungen basieren auf früheren Publikationen und insbesondere auf Arno Schubbach, Kants Konzeption der geometrischen Darstellung. Zum mathematischen Gebrauch der Anschauung, in: Kant-Studien 108 (2017), S. 19–54. Dort wird diese Deutung Kants auch im Rahmen der aktuellen Forschungsliteratur weiter ausgeführt und begründet. 12 Kants gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 3: Kritik der reinen Vernunft. Zweite Auflage 1787, Berlin 1911, S. 469, bzw. unter Verwendung des Sigels AA 03, 469. Auch im Falle der Kritik der reinen Vernunft gebe ich ergänzend die Seitenzahl der zweiten Ausgabe von 1787 unter Verwendung des Sigels ‚KrV, B‘ an, hier KrV, B 741. 13 Vgl. Winfried Menninghaus, „Darstellung“. Friedrich Gottlieb Klopstocks Eröffnung eines neuen Paradigmas, in: Christiaan L. Hart Nibbrig (Hrsg.), Was heißt „Darstellen“?, Frankfurt a. M. 1994, S. 205–226, und Inka Mülder-Bach, Im Zeichen Pygmalions. Das Modell der Statue und die Entdeckung der „Darstellung“ im 18. Jahrhundert, München 1998. 14 Vgl. Arno Schubbach, Leben und Darstellung in Kants Kritik der Urteilskraft. Zwischen Ästhetik, Epistemologie und Ethik, in: Nicola Gess, Agnes Hoffmann, Annette Kappeler (Hrsg.), Belebungskünste. Praktiken lebendiger Darstellung in Literatur, Kunst und Wissenschaft um 1800, Paderborn 2019, S. 191– 228. 15 Vgl. Thomas Sören Hoffmann, Darstellung des Begriffs. Zu einem Grundmotiv neueren Philosophierens im Ausgang von Kant, in: Hubertus Busche, Anton Schmitt (Hrsg.), Kant als Bezugspunkt philosophischen Denkens. Festschrift für Peter Baumanns zum 75. Geburtstag, Würzburg 2010, S. 101–116; Jel-

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Es waren dabei vor allem drei Grundzüge der Darstellung, die als zentrale Vorzüge betrachtet wurden: Erstens begründet sie, warum wir Allgemeines anschauen können – was Kant wie der Empirismus eigentlich ausgeschlossen hatten; zweitens ist dies nur deshalb möglich, weil das Angeschaute auf seine eigene Entstehung bezogen wird und deren Prozess sich in ihm verkörpert; drittens ist es dazu notwendig, dass die Wahrnehmung des Angeschauten in sich auf dessen Entstehung reflektiert: Nur dann schauen wir nicht einen einzelnen Gegenstand an, sondern sehen in ihm die Verkörperung seiner Entstehung. Es sind diese Grundzüge des Darstellungsbegriffs, die wir in Überlegungen zum Vorgehen der Philosophie und in Naturphilosophien und Ästhetiken des Deutschen Idealismus ebenso mit Bezug auf wissenschaftliche wie künstlerische Praktiken finden. In Kants Kritik der reinen Vernunft ist die Konzeption der Darstellung aber zunächst strikt auf die geometrische Praxis beschränkt, während es der Philosophie gerade nicht möglich sein soll, ihre Begriffe darzustellen. Was ist damit aber gemeint? Kant bezieht sich auf den Beweis des Satzes, dass die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks stets gleich zwei rechten Winkeln ist bzw. 180 Grad beträgt, und sieht darin ein Beispiel dafür, wie ein Mathematiker in einem Dreieck seinen allgemeinen Begriff darstellt, um Eigenschaften von Dreiecken zu beweisen.16 Kant fasst somit eine mathematische Beweispraxis ins Auge, die sich nicht auf die formal-logische Deduktion reduziert, sondern wesentlich auf der geometrischen Kon­ struktion beruht. Er bezieht sich damit nicht nur paradigmatisch auf die euklidische Tradition, die in der Frühen Neuzeit gegenüber dem aristotelischen Syllogismus eine Aufwertung erfahren hatte.17 Er knüpft mit diesem Beispiel zugleich an eine philosophische Diskussion an, die spätestens seit John Locke im Gange war. Diese Diskussion ist deshalb virulent, weil sie nicht nur ein randständiges Problem der Philosophie der Mathematik betrifft, sondern verbunden ist mit der grundlegenden Bestimmung des Verhältnisses von Allgemeinem und Besonderem. Für den Empiristen Locke war zunächst klar, dass es der Mathematiker zuallererst mit besonderen Dreiecken zu tun hat. Er vertrat darüber hinaus aber die These, dass es der Mathematiker allein mit diesen verschiedenen Dreiecken zu tun haben kann, weil ein allgemeiner Begriff des Dreiecks in sich widersprüchlich sei.18 Das mathematische Wissen beziehe sich aber auch nicht auf einen solchen scha Schmid, „Es ist so, weil ich es so mache.“ Fichtes Methode der Konstruktion, in: Fichte-Studien 48 (2019), S. 389–412; dies., Schelling’s method of Darstellung: Presenting nature through experiment, in: Studies in History and Philosophy of Science Part A, 69 (2018), S. 12–22; Arno Schubbach, Der „Begriff der Sache“. Kants und Hegels Konzeptionen der Darstellung zwischen Philosophie, geometrischer Konstruktion und chemischem Experiment, in: Hegel-Studien 51 (2018), S. 121–162. 16 Vgl. AA 03, 469–471/ KrV, B 741 f. und 744 f. 17 Vgl. Hermann Schüling, Die Geschichte der axiomatischen Methode im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert (Wandlung der Wissenschaftsauffassung), Hildesheim/New York 1969, S. 41–60 und 110–112. Kants Verständnis der euklidischen Verfahren ist dabei von ihrer zeitgenössischen Deutung geprägt, vgl. Lisa A. Shabel, Mathematics in Kant’s Critical Philosophy. Reflections of Mathematical Practice, New York/London 2003, S. 9–90. 18 Vgl. John Locke, An Essay concerning Human Understanding, hrsg. v. Peter H. Nidditch, Oxford 1975, S. 596 bzw. Book IV, Chapter VII, Section 9.

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allgemeinen Begriff, sondern bestehe vielmehr darin, dass wir anhand von besonderen Dreiecken Evidenzen für den jeweiligen Einzelfall gewinnen, die wir verallgemeinern, weil wir sie auch an anderen Dreiecken bestätigen können und so die Erwartung von stets ähnlichen Ergebnissen habitualisieren.19 Auch George Berkeley hatte die Existenz eines allgemeinen Begriffs bestritten, die Rolle der besonderen Dreiecke aber anders bestimmt. Die Zeichnung des Dreiecks dient demnach als Zeichen oder Stellvertreter für alle Dreiecke und erlaubt insofern allgemeine Aussagen zu beweisen, als man sich nicht seine spezifischen und arbiträren Eigenschaften zu Nutze macht.20 Kant geht, anders als Locke und Berkeley, davon aus, dass wir über einen allgemeinen Begriff des Dreiecks verfügen. Er knüpft aber an ihre Diskussion an, weil er zugleich annimmt, dass der Mathematiker nur vermittels der einzelnen konstruierten Dreiecke Erkenntnisse über den allgemeinen Begriff gewinnen kann.21 Für Kant stellt sich sodann aber folgende Frage: Wie ist es dem Geometer möglich, anhand der Skizze eines Dreiecks nicht nur Erkenntnisse über dieses Dreieck zu sammeln, sondern die allgemeine Aussage zu beweisen, dass die Summe der Innenwinkel eines beliebigen Dreiecks gleich 180 Grad ist? Mit Bezug auf die zentrale Rolle der geometrischen Demonstration durch Konstruktion wird Kant daher versuchen müssen, die Zeichnung eines Dreiecks mit seinem allgemeinen Begriff zu vermitteln. Nur so wird es möglich sein, anhand einer geometrischen Konstruktion nicht nur etwas über dieses einzelne Dreieck zu erfahren, sondern eine Erkenntnis über Dreiecke im Allgemeinen zu gewinnen. Es ist genau das, was Kant versucht, indem er argumentiert, dass das Allgemeine in der geometrischen Konstruktion anschaulich werden kann. Die geometrische Konstruktion soll es möglich machen, in der Anschauung eines Dreiecks „Allgemeingültigkeit für alle mögliche Anschauungen, die unter denselben Begriff gehören, […] aus[zu]drücken“22. Dem Mathematiker würde damit gelingen, was nach Kants eigenen Annahmen prima facie unmöglich scheint, „das Allgemeine im Besonderen, ja gar im Einzelnen“23 zu betrachten.

19 Vgl. Locke 1975 (wie Anm. 18), S. 527–530 bzw. Book IV, Chapter 1, Section 8–9. 20 Vgl. The Works of George Berkeley Bishop of Cloyne, hrsg. v. A. S. Luce, T. E. Jessop, Bd. 2: The Principles of Human Knowledge […], hrsg. v. T. E. Jessop, London 1949, S. 32–35 bzw. Introduction, § 13–16. Vgl. zur Erläuterung auch Alexander Aichele, „Ich denke was, was Du nicht denkst, und das ist Rot. John Locke und George Berkeley über abstrakte Ideen und Kants logischer Abstraktionismus“, in: Kant-Studien 103 (2012), S. 25–46. 21 Terminologischer formuliert: Ohne die Anschauung von Dreiecken ist keine Erkenntnis über ihren Begriff möglich, Anschauungen sind aber stets singulär und beziehen sich also anders als allgemeine Begriffe prinzipiell nur auf einzelne Gegenstände. Vgl. die klassische Definition der Anschauung in Kants Logik, in: Kants gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 9: Logik. Physische Geographie. Pädagogik, Berlin/Leipzig 1923, S. 91. 22 Im Zusammenhang zitiert: „Zur Construction eines Begriffs wird also eine nichtempirische Anschauung erfordert, die folglich, als Anschauung, ein einzelnes Objekt ist, aber nichts destoweniger, als die Construction eines Begriffs (einer allgemeinen Vorstellung) Allgemeingültigkeit für alle mögliche Anschauungen, die unter denselben Begriff gehören, in der Vorstellung ausdrücken muß.“ (AA 03, 469 / KrV, B 741) 23 AA 03, 469 / KrV, B 742.

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Wie wird der allgemeine Begriff des Dreiecks also anschaulich, wie kann ihn der Mathematiker in seiner Konstruktion darstellen? Die Antwort findet sich in dem für Kants Konzeption der Darstellung zentralen Satz: „Die einzelne hingezeichnete Figur ist empirisch und dient gleichwohl, den Begriff unbeschadet seiner Allgemeinheit auszudrücken, weil bei dieser empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der Construktion des Begriffs […] gesehen“24 wird. Offenbar ist es für Kant also entscheidend, dass Begriff und Anschauung hier nicht losgelöst voneinander gegeben sind und sich unvermittelt gegenüberstehen; vielmehr haben wir es mit einem Prozess der Konstruktion zu tun, innerhalb dessen die Anschauung des einzelnen Dreiecks betrachtet wird und ihre allgemeine Bedeutung gewinnen kann. Es finden dabei zwei Prozesse zugleich statt: Unter Voraussetzung eines mathematischen Begriffs konstruiert der Geometer beispielsweise ein konkretes Dreieck und bringt damit also eine Anschauung hervor, die unter diesen Begriff fällt. Durch eine solche Herstellung einer Anschauung würde der Begriff jedoch nur instanziiert und nicht dargestellt, denn es bliebe unerklärlich, wie der Geometer anhand dieses einzelnen Dreiecks eine allgemeine Aussage über Dreiecke beweisen kann. Es kommt daher auf die Verknüpfung mit einem zweiten Prozess an, auf den reflektierenden Vollzug, der das im Entstehen begriffene Dreieck auf die ‚Handlung der Konstruktion‘ und zugleich auf ihre allgemeine Regel bezieht. Im reflektierenden Vollzug der Konstruktion stellt sich im einzelnen Dreieck sein allgemeiner Begriff dar. Der Grundgedanke ist also folgender: Das Dreieck, an dem der Geometer die Behauptung zu beweisen sucht, ist nicht einfach nur ein einzelnes Dreieck, insofern es im Zusammenhang einer spezifischen, geometrischen Zeichentechnik und ‑praxis betrachtet wird. Denn diese Praxis geht erstens davon aus, dass der Begriff des Dreiecks zuallererst einmal eine Regel zur Konstruktion von Dreiecken ist; und diese Regel kann zweitens vom Geo­meter ausgeführt werden, um anhand der entstehenden Figur sowie von Hilfslinien zu zeigen, was nicht nur für diese Figur, sondern für die allgemeine Regel gilt, solche Figuren zu konstruieren; damit gelingt es also drittens, in der Konstruktion eines Dreiecks dessen allgemeinen Begriff vor Augen zu stellen und seine Eigenschaften anschaulich vor Augen zu führen. In seiner Zeichnung schaut der Geometer also nicht einfach ein einzelnes Dreieck an, sondern stellt den Begriff des Dreiecks dar, insofern er dieses Dreieck konstruiert, um sich reflektierend auf die allgemeine Regel dieser Konstruktion zurückzubeziehen. Ohne diesen reflektierenden Vollzug oder Nachvollzug der Konstruktion stünde ihm lediglich dieses Dreieck vor Augen, das unter den allgemeinen Begriff des Dreiecks fallen mag, ihn aber keineswegs darstellt. Es ist dabei in Erinnerung zu behalten, dass diese Konzeption der Darstellung eine Theorie der geometrischen Demonstration sein soll. Daher ist die Darstellung eines allgemeinen Begriffs zugleich „eine Kette von Schlüssen, immer von der Anschauung geleitet“, die schließlich „zur völlig einleuchtenden und zugleich allgemeinen Auflösung der Frage“25 füh24 AA 03, 469 / KrV, B 741 f. 25 Vgl. AA 03, 471 / KrV, B 744 f.

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ren soll. Dies ist nicht nur deshalb von Interesse, weil Kant in Euklids Geometrie somit das Paradigma für ein anschauliches, nicht rein formal-logisches Schließen ins Auge fasst. Vielmehr ist es im vorliegenden Zusammenhang wichtig, weil die konstruierte Darstellung damit die Sequenz von Schlüssen in der Anschauung mit der Simultaneität der Anschauung der vollständigen Konstruktion vereinen muss. Führen wir uns das am Beispiel Kants vor Augen. Der seit Euklid kanonische Beweis des Theorems über die Summe der Innenwinkel im Dreieck wird meist durch die vollständige Konstruktion illustriert (vgl. Abb. 1). Diese Illustration ist nicht ohne weiteres einsichtig, weil in der Simultaneität einer Anschauung zusammengezogen ist, was zur Demonstration Schritt für Schritt vollzogen werden muss. Um den Beweis zu verstehen, ist es daher notwendig, die Konstruktion schrittweise zu ‚rekonstruieren‘ und damit die Illustration wieder in eine Folge von anschaulichen Schlüssen zu entfalten, die uns über die geometrischen Verhältnisse belehrt, die dem bewiesenen Zusammenhang zu Grunde liegen (vgl. Abb. 2a–h). Die Darstellung von Begriffen geht insofern von der Simultaneität der Anschauung aus, um sie auf die Sequenz oder Zeitlichkeit des Vollzugs oder Nachvollzugs des Darstellens und seiner Durchführung zu öffnen. Es ist wichtig zu betonen, dass Kant mit dieser Konzeption der Darstellung von geome­ trischen Begriffen eine mathematische Praxis ins Auge fasst. Kant nimmt so zwar an, dass wir den Begriff des Dreiecks a priori kennen, dass wir Erkenntnisse über Dreiecke aber nur gewinnen können, indem wir ihren Begriff anwenden bzw. die Regel zu ihrer Konstruktion tatsächlich ausführen. Diese Ausführung hat dabei den Zweck, in ihrem Vollzug auf ihre Regel reflektieren zu können. Eine solche Reflektion auf die Regel kann deshalb nicht auf deren Ausführung verzichten, weil wir es bei geometrischen Begriffen mit Regeln oder Verfahren zu tun haben, Figuren im Raum zu konstruieren. Die Reflektion auf solche Regeln muss daher das Medium ihrer Durchführung einbeziehen, den euklidischen Raum, was nur gelingt durch ihre Ausführung und Verkörperung in räumlichen Figuren. Die Geometrie kann auf diese Weise die Wissenschaft von räumlichen Figuren und zugleich die Wissenschaft des Raums sein. Wenn ich behaupte, dass Kant damit insofern eine Praxis ins Auge fasst, als er spezifische Regeln und Verfahren, Ausführungen und Vollzüge, Medien und Verkörperungen behandelt, dann darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass er diese Praxis zugleich idealisiert, wozu sich gerade die mathematische Praxis durchaus anbietet. Nicht nur ist die euklidische Geometrie auch zu Zeiten Kants ein längst etablierter Wissensbestand, auch die Form ihrer Darstellung ist geradezu kanonisiert. Sie zeichnet sich vereinfacht gesagt dadurch aus, dass die Annahmen zu Beginn explizit gemacht und alle weiteren Theoreme schrittweise mit Hilfe selbstgesetzter Regeln demonstriert werden. Euklids Elemente legen so ein Bild mathematischen Wissens nahe, das die Ausführung von formalen Regeln zur Konstruktion ins Zentrum rückt. Dabei wird von allen konkreten Charakteristika einzelner Ausführungen abgesehen, um allein auf die Regel der Konstruktion zu reflektieren. Das einzelne Dreieck kann so trotz all seiner besonderen Eigenschaften auch in einer freihändig hingeworfenen Skizze seinen allgemeinen Begriff darstellen und veranschaulichen. Die mathematische Praxis scheint so selbst eine Aufhebung alles Besonderen ins Allgemeine vorzunehmen, die Kant in seiner Konzeption der mathematischen Darstellung nachvollzieht.

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2. Künstlerisches Zeichnen – ein Versuch Die kantische Konzeption der geometrischen Darstellung von Begriffen hat prima facie wenig oder nichts mit künstlerischem Zeichnen zu tun und die obige Skizze sollte auch gar nicht etwaige Ähnlichkeiten suggerieren. Vielmehr sollte sie durchaus die Eigenart von geometrischen Demonstrationen betonen, die zwar auf Papier konstruiert oder skizziert werden, darin aber nur das Medium zur Reflexion auf Regeln erblicken und daher von allen materiellen Aspekten der Ausführung absehen. Der Geometer arbeitet so zwar tatsächlich mit Stift und Lineal, Zirkel und Papier. Für die Beweiskraft seiner Konstruktionen sind aber alle Aspekte, die nicht auf die Ausführung von Regeln beruhen, irrelevant. Der Stift sollte so zwar eine Spur zurücklassen, darüber hinaus spielt die Wechselwirkung von Stift und Papier jedoch keine Rolle. Aus Pigmentflecken werden zugleich Punkte ohne Ausdehnung, aus Linien mit Breite und Farbe Geraden. Indem von den materiellen Instrumenten und Trägern der geometrischen ‚Zeichnung‘ vollkommen abgesehen und der Blick auf die Regeln der Konstruktion zurückgeführt wird, kann sich auf dem Papier ein endloser euklidischer Raum manifestieren, der alle Spuren ohne Wechselwirkung in sich aufnimmt und zugleich vollkommen endlos und flächig ist. Die geometrische Praxis der Demonstration und ihre kantische Konzeption als Darstellung von Begriffen verspricht somit keinerlei Aufschlüsse über die mate­ riellen Aspekte des Zeichnens. Ähnliches gilt scheinbar auch für die Singularität des Artefakts und seiner ästhetischen Erfahrung, die für die geometrische Demonstration fatal, für die Kunst dagegen von zentraler Bedeutung ist. Jedoch ist diese Schlussfolgerung insofern fragwürdig, als diese Singularität nicht damit gleichzusetzen ist, dass ein Artefakt sich von allen anderen materiellen Gegenständen unterscheiden lässt und als solches nicht zu reproduzieren ist. Die Singularität eines Kunstwerks ist nicht auf eine solche objektive Besonderheit materieller Gegenstände zu reduzieren. Sie steht vielmehr im Zusammenhang von Zeichentechniken im Sinne von historischen „Dispositiven“, die materielle ebenso wie körperliche Bedingungen einbeziehen und insbesondere auch spezifische Anordnungen von Trägern, Instrumenten und Körpern vorsehen.26 Diese Zeichentechniken schließen die Singularität des Kunstwerks zunächst nicht aus, weil sie nicht wie im Falle der geometrischen Konstruktion darauf angelegt sind, das Artefakt soweit möglich zu idealisieren, um mit seiner Hilfe allein auf die Technik respektive die Regel seiner Konstruktion zu reflektieren. Sie können so mit der Singularität von Kunstwerken einhergehen, insofern sie nicht unabhängig von ihrer materiellen Ausführung sind und sie daher notwendig einzigartige Produkte hervorbringen würden. Selbst wenn sie darüber hinaus auf eine Singularität abzielen, die gerade auf ihrer konkreten materiellen Ausführung beruht, wäre diese jedoch wohl noch nicht mit der Singularität im Sinne des ästhetischen Eigenwerts eines Kunstwerks zu verwechseln. Die Bedeutung von Techniken des 26 Vgl. Wolfram Pichler, Ralph Ubl, Vor dem ersten Strich. Dispositive der Zeichnung in der modernen und vormodernen Kunst, in: Werner Busch, Oliver Jehle, Carolin Meister (Hrsg.), Randgänge der Zeichnung, München 2007, S. 231–255.

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Zeichnens wie auch ihre Rolle im künstlerischen Schaffen und für die ästhetische Erfahrung wäre dadurch noch unterschätzt. Techniken und Strategien haben im künstlerischen Zeichnen ebenso wenig wie in geometrischen Konstruktionen zum alleinigen Zweck, ein bestimmtes Artefakt herzustellen. Denn im Kunstwerk geht es, ähnlich wie in der geometrischen Konstruktion, mindestens ebenso sehr wie um das Resultat oder Produkt selbst um jene Techniken und Strategien, Verfahren und Methoden, die es hervorgebracht haben. Künstlerisches Schaffen besteht ganz im Sinne Kants nämlich nicht nur darin, bekannte Techniken anzuwenden und sie vielleicht virtuos auszuführen. Es besteht mehr noch darin, solche Techniken für sich anzupassen und zu verändern, fortzuentwickeln oder von sich zu weisen. Unter dieser Voraussetzung sind die Singularität oder der Eigenwert einer Zeichnung in einem sich entwickelnden Zusammenhang von zeichnerischen Praktiken zu verorten, die zum einen über einzelne Kunstwerke hinausgreifen und sich über längere Etappen entwickeln, zum anderen aber im singulären Kunstwerk ihren entscheidenden Einsatz haben. Denn diese Techniken und Strategien können nicht aus dem materiellen Zusammenhang ihrer Ausführung im Kunstwerk herausgelöst werden, ebenso wenig wie die Materialität des Artefakts aus dem Zusammenhang der Techniken und Strategien, die auch deshalb in ihm verkörpert wurden, um sie dadurch weiter entwickeln zu können. Anders gesagt, bilden Techniken und Strategien ebenso das ‚Material‘ des künstlerischen Schaffens wie die ‚Materialien‘ im konkreten Sinne der Stifte und Papiere, Pigmente und Leinwände. Einem solchen Ansatz zufolge wäre die künstlerische Darstellung zwar wie die geometrische Darstellung nach Kant prinzipiell reflektierenden Charakters, da es immer mindestens ebenso sehr um die Techniken selbst wie um deren Produkt geht. Jedoch wird dabei nicht wie in der geometrischen Darstellung die Ausführung auf dem Papier auf ihre formalisierbare Regel reduziert, wodurch die einzelne Konstruktion lediglich ein allgemeines Verfahren vor Augen führte. Vielmehr gehen im Kunstwerk Technik und Material eine untrennbare Einheit ein, weil die zur Anwendung gekommene Technik nicht von ihrer Ausführung im Material zu lösen ist. Sie ist daher weder formalisierbar, was eine identische Wiederholung erlauben würde, noch generalisierbar, weil die materielle Ausführung an die körperliche Tätigkeit, ihre Übung und ihr implizites Wissen gebunden ist und damit ein irreduzibel individueller Faktor hinzukommt. Eine Reflektion auf eine solche an ihre Ausführung gebundene Technik führt somit nicht wie im Falle der geometrischen Darstellung über die einzelne Skizze hinaus zur allgemeinen Regel ihrer Konstruktion zurück, sondern lässt die Betrachtung sich vertiefen in die konkrete Ausführung und die Materialität des Kunstwerks. Diese Materialität ist dann aber nicht gleichzusetzen mit den bloßen Materialien des künstlerischen Schaffens oder der objektiv gegebenen Besonderheit eines Artefakts, denn sie ist bezogen und reflektiert hinsichtlich der angewandten und eingeübten, fortentwickelten oder zurückgewiesenen Techniken. Auch die künstlerische Zeichnung eröffnet so in sich einen weit ausgreifenden Sinnhorizont. Sie tut dies aber nicht wie die geometrische Demonstration durch eine Reflektion auf Regeln und Begriffe unter Absehung von ihrer konkreten Ausführung. Stattdessen führt die Reflektion hier in die Materialität einer Zeichnung hinein, die stets bezogen und reflek-

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tiert ist hinsichtlich der Technik des Zeichnens. Dadurch können Zeichentechniken in ihrer konkreten Ausführung selbst kunsttheoretische Positionen markieren und in diesem Sinne als ästhetische Strategien betrachtet werden. Wenn der reflektierende Charakter der Betrachtung im Kunstwerk mit einer Vertiefung in die Materialität im geschilderten Sinne einhergeht, dann ist damit auch eine spezifische Temporalität involviert. Denn Materialität wird hier im Horizont der Techniken, d. h. ihrer technischen Be- und Verarbeitung reflektiert, was aber nichts anderes heißt, als die Herstellung und Gemachtheit des Werks einzubeziehen.27 Anders als in der geometrischen Darstellung, deren Konstruktion als schrittweise Ausführung formaler Regeln rekonstruiert werden muss, um ihre demonstrative Kraft zu entfalten, ist die Zeitlichkeit der Zeichentechniken für die ästhetische Betrachtung allerdings nicht in derselben Weise aufschließbar. Zu viele Materialien mit ihren je spezifischen Eigenschaften und Eigenzeiten sind involviert, zu sehr bestimmen die Wechselwirkungen zwischen ihnen und dem Körper das Resultat, zu wichtig ist die Zeitlichkeit des Artefakts selbst, die sich bereits in seiner Herstellung vom künstlerischen Schaffen ablöst und unmittelbar zu altern beginnt.28 Es sind diese Zeitlichkeiten, die die ästhetische Reflektion auf die Materialität im Horizont der Techniken einbezieht, die sie allerdings nicht in einer schrittweisen Herstellung entfalten kann und daher in der ästhetischen Vertiefung in die Materialität intensiviert. Kants Konzeption der geometrischen Darstellung erlaubt es so, die Funktion und Bedeutung von Zeichentechniken im ästhetischen Feld zu explizieren, sofern man von ihren Grundzügen ausgeht und zugleich ihre Idealisierung aussetzt. Dabei habe ich bislang die reflektierenden Aspekte betont, weil sie die Technik und den Prozess des Zeichnens aus der Perspektive der Betrachtung einbeziehen und dadurch ihre wesentliche Rolle für die Erfahrung und Bedeutung der Darstellung hervortreten lassen. Auf dieser Grundlage ist nun aber auch den dargestellten Sujets, Figuren oder Gegenständen Rechnung zu tragen, weil der reflektierende Zug der Darstellung bei Kant – wie allgemein um 1800 – nicht gegen die gegenständliche Darstellung gewendet wird, sondern einem neuen Verständnis des Gegenstands der Darstellung den Weg bereiten soll. Wiederum können wir von Kants Konzeption der geometrischen Darstellung ausgehen. Diese Darstellung könnte man zunächst für die Anschauung eines besonderen Dreiecks halten. Sie wäre für die Mathematik dann jedoch ohne jeglichen Erkenntniswert. Nur wenn man diese Anschauung im reflektierenden Rückbezug auf ihre Konstruktion betrachtet, ist dieses Dreieck mehr als ein Dreieck und stellt den allgemeinen Begriff des Dreiecks dar. 27 Vgl. dazu Joseph Leo Koerner, Editorial: Factura, in: Res 36 (1999), S. 5–19, und Arno Schubbach, Gezogene Linien sehen. Sichtbarmachung und Sichtbarkeit von Bildern, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 53 (2008), S. 219–232, bes. S. 225 ff. 28 Vgl. Johannes Grave und Arno Schubbach, Zug um Zug – Vergangenheit im Bild, in: Peter Geimer, Michael Hagner (Hrsg.), Nachleben und Rekonstruktion. Vergangenheit im Bild, München 2012, S. 71–92. Einen Zugang zur Zeichnung, der radikal vom Artefakt ausgeht, bietet James Elkins, Marks, Traces, Traits, Contours, Orli, and Splendores: Nonsemiotic Elements in Pictures, in: Critical Inquiry 21 (1995), S. 822– 860, bes. seine programmatische Beschreibung einer Zeichnung Jacopo da Pontormos ibid., S. 832–834.

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Zentral ist dabei, dass dieses Dreieck kein arbiträres Zeichen für einen Begriff ist.29 Vielmehr führt es seinen allgemeinen Begriff vor Augen, indem es ihn selbst verkörpert. Kann man ähnliches nicht auch für die Gegenstände einer künstlerischen Darstellung behaupten? Auch eine künstlerische Darstellung zielt nicht vorrangig darauf ab, dass wir einen Gegenstand wiedererkennen. Dieser unmittelbare Gegenstand soll den Sinn stattdessen auf Allgemeineres hin öffnen. Zwar ist dieses Allgemeine weder wie in der geometrischen Darstellung als ein allgemeiner Begriff zu bestimmen, noch ist es wie dieser Begriff eng verzahnt mit dem unmittelbar angeschauten Gegenstand, der es gleichsam verkörpern würde.30 Dennoch greift die künstlerische Darstellung aufs Allgemeine aus. Ihr unmittelbarer Gegenstand fungiert dabei jedoch nicht als ein Zeichen, das decodiert werden könnte und so einen allgemeineren Sinn preisgeben würde. Er gewinnt im Lichte der Zeichentechnik betrachtet einen Sinn, der über jedes Wiedererkennen hinausweist. Da künstlerische Zeichentechniken jede Idealisierung ausschließen, ist jener Sinn zwar nicht als ein allgemeiner Begriff zu bestimmen. Er gleicht vielmehr einem Reflexionshorizont, der sich auf den unmittelbaren Gegenstand der Anschauung stützt und sich durch die Verschränkung dieses Gegenstands mit der Technik der Darstellung eröffnet. Der reflektierende Grundzug der ästhetischen Erfahrung wendet sich so nicht gegen die gegenständliche Darstellung, sondern bezieht sich auf den Sinn einer Darstellung, deren Gegenstand stets im Zusammenhang ihrer Technik zu sehen ist und dadurch einen anschaulichen, aber schwer explizierbaren allgemeinen Sinn gewinnen kann. Die künstlerische Darstellung schafft so dank ihrer Techniken Erstaunliches. Sie verlockt uns zur Betrachtung eines Artefakts, lässt uns reflektieren auf seine Gemachtheit und vertiefen in seine singuläre Materialität. Und doch stellt sie unsere Reflexion in einen Horizont, der über dieses Artefakt weit hinausgeht und im unmittelbar wiedererkennbaren Gegenstand lediglich einen vorläufigen Standpunkt markiert. Zeichentechniken zu behandeln, wird daher beinhalten müssen, nicht nur die konkreten Instrumente, Materialien und Vollzüge sowie ihre Entwicklung in einem individuellen Schaffen oder einem historischen Zeitraum zu diskutieren, was im historischen Einzelfall schon anspruchsvoll genug wäre. Es wird auch stets die Frage nach der Bedeutung dieser Techniken einschließen müssen, da sie den unmittelbar wiedererkennbaren Gegenstand im Lichte dieser Techniken in einen weit ausgreifenden Reflexionshorizont stellt und damit einen allgemeineren Sinn verleiht. Es ist so die Arbeit an den Techniken der Darstellung, in der sich auch ein Verständnis von Kunst entwickeln und letztlich eine kunsttheoretische Position ihren Ausdruck finden kann. Insbesondere Zeichentechniken können so als ästhetische Strategien rekonstruiert werden. Jedoch bedarf es dazu eines differenzierten Verständnisses von Zeichentechniken und ihrer Rolle im künstlerischen

29 Vgl. AA 05, 352 / KU, B 255. 30 Bei Kant ist neben der Einzelheit die Unmittelbarkeit des Gegenstands ein Charakteristikum der Anschauung, vgl. AA 03, 49/KrV, B 33. Im Unterschied dazu kann der Gegenstand der Darstellung dagegen als reflektierter Gegenstand verstanden werden.

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Schaffen, wozu ich mit Bezug auf Kants Konzeption der Darstellung und in Kontrastierung zur Idealisierung des Zeichnens in der geometrischen Konstruktion einige Vorschläge zur Diskussion unterbreiten wollte.

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Bildnachweise Iris Brahms: Marginalisiert = marginal Abb. 1 © Washington D.C., National Gallery of Art Abb. 2 © Dresden, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Abb. 3 © Frankfurt a.M., Städelsches Kunstinstitut Abb. 4–6 © Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin

Claudia Steinhardt-Hirsch: Version – Kopie – zeichnerische ­Nachschöpfung? Abb. 1 © Städel Museum, Frankfurt am Main Abb. 2 © Paris, Musée du Louvre Abb. 3 Fotoarchiv der Verfasserin Abb. 4, 5 © Florenz, Gabinetto disegni e stampe degli Uffizi

Thomas Ketelsen, Carsten Wintermann: Die Pauskopie im Corpus der ­Rembrandt-Zeichnungen Abb. 1 © Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie Abb. 2, 3, 4, 6, 7, 9, 10, 12, 13 © Weimar, Klassik-Stiftung Abb. 5 © Washington D. C., National Gallery of Art Abb. 8 © Paris, Louvre Abb. 11 Valentiner 1933, Nr. 816

Armin Häberle: Brotkrumen – als Zeichenmaterial und schöpferisches Mittel? Abb. 1 © Robert Rauschenberg Foundation; San Francisco Museum of Modern Art, Photo: Ben Blackwell Abb. 2 © Robin D. Myers, Ben Blackwell, San Francisco Museum of Modern Art Abb. 3, 4 © Armin Häberle, VG Bild-Kunst Bonn Abb. 5, 6 © Albertina Wien Abb. 7 © Moskau, Pushkin-State-Museum, Inv. Nr. 6424; Photo: Pushkin-State-Museum; Bildbearbeitung: Armin Häberle, VG Bild-Kunst Bonn Abb. 8 © Staatliche Graphische Sammlung München Abb. 9–10 © Staatliche Graphische Sammlung München, Photo: Armin Häberle, VG Bild-Kunst

Jacqueline Klusik-Eckert: Wenn die Rückseite zur Hauptsache wird Abb. 1, 4 © Staatliche Graphische Sammlung München Abb. 2, 3 © Rijksmuseum, Amsterdam

Bildnachweise

Federica Mancini: Pricked Lines, Repetition and the Art Market Fig. 1, 5 © Graphische Sammlung München Fig. 2, 3 © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Andreas Diesend Fig. 4 © Rijksprentenkabinet Amsterdam

Iris Brahms: Abklatsche wie sie im Buche stehen Abb. 1, 2 Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elizabeth II 2021 Abb. 3–5 © Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud Abb. 6 © The Getty Research Institute Abb. 7, 8, 10 © Städel Museum Abb. 9 Ausst. Kat. Bonn (wie Anm. 27) 2015, S. 266 Abb. 11 © Weimar, Klassik Stiftung Abb. 12 © Erlangen, Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek

Robert Fucci: The Mirror of Process Fig. 1 © Ackland Art Museum Fig. 2 © Christie’s Auction House Fig. 3 © Rijksmuseum, Amsterdam Fig. 4 © Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin Fig. 5 © Royal Collection Trust Fig. 6 Author’s Archive Fig. 7 © Rijksmuseum, Amsterdam Fig. 8 Author’s Archive Fig. 9 © National Gallery of Art, Washington Fig. 10 © Rijksmuseum, Amsterdam

Stefano de Bosio: “Des deux cotés” Abb. 1, 2, 5, 6, 7 © Trustees of the British Museum Abb. 3 David Franklin, Polidoro da Caravaggio, New Haven 2018, p. 121 Abb. 4 © The Wellcome Trust

Susanne Wagini: Der Abklatsch zur Vorbereitung von Mezzotinto-­ Arbeiten? Abb. 1, 3 © München, Staatliche Graphische Sammlung München Abb. 2 © Darmstadt, Hessisches Landesmuseum Abb. 4 © Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet

Nino Nanobashvili: Counterproofs fig. 1 © Staatliche Graphische Sammlung München fig. 2 © Palazzo Zuckermann, Padua

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Bildnachweise

Heiko Damm: Klappvariante und Klebekorrektur Abb. 1 © CC BY‑SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main Abb. 2 © Albertina, Wien Abb. 3, 4 © Royal Collection Trust, Her Majesty Queen Elizabeth II Abb. 5 © The Metropolitan Museum of Art, New York Abb. 6 David Franklin (Hrsg.), The Art of Papal Rome. From Raphael to Carracci (Ausst. Kat. Ottawa, National Gallery of Canada), Ottawa 2009, Nr. 124, S. 381 Abb. 7 © Foto: Autor Abb. 8, 9 © Albertina, Wien Abb. 10 © Teylers Museum, Haarlem Abb. 11 © Hessisches Landesmuseum Darmstadt Abb. 12 © Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln

Federica Mancini: Pasted Quadratura Drawings Fig. 1 © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Michel Urtado Fig. 2 © Musée du Louvre, dist. RMN – Grand Palais / Martine Beck-Coppola Fig. 3, 5, 8 © Musée du Louvre Fig. 4 © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Tony Querrec Fig. 6 © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Franck Raux Fig. 7 public domain

Tamar Mayer: From Marginal to Central Fig. 1 © RMN-Grand Palais / Art Resource, NY Fig. 2 Tamar Mayer Fig. 3 Thierry Le Mage, © RMN-Grand Palais / Art Resource, NY Fig. 4 Valentine Dubard Fig. 5 graphic design by Yoav Perry Fig. 6 © RMN-Grand Palais / Art Resource, NY (Stéphane Maréchalle) Fig. 7 Valentine Dubard Fig. 8 © RMN-Grand Palais / Art Resource, NY (Franck Raux) Fig. 9 © The Art Institute of Chicago / Art Resource, NY Fig. 10 © RMN-Grand Palais / Art Resource, NY (Michèle Bellot) Fig. 11 © RMN-Grand Palais / Art Resource, NY Fig. 12 © The Art Institute of Chicago / Art Resource, NY

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