Was ist Bildung in der Vormoderne? 3161568710, 9783161568718, 9783161568725

Bildung gilt als "Megathema" der Moderne. Aber auch in Kulturen der Vormoderne sind Prozesse der Sozialisation

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English, German Pages 527 [533] Year 2020

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
A. Grundlegende Perspektiven
Peter Gemeinhardt — Bildung in der Vormoderne – zwischen Norm und Praxis
Christoph Auffarth — Henri-Irénée Marrous Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum. Der Klassiker kontrastiert mit Werner Jaegers Paideia
Bernd Schröder — Der moderne Bildungsbegriff und seine geschichtlichen Voraussetzungen
B. Exemplarische Einblicke
Johannes Bergemann — Bilder, Bildung und Religion in der griechisch-römischen Antike. Eine Skizze
Björn Christian Ewald — Culture’s Visual Culture: The Iconography of Education, Intellectual and Literary Pursuits in Roman Art
Irene Salvo — Education as Acquisition of Knowledge in the Ancient Greek World. Some Remarks on its Agents and Features
Peter Scholz — Mit Augen und Ohren lernen. Die vita honesta der republikanischen Senatsaristokratie und die Rolle intellektueller Bildung in Erziehung und politischer Praxis in Rom
Matthias Becker — Zwischen Gelehrsamkeit und Angleichung an Gott. Bildung in der spätantiken Philosophie
Charlotte Hempel — Bildung und Wissenswirtschaft im Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels
Roland Deines — Bildung im hellenistischen Judentum
Gerhard Langer — Zur rabbinischen Begrifflichkeit des Lernens am Beispiel des Talmudabschnittes Qidduschin 49ab
Samuel Vollenweider — Bildungsfreunde oder Bildungsverächter? Überlegungen zum Stellenwert der Bildung im frühen Christentum
Hartmut Leppin — Intellektuelle Autorität unter frühen Christen. Auch zur Frage der Hellenisierung des Christentums
Jan R. Stenger — Transformationen des Bildungsbegriffs im griechischen und lateinischen Christentum der Spätantike
Caroline T. Schroeder — New Trends in the History of Education in Late Antique Egypt
Angelika Neuwirth — Die religiöse Bildung der prophetischen Urgemeinde im Wandel: Von christlicher zu jüdischer Hermeneutik
Ute Pietruschka — „Lesen, was nötig ist“. Bildungsideale im christlich-arabischen Kontext
Sebastian Günther — „Wissen ist besser als materieller Besitz“. Grundsätze und Grenzen der Bildung im Klassischen Islam
Hedwig Röckelein — Selbsterkenntnis als Weg zur Gotteserkenntnis – Gotteserkenntnis als Weg zur Selbsterkenntnis. Über Erziehungs- und Bildungsdiskurse religiöser Eliten des Hochmittelalters
C. Abschließende Bemerkungen
Peter Gemeinhardt — Potenziale von Bildung – damals und heute
Autorinnen und Autoren
Register
1. Vormoderne Personen und Werke
2. Antike und mittelalterliche Orte
3. Moderne Autorinnen und Autoren
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Was ist Bildung in der Vormoderne?
 3161568710, 9783161568718, 9783161568725

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I

SERAPHIM Studies in Education and Religion in Ancient and Pre-Modern History in the Mediterranean and Its Environs Editors Peter Gemeinhardt · Sebastian Günther Ilinca Tanaseanu-Döbler · Florian Wilk Editorial Board Wolfram Drews · Alfons Fürst · Therese Fuhrer Susanne Gödde · Marietta Horster · Angelika Neuwirth Karl Pinggéra · Claudia Rapp · Günter Stemberger George Van Kooten · Markus Witte

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II

III

Was ist Bildung in der Vormoderne? Herausgegeben von

Peter Gemeinhardt

Mohr Siebeck

IV Peter Gemeinhardt: geboren 1970; 1990–1996 Studium der Ev. Theologie an den Universitäten Marburg und Göttingen; 2001 Promotion zum Dr. theol. an der Universität Marburg; 2003 Ordination zum Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck; 2006 Habilitation an der Universität Jena; seit 2007 Lehrstuhlinhaber für Kirchengeschichte an der Universität Göttingen; seit 2015 ebendort Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Bildung und Religion“.

ISBN 978-3-16-156871-8 / eISBN 978-3-16-156872-5 DOI 10.1628/978-3-16-156872-5 ISSN 2568-9584 / eISSN 2568-9606 (SERAPHIM) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nati­onal­bib­ liographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Minion gesetzt, von ­Hubert & Co. in Göttingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und ge­ bunden. Den Umschlag entwarf Uli Gleis in Tübingen. Umschlagabbildung: Naples, National Museum. Engraving after fresco of woman with stilus and tablets, accompanied by a female servant. First century AD. (Photo: after Antichità di Ercolano, p. 241). Printed in Germany.

V

Vorwort Von „Bildung“ ist in politischen und gesellschaftlichen Diskursen des 21. Jahrhunderts oft die Rede; dabei ist allerdings mit „Bildung“ keineswegs immer dasselbe gemeint. Die Spannweite reicht von der Steuerung von Lehr-Lern-Prozessen über die Frage nach hierfür geeigneten Schulformen bis zu Bildungsidealen in umfassendem Sinne, ja sogar zu Bildungskanones, die kulturelle Identität stiften sollen, und dem entsprechenden Habitus des „Bildungsbürgertums“. Wie sich „Bildung“ von „Erziehung“ unterscheidet, ist allenfalls theoretisch geklärt – in der öffentlichen Debatte fällt beides immer wieder in eins, etwa wenn von „Bildungszielen“ die Rede ist. Doch hält der polyvalente Gebrauch des Bildungsbegriffs immerhin präsent, dass „Bildung“, „Erziehung“ und „Sozialisation“ nicht einfach verschiedene Dinge sind, sondern lebensgeschichtlich zusammenhängen. Das erübrigt natürlich nicht, diese Aspekte präzise zueinander ins Verhältnis zu setzen, sondern fordert allererst dazu heraus. Der Begriff „Bildung“ umfasst also Prozesse, Institutionen, Inhalte und Zielvorstellungen, die sich im konkreten Fall oftmals als strittig erweisen, deren Zusammenspiel und daher auch ihre nähere Bestimmung für moderne Gesellschaften aber unerlässlich sind. Diese Komponenten des Bildungsbegriffs haben aber, auch wenn dies nicht ständig im Vordergrund stehen mag, eine historische Dimension, die heutige Vorstellungen und Formen von Bildungshandeln mitprägt. Darin schwingen Erfahrungen mit, die analog in ganz unterschiedlichen Kontexten gemacht wurden und wieder gemacht werden können, Bildungsgüter, auf die rekurriert wird, wenn es um konkrete Gegenstandsbestimmungen geht, aber auch institutionelle und organisatorische Arrangements – die achthundertjährige Geschichte europäischer Universitäten ist dafür nur ein Beispiel. Wiewohl gerade das Bildungsdenken der Aufklärung mit dafür verantwortlich war, der Geschichte ihre Bedeutung als magistra vitae zu entziehen, bleibt der Blick auf die Entstehung, Entwicklung und Transformation von Prozessen, Institutionen, Inhalten und Zielvorstellungen im Feld der Bildung wichtig, weil in gegenwärtigen Diskursen dieses Erbe präsent ist, sei es ausdrücklich oder implizit. Ob solche Besinnung auf die Geschichte zur Anknüpfung oder zur Ablehnung führt – das ist offen. Aber selbst wenn man am Ende dazu gelangt, ein Erbe auszuschlagen, sollte man es wenigstens kennen. Dies gilt umso mehr, wenn es um religiöse Bildung geht, also um Bildung in Riten, Praktiken der Frömmigkeit und Denkformen von Religionsgemeinschaften. Auf Religion bezogene Bildung kann dabei aus einer religionskundlichen Außen-

VI

Vorwort

perspektive angestrebt werden oder aus der Sicht der Beteiligten, wie im schulischen Religionsunterricht, wobei letzteres eine kritische Selbstwahrnehmung keinesfalls aus-, sondern gerade einschließt. Für das Judentum, das Christentum und den Islam ist der Bezug auf ihre Geschichte grundlegend; keine dieser Religionskulturen, die in sich vielfältig differenziert sind, ist am Reißbrett entstanden, alle tragen sie die Erinnerung an ihre jahrhundertelange Koexistenz und deren Spuren mit sich, in der sie voneinander gelernt, aber auch miteinander gestritten haben, welche Bildung der Entwicklung religiöser Identität zuträglich sei und welche nicht. Ob diese Bildung religiös begründet sein müsse oder vielmehr am kulturellen Erbe der europäischen Geistesgeschichte partizipieren solle, schlägt den Bogen zurück von historischen Debatten über die angemessene Rezeption nichtreligiöser Bildung zurück zu der modernen Frage nach Verbindendem und Trennenden angesichts einer religiös, aber auch kulturell pluralisierten Welt. Im Horizont der Frage, was Bildung in der Moderne sei, widmet sich der vorliegende Band Bildungsvorstellungen, -praktiken und -institutionen in vormodernen Religionskulturen von der klassischen Antike bis zum Hochmittelalter und zum Klassischen Islam. Er greift damit ein zentrales Anliegen des Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam“ auf, der dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft 2015 an der Universität Göttingen eingerichtet wurde. Der Band dokumentiert die vom 29.06. bis 01.07.2017 abgehaltene Jahrestagung „Was ist Bildung in der Vormoderne?“, zu der Mitglieder des SFB, aber auch Kolleginnen und Kollegen von anderen Universitäten im In- und Ausland beitrugen.1 Er enthält (A) Beiträge zu grundsätzlichen Fragen bezüglich der Anwendbarkeit des modernen Begriffs­ (feldes) „Bildung“ auf vormoderne Sachverhalte, zur wechselseitigen Erschließung historischer und gegenwartsbezogener Perspektiven und zur bildungsbezogenen Wissenschaftsgeschichte. Sodann folgen (B) exemplarische Einblicke in Religions­kulturen und ihr Bildungshandeln; neben textlich bezeugten Praktiken, Institutionen und Idealen werden dabei auch materielle Zeugnisse herangezogen. Schließlich (C) werden, ausgehend von einer die Jahrestagung beschließenden Podiumsdiskussion über „Potenziale von Bildung damals und heute“, einige rote Fäden rekonstruiert, die sich aus den historischen Beobachtungen ergeben, und zu (vorläufigen) Antworten auf die Leitfrage verwoben. Dass dieser Band seine Titelfrage ein für alle Mal beantwortet hätte, ist damit nicht behauptet. Dass die interdisziplinäre Fokussierung des in der Geschichte wie in der Gegenwart hoch komplexen Feldes der oben skizzierten Dimensionen von Bildung auf diese Weise größere Tiefenschärfe gewinnen und neben der Erforschung von vormodernen Konstellationen vo Bildung und Religion auch für ge1  Aus dem SFB beteiligt sind an dieser Publikation Mitglieder der Teilprojekte A 01 (Johannes Bergemann), A 04 (Hedwig Röckelein), C 01 (Irene Salvo), C 04 /C 05 (Peter Gemeinhardt), C 05 (Bernd Schröder), D 02 (Matthias Becker) und D 03 (Sebastian Günther).

Vorwort

VII

genwärtige Diskurse neue Impulse generieren kann – das ist allerdings die Überzeugung, die die Arbeit des SFB im Allgemeinen und die Erarbeitung des vorliegenden Bandes im Besonderen motiviert hat. Umso bedauerlicher ist es, dass die Förderung durch die DFG nach der ersten vierjährigen Phase nicht fortgeführt werden wird. Die begonnenen Forschungen werden – so steht zu hoffen – in anderer Form ihre Fortsetzung finden. Die hier versammelten Beiträge mögen dafür eine Grundlage bieten. Als Sprecher des SFB und Herausgeber dieses Bandes ist es mir eine Freude und Ehre, denen zu danken, die zu der Jahrestagung und ihrer Publikation beigetragen haben. Dieser Dank gilt in erster Linie den Autorinnen und Autoren, die die Vorträge gehalten, sich der Diskussion gestellt und sodann die Manuskripte für den Druck ausgearbeitet haben. Die Organisation der Jahrestagung lag in den Händen der Mitarbeiterinnen der SFB-Geschäftsstelle, Dr. Karin Gottschalk und Ulrike Schwartau, denen hierfür mein tiefempfundener Dank gebührt. Bei der Publikation leistete die im SFB dafür zuständige Mitarbeiterin, Levke Bittlinger, wertvolle Hilfe, insbesondere durch Koordinierung des redaktionellen Prozesses und Absprachen mit dem Verlag Mohr Siebeck; auf dessen Seite danke ich herzlich Frau Dr. Katharina Gutekunst als Programmleiterin, ihrer Stellvertreterin, Frau Elena Müller, und Frau Susanne Mang, die für die Herstellung des Bandes verantwortlich war. Die redaktionelle Bearbeitung der Texte und die Erstellung der Register übernahmen kompetent und zuverlässig die studentischen Hilfskräfte Nele Cohrs und Nicolas Anders – auch ihnen sei herzlich gedankt. Göttingen, Oktober 2019

Peter Gemeinhardt

VIII

IX

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  XIII

A. Grundlegende Perspektiven Peter Gemeinhardt Bildung in der Vormoderne – zwischen Norm und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . .    3 Christoph Auffarth Henri-Irénée Marrous Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum. Der Klassiker kontrastiert mit Werner Jaegers Paideia . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   39 Bernd Schröder Der moderne Bildungsbegriff und seine geschichtlichen Voraussetzungen ���  67

B. Exemplarische Einblicke Johannes Bergemann Bilder, Bildung und Religion in der griechisch-römischen Antike. Eine Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   91 Björn Christian Ewald Culture’s Visual Culture: T he Iconography of Education, Intellectual and Literary Pursuits in Roman Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  109 Irene Salvo Education as Acquisition of Knowledge in the Ancient Greek World. Some Remarks on its Agents and Features . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  167

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Inhaltsverzeichnis

Peter Scholz Mit Augen und Ohren lernen. Die vita honesta der republikanischen Senatsaristokratie und die Rolle intellektueller Bildung in Erziehung und politischer Praxis in Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  185 Matthias Becker Zwischen Gelehrsamkeit und Angleichung an Gott. Bildung in der spätantiken Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  205 Charlotte Hempel Bildung und Wissenswirtschaft im Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  229 Roland Deines Bildung im hellenistischen Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  245 Gerhard Langer Zur rabbinischen Begrifflichkeit des Lernens am Beispiel des Talmudabschnittes Qidduschin 49ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  269 Samuel Vollenweider Bildungsfreunde oder Bildungsverächter? Überlegungen zum Stellenwert der Bildung im frühen Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  283 Hartmut Leppin Intellektuelle Autorität unter frühen Christen. Auch zur Frage der Hellenisierung des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  305 Jan R. Stenger Transformationen des Bildungsbegriffs im griechischen und lateinischen Christentum der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  331 Caroline T. Schroeder New Trends in the History of Education in Late Antique Egypt . . . . . . . . . . .  353 Angelika Neuwirth Die religiöse Bildung der prophetischen Urgemeinde im Wandel: Von christlicher zu jüdischer Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  369

Inhaltsverzeichnis

XI

Ute Pietruschka „Lesen, was nötig ist“. Bildungsideale im christlich-arabischen Kontext . . . .  393 Sebastian Günther „Wissen ist besser als materieller Besitz“. Grundsätze und Grenzen der Bildung im Klassischen Islam . . . . . . . . . . . . . .  411 Hedwig Röckelein Selbsterkenntnis als Weg zur Gotteserkenntnis – Gotteserkenntnis als Weg zur Selbsterkenntnis. Über Erziehungs- und Bildungsdiskurse religiöser Eliten des Hochmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  427

C. Abschließende Bemerkungen Peter Gemeinhardt Potenziale von Bildung – damals und heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  447 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  483 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  489 1.  Vormoderne Personen und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  489 2.  Antike und mittelalterliche Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  499 3.  Moderne Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  501

XII

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Abkürzungsverzeichnis AA AAWG.PH

Archäologischer Anzeiger Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philosophisch-historische Klasse AC Antiquité Classique AClass Acta Classica ACTA Acta ad archaeologiam et artium historiam pertinentia ADPV Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins ÄAT Ägypten und Altes Testament AGJU Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums AHAW.PH Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse AJA American Journal of Archaeology AJEC Ancient Judaism and Early Christianity AKG Arbeiten zur Kirchengeschichte AKuG Archiv für Kulturgeschichte AL Augustinus-Lexikon AncSoc Ancient society ANRW Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt ARAM Aram. Society for Syro-Mesopotamian Studies ARelG Archiv für Religionsgeschichte ASAtene Annuario della Scuola Archeologica di Atene e delle missioni italiane in Oriente ASEs Annali di storia dell’esegesi ASR Die antiken Sarkophagreliefs ATD.A Das Alte Testament Deutsch. Apokryphen BAW.GR BE BEATAJ BEFAR BERG BETL BG BGrL BHG BHR BHT h BKA BKV

Bibliothek der Alten Welt. Griechische Reihe Bulletin Épigraphique Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des antiken Judentums Bibliothèque des Écoles Françaises d’Athènes et de Rome Beiträge zur europäischen Religionsgeschichte Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium Biblische Gestalten Bibliothek der griechischen Literatur Bibliotheca hagiographica Graeca Bibliothèque d’humanisme et renaissance Beiträge zur historischen T heologie Bibliothek der Klassischen Altertumswissenschaften Bibliothek der Kirchenväter

XIV

Abkürzungsverzeichnis

BPat BSC BT hSt ByZ BZ BzA BZAW BZNW

Biblioteca patristica Byzantina et slavica cracoviensia Biblisch-theologische Studien Byzantinische Zeitschrift. Supplementum Bibliographicum Biblische Zeitschrift Beiträge zur Altertumskunde Beiträge zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Beiträge zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft

CBET CChr.SL ChH CistSS CJAn CollLat COMES CronErcol CrSt CSCO CSEL CUFr

Contributions to Biblical Exegesis and T heology Corpus Christianorum. Series Latina Church History Cistercian Studies Series Christianity and Judaism in antiquity Collection Latomus Civitatum Orbis Mediterranei Studia Cronache Ercolanesi Cristianesimo nella storia Corpus scriptorum Christianorum orientalium Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum Collection des universités de France

DAWB.SSA DJD DNP DNP.S DOP DSD DSp Dtv-wr

Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft Discoveries in the Judean Desert Der Neue Pauly Der Neue Pauly. Supplemente Dumbarton Oaks Papers Dead Sea Discoveries Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique Deutscher Taschenbuchverlag. Wissenschaftliche Reihe

EBR EC ECDSS EHS.G EJL EMC EnAC EQ

Encyclopedia of the Bible and Its Reception Early Christianity Eerdmans Commentaries on the Dead Sea Scrolls Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, Geschichte Early Judaism and its Literature Echos du monde classique Entretiens sur l’antiquité classique T he Encyclopaedia of the Qur’ān

FAT FC FRLANT

Forschungen zum Alten Testament Fontes Christiani Forschungen zur Religion und Literatur des Alten Testaments

GCS GGB

Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte Geschichtliche Grundbegriffe

Abkürzungsverzeichnis

XV

HABES HAW HBS Hermes.E HT hKAT HT hR HUCA HWP Hyp HZ

Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien Handbuch der Altertumswissenschaft Herders biblische Studien Hermes. Einzelschriften Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament Harvard T heological Review Hebrew Union College Annual Historisches Wörterbuch der Philosophie Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihren Nachleben Historische Zeitschrift

IG IJPT

Inscriptiones Graecae International Journal of Practical T heology

JANES JBT h JCIT

JSTOR JT hS n.s.

Journal of the Ancient Near Eastern Society of Columbia University Jahrbuch für biblische T heologie Judaism, Christianity, and Islam – Tension, Transmission, Transformation Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts Journal of Early Christian Studies Journal of Ecumenical Studies Journal of the Evangelical T heological Society Jewish Quarterly Review Journal of Roman Archaeology Journal of Roman Archaeology. Supplements Journal of Roman Studies Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Period Supplements to the Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Period International Journal of the Classical Tradition T he Journal of T heological Studies. New series

KfA.E Klio.B KPS

Kommentar zu frühchristlichen Apologeten. Ergänzungsbände Klio. Beihefte Klassisch-Philologische Studien

LAMINE LCL LIMC LMA LSTS

Late Antique and Medieval Islamic Near East Loeb Classical library Lexicon iconographicum mythologiae classicae Lexikon des Mittelalters Library of Second Temple Studies

MDAI.A MDAI.K MDAI.R

Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Römische Abteilung Mélanges de l’École Française de Rome

JdI JECS JES JETS JQR JRA JRA.S JRS JSJ JSJ.S

MEFR

XVI

Abkürzungsverzeichnis

MM MTK

Miscellanea mediaevalia Materiale Textkulturen

NEB.AT.E NT.S NTS

Die Neue Echter Bibel. Ergänzungsbände zum Alten Testament Supplements to Novum Testamentum New Testament Studies

OCA OCP OCT ÖBS OLA OLB

Orientalia Christiana Analecta Orientalia Christiana Periodica Oxford Classical Texts Österreichische biblische Studien Orientalia Lovaniensia Analecta Orte und Landschaften der Bibel

PAwB PAPhS PatSor PhA PHR PO PTHe PT hGG PTS

Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge Proceedings of the American Philosophical Society Patristica Sorbonensia Philosophie der Antike Philosophie hellénistique et romaine Patrologia orientalis Praktische T heologie heute Praktische T heologie interdisziplinär Patristische Texte und Studien

RA RAC RAM RB RBPhH RE REByz RevQ RGG4 RGVV RM RMP

Roma aeterna Reallexikon für Antike und Christentum Revue d’ascétique et de mystique Revue biblique Revue belge de philologie et d’histoire Realencyklopädie für protestantische T heologie und Kirche Revue des études byzantines Revue de Qumran Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten Die Religionen der Menschheit Rheinisches Museum für Philologie

SAPERE

Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft Stuttgarter Bibelstudien Studies in Education and Religion in Ancient and Pre-Modern History in the Mediterranean and Its Environs Sources chrétiennes Supplemento epigrafico Cirenaico Supplementum Epigraphicum Graecum Semana de estudios monasticos Subsidia Hagiographia Sylloge inscriptionum graecarum

SBA SBS SERAPHIM SC SEC SEG SEM SHG SIG3

Abkürzungsverzeichnis

SJLA SMGB

XVII

STAC STDJ StRB SVÅ SVC

Studies in Judaism in Late Antiquity Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies on the Texts of the Desert of Judah Studien zur religiösen Bildung Svensk Exegetisk Årsbok Supplements to Vigiliae Christianae

TB TdT T hBLNT TCH T hLZ T hLZ.F T hZ TK TRE TSAJ TU

T heologische Bücherei T hemen der T heologie T heologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament T he Transformation of the Classical Heritage T heologische Literaturzeitung Forum T heologische Literaturzeitung T heologische Zeitschrift Texte und Kommentare T heologische Realenzyklopädie Texte und Studien zum antiken Judentum Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur

UaLG

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte

VKZG.B

Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der Katholischen Akademie Bayern Vetus Testamentum. Supplements Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Gesellschaft für T heologie

SPAW

VT.S VWGT h WdF WUNT WZ Berlin

Wege der Forschung Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Wissenschaftliche Zeitschrift der Humbolt-Universität zu Berlin. Reihe Gesellschaftswissenschaften

ZAC ZAK ZAKMIRA

Zeitschrift für Antikes Christentum Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte Schriften des Lehr- und Forschungszentrums für die antiken Kulturen des Mittelmeerraumes Zetemata. Monographien zur klassischen Altertumswissenschaft Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift für Neues Testament Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft (und die Kunde der älteren Kirche) Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik Zeitschrift der Savigny-Gesellschaft für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung Zeitschrift für T heologie und Kirche

Zet. ZGO ZNT ZNW ZPE ZSRG.R ZT hK

XVIII

1

A. Grundlegende Perspektiven

2

3

Bildung in der Vormoderne – zwischen Norm und Praxis Peter Gemeinhardt* 1. Bildung – zwischen Unterricht und Übung Beginnen wir in Rom am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr., in den letzten Jahren des Kaisers Domitian – in einer Phase religiöser Xenophobie.1 Hier verfasst der einstige Jerusalemer Priester, Soldat und jetzige Protégé der Kaiser, Flavius Josephus, eine Schrift „Über die Ursprünglichkeit des Judentums“ (De Iudaeorum vetustate), dem Namen des Adressaten folgend auch bekannt als Contra Apionem. Es handelt sich um eine Apologie, die die Römer für die jüdische Lebensweise einnehmen sollte.2 Diese Lebensweise – genauer gesagt: dieses „Gesetz“ (νόμος) – habe Mose gelehrt und dabei die Frömmigkeit (εὐσέβεια) als Quelle aller Tugenden definiert, nicht etwa umgekehrt, als sei die Frömmigkeit nur ein Teil der Tugend.3 Das Proprium dieser frommen jüdischen Lebensweise erläutert Josephus wie folgt: Von jeder moralischen Bildung (παιδεία) gibt es zwei Arten, wie auch von Einrichtung der Sitten: die eine durch das Wort belehrend (διδασκαλικός), die andere aber in der Einübung der Sitten. Die übrigen Gesetzgeber waren in ihren Auffassungen geteilt, und je nach Wahl nahm ein jeder die eine Art an, während er die andere überging. So haben die Lakedämonier und die Kreter durch Gewohnheit erzogen, nicht durch Worte, die Athener aber und fast alle übrigen Griechen haben das, was man tun soll und was nicht, zwar vorgeschrieben in ihren Gesetzen, das Eingewöhnen durch entsprechende Praxis aber vernachlässigt. Unser Gesetzgeber hingegen hat das beides mit großer Sorgfalt zusammengefügt; denn *  Der vorliegende Aufsatz entstand im Kontext des DFG-geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion“ an der Universität Göttingen, Teilprojekte C 04: „Vermittler von Bildung im spätantiken Christentum: Lehrerrollen in Gemeinde, Familie und asketischer Gemeinschaft“ und C 05: „Der christliche Katechumenat von der Spätantike zum Frühmittelalter und seine religionspädagogische Rezeption“. 1  Zu den Einleitungsfragen zu Contra Apionem vgl. Siegert 2008, 11–20, hier 14. 2  Nach Siegert 2008, 16 schreibt Josephus „einen Protreptikos aus der Defensive heraus“. Der mutmaßlich ursprüngliche Titel Περὶ τῆς τῶν Ἰουδαίων ἀρχαιότητος ergibt sich aus Zitaten bei Origenes und Euseb von Caesarea (a. a. O. 11). 3 Josephus, Contra Apionem 2,170 (178 Siegert = 77,36 f. Niese = Euseb von Caesarea, Praeparatio evangelica 8,8,8; GCS Eus. VIII/1, 434,19 f. Mras): οὐ γὰρ μέρος ἀρετῆς ἐποίησεν τὴν εὐσέβειαν, ἀλλὰ ταύτης τἄλλα.

4

Peter Gemeinhardt

weder ließ er die Einübung in die Gebräuche wortlos hingehen noch die Unterrichtung aus dem Gesetz tatenlos bleiben, sondern gleich von der ersten Aufzucht und den jedem zukommenden Dingen des häuslichen Lebens an hat er auch von den kleinsten Dingen nichts dem Selbstentscheid nach den Wünschen der künftigen Anwender (des Gesetzes) überlassen… Denn nicht einmal den Vorwand der Unkenntnis hat er uns gelassen, sondern als schönstes und nötigstes Erziehungsgut (παίδευμα) das Gesetz hingestellt – uns, die wir es nicht nur einmal hören sollten oder zweimal oder vielmals; sondern er hieß uns jede Woche nach dem Ablassen von (allen) anderen Arbeiten zum Anhören des Gesetzes zusammenkommen und dieses genau memorieren; dies scheinen ja alle (sonstigen) Gesetzgeber zu übergehen.4

Für Josephus umfasst „das Gesetz“ also alle Lebensbereiche, nicht nur kultische Vorschriften, sondern ganz allgemein die „Sitten“, und insofern ist Mose auch nicht nur ein „Gesetzgeber“ in juristischem Sinne, vielmehr sind die ihm zugeschriebenen Bücher der Torah als Anleitung zu einer Gott entsprechenden Lebensführung zu lesen – und diese wiederum erweist sich als Resultat lebenslangen gemeinschaftlichen Lernens, also eines Bildungsprozesses.5 In einer Apologie ist es grundsätzlich nicht überraschend, dass die eigene Tradition als Summe des Besten anderer, konkurrierender Lebensweisen erscheint; dieses Argumentationsmuster findet sich ebenso auch in der wenige Jahrzehnte später einsetzenden frühchristlichen Apologetik. Signifikant ist jedoch, dass Josephus die jüdische Schriftgelehrsamkeit als τρόπος παιδείας bezeichnet, also einen im Hellenismus verbreiteten Begriff benutzt, der im Deutschen oft und gerne und keineswegs zu Unrecht mit „Bildung“ übersetzt wird. Offensichtlich war es erläuterungsbedürftig, die mosaische Tradition als Bildung zu beschreiben, weshalb Josephus sogleich eine Differenzierung im Bildungsbegriff einzieht: Die Vermittlung solcher Bildung kann durch Worte und durch Taten erfolgen, wobei Josephus in einem kleinen kulturgeschichtlichen Exkurs nachweist, dass Bildung im klassischen Griechenland jeweils nur durch eine dieser Lehrweisen geschehen 4 Josephus, Contra Apionem 2,171–173.175 (178 Siegert = 77,11–78,4.9–14 Niese = Euseb von Caesarea, Praeparatio evangelica 8,8,9–11; 434,24–435,7.11–16 Mras): δύο μὲν γάρ εἰσιν ἁπάσης παιδείας τρόποι καὶ τῆς περὶ τὰ ἤθη κατασκευῆς, ὧν ὁ μὲν λόγῳ διδασκαλικός, ὁ δὲ διὰ τῆς ἀσκήσεως τῶν ἠθῶν. οἱ μὲν οὖν ἄλλοι νομοθέται ταῖς γνώμαις διέστησαν καὶ τὸν ἕτερον αὐτῶν ὃν ἔδοξεν ἑκάστοις ἑλόμενοι τὸν ἕτερον παρέλιπον, οἷον Λακεδαιμόνιοι μὲν καὶ Κρῆτες ἔθεσιν ἐπαίδευον, οὐ λόγοις, Ἀθηναῖοι δὲ καὶ σχεδὸν οἱ ἄλλοι πάντες Ἕλληνες ἃ μὲν χρὴ πράττειν ἢ μὴ προσέτασσον διὰ τῶν νόμων, τοῦ δὲ πρὸς αὐτὰ διὰ τῶν ἔργων ἐθίζειν ὠλιγώρουν. Ὁ δ’ ἡμέτερος νομοθέτης ἄμφω ταῦτα συνήρμοσεν κατὰ πολλὴν ἐπιμέλειαν· οὔτε γὰρ κωφὴν ἀπέλιπε τὴν τῶν ἠθῶν ἄσκησιν οὔτε τὸν ἐκ τοῦ νόμου λόγον ἄπρακτον εἴασεν, ἀλλ’ εὐθὺς ἀπὸ τῆς πρώτης ἀρξάμενος τροφῆς καὶ τῆς κατὰ τὸν οἶκον ἑκάστων διαίτης οὐδὲν οὐδὲ τῶν βραχυτάτων αὐτεξούσιον ἐπὶ ταῖς βουλήσεσι τῶν χρησομένων κατέλιπεν… οὐδὲ γὰρ τὴν ἀπὸ τῆς ἀγνοίας ὑποτίμησιν κατέλιπεν, ἀλλὰ καὶ κάλλιστον καὶ ἀναγκαιότατον ἀπέδειξε παίδευμα τὸν νόμον, οὐκ εἰσάπαξ ἀκροασομένοις οὐδὲ δὶς ἢ πολλάκις, ἀλλ’ ἑκάστης ἑβδομάδος τῶν ἄλλων ἔργων ἀφεμένους ἐπὶ τὴν ἀκρόασιν ἐκέλευσε τοῦ νόμου συλλέγεσθαι καὶ τοῦτον ἀκριβῶς ἐκμανθάνειν· ὃ δὴ πάντες ἐοίκασιν οἱ νομοθέται παραλιπεῖν. Übers. Siegert I, 190–192. Zur Interpretation vgl. jüngst Barton/Boyarin 2016, 159–161. 5  Zum lebenslangen Lernen im frühen Judentum vgl. Stemberger 2013, hier bes. 112 f. zu Josephus.

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sei: Durch das Aufstellen von Vorschriften, wie bei den Athenern, oder durch die Einübung (ἄσκησις) guter Gewohnheiten, wie bei den Spartanern. Doch sei der jeweils andere Aspekt unterbelichtet geblieben. Josephus, der sich an römische Leser wandte, ging möglicherweise davon aus, dass diese eher „spartanisch“ optieren würden. In jedem Fall war es nicht allein Josephus’ Idee, zwischen Worten und Taten als Modi der Bildungsvermittlung zu unterscheiden: Fast zeitgleich findet sich bei dem T heoretiker der römischen Bildung schlechthin, Quintilian (gest. ca. 96 n. Chr.), die Bemerkung: „Soviel die Griechen durch Lehren vermögen, soviel die Römer durch Beispiele – was mehr ist.“6 Schon in augusteischer Zeit hatte Dionysius von Halikarnassus (ca. 54 v. Chr. – ca. 7 n. Chr.) Ähnliches über den Gründer Roms, Romulus berichtet: Bereits dieser habe feststellen müssen, dass ein „vernünftiger Lebensstil […] nicht durch theoretische Unterweisung“ gelehrt wird, „sondern durch die Gewöhnung an Tätigkeiten, die zu den jeweiligen Tugenden hinführen.“7 Josephus hingegen bemerkt zu den einzelnen in der Torah enthaltenen Gesetzen, diese seien „ohne Sophismus im Finden der Worte, in der Praxis stets bewährt“8, also in beider Hinsicht vorbildlich. Mose hinterließ demnach gerade mit der Verbindung von expliziter Unterweisung und beiläufiger Einübung „das schönste und nötigste Erziehungsgut“ (παίδευμα), das regelmäßig memoriert und gemeinsam gelernt werden möge. Dass diese Dialektik von Unterweisung und Einübung für das hellenistische wie für das rabbinische Judentum damals und weit darüber hinaus charakteristisch war (und ist), belegt eine Überlieferung im babylonischen Talmud (im Traktat Qidduschin): Einst waren R. Tryphon und die Ältesten im Söller des Hauses Nithza in Lud versammelt, und es wurde da die Frage aufgeworfen, ob das Studium oder die Handlung bedeutender sei. Da begann R. Âqiba und sprach: Das Studium ist bedeutender. Hierauf stimmten alle bei, dass das Studium bedeutender sei, denn das Studium bringt zur Handlung.9

6  Quintilian, Institutio oratoria 12,2,30 (II 716 Rahn): quantum Graeci praeceptis valent, tantum Romani, quod est maius, exemplis. Übers. a. a. O. 717. 7  Dionysius von Halikarnassus, Antiquitates romanae 2,28,1 (392 Cary): Ὁρῶν γὰρ ὅτι τὸ σωφρόνως ζῆν ἅπαντας καὶ τὰ δίκαια πρὸ τῶν κερδαλέων αἱρεῖσθαι καρτερίαν τε τὴν παρὰ τοὺς πόνους ἀσκεῖν καὶ μηδὲν ὑπολαμβάνειν χρῆμα τιμιώτερον ἀρετῆς οὐ λόγων διδαχῇ παραγίνεσθαι τοῖς πολιτικοῖς πλήθεσι πέφυκεν, ἐν οἷς τὸ πλεῖόν ἐστι δυσάγωγον, ἀλλ’ ἔργων ἐθισμοῖς τῶν πρὸς ἑκάστην ἀρετὴν ἀγόντων, ὑπ’ ἀνάγκης τε μᾶλλον ἢ κατὰ γνώμην ἐπ’ αὐτὰ τοὺς πολλοὺς παραγινομένους. Übers. Wiater, 203. 8  Josephus, Contra Apionem 2,292 (187 Siegert = 98,15 f. Niese): ἀσόφιστοι λόγων παρασκευαῖς τοῖς ἔργοις ἀεὶ βεβαιούμενοι. Übers. Siegert, 215. 9  bQidduschin 1,10 (fol. 40b); Übers.: Goldschmidt, Bd. V, 836. Barton/Boyarin 2016, 283 Anm. 14 zitieren eine andere Fassung, die die gelehrte Diskussion deutlicher herausstellt: „Rabbi Tarfon and the Elders were reclining in the upper room of the house of Natza in Lydda and the following question was asked of them: Which is greater: Is study greater or the deed? Rabbi Tarfon responded and said: the deed is greater. Rabbi Akiva responded and said: study is greater. All then responded and said: study is greater, as it conduces to the deed.“

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Es geht in den zitierten Texten offensichtlich nicht um ein Entweder-Oder von kognitiver und praktischer Bildung, sondern um beides zugleich, um die Zuordnung von zwei Aspekten eines „Lehr-Lernzusammenhangs“, um Elemente umfassender Bildungsprozesse. Damit ist aber die Leitfrage dieses Beitrags formuliert: Wie kann man in Bezug auf die Vormoderne von „Bildung“ reden – und warum sollte man das überhaupt tun? Und wenn man es tut, wie verhalten sich dann normative Vorstellungen von Bildung zu deren Praxis – und wie kann man dieser Praxis in methodisch reflektierter Form nahekommen? Die Frage nach dem „Warum?“ ist nicht einfach damit beantwortet, dass der vorliegende Beitrag einem Forschungszusammenhang entstammt, der „Bildung und Religion“ im Titel trägt. Vielmehr ist ein Sonderforschungsbereich in der Pflicht, sich und anderen Rechenschaft darüber abzulegen, warum und in welcher Weise mit Begriffen wie „Bildung“ und „Religion“ operiert wird, die ursprünglich für neuzeitliche Epochen etabliert wurden. In bestimmter Hinsicht ist dies natürlich unvermeidlich: Wenn man nicht nur die Quellen nacherzählen, sondern über sprachliche und kulturelle Konstellationen hinaus Vergleiche anstellen will, bedarf es einer analytischen, von den Quellensprachen unterschiedenen Begrifflichkeit. Zwar kann man die im Binnenraum einer sprachlichen und kulturellen Formation maßgeblichen Begriffe daraufhin befragen, ob sie auch in anderen Kulturen in erhellender Weise Anwendung finden können – letztlich ist es genau das, was Josephus mit dem Begriff παιδεία macht. Dann bildet freilich eine Kultur den Referenzrahmen für andere, und die Adäquanz dieses Verfahrens wäre allererst zu erweisen. Will man aber nach modernen Maßstäben transkulturelle Vergleiche unternehmen, kommt man gar nicht umhin, Begriffe zu verwenden, die Verschiedenes zu bezeichnen und zu klassifizieren vermögen – z. B. den Begriff „Bildung“. So weit, so trivial! Aber damit ist noch nicht klar, dass solche Untersuchungen anhand von Begriffen geschehen sollten, die sich der europäischen Aufklärung verdanken, in der sowohl „Religion“ als auch „Bildung“ ein konzeptuelles Profil erhielten, das bis heute ihrem Gebrauch zugrunde liegt.10 Auf diese Anfrage kann und soll hier keineswegs ex cathedra eine Antwort gegeben werden; vielmehr dient der vorliegende Band insgesamt dem Zweck, viele Miniaturen zu der Leitfrage nach Bildung in der Vormoderne zu versammeln und diesen Begriff am konkreten Gegenstand zu testen.11 Für einzelne Religionskulturen, auch für Epochen und Räume mit verdichteten interreligiösen Debatten über Bildung wie den Hellenismus und die Spätantike ist das auch bereits geleistet worden. Doch bedarf es einer heuristischen Brille, die den Blick für mögliche Vergleichspunkte auch über einzelne Religionskulturen und naheliegende Diskursräume hinaus schärft – hierfür fehlt bislang eine kategoriale Grundlage.12 Daher möchte ich im Folgen10 

Zum Folgenden vgl. ausführlicher Gemeinhardt 2017, 167–169. Übergreifende Erträge dieses Feldversuchs über knapp zwei Jahrtausende hinweg werden im Schlussabschnitt des vorliegenden Bandes (S. 447–481) systematisch gesichtet. 12  Das gilt auch für das ansonsten höchst instruktive Kompendium von Bloomer 2015, das sich nicht nur neben der (für ein Handbuch natürlich unverzichtbaren) Geschichte der 11 

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den ein analytisches Raster vorstellen13, das es ermöglicht, anhand des modernen deutschen Begriffs „Bildung“ Sachverhalte aus lange und noch länger vergangenen – hier als „vormodern“ bezeichneten – Zeiten zu erforschen und die dabei gewonnenen Ergebnisse in fruchtbarer Weise miteinander zu vergleichen. Dabei ist der Begriff „Vormoderne“ ebenfalls erklärungsbedürftig (und sei es nur, weil der Beginn und die Charakteristik der „Moderne“ sehr unterschiedlich bestimmt werden kann). Er dient hier – wie im ganzen Band – rein pragmatisch als Kürzel dafür, dass sich die Beiträge chronologisch vor den Medienrevolutionen der Frühen Neuzeit bewegen, die sozialen und systemischen Differenzierungen nachaufklärerischer Gesellschaften nicht voraussetzen und semantisch den Begriff „Bildung“ nicht quellensprachlich, sondern ausschließlich analytisch verwenden. Die Fruchtbarkeit der hier vorgenommenen Vergleiche hängt nicht daran, ob sich für zweitausend Jahre Kulturgeschichte eine einheitliche Oberbezeichnung finden lässt, sondern wie sich die prima facie vergleichbar erscheinenden Begriffe, Konzepte und Praktiken von Bildung bei näherem Hinsehen in Beziehung setzen lassen – darauf wird in der Schlussbetrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln einzugehen sein. Die Problematik der Anwendung moderner Begriffe auf vormoderne Phänomene ist im Übrigen – was hier nur angedeutet, aber nicht ausführlich diskutiert werden kann – beim anderen Leitbegriff des Sonderforschungsbereichs die gleiche: Im Feld der ‚Religious Studies‘ wird seit jeher diskutiert, ob der Begriff „Religion“ mit seinen protestantisch-aufklärerischen Konnotationen für vormoderne Sachverhalte überhaupt Anwendung finden sollte.14 Diese Debatte, die zweifellos wichtig und notwendig ist, aber bisweilen in allzu abstrakter Weise geführt wird, muss hier nicht ausführlich rekonstruiert werden.15 Zweifellos gab es nicht Erziehungskonzepte in der Antike und ihrer prominentesten Protagonisten widmet, sondern auch eine eigene Sektion zu Phänomenen von „Non-Literary and Non-Elite Education“ bietet (die mit 10 von 33 Beiträgen immerhin ein Drittel des Bandes ausmacht). Herkömmlichen Paradigmen bleibt hingegen das Sammelwerk von Christes/Klein/Lüth 2006 verhaftet. – Ein Literaturbericht mit Anspruch auf Vollständigkeit ist im Rahmen dieses Beitrags nicht zu leisten und daher ausdrücklich nicht intendiert. 13  Die in den Abschnitten 2. bis 4. entfalteten Leitunterscheidungen wurden allen Vortragenden der SFB-Jahrestagung als Orientierungshilfe an die Hand gegeben. 14  Die grundsätzliche Kritik von Asad 1993 an Religion als ungeeignetem heuristischem Konzept wurde von Nongbri 2013 wieder aufgegriffen und jüngst von Barton/Boyarin 2016 für die Begriffe religio und θρησκεία exemplarisch untermauert (hier jeweils auch weitere Literatur zum T hema). 15  Es sei nur darauf hingewiesen, dass bisweilen der Unterschied zum modernen Religionsverständnis in allzu reduktionistischer Weise herausgestellt wird: So konzedieren Barton/Boyarin 2016, 48, dass religio in der Zeit Ciceros zu einem Konzept transformiert wurde, das einem modernen Verständnis von „Religion“ näherkommt als die traditionelle Verwendung des Begriffs. Das heißt aber, dass bereits die „vormodernen“ Zeitgenossen im Übergang von der späten römischen Republik zur frühen Kaiserzeit in religio entsprechende konzeptionelle Potentiale sahen und nutzten – so der in dem genannten Buch exemplarisch behandelte Tertullian (vgl. bes. a. a. O. 111). Interessant wäre also gerade die Transformationsgeschichte dieses und verwandter Begriffe innerhalb der Vormoderne!

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„die“ Religion der Griechen, der Römer, der Juden, der Christen oder der Muslime und schon gar nicht ein universales „Wesen“ von Religion in der Vormoderne (und auch seither nicht), sondern kontextspezifische Konstellationen von Handlungsmustern, die zum kompetenten Umgang mit einem Gegenüber anleiteten, das jenseits der alltäglichen Erfahrung gedacht wurde.16 Wie dieses Gegenüber vorgestellt, konzeptualisiert und visualisiert wurde, ist im konkreten Fall offensichtlich sehr unterschiedlich; die skizzierte Definition ermöglicht es aber, Phänomene als „religiös“ zu klassifizieren und damit einer vergleichenden Analyse zugänglich zu machen.17 Ein solcher polythetischer Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, dass nur das Handeln von Menschen in Bezug auf ihr Gegenüber, nicht das Gegenüber selbst untersucht werden kann, ohne dass dabei bestritten werden müsste, dass die Akteure mit der Realität ihres Gegenübers rechneten. Von „Religion“ ist also sowohl in substantialer als auch in relationaler Weise die Rede, als Klasse von Beobachtungen, die durch die Bezugnahme auf ein Gegenüber jenseits der Erfahrungswelt definiert ist – das im konkreten Fall auch konzeptualisiert und theologisch interpretiert wird. Mit der nötigen Umsicht ist es möglich, Unterschiede und Gemeinsamkeiten von praktischen und reflexiven Bezugnahmen auf solche Gegenüber als „Religion“ zu analysieren.18 Salopp gesagt, geht es darum, zu wissen, was wir tun, wenn wir Äpfel und Birnen vergleichen – und sei es anhand eines neuzeitlichen Konzepts von Obst, um im Bild zu bleiben. Anders als der Religions- ist der Bildungsbegriff in dieser Hinsicht weniger eingehend diskutiert worden. Das mag einerseits daran liegen, dass „Bildung“ nicht so einfach aus der deutschen Sprache in andere Wissenschaftssprachen übersetzbar ist und sich bestimmte Probleme der Verwendung des Bildungsbegriffs, von denen unten die Rede sein wird, beim englischen ‚education‘ oder französischen ‚éducation‘ prima facie nicht stellen (dass die Übersetzbarkeit bei „Religion“ vermeintlich als gegeben erscheint, tatsächlich aber auch zu Schwierigkeiten führt, 16  Vgl. Tanaseanu-Döbler/Döbler 2012, 2 (mit weiterer Literatur); zusammenfassend Gemeinhardt 2017, 170. Ähnlich definiert Rüpke 2016, 19 Religion „als das situative Einbeziehen von Akteuren (ob sie nun als Göttliches oder Götter, Dämonen oder Engel, Tote oder Unsterbliche bezeichnet werden), die in bestimmter Hinsicht überlegen sind. [Dabei] ist ihre Anwesenheit, ihre Mitwirkung, ihre Bedeutung für die jeweilige Situation nicht einfach unhinterfragbar gegeben.“ Etwas später bestimmt er Religion „als Ausweitung der jeweiligen Umwelten über die unmittelbar plausible soziale Umwelt lebender Mitmenschen und vielfach auch Tiere hinaus in spezifischer Form von Handlungsmacht, von Identitätsformulierung, von Kommunikation“ (a. a. O. 33). Zu beobachten sei regelmäßig das „hohe Investment in die Konstruktion zunächst unwahrscheinlicher Akteure als ‚Sozialpartner‘“ (ebd.). In diesem Sinne lässt sich argumentieren, dass der Streit um die (je subjektiv konstruierte) Wahrheit des (postulierten) Göttlichen nicht erst am Disput philosophischer Schulen zu beobachten ist, sondern bereits im Alltag gewöhnlicher, lebenspraktischer Plausibilität bedürftiger Menschen. Es ergibt sich daraus für Rüpke folgerichtig die – von ihm allerdings nicht eingehender behandelte Frage – „nach Formen religiösen Lernens und des Erwerbs religiösen Wissens“ (a. a. O. 24). 17  Ausführlich zu Religion in der Antike jetzt Tanaseanu-Döbler 2018. 18  Dies wird überzeugend begründet von Riesebrodt 2007; rezipiert und konkretisiert bei Tanaseanu-Döbler 2018, 1015–1017 et passim.

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steht auf einem anderen Blatt). Andererseits steht der historische Vergleich jenseits offensichtlicher Analogien und Genealogien in der Bildungsgeschichte weniger im Fokus als in der Religionsgeschichte.19 Hier setzt der vorliegende Beitrag an, indem er aus verschiedenen Perspektiven Schlaglichter auf kulturelle, soziale und politische Praktiken wirft, die übergreifend in vormodernen Kulturen zu beobachten sind – und dabei das besondere Potenzial des deutschen Begriffs Bildung auszuloten versucht. Dabei liegt das Augenmerk perspektivisch durchaus auf der Bedeutung von Bildungsprozessen für religiöse Praxis, die in vielen vormodernen Kontexten unlösbar mit anderen soziokulturellen Vollzügen verknüpft ist und daher teils nur analytisch von diesen unterschieden werden kann, teils aber auch schon von den zeitgenössischen Akteuren und Akteurinnen als ein besonderer Bereich sozialen und individuellen Lebens begriffen wurde. Wie man in eine Gesellschaft initiiert oder integriert wird, ob dies mit der Zugehörigkeit zu einer religiös konstituierten Gruppe oder einem Kult zusammenfällt oder die religiöse Affiliation einer eigenen Entscheidung bedarf 20, wie man kompetent über Gott und die Welt kommuniziert, was man im Alltag wissen und am Festtag beachten muss, was man in religiösen Zusammenhängen sagen und was man auf keinen Fall sagen darf und vor allem: wo und von wem einem das beigebracht wird und ob Menschen im Feld religiöser Bildung überhaupt die entscheidenden Akteure sind – diesen Äpfeln und Birnen gilt im Folgenden das Augenmerk.

2. Religiöser und nichtreligiöser Bildungsbegriff Werfen wir zunächst einen Blick auf die Ursprünge des Bildungsbegriffs.21 Für diesen finden sich erste Belege bekanntlich bei Meister Eckhart (gest. 1328), einem dominikanischen Prediger, Mystiker und Scholastiker. Nach Meister Eckhart ist der Mensch nach Gottes Ebenbild geformt bzw. eben „gebildet“. Er findet sich freilich „entbildet“ vor, weil er aufgrund der Sünde die Gottebenbildlichkeit verloren hat, und kann zu seinem Ursprungszustand zurückkehren, indem er sich Gott wieder „einbildet“, bis hin zur „Überbildung“, der mystischen Einung mit Gott.22 19  „Bildung und Religion“ im Titel können daher völlig unterschiedliche thematische Zuspitzungen ankündigen; vgl. z. B. die erziehungswissenschaftlichen Bücher von Dressler 2006 und Benner 2014 mit den altertumswissenschaftlichen Sammelbänden von Frateantonio/ Krasser 2010 oder Gemeinhardt/Günther 2013 und der religionsgeschichtlichen Monographie von Melsbach 2007. Ähnliches gilt dann auch für die Beiträge innerhalb eines solchen Sammelbandes, wie sich beispielsweise an Ego/Merkel 2005 zeigt. Damit ist nichts über die Qualität der Beiträge oder Sammelbände als solcher ausgesagt, sondern lediglich das Desiderat einer für vergleichende Untersuchungen geeigneten Terminologie und Methodologie markiert. 20  Dies diskutiert Zander 2016 als Spezifikum der europäischen Religionsgeschichte. 21  Zum folgenden historischen Abriss vgl. Schröder 2012, 215–219; Schweitzer 2014, 28– 34; umfassend zur Begriffsgeschichte Vierhaus 1972. 22  Vgl. zu Eckhart zusammenfassend Lichtenstein 1971, 921 f.; Borst 2011, 40; Schröder 2012, 215.

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Wir haben es also mit einem Relationsbegriff zu tun, der den kommunikativen Prozess von „Bildung“ ebenso umfasst wie deren Ziel. Durch den Bezug auf Gott ist der Begriff „Bildung“ bei Eckhart unzweifelhaft religiös konnotiert, ja mehr noch: Der Gedanke der Wiederherstellung der Gottesebenbildlichkeit durch Wieder-Einbildung birgt eine ikonologische Pointe, die zugleich die Rede von „Bildung“ fest in der jüdisch-christlichen Tradition verankert.23 Von hier aus könnte man schließen, dass es einen nichtreligiösen Bildungsbegriff gar nicht gibt. Freilich ist Meister Eckhart zwar nach allem, was überlieferungsmäßig sicher festgestellt werden kann, der erste Zeuge für das deutsche Wort, nicht jedoch der spiritus rector des modernen Bildungsdiskurses. Ein verbreiteter Gebrauch des Bildungsbegriffs ist erst im späten 18. Jahrhundert zu beobachten, dessen Referenzdiskurs nicht die spätmittelalterliche Mystik, sondern der im protestantischen Pietismus prominente Gedanke der imago dei ist24, und dann tritt die ursprüngliche Bedeutungsebene bald in den Hintergrund: Nicht der Bezug auf Gott, sondern die Subjektivität des Menschen sei, so Bernhard Dressler, das Moment, das den modernen Bildungsbegriff auszeichne.25 Bildung – so Reinhart Koselleck – ist „als neuzeitlicher Grundbegriff Ergebnis der Aufklärung und zugleich Antwort auf sie“26. Demnach wäre die Aufklärung als Wasserscheide zwischen Vormoderne und Moderne, damit aber auch zwischen religiösem und nichtreligiösem Bildungsbegriff aufzufassen. Das Zurücktreten des Bezugs auf (einen personalen) Gott ist denn auch charakteristisch für die Aufklärung, obwohl gerade im Alten Reich aufklärerische Impulse von christlichen T heologen kamen.27 Nicht mehr auf die Zurückwendung zu – oder gar die Wiedereinbildung in – Gott zielt Bildung, sondern, so Dressler, „auf die Entwicklung einer Subjektivität, die in der Erschließung der Welt das Inkompatible, das Ganze in seinen Differenzen, zusammenzuhalten in der Lage ist.“28 Doch so eindeutig liegen die Dinge nicht. Zwischen dem späten Mittelalter und der frühen Moderne bestehen nicht nur Diskrepanzen, sondern auch Kontinuitäten. Die Vorstellung von Bildung als einer anthropologischen Grundkategorie, die auf eine lebensgeschichtliche, ja lebenslängliche Entwicklung zielt, ist auch schon vor der Aufklärung zu finden. So richtet sich der Blick konsequent auf den Men23  Vgl. zum Verhältnis von Bildhaftigkeit und Bildung in Eckharts „Mystagogie“ Fröhling 2015, 150–159. 24  Dazu vgl. Staats 2004; kritisch zur Vorstellung einer direkten Linie von Meister Eckhart bis zum neuzeitlich-aufklärerischen Bildungsdiskurs äußert sich auch Auffarth 2015, 304–308. 25  Vgl. Dressler 2006, 20 f. 26  Koselleck 1990, 19; vgl. auch Vierhaus 1972, 509. Zu den vorausgehenden Transformationen von Begriff und Praxis der Bildung in Deutschland vgl. Lachmann 2007 sowie Gemeinhardt 2018b. 27  Vgl. Dressler 2019, 23: „So sehr religiöse Traditionen im Bildungsbegriff virulent sind, so ist doch zwischen seinen philosophischen und theologischen Begründungen zu unterscheiden.“ 28  Dressler 2006, 22.

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schen, wenn der Humanist Erasmus von Rotterdam (gest. 1536) feststellt: „Menschen werden nicht geboren, sondern gebildet!“29 Der hier zugrunde liegende Gedanke ist aber noch viel älter, er kommt bereits bei dem Philosophen Seneca (gest. 65 n. Chr.) in der frühen römischen Kaiserzeit zum Ausdruck: „Niemand wird als Weiser geboren, man wird es.“30 Ihm sekundiert ein gutes Jahrhundert später der christliche T heologe Tertullian (gest. nach 220), der der Anhänglichkeit an einen nichtreligiösen Bildungsbegriff völlig unverdächtig ist: „Menschen werden nicht als Christen geboren, sie werden es.“31. Auf solchen Beobachtungen aufbauend hat T heo Kobusch argumentiert, dass die Entwicklung einer „christlichen Philosophie“ in der Antike präzise auf die Entdeckung der Subjektivität hinausläuft: Ihre „einheitliche Bestimmung“ sei es, „das Selbst, das Subjekt, die Seele, den Geist, das Innere des Menschen zu bilden und zu stärken“.32 Damit greife das Christentum eine Denktradition auf, die seit Platon bestanden und im spätantiken Neuplatonismus eine kreative Fortführung erfahren habe.33 Die von christlichen und nichtchristlichen Philosophen geteilte Stoßrichtung sei gewesen, den Menschen dazu in die Lage zu versetzen, „sich seiner selbst inne werden zu können“.34 Natürlich wird man zwischen spätantikem und modernem Denken Unterschiede in Rechnung stellen müssen; auch können „Bildung“ und „Philosophie“ nicht einfach in eins gesetzt werden, denn Bildung umfasst, wie noch zu explizieren sein wird, mehr und anderes als philosophische Reflexion. Dennoch sind solche Kontinuitäten über die Epochengrenze zwischen Vormoderne und Moderne hinweg nicht zu übersehen. Sie ermöglichen es, „Bildung“ als Oberbegriff für Denktraditionen, erzieherische Praktiken und deren Institutionalisierungen zu verwenden, und zwar diachron – in der Perspektive einer longue durée – und im Horizont der Frage, wie sich Religiöses und Nichtreligiöses in dieser Geschichte den Vorstellungen und Konzeptionen von Bildung zuordnen lassen. Eine sich durchziehende Linie bei Meister Eckhart, den Aufklärern und Humanisten, aber auch schon bei frühchristlichen T heologen ist nach dem eben Ausgeführten das Moment des Werdens des Selbst und der Herausbildung des Bewusstseins des Menschen von sich selbst. Daraus folgt einerseits die grundsätzliche Unabschließbarkeit von Bildungsprozessen – salopp gesagt: mit sich selbst ist man nie fertig –, und damit hängt andererseits der Aspekt der Relationalität zusammen: Von Prozessen der Bildung, d. h. der Formung von Identität, ist in ganz unterschiedlichen Kontexten und schon seit Jahrtausenden die Rede, und diese Kontexte spielen eine entscheidende Rolle für die Selbst- und Fremdwahr29  Erasmus von Rotterdam, De pueris statim ac liberaliter instituendis (31,21 Margolin): homines non nascuntur, sed finguntur. 30 Seneca, De ira 2,10,6 (166 Rosenbach): neminem nasci sapientem sed fieri. 31 Tertullian, Apologeticum 18,4 (FC 62, 148,11 f. Georges): fiunt, non nascuntur Chris­ tiani. 32  Kobusch 2006, 64. 33  Vgl. Kobusch 2006, 19. 34  Kobusch 2006, 84.

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nehmung des Menschen als eines sich bildenden Subjekts. Schon in der Vormoderne erscheint der Mensch als ein nicht statisch festgelegtes, sondern dynamisch formbares, entwicklungs- und beziehungsfähiges Wesen, in dessen Bildungsprozess der Bezug auf ein Gegenüber von Bedeutung ist. Wer den aktiven Part in diesem dynamischen Geschehen spielt – der menschliche Protagonist, andere auf ihn einwirkende Menschen in den jeweiligen konkreten oder abstrakten Formen ihrer Vergemeinschaftung, (ein) Gott bzw. Götter oder etwas Göttliches oder alle zusammen –, ist bei näherem Hinsehen unterschiedlich. Deutlich ist aber: Ohne ein Gegenüber geht es nicht – und wo es ein Gegenüber gibt, bin ich nicht alles, nicht Grund meiner selbst, sondern bilde mich gewissermaßen im Angesicht dieses Gegenübers, dessen ich nicht mächtig bin. Das bedeutet nicht, dass Bildung in der Vormoderne nur als religiöse Bildung gedacht werden kann. Doch wo von „Bildung“ in dem unten näher zu beschreibenden umfassenden Sinne die Rede ist, werden einfache interpersonale Wirkzusammenhänge relativiert. Das gilt auch da, wo nicht ein Gott oder ein Göttliches als Gegenüber des sich bildenden Subjekts vorgestellt wird. Die Emanzipation neuzeitlicher Begriffe und Diskurse von ihren ursprünglichen religiösen Grundierungen ist keineswegs eine Einbahnstraße. Obwohl heute in öffentlichen Diskussionen über Bildungsprozesse und -ziele gewiss nicht die Gottesebenbildlichkeit des Menschen im Fokus steht, sondern eine säkularisierte Auffassung von Bildung, die um ihrer breiten gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit willen nicht mit einem konkreten religiösen Deutungshorizont verknüpft werden kann, ist für das Verständnis von Bildung weiterhin grundlegend, dass sie relational und kommu­ nikativ ausgerichtet ist – nicht notwendigerweise in Bezug auf (einen personalen) Gott, wohl aber auf andere Menschen.35 Selbst-Bildung ist auch unter neuzeitlichen Bedingungen nicht mit Solipsismus zu verwechseln. Wenn man vielmehr Bildung aus moderner Sicht als „einen durch Personalität, Bewußtseinserhellung und soziale Verantwortung ausgezeichneten Modus des menschlichen In-derWelt-Seins“ definieren kann36, ist damit eine spezifische Offenheit für die religiöse Dimension der Bildung gegeben, schärfer formuliert: Es wäre erst noch zu zeigen, wie Bildung vollständig ohne Religion zu denken wäre. Hier kommt das zweite oben genannte Moment ins Spiel, das der Unverfüg­ barkeit. Es ist nicht zufällig die wissenschaftlich-theologische Disziplin der Religionspädagogik, die einschärft, dass Bildung – wie schon immer, so auch noch heute – „von Voraussetzungen lebt, über die Menschen nicht verfügen können“, so Bernd Schröder.37 Müssen Lehr-Lern-Prozesse nicht aber voraussetzen, dass sie in menschlicher Verfügungsgewalt stehen? Und wenn Bildung unverfügbar ist, was wäre dann eigentlich genau gemeint, wenn in modernen Debatten davon die Rede ist, zumal wenn es um die Operationalisierbarkeit von Lernzielen und dergleichen 35 

Vgl. Schweitzer 2014, 32 f. So Lichtenstein 1971, 937 als Fazit der Begriffsentwicklung seit der Aufklärung. 37  Schröder 2012, 221. In seinem Beitrag zum vorliegenden Band (S. 67–88) geht der Autor diesem Fragenkreis weiter nach 36 

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geht? Dass das Proprium von „Bildung“ im Unterschied zu „Erziehung“ im Moment der Selbsttätigkeit und das heißt in ihrer Unverfügbarkeit liegt, wird uns auch im Blick auf die Vormoderne noch beschäftigen. Nachgehen möchte ich hier zunächst der Frage, wie früher mit der angedeuteten religiösen Grundierung als einem konstitutiven Moment von Bildungsprozessen umgegangen wurde: Galten Bildungsprozesse als menschlicherseits steuerbar oder dem menschlichen Zugriff (teilweise) entzogen, ist Bildung also (nur) Gottes Werk oder (auch) des Menschen Beitrag? Wie sinnvoll ist dann die Unterscheidung zwischen einem religiösen und einem – sit venia verbo – „säkularen“ Bildungsbegriff, sowohl aus der modernen analytischen Perspektive als auch in der Sicht der Zeitgenossen? Die Unterscheidung zwischen „religiös“ und „säkular“ verdankt sich der für die Moderne charakteristischen institutionellen Dimension der Fragestellung. Die Unterscheidung, ja Trennung einzelner Sphären (Bildung, Religion, Politik, Kultur etc.) ist kennzeichnend für neuzeitliche, funktional differenzierte Gesellschaften.38 Religion besitzt dann einen eigenen Zuständigkeitsbereich der kommunikativen Sinnstiftung oder – mit Schleiermacher – eine „eigne Provinz im Gemüte“.39 Sie kann sogar zur Privatsache erklärt werden, die mit anderen Funktionsbereichen der Gesellschaft nicht zu interagieren braucht und das vielleicht besser auch gar nicht versuchen sollte, um ihr Proprium gegenüber möglichen Interferenzen anderer Sphären zu bewahren. Die Unübersehbarkeit christlicher Kirchen im alltäglichen Stadtbild wäre dann eine kulturgeschichtliche Reminiszenz, nicht Ausdruck einer nach wie vor für die Gemeinschaft relevanten Praxis. Eine antike griechische polis hingegen war überzogen von Kultgebäuden, in denen in aller Öffentlichkeit und vor allem für die Öffentlichkeit religiös gehandelt wurde, ernsthaft und vielfältig, aber kaum einmal kompetitiv. Religion war in der Antike und weit darüber hinaus ein selbstverständlicher Teil des Soziallebens; die Rede von der „embedded religion“ fasst diesen Befund in eine griffige Formel.40 Konnte es angesichts dieser Konstellation, die sich im vormodernen Mittelmeerraum in zahlreichen Brechungen finden lässt, eine nichtreligiöse Bildung überhaupt geben? Wenn es aber eine nicht religiös induzierte Bildung in der Vormoderne gab, von welchen Voraussetzungen lebte sie damals? Der Ansatz einer Antwort auf die Frage nach (einem) Gott als Akteur im Bildungsprozess ergibt sich ausgerechnet da, wo konsequent vom Menschen die Rede ist. Das menschliche Selbst ist – mit Platon (gest. 427 v. Chr.) – das, „was ein jeder von uns wirklich ist“41, und entsprechend ist das Selbst (im Griechischen ἑαυτοῦ/ σεαυτοῦ) T hema der Philosophie. Wie aber kommt das Selbst zu sich selbst, wird seiner als selbsttätig gewahr? Indem es ab extra genau zu dieser Selbsttätigkeit des Intellekts und damit zur Selbsterkenntnis aufgerufen wird, so die bekannte Auf38 

Luhmann 2000, 125. Schleiermacher 1799, 26. 40  Hierzu am Beispiel der griechischen Religion (mit wichtigen Differenzierungen) Eidinow 2015. 41 Platon, Nomoi 10 (959b3): τὸν δὲ ὄντα ἡμῶν ἕκαστον ὄντως. 39 

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forderung „Erkenne dich selbst!“ (γνῶθι σαυτόν). Interessant ist nun, dass diese Inschrift nicht zufällig am Orakelheiligtum in Delphi angebracht war. Sie ist nämlich keineswegs als Selbstermächtigung, sondern vielmehr als Selbstbeschränkung zu verstehen und lässt sich wie folgt paraphrasieren: „Erkenne, dass du ein Mensch und kein Gott bist.“42 Selbsterkenntnis wird damit zur Beziehungserkenntnis: Das Selbst erkennt sich als bezogen auf Göttliches, es nimmt seine Existenz damit als verdankt – nicht selbst geschaffen – und entsprechend als durch seinen Grund begrenzt wahr. Die Konfrontation mit dem Göttlichen in Delphi wirkt „Erinnerung für das Sterbliche an seine Natur und seine Schwäche“, so Plutarch (gest. ca. 120 n. Chr.), der in der frühen Kaiserzeit in Delphi als Priester und Philosoph wirkte.43 Daraus ergibt sich der Aufruf, an dieser Schwäche zu arbeiten, das Selbst zu formen, das heißt zu bilden. Bildung im Gegenüber zu (einem) Gott kann insofern durchaus extern angeregt sein, entzieht sich aber prinzipiell menschlicher Machbarkeit.44 Das Schlaglicht auf Delphi und seine Deutung durch Plutarch lässt erkennen, dass auf die moderne Frage nach Selbst-Bildung schon in der Antike Antworten gegeben werden konnten und auch gegeben wurden. Das zitierte Beispiel steht im Kontext einer bemerkenswerten Entwicklung in der frühen römischen Kaiserzeit, in der in verschiedenen Diskursräumen eine religiöse Aufladung philosophischer Fragen zu beobachten ist.45 Wie gesehen, wurde z. B. von stoischen Denkern wie Epiktet das Selbst aufgerufen, auf Anregung von und im Gegenüber zu Gott seine eigene Bildungsgeschichte zu schreiben46, und diese Ansätze wirkten wiederum im Christentum weiter, über den schon genannten Tertullian hinaus, z. B. in der spätantiken Katechetik des Bischofs Kyrill von Jerusalem (gest. 387).47 Solche gewissermaßen „proto-humanistischen“ Aussagen verweisen auf eine geteilte anthropologische Sicht: Sie setzen, mit einem Begriff des Pädagogen Johann Friedrich Herbart (1776–1841), die „Bildsamkeit des Menschen“ voraus.48 Gemeint ist 42  So

50 f.

Scheer 2018, 26; vgl. Burkert 2011, 230. Zum Folgenden vgl. Gemeinhardt 2017b,

43 Plutarch, De E apud Delphos 21 (394C; 252 Babbitt): ἀλλά γε τῷ ‚εἶ‘ τό ‚γνῶθι σαυτόν‘ ἔοικέ πως ἀντικεῖσθαι καὶ τρόπον τινὰ πάλιν συνᾴδειν· τὸ μὲν γὰρ ἐκπλήξει καὶ σεβασμῷ πρὸς τὸν θεὸν ὡς ὄντα διὰ παντὸς ἀναπεφώνηται, τὸ δ’ ὑπόμνησίς ἐστι τῷ θνητῷ τῆς περὶ αὐτὸ φύσεως καὶ ἀσθενείας. Vgl. T hum 2013, 296 f. 44  Zum delphischen Orakel und seinen Kontexten vgl. demnächst die Publikation der Tagung „Delphi – Apollons Orakel in der Welt der Antike“ (Göttingen, 22.–24.06.2017) in der Reihe COMES (hg. von Balbina Bäbler und Heinz-Günther Nesselrath). 45  Dazu Hirsch-Luipold/Görgemanns/von Albrecht 2009. 46  Vgl. Wildberger 2013, 36 f. zu Epiktets Verhältnisbestimmung von göttlicher παρα­ σκευή und menschlicher προαίρεσις und παρακολούθησις. Das oben erwähnte Moment der Relationalität ist hier also auch im Kontext eines nichtpersonalen Gottesbildes gegeben. 47  Zu Kyrill und der von ihm aufgenommenen Tradition der Willensbildung vgl. Lorgeoux 2017. Dass, wie hier argumentiert wird, Bildung auf einem willentlichen Entschluss (προαίρεσις) des Menschen beruht, ist in der kaiserzeitlichen Philosophie über Religionsgrenzen hinweg Konsens; vgl. dazu Kobusch 2006, 106–111. 48  Vgl. zur Sache und ihrer Bedeutung für die gegenwärtige Pädagogik Benner 2012, 70– 77; zur Traditionsgeschichte Lichtenstein 1971, 930 f.

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die Möglichkeit, das Selbst durch Praxis zu formen und diese Praxis durch Reflexion zu begleiten; und genau diese Bildsamkeit ist Anlass für den Appell, dass der Mensch realisieren soll, was ihm gegeben ist. Bildung ist demnach in doppeltem Sinne Selbst-Bildung – das menschliche Selbst ist zugleich Adressat und Akteur von Bildungsprozessen. Insofern steht, so Dietrich Benner, die „Fremdaufforderung zur Selbsttätigkeit“ in einer charakteristischen Spannung zur Unverfügbarkeit des Selbst und seiner Bildsamkeit, die sich bei näherem Hinsehen als ebenso unaufgebbar wie fruchtbar erweist: Pädagogische Interaktion und Selbstbezüglichkeit von Bildung schließen sich nicht aus, sie bedingen vielmehr einander konstitutiv.49 Um noch einmal auf Delphi zu verweisen: „Erkenne dich selbst“ ist keine autoritäre Direktive, die mit Sanktionen durchzusetzen wäre, sondern die von außen kommende Mahnung, den Prozess der Erkenntnis seiner selbst in Gang zu setzen, der in der menschlichen Natur und – in der beschriebenen kaiserzeitlichen Konstellation von Bildung und Religion – in der Verwiesenheit des Menschen auf Gott, Götter oder Göttliches angelegt ist. Eine solche nicht-direktive, aber eindringliche Ermutigung zur Bildung des Selbst ist nicht nur in der hellenistischen und christlichen Tradition zu finden, sondern auch schon im Alten Testament und im frühen Judentum. So beginnt das Buch der Proverbien: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, die Toren verachten Weisheit und Zucht“ (Spr 1,7). Diese Furcht wird dazu führen, dass „Weisheit in dein Herz eingehen und Erkenntnis deiner Seele lieblich sein wird“ (Spr 2,10).50 Auch hier ist also ein von Menschen kommunizierter, aber an Gott orientierter Bildungsprozess erkennbar, der darauf zielt, „die Heranwachsenden zu einer Lebensführung zu erziehen, die das Recht des anderen achtet und damit dazu beiträgt, Gerechtigkeit in der Gesellschaft Israels zu verwirklichen.“51 Bildung und Erziehung zielen hier – wie auch in zeitgenössischen griechischsprachigen Diskursen – auf die Integration in das Gemeinwesen, jedoch aus explizit religiöser Motivation. Gott als Akteur der Erziehung ist auch in anderen Teilen des Alten Testaments ein T hema – er lehrt beispielsweise durch sein Wort (Dtn 4,36) oder durch die Tora (Ps 94,12).52 Dass eine solche Unterweisung nicht notwendigerweise angenehm ist, macht das Proverbienbuch von Anfang an klar (Spr 3,11 f.):

49 

Benner 2012, 78–91. van Oorschot 2017, 20–25. Zu Erziehung im hebräischen Proverbienbuch vgl. auch Delkurt 2002, 229–247. 51  Delkurt 2002, 237. Charakteristischerweise stehen Formen der Verben ‫„ רסי‬erziehen“ und ‫„ חכר‬feststellen, was Recht ist“, im Proverbienbuch gleich zehnmal in unmittelbarer Verbindung, wie ebd. gezeigt wird (Spr 3,11; 5,12; 6,23; 9,7; 10,17; 12,1; 13,18; 15,5.10.32); die revidierte Lutherbibel (2017) bildet dies mit den Begriffen „Zucht“ und „Zurechtweisung“ ab. 52  Dazu Delkurt 2002, 248. Eine Erziehung durch Züchtigung ist darüber hinaus ein wichtiges T hema in den prophetischen Büchern (vgl. a. a. O. 249 f.): Genannt werden hier Hos 5,1–7; 10,9–13a und Jer 2,19.21; dass der Lernerfolg beim Volk Israel ausbleibt, beklagt Jes 40,21.27 f.; 48,17. 50  Dazu

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Mein Sohn, verwirf die Zucht des Herrn nicht und sei nicht unwillig, wenn er dich zurechtweist; denn wen der Herr liebt, den weist er zurecht, und hat doch Wohlgefallen an ihm wie ein Vater am Sohn.

Die weisheitliche Tradition war entsprechend maßgeblich dafür verantwortlich, die jüdische Gotteserkenntnis mit hellenistischen Idealen von Bildung und Philosophie zu verklammern, nicht zuletzt durch die Übersetzung und Reformulierung hebräischer Weisheitsrede in griechischer Sprache in der Septuaginta.53 Zugleich verschob sich der Fokus auf das Individuum – zwar nicht abgelöst von sozialen Bezügen oder von religiöser Gemeinschaft, aber doch aus dem Kollektiv des Volkes Israel hervorgehoben. Insgesamt lässt sich in der Antike ein Trend zur Individua­ lisierung beobachten, der in der jüngeren Forschung verstärkt Aufmerksamkeit gefunden hat und auch im Bereich der Bildung zu beobachten ist.54 Wenn nun aber von individueller Bildung des Selbst in der Vormoderne gesprochen werden kann – wie steht es dann um die institutionelle Dimension? Ist Bildung in Gesellschaften, in denen keine strikte Unterscheidung von Subsystemen wie Religion, Politik, Kultur vorherrschte, dennoch so intensiv in die jeweiligen sozialen Vollzüge eingebunden, dass Bildung stets auch religiöse, politische, kulturelle Bildung ist? Gibt es also keine „säkulare“, nicht religiös konnotierte Bildung, sondern allenfalls eine stark individualisierte religiöse Bildung? Eine solche Einbindung von Bildung in das religiöse Fundament des Gemeinwesens ist in bestimmter Hinsicht evident: Tertullian beklagte, dass ein Christ, der Grammatik lehrt, nicht nur anhand von Mythen unterrichten und damit die „falschen“ Götter darstellen, sondern auch wie alle Lehrer an den Festtagen dieser Götter seinen Lohn entgegennehmen müsse.55 Unmöglich könne sich jemand glaubwürdig und dauerhaft von dem distanzieren, was er professionell vermitteln solle, „weshalb der Götzendienst treibt, welcher über die Götzen unterrichtet“.56 Tertullian verwendet den 53  Vgl. zur Bildung im hellenistischen Judentum die Aufsätze in Zurawski/Boccacini 2017 sowie den Beitrag von Roland Deines im vorliegenden Band (S. 245–267). 54  Vgl. dazu Rüpke/Spickermann 2012 sowie Rüpke 2013. Die Konstitution eines individuellen „Selbst“ ist in den Quellen der Antike freilich stets literarisch vermittelt und damit kulturell überformt: Bildung führt auch und zuerst zur Einpassung in soziokulturelle Rollenmuster, deren Durchbrechung mit dem Ziel der Konstitution von Individualität die (höchst aufschlussreiche!) Ausnahme ist. Weitaus häufiger zu beobachten (und darauf zielen die Beobachtungen von Rüpke und anderen) ist die bewusste und insofern individualisierte Aneignung gesellschaftlicher Werte und Rollenmuster – Individualität ist also nicht mit Devianz zu verwechseln, sondern lenkt den Blick auf das Individuum als Träger von Entscheidungen und deren Umsetzung in Handeln (vgl. die Einleitung in Rüpke 2013, bes. 7–16). 55  Tertullian, De idololatria 10,1 (SVC 1, 38,1–5 Waszink/van Winden): Quaerendum au­ tem est etiam de ludimagistris, sed et ceteris professoribus litterarum. Immo non dubitandum affines illos esse multimodae idololatriae: primum quibus necesse est deos nationum praedi­ care, nomina, genealogias, fabulas, ornamenta honorifica quaeque eorum enuntiare, tum sol­ lemnia festaque eorundem observare, ut quibus vectigalia sua suppetent. Vgl. hierzu Gemeinhardt 2007, 64–69. 56  Tertullian, De idololatria 10,6 (SVC 1, 40,27–29 Waszink/van Winden): Hinc prima diabolo fides aedificatur ab initiis eruditionis. Quaere, an idololatrian committat qui de idolis catechizat!

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Begriff catechizare, der zum terminus technicus für die christliche Taufunterweisung avancieren sollte, und deutet damit an, dass er die schola publica als Ort eines – sit venia verbo – „konfessionsgebundenen Religionsunterrichts“ sieht. Das war freilich eine Außenseitermeinung, schon innerhalb des antiken Christentums, vor allem aber in der vormodernen Welt, in der die exklusive Bindung an einen Gott erst mit dem Judentum und dem Christentum (sowie später mit dem Islam) zur Option wurde57 und die Vorstellung mit Unverständnis aufgenommen wurde, eine solche religiöse Affiliation würde notwendigerweise alle anderen gesellschaftlichen Vollzüge beeinflussen und (im Fall eines „falschen“ Gottes) sogar kontaminieren. Bildung wurde in der griechischen und römischen Welt weithin nicht als (explizit) religiös verstanden, selbst wenn Unterrichtstexte von Göttern handelten, gerade weil diese Götter in der sozialen Praxis der πόλις oder civitas begegneten – im Kult, in Bildern, Skulpturen und Inschriften, im kollektiven Gedächtnis, im geselligen Gespräch. Wissen über Götter und Göttliches gehörte hier zur soziokulturellen Identität und wurde in erster Linie auf dem Weg der Sozialisation, also beiläufig, erworben, diente aber – anders als im Judentum und im Christentum – nicht als exklusivierender Marker der eigenen religiösen Identität und wurde deswegen auch nicht gezielt vermittelt, um eine Konversion als Bruch mit früheren Loyalitäten zu erreichen – so der Anspruch der christlichen Mission, der in der Praxis freilich nicht so einfach umzusetzen war, wie die Klagen von Bischöfen und Predigern über „Halbchristen“ und „Heiden“ in ihren Gemeinden illustrieren.58 Das heißt freilich nicht, dass es in polytheistischen Gesellschaften keine religiöse Bildung gegeben habe. Nur wurde der kompetente Umgang mit Göttlichen im Kult oder im Gebet nicht ausdrücklich eingeübt oder unterrichtet. Man kann dies „religiös orientierte Bildung“ nennen, aber in anderer Weise als in den zuvor skizzierten philosophischen Reflexionen. In griechischen und römischen Städten ging es nicht um die Bildung des Selbst im Gegenüber zu (einem) Gott – aber auch nicht einfach um Bildung unter Absehung von Religiösem, also um „säkulare“ Bildung. Diese Leitdifferenz etablierte sich erst später, aber keineswegs erst in der Moderne. Zur Semantik dieser Unterscheidung, die schon das spätantike Christentum kannte, seien nur wenige Beispiele angeführt. Von saecula­ ris spricht in Bezug auf Bildung etwa der christliche Bischof Paulinus von Nola (gest. 431): Sein berühmter Zeitgenosse Augustin habe als Grammatiklehrer den jungen Licentius „von Kindheit an mit der ersten Milch weltlicher Weisheit erfüllt“59; über den 430 verstorbenen Augustin selbst sagt wiederum sein Biograph Possidius, er sei in jungen Jahren „in den weltlichen Wissenschaften erzogen, d. h. in allen Künsten unterwiesen [worden], die man die ‚freien‘ nennt“.60 57 

Dazu vgl. Zander 2016, 97–148. Dazu Gemeinhardt 2009. 59  Paulinus von Nola, Epistula 8,1 (FC 25/1, 214,4–6 Skeb): qui te tantillum sinu gestavit suo et a parvulis primo lacte sapientis saecularis imbutum. Übers. a. a. O. 215. 60  Possidius, Vita Augustini 1,1 (28,13 f. Geerlings): saecularibus litteris eruditus adprime, omnibus videlicet disciplinis inbutus, quas liberales vocant. Übers. a. a. O. 29. 58 

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Bereits um 200 n. Chr. referiert Tertullian die Meinung gebildeter Christen in Karthago, auf die herkömmliche Bildung nicht verzichten zu können, weil diese auch für das Christentum als eine auf (Bibel-) Texten und deren Interpretation basierende Religion unverzichtbar seien: „Wie können wir die weltlichen Studien zurückweisen, ohne die die religiösen nicht bestehen können?“61 Tertullian betrachtete dies anders als im Unterschied zu seinen Mitbürgern als ausschließlichen Widerspruch: Die „weltliche“ Literatur sah er als unrettbar „heidnisch“ kontaminiert, denn ein christlicher Lehrer müsste nach Lage der Dinge anhand von Geschichten über nichtchristliche Götter unterrichten – wie sollte beides miteinander vereinbar sein? Ebenso konstatierte ein halbes Jahrhundert später Pontius, der Hagiograph des hochgebildeten einstigen Rhetors und nunmehr als Märtyrer hingerichteten Bischofs Cyprian von Karthago (gest. 258): Die Taten eines Gottesmenschen dürfen erst ab dem Zeitpunkte gerechnet werden, wo er Gott geboren ist. Mag er auch zuvor Studien betrieben und sich voll Hingebung der Beschäftigung mit den edlen Wissenschaften gewidmet haben, so übergehe ich dennoch all das; denn es diente ihm höchstens zu weltlichen Zwecken.62

Der Apologet Commodian schrieb etwa zeitgleich: „O allzu glücklich einer, wenn er der Weltlichkeit entkommt! Soll er den anderen ein Tor sein, wenn er nur ein Weiser ist dem höchsten Gott.“63 Freilich ist diese schon beim Apostel Paulus (1 Kor 1,18–2,5) zu findende Antithese nicht ausschließlich in christlichen Schriften bezeugt: Von saecularis als „zeitlich, weltlich“ im Unterschied zu „ewig, göttlich“ ist auch bei dem Neuplatoniker Porphyrius (gest. ca. 305) die Rede, der seinerseits den Evangelisten vorwarf, sich „nicht nur in den weltlichen, sondern auch in den göttlichen Schriften nicht auszukennen“, weil im Neuen Testament Zitate bisweilen den falschen Propheten zugeordnet seien.64 Das zeigt, dass die religiöse Innovation des Monotheismus, an der auch die spätantike neuplatonische Philosophie partizipierte, mit einer Differenzierung im Bildungsbegriff Hand in Hand ging – mit dem tertullianischen und erasmischen Begriffspaar: Der Unterschied von religiöser und nichtreligiöser Bildung „war“ nicht einfach da, sondern „wurde“ erst selbst (aus-) gebildet. Dann aber gab es ihn, und so bleibt es eine lohnende Frage, wann, wo und anhand welcher Kriterien in der Vormoderne zwi61  Tertullian, De idololatria 10,4 (SVC 1, 38,20–40,21 Waszink/van Winden): Quomodo repudiamus saecularia studia, sine quibus divina non possunt? Übers. Vössing 1997, 305; weitere Belege aus Tertullians Schriften finden sich in Gemeinhardt 2007, 66.78 f. 62  Pontius, Vita Cypriani 2 (CSEL 3/3, XCI,17–21 Hartel): siquidem hominis Dei facta non debent aliunde numerari, nisi ex quo Deo natus est. fuerint licet studia et bonae artes deuotum pectus imbuerint, tamen illa praetereo: nondum enim ad utilitatem nisi saeculi pertinebant. Übers. J. Baer, BKV 34, 9. 63  Commodian, Carmen apologeticum 613 f. (CSEL 15, 155 Dombart): o nimium felix, sae­ cularia si quis euitet! / sit stultus aliis, sapiens dum sit deo summo. 64  Porphyrius, Contra Christianos frg. 9 Harnack = frg. 45F Becker = Hieronymus, Tractatus in Marci euangelium 1,1–12 (CChr.SL 78, 452,33–36 Morin): Euangelistae tam inperiti fuerunt homines, non solum in saecularibus, sed etiam in scripturis diuinis, ut testimonium quod alibi scriptum est, de alio ponerent propheta. Vgl. Becker 2016, 300 f.

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schen religiöser und nichtreligiöser Bildung unterschieden wurde, ob Bildung und Religion dabei in ein Spannungs- oder gar Konfliktverhältnis gerieten und ob sich eine solche Kontroverse auf rein literarischer oder lebenspraktischer Ebene bewegte. Letzteres – also eine tatsächliche Auswirkung religiöser Differenzen auf das Miteinander der Heranwachsenden in scholae publicae – war erheblich seltener der Fall, als die zeitweise erbitterten literarischen Fehden zwischen christlichen und nichtchristlichen Autoren suggerieren.

3. Bildung – Erziehung – Sozialisation Es ist nun freilich höchste Zeit, eine weitere Differenzierung einzuziehen. Denn auch wenn für die Vormoderne von Bildung gesprochen werden kann – ist überhaupt alles, wovon bisher gesprochen wurde, Bildung? Wenn „Bildung“ bisher analog zum modernen Begriffsgebrauch als selbstbezügliche Reflexion verstanden wurde, ist dann der transitive Gebrauch im Sinne einer Vermittlung von Kompetenzen und Wissen dasselbe oder etwas anderes? Sollte man hierfür besser von „Erziehung“ sprechen – wäre dann aber schon hinreichende Trennschärfe gegeben, oder bedürfte es weiterer Differenzierungen? Es muss also bedacht werden, welche Aspekte am Bildungsbegriff zu unterscheiden sind, wenn man ihn für die Analyse vormoderner Gegebenheiten fruchtbar machen will, ohne sich den naheliegenden Vorwurf zuzuziehen, man übersehe, dass der moderne Begriff ein Konzept des autonomen Subjekts voraussetze, das für die Vormoderne nicht ohne Weiteres zu veranschlagen sei. Die Notwendigkeit einer begrifflichen Differenzierung ergibt sich aber nicht erst aus dieser Frage nach der analytischen Leistungsfähigkeit eines modernen Begriffs für die Vormoderne, sondern schon aus den antiken und mittelalterlichen Quellen selbst. Hier begegnen zahlreiche unterschiedliche quellensprachliche Begriffe, die zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Denn es bedarf keines Sonderforschungsbereichs, um festzustellen, dass παιδεία im Griechischen und eruditio im Lateinischen in einem Zusammenhang ganz Ähnliches, in einem anderen Kontext aber durchaus sehr Verschiedenes bedeuten können Wiederum ist das arabische Wort adab mit den genannten Begriffen nicht notwendigerweise deckungsgleich. Schließlich kann tora im Hebräischen nur als Behelfsausdruck für „Bildung“ fungieren, und zwar nur dann, wenn man diese von vornherein als religiöse Bildung auffasst: Tora findet – anders als etwa παιδεία – nicht als Oberbegriff für die soeben beschriebene Unterscheidung von „weltlicher“ und „religiöser“ Bildung Verwendung.65 Dass jeder dieser Begriffe auch für sich genommen kon-

65  Signifikanterweise wird hier die Wendung „talmud tora“ („Tora lernen“) als terminus technicus verwendet; vgl. Talabardon 2018, 227–230 sowie den Beitrag von Gerhard Langer in diesem Band (S. 269–281).

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textspezifisch Unterschiedliches bezeichnen kann, macht das Unterfangen nicht übersichtlicher, wie ein genauerer Blick auf den Begriff παιδεία zeigt: Dieser – fungiert in kaiserzeitlichen Inschriften als Ausdruck allgemeinen Lobes einer nicht näher spezifizierten Gelehrsamkeit66, – erscheint parallel dazu – sogar im lateinischen Sprachraum – als Inbegriff einer „abgerundeten Bildung“ (ἐγκύκλιος παιδεία)67, – begegnet im jüdisch-hellenistischen Sprachgebrauch der Septuaginta (überwiegend) als Ausdruck des „züchtigenden“ (d. h. erzieherischen) Handelns Gottes68 und – dient im spätantiken christlichen Mönchtum bisweilen als Chiffre für alles „Weltliche“ bzw. für die literarische Bildung, die rechte Asketen und Asketinnen hinter sich lassen müssen (was keineswegs immer klappt).69 Kann und sollte man all das als „Bildung“ bezeichnen? Wenn ja, dann bedarf es dafür eines analytischen Rasters, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der erwähnten und verwandter Begriffe zu kategorisieren. Wie beim Bildungsbegriff selbst gehe ich dabei erneut von einer modernen Unterscheidung aus, nämlich von Bildung, Erziehung und Sozialisation.70 Während Bildung, wie schon gesehen, Selbstbezüglichkeit, Selbsttätigkeit und Nichtinduzierbarkeit beinhaltet, hat Er­ ziehung als externe Einwirkung von Menschen auf Menschen transitiven und (in der Regel) affirmativen Charakter: Es geht um die Einweisung in eine bestehende soziale, kulturelle oder religiöse Praxis, die angeeignet werden soll. Dies erfolgt wiederum absichtsvoll (intentional), z. B. durch entsprechende Institutionen mit konkreten Lehrerrollen und Curricula.71 Eine solche Erziehung ist grundsätzlich operationalisierbar, es lassen sich Ziele sowie Mittel und Sanktionen angeben, mithilfe derer Erziehungsprozesse gesteuert werden. Die Aneignung einer vorgegebenen Praxis vollzieht sich aber auch absichtslos (nicht intentional), z. B. durch Teil66  Vgl. als Beispiel nur die von Schmitz 1997, 15 aufgeführten Ehreninschriften für T. Aelius Alcibiades aus Nysa (IEph 22; Bd. Ia, 135,8–11: Αἴλι[ος] Ἀλκιβιάδης ἀνὴρ παιδείᾳ καὶ μεγαλοφροσ[ύνῃ] [δ]ιαφέρων τοῖς τε ἄλλοις τῆς ἀ[ρ]ετῆς καλο[ῖς] κεκοσμημένος), für Gn. Pompeius Quartinus (IEph 710; Bd. III, 104,6–9: ἀρετῆς ἕνεκα καὶ τῆς πρὸς αὐτοὺς εὐνοίας καὶ τῆς ἐν παιδείᾳ δόξης) sowie (wahrscheinlich) für M. Antonius Aristides Euander (IEph 742; Bd. III, 137,6: ἤθους καὶ παιδείας ἕνεκεν). 67 Quintilian, Institutio oratoria 1,10,1 (I 126 Rahn): Nunc de ceteris artibus, quibus insti­ tuendos, priusquam rhetori traduntur, pueros existimo, strictim subiungam, ut efficiatur orbis ille doctrinae, quem Graeci ἐγκύκλιον παιδείαν vocant. 68  Spr 3,12 LXX; Ps 117,18 LXX; hiernach z. B. Eph 6,4. Das Schwanken zwischen „Zucht“ und „Erziehung“ im frühen Christentum lässt sich prägnant am Ersten Clemensbrief (um 100 n. Chr.) beobachten (dazu Gemeinhardt 2007, 7 f. mit den relevanten Belegen). 69  T heodoret von Kyros, Historia religiosa 13,8 (SC 234, 490,2–6 Canivet/Leroy-Molinghen). 70  Grundlegend für das Folgende: Borst 2011, 21–27; Schröder 2012, 214; zum Verhältnis von Bildung und Erziehung vgl. auch Dressler 2006, 114–118. 71  Diese waren (wiederum unter Beachtung der Pluralität von Institutionen und ihrer Unterscheidung von Organisationen) T hema einer Ringvorlesung des SFB (Gemeinhardt/ Tanaseanu-Döbler 2018).

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nahme an den entsprechenden Praktiken in der Familie, durch Beobachtung anderer Akteure bei kultischen Verrichtungen, durch „learning by doing“. Für solche Lernprozesse wird von Sozialisation gesprochen: Hier sind Lehrer- und Schülerrollen nicht durch Kontrakte, Regeln oder Usurpation, sondern durch Tradition und Übereinkommen begründet (z. B. was die pädagogische Bedeutung von Müttern für ihre Kinder betrifft), und es finden sich keine ausdrücklichen Ziele oder Wege zur Aneignung von sozialen, kulturellen und religiösen Praktiken. Sozialisation erfolgt also grundsätzlich unthematisch – dabei aber in Vormoderne und Moderne sehr erfolgreich. Diese Differenzierung hat unmittelbare Auswirkungen auf den Grad der Zugänglichkeit der jeweiligen Prozesse für eine historische Untersuchung: Was sich beiläufig ergibt, wird seltener in schriftlichen Quellen thematisiert als das, was bewusst erreicht werden soll und wofür Handlungsanweisungen gegeben werden, sowohl für die Adressaten als auch für die Akteure erzieherischen Handelns.72 Die Reflexion des eigenen Selbst im Gegenüber zu Gott ist wiederum im Vergleich zum praktischen Lernen ein selteneres Phänomen, dessen Beschreibung methodisch anspruchsvoll ist. Erziehung ist darum derjenige Bereich von Bildung, der am besten zu beobachten und am breitesten bezeugt ist: Während selbstbezügliche Bildung (wie bei der delphischen Tempelinschrift und deren Interpretation bei Plutarch) im Modus des Appells oder (wie in Augustins Confessiones) im Modus des Selbstzeugnisses auftritt und die für Sozialisation typische Beiläufigkeit naturgemäß ihre Rekonstruierbarkeit beeinträchtigt, sind intentional gesteuerte LehrLern-Prozesse auf Nachvollziehbarkeit angelegt und ermöglichen es in vielen Fällen, das im Titel meines Vortrags genannte Verhältnis von Norm und Praxis zu beleuchten. Dabei ist selbstverständlich mit Überschneidungen der hier idealtypisch beschriebenen Bereiche zu rechnen: Von Sozialisation zu sprechen schließt nicht aus, dass dabei Fragen gestellt, Erklärungen gegeben und Gründe benannt werden – auch in der Antike werden Kinder nach dem „Warum“ einer religiösen Verrichtung gefragt haben! Die Differenz zu Erziehung liegt vielmehr in der Operationalisierbarkeit solcher Prozesse durch Regeln und Rollen, damit auch in ihrer grundsätzlichen T heoretisierbarkeit. Von Bildung ist wiederum da zu sprechen, wo der oder die Einzelne zur Reflexion, möglicherweise sogar zur Kritik vorgegebener und angeeigneter Praktiken gelangt oder jedenfalls gelangen soll. Innerhalb der Trias ist daher genauer von ‚Selbst-Bildung‘ als dritter Komponente zu sprechen. Bildung in diesem Sinne unterscheidet sich von Erziehung als intentio72  Dem entspricht, dass in Nachschlagewerken wie dem Reallexikon für Antike und Chris­ tentum (Fuchs 1954; Blomenkamp 1966), dem Neuen Pauly (Christes 1997; 1998) oder der T heologischen Realenzyklopädie (Lennert u. a. 1980; Nipkow 1982), um nur einige deutschsprachige Werke mit enzyklopädischem und interdisziplinärem Anspruch zu nennen, zwar jeweils Artikel zu „Bildung“ und „Erziehung“ zu finden sind, nicht aber „Sozialisation“ oder anderen Komponenten des Bildungsgeschehens in umfassendem Sinne. Meist stehen die genannten Artikel weitgehend unverbunden nebeneinander – die Unterscheidung von einzelnen Dimensionen eines Bildungs-Gesamtgeschehens, wie sie hier vertreten werden soll, wird damit eher verhindert als angebahnt.

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naler Steuerung von Lernprozessen – auch wenn Bildung und Lernen durchaus im Zusammenhang stehen73 – und zeichnet sich durch das Fehlen unmittelbarer lebenspraktischer Verwertbarkeit aus: „Das ärgste Bildungshindernis drückt sich in der Frage aus, die an jeden beliebigen Bildungsgegenstand gerichtet wird: Wozu kann ich das gebrauchen?“74 Ein spezifisches Problem besteht freilich schon in der modernen Begrifflichkeit: Für das deutsche Wort ‚Bildung‘ stellen, wie schon erwähnt, das eng­lische ‚education‘ oder das französische ‚éducation‘ kein unmittelbares Äquivalent dar. Ich beschränke mich hier auf das Englische: In der Forschungsliteratur wird ‚education‘ meist im Sinne von ‚Erziehung‘ verstanden und – zumal wenn die Kinder-Erziehung im Blick ist – von Vorgängen wie ‚training‘ oder ‚instruction‘ abgegrenzt.75 Für ‚Bildung‘ behilft man sich daher beispielsweise im Englischen mit ‚self-formation‘; die oben mit Verweis auf Meister Eckhart benannten theologischen und ikonologischen Konnotationen des Begriffs sind dabei überwiegend nicht im Blick.76 Diese Beobachtung spricht, für sich genommen, weder einfach für das Deutsche oder gegen das Englische oder Französische – zu fragen ist aber, inwieweit der Begriff ‚Bildung‘ heuristisches Potential birgt, der es gerechtfertigt erscheinen lässt, auch in einer internationalisierten (drastischer gesagt: weitgehend anglophonen) Wissenschaftslandschaft mit ihm zu arbeiten. Das betrifft die Leitperspektive auf die oben beschriebenen Prozesse der Sozialisation, Erziehung und Selbst-Bildung in ihrer offensichtlichen Vielfalt. So ließe sich sagen, dass im Englischen und Französischen die hier zu behandelnde Spannweite von Prozessen ausgehend vom Lehren und Lernen in den Blick kommt, im Deutschen von der (Selbst-) Bildung. Hier zu begrifflicher Klarheit zu gelangen ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil für die mediterrane Vormoderne lange explizit oder implizit von einem stabilen ‚Bildungssystem‘ ausgegangen worden ist, zumindest für die griechisch-römische Welt. Henri-Irénée Marrou hat mit seinem epochalen Werk Geschichte der Erzie­ hung im klassischen Altertum77 ein bestechend kohärentes Bild eines dreistufigen Schulsystems gezeichnet, das den gesamten Komplex von Sozialisation, Erziehung und Selbst-Bildung unter dem französischen Begriff ‚éducation‘ (daher im Deutschen zutreffend mit ‚Erziehung‘ betitelt) summierte. Für das von ihm beschrie73  Vgl. Schröder 2012, 230: „‚Bildung‘ bezeichnet den facettenreichen Prozess der Subjektwerdung des Menschen und dessen – notwendigerweise vorläufig bleibendes – Resultat; Bildung geht nicht im lernenden Erwerb von Kenntnissen, Fertigkeiten und Haltungen auf, schließt diesen aber ein.“ 74  Dörrie 1972, 19. 75  Vgl. Tanaseanu-Döbler/Döbler 2015, 488 f. 76  Das schließt nicht aus, dass auch „education“ die entsprechenden Bedeutungsebenen haben kann, so Tanaseanu-Döbler/Döbler 2015, 489: „Education can range thus from the upbringing of a child in its family over schooling and academic training (‚public education‘, ‚educational system‘, ‚university education‘) to inner (trans)formation, lifelong learning, and continuous self-improvement, e.g. through ‚adult education‘ or ‚informal education‘.“ 77  Marrou 1948 (deutsch 1957; Nachdruck mit veränderter Paginierung 1977).

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bene Erziehungssystem lassen sich auch historische Beispiele finden, nicht nur für dessen einzelne Komponenten, sondern auch für den postulierten Gesamtzusammenhang von Schulstufen78: So kann man den Confessiones Augustins eine komplette Bildungskarriere entnehmen, von der frühen Sozialisation in einem halb christlichen, halb provinz- und damit traditionsrömischen Elternhaus über den Besuch der Elementar-, der Grammatik- und der Rhetorikschule bis zur reflexiven Ablegung von Rechenschaft coram deo über den eigenen Weg. Bei Augustin können wir von ‚Bildung‘ sprechen, insofern das sich selbst im Gegenüber zu Gott kritisch betrachtende Subjekt den Angelpunkt bildet, von dem aus auch Prozesse der Sozialisation und Erziehung in den Blick kommen, einschließlich der Klage über traumatisierende Erfahrungen im Unterricht in klassisch-paganer Literatur, der dem Bereich der Erziehung zuzuordnen wäre. Nicht zufällig hatte Marrou schon ein Jahrzehnt zuvor ausgerechnet an Augustin das „Ende der klassischen Bildung“ festgemacht. Und selbst wenn er das dort gezeichnete Bild der Spätantike als einer „Verfallszeit“ bald einer retractatio unterzog79, bezieht das antike Schulsystem in der „Geschichte der Erziehung“ seine Kohärenz nicht zuletzt aus dem Vergleich mit späteren Zeiten, in der die Harmonie der Bildungsgüter und -prozesse durch die Transformationen der Völkerwanderungszeit, aber auch durch die unablässige christliche Kritik unterminiert und ausgehöhlt worden war – womit sich das im Grunde bildungsaffine Christentum gewissermaßen selbst sein Grab geschaufelt hatte, aus dem es in der Moderne in humanistischem Gewand wieder auferstehen möge, so Marrous Hoffnung!80 Das Problem ist allerdings, dass das in Marrous Buch kanonisierte „dreigliedrige Schulsystem der Antike“, soweit erkennbar, fast nur von Augustin und einigen wenigen anderen komplett absolviert wurde. Bei näherem Hinsehen war es nicht die Regel, sondern die Ausnahme, dass jemand alle drei Schulstufen besuchte und sich einer interessierten Leserschaft als gebildetes, eigentlich aber zunächst in fataler Weise „ver-bildetes“ und letztlich erst nach lebenslangen Suchbewegungen geläutertes Selbst präsentierte.81 Das bedeutet: Es ist zwar nicht verkehrt, den verfügbaren Quellen ein geordnetes Nacheinander von Lehrern, Erziehungsinstitutionen und -gehalten zu entnehmen, das als solches von der hellenistischen Zeit bis zum Ausgang der Spätantike eine erstaunliche Kontinuität aufwies. Das soge78  Marrous Darstellung suggeriert eine Vergleichbarkeit mit modernen dreigliedrigen Schulsystemen. Von einer Gliederung der antiken Bildung in „primäre, sekundäre und tertiäre Bildung“ spricht auch Dihle 1986, 198; weitere Beispiele bei Gemeinhardt 2007, 12 Anm. 48. 79  Erstausgabe: Marrou 1938 (deutsch 1982); die retractatio findet sich in der 1949 erschienenen zweiten Auflage (41958, 623–713 = 21995, 483–543). 80  Charakteristisch ist die Feststellung von Marrou 1977, 576: „Das Christentum ist eine gelehrte Religion und kann nicht in Verbindung mit Barbarei gedacht werden.“ Vgl. hierzu Gemeinhardt 2007, 11–13 sowie jetzt vor allem den Beitrag von Christoph Auffarth in diesem Band (S. 39–65). 81  Vgl. Vössing 1997, 567; Befund und Diskussion präsentiert summarisch Gemeinhardt 2007, 28–34.

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nannte Höchstpreisedikt Kaiser Diokletians aus dem Jahr 301 benennt die drei Typen von Schulen und Lehrern klar.82 Und auch auf Analogien zwischen der Organisation von Bildung im griechisch-römischen und im jüdischen Bereich ist längst hingewiesen worden.83 Doch ist nicht so klar, wie diese Norm vor Ort in Praxis umgesetzt wurde und welche Modifikationen sich im konkreten Fall ergaben. Weder normative Texte wie das erwähnte kaiserliche Gesetz noch Lehrbücher wie Quintilians Institutio oratoria spiegeln einfach die Wirklichkeit, sondern versuchen sie vielmehr kritisch zu reflektieren und zu normieren – was wiederum auf die bleibende Verbesserlichkeit des Vorfindlichen schließen lässt. Anders gesagt: Eine Dissonanz von Bildungsplänen und deren Umsetzung scheint nicht erst ein Phänomen der Spätmoderne zu sein! Das gilt insbesondere für den Inbegriff ‚klassischer‘ Bildung schlechthin, die sogenannte ἐγκύκλιος παιδεία, die „abgerundete Bildung“, die als Begriff und Ideal seit dem Hellenismus bzw. der späten römischen Republik begegnet, erstmals im 1. Jahrhundert v. Chr. bei Vitruv als encyclios disciplina erwähnt und von Quintilian als „Kreis des Wissens“ (orbis doctrinae) latinisiert wurde.84 Der Umfang und die Reichweite dieses vermeintlichen Kanons werden im konkreten Fall unterschiedlich bestimmt.85 So erklärt der römische Literat Aulus Gellius im 2. Jahrhundert n. Chr.: „Man kann es beinahe als Mensch-Sein bezeichnen, was die Griechen paideia nennen, wir aber Erziehung und Unterweisung in den guten Künsten.“86 Und schon Cicero (106–43 v. Chr.) erklärte, dass „niemand zu den Rhetoren gezählt werden darf, der nicht vollkommen in allen Künsten bewandert ist, die eines freien Mannes würdig sind.“87 Ist die ἐγκύκλιος παιδεία bzw. sind die bonae artes oder artes liberales – so der in der Rezeption dominierende, in der Antike freilich nur gelegentlich zu findende Terminus technicus88 – also synonym mit umfassender Bildung, ja Humanität im Sinne des Seneca, Tertullian oder auch Erasmus? Die Quellen schwanken darin: Eine Grabinschrift preist den 22jährig verstorbenen Mauretanier M. Damatius Urbanus als „in den höchsten Stufen der freien Künste, in der Literatur beider Sprachen vollkommen ausgebildet, von glän82  Edictum imperatoris Diocletiani de pretium rerum venalium 7,66.70 f. (124 f. Lauffer): magistro instituto[ri] litterarum in singulis discipulos menstruos L… [g]rammatico Graeco sive Latino et geometrae in singulis discipulos menstruos ducentos. oratori sive sofistae in singulis discipulos menstruos ducent[o]s quinquaginta. 83  Vgl. Langer 2012, 19 mit Verweis auf zahlreiche Arbeiten von Catherine Hezser (insb. 1997 und 2001). 84  Vitruv, De architectura 1,1,12 (30,25 f. Fensterbusch): encyclios enim disciplina uti cor­ pus unum ex his membris est composita. Zu Quintilian, Institutio oratoria 1,10,1 vgl. oben Anm. 67. 85  Zum Folgenden vgl. Gemeinhardt 2007, 46–51 (mit Quellenbelegen und Literatur). 86  Aulus Gellius, Noctes atticae 13,17,1 (II 399,27–29 Marshall): humanitatem appellarunt id propemodum, quod Graeci παιδείαν. 87 Cicero, De oratore 1,16,72 (38,6–8 Nüßlein): Sic sentio neminem esse in oratorum nu­ mero habendum, qui non sit omnibus iis artibus, quae sunt libro dignae, perpolitus. 88  Dazu vgl. Hadot 1997, 25–28.

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zender Rednergabe“89; vom Alter her könnte er also das beschriebene Schulcurriculum absolviert haben. Augustin hingegen berichtet: Erst nach der rhetorischen Ausbildung „habe ich alle Bücher der freien Künste […] für mich gelesen und auch verstanden, soviel ich ihrer nur immer lesen konnte“.90 Erst durch solche Belesenheit kommt für Augustin die schulische Bildung zu ihrem eigentlichen Ziel, erst jetzt darf der Mensch als „nicht nur überaus redegewandt (eloquentissimus), sondern in höchstem Maße gelehrt (doctissimus)“ gelten.91 Um die ‚freien Künste‘ zur Vollendung zu bringen, muss man sich also von der Normierung durch Schule und Lehrer befreien, die eine ars oder τέχνη verlässlich vermitteln, den Blick aber nicht über das Erlernbare und damit Reproduzierbare hinaus zu erheben anleiten – diese Stufe wird dann oft als ‚Philosophie‘ beschrieben und gilt als nur von wenigen erreichbar (schon weil man dafür Zeit braucht, was alle ausschließt, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen!). Bildung lässt sich also – auch wenn es unterschiedliche Stufen gibt, die angestrebt werden können – gezielt vermitteln, und wo das erfolgreich geschieht, führt sie über Erziehung und Sozialisation hinaus. Dass es dafür des sukzessiven Erklimmens bestimmter Stufen bedurfte, blieb in der Vormoderne freilich nicht unbestritten. Was das entscheidende Bildungsgut sei und ob es gelehrt werden könne, wird paradigmatisch in Platons Dialog Protagoras diskutiert, in dem Sokrates (gest. 399 v. Chr.) auf den Sophisten Protagoras (gest. ca. 411 v. Chr.) trifft, also einen professionellen Lehrer höherer Bildung. Protagoras gibt sich überzeugt, die Jugend mehr und besseres lehren zu können als andere Sophisten, die lediglich in „Künsten“ (τέχναι) wie Astronomie, Geometrie oder Musik bewandert seien, also in Teilen der Wissensbestände, deren Beherrschung später zur ἐγκύκλιος παιδεία zählen sollte. Bei ihm, Protagoras, werde hingegen ein junger Mann „nur das lernen, weswegen er gekommen ist“.92 Der misstrauische Sokrates vergewissert sich, dass Protagoras auch tatsächlich meint, was er sagt – „Du scheinst mir nämlich das die Tätigkeit eines Bürgers betreffende Fachwissen zu meinen und zu versprechen, tüchtige Bürger zu schaffen?“ 93 – und setzt dem seine eigene Ansicht entgegen, die kompetente Partizipation am Staatswesen, ja die Tugend sei

89  CIL VIII 8500 (Setif/Sitifis, 229 n.Chr.), Z.4–10: „summarum ar|tium liberalium, | lit­ terarum studiis | utriusq(ue) lingua | perfecte eruditus, | optima facundia | praeditus“; vgl. Vössing 1997, 392 Anm. 1337. 90 Augustin, Confessiones 4,16,30 (CChr.SL 27, 55,1–3 Verheijen): „omnes libros artium, quas liberales uocant… per me ipsum legi et intellexi, quoscumque legere potui“; Übers. Bernhart, 185. 91 Augustin, De quantitate animae 33,70 (CSEL 89, 217,19f. Hörmann). Ein entsprechendes Prädikat erhielt z. B. Cicero (Augustin, De civitate dei 9,4; CChr.SL 47, 252,32 Dombart / Kalb; De civitate dei 22,6; CChr.SL 48, 812,16f. Dombart / Kalb). 92  Platon, Protagoras 318e: παρὰ δ’ ἐμὲ ἀφικόμενος μαθήσεται οὐ περὶ ἄλλου του ἢ περὶ οὗ ἥκει. Übers. Manuwald, 24. 93  Platon, Protagoras 319a: δοκεῖς γάρ μοι λέγειν τὴν πολιτικὴν τέχνην καὶ ὑπισχνεῖσθαι ποιεῖν ἄνδρας ἀγαθοὺς πολίτας; Übers. Manuwald, 24.

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grundsätzlich nicht lehrbar.94 Denn während die Athener in allen Angelegenheiten, die Gegenstand einer τέχνη und insofern „lehrbar und lernbar“ (μαθητά τε καὶ διδακτά) seien, auf den Rat der Fachleute setzten, täten sie das in den Angelegenheiten der πόλις ausdrücklich nicht: Hier dürfe vielmehr jeder an der Diskussion teilnehmen, und denen wirft niemand vor wie den zuvor Genannten, daß sie, ohne es irgendwoher gelernt zu haben, ohne auch nur irgendeinen Lehrer vorweisen zu können, dennoch versuchen zu raten. Denn offensichtlich halten sie das nicht für lehrbar.95

Vielmehr ließ sogar der große Staatsmann Perikles (gest. 429 v. Chr.) seine beiden Söhne auf den Gebieten, wofür es Lehrer gab, sehr gut erziehen; worin er aber selbst kundig ist, erzieht er sie weder selbst, noch vertraut er sie einem anderen an, sondern sie gehen auf sich gestellt hierhin und dorthin, wie herrenlose Tiere auf der Weide, ob sie vielleicht einfach so auf die Tüchtigkeit stießen.96

Demnach wäre entgegen dem Selbstbewusstsein des Sophisten Protagoras das Eigentliche, was einen freien Bürger Athens auszeichnete, nicht von Lehrern, ja nicht einmal durch das Vorbild des eigenen, öffentlich erfolgreich agierenden Vaters vermittelbar. Gewissermaßen über den Bereich der Erziehung in lehrbaren Künsten hinweg schließt sich – jedenfalls nach Ansicht des Sokrates – der Kreis vom ‚learning by doing‘ zur wahren Tugendhaftigkeit, damit aber – so könnte man sagen – zur vollkommenen Geistesbildung. Diese in den platonischen Dialogen vielfach zu findende Kritik an der zeitgenössischen Sophistik hat maßgeblich dazu beigetragen, dass professionelle Lehrer der Rhetorik in Antike und Mittelalter vielfach eine schlechte Presse hatten; im frühen christlichen Mönchtum erscheinen sie regelmäßig als nur vermeintlich Gebildete, tatsächlich aber „Ver-Bildete“, die einen von Natur aus weisen und tugendhaften Eremiten – natürlich vergeblich – auf die Probe stellen wollen97, und noch im Hochmittelalter mussten sich die innovativen Köpfe als dialectici schmähen lassen, bevor sich im 12. Jahrhundert neue Formen des Lehrens und Lernens und der Autorisierung der Akteure durchsetzten.98 Freilich mag schon zu Platons Zeiten das reale Bild anders ausgesehen haben, wie die weite Verbreitung von Rhetorikschulen in hellenistischer Zeit suggeriert – nicht jeder Freigeborene war ein Perikles oder gar Sokrates! 94 Platon, Protagoras 320b: οὐχ ἡγοῦμαι διδακτὸν εἶναι ἀρετήν (mehrfach in variierter Form wiederholt). 95  Platon, Protagoras 319d: καὶ τούτοις οὐδεὶς τοῦτο ἐπιπλήττει…, ὅτι οὐδαμόθεν μαθών, οὐδὲ ὄντος διδασκάλου οὐδενὸς αὐτῷ, ἔπειτα συμβουλεύειν ἐπιχειρεῖ· δῆλον γὰρ ὅτι οὐχ ἡγοῦνται διδακτὸν εἶναι. Übers. Manuwald, 25. 96  Platon, Protagoras 319e–320a: ἐπεὶ Περικλῆς, ὁ τουτωνὶ τῶν νεανίσκων πατήρ, τούτους ἃ μὲν διδασκάλων εἴχετο καλῶς καὶ εὖ ἐπαίδευσεν, ἃ δὲ αὐτὸς σοφός ἐστιν οὔτε αὐτὸς παιδεύει οὔτε τῳ ἄλλῳ παραδίδωσιν, ἀλλ’ αὐτοὶ περιιόντες νέμονται ὥσπερ ἄφετοι, ἐάν που αὐτόματοι περιτύχωσιν τῇ ἀρετῇ. Übers. Manuwald, 25. 97  So bei Athanasius, Vita Antonii 74,1; 77,2–78,2 (FC 69, 268,4 f.; 274,7–33 Gemeinhardt). 98  Hierzu jetzt ausführlich Rexroth 2018.

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Inwiefern Schule und Lehrer zur rechten Erziehung oder zur wahren Bildung beitragen können, wurde also ganz unterschiedlich eingeschätzt. Bisweilen konnte der Begriff der ἐγκύκλιος παιδεία aber auch prinzipiell kritisch beurteilt werden, wie Athenaeus in einem kaiserzeitlichen Bildungskompendium aus dem frühen 3. Jahrhundert über den Philosophen Epikur berichtet: Da Epikur selbst in der ἐγκύκλιος παιδεία unbewandert war, pries er die, welche gleichermaßen daran vorbei zur Philosophie vorangeschritten waren, und zwar mit diesen Worten: „Ich preise dich, weil du zur Philosophie vorgedrungen bist, unbefleckt von jeglicher παιδεία.“99

Ob uns Athenaeus damit tatsächlich etwas über Epikur oder eher über den Bildungsdiskurs seiner eigenen Zeit lehrt, sei dahingestellt. Verbreiteter ist jedenfalls in hellenistischer Zeit die Vorstellung, dass die ἐγκύκλιος παιδεία vor allem „der Vorbereitung auf die Philosophie“ dient und darin auch ihre Beschränkung findet.100 Das kann z. B. bei Seneca so ausgedrückt werden, dass man auf die artes liberales nicht verzichten könne, sie aber schnellstmöglich hinter sich lassen solle: „Nicht lernen sollen wir derlei, sondern gelernt haben!“101 Wenig später ist im Bereich der frühchristlichen Literatur, bei Clemens von Alexandrien (gest. ca. 215), eine konstruktiver formulierte Ansicht belegt: Wie die allgemeinen Lehren (ἐγκύκλια μαθήματα) Beiträge für ihre Herrin, die Philosophie, liefern, so wirkt auch die Philosophie selbst beim Erwerb der Weisheit mit.102

παιδεία erscheint hier also nicht als etwas, das man vermeiden sollte, sondern vielmehr als nützliche „προ-παιδεία“ im Rahmen eines Curriculums, das in Form eines kontinuierlichen Aufstiegs zum Wissen um Göttliches führt. Der Begriff kann also sowohl selbsttätige Bildung als auch intentionale Erziehung bezeichnen; ob die schulische Erziehung zur „eigentlichen“ Bildung beiträgt, wurde kontrovers diskutiert. Das heißt: Es muss jeweils kontextspezifisch bestimmt werden, was ein πεπαιδευμένος oder litteratus ist. Damit hängt zusammen, ob eine solche Erziehung in institutionalisierten Schulen oder in der Familie geleistet wurde; für die   99 Athenaeus, Deipnosophistae 13.588a (53.8–12): ὅστις ἐγκυκλίου παιδείας ἀμύητος ὢν ἐμακάριζε καὶ τοὺς ὁμοίως αὐτῷ ἐπὶ φιλοσοφίαν πα8ρερχομένους, τοιαύτας φωνὰς προιέμενος· ‚μακαρίζω σε, ὦ οὗτος, ὅτι καθαρὸς πάσης παιδείας ἐπὶ φιλοσοφίαν ὥρμησαι.‘ Mit dem neutestamentlichen Begriffsgebrauch (Mt 5,3–10) im Ohr ist es verführerisch, zu übersetzen: „Selig preise ich dich, weil du zur Philosophie vorgedrungen bist …“! 100  Dihle 1986, 191 mit Verweis auf Philo von Alexandrien, De congressu 139–150 (202– 210 Alexandre). 101  Seneca, Epistula ad Lucilium 88,2 (IV, 296 Rosenbach): Non discere debemus ista, sed didicisse. 102  Clemens von Alexandrien, Stromateis 1,5,30,1 (GCS Clemens Alexandrinus II, 19,13– 17 Stählin/Früchtel/Treu): Ἀλλ’ ὡς τὰ ἐγκύκλια μαθήματα συμβάλλεται πρὸς φιλοσοφίαν τὴν δέσποιναν αὐτῶν, οὕτω καὶ φιλοσοφία αὐτὴ πρὸς σοφίας κτῆσιν συνεργεῖ. ἔστι γὰρ ἡ μὲν φιλοσοφία ἐπιτήδευσις σοφίας, ἡ σοφία δὲ ἐπιστήμη θείων καὶ ἀνθρωπίνων καὶ τῶν τούτων αἰτίων. κυρία τοίνυν ἡ σοφία τῆς φιλοσοφίας ὡς ἐκείνη τῆς προπαιδείας. Clemens greift hier teilweise wörtlich auf Philo von Alexandrien, De congressu 79 (156–158 Alexandre) zurück. Vgl. Origenes, Epistula ad Gregorium T haumaturgum 1 (FC 24, 214,11 f. Guyot/Klein).

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zuletzt genannte Variante steht der römischen Tradition paradigmatisch der ältere Cato, der für seinen Sohn höchstpersönlich als Grammatik- und Rechtslehrer sowie als Trainer bei der körperlichen Ertüchtigung fungiert habe, wie Plutarch zu berichten weiß.103 Diese Schlaglichter machen deutlich, dass schon in der Vormoderne umstritten war, wie Bildung und Erziehung zueinander ins Verhältnis zu setzen sind und voneinander – sowie von Philosophie als möglicher Höchstform des Wissens – abgegrenzt werden können. Dabei ist zu beachten, dass in der Vormoderne Bildung allgemein in geringerem Maße als in der Moderne von Erziehung zu unterscheiden ist.104 Hinzu kommt der in den Quellen meist nur indirekt zu fassende, tatsächlich aber wohl entscheidende pädagogische Aspekt der Sozialisation durch Partizipation und Imitation, das heißt (erneut mit einem modernen Begriff) „Erfahrungsund Umgangslernen“105. Einweisung durch Anschauung umfasst die meisten Bildungsprozesse in der Antike.106 Damit kommt einerseits die praxeologische, andererseits die soziale Dimension von Bildung in den Blick: Nicht die theoretische Reflexion über Gott, Götter und Göttliches war der Regelfall, sondern das Streben nach kompetenter, jedenfalls unfallfreier Mitwirkung am Kult, soweit es die handelnden Personen betraf, und nach ungehinderter Teilhabe, was die nicht selbst Aktiven anging. Wie man im oben erwähnten „proto-humanistischen“ Sinne durch Bildung Mensch wurde, ist nicht davon abzulösen, dass es daneben und zuvor darum ging, in einer politischen und/oder religiösen Gemeinschaft erfolgreich kommunikativ zu handeln, und zwar sowohl mit den Göttern als auch mit den Mitmenschen. Das aber lernte man – wie es scheint – überwiegend durch beobachtende Teilhabe und praktisches Training, also durch Sozialisation; und das galt selbst für religiöse Experten – nicht nur in griechischen und römischen Kultgemeinschaften, sondern auch im spätantiken Christentum sucht man weitgehend vergebens Institutionen und Prinzipien einer Klerikerausbildung.107 Sozialisation muss demnach als Normalfall antiker und mittelalterlicher Bildung gelten. Nicht nur die Einweisung in den römischen mos maiorum108, auch die Integration in die Lebensform einer asketischen Gruppe109 oder in einen Lernzirkel des rabbinischen Judentums110 erforderte eine gezielte, durch Tradition und/oder Experten und Autoritäten gesteuerte Erziehung; doch legte Sozialisation erst das Fundament, um am sozialen Leben der eigenen Gruppe, Stadt oder 103 Plutarch, Cato 20,6 (314,15 f. Ziegler): αὐτὸς μὲν ἦν γραμματιστής, αὐτὸς δὲ νομοδιδάκτης, αὐτὸς δὲ γυμναστής. Zur Familienerziehung im klassischen Athen und im spätantiken Christentum vgl. jetzt Salvo/Munkholt Christensen 2018. 104  Vgl. Christes 1997, 663. 105  Benner 2012, 232. 106  Vgl. Christes 1998, 111. 107  Dazu jetzt Gemeinhardt 2018. 108  Dazu Vössing 2003. 109  Hierzu Larsen/Rubenson 2018. 110  Vgl. Stemberger 2009, 107–123; Langer 2012, 50–52. Zur rabbinischen Bildung vgl. die umfassende Studie von Hirshman 2009.

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größeren Gemeinschaft teilzuhaben. Die Übergänge sind allerdings in vielen Fällen fließend. Es ist also, um zum Anfang dieses Gedankenganges zurückzukehren, nicht alles Bildung im strengen Sinne des deutschen Begriffs, wovon hier die Rede ist – aber eine Skalierung von Sozialisation, Erziehung und (Selbst-) Bildung könnte sich als besonders fruchtbar erweisen, um (wie eingangs als Desiderat benannt) Befunde in vormodernen Kulturen zu vergleichen.

4. Formale und materiale Bildung Doch müssen die beschriebenen Leitunterscheidungen zwischen religiösem und säkularem Bildungsbegriff einerseits sowie Bildung, Erziehung und Sozialisation andererseits noch um eine dritte Perspektive ergänzt werden: Was soll gelehrt und gelernt werden – Wissen oder Kompetenzen, materiale oder formale Bildung? Der oben erwähnte Cato schrieb seinem Sohn Marcus ins Stammbuch: „Ein Rhetor ist ein guter Mann (vir bonus), erfahren im Reden (dicendi peritus).“111 Durch Erziehung, in diesem (schon im 2. Jahrhundert v. Chr. eher idealtypischen als repräsentativen) Fall durch den pater familias, wurde man ein versierter Redner und ein sittlich reifes Mitglied der Gemeinschaft, und auf letzteres kam es Cato und seinen Zeit- und Standesgenossen an. Hingegen wurde man auf diese Weise nicht notwendig auch ein Fachgelehrter – etwa ein Jurist (iuris peritus) – und qualifizierte sich schon gar nicht für die Ausübung einer Profession, einer „Kunst“ (τέχνη, ars), wie der eines Arztes, mit der man Geld verdienen konnte (oder musste). Diese Tätigkeiten waren jeweils Gegenstand einer Aus-Bildung und stellten damit durchweg Ausnahmen in vormodernen Bildungssystematiken dar; sie sollen aus diesem Grund hier nicht weiter betrachtet werden.112 Wichtig ist für unseren Zusammenhang dagegen die Verhältnisbestimmung von Wissen und Kompetenzen. Natürlich produzierten vormoderne Kulturen in großem Maßstab Wissen – als eindrucksvolle Beispiele aus der frühen Kaiserzeit seien die siebzehn Bücher von Strabons Geographica und die vierundzwanzig Bücher von Plinius des Älteren Historia naturalis genannt. Bildung war dennoch – in spezifischer Analogie zu heute – nicht einfach „alles, was man wissen muss“113, und die genannten und verwandte Werke dienten entweder als Stoff für konkrete Lehrsituationen oder als Material für den Diskurs kleiner Gelehrtenzirkel. So viel musste der Durchschnittshellene oder -römer auf keinen Fall wissen, um als geAd filium frg. 14 (80,1 Jordan): Orator est, Marce fili, vir bonus, dicendi peritus. Vgl. Vössing 1997, 404–410. Für solche „Ausbildungsberufe“ konnten durchaus Fachschriften verfasst werden (wie z. B. Vitruvs De architectura), sie standen dennoch neben den üblichen Bildungskanones. Eine eingehendere Analyse solcher Ausbildungsgänge wäre ein wichtiges Desiderat (vgl. immer noch die wichtige Studie von Kühnert 1961). Die weitere Entwicklung vom Hellenismus zur Spätantike lässt in gewisser Weise Professionalisierungstendenzen erkennen; vgl. Dihle 1986, 199: „Im Hellenismus zeigt sich zum ersten Mal in der Geschichte das veritable Berufsbild des Intellektuellen.“ 113  Schwanitz 1999. 111 Cato, 112 

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bildet zu gelten! Dagegen wurde der griechischen und römischen Erziehung regelmäßig attestiert, an überaus unnützen Gegenständen vermittelt zu werden, die seit Jahrhunderten dieselben waren und daher für die Erschließung der aktuellen Lebenswelt keinen Ertrag brachten. Dass solche Kritik an den Akteuren (vor allem den Grammatik- und Rhetoriklehrern) abprallte, verweist weniger auf deren individuellen oder berufsspezifischen Starrsinn als auf die Funktion von Bildung in griechischen und römischen Gesellschaften: Es ging primär um die Einweisung in eine soziale oder religiöse Praxis, um die Befähigung zur Mitwirkung an Diskussionen und Entscheidungsfindungen in der Öffentlichkeit, letztlich auch um einen kompetenten Umgang mit dem Göttlichen. Dafür musste man nicht die Tagespolitik kennen, sondern das, was immer gegolten hatte, und das lernte man an den großen Alten und an den Schriften(corpora), die von ihnen kündeten. Die traditionsverhafteten Lernziele hatten daher nie ausschließlich eine formale Seite – als sei es nur darum gegangen, wie Cicero zu deklamieren –, sondern schlossen stets auch konkrete Wissensbestände ein, die darüber hinaus als kultureller Code fungierten und genau dadurch zur Handlungsorientierung und zur erforderlichen Autorisierung in sozialen, politischen und kultischen Settings beitrugen. Dazu musste man nicht viel oder gar alles, sondern das Richtige und Relevante wissen – und es dann auch tun.114 Auf eine einfache Formel (im Blick auf das abendländische Mittelalter) gebracht: „Einzelne Sachverhalte begründet in Zusammenhänge einordnen und daraus Folgerungen ziehen zu können ist Wissen, und mit diesem Wissen verantwortlich umgehen zu können ist Bildung.“115 Diese Bildung war daher weder mit der souveränen Kenntnis der aristotelischen Metaphysik noch der kompletten „Etymologien“ Isidors von Sevilla (gest. 636) identisch – oder etwas vorsichtiger gesagt: Sie war nicht notwendigerweise damit deckungsgleich. Bildung schloss natürlich auch materiale Kenntnisse ein. Das passt dazu, dass der Begriff ja auch in modernem Sinn Ziele, Prozesse und Gehalte bezeichnen kann. Gerade die oben erwähnte Ausrichtung auf die Gemeinschaft erforderte in Kulturen der Antike, des Mittelalters und des Klassischen Islams sowohl Handlungskompetenzen als auch das entsprechende Wissen, das die Handelnden zu informieren und orientieren vermochte. Wissen im Sinne materialer Bildung war daher in den genannten Kulturen nicht die Anhäufung einzelner Tatbestände, die gewusst werden konnten (oder auch nicht), sondern befähigte (zumeist nur) den freien Mann zur Partizipation, indem er die für seinen Stand nötigen Kenntnisse erwarb und erfolgreich in kommunikatives Handeln umsetzte, mit welchem er sich Welt und Selbst erschloss.116 Zugespitzt war dafür nicht die 114  Das ist nicht zuletzt ein zentrales T hema in der rabbinischen Unterweisung; vgl. ­Langer 2012, 148–157. 115  Kintzinger 2003, 13. 116  Vgl. Borst 2011, 139: „Welterschließung und Selbsterschließung erfolgen in einem wechselseitigen Prozess, insofern materiale und formale Bildung dialektisch aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig bedingen.“ Die hier paraphrasierte pädagogische Grundunterscheidung stammt ursprünglich von Wolfgang Klafki.

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Originalität der Wissensbestände das erfolgversprechende Rezept, sondern der Rekurs auf das, was alle kannten und was nun in der Öffentlichkeit in kreativer Weise zur Geltung gebracht wurde – das machte den erfolgreichen Rhetor aus.

5. Bildung in der Vormoderne – zwischen Norm und Praxis Können wir – so ist abschließend zu überlegen – angesichts der beschriebenen begrifflichen und sachlichen Herausforderungen für Lehr-Lern-Zusammenhänge unterschiedlicher Art von „Bildung in der Vormoderne“ sprechen? Oder sollten wir den Begriff Bildung doch besser für diejenigen religiösen Reflexionsprozesse reservieren, in denen es um Gott, Welt und Selbst geht? Ein solch zurückhaltender Zugang ließe sich dadurch rechtfertigen, dass er uns davor bewahren könnte, essentialistisch einfach vorauszusetzen, es habe etwas, was dem modernen Konzept von „Bildung“ vergleichbar sei, in der Vormoderne mehr oder weniger überall in analoger Weise gegeben. Das dürfte dabei helfen, Äpfel und Birnen – um diese nochmals zu nennen – sachgerecht auseinanderzuhalten. Zudem ließe sich damit der Problematik begegnen, von Bildung in doppelter Weise zu sprechen, einerseits von dem klar umgrenzten Einzelbegriff der Selbst-Bildung, andererseits als Oberbegriff für alles, was mit Lehren und Lernen, impliziter und expliziter Vermittlung von Wissen und Kompetenzen und schließlich auch mit einem umfassenden „Bildungssystem“ zu tun hat. Es könnte also nahe liegen, allein Aufrufe zur Selbsterkenntnis wie die delphische Inschrift als Zeugnisse für Bildung in der Vormoderne heranzuziehen, nicht aber denselben Begriff für alles Mögliche zu verwenden – und damit eine Uneindeutigkeit, ja Inadäquanz zu vermeiden, wie sie moderne politische Bezeichnungen wie ‚Bildungsstandards‘, ‚Bildungsziele‘ oder ‚Bildungsministerium‘ erzeugen, da mit alledem höchstens Lehr-Lernprozesse gesteuert, kaum aber die nötige Freiheit für Bildung im strengen Sinn kreiert werden kann. Dass es in der Vormoderne solche bildungssteuernden Organisationen nicht gab, erübrigt den Einwand nicht; dass die griechischen und römischen Schulen vom Hellenismus bis zur Spätantike gleichsam „autopoietisch“ kontinuierlich existierten, ist gleichwohl eine höchst erstaunliche Beobachtung, der an anderer Stelle nachgegangen werden müsste und auch schon nachgegangen worden ist.117 Hier sei festgehalten, dass Bildung in der Vormoderne ein durch und durch konservatives Geschäft war, und entsprechend konnte an der antiken Bildung überwiegend nur so Kritik geübt werden, dass man grundsätzlich an sie anknüpfte. Umso bemerkenswerter ist es, dass zahlreiche Krisen und Aufbrüche in antiken und mittelalterlichen Kulturen (auch) durch intensives Bildungshandeln erfolgreich bewältigt wurden und dass die herkömmlichen Bildungsgüter im Zuge un117 

Vgl. dazu Vössing 2003 sowie Gemeinhardt 2007, 27–61.

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ablässiger sozialer, politischer und religiöser Transformationen eine hohe Adaptionsfähigkeit bewiesen. Zur Beschreibung solcher Prozesse und Umformungen erscheint freilich der Bildungsbegriff außerordentlich fruchtbar – trotz der oben beschriebenen Herausforderungen seiner konkreten Anwendung. Das Erstaunliche und Faszinierende am Begriff „Bildung“ ist ja, dass er recht treffend die vielen Bedeutungsnuancen des antiken παιδεία-Begriffs und seiner Äquivalente, aber auch anders begründeter Begriffe einzufangen vermag, von Sozialisation über Erziehung bis zur Selbst-Bildung. Es liegt auf der Hand, dass Bildungsnormen und Bildungspraxis sich hierbei nicht immer entsprechen (damals wie heute!), dass es insofern nicht „die“ Bildung in der Vormoderne gibt und dass die normierende T heorie der lebendigen Praxis oft hinterherhinkt. Aber es zeigen sich signifikante Gemeinsamkeiten: der Aufruf zur Selbsterkenntnis am delphischen Tempel, der Befehl Jesu an seine Jünger, alle Welt zu lehren (Mt 28,19 f.), die Hochschätzung des gemeinschaftlichen Studiums im rabbinischen Judentum: „Schaff dir einen Lehrer und erwirb dir einen Kollegen“118, die Mahnung des muslimischen Gelehrten alDjāḥiẓ: „Vernachlässige deine Begabung nicht!“119 – all das belegt, dass Lehren, Lernen und sich Bilden für Kulturen des Mittelmeerraums in der Vormoderne zentrale Lebensvollzüge waren und dass die entsprechenden Akteure, Konzepte und Institutionen daher in vielfacher Hinsicht Analogien über die Grenzen von Sprachen, Kulturen und Epochen hinweg bieten. Dabei ist, wie gezeigt, im konkreten Fall zwischen moderater und fortgeschrittener Bildung, Normalverbrauchern und Eliten, funktionalen und selbstzwecklichen Kenntnissen zu unterscheiden. Damit sind aber nur Aspekte eines kulturellen, sozialen, politischen und, last but not least, religiösen Zusammenhanges angesprochen, der sich für vergleichende Erforschung anbietet. Diese Aspekte in ihrer bunten Vielfalt voneinander zu unterscheiden und zueinander in Beziehung zu setzen war ein wesentliches Ziel des Göttinger Sonderforschungsbereichs. Damit innerhalb von vergleichsweise kurzen Förderfristen oder gar nur im Rahmen einer begrenzten Jahrestagung und eines daraus entstandenen Sammelbandes fertig zu werden wäre freilich zu viel erhofft. Einen Kontrapunkt zum vielfach unscharfen Gebrauch des Bildungsbegriffes in der Gegenwart und der Bestreitung seiner Nützlichkeit für die Untersuchung vormoderner Konstellationen zu setzen – das sollte möglich sein. Und auch in Bezug auf den grassierenden Bildungspessimismus beginnt die Geschichte nicht erst mit der Moderne. Bekanntlich seufzte der oben bereits als Kritiker der „freien Künste“, also der kaiserzeitlichen Schulbildung, in Erscheinung getretene Seneca über die nutzlos in der Schule vertane Zeit, die nur von der einzig erstrebenswerten Beschäftigung mit der Philosophie abhalte: „Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir!“120 Mischna Avot 1,6; zit. nach Stemberger 2013, 117 f. Zit. nach Behzadi 2016, 188. 120 Seneca, Epistula ad Lucilium 106,12 (IV 626 Rosenbach): Apertior res est sapere, immo simpliciter satius est ad mentem bonam uti litteris, sed nos ut cetera in supervacuum diffundi­ 118  119 

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Hierin widersprach ihm freilich sein jüngerer Zeitgenosse, der Rhetoriklehrer (und Protagonist der von Seneca beklagten Schulbildung) Quintilian, nach dessen Ansicht „der Liebe zur Grammatik und dem Gewinn der Lektüre nicht die Schulzeit, sondern nur die Lebensdauer ein Ende setzt.“121 Dass schon vor knapp zweitausend Jahren ein engagierter Streit über Bildungsziele, -wege und -konzepte ausgetragen wurde, stellt eine nicht zu unterschätzende Analogie zur Moderne dar. Und darum gibt es im Umkehrschluss allen Grund, mit dem heuristischen Instrument des Bildungsbegriffs vormoderne Diskurse, Institutionen und Praktiken im weiten Feld der Bildung vergleichend zu erforschen.

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Christoph Auffarth 1. Augustin als ‚Schleusenwärter‘: Summe und Ende antiker Bildung, Anfang der christlichen Bildung Europas Auf einer Karte der Welt, die im englischen Hereford in der Kathedrale hing, ist nur ein einziger Ort mit einer Person gekennzeichnet: Augustinus ist korrekt an der nordafrikanischen Küste des Mittelmeers an seinem Bischofssitz Hippo in einem architektonischen Gehäuse dargestellt. Auf dieser gemalten Karte ist der gesamte Wissensschatz ihrer Zeit um 1300 zusammengeführt. Sie diente sowohl als sakrale Repräsentation der Schöpfung Gottes, konzentriert in einem Weltbild, unter der eschatologischen Bewertung im Jüngsten Gericht im Giebel darüber. Sie diente vor allem auch der Bildung. Die Hereford–Karte ist aber keine illustrierte Bibel, kein auf die christliche Heilsgeschichte konzentriertes und reduziertes Bild. Vielmehr vereinigt sie das Wissen aus der Bibel, der antiken Naturgeschichte, der Geschichtsschreibung, der Geographie, der Weltentdeckung und -eroberung. Das Wissen der Welt umfasst alles damals Bekannte, stellt also eine Enzyklopädie sowohl in räumlich-geographischer Hinsicht, wie auch in seiner zeitlich-geschichtlichen Dimension dar.1 Als Urheber werden besonders zwei Initiatoren genannt: Neben Alexanders des Großen Feldzügen ist der römische Kaiser als derjenige hervorgehoben, der die wissenschaftlich genaue Vermessung und Beschreibung der Welt in Auftrag gegeben hat. Das einzige Zitat aus der Bibel auf der ganzen Karte findet sich genau hier. Über dem thronenden, in nachdenklicher, gerade nicht majestätischer Haltung dargestellten Caesar Augustus ist ein direktes Zitat aus Lukas auf der Karte ausgeschrieben: „Da ein Gebot von Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzet würde“. Was Luther mit „geschätzet“ übersetzt, das gibt die Vulgata wieder mit describeretur: „beschrieben werde“. Der Kaiser hält besagtes Edikt in der Hand und bekräftigt es mit seinem Siegel. Angesprochen 1 

Das erschöpfende Handbuch zu dieser Karte: Westrem 2001.

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werden drei Wissenschaftler, die den Auftrag der Vermessung jeweils eines Erdteils bekommen. Und Augustinus ist derjenige, der immer wieder als Vermittler im Unterricht vorkommt. Neben dem Kaiser und den drei Geographen der drei Erdteile ist Augustinus die einzige Person auf der Karte. Die Bildungsgüter werden nicht nach Konfessionen aufgeteilt und getrennt; jüdisch-biblisches Wissen ist genauso eingezeichnet wie christliche Kenntnisse, aber vor allem sind es die Forschungen und enzyklopädischen Studien des Zeitgenossen der Evangelisten, Plinius aus seiner Natur-Geschichte2, ihre Weiterverarbeitung bei dem christlichen Bischof Isidor von Sevilla in den Etymologien und einer Enzyklopädie des 13. Jahrhunderts. Dass dieses Wissen unter einem gewissen Vorbehalt steht, nämlich dem jüngsten Gericht und dem Ende der Welt, die auch noch einmal durch die vier Großbuchstaben eindrücklich betont werden, die aus dem Erdkreis sich emporstrecken: M-O-R-S [TOD], hält nicht davon ab, all dieses Wissen zu erlernen und zu bewahren. Henri-Irenée Marrou, dessen Buch Augustin und das Ende der antiken Bildung (zuerst 1938) und seine Darstellung Geschichte der Erziehung im klassischen Alter­ tum (zuerst 1948) im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen sollen, hat einen Klassiker geschaffen, der das T hema des Göttinger Sonderforschungsbereichs „Bildung und Religion“ in besonderer Weise, ja geradezu enzyklopädisch umfasst. Für ihn ist der Untergang der antiken Kultur gleichzeitig auch der Untergang der antiken Bildung, verursacht durch Barbaren.3 Aber im Untergang entsteht etwas Neues, nämlich die christliche Bildung. Marrous Konzept vom Untergang als die Chance zum Neuanfang hat seinen wissenschaftsgeschichtlichen Ort. Dabei bedeutet Wissenschaftsgeschichte nicht, dass man beschreibt, wo die Forschung weitergekommen ist oder inwiefern neue Detailuntersuchungen das Bild verändert haben, also den Forschungsstand als eine Leiter darstellt, die immer weiter nach oben führt, dass man also Forschung als Fortschritt betrachtet. Wenn Hildegund Müller in dem entsprechenden Kapitel zu Augustin und der klassischen Bildung im Companion to Ancient Education (2015) äußert, Marrou’s Augustin und das Ende der antiken Kultur bleibe ein bahnbrechendes und lesenswertes Buch, wenn es auch in vielen Details ebenso obsolet geworden sei wie seine Gesamtthese4, so denkt sie forschungsgeschichtlich. Hier aber soll von einem Riesen die Rede sein. Ich betreibe hier Wissenschaftsgeschichte: Welche historischen Erfahrungen und Kontexte führten den Autor mit seiner Biographie und den Erfahrungen seiner Zeit zu einem Bild der Vergangenheit, das für 2 

Hervorragend herausgearbeitet von Borst 1994. Die deutsche Übersetzung ersetzt im Titel La fin de la culture antique durch Das Ende der antiken Bildung. Auf S. 455 gibt die Übersetzerin Charlotte Beumann „culture de l’esprit“ mit „Bildung des Geistes“ wieder. 4  Müller 2015, 371: „Henri-Irenée Marrou’s Augustine [sic] et la fin de la culture antique (1938) remains seminal and worth reading, although it has become obsolete in many details, as well as the overall thesis. […] Vessey’s introduction 2005 is a good starting point for the complex questions that arise if we consider, and deconstruct, Marrou’s narrative.“ 3 

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die Gegenwart einen Spiegel, ein Gegenbild, eine Utopie vor Augen hält? Gegen welche andere T hese richtet er sich? Und: Wie haben seine Zeitgenossen das gesehen? Daraus ergibt sich meine Gliederung. Die T hese, die Marrou in seinen Büchern darstellt, als sei sie die Position Augustins, ist, da er sich in einer vergleichbaren Krisensituation sieht, auch die Position des Autors. Um Marrous Entwurf scharf herauszuarbeiten, kontrastiere ich ihn mit dem Konzept der paideia, das Werner Jaeger fast zur gleichen Zeit in seinem dreibändigen Werk Paideia (1934–1947) entfaltete – auch das ein Klassiker, wie Marrou in den späteren Auflagen hervorhebt.

2. Marrou und sein Werk 2.1 Stationen und die beiden Meisterwerke Henri-Irénée Marrou wurde am 12. November 1904 in Marseille geboren und starb am 11. April 1977 in Bourg-La-Reine in der Nähe von Paris.5 Als Fünfzigjähriger bekennt Marrou, sein Großonkel, der Kanoniker Germain Pascal, habe ihn „zu einem guten Katholiken“ gemacht.6 Der Vater war Buchdrucker und Gewerkschaftler, eher agnostisch im Unterschied zu seiner Mutter, die sehr fromm war. Sie besaß ein kleines Miederwaren-Geschäft. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erlebte der sehr gute Schüler als die Zeit „dieser stummen Hoffnungslosigkeit der Menschen um die 35 Jahre“7. Doch 1926, mit der Regierung von Poincaré, sieht er die Krisenjahre überwunden, auch die harten Auseinandersetzungen um die Religion. Papst Pius XI. distanziert sich von der rechtsnationalen Action française und die Enzyklika Quadragesimo anno bestärkt die soziale Aufgabe des Katholizismus.8 Doch gegen eine andere Enzyklika erhebt Marrou entschieden Einspruch. Dazu gleich. 1930 mit einer Tochter eines antiklerikalen Naturwissenschaftlers verheiratet und Vater geworden zieht Marrou mit seiner Frau nach Rom in die École de Rome. Sich absetzend von dem übermächtigen T homismus in der katholischen Kirche9 5 

Umfassend Riché 2003. Vgl. auch Kirbihler 2012, 785 f. Selbstäußerung in: Centre Catholique des Intellectuels Français (Hg.), L’Église et les Ci­ vilisations. Semaine des intellectuels catholiques. (Paris: Horay, 1955) 51 f., zitiert nach Riché 2003, 15. 7 Davenson [Marrou] 1934, 11 spielt auf ein Wort von Walter Rathenau von 1922 an. 8  Große Kracht 2016, 110. Aber viele Katholiken sympathisierten mit ihr, siehe Bonafoux-Verrax 2004. 9  Als Martin Grabmann seine Einführung zu T homas von Aquin 1919 an Kardinal Franz Ehrle schickte, bedankte sich dieser, fügte aber an: „Nur einen Zweifel kann ich nicht ganz unterdrücken: Wäre nicht irgendwo ein Korrektiv gegen die Auffassung anzubringen gewesen, es sei die ganze christliche T heologie derart in der Summa und im hl. T homas enthalten und abgeschlossen, daß jeder Blick auf andere Ansichten und andere Lehrer als unnützer, ja nicht ungefährlicher Zeitverlust zu verurteilen sei – eine Ansicht, die doch wohl als ungeschichtlich und ungesund gelten muß.“ Zitiert bei Flasch 2005, 271. 6 

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wählt er im 1500. Jahr des Todes des Heiligen Augustin als T hema seiner T hèse Saint Augustin et la fin de la culture antique. Parallel schreibt er pseudonym ein Büchlein über die Grundlagen der christlichen Kultur.10 Darin begründet er sein T hema: Augustinus sei ein antiker Mensch, der seine Bildung von heidnischen Lehrern erhielt und bewahrte. Er lehnte die klassische Bildung nicht ab, vielmehr versuchte er sie in christliche Bildung zu verwandeln. Er ist ein großes Vorbild für uns heute, denn unsere Situation ist entsprechend. Wir leben auch in einer heidnischen Welt und wünschen uns, sie zu christianisieren. Aber wir fühlen uns hilflos, diese Aufgabe zu erfüllen. Songez aux origines antiques de la chrétienté medievale, à ce qu’a été la vie d’un saint Augustin. C’est l’homme, certes, qui a le plus contribué à fonder la civilisation chrétienne, qui lui a fourni pour une large part ses cadres de pensée. Lui-même qu’était-il? […] un homme de l’antiquité, vivant de la vie antique, pensant avec les techniques intellectuelles qu’il avait reçues de ses maîtres païens. Mais cette culture qui était en lui le retentissement d’une civilisation non chrétienne, il a travaillé à la christianiser; il ne l’a pas rejetée, mais il a cherché à la transformer en lui autant qu’il ètait possible. […] Grand exemple: notre situation est analogue. Nous aussi, nous vivons dans un monde païen et nous rêvons de le christianiser; nous nous sentons désarmés devant la tâche à accomplir.11

Während viele das Ende des Abendlandes konstatieren12, während der exilierte Russe Nikolai Berdjaew 1923 auf ein neues Mittelalter hofft13, beschäftigt sich Marrou mit dem Untergang der antiken Welt, der schon länger als Verfall der antiken Welt und Kultur und damit der antiken Bildung zu spüren war. Später (1977) hat er es einmal auf die Alternative gebracht: Décadence romaine ou anti­ quité tardive? Nein, keine Renaissance, sondern in der Krise der Antike erfolgt der Aufbau einer neuen Kultur, der christlichen aus der antik-paganen. Aber auch: Die T hese von Gibbon dreht er um: T he Decline and Fall of the Roman Empire ist nicht durch Religion und speziell durch das Christentum verursacht.14 Im Gegenteil: In den Trümmern der verfallenen Welt entsteht etwas Neues, das zugleich das Wertvollste der Antike bewahrt.15 Marrou versteht sich also gerade nicht konservativ, 10 Riché

2003, 37–61. [Marrou] 1934, 152 f. 12  Neben Oswald Spengler (frz. Déclin de l’Occident, 1922) vgl. auch Arthur Toynbee (Éclipse de l’Europe, 1926). 13  Nikolai Berdjaew, Das neue Mittelalter. Betrachtungen über das Schicksal Russlands und Europas (Darmstadt: Reichl, 1927; russ.: Novoe sredneveko’ve, 1924). 14 Bremmer 2010. 15  Interessant ist hier die Auseinandersetzung Marrous mit dem anderen Spätantike-Historiker Ernest Stein, der (seine jüdische Eltern waren in Galizien schon evangelisch geworden) vor seiner Konversion zum Katholizismus 1930 den ersten Band seiner „Geschichte des spätrömischen Reiches“ (Stein 1928) veröffentlichte. Darin beklagt dieser den intellektuellen Verfall der Römer, die den Aufstieg der orientalischen Religion Christentum ermöglichte. Nach seiner Flucht und einer Professur in Belgien erscheint das Buch in einer französischen revidierten Übersetzung. Dort schätzt der frankophone Katholik die Rolle der Kirche weit positiver. Marrou – obwohl er den Abschnitt über Augustin revidierte – rezensiert das Werk 11 Davenson

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es muss etwas Neues gewagt werden.16 Das tut er auch persönlich: Er bleibt nach den zwei Jahren an der École de Rome weiterhin in Italien, wechselt auf eine Stelle der Universität Grenoble in Neapel. Und beschreibt die Situation in den Zeitschriften Politique und Ésprit entschieden antifaschistisch, doch so zurückhaltend, dass er auch unter seinem Pseudonym nicht unter die Zensur fällt.17 Die Dissertation über Augustin verteidigt Marrou am 12. Februar 1938. Sie wird 1938 in der Reihe der École de Rome gedruckt und 1940 mit dem Preis der besten T hèse ausgezeichnet.18 Gleichzeitig vollendet Marrou eine archäologische Arbeit über römische Grabreliefs von Intellektuellen.19 Dem Neudruck des Augus­ tin zehn Jahre später fügt Marrou 1948 eine Retractatio an.20 Da war gerade seine Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum erschienen, in der ein Kapitel Augustin und das Ende der antiken Bildung aufgreift.21 Die T hèse ist in drei Teile aufgeteilt: Augustin tauchte ein in die Fundamente der antiken Bildung, in Grammatik, Rhetorik und eine Lust an der griechischen Sprache, die er jedoch nie intensiver beherrschte; er findet Geschmack an der Wissenschaft. „Ein Gebildeter der Verfallszeit“: un lettré de la décadence22. Die rhetorische Bildung führte Augustinus zum studium sapientiae. So beschreibt Marrou im zweiten Teil die tiefer gehende Bildung als Konversion des Augustin zur Philosophie. Aus dem detaillierten Studium der sieben freien Künste sei er in der Lage versetzt, die Cassiciacum-Dialoge zu verfassen. Im dritten Teil beschreibt Marrou den Weg des Augustin zu einer neuen doctrina christiana.23 Die erworbene Bildung bleibt als Methode weiterhin nützlich, muss sich aber jetzt für die Exegese der Bibel von dem Können des Grammaticus weiterentwickeln zu einer kreativen Art von Interpretation, zur Allegorese. Die kann man allerdings auch schon für Homer und Vergil in der Bildung der Verfallszeit angewendet finden. Von November 1937 bis Juni 1938 verbringen die Marrous ein Jahr in Kairo, er als professeur de lettres. Der erklärte, aber nicht stattfindende „Witz-Krieg“ (‚drôle de guerre‘) der Engländer und Franzosen gegen die Deutschen, der dann innerhalb von zwei Monaten in der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen endet, verpflichtet den Reserveoffizier zur Leitung des Militärhospitals in seiner Heimatstadt Marseille, aber der Waffenstillstand und die Besatzungszeit erschüttern

mäkelig. Vgl. Ehling 2012. Sehr gute wissenschaftsgeschichtliche Einordnung bei Leppin 2018. 16  Riché 2003, 45 f. 17  Riché 2003, 50. 18  BEFAR 145 (Paris: De Boccard, 1938). 19  Μουσικὸς Ἀνήρ. Étude sur les scènes de la vie intellectuelle figurant sur les monuments funéraires romains (Grenoble: Didier & Richard, 1938). 20  BEFAR 145bis (Paris: De Boccard, 1948 [erschienen 1949]). Die Retractatio umfasst 90 Seiten (S. 623–713). 21  Histoire de l’éducation dans l’antiquité (Paris: Seuil, 1948). 22  In der deutschen Fassung: Marrou 1982, 3–140. 23  Marrou 1938/41958 = 1982, 460–464. Dazu Pollmann 1996; Perrin 2017, 26.

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ihn: Die Barbaren sind eingedrungen.24 Wie Augustin 410 erlebt, dass die Goten in Rom einfallen, wie der Bischof zwanzig Jahre später in Hippo zusehen muss, wie die Vandalen seine Stadt belagern, und darüber stirbt: Marrou ist deprimiert, aber jetzt gehe es um die Hygiene der Moral, um die Gottesstadt, die nie untergehen wird. Während Marrou seine Stimme erhebt zu den großen Krisen, erfährt er die ersten Stationen seiner Karriere als Professor in Nancy, Montpellier und Lyon, bevor er 1945 an die Sorbonne in Paris berufen wird, jetzt allerdings nicht mehr als Althistoriker, vielmehr wird die Patristik sein Lehr- und Forschungsgebiet. Bis zu seinem Tod hat Marrou immer wieder an seinen beiden großen Büchern gearbeitet und sie verbessert. „Ein Buch [wird] in einer bestimmten Lebensphase des Autors und zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte geschrieben.“25 Und das galt entsprechend auch für Marrous Geschichte der Erziehung: Dieses Buch wurde in den düstersten Tagen des Zweiten Weltkriegs geschrieben, als es galt, in den Herzen der Jugend die Flamme der Freiheit wieder aufleben zu lassen und sie gegen den falschen Anspruch der totalitären Barbarei zu wappnen; daher die leidenschaftliche Auflehnung gegen das spartanische Ideal, oder vielmehr gegen dessen naive oder perfide Bewunderer.26

2.2 Der katholische Laie gegen die kirchliche Erziehungspolitik Bollwerk gegen die Barbarei ist für Marrou die klassische Bildung, die den Menschen zu Menschen macht, also im wörtlichen Sinne der Humanismus.27 Darauf aber muss die Religion gepfropft werden, die Wahrheit des Christentums.28 Die Übernahme der griechischen und lateinischen Schulen durch die Christen ist ein bemerkenswertes Beispiel einer solchen Osmose. Eben weil sie in der klassischen Welt lebten, haben die Christen der ersten Jahrhunderte den Grundbegriff des hellenistischen Humanismus als »natürlich« und sich von selbst verstehend angenommen, den Begriff des Menschen als einer Wesenheit von ursprünglichem, vor aller Spezialisierung liegendem Reichtum. Man könnte sagen: um Christ zu sein, muß man erst Mensch, muß man auf eigentlich menschlichem Gebiet tief genug sein, um ein Glaubensbekenntnis abzulegen und sittliche Handlungen zu begehen (es ist eine Tatsache, die sowohl geschichtlich wie völkerkundlich feststeht: das Christentum erfordert ein gewisses Maß von Kultur). Wenn nun die klassische Erziehung ein wunderbares Kunstmittel zur Ausbildung eines vollkommen entwickelten menschlichen Typus darstellte, warum sollte man dann un24  Riché 2003, 64, aus einem Brief Marrous vom 30. Juni 1940: „le flot des Barbares déferle jusqu’au Pays d’Amour.“ 25  Marrou 1948/1977, 5 [Vorwort zur 6. Auflage]. 26  A. a. O., 6 [Vorwort zur 6. Auflage]. 27  Zur Beschneidung des Lateinunterrichts durch die linke Regierung siehe Prost 2004, 240: „la volonté de ruiner les humanités qui, seules, étaiant capables de former les élites.“ Ebenso der Widerstand gegen die Kürzung der humanistischen Bildung 1937 unter dem Ministerium Jean Zay, a. a. O., 253. 28  In dem berühmten Satz des Christentum-Kapitels: Marrou 1948/1977, 582.

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nützerweise daneben ein anderes Erziehungssystem auszuarbeiten suchen? So oder so wird der Augenblick kommen, wo man in den eigentlich menschlichen Menschen das eigentlich religiöse Reis der übernatürlichen Gabe einpfropfen muß. In gewisser Weise ist es das fachlich Unspezifische des klassischen Humanismus, der ihn in so wunderbarer Weise befähigt, als Pfropfreis- Unterlage für den goldenen Zweig29 aus dem Reich der Gnade zu dienen.

„[…] unnützerweise daneben ein anderes Erziehungssystem“! Marrou meldet hier einen entschiedenen Widerspruch an gegen die Behauptung, durch die Einrichtung katholischer Schulen habe man die Lösung für die Krise, die durch die deutsche Besatzung nicht entstanden,30 nur deutlicher sichtbar geworden sei. Denn seine historischen Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, dass das antike Christentum keine eigenen Schulen gegründet habe, sondern die Ausbildung in den heidnischen Schulen geschah. Noch im Jahr der „Versöhnung“ (conciliazione) des Vatikans mit dem faschistischen Staat, am 31.12.1929 hatte nämlich Papst Pius XI. (1922–1939) gegen die staatliche Schulpolitik mit einer Enzyklika eine Forderung abgeschossen, die er als ein göttliches und naturrechtliches Gebot deklariert. In der Enzyklika Divini illius magistri fordert das göttliche Recht von katholischen Eltern, dass sie ihre Kinder auf katholische Schulen schicken.31 c. 79 Inde necessario consequitur, per scholas, quas neutras vel laicas nuncu­ pant, omne fundamentum christianae educationis disiici atque everti, utpote a quibus religio omnino removeatur; quae ceterum scholae nullo modo nisi specie neutrae erunt, cum religioni plane in­ fensae reapse aut sint aut futurae sint.

c. 79 Daraus gerade folgt, daß die sog. neutrale oder weltliche Schule, aus der die Religion ausgeschlossen ist, sich zu fundamentalsten Erziehungsgrundsätzen in Widerspruch setzt. Übrigens ist eine derartige Schule praktisch gar nicht möglich, da sie sich in Wirklichkeit zur religionsfeindlichen Schule entwickelt.

29  „Goldener Zweig“ ist ein impliziter Verweis auf das berühmte Buch von James George Frazer, T he Golden Bough (2 Bde., 1890; 3 Bde., 21900; 12 Bde., 31906–1915) in dem der Altertumswissenschaftler eine Religionskritik (des Christentums) begründet. Französische Übersetzung: Le rameau d’or: étude sur la magie et la religion (traduit de l’anglais par R. Stiébel et J. Toutain; Paris: Schleicher frères, 1903–1911). Frazer war Dr. h.c. der Universität Paris. 30  Große Kracht 2016, 116 stellt fest, dass sich „inzwischen große Teile des französischen Laienkatholizismus von einer allzu engen Bindung an den Episkopat – nicht zuletzt aufgrund der unrühmlichen Rolle, die dieser während der Besatzungszeit [sc. auch in Vichy-Frankreich] gespielt hatte – gelöst hatten“. 31  Text der Enzyklika auf der Internet-Seite des Vatikans (nicht fehlerfrei): http://w2. vatican.va/content/pius-xi/la/encyclicals/documents/hf_p-xi_enc_31121929_diviniillius-magistri.html (letzter Zugriff am 22.05.2018). Ebenso übernehme ich die bischöfliche deutsche Übersetzung: https://www.civitas-institut.de/index.php?option=com_ content&view=article&id=127:pius-xi-divini-illius-magistri&catid=14:dokumente&Ite mid=37 (letzter Zugriff am 22.05.2018).

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c. 88 videamus ad sodales religiosos et religiosas virgines, quotquot docendis pueris adolescentibusque se devovent, tot tamque probos accedere utriusque sexus praeceptores, eosdemque ad ani­ mum sanctius excolendum in congre­ gationes quoque et sodalitates prop­ rias coeuntes, quae tamquam nobilissi­ mum validumque «Actionis Catholicae» praesidium laudandae ac promovendae sunt.

c. 88 Wir sehen, dass zu den den Lehrberuf lebenden Ordensmännern und Ordensfrauen eine weitere große Zahl guter Lehrer und Lehrerinnen hinzutritt, und dass diese zur Pflege ihres religiösen Lebens auch in Standeskongregationen und Standesvereinen zusammengeschlossen sind, welche deshalb als hochwertige und machtvolle Hilfs­ truppen der Katholischen Aktion zu loben und zu fördern sind.

In Italien erreichte der Papst, aufbauend auf den Lateranverträgen, im Jahre 1931 eine Vereinbarung mit Mussolini über das Recht zur katholischen Erziehung.32 In Frankreich mischten sich nach dem verheerenden Ergebnis der Trennung von Staat und Kirche von 1905 und nach der laikalen Schulpolitik in der dritten Republik unter dem Minister Jules Ferry33 die Bischöfe massiv ein, denn die Schule war jetzt der Ort der Missionierung geworden. In nahezu allen Diözesen entstanden zwischen 1908 und 1914 Direktionen für das katholische Unterrichtswesen. Viele Ordensleute, die als Lehrer wirkten, ließen sich laisieren, um in Privatschulen eine katholische Bildung und Mission weiter zu betreiben. Versuchte die Linke 1924 bis 1926 Gesetze gegen das von Orden geleitete Schulwesen durchzudrücken, so scheiterte das am Widerstand der mobilisierten Eltern, die schließlich 1930 einen starken Interessenverband gründeten, die APEL (Association des Parents d’Elèves de l’Enseignement Libre). 1941 sicherte die Vichy-Regierung den katholischen Schule Subventionszahlungen zu (Gesetz Carcopino 1941)34. Mit dem Blick auf die Kontroverse seiner Tage liest sich das folgende Zitat als Widerspruch eines engagierten katholischen Laien gegen die kirchliche Schulpolitik: Solange die Antike dauert, haben die Christen, abgesehen von wenigen, begrenzten Ausnahmefällen, keine eigenen Schulen geschaffen. Sie haben sich damit begnügt, ihre spezifisch religiöse Ausbildung neben der klassischen Erziehung, die sie genau wie die Heiden in den herkömmlichen Schulformen erhielten, einherlaufen zu lassen. Dies ist für den Menschen von heute eine überraschende Tatsache. Wir sind gewohnt, daß die christlichen Kirchen die Bekenntnisschulen als eine ihrer wesentlichen Rechte, als eine der unmittelbaren Forderungen ihres Glaubens für sich in Anspruch nehmen. Jene Tatsache ist deshalb so bedeutsam, weil sich auf diese Weise im Laufe der ersten Jahrhun-

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Kertzer 2016, 175–178. Zu Schulpolitik 1871–1914: Große Kracht 2016, 104. Vgl. Trouillet 1991. 34  Dazu Prost 2004, 479–483; 257. Vgl. Prost 2007, 69–72; Lanfrey 2005, 62 f. Marrou 1972, 209 bekennt in seinem Nachruf auf seinen Lehrer Jerôme Carcopino, dass er entschieden dagegen war. 33 

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derte ein enges Band zwischen Christentum und Klassizismus gebildet hat, dessen Festigkeit der Geschichtsschreiber einfach als gegeben anerkennen muß.35

Keine Konfessionsschulen also, sondern humanistische Bildung; Humanismus im Sinne der klassischen Sprachen und Kulturen, gekrönt zu einem christlichen Humanismus. „Es gab T heologen, die daran Anstoß genommen haben, die dieses geheime Einverständnis mit dem Hellenismus als Untreue, als Verfälschung des reinen Wesens des Urchristentums bezeichnet haben. Ob bedauerlich oder von der göttlichen Vorsehung so gewollt: die Tatsache besteht.“36 Auf die Kontroverse, auf die Marrou hier anspielt – damit muss er die Diskussion um Harnacks Helle­ nisierung des Christentums meinen und Alfred Loisys Widerspruch dagegen37 –, geht Marrou nicht ein. Das sei eben eine Tatsache. Marrou stellt dagegen sein Modell der Kulturosmose: Die kulturelle Umwelt ist gleichsam ein nährendes Fluidum, welches die Menschen und Einrichtungen umspült und durchdringt, auch wenn es ihnen nicht bewußt wird, selbst wenn sie sich dagegen wehren.38

3. Humanismus als Garant der Werte für die Gegenwart: Werner Jaegers Paideia zum Vergleich Das Programm Marrous tritt noch schärfer hervor, wenn man es mit dem Programm der paideia vergleicht,39 die Werner Jaeger als „Dritten Humanismus“ empfiehlt:40 Da im (Ersten) Weltkrieg alle kulturellen Konventionen, alle Vereinbarungen der Völker Europas zerbrochen waren, bedürfe es neuer Werte und Ziele und Verankerungen. Werner Jaeger (1888–1961) arbeitete seit seiner Basler Antrittsrede 1914, erst recht aber seit 1919 an dem Humanismus-Programm41, das 35 

Marrou 1948/1977, 580. Marrou 1948/1977, 580. Vgl. seine Äußerung in Esprit n° 108, März 1945, 524 f.: „la fécondité du dialogue historique de nous amener, par une dialectique incessante entre le Même et l’Autre, à prendre progressivement conscience de notre véritable situation, c’est-à-dire celle des chrétiens dans la France de la Libération qui interdit de défendre l’idéal clérical de l’école confessionnelle.“ Zitiert bei Julia 2004, 30. 37  Zu der Reduzierung des Gesamtproblems Hellenisierung des Christentums auf die Bildung bei Markschies 2012 siehe meine Rezension: Wie das Christentum zu einer europäischen Religion wurde: die Hellenisierung, in: http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell. net/2013/09/16/christoph-markschies-hellenisierung-des-christentums/ (letzter Zugriff 16.9.2013); Perrin 2017, 30 f. 38  Marrou 1948/1977, 582. 39  Demont 2004, 110–116. 40  Die Kritik von anti-humanistischer und humanistischer (klassisch-philologischer) Seite hat Schmidt 2018 analysiert. Neben Krieth und Drexler, die unten zu Wort kommen, haben ausführliche Rezensionen zum ersten Band der Paideia (1934) Pfeiffer 1935 und Snell 1935, 330–368 veröffentlicht. Weiter zitiert Schmidt noch Karl Reinhardt. – Seinen Namen schrieb Jaeger immer so, auch wenn etwa Drexler seinen Namen mit Umlaut Jäger zitiert. 41 Jaeger 1919 = 1937, 17–30. Dann die Tagung in Naumburg 1925 mit Jaegers Vortrag 36 

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er seit dem Streit 1933 dann den „kommenden Humanismus“ nannte.42 Der 16 Jahre jüngere Marrou bezieht sich im Vorwort zur „Geschichte der Erziehung“ (vgl. oben S. 44) auf Jaeger: Dieses Buch wurde in den düstersten Tagen des Zweiten Weltkriegs geschrieben… Der Autor [Marrou] ging damals auf die Vierzig zu, woraus hervorgeht, welcher Generation er sich verpflichtet fühlt, jener nämlich, in der die Namen Werner Jaeger und Pater A. J. Festugière für die kraftvolle und stets sich erneuernde Tradition des klassischen Humanismus standen. (An wen wurde die Fackel weitergegeben, und in wessen Händen ist sie jetzt? Es ist an den Jüngeren, dies zu wissen.) Bei Jérôme Carcopino und Franz Cumont habe ich das Handwerk erlernt; sollte der Gebrauch, den ich davon gemacht habe, beim Leser auf einige Sympathie stoßen, so möge er, gleich mir, das Verdienst diesen Lehrmeistern zuschreiben.43

Der Vergleich zeigt sogleich erhebliche Unterschiede: Einmal muss man sich mit der Sprache auseinandersetzen. Marrou meint, die französische Sprache nötige zu schärferer, präziserer Prägnanz als die deutsche, mittels derer man in der Lage sei, das in der Tiefe liegende Unbestimmte zu verdecken.44 Das erläutert er an dem Begriff der Kultur45, einem der Schlagworte, deren sich die deutsche Seite im Krieg der Kulturen beim Ausbruch des [Ersten] Weltkrieges bediente, wo sie deutsche Kultur gegen französische ‚Civilisation‘ hochlobte, weil die deutsche Sprache die der Innerlichkeit sei und aus dem Herzen komme gegen die gekünstelte Hof-Sprache.46 Dazu gehört auch, dass es kein französisches (und englisches) Wort für ‚Bildung‘ gibt.47 Wenn Jaeger griechisch paideia verwendet, Antike und Humanismus. Eine vollständige Liste in dem Artikel wie Anm. 42. – Zu Jaeger vgl. bes. Calder 1989; ders. 2001; Obermayer 2014, 24–30 (zu Jaegers Sonderstellung unter den Altertumswissenschaftlern im amerikanischen Exil). 42  Wesseling 2001, 717–749. Vgl. Näf 1992, 125–146; Calder 2010, 617–621. 43  Marrou 1948/1977, 6 mit Bezug auf seine Rezension zu Jaegers Paideia in der Revue historique 196 (1946) 142–149, zitiert bei Demon 2004, 110 f. In einer privaten Notiz, etwas früher (1943?), setzt er Jaegers Position gegen seine eigene „politique libérale du πολίτης. Jäger (Paideia [italienische Übersetzung von Band 1 (1936)] 1835) y oppose spéculativement une éthique à déduire d’Hésiode – ou de Platon – éthique du travailleur où la justification et fondement de la valeur de l’homme est son travail […] par laquelle il contribue au bien commun – celui-ci en tant que tel étant confié à une aristocratie. Mais justement, ce système est pour nous inadmissible“ (Marrou 2006, 335). 44  Marrou 1954/1973, 331 f.; aufgegriffen von Helmut Beumann im Vorwort, a. a. O. 13: „Als französischer Historiker verpflichtet, mich Tag für Tag mit dieser unserer anspruchsvollen Sprache zu messen, bedauere ich an Tagen der Trägheit beinahe, mich nicht damit begnügen zu können, auf Deutsch zu schreiben, in dieser flüssigen und fügsamen Sprache, die in der Lage ist, das in der Tiefe liegende Unbestimmte zu verdecken – aber das heißt undankbar sein, denn ich bin mir alles dessen wohl bewußt, was ich an Fortschritt in Präzision und Genauigkeit sogar dem passiven Widerstand des widerstrebenden Werkzeuges verdanke, dessen ich mich bediene.“ 45  Marrou 1938/41958 = 1982, 455–464: „Der Begriff culture und der lateinische Wortschatz“. 46  Beßlich 2000. 47 Tanaseanu-Döbler/Döbler 2012. Vgl. Auffarth 2015b gegen die Ableitung aus Meister Eckart und der Mystik.

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meint er Bildung:48 Bildung des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft zum ζῷον πολιτικόν, aus der dann die Moral des Individuums sich ableitet (1935, später – 1947 – genau umgekehrt, siehe unten). Marrous Forschungsthema ist enger, aber auch präziser, wenn er ‚éducation‘ als Ausbildung in einem institutionellen Schulsystem untersucht. Mit dem Problemfeld paideia – Bildung – ‚éduca­ tion‘ sich beschäftigend kommt Marrou zu folgendem Ergebnis: Im lateinischen educatio „spielt das geistige Element der Erziehung sozusagen keine Rolle; der Akzent liegt vorzugsweise auf der Strenge und dem Ernst dieser Erziehung“.49 „Um die Idee der Bildung wiederzugeben, hatte Cicero einen ausdrucksvollen Neologismus gebraucht, der ein besseres Schicksal verdient hätte, humanitas.“ Marrou meint humanitas in der antiken Sprache, denn der einigermaßen verwandte Begriff Humanismus habe bei den Modernen einen großen Erfolg erfahren.50 Ein weiterer Unterschied zwischen Jaeger und Marrou liegt in der Betonung des Griechischen bzw. Römischen. Jaeger beschäftigt sich ausschließlich mit der „Formung des griechischen Menschen“, denn es sei offensichtlich, daß unsere Geschichte – in einem Sinne tieferer Verbundenheit – auch heute noch mit dem Auftreten der Griechen beginnt, soweit sie über die Grenzen des eigenen Volkes hinausgreift und wir uns als Glied eines größeren Völkerkreises erkennen müssen. Ich habe diesen Kreis deshalb früher den hellenozentrischen genannt.51

Marrou hingegen sieht sich im romanischen Sprachgebiet den Römern näher. Jaeger verfolgt in seiner Geschichte von Homer bis zur Klassik, bis Platon und Isokrates, immer nur das Griechische, auch in seinem späten Buch zur christlichen paideia.52 Marrou arbeitet sich von seiner Augustinus-Arbeit, in der er das Ende der antiken Bildung beschrieb, zu einer Gesamtgeschichte der antiken Erziehung vor, die auch die griechische Bildungsgeschichte umfasst. Das davor und danach ist ihm wichtig. Die mittelalterliche Bildungsgeschichte haben für den lateinischen Westen (6.–8. Jahrhundert) sein Schüler Pierre Riché (1962) und für den byzantinischen Osten sein gleichaltriger Kollege am Collège de France Paul Lemerle (1971) bearbeitet. Anderes, wie die Vorgeschichte im Mykenischen (Linear B), hat er selbst ergänzt.53 Für die griechische Bildungsgeschichte verurteilt er scharf die spartanische Erziehung: Sparta „setzte […] seine Ehre darein, eine Stadt der halben Unbildung zu bleiben“54. „Nach der glücklichen Formulierung von W. Jaeger hat die spartanische Erziehung nicht mehr die Auswahl von Helden zum Ziel, In seiner Rezension widerlegt Bruno Snell Jaegers Behauptung, paideia in der griechischen Kultur sei schon das, was mit Humanismus bezeichnet werde. Zu Snell vgl. wiederum Joho 2012, 1170–1172. 49  Marrou 1938/41958 = 1982, 458 50  Marrou 1938//41958 = 1982, 459–464 und Anm.17. 51  Jaeger 1934, 3 im programmatischen Vorwort. 52  Jaeger 1963, 1 f.: „Der begrenzte Rahmen wird es mir unmöglich machen, die lateinische Hälfte der spätantiken Welt und der alten Kirche einzubeziehen.“ 53  Marrou 1948/1977, 26–30. 54  Marrou 1948/1977, 51–71. 48 

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sondern will eine ganze Stadt von Helden bilden – von Soldaten, die bereit sind, sich dem Vaterland zu opfern.“55 Das sei eine totalitäre Moral, „die Unterordnung unter den Staat bis zur Selbstaufgabe. Da aber der einzige Gradmesser des Heils das Staatsinteresse ist, ist nur das recht, was der Vergrößerung Spartas dient.“ Und dann kommt der Vergleich, der – nach Marrou – für einen französischen Historiker nur schwer nachvollziehbar sei: Von K.O. Müller (1824) bis W. Jaeger (1932) hat die deutsche Forschung sie [die spartanische Erziehung] mit zum Teil leidenschaftlicher Bewunderung dargestellt. Andere haben darin eine Auswirkung des ‚nordischen Geistes‘ gesehen, getragen von der dorischen Rasse, die Verkörperung einer bewußt rassischen, kriegerischen und totalitären Politik […] bis hin zum nationalsozialistischen Dritten Reich.56

Und hier verlässt der Historiker seine beschreibende Aufgabe: Soll ich unbeteiligt bleiben angesichts so entfesselter Leidenschaft? Ich bin auch meinerseits empört und wende mich nachdrücklich gegen einen moralischen Trick, der gegen jede gesunde historische Chronologie eine solche Begeisterung für die spartanische Erziehung erzeugt.

Schließlich ist auf das Verhältnis von Bildung und Schule einzugehen. Jaeger war wegen seines „Dritten Humanismus“ im „Dritten Reich“ in eine scharfe Kritik geraten. Seine Vorstellungen hatte er dem neuen Erziehungsminister Bernhard Rust vorgetragen57; Jaeger, der Professor in der Hauptstadt, wollte also die Bildungsziele des „Dritten Reiches“ mit beeinflussen.58 Jaegers Aufsatz erschien im ersten Band der Zeitschrift Volk im Werden59, die der radikale NS-Pädagoge Ernst Krieck her­ ausgab.60 Das Programm wurde von Krieck und anderen scharf angegriffen, die 55 

Marrou 1948/1977, 55. Marrou bezieht sich auf Jaeger 1932 und 1934, 125–139. Marrou 1948/1977, 67. Von den Befürwortern der spartanischen Erziehung als Vorbild deutscher Wehrertüchtigung zur Vorbereitung auf den Krieg nennt Marrou 1948/1977, 52 Anm. 4 nur Berve 1937 und Meier 1939. Vgl. aber auch Jaegers Tyrtaios (1932). Zu Berve vgl. Losemann 1977, 80–85; Christ 1990, 125–187, bes. 133–135. Rebenich 2001, 457–496. Den französischen Bewunderer Spartas Ollier 1933/1943, seinen Kollegen in Lyon, erwähnt Marrou nur 68 Anm. 62. Vgl. auch Paradiso 2004. Rebenich 2018, 685–703. 57  Der Lehrplan für die Alten Sprachen vom Deutschen Altphilologen-Verband 1930 hatte schon ein Curriculum im Sinne des Dritten Humanismus erarbeitet. Vgl. Preuße 1988, 128–144; Landfester 1999, 881 f.; Pohle 2017, 263–265. 58  Losemann 1977, 86; vgl. auch Näf 1992, 127: „Werben um die Sympathien der neuen politischen Macht“. Vgl. Stiewe 2011, 285–311. 59  Jaeger 1933. Schmidt 2018, 43–49 nennt den Aufsatz, den Jaeger nie wieder zitierte, „einen Tiefpunkt seiner Werbungsaktivitäten für sein humanistisches Konzept“. Dagegen Landfester 1999, 882 „Jaeger selbst hat nicht unerheblichen Anteil daran, dass Dritter Humanismus und Drittes Reich programmatisch aufeinander bezogen wurden.“ Beleg ist der genannte Aufsatz. Auf Calders Bewertung (1983, 104: „early flirtation with National Socialism“) gab es heftige Reaktionen in den USA. 60  Ernst Krieck (1882–1947) wurde ohne Abitur, Dissertation und Habilitation (aber wegen seiner [völkischen] Philosophie der Erziehung 1922 mit einem Dr. h.c. der Universität Heidelberg ausgezeichnet) im April 1933 zum Professor an der Universität Frankfurt und am nächsten Tag zu ihrem Rektor ernannt. Sein Stern begann 1938 zu sinken. Vgl. Tenorth 1989, 135–142. 56 

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ihrerseits die ‚neue‘ Pädagogik bestimmen wollten: Der idealistische und individualistische Humanismus könne nicht zum völkischen Realismus führen.61 Hans Drexler (1895–1985)62 veröffentlichte ein Heft in der Reihe „Auf dem Weg zum nationalpolitischen Gymnasium“ als Streitschrift: Der Dritte Humanismus. Ein kritischer Epilog.63 Da hatte Jaeger (im März 1936) schon die Berufung in die USA angenommen: nicht ins Exil, nicht (so sehr) seiner jüdischen Frau wegen, nicht aus Gegnerschaft zum NS-Staat.64 Jaeger hatte sich dem NS-Staat angedient und den Staat dabei über das Individuum gestellt. Gerade in der politischen Ausrichtung sah er den Unterschied seines neuen Humanismus‘ gegenüber dem Neuhumanismus und dem Renaissance-Humanismus.65 Das wird auch deutlich an der Palinodie zwischen Jaegers Einleitung zu Band 1 (1934) und Schluss von Band 3 (1947). Erziehung ist zunächst keine individuelle Angelegenheit, sondern ihrem Wesen nach Sache der Gemeinschaft… Der Charakter der Gemeinschaft, prägt sich in ihren einzelnen Mitgliedern aus, sie ist beim Menschen, dem ζῷον πολιτικόν, in einem beim Tier nicht vorkommenden Maße die Quelle allen Tuns und Verhaltens.66 61  Krieck 1933, 5. a. a. O. 77 f. fordert er, sich statt auf die Spätblüte auf „frühgriechische und frührömische Polis“ zu beziehen, „auf deren Staatszucht […] und soldatisch-politisches Erziehungssystem.“ Wozu noch Humanismus? „Das Geheimnis der Herrschaft Roms ruhte gerade in jener humanitätslosen Staatszucht.“ 62  Drexler versuchte die Klassische Philologie auf Kurs des Nationalsozialismus zu bringen. Er wurde 1935 Professor in Breslau, 1940 an der Universität Göttingen eingesetzt und schon zum WiSe 1943/44 Rektor der Universität. Nach der Befreiung wurde er nicht entnazifiziert. Vgl. Wegeler 1996, 244–243.261–263; Kipf 2012, 328–329. 63  Drexler 1942. [Diese Ausgabe wird teils als zweite Auflage bezeichnet. Eine erste Auflage 1940 (Landfester 1999, 883) oder 1937 (http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/576927, 08.01.2019) ist im Karlsruher Virtuellen Katalog deutschlandweit nicht verzeichnet. Dort ist aber eine frühere Ausgabe angegeben: Hans Drexler, Der Dritte Humanismus, 3. veränd. Aufl., Berlin: Verlag „Die Runde“, 1935]. Die Auflage 1942 zitiert ausführlich Jaegers Humanistische Reden von 1937. Drexler hatte seine Kritik schon auf dem „Dozenten-Lager“ 1941 vorgetragen, Wolfgang Schadewaldt hatte vorsichtig widersprochen, aber kaum jemanden für Jaeger gewonnen. Jaeger lehrte seinerzeit bereits auf seiner neuen Stelle in Chicago. Vgl. Losemann 1977, 97 f. 64  Näf 1992, 128 mit Anm. 7. Seine aus reichem jüdischen Hause stammende Frau T heodora und die drei Kinder hatte Jaeger bereits 1931, 43jährig, verlassen, und zwar wegen einer Affäre mit einer Studentin (einer nach NS-Rasse-Kriterium ‚Halbjüdin‘). Das brachte ihm bittere Flüche, sogar seines Lehrers Wilamowitz, ein (Rösler 2017a, 53f mit Anm. 9). Die Distanz zu den wirklich Exilierten stellt Obermayer 2014, 24–30, hier 25 Anm. 77 dar. Daneben spielt aber „seine ambivalente Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus […] die entscheidende Rolle.“ Obermayer 2014, 26 belegt das mit Randbemerkungen an Jaegers Paideia 1 des wirklich exilierten Paul Friedländer (ebenfalls ein Wilamowitz-Schüler), in denen er Jaeger als „Nazi“ bezeichnet. 65  Follak 2005, 144. 66  Jaeger 1934, 1–20, hier 2. Vgl. Pohle 2017, 271; Calder 2010, 620: „Der brillante, fast fanatische Forscher und Organisator, der die dt. Klass. Philologie in den 1920er Jahren dominiert hatte, war hier [in den USA] unvorstellbar“. Dagegen Flashar 2016, 421: „Bei alledem blieb das Konzept der Paideia […] das gleiche, über alle Stürme der Zeit.“ Eine ähnliche Behauptung wie Jaegers Palinodie äußerte der Althistoriker Fritz Taeger, Vorkämpfer nationalsozialistischer Universitätspolitik, bei der Selbstaussage zur Entnazifizierung, dazu Auffarth 2018 Anm. 102.

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Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus legte Werner Jaeger nun umgekehrt die Betonung auf das Individuum statt auf den Staat. Während Karl Popper 1945 im neuseeländischen Exil Platon als Gegner der offenen Gesellschaft (also gewissermaßen als Befürworter des Nationalsozialismus) kritisierte67, befand Jaeger nun 1947: Die Erziehung durch die Philosophie hat sich als die allein wahre erwiesen. Kein anderer Weg als sie führt zu dem Ziel, den Staat in der Seele selbst zu begründen. Dies aber haben wir als das einzig mögliche Erziehungsziel erkannt in einer Welt, in der wirkliches politisches Leben keiner entscheidenden Besserung fähig ist. Wenn es zuerst so scheinen könnte, als sei es Platons Hauptabsicht, einen von wenigen regierten „besten Staat“ zu schaffen […], so ist es im Verlauf des Werkes sonnenklar geworden, daß er vielmehr umgekehrt die Politik auf Ethik begründet, […] das sittliche Verhalten des Einzelnen.68

Und die Vorstellung von der ‚pursuit of happiness‘ in der amerikanischen Verfassung kann Jaeger so beschreiben: Das einzige Wissen, das Wert hat, ist das Wahlwissen, das den Menschen fähig macht, die wahre Entscheidung zu treffen. […] „wer immer strebend sich bemüht“, wird sie in einem anderen Leben sich vollenden.69

Marrou hingegen sah im Faschismus und im Nationalsozialismus die Vandalen des 20. Jahrhunderts. Gegen sie müsse man wieder den Humanismus, die Bildung zum Menschen zum Ziel ausmachen. Das geschieht durch eine intensive Erziehung in den Alten Sprachen. Auf die lässt sich ein augustinischer humanistisch-religiöser Fruchtzweig aufpropfen, nicht aber ohne diese Grundlage. Eine Erziehung in katholisch-kirchlicher Frömmigkeit ohne diese Grundlage könne nicht diese Stabilität für Menschlichkeit hervorbringen.

4. Religion und Bildung: französische und deutsche Perspektiven In der Frage, welche Bedeutung Religion in der Bildung haben soll, äußert sich Marrou ganz entschieden für eine christliche Bildung auf der Grundlage der klassischen Bildung, während Jaeger zwar eine eindeutige Meinung dazu hat, das Christentum aber eher als harmonische Fortsetzerin des antiken Bildungsideals ansieht.70 Man kann drei Konfigurationen des Humanismus im religiösen Feld des säkularen Staates nach der Aufklärung unterscheiden: 67  Auf ihn verweist auch Näf 1992, 137 Anm. 22; Vgl. Demont 2004, 115 f. Pohle 2017, 249–290 zeigt ausführlich und gut belegt den großen Kontext für die antimoderne Platon-Rezeption in Deutschland im Dritten Humanismus. 68  Jaeger 1947, 99–104, hier 99. 69  Jaeger 1947, 104. 70  Follak 2005, 116–150 wirft Jaeger vor, seine Idee der paideia sei nur für eine Bildungsaristokratie gedacht (eine Meinung, die auch Krieck 1933 gegen Jaeger formuliert), für die sie zur Religion werde. Sie begründet das mit dem Zitat aus Jaegers Humanistischen Reden (1937,

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1.  Humanismus als Wertegrundlage, auf der christliche Werte aufbauen können, ohne in grundlegende Widersprüche zu geraten. Das wäre Jaegers Konzept. 2. Humanismus minus seiner paganen Überbewertung des homo mensura lässt sich als Propädeutik in der christlichen Bildung des Gottesglaubens sinnvoll integrieren. Das ist Marrous Ideal. 3.  Humanismus als säkulare Alternative zur christlichen Religion, also Christentumskritik und Kritik der bürgerlichen Moral. Das schleudert Drexler der hellenozentrischen paideia Jaegers entgegen. Er geht aber weiter zum Staat als oberstem Ziel, in dem der einzelne Mensch keinen Wert mehr hat. Dazu gehören grundlegend verschiedene Kontexte: 4.1 Frankreichs Laizismus und Marrous Laien-Katholizismus In Frankreich hatte die Republik 1905 die scharfe, feindliche Trennung von Staat und Kirche in Gesetze gegossen. Und die römische, ultramontane Zentrale hatte mit Antimodernismus reagiert, darunter dem Eid, den jeder katholische Priester seit 1910 bei seiner Weihe ablegen musste.71 Marrou kannte beide Seiten aus seiner biographischen Erfahrung in der eigenen Familie und der Familie seiner Schwiegereltern. Er wurde von seiner Mutter und dem Onkel zum katholischen Standpunkt erzogen, war aber kein katholischer Reaktionär, sondern französisch-katholischer Laie. Deshalb begrüßte er die vorsichtige Modernisierung durch Papst Pius XI. in der Enzyklika Quadragesimo anno (1931). Den Faschismus lernte er aus nächster Nähe kennen in seiner Zeit in Rom und Neapel und seine Beobachtungen veröffentlichte er in katholisch-liberalen Zeitschriften. Als er in Italien seine T hèse schrieb, hatte der Faschismus seinen Frieden mit der Kirche gemacht. Nachdem er scharf antiklerikal begonnen hatte, zeigte sich der Abschluss des Konkordats 1929 auch sichtbar in dem Durchbruch von der Stadt zur Kirche in der Prachtstraße der Via della conciliazione, die vom Stadtzentrum auf den Petersdom zuläuft. Der Anknüpfung der Faschisten an die römische Antike begegnete Marrou täglich in Rom. Auch das eine Jahr in Kairo macht sich bemerkbar in seinen – für die Zeit ungewöhnlichen – Bezügen zum Islam, etwa wenn er die Bezeichnung des Christentums als ‚Buchreligion‘ aus dem arabischen Begriff des ahl al-kitab herleitet.72 Den deutschen Nationalsozialismus erfährt er, als er Kriegsdienst leistet und dann im ‚unbesetzten‘ Vichy-Frankreich als Professor arbeitet. Die faschistischen Fremdherrschaften beschreibt er als den Einfall der Barbaren, die eine humane

173): „Es wird gewiß niemals eine Zeit kommen, wo das Wunder der griechischen Form nicht von einer stillen Gemeinde als etwas Göttliches empfunden und verehrt wird.“ Wenn man hier von Religion spricht, dann allenfalls im Sinne der Lesemysterien der Moderne, die aber nicht im Gegensatz zur öffentlichen Religion oder gar als Religionsersatz bewertet werden können. 71  Auffarth 2009. 72  Marrou 1948/1977, 19, vgl. 576.

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Gesellschaft zu zerstören suchen mit Angriffen gegen das Individuum und die christlichen Kirchen. 4.2 Jaegers christliche paideia als Fortsetzung der hellenischen paideia In Deutschland entwickelte sich das Verhältnis von Staat und Kirche deutlich anders. Im Wilhelminischen Kaiserreich bildete der Protestantismus die Staatskirche. Mit dem Ersten Weltkrieg endete die Verquickung von Staat und Kirche; dennoch gewährte die Weimarer Verfassung den Kirchen und Weltanschauungen außergewöhnlich hohe Privilegien, wie den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, Kirchensteuer, konfessionelle Schulen, Gefängnis- und Militärseelsorge. Die nationalsozialistische Diktatur führte – zur großen Überraschung und Erleichterung – die Privilegien weiter durch den Abschluss eines Konkordats gleich zu Beginn ihrer Herrschaft – auf Kosten der laikalen, auch politisch engagierten Katholiken.73 Jaeger, als Protestant in einem katholischen Gymnasium erzogen, lebte sein Christentum jedoch nicht als Christ einer Minderheit, sondern eher in der aufgeklärt-distanzierten Haltung seines Vaters als in der Frömmigkeit seiner Mutter mit ihrem Pietismus Wuppertaler Prägung.74 Schon für seine Habilitation beschäftigte er sich mit einem Kirchenvater, dessen Platonismus ihn interessierte.75 Griffig formuliert hat Reinhard Staats die Stellung des Gregor von Nyssa (und die seines Herausgebers Werner Jaeger): Jaeger hatte gemeint, daß dem großen Kappadozier mit de instituto Christiano als einem reifen Alterswerk die von ihm angestrebte Synthese von Antike und Christentum besonders gelungen sei. Jaeger liebte nächst Gregor von Nyssa kaum einen T heologen so sehr wie den Humanisten Erasmus von Rotterdam. Hier wie dort fand er das Zusammenwirken von Gnade und Werk, den klassischen Synergismus, den Jaeger tief bejahte, er selbst war ja ein Gegner von Augustins und Luthers Gnadenlehre. Was T heologen wie Adolf von Harnack als Hellenisierung der christlichen Religion abwerteten, bekam bei Werner Jaeger eine positive Deutung. Statt von einer Hellenisierung des Christentums sprach er von Übernahme eines Leitmotivs seines Hauptwerkes Paideia […] von der ‚Paideia Christi‘.76

Marrous Romanitas, die Bedrohtheit des Christentums, die ecclesia catholica, die Gnaden- und Sakramentenlehre widersprechen Jaegers Vorstellung: Hellenisches Christentum in Kontinuität zur griechischen Philosophie und ihrer paideia als in73  Insgesamt

setzte sich Hitlers Befürwortung der Akzeptanz seiner Herrschaft durch die Christen durch gegen pagane Tendenzen. Früh äußerte sich diese Auseinandersetzung um Religion innerhalb des NS bei dem Streit um die Bedeutung Karls des Großen: Während Himmler ein Mahnmal seiner SS gegen Karl den Sachsenschlächter errichten ließ, setzte Hitler Karl als den Begründer des Reiches durch. Vgl. Auffarth 2015a, 121 f. Zur historischen Genese des Konkordats Wolf 2007, 145–204. Dagegen (sein Schüler) Unterberger 2014. Die Initiative sei von Hitler ausgegangen. 74  Diese Bewertung von Markschies 2017, 246 f. halte ich für gut begründet. 75  Jaeger 1914. 76  Staats 1984, 11 f. Das Zitat hat Markschies 2017, 254 entdeckt.

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tellektuelle und individuelle Lebensform. So prägte er das Konzept einer paideia Christi. Als Beleg zitiert er den Apostel Philippus in den Acta Philippi: „Ich bin nach Athen gekommen, um euch die Paideia Christi zu offenbaren.“ Darin zeige sich „die Absicht des Apostels, das Christentum als eine Fortsetzung der klassischen Paideia erscheinen zu lassen.“77 Obwohl sein Philippus wie Paulus78 vor dem Areopag die griechischen Philosophen nicht gewinnen können, behauptet Jaeger eine Kontinuität. Die Kontinuitätsthese und Harmonie von klassischer Tradition und Christentum im Dritten Humanismus hat Drexler als Vertreter eines paganen Humanismus ätzend herausgestellt.79 Jaegers Haltung sieht er als Widerspruch zum nationalpolitischen Humanismus, wie Drexler selbst ihn propagiert. Schon in den Humanistischen Vorträgen hatte Jaeger festgestellt80: Das hugenottische Frankreich und protestantische Deutschland brachen dann in der Reformation zum Griechentum durch und führten das Griechische, die Sprache der Urschrift des Neuen Testaments, des Plato und Aristoteles, als blankes Schwert im Kampf mit dem mittelalterlich römischen Traditionalismus der römisch sprechenden Kirche.81

Einen Umbruch sieht Jaeger allerdings im Zweiten Humanismus: Die bewußte Versenkung ins Altertum hat mit der Weimarer Zeit [sc. mit Goethe und dem deutschen Idealismus] für die Deutschen eigentlich erst begonnen. Das Interesse hat die entscheidende Wendung vollzogen vom christlich religiösen Gebiet, wo die Reformatoren die Antike am mächtigsten erfahren hatten, zur Philosophie und Kunst, wo Goethe und seine Zeit mit ihr in neue Lebensgemeinschaft traten. Ihr Bild vom Altertum ist bestimmt durch ihr fast religiös erlebtes Verhältnis zur Kunst.82

77  Jaeger 1963, 7. Vgl. ebd.: „Diese Auseinandersetzung [sc. des Christentums mit der klassischen Bildung] erforderte eine gemeinsame Basis, sonst wäre sie nicht möglich gewesen. Als diese Basis wählte Paulus die griechische philosophische Tradition, die am lebendigsten das vertrat, was zu seiner Zeit von der griechischen Kultur vorhanden war. Ein späterer christlicher Schriftsteller, der Verfasser der Philippusakten, hat die Absicht der Apostelgeschichte auf dieselbe Weise verdeutlicht. In Nachahmung unserer kanonischen Apostelgeschichte, läßt er Philippus wie Paulus nach Athen kommen und läßt ihn genauso zu einem ähnlichen Auditorium über dasselbe T hema sprechen. Er läßt den Apostel Philippus sagen: ‚Ich bin nach Athen gekommen, um euch die paideia Christi zu offenbaren.‘ Genau dies war in der Tat auch die Absicht des Verfassers unserer Apostelgeschichte gewesen. Durch die Bezeichnung des Christentums als paideia Christi unterstreicht der Imitator die Absicht des Apostels, das Christentum als eine Fortsetzung der klassischen paideia der Griechen erscheinen zu lassen.“ Dass Apg 17, Pauli Predigt vor dem Areopag, von Lukas als Misserfolg gewertet wird, fügt Jaeger nicht hinzu. Das konstatiert auch Flashar 2015, 427. Vgl. Calder 1989, 351: „Jaeger hat im Christentum stets eher einen Höhepunkt als eine Verwerfung des Hellenismus gesehen.“ 78 Im Tyrtaios leitet Jaeger (1932, 568 = 34) den „Grundgedanken“ aus der „hellenistischen Popularphilosophie“ ab, „von der Paulus sie erhalten konnte, so gut wie die Fabel vom Leib und seinen streitenden Gliedern I. Kor.12.“ 79  Drexler 1942, 70–79. 80  Jaeger 1937, 184; zitiert bei Drexler 1942, 70. 81  Jaeger 1937, 24 f. in der Rede Der Humanismus als Tradition und Erlebnis (1919). 82  Jaeger 1934, 25.

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Und doch bringt Jaeger beides in Kontinuität: Es ist kein Zufall, daß die Wiederentdeckung der Griechen vor 100 Jahren ein Werk des protestantischen und insbesondere des deutsch-protestantischen Geistes ist. […] Der Protestantismus hat die Tradition in doppelter Hinsicht übersprungen: in der Religion ging er zu der Urform des Christentums zurück, in der „Welt“ zur Urform des europäischen Geistes, zum griechischen Kulturgedanken.83

Dazwischen fügt Jaeger harmonisch die folgenden Sätze zur katholischen Religion ein: Der Platz der Antike im Aufbau der katholischen Kirche ist seit dem späten Altertum unverrückbar derselbe. Sie ist die Hüterin der klassischen Tradition. […] Das Römertum ist uns unmittelbare, lebendige geschichtliche Wirklichkeit. Wir stehen im Westen und Süden unseres Vaterlandes auf dem Boden der römischen Kultur. Am Rhein und an der Mosel wächst der Wein, den die Römer gepflanzt haben, ragen die mächtigen Denkmäler ihrer Tore, ihrer T hermen und Paläste. Unsere ehrwürdigsten Städte halten in ihren Namen noch den Nachhall ihres römischen Ursprungs fest. In Tausenden deutscher Kirchen ertönt noch heute täglich beim Gebet und Opfer die feierliche Sprache Latiums, und die Liturgie wird mit dem unveränderten Zeremoniell altrömischen Kultbrauchs begangen. Das ist zwar gewiß nicht „Humanismus“, aber es ist auch lebendige Antike.84

Drexler, der einen paganen Humanismus für den Nationalsozialismus einfordert, kommentiert: Daß die angeführten Tatsachen das Römertum als unmittelbare, lebendige geschichtliche Wirklichkeit erwiesen, ist durchaus unrichtig. Niemand denkt, wenn er den Wein des Rheins oder der Mosel trinkt, daran, daß die Römer dort zuerst Reben gepflanzt haben. Was heißt überhaupt lebendige geschichtliche Wirklichkeit? So viel ist sicher, daß die Kimbern, Caesar und Ariovist, Stilicho und T heoderich uns unendlich mehr bedeuten als selbst die Porta Nigra, von anderen antiquarischen Relikten ganz zu schweigen. Denn unsre tiefste Anteilnahme gilt allein dem deutschen Schicksal — und auch die Antike ist deutsches Schicksal.

Und gegen das Romanisch-Katholische gerichtet fährt der bei den Herrnhutern erzogene Drexler fort: Der lateinische Geist — um hiermit zu beginnen — ein Geist der Stabilität und der Organisation: bekanntlich war eben dies die Propagandathese Frankreichs gegen uns. Wie kann man sie sich zu eigen machen? Es wäre gleichbedeutend mit der Aufgabe unserer Berufung als Volk und Rasse.85

Jaegers Humanismus – dem nicht-heidnischen Humanismus, der das Christentum nicht zum Gegner macht – schleudert Drexler entgegen: „Wir sind nicht gesonnen, neben unserer Wissenschaft […], über ihr eine wissenschaftlich gesehen okkulte Ideologie zu dulden.“86 Wissenschaft müsse parteiisch sein und daher Jaeger 1937, 182 in der Rede Die Geistige Gegenwart der Antike (1929). Jaeger 1937, 182 f. 85  Drexler 1942, 74 Anm. 28. 86  Drexler 1942, 10 sowie a. a. O. 8 zur kirchlich gebundenen Wissenschaft, die „einen 83 

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gelte den Vertretern des Dritten Humanismus „unser Haß und unser Vernichtungswille.“87 Dabei schätzte Jaeger die pagane T heologie, wie sie Walter F. Otto in seinen Büchern Die Götter Griechenlands (1929) und Dionysos (1933) entwickelte.88 Diese Götter waren nicht tot und eine Glaubenssache jenseits des Christentums.89 Sie waren nicht metaphysisch, sondern im Leben, in der menschlichen Schönheit, eine Realität. Doch folgt Jaeger nicht der in Nietzsches Sinne fundamentalen Kritik am (bürgerlichen) Christentum.90 Wenige NS-Pädagogen und klassischen Philologen setzten auf pagane Werte, die Nietzsche und Otto folgten gegen das als Sklavenmoral geziehene Christentum. Die antiken Wertbegriffe hatten Hochkonjunktur: Drexlers Rektoratsrede 1944 über dignitas kann dafür als Beispiel gelten.91 Diese Diskussion um römische Wertbegriffe wird nach zwei Generationen wieder aktuell, freilich hermeneutisch offener im Unterschied zu der Zielsetzung einer direkten Vorbildfunktion.92 Geschichte und Hermeneutik wird als Historismus und Positivismus und mit dem Anspruch auf Objektivität für obsolet erklärt, die Philologie dagegen führe zu überhistorischen und normsetzenden Erwissenschaftlich nicht kontrollierten oder grundsätzlich der Kontrolle entzogenen weltanschaulich-dogmatischen Oberbau duldete.“ Viel schlimmer aber seien die, die sich nicht darüber klar sind, „wie viel dogmatische, keiner wissenschaftlichen Rechenschaft unterzogene Wertungen in ihre T hesen und Urteile eingingen.“ Eben das wirft er Jaeger vor. 87  Drexler 1942, 9. 88  Cancik 1986. Leege 2016, 84–93. 89  Die Homepage der Gifford Lectures (Vorlesungen über natural theology), die Jaeger 1936/37 über die Vorsokratiker hielt, stellt fest: „Jaeger’s interests in Hellenism and Christianity often criss-crossed.“ https://www.giffordlectures.org/lecturers/werner-jaeger (letzter Zugriff am 10.03.2018). 90  Otto 1923. „Wird auf Wunsch des Verfassers nicht mehr aufgelegt“, so Egidius Schmalzriedt in der Bibliographie zu Walter F. Otto: Schmalzriedt 1962, 383. 91  Die – einschlägig berüchtigte – Wissenschaftliche Buchgesellschaft beauftragte ausgerechnet Hans Drexler mit der Herausgabe des WdF-Bandes Politische Grundbegriffe der Römer (der dann allerdings posthum 1988 außerhalb dieser Reihe publiziert wurde); seine Dignitas-Rede wurde wieder abgedruckt in dem Band Das Staatsdenken der Römer (hg. von Richard Klein; WdF 46; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1973) 231–254, wo Drexler (231 Anm. *) sich noch 1973 auf eine Rede des NS-Leiters des rassepolitischen Amtes bezieht. 92  So etwa bei Viktor Pöschl. Sein Schüler Fritz-Heiner Mutschler hat das fortgesetzt; ebenfalls seine Schülerin Gabriele T homé mit ihrem Buch Vorstellungen vom Bösen in der lateinischen Literatur (1993); dazu die Rezension von Schulte 1994. Neuerdings (seit 2000) die Tagungen der University of Pennsylvania mit der Universität Leiden, beginnend mit ‚An­ dreia‘ – Manliness and Courage in Classical Antiquity (2003). Es folgten Free Speech in Clas­ sical Antiquity (2005), City, Countryside, and the Spatial Organization of Value in Classical Antiquity (2006), KAKOS: Badness and Anti-Values in Classical Antiquity (2008), Valuing Others in Classical Antiquity (2010), Aesthetic Value in Classical Antiquity (2012, alle hg. von Ralph Rosen/Ineke Sluiter), Valuing the Past in the Greco-Roman World (2014, hg. von James Ker/Christoph Pieper), Valuing Landscapes in Classical Antiquity (hg. von Jeremy McInerney/Ineke Sluiter), and Eris vs. Aemulatio: Competition in Classical Antiquity (i.V., hg. von Cynthia Damon/Christoph Pieper).

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gebnissen.93 Bei Jaeger sind Antike und Christentum aber kein unüberwindlicher Gegensatz. Seine Vorlesung von 1961 Das frühe Christentum und die griechische Bildung94 „bildet nicht einen vierten Band der Paideia-Trilogie, sondern „das Telos oder die Entelechie des Ganzen, nicht nur der Paideia, sondern zu Jaegers Leben“, wie Paul Keyser formuliert.95 Mag sein, dass das eine „Einheit discordia concors klassischer und spätantik-christlicher Geschichte“ etwas überspielt, wie Jaeger im Vorwort zur Einleitung seiner Opuscula 1960 feststellt.96

5. Marrous Klassiker im Kontext seiner Zeit Aus dem Vergleich ist deutlich geworden, dass Henri-Irenée Marrou als Altertumswissenschaftler, als Franzose, als Katholik in seinem Werk zur antiken Bildung Ziele verfolgte, die über eine positivistisch-historistische Darstellung des antiken Schulwesens und der entsprechenden Bildungstraditionen weit hinausgehen. In seiner kritischen Philosophie der Geschichte spricht Marrou auch deutlich aus, dass „die Geschichte vom Historiker nicht zu trennen ist“.97 Objektive Erkenntnis könne und dürfe nicht das Ziel sein. Aber gegenüber der „existenziellen und letztlich ahistorischen Leidenschaft“ muss der Historiker eine Eigenschaft zeigen: „die fruchtbare epoché, die Kaltblütigkeit, de[n] gesunde[n] Menschenverstand“ 98. Die Frage, die Marrou stellt, bezog sich auf die Konstellation, die er als Altertumswissenschaftler, als Franzose, als Katholik erfuhr. Seine Erkenntnis als Historiker, dass die Christen keine eigenen Schulen einrichteten, sondern die Gebildeten der décadence-Zeit ihre Bildung in den klassischen (heidnischen) Schulen erwarben, ist eine Forderung, die für seine Gegenwart wieder gilt: Konfes­ sionsschulen sind kein Heilmittel in der Krise der Gegenwart, besonders gegen die neuen Barbaren, den Deutschen, den Nationalsozialisten. Da steht der katholische Laie im Widerspruch zum kirchlichen Katholizismus. Werner Jaeger kämpft ebenfalls für das humanistische Gymnasium. Dabei dient er sich der Spitze der ‚neuen‘ Bildungspolitik an, indem er seinen Dritten Humanismus auf die neuen nationalsozialistischen Ziele und Werte hin zuspitzt. Die Erziehung zum politischen Menschen als Glied des autoritären Staates, wer 93  Stiewe 2011, 174–206 setzt ein mit der Analyse von Jaegers Basler Antrittsvorlesung Das Verhältnis der Philologen zur Historie (1914). Die Krise des Historismus hat Oexle 1996 hervorragend analysiert. 94  Jaeger 1961/63. 95  Keyser 1992, 89: „not as merely volume four of Paideia (or worse as merely an afterthought) but as the telos or entelechy of not only Paideia but of Jaeger’s life“. 96  Jaeger 1960. Das betont Markschies mit Verweis auf den schon von Keyser 1992, 91 f. zitierten Brief Jaegers an Rudolf Bultmann aus dem Jahr 1930, dass das Christentum zwar in die Antike eintreten, sie aber nicht überwinden und durch einen anderen Aufbau zu ersetzen vermochte. 97  Marrou 1973, 63–82: Der Historiker stellt die Frage. 98  Marrou 1973, 240–260.

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könnte das besser als die griechische paideia und Platons Staat? Jaeger sieht sich aber schnell in diesem primären Ziel als Repräsentant des Altphilologenverbands wirkungslos. Der Protestant Jaeger widerspricht aber weiter dem Humanismus, der das (antike) Heidentum gegen das Christentum als Religionskritik nutzt. Religion als Protestantismus ist für ihn Bahnbrecher der deutschen Kultur, das entschieden Griechische in einer (rasse-)verwandten, vorbildlichen Kultur. Ist es für Marrou die Spätantike, das römische Reich, das im Zerfall sich erneuert zu einer christlichen Kultur, so preist Jaeger zwar die Reformation, aber eigentlich nur, weil durch sie die deutsche Kultur sich wieder dem griechischen Geist annäherte. Humanismus und Christentum waren für Jaeger wie Marrou kein Gegensatz, für beide stellte humanistische Bildung, das Denken in den mit Fleiß erlernten Sprachen und Kulturen der Antike, die Voraussetzung für das gebildete MenschSein dar. Beide verstanden sich als Historiker, als engagierte Intellektuelle. Jaeger hat sich allerdings von Politik ferngehalten, als sein Einsatz für die Alten Sprachen abgeschmettert wurde.99 Geschichte existenziell befragt darf jedoch nicht dazu führen, dass der Historiker emotional urteilt und vorschnell in den Quellen zu finden glaubt, was die nicht hergeben. Der Historiker soll sich in die Lebenssitua­ tion hineinversetzen, und die Quellen genau befragen. Doch dann die epoché: kein vorschnelles Urteil! Marrou hat seine Handbücher immer wieder überarbeitet und neue Funde und Befunde eingearbeitet. Er hat die Quellenbasis erweitert von den Kirchenvätern und ihren theologischen Traktaten weiter besonders zu den christlichen Inschriften. Diese Fortschritte in der Wissenschaft sind nötig. Aber die Fragestellung wird sich und muss sich immer neu mit jeder Generation und ihren Erfahrungen verändern. Otto Gerhard Oexle hat gegenüber dem Positivismus (Historismus) in der Geschichtswissenschaft, der behauptet, Geschichte setze sich aus Fakten zusammen, mit Max Webers Rede von der Wissenschaft, die sich selbst überholen muss, von der Problemgeschichte gesprochen.100 Weber konstatiert: „Nicht die sachlichen Zusammenhänge der Dinge, sondern die gedanklichen Zusammenhänge der Probleme liegen den Arbeitsgebieten der Wissenschaften zugrunde.“101

 99  Das schlug nicht um in Ablehnung des Nationalsozialismus. Sein Schüler Richard Harder stieg weit auf, bezahlte es aber nach der Katastrophe mit Karrierebruch und Bruch seines Selbstbewusstseins. Die beiden haben sich nicht wiedergesehen. Jaeger konnte Harders Depression nicht begreifen. Vgl. Mensching 2000, 107–126. 100  Oexle 1998, 99–151, hier 134. Zitat aus Weber 1922 = 1968, 166. 101  Dank für Hinweise und Diskussion gebühren meinem Lehrer Ernst A. Schmidt und Hartmut Leppin.

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Der moderne Bildungsbegriff und seine geschichtlichen Voraussetzungen Bernd Schröder* Eine Debatte anlässlich des 250. Geburtstags Wilhelm von Humboldts, inszeniert in Die Zeit,1 führt exemplarisch mitten in die Fragestellung dieses Beitrags – und dies obwohl mit Humboldt nur mittelbar antike Grundlagen der Bildungsdebatte aufgerufen werden, vielmehr primär solche aus der sog. Sattelzeit, der Aufklärung.2 Welche Rolle spielt im Bildungsdiskurs der Gegenwart die Erinnerung an geschichtliche Bildungskonzepte und -praxen, insbesondere solche, die ihrerseits nicht auf den deutschen Begriff ‚Bildung‘, sondern bedingt durch ihre Zugehörigkeit zu anderen Sprach-, Kultur- und Religionsräumen oder auch durch eine spezifische Programmatik auf andere ‚pädagogische‘ Termini mit je eigenen semantischen Höfen Bezug nehmen? Und: In welcher Weise kommen diese geschichtlichen Bildungstheorien und -praxen im gegenwärtigen Bildungsdiskurs zur Geltung? Denkbar wäre insbesondere, dass sie dies tun – als am geschichtlichen Fall konkretisierte gedankliche Modelle, die als solche gewissermaßen über die Zeiten hinweg synchronisiert werden, – über ihre im Fortgang der Geschichte entfaltete Wirkung, die – nolens volens – bis in die Gegenwart hineinragt, oder – im Medium ihrer Rezeption, die unvermeidlich eine selektierende Adaption an die gegenwärtige Debattenlage mit sich bringt. Während in jenem feuilletonistischen Streitgespräch Michael J. Hartung, Journalist und Ressortleiter von Zeit Chancen, im Blick auf gegenwärtige Hochschulreformen die Auffassung vertritt, man solle mit dem „großen Humboldt“ geschichtliche Paradigmen überhaupt „zurücklassen“, denn Universitäten müssten zeitgemäße, „sich ständig selbst erneuernde Systeme“ sein, plädiert Heinz-Elmar Tenorth, einer der Nestoren historischer Bildungsforschung in Deutschland, für *  Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen des DFG-geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam“, Teilprojekt C 05: „Der christliche Katechumenat von der Spätantike zum Frühmittelalter und seine religionspädagogische Rezeption“. 1 Hartung/Tenorth 2017. 2  Koselleck 2006.

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eine wirkungs- und rezeptionsgeschichtlich aufgeklärte Wahrnehmung Humboldts.3 Mit anderen Worten: Humboldts tatsächliche Wirkung sei kleiner als häufig suggeriert, erst die Rezeption des frühen 20. Jahrhunderts habe ihn zu der Lichtgestalt werden lassen, als die er heute erscheint; in seinem wie in anderen Fällen tue eine kritische historische Rekonstruktion not, deren Anregungspotential für gegenwärtige Debatten je und je zu prüfen ist – das aber sei nicht mehr Aufgabe der historischen Bildungsforschung, sondern einer bildungstheoretischen Debatte, in der auch gegenwärtige Rahmenbedingungen und Herausforderungen sachgemäß zur Geltung kommen müssten, während geschichtliche Modelle keineswegs als solche Prägekraft beanspruchen könnten.

1. Die Unangemessenheit der Rede von „dem modernen Bildungsbegriff“ Wenn man – wofür gute Gründe sprechen – die Moderne mit der Sattelzeit der Aufklärung beginnen und – alternative Epochenbezeichnungen wie Spät- oder Postmoderne außer Acht lassend – bis in die Gegenwart reichen lässt, dann wird man schon bei einem flüchtigen Zugriff nicht des einen modernen Bildungsbegriffs ansichtig, sondern einer Vielzahl von Kontexten, in denen von „Bildung“ die Rede ist. Das Spektrum reicht vom philosophischen Essay über die pädagogische T heoriebildung bis hin zum schulpolitischen Statement. Nicht minder zahlreich sind die Bildungskonzepte, die nicht selten gegeneinander profiliert wurden und entsprechend unterschiedliche Akzente gelten machten.4 Diese Fülle nimmt nicht wunder, gewinnt doch der deutsche Begriff „Bildung“ überhaupt erst in dieser Zeit, ab Mitte des 18. Jahrhunderts, Statur als Vokabel von „genuin päd.[agogischer] Bedeutung“5 und von programmatischer Strahlkraft.6 Doch es ist nicht nur der Begriff, der in der Moderne eine Blüte erfährt; hinzu kommt der Aufbau eines Gefüges formaler Bildungsinstitutionen in staatlicher Trägerschaft (Schule und Schulpflicht) und – als innerer Grund dieser äußeren Pflöcke – die Identifikation von Bildung als zentrales Prinzip der Allokation in Arbeitswelt und sozialer Hierarchie einer sich sukzessive demokratisierenden Gesellschaft. Es sollen nicht mehr Herkunft, sozialer Stand und Tradition sein, die den Einzelnen ihren Platz zuweisen, sondern die individuelle Verfügung über Wissen, Können und Haltungen sowie deren förmliche Testierung. Die Genese und Blüte von Begriff und Sache der „Bildung“ markiert somit sowohl eine ideen3 Hartung/Tenorth

2017, 67 (Kursivierung BS). Als Darstellung solcher Konzepte und ihrer Kontexte siehe etwa Schröder 2018b, Borst 2016, Wiersing 2015, Schweitzer 2014, oder Dörpinghaus/Poenitsch/Wigger 2006. 5  Zenkert 1998, 1578 in Anlehnung etwa an die Ergebnisse von Schaarschmidt 1931/1965. 6  Friedrich Gottlieb Klopstocks (1724–1803) Dichtungen gelten in begriffsgeschichtlicher Hinsicht als Schlüsseltexte – vgl. etwa Schaarschmidt 1931/1965, hier 54, und Staats 2004; grundlegend zudem vor allem Dohmen 1964/65 und Lichtenstein 1966 (vgl. ders 1970). 4 

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als auch eine realgeschichtliche Zäsur.7 Gilt das 18. Jahrhundert schon den Zeitgenossen vor allem wegen seiner Dichte einschlägiger schöngeistiger Reflexionen als „Jahrhundert der Bildung“8, so nennt T homas Nipperdey in seiner Deutschen Geschichte das Preußen des 19. Jahrhunderts „Modellland der Bildungsreform“9. Wohl nicht zuletzt als Nachwirkung jener Aufbrüche gelten Gesellschaften wie die unsrige seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts – man denke an Ralf Dahrendorfs „Bildung ist Bürgerrecht“, aber auch an die Lissabon-Strategie der Europäischen Union – als „Wissens- oder Bildungsgesellschaften“.10 Aus der Fülle der Bildungskonzepte wären exemplarisch etwa zu nennen: – der Begriff von „Bildung“, der von Immanuel Kant und vor allem Moses Mendelssohn 1784 in Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? entfaltet wurde11 und dem Bildungsverständnis ihrer Zeit eigenständige Ingebrauchnahme des Verstandes, kritische Reflexion und Eigensinn des Subjektes einschrieb, – die „goldene Kette der Bildung“, die Johann Gottfried Herder geschichts­ philosophisch identifizierte, und mit der er das Gewicht kultureller Sozialisation exponierte: „Kein einzelner von uns ist durch sich selbst Mensch geworden“12, – das – bis heute wohl wirkmächtigste – Verständnis von Bildung mitsamt einer „neuhumanistisch“ genannten Gymnasial- und Universitätskonzeption, entwickelt von Wilhelm von Humboldt,13 das der Zweckfreiheit des Sich-Bildens im Interesse der ganzheitlichen Entfaltung der Persönlichkeit ein Denkmal setzt und dabei in hohem Maße auf sprachliche Verfasstheit wesentlicher Bildungsgüter abhebt, – und, wiederum zeitgleich, das Bildungsverständnis des T heologen Friedrich Schleiermacher, der an zentraler Stelle in Aufnahme Meister Eckharts „das Bildende der Religion“ zur Sprache bringt.14 Weiterhin lassen sich – in Auswahl – anführen – die Bildungskonzepte der sog. Reformpädagogik an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die im Unterschied zum neuhumanistischen Leitbild den sportlichen und künstlerischen Ausdruck, das Schaffen mit Hand und hand-

  7  Zu diesem epochemachenden Charakter von Bildung vgl. etwa Koselleck 2006, 105– 154 und Blankertz 1982.   8  Herrmann 1981; vgl. als Panorama zudem das „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“ (Hammerstein/Hermann 2005).   9  Nipperdey 1983, 452 und 451. 10  Dahrendorf 1965 sowie Engelhardt/Kaletzke 2010. 11  Kant 1784/1983 und Kant 1803/1983 sowie Mendelssohn 1784/2009. 12  Herder 1887, 343 ff., gekürzt. 13  Siehe Humboldt 2002, Bd. IV. 14  Bauer 2015, 174. Zur Forschungsgeschichte hier nur a. a. O. 7–33, sowie jüngst die Beiträge in Ohst 2017.

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werkliches Können, die Gemeinschaft und das Erleben in der Gruppe in den Mittelpunkt stellen,15 – oder dasjenige eines Solitärs wie Ernst Robert Curtius (1886–1956), der 1932 Bildung als Medium definierte, das dem Individuum die Modi und Gehalte der Weltaneignung zwischen „Leistungswissen“ einerseits und „Heilswissen“ andererseits erschließt.16 – Zu nennen ist die Bildungskonzeption der geisteswissenschaftlichen Pädagogik nach Eduard Spranger (1882–1963), die der Gymnasialpädagogik der Weimarer wie der Bonner Republik den Weg wies,17 – diejenige der Kritischen T heorie, die dezidiert um die 1966 von Adorno formulierte „Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei“, kreist und sich im Banne dieses Imperativs gegen die Rede von „Bildung“ wenden zu müssen meint18 und de facto, etwa in der Lesart von Heinz-Joachim Heydorn (1916– 1974) und anderen19, ein fundamental kritisches Bildungsverständnis gelten macht, – die gesellschafts- und bildungspolitisch motivierte „Bildungsreform“ der 1960er und 70er Jahre, die nicht zuletzt durch Georg Pichts (1913–1982) Zwischenruf Die deutsche Bildungskatastrophe (1964) initiiert worden war. Niedrige Abiturientenquote, Lehrermangel, Qualitätsverlust, ungleiche soziale Verteilung der Bildungschancen waren die zentralen „Versäumnisse“, die er der seinerzeitigen Bildungspolitik vorhielt;20 Picht, von Haus aus Altphilologe und Philosoph, machte dabei erstmals soziale Realitäten und internationale Vergleichsdaten, empirische Kennzahlen und operationalisierbare Handlungsstrategien für die Entfaltung einer Vision schulischer Bildung geltend. – Schließlich sei auch die Bildungsdebatte der Zeit nach dem PISA-Schock von 2001 genannt, in der ein handlungsorientiertes, an der Messbarkeit des ‚Outputs‘ schulischer Bildung interessiertes Konzept von Bildung eine Blüte erlebt.21 Allerdings geht auch dieser Bildungsdiskurs nicht einlinig im Streben nach Operationalisierung auf. Vielmehr hat einer der führenden empirischen Bildungsforscher, Jürgen Baumert, ein vieldiskutiertes Modell allgemeiner Bildung entwickelt, das sich von der Einsicht aufbaut, es gäbe unterschiedliche Formen von Rationalität, die dem Individuum jeweils einen eigenen, unverwechselbaren Horizont des Weltverstehens erschließen und nicht gegeneinander aufrechenbar sind – und eben deshalb in einem allgemeinen Bildungskonzept gleichgewichtig gefördert werden sollten. Es sind dies die „normativ-evaluative“ Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft, die 15 

Dazu etwa Koerrenz 2004 und Skiera 2010. Curtius 1932/2017. 17  Vgl. etwa Porsche-Ludwig 2014. 18  Adorno 1971 und Adorno 1972. 19  Heydorn 1979/80; dazu Ragutt/Kaiser 2016. 20  Picht 1964. 21  Als Schlüsseltext gilt Klieme u. a. 2003. 16 

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in Fächern wie Politik erfolgt, der „kognitiv-instrumentelle“ Weltzugang, der Zusammenhänge regelhaft modelliert und in Fächern wie Mathematik eingeübt wird, der „ästhetisch-expressive“ Modus des Weltumgangs, der die Wirklichkeitswahrnehmung und -verarbeitung des Subjekts betrifft, und in Kunst, Sprache beziehungsweise Literatur und Musik verhandelt wird, und schließlich ein Weltzugang, der „Probleme konstitutiver Rationalität“ und damit eine Meta-Ebene zu den drei erstgenannten ergründet – die klassischen Domänen dessen sind Philosophie und Religion.22 Wie gesagt: Angesichts dieser – hier nur kursorisch referierten – Fülle an Lesarten kann von einer Ausformung des modernen Bildungsbegriffs (im Singular) schwerlich die Rede sein; auch der Weg, eines dieser Konzepte, etwa das Humboldtsche, zu dem klassischen Bildungskonzept zu erklären, im Vergleich zu dem alle anderen als bloße Derivate oder Nebengleise erschienen, bleibt dem bildungshistorisch aufgeklärten Betrachter verwehrt. Allenfalls lassen sich im Blick auf moderne Bildungskonzepte und ihre Fülle Tendenzen erkennen, die sowohl Entwicklungen als auch Konstanten betreffen. Zu den maßgeblichen Entwicklungen zählt gerade in jüngster Zeit (1.), dass die Bildungskonzepte – je jünger desto stärker – einer normativ-visionären Aufladung von „Bildung“ den Ruf nach ihrer empirischen Messbarkeit und kriteriengeleiteten Operationalisierung entgegenstellen. Sodann gehört zu diesen Entwicklungen (2.) der Umstand, dass sowohl die T heorie der Bildung als auch die Bestimmung der Gehalte von Bildung immer weniger aus der Tradition (allein) destilliert werden als vielmehr aus dem, was in der Gegenwart und in der – anerkanntermaßen un­ bekannten – Zukunft als für die Führung eines seiner selbst bewussten und verantwortlichen Lebens unerlässlich identifiziert wird. Den entsprechenden Wechsel der Blickrichtung markiert erstmals unverkennbar die Curriculumtheorie, in deren Zeichen „Bildung“ dem Aufbau von Qualifikationen dient, mit deren Hilfe sich zukünftige Situationen bewältigen lassen sollen.23 Diese Beobachtung gibt nicht nur in unserem Kontext der Forschung nach Bildung in der Vormoderne zu denken, denn in ihr spiegeln sich mehrere für modernes Bildungsdenken charakteristische Paradigmenwechsel: die Vorordnung des Prospektiven vor dem Retrospektiven, die Präferenz für formale Bildung neben beziehungsweise an Stelle materialer Bildung, die Orientierung am Einzelnen statt an der – über Jahrhunderte maßgeblichen – Orientierung an dem, was eine Gesellschaft oder soziale Gruppe als Bildungsgut ausweist. Als dritte Entwicklung (3.) sei benannt, dass „Bildung“ weniger als anthropologische Bestimmung und vielmehr als „Handlungsfeld“ mit einem bestimmten Sitz im Leben verhandelt wird. Mehr noch: Dieser Sitz im Leben wird immer deutlicher institutionell bestimmt. Bildung wird als in der Schule bzw. im staatlichen Bildungssystem stattfindend gedacht – die traditionellen Orte 22 

Siehe Baumert 2002. Vgl. dazu neben der grundlegenden Schrift von Robinsohn 1967 etwa Kron 2000/62014, 293–322. 23 

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des Bildungserwerbs wie Familie und Geselligkeit treten weit zurück. Erst von dieser formalen Bildung ausgehend finden auch non-formale und informelle Bildung Gestalt und Anerkennung.24 Und schließlich (4.) muss als maßgebliche Entwicklung auch auf einen kategorialen Ortswechsel von Religion im Bildungsdis­ kurs hingewiesen werden: Religion ist je länger desto weniger der einheitsstiftende Referenzrahmen, in dem Bildung reflektiert wird (und damit auch nicht länger selbstverständlicher Bildungsinhalt); sie wird stattdessen – wenn überhaupt – als ein T hemenfeld bzw. eine Domäne von Bildung unter anderen thematisiert. Neben diesen vier – nicht linear zu denkenden, sondern der Tendenz nach beobachtbaren – Entwicklungen hin zur Operationalisierung, zur Enthistorisierung, zur Institutionalisierung des Bildungsbegriffs und zu seiner Abkoppelung vom Referenzsystem „Religion“ stehen einige Konstanten des modernen Bildungsverständnisses, die insbesondere dann hervortreten, wenn die erwähnten modernen Bildungstheorien, die hier allesamt allein dem deutschen Sprachraum entnommen sind, vergleichend betrachtet werden – synchron vergleichend mit europäischen oder außereuropäischen Bildungskonzepten, diachron vergleichend mit vormodernen Bildungskonzepten etwa „des Mittelmeerraums und seiner Umwelt“.25 Tentativ seien einige solcher Konstanten der modernen deutschsprachigen Bildungsreflexion angedeutet: – die zentrale Rolle des Individuums, auf dessen Entfaltung, intrinsisch motivierte, selbstzweckliche lernende Selbststeigerung oder Subjektwerdung hin die im Prozess der Bildung erfolgende Weltaneignung gedacht wird, – gepaart mit der anthropologischen Annahme der Bildungsbedürftigkeit und der „Bildsamkeit“ aller Menschen (Johann Friedrich Herbart). Die gemeinsame Überzeugung ist, dass Vermögende wie materiell Arme, Männer und Frauen, Angehörige von Christentum wie Judentum, Menschen ohne wie auch mit Körper-, Sinnes- und Geistesbehinderungen sich bilden können und darauf angewiesen sind, – die hohe Wertschätzung für die Schulung des Verstandes (unter Hintanstellen von Emotionalität, Physis und auch Spiritualität bzw. Religiosität), – gepaart mit der Idee der Kritik, die es am Faktischen wie am Gewissen, nicht zuletzt auch selbstreferentiell an Gehalt und Gestalt eben der Lehr-Lern-Prozesse zu üben gilt, die den Vorgang der Bildung stimulieren und ausmachen, – die Hochschätzung sogenannter formaler Bildung, oder, anders formuliert, die Vorordnung der Kenntnis von Methoden, Zugriffsperspektiven und Fertigkeiten, Qualifikationen bzw. Kompetenzen vor die Aneignung materialer Wis-

24  Zu dieser Begriffstrias vgl. Europäische Kommission 2001, im Rückgriff u. a. auf Faure 1973. 25  Eine solche Kartografie der Bildungskonzepte und -praxen ist ein Desiderat, dessen Erfüllung für die rund zwei Millennien vom 5. Jahrhundert v. u. Z. bis zum 15. Jahrhundert u. Z. der SFB 1136 „Bildung und Religion“ antritt.

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sensbestände und vor die Pflege dessen, was man einen „Bildungskanon“ nennen könnte. – Zur DNA moderner Bildungsbegriffe gehört darüber hinaus die Anerkennung einer paradoxalen Grundstruktur von Bildung: Sie spricht die zu Bildenden auf etwas an, über das sie noch nicht verfügen, und nimmt sich selbst zurück, sobald sie dieses Stadium der Subjektwerdung erreicht haben.26 Die Frage nach dem „modernen Bildungsbegriff und seinen geschichtlichen Voraussetzungen“ lässt sich somit in diesem ersten Durchgang so beantworten, dass dieser moderne Bildungsbegriff als vielgestaltig und seinerseits einer geschichtlichen Entwicklung unterworfen beschrieben werden muss. Die Rezeption und Auseinandersetzung mit Bildungspraxen wie -konzepten, die als geschichtliche Voraussetzungen des je eigenen Bildungsbegriffs gelten können, spielt explizit besonders in den Entwürfen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts eine Rolle – namentlich im Falle Wilhelm von Humboldts liegt die Rückbindung an die Ideale des klassischen Griechenland auf der Hand. Dabei erfolgt die Vergewisserung anhand geschichtlicher Protagonisten auf mehreren Ebenen: auf derjenigen der theoretischen Referenzierung ebenso wie auf derjenigen der Bestimmung von Inhalten wie Formen (Sprachen) der unter dem Siegel „Bildung“ institutionalisierten Lehr-Lernprozesse.27

2. Die geschichtlichen Voraussetzungen des modernen Bildungsbegriffs und die gegenwärtige „Bildungsforschung“ Unabhängig davon, ob sie von den Bildungstheorien ihrerseits zur Sprache gebracht und zum T hema gemacht werden, hat die Vielfalt moderner Bildungskonzeptionen geschichtliche Voraussetzungen: antike, mittelalterliche und vor allem (früh-)neuzeitliche. Diese Voraussetzungen aufzuklären oder auch nur bewusst zu halten, ist allerdings – cum grano salis – nicht das primäre, sondern lediglich ein ausnahmsweise leitendes Interesse gegenwärtiger Bildungs-T heoriebildung, sofern sie in der Erziehungswissenschaft und in angrenzenden Human- und Sozialwissenschaften beheimatet ist. Bestimmt wird diese T heoriebildung vielmehr von anderen Zweigen, die der Bildungssoziologie, der pädagogischen Psychologie, der Bildungsökonomie und anderen mehr zuzurechnen sind.28 Als „Bildungsforschung“ – bisweilen auch als „Bildungswissenschaft“ – sucht sich diese geradezu abzuheben einerseits von dem, was im englischsprachigen Raum als ‚philosophy of education‘ firmiert, also von einer systematisch-herme26 

Benner 2012. dazu jüngst Humboldt 2017 sowie Maurer 2016; grundlegend Menze 1975 und Benner 2003. 28  Einen Überblick bietet etwa der Abschnitt „T heorie und Bezugsdisziplinen“ in Tippelt/ Schmidt 2010, 21–213. 27  Vgl.

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neutisch ambitionierten Bildungstheorie, wie sie hierzulande namentlich im Zeichen der sogenannten geisteswissenschaftlichen Pädagogik betrieben wurde, und andererseits von dem, was im Laufe des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts als „historische Bildungsforschung“ in eine Spezialdisziplin ‚ausgewandert‘ ist und sich in diesem Prozess als eigenständige Forschungsrichtung etabliert hat.29 Diese Auswanderung ist unter anderem als institutionalisierter Prozess beschreibbar: So wurde 1972 als „Historische Kommission“ gegründet, was heute als „Sektion Historische Bildungsforschung“ der „Gesellschaft für Erziehungswissenschaft“ besteht;30 so wurde die „Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung“ (BBF; 1876 gegründet, bis heute mit Sitz in Berlin) 1992 zur Spezialsammlung im Rahmen des Frankfurter „Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung“ (dipf),31 und so erschien erstmals 1995 das Jahrbuch für Historische Bildungsforschung (um nur eines von mehreren Periodika im Bereich historischer Bildungsforschung zu nennen) . Gegenwärtige „Bildungsforschung“ versteht sich – ich zitiere aus der jüngsten Auflage des Handbuch[s] Bildungsforschung – mehrheitlich so, dass sie „wissenschaftliche Informationen auszuarbeiten [beabsichtigt], die eine rationale Begründung bildungspraktischer und bildungspolitischer Entscheidungen ermöglichen“32. Sie stellt sich damit bezeichnenderweise in die Tradition der deutschen Bildungsreformbewegung der 1970er Jahre, die in Gestalt des „Deutschen Bildungsrates“ der Erziehungswissenschaft „die Untersuchung der Voraussetzungen und Möglichkeiten von Bildungs- und Erziehungsprozessen im institutionellen und gesellschaftlichen Kontext“ ins Stammbuch schrieb,33 und sieht ihre Geschichte im Großen und Ganzen mit dem beginnen, was Heinrich Roth (1906– 1983) in seiner Göttinger Antrittsvorlesung 1962 als „realistische Wendung in der Pädagogischen Forschung“ apostrophierte.34 Auch der Begriff ‚Bildungsforschung‘ selbst ist seinem Ursprung nach in diesem Kontext zu verorten: Es war wohl Hellmut Becker (1913–1993), Gründungsdirektor des „Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung“ in Berlin (gegründet 1961), der den Begriff aufbrachte, um das Grundanliegen des Instituts, die „Umwandlung unseres Bildungssystems auf Grund wissenschaftlicher Forschungen“, zu benennen.35 Dieses empirische Paradigma hat seitdem nicht nur einen bemerkenswerten Aufschwung genommen, sondern ist – zumal seit dem sogenannten PISA-Schock 29 

Vgl. dazu Tenorth 2010. http://www.dgfe.de/sektionen-kommissionen/sektion-1–historische-bildungsfor schung.html (letzter Zugriff am 27.6.2017). 31  https://www.dipf.de/de/institut/abteilungen/bibliothek-fuer-bildungsgeschichtlicheforschung (letzter Zugriff am 27.6.2017). 32 Tippelt/Schmidt 2010, 9–19. Vgl. Reinders 2011. 33  Deutscher Bildungsrat – Empfehlungen der Bildungskommission: Zur Neuordnung der Sekundarstufe II, Stuttgart 1974, 16. 34  Roth 1962. Dazu Kraul 2007 sowie Lehberger 2009. 35  Vgl. Wiarda 2013, 65 f. 30  

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2001 – geradezu dominant geworden, wenn auch nicht unumstritten geblieben.36 Zu den Merkmalen dieser „empirischen Bildungsforschung“ gehört – das Anliegen, „die [sc. gegenwärtige] Bildungswirklichkeit (besser) zu verstehen und (weiter) zu entwickeln“,37 beziehungsweise das leitende Interesse an der „methodischen Analyse der faktischen Verhältnisse im Bildungswesen“ (Helmut Fend) und sodann an der Einflussnahme auf bildungspolitische bzw. -administrative Weichenstellungen, – die Präferenz für quantitative und qualitative Empirie, damit einhergehend eine „starke forschungsmethodische Fundierung“38 der Bildungsforschung und die tendenzielle Reduktion von „Bildung“ auf messbare Lernvorgänge, – ihre interdisziplinäre Umsetzung vor allem durch (pädagogische) Psychologen und Soziologen, weniger durch klassische Erziehungswissenschaftler und Fachleute mit geistesgeschichtlicher Bildung, – die Schwerpunktsetzung auf ‚gut empirisch erforschbaren‘ Lernsettings, namentlich also Schul- und Unterrichtsforschung, und mit einigem Abstand: Bildungsplanung. Aktuell stehen als Flaggschiffe im Vordergrund:39 Lehr-Lern-Forschung in den MINT-­ Fächern und der Auf- beziehungsweise Ausbau fachdidaktischer Forschung, die sich in der „Gesellschaft für Fachdidaktiken“ ein Sprachrohr verschafft hat,40 Large-Scale-Assessments wie TIMSS, PISA usw. und Projekte des Bildungsmonitoring, also der „dauer­ hafte[n], daten- bzw. indikatorengestützte[n] Beobachtung“ des Bildungswesens41.

– Schließlich gehört zum Paradigma empirischer Bildungsforschung auch der programmatische Verzicht auf die ideen- und sozialgeschichtliche Erkundung dessen, was in Begriff, T heorien und Praxen von „Bildung“ an normativem und utopischem Potential mitgeführt wird. Von diesem Selbstverständnis her kommt weder der historischen Selbstaufklärung (über die Geschichte solcher jeweils gegenwartsorientierter Bildungsforschung) noch der pädagogischen Historiografie, die „Bildung und Erziehung im Prozess der Zivilisation“42 nachzeichnet, eine substantielle Aufgabe zu. Und angesichts der T hemenstellung des SFB 1136 „Bildung und Religion“ mag auch einmal mehr der Hinweis erlaubt sein, dass mit dieser geschichtlichen Dimension ein36 

Siehe etwa Fickermann/Fuchs 2016, Fatke/Oelkers 2014 und Krüger 2012. Manfred Prenzel auf der Homepage seines „Susanne-Klatten-Stiftungslehrstuhls für empirische Bildungsforschung“; http://www.ebf.edu.tum.de/forschung (letzter Zugriff am 25.6.2017). 38 Zedler/Döbert 2010, 34. 39 Zedler/Döbert 2010, 35–39. 40  http://www.fachdidaktik.org (letzter Zugriff am 25.6.2017). 41  Siehe die „Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring“ aus dem Jahr 2006. Beispiele wären die EU-Kommission „Key data on Education in Europe“ (alle drei Jahre; zuletzt 2015) oder die Autorengruppe Bildungsberichterstattung „Bildung in Deutschland“ (zuerst 2006). 42  So kennzeichnet Tenorth 2010, 149, deren Gegenstand. 37  So

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hergehend weithin auch das Interesse an Religion verblasst ist – sei es an Religion als Referenzrahmen oder als Begründungsfigur für Bildung, sei es an Religion als Gegenstand oder Dimension von Bildung.43 Den geschichtlichen Voraussetzungen gegenwärtiger Bildung und Bildungstheorie gilt vielmehr cum grano salis lediglich die Aufmerksamkeit einschlägiger Spezialistinnen und Spezialisten,44 deren Forschungsergebnisse indes in der materialen Verhandlung dessen, was als aktuelle T hemen der Bildungsforschung gilt, kaum eine Rolle spielen.45 Schaut man nun auf die T hemen der historischen Bildungsforschung, so wird recht bald deutlich, dass diese sich „nicht selten […] auf die Zeit um und seit 1800 konzentriert“, also auf eben die Zeit, in der „die historische Reflexion von Bildung und Erziehung“ – jedenfalls im deutschen Sprachraum – aufkam und in der „das moderne Bildungswesen“ in Preußen bzw. im deutschen Sprachraum entstand.46 Heinz-Elmar Tenorth, der diese Einschätzung formuliert, fährt jedoch selbstkritisch fort: „Die vormoderne Erziehungsgeschichte [sic!], wie man mit einem Verlegenheitsbegriff die Zeit bis etwa 1800 zur Einheit zu bündeln sucht, kommt damit in ihrem Eigengewicht, in der Fremdheit, die sie gegenüber der Folgezeit charakterisiert, aber auch in ihrem Fortwirken, nicht hinreichend zur Geltung.“47 Nochmals stärker vernachlässigt werden die verschiedenen innereuropäischen, erst recht die außereuropäischen Erziehungsgeschichten! Die Frage nach dem „modernen Bildungsbegriff und seinen geschichtlichen Voraussetzungen“ lässt sich somit in diesem zweiten Durchgang so beantworten, dass die Aufklärung eben dieser geschichtlichen Voraussetzungen in der gegenwärtigen, primär empirisch ausgerichteten Bildungsforschung nicht für wesentlich erachtet wird. Selbst der historisch ausgerichtete Zweig der Bildungsforschung konzentriert sich cum grano salis auf die Epoche seit der Aufklärung bzw. auf die Moderne. Der Bildungsforschung von Historikern, Altphilologen, Exegeten und so weiter, wie sie etwa im SFB 1136 betrieben wird, kann somit die Funktion eines Horizont erweiternden, kritischen Widerlagers gegen einen einseitig empirisch ausgelegten, modernen Bildungsbegriff zukommen – dies allerdings nur, wenn diese 43  Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hat Karl Ernst Nipkow die Entwicklung des Verhältnisses von Erziehungswissenschaft und Religion aus religionspädagogischer Perspektive analysiert (Nipkow 1998, 96–108; vgl. auch Schweitzer 2003). Für den Anfang des 21. Jahrhunderts ist dieses Sujet bislang keiner systematischen Betrachtung unterzogen worden – wenn mein Eindruck nicht täuscht, ist die Zahl der an Religion interessierten Erziehungswissenschaftler und die Dichte ihrer Beiträge wieder ein wenig gestiegen; vgl. Schröder 2012a. 44  Zu den wichtigsten Institutionen historischer Bildungsforschung siehe S. 74. Neben dem hier mehrfach angeführten Apercu von Tenorth 2010 gewähren Einblick die Zeitschrift „Bildungsgeschichte. International Journal for the Historiography of Education“ (1[2011]ff.) und insbesondere Fuchs 2010. 45  Zur Illustration vgl. die Artikel bei Tippelt/Schmidt 2010. 46  Tenorth 2010, 144. 47  Tenorth 2010, 145.

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Bildungsforschung ihrerseits plausibel machen kann, dass es einen Konnex zwischen den Praxen und Konzepten von Bildung im „Mittelmeerraum und seiner Umwelt“ des ersten Jahrtausends und denjenigen der Gegenwart gibt und sie ihrerseits hermeneutische Muster für das (fiktive) interdisziplinäre Gespräch mit der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung entwickelt. Angesichts dieses Befundes sei allerdings unterstrichen, dass sich die Debattenlage in der religionspädagogischen Bildungs-T heoriebildung deutlich anders darstellt. Seitdem die Religionspädagogik den Bildungsbegriff in den 1980er Jahren – unter wesentlicher Mitwirkung von Karl-Ernst Nipkow, Peter Biehl und Reiner Preul – wiederentdeckt hat48, legte sie großen Wert darauf, die jeweils für maßgeblich erachteten Bildungstraditionen auszuwerten und als solche bewusst zu machen. Im einschlägigen Standardwerk Nipkows, das 1990 unter dem Titel Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung erschien, bezieht sich diese Genealogie beispielsweise in prominenter Weise auf Martin Luther, Jan Amos Comenius und Friedrich Schleiermacher.49 Der Radius wird so schon deutlich weiter gespannt als gemeinhin in der (allgemeinen) historischen Bildungsforschung, gleichwohl bleibt er auf neuzeitliche Gegebenheiten beschränkt. Die maßgeblichen Gründe für diese Restriktion geschichtlicher Tiefenschärfe liegen zum einen darin, dass hier dezidiert ein „protestantischer Bildungsbegriff “50 rekonstruiert werden soll, der per defini­ tionem an die Existenz des Christentums in dieser konfessionskulturellen Ausprägung gebunden ist, zum anderen darin, dass Bildung in der Religionspädagogik im Rahmen der „T heorie [der dreifachen Gestalt] des neuzeitlichen Christentums“51 reflektiert wird und in diesem systematischen Interesse die Frage nach den vorneuzeitlichen Voraussetzungen an den Rand des Interesses rückt. Allerdings muss man umso mehr anerkennen, dass Karl Ernst Nipkow für die – seinerzeit noch keineswegs selbstverständliche – Wahl des Bildungsbegriffs als Leitbegriff anführt, „zum einen [nicht] den Anschluß an den Reichtum der alteuropäischen Überlieferung seit der Antike, zum anderen [nicht] den Anschluß an den kritischen und subjektiven Sinn von Bildung im neuzeitlich-aufklärerischen Denkerbe seit Ende des 18. […] Jahrhunderts“ verlieren zu wollen.52 Ein „abendländisches Bildungsverständnis“, das sich dieser beiden Wurzelstränge bewusst ist, zeichnet sich ihm zufolge durch „fünf Grundmerkmale“ aus: „Bildung und Politik“, „Bildung und Utopie“, „Bildung und Subjektivität“, „Bildung und Überlieferung“, „Bildung und Verständigung“.53 48 

Dazu Biehl/Nipkow 2003. 1990, hier 18. Vgl. als – in dieser Hinsicht – ähnlich veranlagte Werke Preul 2013 und Schweitzer 2014. 50  Nipkow 1990, 154. 51  Nipkow 1990, 19 f. und 147 ff. Vgl. dazu Rössler 1986 und – Trutz Rendtorffs T heorieansatz rekonstruierend – Laube 2006. 52  Nipkow 1990, 25. Zu den „biblischen“ und mittelalterlichen Voraussetzungen a. a. O. 51–56. 53  Nipkow 1990, 32–37. 49  Nipkow

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Neben solchen geschichtsbewussten religionspädagogischen Bildungstheorien ist an dieser Stelle auf Studien aus jener Subdisziplin der Religionspädagogik hinzuweisen, die nicht selten „historische Religionspädagogik“ genannt wird und sich unter anderem in einem gleichnamigen Arbeitskreis verdichtet.54

3. Die geschichtlichen Voraussetzungen des modernen Bildungsbegriffs und ihre Wirkung als Aufgabe der Bildungsforschung von Historikern Die beiden bisherigen Durchgänge haben herausgearbeitet, dass sich ein Hiatus auftut zwischen modernen Bildungsbegriffen – der Mehrzahl unter ihnen jedenfalls – und gegenwärtiger (erziehungswissenschaftlicher) Bildungsforschung einerseits und Konzepten und Praxen vormoderner Epochen aus verschiedenen Sprach- und Kulturräumen, die man – zumindest heuristisch – als Bildungskonzepte und -praxen ansprechen kann. Es handelt sich um einen Hiatus in der Sache zwischen dem, was moderne Bildungsbegriffe in der Regel als ihre Proprien geltend machen (siehe oben), und den Gehalten jener vormodernen Epochen, zudem um einen Hiatus im Diskussionszusammenhang, der die geschichtlichen Verbindungslinien ebenso betrifft wie Geltungsfragen. Nun ist unstrittig, dass geschichtliche Bildungsbegriffe und -praxen ganz unabhängig von den Akzentsetzungen moderner Bildungsforschung zu erforschen sind – und zwar in erster Linie in ihren jeweiligen geschichtlichen Kontexten und in ihrem Eigensinn (dieser Aufgabe verschreibt sich dankenswerterweise etwa dieser SFB). Um diese geschichtlichen Bildungsbegriffe und -praxen indes als „geschichtliche Voraussetzungen moderner Bildungsbegriffe“ zu identifizieren und plausibel zu machen, bedarf es mehr – nämlich der systematischen Frage zunächst nach der Wirkung jener geschichtliche Bildungskonzepte und -praxen.55 Mit dem Stichwort „Wirkung“ soll hier die Linie des Tradierens und Sich-Imponierens in Richtung Zukunft gemeint sein, die vom jeweiligen historischen Gegenstand ausgeht bzw. sich von dort ausgehend rekonstruieren lässt. Diese Fragerichtung ist in mindestens zwei verschiedenen Hinsichten geboten: Zum einen sind geschichtliche Bildungspraxen und -konzepte nur dann als „geschichtliche Voraussetzungen“ moderner Bildungsbegriffe anzusprechen, wenn sie auch eine Wirkung entfaltet haben, wenn sich also vom historischen Gegenstand her plausibel machen lässt, dass diese oder jene Bildungskonzeption wegen ihrer Wirksamkeit im gegebenen Kontext oder in späterer Zeit in die Genealogie moderner Bildungsbegriffe hineingehört und insofern in der gegenwärtigen Bildungsdebatte erinnert zu werden verdient. 54  Vgl. als Übersichten Schröder 2009b (den Zeitraum von ca. 1995 bis 2008 betreffend), und Wischmeyer 2014 (den Zeitraum 2009–2014 betreffend) sowie Schröder 2018a. 55  Dazu vgl. etwa Schröder/Gemeinhardt/Simon 2018.

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Zum anderen muss der Bildungsforschung von Historikern daran gelegen sein, ihre Einsichten zu historischen Bildungspraxen und -konzepten als Beiträge zu einer Bildungsforschung bzw. Bildungstheorie zu verstehen, die Bildung in den Debatten der Gegenwart profiliert – zumal dann, wenn diese Debatten so etwas wie ein Bildungskonzept der Europäischen Union betreffen und in diesem Zusammenhang ohne jede geschichtliche Tiefenschärfe und in der Regel auch ohne Bezug auf Religion geführt werden.56 Die Frage nach dem „modernen Bildungsbegriff und seinen geschichtlichen Voraussetzungen“ lässt sich somit in diesem dritten Durchgang so beantworten, dass dieser Zusammenhang als Wirkungsgeschichte zu rekonstruieren ist. Dabei kommt es zunächst darauf an, ein möglichst umfassendes Panoptikum geschichtlicher Bildungspraxen und -konzepte vor Augen zu stellen, dann aber – darüber hinaus – mögliche Wege und Impulsstärken ihrer Wirkung in Richtung moderner Bildungspraxen und -begriffe zu plausibilisieren. Anders formuliert: Die Erforschung der Wirkungsgeschichte historischer Bildungspraxen und -konzepte ist ein maßgebliches und sachlich unverzichtbares Bindeglied zwischen historischer und gegenwartsbezogener Bildungsforschung. Interessanterweise gab es solche wirkungsgeschichtlichen Forschungen vor allem in der Ära der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, d. h. zu einem Zeitpunkt, als Bildung noch überlieferungsorientiert und mit einem texthermeneutischen Fokus reflektiert wurde, der den Maßgaben heutiger historischer Bildungsforschung schwerlich Genüge tun kann. Doch der Sache nach sind Studien wie Josef Dolchs Lehrplan des Abendlandes – er selbst charakterisiert sie als „Entwicklungsgeschichte des abendländischen Lehrplans“ für die Zeit „von 500 v. Chr. bis 1800 n. Chr.“57 – oder auch Friedrich Schweitzers Längsschnitt-Untersuchung zur Re­ ligion des Kindes58 im Sinne einer solchen Wirkungsgeschichte zu verstehen; indes gehören hierher auch Studien zur Entwicklungsgeschichte von Institutionen („Schule“), Lehrer-Schüler-Konstellationen, Medien und anderes mehr. Gegenwärtig dürfte diese Fragerichtung am ehesten im Bereich der islamwissenschaftlichen Bildungsforschung evident sein und fruchtbar werden. Denn hier trifft historisch-kritische Grundlagenforschung zu geschichtlichen Protagonisten, Konzepten und Praxen von Bildung im arabischen bzw. persischen und osmanischen Sprachraum und im islamisch geprägten Kulturraum, der eine Fülle von Gegenständen zur Bearbeitung zu Gebote stehen, auf die Suchbewegungen einer im Aufbau befindlichen Islamischen T heologie inklusive Religionspädagogik. Diese – seit 2011 in signifikantem Maße staatlich geförderten – Fächer entwickeln gerade erst ein Koordinatensystem moderner Bildungsforschung im Bereich des Islam und sind dabei deutlich traditionsorientierter als die oben vorgestellte erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung. 56  Vgl. dazu die primär am T hema Religion bzw. Religiöse Bildung interessierten Studien zur europäischen Bildungsdebatte von Lindner 2009 und Schreiner 2012. 57  Dolch 1959/1965, 7. 58  Schweitzer 1992.

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4. Die Rezeption vormoderner geschichtlicher Bildungspraxen und -konzepte als Aufgabe historischer Bildungsforschung Gegenläufig zur wirkungsgeschichtlich sensibilisierten Bildungsforschung von Historikern kann historische Bildungsforschung ausgehend von modernen Bildungsbegriffen zurückfragen nach deren „geschichtlichen Voraussetzungen“. Sie tut dies, so habe ich eben den Nestor dieser Forschungsrichtung in Deutschland zitiert, bislang weithin mit deutlicher Verengung des Blicks – auf die Verhältnisse seit der Aufklärung sowie – auf die Verhältnisse in Preußen bzw. im deutschen Sprachraum – und, damit einhergehend, auf schulische Bildung (unter weitgehender Ausblendung non-formaler und informeller Bildungsprozesse). In der Sache greift dieser bisherige Radius fraglos zu kurz. Um die Notwendigkeit seiner Erweiterung zu plausibilisieren, steht m.E. – komplementär zur Frage nach der Wirkung historischer Bildungspraxen und -konzepte – die Aufgabe an, die Re­ zeption dessen, was Bildungsforschung von Historikern als Bildungspraxen und -konzepte der Vergangenheit rekonstruiert, nachzuzeichnen. Mit dem Stichwort „Rezeption“ und rezeptionsästhetischer Forschung soll hier gemeint sein, von dem jeweils gegenwärtigen Leser (bzw. der Leserin) ausgehend zu rekonstruieren, wie er (bzw. sie) aus seinen (ihren) eigenen kontextuellen Koordinaten zurückfragt nach dem historischen Gegenstand und darin interpretierend und „sinnschöpfend“ tätig wird.59 Auch diese Fragerichtung ist in mindestens zwei verschiedenen Hinsichten geboten: Zum einen greifen moderne Bildungsbegriffe, so vielfältig sie sind, bewusst oder unbewusst auf verschiedene historische Bildungspraxen und -konzepte zurück. Sie tun dies keineswegs so, dass sie primär an ‚maßstabsgerechter‘ Aneignung interessiert wären, sondern eben rezipierend, das heißt selektierend, fortschreibend, Eigenes eintragend. Es gilt also von einem modernen Bildungsbegriff her plausibel zu machen, wieso und in welcher Hinsicht eine historische Bildungspraxis und -konzeption als dessen Voraussetzung anzusprechen sei. Zum anderen muss der historischen Bildungsforschung daran gelegen sein, einerseits die Polyvalenz geschichtlicher Bildungskonzepte und -praxen bewusst zu machen, die den Boden für vielfältige Rezeptionen in späteren Zeiten ebnet, und andererseits insbesondere die normativen Aufladungen zu analysieren, die im Zuge von Rezeptionsprozessen in der Regel allererst stattfinden – das Eingangsbeispiel Wilhelm von Humboldt mag dies hinreichend veranschaulichen.

59 

Auch dazu Schröder/Gemeinhardt/Simon 2018.

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Die Frage nach dem „modernen Bildungsbegriff und seinen geschichtlichen Voraussetzungen“ lässt sich somit in diesem vierten Durchgang so beantworten, dass die Erhellung dieses Zusammenhangs neben wirkungsgeschichtlicher Forschung ein weiteres Forschungsfeld eröffnet: die Rezeptionsgeschichte. Es gilt zu verstehen, wie und warum moderne Bildungstheorien welche geschichtlichen Bildungspraxen und -konzepte rezipiert haben. Diese Fragestellung führt per definitionem weg von der Erarbeitung umfassender Panoramen der Bildungspraxen oder -konzepte einer bestimmten Epoche oder eines Kulturraums; sie verlangt vielmehr eine in der Regel wohl domänenspezifische oder sogar fallbezogene Rekonstruktion von Rezeptionsprozessen. Dies dürfte vor allem dann aussichtsreich sein, wenn sich Bildungspraxen und -konzepte im Referenzrahmen einer Kultur oder auch Religion bewegen – so lässt es sich etwa am Beispiel der Religionspädagogik vor Augen führen: Zeitgenössische Bildungstheorien religionspädagogischer Provenienz rezipieren nicht linear die Geschichte des Bildungsdenkens abendländischer oder jüdisch-christlicher Provenienz bis hin zu deren antiken Wurzeln, sondern greifen selektiv auf einzelne Konzepte zurück, die in der Regel an Schlüsselstellen der Entwicklungsgeschichte entworfen wurden: Aus dem Bereich der evangelischen Religionspädagogik hatte ich auf eine solche Rezeptionsfolge bereits am Beispiel Karl Ernst Nipkows hingewiesen;60 bei einem vergleichbaren Werk aus der Feder Friedrich Schweitzers kommen speziell im Blick auf „Bildung und Christentum im neuzeitlichen Horizont“ weit mehr Stimmen zusammen, darüber hinaus greift er zurück bis in die Zeit der Alten Kirche und bis auf „biblische Bezüge“61; in einem jüngeren Lehrbuch zur Religionspädagogik wird zudem die Lehr-Lern-Tradition des frühen Judentums einschließlich ihrer parallel innerjüdischen Fortentwicklung einbezogen.62 Katholischerseits könnte diese Rezeptionslinie über das Zweite Vaticanum, Otto Willmann, Johann Baptist Hirscher u. a. zurückreichen bis auf Petrus Canisius, T homas von Aquin und schließlich Augustinus.63 Die exemplarische Rezeptionsstudie, die in Teilprojekt C 05 entsteht,64 kann und soll diesen rezeptionsgeschichtlichen Forschungsansatz und dessen Möglichkeiten illustrieren. Allerdings: Rezeptionsgeschichtliche Rekonstruktionen führen bei verschiedenen modernen Bildungsbegriffen in verschiedene Richtungen. Im Fall des modernen Bildungsbegriffs im Sinne der empirischen Bildungsforschung etwa führt diese Fragestellung m.E. nicht in die Bildungsgeschichte Europas oder des Mittel-

60 

S.o. Anm. 49. Schweitzer 2014, 22–131. 62  Vgl. Schröder 2012b, §§ 2–9. 63  Allerdings liegen kaum Bildungstheorien katholischer Provenienz jüngeren Datums vor; vgl. Platzbecker 2013 und v.a. das Kapitel „Bildung“ im Handbuch der Erziehungswissenschaft 2008, 209–311. 64  Vgl. Hohensee 2018. 61 

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meerraums, sondern hin zum amerikanischen Pragmatismus und zur dortigen empiriebasierten Diskussion um ‚Learning‘.65 Exkurs: Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen der Erinnerung im Umgang mit geschichtlichen Bildungskonzepten und -praxen Der Ruf nach wirkungsgeschichtlicher und rezeptionsästhetischer Forschung im Bereich geschichtlicher Bildungskonzepte und -praxen kann den Eindruck entstehen lassen, es ginge darum, die forschende und erinnernde Aufmerksamkeit allein auf die sog. erfolgreichen, das heißt die bis in die Gegenwart hinein wirksamen oder von ihr her als bedeutsam interpretierten Konzepte und Praxen zu lenken. Zwar ist dies in gewisser Weise intendiert, um faktisch vorhandene Verbindungslinien zwischen geschichtlichen und modernen Konzepten wie Praxen zu identifizieren, doch soll damit keineswegs verdunkelt werden, dass auch andere Konzepte und Praxen – etwa vorderhand erfolglose, widerständige, dissidente oder prophetische – erinnerungsbedürftig und -wert sind. Mehr noch: Es gehört geradezu zum Wesen des Erinnerns und folglich auch zu seinen kulturgeschichtlichen Leistungen, solcherart anregende Traditionen dem individuellen oder kollektiven Gedächtnis allererst einzuschreiben.66 Im Falle von Bildungskonzepten oder -praxen gestaltet sich diese Erinnerung in der Regel nicht rituell bzw. im Modus kollektiven Begehens, sondern im Modus persönlichen Erinnerns (vor allem dann, wenn es um Mikroszenen von Bildung, also prägende Lehrerfiguren, Schlüsselszenen oder -sätze, oder einzelne inhaltliche Anregungen geht) oder – durch Sammlung oder Forschung – im Modus medial thesaurierten kulturellen Gedächtnisses. Erinnerungsorte wie Synagogenruinen in Palästina oder antike Bibliotheken, gepaart mit Museen und ihren Ausstellungsstücken, einzelne Texte oder literarische Werke der Vordenker bestimmter Konzeptionen, etwa Alkuins oder Augustins, oder auch Narrative einer Lehr-Lern-Kultur, die nicht mehr praktiziert werden oder womöglich noch nie so wie erzählt realisiert wurden, etwa das „Jüdische Lernen“, oder thematisch einschlägige Werke darstellender Kunst kommen als solche Medien in Betracht. Als Beispiel für erinnerungswürdige geschichtliche Bildungskonzepte kann etwa die einschlägige T heorie des Jan Amos Comenius gelten, deren Überlieferungsgeschichte brüchig, deren wegweisende Bedeutung für moderne Pädagogik wie Religionspädagogik gleichwohl unstrittig ist,67 als Beispiel solcher Konzepte 65  Eine

Schlüsselrolle in diesem T heorietransfer spielen die definitorischen und konzeptbegründenden Überlegungen von Weinert 1999, die Anschluss suchen an Vorentscheidungen des US-amerikanischen „National Research Council“ und rezipiert wurden von der OECD („Definition and Selection of Competencies: T heoretical and Conceptual Foundations [DeSeCo]“ – http://www.oecd.org/edu/skills-beyond-school/definitionandselectiono fcompetenciesdeseco.htm, letzter Zugriff am 25.6.2017) und anderen multiplikatorischen Institu­tionen. 66  Die Literatur zum Erinnern und zum kulturellen Gedächtnis ist Legion, vgl. als Zusammenschau etwa Gudehus u. a. 2010. 67  Hier Dieterich 2003.

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kann wohl der altkirchliche Katechumenat gelten, der – so zeigen es jüngere kirchengeschichtliche Forschungen – regional und geschichtlich kontextualisiert und somit vielgestaltig war, über weite Strecken jedoch als Idealtyp (im Singular) rezipiert wurde.68 Bildungsforschung von Historikern wie historische Bildungsforschung können und sollten zur Stabilisierung wie zur kritischen Dekonstruktion solcher Erinnerungen beitragen; in jedem Fall gehören in ihr fachgeschichtliches Gedächtnis auch dem jeweils gegenwärtigen Zeitgeist gegenüber widerständige und vorausweisende Traditionen hinein.

5. Der moderne Bildungsbegriff und seine geschichtlichen Voraussetzungen – zum bildungstheoretischen Ertrag der Aufhellung dieses Zusammenhangs Der moderne Bildungsbegriff (einschließlich der Bildungspraxen verschiedener Staaten und Religionen) ist nicht minder vielgestaltig als das, was der SFB unter dem begrifflichen Dach der „Bildung“ in der Antike „im Mittelmeerraum und seiner Umwelt“ untersucht. Moderne Bildungspraxen und -konzepte ruhen kultur- und wirkungsgeschichtlich zwar auf alteuropäischen und mediterranen Voraussetzungen, doch sie speisen sich (rezipierend) aus verschiedenen Quellen verschiedener Herkunft, vor allem aus modernen deutschsprachigen Quellen seit der Aufklärung, bisweilen auch aus der englischen bzw. US-amerikanischen T heoriegeschichte. Für Letzteres ist die Curriculumtheorie ein probates Beispiel. Ein rezipierender Rückgriff auf vormoderne Bildungstraditionen, also auf Quellenimpulse aus der frühen Neuzeit, dem Mittelalter und auch der Antike, ist gegenwärtig am ehesten domänenspezifisch nachzuweisen, insbesondere in Bildungstheorien religionspädagogischer Provenienz, seien sie evangelisch, katholisch, jüdisch oder islamisch geprägt. Moderne Bildungsbegriffe bzw. -konzepte gehen gleichwohl nicht in dem auf, was ihre Quellen induzieren, sondern setzen rezipierend eigene Akzente im Kontext der Wirklichkeit von Gesellschaft und Bildungssystem, auf die hin sie entworfen werden. Der Rückgriff auf bestimmte Traditionselemente impliziert und indiziert somit vor allem normative Entscheidungen über den Referenzrahmen, in dem die jeweilige Bildungstheorie verstanden werden will. Man könnte zugespitzt sagen: Es ist nicht die Genese eines Begriffs, eines Konzeptes, einer Praxis von Bildung, die über deren Geltung entscheidet, sondern es ist der Geltungsanspruch, an dem sich entscheidet, welche Genese ausgewiesen bzw. in Anspruch genommen wird.

68 

Vgl. hier nur Metzger u. a. 2004.

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Die historische Aufklärung all dessen, was der SFB unter dem ‚umbrella-term‘ „Bildung“ in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam entdeckt, trägt somit nur mittelbar zum Verstehen moderner Bildungstheorien bei – sie erweitert in erster Linie das Panorama dessen, was – aus der Sicht moderner Bildungstheorie – potentiell wirksam und rezipierend fruchtbar hätte werden können, und drängt gewissermaßen darauf, konkrete wirkungsgeschichtliche und rezeptionsästhetische Zusammenhänge sichtbar zu machen. Das allerdings ist ein rekonstruktiver Schritt sui generis. Die Frage nach dem „modernen Bildungsbegriff und seinen geschichtlichen Voraussetzungen“ lässt sich somit in diesem fünften und letzten Durchgang so beantworten, dass moderne Bildungsbegriffe ebenso wie auch geschichtliche Bildungspraxen- und konzepte ihr eigenes Recht haben. Ihre Legitimität erweist sich nicht an ihrem Verhältnis zu geschichtlichen Vorläufern, wohl aber erfüllt die Rückfrage nach solchen geschichtlichen Bildungspraxen und -konzepten für Bildungstheorien (geschichtlicher wie moderner Art) unerlässliche Aufgaben. Zu diesen Aufgaben gehören – eine informativ-komplementäre: Sie erweitert das Panorama der Bildungspraxen und -konzepte;69 – eine ideografische: Sie schärft die Sensibilität für Besonderheiten des je und je analysierten Konzepts von Bildung, sei es ein geschichtliches oder gegenwärtig vertretenes; – eine generalisierende: Sie lässt „Grundmerkmale“ des Bildungsbegriffs einer bestimmten Epoche oder eines Kulturraums erkennen; – eine elenchthische: Sie weist im Modus kritischer Selbstprüfung Verluste und Mängel an bildungstheoretischer Klarheit und Komplexität aus; – eine dialogische: Sie hilft die überfällige interdisziplinäre Kooperation zwischen der Bildungsforschung von Historikern und historischer Bildungsforschung erziehungswissenschaftlicher wie religionspädagogischer Provenienz zu initiieren.70 Historische Bildungsforschung ist somit aus der Sicht moderner Bildungstheorie eine Spielart komparatistischen Arbeitens – nennen wir es: diachrone Kompara­ tistik –, die auf den ersten Blick vor allem dazu beiträgt, Bildungskonzepte und -praxen zu kartografieren. Indem sie darüber hinaus die soeben genannten Funktionen erfüllt oder zu erfüllen sucht, gewinnt sie über die Deskription hinaus auch normative Kraft. In beiden Hinsichten ist sie für die Ausarbeitung einer zeitgenössischen Bildungstheorie unverzichtbar – vielleicht vermögen ihre Anliegen auch die Bildungsforschung von Historikern zu affizieren. 69 

70 

Schröder 2013a, 1. Zu den hier verwendeten Attributen vgl. Schröder 2011/2013b.

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B. Exemplarische Einblicke

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Bilder, Bildung und Religion in der griechisch-römischen Antike Eine Skizze*

Johannes Bergemann Zu Allerseelen 1786 in Rom angelangt, eilt Goethe zur an diesem Tage üblichen Öffnung des päpstlichen Quirinalspalastes (Italienische Reise 3. November 1786), nicht nur um sich protestantisch über Papst Pius VI. zu mokieren, den er namentlich nicht erwähnt, sondern um sich die reichen päpstlichen Sammlungen im Palast anzusehen. Dabei bewegt ihn mehr als die religiösen Inhalte der Gemälde ihr künstlerischer Wert, besonders Tizians „Madonna von San Nicolò de’ Frari“. Auch hier erwähnt er zwar nicht den Titel des Werkes, aber der Text, der als die schönste Bildinterpretation des Dichters angesehen wird, kommt zu dem Ergebnis, etwas „heiliges altes“ müsse dem Bild zugrunde liegen, doch was ihn interessiert, ist die „unschätzbare“ Kunst. Auch sonst kommt die profunde Kenntnis Goethes zur bildenden Kunst zum Ausdruck, seine Informiertheit und Bildung, etwa, wenn er über die jüngst aufgefundenen Beine des Farnesischen Herakles spricht, dessen Überführung von Rom nach Neapel er beklagt (Italienische Reise, 16. Januar 1787). Goethe ist ein Gebildeter in Sachen Kunst, er ist belesen, hat sich gleich den Winckelmann gekauft (Italienische Reise 2. Dezember 1786). Bilder und Bildung: Dieser Aspekt kommt z. B. in dem Handbuch der Bildung und Erziehung in der Antike1 nur am Rande zum Ausdruck. Bilder sind vor allem Anschauungsmaterial für Erziehung und Bildung, den Schulunterricht, doch gibt es auch eine Bildung über Bilder?2 Sicherlich, seit der Antike, so möchte man sagen! Ein gutes Beispiel sind die Beschreibungen Griechenlands des Pausanias, in denen dieser in der Zeit des Kaisers

*  Dieser Beitrag entstand im Kontext des DFG-geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion“, Teilprojekt A 02 („Archäologie antiker Bibliotheken: Religion – Repräsentation – Wissensspeicher“). Für Korrekturen danke ich Kerstin Rausch, für die Redaktion der Anmerkungen Chiara Blasetti Fantauzzi (beide Göttingen). 1  Christes 2006. 2  Gaedtke-Eckardt 2017. Daneben gibt es auch eine Diskussion um textuelles und grammatisches Lernen durch Bilder: Bernstein/Lerchner 2014.

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Hadrian Bildungswissen zur Geschichte und Mythologie, und vor allem zur materiellen Kultur versammelt.3 Die Ausstattung der Villen der römischen Oberschicht hat Anlass gegeben, von „Bildungslandschaften“ zu sprechen.4 Ciceros Briefe, aber auch die rekonstruierte Ausstattung römischer Otium-Villen lassen den Anspruch der Besitzer an ihre Bildung erkennen. Manchmal, in den Häusern der pompeijanischen ‚Mittelschicht‘ wird dieser dann auch auf das Niveau des Kuriosen reduziert. Im Folgenden soll von Darstellungen von Gebildeten und der Bildung über Bilder die Rede sein. Die Alliteration ‚Bild – Bildung‘ ist dabei meist sachlich inhärent. Wir werden griechische Grabreliefs5 betrachten, ebenso wie Statuen griechischer Gebildeter – Intellektueller –,6 römische Sarkophage mit Reliefdarstellungen mythologischer T hemen, Musen und Philosophen7 und nicht zuletzt Bildprogramme griechischer Tempel.8 Die Monumente sind bekannt, ihre Deutung wird seit langem diskutiert, sie sollen hier in den Kontext der Debatte des Göttinger SFB um Religion und Bildung eingebracht werden.

1. Klassik und Hellenismus Durchaus werden seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. Intellektuelle, Gebildete mit Ehren- oder Votivstatuen geehrt. Der Dichter Anakreon (Abb. 1) ist ein frühes Beispiel, der Dichter des Weines, der in einem Tanzschritt nackt mit infibuliertem Genital9 – vielleicht als Symposiast – im Heiligtum auf der Akropolis von Athen dargestellt wird. Doch das Bürgerbild wird schnell prägend. Selbst Sokrates, obwohl durch die Ikonographie des Silens von der Schönheit der klassischen Physiognomie und damit der Kalokagathie ausgenommen, hat einen Bürgerkörper. Im Mantel und wie der Redner vor der Volksversammlung mit beiden Händen im Gewand stand er nahe dem Dipylon in Athen im Pompeion, wo der panathenäische Festzug sich vor seinem Weg auf die Akropolis formierte. Die Athener hatten dort spät im 4. Jahrhundert v. Chr. eine Statue des Philosophen aufgestellt, gewissermaßen als Sühne für seine Verurteilung und Tötung.10 Auf den Grabreliefs des 4. Jahrhunderts v. Chr. aus Athen, die die bürgerlichen Tugenden der Athener preisen und die zeitgenössischen Werte von Staat, Gesellschaft und Familie (oikos) thematisieren, ist Bildung kein herausgehobener Wert. Von fast 3000 Reliefs aus der Zeit zwischen 430 und 300 v. Chr. gibt es gerade ein  3 

Habicht 1985, bes. 142–152; Leone 2016. Mielsch 1989, Taf. 13–18.   5  Bergemann 1997.   6  Zanker 1995. Vgl. auch den Beitrag von Björn Ewald in diesem Band (S. 109–165).   7 Zanker/Ewald 2004.   8  Knell 1990.   9  Shapiro 2012; Kranz 2014; Krumeich 2016. 10  Voutiras 1994; Scheibler 1999; Lang 2012; Catoni/Guiliani 2015.   4 

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Abb. 1:  Anakreon, römische Kopie nach Original des 5. Jh. v. Chr. auf der Akropolis, Kopenhagen Ny Carlsberg Glyptotek.

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mal drei Fälle, in denen die dargestellten Athener Buchrollen in der Hand halten (Abb. 2–4).11 Die Zahlenrelation verdeutlich, dass Bildung ein nur wenig beliebtes T hema auf den Gräbern der Athener war. Es dominierten hingegen die bürgerlichen Werte der Polis: Frauen mit ihren traditionellen körperlichen und häus­ lichen Qualitäten, die als notwendige Abstammungsgeber besonders häufig dargestellt wurden; Epheben; Männer als Soldaten, Jäger und Bürger; die Eintracht des Oikos als Beispiel für die Eintracht der Polis; die reguläre Abstammung von Athener Eltern und Großeltern, wie es das perikleische Bürgerrechtsgesetz forderte und wie es bei der Dokimasie vor der Anerkennung der jungen Männer als Bürger und vor der Übernahme eines öffentlichen Amtes geprüft wurde. Erst im Hellenismus wird Bildung als neuer Wert in die private und öffentliche Bilderwelt adaptiert. Philosophenstatuen des 3. Jahrhunderts v. Chr. zeigen die Dargestellten mit dem Rotulus in der Hand, etwa die Statue des Epikuräers Me­ trodoros (Abb. 5).12 Überhaupt entstehen erst im frühen Hellenismus Bildkonventionen des Philosophenbildes, das Sitzen, der Bart, auch das rasierte Gesicht, Ikonographien der hässlichen Physiognomie und des alten Körpers.13 Nun tritt der Rotulus als Motiv für Bildung auch auf den hellenistischen Grabreliefs vor allem in Kleinasien in regelmäßiger Häufigkeit zu den aus der Klassik tradierten bürgerlichen Werten hinzu (Abb. 6).14 Auch wenn ihre Inhalte aus den Bildwerken kaum zu ermitteln sind, wird Bildung dadurch im Hellenismus zum Teil der Werte einer weiterhin funktionierenden Poliswelt.

2. Kaiserzeit Bildung ist kein Wert, der etwa in den Porträts der Nobiles der Republik oder den Kaiserporträts thematisiert worden wäre, sieht man einmal von den nicht selten in der Hand der Statuen gehaltenen Rotuli ab. Das Kaiserporträt der julisch-claudischen Dynastie orientiert sich nach einer schwachen hellenisierenden Phase in der frühen augusteischen Zeit am klassischen Formengut, das eingesetzt wird, die Erhabenheit des Prinzipats zu thematisieren.15 Daran knüpfen die Kaiser und Prinzen nach Augustus an und dieses Konzept wird sogar in den nichtkaiser­ lichen Bildnissen rezipiert. 16

11  Naiskos, Mantua, Palazzo Ducale (Abb. 2): Levi 1931, Nr. 49 Taf. 37; Bildfeldstele Adana, Archäologisches Museum Inv.Nr. 3926 (Abb. 3): Clairmont 1993, Nr. 2322b; Scholl 1995, Nr. 1; Naiksos, Piräus 3580 (Abb. 4): Conze 1893–1922, Nr. 1307 Taf. 271; Clairmont 1993, Nr. 1.333; Vielleicht auch Athen, Kerameikos I423+P1535: Clairmont 1993, Nr. 1419. 12  Kruse-Berdolt 1975; Wrede 1982; Flashar 1999. 13  Hoff 1994; Zanker 1995. 14  Zanker 1993, besonders 218–220 Abb. 2.6–13. 15  Zanker 2016, 57–59; Zanker 1987, 103–106.221 f.248–252. 16  Boschung 2002, besonders 180–198; Fittschen/Zanker 2010.

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Abb. 2:  Grabrelief des 4. Jh. v. Chr., vielleicht aus Athen, Mantua, Palazzo Ducale. Photo Christoph Clairmont

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Abb. 3:  Attische Bildfeldstele 4. Jh. v. Chr., Adana, Archäologisches Museum Inv. Nr. 3926. DAI Istanbul Neg. R805

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Abb. 4:  Grabnaiskos 4. Jh. v. Chr. aus der Nähe von Piräus, Piräus, archäologisches Museum Inv. 3580. Photo Johannes Bergemann

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Abb. 5:  Sitzstatue des Metrodor, Neapel, Nationalmuseum Inv.Nr. 6237. DAI Rom Neg. 69.688

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Abb. 6:  Hellenistisches Grabrelief aus Smyrna, Izmir, Archäologisches Museum. Photo Guntram Koch (Marburg)

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Abb. 7:  Kleinformatige Bronzebüsten des Demosthenes, Epikour, Hermarch und Zenon aus der Villa die Papiri in Herculaneum, Neapel, Nationalmuseum Inv. 5467. 5465. 5466. 5468. Photos: Neapel, Museo Nazionale; DAI Rom Neg. 85.1476, 85.1480; Anderson Neg. 23401.

Die Villa ist seit der republikanischen Zeit der Raum des Otiums der römischen Oberschicht. Die Villa dei Papiri ist der berühmteste Fall einer römischen Otium-­ Villa mit reicher Skulpturenausstattung. Darunter befinden sich Porträts von Intellektuellen (Abb. 7) ebenso wie Kopien berühmter griechischer Kunst­werke.17 Bildung und Kunstkennerschaft verbanden sich dort im Übrigen mit der berühmten Bibliothek, deren verbrannte Papyri seit Generationen in Neapel studiert werden.18 Bildung blieb hier also in einem privaten Rahmen. Das ändert sich im 2. Jahrhundert n. Chr.: Seit Hadrian tragen die Kaiser den Bart der griechischen Philosophen.19 Marc Aurel publiziert gar philosophische Schriften, auch wenn seine Gelehrsamkeit nicht auf seine Regierung durchzuschlagen scheint.20 Der Wechsel von der zuvor verbreiteten Brand- zur Körperbestattung in der hadrianischen Zeit eröffnet einen erweiterten Raum zur persönlichen Repräsentation am Grab. Dieser wird zunächst vor allem für mythologische Motive genutzt, die einerseits für paradigmatische Wertvorstellungen der römischen Gesellschaft wie virtus oder concordia stehen, andererseits aber durchaus einen Bildungsanspruch der wohlhabenden Besteller solcher mythologischen Sarkophage durch die Kenntnis und Benutzung der griechischen Mythologie dokumentieren.21 Eine erneute Veränderung tritt im 3. Jahrhundert n. Chr. ein, als die voraussetzungsreichen griechischen Mythen an Popularität verlieren und durch einfachere Chiffren zur Dokumentation des Anspruchs an die persönliche Bildung ersetzt werden, etwa Musen oder Philosophen, die nunmehr auf den Sarkophagen dominieren (Abb. 8). Daneben werden allgemeine Glücksmotive wie Meerwesen 17 

S.o. Anm. 4; Neudecker 1988; Mielsch 1987, bes. 94–97. Sider 2005; Del Mastro 2016 und 2017; Delattre 2006. 19  Zanker 1995, bes. 190–251. 20  Ackeren/Opsomer 2012; Grieb 2017. 21  Zanker/Ewald 2004, bes. 178–266.185–188. 18 

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Abb. 8:  Privatbesitz Schweiz, ehemals Hever Castle, Marsyas-Sarkophag, spätantoninisch. Nach Ewald 1999, Taf. 4,1

oder dionysische T hemen populär.22 In der Kaiserzeit ist das T hema Bildung also durchaus virulent, es wird in großer Breite durch die Oberschicht ikonographisch adressiert, und ihre Inhalte hat B. Ewald vor allem aus den Texten eruiert.23

3. Religiöse Bildung Am Ende soll von den komplexen Bildprogrammen griechischer Tempel und ihrer Betrachtung die Rede sein. Als Beispiel dafür wird der Bau, über den man am besten Bescheid weiß, angesprochen, nämlich der Parthenon auf der Akropolis von Athen, über den auch die literarische Quelle des Pausanias berichtet. Er nennt 22  23 

Zanker/Ewald 2004, 116–166. Ewald 1999.

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Abb. 9:  sog. Varvakionstatuette, kaiserzeitliche Kopie nach der Athena Parthenos: Athen, Nationalmuseum Inv.Nr. 129. Foto Marburg Neg. 134228.

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Abb. 10:  Westgiebel des Parthenon, Rekonstruktion (Zeichnung: M. Cox) nach Palagia 1993, Abb. 22.

unmittelbar die T hemen der Giebel, den Streit zwischen Poseidon und Athena um den Besitz des attischen Landes im Westen (Abb. 10) und die Geburt der Athena im Osten.24 Die Metopen zeigten im Westen die Amazonomachie, im Osten die Gigantomachie, im Norden den Fall Troias und im Süden die Kentauromachie mit einem Einschub, der heute unterschiedlich gedeutet wird.25 Die Kultstatue der Athena Parthenos (Abb. 9) im Inneren, die Pausanias ausführlich beschreibt, war 13 Meter hoch und bestand aus Gold und Elfenbein. Der Schild, der am linken Bein der Athena lehnte, wiederholte außen in einem Relief die Amazonomachie

Abb. 11:  Parthenon Ostgiebel, Dionysos, London, British Museum. Photothek, Archäologisches Institut, Georg-August-Universität Göttingen 24  25 

Pausanias 1,24,5. Choreme-Spetsiere 2004; Jenkins 2008; Beyer 2016; Palagia 1993.

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Abb. 12:  Pergamon-Altar, Ostfries, Zeus – Athena – Gruppe, Berlin, Pergamonmuseum.

der Westmetopen und innen gemalt die Kentauromachie der Südmetopen. Der Basis war ein Relieffries mit der Geburt der Pandora vorgeblendet.26 Dieses komplexe Bildprogramm, das sich in seinen Details auch der modernen Forschung nur schwer erschließt, war nicht einfach zu erfassen und zu verstehen. Man fragt sich, woher Pausanias selbst seine Kenntnisse haben mochte. Der Westgiebel etwa zeigte ein ungewöhnliches Motiv, den Streit zwischen Poseidon und Athena um den Besitz Attikas (Abb. 10), das ohne Vorgänger ist.27 Die attischen Heroen und Urkönige im Westgiebel hatten zuvor ebenso wenig eine eingeführte Ikonographie.28 Der Dionysos, der der Geburt der Athena am Ostgiebel beiwohnt, ist bartlos, jugendlich dargestellt (Abb. 11), nachdem er zuvor immer bärtig auftrat.29 Die gewaltigste ikonographische Innovation am Parthenon ist hingegen der berühmte Fries, der die Cella auf allen vier Seiten beginnend an der Nordwestecke umlief und den Festzug der großen Panathenäen zeigte mit dem imaginären Ziel der Götterversammlung über dem Eingang der Cella im Osten.30 Dieses komplexe Programm war nicht allein religiös. Hinter den Mythen und Göttergeschichten stand selbstverständlich ein Bezug zur realen Welt. Der Fall Troias stand vielleicht ebenso wie die Kämpfe zwischen Göttern und Giganten, Griechen und Amazonen oder Griechen und Kentauren metaphorisch für die Siege der Athener über die Perser. Weder der explizite mythologische Gehalt noch die impliziten metaphorischen Aussagen erschlossen sich weder dem zeitgenössischen noch dem späteren Betrachter unmittelbar. Trotzdem wurden die Bildwerke des Parthenon rezipiert, am großen Fries des Zeusaltars von Pergamon in der Zeus-Athena-Gruppe 26 

S.u. Anm. 33. S.o. Anm. 25; Meyer 2017; Kreuzer 2005; Weidauer 1992; Spaeth 1991; zur Bildtradition des T hemas: Demargne 1984. 28  Kron 1976. 29  Isler-Kerényi 2014, bes. 166–177. 30  Delivorrias o.J.; Osada 2016; Fehr 2011; Schneider 2010. 27 

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(Abb. 12)31 und am kaiserzeitlichen Puteal von Madrid.32 Besonders die Kultstatue der Athena Parthenos wurde in kleinformatigen Kopien wie der Varva­ kionstatuette (Abb. 9) oder der Statuette Lenormant verbreitet.33 Die Amazonenkämpfe auf dem Schild verbreiteten sich in der Kaiserzeit über die neuattischen sog. Piräusreliefs.34 Beide Gattungen waren durchaus für den wohlhabenden ‚Hausgebrauch‘ bestimmt. Denn sie fanden ihre Aufstellung in den Villen, Häusern und Gärten der Reichen und Großen. Die Motive fanden also eine gewisse Verbreitung.35 Dennoch konnte man sie bei einem Besuch auf der Akropolis in dem Durcheinander zahlloser Bilder, Statuen, Reliefs, Inschriften und Monumente kaum ohne Anleitung verstehen. Vermutlich gab es bereits in der Antike Fremdenführer, die die Bildwerke und ihre verschiedenen Bedeutungsebenen erklärten. Pausanias spricht davon.36 Im Grunde muss also die Quelle der religiösen Bildung über diese Bilder im Dunkeln bleiben. Klar ist: Ohne Bildung und Anleitung waren die historischen Skulpturen zumal in späteren, römischen Zeiten kaum zu verstehen. Waren die Bilder jedoch einmal verstanden, dann hatte der antike Betrachter einen großen Schritt zu seiner religiösen Bildung getan. Es bedurfte eines Bildungsprozesses, die religiösen Bilder zu verstehen. Und zugleich konnten die Bilder auf diese Weise Quellen religiöser Bildung sein.

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31 

Scholl 2016; Coarelli 2017. Coloquio sobre el puteal de la Moncloa 1986. 33  Weber 1993; Fehr 2001/2002; Nick 2002; Lapatin 2005. 34  Strocka 1967; Vivó i Codina 1996. 35  Naumann-Steckner 2015. 36  Habicht 1985, bes. 146 f. 32 

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Culture’s Visual Culture: T he Iconography of Education and of Intellectual, Musical and Literary Pursuits in Roman Art

Björn Christian Ewald* 1. Introduction: approaches, contexts and genres Images related to culture and education, to musical and intellectual pursuits, are ubiquitous in Roman art. T he archaeological evidence is plentiful, but also scattered and disparate. A comprehensive study of the pertinent visual material – one that transcends the boundaries of scholarly disciplines as well as of archaeological genres – has never been attempted. Even as important a work as P. Zanker’s Mask of Socrates can only address a very circumscribed set of questions and has to treat entire bodies of material (such as the mosaics with Muses and ‘men of letters’) somewhat cursorily. T he present contribution cannot remedy this situation. It merely attempts – however selectively and incompletely – to provide the historian and art historian with a means of orientation in a highly compartmentalized and confusing field. My essay offers a survey of visual representations related to education as well as to intellectual and musical pursuits from the first four centuries of our era.1 I place *  I would like to thank Johannes Bergemann and Peter Gemeinhardt for the invitation to participate in the conference and publication, as well as their hospitality while at Göttingen. Peter Gemeinhardt also deserves thanks for his editorial work and willingness to accommodate a somewhat lengthy manuscript. For helpful conversations, suggestions, or photographs, I am indebted to Christoph Auffarth, Hartmut Leppin and Peter Scholz, as well as John R. Clarke, Samantha Chang, Ada Cohen, Sarah Cox, Levke Bittlinger, and in particular Guy Métraux, whose critical eye saved me from some infeli­cities. – The sections of this article that are concerned with Roman sarcophagi freely draw on my unpublished MA thesis from 1993 (‘Philosophen auf Römischen Sarkophagen’), as well as my German dissertation from 1996 (Ewald 1999). 1  For reasons of space, I abstain from a discussion of the problem of applying modern definitions and classifications of ‘culture’ to antiquity: terms such as the German ‘Bildung’, H.-I. Marrou’s ‘culture’, or W. Jaeger’s paideia are, of course, not synonymous, and are fraught with ideological ballast and the tacit assumptions folded into them (cf. Elsner 2013; concerning Marrou and Jaeger, see also the contribution of Christoph Auffarth to this volume, pp. 39–65). For the purpose of the present article, such issues of definition are not central: the material collected here forms, rather organically, a cluster of loosely related monuments and images whose relevance to the topic at hand is self-evident. T hat said, the material could have been multiplied, and I too had to omit certain genres, such as the Roman copies of Greek

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particular emphasis on the implicit concepts and definitions of culture and education, as well as their transformations and variations over time. Overall, it appears to me that there is indeed a trajectory that leads from a generic and ‘classicistic’, poetry-inflected ideal of culture to an understanding of philosophy and culture as a means of guidance and self-cultivation, before emerging Christianity uses some of the established iconographies to express and authorize its claims to being the ‘true philosophy’. Given the abundance of the visual evidence, as well as the myriad interpretative issues it raises, I have placed the focus on the images themselves; while I constantly offer historical contextualization, the discussion of the broader problems of interpretation had to be kept within limits. A few qualifications and caveats must be made at the outset. To begin with, it is critical to address at least briefly the specific nature of the source material under discussion, as well as the difficulties of making it amenable to historical analysis. A historian or literary scholar may come to the images with the hope of gaining, with their help, a direct acces to the reality of education and cultural pursuits in anti­ quity. He will expect the visual material to provide useful antiquarian detail, and to complement and flesh out the picture gained from the literary sources. But the images examined here often disappoint such expectations. For the patrons who commissioned such artefacts and images in antiquity, the intentions were usually not to accurately depict an ancient reality – one they were all too familiar with –, but rather the opposite: to typify and to elevate, to aggrandize and mythologise the reality of cultural practices. As a result, the images are often vague and ambiguous. T he verism of a few select monuments, such as the Pompeian school fresco (fig. 4), is the exception rather than the rule. Another reason for the sometimes frustrating vagueness of the imagery under discussion lies in the specific socio-cultural perspective of its patrons. T hose who commmissioned the images were, for the most part, the recipients of culture, not its professional representatives. While the full-time philosophers, poets or rhe­toricians often went at great lengths to express and define a professional identity and self-­ image, for the patrons of the visual material discussed here, these conflicts and distinctions were of little consequence. T he representatives of philosophical schools and intellectual disciplines may have put much effort into distinguishing themselves from the representatives of other schools or disciplines in their appearance and self-fashioning2; but for those who commissioned works of art, it was much portraits of ‘men of letters’ (e.g. Neudecker 1988; Richter/Smith 1984; Danguillier 2001), including the late antique philosopher portraits (Smith 1990; Zanker 1995, 307–327), as well as the statues of Muses found in Roman villas and buildings for entertainment. I also had to abstain from a discussion of scenes of music making that do not include additional references to literary or intellectual culture. T he same applies to representations of poets and philosophers in the ‘minor arts’, in particular ringstones from the 2nd century BC to the 2nd century CE, which are catalogued and discussed by Lang 2012. Scenes of spectacle and cultural entertainment have also been excluded; they are now beautifully analyzed by Dunbabin 2016. 2  On intellectual self-fashioning in the imperial period see, in particular, Hahn 1989; Pietzner 2013.

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more important to evoke a broad and inclusive ideal of culture. T he conflict between philosophy and rhetorics, for example, and the struggle of the two for preeminence in education, may have been of crucial significance to its professional prac­titioners who could stylize the transition from one discipline to the other as a dramatic ‘conversion’. But their clashes and desire for distinction made no impression on the patrons of the monuments discussed here. It also matters that the self-serving, and often overstated, opposition between the various intellectual disciplines did not match the considerably more nuanced and multi-­faceted cultural reality. J. Hahn already noted that “gerade einige der in den Quellen noch am besten erfassten ‘Philosophen’ der Kaiserzeit, wie Dion von Prusa, Favorinus, Apu­leius und Maximus von Tyros, sich in dieser Schattenzone zwischen Philo­sophie und Sophistik befinden“3. T his partial convergence of intellectual disciplines applies even more so to the cultural activities of the Roman aristocracy. Many aristocrats with the obligatory rhetorical and juridical education – such as Servius Sulpicius Rufus, father of the elegist Sul­ picia4 – dabbled in a variety of l­iterary and cultural pursuits: orators by day, poets by night. T hat said, it is unsurprising that the attempt to isolate the rhetoricians as a distinct group in Roman art has not yielded conclusive results.5 As a result of all this, the images are often rather imprecise, vague and ambiguous, and under-determined in terms of their exact spatial and temporal setting. Human and divine figures, such as the Muses, Athena and Apollo, mingle seamlessly. Heterogeneous attributes, related to different intellectual activities, can be accumulated in a haphazard manner (fig. 24). A few examples may prove the point: A wall painting from the triclinium of the House of the Golden Bracelet in Pompeii (fig. 1) depicts a male in himation on the left, holding a wreath6; next to him stands a naked pais. On the right, we see the back of a female gazing at the diptych she holds in her left hand. Predictably, interpretations of this static tableau differ (poet and Muse? a family group?). It would be a step forward to simply acknowledge the vagueness and indistinctness of such images: while the scene is recognizably Greek, it remains unclear if it is set in the past or present, or which particular cultural practice it refers to. Its main purpose seems the evocation of a dreamy fantasy world of paideia. Similar things can be said about the imagery of many 3rd century Roman sarcophagi. An example in the Vatican is particularly well suited to elucidate the complexities and idiosyncracies of the visual idiom (fig. 2).7 T he 3 

Hahn 1989, 12; cf. Ewald 1999a, 134. Hemelrijk 1999, 151. 5  Raeck 2000, who conceives of his topic rather narrowly (also Raeck 1998, on the aspect of rhetorical competence in the imperial image). On the self-fashioning of rhetoricians in literary sources, see Korenjak 2000. On the iconography of rhetorical displays, see Berczelly 1978, 63–66 (kline monument from Via Portuense in Rome, and funerary altar of Sulpicius Maximus); also Zanker 1995, 215–216 (Sulpicius Maximus); 260–261 (relief from Ostia, depicting a ‘lecture’). 6  Meyer 2009, 580 fig. 12. 7  Wegner 1966, 57–58 no. 138 pl. 68; Zanker 1995, 271–272 fig. 146; Ewald 1999a, 173 no. E6 pls. 51,2; 52,2; 53,2. 4 

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Fig. 1:  Naples, National Museum. Fresco from House of the Golden Bracelet, triclinium. Male poet (?) and Muse (?), with naked boy between them. 1st cent. AD. (Photo: Soprintendenza Archaelogica di Pompeii)

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Fig. 2:  Rome, Vatican Museums, Cortile del Belvedere. Roman sarcophagus with Muses and seated couple. 3rd cent. AD. (Photo: Deutsches Archäologisches Institut, Rom Inst. Neg. 93Vat.459).

sarcophagus depicts a learned couple seated opposite one another at the corners of the frieze, against the background of the Muses. T here are many small restorations, including the head and right hand of the seated male, but overall the present state of the relief gives a good impression of its original appearance. Upon closer inspection of the iconography, one thing that becomes immediately apparent is the lack of spatio-temporal unity. T he direct juxtaposition of the seated partners made for a satisfying formal composition, but is not likely to be understood literally, as a representation of a woman accompanying her husband’s recitation. Instead, both partners are shown in their gender specific, symbolic roles: the man is praised for his literary erudition, the woman for her musical talents. And yet the compositional arrangement of the partners must have evoked a well established topos that interpreted female lyre play as a sign of conjugal (or filial) affection. Pliny the Younger, for example, praises his wife for chanting his verses to the melodies she had composed on her cithara – “not instructed by a teacher, but only by love, which is the best magister”8. T he same (or very similar) motif is found in Statius’ praise of his stepdaughter, in Lucian’s panegyric on Panthea, in Ovids description of the ideal femina docta, as well as in funerary epigrams.9 T he lady with the lyre is, however, not only defined in relation to the male, for whom she expresses her fondness. She is also part of the mythological world of the Muses. If we count the Muses in the relief, we find that the seated lady has been inducted into the order of the Muses as  8  Plinius, Epistula 4,19,2–4: Versus quidem meos cantat etiam formatque cithara non ar­ tifice aliquo docente, sed amore, qui magister est optimus.  9  Statius, Silvae 3,5,63; Lucian, Imagines 9; 13; 14; Ovid, Ars amatoria 3,319–330; Peek 1960, 262–263 no. 448; de Vos 1986, 72; Ewald 1999a, 125–126.

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the ninth Muse; on other examples of this type of composition, she is added as the tenth Muse. T his identification of women with Muses, and the titulation of deceased women as “the tenth Muse”, was another panegyric topos that is attested in a number of funerary inscriptions.10 We can even tell with which specific Muse the seated lady was identified: the stringed instrument characterizes her as either Terpsichore or Erato who, among other things, was the Muse of love poetry. T he specific identification would have reinforced the amorous connotations of the portrayal of the woman as lyre player. But beyond the praise of musical abilities and conjugal affection, to some viewers, the sarcophagus relief may have also provided consolation, by offering them the comforting vision that the deceased lady had been admitted into the ranks of the Muses upon her death (cf. fig. 7).11 T here is another noteworthy iconographic detail: the Muses surrounding the seated woman are candidly related to her through their gestures. One Muse places her hand on the ­lady’s shoulder (the shoulder with hand is restored correctly, as other examples show), while another Muse holds the frame of the lyre and adresses the woman directly. T hese gestures do not only express the deceased’s intimitate commerce with the Muses, but are probably also meant to suggest that she had received her education from the Muses themselves. T his is another panegyrical topos that is found, for example, in Lucian’s praise of Panthea (Imagines 14), as well as in funerary inscriptions that portray the deceased as a student of the Muses: artem docuit me Musa Terpsichor(e)12. What the sarco­phagus relief offers, then, is not an accurate depiction of a cultural practice. Rather, it offers a complex and layered image designed to evoke a whole cluster of positive associations, in a clear and pleasing formal arrangement. It piles up panegyrical topoi that could bear some relation to the reality of cultural pursuits but that, in the first place, inform us about common social ideals, expectations and ambitions at a particular time, in a particular context. T he Vatican sarcophagus may serve to prove another point: that we should take the nuances of iconography seriously and make every effort to appreciate the monuments as historical sources in their own right. T he sweeping, generalizing interpretations that characterize much archaeological writing on the subject are, in any case, deeply problematic. For the sarcophagi, this means that neither the reference to the general significance of rhetoric in Roman education, nor to the ‘cultural movement’ of the Second Sophistic, nor to the well known social implications of education, nor to Marrou’s older and not well founded thesis of a ‘héroïsation par la culture’ (in an otherwise brilliant and pioneering work13) can sufficiently explain the particular ways in which a theme is rendered, or answer the question of why a specific iconography becomes popular at a certain historical moment, in a particular geographical region. T he visual material can only contribute to our picture of Roman culture and education if we place the monuments first, before 10 

Ewald 1999a, 128–129 (with references). Cf. the Roman children’s sarcophagi discussed below, p. 121–129. 12  Buecheler 1926, 30 no. 1944; Ewald 1999a, 49–50. 13  Marrou 1938 (1964) 231–257; cf. Ewald 1999a, 23–24. 11 

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Fig. 3:  Sabratha (Libya), T heatre. Detail of pulpitum reliefs, depicting a group of bearded men. Early 3rd cent. AD. (Photo: Sasha Coachman, https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:T heater_Sabratha_21.JPG), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/ legalcode).

relating their imagery and its implicit meanings, in a second step, to the broader picture gained from other sources. In addition to such fundamental problems of interpretation, there is the issue of reception, created by the real life settings and contexts of such imagery – their ‘Sitz im Leben’, in other words. T hese contexts pre-determined to no small degree an ancient viewer’s expectations of the range of messages he may encounter, and significantly impacted his or her understanding of the imagery. Overall, intellectual imagery is mainly found in three different contexts: public, domestic and ­funerary. Representations in the public realm are rare and largely limited to the decoration of theatres. T he best example is a pulpitum relief from the ­Severan t­ heatre at Sabratha (Libya), depicting an assembly of ‘men of letters’ (fig. 3). It shows a declaiming man in the middle, flanked by two seated males; the one on the left is touching his beard in a pensive gesture.14 To the right are three more figures, as well as (on the 14  Caputo 1959, 16–17 pl. 34 (“Inclino a pensare che si tratti … di un’accademia, che poteva essere di preparazione teatrale o retorica, insomma una scuola di declamatori ed attori più che un generico mouseion o la consueta conversazione fra poeti accanto a maschere e Muse”); Dunbabin 2016, 97–100. On the various types of entertainment on offer in imperial period theatres, see Friedlaender II 1923 (2016) 1–21.112–147. On rhetorical performances in the theatre, see Korenjak 2000, 27–33.

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following relief, placed at an angle and therefore not visible in fig. 3) a horologium and bookrolls displayed on stands. T his relief was directly related to the various theatrical, musical or rhetorical performances staged in the theatre; it is combined with other scenes depicting Muses, Heracles and Hermes, mimes, actors, masks, the three Graces and the judgment of Paris, but also ‘official’ scenes of imperial sacrifice and the personifications of Rome and Sa­bratha. In the domestic realm, wall paintings and floor mosaics depict a wide range of intellectual and musical pursuits (figs. 1; 11–14; 15–17). T hey are commonly found in the more representational rooms of the house, which not only provided the spaces for various forms of social interaction (such as the convivium), but also for a variety of cultural events and activities. T hese could range from learned conversations at the convivium to poetic recitals and musical, theatrical and dance performances.15 Even private home schooling and education will have taken place in the spaces so decorated, in particular when they provided enough natural light for reading and writing.16 T he rooms decorated with poets and sages, in fact, often opened onto gardens that were meant to evoke the spaces of Greek education, and that were sometimes named after them (academia, lyceum).17 Also in a domestic context, tableware with intellectual motifs would have functioned as conversation pieces at convivia and may have been passed around among the guests. A prominent example are two silver cups from Boscoreale showing skeletal poets and philosophers, with their names and famous sayings inscribed next to them.18 T hey introduced an element of memento mori to the convivium much in the same manner in which Trimalchio presents a movable silver skeleton to his guests (Petronius, Satyricon 34) as an encouragement to enjoy life while it lasts.19 Most of the evidence in the funerary realm is found on the late 2nd and 3rd century sarco­phagi depicting ‘philosophers’ or ‘men of letters’ and Muses (figs. 2; 19–25)20. T hese marble sarcophagi were, for the most part, rather ‘private’ monuments, and were usually displayed in tombs or grave chambers. If they were seen at all, it was usually by the next of kin of the deceased, a fact that is reflected in the imagery’s focus on conjugal and family relations. Such sarcophagi were used across a wide social spectrum and can only rarely have been used by professional representatives of culture and education. T heir portrayal of the deceased as sages and Muses is primarily symbolic and ‘panegyrical’, in addition to having a ‘substitutive’ function: T he 15  Friedlaender I 1923 (2016) 254–256.263–266. On the sculptural decoration of domestic spaces with images of ‘intellectuals’, see the summary of the evidence in Lang 2012, 124– 130.135–138 (with earlier literature). 16  Cribiore 2001, 26. 17  De Vos 1986, 69. 18  Dunbabin 1986, 224–227; Zanker 1995, 209–210 fig. 109; Lang 2012, 122–124. 19  Dunbabin 1986; Jadzewska 2013. 20  Marrou 1938 (1964); Wegner 1966; Rudolf 1981; Faedo 1981; Zanker 1995, 267–289; Ewald 1999a; 2003; 2005; 2012. Figures of sages, philosophers or rhetoricians can also be found in the stuccoed and painted decoration of tombs, for example the tomb of Valerius Herma in the necropolis under St. Peter: Zanker 1995, 254–256.

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sarcophagus reliefs evoked the patron’s ideal social persona in a durable medium and, in doing so, guaranteed a postmortal presence among the living.21 For the understanding of the figures of philosophers and sages on the sarcophagi, it is further relevant that the preparation for death, as well as the consolation of the bereaved, were important concerns of the Stoic (and more generally, popular) philosophy of the imperial period. Even those who claim to have avoided philosophers during lifetime – such as Trimalchio in Petronius’ Satyricon (71,12) – may have found solace in being portrayed as one when death was near.22 It is also possible that some viewers would have equated the sages depicted on the sarcophagi with those philosophers that had provided consolation upon the death of an individual. T he examples provided here may suffice to demonstrate that the varying contexts and conditions of reception mattered greatly and that they would have ‘primed’ and shaped a viewer’s perception and understanding of the imagery he was confronted with. A word about the chronological and geographical distribution of the main classes of material is in order. It is in the nature of the source material discussed here that the evidence is not even and continuous, but rather random, fortuitous and selective, allowing us to catch mere glimpses of a much broader visual culture. Most of the wall paintings come from the Cities of Vesuvius and date to the Claudian, Neronian and early Flavian periods, with some unusual earlier examples from the first century BC. After the catastrophe of 79 AD, examples can be found in sites as diverse as Ostia and Ephesos. T he sarcophagi with Muses and ‘intellectuals’ mostly date from the mid-second to the late third century AD. T hey are largely limited to Rome and Ostia (although they were exported to other cities in Italy and throughout the Latin West), and were particularly fashionable from the mid- and late Severan to the post-Gallienic and early-Tetrarchic periods. T hey sharply decline in numbers around 300 AD and phase out with the upswing of Christian iconographies in the early fourth century. T he mosaics date, for the most part, to the third and fourth centuries AD, with single examples being as late as the fifth century; their geographical distribution is much wider than that of the sarcophagi. T he vast majority of the monuments under discussion, in other words, belongs to the Roman Imperial period from the first to fourth centuries. T his is not coincidental: T he emergence of a rich and differentiated iconography for intellectual and musical pursuits is itself a result of the profound socio-historical changes brought about by the political neutralization of large parts of the Roman aristocracy in the power struggles of the late Republic, and the subsequent advent of the imperial system. It is, in other words, a symptom of a process whereby an increasingly de-politicized and de-militarized aristocracy claimed new realms of self-definition and self-realization which now prominently include the thematic fields of educated leisure, poetry and music.23 21 

Ewald 2015a. Dion Chrysostomus 27,7–9; Ewald 1999a, 133–134. 23  See, for example, Zanker 1995, 198–217. 22 

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A final point: Every visual representation of an acoustic practice or experience – be it a rhetorical display, loud reading, lyre playing or any other form of music making – faces the obvious problem of rendering a complex multi-sensory reality in a mute medium. T his is not a trivial aspect of the imagery discussed here: scenes of intellectual and musical activity appealed to a viewer’s “deep repository of memory and association”24; an ancient viewer was, much more so than we are, able to draw on the bodily recollection of the sights and sounds of rhetorical and musical performance, as well as the deeply ingrained memories of the sensations and feelings associated with such cultural acts. T here are signs that future art historical and (to a lesser degree) archaeological scholarship will become more acutely aware of the embodied, visceral dimensions of images, for which the semiotic and structuralist approaches of the 1970s and 80s had little concept.25 Our common parlance of images being ‘read’, in any case, seems particularly skewed when we are dealing with visual depictions of cultural activities that involved sound, music, dance and speech. T he images, moreover, hold potential for a history of sense experience, or ‘sensory history’.26 On the third century AD sarco­ phagi, for example, the new focus on the depiction of auditory experiences – lyre playing women, men performing oratorical gestures, representations of Orpheus, the Sirens and Odysseus, etc. – goes hand in hand with a decline of the exuberant sensuality, eroticism and visual drama of the earlier mythological sarcophagi.27 T his could be indicative of a sensory shift, i.e., a latent crisis of the ‘ocularcentric’ paradigm that had been an essential component of pagan subjectivity for centuries. Interestingly, a number of philosophical texts from the period are much concerned with the dangers and virtues of ‘listening’.28 While such sensory ­studies are, for antiquity at least, still in their early stages, they have elsewhere already become somewhat more fashionable than mere ‘iconography’.

2. Education: public and private T he process of intellectual formation begins with childhood education, which was conducted either by private tutors at home, or by elementary teachers in schools set up in public spaces.29 A fresco from the Praedia of Julia Felix (fig. 4) in Pompeii matches quite well Marrou’s description of makeshift teaching establishments 24 

Buckley 1998, 6. See Ewald 2012, for an attempt in this direction. 26 See, for example, Smith 2007, for a recent survey of the field. Also Howes 2003; 2005. 27  Ewald 2012, 57 and passim. On Odysseus and the Sirens, see Ewald 1999b. 28  Plutarch, De audiendis poetis; Seneca, Epistula 108; Epictet, Dissertationes 2,23 (discussed by Foucault 2006, 334–336); cf. Ewald 2012, 57 with n. 66. 29  Marquardt 1886 (2016) 92–122; Marrou 1956, 358–380; Bonner 1977; Booth 1979; Cribiore 2001; 2007; Vössing 2003a; Bormann 2006; Krumeich 2006; Gemeinhardt 2007, 27– 61. For Augustine as an example of schooling in late antiquity, see now Lane Fox 2015, 51–61. 25 

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Fig. 4:  Praedia of Julia Felix, Pompeii. Drawing of wall painting with school scene and corporeal punishment. First century AD. (Photo: after Le Antichità di Ercolano III, 1762).

(his ‘primary’ and ‘secondary’ schools) located in or near Forum porticoes, and sometimes provisionally screened off by curtains (vela).30 T he fresco is part of an entirely unusual series of scenes portraying everyday life on the forum of Pompeii and in the adjacent porticoes, which are festively decorated with garlands. Interspersed with equestrian honorific statues, we see women and men with their children, buying clothes and dinnerware, foodstuffs and tools; a beggar (or cynic philosopher) with his dog, receiving money from a wealthy Pompeian lady31; a mule cart; and a legal case being presided over by seated magistrates. T he schooling, in other words, takes place amidst the distracting hustle and bustle of forum life, and the frescoes illustrate very well the challenging environment in which the students were supposed to focus on their reading and writing. T he school scene shows, on the left, a bearded magister (who is not seated on a cathedra, as in the famous Neumagen school relief and other examples, but standing32) watching over three seated students (their gender is unclear) with writing tablets on their knees. On the right, a student with bare buttocks receives a whipping from the teacher’s 30  Marrou 1956, 361.370; also Marquardt 1886 (2016) on schools in a pergula or taberna; Vössing 2003a; Bonner 1977, 115–125 fig. 11; Beard 2008, 76–77 (on the Pompeian frescoes). 31  Beard 2008, 72–78. 32  Neumagen school relief: Bonner 1977, 56 fig. 9; Schwinden 1992.

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assistant. While it is not entirely certain that the castigation is indeed part of the school scene, the occurrence of a comparable representation of corporeal punishment on one of the Kimbros mosaics (fig. 10 a) makes the thematic unity of the scenes distinctly possible.33 Even the details of this type of punishment, with one pupil being “suspended on the back of another, while his feet are held tight”34, are attested in ancient sources35. T he scene illustrates the important role attributed to corporeal punishment in ancient upbringing: ‘education’ is presented as a practice that is enacted on and via the body. T he student’s fear of the schoolmaster’s whip was proverbial: Augustine (De civitate dei 21,14), in a famous passage, asks rhetorically who would not prefer death to the horrors of childhood, long after Quintilian had already criticized the standard practice of corporeal punishment as servile, ugly, futile and unjust (Quintilian, Institutio oratoria 1,3,14–18).36 T he scene, then, is a stark reminder that education in antiquity meant anything but the encounter of a disembodied intellect with a text, but was instead an embodied practice that could, at the same time, be highly public, ‘theatrical’ and performative. For the numerous strollers and onlookers in the background, many of whom will have been experienced amphitheatre-goers, such punishment must have offered a welcome and diverting spectacle of violence. T he Pompeian schoolscene is unique. Much more frequently, we find images of education on funerary monuments commemorating early deceased children – usually boys, but in some cases also girls. T hese schooling scenes demonstrate, for one, the absolutely central role attributed to education in a child’s life: one of the few things that could be said about children whose cursus vitae had tragically been cut short, was that they had been extraordinarily gifted and had studied well. Equally important were the social implications of such teaching scenes. Unlike the unambiguously public schooling depicted in the Pompeian fresco, at least some of them seem to imply private home schooling, which throughout antiquity was a marker of elite status.37 T his assumption is confirmed by the sarcophagus of Marcus Cornelius Statius in the Louvre, on which the canonical figure of the teacher is replaced by the boy’s father; accordingly, the latter does not wear a Greek dress (pallium), but the Roman toga.38

33  Selinger 2001, 350–354 (non vidi) interprets the scene not as punishment of a student, but of a slave: Vössing 2003a, 471 n. 76. 34  Beard 2008, 77. 35  Marrou 1956, 221; Cribiore 2001, 65–73; Booth 1973. 36  Marrou 1956, 367; Booth 1973; Bonner 1977, 38.142–145; on the example of Augustine, see Lane Fox 2015, 51.57–58. 37  Booth 1979, 4–5; Cribiore 2001, 106–108; Vössing 2003a, 460. However, the presence of an accompanying slave, as well as the presence of a bust of Athena may suggest a more public setting for some of the school scenes: Amedick 1991, 65–66. 38  Amedick 1991, 65 no. 114 pl. 52–53, 4.5. Another sarcophagus in Agrigent possibly depicts the father as teacher: Amedick 1991, 65 no. 2 pl. 53.1–3. – On “education within the family”, see Bonner 1977, 10–16 fig. 2; Cribiore 2001, 106–108.

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On Roman children’s sarcophagi dating from the Hadrianic to the Tetrarchic periods, the teaching scene is a canonical part of a cycle of typefied scenes which can further include the birth or the bath of the newborn child (often in the presence of the fates/Parcae), a chariot scene, the conclamatio, and occasionally even the ascent or apotheosis of the child (fig. 5a).39 T he chronological organization of the scenes normally suggests an underlying concept of a curriculum vitae, although the sequential arrangement is sometimes abandoned in favor of a central placement of the conclamatio scene, in keeping with the funerary context of the medium (fig. 5 a–b). T he teaching scene depicts a boy or (more rarely) a girl reading to the male teacher (seated either behind or in front of him) from an open scroll40; sometimes, one or several Muses are present. In accordance with the young age of the children represented, all of these scenes refer to the acquisition of basic reading and writing skills, which were the main concerns of Roman elementary schooling.41 T he ‘biographical’ frieze of a remarkable kline monument from the Via Portuense in Rome (ca. 100 AD) depicts a boy reading from a scroll with assistance from his teacher, who is seated on an elevated cathedra (fig. 6 a–c); the seated classmates to the left are reminiscent of the Pompeian school fresco.42 On one of the following scenes to the right, the grown boy (dressed in a toga, with a scroll in the left, and the right hand raised) stands next to an unidentified, pillar-like object and gives a rhetorical display to a seated audience of two, one of whom is cheering him on. What we have here, then, is a rare evocation of two different stages of education: public elementary schooling, which is followed by a ‘higher’ rhetorical education. It seems possible that the latter scene refers to the public declamations given by Roman students as part of their rhetorical training (see below), but it may just as well have been understood as a general reference to rhetorical training as a stepping stone for an administrative career. Very rarely, children’s sarcophagi express the idea that the deceased child has, on the grounds of his or her extraordinary intellectual gifts, been admitted among the Muses after his death.43 T he most poignant realization of this concept is found on a children’s sarcophagus in Rome, on which the boy is reclining among the 39  Berczelly 1978; Amedick 1991, 65–67; Dimas 1998, 94–117; Huskinson 1996; Schulze 1998, 55–60; Ewald 1999a, 31. 40  T he teachers in the visual representations are, as far as I can see, always male, although female teachers are attested in a variety of sources: Cribiore 2001, 78–83. 41  Friedlaender I, 1923 (2016) 176–179; Marrou 1956, 360–368; Booth 1978; Harris 1989, 233–248; Cribiore 2001, 160–184; Gemeinhardt 2007, 36–38 (with further references). See also the depiction of boys reading from scrolls in Roman painting: Meyer 2009, 576 with n. 37, noting that “the absence of diptychs or tablets in (the Roman) teaching scenes is in contrast to Attic vase painting, where they do appear”. 42  Berczelly 1978, 63–66 (fundamental publication); Amedick 1991, 65 no. 178 pls. 58–60. Bonner 1977, 124 fig. 13 illustrates a terracotta relief (Paris, Louvre) with a rather interesting parody of just such a school scene, in a similar composition. T he roles of the magister and his students are here played by a donkey on a cathedra, teaching seated monkeys. 43  Amedick 1991, 66–67.74–76 nos. 177 (Rome); 248 (Stuttgart) pls. 72–73, 1.2.

Fig. 5a–b:  Paris, Louvre. Roman children’s sarcophagus with ‘biographical’ cycle. Early third century AD. (Photos: Art Resource/New York). a)  From left to right:  school scene (boy reading to seated teacher, while an accompanying slave with corkscrew locks carries the boy’s lunch basket. In the background, another figure); conclamatio with seated parents at both ends of the deathbed; scene of birth.

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b)  Detail with school scene

Muses, who welcome him into their order as the ninth Muse (fig. 7). Under the kline lies the corpse which the deified boy has left behind; the school scene is located on the left corner of the vat-shaped sarcophagus. By transforming the common conclamatio scene into a vision of a blissful, postmortal existence, the sarcophagus relief offered the parents comfort and consolation. It is important to note, however, that such effusive iconographies are not found on the sarcophagi of adults. T he children’s sarcophagus in Rome offers the only clear visual evidence for Marrou’s hypothesis of a ‘héroïzation par la culture’. Although women and both male and female children can be routinely identified with one of the nine Muses (fig. 2), there is no indication that hopes for deification would have been a significant factor in the intellectual and musical pursuits of adults.44 Scenes of childbirth and education are also found on the elaborate Roman ‘magistrate’ or ‘marriage’ sarcophagi. T hese sarcophagi were primarily designed to praise the achievements and virtues of their male recipients or sarcophagus patrons. But they are nonetheless noteworthy for their inclusion of the female sphere, which is evoked through representations of motherhood, childcare and 44 

Ewald 1999a, 24.

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Fig. 6a-c:  Rome, National Museum. Kline monument with a cycle of ‘biographical’ scenes. Ca. AD 100. (Photos: after Amedick 1991, Pl. 59,1; 63,2; 73,2). a)  Entire monument with reclining male and seated female. On the far left of the frieze below, birth and first bath of a child.

b)  the child plays or learns to walk with the help of a scooter-like object; school scene.

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c)  separated by a tall pillar the boy, dressed in a toga, gives an oratory display to two seated listeners.

Fig. 7:  Rome, National Museum. Roman children’s sarcophagus depicting a reclining child among the Muses. Below the kline, the corpse of the dead boy. On the curved left side, the boy is reading to his teacher. Early 3rd cent. AD. (Photo: Deutsches Archäologisches Institut, Rom Inst. Neg. 65.122).

marriage. T he inclusion of these important aspects of female existence, however stereotypical they may be, is in accordance with an intensified focus on the ethical implications of family relations, parental roles and motherhood among the sena­torial elites of the 2nd century.45 Unlike the children’s sarcophagi, the scenes of childhood education on these examples do not refer to the childhood of the 45  Reinsberg 2006, 99–104. Also Muth 2003. Reinsberg also demonstrates that the iconographies of childhood draw heavily on mythological depictions of the childhood of Dionysos.

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Fig. 8:  Rome, National Museum. Lid of Roman battle sarcophagus from Portonaccio: Girl writing on wax tablet with a stilus, in the presence of female figures (Muses?). End of second century AD. (Photo: Deutsches Archäologisches Institut, Rom Inst. Neg. 36.233).

­sarco­phagus’ protagonist, but instead serve to visually define the virtue of female pietas. Unsurprisingly, such scenes of childbirth and education are limited to subordinate locations, such as the short sides or the lids of such sarcophagi. Iconographically, the scenes of education match the corresponding scenes on Roman children’s sarcophagi; in a famous example from Portonaccio (fig. 8), a little girl is not reading, but writing onto her wax tablets with a stilus.46 Parallel to this understanding of the child as in need of instruction by a teacher or parent, we more rarely find a concept of the child as an enlightened ‘Wunderkind’ – a puer senex or ‘l’enfant docteur’, as Marrou called them. A small group of later 3rd century AD sarcophagi depicts frontally seated boys who perform an ­oratorical gesture with their right hand, while holding an opened bookroll in their left (fig. 9 a–b).47 T he exact meaning of the scheme is, once again, not clear. Rhe­ toricians would usually remain seated only during the praelocutio, but then rise 46  Reinsberg 2006, 101.217–218 no. 85 pl. 8,5; 13,3 (sarcophagus lid in Rome, Museo Nazionale Romano). 47  Amedick 1991, 69–72 (example in the Louvre); Zanker 1995, 276 fig. 149; Dimas 1998, 109–117; Ewald 1999a, 38–42.169–170 nos. 5; 7 pls. 44–45.

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Fig. 9a:  Rome, Vatican Museums. Roman children’s sarcophagus with frontally seated boy among Muses depictet as children or putti (detail). T he boy holds a bookroll in the left and raises the right in an oratorical gesture. On the left, the Muse Clio. Later third century AD. (Photo: Deutsches Archäologisches Institut, Rom Inst. Neg. 36.539).

for their main declamation.48 Students of rhetoric could ‘graduate’ with a public declamation after several years of study, but the boys depicted on the sarcophagi appear too young for the images to refer to this particular event.49 It seems that the iconographic scheme (which is varied considerably on individual sarcophagi) draws on various models: it combines the iconography of magistratic representation with the more animated pose of seated divinities such as Apollo.50 On the examples in the Vatican and the Louvre (fig. 9 a–b), the boy is accompanied by a Muse on his right, who either dips a stilus into an inkwell or notates the words of 48 

Korenjak 2000, 36–37; Vössing 2003b. Korenjak 2000, 37 n. 97 notes that there were individual cases in which rhetoricians (due to age, or ill health) would remain seated and only rise from their kathedra (or thronos) at the end of their speech, or during the most important moments of their speech. 49  Vössing 2003a, 475. Cf. the ‘declamation scene’ on the above discussed kline monument from Rome, Via Portuense: Berczelly 1978, 63–66. 50  Ewald 1999a, 38–42 (with references). On the late antique consular diptych of the vica­ rius urbi Rufius Probianus, a magistrate dictates a scriba just like the boy dictates to the Muse: Amedick 1991, 70; Ewald 1998, 45 pl. 21,2; Ewald 1999a, 41.– On the ‘puer senex’ topos, see Curtius 1942, 108–114.

Fig. 9b:  Paris, Louvre. Roman children’s sarcophagus with frontally seated boy among Muses. Later third century AD. (Photo: Art Resource/New York).

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the boy in a diptych, just like a scribe would notate the words of a magistrate. T he iconographic scheme is here employed as a means of praising the child’s talents in a panegyric and hyperbolic fashion, while being much less rooted in the real life practices of education than the traditional schooling scenes discussed above. T he aspect of family relations, which was so important on the earlier children’s sarcophagi with curriculum vitae, is also absent here. For precisely these reasons, Marrou dedicated an entire chapter of his book Mousikos aner to these children’s sarcophagi51: they make the symbolic and aggrandizing nature of the iconographies used on the sarcophagi particularly obvious. And in doing so, they considerably complicate any form of ‘biographical’ reading. Marrou also already drew parallels with Latin funerary inscriptions that praise the intellectual talents of (both male and female) children in superlative terms, by using formulations such as “ultra annos sapiens”, or “super annos docta”. T hese inscriptions can occasionally even reverse the relation between student and teacher: “primo cum carmine coepto, doctorem doctor vidit, et obstipuit (…)”52. A literary parallel to such epigraphic evidence can be found in Sidonius Apollinaris’ panegyric on the grammarian and poet Consentius (Carmen 23,204–216): as a newborn, Consentius was bathed by the Muses in the spring Hippocrene, miraculously drinking eloquence instead of water; as a puer, he was already superior to his magister; and after ‘devouring’ (vorasti) rhetoric and grammar, he was entrusted straightaway with a high imperial office.53 It is, I believe, possible to go even further. T he inversion of the traditional mechanism of inspiration on the sarcophagus relief – not the poet, orator or ‘boy of letters’ receives his inspiration from the Muse, but he imparts his knowledge to her – does not only characterize the child as particularly precocious: it also implies an alternative concept of knowledge. T he intellectual superiority of the child no longer marks the end of a long, arduous and painful educational process but is, so to speak, ‘primary’ because it has been obtained in a sort of divine inspiration.54 Unsurprisingly, it is this general scheme that is later adopted for the representation of the teaching Christ, for example on the Junius Bassus sarcophagus in the Vatican (fig. 9 c).55 In both cases, the frontally seated teacher communicates an innate, divinely infused knowledge that does not appear to be derived from the traditional sources of knowledge and wisdom.

51 

Marrou 1938 (1964), 197–207; also the comment by Becchi 2016, 317–320. Marrou 1938 (1964), 202–205 (= CIL IX 5012; CIL VI 21846; CIL VI 8401). 53  Amedick 1991, 70–71; Gemeinhardt 2007, 32 with n. 32. 54  Ewald 1999a, 42. 55  Common discussions of the scheme of the frontally seated Christ, and its derivation from either imperial modes of representation, or the iconography of gods (Mathews 1993; Engemann 1996, 78–79), set up a false alternative by conceiving of the iconographic scheme too narrowly. Correctly Zanker 1995, 289–320. 52 

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Fig. 9c:  Rome, Vatican Museums. Sarcophagus of Junius Bassus with teaching Christ (detail). Ca. AD 360. (Photo: Art Resource/New York).

A key example for the longevity of the paideia ideal is found in the astonishing series of late antique Kimbros mosaics (fig. 10 a–c).56 T he series consists of 15 artistically unpretentious mosaic panels of varying size, most of them currently in North American collections. T hey depict the education and upbringing of an – otherwise unknown – individual named ‘Kimbros’ in a highly anecdotal manner, which presupposes some familiarity with the protagonist (or his biography) on the side of the mosaics’ ancient viewers. T he panels have been tentatively dated to the 5th century AD and may have originally decorated a domestic interior, or even a tomb. T heir provenance is unclear, but an eastern Mediterranean origin (e.g., Antioch) is commonly assumed. T he significance of the mosaic panels can hardly be overstated: they constitute the only known ancient (non-mythological) representation of childhood education of some narrative complexity, and their in56  On the following, see Marinescu/Cox/Wachter 2007 (fundamental publication); Lane Fox 2015, 58–60 figs. 5–8.

Fig. 10a-c:  Private Collection (USA). T hree panels from the series of Kimbros mosaics. Ca. fifth cent. AD. (Photos: Courtesy of a New York Collector). a)  Punishment of Kimbros; Philios forces Kimbros to attend Marianos’ school; Marianos; Marianos tends to the sick Apolonides.

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c)  Kimbros attends the schooling (diatribe) of Alexandros with other students; Paideia (Pedia) and Alexandros; Personifications of dates/seasons; Dios and Alexandros.

b) Kimbros, accompanied by Philios, receives tablets and stilus; Kimbros is greeted with a kiss by Alexandros, in the presence of other students; Kimbros and Priscos, with Philia between them; Figures with trays.

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dividual figures and scenes are considerably less typefied than the school scenes found in funerary art. Among the most relevant scenes in our context are the various school scenes featuring Kimbros, as well as the corporeal punishment he receives from his paedagogue Philios. Apart from the figure of Kimbros himself – who appears smaller (i.e. younger) in the earlier scenes than in the later ones – we encounter his paedagogue Philios, his teachers Marianos and Alexandros, as well as his friend Priskos, son of Monimos, and his schoolmates Markianos, Longinos and Dios. A number of scenes are rather anecdotal in nature, such as the teacher Marianos tending to the sick Apolonides (fig. 10 a); the illness or injury of Kimbros; his return to Alexandros’ class after his recovery, as well as an engimatic scene in which (the injured?) Kimbros is carried by Markianos and Priskos. A number of personifications, identified by their inscriptions, aid in the understanding of individual scenes; most notably, they include a very rare personification of Πεδία (paideia), who touches the chin of the teacher Alexandros as if aiding the flow of words from his mouth (fig. 10 c). We also find personifications of Φιλία (‘friendship’; fig. 10 b), Ἔντευξις (‘petition’), Μήνυσις (‘laying of information’), Νόσος (‘illness’) and Προέλευσις (‘progress, recovery’). Several schools scenes are identified as such by the inscribed word διατριβὴ. While it is impossible to discuss the mosaic’s individual scenes in any detail here, it should be noted that the panels illustrate several characteristic aspects of ancient education that are also evident in the literary sources. T he role of corporeal punishment, for example, appears to have been so central and emblematic of the educational process that it was regarded worthy of commemoration: in one scene (fig. 10 a), Kimbros is strapped to a bed-like scaffolding (with bare buttocks, as in the Pompeian school scene) and whipped by Philios, who in the following scene again uses the threat of violence (in the form of a rod) in order to drive the unwilling Kimbros to Marianos’ school.57 T he chastisement of Kimbros was likely included in an image meant to honor him because it was understood to have a ­positive regulatory and corrective effect.58 T he idea of friendship among the students is expressed through the personification of Philia, standing between Kimbros and his schoolmate Priskos, son of Monimos (fig. 10 b). Given the significance and ethical implications of the concept of friendship in antiquity, as well as the fact that the bonds formed in school were often at the heart of the social networks used later in life, it is understandable that the Philia of Kimbros and Priskos is remembered here.59 We also capture a glimpse of the intimate (and, by contemporary standards, of course highly problematic) interaction between students and teachers: in once scene, Kimbros 57  On precisely this role of the ancient paedagogue, see Bonner 1977, 38–39. On the iconography of paedagogues (and nurses) in ancient art, see Schulze 1998. 58  Marinescu/Cox/Wachter 2007, 108–109. On youth as a problematic phase of life, characterized by lack of control and orientation, see Kunst 2006, 82–83. 59  Kunst 2006, 80–82.

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is greeted with a kiss by his teacher Alexandros, in the presence of fellow students Markianos and Longinos (fig. 10 b). T his practice is well attested in literary accounts of ancient schooling.60 Perhaps most importantly, the mosaics also suggest an understanding of edu­ cation as a series of successive (if overlapping and not always clearly defined) stages, in which the student was instructed by different teachers: Kimbros is taught by both Marianos and Alexandros, while maintaining the paedagogue Philios, who accompanies him on the way to his teachers (fig. 10 a–b). While the model of a neatly organized, three-tiered education system in antiquity – elementary school, grammar school, higher rhetorical education – has long been called into question,61 the mosaics nonetheless suggest a basic concept of elite education as a process that involved a sequence of teachers. T he number, quality and degree of specialization of these teachers was, of course, directly proportional to a ­family’s social rank or financial means; how high one would climb on the ‘ladder of education’ depended, above all, on the available resources.62 Historical personages from the highest orders – such as Marcus Aurelius, about whose educational trajectory we are well informed – were taught by a remarkably long line of teachers, many of whom were highly specialized, renowned experts in their respective fields.63 In the mosaics, both of Kimbros’ teachers are indeed prominently displayed in the centre of the respective panels, in an attempt to underscore their importance. It has even been suggested that the latter of Kimbros’ professors may be identical “with Alexandros, a grammar teacher whom Libanius mentions in a letter of the mid-360s” 64. Such conjectures, while not impossible, must necessarily remain speculative.

3. Muses, Poets and Amateurs: Roman frescoes Let us now turn from the scenes of education to the broader evocation of intellectual and, to a lesser degree, musical pursuits in Roman art of the first three centuries. For the early imperial period, most of the evidence comes from the walls of domestic interiors in Pompei and the cities of Vesuvius. Apart from the omni­ 60  Marinescu/Cox/Wachter 2007, 110, noting that the mosaic “may be the first attested visual documentation of this practice”. On students being welcomed with a hug by their teacher, see Marrou 1957, 363; Cribiore 2001, 15. 61  Booth 1979; Vössing 2003a, 475–478; in particular, Gemeinhardt 2007, 27–51; also Laes 2007. – T he traditional, tripartite model of Greek and Roman education is already found in Marquardt 1886 (2016), 112: “Somit war der gesammte Schulunterricht in drei Stufen, den elementaren, den grammatischen und den rhetorischen, zerlegt (…)”. 62  Cribiore 2001. 63  Fündling 2008, 40–55. Cf. the education of Augustine by varying teachers: Lane Fox 2015, 51–61. 64 Lane Fox 2015, 59; Marinescu/Cox/Wachter 2007, 110 n. 22 are sceptical about such a connection, mainly on the grounds of the presumed date of the mosaic.

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present Dio­nysiac themes, which celebrate the patron’s ideal of an opulent lifestyle and s­avoir vivre, themes related to culture and the arts of the Muses are among the most common. T hey helped to construct villas and houses as spaces of educated leisure (otium) and of a cultivated, carefree lifestyle. T he paintings are found in all of the representative dining, reception and living rooms that typically receive painted decoration: atria, exedrae, oeci, triclinia, cubicula, as well as peristyles; some of the rooms have been tentatively identified as libraries.65 T he popular cycles of eight or nine Muses (fig. 11), often under the leadership of Apollo Musagetes, evoke a

Fig. 11:  Paris, Louvre. From Pompeii, Praedia of Julia Felix, cubiculum 97. Wall paintings of Muses, Clio and T halia. 62–79 AD. (Photo: after Mujeres de Roma. Seductoras, maternales, excesivas. Colecciones del Museo del Louvre. Obra Social ‘La Caixa’, Barcelona 2015, p. 170).

rather broad, comprehensive and generic ideal of culture which in­cludes theatre and poetry as well as the various disciplines represented by the ­Muses: comedy and tragedy, history and astronomy, epic and lyric poetry, dance and pantomime, music played on both stringed instruments (lyre, cithara) and a­ uloi.66 Particularly stunning examples include the frescoes from the Praedia of Julia Felix in Pompeii, now in the Louvre, depicting Clio (fig. 11; with the inscription klio historian on her bookroll), T halia, Melpomene, Erato, Terpsichore, Polyhymnia, Urania, Cal65  66 

Meyer 2009, 577 n. 42. On the iconography and functions of the Muses see, for example, Faedo 1981.

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liope and Apollo;67 as well as the paintings from the Triclinium A of the building complex at Murecine (fig. 12).68 T he decoration of the latter shows, against a background of dark ‘Pompeian red’, and framed by a painted Fourth-Style architecture, three figures on each of the three walls. T he centre of the north wall, opposite the entrance, is occupied by a crowned Apollo Citharoedus, who hovers through the

Fig. 12:  Murecine, Triclinium A. Muse (Calliope) with tablets and stylus. First century AD. (Photo: after Nappo 2001, fig. 9)

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Burlot/Roger 2012. Nappo 2001. T he function of the complex is disputed, cf. Pappalardo 2009, 166: “E possibile che si tratti di una domus marittima, di un albergo o piu probabilmente della sede di una corporazione da mettere in relazione con la contigua area portuale.” 68 

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air and is flanked by Clio on the left and Euterpe on the right. On the left wall, we see Calliope in the centre (fig. 12), flanked by Erato on the left and (probably) Poly­ hymnia on the (fragmented) right. T he right wall shows T halia as middle figure, with Urania on the left and Melpomene on the right. T he floating and seemingly weightless figures of Calliope, Apollo and T haleia, who are further emphasized by

Fig. 13:  Pompeii, House of Menander, peristyle. Seated poet with wreath and bookroll. First century AD. (Photo: Art Resource, New York).

means of their size and central placement, communicate the specific ‘feeling for life’ associated with cultural pursuits on a visceral and embodied level: they evoke a cheerful, untroubled fantasy world of culture, and invite the ancient viewer to experience the ‘lightness of being’ in his own flesh.

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T he male, non-mythological representatives of culture shown alone or together with the Muses are, overwhelmingly, poets (fig. 13).69 T hey are identified as such by the presence of crowning wreaths and theatre masks, more rarely also by writing implements; occasionally they have identifying inscriptions. T he juxtaposition of tragic and comic genres, which later becomes popular on the sarcophagi70, is already found here; the so-called Menander was juxtaposed with a tragic poet, possibly Euripides, on another wall of the exedra.71 Not all of the bearded men are poets, however. T he enigmatic Second Style fresco from the oecus H at Boscoreale shows a tanned philosopher, paedagogue, sage or seer leaning on a knotted stick, gazing in the direction of the seated personifications of Macedonia and Asia.72 T he interpretation of this early example is difficult and controversial, and in any case depends on the interpretation of the entire composition. Of particular interest in our context are a series of eight Fourth Style paintings that depict women in tondi or rectangular frames, holding writing instruments and diptychs or tablets (fig. 14 a).73 T heir adornment – carefully groomed contemporary hairstyles, hairbands or a golden hairnet – as well as the servants that accompany them on some examples, suggest a domestic ambience of status and wealth. In one case, the famous so-called painting of a ‘baker and his wife’ (fig. 14 b), the female is combined with a man holding a scroll; in other cases, the ‘female’ tondo can be juxtaposed with a ‘male’ one. T he content of the rotuli is usually not clear, but two tondi depicting young males with bookrolls offer a rare and precious insight into the content of the books: the tituli (sillyboi, sittyboi) identify them as works of Homer and (if the reading of the inscription is correct) Plato.74 Various interpretations for these women with stilus and tablets have been put forward. T he most recent one, by E. Meyer, calls the ‘realism’ of such images into question and interprets figures such as the lady in the so-called ‘Sappho’ tondo as 69  A short compilation of the relevant material is found in Meyer 2009, 577 no. 42; cf. de Vos 1986. Representations of philosophers are less frequent than those of poets; an example is the fresco from the Villa Farnesina, picturing the Cynic Crates with Hipparcheia (Clay 1996, 372–373). 70  Ewald 1999a, 129–130. 71  Ling 1991, 159; Meyer 2009; T he eponymous mosaic from the tablinum of the House of the Tragic Poet in Pompeii does probably not depict a poet, but actors preparing for a satyr play in the presence of a seated choregos, an aulos-player and masks: Dunbabin 1999, 47. 72  A whole range of identifications have been suggested (including Zeno, Epicurus, and Aratus), e.g.: Balensiefen 1990, 195–208 (Calchas); Müller 1994, 71–73 (Phoenix); Clay 1996, 378–382 (Diogenes); Pappalardo 2009, 32–45. For another early example, see de Vos 1986, 68 fig. 43. 73  Meyer 2009, 576–589 (detailed discussion and catalogue of all known examples, with bibliography); Helmelrijk 1999, 73–75 (cultural contextualization). – A number of frescoes from the from the Cities of Vesuvius show reading women: Meyer 2009, 578 with no. 45; on Hellenistic precursors, see Fabricius 2006. 74  Birt 1907, 115.189 fig. 124; 237–239 figs. 156–157; de Vos 1986, 70 fig. 45; Cavallo 1991 with figs. 212–213; Ewald 1999a, 127; Meyer 2009, 577 with n. 41 (House of the Cenaculum).

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139 Fig. 14a:  Naples, National Museum. Engraving after fresco of woman with stilus and tablets, accompanied by a female servant (the skin tone of the servant is notably darker than that that of the lady with writing implements). First century AD. (Photo: after Antichità di Ercolano, p. 241).

Fig. 14b:  Naples, Archaeological Museum. Wall painting of couple with writing instruments and scroll, from the House of Paquius Proculus (or Terentius Neo) in Pompeii. First century AD. (Photo: Art Resource/ New York).

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“either Muses or, less likely, women portrayed as Muses”75. T his interpretation is helpful insofar as it points to the fictional character of these images: what we see are not snapshots of Roman ladies pursuing their literary endeavours, but – first and foremost – evocations of a fantasy world of culture that defined the house as a space of otium. And the characteristic gesture of a woman pressing a stilus against the lips while holding tablets in the left is indeed strikingly similar to that of the floating Calliope from the Triclinium A at Murecine (fig. 12).76 Meyer’s interpretation is further supported by the fact that other tondi from Pompeii and Herculaneum were similarly designed to fictionalize and to blur the boundaries between myth and reality, by depicting males and females, sometimes with their servants and nurses, in schemes also used for mythological figures, or with divine attributes. But however typified and idealized the learned females and couples in the frescoes may be, they do refer to an existing literary culture: composing ­poetry was a common pastime of Roman upper class men and women, and it continued long after the demise of the short-lived literary genre of Roman elegy.77 T here must have existed, in other words, a substantial sub-milieu to the handful of known female poets from the late Republic and the early to mid-imperial ­periods. Although the latter’s work is either entirely lost or woefully ill preserved, these poetesses once enjoyed some renown, even long after their deaths, and may have well served as role models for a larger group of female amateur poets: Cornificia, Ovid’s “Perilla”, the elegist Sulpicia, Sulpicia Caleni, Julia Balbilla and Terentia.78 At least two of these women (the two Sulpicias) composed love poetry which articulated their feelings for their lover or husband.79 It is thus not only the chauvinism of our male sources that habitually interpreted female cultural pursuits – be it composing poetry or playing the lyre – as a means of expressing women’s sentiments for their partner.80 Although the frescoes under discussion may, in theory, allude to any form of literary activity81, it is likely that they were primarily understood as references to the composition of love poetry, or love letters. Such an interpretation would be entirely in line with the general character of Roman wall painting of the Claudian and Neronian periods (‘Fourth Style’), in which ‘love myths’ make up for about half of all mythological paintings.82 Some of the tondi 75 

Meyer 2009, 587. Meyer 2009, 587 fig. 20. It is not entirely clear to me if the gesture is merely a pensive one – the poetess awaiting inspiration as she composes her verse –, or if it may possibly also be understood as a way of warming the writing end of the stilus with the lips in order to facilitate writing on the wax tablets. 77  See already Friedlaender I, 1923 (2016) 296–299; more recently, for example, Christes 1975, 234; Zanker 1995, 210–217 and, in particular, the comprehensive discussion in Hemelrijk 1999, 146–184. On the Hellenistic precedents, see Fabricius 2006. 78  Hemelrijk 1999, 148–174. 79  Hemelrijk 1999, 151–164.218. 80  Ewald 1999a, 125–126. 81  Cribiore 2001, 88–91, on female writing, in particular of letters. 82  Hodske 2007; Lorenz 2008; Ewald 2015b. 76 

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depicting educated women were in fact combined with (or juxtaposed to) either Muses or panel paintings depicting mythological couples or figures such as Paris and Eros83 – the kinds of mythical similes evoked in the literary genre of erotic ­elegy.84 It is worth noting, in this context, that the only painted rotulus with a legible text on it reveals a popular love poem that is also attested in other Pompeian graffiti.85 Another fresco depicts Eros and a scroll or a papyrus scrap containing a fragmented love poem.86

4. T he gendering of cultural pursuits and the distancing from the professional representatives of culture Overall, then, the frescoes are situated in a twilight zone between cultural practice, mythological identification of women with Muses, the elegiac ideal of the femina docta and the symbolic display of status and learning. If and to what extent the inhabitants of the respective houses had lived up to the cultural pretensions expressed on their walls, we do not know. It is noteworthy, however, that in these self-portrayals the creative side of cultural production is always attributed to the female, in spite of the fact that most of the amateur poets of the imperial period must have been male. In the already mentioned famous fresco of ‘the baker and his wife’ (fig. 14 b), the accompanying male is holding a bookroll which alludes to his literary education in a more traditional manner. T his astounding ‘gendering’ of literary education (the assimilation of woman to Muses aside) quite possibly has to do with the fact that the subject position of an ‘elegiac poet’, implied by the fres83  Meyer 2009, 592 cat. No. 3 fig. 16 (“with tondi of Paris and Eros, (probably) Mars and Venus”); 593 no. 6 (“paired with tondo of male with scroll (MN 9085); between is Perseus and Andromeda with the head of the Gorgon”). 84  See, in particular, Valladares 2005; also Ewald 2015b. 85  Meyer 2009, 575 with n. 32; 591 cat. no. 13: “Blessed be the man who loves, and let him perish who knows not how to love. He who stands in the way of love, let him perish twice over” (transl. E. Meyer). However, Meyer recognizes the inscription on the bookroll as “a tiny painterly joke” (p. 575), which is probably correct: inscriptions on bookrolls do not usually reveal the content of the books depicted, but more commonly use (painted or sculpted) scrolls as opportune places for inscriptions; the same phenomenon can be observed on the later sarcophagi (Ewald 1999a, 126 with n. 733; an exception is the famous Vergil mosaic from Sousse in Tunis, with its quote from Aen. 1,8 written on the volumen: López Monteagudo/ San Nicolás Pedraz 1996, 92–93). T he painted bookroll, moreover, is part of a still life of writing implements (instrumentum scriptorium); these still lifes more commonly belong, as Meyer 2009, 570–576 demonstrates, to the realm of negotium, i.e. of record keeping and of legal and financial transactions. – Of particular interest to the archaeologist and art historian may be the fact that there also existed elaborate books that were illustrated with mythological vignettes, offering a simultaneous basic training in ancient iconography: Cribiore 2001, 138–139; cf. Rousselle 2001. 86  Meyer 2009, 577–578 with no. 43 (CIL IV 3691); Varone 1994, 28–30. T he reading of the inscription is difficult and not beyond doubt; Varone offers the following translation: “I don’t think a Venus made of marble would be as favourable to me as (…)”.

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coes, was deemed problematic – i.e., too ‘effeminate’ or ‘soft’ – for males. Although contemporary mythological wall paintings – such as Mars being disarmed by Venus and Erotes, or Hercules in the service of Omphale – indulge in daring and inherently transgressive gender reversals (kept, however, at a ‘safe distance’ by their mythological nature)87, the open self-portrayal of males as poets appears to have been undesirable. A similar phenomenon can be observed on the third century sarcophagi, on which the male patrons (marked out by their portrait heads) never hold theatrical masks in the manner of the ‘anonymous’ poets, although they can be flanked by the Muses of the theatre (T haleia and Melpomene) or characterized by theatre masks leaning against their chairs.88 T he same applies to the playing of stringed instruments, which is commonly used to define the female role, although it was an activity also pursued by males (fig. 2). But if reference to male lyre or cithara playing is made, it is always in ‘mythological disguise’, i.e. through representation of Apollo, or Achilles’ instruction by Chiron.89 T here is, in other words, often a careful gendering in the representation of intellectual and musical activities, as well as a fine dividing line between the professional representatives of culture and the Roman amateur intellectuals or poets. T his is unsurprising insofar as the professional teachers and musicians were often of lower social status, or only precariously employed.90 T he pursuit of philosophy and science, of poetry and music was an ornament and a sign of status only as long as it remained a pastime and happened on one’s own accord, rather than out of the need to earn a living. Consequently, the visual representations had to remain recognizable as evocations of symbolic roles rather than as descriptions of a patron’s profession.

5. From literary culture to ‘culture of the self’: Mosaics and sarcophagi After the catastrophe of 79 AD, the material basis becomes thinner. Wall paintings with Muses and poets or philosophers continue to be produced and are sporadi­ cally documented in places such as Ostia (e.g., ‘Domus delle Muse’) or Ephesos.91 But for the second to fourth centuries, most of the evidence is found on floor mosaics and Roman sarcophagi, with the bulk of the material dating to the third century AD. In spite of this overlapping chronological focus, the two bodies of material – mosaics and sarcophagi – differ somewhat in their selection of themes and iconographies, and their representational emphasis. T he mosaics, which (as far as we can tell) mostly decorated representational dining and reception rooms, depict an astonishingly wide array of ‘representatives of culture’, one that matches 87 

Ewald 2015b. Ewald 1999a, 129–130. 89  Ewald 1999a, 124–125. Cf. de Vos 1986, 72. 90  For example, Bonner 1977, 146–162; Cribiore 2001, 59–65; Laes 2007. 91  E. g. Dunbabin 2016, 63. Richter/Smith 1984, 204. 88 

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the sprawling, miscellaneous and cumulative nature of conversations at Greek and Roman convivia (figs. 15–16). Sometimes, the figures of philosophers and sages are accom­panied by Greek inscriptions containing their popular sayings and max-

Fig. 15:  Cologne, Römisch Germanisches Museum. Mosaic with philosophers from Cologne. T hird century AD. (Photo: after Parlasca 1959, pl. 80).

ims (figs. 16–17); these are likewise reminiscent of the (sometimes lengthy) quotations from works of poetry and philosophy found in symposium literature such as Plutarch’s Dinner of the Seven Wise Men, or Athenaeus’s Deipnosophists. T he sarcophagi, by contrast, place greater emphasis on the aspect of moral conduct, and effectively use the figures of sages and Muses as paradigms for a solemn and dignified conjugal relation. T his has, as P. Zanker already noted, much to do with the private and “introspective” nature of the funerary imagery, which primarily

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Fig. 16:  Beirut, National Museum. Mosaic with Calliope and the Seven Wise Men. From Suweydie near Baalbek. T hird century AD. (Photo: Livius.org).

Fig. 17:  Autun (Augustodonum), Musée Rolin. Mosaic with Metrodorus. Late second or early third century AD. (Photo: after Lancha 1997, Pl. 52, 66).

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addressed the next-of-kin and which, consequently, had a somewhat more intimate character.92 What mosaics and sarcophagi have in common, however, is the fact that they give comparatively greater room to the male representatives of culture, while placing less emphasis on the Muses. Although mosaics and sarcophagi depicting Muses alone continue to be produced, the latter can be left out altogether: the male representatives of culture become less dependent on the Muses for their visualization. A common arrangement, found in particular on the mosaics, combined philosophers and sages, lawgivers and statesmen, poets and playwrights into groups of ‘Seven Wise Men’ (figs. 15–16). T he obvious purpose here was the creation of a male equivalent to the nine Muses. T hese groups of ‘Seven Wise Men’, though, are much less clearly defined than the Muses; their composition can vary, and their identifications are uncertain and disputed when inscriptions are missing. K. Gaiser in particular has demonstrated how intellectuals of differing specialization could be arranged into groups of seven, without necessarily referring to the ‘Seven Wise Men’. Most notably, he interprets the famous philosopher mosaic from Torre Annunziata (in Naples), which shows seven sages gathered around a sphaira, not as an assembly of the ‘Seven Wise Men’, but as an interpretation of Plato’s academy.93 Others prefer a more cautious interpretation as an idealized philosophical conversation.94 T he floor mosaics, which have been collected and discussed by G. López Monteagudo and M.P. San Nicolás Pedraz95, are enormously diverse and varied in typological terms. T his has to do with the fact that the mosaics were produced by a large number of workshops across the empire, from Spain and Gaul in the West to Syria in the East, and from Germania in the north to the provinces of North Africa in the south. T he so-called ‘Muse and philosopher sarcophagi’, by contrast, were almost exclusively produced by workshops in Rome and Ostia and then exported. T hey consequently display a much greater typological uniformity. On the mosaics, the figures of ‘intellectuals’ can be abbreviated in the form of busts (figs. 15–16), but also shown as full figures (fig. 17), alone or in the company of Muses or other sages. T heir portraits can adhere to the established sculptural types, but can also be generic and typefied; it is, in any case, the inscriptions, and not the portrait types, that allow for definitive identification.96 T he list of the sages and ‘men of letters’, who are sometimes depicted together with the Muses of their respective fields, is long. It includes poets such as Homer, 92 

Zanker 1995, 268. Gaiser 1980; cf. López Monteagudo/San Nicolás Pedraz 1996, 74–78. 94  López Monteagudo/San Nicolás Pedraz 1994, 250–256; 1994a, 76–78. 95  López Monteagudo/San Nicolás Pedraz 1994; 1996; also Lancha 1997, 315–354 and passim; T heophilidou 1984. Richter/Smith 1984, 196–198 and passim. On scenes of theatre and spectacle in Roman mosaics, see now Dunbabin 2016. 96  López Monteagudo/San Nicolás Pedraz 1996, 71–72; on the types used in portraiture, see Richter/Smith 1984; von den Hoff 1994; Zanker 1995; Danguillier 2001. 93 

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Menander, and the tragedian Sophocles, as well as Vergil, Ennius, Livy and Cicero on the Roman side; philosophers such as Anaximander (with pelecinum), Socrates, Plato, Aristotle, Diogenes, Epicurus and Metrodoros; the Seven Wise Men (Cleo­ bulos, Cheilon, Bias, Pittakos, Periander, T hales, Solon); but also more exceptional figures such as the politician Alcibiades, the mythical musicians (Hy)agnis and Olympos, the poet-astronomer Aratos, the historians Cadmus (allegedly the first Greek prose writer), T hucydides and Xenophon, as well as the lyric poets Alcman, Stesichoros, Anacreon and Sappho. In addition, we occasionally find personifications such as Sophia, Ingenium, and very seldom Paideia. In rare cases, the portrait of a poet can be combined with scenes from his plays; the (late 3rd or 4 th cent. CE) mosaics from the triclinium of the House of Menander in Mytilene (Lesbos) show portrait busts of Menander and the comic Muse T haleia together with seven scenes from Menander’s plays, as well as a single scene from Plato’s Phaedo depicting Socrates with Simmias and Kebes.97 Although a detailed discussion of individual mosaics can not be offered here, a few observations regarding the underlying concept of culture can nonetheless be made. T he general outlook is ‘classicistic’ in so far as it is entirely retrospective, and almost entirely Greek. Contemporary (i.e., 2 nd–4 th century AD) ‘intellectuals’, rhetoricians or philosophers are absent from domestic decoration, although they could receive honorific statues in public urban spaces, as well as literary portrayals.98 Either absent or of minor significance are (with the exceptions of Vergil and Ennius) some of the authors who otherwise played important roles in Roman education, such as Terence, or Cicero. On the Monnus mosaic from Trier, Cicero does appear, but is (just like Livius, Vergil, Menander and Hesiod) portrayed in a smaller quadrangular field and therefore subordinate to the larger groups of Greek sages and Muses in the eight octagons arranged around the central Homer.99 Since the purpose of the decoration was the evocation of an ideal of cultured otium, the Greek bias in the selection of ‘intellectuals’ and sages is unsurprising. T he late-antique mosaics usually refer to – and actively participate in the definition of – a type of purpose-free cultural knowledge that was essential in the self-reproduction of an elite class. While this knowledge was, for the most part, not in itself utilitarian (i.e. not directly related to the requirements of public office), it signalled the belonging to a social elite from which candidates for high administrative positions were routinely recruited.100 Within the predominantly Greek selection of men, no clear disciplinary or thematic focus is recognizable. It seems that the mosaics were intended to evoke a rather broad idea of artes liberales and the arts of the Muses, which is augmented in an important way by the discipline of philosophy, in particular the field of moral  97 

Dunbabin 1999, 217; in particular, Dunbabin 2016, 68–77. E. g., Hahn 1989; Clay 1996, 371–372 (statues of Peregrinus Proteus); Korenjak 2000, 150–157 (honorific statues for sophists).  99  Parlasca 1959, 41–43 pls. 42–47. 100  Vössing 2003a.  98 

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philosophy (in the sense of a practical or ‘normative’ ethics). Although representatives of some of the traditional disciplines of the enkyklios paideia are included, the selection of ‘intellectuals’ on the mosaics can not be mapped onto any specific conceptions of trivium (grammar, rhetoric, dialectics) and quadruvium (arithmetic, geometry, astronomy, music theory)101. T he inclusion of representatives of ‘science’, i.e. of astronomy and geometry (Anaximander, Aratos) may seem surprising only from a modern perspective. Not only were these fields an integral component of the enkyklios paideia; they were also subsumed under the study of literature and rhetorics, and commonly taught by a grammaticus rather than a more specialized teacher.102 T here can also be some regional variation and a local aspect in the selection of sages and men of letters that would deserve to be studied more closely. T he local significance of Alcman on a mosaic from Sparta, for example, will not have been lost on the patrons, although mosaics from other regions (such as an example in Jerash) also feature the lyric poet.103 T he depiction of Vergil on a famous mosaic from Hadrumetum in Tunis, by contrast, is in line with the general cultural orien­ tation of North Africa to Rome and the Latin West. In the Greek-speaking East, ‘Roman’ orators and philosophers appear to be missing, a fact that illustrates the familiar Greek indifference towards Roman culture. T he formal composition of the mosaics can express certain intellectual preferences or hierarchies. T he Monnus mosaic in Trier shows Homer between in­ genium and Calliope in the center.104 T he 3rd century AD philosopher mosaic in Cologne (fig. 15) places a portrait bust of Diogenes in the middle (the opening of the pithos forms a tondo that is inscribed into the hexagonal field of the mosaic), surrounded by Aristotle, Sophocles, Cleoboulos, Socrates, Plato, and Cheilon.105 T he mosaic from Suweydie (near Baalbeck; fig. 16) puts Calliope, the muse of epic poetry and leader of the Muses, in the center, with the medaillon prominently depicting Socrates right above her; the remaining medaillons are filled with portraits of the Seven Sages.106 While the prominence of Homer on the Monnus mosaic in Trier is unsurprising, the latter two examples give particular importance to the two most famous representatives of a practical philosophy – Socrates and Diogenes – who were claimed by various philosophical schools as their founding heroes.107 Of particular interest are the inscriptions that sometimes accompany the sages, and that provide a precious insight into the types of knowledge asssociated with them. On the mosaic from Suweydie (Baalbeck), these are simple 101 

Cf. Vössing 2003a, 462–463; Christes 2006; also Clarke 1971, 11–54. Vössing 2003a, 472–473, with reference to Diederich 1999. 103  T heophilidou 1984, 254–258; López Monteagudo/San Nicolás Pedraz 1996, 79. 104  Parlasca 1959, 41–43 pls. 42–47. 105  Parlasca 1959, 80–82 pls. 80–82 (noting that the inscriptions do not correspond to the proper portrait types); López Monteagudo/San Nicolás Pedraz 1994, 278; 1996, 78.87. 106  López Monteagudo/San Nicolás Pedraz 1994, 275–278; 1996, 77–78.85–87. 107  Döring 1979. 102 

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maxims which provide practical advice for life and could easily be memorized (fig. 16): “Nothing in excess” (Solon), “most people are bad” (Bias), “moderation is best” (Cleoboulos), “practice makes perfect” (Periander), and so on. Historians of philosophy may have good reasons to point out that the philosophy of the imperial period was about much more than a practical ars vitae. But it is precisely this aspect that dominated in the common imagination, and that defined popular conceptions of the intellectual. On a mosaic in Autun (Augustodunum), which also features Anacreon and Epicurus, the figure of Metrodorus (fig. 17) is accompanied by one of Epicurus’ ‘Vatican Sayings’ (14). Based on the evidence of this mosaic, the aphorism has in fact been re-attributed to Metrodorus:108 “We have been born once and cannot be born a second time: for all eternity we shall no longer exist. But you, although you are not in control of tomorrow, are postponing your happiness. Life is wasted by delaying, and each one of us dies without enjoying leisure.” Such ‘Allerweltsweisheiten’ did, as A. Blanchard notes, not require allegiance to any particular philosophical school, and were so common that they could even be employed in rhetorical declamations.109 An interesting parody of the ‘Seven Wise Men’ and their apophthegmata is found in the so-called ‘Terme dei Sette Sapienti’ in Ostia (fig. 18).110 T he paintings

Fig. 18:  Ostia, Terme dei Sette Sapienti. Detail with T hales of Miletus. Probably early second century AD. (Photo: John R. Clarke) 108 

Blanchard 1991; Blanchard 1993; Lopez Monteagudo/San Nicolas Pedraz 1994, 91–92. Blanchard 1991, 408. 110  Calza 1939; Neudecker 1994, 35–38; Clarke 2006, 170–180 (with earlier literature); also Clarke 2007a, 125–131; Clarke 2007b, 97–103 (illustrations). 109 

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in question are located in a high, barrel vaulted room decorated probably around 100 AD, or in the early 2nd century AD. T he original function of the room, which was later incorporated into a bathing establishment, is not clear; it is commonly believed to have been a ‘restaurant’ or ‘bar’ (caupona), although R. Neudecker considers it possible that the room served as a latrina before its remodeling.111 T he room is decorated in three registers. T he upper register shows wine amphorae on tripods; the painted inscription falernum leaves no doubt about their content. T he middle register depicts seven sages who were identified by the Greek inscriptions next to them; three of them (Solon, T hales, Cheilon) are preserved in their entirety, while remains of a fourth one (Bias) survive. Although there is no evidence the room ever served as a latrine, the lower register originally depicted about 20 seated men (most of whom are now lost) who were (according to the inscriptions) conversing with one another while relieving themselves: Amice fugit te proverbium/ bene caca et irrima medicos (“friend, don’t you know the saying? Shit well and to hell with the doctors [because you don’t need them]”), one of them says. T he Latin inscriptions above the sages (fig. 18) impart the latter’s “digestive wisdom” (Clarke): Ut bene cacaret ventrem palpavit Solon (“To shit well, Solon stroked his belly”); Durum cacantes monuit ut nitant T hales (“T hales advised those who shit hard to try hard”); Vissire tacite Chilon docuit subdolus (“Cunning Cheilon taught how to fart without making noise”). Another inscription ([u]taris xylosphongio) suggests that the thin, knotted sticks of the sages may not simply refer to the occasional attribute of the philosopher, but – true to the context – allude to the sponge sticks used by Roman toilet goers to clean themselves.112 T he scatological humour is perhaps best understood as a form of ‘comic relief’ from the constant exhortation to live one’s life according to philosophical principles, and their persistent application to every aspect of existence (or ‘care of the self’), including dietetics and digestion. It further parodies the fact that food and digestion were prominent topics at learned dinner conversations – much in the same way in which Trimalchio (Petronius, Satyricon 47) engages in a misdirected, comical diatribe about the dangers of constipation, and of ‘holding it in’ (causing his guests great difficulty in suppressing their laughter).113 It may also be relevant in this context that the scholastikos was a stock figure of ancient jokes.114 T here is, however, no agreement among scholars with regard to the interpretation of these frescoes, and some reject the idea that they were merely humourous altogether.115 111 

Neudecker 1994, 36–37. Neudecker 1994, 36; cf. Clarke 2006, 171. 113  Clarke 2006, 177. 114  Beard 2014, 190–195. Beard makes no mention of the frescoes from Ostia; they are, however, discussed in the context of ancient humour by Clarke 2007a, 125–131. 115  Neudecker 1994, 35–38, with the sensible discussion in Clarke 2006, 174–180. Neudecker concedes a humorous element but understands it primarily as a means of creating a “distance” that allows for an articulation of digestive issues associated with the ‘care of the self’ (38–39): “Die witzige Note in den Motti und Anweisungen ist nicht zu übersehen, bleibt aber wie die Qualität der Malerei und Beschriftung auf gehobenem Niveau. Das T hema wird 112 

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T he aspect of practical advice, of ethical orientation and guidance, also plays an important role on the 2nd and (in particular) 3rd century sarcophagi with Muses and ‘sages’, although it is by no means the only one.116 It is hardly accidental that the only ‘intellectuals’ that can be identified with certainty on the second century sarcophagi are Socrates and Diogenes, who played a crucial role as models and ‘founding fathers’ of the Stoic and Cynic popular philosophy of the imperial period (fig. 19 a–b).117 On the 3rd century sarcophagi, we then find ‘anonymous’ philosophers with Cynic attributes, such as knapsack, knotted stick or club (fig. 20). T hey can appear in groups of seven118, but also alone, underscoring the seriousness of the patron’s claim to moral conduct. When such philosophers (either with or without Cynic stylization) are directly juxtaposed with the formal image of a couple in dextrarum iunctio, they point towards a new and more austere conjugal morality that has long been recognized as a characteristic development of the imperial period (fig. 20).119 T he philosophers can also act as direct advisors of the patrons, standing either between the partners or accompanying the seated male (fig. 21; 22). In single cases, they can feature in a magistrate’s entourage, illustrating the latter’s erudition, hu­ manitas and moral conduct (fig. 23). While such iconographies are, above all, symbolic representations that leave open the question whether the philosophers belong to the past or present120, they certainly resonated with the contemporary practice of rich Romans surrounding themselves with ‘house philosophers’ of Greek origin. According to Lucian (De mercede conductis 25–26), having a grammaticus, rhetor or philosopher as advisor and living status symbol in one’s entourage reflected on one’s social standing, taste and erudition.121 But while the satirist Lucian naturally emphasizes the vanity of such intellectual pretensions, for the sarcophagus patrons, the aspirations to moral comportment must have been genuine. T his is not to say that they would have been ready to convert fully to a philosophical nicht vulgarisiert, sondern beweist die Aktualität letztlich ernster Probleme. Dabei schafft die Ironie eine Distanz, die woanders durch die Ausstattung der Räume zustandekommt.” 116  On the following, see Marrou 1938 (1964); Wegner 1966; Zanker 1995, 267–332; Ewald 1999a; 1999b; 2003; 2005; 2012. Recent engagements with select, individual aspects of the material include Danguillier 2001; Hansen 2008; Borg 2004; 2009; 2013, 195–197; Studer-Karlen 2012, 83–106. For historical works that make brief mention of the sarcophagi, see Brown 2008 (sarcophagi from Asia Minor); Hahn 2011 and, in particular, Pietzner 2013, 61–70. 117  Döring 1979; on the sarcophagi, see Ewald 1999a, 84–86.90.132. Now also Lang 2014. 118  Since their Cynic attire differs from that found in secure representations of the Seven Wise Men, it is not clear if they refer to the ‘Seven Sages’, or if they were simply combined into groups of seven in order to create a counterpart to the nine Muses: Ewald 1999a, 95–109. 119  Reinsberg 2006, 180–185; Ewald 2012, 46 with n. 21 (bibliography); 54–64. Seminal historical work on the shifting conjugal morality (as evident, for example, in the precepts of the Stoic Musonius Rufus) includes Veyne 1978; Brown 1988, 13–17 and passim; Foucault 1986, 72–80.147–185; Foucault 2017 (the most detailed discussion, based on a 1980–81 lecture course on Subjectivity and Truth). 120  Hölscher 1982, 214–215; Ewald 1999a, 109. 121  Ewald 1999a, 91–95.

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Fig. 19a:  Paris, Louvre. Small side of a Roman sarcophagus with Muses depicting Socrates. Second century AD. (Photo: Art Resource/New York).

existence, as is plainly evident from the fact that the sarcophagus patrons, marked out by their portraits, are never equipped with the attributes of the cynic philosophers. T hey always maintain (as noted earlier) a fine distance towards the professional arbiters of ethics (fig. 20). But overall, the presence of sages and ‘philosophic

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Fig. 19b:  Malibu, T he J. Paul Getty Museum. Small side of a Roman sarcophagus with Muses depicting Diogenes. Second century AD. (Photo: Courtesy of the J. Paul Getty Museum).

advisers’ on the sarcophagi, in combination with the intellectual self-stylization of the patrons, expresses a real demand for spiritual counsel and guidance. It can perhaps even be taken as evidence for something like a longing for a profoundly benign and moral father figure. Figures such as Lucian’s Demonax (his positive counterpart to Peregrinus Proteus and Alexander of Abonoteichus), Philostratos’ Sostratos and Apollonius of Tyana, Epictetus’ ideal Cynic, and even the noble and gentle shepherd Meliboeus in Nemesian’s first ecloge, answered to precisely those needs. All of these individuals were revered as quasi-divine, universally beloved benefactors who resolved conflicts and brought blessings and good fortune.122 It would be mistaken, however, to postulate that this shift in the focus of intellectual activities was, in any way, radical or total. What we are confronted with is rather more of a partial re-orientation within a broader cultural ideal that continues to include the traditional aspects of literary erudition and artes liberales, with 122  See, for example, Himmelmann 1972 (on Meliboeus); Hahn 1989, 177.196-198; Billerbeck 1996; Ewald 1999a, 68.98-108.132-133; Hahn 2003; Pietzner 2013, 61-70.155-168.174-183 (with further references).

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Fig. 20:  Copenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 1300. Roman columnar sarcophagus with couple in dextrarum iunctio in the center. On the right, philosopher with knapsack (Cynic). T he left intercolumnium is missing. Mid-third century AD. (Photo: Ny-Carlsberg Glyptotek, Copenhagen).

Fig. 21:  Rome, Vatican. So-called Plotinus sarcophagus. Frontally seated male (portrait), surrounded by female family members (portraits) and philosophers. ca. AD 280. (Photo: after Ewald 1999, pl. 42, 2).

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Fig. 22:  Rome, Musei Vaticani. Middle panel of a strigillated sarcophagus with a group of seated ‘man of letters’ and standing Muse, with a philosopher between them. T he heads of Muse and seated figure, as well as the lower part of the relief with the feet are modern additions. Ca. mid third century AD. (Photo: after Ewald 1999, pl. 35,1).

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Fig. 23:  Rome, Museo Torlonia. Roman wedding sarcophagus (heavily restored). Detail from rounded left corner, depicting philosopher in pallium in a magistrate’s entourage. Ca. mid third century AD. (Photo: Deutsches Archäologisches Institut, Rom Inst. Neg. 36.79).

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all of its implications of status and an aristocratic lifestyle. T he women, when they are not striking the pose of Polyhymnia and listening attentively to their husband’s declamation (fig. 22), usually play stringed instruments, with the garment slipp­ ing seductively from their shoulder (fig. 2).123 T he can also be shown standing, wrapped in their mantle in the pose of Calliope, in a scheme that was used similarly for males and females.124 References to the lighter forms of entertainment associated with theatre and poetry continue to be found on the sarcophagi, in the form of theatre masks or the Muses T haleia and Melpomene. T he most common scheme used for the male patrons is the motif of ‘interrupted reading’ (fig. 2; 22)125: T he seated male is holding an opened, half-read volumen in his left hand while performing an oratorical gesture with his right hand. T his is most likely to be understood as a discussion of (or comment on) the text that has just been read; one is reminded of Sidonius’ (Epistula 4,12) account of him and his son jointly reading pieces by the playwrights Terence and Menander, and then criticizing (and, in this particular case, joking about) selected passages.126 T he scheme, then, praises a number of skills (cf. Quintilian, Institutio oratoria 1,4,2; 1,9,2), such as the capacity to read aloud (made difficult by the scriptio continua), as well as the recte loquendi scientia and the ability to explain and interpret words and texts (poetarum enarra­ tio). More rarely, both men and women can be shown reading in an open bookroll that is held with both hands (fig. 21). Since oratorical gestures are missing in such cases, it is possible that this scheme occasionally refers to the practice of silent reading. Unlike on the already mentioned paintings and mosaics, the content of the books on the sarcophagi is never indicated; they were intellectual symbols as such that may have referred to any work of philosophy, history or poetry.127 T he intellectual activity depicted in these reliefs – reading and commenting on the read text – is primarily receptive. Although a few ‘anonymous’ writing scenes are found on the sarcophagi (fig. 24), the patrons themselves are almost never shown holding writing instruments. T he only exception is a fragment of the left part of a sarcophagus lid formerly in Rome, Studio Mogane (?) (fig. 25). It shows a standing woman with portrait, writing with a stilus in a diptych or tablet (the knot of a parapetasma is visible on the right). What she is notating are most likely the words of the (now lost, but either standing or frontally seated) partner next to her, just like the Muse Klio writes down the words of the sermonizing puer senex on a number of Roman children’s sarcophagi (fig. 9 a–b).128 123 

See above, p. 111–114 with n. 8–9. Ewald 1999a, 42–47.48–53.121–134; Ewald 2012, 57. Rudolf 1981; Ewald 1999a, 36.129. 125  Birt 1907, 181–196; Cavallo 1989; Cavallo 1991, 239–241; Ewald 1999a, 123–124. 126  “… legebamus pariter, laudabamus iocabamurque…”: Gerth 2013, 160–162. 127  See above, n. 85–86. 128  See p. 126–129 with n. 47; Ewald 1999a, 38–42 nos. D5 (Vatican); D7 (Louvre) pls. 44– 45. See also the closely related examples that show scribes notating the words of the standing (male) sarcophagus patrons, thereby characterizing them as amateur poets: Ewald 1999a, 130.206–207 no. G 23 fig. 7 (now lost, after drawing in the Museum Chartaceum of Cassiano 124 

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Fig. 24:  Rome, Sarcophagus lid with men of letters, now lost. Formerly Rome, Albergo Costanzi (?). Late second or third century AD. (Photo: after Birt 1907, fig. 139).

Fig. 25:  Fragment of Roman sarcophagus lid with female figure writing on a tablet. Formerly Rome, Studio Mogane (?). T hird century AD. (Photo: Pontificia Commissione D’Archaeologia Sacra RR30).

What is new about the sarcophagi is the consequence with which they use the figures of sages and Muses for the representation of the sarcophagus patrons, who are often marked out by their portrait heads. T he large number of such sarco­ dal Pozzo); 138 no. A9=G6 fig. 1 pl. 91 (fragmented example in Madinat al-Zahra). On scenes of writing in general, see Birt 1907, 197–209.

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phagi, as well as the occasional inscriptions, demonstrate clearly (as Marrou already understood) that these sarcophagi depicted their patrons in ideal social roles, and only occasionally had a biographical connection. Among the deceased are a career equestrian officer (centurio legionarius deputatus) named L. Pullius Peregrinus, as well as the colorful M. Sempronius Nikokrates, a former musician and club member (συνοδείτης) turned human trafficker (or “trader of beautiful women”, as he himself boasts: ἔvπορος εὔμορφων γενόμην, φίλοι, μετέπειτα γυναικῶν).129 T he full meaning of the new intellectual fashion among a diverse clientele can only be grasped if we situate the ‘Muse and philosopher sarcophagi’ within the broader development of Roman sarcophagus iconographies during the late second and early third centuries.130 Only a few years earlier, the same patrons would have portrayed themselves not as Muses and sages, but in the guise of the gods, heroes and heroines of Greek myths: Selene and Endymion, Admetus and Alcestics, Mars and Venus, Venus and Adonis. With the gradual emergence of the philosophic ideal on the sarcophagi since the middle and (in particular) late Severan periods, the often highly emotional mythological paradigms for love and death decline sharply in numbers, or cease to exist altogether.131 T his is because emotional restraint and self-control, as well as the mastery of death, were central concerns of the Stoic popular philosophy of the imperial period. With the wider diffusion of such ideals, the mythological models that had dramatized death and loss, pain and suffering, longing and desire, fell out of favour as templates for the patrons’ identification and self-presentation. T he more frivolous aspects of the pagan myths and their visualization also become problematic: On the sarcophagi, we can observe how the emergence of the new ‘intellectual’ paradigm coincides with a beginning turn away from eroticism and the body as the main focus of attention. One could, in using one of Foucault’s formulations, almost speak of a “de-hedonization” of the sarcophagus iconography, and of the emergence of a new matrix of sensation and experience.132 T he adaptation of intellectual iconographies in early Christian art would merit a renewed investigation, even more so since Early Christianity’s complicated relationship with pagan education and intellectual culture has been the subject of intensive historical research in recent years.133 It has long been noticed that the representation of Christ and the Apostles draws on the iconography of pagan intel129  Ewald 1999a, 110–120.152 no. C 1 pls. 24–25 (Pullius Peregrinus); 216 no. I 7 pl. 101, 2 (Sempronius Nikokrates). 130  On the following, see Ewald 2003; 2005 and, in particular, Ewald 2012, 54–64; Also P. Zanker in Zanker/Ewald 2012, 245–266; Reinsberg 2006. 131  For socio-historical explanations of this change, which is known as ‘de-mythologization’ (‘Entmythologisierung’) among specialists, see Wrede 2001 (with Ewald 2003; 2012; Reinsberg 2006). 132  Foucault 1986, 182; cf. the discussion in Ewald 2012. 133  See the comprehensive discussion in Gemeinhardt 2007; also Pietzner 2013 (both with extensive bibliographies). For the visual material see Zanker 1995, 289–331; Deckers 1996; Engemann 1996, 72–81.111–116; Ewald 1999a, 77 (further references); Brandenburg 2004.

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lectuals, and that some of the paraphernalia and attributes of culture and learning (pallium, bookroll, diptychs, but not the knapsack, club or stick of the Cynic) are employed to express the claim to being the vera philosophia (Tertullian, De pallio). T he Muses, as representatives of a genuinely pagan knowledge, disappear almost completetely; on the earliest Christian sarcophagi of the late 3rd century, they are replaced by orantes, who were not Christian figures originally, but could be given a Christian re-interpretation. T he most important change, however, lies in the fact that the ‘authoritative’ scheme of the frontally seated teacher or sage (figs. 9 a–b; 21) is now reserved for Christ134; on the Junius Bassus sarcophagus (fig. 9c), his role as pantocrator is further underscored by the personification of Caelus (with billowing mantle) at his feet. T his shift in the use of the scheme of the frontally seated male is not a result of the Constantinian turn, as was long thought, but occurs earlier, at the beginning of the fourth century AD, only about three decades after the so-called Plotinus sarcophagus (fig. 21).135 T he implications are clear: on the pagan ‘philosopher sarcophagi’, the male sarcophagus patrons could be portrayed as ‘continuous learners’ and as in need of philosophic advice and counsel (fig. 20; 22), but they could also appear themselves in the more authoritative position of the frontally seated master intellectual (fig. 21). In the fourth century, this role is no longer available; when the sarcophagus patrons are represented in direct proximity to the standing or seated Christ, as on some of the so-called city gate sarcophagi with traditio legis, they are depicted in a smaller scale and in a subordinate position as Christ’s worshippers.136

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Education as Acquisition of Knowledge in the Ancient Greek World Some Remarks on its Agents and Features

Irene Salvo* 1. Introduction (with a methodological note) Considering the tradition and legacy of ancient Greek culture, addressing the topic of ‘Bildung’ in the ancient Greek world may appear like a Sisyphean task: it would result in an endless search for data across a fragmented geographical space and over constantly changing times, looking also for its reception in later periods as well as for various possible historical interpretations. T he scope of this chapter is less ambitious and more limited. Firstly, given the complex semantics of the German term ‘Bildung’, it is essential to specify in what sense I am using it in what follows. Here it will serve as a starting point to reflect on processes leading to the acquisition of knowledge and elements of culture, in particular those processes that took place through the interaction between teachers and pupils. Consequently, this chapter intends to provide the readers of this interdisciplinary v­ olume with an introduction to the specifics of Greek pedagogical strategies, showing some of their social dynamics. A methodological point immediately emerges and needs to be addressed, albeit briefly. Can we discuss the topic of Greek education assuming that uniformity and homogeneity characterized it? T his question has a long historiographical history, and it presumes the question about the unity of ancient Greek culture more in general, with its tensions between epichoric traditions and panhellenism.1 In one of the most influential studies on ancient education, Henri-Irénée Marrou stressed *  T his chapter derives from my work on religious education and gender in Classical Athens at the Collaborative Research Centre 1136 “Education and Religion”, funded by the Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), subproject C 01 “Aufgeklärte Männer – abergläubische Frauen? Religion, Bildung und Geschlechterstereotypen im klassischen Athen,” under the direction of Tanja Scheer. I would like to warmly thank the audience of the conference in Göttingen, in particular Peter Scholz for his valuable feedback. 1  Cf. the discussion about the unity of Greek law, see Finley 1975, Gagarin 2005. A similar debate concerns Greek religion, cf. Polinskaya 2013, 489–494. On what unites the Greeks and the concept of ‘hellenicity’, see Hall 2002.

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that “the ancient Mediterranean world knew only one classical education, only one coherent and clearly defined educational system.”2 T his consistency derives from his equivalence between education and civilization: Education is a collective technique which a society employs to instruct its youth in the values and accomplishment of the civilization within which it exists. […] A civilization must achieve its true form before it can create the education in which it is reflected.3

Marrou presents an evolutionistic view of antiquity inscribed in Jaeger’s idea of the classical world as a spiritual model for western societies, a position that has been positively as well as critically received.4 T his picture prompts a further question: is Greek education a mirror of Greek civilization? Our sources do not always provide sufficient material to find an answer, and they are most revealing for the practices and customs in Athens and Sparta, notoriously put in opposition, the first being the exaltation of artistic expression and philosophical acumen, while the second city is renowned for its strict and severe training. On the imbalance towards two cities and the existence of other undocumented (or less well documented) communities, Mark Griffith has noted that, notwithstanding the broad variety of geo­ graphical locations, there was among Greek cities “a fair degree of uniformity in the types of institutions that they contained”, and therefore it is reasonable to consider “an Archaic Greek ‘educational system,’ or set of systems, even as we take care to specify when we can their divergent, even competing, characters.” 5 It is particularly important to stress that the glue of the various poleis has been identified in mythology and the narration of the interactions between humans and gods in poetic form – in one word, Homer. Walter Burkert underlined how the spiritual unity of the Greeks was founded and upheld by poetry. […] To be a Greek was to be educated, and the foundation of all education was Homer.6

T he idea of education as an ethnically defining characteristic may be counterbalanced by two observations. Firstly, if the education imparted by Homer was a unifying factor across space and time in Greek culture, it could also, however, blur the boundaries between Greeks and non-Greeks. Strabo emphasised how the Trojan myths, the Iliad, and the Odyssey could resonate with non-Greek communities, and that βαρβαρόφωνοι people like the Carians were willing to learn Greek language and follow Greek lifestyle.7 Literary knowledge, memory, and παιδεία seem 2 

Marrou 1956, xiii.

3 Ibid.

4  On Marrou and Jaeger, see Demont 2004, 110 f. and the contribution of Christoph Auffarth to the present volume (pp. 39–65). On Marrou’s legacy see Pailler/Payen 2004. 5  Griffith 2001, 25. 6  Burkert 1985, 119. Cf. Scholz 2000, 115–118, with a reference to Diodorus 1,2,5, on how, from the second century BC, philosophical and rhetorical education united the ‘true’ Greeks, providing to a learned citizen (πεπαιδευμένος) a distinctive cultural identity. On a homogeneous Greek education after Alexander, see König 2009, 399, with previous bibliography. 7 Strabo, Geographica 14,2,28.

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to have taken a central role in connecting Greeks and ‘barbarians’.8 Instead of categorising the human race on the base of ethnicity, the geographer preferred to distinguish between those who were governed by justice, erudite knowledge, and reason (τὸ νόμιμον καὶ τὸ παιδείας καὶ λόγων οἰκεῖον), and those who followed their contraries.9 Education could have been, then, a universal and transcultural element that went beyond the margins of Greek ethnic identity. Secondly, keeping in mind the unifying and panhellenic traits, it is equally essential to put into the foreground the variety of social and cultural expressions of the Greek-speaking and independent cities. Using in our analysis the expression ‘Greek educational system’ might imply the risk of flattening different realities into one category,10 since not only peculiarities emerge across the space of Mediterranean, but also changes occur along the centuries. New political circumstances influenced the conceptualization of education as well. In this chapter, it will be impossible to provide a comprehensive overview of ancient Greek educational practices.11 T herefore, I will focus on highlighting some of the main issues, lines of inquiry, and characteristics of Greek education, concerning, in particular, its agents and features in the Classical and early Hellenistic period. I will first offer an overview of the vocabulary of education and know­ ledge, while in the second part I will present some of the occasions and modalities of teaching and learning, stressing some aspects such as the mobility of ideas and social inequalities.

2. Insights from the Greek lexicon on concepts of education and its agents As briefly mentioned above, ‘Bildung’ has a complex semantic field, and it is one among the most difficult German words to translate into other languages. Since every translation is an interpretation,12 an expedient to elude the semantic discrepancies between modern languages is to turn to the ancient Greek vocabulary of education, erudite culture, and knowledge. T he key term of this lexical analysis  8 

Dandrow 2017, 115. Geographica 1,4,9. 10  On the problems of using modern terminology for describing ancient education, cf. also König 2009, 392: “ancient education is both a close ancestor and at the same time a very unfamiliar counterpart to our own – although that has not stopped modern scholarship from imposing the language of modern educational institutions on their ancient equivalents, in ways which sometimes mean that their distance from us is lost to view.” On the discrepancies between ancient and modern teaching and learning practices, see Too 2000, 94: “Antiquity gives us the means to dislodge pedagogy from narrow accountabilities by recognizing that its temporal context is not one easily confined to the present space of the pedagogical scenario.” 11  For more detailed studies, see recent volumes on education in antiquity, with important essays on the Greek world: Grubbs and Parkin 2013; Bloomer 2015a. 12  Cf. Eco 2014.  9 Strabo,

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is παιδεία, whose meaning and influence is well-known beyond the circle of classicists and ancient historians. It has been crucial particularly for philosophers and historians of pedagogy,13 and it has been juxtaposed to ‘Bildung’.14 Notwithstanding its notoriety, it is worth recalling that its semantic sphere comprehends on one side anything that can be learned – particularly knowledge, art, and science, and on the other side the rearing of a child, its training, learning activities, and education. Additionally, it can mean ‘youth, childhood’. Plato defines παιδεία as “the process of attracting or guiding children towards correct reason, as defined by law, and ratified – as genuinely correct by the experience of those who are most advanced in age and moral qualities.”15 Education is a process of guiding the children, led by the most senior members of the society together with those that are most capable and fitting to the task (ἐπιεικής), towards what is not crooked, right, and true. From the early Imperial period, ἀγωγή is associated with the Spartan way of educating children,16 which involved a tougher training. Another term that can denote education, and more precisely ‘nurture, upbringing’, is τροφή, used especially in poetry.17 Numerous terms express the various semantic nuances included in knowledge and being knowledgeable. T he Greek lexicon denotes with τέχνη a practical and skilled art, while σοφία is a more speculative wisdom and intelligence.18 T he practical aspects of τέχνη may not suffice in the case of poetry, for which specialized skills need to be complemented with divine inspiration. As emphasised in Plato, only poetry produced in an altered state of consciousness can gain educational force and transgenerational persistence: A third kind of possession and madness comes from the Muses. T his takes hold upon a gentle and pure soul, arouses it and inspires it to songs and other poetry, and thus by adorning countless deeds of the ancients educates later generations. But he who without the divine madness comes to the doors of the Muses, confident that he will be a good poet by art, meets with no success, and the poetry of the sane man vanishes into nothingness before that of the inspired madmen.19 13 

See Tanasenau-Döbler/Döbler 2012, 3, n. 11, with further bibliographical references. 215 f., reinterpreting the Platonic myth of the cave, identifies παιδεία with Bildung and ἀπαιδευσία with Bildungslosigkeit. 15 Plato, Leges 2,659d: παιδεία μέν ἐσθ᾽ ἡ παίδων ὁλκή τε καὶ ἀγωγὴ πρὸς τὸν ὑπὸ τοῦ νόμου λόγον ὀρθὸν εἰρημένον, καὶ τοῖς ἐπιεικεστάτοις καὶ πρεσβυτάτοις δι᾽ ἐμπειρίαν συνδεδογμένον ὡς ὄντως ὀρθός ἐστιν. Trans. Schofield/Griffith 2016, 77. 16  See Patterson 2013, 375. 17  See, e.g., Euripides, Hecuba 599, on the resilience of a noble man suffering misfortunes: ἆρ’ οἱ τεκόντες διαφέρουσιν ἢ τροφαί; “Is it bloodline or education that makes the difference?” 18  Cf. the intellectual function needed to approach true knowledge in Aristoteles, Ethica Nicomachea 1139b: ἔστω δὴ οἷς ἀληθεύει ἡ ψυχὴ τῷ καταφάναι ἢ ἀποφάναι, πέντε τὸν ἀριθμόν: ταῦτα δ᾽ ἐστὶ τέχνη ἐπιστήμη φρόνησις σοφία νοῦς. “Let it be assumed that there are five qualities through which the mind achieves truth in affirmation or denial, namely Art or technical skill, Scientific Knowledge, Prudence, Wisdom, and Intelligence.” 19 Plato, Phaedrus 245a: τρίτη δὲ ἀπὸ Μουσῶν κατοκωχή τε καὶ μανία, λαβοῦσα ἁπαλὴν 14 Heidegger 32004,

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Between the empirical and abstract realm of thought stands the term ἐπιστήμη, which means ‘being acquainted with something, understanding it’, and therefore denotes ‘knowledge, science’, opposed to δόξα, ‘subjective opinion’.20 On a superhuman level, the wisdom of the gods was made available to mortals through divination, a system of knowledge organised in oracles, prophets, and seers.21 Already in the Homeric poems, divination is considered a kind of absolute knowledge, as we read in the first book of the Iliad: Among them arose Calchas son of T hestor, far the best of bird-diviners, who knew the things that were, and that were to be, and that had been before, and who had guided the ships of the Achaeans to Ilios by his own prophetic powers which Phoebus Apollo had bestowed upon him.22

A deeper understanding of Greek conceptualization of knowledge can be achieved exploring the vocabulary of ignorance. Formed prefixing the privative alpha, it was mostly defined as a lack of education, learning, and knowledge, with terms such as ἀπαιδευσία (lack of education), ἀμαθία (ignorance, lack of culture), and ἀγνωσία (ignorance), terms that can also mean ‘stupidity’. T his lexical connection between knowledge, ignorance, and intelligence may find reinforcement in the fact that one of the verbs of learning, μανθάνω (to learn),23 has a semantic proximity with the verb ‘to understand’, as for example in the compound καταμανθάνω, which means ‘to observe well, understand, acquire knowledge of, examine closely.’24 In Aristophanes’ Frogs, ignorance is represented as the equivalent of stupidity, of not being bestowed with intelligence, as emerges from what Pluto says to Aeschylus at the end of the comedy: “Well then, farewell, Aeschylus, go and save our city with noble sentiments, and educate the dunces. T here’s plenty of them.”25 T he Athenians who need to be educated and instructed by the revived poet are those who do not understand, who are silly. Poets were crucial figures in the acquisition of knowledge, in particular concerning morality and the gods. T heir wisdom was transmitted to the young generation by the γραμματιστής, the teacher of letters. Two other key professionals καὶ ἄβατον ψυχήν, ἐγείρουσα καὶ ἐκβακχεύουσα κατά τε ᾠδὰς καὶ κατὰ τὴν ἄλλην ποίησιν, μυρία τῶν παλαιῶν ἔργα κοσμοῦσα τοὺς ἐπιγιγνομένους παιδεύει: ὃς δ᾽ ἂν ἄνευ μανίας Μουσῶν ἐπὶ ποιητικὰς θύρας ἀφίκηται, πεισθεὶς ὡς ἄρα ἐκ τέχνης ἱκανὸς ποιητὴς ἐσόμενος, ἀτελὴς αὐτός τε καὶ ἡ ποίησις ὑπὸ τῆς τῶν μαινομένων ἡ τοῦ σωφρονοῦντος ἠφανίσθη. See Schaerer 1930, 140–141; Hall 1963. 20 Plato, Respublica 477b. 21  On Greek divination and knowledge, see Manetti 1993, 14–18; Flower 2008. 22 Homer, Ilias 1,68–72: τοῖσι δ᾽ ἀνέστη/Κάλχας Θεστορίδης οἰωνοπόλων ὄχ᾽ ἄριστος,/ ὃς ᾔδη τά τ᾽ ἐόντα τά τ᾽ ἐσσόμενα πρό τ᾽ ἐόντα,/καὶ νήεσσ᾽ ἡγήσατ᾽ Ἀχαιῶν Ἴλιον εἴσω/ἣν διὰ μαντοσύνην, τήν οἱ πόρε Φοῖβος Ἀπόλλων. 23  The noun μάθημα, ‘what can be learned, lesson’ has the same etymological root, and from it mathematics derives (cf. Plato, Leges 817e: the three mathematical sciences are arithmetic, geometry, and astronomy). 24  Cf. Chantraine 2009 s.v. μανθάνω. 25  Aristophanes, Ranae 1500–1504: ἄγε δὴ χαίρων Αἰσχύλε χώρει,/καὶ σῷζε πόλιν τὴν ἡμετέραν/γνώμαις ἀγαθαῖς καὶ παίδευσον/τοὺς ἀνοήτους: πολλοὶ δ᾽ εἰσίν. Trans. Dillon.

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were entrusted with the task of educating the youth:26 the παιδοτρίβης, the physical trainer, and the κιθαριστής, the music teacher.27 Teachers were differentiated on the basis of their expertise, and parents decided which lessons their children had to take. Well-off pupils were accompanied from home to their lessons and back by a παιδαγωγός, a slave of the house. Teachers should have the luck not to have vengeful and physically strong students, so to avoid the fate of Linus, killed by Heracles, because the student was not good in playing the lyre and was not making progress. Diodorus Siculus narrates that Heracles was sluggish, lazy in understanding the lesson (δέξασθαι τὴν μάθησιν), and, when the teacher beat him with rods – corporal punishment was usual in antiquity,28 he overreacted in anger and killed Linus with the same lyre that was supposed to be a learning tool.29 An equally caricatural teacher-student scene is offered by a graffito from Cyrene in modern Libya. T he graffito reads: “Question: who was the father of Priam’s children?”30 It has been suggested that this might be a parody of teacher’s questions in a scholastic setting, perhaps by the hand of a playful pupil.31 Although the graffito, engraved on a stone wall with a hand resembling the writing on papyri,32 is probably dated to the Imperial period, it testifies to assessment methods on literary subjects, like Homer and mythology more in general, that could have been used in earlier periods as well. At the level of state organization, specific magistrates oversaw the educational systems. Without intending to give a complete list of the different local designations, it is worth mentioning a few examples. At Sparta, the παιδονόμος (super­ visor of education) was responsible for the students’ curriculum as well as for hiring and coordinating the teachers.33 At Athens, ten σωφρονισταί (literally: ‘those who control wisdom and chastity’) superintended the youth in the gymnasia.34 In 26 

On professionalization, see Burke 2016, 29–31. Brunschwig/Lloyd 2003, 161: in classical Athens, only elementary musical skills were taught, while in Imperial Ionia children were instructed in music theory as well. 28  On corporal punishment, see Bloomer 2015b. 29  Diodorus 3,67,2. 30  SEC 35,192: ζήτημα· τῶν Πριάμου παίδων τίς πατήρ; 31  Kaster 1984. 32  BE 1964, 573. 33  See Xenophon, Respublica Lacedaemoniorum 2,2: ὁ δὲ Λυκοῦργος, ἀντὶ μὲν τοῦ ἰδίᾳ ἕκαστον παιδαγωγοὺς δούλους ἐφιστάναι, ἄνδρα ἐπέστησε κρατεῖν αὐτῶν ἐξ ὧνπερ αἱ μέγισται ἀρχαὶ καθίστανται, ὃς δὴ καὶ παιδονόμος καλεῖται, τοῦτον δὲ κύριον ἐποίησε καὶ ἁθροίζειν τοὺς παῖδας καὶ ἐπισκοποῦντα, εἴ τις ῥᾳδιουργοίη, ἰσχυρῶς κολάζειν. ἔδωκε δ᾽ αὐτῷ καὶ τῶν ἡβώντων μαστιγοφόρους, ὅπως τιμωροῖεν ὁπότε δέοι, ὥστε πολλὴν μὲν αἰδῶ, πολλὴν δὲ πειθὼ ἐκεῖ συμπαρεῖναι. “Lycurgus, on the contrary, instead of leaving each father to appoint a slave to act as tutor, gave the duty of controlling the boys to a member of the class from which the highest offices are filled, in fact to the ‘Warden’ as he is called. He gave this person authority to gather the boys together, to take charge of them and to punish them severely in case of misconduct. He also assigned to him a staff of youths provided with whips to chastise them when necessary; and the result is that modesty and obedience are inseparable companions at Sparta.” See also Ducat 2006, 159; Harris 1989, 246. 34  IG II² 1156 = Rhodes/Osborne 2007, 89. 27  Cf.

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the Hellenistic period, the office of the γυμνασίαρχος (gymnasiarch) was widespread across Greek cities, and the supervision of the gymnasium was entrusted to a high-rank person.35 As is well-known, the gymnasium was a venue with athletic facilities that stood at the core of Greek educational paths for boys and young men.36 As every Greek city had temples and sanctuaries, gymnasia similarly characterised the Greek urban landscape, although archaeological remains dated before the fourth century BC are rare. T he gymnasium was the centre of the ephe­ beia, a civic institution devoted to the military training of the youth, attested in Athens since from the end of the fourth century BC and widespread across the Greek world, especially during the Hellenistic and Imperial period. Maintaining a schooling function, its characteristics could vary, and it gradually changed scope over time, with intellectual, literary, and moral education gaining more importance.37 A magistrate in charge of the epheboi was the κοσμητής, as in Athens. Among the teachers for the epheboi, there were highly specialised figures such as the ὁπλομάχος, instructor on the use of arms, or the καταπαλταφέτης, who taught how to use the catapult, and the ἀκοντιστής, instructor of the javelin.38 From the Hellenistic period onwards, a generous donation by a wealthy citizen could have funded the salary of these teachers, guaranteeing in this way an education to students from poorer backgrounds as well, as it is shown by a document from Teos, in Asia Minor, dated to the end of the third century/beginning of the second century BC.39 Of this crucial piece of evidence, I would like to stress a few points in particular: firstly, teachers seem to have been hired for a period that went from a minimum of two months to one year;40 secondly, there were civic authorities (οἱ καθιστάμενοι ἐπὶ τῶν μαθημάτων) who managed the funds donated, for the specific educational purposes, to the city’s treasury from a private citizen, Polythros;41 finally, a more significant number of free citizens from various economic backgrounds could have received a certain degree of primary education,42 and both boys and girls were educated.43 Another example of broader education in the Hellenistic period comes from Miletos, where the teachers honoured Hermes, the Muses, and Apollo Mousegetes (Leader of the Muses) with sacred festivals and vo35 

Marrou 1956, 110–111. the gymnasium, see Kennel 1995; Kah/Scholz 2004, with further bibliography; Scholz 2017. 37  On the ephebeia, see, among others, Chankowski 2010; Kennel 2015, with previous bibliography. 38  T hese figures emerge in inscriptions in honour of the epheboi and their teachers, as, e.g., IG II2 665. 39  SIG3 578 = McCabe/Plunkett 1985, 41. On a more comprehensive primary education, see Harris 1989, 130. 40  SIG3 578,27: ὁ δὲ ὁπλομάχος διδάξε χρόνον οὐκ ἐλάσσονα μηνῶν δύο. 41  SIG3 578,67. 42  SIG3 578,3–4: πάντες οἱ ἐλεύθεροι παῖδες πα[ιδε]ύωνται. 43  SIG3 578,8–10: γραμματοδιδασκ[ά]λους τρεῖς οἵτινες διδάξουσιν τοὺς παῖδας καὶ τὰς παρθένους. 36  On

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tive offerings of frankincense.44 T he agents who were responsible for teaching and transmitting information and notions, from grammar and military techniques to the devotion to the gods, can be imagined as creators and artisans of knowledge.45 We could continue exploring the agents in control of education and knowledge, analysing the contribution of family members46 or of the erastes, the lover of older age in a homoerotic relationship. However, for reason of space and trying to give a broader overview, the following paragraph will focus on the places and contexts of learning in order to show where and how knowledge could be acquired.

3. T he interplay of knowledge with cultural and social identities T he gymnasium brings us to the question of where educational activities took place. A central space was precisely the gymnasium. T his was a building complex that included a παλαίστρα, the wrestling school, as well as baths, libraries, and lecture halls, where both athletic and literary education were instructed.47 It is more difficult to pinpoint other places with a specific educational function. T hucydides mentions the existence in Mycalessus (Beotia) of a διδασκαλεῖον παίδων (teaching-place for children), a school whose pupils were massacred by the T hracians during the Peloponnesian war.48 Information on schools in the pre-Hellenistic era is scanty,49 but this building seems to have been allocated to the primary education of large groups of students. For a higher level of education, young men took advantage of the symposium, a convivial occasion where literary expertise and moral values were showed off and socialized.50 Furthermore, theatres and sanctuaries hosted musical, theatrical, and athletic competitions, which celebrated at the same time excellent human abilities and divine glory. Even from this brief sketch, it emerges how counterproductive is to identify a list of places devoted to educational activities and the transmission of culture. It seems more fruitful to apply to education and knowledge transfer the concept of ‘free spaces’ elaborated by historians Sarah Evans and Harry Boyte. Evans and Boyte identify as free spaces those public spaces where participants can learn democratic values, civic virtues, and cooperative skills.51 Expanding this theoretical framework, we can further SIG3 577 = McCabe 1984, 42, 201/199BC. Stealing and rearranging the title “les artisans du savoir” of a section of Jacob 2011. 46  On family members as religious educators, see Munkholt Christensen/Salvo 2018. 47 See Kyle 1987; Kennell 2015, 173. 48  T hucydides 7,29,5: καὶ ἐπιπεσόντες διδασκαλείῳ παίδων, ὅπερ μέγιστον ἦν αὐτόθι καὶ ἄρτι ἔτυχον οἱ παῖδες ἐσεληλυθότες, κατέκοψαν πάντας. “T hey attacked a boys’ school, the largest that there was in the place, into which the children had just gone, and massacred them all.” 49  Cribiore 2015, 150. 50  Griffith 2015, 46. 51 Evans/Boyte 19922 . Vlassopoulos 2007 has first brought this concept into the scholarly 44 Miletos, 45 

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note that the agents moving in these ‘free spaces’, and belonging to the same social group, are governed by the habitus, defined by Pierre Bourdieu as norms, know­ ledge, and skills embedded and internalized to a degree of unaware possession, or, in other words, “a lex insita, laid down in each agent by his earliest upbringing.” 52 T his theory is especially relevant in the case of Greek religious education: the participation of boys and girls to ceremonies and festivals was the most immediate way for socializing rituals and procedures for encountering the divine. Information on religious matters was acquired at an early age, and, therefore, it could be digested and internalized, creating a first foundation on which more advanced knowledge could be later attained. In order to deepen one’s cultural profile, an effective strategy was to travel to a city with a rich offer of cultural and intellectual events, like Athens, where the leading philosophical schools were located. T he establishment of the major Greek philosophical schools made the city of Athens an attractive center of learning from the fourth century BC onwards.53 T his movement of people, however, should not be interpreted as univocally directed from the peripheries to a centre. If above we have underlined the concept of ‘free spaces’ within a single city, between two or more cities the most convincing model seems to be that of the ‘network’.54 Economic and cultural ties connected Mediterranean cities from the Black Sea to Marseille. T his network allowed the exchange of information, knowledge, gods, and cults. T he question of how knowledge was transmitted can find an answer in the observation that notions travel with people. A variety of itinerant experts, especially doctors, healers, and purifiers, are attested.55 An honorific inscription from Hellenistic Samos testifies to the case of a teacher of humanae litterae who was traveling and working away from his motherland.56 discourse on the ancient Greek world. T his idea has been applied to ancient Athens also by Livingstone 2016, 46. 52  Bourdieu 1977, 81. Cf. Burke 2016, 38. 53  See Dana 2007, 925–932, on Isocrates and his client coming from the kingdom of Bosporus. See also Haake 2015. 54  On Greek networks, see among others, Malkin 2011. On networks and the transfer of cukture see Dana/Savalli-Lestrade 2019. 55  Cf. Burkert 1992, 42; Scholz 2004; Haake 2007. See also Massar 2007, 793 f. Massar underlines that during a siege or a war the expertise and knowledge of doctors were in high demand. In his treatise on polyorcetica, written at the end of the third century BC, Philo from Byzance specifies that “it is necessary that within (the city) there are the most excellent doctors, experienced in (healing) wounds and extracting darts, and equipped with the appropriate drugs and instruments. (…) Many times this guarantees the safety of the city” (Philo of Byzantium, Polyorcetica 96,15–26 = C 72–73: δεῖ δὲ καὶ ἰατροὺς χαριεστάτους ἔνδον εἶναι ἐμπείρους τραυμάτων καὶ βελῶν ἐξαιρέσεως, ἔχοντας ϕάρμακα καὶ ὄργανα τὰ προσήκοντα, καὶ τὴν πόλιν χορηγεῖν κηρωτὴν καὶ μέλι καὶ ἐπιδέσμους καὶ σπληνία, ἵνα μὴ παραπολλύωνται οἱ στρατιῶται τραυματίαι γενόμενοι, ἀλλὰ ταχὺ ὑγιαζόμενοι χρήσιμοι γίνωνται ἐν ταῖς ὕστερον γινομέναις συμβολαῖς προθύμως κινδυνεύοντες διὰ τὰς γενομένας θεραπείας αὐτοῖς καὶ χορηγίας· πολλάκις δὲ καὶ ταῦτα τῆς πόλεως ἐπὶ σωτηρίᾳ γίνεται). 56  IG XII 6,1,128, Samos, 200 BC. On this inscription, see Scholz 2004; Haake 2007, 185– 90; Dana 2014.

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T he city honoured the philosopher Demetrios of Herakleia, who taught privately and in public, and remarkably offered free lessons to those who could not afford to pay the fees.57 T he decree insists on the παιδεία of the honorand (l. 6, 14: διὰ τ̣ῆ̣ς̣ αὑτοῦ παιδείας; l. 19: [τῆς] καθ᾿ αὑτὸν παιδείας). T he term παιδεία serves to praise the high level of culture of Epikrates, as well as to highlight his willingness to make his philosophical knowledge available to others.58 T he verb σχολάζειν recurs twice: in line 23 (σχολάζων) it means “to deliver a course, a series of lessons,”59 while its translation in line 17 (τῶ̣ν συσχολαζόντων) is less straightforward. It has been translated as indicating “colleagues in study,” those belonging to “a close-knit group of students” who followed the philosopher, probably in his travels.60 Another interpretation sees in this group more generally those who intended “to attend a course (together with other interested listeners).” 61 T he two interpretations are perhaps closer than it looks. T he larger sense of “attending a lesson together” seems preferable, because the text contrasts lessons held in a private setting, and possibly in a small group or one-to-one, with lessons held in a civic building, like the gymnasium, for a greater number of participants. Against the idea of a close-knit group is the τοῖς ἀπαντῶσι (‘all those who’) that precedes the verb συσχολάζειν: the lessons could be attended by anyone willing to join, and the idea of openness and its voluntary character are restated for the public lessons, to which lack of wealth was not an impediment, although other factors of inequality, such as gender, ethnicity, and slavery, might have restricted the admission to his teachings. However, it is plausible to imagine that those who were instructed in private were able to create a bond with the teacher or a friendlier relationship, and they might even have thought to follow him in his next destination. In my reading of the lines 16–20 of the Greek text, Epicrates, then, benefited the community teaching “privately those who wanted to devote their time to study together with 57  IG XII 6,1,128,11–23: [ἐπειδὴ Ἐπικ]ράτης Δημητρίου Ἡρακλε[ώτης περ]ιπατητικὸς πλείονα χρόνον [παρεπιδε]δήμηκεν ἡμῶν ἐν τεῖ πόλει [καὶ διὰ] τ̣ῆ̣ς̣ αὑτοῦ παιδείας πολλὰ [τοὺς] νέους εὐεργέτηκεν χαρίζεσ[θαι βο]υλόμενος καὶ ἰδίαι τοῖς ἀπαντῶ[σι τ] ῶ̣ν συσχολαζόντων ἑαυτῶι καὶ [κοιν]ῆι τῶι δήμωι μεταδιδοὺς ἀφθόνως [τῆς] καθ᾿ αὑτὸν παιδείας τοῖς βουλομέ[νοι]ς μετέχειν τῶμ πολιτῶν τοῖς τε [μὴ] δ̣υναμένοις τῶν δ[η]μοτῶν τελεῖν [τὸν] ἐκκείμενον ὑφ᾿αὑτοῦ μισθὸν προῖκα [σχο]λάζων· “Epicrates, son of Demetrios, of Heraclea, a Peripatetic, has for a long time stayed in our city and through his intellectual education in many respects he has much benefited the young men; for, he wanted to help in private life all colleagues in study who came to him, and in public all people. He gave them both generous access to his (philosophical) education by teaching every citizen who wanted to join, and even those fellows who were not able to pay the fee fixed by him, free of charge.” Trans. Scholz 2004, 332–333. Cf. the translation of Dana 2014, 129 n. 53: “désirant se ­rendre utile aussi bien à titre privé à tous ceux qui ont étudié avec lui qu’à titre public envers le ­peuple, dispensant avec générosité son enseignement à ceux des citoyens qui voulaient y prendre part et enseignant gratuite-ment à ceux qui ne pouvaient pas acquitter l’indemnité qu’il avait fixée.” 58  Dana 2014, 130. 59  Dana 2014, 130. 60  Scholz 2004, 333–334. 61  Dana 2014, 130 f.

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him, and collectively offering with magnanimity to the civic body the possibility for all those interested to access his erudite knowledge.” T his decree finely testifies to the existence of different ways of transmitting παιδεία, and shows how society valued the sharing of culture and decided to display this behaviour as a good practice.62 If an expert was travelling where he was needed, the movement of ideas could also be inverted: someone looking for acquiring expertise was travelling to the place of a great master, with Athens being one of the favourite intellectual destinations. A young person could travel to the city of a famous personality, living there for learning purposes.63 T his peregrinatio academica could consist of study trips for short or long stays.64 From the second century BC onwards, foreigners were admitted into the Athenian ephebic training, as demonstrated by the category ξεῖνοι (foreigners) in the ephebic catalogues.65 An analysis of how the criteria for including or excluding a category of people from educational resources changed over the centuries, with a broader access to free education from the Hellenistic period onwards, would be indeed worth pursuing in a lengthier study. In this occasion, I will limit myself to stressing that, alongside gender and ethnicity, class and social status significantly impacted the distribution of ancient education. T he Attic orator Demosthenes, in his famous speech On the Crown, presents evidence for unequal paths, when he compares his upbringing with that of his opponent, Aeschines: In my boyhood, Aeschines, I had the advantage of attending respectable schools: and my means were sufficient for one who was not to be driven by poverty into disreputable occupations. […] But do you – you who are so proud and so contemptuous of others – compare your fortune with mine. In your childhood you were reared in abject poverty. You helped your father in the drudgery of a grammar-school, grinding the ink, sponging the benches, and sweeping the school-room, holding the position of a menial, not of a free-born boy.66

Athenian children from different backgrounds did not have the same educational opportunities, especially regarding literary, rhetorical, and musical education. However, we should not assume that poor and slave children were entirely uneducated. Understanding education in its most extensive sense of ‘knowing something, possessing expert skills’, the picture becomes more wide-ranging. Since slaves had to be useful, to be able to do something useful, they should have known 62  For the honours and honorific statues bestowed to learned figures in the early Imperial period, see Chaniotis 2016. 63  Massar 2007, 798. 64  Cf. Burke 2016, 48 on students moving across several Universities in the Middle Ages. 65  Dana 2014, 123; Perrin-Saminadayar 2007, 461–475.479–488. 66  Demosthenes 18.257–258: ἐμοὶ μὲν τοίνυν ὑπῆρξεν, Αἰσχίνη, παιδὶ μὲν ὄντι φοιτᾶν εἰς τὰ προσήκοντα διδασκαλεῖα, καὶ ἔχειν ὅσα χρὴ τὸν μηδὲν αἰσχρὸν ποιήσοντα δι᾽ ἔνδειαν, […] σὺ δ᾽ ὁ σεμνὸς ἀνὴρ καὶ διαπτύων τοὺς ἄλλους σκόπει πρὸς ταύτην ποίᾳ τινὶ κέχρησαι τύχῃ, δι᾽ ἣν παῖς μὲν ὢν μετὰ πολλῆς τῆς ἐνδείας ἐτράφης, ἅμα τῷ πατρὶ πρὸς τῷ διδασκαλείῳ προσεδρεύων, τὸ μέλαν τρίβων καὶ τὰ βάθρα σπογγίζων καὶ τὸ παιδαγωγεῖον κορῶν, οἰκέτου τάξιν, οὐκ ἐλευθέρου παιδὸς ἔχων. See also Wrenhaven 2012, 158 n. 101. Cf. Isaeus 9,28; Xenophon, Cyropaedia 8,3,37–39.

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how to do it.67 T herefore, slaves could be trained, for example, in housekeeping, agriculture, secretary tasks, financial administration, the performance of cults and sacrificial procedures. Furthermore, craftsmen, especially vase painters, possessed probably a basic level of literacy.68 If poor and slave children could not be illiterate, they were in any case treated differently from free children, as it is demonstrated by this Hellenistic law regulating the duties of a gymnasiarch: T he gymnasiarch will be responsible for punishing the undisciplined boys and the paid­ agogoi, if they are not free citizens, with lashes, and if they are free, to impose a fine on them.69

Looking at inequality from another perspective, it is essential to remember that slave teachers and mentors taught the rich and educated élite, since being a schoolteacher was considered a humble profession.70 In both, Greek and Roman households, slaves were caring of the upbringing of children and their moral education as pedagogics and nurses. A grave relief for a “useful nurse” reveals that the profession of educator could be embedded in a personal name, Paideusis.71 T he sources and questions taken into consideration in this paragraph have disclosed how processes of education interplayed with the political structure as well as with issues of mobility, ethnicity, and class. Moreover, chronological transformations altered how the community accessed and consumed knowledge, with the social panorama of education and learning of culture changing considerably from the Hellenistic period onwards.

4. Closing thoughts Trying to identify which were the contents of ancient Greek education, the realms of knowledge, and what it was deemed worth knowing, an answer could be that the core ingredients of youth education were physical activities (γυμναστική), music (μουσική), and letters (γράμματα).72 However, teaching and learning processes could range from musical, choreutic, literary, and rhetorical expertise, to technical, military, scientific, and medical knowledge and to the possession of wisdom in ethics and religion. A sharp division in disciplines and sectors is probably anachronistic for ancient Greek culture, and we might recall that the ideal of the Renaissance Man, or Universalgelehrter, or Polymath, the intellectual who 67 

Wrenhaven 2015. See Immerwahr 2007. 69  SEG 27,261.B22, Beroia (Macedonia), before 167 BC: κύριος δὲ ἔστω ὁ γυμνασίαρχος καὶ τῶν vv [π]αίδων τοὺς ἀτακτοῦντας μαστιγῶν καὶ τῶν παιδαγωγῶν, vv ὅ̣σοι ἂν μὴ ἐλεύθεροι ὦσιν, τοὺς δὲ ἐλευθέρους ζημιῶν (trans. Arnaoutoglou 1998). 70  See Wrenhaven 2015, 469–471, on slave as educators. 71 Athens, National Museum 978, IV BC: Παίδευσις τίτθη χρηστή{ς}. See Schulze 1998; Wrenhaven 2012, 32. 72  Cf. Plato, Respublica, 403c. 68 

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was expert in philosophy as well as medicine and astronomy, was in vogue until Late Antiquity,73 although this was famously criticized by Heraclitus, according to whom “much learning does not teach understanding, otherwise it would have taught Hesiod and Pythagoras, Xenophanes and Hecataeus.”74 Notwithstanding Heraclitus’ scepticism, the fact of being a man with παιδεία, ‘Bildung’, was often praised as a virtue of the deceased in funerary epigrams, as in this T hessalian epitaph dated to the late fourth century BC: “For his παιδεία and his virtue Kallikleas was not inferior to any other mortal, but wasting away he is departed, Kallikleas of Respectable Life.”75 Education, however, was not just a feather in somebody’s cap, a proud achievement to show off together with the best qualities of a person. Knowledge and culture were greatly functionalized in pragmatic terms. For example, the acquisition of rhetorical skills was a requirement for being successful in politics; or, a rigorous knowledge of gods and rituals was the conditio sine qua non for communicating with the divine and, therefore, having a blessed life. Additionally, in Greek mentality, the learning process could be loaded with a heavy burden. In Aeschylus’ Agamemnon, the chorus sings the moral of the πάθει μάθος: παθήματα, sufferings, are μαθήματα,76 lessons to be learned. Deep understanding comes only from being overwhelmed with suffering.77 T his tragic ethic can be inscribed in the framework here outlined together with the Greek lexicon of education, its agents and spaces, its interconnected mobility, and its inequalities: the overall picture indicates that learning processes were central to the formation of civic, moral, and religious identities in ancient Greek societies. T he longstanding influence of Greek culture induces to reflect upon our systems of education and knowledge. We have noted how in antiquity information travelled and was shared in ‘free spaces’. Today, the ‘free spaces’ for sharing knowledge are immensely multiplied, and, in the digital age, we are immersed in a diffuse network of socialization of culture. However, at the same time a relentless flow of information, the raw material of learning,78 flood us – without producing real knowledge and ending with even less culture. As John Burnet wrote already in 1923, “the recent enormous growth of potential knowledge has been accompanied by a corresponding growth of actual ignorance.”79 Historians of knowledge and education should not miss the opportunity to fruitfully contribute to the con73 

Szabat 2015, 261–262. Heraclitus, fr. 40: πολυμαθίη νόον ἔχειν οὐ διδάσκει· ‘Ησίοδον γὰρ ἂν ἐδίδαξε καὶ Πυθαγόρην αὖτίς τε Ξενοϕάνεα καὶ ‘Εκαταῖον. Cf. Lloyd 1987, 60–61. 75  SEG 35,558, ca. 300 BC, T hessalia (Perrhaibia): παιδείας, ἀρετῆς Καλλικλέας οὔθ’ ἑνὸς ἄλλου/ὑστερίσας θνητῶν [ο]ἰχῆι ἀποφθίμενος/Καλλικλέας Εὐβιότου. Cf. also 59,593; BE 2010, 361. 76 Cf. Fraenkel 1950 on Aeschylus, Agamemnon, 176–178. See Herodotus 1,207: τὰ παθήματα μαθήματα. 77  See on this verse Crotty 2001, 55; Sommerstein 2010. 78  Burke 2016, 6 applies Lévi-Strauss’ concepts of ‘raw’ and ‘cooked’ respectively to ‘information’ and ‘knowledge’. 79  Burnet 1923, 8. 74 

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temporary debate on the value of informed knowledge versus void information, finding fresh inspirations from antiquity on how education can shape individual and collective socio-cultural identities.

Bibliography a) Primary Sources Aristoteles, Ethica Nicomachea (Leipzig: Teubner, 1878). Arnaoutoglou, Ilias, Ancient Greek Laws. A Sourcebook (London: Routledge, 1998). Aeschylus, Agamemnon. Edited with a commentary by Eduard Fraenkel (Oxford: Clarendon Press, 1950). Aristophanes, Frogs. Translated by Matthew Dillon (http://www.perseus.tufts.edu/, last accessed 8.12.2017). Demosthenes, On the Crown (Cambridge MA: Harvard University Press, 1926). Euripides, Hecuba (Leipzig: Teubner, 21990). Homer, T he Iliad (Cambridge MA: Harvard University Press, 1924). Plato, Plato in Twelve Volumes (Cambridge MA: Harvard University Press, 1925). Radt, Stefan (Ed.), Strabons Geographika (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002– 2011). Schofield, Malcolm/Griffith, Tom, Plato. Laws (Cambridge: Cambridge University Press, 2016). T hucydides, Historiae (Leipzig: Teubner, 1913–1925). Xenophon, Xenophon in Seven Volumes (Cambridge MA: Harvard University Press, 1914). McCabe, Donald F. (Ed.) (1984), Miletos Inscriptions. Texts and List (Princeton NJ: T he Institute for Advanced Study). McCabe, Donald F./Plunkett, Mark A. (Eds.) (1985), Teos Inscriptions. Texts and List (Princeton NJ: T he Institute for Advanced Study, 1985). Rhodes, Peter J./Osborne, Robin (Eds.) (22007), Greek Historical Inscriptions 404–323 BC (Oxford: Oxford University Press).

b) Secondary Literature Bloomer, Martin W. (Ed.) (2015a), T he Wiley-Blackwell Companion to Ancient Education (Chichester/Malden MA: Wiley-Blackwell). – (2015b), Corporal Punishment in the Ancient School: Bloomer 2015a, 184–198. Brunschwig, Jacques/Lloyd, Geoffrey E.R. (2003), A Guide to Greek T hought. Major Figures and Trends (Cambridge MA: Belknap Press of Harvard University Press). Bourdieu, Pierre (1977), Outline of a T heory of Practice (Cambridge: Cambridge University Press). Burke, Peter (2016), What is the History of Knowledge? (Cambridge/Malden MA: Polity Press). Burkert, Walter (1985), Greek Religion: Archaic and Classical (Cambridge MA: Harvard University Press). – (1992), T he Orientalizing Revolution: Near Eastern Influence on Greek Culture in the Early Archaic Age (Cambridge MA: Harvard University Press).

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Mit Augen und Ohren lernen Die vita honesta der republikanischen Senatsaristokratie und die Rolle intellektueller Bildung in Erziehung und politischer Praxis in Rom

Peter Scholz 1. Bildung und vita honesta Im vorliegenden Beitrag1 wird „Bildung“ nicht bloß als eine äußerlich bleibende Akkumulation von Wissensbeständen und kanonischen Bildungsgütern aufgefasst, die historischen Akteure werden mithin nicht gleichsam als Gefäße begriffen, die mit Bildungsinhalten aufgefüllt werden. Vielmehr wird „Bildung“ im Sinne eines umfassenden individuellen Bildungsprozesses verstanden, in dessen Verlauf körperliche, soziale und militärische Erfahrungen und Erlebnisse, kollektive wie auch individuelle Verhaltens- und Umgangsformen, gleich ob verbal, körperlich oder gestisch, ebenso von Bedeutung sind wie gelehrte, philosophische oder literarische Kenntnisse. Dabei ist auch zu beachten, dass gerade unter den Bedingungen der republikanischen Senatsaristokratie „Bildung“ nicht abgetrennt von der Person und ihrer Rolle erörtert werden sollte2. Die näheren Umstände von Bildungsprozessen und -inhalten können wir in der Überlieferung für den Zeitraum der späten römischen Republik nur noch schwer und bruchstückhaft erfassen. Grundsätzlich lässt sich allerdings sagen, dass Bildung niemals als Selbstzweck verstanden wurde, sondern der Behauptung und Verbesserung des sozialen und politischen Status der väterlichen domus diente. Die väterliche Erziehung war wesentlich darauf ausgerichtet, die Söhne zu befähigen, in harter Konkurrenz mit 1 

Der Beitrag basiert wesentlich auf den Ergebnissen meiner Habilitationsschrift (Scholz 2011a) und fasst im ersten Teil die Darstellung von Scholz 2011b nochmals zusammen. 2  Zur Begriffstrias von Sozialisation, Erziehung und Bildung s. die grundsätzliche Reflexion von Grundmann 2009. Zur römischen Erziehung (Bonner 1977; B. Rawson 1999; Too 2001), zur Kindheit (Eyben 1986; B. Rawson 2003) und Jugend in Rom (Eyben 1971; Eyben 1972a; Eyben 1972b; Eyben 1972c; Eyben 1977; Eyben 1993; Eyben 1999; Kleijwegt 1991) und zur Familie und Familienstruktur (B. Rawson 1986; Bradley 1991; Dixon 1992; Martin 1992; Krause 2003, George 2005) liegen bereits wichtige Untersuchungen vor; der Prozess des „Aufwachsens“ der spätrepublikanischen nobiles ist erstmals von Scholz 2011a umfassend erörtert worden.

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den Nachkommen anderer vornehmer Familien einen Platz im Senat zu erringen und innerhalb dieses exklusiven Gremiums weiter an Rang und Ansehen zu gewinnen. Einen solchen Lebensweg vermochte man allerdings nur erfolgreich zu gehen, sofern man sich die traditionellen Normen, die Rollenbilder und den Lebensstil der Senatsaristokratie nicht nur äußerlich aneignete, sondern diese verinnerlichte, d. h. von Anfang an so auftrat, wie es von viri honesti oder boni erwartet wurde, wie es einer Lebensführung im Sinne einer vita honesta entsprach. Eine solche umfasste weitaus mehr als bloße Gelehrsamkeit oder theoretische Kenntnisse. Man wuchs als „vornehmer Herr“ auf und fügte sich darin hinein, man bewegte sich, verhielt sich und redete so, wie es der Rolle eines vir honestus entsprach. Mit vita honesta bezeichne ich nicht irgendeinen, sondern den maßgeblichen Wesenszug der sozialen Lebenspraxis der römischen Führungsschicht3: Diese nämlich hatte die öffentliche Rolle der politisch Agierenden so stark verinnerlicht, dass sie zwischen privatem und öffentlichem Leben nicht mehr recht unterschied. Sämtliche Tätigkeiten waren den politischen Geschäften und Verpflichtungen, den negotia und officia, zugeordnet. Die politische Führungsschicht in der römischen Republik war also in extremer Form politisiert, ging ganz in der Erfüllung der politischen Pflichten auf. Jenseits des politischen Lebens gab es keine persönlichen Bedürfnisse, es gab nur verschiedene Rollen, die ein Senator auszufüllen hatte4: (1) als Vater, der seiner domus vorstand, (2) als Patron seiner Klienten, die er an sich zu binden, zu beraten und zu unterstützen hatte, (3) als Bürger und Redner auf dem Forum und vor Gericht, wo er vor Standesgenossen und stadtrömischem Volk oratorisch bestehen musste, und (4) als Soldat im Heer und auf dem Schlachtfeld, wo er seine körperlichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen hatte. Eine vita honesta war demzufolge immer von zwei Dingen geprägt: einerseits waren die Mitglieder der Senatsaristokratie in vielfältiger Weise aneinander und an die politische Öffentlichkeit und andererseits ideell an die ethische Verpflichtung und den traditionellen Anspruch der römischen Führungsschicht gebunden, im Sinne des honestum zu handeln und die sich daraus herleitenden Prinzipien im äußeren Handeln auch umzusetzen und allseits sichtbar werden zu lassen.

Belege zur Geschichte des Begriffs der vita honesta bei Scholz 2011b, 141 Anm. 7. Zur Übertragung des Rollenmodells von Niklas Luhmann auf die spätrepublikanische Senatsaristokratie siehe Beck 2009, 57–64. Zu den unterschiedlichen Rollen des römischen Vaters auf dem forum und in der domus vgl. auch Martin 2002. 3 

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2. Der Prozess des „Hineinwachsens“ in die aristokratische Lebensform: Bildung durch familiäre Autoritäten statt Pädagogen und Lehrer Im ersten Buch seiner Abhandlung über den „Staat“ lässt Cicero den jüngeren ­Scipio auftreten5. Der Zerstörer Karthagos stellt dabei seiner Rede eine persönliche Bemerkung voran, in der er seinen Zuhörern darlegt, wie er seine Rede verstanden wissen möchte: Ich bitte Euch, hört mich in folgender Weise an: weder wie einen, der gänzlich unberührt von den griechischen Dingen ist, noch wie einen, der sie unseren, zumal bei diesem T hema … vorzöge, sondern wie einen von den Männern in der Toga, der durch des Vaters Umsicht durchaus keine schlechte Ausbildung genossen hat und von Kindheit an von Lern­ eifer erfasst war, der jedoch in viel höherem Maße durch die praktische Erfahrung (usus) und durch die häuslichen Lehren (domestica praecepta) als durch Schriften (litterae) gebildet ist.6

Die Passage benennt prägnant die beiden die Sozialisation und Erziehung der römischen Senatsaristokratie auszeichnenden Faktoren. Beide – so die ausdrückliche Betonung Ciceros – waren für das Aufwachsen weitaus prägender und daher bedeutsamer als die neuartige griechische Bildung des Intellekts, sofern man die Lebensaltersstufen der Kindheit und Jugend als einen Prozess des allmählichen Hineinwachsens in die ihnen von der Familie zugedachte Rolle auffasst. Bemerkenswerterweise spricht Scipio in dieser Bemerkung allerdings nicht von patria praecepta, sondern von domestica praecepta. Darunter sind einerseits Personen zu verstehen, die dem jungen Scipio im persönlichen Umgang, durch Worte und Gesten Überzeugungen und Werturteile, verschiedene Kenntnisse und praktische Fertigkeiten ohne Intention, also spielerisch beiläufig, oder aufgrund pädagogischer Absichten vermittelten: Vater, Mutter, ältere Geschwister, Verwandte, sogar die zu einer domus zugehörigen Sklaven und Freigelassenen – mithin jeder, der einer ritterlichen oder senatorischen domus in irgendeiner Weise angehörte. Zum anderen spricht der berühmte Feldherr von usus, von der „praktischen Erfahrung, vom alltäglichen Umgang mit Personen und Dingen“ im aristokratischen Haushalt, durch die er als Person maßgeblich „gebildet“ worden sei. Der Begriff usus verweist damit auch auf materielle Träger moralischer und traditionsstiftender Botschaften in den Villen: auf Gemälde, Statuen und Reliefs, Ahnenschreine, aufgemalte Stammbäume, Inschriften, persönliche Beutestücke, aufgehängte Waffen – also auf Dinge, die an die Ämter (honores) und die sie begründenden Taten der Ahnen (maiores) erinnerten, und in denen sich die familiäre Leistungsbereitschaft widerspiegelte. Diese sprachen nicht für sich selbst, sondern animierten die Kinder zu Nachfragen bei den Mitgliedern einer domus; denn erst 5  Zur Stilisierung des Freundeskreises um Scipio zu einem hellenophilen Zirkel: Strasburger 1966; vgl. Pina Polo 2001. 6 Cicero, De republica 1,36.

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in den mündlichen Erzählungen wurden all diese Dinge im Hause lebendig und zu Symbolen der Tatkraft und Tapferkeit (virtutes) der Vorväter. Auch wenn zahlreiche griechische Hauslehrer, Grammatiker, Philosophen und andere Gelehrte, Trainer und Pferdeausbilder in den Häusern der Ritter und Senatoren ein und aus gingen, auch wenn griechische Gelehrte die jungen nobiles betreuten, umsorgten und unterrichteten, so waren sie keineswegs die bestimmenden und prägenden Personen in der Kindheit und Jugend der Söhne ihrer römischen patroni; denn die primäre Sozialisation während des ersten Lebensjahrzehnts fand, was häufig nicht beachtet wird, auch noch in der späten Republik in der familia in der privaten „Öffentlichkeit“ der domus statt7. Die Erziehung stand unter der Leitung und Aufsicht entweder des Vaters oder, wenn dieser nicht zur Verfügung stand oder verstorben war, unter der einer anderen familiären Autorität, zumeist der Mutter oder der eines Onkels oder Stiefvaters8. Sie war grundsätzlich private Angelegenheit und entsprechend individuell organisiert9. Es gab keinerlei diesbezügliche Vorgaben seitens der Bürgerschaft. Entsprechend unterschiedlich konnten die Sozialisations- und Bildungswege der Senatoren- und Rittersöhne verlaufen. Der pater familias10 war in der Familie insofern die wichtigste Person für die Vermittlung des Ethos und der Überzeugungen der Vorväter, als er die familiäre   7  Die Familie stellt demzufolge eine soziale Konfiguration dar, die einerseits aus rechtlich-personalen Beziehungen zwischen den einzelnen Gliedern des Hauses besteht, andererseits ein wirtschaftliches Gebilde ist, das die Bedürfnisse des täglichen Lebens im Haus befriedigt; vgl. hierzu Schwab 1975, 253–301. Mitterauer 1973, 1–4, betont, dass die Grundbedeutung des Begriffs der „Familie“ „Haus“ sei, verstanden als Gesamtheit der in einem Haus lebenden Personen, die der potestas des pater familias unterstehen. Erst seit dem 17. Jahrhundert wurde der Begriff und die Sozialform des „Hauses“ allmählich durch den der „Familie“ ersetzt: Mitterauer 1979a.   8  Siehe zum Beispiel Frasca 1996, 182 oder Bonner 1977, 17, die daher von einer „Erziehung in der Familie“ sprechen. Verwitwung, Neuverheiratung oder unter Umständen lange Abwesenheit eines jungen Vaters änderte nichts an der Sozialisation der Söhne, da die Erziehung in der Familie geleistet und die Rolle des Vaters an den nächsten in Frage kommenden Verwandten weitergereicht wurde. Die gemeinsame Unterrichtung von Mädchen und Knaben im väterlichen Haus in griechischer Sprache und Bildung führte dazu, dass zahlreiche Mütter durch ihre umfassende Vertrautheit imstande und bestrebt waren, die Erziehung der Söhne zu beaufsichtigen. Legendäres, aber keineswegs eine Ausnahme darstellendes Beispiel ist Cornelia, die Mutter der Gracchen, deren Haus nicht nur hellenistische Herrscher, sondern auch zahlreiche Gelehrte und Dichter aufsuchten (Plutarch, Caius Gracchus 19). Ausführlich zur Bildung der römischen Frauen und ihrer Rolle bei der Vermittlung griechischer Bildung: Hemelrijk 1999. Zur Vaterlosigkeit in Kindheit und Jugend in antiken Kulturen Hübner/Ratzan 2009.   9  Die fehlende Existenz jeglicher öffentlicher Institutionen in Rom, die der Vermittlung physischer und intellektueller Fähigkeiten sowie eines einheitlichen Bildungsgangs dienten, war für den Griechen Polybios, ein achäischer Politiker und Stratege im 2. Jahrhundert v. Chr., unbegreiflich (Cicero, De republica 4,3). 10  Zur überragenden Bedeutung des Vaters als praktisches und moralisches Vorbild in der römischen Kultur: Wlosok 1978; Martin 1984; Eyben 1991; T homas 1996; Deissmann 1989, 501–564. Vgl. demgegenüber das Vater-Sohn-Verhältnis in der griechischen Kultur: Strauss 1993; Shapiro 2003.

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auctoritas verkörperte und gleichzeitig deren Sachwalter darstellte. Gemäß seinem der Tradition verpflichteten Selbstverständnis war er verantwortlich für die Bewahrung der memoria und Mehrung der dignitas, des familiären Prestiges im Sinne eines von der Familie gesammelten sozialen Kapitals. So waren denn auch die Beziehungen innerhalb der Kernfamilie wesentlich darauf ausgerichtet, das väterliche Vermögen zu vergrößern und dessen Einfluss und Ansehen durch die Söhne fortzusetzen. Diesem Grundsatz zufolge wurden die Kinder zu Nachfolgern ihrer Väter in deren Funktion als Hausväter erzogen. Dabei bestand die erzieherische Aufgabe der Väter nicht darin, an die nachwachsende Generation abstrakte Werte und Prinzipien im Sinne isolierter Einzeltugenden weiterzugeben, sondern den Söhnen ein Bewusstsein von der Rolle zu vermitteln, die sie künftig ausfüllen sollten, ihnen mithin ein Ethos und spezifische Muster angemessenen Herrschens „einzupflanzen“ und in ihnen heranreifen zu lassen. Vom siebten bis etwa zum sechzehnten Lebensjahr übernahm – zumindest dem propagierten Ideal nach – der Vater die Erziehung, in der Regel unterstützt durch einen Lehrer, der als Sklave oder Freigelassener im Haus lebte und zur fami­ lia gehörte11. Auch wenn der Vater Beschützer und Vorbild zugleich war, so war er dem Kind bis dahin, also in den ersten sechs Lebensjahren, zumeist nur als eine im Hintergrund wirkende Person, als Verkörperung von „Ernst und Würde“, gravi­ tas und sanctitas12, begegnet. Er galt ihm als eine höchste familiäre Autorität und Respektsperson, der unbedingte Ehrerbietung (pietas) entgegengebracht werden musste13. Charakteristisch für die römische Gesellschaft war der Umstand, dass in dieser Vater-Sohn-Beziehung wie auch in anderen personalen Verhältnissen – vor allem dem zwischen Lehrmeister und Schüler – die soziale Differenz sehr stark betont wurde: ein römischer Vater richtete sein Handeln nicht an pädagogischen Botschaften aus, sondern erteilte der jüngeren Generation vielmehr Weisungen und Aufträge. Er gab die Regeln vor, nicht indem er sie aussprach, sondern indem er sie praktizierte und somit nach außen anzeigte, dass er diese zur Richtschnur seines Handelns nahm. In seinem Handeln versuchte er dem Typus eines vir ­bonus im althergebrachten Sinne gerecht zu werden: Er war Beispiel und Vorbild zugleich; er legte die Leitlinien der Unterrichtung für seine leiblichen oder politischen Ziehsöhne fest. Die Söhne sollten ihrerseits den väterlichen Taten nacheifern und durch die beständige Teilnahme an den öffentlichen Geschäften

11  Die Aufgabe der häuslichen Lehrer bestand vor allem darin, den ihnen anvertrauten Schülern vorrangig Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen, aber auch den ersten Umgang mit der griechischen Sprache einzuüben. Dabei dürfte in der Praxis häufig die Rolle des Präzeptors und die des Pädagogen zusammengefallen sein. Vgl. damit die Unterrichtung durch Hauslehrer im 16. und 17. Jahrhundert, die neben dem Tanz, Reit- und Fechtunterricht in der Vermittlung von Schreiben und Lesen, Mathematik, Latein, neueren Sprachen, Rhetorik und Stil bestand; s. hierzu z. B. Heiss 1990, bes. 398. 12  Zur Bedeutung der väterlichen gravitas: Lind 1979, 34–38. 13  Vgl. beispielsweise Cicero, Pro Plancio 29.

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die vita honesta der Väter nachahmen14 – getreu dem Motto: „Lebe, wie ich selbst, nach altem Brauch, tu das, was ich Dir vorschreibe!“15 In der Erziehungszeit unter väterlicher Ägide erlernten die Söhne, sofern die Familie auf einem Landgut lebte, jedenfalls dem traditionellen Anspruch nach, Reiten, Bogenschießen, Ringen, Jagen und Schwimmen und selbstverständlich den sicheren Umgang mit und Gebrauch der Waffen16. Darüber hinaus wurden sie durch weitere gemeinsame – realiter sicherlich nur gelegentliche – Aktivitäten mit ihren Vätern, so ist es zumindest für den älteren Cato bezeugt, durch harte Feld­arbeit, langwierige Jagdausflüge oder verschiedene Kampfspiele an Anstrengungen und Entbehrungen aller Art gewöhnt und auf diese Weise ihr Charakter geformt. Ferner lehrten die Väter ihren Söhnen sogenanntes „Hausbuchwissen“, das militärisches und juristisches Wissen, aber auch allgemeine und soziale Regeln zur Bewirtschaftung eines Landguts sowie medizinische Grundkenntnisse für Mensch und Vieh umfasste17. Der Vater vermittelte den Söhnen somit eine 14  Zum väterlichen Ruhm und dessen Bedeutung für die Nachkommen s. die klassische Stelle bei Cicero, De officiis 1,78 (licet enim mihi, M. fili, apud te gloriari, ad quem et hereditas huius gloriae et factorum imitatio pertinet); vgl. 2,44. Zu den Rollen des Vaters in der domus und auf dem forum: s. auch: Martin 2002, 13–24. 15  Plautus, Trinummus 297 f.: meo modo et moribus vivito antiquis,/quae ego tibi praecipio, ea facito. Als Erzieher treten hier die Eltern und die cognati auf. 16  Vgl. beispielsweise die Ausführungen des schlesischen T heologen Johann Coler (1566– 1639) in seinem Hausbuch (Buch I, 4. Kapitel, S. 6). Darin findet sich bezeichnenderweise keinerlei Bemerkung zur Notwendigkeit von kindgemäßem Spiel oder elterlicher Zuneigung; alles ist auf eine zweckmäßige Erziehung und Erlernung praktischer Fähigkeiten ausgerichtet: „Es ist auch nicht böse, das die Kinder um der Bewegung, Gesundheit und Geschicklichkeit des Leibs willen, fechten, schiessen, jagen, fischen, Vögel fangen, und viel andere Sachen mehr lernen, denn diß alles zur Nahrung dienet: Item, kochen, einkauffen, schreiben, rechnen, Sprachen, handeln und wandeln … allerley, was zu auffnehmung des Haußhaltens nützlich und dienlich ist“. 17  Erstmalig verschriftet wurde dieses römische „Hausbuchwissen“ durch M. Porcius Cato in seinen libri ad filium, die, zumindest den wenigen Fragmenten nach zu urteilen, drei praktische Wissensgebiete abdeckten: den Landbau, die Medizin und die Redekunst. Möglicherweise erörterte er in einem Buch auch die Kriegskunst. Schon die Widmung an den Sohn, an Cato Licinianus, der zum Zeitpunkt der Abfassung nicht jünger als sieben und kaum älter als zwölf Jahre alt gewesen sein dürfte, deutet darauf hin, dass es sich hierbei nicht um ein technisches Lehrbuch nach griechischem Vorbild handelte. Es enthielt wohl nicht bloß Fachwissen, sondern bot dem Sohn – gewissermaßen als väterliches Vermächtnis – einen breiten Schatz von erprobtem und also bewährtem Erfahrungswissen aus den genannten Feldern des Lebens, das von weitaus größerem Wert gewesen sein dürfte als allgemeine Anweisungen und Regeln. Die Hauptintention des Buches dürfte demnach die persönliche exklusive Belehrung des unmündigen Kindes durch den lebenserfahrenen Vater gewesen sein. Dieselbe Absicht verfolgte Cato offenbar mit der Niederschrift einer Römischen Geschichte in großen Buchstaben, die, wiederum an seinen kleinen Sohn gerichtet, diesem den Zugang zum Lesen erleichtern sollte; aus diesem Grund war sie in großen Buchstaben geschrieben worden. Darin spricht er Marcus, seinen Sohn, nicht als Kind oder Jugendlichen an, sondern als künftigen Erwachsenen, der in die Rolle des Vaters hineinwachsen soll, wie Frg. 362 zeigt. Der Sohn wird durch einen persönlichen Lehrer in die Kunst des Lebens eingeführt, wobei der Bezugspunkt für alles Wissen das politisch tätige Leben ist. Unter anderem erzählt Cato von seinen persönlichen Erlebnissen und Begegnungen mit den Griechen in Athen.

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Fülle praktischer Techniken und vielfältigen bewährten Erfahrungswissens, doch darüber hinaus auch eine Vielzahl historischer Erzählungen und ethischer Verhaltensnormen18. Die letztgenannten gab er anhand der Rezitation alter Lieder, Spruchweisheiten und Erzählungen, die über die maiores handelten, an die nächste Generation weiter19. In Ausnahmefällen, wie im Falle des älteren Cato, griff der Vater sogar persönlich zum Griffel und verschriftete dieses Wissen. Schließlich führte der Vater sie auch in das Zwölf-Tafel-Gesetz ein, erklärte es ihnen und ließ es sie als Grundlage allen römischen Rechts auswendig lernen20. Was aber das Wichtigste war: Nach Möglichkeit war es der Vater, der die eigenen Söhne in der Kunst der Politik und des standesgemäßen Umgangs unterwies – wenn nicht er selbst, dann ersetzte ihn darin der Stiefvater oder das älteste Familienmitglied21. Mit Augen und Ohren, durch den persönlichen Umgang mit dem familiären Vorbild, durch Anschauung und Erfahrung der väterlichen Praxis, lernten die Kinder die Gepflogenheiten des ritterlich-senatorischen Alltagslebens und der politischen officia kennen: beim täglichen morgendlichen Empfang von clientes und amici im Atrium22, bei den häuslichen Gastmählern, auf dem Zur Aneignung von Sachwissen sei es durchaus von Nutzen, griechische Bücher einzusehen ­(inspicere), ohne dass es erforderlich sei, sie genau zu studieren (perdiscere). 18  Vgl. Heuss 1959, 23: „Schon das Kind wird mit dem Erwachen seiner intellektuellen Tätigkeit in den Raum der sozialen Erinnerung hineingezogen, und die Bildungsinstanzen, welche um es bemüht sind, sind auch Träger dieses sozialen Phänomens. Hier wird sichtbar, wie sich in der Kommunikation Erinnerung gestaltet, die mehr ist als Eigenerinnerung, Erinnerung gleichsam zuwächst und Fremderinnerung angeeignet wird“. Zum ethischen Wissen zählte unter anderem Rücksichtnahme, Vertrauen in und Sorge um das Hauspersonal. Die römischen Gutsbesitzer waren gleichwohl durch den Besitz vieler Sklaven weitaus weniger Beschränkungen unterworfen als vergleichbare Hofbesitzer in Mittelalter und Früher Neuzeit. So stellte sich etwa durch das Institut der Sklaverei nicht das Problem der zumindest im 17. Jahrhundert feststellbaren, starken Fluktuation des Gesindes: Mitterauer 1979, 103. 19 S. hierzu besonders die instruktive Skizze von Walter 2004, 70–75. 20 Cicero, De legibus 2,59 (über seine Jugend, in der die 12 Tafeln als sehr alt empfunden wurden). 21  Nur im Idealfall, zumindest aber dem Anspruch nach führte der Vater die Söhne persönlich in die verschiedenen Praktiken und Wissensgebiete ein, in der Regel wurde er unterstützt oder sogar ersetzt durch männliche Verwandte, die den Rang der väterlichen Autorität besaßen: So erzählte nicht nur der Vater Ciceros seinen jungen Söhnen, Marcus und Quintus, von M. Antonius und Crassus, den berühmten Rednern Roms, sondern auch der Onkel L. Cicero und Aculeo, die ehemaligen Gefolgsleute: Cicero, De oratore 2,1 f. Als persönlicher Lehrer seiner Enkel stellte sich Augustus als Großvater zur Verfügung: „Seine Enkel unterrichtete er meistens selbst im Lesen, Schreiben und den übrigen Elementarfächern. Ganz besonderen Wert legte er darauf, dass sie seine eigene Handschrift nachahmen lernten“ (Sueton, Divus Augustus 64). Von Bedeutung ist, dass im Gegensatz zur griechischen Kultur die Erziehung der Söhne nicht an professionelle Lehrer ‚delegiert‘ wurde, sondern eine Person aus dem engeren Familienkreis die väterliche Autorität über den Sohn ausübte. Eyben erkennt die grundsätzliche Differenz zwischen griechischem und römischem Erziehungsstil nur zögerlich an (Eyben 1986, 337.341: „Vielleicht mehr als die griechischen blieben die römischen Eltern interessiert an der Erziehung ihrer Kinder“). Vgl. zum Vaterbild in der Frühen Neuzeit: Rünzler 1993. 22  Ein Haus mit vielen Besuchern und Gästen gehörte zum Alltag eines politisch ambi-

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Forum23, im T heater, bei den Spielen, beim Besuch von Bädern und privaten Gesellschaften, aber auch auf Feldzügen oder sogar beim Triumphzug – bei allen ­patria negotia befanden sie sich unmittelbar an der Seite des Vaters. So hörten und sahen sie aus nächster Nähe die Handlungen, Reaktionen, Diskussionen und Entscheidungen des Vaters. Sie übten dabei unmerklich die Rolle ein, die sie später einmal einnehmen sollten24: auf diese Weise wuchsen sie Schritt für Schritt und unmerklich in die väterliche Rolle hinein. Ihre Erlebnisse auf dem Forum, im Senat, auf dem Marsfeld, im Heerlager, im Kampf mit dem Feind, als camillus beim häuslichen Opfer bei den Mahlzeiten, an den Festtagen und anderen Anlässen oder bei öffentlichen Opfern, sofern der Vater ein Priesteramt bekleidete, konnten die Söhne mit dem Vater persönlich besprechen. Sie wurden persönlich angeleitet, korrigiert und so durch die Väter auf die kommenden Aufgaben in der Übernahme öffentlicher Führungsaufgaben vorbereitet. Ein eigentlicher Pädagoge, ein Hauslehrer oder – in der Terminologie der Frühen Neuzeit – ein Hofmeister, erübrigte sich, da dieser weder eine echte Ver­ trauens­person noch eine moralische Autorität (also eine Person, die über auctori­ tas verfügte) darzustellen vermochte und darüber hinaus schlichtweg nicht über die nötigen Kompetenzen, Bewährungen und Erfahrungen verfügte, um den Jugendlichen glaubwürdig in die arcana imperii einzuführen – ein Lehrmeister der praktischen Politik musste Vorbild und Beispiel sein, musste die Praxis der vita honesta selbst verkörpern, was nach dem Verständnis der römischen patres ein griechischer Lehrer nie hätte sein und leisten können. Im auffälligen Unterschied zur griechischen Aristokratie fühlten sich allem Anschein nach die römischen Senatoren und Ritter ungleich stärker für die Erziehung ihrer Söhne verantwortlich und nahmen diese Erziehungsaufgabe sehr ernst, soweit wir dies den vorhandenen biographischen Zeugnissen entnehmen tionierten Mannes, der um Einfluss kämpfte, s. etwa Cicero, Ad Atticum 2,22,3; Commenta­ riolum petitionis 34 f. Bei C. Gracchus und Livius Drusus wurde die Menge der Freunde und Klienten, die zum morgendlichen Empfang in das Stadthaus der Gracchen kamen, so groß, dass sie gezwungen waren, diese in drei Besucherkategorien aufzuteilen (Einzelbesucher, Gruppenbesucher, kollektiver Empfang der übrigen Besucher): Seneca, De beneficiis 6,34 f. 23  Die Söhne begleiteten ihre Väter überall hin, außer in den Senat, dessen Betreten ihnen aus Gründen der Geheimhaltung verwehrt blieb: Gellius, Noctes Atticae 1,23,4 ff. Allerdings ist fraglich, ob dieser senatus consultum (uti … pueri cum patribus in curiam ne introeant, praeter ille Papirius) im 1. Jahrhundert v. Chr. noch in Geltung war. 24  Siehe die vielen Zeugnisse, welche die Rezeption geschichtlicher Erinnerung durch die Teilhabe an Gesprächen mit dem Vater oder mit anderen Familienmitgliedern belegen, so etwa Cicero, Pro Balbo 11 (audivi hoc de parente meo puer über die Verurteilung des Caecilius Metellus im Jahre 100 v. Chr.); Pro Murena 58 (saepe hoc maiores natu dicere audivi); Pro Milone 16 (a nostris patribus accepimus); Philippica 8,14 (num a patribus aliter accepimus). Vgl. hierzu Walter 2004, 45 mit Anm. 16. Die Söhne befanden sich also beständig an der Seite der Väter – so wie sie in früheren Zeiten den Vätern bei der „Arbeit“ halfen (Cato führt hier noch das Pflügen, Säen und Ernten an, was er gemeinsam mit seinem Vater verrichtet hätte). Ein Beispiel aus der späten Republik: Cicero, Ad Quintum 2,9,2, wo von einem vertraulichen Gespräch zwischen Cicero und dem damaligen Konsul Crassus berichtet wird, an dem auch dessen Sohn P. Crassus als adulescens teilnahm.

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können25. Ob nun der Vater Ciceros, der des Atticus oder des C. Scribonius Curio, der des Caelius oder Horaz oder auch Cicero selbst – all diese Väter leiteten nachweislich die Erziehung ihrer Söhne und nahmen daran persönlich großen Anteil. Damit führten sie, auch wenn sich die Rahmenbedingungen für die Erziehung in der Familie im Verlauf des zweiten und ersten Jahrhunderts v. Chr. geändert haben mochten26, die lange Tradition des erzieherischen Wirkens der römischen Väter fort, dessen zweifellos idealisiertes Vorbild der ältere Cato darstellte27.

3. Griechische paideia und die Intellektualisierung der politischen Praxis Zumindest einem gewissen – und zugleich prominenten – Teil der spätrepublikanischen Senatsaristokratie war es ein echtes Anliegen, dass ihre Söhne sich in ihrer Kindheit und Jugend nicht nur auf die rhetorischen Anforderungen des Forums und die militärischen des Schlachtfelds vorbereiteten, sondern umfassende intellektuelle Fähigkeiten und Kenntnisse aneigneten. Die seit dem 3. Jahrhundert v. 25  Ein früher Beleg hierzu ist beispielsweise Naevius, Palliatarum fragmenta 108–110 Ribbeck. Die Verse beziehen sich offenkundig auf den älteren Scipio, dem seine Jugendsünden vorgehalten werden: etiam qui res magnas manu saepe gessit gloriose,/cuius facta viva nunc vigent, qui apud gentes solus praestat,/eeum suus pater cum pallio unod ab amica abduxit. Es ist bemerkenswert, dass der besorgte Vater persönlich das amouröse Abenteuer seines Sohnes beendet, indem er diesen, versteckt unter einem Mantel, von seiner Freundin trennt. 26  Atticus: Nepos, Atticus 1 (patre usus est diligente … studioso litterarum. Hic, prout ipse amabat litteras, omnibus doctrinis, quibus puerilis aetas imperiri debet, filium erudivit); Scribonius: Cicero, Brutus 280 (hic parum a magistris institutus natiúram habuit admirabilem ad dicendum) Cicero, Ad Atticum 8,4,1 (vom 22. Februar 49 v. Chr.) belegt, dass der persönlichen Unterweisung zumindest nichts Ehrenrühriges (wie in Griechenland) anhaftete und die Väter, sofern sich Zeit bei ihnen erübrigen ließ, zumindest grundsätzlich dazu bereit waren, im Notfall einzuspringen (nach dem Weggang des Dionysios, der viele Jahre die Söhne der Cicero-Brüder unterrichtet hatte: Ciceronesque nostros meo potius labore subdoceri quam m e alium magistrum quaerere). Diese Rolle hatte er schon einmal im Jahr 54 v. Chr. übernommen (Cicero, Ad Quintum 3,4,6 vom 24. Oktober 54 v. Chr.). Vgl. Plinius minor, Epistula 8,14,6: „Jedem galt sein eigener Vater als Lehrer, und anstelle des Vaters alle angesehenen älteren Herren, wenn jemand keinen Vater mehr hatte“. Allgemein zur politischen Erziehung durch den Vater s. ausführlich: Scholz 2011, 89–127. Die enge Vater-Sohn-Bindung schlug sich auch in der Literatur nieder, siehe hierzu Önnerfors 1974; Lee 1979; Wlosok 1978, 18–54. Vgl. das Beispiel des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel (1572–1632), der der Aufzucht seiner Kinder große Bedeutung beimaß und viel Zeit darauf verwendete: „Wie seine Leibärzte über die erste körperliche Auferziehung, über die Gesundheit der Luft und der Nahrung und selbst über die Spiele der fürstlichen Kinder wachen mußten …, so war des Vaters unermüdliche Sorge auf ihr Seelenheil und auf ihren ersten Unterricht gerichtet“ (von Rommel 1858, 321 f.). Als zweites Beispiel lässt sich der österreichische Staatskanzler Maximilian Ulrich Kaunitz anführen, der seine im Haus erzogenen Söhne selbst prüfte, das geistliche Lehrpersonal für die anschließende Ausbildung in der Ritterakademie von Ettal mit genauen Anweisungen versah und sich über den Fortgang der Erziehung und das Betragen der Knaben unterrichten ließ. Klingenstein 1973,132. 27 S. zu diesem Punkt jetzt ausführlich: Browne 2016.

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Chr. stärker gewordene Berücksichtigung intellektueller Belange in der römischen Erziehungspraxis stand selbstverständlich in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Hellenisierung der römischen Führungsschicht, mit welcher der Wandel auf dem Gebiet des äußerlichen Lebensstils und des Kunstgeschmacks traditionell von der Forschung charakterisiert wird.28 Allerdings geschah dies im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. in einer so neuartigen Intensität, dass man meines Erachtens pointiert von einem Prozess der ‚Intellektualisierung der Erziehung‘ sprechen sollte, um damit nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass, eng begrenzt auf das Feld der Erziehung, in diesem Zeitraum eine qualitativ ganz neue Dimension erreicht worden war. Um dies zu verdeutlichen, werden im Folgenden exemplarisch, beschränkt auf den Zeitraum zwischen 120 und 70 v. Chr., drei prominente sogenannte Optimaten und deren familiäres Umfeld in den Blick genommen. Q. Caecilius Metellus Numidicus (cos. 109 v. Chr.), das erste Beispiel, ist einer der ersten Römer, dessen geistige Interessen eindeutig bezeugt sind29. Bereits sein Vater Metellus Calvus (cos. 142 v. Chr.) scheint solche besessen zu haben; denn er hatte zur römischen Gesandtschaft gezählt, die unter Führung des Scipio Aemilianus und in Begleitung des Stoikers Panaitios sich bemerkenswert lange, vom Frühjahr 140 bis zum Sommer 139 v. Chr., im östlichen Mittelmeerraum aufgehalten hatte30. Sein Sohn war offenkundig um die Wiederholung eines derartigen Bildungserlebnisses bemüht. Um 130 v. Chr., als er sich auf dem Weg in die Provinz Asia befand, hörte er in Athen nach dem Zeugnis Ciceros als adulescens „viele Tage“ den alten Karneades, den Vorsteher der platonischen Schule.31 Daran schloss sich bekanntlich eine glänzende politische und militärische Laufbahn an, die ihn als Proconsul nach Numidien und in den Kampf gegen Iugurtha führte (108 v. Chr.). Auf diesem Feldzug in Afrika nahm er seinen zwanzigjährigen Sohn im Heeresstab auf.32 Der Sohn sollte an der Seite des Vaters die Beratungen über Kriegsstrategien und Vorgehen erlernen und sich zugleich mit den Erfordernissen und Härten des Soldatenlebens vertraut machen. Demgegenüber wurde er selbst beim Eintritt in das Heer nach dem Willen seines Vaters nicht im consilium aufgenommen, sondern hatte 143/142 v. Chr. das erste Jahr als einfacher Soldat dienen müssen.33 28  Der Begriff und das dahinter stehende Erklärungsmodell der ‚Hellenisierung‘, bezogen zumeist auf materielle Zeugnisse, mit dem die Forschung ein Phänomen des äußerlichen Wandels bezeichnet, bringt meines Erachtens nur unzureichend die qualitative Transformation der ansonsten unverändert bleibenden Modi des Heranwachsens und Prinzipien der römischen Erziehungspraxis zum Ausdruck: Scholz 2011, 362 f.; vgl. auch Flaig 1999. Die Eigenart der römischen Erziehungspraxis verkennt beispielsweise Clarke 1971, 17 fundamental, wenn er im Sinne der Deutung der Hellenisierung Roms von einer grundsätzlich „sklavischen Übernahme“ griechischer Kultur und Bildung ausgeht. 29  Zur Biographie grundlegend Münzer 1897. 30  Belege für die Bildungsaufenthalte in Kleinasien, Rhodos und Athen bei Astin 1967, 127 Anm. 3. 31 Cicero, De oratore 3,68. 32 Sallust, De bello Iugurthino 64,4; vgl. Plutarch, Marius 8,6. 33  Frontin, Strategemata 4,1,11 f.

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Nachdem Saturninus im Jahr 100 v. Chr. seine Verbannung beantragt und durchgesetzt hatte, wählte Numidicus zunächst das in der griechischen Welt als Bildungsmetropole anerkannte Rhodos, danach das zum pergamenischen Herrschaftsgebiet zählende Tralleis zu Aufenthaltsorten seines kaum einjährigen Exils, währenddessen er sich offensichtlich mit verschiedenen zeitgenössisch bekannten Lehrmeistern in Rhetorik und Philosophie bekannt machte.34 Damit war die Aneignung hellenistischer paideia bei den Metelli anscheinend allgemein eingeführt: Jedenfalls umgab sich auch der Sohn des Numidicus, Q. Metellus Pius (cos. 80 v. Chr.), gerne mit Literaten; wer in Rom anlangte, wurde von ihm angehalten, sich ihm mit seinen Talenten vorzustellen und gegebenenfalls auch seine politischen und militärischen Taten dichterisch zu rühmen35. Gelungene dichterische Darbietungen wurden von ihm mit reichen Geschenken bedacht oder auch mit dem Erhalt des römischen Bürgerrechts belohnt. So verlieh Metellus Pius dasselbe etwa dem Dichter Q. Fabius aus Sagunt, als er als Prokonsul zwischen 79 und 71 v. Chr. gegen Sertorius in Spanien kämpfte, obgleich er in einem sehr schwerfälligen Latein sprach.36 Durch die Anfechtung des römischen Bürgerrechts, das der junge griechische Dichterstar Archias aus Antiochia 93 v. Chr. dank der Lucullus-Brüder erhalten hatte, wissen wir zumindest um einige wenige Details aus dem Milieu dieser römischen Bildungshellenen, in deren exklusivem Kreis Dichter und Gelehrte auftraten, Lesungen abhielten und sich zu gebildeten Gesprächen zusammenfanden. Q. Lutatius Catulus (ca. 150–87 v. Chr.), das zweite Beispiel, stellt gleichsam das Paradebeispiel eines römischen Politikers dar, der über eine breite hellenistische Bildung verfügte, aber gleichermaßen große militärische Erfahrungen und Erfolge vorzuweisen vermochte. Er entstammte einer alten, vornehmen plebeischen Familie, die freilich erst durch ihn wieder zu hochrangigen Ämtern vorstieß37. Nach seiner Prätur hatte er sich in den Jahren 106 bis 104 v. Chr. zunächst dreimal vergeblich um den Konsulat beworben, bevor er 102 v. Chr. endlich das höchste Staatsamt erlangte. Im Folgejahr siegte er als Prokonsul gemeinsam mit dem damaligen Konsul Marius über die Kimbern bei Vercellae. Über diese Taten verfasste er wohl um 100 v. Chr. eine kleine Schrift, die über seine Taten berichtete (De consulatu et de rebus gestis suis)38. Es unterstreicht die Bedeutsamkeit, welche die schriftliche Selbstdarstellung bei den führenden Männern Roms erreicht hatte, dass Catulus nicht nur mit beeindruckenden Bauten, mit einem in der Schlacht der Fortuna gelobten Tempel auf dem Marsfeld, einem prächtigen Wohnhaus und einer öffentlichen Säulenhalle am Palatin, die Erinnerung an den von ihm errungenen großen Sieg bei Vercellae verewigen wollte. Als vielfältig gebildeter Philhellene, der mit eigenen lateinischen Gedichten in hellenistischem Stil hervorgetreten war39, war es für ihn naheliegend, dass er die eigenen Taten während seines Konsulats in gefälliger Weise erzählte und seine Sicht der Dinge verbreitete, nicht zuletzt 34 Livius, Periochae 69: ibique audiendo et legendo magnos viros avocabatur. Vgl. Plutarch, Marius 29,10. Von dort siedelte er nach Tralleis über, bevor er nach kaum einjähriger Abwesenheit nach Rom zurückkehrte (Valerius Maximus 4,1,13; [Aurelius Victor] De viris illustri­ bus 62,3). 35 Cicero, Pro Archia 26. 36  Cicero, Pro Balbo 50. 37  Zur Biographie: Münzer 1927; vgl. auch Scholz/Walter 2013, 70–73 (mit neuerer Literatur). 38  Umfassend zu dieser Schrift (Fragmente und Kommentar): Scholz/Walter 2013, 73–79. 39 Gellius, Noctes Atticae 19,9,14 (= FPL3 S. 95, Nr. 1); Cicero, De natura deorum 1,79 (= FPL3 S. 96, Nr. 2) mit Scholz 2011, 173 f.

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um den zahllosen Gerüchten um die Umstände vor und im Verlauf der großen Schlacht entgegenzutreten. Denn offenkundig – so zumindest meine Vermutung – bestimmte die Anhängerschaft des Marius durch Lenkung der fama, durch eingestreute Gerüchte, die öffentliche Meinung in Rom. Dass Catulus sich mit der Veröffentlichung einer autobiographischen Schrift gegen die marianische Stimmungsmache zur Wehr setzte, war eine publizistische Antwort, die seiner exklusiven Bildung angemessen war. Der Kontrast zu dem raubeinigen und wenig gebildeten militärischen Haudegen aus Arpinum lässt sich kaum größer denken: Erzogen durch seine ebenso ehrgeizige wie belesene Mutter Popilia, die mit der berühmten Cornelia, der Gracchenmutter, verglichen wurde40, gehörte Catulus gewiss zu den gelehrtesten und kultiviertesten Männern seines Standes, der mit sämtlichen literarischen Gattungen vertraut war und vielfältige enge Verbindungen zu prominenten Künstlern und Literaten seiner Zeit unterhielt – er ist mithin einem Kreis von Personen zuzurechnen, die nicht als „nach traditioneller Art“ gebildet galten. Schauspieler wie der bekannte Roscius oder Literaten wie der römischer Epiker Furius Antias oder der griechische Dichter Archias aus Antiocheia gingen bei ihm ein und aus. Dass er die autobiographische Schrift De consulatu et de rebus gestis suis dem befreundeten Dichter Furius Antias widmete, muss nicht nur als implizite Aufforderung an diesen verstanden werden, ihm ein literarisches Denkmal in Form eines Epos zu setzen41. Mit der Abfassung solcher autobiographischer Schriften demonstrierten Catulus und andere besonders gebildete nobiles den Standesgenossen, dass Männern wie Marius diese publizistische Waffe nicht zu Gebote stand. Wenden wir uns damit dem dritten und letzten Beispiel zu, der Gestalt des L. Licinius Lucullus in der historiographischen Überlieferung42: Das grundsätzliche Deutungsmuster, das Sallust in die historische Überlieferungswelt gesetzt hatte und den Optimaten in seinen historischen Werken pauschal luxuria und avaritia als entscheidende Triebkräfte ihres Handelns unterstellte und allein den Popularen virtus zubilligte, entfaltete eine langfristige Wirkung43. Auch das Urteil über Lucullus fiel entsprechend ungünstig, aber immerhin zwiespältig aus44. Lucullus dürfte seine sicherlich außergewöhnlich guten Kenntnisse der griechischen Sprache, Literatur und Philosophie45 seinen griechischen Hauslehrern und insbesondere dem langen Gastaufenthalt des gleichaltrigen Dichters Archias zu verdan40 

Scholz 2011, 175 f. Brutus 132 mit Scholz/Walter 2013, 73. 42  Zur Biographie: Keaveney 1992; Schütz 1994. 43  Bei Sallust ist die res publica bereits verloren und untergegangen; mit seiner Darstellung zieht er einen historiographischen Schlussstrich unter die Geschichte der Republik und sucht seinen Rezipienten eine abschließende moralisierende Deutung an die Hand zu geben. Den allgemeinen Niedergang schreibt er im Parteienexkurs im „Iugurthinischem Krieg“ (Sallust, De bello Iugurthino 41 f.) dem moralischen Verfall der römischen Führungsschicht zu. 44  So bescheinigt beispielsweise Velleius Paterculus in seiner Römischen Geschichte dem Lucullus im Kampf gegen Mithridates, „er habe große und denkwürdige Taten vollbracht. … Er, der sonst nur Lob verdiente und im Krieg fast unüberwindbar war, ließ sich von seiner Habgier (cupido) beherrschen“ (Historia Romana 2,33,1 f.). Über die Habgier hinaus bleibt der zweite topische Vorwurf nicht unerwähnt: „… Lucullus, ansonsten ein großartiger Mann, hat diesen verschwenderischen Luxus bei Bauten, Gastmählern und Ausstattung eingeführt. Er hatte Dämme ins Meer gebaut, Berge durchstochen, um das Meer ins Landesinnere zu leiten, und Pompeius Magnus pflegte ihn deshalb nicht ohne Witz den römischen Xerxes zu nennen“. 45  Vgl. Cicero, Ad Atticum 1,19,10, der neidvoll bemerkt, dass Lucullus in seinem Prosa41 Cicero,

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ken haben. Besuche des exilierten Vaters in griechischsprachiger Umgebung werden diese ausgezeichnete Beherrschung nur befestigt haben.

Wahrscheinlich hatte Lucullus um das Jahr 98 v. Chr. auf Sizilien seine ersten militärischen Erfahrungen gesammelt, und zwar unter L. Domitius Ahenobarbus,46 den eine enge persönliche Freundschaft mit Metellus Numidicus verband,47 der wiederum der Onkel des Lucullus und nach der Verbannung von dessen Vater sogar Ziehvater des Lucullus wurde. Sein Militärtribunat absolvierte er im Krieg gegen die Italiker48, jedenfalls in einer „Zeltgemeinschaft“ (contubernium)49 mit dem später bekannten, drei Jahre jüngeren Redner Hortensius (cos. 69 v. Chr.) und dem ein Jahr älteren Historiker L. Cornelius Sisenna (pr. 78 v. Chr.). Mit diesen beiden teilte Lucullus neben der intellektuellen Begabung die gemeinsamen vielfältigen musischen und literarisch-philosophischen Interessen. Plutarch berichtet von einer literarischen Wette zwischen den drei musisch und rhetorisch beschlagenen jungen Offizieren. Lucullus hatte angeregt, jeder solle den Kriegsverlauf in einer anderen literarischen Gattung (Prosa oder Epos, Griechisch oder Latein) darstellen.50 Mit diesem sicherlich vielen Zeitgenossen arrogant anmutenden literarischen Kräftemessen demonstrierten die drei allen Männern des Feldherrnrats ihre außergewöhnliche, ja virtuose Beherrschung der griechischen und lateinischen Sprache und Kenntnis der literarischen Tradition und unterstrichen ihre Exklusivität, ihren Anspruch, einem kleinen Kreis herausragend gebildeter Senatorensöhne zuzugehören. Im Bundesgenossenkrieg muss Lucullus seine militärischen Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, denn es gelang ihm, Sulla nachhaltig zu beeindrucken, was sicherlich nicht allein mit den gemeinsamen schöngeistigen Interessen erklärt werden kann. Lucullus stellte allerdings für Sulla auch eine wichtige Verbindung zur Familie der Caecilii Metelli dar, die sich als hilfreich erweisen konnte, als der designierte Konsul Sulla 89 v. Chr. Caecilia Metella, die Cousine des Lucullus, ehelichte und seitdem auch verwandtschaftlich mit dem Feldherrn und väterlichen Freund eng verbunden war51.

werk eigens einige Barbarismen einstreuen musste, um anzuzeigen, dass der Verfasser lateinischsprachig war. 46  Aufgrund einer Neudeutung von Cicero, Pro Archia 6. 47  Siehe den berühmten Brief bei Aulus Gellius, Noctes Atticae 15,13,6 (zusammen mit seinem Bruder Gnaeus). 48  Siehe das Elogium von Arezzo: Inscr. Ital. XIII 3, Nr. 84; Plutarch, Lucullus 2,1. Als Mili­tärtribun fungierte er wohl sowohl 90 als auch 89 v. Chr.: Keaveney 1992, 211. 49  In diesem Sinne bereits Badian 1964, 429 f., vgl. E. Rawson 1991, 368–371. 50 Plutarch, Lucullus 1,7. Zur Stelle s. den Kommentar: Münzer 1914, 196–204; Carena u. a. 1990, 274 f. Vgl. Cicero, Ad Atticum 1,19,10 = FGrH 185 T 2. Zur Abfassung einer Geschichte des Bundesgenossenkrieges passt es, dass Cicero Lucullus im Hortensius als Fürsprecher der Geschichtsschreibung auftreten lässt. Zur literarischen Bildung des Lucullus s. auch Plutarch, Lucullus 33; Cicero, Academica priora 2,4; Brutus 222. 51  Keaveney 2005, 56 f.

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Das Vertrauen in die militärischen und organisatorischen Fähigkeiten des Lucullus muss jedenfalls so groß gewesen sein, daß Sulla ihn zum Quästor für seinen Feldzug gegen Mithridates bestimmte und ihn im klugen Kalkül 87 v. Chr. nach Griechenland vorausschickte. Eben weil er militärische Befähigung mit intellektueller Begabung und gebildeter Kultiviertheit vereinte, wurde er der engste Vertraute Sullas, dessen Stellvertreter im Osten, Bürge und Aufsichtsperson über Sullas Sohn und dessen Memoiren.52 Von Sulla wurde Lucullus mit der Sonderaufgabe betraut, eine Flotte in Ägypten, Libyen und der Kyrenaika zu sammeln, um Mithridates auch zur See entgegentreten und ihn endgültig besiegen zu können. In seinen damaligen Begleitern auf der Fahrt an der levantinischen Küste spiegeln sich erneut die geistigen Ambitionen des Lucullus: Im gesamten Verlauf dieser militärisch-diplomatischen Mission ließ er den geistigen Austausch niemals ruhen: Der Akademiker Antiochos von Askalon, der gelehrte Dichter Archias von Antiocheia und weitere drei Römer, die von Cicero als „gelehrte Männer“ (docti homines) charakterisiert werden, waren damals beständig an seiner Seite53. Nicht zufällig wurde später die Villa des Lucullus in Rom mit ihrer großen Bibliothek zum Treffpunkt des intellektuellen Austausches für alle aus der griechischen Welt nach Rom kommenden Besucher54. Soweit zum frühen Werde- und Bildungsgang des Lucullus.

4. Fazit Am Ende dieser knappen Skizze seien einige Punkte nochmals besonders hervorgehoben, die mir bei der Beurteilung der Eigenheiten der Sozialisation, Erziehung und Bildung der spätrepublikanischen Führungsschicht von grundsätzlicher Bedeutung erscheinen: 1. Die drei von mir ausgewählten Persönlichkeiten stellen sicherlich Beispiele dar, in denen sich ausgeprägte literarische oder philosophische Interessen mit glänzendem militärischem Ruhm verbanden. Im Falle des Numidicus und Catulus sind es zudem Beispiele, welche eindrucksvoll belegen, wie die väterlichen Überzeugungen und Interessen von den Söhnen übernommen oder besser gesagt verinnerlicht wurden. In diesen beiden Fallbeispielen wird besonders das in 52  Darüber hinaus war er bekanntlich Quästor Sullas im Ersten Mithridatischen Krieg. Zum Klischee der militärischen Unerfahrenheit: Schütz 1994, 42. Zur mangelnden praktischen Erfahrung republikanischer Heerführer: Cicero, Pro lege Manilia de imperio Cn. Pompeii 28; Pro Fonteio 43; Sallust, De bello Iugurthino 85,12 f.; Cicero, Ad familiares 9,25,1). Cicero selbst verstärkt dieses Klischee, wenn er Lucullus in seinem Lobpreis (Pro lege Manilia 28) als rei militaris rudis bezeichnet, als er das Kommando im Dritten Mithradatischen Krieg erhält, doch dient dies nur dazu, um die Größe seiner Erfolge noch stärker zu erhöhen: Er verkehrt hier also geschickt den popularen Vorwurf in das Gegenteil. 53  Cicero, Academica Posteriora = Lucullus 11 (P. Selius, C. Selius, T. Etrilius Rogus). 54  Plutarch, Lucullus 42,1 f. (πρυτανεῖον ἑλληνικόν). Zur Bibliothek des Lucullus: Dix 2000.

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der römischen Sozialisation dominant auftretende Prinzip der „Nachahmung des väterlichen Vorbilds“ (imitatio patris) anschaulich: Die nachwachsenden Generationen bekamen das zu ihrem (erwarteten) künftigen herausgehobenen Status (als Lenker der res publica) erforderliche Herrschaftswissen vor allem durch persönliche Erfahrung und Anschauung der sozialen Praxis an der Seite einer familiären Autorität vermittelt. Daraus ergab sich geradezu zwangsläufig, dass die Familien der römischen Führungsschicht, der römischen Ritter und Senatoren, keinen einheitlichen, irgendwie institutionell geregelten Erziehungsgang kannten. Dieser war vielmehr ganz dem Belieben der Familie bzw. dem Ermessen des Vaters oder der Ersatzväter (Mütter oder Onkel) überlassen. Charakteristisch an dieser Erziehungsform ist vor allem die bekannte, besonders ausgeprägte Fürsorge und Strenge der mächtigen Väter oder „Ersatzväter“, die wiederum aus ihrem Anspruch herrührte, den Söhnen als Vor- und Leitbilder zu dienen und sie persönlich in die verschiedenen sozialen und politischen Führungsrollen eines vornehmen römischen Herrn, eines vir bonus, einzuführen. Durch die „Nachahmung ihrer Väter“ erlernte die jeweils nachfolgende Generation, sich in die Komplexität einer vita honesta, die vor allem aus der Wahrnehmung politischer Führungsaufgaben und sozialer Verpflichtungen (officia) bestand, einzufinden. Eine solche vita honesta war zugleich die für die Ritter und Senatoren lange Zeit einzig vorstellbare Lebensform, in die sie die Väter – oder auch die Onkel und Mütter als „Ersatzväter“ – sie vom ersten Gang auf das Forum über erste militärische Erfahrungen als einfacher Soldat und später Kommandeur von Reiterabteilungen bis hin zum Wahlkampf auf dem Forum auf verschiedene Formen und Stationen der Bewährung vorbereiteten. Auf diese Weise wurden ihnen ein Ethos und spezifische Muster angemessenen Verhaltens (officia) „eingepflanzt“, die sie in die Lage versetzten, die familiäre Tradition herausragender Leistungen und „Taten“ (res gestae) zugunsten der res publica fortzusetzen und ein entsprechend hohes fami­ liäres Prestige (dignitas) zu wahren und gegebenenfalls zu mehren. Weil die Söhne von Kindheit an auf ihre Rolle als vornehme Herren und Väter vorbereitet und in diese eingeführt und gewöhnt wurden, gab es in der römischen Antike auch keine Jugendzeit im Sinne einer Lebensphase mit einer eigenen Wertewelt, die von der Kindheit und vom Erwachsenenalter abgegrenzt war. 2. Gerade dadurch, dass die Söhne sich, bedingt durch das Prinzip der aristokratischen Gleichheit, überall strengen Hierarchien und verbindlichen Bewährungsproben ausgesetzt sahen, was die Möglichkeit des Scheiterns mit einschloss, vermochten sie sich im komplexen politischen Machtspiel im Senat, vor Gericht und im Krieg durchzusetzen und durch Erlangung politischer und militärischer Ehren und Ämter den familiären Ruhm zu bewahren und zu mehren. In dieser Kultur der väterlichen Fürsorge und der permanenten Bewährung in und vor der Öffentlichkeit und gegenüber den Standesgenossen unterschied sich die Sozialisation und Erziehung der römischen Senatsaristokratie fundamental von derjenigen der führenden Bürger in den griechischen Städten, die weitaus stärker in ihrem Aufwachsen von „kundigen“ Lehrkräften (sophoi), von der Unterrichtung in öf-

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fentlichen Institutionen wie dem Gymnasion und von Erziehungskonzepten und -programmen geprägt waren. 3. Charakteristisch für die römische Form des Aufwachsens ist der Umstand, dass an die nachwachsende Generation keine abstrakten Werte und Prinzipien im Sinne isolierter Einzeltugenden weitergegeben wurden. Der Zweck dieser Erziehung innerhalb der domus und durch die Familie bestand vor allem darin, ihnen eine standesgemäße Haltung, eine physische und intellektuelle Wehrhaftigkeit und Souveränität bei der Übernahme öffentlicher Herrschafts- und Führungsaufgaben zu vermitteln. Die Erziehung war darauf ausgerichtet, in der Zukunft vor allem vorzeigbare Taten und Leistungen zu vollbringen, welche die Anerkennung und das Ansehen hoben; um zu einer sozialen und politischen Autorität zu werden, musste jeder Ritter und Senator bestimmte Bewährungsstationen durchlaufen. 4. Der spätestens seit 200 v. Chr. einsetzende historische Wandel in der römischen Lebens- und Erziehungspraxis führte zu keiner grundlegenden Änderung dieses aristokratischen Habitus. Ich plädiere dafür, die seitdem zu beobachtenden Veränderungen in der römischen Lebens- und Erziehungspraxis nicht länger mit dem gängigen Verweis auf die vermeintliche ‚Hellenisierung‘ der römischen Oberschicht zu erklären, sondern besser als einen langfristigen historischen Wandlungsprozess der umfassenden ‚Intellektualisierung‘ des aristokratischen Milieus zu beschreiben. 5. Ein bedeutsames Folgephänomen davon war, dass die hellenistische „Bildung“ (paideia) und ein entsprechender ästhetisierter Lebensstil allmählich in den Alltag der römischen Oberschicht einsickerte und diesen mitbestimmte. Diese Übernahme griechischer paideia geschah allerdings im Sinne einer aktiven und damit transformativen Aneignung. 6. Auch wenn noch zu Beginn des 1. Jahrhundert v. Chr. manch ein Senator in der Öffentlichkeit gerne über die Graeculi spotten und deren vermeintlich zersetzende Wirkung auf Moral und Sitte beklagen mochte, so wurde es doch spätestens seit den 80er Jahren für die Söhne der Senatsaristokratie nach Abschluss ihrer „Lehrjahre auf dem Forum“ gleichsam obligatorisch, sich in Rom von anerkannten griechischen Lehrmeistern in Rhetorik und Philosophie unterweisen zu lassen oder auch Bildungsreisen in die Bildungsmetropolen der hellenistischen Welt zu unternehmen, vornehmlich nach Athen und Rhodos. 7. Die Metelli, Catuli und Luculli wie überhaupt die vornehmen Familien der Senatsaristokratie – sie alle suchten gleichermaßen nach praktischen und intellektuellen Bewährungsmöglichkeiten. Seit etwa 200 v. Chr. traten – mit jeder Generation in wachsendem Maße – philhellenische Kreise unter den Rittern und Senatoren hervor, welche die griechische Sprache in allen Nuancen beherrschten, griechische Kunst und Literatur schätzten und sich gleichermaßen mit Erfolg auf dem Schlachtfeld schlugen. Als solche bildeten sie innerhalb der Senatsaristokratie eine Art von intellektueller Avantgarde. Die in deren Häusern lebenden Maler, Dichter oder Gelehrten trugen wesentlich dazu bei, ein Milieu der selbstzweck­

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lichen Muße in manchem aristokratischen Haushalt zu etablieren und zu kultivieren. Dies führte maßgeblich zur Verfeinerung der Gesprächs-, Verhaltens- und Umgangsformen. Die e-ruditio, wörtlich die „Ent-rohung“, also die fortwährende Bemühung um eine gepflegte Sprache, um eine umfassende griechische Bildung, um Höflichkeit und Eleganz, bildete sich in dieser Zeit zu einer festen intellek­ tualisierten Umgangsform aus, zur humanitas, die als ein originär römisch-­ urbaner Modus aristokratischen Verhaltens bezeichnet werden kann und zu einem wichtigen Distinktionsmerkmal innerhalb der spätrepublikanischen Senatsaristokratie wurde (vir humanus). 8. Mit der Etablierung einer Praxis der humanitas wurde auch das otium, die Mußezeit, nach Möglichkeit entweder mit intensiver Lektüre oder mit eigenen literarischen Bemühungen oder wissenschaftlichen Studien ausgefüllt. Formen und Inhalte der täglichen politischen Kommunikation innerhalb der römischen Führungsschicht wandelten sich dabei grundlegend: Eine breite griechische Bildung, ja sogar eigenständig abgefasste poetische, literarische oder wissenschaftliche Hervorbringungen wurden in einem gewissen Umfang selbstverständlich. Die fortwährende Übung und Vervollkommnung des Intellekts, die Kultivierung griechischer Bildung (paideia), war also spätestens seit Beginn des 1. Jahrhundert v. Chr. zu einem festen Bestandteil der politischen Praxis geworden und die hellenistische Tradition wurde zumindest für einen Teil der führenden Gesellschaft zu einem neuen Bezugspunkt. Diese schrittweise Integration intellektueller Betätigungen in das bis dahin ganz von den praktischen officia bestimmte öffentliche Leben hatte weitreichende Folgen. Dabei sei am Ende nur noch kurz auf die beiden bedeutsamsten Phänomene verwiesen: Die Ausdifferenzierung und Etablierung verschiedener Formen geistiger Tätigkeit und ästhetischer Erfahrungen zog zwangsläufig die Ausbildung alternativer Lebenswege jenseits der Politik nach sich. Erst in der späten römischen Republik wurde es so zumindest für einzelne Mitglieder der Führungsschicht überhaupt denkbar und möglich, eine persönliche, von Tradition und Familie weitgehend emanzipierte Entscheidung für oder gegen die politische Lebensform zu treffen, erst hier verlor die vita honesta ihre unbedingte Bindungskraft. Seit dieser Zeit konnte, wenn man so will, „Politik zum Beruf“ werden, den man wählte oder ablehnte.

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Zwischen Gelehrsamkeit und Angleichung an Gott Bildung in der spätantiken Philosophie

Matthias Becker* Benötigt ein Philosoph Bildung im Sinne theoretischer Kenntnisse auf verschiedenen Wissensgebieten? Dass die Akkumulation von Wissen und die Fähigkeit, vernünftig zu denken, nicht notwendigerweise in einem Bedingungsverhältnis zueinander stehen, wusste jedenfalls bereits der Vorsokratiker Heraklit kritisch anzumerken, von dem der pointierte Ausspruch überliefert ist: „Vielwisserei lehrt nicht Vernunft“ (πολυμαθίη νόον οὐ διδάσκει).1 So mag es nicht wundernehmen, dass die aufgeworfene Frage in der griechisch-römischen Antike unterschiedlich problematisiert und beantwortet worden ist, je nachdem, wie die verschiedenen Philosophenschulen das Proprium und Telos des Philosophierens definierten. Die Kyniker, einige Stoiker und Epikur lehnten jene höhere Allgemeinbildung als unbrauchbar ab, die seit hellenistischer Zeit unter der Bezeichnung ἐγκύκλιος παιδεία firmierte, der im Lateinischen die sogenannten artes liberales entsprechen. Der Grund für die Ablehnung bestand im Wesentlichen darin, dass die genannten Schulen insgesamt die praktische Ethik und ein tugendhaftes Leben (κατ’ ἀρετὴν ζῆν) ins Zentrum ihrer Philosophie stellten. Da sie die Möglichkeit von Wissen überhaupt in Zweifel zogen, polemisierten auch die Skeptiker gegen die nicht-philosophische Allgemeinbildung, die in der frühen Kaiserzeit die Ausbildung in Grammatik, Literatur, Musiktheorie, Geometrie und Logik umfasste2 und als Fundament einer Fachbildung z. B. in Rhetorik, Philosophie oder Architektur fungierte.3 Nach Ansicht dieser bildungskritischen Strömungen konnte ein *  Der Beitrag entstand im Rahmen des Teilprojekts D 02 „Religion im Diskurs der Gebildeten: Der Evangelist Lukas und der Redner Dion von Prusa“ des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion“ an der Universität Göttingen. Alle Übersetzungen altsprachlicher Zitate in diesem Beitrag stammen von mir. 1  Zitiert nach Diogenes Laertios, Vitae philosophorum 9,1 (= Heraklit, Fragment 22 B 40 Diels-Kranz). 2 Quintilian, Institutio oratoria 1,10,1–49; Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 88,2–19. 3 Quintilian, Institutio oratoria 1,10,1 (Rhetorik); Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 88,20 (Philosophie/Tugendhaftigkeit); Pseudo-Plutarch, De liberis educandis 7c (Philosophie), Vitruv, De architectura 6 prooem. 4 (Architektur). Einen ausführlichen Überblick über die griechisch-römische ἐγκύκλιος παιδεία bieten Kühnert 1961, 3–70; Fuchs 1962; Morgan 1998, 33–39.50–89; Lausberg 42008, 25–35.

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Ungebildeter durchaus ein guter Philosoph werden, weil offensichtlich scharf differenziert wurde zwischen einer auf Wissenserwerb und bibliophile Gelehrsamkeit zielenden Bildung und der von Philosophen zu erlangenden Weisheit. Der römische Stoiker Seneca bringt in seinem 88. Brief an Lucilius diesen Grundgedanken prägnant auf den Punkt: „Warum sollte ich meinen, dass derjenige nicht weise sein werde, der Buchstaben nicht kennt, da doch die Weisheit nicht in Buchstaben liegt?“4 Eine diametral entgegengesetzte Einschätzung der Signifikanz von Allgemeinbildung und Gelehrsamkeit für das Studium und die Praxis der Philosophie nahmen die Platoniker vor, die in der Geschichte philosophischer Bildungsfeindlichkeit keinen Platz haben – und dies, obwohl Sokrates, die zentrale Referenzfigur des Platonismus, in der Antike nicht gerade die Reputation eines kultivierten oder gar hoch gelehrten Philosophen genoss.5 In der Spätantike, deren Epochengrenzen in der aktuellen Forschung zusehends fluider werden und die allein aus pragmatischen Gründen hier als der Zeit- und Denkraum zwischen dem dritten und siebten Jahrhundert n. Chr. verstanden werden soll,6 war die sich von Platon herleitende Philosophie die einzige noch aktiv bestehende philosophische Hairesis im Römischen Reich. Geographisch in verschiedene Schulzirkel versprengt und geprägt durch interne Heterogenität, die sich in Lehrmeinungsvielfalt und in einer Konkurrenz um innerplatonische Orthodoxie äußerte,7 setzte sich der sogenannte Neuplatonismus als die herrschende philosophische Strömung durch und entfaltete eine weitreichende intellektuelle Prägekraft in spätantiken Religionsund Bildungsdiskursen. Nachdem der organisierte Unterricht in stoischer, peripatetischer und epikureischer Philosophie im späten zweiten Jahrhundert n. Chr. 4 Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 88,32: Quid est autem quare existimem non fu­ turum sapientem eum qui litteras nescit, cum sapientia non sit in litteris? Zur Bildungskritik hellenistisch-kaiserzeitlicher Philosophenschulen siehe Cicero, De finibus bonorum et ma­ lorum 1,71 f.; Epikur, Fragment 227 Usener; Epiktet, Dissertationes 1,4,5–12; Diogenes Laertios, Vitae philosophorum 2,71; 2,79; 6,27 f.; 6,73; 6,103 f.; 7,32; Kühnert 1961, 76–78.99–111; Stückelberger 1965, 31–39. 5  Vgl. hierzu z. B. das Referat des neuplatonischen Universalgelehrten Porphyrios über den Bildungsgrad des Sokrates: „Er [sc. Sokrates] sei zwar für nichts untalentiert gewesen, doch in jeder Hinsicht schlichtweg ungebildet (πρὸς οὐδὲν μὲν ἀφυῆ, ἀπαίδευτον δὲ περὶ πάντα, ὡς ἁπλῶς εἰπεῖν). Denn er habe fast noch nicht einmal schulische Elementarkenntnisse gehabt (σχεδὸν γὰρ οὐδὲ γράμματα πάνυ τι ἐπίστασθαι). Vielmehr sei er lächerlich gewesen, wann immer er etwas schreiben oder lesen musste, da er stotterte wie die Kinder“ (Porphyrios, Historia philosophica Fragment 214F. Smith); vgl. dazu Johnson 2013, 41. Zu Sokrates als Sohn eines Bildhauers sowie zu dessen (angeblicher) Tätigkeit als Bildhauer siehe Porphyrios, Historia philosophica Fragment 212F.–213F. Smith; Becker 2016a, 23. 6  Einen Überblick über aktuelle Forschungstendenzen, darunter die Diskussion um das Konzept eines den Islam mitberücksichtigenden „First Millennium“ (Begriff nach Garth Fowden), vermittelt Meier 2017. Zur Spätantike als „Denkraum“ siehe insbesondere Schmidt/ Schmid/Neuwirth 2016. 7  Becker 2015, 25–31, hier 29 Anm. 26 (Philosophenschulen als konkurrierende Textgemeinschaften); O’Meara 2017. Auf innerplatonische Polemiken kann im Rahmen dieses Beitrags nicht näher eingegangen werden.

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sein Ende erreicht hatte,8 gab es auch weiterhin offizielle platonische Schulzirkel in verschiedenen Städten des Imperiums, und zwar überwiegend im Osten, die im Falle Athens bis ins frühe sechste und im Falle Alexandrias bis ins frühe siebte Jahrhundert n. Chr. bestanden.9 Neben diesen beiden traditionsreichen Wissenschaftsstädten, die man als „,Oxbridge‘ in der ausgehenden Spätantike“10 bezeichnet hat, sind vor allem für das dritte und vierte Jahrhundert n. Chr. auch die Schulen in Rom, Ephesus, Pergamon, Sardes und Apameia von großer Relevanz.11 Im ersten Teil dieses Beitrags möchte ich zunächst auf eine kursorische und nicht dem historischen Detail verhaftete Weise einen Überblick über Kontexte, Unterrichtsmethoden und Bildungsinhalte der neuplatonischen Schulen geben, der im Wesentlichen intendiert, dem holistischen Bildungsideal der Neuplatoniker nachzuspüren. Im zweiten Teil möchte ich versuchen, aus den Quellen heraus zu eruieren, welche Antwort die Platoniker der Spätantike auf die Frage „Was ist Bildung in der Vormoderne?“ im Sinne einer Wesensbeschreibung zu geben vermögen. Die T hese, die ich dabei anhand des Textbefunds aufstellen möchte, lautet: Bildung ist in der spätantiken platonischen Philosophie auf das Engste mit Religion verquickt, und zwar deswegen, weil in ihr vorgegebene Bildungsansprüche, tradierte Unterrichtsinhalte und eine praktizierte Religiosität zu dem Zweck verschmelzen, das von Platon formulierte Ziel der Philosophie zu erreichen, welches in der Angleichung an Gott besteht.

1. Der Facettenreichtum von Bildung im spätantiken Platonismus 1.1 Allgemeinbildung Die Allgemeinbildung war den spätantiken platonischen Philosophen auf sehr grundsätzliche Weise vorgegeben. Denn seit Sokrates in Platons Politeia die Eigenschaften des wahren Philosophen sowie die Ausbildung des Philosophenkönigs detailliert entfaltet hatte, ist das Streben nach dem Wahren, Guten und Schönen in den Kontext einer umfassenden Bildung eingebettet, die nach Pla  8 

Hadot 2003, 49.54. 2011, 117. Ähnlich, wie es bereits in Hellenismus und Kaiserzeit zu geographischen Verlagerungen und institutionellen Umbrüchen sowie Neugründungen der Akademie Platons gekommen war (Männlein-Robert 2001, 187–188), bedeutet auch deren offizielle Schließung in Athen 529 n. Chr. unter Kaiser Justinian I. nicht, dass die pagane platonische Philosophie in Athen zu einem abrupten Ende gekommen wäre (Vinzent 2000, 56–57). Zum Fortbestand des Neuplatonismus in Alexandria nach der Schließung der Athener Akademie siehe Vinzent 2000, 75 f. 10  Vinzent 2000, 49; siehe auch a. a. O. 52. 11  Zur geographischen Verteilung der platonischen Philosophenzirkel in der Spätantike siehe ausführlich Fowden 1982, 38–48; Becker 2016b, 48–51. Von herausstechender Bedeutung waren dabei ohne Zweifel die Schulen von Athen und Alexandria (Vinzent 2000).   9  Dzielska

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tons Magnum Opus über den Staat die Wissensgebiete der Zahlenkunde, Geometrie, Astronomie und Dialektik umfasst.12 Einem späten Zeugnis des Johannes Tzetzes aus dem zwölften Jahrhundert n. Chr. zufolge sei Porphyrios es gewesen, der im dritten Jahrhundert n. Chr. in seiner Φιλόσοφος ἱστορία einen „Kreis“ (κύκλος) von sieben „Wissenschaften“ (μαθήματα) dargestellt habe, der sich aus dem übergeordneten Dreierkanon „Grammatik, Rhetorik, Philosophie“ und dem untergeordneten Viererkanon „Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie“ zusammengesetzt habe.13 Porphyrios ist damit im Rahmen der griechischen Literaturgeschichte der erste, der die hier umschriebene ἐγκύκλιος παιδεία explizit als einen „Kreis“ der Wissenschaften verstand,14 den er in den Fragmenten seiner Philosophiegeschichte offensichtlich im Sinne eines Ausbildungsprogramms für Philosophen thematisiert haben dürfte. Mit diesen sieben Wissenschaften, die sich um einige andere erweitern ließen,15 ist das breite Spektrum der angestrebten παιδεία ebenso illustriert wie der Präliminarcharakter all jener Studien, die im Curriculum der eigentlichen Philosophie vorausgingen. Von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit wurde dabei für den spätantiken Platonismus die literarische und rhetorische Bildung, da er seine Wissensbestände vornehmlich sowohl aus der Rezeption autoritativer Texte – in Form von Lesen, Memorieren, Zitieren, Kommentieren, Allegorisieren, Exegetisieren und Interpretieren – als auch aus der Produktion Autorität beanspruchender Texte gewann. Die Lektürelisten, die sich etwa bei dem Philosophenkaiser Julian oder bei T hemistios finden und die teils inhaltliche Überschneidungen zum klassischen Lektüreprogramm der griechischen Schulbildung, teils zur stilprägenden Pflichtlektüre antiker Rhetorikschulen aufweisen,16 umfassen epische Autoren wie Homer und Hesiod, deren zentrale Bedeutung auch Jamblich bei seiner Präsentation der pyRes publica 522c–541b. Historia philosophica 224F. Z. 6–14 Smith. Zur Allgemeinbildung bei den Neuplatonikern siehe auch Hadot 2003, 55–62. 14  Kühnert 1961, 12 f.; Fuchs 1962, 372–375. Dieselbe Worterklärung findet sich in der lateinischen Literatur bereits bei Quintilian, Institutio oratoria 1,10,1: orbis ille doctrinae, quem Graeci ἐγκύκλιον παιδείαν vocant. 15  Porphyrios schreibt Plotin neben theoretischen Kenntnissen in Geometrie, Arithmetik und Musik noch solche in Mechanik und Optik zu (Porphyrios, Vita Plotini 14,7–10). Medizinische Kenntnisse zählten schwerpunktmäßig im vierten und fünften Jahrhundert n. Chr. zu den Interessensgebieten platonisch geprägter Gebildeter (Stenger 2009, 54–69; Becker 2013, 519–535). Ein Studium der lateinischen Rechtswissenschaften ist für Proklos bezeugt (Marinos, Vita Procli 8,19–25). 16  Zu den von Rhetorikschülern zu lesenden Autoren siehe z. B. für die Kaiserzeit Quintilian, Institutio oratoria Buch 10 (passim) sowie Dion Chrysostomos, Oratio 18,1–21. Sophisten der Spätantike bieten Lektürelisten, die mit jenen ihrer philosophischen Zeitgenossen vergleichbar sind: Libanios empfiehlt Homer, Hesiod, Demosthenes, Lysias, Herodot und T hukydides (Libanios, Epistula 1036,4 f.; 1296), während Himerios folgende Autoren nennt: Homer, Anakreon, Alkaios, Simonides, Bakchylides, Stesichoros, Pindar und Sappho (Himerios, Oratio 27, Z. 26–47; 28,2; 47,1; 60,2 Colonna). Zu diesem literarischen Bildungskanon siehe Stenger 2009, 28.41 f.75.96; Becker 2013, 304; Schramm 2013, 197. 12 Platon,

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thagoreischen Paideia hervorhebt,17 sodann Komödien- und Tragödiendichter wie Menander, Euripides und Sophokles, Dichterinnen und Dichter wie Sappho und Pindar, Redner wie Demosthenes, Isokrates und Lysias sowie Historiker wie Herodot und T hukydides.18 Für eine Philosophie, die sich als genuin hellenische Philosophie verstand, repräsentierte diese Literatur nicht nur den Gipfel des literarischen Schaffens der Griechen. Sie galt ihr vielmehr auch als eine Art Konservierungsmittel zur Erhaltung überlieferter kultureller sowie pagan-religiöser Identitätselemente.19 1.2  Philosophische Fachbildung: Telos und Curriculum der Philosophie Was nun die philosophischen Fachstudien der spätantiken Platoniker angeht, so waren diese insgesamt ausgerichtet auf das von Platon vorgegebene Ziel der „Angleichung an Gott nach Möglichkeit“ (ὁμοίωσις θεῷ κατὰ δυνατόν).20 Für Platon selbst ging es hierbei um das zur Erlangung dauerhafter Glückseligkeit unerlässliche Bestreben, durch Gerechtigkeit, Tugend, Erkenntnis der Ideen, Besonnenheit und Frömmigkeit eine Wegwendung der mit dem Göttlichen verwandten unsterblichen Seele vom körperlichen Diesseits hin zum geistigen Jenseits zu vollziehen.21 Im locus classicus dieser Telosbestimmung beschreibt Platon die „Angleichung an Gott nach Möglichkeit“ unter ethischen Vorzeichen konkret als ein „Fliehen von hier nach dort“ (ἐνθένδε ἐκεῖσε φεύγειν), das sich sukzessive nur in der philosophischen Lebensweise verwirklicht, und zwar dadurch, dass man „gerecht und fromm mit Einsicht wird“ (δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι).22 In der Spätantike wurden die Mittel zur Erreichung dieses Telos in zweifacher Hinsicht ausdifferenziert, nämlich erstens durch eine variantenreich De vita Pythagorica 111; 164, wo jeweils die Verwendung von Homer- und Hesiodversen bei der Musiktherapie der Pythagoreer thematisiert wird. 18  T hemistios, Oratio 4,60a–c; 20,235c–236c (Schule des Eugenios); Julian, Epistula 8; 61c,423a; 89b,300c–302a (Lektüre für pagane Priester). Vor dem Hintergrund derartiger Autorenlisten ist auch die Aussage bei Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 6,75 über die Philosophin Sosipatra zu verstehen, wonach diese „die Bücher der Dichter, Philosophen und Redner auswendig konnte“ (τά τε τῶν ποιητῶν βιβλία διὰ στόματος εἶχε καὶ φιλοσόφων καὶ ῥητόρων). Der Text des Eunapios wird zitiert nach Goulet 2014. 19  Vgl. dazu Stenger 2009, 95–110 sowie Julian, Epistula 61c, wo Julian ausdrücklich Bezug auf die Christen nimmt und argumentiert, dass pagane Religiosität Voraussetzung dafür sei, griechische Klassiker unterrichten zu können, da deren Werke zahlreiche theologische Aussagen enthielten. 20  Dieses Telos ist bei den Neuplatonikern omnipräsent; siehe dazu Plotin, Enneaden 1,2,1[3–6]; Porphyrios, De abstinentia 2,34; Porphyrios, Ad Marcellam 16 Des Places; Marinos, Vita Procli 18,8 f.; Männlein-Robert 2013. Der Text des Marinos wird zitiert nach Saffrey/Segonds 2002. 21  Roloff 1970, 198–206. 22 Platon, T heaetetus 176a–b: διὸ καὶ πειρᾶσθαι χρὴ ἐνθένδε ἐκεῖσε φεύγειν ὅτι τάχιστα. φυγὴ δὲ ὁμοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν· ὁμοίωσις δὲ δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι. Zur ὁμοίωσις θεῷ bei Platon siehe außerdem Res publica 613ab; Timaeus 90d; Leges 716ab; Männlein-Robert 2013, 99 f. 17 Jamblich,

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ausgeprägte, hier nicht zu diskutierende Hierarchisierung von Tugenden, die als eine Art Stufenleiter zum Vollzug der assimilatio Deo verstanden wurden,23 und zweitens durch einen verstärkten Fokus auf Askese und verschiedene Frömmigkeitspraktiken, welche die Loslösung vom Materiellen und die Hinwendung zum Intelligiblen unterstützen sollten. Spätestens seit dem 28. Kapitel eines von Alkinoos im zweiten Jahrhundert n. Chr. verfassten Handbuchs der platonischen Philosophie (Didaskalikos) nahmen die Philosophen dabei die lehrmäßige Wissensvermittlung als eine entscheidende Voraussetzung für die Vergöttlichung des Einzelnen wahr. Alkinoos zählt im 28. Kapitel, nachdem er zunächst die ὁμοίωσις θεῷ zum Ziel des platonischen Philosophierens erhoben hat, eine Reihe von Erfordernissen auf, die zur Erlangung des Ziels unabdingbar seien: Neben einer „geeigneten“ menschlichen „Natur“ (φύσις) sowie „Gewohnheit“ (ἔθη), der richtigen „Lebensweise“ (ἀγωγή) und „Übung“ (ἄσκησις), werde man gottgleich „vor allem durch den Gebrauch seiner Vernunft und durch die Lehre und die Weitergabe der T heoreme (τὸ κυριώτατον λόγῳ καὶ διδασκαλίᾳ καὶ θεωρημάτων παραδόσει), mit der Folge, dass man zwar häufig den menschlichen Angelegenheiten enthoben wird, aber immer beim Intelligiblen ist (ἀεὶ δὲ εἶναι πρὸς τοῖς νοητοῖς).“24 Die philosophischen Lektionen werden im unmittelbaren Folgekontext als die „wichtigeren Wissensgegenstände“ (μείζονα μαθήματα) bezeichnet, auf welche die Fächer der „Musik“, „Arithmetik“, „Astronomie“, „Geometrie“ und „Gymnastik“ die Seele und den Körper zuallererst vorbereiten.25 Pointiert formuliert, entwirft Alkinoos hier den philosophischen Lehr- und Lernbetrieb als den alleinigen Ort, an dem die assimilatio Deo stattfinden kann. Dies bringt zwangsläufig eine elitäre und letztlich exklusive Überzeugung mit sich, die für den gesamten spätantiken Platonismus charakteristisch ist: Die ὁμοίωσις θεῷ war ein Privileg der philosophisch umfassend Gebildeten.26 Wegen der hohen Bildungsanforderungen dürften die Philosophenzirkel, die in verschiedenen Städten des römischen Ostens von Lehrern wie z. B. Jamblich (Apameia am Orontes), Aidesios (Pergamon), Sosipatra (Pergamon), Maximus (Ephesus), Chrysanthios (Sardes) oder Proklos (Athen) gegründet oder geleitet wurden, nicht allzu groß gewesen sein, zumal sie überwiegend privat organisiert waren.27 Die Schule Plotins, die in Rom und damit im Westen des Imperium 23  Einen ausführlichen Überblick über die neuplatonische scala virtutum mit den einschlägigen Textbelegen bieten Saffrey/Segonds 2002, LXIX–C und Linguiti 2013. Zur Rolle dieser Lehre von den Tugendgraden in der spätantiken Philosophenbiographik siehe Becker 2016c, bes. 221–226. 24 Alkinoos, Didascalicus 28[182,2–8], p. 57 Whittaker/Louis: Ἐφικοίμεθα δ’ ἂν τοῦ γενέσθαι ὅμοιοι θεῷ φύσει τε χρησάμενοι τῇ προσηκούσῃ, ἔθεσί τε καὶ ἀγωγῇ καὶ ἀσκήσει τῇ κατὰ νόμον, καὶ τὸ κυριώτατον λόγῳ καὶ διδασκαλίᾳ καὶ θεωρημάτων παραδόσει, ὥστε ἐξίστασθαι μὲν τὰ πολλὰ τῶν ἀνθρωπίνων πραγμάτων, ἀεὶ δὲ εἶναι πρὸς τοῖς νοητοῖς; siehe dazu Dillon 1993, 174–176. 25 Alkinoos, Didascalicus 28[182,8–14], p. 57 Whittaker/Louis. 26  Vgl. Hadot 2003, 52.69; Pietzner 2013, 294 Anm. 100. 27  Einen Einblick in die Zirkel aller Genannten bieten die Vitae philosophorum et so­

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Romanum im dritten Jahrhundert n. Chr. bestand, blieb eine geographische Ausnahme.28 Zunächst ist für alle hier in Rede stehenden Schulen eines charakteristisch: Schüler entschlossen sich zu einer mehrjährigen Bindung an einen Lehrer, die in gewisser Weise einen Ersatzfamiliencharakter hatte, insofern nämlich das Lehrer-Schüler-Verhältnis als eine didaktische Eltern-Kind-Beziehung verstanden werden konnte29 und man nach Art einer vita communis den Alltag zusammen verbrachte. Der Schülerkreis umfasste dabei meistens ein junges männliches Fachpublikum. Jedoch berichten die Quellen auch von interessierten Laien30 sowie von Frauen, die Philosophie studiert haben und im Falle der Sosipatra oder auch der Hypatia eigene Philosophenschulen leiteten.31 Der philosophische Unterricht, der auch im Westen des Reiches auf Griechisch abgehalten wurde, fand in der Spätantike überwiegend in Privathäusern statt, entweder in jenen, die wie im Falle der Plotin-Schule von Mäzenen oder Förderern zur Verfügung gestellt wurden, oder aber in den eigenen Häusern der Lehrer selbst, die, wie sich an Plutarch, Syrian und Proklos beobachten lässt, nach dem Tod des Vorgängers im Amt des Schuloberhaupts vom jeweiligen Nachfolger übernommen wurden.32 Wie sah nun der Unterricht selbst aus und was waren seine zentralen Inhalte? Generell war der theoretische Philosophieunterricht seit T heon von Smyrna und Alkinoos in vier Bereiche eingeteilt, nämlich in Logik, Ethik, Physik und Epoptik beziehungsweise T heologie.33 Aus verstreuten Nachrichten ist zu erschließen, dass philosophische Primärtexte des Schulgründers Platon den Gipfel der Unterweisung markierten, dessen Geburtstag zusammen mit dem des Sokrates bis weit hinein in das fünfte Jahrhundert n. Chr. in Schulkontexten feierlich mit Opfern und intellektuellen Darbietungen begangen wurde.34 Auch die Schriften des Aristoteles und einiger stoischer Philosophen wie Zenon, Chrysipp oder Epiktet wurden gelesen, letzterer vor allem im Anfängerunterricht zum Zweck eines phistarum des Eunapios (Becker 2013; Goulet 2014) sowie die Vita Procli des Marinos (Saffrey/Segonds 2002); dazu Hartmann 2018, 118–245.497–920. Lamberton 2001 analysiert die rekonstruierbaren Strukturen und Unterrichtsinhalte neuplatonischer Schulen im Spiegel der spätantiken Philosophenbiographien. 28  Zur Gruppenstruktur und dem Studienprogramm der Schule Plotins siehe ausführlich Pietzner 2013, 279–323, die Plotins Schule mit jener des christlichen Platonikers Origenes in Caesarea vergleicht, sowie Hartmann 2018, 385–433. 29  Siehe z. B. Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 6,86 (Sosipatra-Maximus); 7,12 (Julian-Aidesios); 23,1 (Eunapios-Chrysanthios); 23,34 (Eunapios-Chrysanthios); ­Marinos, Vita Procli 8,8–10; 12,15–18; 29,33–35. 30  Für Plotins Schule sind hier ein Maler, Senatoren, Ärzte, Grundbesitzer und Dichter zu nennen; siehe Porphyrios, Vita Plotini 2,15–31; 7,1–51; Pietzner 2013, 286 f. 31  Hartmann 2006; Tanaseanu-Döbler 2013b; Watts 2017; Hartmann 2018, 1309–1361. 32 Porphyrios, Vita Plotini 9,1–2; Marinos, Vita Procli 29,32–35. 33  Hadot 2003, 54; Reis 2007, 107. Zum Ablauf des Philosophieunterrichts und seiner Inhalte in Kaiserzeit und Spätantike siehe insgesamt Hadot 2003, 62–70; Hartmann 2018, 1112–1213. 34 Porphyrios, Vita Plotini 2,40–43; 15,1–6; Marinos, Vita Procli 23,16 f.

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ethischen Propädeutikums.35 Zwar war Platon der mit Abstand wichtigste Autor, dessen D ­ ialoge im Neuplatonismus einen autoritativen Stellenwert erlangten, der dem von ,heiligen Texten‘ nahekommt.36 Doch ist insgesamt in der spätantiken Philosophie eine Tendenz zur Harmonisierung Platons und Aristoteles’ festzustellen, und auch Stoisches wurde in die platonische Philosophie integriert. Die insgesamt 36 Schriften des Corpus Platonicum waren in der frühen Kaiserzeit von T hrasyllos in neun Vierergruppen (Tetralogien) eingeteilt worden.37 Dahinter stand nicht nur ein Bestreben, Platons Texte in ein Früh- und Spätwerk einzuteilen, sondern auch das rudimentäre pädagogische Interesse, anhand einer Ordnung von Platons Dialogen philosophische Wissensinhalte in gestuft-aufsteigender Reihenfolge zu vermitteln. Die Einteilung des platonischen Oeuvres konnte in der Spätantike allerdings variieren: So hat Jamblich z. B. eine Einteilung der aus seiner Sicht zwölf wichtigsten platonischen Dialoge in zwei Zyklen etabliert, die er auf seine Lehre von den Tugendgraden abstimmte und inhaltlich nach den praktischen (Ethik, Ökonomik, Politik), theoretischen, physischen und theologischen Wissenschaften ordnete.38 Hier ist klar die Intention erkennbar, in der Seele durch die Aneignung bestimmter Wissensinhalte bestimmte philosophische Tugenden stufenweise herauszubilden. Unabhängig von spezifischen Curricula hatten in der Spätantike die folgenden 14 platonischen Dialoge die größte Bedeutung: Der Erste Alkibiades, Phaidon, Politeia, Timaios, Phaidros, Gorgias, Symposion, Kratylos, T heaitetos, Politikos, Sophistes, Philebos, Parmenides und Nomoi.39 Zusätzlich zu den philosophischen Primärtexten wurden im Schulunterricht auch platonische und aristotelische „Kommentare“ (ὑπομνήματα) studiert, die dann vom jeweiligen Lehrer in Vorträgen oder Vorlesungen kommentiert wurden. In Plotins Zirkel wurden z. B. Kommentare von Platonikern und Pythagoreern wie Severus, Kronios, Numenios, Gaius und Atticus oder auch von Peripatetikern wie Aspasios von Aphrodisias und Alexander von Aphrodisias gelesen. Nach der Rezitation des jeweiligen Textes gab Plotin seine eigene Interpretation des jeweiligen philosophischen Sachverhalts und stand für Fragen von Schülern bereit.40 Die reiche Zahl an spätantiken Kommentaren zu Platon, Aristoteles oder auch Epiktet aus der Feder eines Longin, Porphyrios, Proklos oder Simplikios führt zweierlei vor Augen: Philosophen waren einerseits um die Aneignung des philosophischen Erbes bemüht und erweiterten andererseits durch ihre eigene literarische Auslegungsarbeit die Vielfalt des Lektürepensums in Philosophenzirkeln. 2003, 61–62. Zur Lektüre stoischer Philosophen siehe T hemistios, Oratio 20,235c; Julian, Epistula 89b,300d–301a; Schramm 2013, 392 mit Anm. 255. 36  Erler 2016, 69–80. Zur Geschichte der antiken Platon-Exegese vom ersten Jahrhundert v. Chr. bis zum sechsten Jahrhundert n. Chr. siehe Neschke-Hentschke 2010. 37  Diogenes Laertios, Vitae philosophorum 3,56–61. Zur Rolle der Schriften Platons sowie zu deren variierenden Einteilungen im Schulunterricht der Neuplatoniker siehe ausführlich Tarrant 2014. 38 O’Meara 2003, 62–65; Reis 2007, 99 f.; Radke-Uhlmann 2010, 129–132. 39  Tarrant 2014, 19 f. 40 Porphyrios, Vita Plotini 14,10–25. 35 O’Meara

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Zur philosophischen παιδεία gehörte auch religiös-theologisches Wissen41 sowie im Laufe der Spätantike verstärkt eine individuelle religiöse Praxis der Philosophen. Die θεολογία, ein Wort, das bekanntlich im Rahmen der griechischen Literatur erstmals bei Platon belegt ist, bildete den sachlichen Höhepunkt der Studien und war dem philosophischen Curriculum schon durch die Primärtexte Platons vorgegeben, und zwar hauptsächlich durch die Politeia, den Timaios, den Phaidon, die Apologie oder die Nomoi.42 Platons theologische Überzeugungen wurden dabei verschiedentlich ausdifferenziert und weiterentwickelt zu mithin sehr komplexen Systemen von Götterhierarchien, wie sie etwa in der Schrift des Salustios Über die Götter und die Welt (De dis et mundo) oder in der Elementatio theologica des Proklos oder auch seiner T heologia Platonica anzutreffen sind. Allerdings waren in der Spätantike auch andere Quellentexte theologischen Wissens zentral, nämlich vorwiegend die homerischen Epen, aus denen man mithilfe einer allegorischen Deutung Aspekte einer philosophischen T heologie herausdestillierte,43 sowie Kompilationen von Orakelsprüchen wie etwa die Chaldäischen Orakel. In den Sammlungen, Interpretationen und Kommentierungen paganer Götter­sprüche, wie sie etwa in der Schrift des Porphyrios Über die aus Orakelsprüchen abzulei­ tende Philosophie (De philosophia ex oraculis haurienda) vorliegen, wurde dem Reden der traditionellen Götter nicht zuletzt auch ein Forum in einer zunehmend christlichen Welt geboten.44 Zusätzlich zur theologischen Arbeit an quasi-heiligen Texten praktizierten viele Platoniker in der Spätantike auch theurgische Riten.45 Die T heurgie als ritueller Versuch, sich mit dem Göttlichen zu vereinen, wurde dabei von manchen Autoren ausdrücklich der philosophischen παιδεία zugerechnet.46 T hemen wie das Gebet wurden von Philosophen wie z. B. Jamblich oder Proklos ebenso zum Gegenstand ihres philosophischen Schaffens gemacht wie die Frage, welche Signifikanz Götterbilder für die Religionspraxis philosophisch Gebildeter haben können und haben sollen. Hier wäre etwa die Schrift des Porphyrios Über Götterbilder (De simulacris) anzuführen, die ein leidenschaftliches Plädoyer für die Berechtigung dieser religiösen Artefakte vorträgt.47

41 

Tanaseanu-Döbler 2012; Hartmann 2018, 1362–1381. Zu Platons T heologie siehe Bordt 2006; Männlein-Robert 2010. 43  Lamberton 1986. Ein Beispiel für die philosophische Homer-Allegorese ist Porphyrios’ Schrift De antro nympharum. 44  Zu theologischen Orakeln im Neuplatonismus und dessen Umfeld siehe Seng/Sfameni Gasparro 2016. 45  Tanaseanu-Döbler 2013a; Hartmann 2018, 1381–1396. 46  Zu nennen ist hier Eunapios, der Porphyrios theurgische Kompetenzen beilegt und diese als ein Element von dessen umfassender παιδεία deutet (Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 4,14 f.; Tanaseanu-Döbler 2013a, 152–154). 47  Männlein-Robert 2017b. Einen Sonderfall religiöser Bildung bei den spätantiken Philosophen, der hier nicht eingehender behandelt werden kann, stellt die Ausbildung paganer Priester dar, wie sie Julian imaginiert (Julian, Epistula 89b,300c–304d); siehe dazu Becker 2013, 545; Schramm 2013, 383–396. 42 

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Eine Präsentation der vielfältigen philosophischen παιδεία in der spätantiken platonischen Philosophie wäre nicht vollständig ohne einen zumindest ausschnittsweisen Einblick in die pythagoreische παιδεία, die Jamblich in seinem Werk Über die pythagoreische Lebensweise (De vita Pythagorica) in einem langen thematischen Block erläutert.48 Es handelt sich hierbei um ein teils aus Quellen schöpfendes, teils mit eigenen Ingredienzien versehenes Modell des philosophischen Lernens und Lebens. Dieses beschreibt Jamblich zwar am konkreten Beispiel des Vorsokratikers Pythagoras und am Vorbild phythagoreischer Kreise. Jedoch ist offensichtlich, dass er damit weniger historische als vielmehr idealtypisch-programmatische Interessen auch für seine eigene Schule verfolgt.49 Als ultimatives Ziel der pythagoreischen παιδεία bezeichnet Jamblich die „Weisheit“. Diese wird definiert als […] ein wirkliches Wissen, das zu tun hat mit dem Schönen, Ersten, Göttlichen, Unvermischten und mit dem, was sich stets in demselben Zustand befindet. Durch Teilhabe daran könnte man auch die anderen Dinge als schön bezeichnen. Die Philosophie aber ist das Streben nach einer derartigen Schau. Schön war daher auch diese sorgfältige Bemühung um Erziehung (παιδεία), die für ihn mit darauf ausgerichtet war, die Menschen zurechtzubringen (πρὸς τὴν τῶν ἀνθρώπων ἐπανόρθωσιν).50

Diese Definition vereint das Wesen der Philosophie als geistiger Schau der göttlichen Seinswirklichkeit mit dem Gedanken einer „ethische[n] Vervollkommnung des Menschen“51, die sich in dem Wort ἐπανόρθωσις ausdrückt. Abermals findet sich hier also eine platonische Bildungsintention, wonach die theoretische Wissensvermittlung im Schulkontext mit der Herausbildung von Tugenden einhergehen soll, Tugenden wohlgemerkt, wie Pythagoras selbst sie verwirklicht habe, wobei Jamblich hier konkret die „Frömmigkeit“ (εὐσέβεια), die „Weisheit“ (σοφία), die „Gerechtigkeit“ (δικαιοσύνη), die „Besonnenheit“ (σωφροσύνη), die „Tapferkeit“ (ἀνδρεία) und die „Freundesliebe“ (φιλία) im Blick hat.52 Am Anfang der pythagoreischen παιδεία stehen zunächst, wie Jamblich ausführt, einige präparatorische Erziehungsschritte, die zur Einstimmung der Seele auf den philosophischen Unterricht dienen. Hier ist an erster Stelle die Musik anzuführen, die zur Seelenharmonie beiträgt, indem sie die Affekte beschwichtigt. Teils war sie nur instrumental, teils wurden jedoch auch Verse aus Homer oder Hesiod für diese Art von Musiktherapie gesungen.53 Eine vegetarische Ernäh48 Jamblich,

De vita Pythagorica 59–133; dazu ausführlich Staab 2002, 287–350.

49 Lurje 22008.

50  Jamblich, De vita Pythagorica 59: […] καὶ σοφία μὲν ἡ τῷ ὄντι ἐπιστήμη τις ἡ περὶ τὰ καλὰ τὰ πρῶτα καὶ θεῖα καὶ ἀκήρατα καὶ ἀεὶ κατὰ τὰ αὐτὰ καὶ ὡσαύτως ἔχοντα ἀσχολουμένη, ὧν μετοχῇ καὶ τὰ ἄλλα ἂν εἴποι τις καλά· φιλοσοφία δὲ ἡ ζήλωσις τῆς τοιαύτης θεωρίας. καλὴ μὲν οὖν καὶ αὕτη παιδείας ἦν ἐπιμέλεια ἡ συντείνουσα αὐτῷ πρὸς τὴν τῶν ἀνθρώπων ἐπανόρθωσιν. 51  Staab 2002, 292–293. 52 Jamblich, De vita Pythagorica 134–240; dazu Staab 2002, 351–434. 53 Jamblich, De vita Pythagorica 64–67;110–114.

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rung, Schweigeübungen, Alkoholverzicht, Nahrungsaskese, Schlafbeschränkung und das Pflegen von Freundschaften sind weitere Methoden, um auf die Reinigung der Seele hinzuwirken.54 Der theoretische Philosophieunterricht in Form von Textlektüre55 und gelehrten Gesprächen war in einen bestimmten Tagesablauf eingebettet, den Lehrer und Schüler gemeinsam bestritten:56 Der Tag begann bei den Pythagoreern mit morgendlichen Spaziergängen, die jeder für sich ausführte, bevor man sich in Gruppen zum Lehrgespräch traf. Vormittags standen auch Leibesübungen auf dem Programm (Wettlauf, Ringkampf, Übung mit Gewichten, Schattenboxen). Der darauffolgende Mittagsimbiss bestand aus Brot mit Honig. Nach dem Mittagessen widmete man sich verschiedenen öffentlichen Geschäften, worauf man am Spätnachmittag wieder spazieren ging, diesmal jedoch in Zweier- oder Dreier-Gruppen, wobei man sich über das zuvor Gelernte austauschte.57 Auf diese Spaziergänge folgte das Bad, danach das gemeinsame Mahl, bei dem immer maximal zehn Personen zusammen speisten, nachdem man Wein, Räucherwerk und Weihrauch geopfert hatte. Beim Abendessen nahm man Wein, Gerstenkuchen, Brot, Zukost sowie rohes und gekochtes Gemüse zu sich, zum Teil auch Fleisch von Opfertieren. Dabei gehörte es zu den Ernährungsvorschriften des Pythagoras, dass diejenigen, die besonders zur geistigen Schau befähigt waren, gar keinen Wein trinken und kein Fleisch essen sollten, genauso wie sie den Göttern auch keine Tiere opfern sollten.58 Auf die abendliche Mahlzeit folgte ein Trankopfer und eine Zeit der gemeinsamen Lektüre, wobei der Jüngste vorlas und der Älteste erklärte, was und wie er vorzulesen hatte. Nach einem weiteren Trankopfer ging jeder nach Hause. So viel zur pythagoreischen Paideia aus der Sicht Jamblichs. 1.3 Παιδεία, Philanthropie und Sozialkompetenz Das hohe Niveau der allgemeinen und der spezifisch philosophischen Bildungsinhalte sollte nicht zu der Annahme verleiten, spätantike Philosophen hätten sich im intellektuellen Elfenbeinturm abschotten wollen, obgleich elitärer Dünkel, wie im Folgenden ersichtlich werden wird, durchaus zur Versuchung werden konnte. De vita Pythagorica 68–70. Z. B. Jamblich, De vita Pythagorica 90. 56  Zum im Folgenden dargestellten Tagesablauf siehe Jamblich, De vita Pythagorica 96– 100. 57  Zu den Spaziergängen des Pythagoras und der Pythagoreer als ,Bildungsorten‘ siehe neben Jamblich, De vita Pythagorica 96–98 die Überlieferung bei Porphyrios, Vita Pytha­ gorae 32. Lehrspaziergänge erinnern freilich auch an diejenigen des Sokrates (Platon, Phae­ drus 227a–c; 229a; Platon, Res publica 327ab; Pseudo-Platon, Axiochus 364a; 372a). Spätantike Neuplatoniker wie Aidesios oder Chrysanthios gingen ebenfalls mit ihren Schülern spazieren, wie Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 8,5; 23,31 hervorhebt, der mit seinen Notizen sicherlich das exemplum Socratis evozieren möchte, wie er dies auch andernorts in seiner Kollektivbiographie tut; siehe dazu Döring 1979, 139. 58 Jamblich, De vita Pythagorica 107. Ein Plädoyer für den Vegetarismus trägt auch Porphyrios in seiner Schrift De abstinentia vor. 54 Jamblich, 55 

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Die allgemeine Umgänglichkeit und Philanthrophie zählt in der Spätantike jedenfalls zu den wichtigsten eingeforderten Eigenschaften der Gebildeten:59 Die „Menschenfreundlichkeit“ (φιλανθρωπία) wird als Eigenschaft der Pythagoreer gelobt60 und insbesondere von Kaiser Julian stark propagiert.61 Philosophenbiographen bringen sie explizit etwa mit Aidesios oder Proklos in Verbindung.62 Von letzterem heißt es bei Marinos, er habe sich „um alle seine Gefährten und Freunde gekümmert und auch um deren Kinder und Frauen“ (ἐκήδετο τῶν ἑταίρων καὶ φίλων ἁπάντων καὶ τῶν τούτοις προσηκόντων παίδων τε καὶ γυναικῶν).63 Wie aus diesem Beispiel erhellt, sollte sich die Philanthropie, wie dies bereits oben bei der pythagoreisch-platonischen Tugend der φιλία anklang, zuallererst als Freundschaft in und jenseits der Schulgemeinschaft auswirken.64 Andererseits galt sie auch als eine Form der generellen Sozialkompetenz dem Umgang mit philosophischen Laien in der Polis und den Mitmenschen insgesamt. T hemistios hält es in der Grabrede auf seinen Vater, den Philosophen Eugenios, für erwähnenswert, dass dieser nicht nur die philosophische Fachsprache beherrscht, sondern auch darauf Wert gelegt habe, gegenüber Rhetoren und Grammatikern verständlich zu sein sowie mit Winzern, Schmieden, politischen Beamten und Bauern ins Gespräch zu kommen.65 Dieses Ideal eines öffentlichkeitspräsenten, sozialkompetenten und bürgernahen Philosophen, der in der Lage und willens ist, gleichermaßen mit Handwerkern und anderen philosophisch Ungebildeten zu sprechen, atmet den Geist des Sokrates, auf dessen Vorbild vielfach in der kaiserzeitlichen und auch in der spätantiken Philosophie rekurriert wird.66 Sokrates war zwar, wie bereits eingangs anklang, in das kollektive Gedächtnis der Philosophiegeschichte nicht als elitär Gebildeter eingegangen. Doch die Art und Weise, wie er die Philosophie in die Mitte der Gesellschaft holte, wie er sie, um mit Cicero zu sprechen, „vom Himmel herabrief (devocavit e caelo), ihr in den Städten einen Ort gab (in urbibus conlocavit) und sie sogar in die Häuser einführte (et in domus etiam intro­ duxit)“,67 fungierte gerade für die hochgebildeten Platoniker der Spätantike als Inspiration. Die folgende Anekdote des Eunapios über Aidesios, die vom exemplum Socratis durchdrungen ist,68 erhebt die sokratische Form der Umgänglichkeit ausdrücklich zum Bestandteil der philosophischen παιδεία:

59 

Stenger 2009, 28 mit Anm. 36. De abstinentia 3,20; Jamblich, De vita Pythagorica 30; 40. 61 Julian, Epistula 89b,289a–c; 305a; Kabiersch 1960. 62 Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 8,6 (Aidesios); Marinos, Vita Procli 17,18–20 (Proklos). 63 Marinos, Vita Procli 17,7–9. Der Passus greift deutlich Eigenschaften auf, die Porphyrios an Plotin hervorhebt (Porphyrios, Vita Plotini 9,1–22). 64  Zur Philosophie der Freundschaft im Neuplatonismus siehe Schramm 2013. 65  T hemistios, Oratio 20,236cd. 66  Döring 1979; Stenger 2009, 201–203. 67  Cicero, Tusculanae disputationes 5,10. 68  Becker 2013, 410–413. 60 Porphyrios,

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Chrysanthios nun pflegte dem Verfasser des vorliegenden Werkes [sc. Eunapios] zu erzählen, wie der Charakter des Aidesios auf Umgänglichkeit und Bürgernähe ausgerichtet war (ὁ μὲν Αἰδεσίου τρόπος κοινὸς ἦν καὶ δημοτικός). Nach den anstrengenden philosophischen Unterrichtseinheiten ging er regelmäßig in Pergamon spazieren, und zwar in Begleitung seiner respektabelsten Schüler. Dabei war dem Lehrer (διδάσκαλος) daran gelegen, seinen Schülern (τοῖς μαθηταῖς) ein bestimmtes harmonisches und fürsorgliches Verhältnis zum Bereich des Menschlichen einzupflanzen (ἁρμονίαν τινὰ καὶ ἐπιμέλειαν πρὸς τὸ ἀνθρώπειον ἐμφυτεύων). Wenn er dann sah, wie herabwürdigend sie sich verhielten, wie anmaßend sie wurden, weil sie sich auf die philosophischen Lehrsätze (δόγματα) etwas einbildeten und wie ihre Flügel noch größer und zarter waren als die des Ikarus, da versuchte er, sie nicht auf das Meer herabzuholen, sondern auf die Erde und den Bereich des Menschlichen (ἐπὶ τὴν γῆν καὶ τὸ ἀνθρώπινον). Er selbst, der sie solcherlei lehrte (διδάσκων), war stets erfreut über den Anblick einer Gemüsehändlerin, wenn er einer begegnete. Er unterbrach dann seinen Spaziergang und kam mit ihr ins Gespräch, ja sogar über die Preise unterhielt er sich mit ihr und über den großen Umsatz des Geschäfts. Bei dieser Gelegenheit ging er dann auch gleich alle Abläufe des Gemüseanbaus mit ihr durch. Gegenüber einem Weber verhielt er sich genauso, auch gegenüber einem Schmied oder einem Schreiner. Wer unter seinen Schülern besonders klug war, der ließ sich in diesen Angelegenheiten erziehen (Οἱ μὲν οὖν σωφρονέστεροι τῶν ἑταίρων ἐξεπαιδεύοντο ταῦτα), und das war vor allem Chrysanthios und wer sonst noch Chrysanthios ähnlich war hinsichtlich der erwähnten Lebensführung.69

Wie aus diesem Text hervorgeht, konnte die theoretische Vertrautheit mit philosophischen „Lehrsätzen“ (δόγματα) ausdrücklich als unzureichend und defizitär bewertet werden, wenn sie nicht einherging mit einem echten Interesse an den Belangen einfacher und ungebildeter Menschen. Der Text geriert sich somit als ein Auftrag an Adepten der Philosophie, das eigene Bildungsverständnis zu prüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Dabei steht dieser Auftrag in einem Zusammenhang mit der in den philosophischen Texten der Spätantike wiederholt anzutreffenden Vorstellung, wonach Philosophen wie Pythagoras, Sokrates, Porphyrios oder Eugenios wohltätige Göttergesandte sind, deren Seelen aus der göttlichen Transzendenz in die Welt des Werdens mitten unter die Menschen gesandt wurden, um eben nicht nur den Gebildeten, sondern allen Menschen zu helfen.70

Vitae philosophorum et sophistarum 8,5–8. Pythagoras: Jamblich, De vita Pythagorica 2,8 (τὸ μέντοι τὴν Πυθαγόρου ψυχὴν ἀπὸ τῆς Ἀπόλλωνος ἡγεμονίας […] καταπεπέμφθαι εἰς ἀνθρώπους οὐδεὶς ἂν ἀμφισβητήσειε); Sokrates: Hermias, Commentarius in Platonis Phaedrum 1, p. 1,5 f. Lucarini/Moreschini (Ὁ Σωκράτης ἐπὶ εὐεργεσίᾳ τοῦ τῶν ἀνθρώπων γένους καὶ τῶν ψυχῶν τῶν νέων κατεπέμφθη εἰς γένεσιν); Porphyrios: Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 4,11 (ὁ δὲ Πορφύριος, ὥσπερ Ἑρμαϊκή τις σειρὰ καὶ πρὸς ἀνθρώπους ἐπινεύουσα, διὰ ποικίλης παιδείας πάντα εἰς τὸ εὔγνωστον καὶ καθαρὸν ἐξήγγελλεν); Eugenios: T hemistios, Oratio 20,234c (σε […] ἔστειλαν ἐπὶ γῆς [sc. die θεοί und ἀγαθοὶ δαίμονες]); Erler 2002, 393–397; Stenger 2009, 216; Becker 2013, 65.198.412. 69 Eunapios, 70 

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2. Zum Wesen und der Funktion philosophischer παιδεία Nach diesem Überblick über Bildungsinhalte und Bildungsorte in der spätantiken Philosophie soll nun kursorisch der Frage nachgegangen werden, welche Antworten die spätantiken platonischen Philosophen von einer systematischen Warte aus auf die Frage „Was ist Bildung in der Vormoderne?“ geben. Aus dem Fundus metaphorisch-vergleichender Annäherungen lassen sich drei Antworten im Sinne von Wesensumschreibungen der philosophischen Bildung auswählen, die allesamt sachlich an Platon anschließen. Danach ist vom Standpunkt spätantiker Philosophie aus betrachtet Bildung in der Vormoderne erstens ein Heilmittel für die Seele, zweitens eine quasi-religiöse Praxis und drittens eine Seelenformung nach Art der religiösen Bildhauerei. 2.1  Bildung als Heilmittel für die Seele Die Überzeugung, dass einerseits philosophische παιδεία die Seele heile und dass andererseits philosophische Lehrer Seelenärzte seien, ist ein seit Platon präsentes Selbstverständnis der Philosophen. Platon berichtet nicht nur davon, dass sich Sophisten seiner Zeit wie Protagoras, Prodikos und Hippias als Ärzte zur Behandlung von „Unwissenheit“ (ἀμαθία) verstanden,71 sondern er entwirft auch seinen eigenen Lehrer Sokrates gezielt als Gegenbild dazu, als einen philosophischen Heiler, der sich seelischer Mängel und Gebrechen annimmt, wobei das Heilmittel die philosophische Lehre ist.72 Das Bild des heilenden Sokrates und damit auch die allgemeinere Vorstellung einer philosophia medicans wurde seitdem schulübergreifend und popularphilosophisch sowohl in der Kaiserzeit, z. B. bei Plutarch, Dion von Prusa oder Epiktet,73 als auch in der Spätantike weiter tradiert und rezipiert. Im Phaidros-Kommentar des Hermias von Alexandria wird Sokrates eingeführt als „Arzt der Seelen“ (ὁ τῶν ψυχῶν ἰατρός), der nach Analogie eines Mediziners, der Nahrungsmittel auf ihre Schädlich- und Nützlichkeit für den Körper prüft, feststellt, welche „Lehren“ (λόγοι) „wahr und welche trügerisch sind, welche die Seele herauf- und welche sie herabführen“ (τίνες ἀληθεῖς καὶ τίνες ἀπατηλοὶ,

71 Platon, Protagoras 357e: ἀμαθία […] ἧς Πρωταγόρας ὅδε φησὶν ἰατρὸς εἶναι καὶ Πρόδικος καὶ Ἱππίας; zu den Sophisten als Seelenheilern siehe auch Platon, Protagoras 312bc; 313e. 72 Platon, Charmides 155b–157d; Platon, Gorgias 477e–479e; zum Arztvergleich bei Platon siehe Wehrli 1951; Luchner 2004, 147–151. 73  Luchner 2004, 126–170; siehe z. B. Plutarch, Platonicae quaestiones 1000d: οὐ γὰρ σώματος ἡ Σωκράτους ἰατρεία, ψυχῆς δ’ ἦν ὑπούλου καὶ διεφθαρμένης καθαρμός; Dion Chrysostomos, Oratio 55,12 f., wo Sokrates als ein gebildeter, mit philosophischem Feingefühl ausgestatteter Krankheitsdiagnostiker erscheint, der die „Leidenschaften“ (πάθη) und „Krankheiten“ (νοσήματα) der Menschen „aufzeigte“ (ἐδείκνυεν). Bei Epiktet wird die „Schule“ oder der „Unterrichtsraum“ (σχολή) eines Philosophen als „Heilanstalt“ (ἰατρεῖον) bezeichnet (Epiktet, Dissertationes 3,23,30).

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τίνες ἀναγωγοὶ τῆς ψυχῆς καὶ τίνες καταγωγοί).74 Ganz ähnlich wird Pythagoras von Jamblich inszeniert: Er sei auf die Erde gekommen, „um die Menschen zu heilen und ihnen Gutes zu tun“ (ἐπὶ θεραπείᾳ καὶ εὐεργεσίᾳ τῶν ἀνθρώπων) und sei deshalb „in Menschengestalt (ἀνθρωπόμορφος) [aufgetreten], damit sie nicht, durch seine Überlegenheit befremdet, verwirrt würden und sich der bei ihm stattfindenden Belehrung entzögen (τὴν παρ’ αὐτῷ μάθησιν ἀποφεύγωσιν).“75 Obwohl Sokrates und Pythagoras als zentralen Identifikationsfiguren der Neuplatoniker sicherlich eine exemplarische Sonderstellung zukommt, sind Heilung und Selbstheilung durch philosophische Lehre und Lebensform Aufgabe aller Philosophen in der Spätantike, wobei es neben den Krankheiten des Irrtums, der Täuschung und der Unwissenheit speziell die vielfältigen Affekte der Seele sind, die geheilt werden sollen. So sagt Porphyrios: Nichtig (κενός) ist die Lehre (λόγος) jenes Philosophen, durch die keine Leidenschaft (πάθος) des Menschen geheilt wird. Denn so, wie es keinen Nutzen (ὄφελος) der Heilkunst gibt, wenn sie nicht die Krankheiten der Körper heilt ( μὴ τὰς νόσους τῶν σωμάτων θεραπεύει), so gibt es auch keinen [Nutzen] der Philosophie, wenn sie nicht die Leidenschaft der Seele austreibt (εἰ μὴ τὸ τῆς ψυχῆς ἐκβάλλει πάθος).76

2.2  Bildung als quasi-religiöse Praxis Seit Platon in seinem Symposion und im Phaidros Mysteriensprache zur Beschreibung philosophischer Erkenntnis heranzog, um in Anspielung auf die eleusinischen Mysterien die philosophische Schau des wahren Seins mit der kultischen Epoptie zu vergleichen,77 versteht sich die platonische Philosophie als eine sukzessiv sich vollziehende Einweihung in die reinen Wesenheiten. Das philosophische Unterfangen erhält damit fundamental religiöse Züge im Sinne eines Einweihungsrituals. Die religiöse Sprache der Reinigung, Einweihung und Schau durchzieht auch die Werke platonischer Philosophen in Kaiserzeit und Spätantike. Selbstverständlich blieb eine derartige religiöse Grundierung des philosophischen Schaffens nicht ohne Konsequenzen für die Bewertung und Beschreibung philosophischer παιδεία, also jenes Lehr- und Lernprozesses, der die ultimative Schau erst ermöglichen konnte. Diesen Zusammenhang konstruiert beispielsweise bereits der schon zitierte Mittelplatoniker Alkinoos in seinem Didaskalikos, indem er den philosophischen Fortschritt als eine stufenweise sich ereignende Mysterienweihe imaginiert, wobei er das Studium der Musik, Arithmetik, Astronomie, Geometrie und Gymnastik als „Einführungszeremonien“ (προτέλεια) und „vorhergehende Reinigungen“ (προκαθάρσια) „für den in uns befindlichen Dämon“ (τοῦ ἐν ἡμῖν δαίμονος) bestimmte. Das Studium der eigentlich philosophischen Inhalte wird demgegenüber als ein „Eingeweiht-Werden in die wichtigeren WisCommentarius in Platonis Phaedrum 1, p. 23,20–23 Lucarini/Moreschini. De vita Pythagorica 92. 76 Porphyrios, Ad Marcellam 31 Des Places. 77  Riedweg 1986, 1–69. 74 Hermias,

75 Jamblich,

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sensgegenstände“ (τὰ μείζονα μυεῖσθαι μαθήματα) vorgestellt.78 Diese strenge Differenzierung zwischen Allgemeinbildung und Fachbildung im Sinne zweier verschiedener Initiationsphasen ist der Sache nach auch bei den Neuplatonikern vorauszusetzen, wie ein Zitat aus Jamblichs Protreptikos belegen mag: Und den Gott ehren wir, wie es sich gehört, wenn wir die Vernunft in uns (τὸν ἐν ἡμῖν νοῦν) von allem Übel wie von einem Schmutzfleck reinigen. Ein Heiligtum muss mit Weihgaben (ἀναθήμασι) geschmückt werden, die Seele aber mit Wissensgegenständen (μαθήμασιν). So, wie vor den großen Mysterien die kleinen weitergegeben werden müssen, so vor der Philosophie die παιδεία.79

Auf ganz ähnliche Weise spricht Jamblich in seiner Schrift De Vita Pythagorica davon, wie Pythagoras vor der endgültigen Aufnahme von Schülern in die Schulgemeinschaft neben der Einführung sowohl einer dreijährigen Zeit der Verachtung zur Prüfung der Standhaftigkeit und des Lerneifers als auch einer fünfjährigen Schweigezeit die Beschäftigung mit bestimmten „Lehrfächern“ oder „Wissenschaften“ (μαθήματα) einführte, die als Vorbereitung der Seele auf die höhere Philosophie intendiert gewesen seien. Diese μαθήματα, womit Jamblich auf die mathematischen Wissenschaften anspielt, werden „Orgienfeiern und Einweihungen der Seele“ (ὀργιασμοὶ καὶ μυήσεις ψυχῆς) sowie „Säuberungen und Reinigungen“ (ἀπορρύψεις καὶ καθαρμοί) genannt.80 Zur Beschreibung der genuin philosophischen Studien selbst findet sich ebenfalls eine interessante religiöse Bildersprache, die teils mit der Verehrung des philosophischen Schulerbes, teils mit der Vorstellung eines graduellen Fortschritts in der philosophischen Materie in Verbindung steht. Eine quasi-religiöse Wertschätzung von Philosophen und ihren Werken zeigt sich etwa darin, dass Eunapios rund 130 Jahre nach Plotins Tod sagen kann, dass dessen „Altäre gegenwärtig warm“ seien „und seine Bücher nicht nur die Gebildeten in Händen halten, sondern auch die breite Masse“.81 Die mit dem Bild des religiösen Opferns ausgedrückte Verehrung für Plotin wird hier explizit mit der Lektüre seiner Enneaden verknüpft, womit sich ein Gedanke andeutet, der bei anderen Autoren ausdrücklich zur Sprache kommt, nämlich dass das Studium philosophischer Literatur einem Gottesdienst 78 Alkinoos, Didascalicus 28[182,8–14], p. 57 Whittaker/Louis; siehe dazu Dillon 1993, 175 f. 79 Jamblich, Protrepticus 2, p. 43 Des Places: Καὶ τὸν θεὸν σεβόμεθα κατὰ τρόπον, εἰ τὸν ἐν ἡμῖν νοῦν παρασκευάσαιμεν πάσης κακίας ὥσπερ τινὸς κηλῖδος καθαρόν. Κοσμητέον ἱερὸν μὲν ἀναθήμασι, τὴν δὲ ψυχὴν μαθήμασιν. Ὡς πρὸ τῶν μεγάλων μυστηρίων τὰ μικρὰ παραδοτέον, καὶ πρὸ φιλοσοφίας παιδείαν. 80 Jamblich, De vita Pythagorica 74; siehe dazu ferner den von Jamblich zitierten, sogenannten Lysisbrief (De vita Pythagorica 75–78, bes. 76–78), Jamblichs Fazit in De vita Py­ thagorica 79 („Für so bedeutend und so notwendig hielt Pythagoras die Sorgfalt [ἐπιμέλεια], die man den der Philosophie vorgeordneten Wissenschaften [μαθημάτων πρὸ φιλοσοφίας] widmen sollte […]“) sowie Staab 2002, 308–313. Auf die präparatorische Rolle der μαθήματα bei den philosophischen Mysterien weist auch ein Ausspruch des Aidesios bei Eunapios hin (Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 7,13). 81 Eunapios, Vitae philosophorum et sophistarum 3,3.

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gleichkommt. So entwirft T hemistios beim Porträt seines Vaters, des Philosophen Eugenios, den philosophischen Lektürekanon als einen heiligen Bezirk, in dem man während des Studiums geistig eintritt, um in den „Tempeln der Weisen“ (τῶν σοφῶν τὰ ἀνάκτορα) die mystische Schau ins philosophische Mysterium zu erlangen.82 Deswegen kann T hemistios sagen, dass Eugenios nicht nur philosophische Bücher gelesen habe, sondern dass er die „heiligen Dinge“ (τὰ ἱερά) des Pythagoras und der Stoiker „geschaut“ (συνεπώπτευσε) sowie Aristoteles und Platon Opfer dargebracht habe.83 Besonders anhand des letztgenannten Aspekts lässt sich studieren, wie der neuplatonische Entwurf des philosophischen Bildungsprozesses als Ritualhandlung nicht nur durch den tiefen Respekt gegenüber dem überlieferten Werk der Philosophen zusammenhängt, sondern auch mit der Vorstellung eines graduellen Fortschritts in der philosophischen Materie. Denn T hemistios hebt hervor, wie Eugenios eben „oftmals zuerst Aristoteles opferte und dann seinen Opferdienst bei Platon enden ließ“ (πολλάκις Ἀριστοτέλει προθύσας εἰς τὴν Πλάτωνος ἔληγεν ἱερουργίαν).84 In diesen Formulierungen spiegelt sich nicht nur das Bedürfnis, Aristoteles und Platon zu harmonisieren. Vielmehr wird dadurch auch betont, dass Aristoteles Platon sachlich vorgeordnet und damit in seiner Signifikanz untergeordnet ist: Dem Studium der aristotelischen Philosophie kommt sozusagen eine präparatorische Funktion zu. Ganz Ähnliches ist bei Marinos zu lesen, der die philosophische Lektüre des Aristoteles durch Proklos ebenfalls in religiös gefärbter Bildersprache als ein dem Platon-Studium „vorangehendes Opfer“ (προτέλεια) sowie als „kleine Mysterien“ (μικρὰ μυστήρια) bezeichnet.85 2.3 Bildung als Seelenformung nach Art der religiösen Bildhauerei Neben dem Aspekt der Seelenheilung sowie dem der quasi-religiösen Praxis kennt die spätantike platonische Philosophie ein drittes sprachliches Bild, um das Wesen philosophischer παιδεία im Anschluss an Platons Denken zu veranschaulichen. Es handelt sich hierbei um die Vorstellung vom Philosophen als eines Bildhauers, welche sich bei Plotin findet und woraus das Konzept einer plastischen Gestaltung der Seele durch die philosophische Didaktik resultiert. Bei Platon sind in diesem Zusammenhang zwei unterschiedliche Konstellationen zu beobachten, die für das Verständnis der gleich zu diskutierenden Plotin-Stelle von Bedeutung sind. Denn Platon differenziert, obwohl für ihn beides zusammengehört, zwischen Selbstformung und der Formung anderer, wobei erstere als Voraussetzung gelingender Lehre verstanden werden kann. Zwei Passagen in Platons Werk sind hier besonders relevant. Die erste findet sich in der Politeia: T hemistios, Oratio 20,235c. T hemistios, Oratio 20,235c; zu den religiösen Metaphern des T hemistios, mit denen er philosophische Bildungsprozesse umschreibt, siehe auch Schramm 2013, 194–196. 84  T hemistios, Oratio 20,235cd. 85 Marinos, Vita Procli 13,5 f. 82  83 

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Indem also der Philosoph mit dem Göttlichem und dem Wohlgeordneten verkehrt, wird er selbst wohlgeordnet und göttlich, soweit es einem Menschen möglich ist (θείῳ δὴ καὶ κοσμίῳ ὅ γε φιλόσοφος ὁμιλῶν κόσμιός τε καὶ θεῖος εἰς τὸ δυνατὸν ἀνθρώπῳ γίγνεται) […]. Wenn ihm nun […] irgendein Zwang auferlegt wird, dafür Sorge zu tragen, das, was er dort [sc. in der Ideenwelt] schaut, in den Charakter von Menschen sowohl im Privaten als auch im Öffentlichen hineinzulegen (εἰς ἀνθρώπων ἤθη καὶ ἰδίᾳ καὶ δημοσίᾳ τιθέναι) und eben nicht nur sich selbst zu formen (καὶ μὴ μόνον ἑαυτὸν πλάττειν): Glaubst du, er werde da ein schlechter Handwerker (κακὸν δημιουργόν) der Besonnenheit, Gerechtigkeit und überhaupt jeglicher Bürgertugend sein?86

Wichtig für den vorliegenden Zusammenhang ist, dass Platon hier die Schau der Ideenwelt als individuelle Divinisierung nach Maßgabe der menschlichen Möglichkeit entwirft und diesen Prozess näherhin als eine „Selbstformung“ beziehungsweise „Selbstgestaltung“ (ἑαυτὸν πλάττειν) begreift, womit natürlich eine Seelenformung gemeint ist.87 Doch nicht nur an sich selbst soll der Philosoph gestalterisch wirken. Vielmehr soll er durch seine Lehre den Menschen in der Polis Besonnenheit, Gerechtigkeit und Bürgertugend beibringen, und diese didaktische Tätigkeit wird dezidiert mit einer Handwerkermetaphorik eingeführt, durch die der philosophische Unterricht als ein Seelenformen erscheint, welches in den Menschen die genannten Tugenden hervorbringt. Der Philosoph ist damit in seiner Lehrer-Eigenschaft als ein Handwerker porträtiert, und es ist dieser Assoziationshintergrund, der zur zweiten einschlägigen Platon-Passage überleitet. Denn im Phaidros imaginiert Platons Sokrates im Kontext einer philosophischen Erotik, auf die hier nicht näher einzugehen ist, die Tätigkeit des Philosophen als die eines Bildhauers, der den Charakter seines Geliebten „wie ein Götterbild bildhauerisch bearbeitet und ausschmückt mit der Absicht, ihn zu ehren und mit orgiastischen Ritualen zu feiern (οἷον ἄγαλμα τεκταίνεταί τε καὶ κατακοσμεῖ, ὡς τιμήσων τε καὶ ὀργιάσων).“88 Ohne ins Detail gehen zu können, ist festzuhalten, dass Platon hier den Prozess philosophischer Pädagogik mit der Gestaltung und Ausschmückung des Gegenübers als eines Götterbilds vergleicht. Aus dem bloßen Handwerker der Politeia ist im Phaidros gewissermaßen ein Sakralkünstler geworden, der die schönen Charakteranlagen seines geliebten Schülers durch philosophische Belehrung zu einer göttlichen Skulptur formt.89 Anspielend auf diese Phaidros-Stelle kombiniert Plotin in einem berühmten Passus am Ende seines Traktats Über das Schöne (Περὶ τοῦ καλοῦ) Platons Vorstellung von der Selbstformung des Philosophen mit der didaktischen Bildhauermetaphorik, um die Selbstformung der Seele als die Bearbeitung eines im InneRes publica 500cd. Die Vorstellung vom Seelenformen erwähnt Platon schon zuvor in seiner Politeia (Res publica 377c), nämlich im Kontext der von Ammen und Müttern zu leistenden Kindererziehung, die durch das Vortragen bestimmter „Erzählungen“ die „Seelen“ der Kinder „formen“ bzw. „gestalten“ sollen (πλάττειν τὰς ψυχὰς αὐτῶν τοῖς μύθοις); dazu Bielstein 1992, 118. 88 Platon, Phaedrus 252d. 89  Dazu ausführlich Becker 2016a, 20–26. 86 Platon, 87 

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ren schon vorhandenen Götterbilds zu entwerfen.90 Wie Plotin hervorhebt, kann dies nur die Einzelseele für sich erreichen, da Belehrung von außen nicht fruchten kann, wenn die Seele sich nicht zuvor erst gereinigt und verschönert hat. Um wahre Schönheit zu erkennen, die für Plotin rein geistig und der Natur des Guten vorgeordnet ist, sei es notwendig, die Seele zunächst daran zu „gewöhnen“ (ἐθιστέον), auf „schöne Beschäftigungen“ (τὰ καλὰ ἐπιτηδεύματα) zu schauen, dann auf „schöne Taten“ (ἔργα καλά), wie sie „sogenannte gute Männer“ (οἱ ἄνδρες οἱ λεγόμενοι ἀγαθοί) ausführen, und schließlich auf die Seele derer, die diese guten Taten ausführen.91 Auf die naheliegende Frage, wie man erkennen könne, welche Art von Schönheit einer guten Seele eigne, gibt Plotin eine offensive Antwort: Ziehe dich in dich selbst zurück und schaue, und wenn du dich selbst noch nicht als schön erblickst, so nimm, wie der Hersteller eines Götterbilds (οἷα ποιητὴς ἀγάλματος), der an dem, was schön werden soll, bald hier bald da etwas wegnimmt und abschleift, bald hier glättet bald dort säubert, bis er an seinem Götterbild ein schönes Gesicht zu Stande bringt, auch du alles das weg, was überflüssig ist, begradige das Krumme, reinige das Dunkle und lass es hell werden und höre nicht auf, dein Götterbild zu gestalten (μὴ παύσῃ τεκταίνων τὸ σὸν ἄγαλμα), bis dir der göttliche Glanz der Tugend hervorstrahlt, bis du die Besonnenheit erblickst, wie sie auf einem heiligen Sockel steht.92

Der philosophisch Tätige wird hier als Bildhauer seiner selbst gezeichnet, als Autoplast, der durch philosophische Beschäftigung Verschönerungsarbeiten an seiner Seele vornimmt, die im Kern darin bestehen, Überflüssiges zu entfernen. Die Gestaltung des inneren ἄγαλμα versteht Plotin dabei als eine durch geistige Reinigung sich vollziehende Visualisierung des wahren lichtvollen Selbst, und dieses Selbst besitze ein Auge, das allein zur Schau der wahren Schönheit fähig sei.93 Wenn man diesen Grad der Selbstwerdung und Reinheit erreicht habe, bedürfe es nur noch des „Mutes“ zu schauen, „nicht mehr des Zeigenden“ (μηκέτι τοῦ δεικνύντος),94 d. h. des philosophischen Lehrers. Andererseits gilt: Wenn das Auge „sich zur Schau anschickt, obwohl es vor lauter Lastern tränt und unrein oder krank ist, obwohl es aus Feigheit nicht imstande ist, das ganz Helle zu schauen, dann schaut es gar nichts, auch wenn ein anderer ihm zeigen wollte (κἂν ἄλλος δεικνύῃ), dass das Sichtbare doch da ist.“95 Auch hier wird die Rolle des Zeigenden nicht nur erheblich relativiert, sondern eigentlich für überflüssig erklärt. Enneaden 1,6,9; Bielstein 1992, 122–127. Enneaden 1,6,9[2–6]. 92 Plotin, Enneaden 1,6,9[7–15]: ἄναγε ἐπὶ σαυτὸν καὶ ἴδε· κἂν μήπω σαυτὸν ἴδῃς καλόν, οἷα ποιητὴς ἀγάλματος, ὃ δεῖ καλὸν γενέσθαι, τὸ μὲν ἀφαιρεῖ, τὸ δὲ ἀπέξεσε, τὸ δὲ λεῖον, τὸ δὲ καθαρὸν ἐποίησεν, ἕως ἔδειξε καλὸν ἐπὶ τῷ ἀγάλματι πρόσωπον, οὕτω καὶ σὺ ἀφαίρει ὅσα περιττὰ καὶ ἀπεύθυνε ὅσα σκολιά, ὅσα σκοτεινὰ καθαίρων ἐργάζου εἶναι λαμπρὰ καὶ μὴ παύσῃ τεκταίνων τὸ σὸν ἄγαλμα, ἕως ἂν ἐκλάμψειέ σοι τῆς ἀρετῆς ἡ θεοειδὴς ἀγλαία, ἕως ἂν ἴδῃς σωφροσύνην ἐν ἁγνῷ βεβῶσαν βάθρῳ; vgl. dazu Platon, Phaedrus 252d; 254b. 93 Plotin, Enneaden 1,6,9[15–23]. 94 Plotin, Enneaden 1,6,9[23–25]. 95 Plotin, Enneaden 1,6,9[25–29]. 90 Plotin, 91 Plotin,

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Denn es ist Plotins Überzeugung, dass die Seele nur in Eigenleistung so gestaltet werden kann, dass ihr Auge dem Gegenstand seiner Schau ähnlich werden kann. Da die Seele nur dann das Schöne schauen kann, wenn sie selbst schön geworden ist, kann Plotin gegen Ende seiner Ausführungen den ebenso logisch klingenden wie kühnen pädagogischen Imperativ aussprechen: γενέσθω δὴ πρῶτον θεοειδὴς πᾶς καὶ καλὸς πᾶς, εἰ μέλλει θεάσασθαι θεόν τε καὶ καλόν – „Es werde also zuerst ein jeder gottähnlich und ein jeder schön, wenn er (den) Gott und (das) Schöne schauen will.“96 Mit dem Stichwort der (Selbst-)Vergöttlichung der Seele als des ultimativen Ziels des Philosophierens schließt sich der Kreis der hier präsentierten Beobachtungen zur Bildung in der spätantiken Philosophie, die aus den herangezogenen Texten als die Gesamtheit von Studium und Lehre, von bibliophiler Gelehrsamkeit und introvertierter Betrachtung, von psychischer Selbstgestaltung und pädago­gischer Fremdseelenformung hervorgetreten ist. Während Plotin die Eigenverantwortung der Einzelseele hervorhebt und philosophische Bildung als aktive Selbstgestaltung versteht, haben die streiflichtartigen Ausführungen zu den Curricula der verschiedenen Schulzirkel die Wichtigkeit einer möglichst holistisch verstandenen παιδεία sowie den Faktor der Kollektivität unterstrichen, die beide für die Neuplatoniker insgesamt Teil des Bestrebens sind, die Angleichung an Gott nach Maßgabe der menschlichen Möglichkeit zu vollziehen. Weshalb die eingangs aufgeworfene Frage nach Bildung als Voraussetzung für und Bestandteil von Philosophie aus platonischer Perspektive so entschieden affirmativ beantwortet wurde, dürfte damit deutlich geworden sein. Indem Plotin seine Betrachtungen über das Schöne selbst aufgeschrieben und sein Schüler Porphyrios diese in seine Werkausgabe der Enneaden integriert hat, zeigen beide Platoniker, wie sehr es letztlich doch auf einen Zeigenden ankommt – und sei es nur im Medium der Schrift.97 Dieser Zeigende, der die soziale Fundierung der ὁμοίωσις θεῷ verkörpert, kann aus platonischer Sicht per definitionem nur ein Gebildeter sein.

Enneaden 1,6,9[32–34]. Gedanken deutet Plotin selbst an, wenn er in einem anderen Traktat philosophische „Belehrung“ (δίδαξις) über das Gute und Eine im Sinne von „Reden“ (λέγειν) und „Schreiben“ (γράφειν) als eine „Wegweisung“ (ὁδὸν δεικνύναι) darstellt, die zu einer vom willigen Schüler selbst zu unternehmenden „Reise“ (πορεία) anstoßen möchte, die jedoch die philosophische „Schau“ (θέα) selbst nicht bewirken kann: „[…] Aber wir sprechen und schreiben, indem wir hinsenden zu jenem [sc. dem Einen] und von den Worten ausgehend zur Schau anregen, indem wir gleichsam dem einen Weg zeigen, der etwas schauen will. Denn bis zum Weg und bis zur Reise geht das Lehren, doch die Schau ist schon ein Werk desjenigen, der zu sehen willig ist.“ – […] ἀλλὰ λέγομεν καὶ γράφομεν πέμποντες εἰς αὐτὸ καὶ ἀνεγείροντες ἐκ τῶν λόγων ἐπὶ τὴν θέαν ὥσπερ ὁδὸν δεικνύντες τῷ τι θεάσασθαι βουλομένῳ. μέχρι γὰρ τῆς ὁδοῦ καὶ τῆς πορείας ἡ δίδαξις, ἡ δὲ θέα αὐτοῦ ἔργον ἤδη τοῦ ἰδεῖν βεβουλημένου (Plotin, Enneaden 6,9,4[12–16]). Zur Wegweisungsfunktion des Philosophen siehe z. B. auch Epiktet, Dissertationes 1,4,29. 96 Plotin,

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Bildung und Wissenswirtschaft im Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels Charlotte Hempel Mit der Entdeckung der Qumran-Handschriften am Nordwestufer des Toten Meeres im Jahr 1947 stellte sich Wissenschaftlern die Frage, wie wir diese fast eintausend antiken jüdischen Handschriften in die historische, soziale und theologische Landschaft des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels einordnen sollten.1 Diese Periode bezieht sich auf den Nachfolger des Ersten Tempels, der dem ersten Königsbuch folgend von Salomo erbaut wurde. Gemäß dem Zeugnis des biblischen Textes – das allerdings historisch für die Regierungszeit von David und Salomo in der Wissenschaft stark umstritten ist – stand dieser Erste Tempel etwa 400 Jahre lang, von 960 bis 586 vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.). Während der Erste Tempel vom Heer des babylonischen Herrschers Nebukadnezar zerstört wurde, haben wir es der Außenpolitik des Perserkönigs Kyros II. zu verdanken, dass ein Teil der judäischen Gemeinde aus dem babylonischen Exil in die ehemalige Heimat zurückkehren konnte und dann der Zweite Tempel gegen Ende des 6. Jahrhunderts v. u. Z. erbaut wurde.2 Dieser Zweite Tempel stand von etwa 515 v. u. Z. und wurde im Jahre 70 u. Z. von den Römern zerstört. Im Ganzen währte die Zeit des Zweiten Tempels fast 600 Jahre lang – also deutlich länger als die Standzeit des berühmteren Tempels Salomos. Obwohl es keinen wissenschaftlichen Konsens gibt, datiert eine namhafte Anzahl von Bibelwissenschaftlern die Entstehung eines Großteils der Hebräischen Bibel – häufig in christlicher Terminologie ‚Altes Testament‘ genannt – in die Zeit des Zweiten Tempels. Diese Zeitperiode gibt uns Zugang zum Saatbeet der Fertigstellung der Hebräischen Bibel und zu den Gruppierungen, aus denen später auch das rabbinische Judentum und die frühchristlichen Gemeinden hervorgingen. Die Zeit des Zweiten Tempels ist daher mit Sicherheit von fundamentaler Bedeutung für die Religions- und Kulturgeschichte der abendländischen Welt.

1  Für aktuelle Einführungen in das Material siehe Stökl Ben Ezra 2016; Xeravits/Porzig 2015. Ein umfassender Überblick zum Stand der Forschung findet sich jetzt auch bei Brooke/ Hempel 2018. Die Zitation der Qumrantexte erfolgt nach dem Abkürzungsverzeichnis der RGG4. 2  Grabbe 2006; Maier 1990.

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Ein Teil der Qumran-Handschriften, wie z. B. antike Exemplare der Hebräi­ schen Bibel, beinhalten bekanntes Material und konnten von daher relativ reibungslos in die Forschungsgeschichte des Textes der Hebräischen Bibel eingeordnet werden. Die Bibelhandschriften von Qumran wurden mit den bislang als Standard geltenden Textzeugen verglichen und es wurde zunächst einmal der Versuch unternommen, das Zeugnis von Qumran in die gängige wissenschaftliche Diskussion zu integrieren. In der jüngsten Forschung wird jedoch in Frage gestellt, ob es methodisch sinnvoll ist, die ältesten Bibelhandschriften mit dem Zeugnis und der Erschließung von Jahrhunderte jüngeren Handschriften zu integrieren oder sogar zu harmonisieren.3 Die größte Herausforderung stellten allerdings Qumranschriften dar, die bislang unbekannte antike Texte ans Licht brachten. Die Pioniere der Qumranforschung interpretierten dieses neue Material durchaus schlüssig als die Literatur einer Gemeinschaft, für die auch die fast zeitgleich bewohnte Siedlung von Khirbet Qumran als Gemeindezentrum galt.4 Obwohl die ersten Handschriften schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts publiziert und analysiert wurden, dauerte es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, bis alle Texte zunächst in der Form von Fotographien und letztlich auch in Editionen zur Verfügung standen.5 Das komplette Bild der Texte kombiniert mit einer archäologisch fundierten revidierten Datierung der Erstpräsenz einer Gemeinde in der Siedlung von Qumran hinterlässt ein Gesamtbild, das nuancierter und unebener ist als zuvor.6 Die ‚neue Chronologie‘ der Siedlung rechnet mit einer (Wieder-) Besiedlung von Qumran durch eine religiöse Gemeinde Anfang des 1. Jahrhunderts v. u. Z.7 Hinzu kommt, dass die Publikation des ganzen Korpus eine Anzahl von Texten an die wissenschaftliche Öffentlichkeit brachte, die augenscheinlich gängige Merkmale von Texten, die als Gemeinschaftsliteratur gelten, nicht belegen. Zu diesen Merkmalen gehören z. B. Hinweise auf die Entstehungsgeschichte, Organisation, Leitung und Konstitution einer religiösen Bewegung, die oft ‚Jachad‘ genannt und mit der Qumransiedlung verbunden wird (hier ist vor allem die Gemeinderolle zu nennen),8 aber auch als Bundesgemeinde bekannt ist und mit weiter verstreuten Lagern assoziiert wird (so in der Damaskusschrift).9 Zu den ‚neuen Texten‘, denen jegliche Merkmale einer Sondergemeinde fehlen, gehören zum Beispiel bislang unbekannte Weisheitsliteratur (z. B. 4Qinstruction)10 oder Texte, die sich der Interpretation des jüdischen Gesetzes widmen, wie etwa die Tempelrolle.11   3 

Lange 2009; Ulrich 2017. So zum Beispiel Cross 1958; Milik 1957; Schubert 1958; Vermes 1953.   5  Tov 2010.   6  Collins 2010; Hempel 2003b, 43–53; Hempel2013a; Schofield 2009.   7  Magnes 2002; Mizzi 2015.   8  Metso 2007.   9  Hempel 2000. 10 Goff, 2007; Hempel 2002; Kampen 2011; Lange 1995. 11  Maier 1978; Crawford 2000; Kratz im Druck; Noam 2018; Shemesh 2009; Schiffman 1975.   4 

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Die Qumranforschung hat seit 1947 eine erhebliche Menge an Energie in die Fragestellung investiert, welche Teile der vorher bekannten literarischen, sozialen und historischen jüdischen Landschaft von der neu entdeckten jüdischen Bewegung besiedelt wurden. Althergebrachte Beschreibungen von jüdischen Sekten bei klassischen Autoren wie Josephus und Philo boten einen soliden sozialgeschichtlichen Rahmen an.12 In diesem Zusammenhang waren Gruppen wie Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten und sogar frühe Christen auf mehr oder weniger solidem Fundament zur Identifizierung der neuen Gruppierung im Gespräch, die die Literatur aus Qumran ans Licht brachte.13 Die in der Forschung immer noch am breitesten akzeptierte Identifizierung der Qumranbewegung ist jedoch die mit den aus der klassischen Literatur bekannten Essenern. Im deutschsprachigen Raum ist es sogar üblich, die Gemeindeliteratur aus Qumran nicht mit einem Äquivalent des englischen ‚sectarian‘, sondern mit ‚essenisch‘ zu qualifizieren.14 Die Diskussion im Umfeld der Identifikation der Bewegung hinter der Literatur brachte weiterhin soziologische Analysen mit sich, die das Verhältnis zwischen verschiedenen jüdischen Gruppierungen einerseits, wie auch das Verhältnis der mit Qumran assoziierten Bewegung zu dem breiteren politischen und religiösen jüdischen Leben andererseits untersuchten.15 Dabei ist es durchaus umstritten, ob wir von einem ‚allgemeinen jüdischen Leben‘ – im Englischen ‚mainstream Judaism‘ – reden können.16 Im Bezug auf den Beitrag der Qumranschriften zur Geschichte des jüdischen Gesetzes wurde klar, dass die neuen Texte auch Debatten erhellen, die sonst erst später in klassischen rabbinischen Texten wie der Mischna attestiert sind. Ein weit verbreiteter Ansatz versucht Qumran in einen uns mehr oder weniger bekannten zeitgenössischen Kontext einzuordnen und die neuen Texte in ein vorgegebenes Schema der bekannten Welt des antiken Judentums einzufügen. Ein solches Rahmenbild basiert auf Textzeugen, die uns auf mehr oder weniger willkürlichen Wegen – oft getragen von Interessen konfessioneller Gruppen – erhalten blieben und unter Umständen ein verzerrtes Gesamtbild entwerfen.17 Es ist daher methodologisch angebracht, dass wir die neuen Primärquellen aus Qumran zunächst einmal erfassen, ohne sie mit anderen Quellen in Verbindung zu bringen. Selbst dann laufen wir noch immer in Gefahr, eine Reihe von hergebrachten Fragen an die neuen Quellen aus Qumran heranzubringen – so zum Beispiel: Ist die Gruppe, die sich in den Texten spiegelt, eine Sekte? Oder: Ist die Auslegung des Gesetzes in Qumran mit den Positionen der rabbinischen Literatur vereinbar oder stehen sie im Konflikt? 12  Bergmeier 1993; Hempel 2001, 65–80; Mason 2006; Taylor 2012; Vermes/Goodman 1989. 13  Stökl Ben Ezra 2016, 73–85; Stemberger 1991. 14  Hempel 2003a, 71–78. 15  Chalcraft 2007; Regev 2007; Jokiranta 2010; Jokiranta 2012. 16  Vgl. dazu die herausragende Untersuchung von Stemberger 2001, 189–208. 17  Stone 2011, 1–30.

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Im Folgenden möchte ich so unabhängig wie möglich von den oben beschriebenen Diskursen anhand ausgewählter Qumrantexte mit der Frage experimentieren, was diese Texte über die Wissensökonomie (‚knowledge economy‘) andeuten, die sich in der Literatur und der Bewegung, die diese Literatur tradiert, versteckt. Geht es darum, was man weiß oder wen man kennt – oder vielleicht sogar darum, wer was weiß? Dass Wissen – und besonders privilegiertes Wissen und Erkenntnis – in einer Reihe von Texten aus Qumran als hochgeschätzt gilt, ist unumstritten. Die Forschungsgeschichte betont so zum Beispiel folgende Aspekte: – einen gemeindeinternen Zugang zu ‚versteckten Dingen‘ (vgl. z. B. CD 3,12–16; 1QS 5,11 f.), – einen privilegierten Zugriff zu göttlicher Offenbarung durch Auslegung der Schrift für leitende Personen wie dem Lehrer der Gerechtigkeit oder – die Überzeugung, dass das Pseudo-Wissen bestimmter Individuen (wie etwa des Lügners in CD 8,13)18 oder Gruppierungen (z. B. „die Leute des Frevels“ in 1QS 5,10–12) auf Abwege führt. Des Weiteren ist im Gefolge der Publikation des ausgiebigen Materials aus Höhle 4 klar geworden, dass das Gesamtkorpus der Schriftrollen von Qumran auf weitgespannte antike Netzwerke des Wissensaustausches hinweist.19 Höhle 4 brachte auch weiteres Material zum Vorschein, das unsere Textbasis der jüdischen Esoterik und Mystik erweitert – wenn auch oft in fragmentarischer Form.20 Letztlich habe ich jüngst argumentiert, dass der Inhalt von Höhle 4 eine besonders eklektische Sammlung innerhalb der elf Schriftrollenhöhlen darstellt.21 Höhle 4 enthielt eine große Anzahl von gelehrtem und schwer zugänglichem Material, wie zum Beispiel technische und tabellarische Kalendertexte, die fast alle aus dieser Höhle stammen.22 Dies trifft auch auf fast alle Texte zu, die ganz oder teilweise in kryptischer Schrift kopiert wurden oder auf andere Art und Weise verschlüsselt wurden.23 Die einzige Ausnahme ist der nicht identifizierte Text 11Q23 aus Höhle 11, der aus Resten von sieben Buchstaben besteht. Es ist nicht notwendig, hier meine Hypothese zu Höhle 4 im Detail zu wiederholen, aber die Richtung meiner Argumentation zu dieser Höhle 4 ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Wissen und Wissenswirtschaft für unsere Erschließung der Qumranfunde einen vielversprechenden Gesichtspunkt darstellen. Im Folgenden werde ich anhand eines meines Erachtens anregenden Aufsatzes von Mary Douglas und Gerald Mars mit dem Titel Terrorism: A Positive Feed­ 18 

Vgl. Mi 2,6–11. Zur weiteren Diskussion siehe Collins 2009. 2014. 20  Alexander 2006; Stone 2017; T homas 2009; Bohak 2008. 21  Hempel 2013b. 22  Hempel 2013b, 319–329; zu den Kalendertexten von Qumran siehe ferner Ben-Dov 2008; Glessmer 1991; Stern 2011; VanderKam 1998. 23  Hempel 2013b; Pfann 2000; Popović 2018. 19 Popović

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back Game auf einige Aspekte der Wissensökonomie eingehen, die sich aus den Qumranfunden ergeben haben.24 Die Anthropologen Douglas und Mars befassen sich mit Enklaven, die sie als ‚closed dissident minorities‘25 definieren, charakterisiert durch eine Tendenz, Information zu kontrollieren. Diese Studie stellt uns hilfreiche Konzepte zur Verfügung zu der gegenwärtigen Fragestellung, wie in den Texten von Qumran Information geschätzt, geschützt und kontrolliert wird. Bevor wir zu Douglas und Mars zurückkehren, ist es jedoch notwendig, uns mit einer Definition von Wissenswirtschaft zu befassen. In einem Artikel unter dem Titel T he Knowledge Economy bieten die Soziologen Walter Powell und Kaisa Snellman folgende Definition: We define the knowledge economy as production and services based on knowledge-intensive activities […] T he key component of a knowledge economy is a greater reliance on intellectual capabilities than on physical inputs of natural resources.26

Diese Definition im Rahmen von „production and services based on knowledge-­ intensive activities“ scheint mir ausgesprochen relevant für die Situation in der Umgebung von Khirbet Qumran.27 Die Produktion von Schriftrollen in einem solchen Ausmaß setzt ein hohes Maß an intellektuellem Kapital voraus, und dieses Kapital basiert auf Bildung und Wissen. Nun ist der Erwerb höherer Bildung, Sachkenntnis und Expertise nicht ökonomisch neutral. Hinzu kommt, dass wertvolle Pergamentrollen aus Viehhäuten eines der Medien waren, durch die Wissen festgehalten und weitergegeben wurde. Der Leiter des Herausgeberteams der Schriftrollen, Emanuel Tov, Professor Emeritus an der Hebräischen Universität in Jerusalem, spricht z. B. von einer Kategorie der ‚De luxe Scrolls‘, wie etwa die Tempelrolle.28 Dazu kommt das pure Übermaß, das hinter der Herstellung von acht Kopien der Gemeinderolle auf Pergament steckt. Des Weiteren haben wir im Umfeld von Qumran in der Judäischen Wüste Belege, die darauf hindeuten, dass wohlhabende Personen und Gruppen auf der Flucht vor den Römern literarische Texte als Teil ihrer kostbaren Habseligkeiten mit sich trugen.29 Bislang haben wir uns die ökonomischen Investitionen in die antike Wissenswirtschaft – die die Verfassung, Vervielfältigung und Überlieferung sowie das dazu verwendete Rohmaterial mit sich brachte – vor Augen geführt. Hinzu kommt, dass ein solcher Wissensbetrieb den leitenden Beitrag einer Gruppe von Gelehrten voraussetzt. Nun sind Autoren und Wissenschaftler von der Antike an bis heute weitgehend dazu geneigt, das soziale Milieu des Judentums zur Zeit der Zweiten Tempels zu segmentieren (gängiger Weise in Pharisäer, Sadduzäer, Es24  Für den ursprünglichen Hinweis auf diese Publikation bin ich meinem Kollegen Professor Albert I. Baumgarten, Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel, dankbar. 25 Douglas/Mars 2003, 763. 26 Powell/Snellman 2004, 199. 27  Lapin 2010. 28 Tov 2004, 125–129; zur Analyse der umfangreichsten „De Luxe-Schriftrolle“ vgl. Schütz 2015. 29 Popović 2012.

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sener, Zeloten; später, im Neuen Testament, kommen dazu auch Schriftgelehrte) in der Hoffnung auf eine Hypothese, die das Diagramm der Segmentierung am überzeugendsten darstellt und die antiken Texte jeweils in glaubwürdiger Art und Weise diesen Gruppierungen zuordnet. Es scheint mir im Gegenteil, dass das hochgelehrte Material, das wir neben den gruppeninternen Texten von Qumran vor uns haben, gewissermaßen auf ein jüdisches literarisches Erbgut hinweist, das von der Sache her eine hochgebildete, gruppenübergreifende, gelehrte Elite voraussetzt. Ehe jemand in der Lage ist, in innerjüdischen Debatten zur Auslegung des Gesetzes zu einem technischen Sachverhalt eine Position einzunehmen, muss man die Zeit und Muße haben, seine Tage mit Debatten und Reflexion zu verbringen, nicht zu sprechen von einer höheren Bildung, die es einem erlaubt, die Debatte zu schätzen. Hinzu kommt die notwendige Autorität, die dazu führt, dass ein Beitrag auf angebrachtem Niveau zunächst Gehör findet und dann von einem Hörer(kreis) schriftlich aufgezeichnet wird. Letztere Aufzeichnungen sind auch kaum objektiv, sondern eher tendenziös im Dienst der Schreiber. In Kürze, die als selbstverständlich betrachteten Privilegien und sozialen Strukturen, die unsere diversen Autoren, Herausgeber und Kopisten miteinander verbinden, gehen weit über jegliche Knackpunkte und Debatten, die in der Primär- und Sekundärliteratur aus der Antike betont werden, hinaus. Das hohe Niveau und die Bandbreite des Wissenskapitals, das uns aus der Judäischen Wüste erhalten ist, stellt das kulturelle und intellektuelle Guthaben einer Wüstengemeinschaft von Kapitalisten dar. Der Großteil des intellektuellen und kulturellen Kapitals aus Qumran und Umgebung bezeugt zweifellos ein bedeutendes Segment der Wissenswirtschaft des antiken Judentums.30 Nachdem wir den enormen Fußabdruck, den die Funde aus Qumran innerhalb der antiken jüdischen Wissenswirtschaft hinterlassen haben, im Blick hatten, möchte ich nun zum T hema Wissenskontrolle, wie von Douglas und Mars für Enklaven konzipiert,31 zurückkehren.32 Douglas und Mars suggerieren eine Reihe von Strategien der Wissenskontrolle, die man in Enklaven erwarten kann33: – graduelle, das heißt durch Abstufungen klassifizierte Quellen mit Varianzen von einem hohen Loyalitätsanspruch bis zu Informationen aus ‚falscher‘ Quelle, die schlechtgemacht wird, – legitime Quellen, – Geheimwissen, – Evasion (das heißt, Aktivitäten sind vorgeschrieben, ohne ins Detail zu gehen), – eine verzerrte Zeitdimension, in der historische Geschehnisse einem Weltbild angepasst werden, – ein defektives Risikoempfinden. 30 

Das Konzept ‚cultural capital‘ geht auf Pierre Bourdieu zurück, vgl. Bourdieu 1993. 2003, 765. 32  Die Terminologie ‚footprint‘ im Bezug auf Qumran geht auf Fraade 2011 zurück. 33  Zum Folgenden vgl. Douglas/Mars 2003, 775 f. 31 Douglas/Mars

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Die ersten vier dieser Strategien (graduelle Quellen, legitime Quellen, Geheimwissen und Evasion) scheinen mir besonders hilfreich im Bezug auf Details der Wissensökonomie, die sich in den Qumrantexten widerspiegelt. Zusätzlich zu dem Schema, das von Douglas und Mars vorgestellt wird, möchte ich eine Phase ‚zero‘ vorabstellen, die von ‚Open Access‘ gekennzeichnet ist.

1. ‚Open Access‘ Qumranwissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass in mehreren Schriftrollen eine Tendenz der Wissenskontrolle zum Ausdruck kommt. Weniger Aufmerksamkeit wird solchen Stellen gewidmet, die zum Beispiel in der Gemeinderolle ein Spektrum von Positionen vorstellen, dass mit ‚Open Access‘ beginnt und andernorts im selben Dokument klar von Informationskontrolle spricht. Ich denke hier zunächst an die Beschreibung kleiner ‚fellowship groups‘, die sich treffen in „all ihren Niederlassungen“, „um miteinander zu essen, lobpreisen, und beratschlagen“ (1QS 6,1–3).34 Etwas später noch in Kolumne 6 hören wir von Gemeindemitgliedern, die sich abwechseln, um Tag und Nacht das Gesetz auszulegen (1QS 6,6 f.). Der Kernpunkt hier ist, dass dieses Prinzip der ‚Schichtarbeit‘ keine privilegierte Position identifiziert, deren Kompetenz anderen Mitgliedern vorgesetzt wird. Nachdem wir also eine Phase ‚zero‘ eingeräumt haben, wenden wir uns nun den Kategorien der Wissenskontrolle zu, die Douglas and Mars präsentiert haben.

2. Graduelle Quellen35 Neben den oben aufgeführten egalitären Stellen finden wir im gleichen Dokument auch Texte, die einen kontrollierten Zugang zu Wissensaustausch suggerieren. Zunächst einmal kommen hier die Regeln in Betracht, die nicht von einem im Wechsel fungierenden Gesetzesforscher, sondern von dem Gesetzesforscher (‫ )דורש התורה‬sprechen. So wird in Kolumne 8 der Gemeinderolle von Eduard Lohse übersetzt: Und keine Angelegenheit, die verborgen war vor Israel, aber gefunden worden ist von dem Mann, der forscht, soll er vor diesen (dem Rat der Gemeinschaft) verbergen aus Furcht vor einem abtrünnigen Geist (1QS 8,11 f.).36

Auch die Regeln für den Eintritt in die Gemeinde setzen voraus, dass nur Vollmitglieder Zugang zu den Verhandlungen der Gemeinde haben (1QS 6,13b–23; siehe auch 4Q256 11,8,11–13; 4Q261 3,1). Hinzu kommen die Bestimmungen zur Rolle des Unterweisers oder Weisheitslehrers (Maskil), die von graduellen Quellen und 34 

Zur Diskussion und weiterführende Literatur siehe Hempel 2013a, 79–105. Zu gradierten Quellen siehe auch Stone 2011, Kapitel 5. 36  Übers. Lohse 1971, 31. Siehe ferner Steudel 2005. 35 

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unzulässigem Wissen sprechen in 1QS 9,12–25 und 4Q256 18,1–7; 4Q258 8,1–9; 4Q259 3,6b–4,8.37 Die Rolle des Maskil, wie sie aus der Gemeinderolle hervorgeht, ist nuanciert. Einerseits finden wir Stellen, die von sukzessiven Offenbarungen sprechen wie etwa in Kolumne 9, wo es heißt, der Maskil soll „den Willen Gottes ausführen entsprechend dessen, was für die jeweilige Zeit offenbart wird. Er soll Einsichten gewinnen, die entsprechend der Zeiten (‫ )לפי העתים‬gefunden werden“ (1QS 9,13; 4Q259 3,8 f.). Immer noch in Kolumne 9 lesen wir allerdings auch, dass Offenbarungen der Gemeinde im weiteren Sinne zugänglich sind („die Leute der Gemeinschaft sollen mit Vollkommenheit wandeln, jeder mit seinem Nächsten in allem, das ihnen offenbart wurde“, 1QS 9,19; vgl. 4Q256 18,2 f.; 4Q258 8,3 f.; 4Q259 3,17–19).38 Wenn man die nuancierten Aussagen im Ganzen betrachtet ergibt sich ein Bild von graduellen Offenbarungen, die teilweise auch der Gemeinde zugänglich sind, wenn auch nicht in gleichem Maße wie dem Maskil. Der Maskil übt auch Wissenskontrolle aus gegenüber einer Gruppe, die einmal ‚Leute der Grube‘ und ein andermal ‚Leute des Frevels‘ genannt werden: Er (der Maskil) soll die Leute der Grube weder zurechtweisen noch sich mit ihnen in ein Streitgespräch einlassen. Stattdessen soll er den Rat des Gesetzes39 unter den Leuten des Frevels verborgen halten.40

Da Zurechtweisung (‫ )תוכחת‬und der Austausch von Rat (‫ )עצה‬beides Aktivitäten sind, die das gemeinschaftliche Leben innerhalb der Bewegung auszeichnen,41 ist die Wissenskontrolle, die oben betont wurde, wohl an ehemalige Gruppengenossen gerichtet, die sich im Nachhinein als abfällig erwiesen und nun als Freveloder Grubenvolk bezeichnet werden.42

3. Legitime Quellen In der Damaskusschrift werden Figuren wie der Lehrer der Gerechtigkeit und der mit dem Lehrer manchmal identisch erscheinende Ausleger des Gesetzes als legitime und richtungsweisende Quellen porträtiert, die in einem ausschlaggebenden Moment in der Geschichte der Bewegung auftraten (CD 1; 6). Eine weitere 37  Angel 2011; Hempel 2013a, 162–170.237–251.317–319; Kosmala 1973; Newsom 1990; Newman 2014. 38  Der Text in 4Q259 weicht teilweise von dem gemeinsamen Text in 1QS, 4Q256, und 4Q258 ab: „Wenn das Verhalten der Versammlung der Gemeinde Vollkommenheit erreicht, sollen sie in Vollkommenheit wandeln, jeder mit seinen Nächsten [plural] in allem, das ihnen offenbart wurde.“ 39  4Q258 3,2 liest „seinen Rat“. 40  1QS 9,16 f.; vgl. 4Q258 8,1 f.; 4Q259 3,13–15. 41  Zur Zurechtweisung siehe z. B. 1QS 5,24–6,1 (4Q258 und 4Q263 haben einen kürzeren Text) und CD 9,2–8; zum Austausch von Rat z. B. 1QS 6,3 (mit Parallelen in 4Q258; 4Q261; 4Q263). 42  Dazu siehe Hempel 2003c.

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legitime Wissens- und Autoritätsquelle sind die Söhne Zadoks, deren herausgehobene Rolle in Sachen Gesetzesoffenbarung aus der Gemeinderolle aus Höhle 1 hervorgeht (1QS 5).43

4. Geheimwissen44 Douglas und Mars weisen darauf hin, dass Geheimwissen von einer Aura der Macht umgeben ist. In den Handschriften von Qumran scheint es unumstritten, dass der Maskil besonderen Zugang zu esoterischem Wissen hat. Seine Rolle ist in der Gemeinderolle (1QS 9,14 f.) beschrieben: Er soll die Söhne Zadoks aussondern und wiegen ihren Geistern nach. […] Er soll einen jeden seinem Geist nach richten.45

Relevant sind auch die einleitenden Worte zur viel diskutierten Zwei-GeisterLehre46 in Kolumnen 3–4 der Gemeinderolle: Für den Maskil, um alle Kinder des Lichtes zu unterweisen über die Genealogien der Menschenkinder im Bezug auf die verschiedenen Arten der Geister mit (‫ )ב‬ihren Zeichen im Bezug auf (‫ )ל‬ihre Taten im Kurse ihrer Lebenszeit… (1QS 3,13 f.)

In diesen Stellen wird klar angedeutet, dass der Maskil esoterische Fähigkeiten besitzt, die ihm Einsicht erlassen in das geistliche oder innere Leben der Mitglieder seiner Bewegung. Die Figur des Maskil fungiert auch in apotropäischen Beschwörungstexten (z. B. „Die Lieder des Maskil“, 4Q511–512), deren genaue Verbindung zu der Qumranbewegung schwer festzulegen ist – auch auf Grund deren fragmentarischen Zustandes.47 Philip Alexander hat sogar vorgeschlagen, basierend auf einem Text 4Q186 Zodiacal Physiognomy, dass der Maskil sich auf physiognomische Charakteristika berief, wenn er sein Urteil über Kandidaten zur Mitgliedschaft fällte.48 Ausgehend von Texten, die ausdrücklich dem Maskil eine Rolle vis-à-vis der geistlichen Komposition der Gemeindeglieder zuteilt, hat Judith Newman den Maskil eloquent als ‚spiritual maestro‘ bezeichnet.49 Zuletzt möchte ich die hauptsächlich aus Höhle 4 stammenden kryptischen oder anderweitig verschlüsselten Schriften erwähnen. Hier handelt es sich um etwa 55 Exemplare aus Höhle 4 und nur ein einziges Exemplar aus Höhle 11 (11Q23 Un43  Zur Attraktion der subtilen Differenzierung von irreführendem vis-à-vis bereicherndem Wissen in der Henoch-Tradition in frühchristlichen Texten vgl. Reed 2009. Zu den Söhnen Zadoks in Qumran siehe Hempel 2013a, 109–119.211–227 und MacDonald 2015,114 f. sowie jeweils weitere darin genannte Literatur. 44  Siehe Anm. 20. 45  Die Handschrift 4Q259 3 liest ‚Söhne der Gerechtigkeit,‘ wo 1QS ‚Söhne Zadoks‘ bietet. Zur Diskussion siehe Kugler 1996, 315–320. 46  Zur Diskussion Hempel 2010, 102–120 mit weiterer Literatur. 47  Siehe Angel 2017; Guerra 2017. 48  Alexander 1996. 49  Newman 2014.

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identified).50 Ein ungewöhnlicher Fall ist der Midrasch des Maskil „an die Leute des Gesetzes“ (4Q298), ein Text, der mit einer Überschrift in Quadratschrift versehen ist, dann jedoch in kryptischer Schrift wiedergegeben ist.51 Dazu kommt der oben kurz erwähnte Text 4QZodiacal Physiognomy (4Q186), der von links nach rechts geschrieben und eine Mischung von Buchstaben in hebräischer Quadratschrift, paläo-hebräisch, griechisch und einen Buchstaben in kryptischer Schrift attestiert.52 Dieser Text zieht Rückschlüsse zwischen astrologischen Phänomenen und physiognomischen Charakterzügen, wie zum Beispiel die Länge von Fingern und Behaartheit bzw. Haarlosigkeit. Popović identifiziert das Werk als ein Zeugnis der Anfänge horoskopischer Astrologie im antiken Judentum. Vereinzelt treten auch kryptische Worte oder Buchstaben in Texten in Quadratschrift (4Q259), in Marginalien und interlinear auf.53 Was hier relevant ist, ist der Sachverhalt, dass verschlüsselte Schriften dazu dienen, den Inhalt des Materials geheim zu halten.54

5. Evasion Zuletzt möchte ich noch kurz etwas zu Evasion als vierte der Strategien der Wissenskontrolle nach Douglas und Mars sagen. Diese Strategie ist meiner Meinung nach in einem bisher unbekannten antiken Weisheitstext aus Höhle 4 belegt (4QInstruction).55 Dieser Text ermahnt den Adressaten dazu, sich gewissenhaft dem Studium des Geheimnisses des Werdens zu widmen. Allerdings ist die Darstellung dieses Geheimnisses (das persische Lehnwort raz tritt hier auf) durchaus wolkig und unklar. Diese Unklarheit scheint Teil einer Strategie der Evasion im Dienste der Wissenskontrolle zu sein. In diesem Zusammenhang sind Matthew Goffs Beobachtungen zu 4QInstruction hilfreich: T he focus is not on the disclosure of the raz nihyeh but rather on the need to contemplate it. T he mebin [sc. der Adressat in einem Großteil von Instruction] acquires wisdom not from the revelation itself but from studying it.56

Goff charakterisiert die qumranischen Weisheitstexte als ‚noetisch‘ mit dem Anspruch, in den Adressaten ein Verlangen und Streben nach Wissen zu erwecken.57

50 

Siehe Anm. 23. Pfann 1994; Hempel 2013a, 169 f.; Kister 1994. 52 Popović 2007. 53  Zu 4Q259 siehe Milik 1956 und Puech 1998; Hempel 2017; Qimron 2010; Tov 2004, 205 f.; Alexander/Vermes 1998, 145 f. 54  Sonderbarer Weise ist jedoch die Wendung „wenn diese in Israel existieren“, die in 4Q259 einmal in kryptischer Schrift erscheint, ein zweites Mal in 1QS 8,4 and 4Q259 in hebräischer Quadratschrift zu finden, siehe Hempel 2017. 55  Siehe Anm. 10 sowie Goff 2003; Tigchelaar 2001. 56  Goff 2018, 451. 57  Goff 2018, 452. 51 

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In diesem Zusammenhang argumentiert Davis Hankins: „Nothing in 4QInstruction suggests the mystery could ever lose its mysteriousness.“58 Meiner Meinung nach erfassen Goff und Hankins den Geist eines Textes wie 4QInstruction in überzeugender Weise aus der Perspektive des Adressaten. Ich möchte nun unsere Aufmerksamkeit auf die gleichfalls faszinierende Perspektive der Autoren lenken und fragen: In welchem Maß haben die Schöpfer dieser Texte selbst Zugang zu dem Geheimnis des Werdens – oder sind sie eher darauf bedacht, einen Diskurs zu konstruieren, der einen Sinn der Überlegenheit vermittelt und in Wirklichkeit etwas Unnahbares in Form der Erschließung der Mysterien anbietet? Ein solcher Standpunkt gäbe den Autoren des Konzeptes sicherlich eine Aura der Macht und Erhabenheit.59 Andererseits können wir auch die Ambitionen, die in 4QInstruction zum Ausdruck kommen, weniger utilitaristisch als einen Versuch ansehen, der das strebende Studium und weniger die Erschließung des Geheimnisses als den nachhaltigen Wert fordert. Eine solche Interpretation kommt der Position Goffs nahe, der die Qumran-Weisheitstexte als einem noetischen Streben gewidmet ansieht. Die Frage stellt sich, ob wir dann immer noch einen Fall von Wissensmanipulation und -kontrolle vor uns haben. Die in 4QInstruction vertretene Position scheint jedoch sowohl Wissen als kontrolliert zu verstehen als auch zugleich von Demut gegenüber dem Geheimnis geprägt zu sein. Es ist sinnvoll, beide Aspekte nebeneinander gelten zu lassen: Das ständige Streben nach Einsicht in das Geheimnis des Werdens ist begleitet von einer unterschwelligen Einsicht, dass der Text und seine Autoren die Adressaten und Leser mit einem impliziten überlegenen Blickpunkt plagen. Der Ausdruck ‚plagen‘ – English ‚torment‘ – geht auf einen ­Artikel von Hugh Urban zurück mit dem Titel T he Torment of Secrecy: Ethical and Episte­mological Problems in the Study of Esoteric Traditions. Urban selbst entnahm die Wendung ‚torment of secrecy‘ einer Studie des US Secret Service in der McCarthy-Ära. Urbans Darstellung von ‚secrecy‘ ist durchaus vielversprechend im Bezug auf 4QInstruction: Secrecy, I submit, is better understood, not in terms of its content or substance – which is ultimately unknowable, if there even is one – but rather in terms of its forms or strategies – the tactics by which social agents conceal or reveal, hoard or exchange, certain valued information.60

Urbans Definition folgend ist es durchaus nicht unerwartet, dass die in Qumran gefundene Weisheitsschrift 4QInstruction gleichzeitig die unnahbare Einsicht in das Geheimnis des Werdens sowie auch die implizite Überlegenheit der Autoren vermittelt. Auch wenn die Autoren selbst nicht tief in das Geheimnis des Werdens eingeweiht sind, der wirksame evasive Diskurs untermauert ihre Autorität. 58 

Hankins 2016, 199. 2003. 60  Urban 1998, 210. 59 Douglas/Mars

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Zusammenfassung Ich habe versucht, eine Reihe von Qumranschriften anhand neuer Fragestellungen zu untersuchen. Im Laufe der Diskussion begegneten wir einem Spektrum von Strategien, die aus der literarischen Präsentation spezialisierten Wissens Gewinn erzielen sollten. Die Diskussion bestätigt die Notwendigkeit eines nuancierten Lesehorizonts, der die Qumranforschung von heute mehr und mehr prägt. Ich möchte letztlich noch einmal auf die Bedeutung des sozioökonomischen Kapitals der Qumran-Schriftrollen, mit der ich begann, zurückkommen. Im Kontext der antiken jüdischen Wissenswirtschaft fungiert Qumran als das antike Äquivalent von Silicon Valley – oder besser: Silicon Wadi – und vermittelt weit weniger den Eindruck eines ideologischen Stauwassers, als ihn die Entdeckungen in der Judäi­ schen Wüste zunächst hervorriefen.

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Bildung im hellenistischen Judentum Roland Deines Die Titelformulierung verlangt zwei Vorabklärungen: Was ist „Bildung“ und was ist unter „hellenistischem Judentum“ zu verstehen? Um beim Letzteren zu beginnen: Im Folgenden wird unter „hellenistischem Judentum“ das Judentum des hellenistischen Zeitalters, d. h. vom 3. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. verstanden, wobei sich die untere Grenze nicht klar abgrenzen lässt. Die Eroberung von Syrien und Palästina durch Pompeius im 1. Jahrhundert brachte die Region zwar unter römische Oberhoheit, aber das hatte auf die dominante hellenistische Prägung der östlichen Staaten des Mittelmeerraumes und die großen Städte keinen Einfluss. Auch blieb Griechisch die kulturell dominierende Sprache, während Aramäisch Volkssprache war, mit Latein noch ohne großen Einfluss und dem Sonderfall des Hebräischen für das Judentum. Über die Bedeutung des Hebräischen in der Zeit vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis einschließlich zum 1. Jahrhundert n. Chr. ist derzeit eine intensive Debatte im Gang, wobei sich die Waage mehr zu Gunsten derer zu neigen scheint, die He­ bräisch neben Aramäisch als eine auch im Alltag von der Bevölkerung gesprochene und genutzte Sprache sehen.1 Das traditionelle Bild sah im Hebräischen die Gelehrten- und Spezialistensprache der Schriftgelehrten, wobei im jüdischen Kontext ein γραμματεύς jemand ist, der die Heiligen Schriften Israels kennt und anzuwenden weiß (wofür Hebräisch unumgänglich ist), aber nicht notwendigerweise einer, der auch (professionell) schreiben kann. Weiter beschränke ich mich auf Texte aus der griechisch-jüdischen Tradition, so dass „hellenistisch“ hier nicht nur als Epochengrenze, sondern auch als sprachliches Indiz verstanden werden soll, wobei ich mit Martin Hengel davon ausgehe, dass es neben dem hellenistischen Judentum kein nicht-hellenistisches, palästinisches Judentum gab, das von griechischer Sprache, Kultur, Wissenschaft und Bildung unbeeinflusst geblieben wäre.2 Auch ist es angesichts der engen Kontakte 1  Zur Diskussion s. Buth/Notley 2014; stärker dem traditionellen Bild verpflichtet, das im Hebräischen vor allem eine religiöse Literatursprache sieht, die aber nicht mehr als Umgangssprache diente, ist Gzella 2017. Zum Einfluss des Griechischen s. Ameling 2017. Zur wachsenden Bedeutung des Hebräischen für die Aufrechterhaltung einer jüdischen Identität und damit als gewolltes Erziehungsziel s. Schniedewind 2017, 19–28. 2  Nach wie vor unentbehrlich Hengel 1988, zum Einfluss des Hellenismus auf das jüdische Bildungsideal s. besonders 108–195; Hengel 1976; Hengel 1996; Hengel 2001 (in die-

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und wechselseitigen Beeinflussungen von Diaspora und Mutterland wenig zielführend, das Diasporajudentum als eine eigene Größe neben dem judäischen Judentum (das sich im 1. Jahrhundert v. Chr. auch in Galiläa wieder ausbreitete) zu bestimmen. Eine kulturelle Sonderstellung hat am ehesten das babylonische Judentum dieser Zeit besessen, d. h. die jüdischen Bevölkerungsanteile, die außerhalb der griechisch-römischen Einflusssphäre lebten. Hier fehlen vorläufig die Quellen, um genauere Angaben für die Zeit von Alexander sowie die Seleukidenund dann die Partherherrschaft zu machen. Das ändert sich erst mit der Sasa­ nidenherrschaft ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. Für diese Epoche stehen dann die rabbinischen Quellen zur Verfügung.3 Zugleich ist festzuhalten, dass die Intensität des Kontakts mit hellenistischen Einflüssen durchaus unterschiedlich war und sich verschiedene Formen von gewollter Anpassung und Übernahme bis zu radikaler Ablehnung und militanter Bekämpfung aufzeigen lassen, die geographisch und chronologisch nebeneinander existieren konnten. Statt also zwei getrennte kulturelle Räume zu postulieren, wie dies der traditionellen Aufteilung in „palästinisches“ und „hellenistisches“ Judentum zu Grunde lag, empfiehlt es sich, von parallelen, sich gegenseitig beeinflussenden Tendenzen zu sprechen, die keine scharfen Grenzen aufwiesen, sondern fließend ineinander übergingen.4 Zudem ist zu beachten, dass die Bereitschaft zur Übernahme hellenistischer Traditionen und Fertigkeiten sehr stark bereichsabhängig ist: So können die hasmonäischen Hohepriesterkönige z. B. hellenistische Militärtaktik und -ausrüstung übernehmen, aber im religiösen Bereich einen strikt antipaganen Kurs verfolgen, der etwa griechische Religionsausübung im eigenen Herrschaftsbereich verbietet und als Alternative lediglich die Konversion zum Judentum via Beschneidung oder das Verlassen des Territoriums anzubieten hat.

sem Aufsatz geht Hengel auf kritische Anfragen ein, die gegen seine Darstellung erhoben wurden). Als neuere Darstellung, die ausdrücklich an Hengel anknüpft, s. Bernhardt 2017, besonders 396–467 über „Hellenismus und Judentum“, wo auch die Frage der Entwicklung der jüdischen Diaspora behandelt wird, die nach Bernhardt eng mit der im Mutterland verbunden blieb. 3  Goodblatt 1975; Gabbay/Secunda 2014. 4  Gegen das vorherrschende Paradigma eines Kulturkampfes zwischen Judentum und Hellenismus weist Philip S. Alexander darauf hin, dass der Widerstand gegen den Hellenismus sich vor allem gegen dessen politische Dominanz richtete (und auch das nur zu bestimmten Zeiten), außerdem gegen die als Götzendienst empfundene griechische Popular­religion, sowie gegen die griechische Moral insbesondere im Bereich der Sexual- und Familienethik. Er betont darum zu Recht: „But this leaves huge swathes of Greek culture untouched. Opposition to these aspects of Greek culture does not mean opposition to absolutely everything Greek“ (Alexander 2001, 66).

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1. Vorhellenistische jüdische Bildungstraditionen Im Hinblick auf Bildung lässt sich jedoch ohne Übertreibung sagen, dass das Judentum durch den intensiven und kontinuierlichen Kontakt – diese Präzisierung ist notwendig, weil sich punktuelle griechische Einflüsse seit dem 6. Jahrhundert in der Levante nachweisen lassen, wenn man die mykenische Epoche zumindest geographisch als „griechisch“ annimmt, dann sogar schon seit der Spätbronzezeit – mit der griechischen Sprache und Zivilisation seit Alexander eine intellektuelle Blütezeit erlebt, die das Repertoire jüdischer Literatur und Bildung in kaum zu überschätzender Weise bereichert hat.5 Die eben gemachte Einschätzung gilt auch dann noch, wenn man zugleich einräumt, dass unser Wissen über das intellektuelle jüdische Leben in der persischen Provinz Jehud in vorhellenistischer Zeit begrenzt ist.6 Denn bevor der Einfluss des Hellenismus auf die jüdische Bildungslandschaft thematisiert wird, wäre es eigentlich nötig, das intellektuelle Leben in der persischen Provinz Jehud in vorhellenistischer Zeit zu beschreiben, um zu sehen, was sich mit der Eingliederung Israels in die griechische Kulturwelt und die damit verbundene stärkere Orientierung nach Westen verändert hat. Immerhin fällt in diese Zeit, d. h. das 5./4. Jahrhundert v. Chr., die Endredaktion des Pentateuch, der meisten der Prophetenbücher sowie der älteren Teile im dritten Kanonteil, d. h. Teile der Weisheitsliteratur und der poetischen Bücher erhalten in dieser Zeit ihre abschließende Form (oder auch konkurrierende Formen, aber das ändert nichts an der Sachlage), zu der nur noch vereinzelt Ergänzungen treten. Zudem entstehen in dieser Zeit zahlreiche biblische Bücher (Haggai, Sacharja, Maleachi, Daniel, Esther, Kohelet, Chronik, Esra, Nehemia), dazu eine reiche hebräische und ara­ mäische Literatur, die nicht in den Kanon gelangte. Diese Sammel- und Redak­ tionsarbeit, die Einzelschriften zu größeren Einheiten durch ein intratextuelles Gewebe in Form von innerbiblischen Zitationen, Verweisen und Erklärungen verbindet,7 setzt literarische und editorische Kenntnisse sowie die damit verbundenen Bildungsmöglichkeiten im vorhellenistischen Judäa voraus, die aber in den entsprechenden Darstellungen oft nicht bedacht werden.8

5  Als Gesamtübersicht unentbehrlich und immens hilfreich ist Siegert 2016, für einen knappen historischen Überblick mit Schwerpunkt auf die Orte von Literaturproduktion s. dort 29–38. 6  Vgl. die knappe Einschätzung von Kratz 2017, 40: „Über das Leben in den beiden Provinzen Samaria und Juda in babylonischer und persischer Zeit ist nur wenig bekannt.“ Vgl. Gerstenberger 2005; Lipschits/Oeming 2006; Lipschits u. a. 2011. 7  Klassisch ist Fishbane 1985; vgl. außerdem Hengel 1999; Kratz 2004a; Deines 2012, 264– 267 und im selben Band die Aufsätze von Ego 2012, hier 54 f. Anm. 7 eine Zusammenstellung der relevanten Literatur; Segal 2012; Levinson 2013. 8  Vgl. als Beispiel Gerstenberger 2005, 116–322, der einen kompletten Überblick über „Die biblische Literatur der Epoche“ bietet, aber in der historischen Darstellung weder Ort, Interesse noch Trägerschaft für diese literarische Tätigkeit diskutiert.

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Eine wichtige Rolle spielte dabei mit Sicherheit der Tempel und die dortige Priesterschaft. Die ältesten Hinweise auf Schriftgelehrsamkeit und entsprechende öffentliche Unterweisungen platziert das Nehemiabuch in das Jerusalem zur Zeit des Schriftgelehrten (sofer) und Priesters (cohen) Esra,9 wobei der Ort dieser „ersten“ öffentlichen Unterweisung aus dem „Buch der Tora des Mose“ (sefer ­torat Moshe, Neh 8,1) bezeichnenderweise nicht der Tempel (trotz der Beteiligung der Leviten, Neh 8,7.9), sondern der „Platz vor dem Wassertor“ (Neh 8,3) war.10 Bemerkenswert auch, dass in diesem Text betont von „Männern und Frauen“ als Zuhörenden die Rede ist (Neh 8,2 f.). Man kann in Neh 8 (auch Kapitel 9–10 sind hier noch wichtig) einen Hinweis darauf sehen, dass es zumindest in bestimmten priesterlich-levitischen Kreisen ein Interesse daran gab, dass das ganze Volk in der Tora unterwiesen wurde und die Bestimmungen derselben auch praktizierte. Ob dies schon für die Zeit von Esra gilt, oder erst für die Zeit der Abfassung dieser Texte, ist dabei zweitrangig. Die Zyniker unter den Gelehrten, die religiöse Motivation nur als Mittel profaner Vorteilsnahme zu sehen vermögen, könnten zudem darauf hinweisen, dass dies ja auch kein Wunder sei, da das nachfolgende Kapitel 10 deutlich macht, dass das Tun der Tora zu einem nicht unerheblichen Teil den Priestern, Leviten und dem Tempel direkt zu Gute komme (Neh 10,33–40). Aber daneben darf nicht übersehen werden, dass möglicherweise ein großer Teil dessen, was sich heute in der Hebräischen Bibel bzw. dem christlichen Alten Testament findet, in vom Tempel unabhängigen, teilweise sogar deutlich kritisch zu ihm stehenden Gruppen und Kreisen tradiert und redigiert wurde. Es gab, nach allem was sich historisch plausibilisieren lässt, starke familien- und gruppenspezifische Bildungstraditionen, in denen Texte und interpretative Traditionen geschrieben, gelesen, ausgelegt und weitergegeben wurden.11 Die Anfänge der besonderen Henochtraditionen etwa liegen in dieser Zeit, die sich nicht ohne Weiteres mit der Tempeltheologie der Priesteraristokratie in Jerusalem in Beziehung setzen lassen. Das setzt nicht nur ein reiches, sondern auch ein differenziertes und miteinander konkurrierendes intellektuelles Milieu voraus, das in seiner greifbaren Erscheinung nahezu ausschließlich auf die großen Prätexte von Mose und den Propheten   9  In der zweiten Verlesung des Gesetzes, 24 Tage nach den Ereignissen von Neh 8 (vgl. Neh 8,2 und 9,1), sind es die Leviten, die vorlesen und das Volk zum Gebet anleiten; obwohl auch da ein „Aufstieg (ma‘aleh)“ angegeben ist, handelt es sich wohl nicht um dasselbe hölzerne Gestell wie im vorigen Kapitel. Es scheint also, dass diese zweite Verlesung im Tempelgelände zu lokalisieren ist (vgl. Neh 10,33–46, wo es in der anschließenden Selbstverpflichtung ausschließlich um den Tempeldienst geht). Zur Wandlung Esras vom „Staatssekretär“ (was die ursprüngliche Bedeutung von sofer war) zum Schriftgelehrten s. Kratz 2004b, 111– 118, hier 112; außerdem Willi 2012, 126–132.174–218. 10  Vgl. Willi 2012, 212–216, der den nichtkultischen Charakter der Versammlung her­ vorhebt, allerdings auf den bildungsbezogenen Aspekt dieser Volksunterweisung nicht eingeht. 11  Kratz 2017, 181–183, verweist darauf, dass der üblicherweise angenommene Schwerpunkt der Traditionsbildung dessen, was er „biblisches Israel“ nennt, nicht notwendigerweise mit dem Tempel verbunden, sondern u. a. gerade in tempelkritischen Gruppierungen zu finden ist; vgl. dazu auch Deines 2015, 305–312; Deines 2016, 72–74.

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bezogen ist (die Henochtradition ist als Antipode zur mosaischen zu verstehen). Dazu kommt ein starker Einfluss der biblischen Geschichte (als Historiographie verstanden) und ihrer prägenden Gestalten, so dass die Geschichte Israels – deren Ereignisfolge die Texte als bekannt voraussetzen – und ganz konkret ihre Protagonisten in späteren Schriften regelmäßig als Vorbilder und Beispielgeber herangezogen werden. Daraus folgt, dass diese Gestalten mit ihren charakteristischen Geschichten bekannt waren. Weiter fällt auf, dass nahezu nie auf außerbiblische Beispiele verwiesen wird, obwohl deren Einfluss bisweilen deutlich erkennbar ist. Diese Konzentration auf die biblischen Erzählstränge gehört zu den wichtigsten Elementen der jüdischen Bildungstradition und verbindet auch die vorhellenistische und hellenistische Epoche. Es gibt darum – um das als herausfordernde T hese zu formulieren – keinen Hinweis auf Bildungstraditionen zur Zeit des jüdischen Hellenismus, die nicht auf die Heiligen Schriften Israels – in welcher Form auch immer sie damals vorlagen – und damit auf die Tora und das durch sie begründete Gottes- und Geschichtsverhältnis des Einzelnen wie des Volkes – in welchem konkreten Verständnis auch immer – bezogen sind.12 Es ist also nicht so, dass die hellenistische Bildung im Gefolge Alexanders wie ein fruchtbarer Regen auf lange dürrem Land zu verstehen ist, das nun erst eigentlich zu blühen anfängt. Im Gegenteil: Hier traf die jahrhundertealte Bildungstradition eines kleinen, militärisch unbedeutenden Volkes als Folge von Alexanders Eroberungszug nach Osten auf die siegreiche neue Militär-, Kultur- und Bildungsgroßmacht namens Hellenismus. Dass das Judentum diesen Kontakt überlebte und sogar gestärkt und bereichert daraus hervorging, ist alles andere als selbstverständlich, wie Martin Hengel mit Verweis auf Fergus Millar betont hat. Millar 12  Vgl. Kratz 2017, der zwar die biblische Tradition für die nachexilische Zeit als „keineswegs überall bekannt und für alle Teile des Judentums verpflichtend“ hält (73), in seinem „Ausblick auf die parabiblische Überlieferung“ (165–179) dann aber doch einräumt, dass dieses umfangreiche Schrifttum auf den Schultern der Bücher der Hebräischen Bibel steht (174), die „als literarische und theologische Referenzgröße benutzt und ausgelegt wurden“ (176). Dagegen haben sich so gut wie keine literarischen Traditionen der postulierten nichtbiblischen Judentümer erhalten. Den Verweis auf den jüdischen Tempel in Elephantine als Zeugnis einer judäischen Religion „unberührt vom biblischen Judentum und seinen heiligen Schriften“ (192) halte ich für nicht überzeugend; ebensowenig ist die Tatsache, dass dort eine aramäische Fassung der Behistuninschrift des persischen Königs Dareios I. und die „Worte des Ahiqar“ gefunden wurden, ein Indiz dafür, dass diese Texte quasi an Stelle von Texten der Hebräischen Bibel fungierten (198 f.); zudem gehört Dareios I. zu den guten Königen in der Hebräischen Bibel und Ahiqar wird im Tobitbuch (1,21 f.; 2,10 u.ö.) zu einem Angehörigen des Stammes Naftali, was zeigt, dass auch das biblische Judentum keine Schwierigkeiten hatte, diese Tradition zu würdigen und zu integrieren. Ein anderer Beitrag (Kratz 2013) erweckt den Eindruck einer Parallelität zwischen elephantinischem und alexandrinischem Judentum, obwohl die Quellen für das erstere aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. stammen, die für Alexandria dagegen erst Mitte des 3. Jahrhunderts beginnen. Für dieses Judentum stellt Kratz fest, dass dessen Literatur „mit einem Bein fest in der biblischen Tradition, mit dem anderen ebenso fest in der hellenistischen Welt“ steht (204). Auch da müsste die zweite Satzhälfte m.E. modifiziert werden, da zwar die literarischen Formen der hellenistischen Welt entnommen sind, aber nicht die Inhalte.

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hat gezeigt, dass der Eingliederung (oder Eroberung) der einzelnen Völker in den griechisch-römischen Machtbereich in den meisten Fällen „the removal of the memories and identities of the peoples whom it absorbed“ parallel ging.13 Anders das Judentum, was damit zusammen hängen dürfte, dass bereits eine jahrhundertealte literaturbasierte Bildungstradition existierte, die nicht nur – wie erwähnt – von einer Gruppe getragen war, sondern von vielen verschiedenen. Diese Pluralität verhinderte, dass der Niedergang oder das Verschwinden einer „Schule“, Priester- oder Schreiberklasse einen vollständigen Traditionsabbruch zur Folge hatte. Zudem waren auch schon bisher die Bildungsinhalte nicht einfach konserviert und sozusagen ‚unverändert‘ tradiert bzw. gerettet worden, sondern sind mit den neuen geistigen Herausforderungen – teils freiwillig, teils wohl gezwungen – in eine fruchtbare Beziehung gebracht worden. Dabei kam es dem Judentum der hellenistischen Epoche zugute, dass die Judäer schon seit Jahrhunderten solche Auseinandersetzungen mit politisch überlegenen Mächten und den damit verbundenen religiösen und geistigen Einflüssen (Assyrien, Ägypten, Babylonien, Persien) zu bestehen hatten. Die vielfältigen Redak­ tionsprozesse an den biblischen Schriften, die spätestens im 8. Jahrhundert v. Chr. einsetzen, belegen die Flexibilität, schriftlich fixierte und für die religiöse Identität des Volkes prägende Traditionen immer neu an gegenwärtige Herausforderungen zu adaptieren sowie neue Texte und Schriften in die schon vorhandenen Schriftensammlungen zu integrieren. So gelang es, die Identität als Volk, die untrennbar von der Überzeugung war, von Jahwe erwählt und beauftragt zu sein, auch an die neue hellenistische Leitkultur in einer Weise anzupassen, dass damit die besondere Stellung als Volk Jahwes erhalten blieb. So ist vor allem die Zeit unter ptolemäischer Herrschaft (bis ca. 200 v. Chr.; der Konflikt unter den Seleukiden entwickelte sich ab 175 mit dem Regierungsantritt von Antiochus IV. Epiphanes) von großer Offenheit geprägt, wie nicht zuletzt die Anfänge der Übersetzung der biblischen Schriften ins Griechische unter Ptolemaios II. Philadelphos zeigen.14

13  Hengel 1996, 35; Kieweler 1992, 46 f. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Historiographie zu, s. Sterling 1992. 14  Die Übersetzung orientiert sich nach Siegert aber nicht einfach an den Gepflogenheiten und Erwartungen griechischer Leser, sondern schafft einen eigenen Stil: „Man richtete sich überhaupt nicht nach dem Sprachgebrauch; man schuf aber einen, und der prägt die ganze parabiblische Literatur“ (Einleitung, 231). Zu dieser Debatte um die Sprache der Septuaginta als reine Koine oder eine absichtlich gestaltete jüdische Varianz derselben s. die Beiträge in: Bons/Joosten 2016. Überwiegend bestätigen die Beiträge die Bemerkung von Siegert, vgl. z. B. Prestel 2016, der ebenfalls betont, dass die Übersetzung „die hebräische Ausgangskultur“ nicht verlässt, sondern im Gegenteil der „Erneuerung der hebräischen Kultur“ dient, „um in der dominanten Umgebung einen identitätsstiftenden Stabilisator zu besitzen“ (45). „Die griechische Sprache“ wird „eingesetzt“, so beschließt Prestel seinen Beitrag, „um jüdische Lehre zur jüdischen Gemeinde zu bringen, und sie bildet gleichzeitig eine Abgrenzung gegen die griechisch-pagane literarische Kultur“ (68); zur identitätsbewahrenden Form des Septuaginta-Griechisch s. auch Joosten 2016.

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Dass mit dem Hellenismus zum ersten Mal nicht nur eine militärische und politische Macht als Herausforderung erschienen ist, sondern eine, zu deren Besonderheiten auch ein bestimmtes, attraktives Bildungsideal zählte, hat die jüdische Kreativität eher beflügelt als gelähmt. Eine wichtige Reaktion auf das anfänglich vor allem von der Jerusalemer Oberschicht bereitwillig aufgenommene hellenistische Bildungsprogramm15 war darum die „Entwicklung eines eigenen, praktisch die Gesamtwelt des Volkes erfassenden Bildungssystems.“16 Das war möglich, weil durch die bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. begonnene Übersetzung der Tora und im Anschluss daran sukzessive der anderen Bücher der hebräischen Bibel ins Griechische die sprachlichen Kompetenzen zur Verfügung standen, um eine eigenständige griechisch-jüdische Literatur- und Bildungstradition zu etablieren. Israel ist es, so schreibt Philo, der bereits auf über drei Jahrhunderte griechischer Herrschaft zurückblicken konnte, als dem besten Geschlecht (ἀρίστῳ γένει) vorbehalten, „das Beste zu sehen, das wahrhaft Seiende“, denn Israel bedeutet „Gott schauend“ (τὸ ἄριστον ὁρᾶν, τὸ ὄντως ὄν, συμβέβηκεν Ἰσραὴλ γὰρ ὁρῶν θεὸν ἑρμηνεύεται, De congressu 51). Damit ist in nuce angegeben, worauf das pädago­ gische Streben Israels (oder, wenn man hier den Einschränkungen von Kratz und anderen folgen will, dem biblischen Israel) im hellenistischen Zeitalter abzielt, nämlich als Einzelne wie als Volk in einer heilvollen Beziehung mit Gott zu leben. Wie dies zu erreichen ist, war umstritten und vielfältige Wege wurden propagiert. Diese erfuhren durch die von den Hellenisten in Jerusalem ab 175 v.Chr. ausgelöste Krise bis hin zum Bürgerkrieg noch einmal einen Anpassungsprozess. Als Konsequenz daraus ist bei allen Texten darauf zu achten, ob sie vor oder nach der hellenistischen Krise entstanden sind. Es bleibt aber bei allen Unterschieden bestehen, dass die theozentrische Ausrichtung jüdischer Bildung von den verschiedenen Gruppierungen geteilt wurde. Ein gutes Leben konnte es für Israel und in Israel nur unter dem Segen und Wohlwollen von Israels Gott geben. „Die Furcht des Herrn ist der Erkenntnisgrund der Weisheit“ – diese hermeneutische Vorgabe vom Beginn des biblischen Proverbienbuches (Spr 1,7, s. auch 9,10) gilt auch für das Israel des hellenistischen Zeitalters. Das zeigt sich schon daran, wie Spr 1,7 in der LXX erweitert wurde (im Folgenden kursiviert):

15 

Zur Einrichtung eines Gymnasiums in Jerusalem und der Begeisterung für griechische Wettkämpfe s. 1 Makk 1,11–15; 2 Makk 4,7–17; 4 Makk 4,20 (als Ausdruck von παρανομία); Josephus, Antiquitates Judaicae 12,241; zu einer detaillierten Darstellung der Entstehungsumstände s. Engels 2014. Ob das Gymnasium nach dem Hasmonäeraufstand weiterbestand, ist unbekannt (65 f.); archäologisch ist es in Jerusalem bisher nicht nachgewiesen worden. Küchler 2007, 533 geht davon aus, dass es „die Gegenreform der Makkabäer von 164 nicht überlebte und … schnell wieder (und für immer) aus dem antiken Stadtbild Jerusalems“ verschwand. Dass ein Gymnasium nicht von vornherein mit jüdischem Selbstverständnis unvereinbar ist, betont Bernhardt 2017, 129–144 u.ö. 16  Hengel 1988, 143.

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Ἀρχὴ σοφίας φόβος θεοῦ, σύνεσις δὲ ἀγαθὴ πᾶσι τοῖς ποιοῦσιν αὐτήν· εὐσέβεια δὲ εἰς θεὸν ἀρχὴ αἰσθήσεως, σοφίαν δὲ καὶ παιδείαν ἀσεβεῖς ἐξουθενήσουσιν. Anfang der Weisheit ist Furcht Gottes, und gutes Verständnis für alle, die sie (d. h. die σοφία) tun. Ehrfurcht gegenüber Gott aber ist Anfang der Wahrnehmung, Weisheit aber und Erziehung werden die Gottlosen verachten.17

2. Bildungsziele im hellenistischen Judentum Was wissen wir über die Bildungsziele – oder, anders gefragt – worauf war dieses „Bildungssystem“, von dem Hengel schreibt, ausgerichtet? Eine einheitliche Antwort für das in sich vielfältige hellenistische Judentum kann über den oben abgesteckten Rahmen hinaus nicht gegeben werden, weil es in keiner antiken Gesellschaft ein alle verpflichtendes Bildungsideal gab. Dennoch lassen sich Konvergenzen über die verschiedenen literarischen Zeugnisse hinweg erkennen. Angeregt durch den Satz von Teresa Morgan: „Education is always education for something“ soll darum gefragt werden, wofür man eigentlich Bildung brauchte bzw. warum Bildung überhaupt als erstrebenswert galt. Morgan ergänzt ihren zitierten Satz mit der Bemerkung: „the most interesting aspect of ancient education is its relation­ ship with other parts of culture and society.“18 Was also war der Anreiz für das Judentum ab dem späten 4. Jahrhundert v. Chr., in Bildung bzw. Ausbildung zu investieren? So formuliert ist die Frage falsch gestellt. Denn so etwas wie ‚das‘ Judentum als Subjekt von Bildungsbemühungen gab es nicht, so wenig wie es ‚das‘ Griechentum oder ‚das‘ Römertum gab. Solche Formulierungen projizieren kontemporäre staatliche Bildungserfahrungen auf die antike Situation zurück, in der zwar bestimmte Bildungsstandards verbreitet und anerkannt waren, aber dennoch keine korrespondierende Schul- bzw. Bildungspflicht existierte. Was es dagegen gab, waren Erwartungshaltungen an die Erziehung, die von der jeweiligen sozialen (und z.T. wohl auch religiösen) Stellung 17  Übers. nach LXX.D (Hans-Winfried Jüngling, Hermann von Lips, Ruth Scoralick). Vgl. außerdem das Ideal einer frommen Vernünftigkeit (ὁ εὐσεβὴς λογισμός) zu Beginn des 4. Makkabäerbuches (4 Makk 1,1) und dazu unten Abschnitt 2.4. 18  Morgan 1998, 4. Reizvoll, aber hier nicht zu leisten wäre es, die jüdischen Erziehungsideale mit denen der griechisch-römischen Welt in ein Verhältnis zu setzen; aber auch da würde sich das Problem ergeben, inwieweit individuelle Zeugnisse verallgemeinert werden können. Nach Marrou 1957, 5 war die παιδεία „Ziel und Essenz der Ausbildung“, weil sie selbst im „Zentrum der hellenistischen Kultur und Zivilisation“ stand. Zu den Lehrern als Ärzte für die Gebrechen der menschlichen Existenz s. die Beispiele bei Vegge 2006, 56 f., außerdem a. a. O. 230–232 über „Moralische Bildung.“ Einleitend zu diesem Abschnitt schreibt Vegge: „Moralische Bildung kann als eines der Ziele, wenn nicht gar als einziges Ziel der Bildung in einer Philosophenschule gelten“ (230). Über „Bildungsideale“ s. a. a. O. 233 f.

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abhängig waren. Der norwegische Neutestamentler Tor Vegge beschreibt die Situation so: Der durchschnittliche Polisbürger fand in seiner Umgebung keineswegs so etwas wie ein institutionalisiertes Schulsystem, worin er eine Ausbildung mit einem gesellschaftlich (allgemein) anerkannten Inhalt erhalten konnte. Bildung und Schulung erforderten persönliche Initiative und Planung und mußten auf allen Stufen eigenfinanziert werden.19

Ganz ähnlich äußert sich die britische Althistorikerin und Neutestamentlerin Loveday Alexander: Completion of the full enkyklios paideia meant not enrolling in an institution which covered the whole curriculum but finding enough individual teachers, concurrently or successively, to cover all the subjects a gentleman’s education was deemed to include.20

Da „persönliche Initiative and Planung“ (Vegge) bei Kindern und Heranwachsenden nur begrenzt erwartet werden kann, von den finanziellen Möglichkeiten einmal ganz abgesehen, wird deutlich, dass die Planung der Erziehung eines Kindes abhängig ist von den Bildungszielen seiner Eltern und den Möglichkeiten, diese ihren Kindern zu vermitteln. Hier kommen, außer den rein finanziellen Mitteln, die familien- und gruppenspezifischen Umstände zu tragen, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann. Nur so viel sei angemerkt, dass die Bildungs­ ideale innerhalb einer judäischen Priesterfamilie, die regelmäßig am Tempel in Jerusalem amtierte und mit Vertretern in der obersten Selbstverwaltungsbehörde, der Gerusia bzw. dem Synedrium repräsentiert war, andere waren als bei priesterlichen Familien, die nur für zwei Wochen im Jahr und an den großen Wallfahrtsfesten im Tempel als eine Art Hilfspriester amtierten, ansonsten aber in der Provinz Dienst taten, wo ihre Aufgabe anders aussah als im Jerusalemer Tempel. Im Folgenden werden vier Beispiele vorgestellt, die die Zeit vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 1. Jahrhundert n. Chr. und zugleich ein breites innerjüdisches Spektrum abdecken. Der ihnen – bei allen sonstigen Verschiedenheiten – gemeinsame Bezugspunkt ist die Tatsache, dass das Bildungsideal sich am Verhältnis zu Gott und seiner Offenbarung (die in Israels Heiligen Schriften zugänglich sind) orientiert. 2.1 Jesus Sirach Die zeitlich nächste Stelle, in der wir nach Esra und Nehemia in der erhaltenen Literatur etwas über Bildungsideale in Jerusalem erfahren, ist das Buch Jesus Sirach, das rund 200–250 Jahre nach den Zeiten Esras und Nehemias um 180 in hebräischer Sprache entstand.21 Bei Sirach, der ausdrücklich Jerusalem als seine 19  Vegge

2006, 5. Alexander 1995, 69. 21  Grundlegend Hengel 1988, 241–275. Für die aktuelle Diskussion vgl. die Beiträge in: Boccacini/Zurawski 2017: Ueberschaer 2017; Adams 2017; Uusimäki, 2017. Diese neueren Arbeiten heben zurecht hervor, dass die Betonung der jüdischen praxis pietatis als Teil des weisheitlichen Lernens nicht in erster Linie als antihellenistischer Reflex zu lesen ist, wie das 20 

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Heimat nennt (Sir 50,27), steht am Ende des Buches neben einem Preislied auf den Hohenpriester des Jerusalemer Tempels und einer abschließenden Bemerkung, was er selbst mit seinem Buch geschrieben bzw. „eingraphiert“ (ἐχάραξεν) hat, die Einladung, nun selbst zu ihm in das „Haus der Bildung“ (οἶκος παιδείας) zu kommen und wie er selbst Weisheit zu lernen, die er als Schatz, Reichtum etc. preist (allein παιδεία kommt 34–mal vor).22 50,27

Παιδείαν συνέσεως καὶ ἐπιστήμης ἐχάραξεν ἐν τῷ βιβλίῳ τούτῳ Ἰησοῦς υἱὸς Σιραχ Ελεαζαρ ὁ Ιεροσολυμίτης, ὃς ἀνώμβρησεν σοφίαν ἀπὸ καρδίας αὐτοῦ.

28

μακάριος ὃς ἐν τούτοις ἀναστραφήσεται, καὶ θεὶς αὐτὰ ἐπὶ καρδίαν αὐτοῦ σοφισθήσεται·

29

ἐὰν γὰρ αὐτὰ ποιήσῃ, πρὸς πάντα ἰσχύσει· ὅτι φῶς [v.l. φόβος] κυρίου τὸ ἴχνος αὐτοῦ.

50,27

Erziehung zu Verständnis und Wissen habe ich in diesem Buch aufgeschrieben, Jesus, der Sohn des Sirach, des Eleazar, des Jerusalemers, der die Weisheit von seinem Herzen hat hervorsprudeln lassen.

28 Selig, der nach diesen Dingen leben wird und der – sie auf sein Herz legend – weise gemacht werden wird. 29

Denn wenn er sie tut, wird er zu allem Kraft haben, weil das Licht [die Furcht] des Herrn seine Spur ist.23

Sirach vertritt ein elitäres Bildungsideal, das an die jungen Männer der Jerusalemer Elite appelliert, die ihre Zukunft in der Verwaltung des Staates sehen. Voraussetzung für das Leben eines solchen γραμματεύς ist die Unabhängigkeit von Erwerbstätigkeit für den Lebensunterhalt (38,24), denn „wie kann sich der Weisheit erwerben, der den Pflug hält“ (38,25)? Was folgt, ist eine eindrückliche und wertschätzende Darstellung der verschiedenen Handwerke, „ohne die eine Stadt nicht wohnlich gemacht“ werden kann, aber „zum Rat des Volkes (βουλὴν λαοῦ) werden sie nicht gebeten: 38,33 In der Gemeinde (ἐκκλησίᾳ) ragen sie nicht heraus; auf den Richterstuhl setzen sie sich nicht, und die Rechtsordnung haben sie nicht im Sinn. 34 Auch Bildung und Urteil (παιδείαν καὶ κρίμα) zeigen sie nicht, und in Sprüchen kennen sie sich nicht aus. Sondern: die ältere Forschung zum Teil tat. Sie hat darum auch keinen polemischen Charakter, sondern eher einen einladenden. Wer sich auf den von Sirach beschriebenen Weg macht, hat am Ende nicht nur Bildung, sondern „will be a sage inspired by wisdom“ (Ueberschaer 2017, 46). 22  Dass damit eine wirkliche Schule in Jerusalem gemeint ist, die von Jesus, dem Sohn des Sirach, betrieben wurde, und οἶκος παιδείας daher nicht metaphorisch zu lesen ist, wie immer wieder erwogen wurde, hat Vegge 2006, 103 noch einmal bekräftigt. 23  Zu der Frage, ob hier „Furcht“ (so der Vaticanus) oder „Licht“ zu lesen ist, s. Becker u. a. 2011, 2266 f. Die Lesart „Furcht“ bildet in jedem Fall eine Inclusio mit Kap. 1, in dem die Gottesfurcht mehrfach als Ausgangstugend alles Lernens (wie in Spr 1,7) variiert wird.

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das Geschaffene der Welt stärken sie, und ihr Gebet (besteht) in der Ausübung ihres Handwerks.

Profane Arbeit als Gottesdienst ist also nicht nur ein lutherisches Ideal, sondern schon lange zuvor ein jüdisches: Recht getane Arbeit ist das Gebet des Handwerkers.24 Aber für öffentliche Aufgaben ist dieser nicht geeignet. Dazu braucht es den Muße habenden Gelehrten: 39,1 Hingegen wer sich hingibt und über das Gesetz des Höchsten (ἐν νόμῳ ὑψίστου) nachdenkt, der erforscht die Weisheit aller Vorfahren (σοφίαν πάντων ἀρχαίων) und mit den Prophezeiungen beschäftigt er sich, 2 die Darlegung namhafter Männer bewahrt er (im Gedächtnis); und in die Formulierungen von Sprüchen dringt er ein. 3 Das Verborgene der Sprichwörter erforscht er, und mit den Rätseln der Sprüche ist er vertraut. 4 Mitten unter den Edlen ist er zu Diensten, und vor Fürsten zeigt er sich; das Land fremder Völker durchschreitet er, denn Gutes und Böses hat er bei den Menschen erfahren (ἀγαθὰ γὰρ καὶ κακὰ ἐν ἀνθρώποις ἐπείρασεν).

Die erste Aussage (39,1) kann im Kontext des Sirachbuches durchaus als Hinweis auf die verschiedenen Abteilungen sein, in die sich die jüdischen heiligen Schriften um diese Zeit aufzuteilen beginnen: die Tora des Mose und die Schriften der Propheten, dazu Weisheitstexte der Alten, womit insbesondere Hiob und Salomo gemeint sein können. Es ist jedenfalls auffallend, dass insbesondere kurz danach beginnende sogenannte „Lob der Väter“ (Sir 44–50) – das Kratz „als eine Art kleiner Katechismus“ charakterisiert, der dazu diente „die Unwissenden in die Grundlagen der biblischen Überlieferung einzuführen“25 – bereits eine Ordnung aufweist, die der Reihenfolge der biblischen Bücher im späteren Kanon entspricht, d. h. wir haben hier eine kleine biblische Geschichte Israels. Fast noch spannender ist jedoch die unmittelbare Fortsetzung des oben zitierten Abschnitts, worin das Studium der eben genannten Literaturwerke mit Gott in Verbindung gebracht wird: 39,5 Sein Herz richtet er darauf, sich früh aufzumachen zum Herrn, der ihn erschaffen hat, und vor dem Höchsten betet er; und er öffnet seinen Mund im Gebet, und für seine Sünden bittet er. 6 Wenn der Herr, der Große, es will, wird er mit dem Geist der Erkenntnis (πνεύματι συνέσεως) erfüllt; er (= der Empfänger des Geistes) selbst lässt Worte seiner Weisheit hervorsprudeln, und im Gebet preist er den Herrn; 7 er selbst richtet (κατευθυνεῖ) Rat und Einsicht gerade, und über seine Geheimnisse denkt er nach; 8 er selbst legt die Bildung seiner Unterweisung (παιδείαν διδασκαλίας αὐτοῦ) offen, und er selbst wird sich im Gesetz des Bundes des Herrn rühmen.26

24 

Vgl. dazu den immer noch sehr anregenden Aufsatz von Hengel 2008. 2013, 207. Auch Ueberschaer 2017, 36 sieht hier (und an anderen Stellen) „the three parts of the biblical canon.“ 26  Die Abhängigkeit von Gottes Ermöglichen im Bereich der religiösen Erkenntnis, die Ben Sira hier bezeugt, erinnert an Schröder 2012, 221 (in § 13 „‚Bildung‘ als Regulativ von Religionspädagogik“): „Religion hält in Erinnerung, dass Bildung von Voraussetzungen lebt, über die Menschen nicht verfügen können.“ 25  Kratz

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Um wirklich Einsicht zu erlangen, muss Gott also „den Geist des Verstehens“ gewähren. Dazu dient das Gebet des Studierenden, sein Dank an Gott und ebenso sein Sündenbekenntnis. Der abschließende Hinweis auf das Gesetz des Bundes, d. h. die Tora des Mose, kann als weiterer Hinweis gewertet werden, dass auch die einleitende Bemerkung als Verweis auf die heiligen Schriften gelesen werden soll. Der Enkel, der nach 130 dieses Werk in Ägypten ins Griechische übersetzte, gibt im Prolog, den er seiner Übersetzung voranstellte, Auskunft über seine Motivation und sein eigenes Bildungsideal, das an einem entscheidenden Punkt von dem seines Großvaters abweicht: Da uns viele und große (Dinge) durch das Gesetz und die Propheten und die anderen, die auf sie gefolgt sind, gegeben sind, derentwegen es nötig ist, Israel (seiner) Bildung (παιδεία) und Weisheit (σοφία) wegen zu loben, und da es nötig ist, dass nicht allein die, die lesen (können), einsichtig werden, sondern dass die Lernbegierigen für die draußen (die Illiteraten) hilfreich sein können im Lesen und Schreiben, ging mein Großvater Jesus, der sich über die Maßen selbst dem Lesen des Gesetzes und der Propheten und der übrigen ­Bücher der Väter hingab und sich in ihnen eine angemessene Fertigkeit verschaffte, daran, auch selbst etwas aufzuschreiben von dem, was zur Erziehung und Weisheit gehört, damit die Lernbegierigen auch dafür eingebunden würden und desto mehr hinzufügen könnten durch das gesetzmäßige Leben.27

Durch die Tora, die Propheten und die Schriften sind, so kann man seine einleitenden Sätze paraphrasieren, dem Volk Israel Bildung (παιδεία) und Weisheit (σοφία) anvertraut. Weil diese anvertraute Gabe lobenswert ist, und damit eben auch begehrenswert, soll und kann sie nicht allein bei denen bleiben, die sie lesen können (gemeint ist wohl: im hebräischen Original), sondern soll von den „Lernliebenden“ (τοὺς φιλομαθοῦντας), die des Lesens und Schreibens mächtig sind, also den literarisch Gebildeten, auch den Draußenstehenden χρήσιμος (5) gemacht werden, das bedeutet: nützlich, brauchbar, hilfreich und angenehm. Diese Zweckangabe wird zwar für die Arbeit des Großvaters veranschlagt, aber dafür passt sie nicht wirklich und scheint mir darum eher sein eigenes Anliegen widerzuspiegeln. Nach Auskunft des Enkels verstand der Großvater sein Werk als eine Art Lese- und Schreibanleitung: Tora, Propheten und die anderen heiligen Schriften Israels sollten intensiv studiert werden, so dass man dann mit „genügender Sachkenntnis“ (ἱκανὴν ἕξιν) selbst etwas zu schreiben vermag, das einen Bezug zu Bildung und Weisheit hat (εἰς παιδείαν καὶ σοφίαν), und zwar besonders 27 

Übers. LXX.D, mit Ausnahme des letzten Satzes, wo ich das Verb bzgl. der „Lernbegierigen“ wörtlich übersetze (s. LXX.D 1091 Anm. zu I,13a): Πολλῶν καὶ μεγάλων ἡμῖν διὰ τοῦ νόμου καὶ τῶν προφητῶν καὶ τῶν ἄλλων τῶν κατ᾿ αὐτοὺς ἠκολουθηκότων δεδομένων, ὑπὲρ ὧν δέον ἐστὶν ἐπαινεῖν τὸν Ισραηλ παιδείας καὶ σοφίας, καὶ ὡς οὐ μόνον αὐτοὺς τοὺς ἀναγινώσκοντας δέον ἐστὶν ἐπιστήμονας γίνεσθαι, ἀλλὰ καὶ τοῖς ἐκτὸς δύνασθαι τοὺς φιλομαθοῦντας χρησίμους εἶναι καὶ λέγοντας καὶ γράφοντας, ὁ πάππος μου Ἰησοῦς ἐπὶ πλεῖον ἑαυτὸν δοὺς εἴς τε τὴν τοῦ νόμου καὶ τῶν προφητῶν καὶ τῶν ἄλλων πατρίων βιβλίων ἀνάγνωσιν καὶ ἐν τούτοις ἱκανὴν ἕξιν περιποιησάμενος προήχθη καὶ αὐτὸς συγγράψαι τι τῶν εἰς παιδείαν καὶ σοφίαν ἀνηκόντων, ὅπως οἱ φιλομαθεῖς καὶ τούτων ἔνοχοι γενόμενοι πολλῷ μᾶλλον ἐπιπροσθῶσιν διὰ τῆς ἐννόμου βιώσεως.

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für οἱ φιλομαθεῖς (13). Für den Großvater sind das diejenigen, deren zukünftige Karrieren er in Kap. 39 eindrucksvoll beschrieb und zugleich von denen absetzte, die sich die Muße zum Erlernen der Weisheit nicht leisten können. Indem der Enkel jedoch fordert, dass die Gebildeten auch denen in Wort und Schrift nützlich sein sollen, „die draußen sind“ und nun ebenfalls φιλομαθεῖς heißen (in Z. 5 und 34), überschreitet er den Kreis der Muße Habenden. 28 Hier liegen möglicherweise Ansätze zu einem Erziehungsideal, das breitere Bevölkerungsgruppen in den Blick nimmt, wie es um diese Zeit auch etwa im Pharisäismus anfängt. Ziel dieses Bildungsbestrebens ist die Entscheidung für ein Leben nach dem Gesetz bzw. „im Gesetz“, die ἔννομος βίωσις (und am Ende noch einmal als ἐννόμως βιοτεύειν).29 Der zweite Teil des Prologs beschäftigt sich mit den Schwierigkeiten einer Übersetzung vom Hebräischen ins Griechische: Die darin geäußerten Reflexionen über die Schwierigkeiten, bedeutungsadäquat von einer Sprache in die andere zu übersetzen, verweisen auf ein philologisches T heoriebewusstsein, das heute nur noch in seinen Ergebnissen, aber nicht mehr in Gestalt von entsprechenden theoretischen Texten vorliegt, wie dies für die alexandrinische Philologie der Fall 28  Sauer 2000, 39, sieht in den Lernliebenden mögliche Proselyten, aber dafür fehlen die Anhaltspunkte. Die Zielrichtung sind eher Juden, die mit ihrer eigenen Tradition noch nicht oder nicht mehr vertraut sind. 29  Beide Termini nur hier in der LXX; bei Philo fehlt βίωσις, aber er hat 3–mal ἔννομος i.S. von „legal, gesetzesgemäß“ (nicht direkt auf die Tora bezogen). Dasselbe Bild findet sich bei Josephus: Auch bei ihm fehlt βίωσις, aber er hat einmal ἔννομος (Antiquitates Judai­ cae 19,302). Eine Erziehung im Gesetz als Voraussetzung eines bundestreuen Verhaltens gegenüber Gott findet sich auch sonst, vgl. Testamentum Levi 13,2: „Lehrt aber auch eure Kinder das Lesen (wörtlich: Buchstaben), damit sie Einsicht haben für ihr ganzes Leben, indem sie ununterbrochen das Gesetz Gottes lesen“ (das ist ein besonderer Auftrag an priesterliche Familien); vgl. dazu Pouchelle 2017, der 138 f. auf die zunehmende Hochschätzung des Schreibenkönnens verweist (s. Jub 11,16; 19,14; 47,9: immer ist es der Vater, der seinem Sohn das Schreiben beibringt). Ein weiterer wichtiger Text ist Philo, Legatio ad Gaium 115: Die Juden sind „sozusagen von den Windeln an von Eltern (ὑπὸ γονέων), Erziehern (παιδαγωγῶν), geistigen Führern (ὑφηγητῶν) und in weit höherem Maß von ihren heiligen Gesetzen und ihrer ungeschriebenen Tradition (τῶν ἱερῶν νόμων καὶ ἔτι τῶν ἀγράφων ἐθῶν) unterwiesen (δεδιδαγμένους), daran zu glauben, daß ein Gott sei, der Vater und Schöpfer der Welt“; vgl. a. a. O. 209: „Wachen doch alle Menschen über ihre Sitten, vor allem aber das jüdische Volk, denn es sieht in seinen Gesetzen von Gott offenbarte Sprüche (θεόχρηστα γὰρ λόγια τοὺς νόμους εἶναι). In dieser Lehre ist es von frühester Kindheit an erzogen (τὸ μάθημα παιδευθέντες) und trägt der Gebote Bilder eingeprägt in seiner Seele (ἐν ταῖς ψυχαῖς ἀγαλματοφοροῦσι τὰς τῶν διατεταγμένων εἰκόνας)“; 2 Tim 3,15: „von Kindheit an kennst du die Heiligen Schriften“ (ἀπὸ βρέφος τὰ ἱερὰ γράμματα οἶδας); Josephus, Contra Apionem 2,171 ff.: „Denn all unsere Taten, unsere Beschäftigungen und all unsere Werke haben zu unserer Frömmigkeit gegen Gott ihren Bezug (ἐπὶ τὴν πρὸς θεὸν ἡμῖν εὐσέβειαν ἀναφέρουσιν); nichts von alledem hat Mose ohne Prüfung oder Regelung gelassen … Denn nicht einmal den Vorwand der Unkenntnis hat er uns gelassen, sondern als schönstes und nötigstes Erziehungsgut das Gesetz hingestellt (κάλλιστον καὶ ἀναγκαιότατον ἀπέδειξε παίδευμα τὸν νόμον) – uns, die wir es nicht nur einmal hören sollten oder zweimal oder vielmals; sondern er hieß uns jede Woche nach dem Ablassen von (allen) anderen Arbeiten zum Anhören des Gesetzes zusammenkommen und dieses genau memorieren …“.

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ist. Dass es ein solches gegeben haben muss, ist angesichts der Übersetzungs- und Revisionsarbeit an der LXX dagegen nicht zu bestreiten.30 2.2 Philo, „Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen“ (Περὶ τῆς πρὸς τὰ προπαιδεύματα συνόδου/De congressu quaerendae eruditionis causae) Die wohl eindrucksvollste Werbeschrift für die griechische ἐγκύκλιος παιδεία findet sich, wenig verwunderlich, bei Philo von Alexandrien, dem wohl gelehrtesten jüdischen Autor, der uns aus dem ganzen Altertum bekannt ist.31 In seinem allegorischen Auslegungswerk zur Genesis behandelt er Gen 16,1–6 in einem eigenen Traktat. Im biblischen Ausgangstext geht es darum, dass Abram und Sarai, wie die beiden Erzeltern damals noch hießen, aufgrund der Unfruchtbarkeit Sarais den Entschluss fassen, dass Abram mit Sarais Leibmagd Hagar versuchen sollte, einen Sohn zu zeugen. Dieses Verhalten, das nicht auf die Verheißung Gottes vertraut, sondern die Umsetzung der Verheißung selbst ins Werk zu setzen versucht, wird im biblischen Text durchaus kritisch gesehen. Nicht so bei Philo: Für ihn ist Hagar, die für die ἐγκύκλιος παιδεία steht, die notwendige Vorbereitung, um mit Sarai, „der Herrin“, Kinder erzeugen zu können.32 Allerdings sind für Philo diese sieben Fächer, „die eines freien Mannes würdig sind“33 und später als artes libe­ rales in der lateinischen Bildungsliteratur firmieren, die Erzeugnisse der Unfreien, der Magd, der Sklavin. Es sind illegitime Kinder, die nur darum notwendig sind, weil man ohne sie keine legitimen Kinder mit Sarah, der Herrin, zeugen kann.34 Und so betont er beider Nutzen gleich stark: einerseits die Unumgänglichkeit dieser Vorbereitung, andererseits die Notwendigkeit, Hagar zu verlassen, sobald man ihre Früchte geerntet hat, um sich ganz „der Herrin“ zu widmen. In diesem Traktat finden sich mehrfach Angaben zum Zweck dieser zweifachen Bildung, von denen hier nur eine Auswahl geboten werden kann: Am Anfang wird als Ziel die die Seele lenkende Tugend (ἡ ἄρχουσά μου τῆς ψυχῆς ἀρετή), die durch Sarah repräsentiert ist, dargestellt, deren Erzeugnisse (γεννήματα) das Vernünftigsein, das gerechte Handeln und die rechte Weise der Gottesverehrung 30  Vgl. Niehoff 2011, die auf Einflüsse homerischer Exegese auf den Aristeasbrief, die jüdisch-hellenistischen Autoren Demetrios und Aristobulos (alle drei werden von ihr in die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. datiert) und danach dann bei Philo verweist, aber auf Sirach überhaupt nicht eingeht. Generell gilt, dass diese „ersten Reflexionen zu Problemen der Übertragung heiliger Texte und des Übersetzens überhaupt“ relativ wenig Beachtung finden, so Marböck 2010, 44 f. 31  Zu Philo s. Sterling 2017a; Sterling 2017b. 32 In De congressu 11 zählt Philo „die Grammatik, Geometrie, Astronomie, Rhetorik, Musik und alle übrigen Zweige der geistigen Erkenntnis“ als Fächer auf. In De congressu 14–18 werden die Bildungsziele der einzelnen Disziplinen kurz beschrieben, wobei sich im Gesamtwerk Philos noch sehr viel Material finden ließe. 33 Cicero, De oratore 1,16,72; zit. nach Gemeinhardt 2007, 48. 34  Vgl. Sterling 2009.

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sind (τὸ φρονεῖν, τὸ δικαιοπραγεῖν, τὸ εὐσεβεῖν, De congressu 6). Die Tugend – das bedeutet hier: Sarah – „soll für uns gebären, damit wir, indem wir an ihren Samen und Erzeugnissen Anteil haben, glücklich werden (… ἡμῖν αὐτοῖς τίκτειν, ἵνα τῶν σπερμάτων καὶ γεννημάτων αὐτῆς μεταλαγχάνοντες εὐδαιμονῶμεν, De con­ gressu 7). Die Eudaimonia wird also einleitend als Ziel angegeben. Dem steht aber entgegen, dass die vollkommene Tugend gewohnt ist, allein für Gott zu gebären (εἴωθε γὰρ θεῷ μόνῳ τίκτειν). Wie also kann sie dazu gebracht werden, nun auch für die Menschen zu gebären, denen Gott an ihr Anteil geben will? Abram begreift in Philos Darstellung, dass eine direkte Zeugung mit der Tugend ihm nicht möglich ist „wegen der Fülle der unehelichen Kinder, dir mir der eitle Wahn geboren hatte“ (De congressu 6). Diese schlechten Gewohnheiten gilt es zuerst zu überwinden, und dazu dient der Umgang mit der enkyklischen Wissenschaft, die unter Aufnahme des auszulegenden Verses aus Gen 16,1 als Magd eingeführt wird, mit der zuerst Umgang gepflegt werden muss, ehe man sich der Herrin nähern darf. Die sexuelle Konnotation des Ausgangsverses schimmert bei Philo beständig durch: „Die Enkyklia sind der Tugend vorgelagert, diese sind der Weg, der zu jener führt“ (ἀρετῆς πρόκειται τὰ ἐγκύκλια· ταῦτα γὰρ ὁδός ἐστιν ἐπ᾿ ἐκείνην φέρουσα). Da die Tugend „der größte Wissensstoff“ (μεγίστη ὑπόθεσις) ist, begnügt sie sich nicht mit „kleinen Einführungen“ (βραχέσι προοιμίοις), sondern will das Ganze, nämlich die sieben Fächer, die die enkyklische Paideia ausmachen und dazu „alle übrigen Zweige der geistigen Erkenntnis“ (τῇ ἄλλῃ λογικῇ θεωρίᾳ πάσῃ). Diese Vorbereitung dient der Vollendung (τελείωσιν) des menschlichen Logos (als intellektuellem Vermögen, griech. τὸ λογικόν, De congressu 33) und bewirkt den Auszug „von der Welt zum Weltschöpfer“, d. h. vom Geschaffenen zum Ungeschaffenen (De congressu 48 f.). Nur so lässt sich „das Edelste, das wahrhaft Seiende schauen“. Das ist das Höchste, und das ist Israel, als dem besten Geschlecht (ἀρίστῳ γένει) vorbehalten, denn Israel bedeutet „Gott schauend“ (τὸ ἄριστον ὁρᾶν, τὸ ὄντως ὄν, συμβέβηκεν Ἰσραὴλ γὰρ ὁρῶν θεὸν ἑρμηνεύεται, De congressu 51, s. auch a. a. O. 58: „das himmlische Gute zu sehen“, οὐράνιον ἀγαθὸν ἰδεῖν). Dabei dient die enkyklische Paideia zum Erwerb der Philosophie, und diese wiederum zum „Besitz (κτῆσις) der Weisheit.“ Weisheit wird dann definiert als „die Wissenschaft von den göttlichen und menschlichen Dingen und ihren Ursachen“ (σοφία δὲ ἐπιστήμη θείων καὶ ἀνθρωπίνων καὶ τῶν τούτων αἰτίων, De con­ gressu 79, vgl. 4 Makk 1,16). Dann kommt auch bei Philo die Tora ins Spiel: Das Ziel ist es, durch die Gebote zu leben (Lev 18,1–5, zitiert De congressu 85 f.). Das heißt, dass es „wahres Leben“ nur für denjenigen gibt, „der in den Bestimmungen und Befehlen Gottes wandelt“ (οὐκοῦν ἡ πρὸς ἀλήθειαν ζωὴ περιπατοῦντός ἐστιν ἐν ταῖς τοῦ θεοῦ κρίσεσι καὶ προστάξεσιν). Umgekehrt sind alle, die den „Praktiken der Gottlosen“ (τὰ τῶν ἀθέων ἐπιτηδεύματα), das sind „Leidenschaften und Übel“, folgen, dem Tod bestimmt (De congressu 87). Durch die enkyk­ lios paideia werden diese Leidenschaften überwunden und so „kommen wir zu dem Wunsch nach einer gesetzmäßigen Bildung, die das Potential hat, nützlich zu sein“ (νομίμου παιδείας τῆς ὠφελεῖν δυναμένης εἰς ἐπιθυμίαν ἐρχόμεθα, De con­

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gressu 88). Die große und wahre Seele lässt alles Geschaffene hinter sich und hält sich allein an das Ungeschaffene, in Übereinstimmung mit der heiligen Weisung (μόνου τοῦ ἀγενήτου περιέχεσθαι κατὰ τὰς ἱερὰς ὑφηγήσεις, De congressu 134; vgl. Dtn 30,20). Gott ununterbrochen dienen und sich zu ihm halten ist das letzte Ziel, das damit belohnt wird, dass Gott sich einem solchen Menschen „zum Besitz“ gibt und es zu einem Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Gott und Mensch kommt (De congressu 134, s. auch a. a. O. 177). Kann man aus der Tatsache, dass Philo so intensiv für die ἐγκύκλιος παιδεία als notwendige Vorstufe für alle die anpreist, die nach den höchsten „himmlischen“ Bildungsinhalten streben, schließen, dass es zu seiner Zeit innerhalb der jüdischen Gemeinde zu viele gab, die meinten – so wie am Anfang Abram – ohne eine solche formale Ausbildung Nachkommenschaft zeugen zu können? Dabei geht der Streit nicht um das Ziel der Bildung – d. h. was Abram wollte, ist dasselbe, das Abraham dann erreicht –, sondern um den Weg dahin. 2.3  Josephus und die drei jüdischen „Philosophien“ oder „Schulrichtungen“ Die Pluralität jüdischen Bildungsstrebens lässt sich auch bei Josephus erkennen, der etwas später als Philo, d. h. im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr., schreibt. Josephus unterscheidet für die Zeit ab etwa 130 v. Chr. drei verschiedene „Philosophien“, das sind unterschiedliche jüdische Lebensweisen.35 Als Haupt­ typen derselben nennt er die Sadduzäer, Pharisäer und Essener. Wenn er einmal die Essener mit den Pythagoräern (Antiquitates Judaicae 15,371) und die Pharisäer mit den Stoikern (Vita 12) vergleicht (in einem Kontext, in dem er von allen drei jüdischen Gruppen spricht), dann wird deutlich, dass er Anknüpfungspunkte mit der griechischen Bildungstradition sucht und die jüdischen Bewegungen in ähnlicher Weise als Schulen sieht. Zugleich deutet er damit an, dass es gruppenspezifische Ausbildungsgänge gab.36 Gefragt werden kann, inwieweit es bei diesen 35  Als αἵρεσις bzw. αἱρέσεις bezichnet u. a. in Josephus, Bellum Judaicum 2,119; Anti­ quitates Judaicae 13,289.293; Vita 10; als φιλοσοφία bzw. φιλοσοφίαι in Antiquitates Judaicae 18,9.11.23. Dass hier an echte Wahlmöglichkeiten zu denken ist, hat noch einmal Bernhardt 2017, 402 f., hervorgehoben, vgl. außerdem Deines 2013, 47–50. 36  Zu den „Schülern“ (μαθηταί) der Pharisäer s. Mk 2,18 parr. Lk 5,33; Mt 22,15 f.; Josephus, Antiquitates Judaicae 15,3; auch die „Diener“ der Pharisäer im Johannesevangelium sind am ehesten als Schüler zu verstehen (Joh 7,32.45 f.; 18,3); die Pharisäer selbst verstanden sich als „Schüler des Mose“ (Joh 9,28, vgl. Mt 23,2). Zur pharisäischen Ausbildung des Paulus s. Gal 1,13 f.; Apg 22,3. Hierin spielte die „Überlieferung der Ältesten“ eine wichtige Rolle, (Josephus, Antiquitates Judaicae 13,296 f.406; Mk 7,1–5; Mt 23,2 f.), deren Quellen genaues Schriftstudium (Josephus, Bellum Judaicum 2,162), vernünftige Überlegung sowie das Vorbild der Lehrer sind (a. a. O. 18,12); anders die Sadduzäer, bei denen die Lehrer offenbar weniger geschätzt waren (a. a. O. 18,16; Hippolyt, Refutatio omnium haeresium 9,29). Die Pharisäer werden im Neuen Testament darum regelmäßig mit den Schriftgelehrten (Mk 2,16; 7,1 u.ö.) bzw. Gesetzeslehrern (Lk 5,17; Apg 5,37) zusammengestellt, was bei aller Stilisierung auf historische Tatbestände der Zeit vor 70 zurückgeht, vgl. dazu Deines 2007, 176–180; Deines 2000.

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Schulen dann auch eigene Adaptionen des griechischen Bildungsideals gab, indem anstelle der klassischen griechischen Autoren die ‚kanonischen‘ (im Sinne der Kanonizität von Homer bzw. den drei großen Tragikern) jüdischen Schriften in Form des Pentateuch im Zentrum standen. Von sich selbst behauptet Josephus, dass er im Alter von etwa 16 bis 19 Jahren die verschiedenen Schulen besucht hat, womit eine – stilisierte – jüdische Bildungslaufbahn vorliegt, deren nächste Parallele die knappen Bemerkungen des Paulus in Gal 1,14 und die Hinweise in der Apostelgeschichte sind (Apg 22,2 f., vgl. 23,6; 26,2–5; Phil 3,5): 10 περὶ δὲ ἑκκαίδεκα ἔτη γενόμενος ἐβουλήθην τῶν παρ᾿ ἡμῖν αἱρέσεων ἐμπειρίαν λαβεῖν. τρεῖς δ᾿ εἰσὶν αὗται, Φαρισαίων μὲν ἡ πρώτη, καὶ Σαδδουκαίων ἡ δευτέρα, τρίτη δ᾿ Ἐσσηνῶν, καθὼς πολλάκις εἴπομεν· οὕτως γὰρ ᾠόμην αἱρήσεσθαι τὴν ἀρίστην, εἰ πάσας καταμάθοιμι. 11 σκληραγωγήσας γοῦν ἐμαυτὸν καὶ πολλὰ πονηθεὶς τὰς τρεῖς διῆλθον· καὶ μηδὲ τὴν ἐντεῦθεν ἐμπειρίαν ἱκανὴν ἐμαυτῷ νομίσας εἶναι, πυθόμενός τινα Βάννουν ὄνομα κατὰ τὴν ἐρημίαν διατρίβειν, ἐσθῆτι μὲν ἀπὸ δένδρων χρώμενον, τροφὴν δὲ τὴν αὐτομάτως φυομένην προσφερόμενον, ψυχρῷ δὲ ὕδατι τὴν ἡμέραν καὶ τὴν νύκτα πολλάκις λουόμενον πρὸς ἁγνείαν, ζηλωτὴς ἐγενόμην αὐτοῦ. 12 καὶ διατρίψας παρ᾿ αὐτῷ [cj αὐτοῖς] ἐνιαυτοὺς τρεῖς καὶ τὴν ἐπιθυμίαν τελειώσας εἰς τὴν πόλιν ὑπέστρεφον. ἐννεακαιδέκατον δ᾿ ἔτος ἔχων ἠρξάμην πολιτεύεσθαι τῇ Φαρισαίων αἱρέσει κατακολουθῶν, ἣ παραπλήσιός ἐστι τῇ παρ᾿ Ἕλλησιν Στωϊκῇ λεγομένῃ. 10 Mit etwa sechzehn Jahren wollte ich aber die bei uns vorhandenen Schulrichtungen durch Erfahrung kennen lernen. Es gibt deren drei, erstens die Pharisäer, zweitens die Sadduzäer und drittens die Essener, wie ich schon oft gesagt habe, denn so glaubte ich schließlich die beste wählen zu können, wenn ich sie alle genau kennen lernte. 11 Unter strenger Selbstzucht und mit vielen Mühen durchlief ich alle drei; und als ich auch die dabei gewonnene Erfahrung für nicht genügend erachtet hatte, erfuhr ich, dass ein gewisser Bannus in der Einöde sein Leben verbrachte: dass er aus Baum(rinde) verfertigte Kleidung gebrauchte und sich nur diejenige Nahrung zuführte, die von selbst wuchs, dass er sich häufig – bei Tag und bei Nacht – mit kaltem Wasser wusch um der Reinheit willen: Dessen Nacheiferer wurde ich. 12 Und nachdem ich bei ihm drei Jahre zugebracht und mein Verlangen gestillt hatte, kehrte ich (vollends wieder) in die Stadt zurück. Im Alter von neunzehn Jahren begann ich, am öffentlichen Leben teilzunehmen, und zwar indem ich mich an der Sondergruppe der Pharisäer orientierte, die etwa derjenigen entspricht, die bei den Griechen „die stoische“ heißt.37

Auch wenn Josephus in diesem autobiographischen Text nicht ausdrücklich auf die religiöse Motivation dieser Schulen eingeht, so ist dieselbe in seinen sog. Schuloder Sektenreferaten doch deutlich vorausgesetzt. 2.4  Das vierte Makkabäerbuch und sein jüdischer Bildungskanon Das Ideal der „frommen Denkkraft“ (ὁ εὐσεβὴς λογισμός) prägt auch das Vierte Makkabäerbuch (4 Makk 1,1). Diese Denkkraft (λογισμός) bewährt sich in einem von der Weisheit bestimmten Leben (1,15). Weisheit aber ist definiert als „Erkenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge und der Ursachen von diesen. Sie be37 

Text und Übers. nach Siegert 2001, 24–27.

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steht näherhin in der Erziehung durch das Gesetz (ἡ τοῦ νόμου παιδεία), durch die wir ehrfürchtig die göttlichen Dinge und zu unserem Nutzen die mensch­ lichen erlernen (4 Makk 1,16 f., vgl Philo, De congressu 79, s. o. S. 259). Dabei ist der „heiligen Führerin Vernunft“ das Gesetz gegeben, mit dem sie ihre Königsherrschaft segensreich ausüben kann (4 Makk 2,21–23; zum Gesetz als Richtschnur s. auch 1,34; 2,5 f.8 f.10.14 u.ö.). Dieser erste, das 4. Makkabäerbuch einleitende Teil schließt mit der zusammenfassenden Bemerkung: Einst nämlich hatten unsere Väter tiefsten Frieden wegen ihrer Beobachtung des Gesetzes (διὰ τὴν εὐνομίαν) und es stand gut um sie, sodass auch der König von Asien, Seleukos Nikanor [gemeint ist Seleukos IV. Philopator, der von 187–175 v. Chr. regierte], Gelder zum Tempeldienst für sie abzweigte und ihre Verfassung anerkannte (4 Makk 3,20; ähnlich auch 18,4).

Der greise Gesetzeslehrer (νομικός) Eleazar, der als erster wegen seiner Treue zum Gesetz zu Tode gefoltert wird, hält eine Lobrede auf den „Erzieher Gesetz“ (παιδευτὰ νόμε, 4 Makk 5,34), den er im Alter nicht verraten wolle.38 Der Verfasser von 4 Makk schließt dieses erste Martyrium mit einer eigenen Lobrede auf das Gesetz ab, worin ebenfalls betont wird, dass die Philosophie nur mit Hilfe des Gesetzes und der Gottesfurcht (7,21) imstande ist, die Denkkraft zur „Gebieterin über die Leidenschaften“ zu machen, die aber gerade dadurch als „fromme Denkkraft“ (ὁ εὐσεβὴς λογισμός) ihr ganz eigenes, jüdisches Gepräge hat (6,31). Damit schließt sich der in 4 Makk 1,1 aufgespannte Bogen zum ersten Mal (die Wendung taucht dann noch in 7,16; 13,1; 15,23; 16,1; 18,2 auf, sie fehlt aber sonst in der LXX). Dass mit „Gesetz“ (immer νόμος) nicht nur die Fünf Bücher Mose gemeint sind, sondern sich auf den ganzen Bestand der jüdischen Heiligen Schriften bezieht, wird am Ende des Buches deutlich, als die Mutter der sieben um ihrer Treue zum Gesetz willen gemarterten und getöten Brüder noch einmal zitiert wird. Sie beschreibt darin ihren Mann, der starb, als seine Söhne erwachsen waren: Glücklich ist er zu preisen, denn er lebte ein mit Kindern gesegnetes Leben und brauchte nicht Schmerzen zu empfinden über den Zeitpunkt der Kinderlosigkeit. 10 Als er noch unter euch war, lehrte er euch das Gesetz und die Propheten. 11 Er las euch vor: Abels Ermordung durch Kain und Isaaks Opferung und Joseph im Gefängnis. 12 Er sprach zu euch über den Eiferer Phinees, er belehrte euch über die im Feuer, Ananias und Azarias und Misael. 13 Er rühmte euch auch den Daniel in der Löwengrube, den er seligpries. 14 Er erinnerte euch auch an die Schrift des Jesaja, in der es heißt: Auch wenn du durch Feuer schreitest, soll die Flamme dich nicht verbrennen. 15 Er sang euch die Lieder des Psalmendichters David, der da sagt: Zahlreich sind die Bedrängnisse der Gerechten. 16 Er zitierte euch aus den Sprüchen Salomos die Stelle: Ein Baum des Lebens ist er für die, die seinen Willen tun. 17 Er bekräftigte das Vertrauen auf Ezechiel, der da sagt: Werden denn diese verdorrten Gebeine leben? 18 Denn er vergaß nicht, den Gesang zu lehren, den Moses gelehrt hatte, wo es heißt: 19 Ich werde töten, und ich werde lebendig machen. Das ist euer Leben und die Länge eurer Tage. 38  4 Makk 5,15–38. Ζur Zusammenstellung von νόμος und παιδεία s. auch 4 Makk 1,17; 13,22.24; Ps 38,12 LXX; 93,12 LXX; Weish 2,12; Sir 39,8.

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In diesem knappen Text sind Inhalt und Ziel jüdischer Bildung in hellenistischer Zeit noch einmal deutlich erkennbar. Ausgangspunkt ist die Offenbarung Gottes, wie sie in den Büchern der jüdischen Heiligen Schriften allen zugänglich sind. Alles, was der Vater seine Söhne lehrte, und alle Beispiele, die die Märtyrer in ihren Verteidigungs- und Schmähreden gegen Antiochus IV. aufrufen, sind den Schriften entnommen, die wir heute in der Hebräischen Bibel haben. Das ist in diesem Fall darum besonders bemerkenswert, weil der Verfasser des 4. Makkabäerbuches erkennbar über eine hohe griechische Bildung verfügt. Die Beherrschung des Griechischen, die literarische Kompositionstechnik und die rhetorischen Elemente zeigen deutlich, dass hier ein Autor schreibt, dessen Ausbildung über die Progymnasmata hinausging.39 DeSilva hat ferner gezeigt, dass der Verfasser mit den Debatten der philosophischen Ethik seiner Zeit vertraut war und damit auch mit den großen philosophischen Autoren; desgleichen belegt seine Sprache eine Vertrautheit mit der griechischen Tragödie, allen voran Euripides.40 Gerade darum ist es umso beachtlicher, dass er in der Beschreibung des Bildungskanons, den er in den Mund der Mutter dieser sieben Brüder legt, auf keine nichtjüdischen Texte oder Beispiele verweist. Der Vater lehrte seine Söhne „the whole spectrum of the canon of classic Jewish texts“41, und diese helfen ihnen, im Leben und im Sterben ihre καλοκαγαθία zu erweisen.42

3. Zusammenfassung Am Ende seines Beitrags versucht deSilva, die Erfahrung dieses (leider) unbekannten Autors43 aufgrund dieses Textes zu rekonstruieren: As a teenager, did he execute his progymnastic exercises in a secondary school alongside non-Jewish teenagers from his city, reading Homer and Euripides with them and then reading Torah in the synagogue, an ancillary Jewish school, or at home? Or did the Jewish community in the city create its own educational institutions patterned after and using the curriculum of the Greek institutions, but moving the core texts of the Jewish subculture to the center of the curriculum (still alongside the classic „canon“ of Greek education)? (…) To the extent that the author projects his own experience onto that of his narrative, we might surmise that he experienced a formal, non-segregated Greek education in the „normal“ venues within his city and received training in Jewish cultural knowledge and practice through private means, primarily through his parents and through organs 39 

Ausführlich belegt bei deSilva 2017. A. a. O. 231–233. 41  A. a. O. 235. 42  Vgl. 4 Makk 1,10; 3,18; 11,22; 13,25; 15,9. Zu ἀρετή s. 1,8.10; 7,22; 9,8.18.31; 10,10; 11,2; 12,14; 13,24.27; 17,23. 43  Die Tatsache, dass ein so begabter und gebildeter Autor seinen Namen nicht nennt, ist ein weiterer Hinweis auf ein von den jüdischen Heiligen Schriften geprägtes Literaturverständnis, denn auch die Schriften der Hebräischen Bibel sind keine eigentlichen Verfasserschriften und ihre Verfasser und Bearbeiter treten hinter die Botschaft zurück. 40 

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of Jewish community practice. If this is correct – and it remains quite conjectural given the nature of the „evidence“ – then he represents a Jewish community that was quite fully integrated into the life of his city from a social standpoint, but that worked hard and intentionally to maintain its disctinctive cultural identity and practice. T he author’s own experience of education alongside non-Jewish peers has not mitigated his commitment to (and zeal for nurturing commitment to) the distinctively Jewish heritage and way of life, nor tempered his convictions about its superiority to the Greek heritage and way of life.44

Diese hypothetische Rekonstruktion eines jüdischen Bildungsweges im hellenistischen Zeitalter gibt wieder, was auch die anderen hier besprochenen Texte auf je ihre Weise bezeugen: Das Judentum, in der Diaspora und im Mutterland, nimmt aktiv und ohne religiöse Scheu an den Bildungsbemühungen seiner Umwelt teil. Nicht erst im Zeitalter des Hellenismus, wie der erste Abschnitt deutlich machte, sondern auch schon in den Jahrhunderten davor, ist die israelitisch-judäisch-jüdische Tradition davon geprägt, das Eigene so zu bewahren und zu transformieren, dass es den Herausforderungen der jeweiligen intellektuellen und religiösen Umwelt gewachsen war. Im Zentrum blieb dabei durch die Jahrhunderte hindurch die dem Volk anvertraute Offenbarung, deren schriftliche Form man in Tora, Propheten und Schriften bewahrte.

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44 

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Zur rabbinischen Begrifflichkeit des Lernens am Beispiel des Talmudabschnittes Qidduschin 49ab Gerhard Langer Anstelle eines Überblicks zum T hema des Lernens in der Vormoderne möchte ich in der Folge die Bedeutung der Begrifflichkeit von Bildung in der rabbinischen, genauer talmudischen Literatur einsichtig machen. Der verwendete Text stammt aus dem babylonischen Talmud, genauer gesagt aus dem Abschnitt bQidduschin 49a. Darin wird anhand mehrerer Beispiele dargelegt, unter welchen Bedingungen eine Verlobung rechtsgültig ist. Der Text lässt sich in drei Teile gliedern, die ihrerseits wieder aus zwei Teilen bestehen, zu denen noch erläuternde und präzisierende Kommentare kommen. Die drei Teile haben jeweils ein Stichwort im Fokus, das sich auf die Abfolge von Bildung im rabbinischen Kontext bezieht.

1.  ‫( לקרוא‬liqro) Der erste Begriff im Zusammenhang mit dem Lernen ist qara. Er bezieht sich im Allgemeinen auf das Lesen, genauer jedoch das Zitieren oder Rezitieren eines Bibeltextes. In bQidduschin 49a1 heißt es2:

1  Hier immer nach dem in der Datenbank Ma’agarim wiedergegebenen Ms Vatican, Bib­ lioteca Apostolica, ebr. 111 von 1381 zitiert. Vgl. dazu https://digi.vatlib.it/view/MSS_Vat. ebr.111. 2  In den Druckausgaben wird der Abschnitt deutlich als Baraita mit tanu rabbanan eingeführt. Vgl. zu Baraita im babylonischen Talmud Stemberger 2011, 236 f.

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(Sei mir angetraut) unter der Bedingung, dass ich lese/rezitiere3: Meinung 1: Wenn er drei Verse/psuqim in der Synagoge rezitieren/lesen (qara) kann, Worte des R. Meir. Meinung 2: R. Jehuda sagt: (Sie ist nicht angetraut), bis er (sie) rezitiert und übersetzt (targem). Erläuternder Kommentar: (Auch wenn er es) entsprechend seinem Verständnis übersetzt? Wird nicht gelehrt: R. Jehuda sagt: Wer einen Vers seiner (äußeren) Form nach übersetzt ist ein Lügner, und wer etwas hinzufügt ist wie einer, der Blasphemie treibt und Gott schmäht (mecharef u-megaddef) (vgl. tMegilla 3,41)?4 Also auf welche Übersetzung (bezieht sich Jehuda)? Unsere (akzeptierte) Übersetzung.

Der hier vorgestellte Ehekandidat muss entsprechend der Meinung R. Meirs (dritte Generation der Tannaiten) bzw. – geht man nach der heute vorliegenden Druckfassung – nach der Mehrheitsmeinung der Gelehrten drei Toraverse in der Synagoge vortragen können, wenn er von sich behauptet, dass er lesen kann. Dies entspricht der in mMegilla 4,4 als Minimum dokumentierten Praxis.5 Der Synagogenkontext zeugt davon, dass der Kandidat in der Lage ist, aus einer ihm vorliegenden Torarolle zu zitieren. R. Jehuda (dritte Generation der Tannaiten) reicht diese Fähigkeit nicht aus, er verlangt auch noch eine Übersetzung, wie sie im Synagogenvortrag üblich ist. In mMegilla 4,4 wird dabei deutlich zwischen dem Vorleser und dem Übersetzer/ Meturgeman unterschieden. Die Rabbinen legen in der Folge klar, dass eine dem Wortlaut entsprechende Wiedergabe des Textes nicht ausreicht und beziehen sich als Beweisquelle auf eine andere Aussage des R. Jehuda – die sich in leichter Variante in der Tosefta findet – zurück. Die Rabbinen verlangen von dorther die Verwendung einer im rabbinischen Gebrauch üblichen Übersetzung. Giuseppe Veltri präzisiert: „Targum par excellence ist nach bQid 49a Onkelos“.6 Damit wird weit mehr als die bloße äußere Fähigkeit des Lesens und mehr als technisches Übersetzen vorausgesetzt. Der Kandidat muss demnach in der Lage sein, in der Liturgie die Aufgabe des Lesers und Übersetzers zu übernehmen.

3  In den Druckausgaben heißt es, dass er behauptet: qarjana ana („ich bin ein Lesender/ Rezitierender“). 4  In den Mss Wien, Erfurt, London und im Druck: ‫כצורתו הרי זה בד)א(י והמוסיף הרי זה מגדף‬ ‫פסוק המתרגם‬. 5  Vgl. dazu auch bMegilla 21b, wo über drei Vorleser gehandelt wird, die gemeinsam zehn Verse lesen. Vgl. zum T hema insgesamt Graves 2007, 467–487. 6  Veltri 2002, 99.

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Danach heißt es: ‫והני מילי דא"ל קריינא אבל אמ' לה קראה דקרי אוריית' נביאי וכתובי בדווקא‬ Diese Aussage gilt dann, wenn er zu ihr sagt: Ein Rezitierender. Aber wenn er zu ihr sagt, ich bin ein Bibelkundiger, so (ist sie nicht angetraut,) bis er aus der Tora, den Propheten und Schriften exakt zitiert.

Der Begriff qara wird hier ein zweites Mal in einer anderen Bedeutung verwendet. Demnach ist nicht an ein Vorlesen im Synagogenkontext gedacht, sondern an die Kenntnis der gesamten Schrift. Der qara ist in der Lage, die Miqra, das geschriebene Gotteswort, nicht nur zu lesen, sondern seinen Gehalt genau wiederzugeben. Nicht selten findet man in Bezug auf qara (pl. qaraim) die Übersetzung Bibelgelehrte(r). In Avoda Zara 40a sagt R. Hinnena b. Idi, dass er eine komplexe Auslegung gleich von drei qaraim gehört habe, nämlich Rav, Schmuel und R. Jochanan. Allerdings bezieht sich hier die Auslegung nicht auf ein biblisches T hema, sondern auf ein halakhisches Problem im Umgang mit Produkten von Nichtjuden. Der Begriff ist demnach hier weiter und allgemeiner als Gelehrter zu verstehen. Für das Mittelalter ist die Präsenz von Toralehrern, die Bibel auf einem einfachen Level unterrichteten, unter dem Titel qara oder auch naqdan gebräuchlich. Touitou nimmt an, dass solche qaraim die peschat-Auslegung – was nicht nur den Literalsinn, sondern auch und eher die allgemein akzeptierte rabbinische Auslegung eines Verses meint – auch auf höherem Niveau unterrichteten.7 Wir kommen damit zum zweiten Stichwort:

I.  2. ‫( לשנות‬lischnot) Es heißt weiter im Text: ‫על מנת שאני שונה‬ ‫חזקיה אמי הלכות‬ ‫ור׳ יוח׳ אמ׳ תורה‬ ‫מיתיבי איזו היא משנה‬ ‫ר׳ או׳ הלכות‬ ‫ור׳ יהוד׳ או׳ מדרש‬ ‫מאי תורה מדרש תורה‬ Unter der Bedingung, dass ich lerne/wiederhole (schone). Meinung 1: Chizkijja sagte: (das bezieht sich auf) Halakhot, Meinung 2: und R. Jochanan sagte: Tora.

7 

Vgl. Kanarfogel 1992, 83.

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Einwand bzw. erläuternder Kommentar: Es gibt einen Einwand: Was bedeutet Mischna? R. (?)8 sagt: Halakhot und R. Jehuda sagt: Midrasch. Erläuterung zu Meinung 2: Was ist (daher die Bedeutung von) Tora? Midrasch Tora.

Die nächste Bildungsebene ist mit dem Verb schana (schnj) verbunden. Dieses hängt mit schnajim (zwei) bzw. scheni (zweiter) zusammen und verweist damit auf das zweimal Tun/Sagen, das Wiederholen. In der Piel-Form begegnet es als le-schannot („verändern, variieren, modifizieren“ etc.). Zwei Rabbinen sind sich nicht einig darüber, worauf sich diese neue Lern­ebene bezieht. Nach R. Chizkijja (erste Generation der Amoräer) handelt es sich um rechtlich relevanten Stoff, also Halakha. Nach R. Jochanan (zweite Generation der Amoräer) ist es die Tora, womit wahrscheinlich wieder an den Bibeltext gedacht ist, wie beispielsweise Raschi zur Stelle anmerkt. Mit dem Begriff metive eingeleitet, wodurch ein Einwand, eine gegnerische Ansicht signalisiert wird, greifen die Rabbinen auf den Begriff schana zurück, der in der Folge mit der Mischna verknüpft wird, worunter sie halakhischen Lernstoff verstehen. Das fertig redigierte „Werk“ Mischna muss damit nicht gemeint sein, wohl aber der sich darin findende Stoff. Der Text enthält demnach zwei Ebenen, einmal die offensichtliche Auseinandersetzung zwischen Chizkijja und Jochanan und zum anderen den Einwand gegen die Haltung von Jochanan, erläutert durch die Meinungen zweier Tannaiten, (möglicherweise) Meir und Jehuda – die bereits im vorherigen Abschnitt als Autoritäten genannt worden waren –, die gleichzeitig als Präzisierung und Korrektur verstanden werden dürfen. Daraus ergibt sich die Klarstellung, was unter Tora zu verstehen ist, von der Jochanan sprach. In jedem Fall sollte die Meinung, mit schana sei das Erlernen von Bibel gemeint, deutlich in Frage gestellt werden. Vereinfacht ausgedrückt werden Chizkijja und Jochanan ins „rechte Licht gerückt“. Steven D. Fraade schreibt: What constitutes minimally sufficient learning, within the rabbinic curriculum of oral studies, to fulfill the terms of his condition for betrothal – the mastery of laws alone (what becomes the Mishnah) or of their exegetical derivations (what becomes the legal mi­ drashim)?9

Wenn wir unter Mischna also eine Sammlung mündlich überlieferter Rechtssätze verstehen dürfen, dann ist mit Midrasch10 nach Jehuda an dieser Stelle die darauf bezogene Ableitung der Rechtssätze aus dem biblischen Text gemeint. An dieser Stelle seien noch einige über den Text hinausgehende Bemerkungen zum T hema Mischna als Lernstoff erlaubt. Die Mischna wird von den Rabbinen als Inbegriff der mündlichen Tradition schlechthin betrachtet und gilt als allei 8 

In den Druckausgaben steht hier Meir. 2008, 221. 10  Vgl. dazu insgesamt Langer 2016.  9 Fraade

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niges Mysterium als Grundlage der Kindschaft Israels vor Gott (Pesiqta Rabbati 5,2 f.). In einem Dialog zwischen R. Chanina und R. Chijja (erste Generation der Amoräer) im babylonischen Talmud Bava Metzia 85b11 wird das Lehren von Bibel und Mischna, das einfachen Kinderlehrern obliegt, der „Spitzenforschung“, dem pilpul, gegenübergestellt. Damit ist die auf höchstem Niveau vollzogene intellektuelle Durchdringung eines rechtlichen Problems angesprochen. Chanina war demnach der Meinung, dass nur ein über das bloße Lernen hinausgehendes und den Verstand beanspruchendes intellektuelles Durchdringen einer Sache die Tora vor dem Vergessen bewahren könne. Er behauptet: Wenn die Tora vergessen werden sollte aus Israel, würde ich sie wiederherstellen durch meinen pilpul. R. Chijja erwiderte ihm (dagegen): … ich gehe (in die Stadt) hinauf, wo es keinen Kinderlehrer für Bibel gibt und unterrichte die fünf Kinder in den fünf Büchern (Pentateuch) und ich lehre sechs Kinder die sechs (Mischna)ordnungen und ich sage ihnen: zitiert einander (Bibelverse) und lehrt einander (Mischnaabschnitte), bis ich wiederkomme. Und so arbeite ich für die Tora, damit sie nicht aus Israel vergessen wird.12

Aus diesem Text wird beispielhaft deutlich, dass Bibel und Mischna die ersten beiden Lernebenen sind. Bemerkenswert ist der Aufruf, sich wechselseitig auch bei Abwesenheit des Lehrers zu unterrichten. Gehen wir weiter in der erläuternden Kommentierung in bQidduschin 49b: ‫והני מילי דא׳ל תנינא‬ ‫אבל אמ׳ לה תנאה אנא עד דתני הילכת׳ ספרא וסיפרי ותוספתא‬ Und dies nur, wenn er zu ihr sagt: Ich lerne/wiederhole. Aber wenn er zu ihr sagt: ich bin ein Mischnagelehrter (tanna), dann (ist sie nicht angetraut), ehe er Halakhot, Sifra, Sifre und Tosefta gelernt hat.

Wie schon vorher mit dem Begriff qara wird in der Folge eine Unterscheidung zwischen einem Lernenden und einem Gelehrten eingeführt. Der Begriff tena ist die aramäische Form des Hebr. schana. Als tannaim werden die Gelehrten der mischnaitischen Epoche bezeichnet. Als tanna muss der Verlobte Kenntnisse in Rechtstexten und in bestimmten Schriftauslegungen vorweisen. Mit der Tosefta ist ein bestehender Traditionskomplex neben der Mischna angesprochen, der jedoch kaum unsere heute vorliegende Tosefta meint. Mit Sifra und Sifre sind die Auslegungen der Bücher Levitikus, Numeri und Deuteronomium angesprochen. Diese enthalten vorwiegend halakhisches Material. Damit wird der halakhische Schwerpunkt der Ausbildung betont und erneut präzisiert, was unter Midrasch Tora zu verstehen ist. Eine ähnliche Aufzählung finden wir auch in bMegilla 28b, wo als Lernstoff hilkheta, sifra, sifre we-tosefta genannt wird, in Schevuot 41b wird auch noch ­talmud hinzugefügt. Der Kontext ist dort die Rückgabe eines Darlehens unter 11  12 

Ähnlich auch Ketubbot 103b. Vgl. dazu auch Hirshman 2009, 80 f.

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der Bedingung, dass zwei Menschen anwesend sind, die Halakha studiert hätten (‫)תרי דתנו הלכתא‬. Schließlich stellen sich R. Nachman und R. Scheschet13 zur Verfügung, die Transaktion zu bestätigen und es heißt: ‫אנא והא רב ששת דגמרינן הילכת' סיפרא וספרי ותוספתא וכוליה תלמודא‬ Ich und R. Scheschet, welche Halakha, Sifra und Sifre und Tosefta und den gesamten Talmud (zu beherrschen) gelernt haben.

Der dort vorkommende Begriff gamar für das Studium der beiden Gelehrten bedeutet so viel wie „vollenden, sehr gut (auswendig) beherrschen, perfektionieren“ etc. Insgesamt ist an die ausgezeichnete Kenntnis der angesprochenen Lerngebiete gedacht. Man kann wohl annehmen, dass damit zum Ausdruck gebracht wird, dass die beiden Rabbinen den Anspruch des Gelehrtseins, der sich im Halakha-Studieren ausdrückt, übererfüllen. Damit kommen wir zur dritten Lernebene:

3. ‫( ללמוד‬lilmod) ‫אין או' כשמ' בן עזאי כשמע' בן זומא אל' כל ששואלין דבר אחד בלימודו ואומ' אפילו במסכתא דכלה‬ ‫לע מנת שאני תלמיד‬ Unter der Bedingung, dass ich ein (Gelehrten-)Schüler (talmid) bin. Man sagt nicht „wie Schimon ben Azzai, wie Schimon ben Zoma“, sondern (man meint) dass, wenn er in irgendeiner Sache seines Studiums (limmud) befragt wird, antworten kann, selbst wenn es sich um den Traktat Kalla handelt. '‫על מנת שאני חכם אין או' כחכמי יבנה כר‚ עקיבא וחביריו אלא כל ששואלים אותו דבר חכמה בכל מקום ואו‬ Unter der Bedingung, dass ich ein Weiser (chakham) bin. Man sagt nicht „wie die Weisen von Javne, wie R. Aqiva und seine Kollegen“, sondern (man meint) dass, wenn er in irgendeiner Sache der Weisheit befragt wird, antworten kann.

Mit talmid und chakham treten zwei neue Begriffe auf, die oft auch gemeinsam genannt sind. Talmid chakham kann die allgemeine Bezeichnung für einen Gebildeten, Gelehrten sein.14 Hier werden die Ausdrücke getrennt interpretiert und in eine Abfolge gebracht, womit die formale Struktur, die jeweiligen Lernschritte in zwei Teilen darzulegen, weitergeführt wird. talmid leitet sich von der Wurzel l-m-d ab, was „Lernen“ bedeutet, im Piel le-lammed „Lehren“. Ein talmid ist also einer, der lernt, ein Schüler, Student im umfassenden Sinn des Bildungsideals der rabbinischen Spätantike. Der Verlobte muss dabei gewisse Kenntnisse vorweisen. Er 13 

Vgl. zu den Diskussionen der beiden Cohen 2005. Zahlreiche rabbinische Texte reflektieren über das Verhalten und die Kenntnisse eines talmid chakham. Häufig zitiert wird Berakhot 43b, wonach der talmid chakham sich verschiedener Dinge enthalten soll, u. a. Stolz und Überheblichkeit, aber auch des Umgangs mit einem Ungebildeten. 14 

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wird nicht an Vorbildern wie ben Azzai und ben Zoma gemessen, die in der Regel nicht den Titel Rabbi haben, aber als vorbildliche Weise gelten (vgl. u. a. bSanhe­ drin 17b). Er muss jedoch sein Handwerk ordentlich beherrschen und diverse Fragen beantworten können. Was dabei unter kalla genau gemeint ist, ist umstritten. Es gibt einen eigenen (außer-)talmudischen Traktat Kalla, der ein Kapitel umfasst, das sich – hier durchaus passend – mit Verlobung, Ehe und Eheleben beschäftigt.15 Günter Stemberger schließt sich hingegen dem Urteil des mittelalterlichen Talmudkommentators Chananel ben Chuschiel (990 – ca. 1055) an, der in Kalla in unserem Text eher einen Verweis auf die Institution der Kalla, einer rabbinischen Bildungstagung, und den dafür vorbereitenden Traktat, sieht.16 Neben unserem Text wird darauf auch in Schabbat 114a und Taanit 10b angespielt. Immer geht es dabei um die erforderlichen Kenntnisse eines Gelehrten. In Schabbat ist damit der Posten eines Gemeindeleiters verbunden, aber auch der eines Leiters einer Jeschiva, einer rabbinischen Akademie. In Taanit wird zwischen einem jachid (Einzelnen) und einem talmid unterschieden. Der jachid ist ein herausragender Toragelehrter, der über das gebotene Maß hinaus fastet und befähigt ist, eine Gemeinde zu leiten. Der talmid muss die gleichen Kenntnisse wie in unserem Text bQidduschin 49b vorweisen. Der nächste wichtige Begriff ist chakham (Weiser).17 Als solcher soll er auf alle Fragen, die man an ihn richtet, eine Antwort haben. Diese Voraussetzung wird in bBerakhot 27b exemplarisch durch R. Elazar b. Azaria bei seiner Wahl zum Oberhaupt der Jeschiva in Javne erläutert. Er ist weise, reich und stammt in zehnter Generation von Esra ab. Er ist mühelos imstande, jede Frage Rabban Gamliels zu beantworten.18 Nach bSchabbat 92a ruht die göttliche Gegenwart, die schekhina, nur auf einem Weisen, einem Reichen und einem Großen. Alles zusammen findet sich – so heißt es dort – bei Mose (vgl. Nedarim 38a). Stärke und Reichtum sind auch in bQiddu­ schin 49b daher möglicherweise nicht zufällig die nächstbehandelten – und hier nicht mehr erläuterten – T hemen in Bezug auf den Verlobten. 15 Mit Kalla Rabbati ist schließlich ein posttalmudischer Text bezeichnet, der 10 Kapitel enthält und auch in der Romm-Wilna-Ausgabe des babylonischen Talmuds enthalten ist. 16  Stemberger 2011, 273; vgl. a. a. O. 20: „Die von Natan ha-Bavli ausführlich geschilderte Institution war eine Art rabb. Bildungstagung, ein mehrtägiges Treffen von Studenten und Absolventen rabb. Schulen. In gaonäischer Zeit waren dafür der Monat Elul im Sommer, der Monat Adar im Winter vorgesehen (die ‚Kallamonate‘). Diese zu Beginn des 4. Jhs. erstmals nachweisbaren Versammlungen mögen zum Ausbau der rabb. Akademien wesentlich beigetragen haben. Auf ihnen konnte man mit relativ zahlreicher Teilnahme rechnen: Mindestens zehn Männer mussten anwesend sein, damit die Sitzung eröffnet werden durfte (bBB 12b). T hema der Kalla war ein Traktat der rabb. Tradition, später dann des Talmuds, dessen Text abgefragt wurde, bevor man sich an die Diskussion seiner besonderen Probleme machte. Sicher waren die Kalla-Sitzungen für die endgültige Ausgestaltung des bT von besonderer Bedeutung.“ 17  Vgl. Kalmin 1999; zur Verarbeitung weisheitlicher T hemen in der rabbinischen Tradition vgl. Stemberger 2008. 18  Vgl. dazu u. a. Rubenstein 1999, 375.

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Auch wenn die Rabbinen sich selbst als Weise sehen, so ist der Begriff des Weisen in der rabbinischen Tradition nicht nur auf jüdische Gelehrte bezogen, es gibt auch die Weisen der Weltvölker (chokhmei umot ha-olam – vgl. bRosch ha-Schana 12a). Die Weisen haben nach der Tempelzerstörung die Stelle der Propheten eingenommen (Bava Batra 12a). „Mit dem Tod des R. Aqiva versiegten die Quellen der Weisheit“, heißt es im palästinischen Talmud Sota 9,17(15),24c. Auch in unserem Text ist R. Aqiva die Referenzgröße, der es nicht nachzueifern gilt. Der Verlobe wird eben nicht an Vorbildern (vergangener Zeit) gemessen, sondern muss wieder die nötigen Antworten auf die Fragen haben. Aqiva, Ben Azzai und Ben Zoma kommen auch in mSota 9,15 gemeinsam vor, wo es heißt: Als Ben Azzai starb, hörten die eifrig Studierenden (schaqdanim) auf; als Ben Zoma starb, hörten die Ausleger (darschanim) auf…als R. Aqiva starb, verschwand die Ehre der Tora.

Möglicherweise ist es Zufall, dass mit ben Azzai, ben Zoma und R. Aqiva jene drei Gelehrten19 genannt sind, die nach der Legende (u. a. in bChagiga 14b) in das Paradies aufsteigen, wobei nur Aqiva keinen Schaden nimmt. Hierin wird aber zumindest eine Hierarchie deutlich. So bedeutsam ben Azzai und ben Zoma auch waren, standen sie doch im Schatten eines Aqiva. Unser Text deutet also klar einen Aufstieg an, eine stetige Zunahme an Bildung. Der Text über die Voraussetzungen des Verlobten in bQidduschin 49ab reiht sich in eine Gruppe von Quellen, in denen Bildungsschritte und -inhalte dargelegt werden. Ich verlasse daher kurz den Text und eröffne nur ein wenig diesen etwas breiteren Kontext: In bAvoda Zara 19b ist von einer Dreiteilung in Schrift, Mischna und Talmud die Rede. Diese wird häufig aufgenommen, u. a. auch in der (mittelalterlichen) Aufzählung der Lernschritte in den Pirqe Avot 5,21, wo es heißt: ‫הוא היה אומר בן חמש שנים למקרא בן עשר למשנה בן שלש עשרה למצות בן חמש עשרה לתלמוד‬ Er (Jehuda ben Tema) sagte: fünf Jahre (alt ist die ideale Zeit) für die Bibel (Miqra), zehn für Mischna, dreizehn für die Mitzvot (= Erwachsenenalter, später Bar Mitzva), fünfzehn für den Talmud.20

Avot de-Rabbi Natan A 28,17–19 vergleicht den Studierenden mit Steinen. Ein behauener Stein ist jemand, der nur Midrasch lernt, ein Eckstein einer, der Midrasch und Halakha lernt, ein polierter Stein aber ist schließlich jemand, der Midrasch, Halakha, Haggada und Tosefta beherrscht.

19  Der vierte im Bunde, Elischa ben Avuja, wird in der rabbinischen Tradition schließlich zum Häretiker, und wird hier deswegen nicht genannt. 20  Danach heißt es: „achtzehn für die Chuppa (Eheschließung), zwanzig für das Nachjagen, mit dreißig (steht man) in der Kraft, mit vierzig im Verstand, mit fünfzig hat man Rat, mit sechzig ist man im Alter, mit siebzig im Greisenalter, mit achtzig in der Stärke, mit neunzig gebeugt, mit hundert ist man wie tot und verschwunden und ausradiert aus der Welt.“

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Im Seder Elijahu Rabba umfasst ein Curriculum Mischna, Midrasch, Halakhot und Talmud und Aggadot (15, Friedmann 69); Mischna, Midrasch, Halakhot und Aggadot (18, Friedmann 91) bzw. Midrasch, Halakhot und Aggadot und den Dienst an den Gelehrten (28, Friedmann 155). In dem schon genannten Abschnitt Megilla 28b weist sich in absteigender Reihenfolge ein Schüler, der bei den Rabbinen sprichwörtlich Feuer gefangen hat (tsurva mirabbanan) durch die Wiedergabe einer Halakha aus, ein Tanna durch Mischnastücke, ein Leser durch die Zitation eines Verses. Wenn er dazu jedoch nicht in der Lage ist, darf er ein Kind auffordern, den vom ihm (an dem Tag) gelernten Vers zu zitieren. Diese Zitation eines gerade in der Schule gelernten Bibel­ abschnittes durch Kinder ist ein bekannter Topos in der rabbinischen Literatur. Besonders bekannt ist die Stelle in bGittin 56a, in der Nero während der Belagerung Jerusalems ein Schulkind nach seinem gerade gelernten Vers befragt und dieses ihm mit Ez 25,14 („Ich lege meine Rache an Edom in die Hand meines Volkes Israel. [Sie werden an Edom meinem Zorn und Grimm entsprechend handeln. Dann wird Edom meine Rache kennen lernen – Spruch Gottes, des Herrn]“) antwortet, woraufhin Nero zum Judentum konvertiert. Die Erwähnung des Schulkindes im ersten Bildungsschritt führt aus dem Kontext von Synagoge und Gottesdienst weg in die rabbinische Welt des Lernens und Wiederholens. Die Erwartungshaltung an den Leser ist jedenfalls recht gering. In dem mehrfach erzählten Abschnitt vom Beginn des Studiums des bedeutenden R. Eliezer fragt nach Pirqe de-Rabbi Eliezer 1 R. Jochanan den noch unbeleckten Schüler: ‫מימיך לא למדת קריאת שמע ולא תפלה ולא ברכת המזון? אמר לו לאו‬ (Alle) Tage deines (Lebens) hast du weder das „Schma (Israel)“, noch das Achtzehnbittengebet noch den Segen nach der Mahlzeit zu rezitieren gelernt?! Er antwortete ihm: Nein.

Auch hier geht es nicht um die Fähigkeit, einen Leseabschnitt in der Synagoge zu „bewältigen“, aber es tritt in gewisser Weise ein vergleichbarer religiöser Zusammenhang auf, nämlich das Gebet. Vor dem Erlernen komplexer rechtlicher und bibelexegetischer Stoffe soll der Schüler in die Lage versetzt werden, Teil einer jüdischen religiösen – und letztlich von Rabbinen kontrollierten – Gemeinschaft zu sein. Wer die zentralen Gebete und wichtigsten Umgangsformen im Zusammenhang mit alltäglichen Verrichtungen nicht kennt, gehört nicht dazu. Lernen hat demnach zuallererst auch einen sozial-integrativen Effekt. Gemäß tChagiga 1,2 gehört es zur Aufgabe der Väter, den Söhnen die Rezitation des Schma Israel beizubringen und sie Hebräisch und Tora zu lehren, ansonsten, so heißt es, wäre es besser, sie wären gar nicht geboren worden.21 21 Nach mKeritot 6,9 stehen die Väter dann – wenn sie nicht selbst Lehrer sind – in der Frage der Wertschätzung eindeutig hinter den Lehrern, tBava Metsia 2,30 differenziert diesbezüglich.

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Mit aufsteigendem Bildungsanspruch werden die Anforderungen entsprechend größer. Die Rabbinen haben dazu je eigenes Vokabular entwickelt und – wie gezeigt werden konnte – auch Definitionen über Umfang und Inhalt des Lehrstoffes erstellt. Höhere Lernaufgaben können demnach nur in der Gemeinschaft mit einem rabbinischen Lehrer gelöst werden. Der Lehrstoff, auf den die Rabbinen in Bezug auf einen Ehekandidaten in unserem Text bQidduschin 49ab besonders Wert legen, ist neben Bibel vor allem religionsgesetzliches Material aus Mischna, Tosefta, Talmud und den halakhischen Midraschsammlungen. Was den Lehrstoff höherer Bildung betrifft, so hat z. B. Marc Hirshman in seiner Studie zum Midrasch Qohelet Rabba festgestellt, dass dieser Text als „collection“ mit der Intention einer Enzyklopädie geschaffen wurde, der die Studierenden durch eine Fülle von Lehrstoff geleitet habe, der von der T heologie bis zur Physik reichte.22 In Bezug auf den Midrasch Levitikus Rabba hat Burton Visotzky23 ähnliche Beobachtungen gemacht. Ich bin ebenfalls der Überzeugung, dass Levitikus Rabba letztlich als Schulbuch fungiert hat. Auch wenn die Haggada, also die erzählerisch belehrende und erbauende Literatur der Rabbinen, im Bildungskanon unseres Verlobten kaum eine Rolle zu spielen scheint, so weisen doch viele Aussagen aus den unterschiedlichen rabbinischen Quellen auf das intensive und systematische Haggadastudium und die Attraktivität haggadischer Auslegung hin. Nach bPesachim 62b hätte man mit den haggadischen Auslegungen zu 1 Chr 8,38–9,44 allein schon 400 Kamele beladen können. Umstrittener ist der Wert der hellenistischen Bildung.24 Belege für eine weite Verbreitung des Griechischen im „westlichen“ antiken Judentum sind sowohl Synagogen- und Grabinschriften als auch rabbinische Texte. So berichtet man von der Notwendigkeit des Erlernens des Griechischen für gewisse Eliten, um in Kontakt mit der nichtjüdischen Umwelt zu treten (vgl. tSota 15,8; jSchabbat 6,1,7d), in manchen Rechtsfragen auch des Lateinischen. Nach jSota 7,1,21b habe man in Cäsarea zentrale jüdische Gebete in Griechisch gesprochen. Die starke Durchdringung der rabbinischen Literatur mit griechischen und auch lateinischen Lehnwörtern ist ein bedeutendes Indiz für die Präsenz dieser Sprachen. Von R. Jonatan aus Bet Guvrin heißt es, dass er das Griechische dem Aramäischen als Sprache für das Heilige Land vorgezogen habe (bSota 49b). Andererseits zeugen geradezu polemische Texte wie Sota 49b, in dem Griechisch zu sprechen mit Verrat an Israel gleichgesetzt wird, davon, dass die Abgrenzung weniger eine sprachliche, sondern eine religiös-politische war. In Sifre Dtn § 34 wird davor gewarnt, nach dem Studium der Weisheit Israels die Weisheit der Völker zu lernen und jSota 9,16,24c bzw. bMenachot 99b lassen das Studium des Griechischen nur in der – nicht existenten – Zeitspanne zu, in 22 

Hirshman 1988. Visotzky 2003. 24  Vgl. dazu Hadas-Lebel 2006, 269–276. 23 

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der man nicht Tora studiert, wie es in Jos 1,8 heißt: „Über dieses Gesetzbuch sollst du immer reden und Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, genau so zu handeln, wie darin geschrieben steht. Dann wirst du auf deinem Weg Glück und Erfolg haben“. Abbahu lehrt seine Töchter Griechisch und R. Jochanan hält das Griechische für einen Schmuck der Frauen, heißt es in jSota 9,16,24 und Parallelen.25 In der Ausbildung unseres Verlobten spielt das Griechische hingegen keine Rolle. Als gewisses Pendant zu unserem Text kann der Anfangsabschnitt in bPesa­ chim 49b26 gelten, wo es heißt:

Die Rabbinen lehrten: Stets sollte ein Mensch alles, was er besitzt, verkaufen und die Tochter eines talmid chakham heiraten. Wenn er keine Tochter eines talmid chakham fand, soll er die Tochter eines Großen der Generation heiraten. Wenn er keine Tochter eines Großen fand, soll er die Tochter eines Gemeindeoberen heiraten. Wenn er keine fand, soll er die Tochter eines tzedaqa27-Sammlers (der gabbai tzedaqa ist verantwortlich für die Armenfürsorge) heiraten. Wenn er keine fand, soll er die Tochter eines Kinderlehrers (mellamed) heiraten. Wenn er keine fand, soll er seine Magd freilassen und heiraten. Er soll keine Tochter eines Ungebildeten heiraten, denn diese sind Gräuel/unreine Tiere (scheqetz)28 und ihre Töchter sind Kriechtiere (scheretz)29, und über ihre Töchter steht geschrieben: „Verflucht ist, der irgendeinem Tier beiwohnt“ (Dtn 27,21).

Die derbe Sprache gegenüber den Ungebildeten erschreckt. Sie findet sich in diesem stark polemischen Abschnitt in Pesachim noch öfter. Man versteht die verwendeten Begriffe aber nur aus ihrem Kontext im Bereich der Speisegebote, wo 25  Vgl. dazu Hezser 2001, 93, die es auf die „upper“ und evt. „middle strata“ der Gesellschaft bezieht, um z. B. am Heiratsmarkt bei Griechischsprechenden, also Oberschichtsmännern, bessere Chancen zu haben. 26  Text nach Ms New York, Jewish T heological Seminary, EMC, 271. 27  Die lange übliche Übersetzung mit Almosen trifft den Sachverhalt nicht, es geht um ein Versorgungswesen für Arme und Bedürftige, das gewissen Regeln unterliegt. 28  Vgl. Lev 20,25. 29  Vgl. Lev 11,29.

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reine von unreinen Tieren geschieden werden, richtig. So wie sich ein frommer Jude dadurch auszeichnet, dass er sich unreiner Speisen enthält, zeichnet sich ein Gebildeter dadurch aus, dass er sich des Kontaktes mit den Ungebildeten enthält. Erwünscht ist, dass der Heiratskandidat sich eine Frau nimmt, die im Idealfall aus dem Haus eines Gebildeten kommt. Vorausgesetzt ist demnach, dass auch die weiblichen Nachkommen an der Bildung eines Gelehrten Anteil haben. Auch in Bezug auf einen Gemeindeoberen mag gelten, wie oben schon ausgeführt wurde, dass dieser einiges an Bildung vorzuweisen hat. In bGittin 60a wird der Gemeindeleiter als Letzter in der Reihe von Vorlesern im Synagogengottesdienst genannt. Erstrebenswerter ist jedoch, falls es nicht klappt mit der höchsten Bildungsebene, eine Frau aus dem Umfeld eines Mächtigen und damit auch Finanzkräftigen zu heiraten. Damit wäre gewährleistet, dass der Ehemann selbst sich keine Sorgen wegen der Finanzierung des Studiums machen müsste. Der gabbai tzedaqa ist eine angesehene und tragende Säule der Armenfürsorge. Er sammelt Mittel von allen Gemeindemitgliedern und überwacht die Verteilung.30 Auf der unteren Ebene steht der Kinderlehrer. Bevor jemand jedoch unverheiratet bleibt, soll er seine Sklavin/Magd heiraten. Ich komme damit zum Schluss und fasse zusammen: Der Abschnitt bQidduschin 49ab legt gewisse Definitionen fest, welche Kenntnisse ein Heiratsaspirant vorlegen muss, nachdem er eine bestimmte Bildungsebene als Voraussetzung der Eheschließung genannt hat. Genauer werden sechs Ebenen genannt, die sich in drei größere Kategorien teilen lassen. Dabei wird jeweils zwischen einem Anfänger und einem Fortgeschrittenen/Kenner unterschieden: A – in Bezug auf Bibel 1.  Der Vortragende in der Synagoge (qore) 2.  Der Bibelkenner (qara) B – in Bezug auf Halakha (Mischna und halakhische Midraschim) 3.  Der Student der Mischna (schone, tenina) 4.  Der Mischnagelehrte (tanna) C – in Bezug auf weitere Bildung 5.  Der Gelehrtenschüler (talmid) 6.  Der Weise (chakham) Jede der Ebenen wird beschrieben, wobei auffällt, dass die Beschreibungen der letzten Ebenen sich von den ersten unterscheiden. Während man versucht, Bibel- und Mischnakenntnisse deutlicher zu definieren, bleibt man bei talmid und chakham vage und verweist auf Vorbilder, die man nicht zu erreichen braucht. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass man in Bezug auf Bildung die Latte für einen Heiratswerber auf keiner Ebene zu hochlegen will. 30 

Vgl. dazu auch Gardner 2015, 158–163.

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Die einzelnen Bildungsschritte umschreiben einen auch an einer Reihe anderer Stellen belegte Abfolge und in gewisser Weise einen Bildungskanon, der vollständig auf die rabbinische Bewegung hin konzentriert ist. Er ist damit Ausdruck eines Sollzustandes, der in einer rabbinisch geprägten Gesellschaft herrschen soll.

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Bildungsfreunde oder Bildungsverächter? Überlegungen zum Stellenwert der Bildung im frühen Christentum Samuel Vollenweider Kein Gebildeter komme heran, kein Weiser, kein Kluger. Denn bei uns wird dies als schlecht angesehen. Wenn aber einer ungelehrt, wenn einer unvernünftig, wenn einer ungebildet, wenn einer unmündig ist, er soll getrost kommen.1

Mit diesen Worten eines fiktiven christlichen Gemeindeleiters stellt Celsus in seiner Schrift gegen die Christen deren Bildungsferne und sogar Bildungsfeindlichkeit heraus. Der Topos, der durchaus Anhalt an einigen bib­lischen Texten hat (vgl. 1 Kor 1,26; Mt 11,25), zählt fortan zum festen Inventar der antiken antichristlichen Polemik,2 zumal im Blick auf die Jesusjünger. Die in ihm angelegte Frontstellung ist in jüngerer Zeit wieder zum Gegenstand einer angeregten Diskussion geworden. Es sind die markanten Umbrüche in der modernen Bildungslandschaft mit der Relevanz neuer Medien, mit der Umgestaltung der universitären Einrichtungen und mit dem dramatischen Schwund von biblisch-religiösem Hintergrundwissen in weiten Kreisen der Bevölkerung, die die neutestamentliche Wissenschaft provoziert haben. Tatsächlich mehren sich die Stimmen, die im Gegenzug zur angedeuteten Frontstellung das Urchristentum als „Bildungsreligion“ zu entwerfen suchen. Im vorliegenden Beitrag werden Recht und Grenzen dieser neutestamentlichen „Bildungsinitiative“ eruiert. In einem ersten Teil sichten wir hierfür einschlägige Wahrnehmungen und Argumente. Ein zweiter Teil erinnert an eine klassische Gegenposition, gegen die die Bildungsinitiative anrennt. Zwei weitere konstruktive Überlegungsgänge versuchen, die für die Erarbeitung des T hemas nötige Differenzierung voranzutreiben. Ein fünfter Teil wird die urchristliche respektive 1  Celsus, frg. 3,44a, bei Origenes, Contra Celsum 3,44 (SC 136, 104 Borret); vgl. dazu Lona 2005, 197–200 (hiernach übers.); vgl. 38 f.; sodann Andresen 1955, 167–171; Pietzner 2013, 17–20; 205–228; Arnold 2016, 141 f. 2  Vgl. dazu besonders Nestle 1990, 45 f.; 72; Cook 2000, 263–265 („T he charge that the disciples were crude and ignorant was a topos in the pagan critique of Christianity“, 263); vgl. 36.70 f.84. 88.140 f.292; ders. 2004, 109.116.252; Pietzner 2013, passim. Zu Julian vgl. z. B. Contra Galilaeos 1 frg. 23 Masaracchia (πρὸς ἄνδρας ἀμαθεῖς, bei Kyrill, Contra Julianum 4,29 [GCS.NF 20, 302 Riedweg]).

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frühchristliche Literatur materialiter darauf hin befragen, ob und wie sie dem Bildungsparadigma entgegenkommt.

1. Die neue „Bildungsinitiative“ Ich skizziere zwei repräsentative Positionen in der deutschen Neutestamentlerzunft, den Protestanten Udo Schnelle und den Katholiken T homas Söding. Udo Schnelle stellt in seiner „Presidential Address“ am Kongress der Studiorum Novi Testamenti Societas in Szeged 2014 die positiven Korrelationen von frühem Christentum und Bildung heraus, im Gegenzug zum „tief in das kollektive Gedächtnis der Exegese eingebrannt[en]“ Gedanken, wonach „die große Mehrzahl der frühen Christen […] aus der Unterschicht“ stamme und „deshalb auch literatur- und bildungsfern“ gewesen sei.3 Schnelle erinnert nun mit gutem Recht an eine ganze Reihe entgegenstehender Faktoren. Viel von dem, worum sich antike Bildung dreht, finde auch im Urchristentum Resonanz, etwa Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung. In den Städten sei der Alphabetisierungsgrad höher als früher angenommen, und das komme auch den Gemeinden zugute. In diesen spiele Lehren und Lernen eine erhebliche Rolle, nicht nur, aber besonders in der Bibelauslegung. Besondere Aufmerksamkeit findet bei Schnelle die Textproduktion, die etwa bei den Evangelien oder den Briefen sowohl innovative Züge wie eine markante literarische Qualität erkennen lasse. Es kämen hinzu das Entstehen einer neuen Glaubenssprache, die Bildung von Schulen, die Teilnahme an philosophisch-religiösen Diskursen der damaligen Welt und anderes mehr. All das weise auf ein erhebliches Bildungsniveau früher Christen hin. Noch einen Schritt weiter geht T homas Söding, wenn er das Christentum als „Bildungsreligion“ identifiziert.4 Sitz im Leben seiner Annäherungen sind Aktivitäten im Raum der Universität und in der Religionspädagogik. Söding zufolge ist das Christentum eine Religion, die auf Bildung setzt. Das Neue Testament biete hierfür entscheidende „Impulse“, die es nicht zuletzt seiner Herkunft aus dem Judentum, ebenfalls einer „Bildungsreligion“, verdanke. Das Urchristentum übe ein „neues Denken“ ein, rezipiere weitreichend Traditionen seiner Umwelt und entwickle Elemente eines genuinen Bildungsgedankens. Neben dem Hinweis auf die Lern- und Lehrkultur der Gemeinden wird speziell auf Jesus als Lehrer verwiesen, zumal als Schöpfer der Gleichnisse, und an die Didaktik des johanneischen Christus. Beim Schlüsseltext der Bergpredigt und bei Paulus samt seiner Schule verfolge man die Entstehung einer T heologie der Bildung. Der entscheidende bildungspolitische Impuls des Neuen Testaments sei hermeneutischer Natur: Das Recht auf Bildung ist „im Menschsein selbst begründet […], biblisch gesagt: in der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen, neutestamentlich gesagt: in der Got3  4 

Schnelle 2015, 113 f. Er verweist für ein aktuelles Beispiel auf Christes 1997, 671. Söding 2016 (Zitate: 9.55); vgl. ders. 2010.

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teskindschaft, die aus der Liebe Gottes in Jesus Christus zu jedem Menschenkind erwächst“.5 Soweit die T hese. Bevor wir einzelne der in Anspruch genommenen Phänomene durchmustern, ist hier summarisch festzustellen: Die heutigen Anwälte eines bildungsfreundlichen Urchristentums arbeiten mit einem sehr großzügig entworfenen Bildungsverständnis. Was immer in den frühchristlichen Schriften an Lehren und Lernen, an Textproduktion und Textrezeption in Erscheinung tritt, wird unter diesem Label verhandelt. Das ist natürlich möglich. Aber die Kehrseite dieser Sprachregelung besteht darin, dass die Kategorie selber nicht mehr wirklich griffig ist. Wir vergegenwärtigen uns nun die Position, von der sich die Vertreter des bildungsfreundlichen Christentums absetzen.

2. Bildungsfernes Urchristentum: Franz Overbecks Einspruch gegen eine christliche Bildungsreligion Am markantesten ist die genannte Position bei Franz Overbeck, Kollege und Freund von Friedrich Nietzsche, greifbar.6 Der Basler T heologe unterscheidet in seiner programmatischen Abhandlung „Über die Anfänge der patristischen Literatur“, die auf eine öffentliche Vorlesung im Jahr 1881 zurückgeht, konsequent zwischen dem weltdistanzierten Urchristentum und dem Christentum, das sich im zweiten Jahrhundert zu formieren beginnt.7 Unser Interesse gilt jetzt nicht seiner T heologiekritik, die das Verhältnis von Christentum und Moderne einer schonungslosen Analyse unterzieht,8 sondern seinem formgeschichtlichen und literatursoziologischen Ansatz, der eine scharfe sachliche wie chronologische Grenze aufrichtet zwischen der christlichen „Urliteratur“ und den Gestalten von Weltliteratur, die das Christentum seit den Apologeten und Alexandrinern zu rezipieren und zu produzieren beginnt.9 Seinem eigenen Zeugnis zufolge hat Overbeck 5 

Söding 2016, 51. Allerdings beziehen sich weder Schnelle noch Söding in ihren vorher genannten Publikationen auf Overbeck, sondern – natürlich – auf Friedrich Nietzsche. 7  Overbeck 1882/2010. Zur Überlieferungslage vgl. Tetz 1962, 160–164; daselbst auch eine Notiz zu Overbecks Abhandlung über Über die Anfänge der Kirchengeschichtsschrei­ bung (Overbeck 1892/1962). 8  Vgl. dazu Peter 1992, besonders 18–24; ders. 1995, 563–568. Programmatisch ist vor allem die Schrift Ueber die Christlichkeit unserer heutigen T heologie (1873), abgedruckt in: Stegemann/Peter 1994, 167–256; vgl. die Einleitung 155–165. 9  Dafür ein exemplarisches Zitat: Es „erscheint aber das Neue Testament nur als der vornehmste Rest einer christlichen Urliteratur, welche der mit der Kirche allein am Leben gebliebenen Literatur einst vorausgegangen ist. […] Denn am Kanon der neutestamentlichen Schriften hält Jedermann unter uns den Todtenschein der Literatur, von welcher hier die Rede ist, in der Hand“, Overbeck 2010, 52. Zu Entstehung und Weiterentwicklung des Programms der „Anfänge der patristischen Literatur“ vgl. Emmelius 2016, 211–317 („Overbecks Sicht auf die altchristliche Literatur […] ist das Resultat eines schrittweisen Erarbeitungspro­ 6 

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in der 1882 publizierten Schrift lediglich „einen entsetzlich simplen Gedanken ausgeführt, dass es nämlich zu einer lebensfähigen christlichen Literatur nur gekommen ist in den Formen der schon vorhandenen“, d. h. in den Gattungen der griechisch-römischen Literatur.10 Overbecks Scheidungsmodell hat die erst im Entstehen begriffene literaturgeschichtliche Beschreibung des frühen Christentums nachhaltig beeinflusst, nicht so sehr schon bei Harnack selber – zu Overbecks großem Verdruss –,11 sondern später etwa in Philipp Vielhauers Geschichte der urchristlichen Literatur.12 Die Grundthese selber ist, aus heutiger Sicht, in vielerlei Hinsicht unhaltbar – sie muss etwa die bis in die byzantinische Zeit ungemindert fortgesetzte Produktion ‚apokrypher‘ christlicher Texte mit einem Gewaltstreich als „Abnormität“ wegwischen,13 und sie vereinfacht die Kanonisierungsprozesse über Gebühr. Vor allem konstruiert sie einen Kontrast zwischen der Urzeit und der Folgezeit, also ein Dekadenzmodell, das eher die Modernitätsdebatten des späten 19. Jahrhunderts widerspiegelt, als dass es die Verhältnisse des ersten und zweiten Jahrhunderts angemessen beschreibt.14 Aber, und das ist der entscheidende Punkt, Overbecks literaturgeschichtliche Beobachtung, wonach sich ab dem zweiten Jahrhundert das Christentum neue Formen von Literarizität erschließe, enthält eine für unsere Fragestellung entscheidende particula veri. Zugleich ist offenkundig, wie sich im frühen 21. Jahrhundert bestimmte Diskurse zurückbeziehen auf solche, die am Ende des 19. Jahrhunderts geführt wurden. Zu denken ist an die Stichworte Modernität und Christentum, T heologie und Kultur.

zesses“, 211). Zu Overbecks Verständnis der Kanonisierung vgl. Bestebreurtje 2005, besonders 179–182. 10  So Overbeck in einem Brief, abgedruckt bei Cancik/Cancik-Lindemaier 2010, 19. 11  Vgl. die Notiz von Overbeck auf der Innenseite des Deckblatts seines Handexemplars, abgedruckt bei Tetz 1962, 161 sowie bei Cancik/Cancik-Lindemaier 2010, 91; die Rezension von Harnack a. a. O. 100 f. Vgl. ferner Emmelius 2016, 231–233.309–317. 12  Vielhauer 1975, 1–4 („Die form- und religionsgeschichtliche Forschung hat Overbecks Kategorie der ‚christlichen Urliteratur‘ – unbewusst und ungewollt – bestätigt“, 4); vgl. 59.281.284 f. Vgl. ders. 1965, 246–249 zur Entdeckung der Formgeschichte („Overbeck gebührt der Ruhm der zeitlichen Priorität. Er hat es lange vor Gunkel ausgesprochen, dass es sich bei der Urliteratur nicht um Literatur im strengen Sinne, d. h. vom Willen des Schriftstellers geformte Literatur handelt […] In diesem Sinne ist die Formgeschichte der Urliteratur ihre ‚Paläontologie‘“, 248 f.). Zu Overbecks Pionierleistung vgl. Tetz 1961; zur von uns besprochenen Schrift von 1882 vgl. 424–427. Zur „Patristik als Literaturgeschichte“ vgl. ders. 1967, 11–14; mit hartem Urteil über die Rezipienten versehen („Es liegt an der ungeschichtlichen Konzeption Harnacks und seiner Schüler, dass sie dem von Overbeck aufgeworfenen Problem einer Formengeschichte nicht wirklich standhalten konnten“, 25). Zur Rezeption Overbecks bei Vielhauer und Tetz vgl. Emmelius 2016, 243–247. 13  Overbeck 1882/2010, 48 Anm. 4. 14  Zur aktuellen Diskussion vgl. die Überlegungen von Markschies 2012, 107–109.

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3. Bildungstheoretische Überlegungen Es empfiehlt sich, unsere Fragestellung nach dem Verhältnis von Bildung und frühem Christentum mit einer elementaren Sortierung aufzufächern. Die folgenden Zeilen orientieren sich an vier Koordinaten, um die Vielzahl der zur Debatte stehenden Phänomene einzufangen: Kompetenzen; Institutionen; Medien; Projekte. Sobald man sich an dieser Ausdifferenzierung versucht, wird deutlich, dass es vorteilhaft ist, sich vergleichend auf einen Komplex zu beziehen, der historisch und kulturell vorgegeben ist und nicht erst sozusagen freischwebend konstruiert werden muss. Gemeint ist die vielgestaltige Bildungslandschaft der hellenistisch-römischen Mittelmeerwelt, in der sich das frühe Christentum entwickelt hat. Unser modernes Verständnis von Bildung verdankt sich zu guten Teilen dem klassisch-humanistischen Bildungsideal des 18./19. Jahrhunderts, das sich seinerseits in vielfachen Brechungen auf das antike Bildungsverständnis zurückführt.15 Dabei gilt es zu beachten, dass die paideia spätestens seit Platon wie eine Ellipse zwei Brennpunkte in sich beschließt: einerseits den Bereich der Erziehung im engeren Sinn mit dem Erwerb von Wissen, Können und Haltung, andererseits die Formung des Erwachsenen, die den Gebildeten als einen Menschen ausweist, der Probleme als solche zu erkennen und Behauptungen adäquat zu beurteilen vermag.16 Mit dieser methodischen Entscheidung, sich an einem historisch gewordenen Bildungssystem zu orientieren, werden natürlich die Ergebnisse ein Stück weit vorweg kanalisiert. Wir werden deshalb im Einzelnen zu prüfen haben, ob sich etwa im Fall des Frühchristentums attraktive Alternativen anbieten. Wenn wir uns grundsätzlich am antiken Ideal der paideia orientieren, ist es selbstverständlich, dass wir hier mit Komplexität, mit Differenzen und Kontroversen, mit historischen Verschiebungen und anderem zu rechnen haben. Es kann sich also nur um idealtypische Annäherungen unter einer heuristischen Zielrichtung handeln. Bei Kompetenzen, einem in der heutigen Pädagogik reichlich strapazierten Stichwort, wird vorausgesetzt, dass Bildung auf die Entwicklung von Fertigkeiten setzt, die vor allem im sprachlichen Bereich anfallen, aber, wie das Septett der artes liberales zeigt, auch solche anderer Art umschließt. Bei Institutionen ist namentlich an schulische Einrichtungen auf allen Ebenen zu denken. In unserem Fall stellen sich hier Fragen, die im Bereich der Formgeschichte gestellt werden, etwa nach dem Sitz im Leben. Medien sind anzusprechen als Mittler in Lehr- und Lernprozessen,17 sie leisten Informationsvermittlung und sind zugleich Träger von In15  Die Gebrüder Grimm notieren in ihrem Wörterbuch zum Lemma „Bildung“ schlicht „cultus animi, humanitas“ (DWb 2, 23). Vgl. zum Ganzen die Darstellung von Lichtenstein 1971 sowie zu den Korrelationen (Autonomie, Werte, gutes Leben u. a.) Meyer 2011. Eine zentrale Weichenstellung markiert Meister Eckharts Interpretation von 2 Kor 3,18 (in eandem imaginem transformamur), verbunden mit Gen 1,26. Vgl. dazu Picht 1969b. 16  Formuliert in Anlehnung an Gigon/Zimmermann 1975, 81. 17  Zu Medien in der antiken Bildungswelt vgl. Dreyer 2006, besonders 230 f. zu Text- bzw. Schriftmedien, Wort als mündliches Medium und Bildmedien.

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teraktionsprozessen. Konkret kommen für unseren Bereich in Betracht Wort (also mündliche Tradition u.ä.), Schrift und Bild. Schließlich ist von Projekten auszugehen: Bildung dient der Persönlichkeitsformung, sie ermöglicht die Übernahme von gesellschaftlichen und politischen Rollen. Es gibt aber auch philosophische Projekte. Hier ist namentlich zu denken an die Selbstbildung,18 d. h. das methodisch vorgehende Bilden des Selbst im Hinblick auf das Göttliche19 als ein Prozess, der das ganze Leben begleitet und in Gestalt einer ars moriendi sogar über seine Grenzen hinausführt. Auf dieser Linie, aber weit über die Philosophie hinaus, hat Werner Jaeger in seinem epochalen Werk das Programm der griechischen paideia als „die Formung eines höheren Menschen“ gekennzeichnet.20

4. Ein kulturtheoretischer Blick auf die Bildungslandschaften An dieser Stelle erweist es sich als sinnvoll, die Sortierung der Phänomene zu ergänzen durch eine elementare kulturtheoretische Perspektive.21 Man kann versuchen, das frühe Christentum als Subkultur, oder neutraler: als Teilkultur, unter dem Dach der hellenistisch-römischen Globalkultur zu beschreiben, die ihre eigenen Normen und Identitätskonstruktionen pflegt. Am deutlichsten sind Subkulturen in der reichsrömischen Gesellschaft unter ethnischem Vorzeichen zu fassen – darunter fällt auch das Judentum in seinen verschiedenartigen Gestalten –, aber auch religiöse Gemeinschaften wie die Christen lassen sich darunter subsumieren. Es ist kein Zufall, dass sich diese zeitweilig als „drittes Geschlecht“ neben Griechen und Juden, also ethnomorph, präsentiert haben. Man teilt wesentliche Basiswerte mit der Mehrheitskultur, folgt aber an bestimmten Punkten abweichenden und für entscheidend gehaltenen Normen, und dies eher implizit als explizit. Unter bestimmten Umständen kann eine Subkultur punktuell zu einer Gegenkultur mutieren.22 Das ist dann der Fall, wenn eine ganze Reihe von prinzipiellen Werten 18  Vgl. zum Verständnis der Selbstbildung v.a. den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band (S. 3–38) mit dem Hinweis darauf, dass zwar nicht alles, was als Paideia firmiert, Selbstbildung darstellt, dass aber Erziehung und Sozialisation offen sind für Projekte der Selbstbildung. Vgl. ders. 2013. 19  Vgl. dazu grundlegend die Abhandlung von Picht 1969a, mit dem Verweis auf Platons Politeia (6: 500b–501c), wo „zum ersten Mal in der Geschichte des Denkens die Metapher des Bildens für die Formung menschlicher Haltung entfaltet wird“ (118). Für Picht läuft eine Untersuchung des griechischen Bildungsbegriffs hinaus auf „eine Untersuchung der Unterscheidung von T heorie und Praxis“ (109). 20  Jaeger 1934–1947, Bd. 1, 5; vgl. 25; 133; Bd. 2, 139.268 u.ö. Zu Jaeger vgl. den Beitrag von Christoph Auffarth in diesem Band (S. 39–65). 21  Zur im Folgenden skizzierten Perspektive vgl. meinen Aufsatz: Vollenweider 2017. 22  Für die Konzeptualisierung von „Counter-Cultures“ war v.a. die Jugendbewegung der 1960er und 1970er Jahre zündend; vgl. Roszak 1971 mit Verweis auf die Urchristen und auf 1 Kor 1,19.22.27 (76 f.); Yinger 1982, besonders 6 f. („countercultural movements are attempts drastically to reorganize the normative bases of order, the culture“) und 42–44 zur Sprach-

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und Normen der Mehrheitsgesellschaft in Frage gestellt wird, oder anders: wenn man sich explizit und programmatisch auf solche Standards bezieht und ihnen eigene Normen entgegensetzt. Und auch jetzt gilt wieder: auf einem überaus breiten Fundament von weiterhin und weithin geteilten Standards und Werten. Das Aufeinandertreffen von Kulturen kann also zu sehr verschiedenartigen Resultaten führen; das Spektrum reicht von Assimilation und Absorption über Integration und Fusion bis hin zu Separation und Marginalisierung.23 Das ist jetzt sehr schematisch gezeichnet, könnte aber gerade beim Bildungsthema helfen, einige Akzente zu setzen. Ohne politische Sensibilitäten reizen zu wollen, darf man im Blick auf die uns interessierende antike Epoche bei der Mehrheitskultur durchaus von einer „Leitkultur“ sprechen (die selber, wie schon notiert, keineswegs uniform gezeichnet werden darf).24 Es ist hinlänglich bekannt, wie ungemein stark die Gravitationskraft der hellenistisch-römischen Bildung die Menschen der damaligen globalisierten Mittelmeerwelt, insbesondere ihre urbanen Eliten, bestimmt hat. Wir können im Frühchristentum des ersten und zweiten Jahrhunderts eine ganze Palette von Bildungsphänomenen beobachten, von denen sich einige gelegentlich und indirekt auf das Bildungssystem der Mehrheitskultur beziehen – wir kommen unten darauf zurück. Im zweiten und dritten Jahrhundert zeichnet sich aber im Zusammenhang mit sozialen Transformationen eine Veränderung ab (wobei sich der hier zu beobachtende Aufbruch nicht global, sondern punktuell vollzieht): Es treten christliche Intellektuelle auf,25 die Schulen gründen und Diskurse initiieren, die die christliche Religion explizit als Alternative zur herrschenden Kultur mitsamt ihrem Bildungssystem präsentieren. Um einem naheliegenden Missverständnis vorzubeugen: „Alternativ“ bezieht sich hier lediglich auf einige für vital erachtete Punkte. Exemplarisch ist dafür hinzuweisen auf zwei Programme: Man konnte den (jüdischen und) christlichen Monotheismus als konsequente Philosophie proklamieren. Oder man präsentierte das Christentum als Bildung für alle, nicht nur für Eliten. Markant begegnet die Kontrastierung bei Tertullian oder, noch ätzender, beim Syrer Tatian, der mit seinem Lob der barbarischen Weisheit sogar ethnische Grenzziehungen vornimmt. Andere T heologen folgen eher dem regelung von „alternative culture“, „subculture“ und „counterculture“; Musgrove 1974, besonders 19–39 („T he counter culture is a revolt of the unoppressed. It is a response not to constraint, but to openness“); kritisch zum Konzeptionsbündel Sexl 2013. – In Exegese und T heologie hat v.a. das Modell der Kirche als „Kontrastgesellschaft“ Resonanz gefunden: Lohfink 1982; ders. 2015, besonders 172 ff.; 219 ff. 23  Zur Beschreibung antiker Kulturkonflikte vgl. Dougherty/Kurke 2003, besonders 1–5; Naerebout/Singor 2014, 270–281.311 f. 24  Es darf zumal im Blick auf den Göttinger Sonderforschungsbereich 1136 „Bildung und Religion“ daran erinnert werden, dass das Reizwort „Leitkultur“ vom Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi, selber aus Syrien eingewandert, 1998 erstmals öffentlich lanciert worden ist; vgl. T hiemeyer 2017. 25  Vgl. dazu den Beitrag von Hartmut Leppin in diesem Band (S. 305–329); speziell für Alexandria vgl. Fürst 2007.

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Muster der Integration. Aber auch hier ist das Moment der Grenzziehung im Spiel: Wenn etwa Justin, selber Träger des Philosophenmantels und doch zum Märtyrer geworden, das Beste der paganen Tradition für die Christen beansprucht, steht die Integration im Modus der Überbietung.26 Später wird dies zu Stufenmodellen führen. Aber trotz der genannten partiellen gegenkulturellen Positionsbezüge zeigen diese neuen christlichen Literaturen umgekehrt gerade die Gravitationskraft der überkommenen paideia. Eben deshalb unterliegen sie für Overbeck einer Hermeneutik des Verdachts. Die altchristlichen T heologen setzen, so gut sie es vermögen, ihre sprachlichen, rhetorischen und literarischen Kompetenzen in Szene. Unbeschadet ihrer Kontrapositionierung sind Subkulturen eben doch Teil der Globalkultur. So haben die antiken Christen gar nicht erst ein eigenes Schulsystem etabliert.27 Auch in der Weiterentwicklung der altchristlichen Literatur bleiben diese Charakteristika erhalten: Auf der einen Seite begegnet das von der Konkurrenz beflügelte „Lagerdenken“,28 auf der anderen Seite sorgen Stufenmodelle, die etwa zwei Bildungssysteme hierarchisch anordnen und im selben Ziel konvergieren lassen, für lebensweltlich praktizierbare Vermittlung.29 Im nächsten und letzten Teil kehren wir zurück zur urchristlichen Literatur, deren Trägergruppen sich selber noch nicht so explizit und programmatisch als Gegenüber zur vorfindlichen Leitkultur gedeutet haben.

5. Urchristliche Bildungsphänomene Im Folgenden orientiere ich mich an den vier Koordinaten, die oben vorgestellt wurden. Auch da sind nur Umrisse möglich, bei denen im Einzelnen wieder differenziert werden müsste. Ganz ausgeklammert werden Aspekte der Erziehung im engeren Sinn, wie sie etwa in 2 Tim 3,15 fassbar werden.30

26  Zu Justins „search for Christian παιδεία“ vgl. Gemeinhardt 2012, 90–92; ders. 2013, 261–264; sodann Parvis/Foster 2007. Zu den Fragen rund um Justins Schule vgl. unten Anm. 38. 27  Vgl. Markschies 2002; Gemeinhardt 2013, 18–24. 28  Vgl. dazu vgl. den Beitrag von Jan Stenger in diesem Band (S. 331–351). 29  Vgl. zu den Optionen, die sich für christliche Gebildete ergaben, Gemeinhardt 2007, 511 u.ö. („Die drei idealtypischen scholae christianae repräsentieren […] die Kritik paganer Bildung durch christliche Träger dieser Bildung selbst, die Integration christlicher Normen und Werte in die antike Kultur und schließlich die Rezeption moderater literarischer Kompetenzen für christliche Bildungsinteressen. Religionssoziologisch gesehen erweist sich das Christentum damit in spezifischer Weise als Teil seiner Welt“). 30  Zu 2 Tim 3,15 („du kennst von Kind auf [ἀπὸ βρέφους] die heiligen Schriften“), wo der Sohn einer jüdischen Mutter adressiert wird, vgl. den Beitrag von Roland Deines in diesem Band (S. 245–267), sowie unten bei Anm. 46.

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5.1 Kompetenzen Die Rede ist hier sowohl vom Herstellen von Kompetenzen wie vom Mobilisieren von Kompetenzen bzw. vom Appellieren an Kompetenzen. Die aufzulistenden Bildungsphänomene halten sich in Grenzen. a. Zentral ist die Fähigkeit zur Schriftdeutung, in gottesdienstlichem wie katechetischem Setting, die in den Gemeinden eingeübt wird. Die Orientierung an Textmedien macht die Besonderheit der Christen in der Landschaft religiöser Vereine aus, natürlich abgesehen von den ein Stück weit auch als collegia organisierten Synagogen. b. Zurückhaltung empfiehlt sich bei der Einschätzung der Kompetenzen zu ethischer Urteilsbildung und ähnlichem in den paulinischen Gemeinden. Es ist zwar richtig, dass es bei Paulus Ansätze dazu gibt, die Gläubigen zu ethischer Autonomie, genauer: zu an Christus orientierter Autonomie bzw. zur Christonomie, zu erziehen (vgl. Phil 4,8, Röm 12,2 und 1 T hess 5,21).31 Aber die Asymmetrie sowohl zwischen dem Apostel und seinen Gemeinden wie auch zwischen diesem und seinen Mitarbeitern dominiert doch das Gesamtbild. c. Auch hinsichtlich des Mobilisierens von allgemeinem Bildungsgut wird man die Texte besser nicht über Gebühr belasten. Paulus erweist sich hier m.E. weniger ergiebig32 als Lukas,33 der etwa auf geflügelte Worte anspielt, die man mit Euripides und Arat assoziiert (Apg 26,14; 17,28) und die auf einen Wiederkennungseffekt zielen. Der auctor ad T heophilum adressiert ein Publikum, das sich sowohl durch ein gewisses Maß an Wohlstand wie an Bildung auszeichnet.34 Exemplarisch steht dafür die Zeichnung der Urgemeinde am Anfang der Apostelgeschichte mit ihrer Gütergemeinschaft, die bei der antiken Leserschaft eine Fülle von Bildungsreminiszenzen abruft. Dazu gesellt sich selbstverständlich die Areopagrede mit ihren sokratischen Konnotationen.

31  Vgl. die Fallstudie von Konradt 2010. Im Blick auf den „Pädagogen“ in Gal 3,22 versucht Eisele 2012, 67–76 herauszustellen, wie das Gesetz zur Einsicht in das neue Sein der Christen verhilft, „so wie ein Erwachsener im Gespräch mit seinem geschätzten Pädagogen“ (76). 32  Vgl. die Hinweise bei Vegge 2006, besonders 457–486. Sehr weit geht White 2017 mit der T hese eines „scholastic community model which Paul establishes in 1 Cor 1–4“ (184). White zufolge ist es evident, „that Paul drew liberally from the educational traditions dominant in the ancient Mediterranean world, modifying them for literary, rhetorical, and evangelistic ends“ (188). Die Perspektive ist so interessant wie überzogen (etwa 184: „Paul’s ethical instructions tend to read much like Ben Sira’s classroom notes“); zu 1 Kor 1–4 vgl. unten bei Anm. 65. 33  Vgl. dazu Backes 2017. Backes arbeitet wie Söding (vgl. Anm. 4) und Schnelle (vgl. Anm. 3) mit einem sehr weit gefassten Bildungsbegriff. Vgl. sodann die Explorationen von Adams 2016 und MacDonald 2016. 34  Das gesamte Feld wird bearbeitet in der Göttinger Habilitationsschrift von Matthias Becker, Lukas und Dion von Prusa. Das lukanische Doppelwerk im Kontext paganer Bildungs­ diskurse (März 2019). Vgl. dazu als Miniatur ders. 2016.

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5.2 Institutionen a. Offenkundig haben Lehren und Lernen in den christlichen Gemeinden einen erheblichen Stellenwert. Diese verdanken ihren Charakter als scholastic communi­ ties35 zunächst wesentlich ihrem Ursprung aus dem Judentum.36 Neben A ­ posteln und Propheten spielen Lehrer zunehmend eine wichtige Rolle (vgl. 1 Kor 12,28), sowohl wandernde als auch lokale. Die Abgrenzung von Zuständigkeiten fällt nicht immer leicht. Zu beobachten sind seit dem späten ersten Jahrhundert vermehrt Rivalitäten zwischen Amtsträgern, die auch Lehrfunktionen ausüben, und Lehrern als eigenem Stand. b. Wie zutreffend es ist, von eigentlichen christlichen Schulen schon im ersten Jahrhundert zu sprechen, ist Gegenstand von engagierten Debatten.37 Es gibt Hinweise auf Schulen im Bereich der paulinischen Gemeinden – etwa in Ephesus – wie auf entsprechende Erscheinungen im johanneischen Bereich. Das Ausmaß an institutioneller Gestalt ist allerdings nicht deutlich zu rekonstruieren. Erst im zweiten Jahrhundert verdichten sich die Anzeichen dafür, dass sich christliche Schulen als Zirkel von Lehrern und Schülern organisieren, die sich eng am Modell philosophischer Schulen orientieren.38 Sie lassen sich mehr oder weniger in die etablierte hellenistisch-römische Bildungslandschaft einbetten. c. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf das Verhältnis zu jüdischen Bildungsinstitutionen. Etwas plakativ kann man sagen: Wo sich neutestamentliche Texte mehr oder weniger explizit auf ein Bildungssystem beziehen und sich davon auch absetzen, handelt es sich meist um ein solches jüdischer Provenienz – in unserer Terminologie also selber schon gegenüber dem Institutionenkomplex einer Teilkultur. Prägnant ist hier die Bergpredigt, der wohl wichtigste Bildungstext im Neuen Testament. Auf ihn nimmt der Missionsbefehl bzw. „Bildungsauftrag“ am Schluss des Matthäusevangeliums (28,19 f.) denn auch Bezug. Er bezieht Position gegen die „Schriftgelehrten und Pharisäer“ (Mt 5,20; vgl. 23,2 ff.). Auch sonst sind die Evangelien primär in diesem Kontext zu verorten, wie etwa das Porträt von 35  Der Terminus stammt von Judge 2008a. In zwei weiteren Aufsätzen macht Judge aufmerksam auf das Spannungsfeld zwischen überkommener paideia in den hellenistischen Städten und den Erziehungskonzeptionen in den christlichen Gemeinden, erkennbar etwa bei Paulus („T he value-system upon which Greek education had been built up is deliberately overthrown“): ders. 2008b (Zitat: 716); ders. 2008c. Vgl. ferner Smith 2012, 3–14. 377–391. 36  Vgl. Ego/Noack 2008 („die Jesus- und Osterbewegung war auch eine Lehr- und Lerngemeinschaft, in der Lehren mit neuen ‚inkongruenten Perspektiven‘ und das Lernen einer riskanten ‚devianten‘ Lebensführung in einem wechselseitigen Anregungsprozess standen“, 11). 37  Vgl. die Übersicht bei Schnelle 2015, 131–135. Besonders überzeugend fällt die Sortierung und Beurteilung durch Schmeller 2001 aus. 38  Vgl. die Diskussion zur Schule Justins: Ulrich 2012 („zeigt, wie sehr Justin bemüht ist, sich in seiner Lehre auf Augenhöhe mit konkurrierenden Schulen zu bewegen“); Georges 2012. Zur Frage des Niveaus vgl. die Einschätzung von Markschies 2002, 114–116 (Justin als „Beispiel eines philosophischen Unterrichts, der wahrscheinlich eher dem der Salon- oder Popularphilosophen entspricht“, 114).

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Jesus als Lehrer39 und seiner Anhänger als Schüler (μαθηταί) oder die Kontrastierung von Weisen bzw. Klugen und Einfältigen (Mt 11,25 par) zeigen. Die Frage, ob man das antike Judentum als Bildungsreligion schlechthin bezeichnen will, stellen wir vorderhand zurück. Im positiven Fall ist es wichtig, sein Verhältnis zum hellenistisch-römischen Bildungssystem angemessen zu bestimmen.40 Wir haben es dann wieder mit dem komplexen Verhältnis zwischen Institutionen einer Teilkultur und denjenigen der Globalkultur zu tun, wo sich sowohl Differenzen wie Konvergenzen ausmachen lassen. Als Brückenbauer fungieren zumal Josephus und Philon, die beide das Judentum mit seiner an der Tora orientierten Lebensform als Bildungsinstitution deuten.41 Die griechischsprachige jüdische Literatur zeigt, wie produktiv man die hellenistischen Bildungswerkzeuge rezipiert hat,42 beispielsweise in der Sapientia Salomonis oder im vierten Makkabäerbuch.43 5.3 Medien Erneut ist hier der ganze Komplex der Schrift und der autoritativen Texte zu notieren. Sein Stellenwert erinnert am meisten an die Bedeutung, die die klassisch gewordene Literatur im hellenistisch-römischen Bildungskanon beansprucht: Texte, die ganz wesentlich daran beteiligt sind, die Identität ihrer Leser zu gestalten. ­Bücher formen ihre Leserschaft, indem sie ihnen in ihren Textlandschaften Raum gewähren. Ich frage im Folgenden danach, wie es mit den für die Christen relevanten Schriften im Blick auf die Standards der hellenistisch-römischen Bildung bestellt ist. a. In der Einschätzung des Alten Testaments kumulieren sich die kulturellen Differenzen zwischen Christen und Nichtchristen. Die antichristliche Polemik trifft auch die Bibel der Juden. Selbst dort, wo diese gegenüber den Christen aufgewertet werden, wie bei Julian, reicht die mosaische Genesis längst nicht an Platons Timaios heran.44 Demgegenüber nehmen sich vereinzelte positive Wahrnehmun39 

Vgl. dazu Tropper 2012. Vgl. dazu die folgenden beiden Sammelbände: Zurawski/Boccaccini 2017 (die Spannweite der Bildungskonzeptionen umreißt hier Zurawski 2017); Brooke/Smithuis 2017. Vgl. ferner unten bei Anm. 63 und 64. 41  Bei Josephus vgl. besonders die Ausführung über die zwei Arten der Erziehung, Contra Apionem 2,171–178 (ἁπάσης παιδείας τρόποι); dazu Barclay 2007, 267 sowie im vorliegenden Band Deines (S. 260 f.); und Gemeinhardt (S. 3–6); zur Rezeption bei Euseb vgl. Hardwick 1996, 388 („Moses’ skill as a lawgiver was matched by his sagacity in combining moral principles with education in living out the precepts of the Law“). – Zu Philon vgl. Deines (in diesem Band, S. 258–260); Sterling 2017, hier namentlich im Vergleich mit dem neuplatonischen Schulbetrieb in Athen. 42  Vgl. Klostergaard Petersen 2017. 43  Vgl. zu 4 Makk besonders deSilva 2017; Rajak 2017, hier mit besonderem Augenmerk auf dem Einfluss der zweiten Sophistik (71–75). 44 In Contra Galilaeos rückt Julian einerseits Heiden und Juden zusammen gegen die Christen, die von beiden Traditionen nur das Schlechteste rezipieren (1 frg. 3 Masaracchia 40 

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gen von externen Beobachtern, etwa im Blick auf die Rhetorik des „Erhabenen“ im ersten Kapitel der Genesis,45 marginal aus. b. Wichtiger ist für unsere Fragestellung die entstehende christliche Literatur selber, die ihre Autorität durch gottesdienstliche und katechetische Verwendung gewinnt. Wir fragen danach, wie resonanzfähig sich diese Literatur im hellenistisch-römischen Bildungsraum ausnimmt. Dafür belasse ich es hier bei zwei ganz generellen Feststellungen. Erstens ist Overbecks scharfe Scheidung von Urliteratur und Bildungsliteratur heute überholt. Die im Neuen Testament vertretenen Gattungen – Evangelium, Apostelgeschichte, Brief, Apokalypse – lassen sich lesen als Variationen bestehender Textsorten der hellenistischen Welt, die ihrerseits die jüdische einschließt. Die frühen Christen vermitteln ihre Botschaft ganz selbstverständlich im Medium vorgegebener Gattungen. Zweitens, und hier dürfte Overbeck richtigliegen, steht kein eigentliches Bildungsprogramm hinter den Überresten der urchristlichen Literatur. Diese Feststellung gilt jedenfalls dann, wenn man sich, wie oben vorgeschlagen, am Bildungsverständnis der hellenistisch-römischen Leitkultur orientiert. Immerhin beginnen sich im Corpus der Pastoral­ briefe die Umrisse eines christlichen Bildungsprogramms abzuzeichnen, das über die Erziehung im engeren Sinn, also die Formung von Charakter und Verhalten durch Zucht und Übung, hinaus die Glaubenden zu einem Leben in Frömmigkeit formen will (Tit 2,11–14; 2 Tim 3,14–17 sowie 2,23–25).46 Nicht zufällig begegnen hier auch die deutlichsten Belege für eine παιδεία, deren Semantik nicht nur von der „Zucht“ bestimmt ist.47 In ein ähnliches Spannungsfeld führt uns die Beurteilung des sprachlichen Ausdrucks, des Stils.48 Die Gestalten des frühchristlichen Griechisch lassen sich einzeichnen in ein Spektrum, das von der Volksliteratursprache bis zur literarischen Koinē reicht. Den Ansprüchen, die die Bildungstradition mit Referenz auf ihre zu Klassikern erklärten Autoren erhebt, entsprechen sie nicht. Dies gilt zumal = Kyrill, Contra Julianum 1,2,9 [GCS.NF 20, 97 Riedweg]), wertet aber andrerseits Mose gegenüber Platon ab (1 frg. 6 M. = Kyrill, Contra Julianum 1,2,18 [110 R.]). 45  Zur Würdigung des Anfangs der Genesis durch Ps.-Longinos, De sublimitate 9,9 vgl. Cook 2004, 32–34. Einen Brückenschlag zwischen Homer und Gen 1 bzw. Ex 14/15 beobachtet Usher 2007, 298–301 („T he creation story in Genesis […] is not only a poetic moment of cosmogony that appealed to Longinus’ sense of the sublime, it is also […] a cousin of the theomachies he quotes (and notably conflates) from Homer“, 300). 46  Vgl. dazu Eisele 2012, 77–83; Söding 2016, 191–199 („Tit 2,11–14 ist ein theologischer Schlüsseltext, der verstehen lässt, warum und in welchem Sinn das Christentum eine Bildungsreligion ist. Die wenigen Verse enthalten das ganze neutestamentliche Evangelium“, 195). 47  So 2 Tim 3,16; Tit 2,12; zu vergleichen sind außerdem Apg 22,3 und Röm 2,20. 48  Der Klassiker zu dieser Fragestellung ist Norden 1918, 451–573; speziell zu den Paulusbriefen 492–510, eigens mit Verweis auf Overbeck (492). Zu beachten ist der Nachtrag (3f), der die Auseinandersetzung bilanziert zwischen ihm und Heinrici 1900. Zur Beurteilung der Sachlage vgl. Betz 1994, 129 f.; sodann Reiser 2001a; ders., 2001b, 2–90. Zu Stilformen des „Erhabenen“ im Neuen Testament vgl. Caragounis 2014, 271–298; 299 f. („great flashes of grandeur and sublimity, thus, often attaining a high score on the scoring board of ancient rhetoric“); 309–311. – Zur Stigmatisierung der Bibelsprache vgl. Pietzner 2013, 373–378.

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dann, wenn man die Normierung von Sprache und Stil, die sich mit der zweiten Sophistik intensiviert, bereits in das erste Jahrhundert verlegt.49 Umgekehrt ist zu konstatieren, dass weder die urchristlichen Autoren noch ihre Leserschaften die Erwartung hegten, dass ihre Gebrauchsliteratur den etablierten oder sich etablierenden Regeln für die Bildungsliteratur zu genügen hatte. Eine ganz andere Frage ist die nach der literarischen Qualität frühchristlicher Texte, die sich auch unabhängig von der Stilkritik der etablierten Literaten beurteilen lässt. Zugespitzt formuliert: Wenn auch nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der redaktionsgeschichtlichen, narratologischen und rhetorischen Forschungsarbeiten der neutestamentlichen Wissenschaft innerhalb der letzten fünfzig Jahre richtig ist, haben wir es mit raffiniert gestalteter Literatur zu tun. Auf Autorenseite können wir etwa bei Lukas, Paulus und zumal beim Verfasser des Hebräerbriefs mit literarischen und rhetorischen Kompetenzen rechnen, die eine Schulbildung wenigstens mittleren Niveaus voraussetzen.50 Der Briefwechsel von Paulus mit den Korinthern zeigt allerdings, dass es zwischen dem literarischen Medium und dem persönlichen, mündlichen Auftritt nochmals erhebliche Differenzen geben konnte (vgl. 2 Kor 11,6; 10,10 f.).51 Die Schlussfolgerung legt sich nahe: Innerhalb ihres partialkulturellen Raums zeichnet sich die urchristliche Literatur durch Kunst, Raffinesse und Eigenwilligkeit aus; sie erfordert erhebliche Lesekompetenzen. Gemessen an den Bildungsstandards der hellenistisch-römischen Welt als ganzer, die wesentlich von Eliten portiert werden, muss man sie demgegenüber als medioker qualifizieren. Diese Einschätzung der frühchristlichen Literatur ändert sich kaum vor dem dritten oder sogar nicht vor der Wende zum vierten Jahrhundert. Erst dann haben sich die Bildungsniveaus von Repräsentanten paganer und christlicher Eliten egalisiert.52 Typisch dafür ist, dass es sich manchmal sogar als schwierig erweist, spätantike Literaten eindeutig in einem paganen oder christlichen Milieu zu lokalisieren.53 Pointiert ausgedrückt: Die Christen werden im Lauf dieses Prozesses selber zu Trägern der hegemonialen Kultur. Unter der Regentschaft von Kaiser Julian kommt es sogar zu einem schweren Konflikt zwischen verschiedenen Exponenten 49  50 

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Vgl. Swain 1996, 2–5; differenzierte Diskussion bei Whitmarsh 2017, 11–14. Vgl. die Übersicht bei Vegge 2008, 23–25, speziell auch zu Paulus; vgl. ders. 2006, 457–

51  Bei den Aussagen von Paulus über seine eigene Redekompetenz wie über die seiner Gegner (2 Kor 11,6; 10,10 f.) muss man allerdings mit der Möglichkeit rechnen, dass sie nicht einfach „Fakten“ wiedergeben, sondern mit rhetorischen Topoi aus dem Umfeld der „Sophistenschelte“ arbeiten. Vgl. dazu meinen Aufsatz: Vollenweider 2018, 669–672. 52  Charakteristisch dafür sind die Umbrüche in der spätantiken Bildungslandschaft, die teilweise als „dritte Sophistik“ (ab dem Beginn des vierten Jahrhunderts) bezeichnet werden und die mit der Rezeption der gesamten Bandbreite der rhetorischen Paideia durch die christlichen Eliten verbunden sind. Vgl. zur „dritten Sophistik“ Pernot 1993,14; ders. 2017, 211f; Fowler/Quiroga Puertas 2014. 53  Neben Synesios von Kyrene wäre hierfür zu verweisen auf Macrobius (um 400), den Verfasser der Saturnalia und eines Kommentars zu Ciceros Somnium Scipionis. Vgl. dazu Cameron 2011, 231–272, der Macrobius gerade nicht als ‚bekennenden Heiden‘ verstehen will.

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der Leitkultur, der sich entscheidend um das Bildungsverständnis dreht. Ein weiteres, nun aber rekursives Symptom für den angesprochenen Entwicklungsschub ist das pagan revival im späten vierten Jahrhundert, mobilisiert durch das Verbot heidnischer Kulte durch die christlichen Kaiser. 5.4 Projekte Wir begnügen uns auch hier mit holzschnittartigen Hinweisen. Persönlichkeitsbildung spielt im Neuen Testament keine Rolle. Das hängt nur schon damit zusammen, dass wir es hier nicht mit Personen zu tun haben, die sich über ihre Laufbahn, den cursus honorum, definieren. Auch Selbsterziehung und Selbstbildung sind nicht im Fokus der frühchristlichen Literatur. Unsere Texte adressieren nicht Individuen, und das, obwohl es sich bei den frühen Christen allesamt um Konvertiten handelt. Diese fügen sich ja in eine neue Gemeinschaft ein. Die gemeinschaftliche, kommunale Orientierung bietet der klassischen, auf das Individuum zielenden Selbstbildung keine direkte Schnittstelle.54 Dabei ist zu beachten: Das Bildungssystem adressiert die Einzelnen durchaus als Repräsentanten ihrer Schicht, also aufgrund ihres Status. Die psychagogische Formung der hellenistischen und kaiserzeitlichen Philosophien zielt ihrerseits nicht auf die unverwechselbare Individualität und Persönlichkeit, sondern auf den Menschen als Träger des überpersönlichen Logos.55 Es ist typisch für das antike Christentum, dass etwa die stoische Psychagogik m.W. erst in der monastischen Literatur breiter rezipiert wird.56 Eine ars vi­ vendi oder eine ars moriendi sucht man in der Bibel vergeblich – allenfalls lassen sich Spuren im Lukasevangelium ausmachen.57 Um eine ‚Kunst‘ kann es sich im Neuen Testament nur schon deshalb nicht handeln, weil es hier nicht um das ‚Bilden‘ der eigenen Persönlichkeit geht, das Formen des inneren Götterbilds, sondern um das Mitgehen auf dem abgründigen Weg Jesu, wie im Fall der Evangelien, oder um die Teilhabe an Tod und Auferstehung Christi, wie im Fall der Paulusbriefe. Hier macht sich das ‚exzentrische‘ Profil der neutestamentlichen Anthropologien bemerkbar. Das Subjekt der „Bildung“, die an den Glaubenden ergeht, ist der vom 54  Der Gemeinschaftsbezug der Erziehung spielte im alten Griechenland eine noch weit größere Rolle. Mit den Umbrüchen des Hellenismus rückt die Persönlichkeit des Einzelnen in das Zentrum, auf die die Paideia zielt. Vgl. Marrou 1977, 189–194 („Wie der Koroplast seine Tonfiguren formt und schmückt, so muss jeder Mensch sich zur Aufgabe setzen, seine eigene Statue zu formen“, 191). 55  Vor der Verwechslung mit dem neuzeitlichen Individualismus warnt deshalb mit Recht Jaeger 1934, Bd. 1, 8–14. Noch weiter geht mit der T hese eines „dezidierten Antiindividualismus“ Horn 2016 (Zitat 281). 56  Zur Psychagogik vgl. etwa Rabbow 1954; Hadot 1991, besonders 13–23; Seilars 2016. 57  Hinzuweisen ist hier vor allem auf Ansätze zu einem christlichen Entwurf der ars vi­ vendi, mit speziellem Fokus auf der Situation angesichts des nahenden Todes wie in den Erzählungen vom reichen Kornbauer (12,16–21) und vom armen Lazarus und dem Reichen (Lk 16,19–21) sowie in den individual-eschatologischen Aussagen zum „Heute“ (Lk 23,43; vgl. 4,21; 2,11; 5,26; 19,9).

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Kreuz gezeichnete Jesus, der selber sein Leben nicht als Kunstwerk gestaltet. Umso herausfordernder nimmt sich die eigentümliche Begriffsgeschichte der „Bildung“ aus, die ja genau von der Formung, die durch die Teilhabe am erhöhten Christus zustande kommt, ihren Ausgangspunkt nimmt (2 Kor 3,18) und sich mit Platons Metaphorik des Bildens verbindet.58 Auch die spezifische Begrifflichkeit des ‚Glücks‘ (εὐδαιμονία) hat in die Bibel keinen Eingang gefunden. Was hier aber präsentiert wird, ist von Haus aus weisheitlicher Natur und damit „bildungsoffen“: Wegweisung für ein Leben in Übereinstimmung mit Gott und seiner Ordnung. Hier bieten sich Brücken, nicht mehr und nicht weniger, zur griechischen paideia an – auch in den Fragen nach dem Glück (wie bei den Seligpreisungen) oder nach dem guten Leben, auf die zumal Jesus als Lehrer Antworten erteilt. Ein schönes Beispiel für die sapientiale Lebensorientierung ist das Weisheitsbuch von Ben Sira, das ein Programm jüdischer Erziehung und Bildung entfaltet. Basis dafür ist die alttestamentliche Überzeugung, wonach Gottesfurcht den Anfang der Weisheit bildet (Spr 1,7; 9,10; 15,33; Ps 111,10; vgl. Sir 1,14).59 Nicht von ungefähr ist das Bibelwort timor Domini initium sapientiae auch zum Leitspruch mancher Universitäten geworden.60

6. Drei T hesen zum Schluss Im Folgenden versuchen wir, einem mittleren Weg zwischen den Positionen der „Bildungsfreunde“ und denjenigen der „Bildungsverächter“ im Blick auf das Frühchristentum zu folgen. 1. Die frühchristliche Literatur dokumentiert ein breites Spektrum von Bildungsphänomenen. Dennoch lässt sie sich nicht für eine „Bildungsreligion“ in Anspruch nehmen. Ihr fehlt ein Bildungsprogramm, d. h. eine explizite Bezugnahme auf das von der hellenistisch-römischen Globalkultur entworfene Bildungssystem, das seinerseits auch am Ursprung unserer neuzeitlichen Bildungskonzeptionen steht.61 Eine solche ausdrückliche Bezugnahme auf den Bildungskosmos und seine Institutionen beginnt sich erst etwa ab der Mitte des zweiten Jahrhunderts abzuzeichnen, auch wenn sich vielleicht erste Umrisse im lukanischen Doppelwerk und im Corpus pastorale ausmachen lassen. Man kann lediglich von bildungsaffinen Impulsen sprechen, die das Neue Testament dem sich ent58 

Vgl. oben Anm. 15 zu Meister Eckhart und Anm. 19 zu Platon. Vgl. dazu Spieckermann 2014. 60  So das Motto der University of Aberdeen. Das Bibelwort ziert als Inschrift die goldene Kette des Rektors der Universität Zürich. Vgl. zum Letzteren die Dekanspredigt zum 150-jährigen Jubiläum der Universität von Steck 1983. 61  Die Wege führen dabei über die Pflege humanistischer Kultur, die gerade auch im Reformationszeitalter intensiviert worden ist. Insofern ist vielfach das reformatorische Bildungsverständnis Ausgangspunkt für die Neugründung des Schul- und Universitätswesens. Vgl. die Skizze von Schlag 2018. 59 

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wickelnden Christentum auf den Weg gibt.62 An diesem speziellen Punkt ist der überaus scharfen Kontrastierung zwischen urchristlicher und patristischer Literatur, die Overbeck vorgenommen hat, Recht zu geben. 2. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die Einbettung in und die partielle Distanz­nahme von jüdischen Milieus mit ihrer Textkultur. Man darf beim antiken Judentum – in der vorgeschlagenen Terminologie: auf der Ebene einer besonderen Teilkultur – von einem eigentlichen sich entwickelnden Bildungssystem sprechen,63 das sich allerdings markant von demjenigen der Globalkultur unterscheidet. Unbeschadet einer weitreichenden Rezeption hellenistischer Bildungswerkzeuge, die vom Üben der Progymnasmata bis zum Einsatz einer ausgefeilten Rhetorik reichen,64 sind namhafte Differenzen auszumachen. Diese haben zu tun erstens mit dem sprachlichen Medium, wo es im Lauf der frühen Kaiserzeit zu einem Abschied von der Weltsprache, dem literarischen Griechisch, kommt. Hier setzen sich die Besonderheiten einer spezifischen Teilkultur durch. Zweitens bleibt das Moment der Bildung des „Selbst“ im Hintergrund, weil es vom Modell der „Gottesfurcht“ überlagert wird. Das zunehmend von Heiden bestimmte Christentum hat zwar den sprachlichen Sonderweg des Judentums nicht mitgemacht, teilt aber mit diesem die Entscheidung dafür, die Formung des Selbst ganz an die Gottesbeziehung zurückzubinden. Was immer es hier an Gestalten von literarischer Bildung oder von autonomer Selbstverwirklichung geben mag, alles steht unter dem Vorzeichen der Frömmigkeit und der Bindung an den Kanon der heiligen Schriften. 3. Nichtsdestoweniger gibt es eine begrenzte Zahl von bereits neutestament­ lichen Texten, die über binnenchristliche und jüdische Kulturräume hinausweisen und ansatzweise mindestens indirekt auf den Gesamtkomplex griechisch-hellenistischer paideia fokussieren. Entsprechend produktiv und formativ nimmt sich ihre Rezeptionsgeschichte aus. Exemplarisch verweise ich auf drei neutestamentliche Passagen, die alle nicht zufällig mit dem Unternehmen der Philosophie befasst sind.65 a. Paulus arbeitet im ersten Hauptteil des 1. Korintherbriefs programmatisch die Differenz zweier Formen von Weisheit heraus (1,18–30): Der „Weisheit dieser Welt“, repräsentiert von den Griechen, steht die als Torheit erscheinende „Weisheit Gottes“ der Christen gegenüber. Das ethnische und soziale Profil seiner Argumen62 Von „Impulsen“ spricht auch Söding 2016, Untertitel und passim („weil dort die entscheidenden Impulse gesetzt werden, dass die christliche Religion auf Bildung setzt, und weil dort, im Kontext der ganzen Bibel, grundlegend geklärt wird, was in einem christlichen Sinn als Bildung gelten darf“, 10; vgl. 275–282). 63  Vgl. die zusammenfassende Darstellung von Samely 2017, 147–200, besonders 69–73; 155–157. 64  Interessant sind die Versuche, die Formung der rabbinischen Literatur mit der Zweiten Sophistik und ihrem Revival der Rhetorik zu korrelieren. Vgl. dazu Hidary 2018, 1–40, besonders 18–23. 65  Zum Folgenden vgl. meine Überlegungen in folgenden beiden Aufsätzen: Vollenweider 2013; ders. 2012.

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tation – im Blick sind drei Völker sowie soziale Niveaus – lädt zur kulturtheoretischen Deutung ein. Plakativ formuliert: Gegen die etablierte Weisheit im Zen­ trum der Globalkultur bietet der Repräsentant einer Partialkultur eine alternative Weisheit auf, die ethnisch von außen und sozial von unten kommt. Wir haben ein Kontrastmodell vor uns.66 In dessen Zentrum steht der schmählich gekreuzigte Christus, der dem Ideal des nach Maßgabe des Guten und Schönen geformten und gebildeten Menschen diametral entgegensteht. b. Die Areopagrede der Apostelgeschichte (Kap. 17) entwirft das Setting eines philosophischen Dialogs, der allerdings monologisch funktioniert und schließlich abbricht. Wir haben ein Überbietungsmodell vor uns. Hinsichtlich der Frage, ob das lukanische Doppelwerk über die Athener Szene und das Proömium von Lk 1,1–4 hinaus eine christliche Bildungsinitiative lanciert, ist m.E. eher Skepsis angebracht. c. Schließlich ist der Johannesprolog zu nennen (Joh 1,1–18). Es ist eine offene Frage, ob der Logos, der im Ganzen des Evangeliums eigenartig isoliert bleibt, eine Leerformel darstellt – frei nach Harnack: einen Lockvogel67 – oder ob wir ihn als so etwas wie eine Telosformel bestimmen können, die dann etwa mit der alētheia, der Wahrheit, zu korrelieren wäre. Die Ambivalenzen, die gerade in diesen drei Texten fassbar sind, setzen sich in den späteren christlichen Bildungsdiskursen fort. Sie dokumentieren die erheblichen Spannungen zwischen paganem und christlichem Bildungssystem, die sich in das christliche Erbe eingeschrieben haben.68 Aufgrund ihrer Herkunft sind Christenmenschen offenbar beides zugleich, Bildungsfreunde und Bildungskritiker. Dass sie sich heute dezidiert für das erstere engagieren, in einer Zeit, in der es nicht nur zu markanten Transformationen im Bildungsverständnis kommt, sondern auch zu einem massiven Abbruch der Traditionsweitergabe, leuchtet spontan ein. Auch an diesem Punkt lassen sich die Vorgänge im frühen 21. Jahrhundert mit denen in der späten Antike durchaus vergleichen.

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66  An diesem Punkt übereinstimmend mit Ehrensperger 2017, 239–253, im Blick auf 1 Kor 1–4 wie auf Röm („Paul refutes the dominant perception with the alternative interpretation of his own bodily experience and his respective teaching of the nations in Christ, which is embedded in the Jewish perception of the world as God’s creation“, 253). Zur T hese von White 2017, speziell im Blick auf 1 Kor 1–4, s. Anm. 32. 67  Vgl. Harnack 1892. Dazu T heobald 1988, 26–33 („Der Prolog – ein metaphysischer Lockvogel? A. v. Harnacks Kritik der Kritik“, 26). Die Wendung „Lockvogel“ stammt erst von T heobald. 68  Vgl. dazu auch Ehrenkrook 2017.

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Intellektuelle Autorität unter frühen Christen Auch zur Frage der Hellenisierung des Christentums*

Hartmut Leppin Die frühesten Christus-Anhänger hatten nicht viel zu bieten im Vergleich zu dem, was andere religiöse Gemeinschaften ihrer Zeit vorweisen konnten; ihre Welt musste anderen als defizitär erscheinen: Es gab keinen Tempel, keine bewährten Rituale, nicht einmal einen Leichnam. Der lukanische Paulus zeigt sich in seiner Areopagrede darauf nachgerade stolz: Der Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr ist des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der irgendetwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Atem und alles gibt (Apg 17,24 f.).1

Was Christus-Anhänger vorzuweisen hatten, waren Erfahrungen mit der Gestalt Jesu, den sie teils als Messias, teils als großen Lehrer erlebten. Diese Erfahrungen gerannen allmählich zu Texten, und das in einer beachtlichen Vielfalt. Vor diesem vagen Hintergrund verlangten sie den Bekehrten eine klare Entscheidung für ihren Christus ab – einen solchen Absolutheitsanspruch trugen Christen von Beginn an vor, und er betraf alle: Ob man Grieche war oder Jude, Mann oder Frau, Freier oder Sklave, all das sollte vor Christus keinen Unterschied machen (Gal 3,28). Doch wenn die hergebrachte soziale Zuordnung fehlte, wenn die vertrauten Hierarchien nicht mehr galten – wer besaß dann die Befugnis zu sagen, was man glauben, was man tun solle? Die klassische Meistererzählung ist mit dem Namen Max Webers (1864–1920) verbunden. Er beschreibt im Rahmen seiner Soziologie der Herrschaft die Geschichte der frühen Christen als eine Entwicklung von einem persönlichen Charisma zu einem Amtscharisma; als dessen Inbegriff gilt das Amt des Bischofs, der seine Gemeinde lenkt.2 Mir scheint ein flexibleres Modell sinnvoller, in dem ich den Begriff der Autorität einführe. Mit Autorität meine ich eine Stellung, die eine hohe Chance verlieh, mit Aussagen zur Lehre oder zum Verhalten bei anderen Menschen Anerkennung *  Für Hinweise danke ich den Diskutanten in Göttingen sowie Julia Schwarzer und Alexander Weiß. 1  Dazu Prostmeier 2013, 127–162, insbes. 127–141. 2  Weber 51980, 541–868; Schluchter 1985, 11–71; Draper 1998, 541–576.

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oder sogar Gefolgschaft zu finden.3 Ein solcher Ansatz scheint mir gegenüber den oft verwendeten Begriffen ‚Macht‘ und ‚Herrschaft‘ einen Vorzug zu haben. Denn das Moment der Durchsetzung des Überlegenen, auf dem die Weber’schen Begriffe von Macht und Herrschaft beruhen, stellt nur ein Element der Autorität unter frühen Christen dar. Christliche Autoritäten konnten auch in einem allgemeinen Sinne als Vorbilder gelten, die andere zur Nachfolge bewegten, ohne dass dies direkt intendiert war oder prätendiert wurde. Der Kapitalbegriff im Sinne Pierre Bourdieus (1930–2002), der sich als Alternative anböte, macht darauf aufmerksam, dass Autorität eines hohen sozialen Kapitals bedarf,4 doch betont der Begriff der Autorität demgegenüber stärker die kommunikative Dimension. Das Korrelat der Autorität ist Anerkennung, allerdings Anerkennung nicht in einem allgemeinen Sinne, sondern Anerkennung einer Überlegenheit oder Vorbildlichkeit; das ist besonders in den Fällen wichtig, in denen die Autorität auf Selbstautorisierung beruht, etwa der Behauptung einer Nähe zu Gott oder besonderer Klugheit. 5 Wichtig erscheint es mir, verschiedene Formen der personengebundenen (im Unterschied zur amtsmäßigen) Autorität zu unterscheiden: Zu nennen wäre Autorität aufgrund von Herkunft, die unter frühen Christen eine geringe Rolle spielt – aber, wie das Beispiel des ‚Herrenbruders‘ Jakob zeigt, ihnen nicht völlig fremd war. Charismatische Autorität im Sinne einer besonderen Begabung hingegen tritt in vielfältiger Weise hervor, als spirituelle Autorität, die eine Nähe zum Heiligen Geist reklamiert, die sich vor allem in Prophetie, Zungenreden oder Wundertätigkeit äußern konnte, als geistige Autorität, die durch den Anspruch der Weisheit oder der Intellektualität bestätigt wurde, als asketische Autorität, mithin als Autorität aufgrund von Entbehrungsleistungen. Hinzu kommt soziale Autorität, hier verstanden in dem Sinne, dass ihre Träger aufgrund von Herkunft, Besitz oder öffentlicher Stellung außerhalb der christlichen Gemeinden ein besonderes Ansehen genossen. Zu den bemerkenswerten Zügen der Geschichte früher Christen gehört, dass soziale Autorität sich innergemeindlich kaum durchsetzen konnte. Wichtiger waren Formen der Autorität, die an persönliche Gaben gebunden waren. Jede personengebundene Autorität musste sich in der Person neu bewähren, während Amtsautorität transpersonal war (aber auch verloren gehen konnte, wenn ein Träger auf Dauer nicht überzeugend daherkam). Jedwede Autorität wird mithin neu verhandelt. Der Begriff der Autorität suggeriert Stabilität, steht aber für Veränderlichkeit. Eine Erörterung der Geschichte früher Christen aufgrund des Wechselspiels von Autoritäten kann daher vermutlich dazu beitragen, deren Dynamik zu erfassen. Es versteht sich, dass die Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen von Autorität einen heuristischen Charakter hat, zumal damit zu rechnen ist, dass 3 Leppin

2019a, 10 f., vgl. Rüpke 2016, insb. 218–370. Verter 2003, 150–174. 5  Leppin 2019b. 4 

Intellektuelle Autorität unter frühen Christen

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einem Akteur unter verschiedenen Aspekten Autorität zugeschrieben werden konnte. Keineswegs waren einzelne Formen der Autorität an bestimmte religiöse Richtungen gebunden; so konnte intellektuelle oder spirituelle Autorität bei Markioniten, aber auch bei ihren Gegnern, bei Gruppen aus dem gnostischen Spektrum oder bei anderen wirksam werden. Die Perspektive, die ich hier wähle, ist eben nicht ideen-, sondern sozialgeschichtlich. Aus der Vielzahl von Autoritäten der frühen Christen widme ich mich in diesem Beitrag einer Form der geistigen Autorität, nämlich der intellektuellen. Geistige Autorität beruht auf dem Anspruch, persönliche Kompetenzen erworben zu haben, die es erlauben, über Glauben und daraus resultierende Verhaltenserwartungen überzeugend zu reden. Sie kann auf einer Weisheitstradition beruhen, wie sie etwa in vielen Spruchsammlungen sichtbar waren, etwa in jener des Sextus6 oder in dem Cyprian zugeschriebenen Traktat Ad Quirinum, eine Sammlung von Lebensregeln für viele Lebenslagen. Die Träger intellektueller Autorität hingegen setzen auf das Argument, auf ihre Fähigkeit, den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ auszuüben, um einen berühmten Frankfurter zu zitieren. Der typische (aber nicht alleinige!) Vertreter intellektueller Autorität ist der Intellektuelle. Dessen soziale Rolle scheint spezifisch an die Strukturen der Öffentlichkeit in der Moderne gebunden zu sein. Doch gibt es auch einen breiteren Begriff, der wieder an Max Weber anschließt. Denn dieser entwarf einen Idealtypus des Intellektuellen, der sich auf verschiedene Phasen der Geschichte und Religionen übertragen lässt: Der Intellektuelle sucht auf Wegen, deren Kasuistik ins Unendliche geht, seiner Lebensführung einen durchgehenden „Sinn“ zu verleihen, also „Einheit“ mit sich selbst, mit dem Menschen, mit dem Kosmos. Er ist es, der die Konzeption der „Welt“ als eines „Sinn“-Problems vollzieht.7

Der Apostel Paulus vertrete einen kleinbürgerlichen Intellektualismus; den Apologeten des 2. Jahrhunderts hingegen spricht Weber schon ein regelrechtes Intellek­ tuellentum zu.8 Innerhalb des Intellektualismus nimmt Weber verschiedene Unterscheidungen vor, die er indes nicht mehr systematisch ausführt: Vom kleinbürgerlichen Intellektualismus war schon die Rede, doch auch Laienintellektualismus (310; 312), Pariaintellektualismus (312) oder Plebejerintellektualismus (313), aber auch der Handwerksburschenintellektualismus (308, besonders bei Christen: 311) oder Schreiberintellektualismus (309) kommen vor.9 6 

Wilson 2012; Pevarello 2013. 307 f. 8 Weber 51980, 304–314; zu frühen Christusanhängern 310 f.; vgl. dazu Kippenberg 1989, 181–201, insb. 191–200; ferner die klärenden Bemerkungen bei Hübinger 2001, 297–314. 9  Anders die Akzentuierung in Markschies 2006, 239: „I would like to … simply define an intellectual as a learned person according to ancient standards, and as someone trying to follow his faith by reason“; ähnlich etwa Fürst 2007. Der Vorzug der Weber’schen Akzentuierung scheint mir darin zu liegen, dass sie die Spannung zur entstehenden Amtsautorität 7 Weber 51980,

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Was man der Rolle des Intellektuellen auch jenseits der Moderne zuschreiben kann, ist der Anspruch, nicht als Sprecher einer Institution zu wirken, auf etwas Allgemeines ausgerichtet zu sein und durch das Räsonnement zu überzeugen.10 Viele, die sich in der Antike als Philosophen gaben, kann man so als Intellektuelle beschreiben. Doch ließ sich intellektuelle Autorität unter Christen auch mit bischöflicher Autorität verbinden wie etwa im Falle von Cyprian von Karthago oder Dionysios von Alexandria. Daher verläuft die Geschichte der intellektuellen Autorität unter den Christen anders als die des Intellektuellen. Der Druck, den Glauben explizit zu machen, gar ein reflexives Verhältnis zu ihm zu entwickeln, ergab sich aus der defizitären Ausgangslage der frühen Christus-Anhänger, von der eingangs die Rede war. Sie hatten keine Heimat und keine hergebrachten Praktiken, sondern mussten alles neu definieren; was sie taten und glaubten, hing an Worten und Texten, die sich über Reflexion erschlossen. Kein Wunder, dass der Glaube der Christen anderen als eine Philosophie erschien. Dies muss indes nicht mit einem äußeren kulturellen, griechischen Einfluss erklärt werden. Christus-Anhänger waren nun einmal auf Berichte, mithin auf das gesprochene Wort, angewiesen.11 Zu Recht ist daher vermutet worden, dass man bei den frühen Christus-Anhängern ein vergleichsweise hohes intellektuelles Niveau annehmen sollte.12 Daher dürften Träger geistiger Autorität als Personen, die in der Lage waren, Glauben sprachlich explizit zu machen, besonders gute Chancen gehabt haben, bei Christen Anklang zu finden. Intellektuelle Autorität ist weder an Besitz noch Herkunft gebunden. Sie erweist sich kommunikativ. Wer intellektuelle Autorität besaß, hatte aber auch die Chance, jenen Formen der Autorität, die sich aus sozialer Herkunft oder ökonomischem Potential ergaben, etwas entgegenzusetzen. Daher besaß intellektuelle Autorität in einer Gesellschaft mit stark ständischer Prägung wie der römischen durchaus Sprengkraft. Allerdings bedarf es für den Erwerb intellektueller Kompetenz einer bestimmten Sozialisation und damit auch eines gewissen Wohlstandes, der nötig ist, um den Kindern die Zeit und die Mittel für Bildung zu gewähren. Intellektuelle Autorität bedient sich, da sie auf einer reflexiven Praxis beruht, bestimmter intersubjektiver Wahrheitskriterien, die von der Person dessen, der sie ausspricht, ablösbar sind. Oft beruht intellektuelle Autorität auf Bildungswissen; es gibt auch eine Nähe zum Expertentum, doch ist ihre Reichweite größer. Sie zielt entsprechend der hier vorgeschlagenen Definition des Intellektuellen auf größere Sinnzusammenhänge und beruht auf der Fähigkeit, Gründe vorzutragen, die von anderen unabhängig von deren ideologischer Disposition als gut angesehen werden können. Intellektuelle Autorität kann sich daher auch besonders leicht in Texbetont, um auch die soziale Rolle des Intellektuellen in den Blick zu bekommen, vgl. Leppin 2018, 363–390. 10  Hier beziehe ich mich auf Tykwer 2001, 7–12, hier 8. 11  Auch heidnische Priester konnten über ihr Tun intellektuell Rechenschaft ablegen, was in der Kaiserzeit häufiger geschah; vgl. Graf 2010, 13–28. 12  Schnelle 2015, 113–143; Söding 2016.

Intellektuelle Autorität unter frühen Christen

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ten niederschlagen, die ihre eigenen Wege gehen – insofern trug Hochschätzung intellektueller Autorität gewiss zur Dynamisierung und Verschriftlichung theologischer Debatten bei. Das Instrumentarium der Argumentation wurde in der Antike von Rhetorik und Philosophie bereitgestellt. Zwischen beiden wurde oft eine Konkurrenz inszeniert, bei der die Christen sich auf die Seite der Philosophie schlugen – doch ohne Rhetorik kamen weder Philosophen noch Christen aus.13 Ferner war die Argumentation geprägt von Traditionen einer philologischen, mit Alexandria verbundenen Textdeutung, wie sie vor allem im Hellenismus zur Blüte kamen. Sie verdichten sich in der literarischen Form des Kommentars, der im 2. Jahrhundert auf der Grundlage der Anerkennung autoritativer Texte entstand und sich mit Namen wie Herakleon, Origenes und Hippolyt verbindet.14 Diese Argumentationsweisen wurden nicht von allen, aber weithin von Vertretern ganz unterschiedlicher religiöser Auffassungen akzeptiert und bildeten mithin potentiell einen neutralen Bereich. Anders als etwa beim Propheten hing die Zuschreibung von geistiger Autorität im Falle der intellektuellen Autorität also nicht von einem gemeinsamen Glauben ab. Besondere Bedeutung dürfte mithin intellektuelle Autorität erlangen, wenn Gemeinsamkeiten des Glaubens strittig waren, nach innen und nach außen. Meine Unterscheidung ist keine quellensprachliche. Wörter wie sophós (σοφός) oder ḥaḵám (‫ )ָחָכם‬können sowohl Experten meinen als auch Träger intellektueller Autorität oder Weise. Paulus, der erste große christliche Textproduzent, den wir kennen, bedient sich rhetorischer Techniken und belegt damit seine intellektuelle Autorität, setzt sich aber bewusst von der landläufigen Vorstellung einer rhetorisch bestimmten sophía (σοφία) ab, um pneúma (πνεῦμα) zu beanspruchen.15 Doch scheint mir mein Vorgehen deswegen legitim, weil es mir um eine funktionale Interpretation geht, die stets eine Außenperspektive einnimmt und nicht die Binnenperspektive reproduzieren kann. Ein Wechselspiel zwischen intellektueller Autorität, Textdeutung und Textproduktion, wie es für die Christen namentlich im zweiten Jahrhundert so wichtig werden sollte, war in der römischen Kaiserzeit nichts Ungewöhnliches: Die Juristen, die in der Kaiserzeit eine Blüte erlebten, standen vor dieser Herausforderung; Mediziner diskutierten klassische Texte; ebenso mussten viele Philosophenschulen, in denen seit jeher intellektuelle Autorität eine große Rolle spielte, einen Weg finden, mit autoritativen Texten umzugehen. Und natürlich sind auch die Rabbinen vor diesem Hintergrund zu sehen. Zu erinnern ist zudem an die Bewegung der Zweiten Sophistik, die es Menschen erlaubte, ihre geistigen Fähigkeiten glanzvoll zu inszenieren. Ein Schlüsselwort bildete die paideia (παιδεία), die sich auf Bildung in einem klassischen Sinne bezog und auch entsprechende sprachliche 13  Die taktische Notwendigkeit der Rhetorik betont prägnant Clemens von Alexandrien, Stromateis 1,35,6. 14  Vgl. etwa Neuschäfer 1987; Fürst 2011, 81–114. 15  1 Kor 2,1–5, bes. V. 4 (textkritisch strittig) und 13.

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Fähigkeiten einschloss.16 Die Bedeutung intellektueller Autorität endete keineswegs mit der Zweiten Sophistik. Gerade in der Philosophie des Neuplatonismus besaß sie eine erhebliche, teils auch über den Zirkel der Philosophen hinausreichende Wirkung. Diese hatten mit christlichen Intellektuellen viel gemeinsam; namentlich in Alexandria standen diese Gruppen in einem engen Austausch.17 Wer sich durch starke geistige Leistungen auszeichnete, hatte in der römischen Gesellschaft somit hohe Chancen auf Statusgewinn. In einer solchen Welt konnten Christen erwarten, intern von der Hochschätzung des Arguments zu profitieren, wenn sie ihre Sache auf einem hohen intellektuellen Niveau vertraten, aber auch Anerkennung bei den Nicht-Christen zu gewinnen, was angesichts ihres Verhaltens, das anderen so seltsam erscheinen musste, unabdingbar war. Gemeinsame Semantiken und Praktiken verbanden Intellektuelle über alle religiösen Grenzen hinweg. Besondere Bedeutung besaß dabei die Auseinandersetzung mit jüdischen Traditionen. Es ist bekannt, dass die Christus-Anhänger in einem konfliktreichen Prozess Trennungslinien gegenüber anderen Juden zogen, die die Juden zu den Anderen machten, dass aber die wechselseitige Beeinflussung damit nicht endete. Ganz wesentlich war, dass die meisten Christus-Anhänger die jüdischen Alltags­ praktiken wie die Speisegebote oder die Beschneidung als überflüssig betrachteten. Zugleich, dem ersten Anschein nach im Widerspruch dazu, gelangten die meisten von ihnen zu der Auffassung, dass Texte, die Juden als verbindlich betrachteten, auch für sie autoritativ seien. Doch diese Texte enthielten unzweideutig Gebote, deren Befolgung die Mehrheit der Christen wiederum ablehnte. Diese Gebote waren jedoch auch für traditionsbewusste Juden schwer einzuhalten, da viele die Existenz des Tempels voraussetzten, der im Jahr 70 zerstört worden war. Gleichwohl stritten nun zahlreiche Menschen, die verschiedene Formen geistiger Autorität beanspruchten, um die Deutungshoheit über diesen Text, wenn man nicht wie Markion diese Tradition völlig verwerfen wollte. Solange es keine Institution gab, die ihre Deutungsmacht durchzusetzen vermochte, war dieser Streit auf intellektuelle Autorität angewiesen: Wirkmächtig waren etwa die Rabbinen, die ihre intellektuellen Gaben an autoritativen jüdischen Texten erprobten. Viele ihrer Deutungen sind in die Mischnah eingegangen, die auch zahlreiche Meinungsdifferenzen bewahrt. Ebenso bemühten sich

16  Dazu Schmitz 2010, 305, der drei Elemente herausstreicht: Sprachlicher Klassizismus, improvisierte Deklamationen und professionelle Darsteller. Zur Nähe von Christen und Zweiter Sophistik vgl. Eshleman 2012. Allerdings sollte man den sozialen Unterschied nicht übersehen. Bei den Sophisten besaß die prunkvolle Repräsentation eine wesentliche Rolle, sprachlicher Klassizismus, die Fähigkeit Improvisation, Professionalität, die Selbstdarstellung erfolgte in der Mitte der Polis; die Christen hingegen argumentierten vom Rande der polis her. Sie mochten öffentliche Orte wie das Gymnasion oder Bäder nutzen, aber sie ließen sich nicht in die Rituale der Polis einbinden. 17  Marx-Wolf 2015; DePalma Digeser 2012.

Intellektuelle Autorität unter frühen Christen

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diejenigen um die Deutung des Textes, die in Christus die Erfüllung der Verheißungen der Propheten sahen.18 Manche Passagen der Evangelien präsentierten einen Jesus, der besser als die Schriftgelehrten in der Lage war, die heiligen Texte Israels zu deuten; seine Verkündigung stand auch im Zeichen geistiger Überlegenheit. Die Christen bezogen die jüdischen Schriften, die sie sich als Altes Testament aneigneten, auf Jesus Christus, gegen die Autorität namentlich der Rabbinen. Gerade in dieser Auseinandersetzung war intellektuelle Autorität von wesentlicher Bedeutung, eben weil sie in einem scheinbar neutralen Modus bei Anhängern unterschiedlicher religiöser Richtungen Geltung beanspruchen konnte.19 Streitgespräche konnten das geeignete Forum sein, so wie es Justin in seinem Dialog mit Tryphon zu schildern beanspruchte.20 Da es anders als in der Neuzeit keine Bildungspatente gab, war intellektuelle Autorität selbst zugeschrieben, bei Debatten konnte man sie aber überprüfen. Allerdings war es schwierig, intellektuelle Autorität, die sich situativ bewährte, in dauerhafte Macht umzusetzen, da sie stets neu herausgefordert werden konnte. Vor diesem Hintergrund will ich über die Geschichte der Intellektuellen unter frühen Christen nachdenken. Wohl unvermeidlich gewannen angesichts der Lage der frühen Christen Träger spiritueller Autorität eine große Bedeutung, zumal man mit einem nahenden Ende der Welt rechnete. Da spirituelle Autorität nicht an eine feste soziale Rolle gebunden ist, erscheint sie für kurzfristige Gemeinschaften als sehr geeignet. Paulus beschrieb im 1. Korintherbrief eine wunderbare, auf vielfältigen, miteinander verschränkten Formen von charísmata (χαρίσματα), insofern auf spiritueller Autorität beruhende Gemeinde:21 Unter ihnen findet sich auch die Gottesgabe der Lehre (als dritte nach Aposteln und Propheten), eine Form geistiger Autorität, deren Gestalt der Briefautor als bekannt voraussetzt. So schön die paulinische Darstellung klingt – der Brief selbst zeigt, dass es sich hier um eine Utopie handelt, die gerade in Korinth nicht verwirklicht war. Mahnend spricht Paulus die Adressaten an: Sind alle Apostel? Sind alle Propheten? Sind alle Lehrer? Vertreten alle Wunderkräfte? Haben alle die Gabe, gesund zu machen? Reden alle in Zungen? Können alle auslegen? (1 Kor 12,28–30).

Hier wird das institutionelle Problem deutlich. Charismatische Autorität hat zwar den Vorzug unmittelbarer Evidenz: Der Prophet versteht durch seinen Gestus zu beeindrucken; ein Wunder beweist, dass dem Wundertäter eine höhere Macht 18  Fonrobert 2001, 485–508 zeigt den Gebrauch jüdischer Argumentationstechniken bei einem Autor, der seine Identität als Christ betont. 19  Niehoff 2013, 151–175 zu jüdischer intellektueller Kritik an Christen, die sich der alexandrinischen Methoden bedient. 20  Leppin 2018. 21  Der Weber’sche Charisma-Begriff ist wohl von dem paulinischen inspiriert, aber anders gefasst, da er eben keine Gnadengabe meint.

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innewohnt. Doch nicht jeder Prophet findet Glauben, durch den Wundertäter kann auch eine böse Macht wirken. Charismatische Autorität ist tendenziell prekär; sie beruht auf Zuschreibung und läuft aus der Sicht der anderen auf Selbstermächtigung hinaus; sie ist typischerweise personal gebunden. Krisenanfällig waren solche Gemeindeorganisationen, aber sie bestanden auch in der nachpaulinischen Zeit weiter. Die Auslegung der Erkenntnis (NHC XI,1), ein Text aus den Nag Hammadi Codices, der viel Paulinisches aufgreift, scheint einen Einblick in eine solche Welt zu geben. Eine andere Situation trifft man in der Gemeinde, auf die sich die Didaché bezieht. Die Schrift, die vermutlich aus mehreren zuvor unabhängigen Texten zusammenwuchs, gewährt Einblick in den Alltag einer Gemeinde, die man sich wohl im syrischen Raum der Zeit um 100 vorstellen muss. Unverkennbar will sie den Leser oder Hörer zu einem guten Leben aufrufen. Von Beginn an warnt sie davor, im Diesseits das Falsche zu tun, ruft dazu auf, den Weg des Lebens zu wählen und nicht den des Todes. Am Schluss steht eine eindringliche Warnung vor dem Ende der Welt, die unter Verweis auf das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen dazu aufruft, allezeit auf das Ende der Tage vorbereitet zu sein (16). Und dafür muss man die wahre Lehre und die richtigen Praktiken kennen, wozu die Schrift einiges sagt, aber man muss auch auf geeignete Führungsfiguren hören. Das Werk enthält somit sowohl Hinweise über den richtigen und falschen Weg als auch Regeln für den Umgang mit Autoritäten, mobilen und ortsfesten. Menschen, die Anspruch auf Autorität erhoben, gab es in der Welt der Didaché nur allzu viele. Zunächst jene Christen, die, von außen kommend, Autorität für sich reklamierten: Lehrer, Propheten und Apostel werden genannt. Wie sollte man mit ihnen umgehen? Die Didaché gibt relativ genaue Regeln, mit denen man sich vor falschen Propheten und Aposteln schützen konnte. Knapp und klar sind die Äußerungen über die Lehrer: Wer nun kommt und euch alles dieses bisher Gesagte lehrt, den nehmt auf. Wenn aber der Lehrende selbst sich abwendet und eine andere Lehre lehrt, um (die richtige Lehre) aufzulösen, so hört nicht auf ihn. Wenn er aber für die Vermehrung der Gerechtigkeit und der Erkenntnis des Herrn lehrt, empfangt ihn wie den Herrn.22

Solche Lehrer sollen materiell unterstützt werden (Didaché 13,2). Es ist deutlich, dass es hier auf die Reproduktion von Bekanntem ankommt, nicht auf dessen argumentative Fortentwicklung, eine in älteren Epochen verbreitete Form der Lehrerrolle. Die Bedeutung einer schriftlichen Fassung der christlichen Verkündigung als stabilisierender Faktor ist ebenfalls unverkennbar. Allerdings zeigt die Präsenz von Aposteln und Propheten, dass Verkündigungen unabhängig davon weiter möglich schienen. Andererseits kommen neben den wandernden Autoritäten auch lokale ins Spiel: 22 

Didaché 11,1; Übers. nach Andreas Lindemann.

Intellektuelle Autorität unter frühen Christen

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Wählt euch nun Episkopen und Diakone, würdig des Herren, Männer, mild und ohne Geldgier und wahrhaftig und erprobt; denn sie leisten für euch ja auch den Dienst des Propheten und Lehrer. Verachtet sie also nicht. Denn sie sind die ehrenvoll Ausgezeichneten unter euch, gemeinsam mit den Propheten und Lehrern.23

Hier gibt es andere Gestalten, die auch als Lehrer fungieren können:24 Wichtig ist, wie man sie für ihre Position bestimmte: durch eine Wahl. So tritt ein Verfahren, mithin ein prozedurales Element, an die Stelle des Charismas. Es geht nicht um Selbstermächtigung, sondern um Beauftragung, die nicht auf einem Bildungsgang beruht, sondern auf Charaktereigenschaften und Erfahrung. Allerdings lässt der Text durchblicken, dass die Gewählten leicht missachtet wurden25 – sonst wäre eine Aufforderung, diese zu respektieren, nicht erforderlich gewesen. Wir beobachten mit der Didaché Vorstellungen einer Gemeinde im Umbruch, die vielleicht gerade deswegen so stark auf stabile Glaubensbestände setzt: Insgesamt lässt sich in der Schrift eine festere Strukturierung von Gemeinden beobachten als in Korinth, auch Ansätze zur Ausbildung von Ämtern. Dies könnte man damit in Verbindung bringen, dass die Hoffnung auf eine baldige Wiederkehr Christi abnahm, doch zeigt das Beispiel von Korinth, dass Christen rasch erlebten, welche Schwierigkeiten stark individualisierte Strukturen mit sich brachten. Die Gemeinde der Didaché entwickelte einen Weg, mit den Charismatikern umzugehen, aber auch vor Ort Funktionäre zu finden, von denen man erwarten konnte, dass sie verlässlich ihren Dienst tun würden. Die Grundfrage, die sich für die christlichen Gemeinden stellte, war, das zeigen beide Texte, diejenige nach den Quellen von Autorität, die nicht einfach auf einer Selbstzuschreibung beruhte, sondern zumindest überprüfbar war. Dass gerade Lehrer von Anfang an unter Christen auftauchen, war keineswegs selbstverständlich.26 Aber es zeigt das besondere Bedürfnis nach intellektuellem Austausch, das die Gruppen prägt. Es ist sogar vorgeschlagen worden, frühe christliche Gemeinschaften als scholastic communities zu bezeichnen (ohne sie darauf zu reduzieren).27 Auch bildeten sich Gemeinschaften um bestimmte Texte herum. Manche Bischöfe scheuten sich um 200 nicht, durch ihre Bildung ausgewiesene Laien als Prediger heranzuziehen28 – von Origenes wird noch die Rede sein. Andere Kulte konnten auf derartige Funktionäre verzichten, allerdings bedurften auch Anhänger von Mysterienkulten bestimmter Unterweisungen, die aber nicht Gegenstand von Debatten waren. Es gab früh Kritik an dieser Rolle unter Didaché 15,1 f.; Übers. nach Andreas Lindemann. Vgl. 1 Tim 3,2: Der Bischof (ἐπίσκοπος) soll ein guter Lehrer (διδακτικός) sein. 25  In eine ähnliche Richtung weist 1 Tim 5,17–20; vgl. Leppin 2016, 49–81. 26  Vgl. Gryson 1982, 176–187; Kany 2008, 1115–1126; Neymeyr 1989; zum lateinischen Bereich Gemeinhardt 2007, 63–127; für den allgemeineren Hintergrund Snyder 2000. Zu Ausgrenzungsstrategien gegenüber Christen mit Bildungsansprüchen Pietzner 2013. 27 Judge 2008, 526–552; vgl. zur Debatte Smith 2012, 3–14.377–393; die Verfasserin schlägt als neuen Terminus ‚learning communities‘ vor. 28  Euseb von Caesarea, Historia ecclesiastica 6,19,18. 23  24 

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Christen: Der Erste Timotheusbrief missbilligt Lehrer, die Fremdes bringen, die neue Lehren verkünden und sich im intellektuellen Streit ergehen (1 Tim 6,3 f.). Der Kolosserbrief wendet sich gegen wortgewandte und weltkluge Menschen, die letztlich nicht im Glauben stehen und gebraucht dabei das Wort philosophia polemisch, wobei diese sich keineswegs in theoretischen Äußerungen erschöpft (Kol 2,1–23). Der Verfasser des Barnabasbriefs beruft sich für seine Mitteilungen ausdrücklich auf Eingebungen (1,4 f.) und distanzierte sich von dem Titel des Lehrers: Ich will aber nicht als Lehrer, sondern als einer von euch einiges Wenige aufzeigen, worüber ihr unter den gegenwärtigen Verhältnissen froh sein könnt (1,8).

Vermutlich richtet sich diese Polemik gegen eine dauerhafte Ausdifferenzierung der Rolle eines Lehrers, wie sie sich in der Didaché andeutet.29 Tendenziell war Intellektualität, da sie das Argument, nicht die Glaubenstreue ins Zentrum rückte, disruptiv. Bezeichnend ist das Gespräch mit dem Markioniten Apelles, das Rhodon bei Euseb schildert: Als der greise Apelles sich mit uns in eine Diskussion einließ, wurde er widerlegt, weil er vieles ungeschickt sagte. Daraufhin erklärte er, es gehe durchaus nicht an, die Lehre (λόγος) insgesamt zu untersuchen, es müsse vielmehr jeder bei dem Glauben bleiben, zu dem er gefunden habe. Wer seine Hoffnung auf den Gekreuzigten setze – so erklärte er –, werde das Heil finden, wenn er nur in guten Werken erfunden werde. Von allen Dingen, die er lehrte, war, wie gesagt, das Dunkelste die Lehre von Gott. [Nachdem sodann Rhodon die ganze Lehre des Apelles dargelegt hat, fährt er fort:] Auf meine Worte: ‚Woher hast du den Beweis für deine Lehre, oder wie kommst du dazu, nur ein einziges Prinzip zu behaupten? Antworte uns!’ entgegnete er: ‚Die prophetischen Schriften widerlegen sich selbst, da sie keineswegs die Wahrheit gesagt haben; denn sie stimmen miteinander nicht überein, sind falsch und widersprechen sich gegenseitig, warum es nur ein einziges Prinzip gebe, behauptete er nicht zu wissen; er fühle sich nur angetrieben, so zu glauben. Er schwor, die Wahrheit zu sagen, dass er nicht wisse, warum nur ein einziger unerzeugter Gott sei, dass er das aber glaube. Ich lachte ihn aus und tadelte ihn, weil er sich als Lehrer ausgab, aber es nicht verstand, seine Lehre von sich aus abzusichern (κρατύνειν).30

Apelles betrachtete sich offenbar als ein Lehrer, beharrte aber darauf, dass es auf die Taten ankomme (womit möglicherweise mehr gemeint ist als einfach gute Werke). Von Rhodon jedoch, der auch das Alter nicht schonte, wurde er dem Zwang des Arguments unterworfen. Die Fähigkeit zur Argumentation, die Quelle intellektueller Autorität, war in den Augen Rhodons offenbar notwendig für die Lehrerrolle.

29  So ließe sich auch Jak 1,5 deuten, der die Weisheit als prinzipiell allen zugänglich bezeichne; vgl. dazu Neymeyr 1989, 169–180, der auch sonst die Ablehnung des Lehrertitels erläutert, für die oft Mt 23,8–10 als Argument herhalten musste. 30  Euseb von Caesarea, Historia ecclesiastica 5,13,5–7; Übers. nach Philipp Haeuser/Hans Armin Gärtner.

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Einige Lehrer, die intellektuelle Autorität beanspruchten, seien aus der großen Fülle möglicher Beispiele31 hier näher behandelt: Tatian, Valentin, Justin, Iulius Africanus und Origenes. Sie repräsentieren sehr unterschiedliche soziale Typen und Lebensentwürfe. Tatian, ein aus Syrien stammender, aber weitgereister Autor des 2. Jahrhunderts, übrigens Rhodons Lehrer, gab antinomistischen Positionen eine intellektuelle Begründung. Er verfasste eine christliche Apologie mit dem Titel An die Griechen. Darin beschrieb er nämlich die Entscheidung für die Lehren der Christen bewusst als Abwendung von Griechen und Römern: Verabschiedet habe ich mich sowohl von der Prahlerei der Römer als auch von der kalten Klügelei der Athener – Meinungen ohne sinnvollen Zusammenhang – und mich einer Philosophie, die ihr für ‚barbarisch‘ haltet, befleißigt.32

Damit demonstrierte er sichtbar seine Überlegenheit gegenüber all den Werten der Umgebung – obwohl er sich einer literarischen Form bediente, die daraus erwachsen war. Er verwarf die Philosophie der anderen, indem er ihre Mittel ­nutzte.33 Die Christen, wie sie Tatian schildert (oder postuliert?), bildeten eine ganz eigene Gemeinschaft. Nicht nur einzelne trennten sich von den Familien, alle Christen lösten sich vielmehr aus ihrer Umgebung und formierten sich zu einer Schar von Anhängern jener barbarischen Denkweise, die in vorbildlicher Weise Askese übten. Dies war eine auch im wörtlichen Sinne periphere Position, wohl aber in Syrien stark vertreten, wenn nicht dominant, und zeigt auf jeden Fall das Denkbare unter Christen an. Vielen anderen Christen waren Tatians Positionen wohlbekannt. Sie fanden diese Lehren gefährlich genug, um heftig dagegen zu polemisieren – und doch blieb einiges von seinen Schriften erhalten. Es kann gut sein, dass Lehren nach der Art Tatians ähnlich verbreitet waren wie jene derer, die in die Großkirche eingehen sollten. Späterer Erfolg muss keineswegs frühe Bedeutung erweisen. Die Bedeutung Valentins ist ebenfalls deutlich erkennbar, obwohl er hauptsächlich aus dem Werk seiner Gegner bekannt ist, die ihn als Irrlehrer verdammten. Zudem ist oft schwer zu bestimmen, welche Leistungen ihm und welche seinen Schülern zuzuordnen sind. Beides steht indes für seinen immensen Einfluss: Valentin, der sich über dessen Schüler T heodas auf Paulus selbst zurückbezog, war ein wirkungsmächtiger Lehrer, der vielleicht in Alexandria und sicher in Rom um die Mitte des 2. Jahrhunderts tätig war. Er schrieb theologische Abhandlungen, Predigten, aber auch Hymnen. Man kann in ihm einen Auslöser der intellektuellen Explosion sehen, die das Christentum im 2. Jahrhundert erlebte. Eine gemeindliche Würde ist nicht bezeugt, aber er könnte Priester gewesen sein. Hatte man früher den Eindruck, dass die Valentinianer eine fast kirchenartige Geschlos31  Viele Apologeten könnten angeführt werden, so etwa T heophilos von Antiochia; zu ihm Prostmeier 2007, 155–182 sowie ders. 2013, 141–159. 32 Tatian, Oratio ad Graecos 35,2; Übers. nach Heinz-Günther Nesselrath. 33  Bei Hieronymus, De viris illustribus 29 erscheint er gerade als Inbegriff einer überzogenen Rhetorik.

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senheit entwickelt hätten, so zeigt sich heute, dass diejenigen, die als seine Schüler genannt werden, eigenständige Denker waren; das erinnert an andere Philosophenschulen. Unstreitig ist, dass Valentin lange in Rom lehrte, ohne mit den anderen Christen in Konflikt zu geraten; angeblich trennte er sich von den übrigen, als er mit dem Versuch, Bischof zu werden, scheiterte34 – doch kann diese Notiz, die ihm polemisch Ehrgeiz unterstellte, Folge des Bestrebens sein, ihn zu häretisieren, zumal in dieser Zeit gar nicht davon auszugehen ist, dass in Rom nur eine christliche Gemeinde existierte; wahrscheinlich leitete Valentin eine Gruppe unter mehreren. Zu einem anderen Intellektuellen: Der Apologet Justin trug anscheinend einen Philosophenmantel, den Tribon, der seine Rolle oder doch seine Ansprüche verdeutlichte. Man erkannte ihn zunächst nicht als Christen, sondern als Denker, der ebenso ein Stoiker, ein Platoniker oder der Anhänger noch einer anderen Schule hätte sein können. Den Eindruck erweckt jedenfalls der Dialog mit Tryphon, in dem Justin als Ich-Erzähler auftritt und heftig gegen jüdische Deutungen jener Schriften polemisiert, die die Christen sich als Altes Testament angeeignet hatten. Mit dem Philosophenmantel inszeniert er dabei eine habitusmäßige Gemeinschaft mit den Heiden, die sich gegen Juden richtet, die eben zu gesetzesgläubig und insofern der Philosophie fremd seien.35 Mit einem weiteren apologetischen Text (vielleicht auch zweien) wandte Justin sich dem Gestus nach direkt an die Heiden, vermutlich faktisch an diejenigen Gemeindeangehörigen, die sich von heidnischen Traditionen beeindrucken ließen. Formelle Adressaten sind Marc Aurel und sein Bruder Lucius Verus, von denen der eine als Philosoph, der andere immerhin als Freund der Paideia firmiert, ferner der römische Senat und das römische Volk. Justin selbst stellt sich mit Name und Herkunft vor, betont aber, dass er für Menschen aller Völker spreche, die als Christen bedrängt seien. Er äußert sich mithin nicht als Inhaber eines Amtes; alles beruht auf dem vernünftigen Argument, und das betont er: Dass die wahrhaft Frommen und Weisen nur die Wahrheit ehren und lieben und dass sie es ablehnen, hergebrachten Anschauungen, wenn diese falsch sind, zu folgen, gebietet die Vernunft. Denn nicht nur verbietet die gesunde Vernunft, denen nachzufolgen, die etwas Unrechtes getan oder gelehrt haben, sondern der Wahrheitsfreund muss auch auf jede Weise, wenn der Tod ihm angedroht wird, das Bekenntnis und die Ausübung des Richtigen seinem Leben vorziehen. Ihr nun hört allenthalben, dass ihr Fromme und Weise, Wächter des Rechtes und Freunde der Bildung genannt werdet; ob ihr es aber auch seid, wird sich zeigen. Denn nicht, um mit dieser Schrift euch zu schmeicheln oder zu Gefallen zu reden, sind wir gekommen, sondern um zu fordern, dass ihr auf Grund sorgfältiger und verständiger Untersuchung das Urteil fällt, unbeirrt durch vorgefasste Meinung oder durch die Rücksicht auf abergläubische Menschen und ohne in unvernünftiger Leidenschaft und nach alteingewurzeltem Vorurteil gegen euch selbst das Urteil zu sprechen. 34  35 

Tertullian, Adversus Valentinianos 4. Dazu Leppin 2018.

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Denn wir sind überzeugt, dass uns von keinem irgendein Übel zugefügt werden kann, es sei denn, dass wir als Vollbringer einer Übeltat überführt oder als schlecht erfunden worden sind. Ihr aber könnt uns wohl töten, schaden aber könnt ihr uns nicht.36

Der Text kreiert eine Gemeinschaft der Vernunftgeleiteten, die die Christen nach ihren Taten beurteilen und dabei auf Argumente setzen; es geht nicht um religiöse Differenz, sondern um den neutralen Raum des Arguments. Justin verwendet keine Ausdrücke, die spezifisch christlich sind und verweist in seiner Schrift gerne auf heidnische Parallelen zu christlichen Vorstellungen; allenthalben demonstriert er seine paideia. Wenn er sich der Argumentationskunst der antiken Rhetorik bedient, so tut er dies indes nicht im Sinne einer offenen Wahrheitssuche, sondern mit dem Ziel, eine erkannte und unbezweifelbare Wahrheit über Argumente zugänglich zu machen. Justin war bekanntlich keine Einzelgestalt. Durch zahlreiche Schriften bekannt ist Tertullian, der sich in einem eigenen Werk dafür rechtfertigte, dass er einen Philosophenmantel, auf Lateinisch das pallium, trug. Tertullian entfernte sich immer mehr von Positionen, die die spätere Großkirche teilte. Grundsätzlich verkehrt wäre es, den Typus des Intellektuellen einer Richtung des frühen Christentums zuzuordnen: Häretisierte Gestalten wie Basilides, Herakleon oder Valentinus gehören, soweit wir sehen, ebenso dazu – sogenannte freie Lehrer.37 Es war auch kein spezifisch christlicher Typ. Botschaften, die das Leben ändern sollten, verbreiteten ebenso Philosophen, die sich bisweilen in kultischen Gemeinschaften organisierten, und Vertreter von Kulten, die teils alte Texte auslegten, teils Wunder taten oder Weissagungen feilboten. Kürzlich wurde diese Gruppe ganz treffend zusammen als ‚religious freelancers‘ bezeichnet. Als Teil dieser Vielfalt müssen die Zeitgenossen christliche Lehrer (und auch Wundertäter oder Propheten) gesehen haben.38 Ein anderer sozialer Typus intellektueller Autorität unter Christen begegnet uns mit Iulius Africanus, der in der Wirkungszeit Justins geboren und um 240 gestorben sein dürfte. Er war ein weitgereister Mann und hochgelehrt. Mit seinem Werk Kestoi (Stickereien) gewann er hohes Ansehen. Darin versammelte er vielfältige Wissensbestände, zum Kriegswesen, zur Pferdezucht, zu Bereichen, die man heute als Naturwissenschaften bezeichnen würde, und zu Vielem mehr; manches wurde gar als Magie qualifiziert. Er hatte keine Skrupel, die Empfehlung auszusprechen, militärische Feinde mit Listen umzubringen, auch grausam zu vergiften.39 Vermutlich begriff er diese Praktiken als eine Art von Technik, um bestimmte Ziele zu erreichen, nicht als ein religiöses Problem, wie es heute geschähe (und auch bei vielen seiner christlichen Zeitgenossen durchaus geschah). 1 Apologia 2; Übers. nach Gerhard Rauschen. Zum Begriff Markschies 2007, 88–109. 38  Wendt 2016; teilweise gibt es Überschneidungen zum dem in jüngster Zeit entwickelten Begriff des religiösen Unternehmers; dazu Gordon u. a. 2017. 39  Iulius Africanus, Kestoi, Frg. 2, insb. 76–87. 36 Justin, 37 

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Überdies verfasste er eine christliche Weltchronik, die für Christen relevante Ereignisse mit anderen in einen zeitlichen Zusammenhang brachte, was ungeheuer wirkmächtig werden sollte. Doch auch hier demonstriert er keinen eifernden Glauben, wenn er etwa in aller Nüchternheit einen noch zu seiner Zeit betriebenen heidnischen Kult an einem biblischen Traditionsort, der Terebinthe von Sichem,40 beschreibt oder beiläufig antike Götter erwähnt. Im Unterschied zu Justin oder Tertullian verfügte Africanus offenbar über höchste Kontakte. Er soll sich in Edessa bei Abgar VIII. von Osrhoene (177–212), einem Kleinkönig am Rande des Imperiums, aufgehalten haben, unter anderem als Lehrer von dessen Sohn. Und damit nicht genug: Kaiser Severus Alexander betraute ihn mit einer wichtigen Rolle bei der Einrichtung einer Bibliothek im Pantheon.41 Dem Kaiser habe er auch im Namen seiner Heimatstadt einen Brief geschrieben: Ihm wurde demnach zugetraut, am Hof als Patron zu wirken, da er seinerseits auf die Patronage des Herrschers setzen konnte. Eine solche Nähe Gebildeter zu Herrschern war in dieser Zeit keineswegs ungewöhnlich; die christliche Orientierung scheint zumindest kein Hindernis gewesen zu sein, wie Iulius Africanus umgekehrt offen war für alles, was er in seiner Welt lernen konnte, ohne, anders als etwa sein älterer Zeitgenosse Tertullian, auf eine scharfe Abgrenzung zu setzen. So scheint er in seinen Kestoi weder gegen Heiden polemisiert noch für Christen gestritten zu haben – soweit sich das bei einem bruchstückhaft erhaltenen Werk sagen lässt. Seine dezidiert christliche Chronik wiederum setzt eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen römischem und christlichem Universalismus voraus. Manche modernen Forscher konnten sich gleichwohl nicht vorstellen, dass beide Werke von demselben Autor stammten.42 Die Geltung intellektueller Autorität war nicht auf die Vertreter klassischer Sprachen beschränkt; gerade der syrische Raum scheint für individuelle Lehrer empfänglich gewesen zu sein.43 Der Hof Abgars zog zudem nicht nur einen gräkophonen Gelehrten wie Iulius Africanus an, sondern gewährte auch dem Syrisch schreibenden Edessener Bardaiṣan Raum. Sein Habitus war aristokratisch: Von vornehmer Herkunft und mit dem späteren König gemeinsam aufgezogen, wusste er treffsicher mit dem Bogen zu schießen, wie Iulius Africanus bewundernd schildert,44 ohne übrigens vom gemeinsamen christlichen Glauben zu sprechen. Bardaiṣan schrieb zudem Abhandlungen über Inder und Astrologie, verfasste theologische Werke, auch Hymnen und trat als Dichter hervor. Zwar sind eigene Schriften von ihm nicht erhalten, doch ist das Buch der Gesetze der Länder bekannt, das ein Schüler verfasst hat, in dem aber Bardaiṣan die Hauptrolle spielt. Iulius Africanus, Chronographiae, Frg. 30. Iulius Africanus, Kestoi, Frg. 10,52 f. 42  Zur T heologie des Africanus Andrei 2015, 453–484. Zu seiner Kontextualisierung Adler 2004, 520–550; ders. 2011, 496–524; Wallraff 2011, 540–555. 43  Caner 2002, 54 f. 44  Iulius Africanus, Kestoi, Frg. 12,35–47. 40  41 

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Spätere Generationen stempelten ihn als Häretiker ab, doch war er theologisch in den Debatten seiner Zeit verankert und repräsentierte die Möglichkeit eines höfischen Christentums, die einstweilen endete, als Rom das Königreich Osrhoëne 212 faktisch als Provinz einzog.45 Der Einfluss von Bardaiṣans Gedanken und Werken, zu denen auch Hymnen zählten, war noch über Jahrhunderte spürbar. Seine Heimatstadt Edessa sollte später zu einem intellektuellen Zentrum der syrischen Welt werden, in dem das Syrische als Literatursprache gepflegt wurde. Für Iulius Africanus ist ebenso wenig wie für Justin ein kirchliches Amt bezeugt; unklar ist, in welchem Verhältnis er zu den anderen Christen seiner Zeit stand. Nahm er am Gottesdienst teil? Respektierte er irgendeinen Bischof? Oder interessierten ihn nur die Gebildeten unter den Gläubigen? Auch sonst kamen Philosophen gut ohne schichtenübergreifende Gemeinschaftsrituale und Kontakte zum einfachen Volk aus. In Hinblick auf die herrscherliche Patronage haben Bardaiṣan und Africanus eine Gemeinsamkeit mit einem ganz anderen christlichen Träger intellektueller Autorität: Origenes von Alexandria.46 Origenes bekam durch seinen Vater sowohl die christliche als auch die klassische Tradition vermittelt. Sein Lebensweg lässt sich in groben Zügen fassen, auch wenn manches umstritten bleibt: Nachdem er als Grammatik- und Rhetoriklehrer Geld verdient, dann aber durch persönliche Patronage andere Finanzierungsmöglichkeiten gefunden hatte, betrieb er eine Schule nach Art einer Philosophenschule in Alexandria, die der Bischof Demetrios (189–232) in irgendeiner Weise als Teil des Gemeindelebens anerkannte, vielleicht auch in der Absicht, Origenes so einzubinden. Teils sah die moderne Forschung darin eine regelrechte theologische Hochschule mit festem Curriculum, teils eine Schule für Katechumenen; strittig ist aber schon, wie fest die Organisation war. Immerhin bestand eine Sukzession von Lehrern im dritten Jahrhundert und darüber hinaus. Von außen gesehen war es vermutlich eine von mehreren philosophisch ausgerichteten Schulen in Alexandria. Origenes zählte gewissermaßen zur Philosophenszene dort. So wich er aus der Stadt aus, als Kaiser Caracalla (211–217) gegen die Philosophenschulen vorging – damals teilten Christen und Nicht-Christen das Los der Verfolgung.47 Origenes führte als Lehrer ein streng asketisches Leben. Barfuß sei er einhergegangen und habe nur ein Gewand besessen; manche sagten ihm, wohl zu Unrecht, eine Selbstkastration nach. In Alexandria geriet er wegen seiner Ansprüche in einen Konflikt mit seinem Bischof und ging nach Caesarea Maritima in Palaes­ tina. Obwohl Laie, durfte er, wie angedeutet, dort in Gottesdiensten Reden halten 45 

Camplani 1998, 519–596; Adler 2004, 533–536; Possekel 2006, 442–461; Ramelli 2009. Grundlegend Fürst 2015, 460–567, zur Biographie insb. 463–469; vgl. auch Pietzner 2013, 273–339. 47  Laut dem Christengegner Porphyrios war Origenes griechisch geschult, bis er bei barbarischen Anmaßungen strandete (Euseb von Caesarea, Historia ecclesiastica 6,19,7 = Frg. 6F Becker, 30–37). Dies zeigt das Unbehagen an der christlichen Nutzung von Argumenten; s. zu der Passage Fürst 2007, 63–65. 46 

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– was jedoch andernorts missbilligt wurde. Zurückgerufen nach Alexandria, war er weiterhin viel unterwegs. Wieder in Caesarea ließ er sich zum Priester weihen; insofern war er jetzt, und das ist ein wichtiger Wandel, institutionell gebunden und sozialgeschichtlich gesehen kein Intellektueller im engeren Sinne mehr. Eine alexandrinische Synode scheint ihm allerdings den priesterlichen Rang wieder entzogen zu haben. Als Intellektueller, der er letztlich blieb, gehörte er zu den brillanten Vertretern der christlichen Lehre und war in der Lage, sie nach außen hin überzeugend zu vertreten. Sein Ruhm reichte weit, vom Statthalter höchstpersönlich kam eine Einladung in die römische Provinz Arabia, aber auch nach Rom führte ihn eine Reise. Von keiner Geringeren als Julia Mamaea, der Mutter des regierenden Kaisers Severus Alexander, erhielt Origenes die Aufforderung zum Gespräch, als sie in Antiochia weilte; unter militärischem Geleit gelangte er an ihren Hof, wo er sich längere Zeit aufhielt, um seine Lehren vorzustellen.48 Dass er die hohe Frau nicht bekehrte, vermerken die Quellen nicht als Scheitern, vielleicht wäre ihm das Ziel auch ohnehin unerreichbar erschienen. Offenbar war er ein attraktiver Gesprächspartner. Viele Angehörige der römischen Eliten liebten ja das Gespräch mit klugen Leuten, mochten diese auch seltsame Ansichten vertreten. Doch erlebte Origenes auch die andere Seite christlichen Lebens: Sein Vater war einer Christenverfolgung zum Opfer gefallen, als Origenes noch jung war, er selbst erlitt unter Decius (249–251) Folter und starb vielleicht an den Nachwirkungen der Torturen. Persönlich hochangesehen, von Vornehmen geehrt, als Christ aber von seinem Bischof zurechtgewiesen und schließlich durch staatliche Autoritäten verfolgt – das wechselvolle Leben des Origenes zeigt, welche Möglichkeiten Christen mit intellektueller Autorität offenstanden und wie prekär doch ihre Lage war. Bezeichnend für die Vielfalt der Haltungen von christlichen Trägern intellektueller Autorität ist ein Briefwechsel zwischen Origenes und Iulius Africanus: Africanus trug philologische Argumente dafür vor, dass eine Passage des Alten Testaments interpoliert und teils so absurd formuliert sei wie ein Mimus, eine wenig angesehene Form des Lustspiels – es ging um die Episode der Susanna im Bade. Origenes suchte in einer weitläufigen Argumentation seine überlegene philologische Kompetenz zu beweisen, betonte hingegen vor allem anderen und mehr als einmal, dass die Passage in den christlichen Gemeinden (ekklesíai) akzeptiert sei.49 Stelle man das in Frage, biete man den Juden eine Argumentationshilfe; ferner dürfe man die Passage nicht einfach wörtlich nehmen. Der an gemeindlichen Institutionen orientierte, vorsichtig argumentierende, mit allegorischen Interpretationen vertraute T heologe Origenes prallte mit einem lustvollen, allein am Text orientierten Philologen zusammen;50 der potentiell disruptive Charakter von InEuseb von Caesarea, Historia ecclesiastica 6,21,3. Das T hema wird schon in § 2 angeschlagen, in § 3 betont er, dass die Episode in jeder Kirche Christ anerkannt sei; s. ferner §§ 8 und 9. 50  Dazu etwa Dorival 2013, 605–628, bes. 607 f.; 612–615; vgl. aber auch Neuschäfer 1987, I 185 sowie 465 Anm. 758, der vor zuweitreichenden Schlüssen warnt. 48 

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tellektualität tritt deutlich in Erscheinung. Es zeigen sich ferner die Grenzen der Neutralität des intellektuellen Arguments. Origenes akzeptierte Africanus als Bruder in Gott, sprach ihm somit seine christliche Identität nicht ab, doch die zwei bewegten sich in verschiedenen Welten und fanden gleichwohl im gemeinsamen Gespräch eine Ebene des Austauschs. Christliche Intellektualität, wie Africanus sie vertrat, dürfte wenig Anstoß erregt haben, sondern ließ sich in das weite Spektrum von Denkformen einordnen, wie es ohnehin bestand. Christen wie Iulius Africanus hätten weitaus leichter in die herkömmliche römische Ordnung integriert werden können als etwa Origenes oder Tertullian, da der Gelehrte auf die gemeinsame kulturelle Tradition des Römischen Reiches setzte und, soweit wir erkennen können, auf trennende Praktiken keinen Wert legte. Seine Leserschaft ging dementsprechend anscheinend über die begrenzte Welt der Christen seiner Zeit hinaus. Dass Africanus Christ war, kam hinzu, stand aber offenbar nicht im Zentrum seines intellektuellen Wirkens; vielleicht war es vielen seiner Bewunderer nicht einmal bewusst. Trotzdem wurde er (anders als später Origenes) nicht häretisiert und beeinflusste die christliche Geschichtsschreibung nachhaltig. Es ist deutlich geworden, dass intellektuelle Autorität sich bei Christen mit unterschiedlichen sozialen Rollen verbinden konnte. Man könnte hier noch weitere Überlegungen anknüpfen: Nachzudenken wäre über Clemens von Alexandria, der schon vor Origenes eine Art Schule in Alexandria betrieb, Lehren über das christliche Leben aufstellte und ebenfalls mit dem Bischof in Konflikt geriet, allerdings auch Priester war.51 Hippolytus, ein Anwärter auf das Bischofsamt, scheint in Rom einen christlichen philosophischen Zirkel begründet zu haben. Zu erörtern wäre die Rolle des Katechumenenunterrichts, der, selten in der antiken Welt, eine gewisse Ausbildung auch der gewöhnlichen Gläubigen gewährleistete, die sich der christlichen Gemeinde anschließen wollten.52 Es stellt sich zudem die schwierige Aufgabe, den gnostischen Anspruch auf Erkenntnis in ein Verhältnis zur intellektuellen Autorität zu setzen. Viele Vertreter des gnostischen Spektrums gehörten diesem Bildungsmilieu an.53 Gerade in entsprechenden Gruppen geht es, sozialgeschichtlich gesehen, um die Elitarisierung aufgrund spezieller Kenntnisse. Diese Gruppen haben mithin ohne Zweifel eine große Affinität zu intellektueller Autorität, doch auch andere Formen geistiger Autorität spielten eine wichtige Rolle. Bei vielen galt nämlich das Wissen, das sie zu besitzen behaupteten, gerade nicht als diskursiv vermittelbar. Auch hier ist mithin jeder Einzelfall zu prüfen. Nicht aus den Augen verlieren darf man ferner, dass es noch weitere, unter Umständen auch wichtigere Formen der Autorität unter Christen gab. Nach wie vor traten Propheten auf, zumal in der montanistischen Bewegung. Hohe Au51  Euseb von Caesarea, Historia ecclesiastica 6,11,6; Clemens von Alexandrien, Paedago­ gus 1,6,37,3. 52  Kany 2008, 1121 f.; Metzger 2004, 497–574. 53  Markschies 2010, 84 f.

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torität gewannen in Verfolgungszeiten auch die Bekenner, die bereit waren, mit ihrem Leben für den Glauben einzustehen, und die nach ihrem Tod als Märtyrer Verehrung fanden. Zunehmend erlangten seit dem dritten Jahrhundert Mönche Bedeutung, die sich durch ihre asketische Autorität auszeichneten und in den Anfängen oft gerade einen Anti-Intellektualismus pflegten. Gerade die Öffnung der Intellektuellen gegenüber Nicht-Christen schuf die Gefahr der Beliebigkeit, am sichtbarsten im Falle des Iulius Africanus. Sein Beispiel zeigt auch, dass die Intellektualität der Christen den inklusiven Charakter des Glaubens gefährden konnte. Daher legten Apologeten Wert darauf, dass Christen aller Bildungsschichten sich tugendhaft verhalten konnten. So wichtig intellektuelle Autorität war, Intellek­ tualität war anders als bei den Philosophenschulen typischerweise keine Voraussetzung für den Zugang zu christlichen Gemeinschaften. Für eine weitergehende Analyse der Zusammenhänge und der Entwicklungen fehlt mir der Raum. Ich will daher die bislang gemachten Beobachtungen ordnen und nach der weiteren Entwicklung intellektueller Autorität fragen. Drei sozialgeschichtliche Typen von Trägern intellektueller Autorität unter Christen habe ich skizziert: Es gab die ‚freelancer‘ wie Tatian und Justin, manche andere Apologeten und Tertullian; sie könnte man vermutlich treffend als Intellektuelle im engeren Sinne charakterisieren. Den Typus des unter Patronage stehenden Gelehrten repräsentiert Iulius Africanus, hinzu kam drittens als zeitweiliger Leiter einer Philosophenschule und Diskutant, Origenes, der schließlich zum Inhaber eines kirchlichen Amtes wurde. All diese Träger intellektueller Autorität zeichneten sich dadurch aus, dass sie vor allem lehrten und schrieben – wir wissen von vielen anderen, die es so hielten; es wird manche gegeben haben, die sich nicht schriftlich geäußert haben und die für uns Schatten bleiben. Ungleich wichtiger, jedenfalls wirkmächtiger als alle anderen christlichen Träger intellektueller Autorität waren die Bischöfe oder vergleichbare Gemeindeleiter.54 Viele von ihnen lehrten, debattierten und verfassten autoritative Texte, die heute unser Bild zu vereinseitigen drohen. Bei ihnen verbanden sich intellektuelle und Amtsautorität. Ihre Autoren besaßen mithin Autorität auch aufgrund einer Beauftragung durch diejenigen, die sie ins Amt gebracht hatten, nicht allein, weil sie mit ihrem Können Anerkennung fanden – so wie schon die frühen Gemeindefunktionäre der Didaché. Es ging um deutlich mehr als um Selbstautorisierung und Zuschreibung an eine Person. Justin betont in seiner Ersten Apologie seinen gemeindlichen Bezug, aber es ist nicht erkennbar, dass er ein Amt ausübte. Ignatios von Antiochien hingegen, mit dessen historischer Gestalt sich zugegebenermaßen zahlreiche Schwierigkeiten verbinden, verfasste mehrere Briefe über das Gemeindeleben, in denen er zumindest die Persona eines Bischofs einnimmt, der auch intellektuelle Autorität beansprucht, dessen Amtsautorität jedoch alles andere überstrahlt. Nicht bis ins Letzte gesichert ist die bischöfliche Stellung des Irenäus von Lyon, der auf jeden Fall als autoritative bischöfliche Stimme gelesen 54 

Dazu etwa Kany 2008, 1120 f.

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wurde. Beide trugen zu einer hochdifferenzierten theologischen Unterfütterung des Bischofsamtes bei, das in dieser Zeit immer mehr einen monarchischen Charakter annahm. Die Beispiele zeigen zugleich, dass intellektuelle Autorität für Gestalten wie sie hilfreich war, wenn sie überregional Ansehen gewinnen wollten, denn sie war eben besonders geeignet zur Verschriftlichung und leicht ablösbar von der Einzelperson. Ingeniös war die Verbindung von individueller Autorität und Amtsautorität in der Idee der apostolischen Sukzession, die sich bei Irenäus greifen lässt. Eine Folge von Lehrern kennt man auch aus anderen Zusammenhängen, etwa von den Schulen der Ärzte, Juristen, Philosophen der Rabbinen; sie verlieh den Nachfolgern Autorität. Daher war die Argumentationsfigur den Zeitgenossen nicht fremd, und umso klarer konnte Irenäus gegen das Auftreten von Lehrern polemisieren, deren Autorität allein auf ihren intellektuellen Gaben basierte,55 auf Selbstermächtigung. Wir haben bislang nur wenige Hinweise zu Nicht-Christen gegeben, und diese vor allem unter dem Gesichtspunkt der Vergleichbarkeit. Bemerkenswerter sind die Differenzen. In der Mehrheitsgesellschaft spielten soziale Autoritäten eine Rolle, die unter Christen zunächst wenig bedeutsam waren: Diese Form der Autorität beruhte einerseits auf ökonomischen Ressourcen, andererseits auf Familienprestige und Ämtern in polis und res publica, oft auf beidem. Reichtum schuf Grundlagen für öffentliche Repräsentation und konnte auch sonst in soziales Kapital umgesetzt werden. Bemerkenswert ist etwa, dass diejenigen, denen die Wohnungen oder Häuser gehörten, in denen sich die frühen Christus-Anhänger trafen, nicht die Schlüsselfiguren der Gemeinden wurden, obwohl in der römischen Gesellschaft traditionell Gastgebern eine große Bedeutung beigemessen wurde und die männlichen Familienoberhäupter die religiösen Zeremonien in ihren Häusern zu leiten pflegten. Andere Formen der Autorität, vor allem spirituelle Autorität, wogen offenbar viel schwerer. Weitere Beispiele belegen die geringe Durchschlagskraft ökonomischer Ressourcen: Markion, der sich ebenfalls als Lehrer profilierte, soll einer (der?) römischen Gemeinde viel Geld überlassen haben, was sich vielleicht als Versuch verstehen lässt, auf diese Weise Einfluss auszuüben. Wenn das der Fall war, so ist er damit kläglich gescheitert und bekam sein Geld zurück. Paulos von Samosata versuchte als Bischof von Antiochia an die auf demonstrativen Konsum ausgerichtete Selbstdarstellung der Eliten anzuknüpfen und scheiterte ebenfalls. Allerdings gewannen wieder die Bischöfe als diejenigen, die den Besitz in den Gemeinden redistribuierten, eine erhebliche Macht, da sie eine Klientel der Bedürftigen aufbauen konnten. Cyprian von Karthago tat dies so, dass alle merken konnten, wie viel er aus eigenen Mitteln beisteuerte. Aber die ökonomische Macht des Bischofs leitete sich lange primär aus den Finanzen der Gemeinden und nicht aus denen seiner Familie ab; sie war nicht an seine Person gebunden, sondern an sein Amt. 55 

Irenäus von Lyon, Adversus Haereses 1,28,1.

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Selbst soziale Autorität im Sinne von Herkunft und Amt ließ sich anfangs nur schwer in innerchristliche Autorität umsetzen – auch das hat mit der Bedeutung intellektueller Autorität zu tun, die auf inkorporiertem kulturellem Kapital beruht. Schon der Jakobusbrief betont, dass man bei den Versammlungen die Reichen nicht begünstigen solle (2,2–4). Die Syrische Didaskalie des dritten Jahrhunderts warnt sogar die Bischöfe davor, beim Gottesdienst den Hochgestellten einen besonderen Platz zu überlassen.56 Diese Passagen zeigen immerhin, dass eine entsprechende Neigung bestand, dass aber die Begünstigung von Reichen hoch strittig war. Der Vorbehalt gegen Versuche, außergemeindliche Autorität in der Gemeinde geltend zu machen, blieb – vielleicht ist das einer der Gründe, warum auch Intellektuelle nur selten in den christlichen Gemeinden eine wichtige Rolle einnahmen. Versuchen wir das Ganze in einen weiteren Zusammenhang einzuordnen. Die Entwicklung intellektueller Autorität unter Christen fand im Kontext einer Pluralisierung von Autoritäten innerhalb der Römischen Welt statt. Dem Prozess entsprach eine relativ große Bewegtheit der kaiserzeitlichen römischen Gesellschaft. Hinter dem starren Bild der cursus-Inschriften, die senatorische und ritterliche Karrieren nach Rangstufen geordnet dokumentieren, zeichnet sich, gerade wenn man sich mit literarischen Quellen befasst, das Bild einer Gesellschaft ab, in der soziale und regionale Mobilität möglich war, die insgesamt heterogener wurde, in der Statusdissonanzen viele umtrieben, deren alte Eliten ihrer Position nicht sicher waren und auf den Kaiser schielen mussten, in der es nicht nur um militärischen Ruhm und politischen Erfolg ging, vielmehr auch künstlerische Praktiken und innengeleitete Konzepte des Ruhms, zudem Modelle des Rückzugs diskutiert wurden, einer Gesellschaft, die eine bemerkenswerte religiöse Vielfalt kannte.57 Wir sehen vor allem jene Angehörigen der Eliten in den Quellen, die einen konventionellen Lebensstil wählten, doch wir können das innere Ringen eines Seneca oder Plinius nachvollziehen, die stärker auf eine literarische Existenz setzten, wir hören von Senatoren, die sich ihrer Erfolge im Brettspiel rühmten,58 von der Ausstrahlung der Sophisten, der Philosophen und eben auch der christlichen Missionare. Es wurden vielfältige Formen der Anerkennung in dieser Gesellschaft gesucht, die ständisch strukturiert war, aber eben nicht nur. Und intellektuelle Autorität konnte dafür eine wichtige Grundlage sein.59 Eine eindeutige Präferenz für ein bestimmtes Konglomerat von Autorität bildete sich in jenen christlichen Gemeinden aus, die für die Großkirche traditionsstiftend werden sollten. Ich meine natürlich das mehrfach erwähnte Bischofsamt, das für Stabilität stand, da die Zuschreibung von Autorität nicht situativ erfolgte, etwa im Kontext von Debatten, sondern auf Dauer und da das Bischofsamt über Syrische Didaskalia 12 (147,6–16 Vööbus = 69,35–70,9 Flemming). Ausführlicher dazu Leppin 2019c (im Druck). 58  Stein-Hölkeskamp 2011, 175–195; Künzer 2016; Leppin 1992, 221–236. 59  Für den Bereich des Gastmahls wird dies eindringlich vermittelt durch Stein-Hölkeskamp 2005, insb. 57–73. 56 

57 

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die Sukzessionsvorstellung eine transpersonale Komponente hatte. Sein Inhaber wurde ja auf Lebenszeit bestimmt, in einem Verfahren, das den Konsens der Beteiligten und damit Gottes Willen sichtbar machte. Der Bischof setzte ferner der Idee nach auf Akzeptanz bei der breiten Masse seiner Gemeinde, während die Autorität der Lehrer tendenziell einen engeren Kreis begünstigte. Allerdings nutzten viele Bischöfe neben ihrer Amtsautorität auch weitere Quellen der Autorität. Zunehmend konnten sie sich auf ökonomische Ressourcen in Gestalt der Gemeindekassen stützen, ferner vermochten sie soziale Anerkennung auch außerhalb der Gemeinden finden. Und nicht zuletzt: Die bischöfliche Autorität wurde durch intellektuelle Autorität gestärkt; damit konnten Bischöfe wiederum Geltungsansprüchen von Intellektuellen entgegentreten. Predigten, Briefe und Abhandlungen gehörten zu dem, was viele Bischöfe produzierten. Einige wurden zu herausragenden intellektuellen Autoritäten, man denke etwa an ­Cyprian im dritten Jahrhundert, von den großen Gestalten des vierten und fünften Jahrhunderts ganz zu schweigen – und wir kennen besonders sie, eben weil sie Schriften hinterlassen haben. Doch zeigen die christologischen Debatten des vierten Jahrhunderts bisweilen auch Züge einer Intellektuellenfeindlichkeit, die sich oft in negativer Weise mit dem Namen des Aristoteles verband. Auch solche Züge haben wir schon in den Anfängen des Christentums beobachtet. Dann war das Argument nicht mehr im Bereich der Neutralität, sondern Gegenstand religiös gerechtfertigter Kritik. Die große Zeit der intellektuellen Autorität war das zweite Jahrhundert. Da die Christen um Anerkennung in dieser Welt ringen mussten, besaß gerade für sie intellektuelle Autorität höchste Bedeutung; mit Hilfe von Argumentationsweisen, die unabhängig vom religiösen Bekenntnis anerkannt waren, konnten sie ihr Position gegenüber Nicht-Christen und innerchristlichen Gegnern vertreten. Vieles von dem, was als „Hellenisierung des Christentums“ bezeichnet worden ist,60 würde auch ein an Max Weber angelehnter Begriff der „Intellektualisierung des Christentums“ erfassen, aber anders perspektivieren. Adolf von Harnack hatte schon eine enge Verbindung von Intellektualisierung und Hellenisierung gesehen und die Intellektualisierung auch als eine Verlustgeschichte beschrieben: „Ihr Ernst droht auch zu schwinden; Selbsttäuschung wird dadurch begünstigt.“61 Weber, der ja, wie oben erwähnt, den Begriff des Intellektuellen auch sozialgeschichtlich stärker auffächert, betont nachdrücklich den sozialen Konflikt, der sich daraus ergab: Intellektualismus insgesamt stand demnach in einer Spannung zu der an Bedeutung gewinnenden Rolle des Klerus und der Gemeindereligiosität.62 60  Markschies 2012, bes. 118–122 zur Bedeutung von Bildungseinrichtungen für seinen Begriff der Hellenisierung, wobei er besonders die Bedeutung von Alexandria herausstellt. 61  Von Harnack 32012, 121 f. (132); 134 (147); vgl. 129 f. (141 f.); s. auch Brennecke 1995, 394; ders. 2007, 125–144, der 141 f. zu Recht darauf hinweist, dass Christen stets mit der griechischen Kultur in Verbindung standen; siehe auch Schnelle 2015. 62 Weber 51980, 282.

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Die Übernahme griechischer intellektueller Praktiken wäre dann, wie eingangs angedeutet, die Folge von Herausforderungen, vor denen Christen von Beginn an standen und für deren Bewältigung sich bestimmte Praktiken nutzten, die mit der griechischen Tradition verbunden waren. Der Prozess der Hellenisierung des Christentums wäre dann nicht primär mit einem äußeren Einfluss zu erklären, sondern hinge mit der defizitären religiösen Lage der frühen Christen zusammen: Von Beginn an waren die Christen auf geistige Autorität angewiesen, auf die Versprachlichung ihrer Vorstellungen, zunehmend auf einen reflexiven Umgang mit ihrem Glauben, um Anerkennung zu gewinnen. Zudem konnte man sich mit geistigen Fähigkeiten unter dem Principat in einem besonderen Maße Anerkennung verschaffen, relativ unabhängig von der sozialen Position; das galt für die Christen als Individuen und für die Christen als Gemeinschaft. Die intellektuelle Autorität begünstigte, weil ihre Argumente von der Person und deren Überzeugungen ablösbar waren, die Kommunikation mit Nicht-Christen und die Akzeptanz der christlichen Lehre. Intellektuelle Autorität diente dazu, Anerkennung nach innen zu gewinnen, aber auch nach außen. Da sie ein reflexives Verhältnis zum Glauben voraussetzte und förderte, trug sie wesentlich zur Entwicklung einer T heologie bei, ohne Zweifel ein höchst wirkmächtiges Erbe der Christen. T heologische Argumente hatten ihre Eigenlogik, die jenseits von Machtstrukturen funktionierten, und die Träger intellektueller Autorität folgten gerade dieser Eigenlogik, im Sinne des zwanglosen Zwanges des besseren Argumentes im Kontext theologischer Argumentationsstile. Das konnte auch zu Spannungen zwischen Bischöfen und anderen Trägern intellektueller Autorität führen, wie sie seit der Zeit um 200 immer wieder zu beobachten sind. Die Entwicklung von theologischen Ideen und von Formen von Autorität in den christlichen Gruppen ist vermutlich als koevolutiv zu beschreiben. Es kann nicht eines aus dem anderen erklärt werden, aber es kann auch nicht das eine ohne das andere gedacht werden. Dennoch: Nicht die Intellektuellen als Träger der intellektuellen Autorität par excellence wurden zu Schlüsselgestalten der Gemeinden in der sich entwickelnden Großkirche, sondern die Bischöfe, von denen einige selbst intellektuelle Autorität gewannen, die aber in ihrem Amt eine viel stabilere Basis der Autorität besaßen. Doch ist es kennzeichnend für die Geschichte des Christentums, dass die Amtsautorität sich namentlich in Konfliktphasen immer wieder durch Träger intellektueller Autorität herausgefordert sah. Das strukturelle Problem, das im zweiten Jahrhundert deutlicher hervortrat, sollte sich in der Geschichte des Christentums immer neu stellen.

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Transformationen des Bildungsbegriffs im griechischen und lateinischen Christentum der Spätantike Jan R. Stenger 1. Das spätantike Christentum und die griechisch-römische Bildung Unter geheimnisvollen Umständen erhielt im fünften Jahrhundert eine Frau namens Xenarchis in Seleukeia in Kleinasien ein Buch als Geschenk. Sie war hocherfreut, handelte es sich doch um das Evangelium, war gleichzeitig jedoch betrübt, da sie nicht einmal das Alphabet kannte, geschweige denn in der Literatur kundig war. Noch während sie dies bei sich sagte, öffnete sie das Buch, und kaum, dass sie ihre Augen auf die Buchstaben geheftet hatte, begann sie flüssig zu lesen, sodass die Frauen um sie herum staunend mit Joh 7,15 ausriefen: „Wie kann sie die Schrift verstehen, wo sie es doch nicht gelernt hat?“ Xenarchis’ steile Bildungskarriere war niemand anderem zu verdanken als der Heiligen T hekla, die ihr durch ein Wunder die Lesefähigkeit eingegeben hatte.1 Diese Episode aus dem Leben und den Wundern der Hl. T hekla beleuchtet schlaglichtartig ein Problem, das mit der weiten Ausbreitung des Christentums im 4. Jahrhundert dringlich wurde. Einerseits war das Christentum eine Religion, die dezidiert auch die Ungebildeten, die einfachen Menschen und die Frauen ansprach, andererseits konnte es als Religion des Buches nicht gänzlich auf höhere Bildung verzichten.2 Zudem war der christliche Glaube nicht länger auf die Ränder der Gesellschaft beschränkt, sondern hatte in der gebildeten Elite Fuß gefasst. Das Wunder der Heiligen, die geradezu als Schutzpatronin der Rhetoren und Literaturkenner gezeichnet ist,3 problema1  Vita T heclae 45 (406–408 Dagron). Eine ähnliche Geschichte wird von Augustinus über einen Sklaven erzählt (De doctrina christiana prol. 4,8). Vgl. Cassiodor, Institutiones prol. 7. Die Wunder der Hl. T hekla sind fälschlicherweise dem Bischof Basileios von Seleukeia zugeschrieben worden. Siehe Johnson 2006. 2  Für eine Neubewertung des Bildungsniveaus des frühen Christentums tritt Schnelle 2015 ein. Seine Argumentation basiert allerdings auf einigen problematischen Annahmen, etwa zur Verbreitung der Lese- und Schreibfähigkeit in der römischen Gesellschaft oder der Verbindung von sozialer Schichtenzugehörigkeit und Bildungsstand. 3  T hekla wird als Lehrerin und literarisch Gebildete (διδάσκαλος, φιλόλογος, φιλό­ μουσος) präsentiert. Einige ihrer Schützlinge sind Redner und Sophisten. Außerdem schätzt sie die Homerischen Epen (Vita T heclae 38).

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tisiert, auf welchem Wege Christen Bildung erwerben, welche Art von Bildung sie benötigen und wie sie Bildung nutzen. Zugleich spiegelt es wider, dass Christen selbstverständlich traditionelle Bildungsgüter und -techniken nutzten, gleichzeitig jedoch das Bedürfnis verspürten, Bildung anders, nämlich religiös zu legitimieren. So einfach wie für Xenarchis war für die meisten spätantiken Christen Bildung nicht zu haben, erst recht nicht für diejenigen, die aufgrund ihrer sozialen Stellung das Studium von Rhetorik und Philosophie gleichsam in die Wiege gelegt bekommen hatten. So ist denn Bildung eines der brennenden T hemen, mit denen sich griechische wie lateinische christliche Autoren intensiv befassten, oftmals in einer Art Hassliebe.4 Im Mittelpunkt der Diskussion stand eine Frage, die an den Kern des christlichen Selbstverständnisses rührte, nämlich das Problem, wie sich die Christen zur Welt stellen sollten, zu einer als religiös und kulturell fremd aufgefassten Umgebung.5 Wenig praktikabel war es, mit dem lateinischen Kirchenvater Tertullian provokant zu fragen „Was hat Athen mit Jerusalem zu tun?“, um die griechisch-römische paideia in Bausch und Bogen zu verdammen.6 Stattdessen schlugen die meisten christlichen Denker einen Mittelweg zwischen Ablehnung und Aneignung ein, je nach Kontext Rhetorik und Philosophie als paganes Blendwerk verteufelnd oder die Nützlichkeit dieser Bildungsgüter für den Christen betonend.7 Der Tenor war jedoch nach dem Ersten Korintherbrief, dass christliche Weisheit und die Wahrheit Gottes der heidnischen Vielwisserei turmhoch überlegen seien.8 Zu bedenken war auch, dass je weiter sich die christliche Religion ausbreitete und die Kirche institutionell ausgebaut wurde, desto größer das Bedürfnis war, Elemente der traditionellen Bildung zu integrieren, sei es um gebildete Schichten für den Glauben zu gewinnen, sei es um T heologie und Predigt auf einem anspruchsvollen Niveau betreiben zu können. Alle maßgeblichen christlichen Autoren hatten selbst die klassischen Bildungsinstitutionen durchlaufen, waren versierte Redner oder in der Philosophie be4  Im Folgenden werden christliche Positionen zu Prozessen der (selbstbezüglichen) Bildung und (intentionalen) Erziehung im Mittelpunkt stehen, während der Aspekt der (nicht ausdrücklich intendierten) Sozialisation lediglich eine untergeordnete Rolle spielt. 5  Siehe Piepenbrink 2005, 340–391 und Gemeinhardt 2007 zum lateinischen Westen. 6 Tertullian, De praescriptione haereticorum 7,9: Quid ergo Athenis et Hierosolymis? quid academiae et ecclesiae? quid haereticis et christianis? 7  Obgleich die Abgrenzung im Einzelnen schwierig ist, meine ich hier mit ‚christlichen Denkern/Autoren‘ in erster Linie diejenigen, die sich von einem kirchlichen oder theologischen Standpunkt der Bildungsfrage widmeten. Nicht berücksichtigt wird, dass sich selbstverständlich auch christliche Schriftsteller zur Bildung äußerten, die nicht oder nicht vorrangig eine kirchliche bzw. theologische Perspektive einnahmen. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise im griechischen Osten Synesios von Kyrene, Prokop von Gaza und Chorikios, im lateinischen Westen Ausonius, Sidonius Apollinaris und, in den Variae, Cassiodor. Deren Ansichten zur paideia bewegen sich weitgehend in den Bahnen des überkommenen griechisch-römischen Bildungsdiskurses. Vgl. aber etwa Sidonius Apollinaris, Epistulae 8,4, 9,9 und 9,16. 8  1 Kor 2, ferner 1 Kor 1,10, Röm 2,20 und Mt 11,25.

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schlagen.9 Genau dieses Faktum schärfte ihnen das Bewusstsein, dass die überkommene paideia in vielen Aspekten sperrig oder gar schädlich war, jedenfalls nicht unbesehen gepflegt werden durfte, wie es Hieronymus’ berühmtes Traumgesicht und seine minder bekannte Nachahmung in der Vita des Caesarius von Arles auf den Punkt bringen.10 Gleichzeitig zeigten sie kaum Skrupel, genau die oft verteufelten klassischen Techniken von Rhetorik und Philosophie einzusetzen, um eben diese vorderhand und rundheraus zu verwerfen.11 Daher soll hier der Frage nachgegangen werden, wie sich das problematische Verhältnis der Christen zur Welt auf die christlichen Bildungsbegriffe auswirkte. Wie weit war der traditionelle Bildungsbegriff in den Augen christlicher Autoren noch angemessen und nützlich, während sich die Gesellschaft des Reiches immer deutlicher unter dem Einfluss des Christentums wandelte? Inwieweit veränderte diese Debatte den Bildungsbegriff? Im vorgegebenen Rahmen können diese Fragen nur exemplarisch behandelt werden, an einer prominenten Auswahl von Kirchenvätern des späten vierten Jahrhunderts. Wie angedeutet hing die Frage der Bildung eng mit derjenigen der wahren christlichen Identität zusammen, sodass es nicht verwundert, dass die Diskussion kontrovers geführt wurde. Hier jedoch sollen radikal antiintellektualistische Positionen wie die der Vita Antonii nicht berücksichtigt werden, sondern nur solche, die grundsätzlich konstruktiv mit der Bildung umgingen.12

2. Basileios von Caesarea und die Schulbildung Der ablehnenden Haltung Tertullians lag die Vorstellung zugrunde, dass Glaube und Bildung zwei säuberlich geschiedenen Sphären angehörten, dass sie überdies in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stünden, als ob es sich um zwei einander ausschließende Systeme handelte. Dieses Lagerdenken sollte die Rhetorik der folgenden Jahrhunderte bestimmen, obgleich das Christentum selbst dem Boden der griechisch-römischen Zivilisation entsprossen war. Gleichzeitig wurden jedoch Ansätze entwickelt, die scharfe Opposition zu überwinden. Selbst dem im Duktus gemäßigten Schreiben des Basileios von Caesarea an die Jugend ist diese skeptische Haltung eingeschrieben, auch wenn ihrem Verfasser die Errichtung  9  Bekanntestes Beispiel ist sicherlich Augustinus, der seinen Bildungsgang in den Con­ fessiones einer kritischen Bewertung unterzieht. Zur Schulbildung der Kaiserzeit siehe Vössing 1997 (am Beispiel Nordafrikas), zu Augustinus’ Haltung zur Bildung seiner Zeit Tornau 2006, 20–73. 10 Hieronymus, Epistula 22 an Eustochium. Hieronymus greift in diesem Brief den von Tertullian aufgeworfenen Gegensatz auf: Hieronymus, Epistula 22,29,7, ähnlich später die Vita Caesarii Arelatensis 1,9. 11  Av. Cameron 1991, 155 spricht angesichts dieses Zwiespalts von der „rhetoric of paradox“, die den christlichen Diskurs des vierten Jahrhunderts präge. 12  Siehe Athanasius, Vita Antonii 1; 72–80. Wie die neuere Forschung gezeigt hat, war die Praxis der monastischen Askese keineswegs so bildungsfeindlich, wie es die T heorie oft suggeriert. Siehe Stenger 2017 sowie Larsen/Rubenson 2018.

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von starren Grenzen fern lag.13 Wenn wir uns Basileios’ Bildungsbegriff ansehen, müssen wir uns vor Augen halten, dass seine Schrift zwar beansprucht, eine brennende Frage grundsätzlich zu beantworten, aber weit davon entfernt ist, eine systematische Abhandlung zu bieten.14 An die jugendlichen Neffen des Verfassers gerichtet, ist das schmale, aber höchst einflussreiche Werk primär auf die Bedürfnisse der wohlhabenden Oberschicht des griechischen Christentums zugeschnitten und in seiner Fülle von Zitaten und Anspielungen auf klassische Autoren selbst als Demonstration von Belesenheit angelegt. Wie der überlieferte Titel der Schrift besagt (ὅπως ἂν ἐξ Ἑλληνικῶν ὠφελοῖντο λόγων), geht es Basileios um die Frage, welche klassischen Werke man lesen solle und auf welche Weise dies zu geschehen habe. Sein Interesse gilt also dem Kern der traditionellen Schulbildung, dem Literaturstudium, und dementsprechend verwendet er für den Gegenstand den etablierten Terminus λόγοι.15 Ganz im Sinne des traditionellen Unterrichts dominieren in Basileios’ Erörterung die Dichter, insbesondere Homer und Hesiod, während Rhetorik, Historiographie und Philosophie zwar erwähnt, jedoch nicht ausführlicher behandelt werden. Gleichwohl ist die starke Präsenz Platons durchweg mit Händen zu greifen, so dass wir annehmen können, dass die Philosophie für Basileios zum Kernbestand der klassischen Bildung zählt, selbst wenn er zum Umgang mit ihr keine detaillierten Empfehlungen gibt.16 Dass es bei der Lektüre der Dichter jedoch um weitaus mehr geht als den Erwerb von Wissen, zeigen die Begriffe, die neben die λόγοι treten. Basileios spricht nämlich ebenso von παίδευσις, παιδεύματα oder μαθήματα, also von Bildung in einem weiteren Sinne, und er lässt keinen Zweifel daran, dass die Dichterlektüre der Schule einem höheren Zwecke dient, einer umfassenden ethischen Selbstbildung.17 Seine Terminologie weist also auf einen höheren Anspruch hin, als es die präsentierte Textauswahl und der Titel nahelegen, doch sollte 13  Die Abhandlung selbst gibt keine Anhaltspunkte für eine genauere Datierung, was in der Forschung zu stark divergierenden Hypothesen geführt hat. Entstanden ist sie möglicherweise nach Julians Schuledikt (362), durch das die Frage des christlichen Umgangs mit der klassischen Literatur auch zu einer politischen Angelegenheit wurde, aber nicht unmittelbar danach, da keine direkte Auseinandersetzung damit erfolgt. Ein Ansatz in die zweite Hälfte der 360er Jahre erscheint plausibel. Siehe Gane 2012, 12–15 und Naldini 1984, 16 f. (zwischen 370 und 375). 14  Die äußerst starke Rezeption der Schrift in der Neuzeit hat oftmals die Bewertung in der Forschung beeinflusst. Zum Nachleben siehe Schucan 1973. 15  Basilius von Caesarea, De legendis libris gentilium (fortan zitiert: leg. lib. gent.) 3,1; 10,1. In 2,8 differenziert er zwischen Dichtern, Prosaschriftstellern, Rednern und allen Menschen, mit denen man sich befassen solle, um Nutzen für die eigene Seele daraus zu ziehen (καὶ ποιηταῖς καὶ λογοποιοῖς καὶ ῥήτορσι καὶ πᾶσιν ἀνθρώποις ὁμιλητέον, ὅθεν ἂν μέλλῃ πρὸς τὴν τῆς ψυχῆς ἐπιμέλειαν ὠφέλειά τις ἔσεσθαι). 16  Der starke Einfluss Platons zeigt sich in der Übernahme zahlreicher Bilder und Analogien, der Diskussion des Verhältnisses von Körper und Seele und wörtlichen Erwähnungen des Philosophen. Außerdem geht die Frage, welche Rolle die Dichter, namentlich Homer, in der Erziehung spielen sollen, auf Platons Politeia zurück. Siehe Gane 2012, 34–41. 17 Basilius, leg. lib. gent. 2,9, 3,2, 4,1, 8,2, 10,1. Ferner spricht er auch von ‚Weisheit‘ (σοφία, 3,2).

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man nicht so weit gehen, die Schrift in den Rang einer „Magna Charta aller christlichen höheren Bildung für die kommenden Jahrhunderte“ zu erheben.18 Von Anfang an macht Basileios klar, dass seine Ratschläge sich nicht auf die philologische oder ästhetische Auseinandersetzung mit der klassischen Literatur beziehen; dazu hat er nichts zu sagen.19 Im Gegenteil, der ästhetische Reiz paganer Schriften wird sogar als Gefahr für den Christen gebrandmarkt.20 Vielmehr spricht er als jemand, dem als einem Pädagogen die sittliche Bildung, dann aber vor allem die Seligkeit seiner Schützlinge im Jenseits am Herzen liegt. Welchen Nutzen der Christ auch immer von irdischen Gütern macht, das Leitkriterium darf allein sein, dass das jenseitige, ‚andere‘ Leben das letzte Ziel ist, während die Welt abgewertet wird. Damit steht das ganze diesseitige Leben als eine Periode der Vorbereitung unter dem Postulat des Zwecks, nämlich das ewige Leben zu erlangen.21 Folglich widmet sich die Abhandlung in erster Linie der Methodik, nach der von der paganen Literatur, als einem Vertreter der irdischen Güter, Gebrauch gemacht werden soll. Denn es wird nicht bezweifelt, dass klassische Literatur zumindest teilweise für den Christen von Nutzen sei: Dass diese äußeren [heidnischen] Lehren für die Seele nicht wertlos sind, ist nun hinreichend dargelegt; wie ihr aber an ihnen teilhaben sollt, davon soll im Folgenden die Rede sein. Erstens dürft ihr dem, was die Dichter sagen, um damit anzufangen – denn sie sind in ihren Argumenten verschiedenartig –, nicht ausnahmslos der Reihe nach eure Aufmerksamkeit widmen, sondern wenn sie von Handlungen und Reden guter Männer erzählen, so müsst ihr sie lieben, ihnen nacheifern und sie nach Kräften nachzuahmen versuchen. Wenn sie jedoch schlechte Männer darstellen, muss man dies meiden, indem man sich die Ohren verstopft, genauso wie die Dichter sagen, dass es Odysseus mit den Gesängen der Sirenen getan habe.22

Durchweg geht Basileios davon aus, dass es zwei Bildungssysteme gebe, von denen das eine, das weltliche, als fremd oder äußerlich aufgefasst wird, während das andere, christliche das ‚eigene‘ sei.23 Sie werden jeweils dem Diesseits und dem 18 

Jaeger 1963, 60. Zu Basileios’ Haltung zur Dichtung in dieser Schrift siehe Stenger 2016. 20 Basilius, leg. lib. gent. 4,3. Davon unterscheiden sich deutlich die Iambi ad Seleucum des Amphilochius von Ikonion, der empfiehlt, man solle von den moralisch wertvollen paganen Schriften sowohl den Sinn als auch den anmutigen Stil festhalten, an den Schriften mythischen Inhalts hingegen nur die lieblichen Worte schätzen (Iambi ad Seleucum 49–64). 21  Die gleiche pädagogische Konzeption vertritt Gregor von Nyssa in seiner allegorischen Auslegung der Geschichte des Moses (Vita Mosis 357d–373c; GNO 7/1, 67–83). 22  Basilius, leg. lib. gent. 4,1 f. (ed. Naldini): Ἀλλ’ ὅτι μὲν οὐκ ἄχρηστον ψυχαῖς μαθήματα τὰ ἔξωθεν δὴ ταῦτα ἱκανῶς εἴρηται· ὅπως γε μὴν αὐτῶν μεθεκτέον ὑμῖν ἑξῆς ἂν εἴη λέγειν. Πρῶτον μὲν οὖν τοῖς παρὰ τῶν ποιητῶν, ἵν’ ἐντεῦθεν ἄρξωμαι, ἐπεὶ παντοδαποί τινές εἰσι κατὰ τοὺς λόγους, μὴ πᾶσιν ἐφεξῆς προσέχειν τὸν νοῦν, ἀλλ’ ὅταν μὲν τὰς τῶν ἀγαθῶν ἀνδρῶν πράξεις ἢ λόγους ὑμῖν διεξίωσιν, ἀγαπᾶν τε καὶ ζηλοῦν, καὶ ὅτι μάλιστα πειρᾶσθαι τοιούτους εἶναι, ὅταν δὲ ἐπὶ μοχθηροὺς ἄνδρας ἔλθωσι τῇ μιμήσει, ταῦτα δεῖ φεύγειν ἐπιφρασσομένους τὰ ὦτα οὐχ ἧττον ἢ τὸν Ὀδυσσέα φασὶν ἐκεῖνοι τὰ τῶν Σειρήνων μέλη. 23  Siehe Basilius, leg. lib. gent. 3,2 (τῶν παιδεύσεων ἑκατέραν, τὴν θύραθεν σοφίαν), 4,1 (μαθήματα τὰ ἔξωθεν), 10,1 (τοῖς ἡμετέροις λόγοις, τῶν ἔξωθεν παιδευμάτων). 19 

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Jenseits zugeordnet, so dass eine klare Werthierarchie impliziert ist.24 Obgleich das Christentum selbst, abgesehen von seinen jüdischen Wurzeln, fest in der griechisch-römischen Kultur verankert war und ein Angehöriger der christlichen Oberschicht wie Basileios und sein Bruder Gregor selbstverständlich die klassische Bildung erwarb, bedient sich die Rede an die Jugend der Rhetorik der Differenz, die, nicht zuletzt im Bereich der paideia, eine Dichotomie konstruiert und die vermeintliche Fremdheit der paganen Kultur betont.25 Aus dieser Konstruktion eines Antagonismus folgt die Methode, die dem Heranwachsenden empfohlen wird: Er darf die pagane Literatur nicht in toto verschlingen, sondern muss sorgfältig auswählen, gleich einer Biene, die von Blüte zu Blüte fliegend, nur den nahrhaften Nektar sammelt, alles andere aber ignoriert.26 Basileios die Absicht zuzuschreiben, er wolle die pagane Literatur loben oder in Schutz nehmen, greift demnach zu kurz. Er benennt durchaus die Gefahren, vor allem die moralischen, die von der verführerischen griechischen Dichtung und der lügenhaften Rhetorik ausgehen, und mahnt zur Wachsamkeit.27 Trotz der Verschiedenheit der zwei Bildungssysteme lassen sich Punkte ausmachen, in denen beide konvergieren, etwa wenn Sokrates’ friedfertiges Verhalten als Illustration von Mt 5,39 aufgefasst wird.28 Der Nutzen steht also für Basileios im Vordergrund, präziser der Beitrag, den die Dichterlektüre zur moralischen Erbauung der Jugend leisten kann.29 Die klassischen Autoren seien gewissermaßen alle Lehrer der ἀρετή, und mehr als alle seien die homerischen Epen ein einziges Loblied der Tugend.30 Während etwa Clemens von Alexandria und Basileios’ Studienfreund Gregor von Nazianz weite Bereiche der griechischen paideia für nützlich erachten und ihren Glaubensgenossen zum Gebrauch

24  Eine Wertung liegt auch der Unterscheidung zwischen der allein christlichen Wahrheit und der ‚fremden Weisheit‘ in 3,2 zugrunde (οὕτω δὴ καὶ ψυχῇ προηγουμένως μὲν καρπὸς ἡ ἀλήθεια, οὐκ ἄχαρί γε μὴν οὐδὲ τὴν θύραθεν σοφίαν περιβεβλῆσθαι, οἷόν τινα φύλλα σκέπην τε τῷ καρπῷ καὶ ὄψιν οὐκ ἄωρον παρεχόμενα.). 25  Zu den Termini, mit denen christliche Autoren die Nichtchristen bezeichneten, siehe Opelt 1965. 26  Die Forderung, nicht sämtliche Literatur zu studieren, wird dreimal erhoben: 1,6; 4,2; 8,1. Vgl. Amphilochius, Iambi ad Seleucum 38–47. Zum berühmten Bienenbild vgl. Plutarchs Bemerkung zur Dichterlektüre in Plutarch, Moralia 32e–f (De audiendis poetis 12). Gnilka 1984 zeigt die weite Verbreitung des Bienengleichnisses in pädagogischen Zusammenhängen auf (zu Basileios 111–115). Siehe ferner Schwab 2012 zu den hermeneutischen Prinzipien, die Basileios seinen Neffen empfiehlt. 27  Siehe Basilius, leg. lib. gent. 4,3–8. 28 Basilius, leg. lib. gent. 7,6 f., ferner 9,12 zur Übereinstimmung zwischen Platon und Paulus. Als Grundlage solcher Konvergenzen wird in 7,12 f. angedeutet, dass die Heiden diese Lehren der Bibel entnommen hätten. Basileios geht freilich nicht darauf ein, auf welchen Wegen pagane Autoren Kenntnis der Hl. Schrift erlangt haben könnten. 29  Siehe Basilius, leg. lib. gent. 8; 10. 30 Basilius, leg. lib. gent. 6,1. In dieser Einschätzung Homers weicht Basileios deutlich von Platons Dichterkritik ab. Siehe Platon, Respublica 6,386a–387c.

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empfehlen, reduziert Basileios den Nutzen der Literatur auf einen einzigen Aspekt, die Erziehung zur Tugend.31 Zweites, ebenso wichtiges Kriterium ist die Wahrheit, die Frage der Verwandtschaft mit dem christlichen Dogma (4,9). Sofern diese beiden Kriterien, Nützlichkeit und Wahrheit, erfüllt werden, darf der Schüler Gebrauch von der griechischen Höhenkammliteratur machen, also die Dichtung von Homer über Hesiod bis hin zu Solon auf geeignete moralische Vorbilder hin studieren, denen er sich angleichen kann.32 Literatur per se ist, worin Basileios seinen Vorbildern Platon und Plutarch folgt, moralisch indifferent, so dass es darauf ankommt, unter der Leitung eines erfahrenen Pädagogen die verwerflichen Gestalten und Handlungen der schönen Literatur auszuscheiden und nur die tugendhaften zu imitieren.33 Mit dieser Vorstellung einer pädagogischen Mimesis steht der Traktat fest auf dem Boden der klassischen Tradition, die seit dem fünften Jahrhundert die Dichter als Führer zur richtigen Sorge um die Seele (ἐπιμέλεια τῆς ψυχῆς) begriff. Gleichermaßen traditionell, wenn auch nun christlich ausgerichtet, ist die Überzeugung, dass diese Bildung nur eine Vorstufe zu einem höheren Niveau sein könne. Was für Platon und Plutarch die Philosophie ist, sind für Basileios die Geheimnisse der Hl. Schrift. Erst wenn der junge Mann sich an den klassischen Dichtern moralisch geschult und gehörig vorbereitet hat, ist er in der Lage, zu den höheren, christlichen Studien vorzudringen. Die Auffassung, dass die christliche Lehre der paganen Bildung überlegen sei, wird dann am Ende der Schrift erneut betont. Im neunten, protreptischen Kapitel erteilt Basileios seinen Neffen Unterricht in der Verachtung weltlicher Güter wie des Reichtums, wobei er sich ausschließlich auf philosophische Ansichten und passende Zitate der klassischen Literatur stützt.34 Biblische Verhaltensregeln fehlen hingegen völlig. Resümierend weist er darauf hin, dass man der klassischen Literatur jedoch nur einen „Schat31  Diese Haltung war wiederum bereits durch die klassischen Autoren selbst vorgeformt, wenn man an die Diskussion des Wertes der Dichtung in Aristophanes’ Fröschen, Platons Politeia und Plutarchs Wie man Dichtung lesen soll denkt. Plutarchs Schrift behandelt durchweg den moralischen Nutzen mimetischer Dichtung. Der Gebrauch, den Basileios in seinen eigenen Werken von paganer Wissenschaft und Bildung macht, zeigt indes deutlich, dass er grundsätzlich auch andere Funktionen bzw. Vorteile anerkennt. Jaeger 1963, 60 verkennt Basileios’ Intention, wenn er behauptet, „[d]er sittliche und religiöse Inhalt der antiken Poesie wird darin verworfen, aber ihre Form wird gelobt.“ Auffällig bleibt freilich, dass sich Basileios mehrfach sehr deutlich von seiner klassischen Bildung distanziert (beispielsweise ep. 1; 223), wohingegen sich Gregor von Nazianz eine grundsätzlich positive Haltung bewahrt hat (vgl. etwa Oratio 43). 32 Basilius, leg. lib. gent. 4,8–11. Überraschenderweise fehlen die Tragiker fast völlig, obwohl gerade Euripides eine Fundgrube für moralische Maximen ist, wie sie Basileios hauptsächlich im Sinn hat. 33  Siehe Plutarch, Moralia 14d–16a (De audiendis poetis 1), zum Prinzip der Selektion 28e–30c (10). 34 Basileios’ ethische Ermahnungen sind sicherlich vom Ideal der christlichen Askese beeinflusst (vgl. unten S. 345 f. zu Johannes Chrysostomos), doch geht es zu weit, in ihnen einen Protreptikos zum asketischen bzw. monastischen Leben zu sehen (so Helleman 1990, 43 f.). Seine Intention ist die Erziehung zum christlichen Leben allgemein.

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tenriss der Tugend“ entnehmen könne, während man sie vollkommener aus ‚unseren Schriften‘ lernen könne.35 Begründet wird der höhere Wert der christlichen Tugendlehre damit, dass die pagane Ethik zu enge Grenzen setze, sich nämlich auf das diesseitige menschliche Leben beschränke.36 Demgegenüber bereite die christliche Bildung auf den ἕτερος βίος, das ‚andere Leben‘, vor. Die Reflexion über paideia führt bei Basileios zu einer klaren Scheidung in zwei Bereiche der Bildung, die funktionell aufeinander bezogen werden. Die überkommene Bildung wird als Propädeutik der religiösen untergeordnet und erhält somit auch für das Leben des Christen eine wichtige Funktion.37 Zwar werden trotz der Ausrichtung auf das jenseitige Leben der traditionelle Bildungsbegriff an sich und die pädagogische Methode nicht angetastet, aber sämtliche Aspekte des Bildungsprozesses werden nun auf ein einziges Ziel hin orientiert, ein Ziel, das von existentieller Bedeutung ist. Nur auf den ersten Blick überrascht, dass Basileios den religiösen Bildungsbegriff nicht expliziert.38 Sein Schweigen ist darin begründet, dass die Adressaten der Schrift für die christlichen Mysterien noch nicht ausreichend spirituell wie auch intellektuell und ethisch gereift seien. Zudem war ihm vor allem daran gelegen, die Jugendlichen anzuleiten, wie sie mit der Bildung, mit der sie in der Schule konfrontiert wurden, umgehen sollten.39 So geht die Abhandlung nicht über die Stufe der Propädeutik hinaus. Basileios erkennt an, dass das Elitenmodell der literarischen Bildung eine unabweisbare Tatsache der spätantiken Gesellschaft und damit des weltlichen Lebens ist, richtet es jedoch durch den Primat des Glaubens und die eschatologische Perspektive neu aus.

3. Augustinus und die Gefahren der Schulbildung Während Basileios als Angehöriger der gebildeten Elite den Wert gründlicher Schulbildung nicht grundsätzlich in Zweifel zog, machte der Kirchenvater Augustinus auf die unwillkommenen Begleiterscheinungen und Effekte höherer Bildung aufmerksam. Die Bildungsbegriffe des Augustinus eingehend zu studieren würde hier zu weit führen, doch sei vorweggeschickt, dass wir in seinen Werken, die seit den Cassiciacum-Dialogen immer wieder auf das T hema zurückkommen, die ganze Palette der antiken Bildungsterminologie finden, von schola, discipulus, 35 Basilius, leg. lib. gent. 10,1. Mit dem platonischen Schattenbild (vgl. Platon, Respublica 2,365c) bezieht er sich auf 2,5 zurück (vgl. a. a. O. 7,533d). 36 Basilius, leg. lib. gent. 10,3, bezogen auf einen Ausspruch des Bias. 37  Dieser Gedanke ist bereits bei Clemens von Alexandria vorgebildet; s. Stromateis 1,5,28–32 zur Philosophie als Führerin zur Frömmigkeit. Zu bedenken ist ferner, dass Plu­ tarch in Wie man Dichter lesen soll die Dichterlektüre als Weg zur Philosophie betrachtet. 38  Siehe Stenger 2016, 95 f. 39  Unzutreffend Jaeger 1963, 62, der meint, Basileios dränge auf die Aufnahme der alten griechischen Dichtung in die noch in statu nascendi befindlichen christlichen Schulen. Diese gab es zu Basileios’ Zeit nicht, noch wurden sie bis zum Ende der Spätantike im griechischen Osten etabliert.

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discere und doctrina bis hin zu litterae, eruditio und instructio.40 Überwiegend werden sie von ihm sowohl in einem weiteren Sinne – und oftmals austauschbar – als auch in spezifisch christlicher Bedeutung gebraucht, zumal der Schlüsselbegriff doctrina.41 Bei zahlreichen Gelegenheiten diskutierte Augustinus die Beziehung zwischen weltlicher Bildung und christlichem Glauben auf ähnliche Weise wie Basileios, nämlich teils die Nützlichkeit der artes liberales für das richtige Verständnis der Hl. Schrift betonend, teils vor den Gefahren und Fehlern paganer Literatur und Philosophie warnend.42 Leitend war auch für Augustinus der Gedanke des richtigen oder gerechten Gebrauchs der Bildung, wie er beispielsweise im zweiten Buch von De doctrina christiana mit einer allegorischen Lektüre des Goldraubes der Israeliten ausführte, der zufolge die Bildungsgüter nur von Christen richtig gebraucht werden könnten, ihnen also eigentlich rechtmäßig gehörten.43 Augustinus’ eigenständiges intellektuelles Profil spiegelt sich jedoch darin wider, dass er Bildung viel weiter fasst, nämlich die Gesamtheit der Disziplinen von der Grammatik bis zur Mathematik berücksichtigt.44 Ebenso teilte er Basileios’ schmerzliche Erfahrung, dass die höheren Studien, noch vom Jüngling mit Feuereifer betrieben, sich dem reiferen Geist als Irrweg, als Entfernung von Gott und dem Glauben entpuppten.45 Die folgende Diskussion beschränkt sich auf Augustinus’ Erörterung einer Situation, die Licht auf die ganz alltäglichen Schwierigkeiten der Bildung wirft, mit denen die Kirche konfrontiert war. Auf Bitten des karthagischen Diakons Deogratias verfasste Augustinus um 400, evtl. nach 404, seine Abhandlung Vom ersten katechetischen Unterricht, eine didaktische Handreichung, die den Adressaten detailliert in die Aufgaben und Herausforderungen guter Pädagogik einführt und außerdem zwei Musterkatechesen als Vorlage für den Unterricht bereitstellt.46 Zwei didaktische Prinzipien sind es, die Augustinus’ Ratschläge für den Kollegen leiten: zum einen als pädagogischer Imperativ die Liebe oder Zuneigung, mit der der Katechet dem Taufbewerber begegnen muss, zum anderen die Forderung, die Unterweisung in der Bibel und den katholischen Lehren stets an das Verständnis40  Siehe etwa Augustinus, Epistula 101,2, 118, Sermo 133,4, De musica 6,1,1, De disciplina christiana 11,12. 41  Die reiche Literatur zu Augustinus’ Reflexionen über Erziehung und Bildung lässt sich hier nicht vollständig anführen. Ich verweise lediglich auf Tornau 2006, Studer 2014 und Müller 2015. Zu seiner Bildungsterminologie siehe Mayer 1996–2002. 42  Zum Nutzen der artes liberales als Teil der christlichen Bildung siehe vor allem Buch 2 von De doctrina christiana. Zu bedenken ist, dass Augustinus’ Einstellung zum Gebrauch der säkularen Wissenschaften keineswegs konstant blieb. Die durchweg positive Einstellung der Cassiciacum-Zeit (sichtbar insbesondere in De ordine) wich später einer skeptischeren Haltung. Vgl. seine Revision in Retractationes 1,3,2; 1,6. 43 Augustinus, De doctrina christiana 2,40,60f. mit Exodus 3,21 f., 12,35 f. Siehe Gemeinhardt 2007, 477–481. 44  Vgl. die Beiträge in Pollmann/Vessey 2005. 45  Dies ist bekanntlich eines der zentralen Motive der Confessiones. Siehe Tornau 2006, 20–35. 46  Siehe dazu Harmless 2014.

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niveau der Hörer anzupassen.47 Genau darin lag die Schwierigkeit, da sich Menschen ganz verschiedener Herkunft und Fähigkeiten, Städter, Landleute, Hochgebildete und Ungebildete, für die christliche Taufe einschrieben. Damit gewinnt das Verhältnis zwischen der säkularen Bildung, über die manche Hörer verfügten, und der christlichen Unterweisung, die der Katechet zu erteilen hatte, gehörige Brisanz, weshalb Augustinus ausführlich auf mögliche Hindernisse zu sprechen kommt. Schon das breite Spektrum der Termini, die Bildung und Gebildete bezeichnen, von liberales doctrinae, doctus und eruditus bis hin zu idiota, unterstreicht, dass Grad und Art der Bildung erhebliche Auswirkungen auf die Vermittlung christlicher Lehre haben.48 Unter den einschlägigen Begriffen bedarf der im Titel verwendete, rudes, näherer Erläuterung: Hiermit sind nicht so sehr die Ungebildeten gemeint, auch wenn solche zu der Gruppe von Deogratias’ Gesprächspartnern gehören. Vielmehr versteht Augustinus unter rudes all diejenigen, die kommen, um Christen zu werden, ganz gleich, ob es sich um Heiden, Juden, Manichäer, um Gebildete oder Unwissende handelt.49 Die anderen Begriffe jedoch dienen Augustinus dazu, die Taufbewerber in drei Klassen einzuteilen, ungefähr in Entsprechung zum antiken Bildungssystem. Zunächst ist da die vermutlich sehr große Gruppe der idiotae, also derer, die keinerlei Schule besucht hatten und wohl nicht einmal elementare Fähigkeiten im Lesen und Schreiben besaßen.50 Bezeichnenderweise hat Augustinus zu ihnen wenig zu sagen, doch scheinen die zwei Musterreden besonders auf diese Gruppe Rücksicht zu nehmen.51 Auf der zweiten Stufe der Skala stehen die Menschen, welche die scholae usitatissimae grammaticorum oratorumque absolviert hatten;52 sie hatten beim Grammatiker die Regeln der lateinischen Sprache gelernt und die Dichter gelesen sowie anschließend beim Rhetor die Prosaliteratur gründlich studiert, um sich rhetorische Fähigkeiten anzueignen. Die Spitze der Bildungspyramide wird von den doctissimi oder liberalibus doctrinis exculti eingenommen, das heißt denjenigen, die es sich leisten konnten, auf den üblichen Schulbesuch noch jahrelange Studien in den artes liberales und der Philosophie aufzusatteln.53 Wenn es ein Lehrer wie Deogratias mit solchermaßen wissenschaftlich Gebildeten zu tun hatte, so musste er berücksichtigen, dass sie durch ihre Wissbegier bereits mit der Hl. Schrift und christlicher Literatur in Berührung gekommen sein 47  Zum Prinzip der Liebe Augustinus, De catechizandis rudibus (im Folgenden zitiert: catech. rud.) 3,6; 4,7 f.; 5,9; 10,14. 48 Augustinus, catech. rud. 8,12–9,13. 49  Vgl. seine Definition in Augustinus, Sermo 133,4. 50 In De doctrina christiana macht Augustinus deutlich, dass intellektuelle Fähigkeiten und Betätigungen keine notwendige Voraussetzung für christliche Bildung und Wissen sind. Das ‚wissenschaftliche‘ Studium der Hl. Schrift unter Verwendung der klassischen Bildungsgüter ist nur eine der Optionen, zu Wissen zu gelangen. Ein Verständnis der Bibel durch Charisma wird nicht ausgeschlossen. Siehe De doctrina christiana prol. 4 f.8; 1,39,43. 51 Augustinus, catech. rud. 16,24. 52 Augustinus, catech. rud. 9,13. 53 Augustinus, catech. rud. 8,12.

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mochten, also einen gelehrten Zugang zum katholischen Glauben gefunden hatten.54 Augustinus dachte hierbei wohl an Intellektuelle wie den Rhetoriker Marius Victorinus, dessen Konversion zum Christentum allgemeines Stadtgespräch in Rom geworden war.55 Erforderte es schon einiges pädagogische Geschick, diese Leute so zu unterrichten, dass sie sich weder langweilten noch bevormundet fühlten, so drohte ihre Bildung gar gefährlich zu werden. Deogratias solle nämlich auch erfragen, was diese Hörer bereits gelesen hätten, und sie genau darauf prüfen, welche Ansichten sie aus diesen Schriften über den christlichen Glauben gewonnen hätten. Die größte Gefahr bestand darin, dass sie eventuell auf häretische Autoren gestoßen waren und Lehren übernommen hatten, die den katholischen Dogmen widersprachen. War dies der Fall, hatte der Katechet die Aufgabe, durch Belehrung den Schüler auf den Boden der Kirche zurückzugeleiten: „Dabei gebe man“, weist Augustinus Deogratias an, „der Autorität der allgemeinen Kirche den Vorzug, sowie den Abhandlungen und Schriften der gelehrtesten Männer, die in der kirchlichen Wahrheit erblühten.“56 Ein zweiter Konflikt zwischen Bildung und Christentum konnte aufflammen, wenn die Vertrautheit mit der hohen Literatur den Schüler dazu verleitete, an der Hl. Schrift aufgrund ihres fremdartigen Charakters Anstoß zu nehmen. Dann sollte der Lehrer nicht nur die kanonischen Schriften und andere gute Bücher nach Kräften rühmen, sondern auch die saluberrima humilitas der Schrift und ihre wunderbare Gedankentiefe preisen.57 Auf beiden Konfliktfeldern zeichnet sich die Andersartigkeit der christlichen Lehre im Vergleich zur säkularen Bildung ab. Was die Lehren betrifft, so entscheiden nicht Vernunft oder die Doktrin einer philosophischen Schule darüber, ob eine Lehre zu akzeptieren oder zurückzuweisen ist, sondern die Autorität der katholischen Kirche im Verbund mit der Wahrheit der Bibel. Und anders als es in den weltlichen Schulen vermittelt wird, kommt es in christlichen Texten nicht auf stilistische Brillanz an, sondern, ganz im Gegenteil, auf eine Einfachheit, die Menschen unterschiedlichster Art und Herkunft anspricht. Gleichzeitig lässt Augustinus keinen Zweifel daran, dass die Hl. Schrift ein intellektuell anspruchsvoller Text ist, der, abgesehen von seiner kraftvollen Sprache, den Leser durch seine Dunkelheit und mehrfache Bedeutungsebenen herausfordert und Kompetenz in allegorischer Interpretation verlangt.58 Zwischen der weltlichen Bildung und der christlichen Unterweisung besteht demnach ein Spannungsverhältnis, so dass der wissenschaftlich Gebildete 54 Augustinus, catech. rud. 8,12. In diesem Falle fungiert die Schulbildung, ähnlich wie bei Basileios, als eine Art Propädeutik der christlichen Bildung. 55  Siehe Harmless 2014, 146. 56 Augustinus, catech. rud. 8,12: Si autem in alicuius haeretici uolumina incurrit et nes­ ciens forte quod uera fides improbat, tenuit animo et catholicum esse arbitratur: sedulo edocen­ dus est, praelata auctoritate uniuersalis Ecclesiae aliorumque doctissimorum hominum et dis­ putationibus et scriptionibus in eius ueritate florentium. 57  Vgl. Gemeinhardt 2007, 403 f.461–463. 58 Augustinus, catech. rud. 9,13.

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von den Standards und Erwartungen, die er an Bildungsgüter anzulegen gewohnt ist, abgebracht werden muss. Nicht weniger gravierend macht sich der Unterschied bemerkbar, wenn der Katechet mit dem durchschnittlichen Schulwissen konfrontiert wird. Mit unüberhörbarer Reserve spricht Augustinus über diejenigen, denen es, wie einst ihm selbst in der Studienzeit, zur zweiten Natur geworden war, dünkelhaft auf die vermeintlich Ungebildeten hinabzublicken und andere Menschen für ihre sprachlichen Verstöße und stilistischen Schnitzer moralisch zu verurteilen. Zwangsläufig musste die mit der klassischen paideia erworbene Arroganz den Frieden in der Kirche stören und mit der christlichen Ethik, vor allem dem Postulat der Demut, kollidieren. „Während sie bisher gewohnt gewesen sind, eine geübte Zunge einem reinen Herzen vorzuziehen, sollen sie es künftig nicht einmal wagen, beide miteinander zu vergleichen.“59 Christentum und paideia begegneten sich hier nicht allein als zwei Arten der geistigen Bildung, sondern auch als unvereinbare ethische Systeme. Selbst der Priester war von den Folgen nicht ausgenommen, da, so Augustinus’ Erwartung, der Absolvent der Schulen es sich nicht nehmen lassen würde, auch die Predigten nach den Regeln von Grammatik und Rhetorik zu beurteilen und den Kleriker für seine sprachlichen Unzulänglichkeiten zu rügen.60 Von Kindesbeinen an selbst mit diesem Habitus vertraut, lenkt Augustinus hier die Aufmerksamkeit auf die ethischen Implikationen und die sozialen Mechanismen der Bildung, auf ihre formative Kraft, um erneut die Unvereinbarkeit der zwei Bildungssysteme zu unterstreichen.61 Allein die christliche Bildung kann, im Sinne eines Korrektivs, die negativen Folgen der säkularen eruditio beheben, indem sie unterschiedslos alle Menschen, gleich welcher Herkunft und welchen Bildungsstands, an den Glauben und die göttliche Wahrheit heranführt. Andern­ orts besteht er noch deutlicher darauf, dass erst die Schriftauslegung der Kirche einen Unterricht begründet, der sich unabhängig vom Bildungsstand an sämtliche Gläubige wendet, so dass ein lediglich in den christlichen Schriften bewanderter Mensch kein Ungebildeter sei. Erst die Wahrheiten des Glaubens vermittelten wahre eruditio, gleichviel ob der Christ zuvor in den artes liberales unterrichtet worden sei oder nicht.62 Auch Augustinus beurteilt Bildung also unter dem Gesichtspunkt, wie das Christentum zur Welt steht. Als Praktiker der Kirche konnte er nicht anders als anzuerkennen, dass weltliche Bildung, in welcher Form auch immer, dem Prozess catech. rud. 9,13 ([…] et cordi casto linguam exercitatam nec conferre au­ deant quam etiam praeferre consueuerant). 60  Augustinus ist durchaus der Meinung, dass man solche Fehler korrigieren müsse, da sie den Erfolg der Predigt gefährden könnten. Gleichwohl seien sie mit Milde zu ertragen, immer in dem Bewusstsein, dass die gottesdienstliche Predigt etwas Anderes sei als ein rhetorischer Vortrag. 61  Tornau 2006, 32–34 hebt hervor, dass Augustinus in den Confessiones nicht so sehr die traditionellen Bildungsinhalte als vielmehr die gesellschaftlichen Funktionen der Bildung kritisiere. 62 Augustinus, Epistula 101,2 und Sermo 133,4; vgl. auch De civitate dei 8,10,1. 59 Augustinus,

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der Christwerdung voranging und dem Einfluss der Kirche weitgehend entzogen war. Der rudis kam eben nicht als tabula rasa in den Katechismusunterricht. Obgleich die religiöse Bildung anderen Prinzipien gehorcht und höhere Ziele verfolgt, muss die Art ihrer Vermittlung auf die weltliche paideia abgestimmt werden. Ihr fällt die Aufgabe zu, den Schüler von den anerzogenen weltlichen Verhaltensweisen zu entwöhnen, das heißt, die säkulare Erziehung zu korrigieren. Ermöglicht wird dies dadurch, dass die christliche Bildung auf dem ethischen Postulat der Liebe beruht, also gerade nicht moralisch indifferent ist, und ganz auf das Verständnis der Hl. Schrift ausgerichtet ist.63 Der Bildungsprozess erhält somit einen theologischen Rahmen, der es erlaubt, die materiale Bildung der Schule soweit wie möglich zu nutzen, deren formale Seite hingegen zu verbannen. Während in der weltlichen Schule größter Wert auf die (sprachliche) Form gelegt wird, dominiert in der christlichen Bildung die Sache.

4. Johannes Chrysostomos: Christliche Erziehung in die Welt tragen Während Basileios und Augustinus nolens volens die weltliche Schulbildung als kulturelles Datum akzeptierten und damit umzugehen versuchten, wurden gleichzeitig Ansätze entwickelt, durch die Formulierung eines dezidiert religiösen Bildungsziels den Gang der Erziehung von Grund auf neu auszurichten. Im griechischen Osten vertrat dieses Ideal am vehementesten der rhetorisch versierte Prediger Johannes Chrysostomos. Wie seine Homilien generell die Lebenswelt der Gemeinde in den Mittelpunkt stellten, so setzten sie sich auch immer wieder mit dem Schulunterricht, Bildung, Lernen und pädagogischen Methoden auseinander, nicht zuletzt deswegen, weil Chrysostomos sein großes Vorbild Paulus in erster Linie als ethischen Erzieher vor Augen stellen wollte.64 Ein hervorragendes Beispiel ist seine 21. Homilie zum Epheserbrief, die beständig um die Frage der Kindererziehung kreist.65 Was diese Predigt für unser T hema so fruchtbar macht, ist ihr erschöpfender Anspruch: Sie wendet sich nicht nur einzelnen Aspekten zu, sondern fasst den gesamten Bildungsprozess ins Auge, angefangen beim Inhalt des Unterrichts und endend bei den Zielen. Chrysostomos geht von dem unhinterfragten Axiom aus, dass ‚äußere‘, weltliche paideia scharf von christlicher Erziehung geschieden sei. Wir greifen diese Scheidung auch in seinem Sprachgebrauch, 63  In der Rückschau auf seine eigenen platonischen Studien erkennt Augustinus, dass Weisheit und Erkenntnis nicht ohne Liebe zu Gott erlangt werden könnten (Augustinus, Confessiones 7,20,26–21,27). Zur Nutzlosigkeit der scientia ohne caritas siehe auch Augustinus, Contra Cresconium 1,25,30. Weitere Stellen bei Piepenbrink 2005, 362 f. 64  Zu Paulus als Erzieher der Menschheit siehe Johannes Chrysostomos, Catecheses 1,13; 1,34; 4,7 (SC 50bis), Homiliae in Genesim 25,2; 29,2; 39,2 (PG 53, 221.264.363). 65  Johannes Chrysostomos, Homiliae in epistulam ad Ephesios 21 (PG 62, 149–156; im Folgenden zitiert: hom. in Eph.). Die Predigt befasst sich mit Eph 6,1–4.

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der die ‚hiesigen Lehren‘ der Bibel (τὰ ἐντεῦθεν διδάγματα) der ‚äußeren Literatur‘ (οἱ ἔξωθεν λόγοι) gegenüberstellt oder weltliche Bildung als τέχνη καὶ παιδεία ἡ ἔξωθεν terminologisch von der christlichen, primär ethischen abgrenzt.66 Ähnlich wie in seiner berühmteren Schrift Über Hoffart und Kindererziehung nutzt Chrysostomos die Gelegenheit der Gemeindepredigt für eine Generalabrechnung mit der hellenischen paideia.67 Die Eltern der städtischen Oberschicht schickten ihre Söhne in die Schule, damit diese gründlich in den weltlichen Künsten und Wissenschaften unterwiesen würden, insbesondere damit sie die Kernkompetenz des Polisbürgers erwürben, Eloquenz.68 Darauf ziele ihr ganzes Streben, dass ihre Sprösslinge Grammatik, hohe Literatur und Rhetorik studierten, um später vor Gericht, in der städtischen Kurie oder gar am Kaiserhofe brillieren zu können. Aus der Perspektive des Chrysostomos ist paideia eine Schule der gesellschaftlichen Stellung. Konventionelle Erziehung beruht zum einen auf der Vermittlung materialer Bildung, nämlich der Kenntnisse, über die ein Angehöriger der Oberschicht verfügen muss, zum anderen auf der Habituierung, der Einübung von Werten und Verhaltensweisen, die den Status des respektablen Bürgers definieren. Genau diese Orientierung auf die Welt zieht den Unmut des Chrysostomos auf sich, bedeutet sie doch, dass von einer Generation zur nächsten die irdischen Unwerte perpetuiert und reproduziert werden, Eitelkeit, Arroganz, Ehrgeiz, Gier, Unmenschlichkeit und dergleichen mehr.69 Letztlich ist es die griechische paideia, die den unchristlichen Zustand der Welt zementiert. Für Chrysostomos ist sie nicht allein ein Teil dieser Welt, sondern eine ihrer tragenden Säulen. Schätzt Basileios die klassische Dichtung und Mythologie für die Bereitstellung tugendhafter Vorbilder, so attackiert Chrysostomos die pagane Literatur, als ob sie ausnahmslos den Kindern lasterhafte Gestalten anempfehle.70 Pädagogische Mimesis ist auch für ihn der wirksamste Mechanismus der Erziehung, und zwar gleichermaßen für das christliche Gegenstück zur hellenischen paideia. Von frü66  Siehe Johannes Chrysostomos, hom. in Eph. 21,1 und 2 (PG 62, 150 f.) u.ö. Vgl. auch die immer wieder in der Predigt aus Paulus (Eph 6,4) aufgegriffene Formulierung ἐν παιδείᾳ καὶ νουθεσίᾳ Κυρίου. Der Gegensatz zwischen der hellenischen Bildung und der göttlichen Bildung, die von Abraham verkörpert wird, wird in Homiliae in epistulam ad Romanos 26,4 (PG 60, 642) besonders scharf herausgestellt. 67  Zur Schrift über die Kindererziehung siehe Tloka 2005. 68  Johannes Chrysostomos, De educandis liberis (im Folgenden zitiert: educ. lib.) 18, ferner hom. in Eph. 21,2 (PG 62, 150 f.). 69  Chrysostomos macht dies schon dadurch deutlich, dass er die Schrift Über Hoffart und Kindererziehung mit einer Erörterung der κενοδοξία und einer breit ausgeführten Szene eröffnet, in der ein reicher Bürger verschwenderische Schauspiele finanziert und sich durch seinen gesellschaftlichen Ehrgeiz ruiniert (educ. lib. 1–15). Dies bietet dem Prediger die Vorlage, die Andersartigkeit und Weltferne der christlichen Bildung herauszustellen. In 3 verweist er auf die Zugehörigkeit der durch die Erziehung vermittelten Werte zur Welt: Τί γάρ; βούλεσθε πρῶτον ἀπὸ τῶν ἔξωθεν ἀρξώμεθα; („Wie? Wollt ihr, dass ich zuerst mit den äußeren Verhältnissen beginne?“). 70  Johannes Chrysostomos, hom. in Eph. 21,1 (PG 62, 150), educ. lib. 39. Die Bibel diene als Gegengift gegen die pagane Literatur. Siehe Stenger 2016 zu Chrysostomos’ Umgang mit Literatur in der Erziehung.

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hester Jugend an, so ermahnt er die Eltern, sollen die Kinder zur Lektüre der Bibel angehalten werden, damit sie ständig Beispiele christlicher Tugenden vor Augen haben. Im Übrigen soll das Imitieren biblischer Rollenmodelle keineswegs mit der Kindheit enden: Der Nachdruck, mit dem die Predigt die Eltern ermuntert, sich an Hanna und Abraham moralisch zu bilden, zeigt, dass der Erziehungsprozess grundsätzlich nie abgeschlossen ist. Sowohl in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter besteht Bildung vor allem in der Einübung christlicher Tugenden und einer strikten Disziplinierung, die nicht nur den Eltern, sondern über den Kreis der christlichen Familie hinaus sogar der ganzen Gemeinde obliegt. Im Gegensatz zu Basileios glaubt Chrysostomos also nicht, dass die klassische Literatur eine propädeutische Funktion innerhalb eines christlichen Curriculums übernehmen könne.71 Die weltliche Bildung wird als durchweg irrelevant oder gar schädlich ausgeschlossen, wenn auch nicht untersagt. In einer rhetorischen praemunitio legt Chrysostomos seiner Gemeinde einen Einwand in den Mund, der es ihm erlaubt, sein Bildungsideal genauer zu explizieren.72 Die kompromisslose Verpflichtung der Erziehung auf die Hl. Schrift und christliche Tugenden könnte die Abwehr provozieren, sie tauge allein für Mönche, jedoch nicht für die in der Stadt lebenden Söhne der christlichen Familien. Zwar weist Chrysostomos diese Absicht nicht geradewegs von sich, aber er schränkt ein, dass es allein darum gehe, aus dem Sohn einen Christen im vollgültigen Sinne zu machen: Χριστιανὸν αὐτὸν ποίησον („Erziehe ihn zu einem Christen!“).73 Seine etwas ausweichende Erwiderung kann freilich nicht verdecken, dass, wie die Eltern ganz richtig erkannt haben, das Leitbild der christlichen paideia der Mönch ist. Im Traktat Über Hoffart und Kindererziehung macht Chrysostomos daraus auch keinen Hehl.74 Im Gegensatz zum Weltmenschen (κοσμικός) verkörpert der Asket das Ideal eines christlichen Weisen, zurückgezogen in einem windstillen Hafen, gefeit gegen alle Stürme des Lebens.75 Allein der Mönch praktiziert die wahre, christliche Philosophie, eine bedürfnislose, unerschütterliche und gottgefällige Lebensweise, welche die paganen Scharlatan-Philosophen erblassen lässt. Wie auch in anderen seiner Schriften avanciert der Terminus der ‚wahren‘ oder christlichen φιλοσοφία zum Kampfbegriff und Gegenpol gegen die 71 In hom. in Eph. 21 erörtert Chrysostomos nicht explizit, inwieweit das Verständnis der Bibel einer Vorbereitung bedürfe. Er konstatiert jedoch, dass bestimmte Glaubensinhalte die Verständnisfähigkeit von Kindern überstiegen (1, PG 62, 149). Gleichwohl sollten sie ‚von frühester Jugend an‘ zum Lesen der Hl. Schrift angehalten werden (2, PG 62, 151). Siehe auch educ. lib. 39; 46. 72  Chrys. hom. in Eph. 21,1 (PG 62, 150): Μὴ εἴπῃς· Τοῦτο μοναζόντων ἐστί· μὴ γὰρ μονάζοντα αὐτὸν ποιῶ; („Sage nicht: Das ist etwas für Mönche! Soll ich etwa einen Mönch aus ihm machen?“). 73  Als Idealbild schwebt ihm vor, dass die Eltern ihr Kind Gott weihen und dementsprechend erziehen, wie es Hanna mit ihrem Sohn Samuel getan hat (1 Sam 1). Zum Erziehungsziel vgl. auch educ. lib. 19. 74  Siehe Tloka 2005, 158–175. 75  Johannes Chrysostomos, hom. in Eph. 21,2 (PG 62, 152).

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pagane παιδεία.76 Ein Paradebeispiel für diese Form der Philosophie ist der Märtyrer Julian von Tarsos, bezeichnenderweise ein einfacher Bauernsohn ohne weltliche Bildung, aber voller Weisheit (τῆς ἀπλάστου φιλοσοφίας πεπληρωμένος), der gleichsam die himmlische Existenz auf Erden vorweggenommen hat. Die Beispiele ließen sich ohne Mühe um biblische Weise wie Moses, Jesaja und Abraham vermehren.77 Chrysostomos’ hier deutlich von der apologetischen Tradition geprägte pädagogische Vision verheißt also, durch Erziehung einen wahren Christen zu formen, nach dem Vorbild der heiligen Männer und gemäß dem Auftrag, der in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen liegt.78 Bildung besteht in diesem Sinne aus der Abtötung schädlicher Leidenschaften und der Annahme der göttlichen Tugenden. Statt den Jüngling durch fehlgeleitete Bildung immer tiefer in die Sündhaftigkeit der Welt zu verstricken, nimmt die strenge christliche Disziplinierung die jenseitige Existenz soweit möglich vorweg, verspricht unendliche Seligkeit im Himmel. Die religiöse Erziehung erhält also erst durch ihre eschatologische Perspektive ihren Sinn. Wie die Mönche mustergültig vorleben, muss alles Trachten darauf ausgerichtet sein, sich von der Welt freizumachen. „Wie lange noch bleiben wir Fleisch? Wie lange noch beugen wir uns zur Erde hinab?“, rüttelt der Prediger seine Gemeinde wach. „Alles trete zurück hinter der Sorge für unsere Kinder, hinter ihre Erziehung in der Zucht und Ermahnung des Herrn!“79 Paradoxerweise sind es ausgerechnet die Mönche, die diese Schule der Weltflucht am wenigsten nötig haben. Weitaus dringlicher ist die christliche paideia für die Menschen, die in der Welt leben, und zwar je angesehener die Stellung im diesseitigen Leben ist, umso dringlicher. Der Mönch nämlich, auch wenn er natürlich die Hl. Schrift studiert und in seiner Lebensführung beherzigt, verbringt seine Tage in der Wüste und den Bergen, weitab von den Fährnissen der städtischen Gesellschaft. Der Weltmensch dagegen muss tagtäglich, sei es am Hofe oder anderswo in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, die Stürme des Lebens bestehen, sich der Heiden erwehren und die Sünden bekämpfen. Chrysostomos stellt sich den Weltchristen als einen beschlagenen Arzt vor, der durch die Lehren wahrer Weisheit seine Mitmenschen von den Gebrechen des sündhaften Lebens kuriert. Vielleicht nicht ganz realistisch nimmt er an, dass der so gebildete Christ alsbald zu großem Ansehen, ja Ruhm gelange.80 76 In hom. in Eph. 21,4 (PG 62, 153 f.) definiert Chrysostomos den wahren, d. h. christlichen, Philosophen. Zu dieser Terminologie bei Chrysostomos siehe Malingrey 1961, 263– 288. 77  Hom. in Eph. 21,3 (PG 62, 153). Chrysostomos folgt also dem Tenor der Vita Antonii, dass die christlichen heiligen Männer trotz ihres Mangels an Schulbildung die wahren Philosophen seien. 78  Hom. in Eph. 21,4 (PG 62, 154). 79  Hom. in Eph. 21,2 (PG 62, 151): Μέχρι τίνος ἐσμὲν σάρκες; μέχρι τίνος ἐπὶ γῆς κύπτομεν; Πάντα ἡμῖν δεύτερα ἔστω τῆς προνοίας τῶν παίδων, καὶ τοῦ ἐν παιδείᾳ καὶ νουθεσίᾳ Κυρίου αὐτὰ ἐκτρέφεσθαι. 80  Hom. in Eph. 21,3 (PG 62, 152). Hier zeigt sich besonders deutlich Chrysostomos’ Bestreben, die weltlichen Werte der Oberschicht christlich neu zu besetzen.

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Das in der Epheserhomilie entfaltete Erziehungsprogramm strebt also nicht weniger an als die christliche Transformation der Welt, eine Neubestimmung des Verhältnisses von Welt und Bildung. Ist die hellenische paideia bisher identisch mit der Welt gewesen, so versucht Chrysostomos, diesen Konnex zu durch­ trennen, indem er die christliche philosophia in die Welt einführt. Daher legt er weniger auf die Vermittlung einer Lehre Wert als auf die Ausprägung einer Lebensweise. Nicht von ungefähr bedient er sich für den Erziehungsprozess der metaphorischen Verben πλάττειν und ῥυθμίζειν, die auf das Formen und Bilden verweisen.81 Für seine Pädagogik ist charakteristisch, dass die Erziehung keine Angelegenheit des zu bildenden Individuums allein bleibt. Obgleich auf das Jenseits orientiert und die Welt negierend, soll die christliche paideia als Gegengift gegen die Fehler der hellenischen den jungen Mann selbst zu einem Erzieher anderer heranbilden, der dafür sorgt, dass die Welt sich wieder mit Vorbildern der Tugend füllt, deren es sie einstweilen noch so sehr mangelt. Kleinigkeiten sind Chrysostomos’ Sache nicht. Es geht ihm ums Ganze, „Fundament, Erziehung und Form für die gesamte Oiku­mene“.82

5. Die Einführung eines religiösen Bildungsbegriffs In der christlichen Literatur des griechischen Ostens wie des lateinischen Westens wurde Bildung im vierten und beginnenden fünften Jahrhundert zu einem der dominanten T hemen. Voraussetzungslos war diese Debatte nicht, da frühere Autoren, vor allem Clemens von Alexandria und Origenes, bereits Wege aufgezeigt hatten, wie man die strikte Opposition zu paideia und wissenschaftlicher Gelehrsamkeit überwinden könnte.83 Was sich jedoch verändert hatte, waren die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: Mit der fortschreitenden Christianisierung des Reiches erlangte die Frage, ob und inwieweit sich die pagane Bildung der Eliten in das Christentum integrieren ließ, neue Relevanz. Die Interpretation dreier Beispiele hat gezeigt, dass das Christentum nicht völlig auf den traditionellen Bildungsbegriff verzichten konnte, aber ebenso einen eigenen entwickeln musste. Denn die klassische Bildung, wie sie vor allem in der Schule tradiert und eingeübt wurde, galt den kirchlichen Autoren, wie bereits dem Apostel Paulus, als repräsentativ für die Welt mit all ihren Gebrechen.84 Das Spannungsverhältnis zwischen Christentum und Welt determinierte auch die Sicht auf die Bildung; an81  Hom. in Eph. 21,4 (PG 62, 154f.); educ. lib. 18; 54. Diese metaphorische Verwendungsweise hat eine längere Tradition. Siehe beispielsweise Platon, Respublica 2,377c; 6,500d; Timaeus 88c; Leges 2,671c; Phaedrus 253b, Xenophon, Cyropaedia 8,8,20. 82 Johannes Chrysostomos, educ. lib. 54: Τάχα τινὲς καταγελῶσιν ὡς περὶ μικροῦ φροντιζόντων ἡμῶν, εἰ περὶ τοιαύτης διαλεγόμεθα πολιτείας· οὐκ ἔστι δὲ μικρά, ἀλλὰ τῆς οἰκουμένης πάσης ἐστὶν ἡ ὑπόστασις καὶ ἡ παίδευσις καὶ ὁ ῥυθμός, εἰ ταῦτα ἐγίνετο. 83  Zu Origenes siehe Tloka 2005. 84  1 Kor 1,18–25.

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ders formuliert, wie man mit Bildung umging, erwies in den Augen der Kirchenväter, ob man ein wahrer Christ sei. Wenn wir einen modernen Terminus verwenden wollen, so war für die spätantiken Christen, anders als für die klassischen antiken Denker, Bildung eine Frage der ‚Weltanschauung‘, wie es insbesondere in der Konzeption der zwei Bildungssysteme, des ‚unseren‘ und des ‚äußeren‘ bzw. ‚hellenischen‘, zum Ausdruck kommt. Bildungskritik hatte es auch in früheren Jahrhunderten gegeben, am prominentesten bei Platon, doch bewegte diese sich innerhalb des einzig verfügbaren Systems der paideia, ohne eine Opposition entlang der Trennlinie von ‚säkular‘ und ‚religiös‘ zu kennen. Es war diese Konstruktion eines Antagonismus, die Betonung der Differenz, die zu signifikanten Transformationen des Bildungsbegriffs führte. Christliche Autoren wie Augustinus und Chrysostomos rückten, auch hier im Gefolge des Paulus, die sozialen Aspekte der Bildung in den Vordergrund, berücksichtigten also stärker die formale Seite. Sie erkannten, dass die ‚Erkenntnis, die aufbläht‘ soziale Distinktion befördere und den Zielen der christlichen Ethik entgegenstehe.85 Christliche Bildung musste daher ein neues Fundament errichten, um die Fehler dieser Welt soweit möglich zu korrigieren. Nicht ohne Grund legten die Kirchenväter so großen Wert darauf, das Gewicht von der intellektuellen Bildung, dem Erwerb von theoretischem Wissen, zur Praxis zu verschieben. Sie schafften es dadurch, Bildung von ihrer Exklusivität zu lösen und für alle sozialen Schichten verfügbar zu machen. Eine rein theoretische Bildung in Literatur, Rhetorik und den artes konnte es für sie nicht geben, da christliche Tugenden sowohl den Ausgangspunkt des Bildungsprozesses als auch das Anwendungsziel des Wissenserwerbs bildeten.86 Daher schien es etlichen Autoren, neben Basileios und Chrysostomos etwa auch Hieronymus, Gregor von Nyssa und Johannes Cassian so attraktiv, theoretische Bildung mit Elementen der christlichen Askese zu verweben.87 Die am weitesten reichende Transformation des Bildungsbegriffs wurde jedoch durch seine radikale Neuorientierung erreicht. Während die Ziele der griechisch-römischen paideia von den Kirchenvätern auf das diesseitige Leben in der Welt reduziert wurden, war die christliche Bildung bedingungslos bei Gott verankert und auf das jenseitige Leben ausgerichtet. Erst durch diese theologische Begründung, die eschatologische Dimension, erhielt der Bildungsprozess seinen Sinn und Wert. Bildung wurde sozusagen für einen höheren Zweck instrumentalisiert, was sich nicht zuletzt in der allenthalben verwendeten Denkfigur des Nutzens und Gebrauchens niederschlägt. Überdies bestanden die christlichen Denker 85  1 Kor 8,1: ἡ γνῶσις φυσιοῖ, ἡ δὲ ἀγάπη οἰκοδομεῖ. Vgl. etwa Augustinus, doctr. christ. 2,13,20. 86  Besonders klar wird dies von Augustinus formuliert; zum Primat der caritas vgl. De doctrina christiana prol. 6,13; 1,36,40; 1,39,43–40,44; 2,7,10; 2,28,57. 87  Siehe Hieronymus’ Richtlinien für die Erziehung Paulas in Hieronymus, Epistula 107; die Darstellung Makrinas in der Vita Macrinae des Gregor von Nyssa; die Diskussion von praktischem und theoretischem Wissen in Cassian, Conlationes 14; ferner Conlationes 5,21; 10,14; De institutis coenobiorum 5,33 f.

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auf dem Axiom, dass wahre Bildung und Erkenntnis nicht ohne den Glauben zu erlangen seien, so dass eine spezifische Form der Bildung zum Merkmal religiöser Identität avancierte. Insofern möchte ich die T hese aufstellen, dass das spätantike Christentum erstmals einen starken Begriff religiöser Bildung entwickelte.88 Religion konnte zwar auch in der paganen Antike Bestandteil von Bildungsprozessen sein – man denke etwa an das Einüben von Kulthandlungen, Götterdarstellungen in der Literatur oder theologische Spekulationen in der Philosophie –, aber es fehlte ein formulierbares Konzept rein religiöser Bildung, das heißt von menschlicher Bildung als unbedingt religiöser Praxis. Da aus christlicher Sicht Wissen nur ein Mittel zum Zweck der Erlangung wahrhaft christlichen Lebens war, lag der Schwerpunkt religiöser Bildung auf dem Prozess der (Selbst-)Bildung, der in dieser Welt prinzipiell unabgeschlossen bleibt und unablässiger Anstrengung bedarf. Nicht ohne Grund tauchen in diesem Zusammenhang Formulierungen wie Tertullians fiunt, non nascuntur christiani auf.89 Das christliche Ringen um den für die antike Kultur so zentralen Gedanken der paideia zeigt, dass es den Kirchenvätern darum ging, normativ und präskriptiv die authentische christliche Lebensweise zu definieren. Christliche Bildung war ihnen gleichbedeutend mit einer Lebensform, wofür bei den griechischen Autoren häufig der Begriff der φιλοσοφία eintrat, gewissermaßen ein Erbe der antiken Konzeption der Philosophie als Lebensform. Erst der von christlichen Prinzipien geleitete und auf der Hl. Schrift basierende Bildungsprozess machte den Christen zum Christen, aktualisierte also das im Menschen angelegte Potential und brachte seine Anlagen zur Vollendung.

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88  Dies in Abgrenzung von dem von Tanaseanu-Döbler/Döbler 2012 vorgeschlagenen analytischen Zugang zu religiöser Bildung als historischem Phänomen. Trotz seiner heuristischen Vorzüge birgt die Beschreibung einzelner Faktoren wie Träger, Adressaten und Medien die Gefahr, die Innenperspektive, also die Konzeptualisierung durch die beteiligten Akteure zu vernachlässigen. Er hilft, religiöse Bestandteile von Bildungsprozessen und die Vermittlung religiösen Wissens in historischer Perspektive zu beschreiben, fragt jedoch weniger danach, inwieweit Bildung per se als religiöser Prozess definiert worden ist. 89 Tertullian, Apologeticum 18,4, zitiert in Hieronymus, Epistula 107,1. Siehe oben S. 346 zu Chrysostomos.

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New Trends in the History of Education in Late Antique Egypt Caroline T. Schroeder T he past twenty years has witnessed a paradigm shift in scholarship on education in late antique Egypt. Egypt is no longer seen as an uneducated backwater, unconversant with the philosophical and hermeneutical endeavors of the wider Mediterranean world. As Lillian Larsen has argued, much of our understanding of education in late antique Egypt was framed by Henri-Irénée Marrou’s work on monasticism and Christian hagiography.1 Marrou took Athanasius’s representation of Antony the Great in the Life of Antony at face value. In the vita, Antony as a child has an aversion to learning his letters, and as an adult cannot read and write Greek.2 Marrou generalized this image of an illiterate Antony to conclude that the monks of Egypt in general possessed little to no education: St. Antony, the great founder of monasticism, was an illiterate Coptic peasant who was able to get on quite well without any books, as he soon proved to any philosophers who came and argued with him. T his was a fundamental feature of Eastern monasticism and it was never lost: these desert people were less concerned with learning than with forgetting the poetry and secular knowledge they had picked up in the schools before conversion. Monasticism brought back into the Christian tradition the virtues of the simple and un­ lettered, as against the intellectual pride fostered by the old culture, which as is clear from the Gnostics and the Alexandrians, was in the third century threatening to destroy the original simplicity of the Gospels.3

T he “Coptic” (or Egyptian) in Marrou’s depiction of Egyptian monasticism stands in opposition to the Greek traditions of philosophy and “culture.” Marrou’s paradigm dominated scholarship in the second half of the 20 th century. In this view, late antique Egypt in the ancient sense of the name – the Egypt beyond Alexandria – was distant from the philosophical and literary culture of the Hellenistic coastal city of Alexandria. Marrou’s framing generalized and normalized a hostility to Alexandria present in some late antique monastic literary sources, a hostility manifest in certain literary discourses not only against “the city”, but also against 1 

See Larsen 2013; Larsen/Rubenson 2018b. See discussion in Larsen 2013, 59; Brakke 1998, 253–254; Rubenson 1995, 141–142. 3  Marrou 1956, 330 as cited in Larsen 2018, 103 n. 12. On Marrou, see also the contribution by Christoph Auffarth to the present volume (pp. 39–65). 2 

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classical philosophy, traditional Greek and Roman religion, and heresy. (And heresy, too, which was associated with too much questioning and philosophizing.)4 Popular Greek texts about Egyptian monasticism (Life of Antony, Apophthegmata Patrum) present us with this view of the city and philosophy. Earlier research on monasticism read and represented Egypt through this lens. A reassessment of late antique Egypt, particularly one that centers Coptic textual sources and Greek and Coptic material culture, has proven that late antique Egypt outside of Alexandria had a thriving educational system, including a fairly extensive tradition of Greek grammatical schooling. As Peter Gemeinhardt’s essay in this volume posits, education (‘Bildung’), especially ancient paideia, occurs in multiple contexts – including schools, households, and the public square – as well as through multiple media and genres – school texts and grammar exercises, classical texts, philosophical or religious treatises, personal letters. Education in late antique Egypt was no different, with “schooling” occurring within and beyond schools. T his contribution to the study of pre-modern education focuses on education in Egyptian monasteries of the fourth through sixth centuries, with some branching out into the “later” late antiquity of the seventh and eighth centuries. I take an historiographical approach by assessing the state of the field, and then I attend to some areas which remain unresolved and require further examination. Focusing on the role of classical education in Egypt, the relationship between monasticism and education, gender, and the historiographic role of the “material turn” in the study of late antiquity for our understanding of education, this paper addresses three interlocking themes: schooling in Egypt – especially of children, monastic paideia (which is a broader category than literary schooling and education), and classical influences on Egypt. We know quite a bit about how any two of these three themes intersect, but less about all three together. Education in late antique Egypt, even among the population we imagine as primarily Coptic-speaking, was heavily influenced by classical traditions of paideia, with monasteries continuing these traditions rather than rejecting them, all the while adapting and transforming them to account for Christian textual and rhetorical needs. Moreover, both men and women – including men and women in monastic networks – received this education. Scholarship of the last twenty years has demonstrated the enduring influence of classical educational models in late antique Egypt beyond Alexandria – up the Nile Valley -- and the transformation of classical models for local purposes. T he educational program described in the Pachomian monastic materials for illiterate people who join the monastery is not far from the traditional Hellenistic elementary educational program. Raffaella Cribiore has demonstrated that even in cities up the Nile Valley, such as Panopolis, the Greek educational system maintained a 4  As just one example, see Todd Berzon’s treatment of Tertullian on this issue (Berzon 2016, 162–163).

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strong presence, with Egyptian students during the Roman period studying at all levels: elementary, grammatical, rhetorical.5 Cribiore finds evidence for early educational exercises ranging from practicing the writing of letters, syllabaries, and words to copying gnomic sayings and modeling small literary snippets. Education in Egypt adhered to some of the same patterns as in the rest of the Mediterranean world: Egyptian students study classical Greek authors, and children of the elite (especially boys) are most likely to advance further in their education. Educational programs in Egyptian monasteries also shared features with the traditional educational program described by Cribiore, often in a multilingual context. Literary sources about early monasteries (4 th–5 th centuries) and papyrological evidence from later monasteries (6 th–8 th) testify to the centrality of educational programs in daily monastic life and to the presence of Greek and Coptic writers. T he early monasteries of the Pachomian Federation were multilingual. We know from the Letter of Ammon that both Greek speaking and Coptic speaking monks lived in some of the communities, and the Greek Vita of Pachomius originated with the Federation.6 Jerome’s account of receiving the Pachomian rules material indicates that Latin speaking monks along with Greek and Coptic speaking monks resided together, and that some Pachomians at least may have had read both Greek and Coptic versions of the rules.7 At the monastery of Shenoute, both Greek and Coptic inscriptions survive, and the bishop of Alexandria (Dioscorus) once asked Shenoute to translate a letter of his into Coptic for distribution throughout the region.8 Later sources, of course, include Arabic. T he Pachomian monks’ educational program in some ways mirrored the progressive stages of ancient educational schools. T hey were taught the letters, the syllables, then nouns and verbs, and finally to read. All monks were expected to know how to read and to have memorized the New Testament and some of the Psalms. T he rules about literacy education also tell us that some monks in the community had the explicit role of teacher or tutor: the illiterate novices must “go at the first, third, and sixth hours to someone who can teach and has been appointed for him.” 9 In the hagiographic sources, Pachomius reportedly speaks of the education of children and asserts that only a monk who “cleanses his own conscience (Heb 9:14) to perfection” may educate children.10 In the Pachomian koinonia, we have no explicit evidence for a formal grammatical or rhetorical program. We do have evidence for a graduated religious program beyond reading. T he Tenth Sahidic Life of Pachomius attributes a discourse about the education of children to the monastic leader. Although we cannot take  5 

Cribiore 2001. Letter of Ammon 4 in Goehring 1986, 127; Eng. trans. ibid. 161. For a detailed treatment of the Coptic and Greek vitae see Goehring 1999, 137–161.  7  Jerome’s preface (Boon 1932; trans. Veilleux 1981, 141–142).  8  Crum 1904: 552–569; Dilley 2016, 288–300; Cristea 2011; Brakke/Crislip 2015, 32.  9  Praecepta 139 (Boon 1932; trans. Veilleux 1981, 166). 10  First Greek Life 49 (Halkin 1932; trans. Veilleux 1980, 331).  6 

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hagiography as verifiable evidence for the historical words of the saint being valorized, we can take the teachings promoted in the narrative as evidence for the ideals and aspirations of the monastery. According to the Tenth Sahidic Life, Pacho­mius placed a child among the monks and instructed the brethren to educate the children in the monastery according to a combined religious and elementary curri­ culum. First educate them about God as the creator of humans as well as the universe, then unceasing prayer to that God, and then the memorization of Psalms and scripture.11 T hese early steps resemble a Christian adaptation of a classical elementary education – in which memorization of gnomic or canonical texts such as Homer occurred, and in the Christian environment those gnomic and canonical texts are now Psalms and other scriptures.12 More advanced subjects in the monastery included hermeneutics (the study of God’s will), learning the monastic rules, and discerning true scripture from heresy (learning to “know surely that which is written by the Holy Spirit”13). Roger Bagnall, having examined Greek letters from monasteries, especially the fourth century letters from the Hathor monastery, speculates that Roman Egypt may have had a tradition of vocational or practical literary training. T he letters in his study contained a range of vocabulary and handwriting that indicated fluency beyond basic elementary education, but nonetheless exhibited little evidence of advancing to the grammarian stage.14 In Shenoute’s Federation (also called the White Monastery Federation) we have evidence for an educational system for children. T he White Monastery Federation consisted of two men’s monasteries and one women’s monastery. Both had teachers and guardians, who maintained their appointments after having proven their own moral strength and ascetic prowess. In his rules for monks, Shenoute writes: As for some people who have children who were entrusted to their care, if it is of no concern to them that they live self-indulgently, joking with them, and sporting with them, they will be removed from this task. For they are not fit to be entrusted with children. It is in this way also with women who have girls assigned to them.15

Shenoute also takes pains to warn monks who might abuse their positions in other ways. Adults who beat children for avoiding work while they themselves laze about shall receive punishment; guardians who lead children to sin may even be expelled from the monastery.16 Both men and women minding children may beat them as a form of discipline, which is fully in keeping with late antique practices in the household and the elementary school.17 Although in this passage, Shenoute seems Tenth Sahidic Life, Fragment 2 (Lefort 1952; trans. Veilleux 1981, 451–452). Cribiore 2009, 328. 13  Tenth Sahidic Life, Fragment 2 (Lefort 1952; trans. Veilleux 1980, 451–452). 14  Bagnall 2018. 15 Shenoute, Canons vol. 9 (MONB.DF 186–187; Leipoldt 1913, 4:105–106). T hanks to Heike Behlmer for assistance with the passage. 16 Shenoute, Canons vol. 9 (MONB.DF 178; Leipoldt 1913, 4:98). 17 Shenoute, Canons vol. 4 (MONB.BZ 326–327 in Young 1993, 1:92–94; trans. Young, rev.). 11 

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to refer to guardians more than to a literacy education, we must imagine a curriculum in reading and writing for the children, given Shenoute’s emphasis on reading and books elsewhere in his writings, which are examined below. Shenoute’s writings for the monastery, when read together, depict a community immersed in the reading, reciting, and hearing of Christian literary texts. We should imagine the children described in these passages here receiving such an education. In later late antiquity, we have documentary evidence for multilingual (Greek and Coptic at the same site) and bilingual (Greek and Coptic together) classical educational practices at various monastic settlements in T hebes, but particularly the monasteries of Epiphanius and Phoibammon. Homeric phrases appear in four ostraca found at the monastery of Epiphanius, as well as alphabetical texts and syllabary.18 Another Homeric ostracon has been found at the monastery of St. Phoibammon, and fragments of the Menandri Sententia survive from monastic settlements in T hebes.19 We of course also possess unprovenanced ostraca and papyri containing practice texts, which may well have come from monastic contexts.20 Additionally, practice texts for epistolary formula and prayer formulas also survive.21 Coptic school texts have survived from the Deir el Bachit monastery, which with further study will provide more insight into educational practices.22 T he nature of these material finds of papyri, ostraca, and wood boards used for practicing writing may not always be evidence for schools as we think of them – rooms or centers where young people are sent to study with a teacher. T hese artifacts may instead attest to individual monastics or small groups of monks striving to keep up their skills. What appear as school texts may indeed be educational texts for traditional schools, personal practice, or local, internal scribal activity.23 Provenanced and unprovenanced Coptic educational texts contain bilingual examples.24 Although we have little evidence – either literary or papyrological – for formal rhetorical educational practices in Coptic monasteries, we do have evidence of formally educated monks, especially monastic leaders. Shenoute of Atripe was most certainly bilingual, as well as capable of translating from Greek to Coptic. His sermons and treatises exhibit significant rhetorical skill as well as references to Greek texts. He probably completed his elementary and grammatical training prior to entering the monastery, and then engaged in rhetorical training through self-study – reading and then composing his own material.25 T he so-called vita of Shenoute, attributed to his successor Besa, takes the form of panegyric, a classical 18 

Larsen 2018; Larsen 2013, 70. Larsen 2018; Maravela 2018. 20  See for example Cromwell 2015: 205–218. 21  Cribiore 2009, 328. 22  Burkard u. a. 2003, 41–64. Dr. Susana Hodak is preparing editions of these materials. 23  See discussions of the question in Cromwell 2015: 205–6; ead. 2012, 149–157; Bucking 2007: 21–47; Cribiore 2009, 321–325; Maravela 2018. 24  Cromwell 2015, 206. 25  Timbie 2016, 34–46. 19 

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genre.26 T he undisputed letters of Besa show some rhetorical dexterity. His letter to the woman monk, Aphthonia, contains a wordplay on her name and skillfully – and disturbingly – turns her accusations of abuse in the monastery back against her, rhetorically boxing her in.27 Mark Sheridan has proven that the sixth century homilies of monastic leader Rufus of Shotep contain several elements of the Second Sophistic’s rhetorical style: chreia, synkesis, analogies, anaphora, antithesis, apostrophe, anthypophora (imaginary interlocutor), and rhetorical questions.28 Scholars such as Cribiore have cautioned that we have little evidence for people proceeding to a rhetorical education – much less for monks receiving a rhetorical education within the monastery. T his is in part because of the difficulty of identifying advanced rhetorical educational materials from basic reading materials in a library. I would submit, however, that the presence of these sophisticated rhetorical texts by a later monastic such as Rufus of Shotep is a sign of advanced rhetorical training. Shenoute himself instructs his community – both the men and the women within the Federation – to read his own writings four times a year.29 We should imagine Rufus of Shotep reading and studying the monastic literature available to him, and his followers and successors doing the same with his writings. Advanced classical rhetorical education involved reading, analyzing, and imitating the style of “canonical” works. We have in Shenoute’s own words evidence that in the monastery, his rhetorical writings served this function; this same educational process likely occurred in Coptic-speaking monasteries. T he monks of Shenoute’s Federation, then, would learn not only the monastery’s morality, theology, and monastic discipline by reading Shenoute’s works; they also learned rhetoric. In the Egyptian monastery, despite an emphasis on learning to read, we should imagine that for many monks, this exposure to rhetoric came aurally, by listening to the recitation of Shenoute’s documents. Although we have evidence for a strong book culture in the material evidence from the monastery’s library30 and in the description of monastic practices, a range of literacy levels likely existed in the White Monastery Federation; even if the White Monastery shared the Pachomian Federation’s demand that all monks learn to read, illiterate women and men joining the community in adulthood may not have become fluent readers or advanced writers. Our survey of classical educational practices raises a question about the purposes of literacy education in Coptic contexts: a distinction between education for reading and for writing. In the early and primarily literary sources from the monastic federations of Pachomius and Shenoute, we see an emphasis on reading 26 

Lubomierski 2008, 91–98; ead., 2006, 417–422. To Aphthonia, ed. Amir Zeldes and Caroline T. Schroeder, trans. Amir Zeldes, Coptic SCRIPTORIUM, https://data.copticscriptorium.org/urn:cts:copticLit:besa.aphthonia, version 2.2.0, 2016, online; Kuhn 1956, 36–38; Behlmer 2009, 37–54. 28  Sheridan 2018. 29  Schroeder 2007, 28; Dilley 2017, 73–107. 30  Orlandi 2002, 211–231. 27 Besa,

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and memorizing. Monks should be able to read, memorize, and therefore recite Psalms, the New Testament, and the rules of the monastery.31 And with the attention on memorization, we might wonder if monks who struggled with reading used their memorization skills to try to fake it. Cribiore, argues from her examination of the documentary and papyrological sources that education in Egypt emphasized writing first, then reading.32 T his observation leaves somewhat of a discrepancy between the literary sources and the documentary sources. I suspect that in monasteries, the truth lies with both: education emphasized rudimentary writing as well as the reading or reciting (relying on memorization) of canonical texts. Regarding the education of women, we know that women generally received elementary and grammatical education in late antique Egypt.33 Women’s literary education within Coptic monasticism, however, remains trickier to ascertain. We know that lay Christian and ascetic women corresponded with monastics, especially men.34 We do not know, however, if they all composed their epistles in their own hand, or if they utilized scribes. Evidence for this epistolary practice survives in literary and documentary sources. For example, one female monk (monachē) Maria in T hebes wrote to another male monk seeking prayers for herself and an orphan living in her home. Her letter survives. We know of extensive communication between the women of the White Monastery Federation – especially the mother, the leader of the women’s community – and leaders of the Federation (both Shenoute and his successor Besa). Some of this exchange occurred in writing. However, the women’s letters do not survive; only Shenoute’s and Besa’s responses were copied in the White Monastery and handed down for generations. T he White Monastery women did write on their own behalf, even though their letters do not survive. Shenoute’s rules dictate epistolary exchange as the primary mode of communication between the women’s community and the leadership of the Federation: We have repeatedly said, many times, and written, that the mother or mothers of those in the village shall write to us here about all the things that they need. And we too shall write to you (plur.) about all the things that we need in our domain…. For us and for you, writing is the surest and most profitable thing for our gathering.35

Speaking with the men guarding the gatehouse to the women’s community was forbidden except for emergencies. T he strict restrictions between men and women interacting in the White Monastery Federation mean that some of the women must have been literate in reading and writing, in order to communicate with the rest of the Federation. In the generations after Shenoute’s death, we know of at least one literate woman monk in the Federation. T he previously mentioned letter by Praecepta 140 (Boon 1932, 166). Cribiore 2009, 327. 33  Cribiore 2001, 74–101; ead. 2009, 328. 34  Schroeder 2014, 1–17; Bagnall/Cribiore 2006, 198–210. 35 Shenoute, Canons vol. 6 (MONB.DF 190; Leipoldt 1913, 4:108; trans. Layton 2014, 273).

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Besa to a monk named Aphthonia reprimands the woman for writing to her family, claiming that she has been abused in the monastery. Again, the strict restrictions on interactions between male and female monks leads us to conclude that either Aphthonia wrote the letter herself or another woman in the community acted as her scribe. Where Aphthonia (or her amanuensis) or the leaders of the women’s community received their educations remains elusive – in the monastery? Prior to joining? We cannot know. Nonetheless, educated women lived in the community. Shenoute’s rules and Besa’s letter to Aphthonia provide an important witness to women’s education. T he rules from monasteries such as Shenoute’s or Pachomius’s Federation are sparse when it comes to women. We know little about the daily lives of women monks in Egypt. We have other evidence for women’s monastic literacy in late antique Egypt outside of the White Monastery Federation. In an ostracon from the Epiphanius monastery, Tatre and Katharon request a copy of some scriptures from a certain Moses; Tatre demonstrates her literacy by adding that she writes “in her own hand.”36 Another angle from which we might learn about education is book production and book culture. After everything presented here about school texts and literacy education, one might envision Coptic monasticism as a book culture – com­ munities immersed in books and book production. At the White Monastery Federation, at least, this vision holds true. We know that in the later Coptic period – the 9th–11th centuries – book production thrived, because so many of the codices survive to this day, at least in fragmentary states.37 Even in the fourth and fifth cen­ turies, book production was a significant industry at the White Monastery. Monks could keep books in their cells to read and copy.38 Indeed, monks are encouraged to read books, and any of their colleagues who interfere with, discourage, or dissuade reading receive Shenoute’s disapprobation.39 Book possession, however, is highly regulated. Monks may not bring in books or letters from outside the community without the leadership’s permission. Nor can they share outside books and letters with other community members without permission. Shenoute explains, “For indeed, perhaps there are some words in them that people ought not to hear.”40 Books are also a commodity the monastery trades for other goods. (Other specified forms of payment include gold, bronze, baskets, and sacks.)41 Shenoute’s rules also mention purchasing book binding materials when monks leave the community on short excursions. T his particular rule bans the purchase of any items without permission 36 

O.Mon.Epiph 386; see discussion in Wilfong 2002, 75–76. Orlandi 2002, 227–231. 38  Shenoute, Canons vol. 1 (MONB.YW 211; Munier 1916, 116–117; trans. Layton 2014, 101). 39  Shenoute, Canons vol. 3 (MONB.ZC 301; Leipoldt 1913, 4:204, 206, 207–208; trans. Layton 2014, 129.131). 40  Shenoute, Canons vol. 5 (MONB.XS 385–86; Leipoldt 1913, 4:72; trans. Layton 2014, 191). 41  Shenoute, Canons vol. 6 (MONB.XM 464; Leipoldt 1913, 4:43; trans. Layton 2014, 203). 37 

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from the monastery’s leadership; it then enumerates specific items that might seem innocuous, because they have clear utility for keeping the monastery functioning: tweezers for removing splinters, loom instruments, drinking cups, and book binding materials.42 T hat Shenoute specifically mentions book binding materials among things a monk cannot buy without permission suggests they rank among supplies that the monks do in fact purchase from outside vendors. T he circulation and collection of books seems to be an important practice among Greek and Coptic speaking Egyptian monks. Numerous papyri and ­ostraca record letters from men and women requesting books from their fellow monastics.43 Roger Bagnall estimates that the cost of a book would have been steep in late antiquity.44 Perhaps this is why one ascetic woman (an aeiparthenos) became embroiled in a lawsuit over the ownership of some Christian books.45 T he presence of books in monasteries and anchorites’ homes combined with the high price of books are factors in Hugo Lundhaug and Lance Jenott’s argument resuscitating the hypothesis of monastic origins for the Nag Hammadi Library.46 T he Nag Hammadi Library consists of numerous Coptic codices containing Christian and classical texts that were found near the town of Nag Hammadi in 1945. Certainly the intensely philosophical nature of many of the texts in the Nag Hammadi corpus return us to our earlier discussion about advanced rhetorical and philosophical education in late antique Egypt. Whether these codices originate from a monastery or not, we should not dismiss the possibility that the Nag Hammadi library constitutes an educational library, for philosophical and rhetorical training in or outside of a monastery. Monastic paideia, of course, extended beyond the schoolroom. Monastic education in the sense of a broader, more encompassing paideia involved more than literacy and grammatical exercises. Once again, the White Monastery Federation of Shenoute provides an excellent example, due to the large number of surviving sources. Bentley Layton, in his book, Canons of Our Fathers, argues that the daily liturgy, perhaps even more so than the rules, taught the new monk to be a monk and structured his or her very self. Moreover, joining the monastery, he argues, involved a totalizing “world replacement” for the new monk: [I]t was a totalizing new world – in this total alternative, all the necessities of life now came from new sources. T he substitution of these new patterns in place of the ones belonging to the old civilian life is the essence of monastic resocialization or world replacement.47

42 Shenoute, Canons vol. 9 (MONB.XL fg. 5v, FR-BN 130/4 f. 157v; Layton 2014, 316 [portions of fragment remain unpublished]; trans. ibid., 317). 43  Kotsifou 2007. 44  Bagnall 2009, 50–69. 45  Elm 1989, 209–215. 46 Lundhaug/Jenott 2015. 47  Layton 2014, 77.

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Layton and I disagree about the success or extent of this “world replacement” process.48 Nonetheless, we do see Shenoute striving to create a moral universe for his monks that is unitary and hegemonic. Such a world, however, was constantly on the defensive. In a fragmentary text, Shenoute describes competing paideia’s operating in the monastery. One form of paideia is Shenoute hierarchy, rules, and moral domain. T he other, competing paideia is one of sin and disobedience. In the world of sin and disobedience, monks teach other monks to wander astray. In Shenoute’s moral world, however, the monks have a responsibility to teach each other the teachings of Shenoute’s rulebooks and to hold each other accountable. Shenoute uses a rhetoric of fear and chastisement to hold them their monastic commitments, reminding them of the coming day of judgment when they will answer to God. In the meantime, they answer to each other, and the monks have a responsibility to teach each other in the ways of the Lord. In this text he uses the language of collective experience: “Let us teach ourselves…”49. T hus far, it remains unanswered in the very earliest monasteries of the fourth and fifth centuries: were the monks (male and female) educating anyone other than illiterate adult novices and children living in their communities? Were the monasteries “schools” for anyone outside the monastery? T he Pachomian and Shenoutean rules and Coptic school texts support the notion of illiterate adults, likely men and women, receiving basic literacy education upon joining the monastery, or for somewhat literate monks practicing their hands in their cells. T he rules of Shenoute in particular speak of children – boys and girls – receiving a monastic education, which would include literacy. In the ancient and late antique worlds, however, “schools” properly understood consisted of a teacher to whom parents sent their children to be educated. Famous teachers include Didymus the Blind, Libanius, and Hypatia. Raffaela Cribiore discusses less well-known teachers from Egyptian documentary sources, as well. From Libanius’s writings, we know that families sent children long distances for their education.50 Were children likewise sent to monasteries as schools in late antique Egypt? It is tempting to assume so, and to conjecture that children living in monasteries may have dwelled there temporarily, with the likelihood of leaving upon reaching maturity. I have found no evidence in Egypt, however, for such a tradition, especially in the earlier sources. Rather, if we look at the sources closely, we see an assumption – or at the very least a hope or expectation – that children

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Schroeder 2015. Acephalous Work 22 in Canons vol. 3. Much of the text is unpublished, see two exempla at Coptic SCRIPTORIUM online: Shenoute, A22, ed. by Rebecca Krawiec/Eli­ zabeth Platte/Caroline T. Schroeder/Amir Zeldes, Coptic SCRIPTORIUM, version 1.6.1, 2016, https://data.copticscriptorium.org/urn:cts:copticLit:shenoute.a22, accessed 30 April 2018; database query at https://corpling.uis.georgetown.edu/annis/?id=f3ac0bd0-58f4-4ce8bd4e-352abf7050bf accessed 30 April 2018. 50  Cribiore 2007, 180–181 and the letters in Appendix One (pp. 233–322). 49 Shenoute,

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living in a monastery would remain as adults.51 Shenoute, for example, speaks of the importance of teaching children the rules, since when they come of age, they will be held accountable to the rules.52 We do have one example at Shenoute’s Federation for a monastery caring for people, especially children, who temporarily reside there. During Shenoute’s tenure as monastic leader, people he calls “Blemmyes”, who are likely from Nubia, have launched raids on towns in Egypt near the monastery. T his led to a refugee crisis, and hundreds of people from the nearby area lived on the monastery’s grounds.53 Shenoute writes of paying for meals, for doctors, and even ransom for kidnapped persons. T hese moments, however, were temporary crises. While it seems possible – even likely – schooling for children may have been provided, the intermittent presence of refugees, including children, is not proof that children came to the monastery specifically for schooling. In conclusion, the last two decades of research on both education and monasticism in Egypt has presented somewhat of a historiographic revolution. Both of the following propositions are now widely accepted: that education throughout late antique Egypt was modeled in large part classical forms of education, and that educational programs were pervasive in monasteries. A strong book culture and book economy existed in monasteries, and male and female monks both were educated for literacy. While we must remember that many monks probably memorized necessary texts and listened to other texts read aloud rather than reading the books themselves, monasteries were centers for reading and writing, and prominent Coptic authors used classical rhetoric in their own compositions. Much of this progress in scholarship is due to two major trends in research: 1) the “material turn” in late antique studies, in which the study of papyri, ostraca, and inscriptions have become more central to our research; 2) the increase in Coptic language research, which provides a much broader base of sources than the Greek hagiographical sources, and allows for research across a broader span of time, into the seventh and eight centuries. In addition, I have argued here that rhetorical education continued within the monastery, with scripture and monastic literature serving as the foundation for a rhetorical curriculum. It is difficult to imagine schools for children from outside the monastery in the early communities. Sixth through eighth century T hebes, where the monastic settlements are dense and closely connected to the local villages, is a different context. I expect that as research continues, we will find local cultures of monastic paideia, some of which may have more rhetorical opportunities, others which may involve educating local children, and others that are more limited.

51  T his research forms a key piece of my forthcoming book, Children and Family in Late Antique Egyptian Monasticism. 52 Shenoute, Canons vol. 9 (MONB.DF 178; Leipoldt 1913, 4:98). 53  Schroeder 2007, ch. 3; Lopez 2013, 57–59.

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In this future research, two digital projects may help us assess education – scholastic, monastic, classical – in Egypt. T he PATHs project at Sapienza University plans to provide a comprehensive catalogue of all Coptic textbearing objects, including (where known) their location of origin, their find spots, and other information.54 T he project will then map the objects using geographic information systems (GIS) technology, allowing us to visualize how texts traveled over space and time, and where certain texts were read and/or copied. T he other digital project is Coptic Scriptorium, which is digitizing and linguistically annotating classical Coptic literature by authors such as Shenoute and Besa, and also saints’ lives and other Coptic texts.55 Research on linguistically annotated texts can find patterns in style and rhetoric, allowing us to research more into questions about the rhetorical education and rhetorical influences of Coptic writers. Our perspective on the landscape of education in late antique Egypt, and particularly in Egyptian monasteries, has shifted quite dramatically since the days of Marrou’s description of a simple Antony. Over the next ten to twenty years, we should expect our horizons to expand even further.

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Die religiöse Bildung der prophetischen Urgemeinde im Wandel: Von christlicher zu jüdischer Hermeneutik Angelika Neuwirth Koranforschung heißt zwei elementaren Fragen nachzugehen: Wie konnte ein so schmales Buch wie der Koran – wenig umfangreicher als das Neue Testament – seine Welt innerhalb von kaum drei Jahrzehnten so nachhaltig verändern, dass wir theologisch und kulturgeographisch von einer Wende sprechen müssen, einer neuen Konfiguration der Mittelmeerwelt? Muss diese Wende – das ist die zweite Frage – aber als Bruch verstanden werden, oder lässt sich der Islam, und insbesondere der Koran, noch zur biblischen und hellenischen Tradition rechnen? Die immer noch bestehende Unentschiedenheit dieser Frage, die immer noch gängige Exklusion des Islam aus der europäischen Narrative, zwingt uns – gerade heute – zu einem neuen Nachdenken über die Ursprünge des Koran, und damit über die Bildung der koranischen Urgemeinde, mit der sich eine neue Stimme in die Debatten der Zeit einbrachte. Dass diese Stimme theologisch nicht integriert wurde, sondern ungehört blieb, sodass der Islam als Fremdkörper aus der christlich dominierten Diskursgemeinschaft ausgeschlossen blieb, hat mit früh entwickelten kulturellen Stereotypen zu tun, die bis heute einen Schatten auf unsere Koran-Wahrnehmung werfen.

1. Hermeneutische Fragen – früheste Stereotypen Es ist die Frage nach der im Koran reflektierten biblischen Bildung, die nicht-muslimische Betrachter von Anfang an besonders angezogen hat, die aber auch – und das bis auf den heutigen Tag – die gravierendsten negativen Stereotypen generiert hat. Das erste nachhaltige Stereotyp geht bereits auf Johannes von Damaskus (gest. 756)1 zurück, der sich als erster gelehrter Nicht-Muslim, schon wenige Jahrzehnte nach der Publikation des Korans – um 6552 –, zu diesem geäußert 1 

Johannes Damascenus, De Haeresibus (PTS 22, 19–67 Kotter). islamische Tradition geht von einer Koranredaktion unter dem Kalifen ‘Uthman

2  Die

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hat. Dieser im Arabischen versierte Kirchenlehrer sah im Koran sogleich eine antichristlich-polemische Schrift, verfasst von einem „falschen Propheten“. Seine – bis heute wirkmächtige – Entstehungsnarrative des Islam zeichnet ein negatives Gegenbild zu der islamischen Selbstdarstellung. Doch stellt gerade Johannes’ Koranlektüre auch das Shibboleth bloß, an dem sich noch heute Verstehen und Missverstehen des Koran brechen: die Frage der Hermeneutik, konkret die Frage der Übertragbarkeit christlicher Lektüre-Prinzipien auf nicht-christliche Heilige Schriften. Die islamische Position ist in der Prophetenbiographie des Ibn Isḥāq (gest. 764)3, eines Zeitgenossen des Johannes, dokumentiert. Aus Ibn Isḥāqs Sicht ist die Koranverkündigung ein Prozess, der die arabischen Paganen in die monotheistische Heilsgeschichte einholen sollte, um gleichzeitig die beiden älteren, untereinander zerstrittenen, auf Mose bzw. Jesus gegründeten Religionen zu ihrem gemeinsamen abrahamitischen Ursprung zurückzugeleiten. Beide Autoren sind Zeitgenossen: Johannes schreibt in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts im Kloster Mar Saba in Palästina, unweit der beiden großen Zentren Jerusalem und Damaskus. Ibn Isḥāq schreibt etwa gleichzeitig in Bagdad. Welche Narrative hat recht? Beiden gemeinsam ist das Bewusstsein, dass der Islam in eine Welt hineingeboren wurde, in der die Zugehörigkeit zur biblischen Geschichte eine erstrebenswerte Form religiöser Identität war. Diese Identität hat die Gemeinde Muhammads nach Ibn Isḥāqs Zeugnis erfolgreich erworben, während nach Johannes der „falsche Prophet“ Muhammad trotz des politischen Durchbruchs des Islam mit seiner Lehre gescheitert ist. Dass beide Narrative bis jetzt unverglichen nebeneinander stehen, hat mit der dominierenden primär historisch-philologisch ausgerichteten Islamforschung zu tun, die der islamischen Faktengeschichte die Präferenz vor der spätantiken Ideengeschichte gibt. Ibn Isḥāqs Darstellung disqualifiziert sich nämlich für die westliche Forschung nicht nur dadurch, dass sie etwa 100 Jahre von den Ereignissen entfernt ist und aus schwer kontrollierbaren Quellen schöpft, sondern auch dadurch, dass Ibn Isḥāq die Ereignisse bereits mit einer Deutung unterlegt. Er folgt dabei der repräsentativen Hermeneutik der Spätantike, die Johannes selbst auch exerziert, aber nur der „wahren Prophetie“, nicht der „falschen“, zugestehen will: nämlich der metaphorischen, nicht einfach empirischen Deutung von Aussagen. Um ein einziges Beispiel zu nennen: Wenn der Koran davon spricht, dass eine Schrift vom Himmel „herabgekommen“ ist, so gelten solche Aussagen Johannes als lächerlich, gelotos axia4, obwohl er selbst in seinem Credo bekennt, dass Christus „von den Himmeln herabgekommen“ ist. Dass der Koran hier nicht anders als das Credo metaphorisch vom Logos spricht, gesteht er nicht zu. Und doch verdanken sich beide Ausdrucksweisen eium 655 aus, ein Datum, das sich in etwa mit den gegenwärtig gezogenen Schlussfolgerungen aus den ältesten Handschriften deckt, siehe dazu Sinai 2017, 21–25. 3 Ibn Isḥāqs Werk wurde von Ibn Hishām (gest. 833) redigiert und erweitert: Ibn Hishām, ‘Abd al-Malik, al-Sira al-nabawīya li-bni Hishām. 4  Johannes Damascenus, De Haeresibus 100.

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ner frühen den Logos involvierenden Auslegung von Gen 1, die auch im Prolog des Johannesevangeliums zur Sprache kommt5. Sie sind also nicht im Literalsinn, sondern schrift-referentiell, man könnte auch sagen: typologisch, eine frühere Aussage auslegend und „erfüllend“, zu verstehen. Gott bedient sich bei der Durchsetzung seines Willens auf Erden – gemäß den biblischen Weisheitsschriften – einer Mittlerfigur, des Logos, der in der christlichen Tradition inkarniert ist, während er in der islamischen im Wort des Koran verkörpert ist. Nun gilt Typologie, verstanden als spirituelle Deutung biblischer Figuren und Gedankenfiguren, deren voller Sinn sich erst im Licht der neuen Religionsstiftung „erfüllt“ hat, als charakteristisch für das christliche Schriftverständnis, geradezu als eine christliche Prärogative, auf deren Grundlage sogar ein Überlegenheitsanspruch gegenüber dem Judentum postuliert worden ist. So führt Origenes das Scheitern der Juden auf ihre literalistische Hermeneutik zurück, auf ihre Weigerung, über die materielle Sprache hinauszugehen und den immateriellen Geist zu entdecken6. Das schließlich durchgedrungene Verdikt der Kirchenväter, die Juden seien deshalb nicht verus Israel, sondern ein Israel kata sarka, ein „fleischliches Israel“ geblieben7, gründet letztlich auf der paulinischen Unterscheidung von kata sarka und kata pneuma für literale und figurative Rede8. Derselbe Antagonismus „geistig“ und „ungeistig“ (d. h. „auf den Wortsinn begrenzt“) dürfte sich auch in Johannes’ Verdikt gegen den Koran spiegeln, ein Topos antijüdischer Polemik scheint hier fortzuwirken. Doch ist die Unterstellung eines nicht geistigen, sondern nur auf dem literalen Sinn fußenden Bibelverständnisses und damit einer auch nur literal zu verstehenden koranischen Rede gänzlich willkürlich. Die vom Himmel herabgesandte Schrift als figurativer Ausdruck für die göttliche Kraft, zwischen Transzendenz und Realwelt zu vermitteln, ist nur ein Beispiel für typologisches Bibelverständnis unter vielen. De facto prägt typologisches, an christliche Muster anschließendes Denken bereits die frühesten Teile des Koran und beherrscht die gesamte mekkanische Verkündigung. Dagegen finden sich die von Johannes im weiteren Text monierten und in der christlichen Rezeptionsgeschichte prominent gewordenen wörtlich zu verstehenden polemischen Auseinandersetzungen mit Christen (und Juden) erst in den späten medinischen Teilen des Koran. Der mit dem für Medina zu beobachtenden weitgehenden Verzicht auf Typologie einhergehenden Distanzierung von Christentum und Judentum voraus gehen also – das ist unsere T hese – langwierige und prägende Prozesse der Aneignung christlicher Hermeneutik, die dem gesamten Teilcorpus des mekkanischen Ko5 Siehe zur Deutung des Johannes-Prologs als einer Antwort auf einen Targum zu Gen 1 Boyarin 2001, 242–284. Der Koran führt diese Debatte fort, siehe den Kommentar zu Q 55:1–4 in Neuwirth 2011, 586–620. 6  Boyarin 2003, 24. 7  Boyarin 1993. 8  Röm 7,5 f., siehe dazu Boyarin 2003, 25.

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ran, d. h. den Verkündigungen aus den Jahren 610–6229, einen deutlich spirituell orientierten Charakter verleihen. Die Alltagswelt der Hörer wird dabei von einer als höherwertig erachteten, mit biblischen Figuren besetzten „Textwelt“ überwölbt. Man könnte hier – an Max Weber anknüpfend – von einer „Verzauberung“ der bei den paganen Hörern vorgefundenen, rein empirisch wahrgenommenen Welt sprechen.10 In der medinischen Phase der Verkündigung, d. h. in den Jahren 622–632, wo in dem neu entstehenden Gemeinwesen eine neue Realitätsgebundenheit gefordert ist, wird dies dagegen durch eine weitreichende „Entzauberung der Welt“ abgelöst. Diese dialektische Entwicklung soll an der für die islamische Religionsgenese zentralen Figur des Abraham11 aufgezeigt werden.

2. Abraham als narrative Figur Mit Abraham beginnt für Juden und Christen die biblische Verheißungs-Geschichte.12 Seine Erzählung ist es, die dem die Religionen übergreifenden „abrahamitischen Dreieck“, wie Guy Stroumsa es genannt hat13, zugrunde liegt, das auch den Koran und Islam einbegreifen soll. Es ist nicht verwunderlich, dass Abraham, der im siebten Jahrhundert längst über seine biblischen Dimensionen hinaus eine lange theologische Geschichte durchlaufen hatte, auch im Koran eine vielgesichtige Figur ist, die in verschiedenen Rollen auftritt. Als solche steht Abraham unter den koranischen Propheten einzig da. Abrahams erstes Auftreten im Koran knüpft an Gen 18,1–17 an. Die biblische Erzählung berichtet von einer T heophanie: Abraham wird von himmlischen Gästen geehrt, deren Identität er zunächst nicht durchschaut. Sie kommen, um ihm und seiner Gattin, beide bereits im hohen Alter stehend, die Geburt eines Sohnes anzukündigen. Die erste der drei koranischen Versionen, die dieses Ereignis nacherzählen, ist noch frühmekkanisch und daher in kurzen poetischen Versen gehalten (Q 51:24–30): 24 25 26

Kam zu dir die Kunde von Abrahams Gästen, den geehrten? Als sie bei ihm eintraten und sprachen: Friede. Er sprach: Friede. Unbekannte Leute. Da ging er hinein zu den Seinen und brachte ein fettes Kalb herbei

 9  Der von T heodor Nöldeke begründeten klassischen Chronologie folgend unterscheidet man zwischen drei mekkanischen und einer medinischen Periode der Koranverkündigung, siehe Nöldeke u. a. 1938. 10  Der Versuch, den Koran als Spiegel dieses dialektischen Prozesses zu lesen wurde unternommen von Neuwirth 2017a. Dabei basiert die T hese der ‚Verzauberung‘ nicht zuletzt auf expliziten Vorwürfen, die Realität zu „verzaubern“, die gegen den Verkünder von seinen paganen Gegnern erhoben werden. 11  Die Ausführungen basieren auf früheren Arbeiten der Verf., deren Ergebnisse hier erweitert und vertieft werden, siehe bes. Neuwirth 2010. 12  Siehe zu der Dimension Abrahams als Verheißungsträger Spieckermann 2003, 8–21. 13  Stroumsa 2011.

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und setzte es ihnen vor: Wollt ihr denn nicht essen? Und es überkam ihn Furcht vor ihnen. Sie sprachen: Fürchte dich nicht. Und sie verkündeten ihm einen klugen Knaben. Da kam seine Frau herbei, sie schlug sich auf die Wangen und rief: eine unfruchtbare Alte! Sie sprachen: So spricht dein Herr. Er ist der Wissende und Weise.

Die kurze Erzählung, die den biblischen Bericht referiert, nimmt zugleich ein altarabisches Abrahambild auf. Denn Abrahams spontane Gastfreundschaft gegenüber ihm ganz unbekannten Gästen bestätigt das beduinisch-arabische Ideal der auch fremden Schutzsuchenden zu erzeigenden Großzügigkeit. Die Erzählung ist aber vor allem eine Ankündigungsgeschichte, die deutlich auf die christliche Annuntiation verweist. Wie Maria wird Abraham und seiner namenlos bleibenden Gattin – trotz fehlender physischer Voraussetzungen – die Geburt eines Sohnes prophezeit. Zwar folgt der koranische Bericht darin der Genesis-Geschichte, wo Sarah gleichfalls in ihrer Abwesenheit ein Sohn versprochen wird, doch gibt es deutliche Hinweise auf eine spätantike, aus der christlich-exegetischen Tradition bekannte Einfärbung des Textes14. Nicht nur die Darstellung der Fremden als Engelwesen, erkennbar an ihrer – biblisch nicht vorgegebenen – Verweigerung der Speise, die sowohl der jüdischen als auch der christlichen Tradition zufolge auf ihre Engelnatur deutet, auch die aus der Ankündigung der Geburt Jesu in Lk 1,30 f. bekannte Replik „Fürchte dich nicht“ lässt auf christliche Vermittlung der Geschichte schließen. Die biblisch erzählte Begebenheit der Erscheinung Gottes in Gestalt mehrerer Boten bei Abraham in Mamre reflektiert in ihrer koranischen Wiedergabe also bereits eine exegetische Bearbeitung. Im Koran ist auch nicht von Gott selbst (Gen 18,1) als Besucher die Rede, sondern von Anfang an von einer Mehrzahl von Gästen (V. 24), die nach christlicher Auslegung der Geschichte die Trinität verkörpern. Ephrem von Nisibis zieht nur die christologische Konsequenz, wenn er die biblische Isaak-Ankündigung als Präfiguration der Ankündigung der Geburt Jesu darstellt15. Im Koran bleiben diese typologischen Assoziationen christologisch funktionslos – Abraham und Sarah im Koran sind nicht Präfigurationen Marias –, doch wird Abraham durch die am Modell der Christus-Ankündigung orientierte Erzählung der Sohnesankündigung zu einem neuen Typus von Verheißungsträger – nicht im jüdischen Sinne als Ahnherr eines Volkes, aber doch als Vater- und Vorbildfigur. Die Abraham-Erzählung ist eine erste koranische Momentaufnahme seines Wirkens. Sie wird isoliert von ihrem biblischen Kontext erzählt, wo Abraham im unmittelbar vorausgehenden Kapitel (Gen 17) den Bund der Beschneidung voll14  Eine andere Version der Erzählung in Q 11:69–76, die das ungläubige Lachen Saras (V. 71) über die Ankündigung als den Ausdruck ihrer Vorfreude über die mit der Geburt Isaaks typologisch angekündigte Geburt des Erlösers deutet, ist von Reynolds 2010 untersucht ­worden. 15  Sancti Ephraem Syri, In Genesim et in Exodum Commentarii (CSCO 152, 75 Tonneau).

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zogen und eine zahlreiche Nachkommenschaft versprochen bekommen hat. Was biblisch der Anfang einer großen Verheißung ist – die Ankündigung der Geburt eines Sohnes –, bleibt im Koran auf eine „okkasionelle“ wunderbare Zuwendung an den Gerechten Abraham begrenzt. In keiner der drei koranischen Versionen der Geschichte ist von einer zahlreichen Nachkommenschaft Abrahams mit einer signifikanten Rolle für das Gottesvolk in der Weltgeschichte die Rede, wie sie biblisch (Gen 17,16) zur Ankündigung gehört. Die „Entbettung“ Abrahams aus dem biblisch vorgegebenen genealogischen Diskurs ist aber nicht einfach narrativer Verzicht auf ein Detail, sondern ist als „negative Intertextualität“16 zu verstehen17. Denn obwohl auch frühere spätantike Schriften Abraham unter Ausblendung der Genealogie als vorbildliches Individuum feiern18, hat erst die koranische Darstellung Abrahams Person gänzlich aus ihrer national-historischen Verankerung gelöst und in eine geschichtsferne – man könnte sagen: spirituell abgehobene – „Parallelwelt“ gestellt. Die Gastfreundschaftsgeschichte hat in der – vielleicht auch der Gemeinde zugänglichen – christlichen Tradition häufigen bildlichen Niederschlag gefunden, besonders in dem Ikonentypus der „Philoxenie“, der drei – mit der Trinität identifizierte – Besucher darstellt. Die Prominenz des Motivs hat aber auch mit der in der christlichen T heologie brennenden Frage nach der Inklusivität von Abrahams Gastfreundschaft zu tun19, die in der frühen Abraham-Perikope noch nicht im Blickfeld steht, später aber für das Abraham-Bild umso wichtiger wird, nämlich in Form der folgenden Frage: Wie wirkt sich Abrahams „nicht von vornherein jüdische Identität“ auf seine Gastfreundschaft aus? Abraham bewirtet die himmlischen Gäste, nachdem er zwar kurz vorher seine Beschneidung vollzogen hatte, jedoch schon in einem sehr hohen Alter stand, von dem er 99 Jahre außerhalb des Bundes durch die Beschneidung gelebt hatte. Nach jüdischer Tradition ist Abrahams Gastfreundschaft – im weiteren Sinne der spirituellen Gastfreundschaft –, sein Aufruf zur Verehrung des einen Gottes, inklusiv, er ist nicht auf Juden begrenzt. Paulus, selbst Zeitgenosse der rabbinischen Tradition, hat den Kreis derjenigen, die Anspruch auf Abrahams Gastfreundschaft haben, noch entscheidend erweitert. Im Römerbrief hat er aus Abrahams Gastfreundschaft eine Einladung gerade an die Nicht-Juden, die Nicht-Beschnittenen, in den Abrahamsbund hineingelesen und damit den nicht jüdischstämmigen, hellenistischen Christen die Aufnahme in die neue Glaubensbewegung ermöglicht (Röm 4,9–16). 16  Bauer 2010 hat den Begriff der „negativen Intertextualität“ in die Koranforschung eingeführt. Diese Analysekategorie ermöglicht es, die für die koranische Entwicklung gerade bedeutenden Exklusionen von vorgefundenen T heologumena zu erkennen und die koranischen Innovationen als Antworten wahrzunehmen. 17  Neuwirth 2014a. 18  Siehe etwa Philo, De Abrahamo (91–152 Cohn) und Ephrem (s. o. Anm. 15). 19  Siehe Midrasch Tanchuma. Ein aggadischer Commentar zum Pentateuch von Rabbi Tanchuma ben Rabbi Abba (hg. von Salomon Buber; Wilna 1885), lekh lekha 6, und bSukka 49b, Hagiga 3a.

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Nicht erst kraft des physischen Zeichens, sondern wegen seines bereits vorher gelebten unverbrüchlichen Gottvertrauens ist Abraham Vorbild. „Durch den Glauben“ sind auch spirituelle Kinder Abrahams als solche gerechtfertigt. Die in Q 51 noch nicht als Inklusionsfigur fokussierte Gastfreundschaft wird später für die entstehende islamische Identität grundlegend werden. Sie wird den Schlüsselbegriff für die Selbstwahrnehmung der Gemeinde liefern, die sich als millat Ibra­ him, als „Bundesgemeinde Abrahams“, als „Kreis der Gastfreunde Abrahams“, bezeichnen wird.

3. Mekka und die Biblisierung des paganen Weltbilds Der biblischen Abraham-Biographie folgend müsste nun die Akedah, Abrahams Bereitschaft zur Opferung seines Sohnes, folgen. Stattdessen wird zunächst – in Q 37:83–98 – aber eine Begebenheit erzählt, die in Abrahams Vorgeschichte in Haran zurückreicht: seine Zerstörung der Götzen seines Vaters20. Dieser Begebenheit kommt in der Makkabäerzeit besondere Bedeutung zu, wo man dem Inklusivismus des hellenistischen Judentums entgegentreten musste: Das Jubiläenbuch, aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert stammend, führt die Geschichte im Zusammenhang einer generellen Denigrierung der vorjüdischen Verhältnisse an21. In der Spätantike wird sie philosophisch ausgelegt: Philo liest aus ihr eine Umkehrung der Migrationsrichtung Abrahams heraus; dieser wandert nicht aus der Heimat in ein fremdes Land aus, sondern aus der Fremde in die Heimat ein22. In der koranischen Verkündigung wo sie siebenmal erzählt wird, erhält die Begebenheit wiederum eine neue Bedeutung, bildet nun typologisch die Situation der Gemeinde im paganen Mekka ab (Q 37:83–98): 83 Zu seiner (Noahs) Gemeinschaft gehört auch Abraham. 84 Als er zu seinem Herrn mit lauterem Herzen kam, 85 als er zu seinem Vater und zu seinem Volk sprach:    Was ist das, was ihr da verehrt? 86 Wendet ihr euch lügnerisch Göttern zu –    statt dem einen Gott? 87 Was denkt ihr denn vom Herrn der Welten?‘ 88 Und er blickte auf zu den Sternen 89 und sprach: ‚Ich bin krank‘. 90 Da kehrten sie ihm den Rücken. 91 Er aber wandte sich den Götzen zu und sprach:    Wollt ihr denn nicht essen? 92 Was ist mit euch, dass ihr nicht sprecht?‘ 93 Und er versetzte ihnen einen Schlag der Rechten. 20  Siehe zur Sure den Kommentar zu Q 37 in Neuwirth 2017b, 147–216. Zu der aus der Haggadah bekannten Erzählung vgl. Speyer 1931, 139 f. 21  Siehe dazu Kratz 2003, 53–66. 22  Siehe Philo, De Abrahamo.

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94 Da stürmten seine Leute auf ihn los. 95 Er sprach: ‚Dient ihr etwa dem, was ihr selbst gemeißelt habt? 96 Wo doch Gott euch erschuf und das, was ihr macht?‘ 97 Sie sprachen: ‚Baut ihm einen Bau    und werft ihn in den Brand!‘ 98 Sie planten gegen ihn eine List,    doch wir machten sie zu den Unterlegenen.

Nicht nur der biblische, auch der spätantike Abraham steht für eine Erneuerung: Wenn Abraham im Genesis-Bericht mit seiner Bereitschaft, Heimat und Clan zu verlassen, und seinem grenzenlosen Vertrauen in die göttlichen Verheißungen einen ethisch revolutionären Entwicklungssprung vollzieht, dann vollzieht er im Koran einen nicht weniger revolutionären Entwicklungssprung, hier jedoch epistemisch: durch rigoroses Neudenken. Denn Abrahams Bruch mit seiner Vorgeschichte erfolgt nicht im Gehorsam gegenüber der göttlichen Aufforderung – lekh lekha („zieh fort“) –, sondern ist seine eigene Initiative: Er greift aktiv in die a-rationale, obsolete Praxis der Götzenverehrung seiner Umwelt ein – schon für Philo ein Schritt zur Selbstvervollkommnung und Einsicht in die geistige Struktur der Welt. Die koranische Verkündigung geht noch einen Schritt weiter: Indem Abraham die Götzen argumentativ als machtlos erweist, stiftet er die Paganen, die zeitgenössischen wie die späteren, zu theoretischem Nachdenken an, drängt sie zu der Einsicht in den Status des Menschen als Geschöpf des einen Gottes. Durch seine Zerstörung der Götzen seines Vaters wird Abraham gleichzeitig zu einem sozialen Vorbild für die Gemeinde, die ihrerseits dabei ist, mit der tribalen Kultur ihres Umfelds zu brechen. Wie die Gemeinde tauscht Abraham die genealogische Loyalität zu seinem Vater gegen eine spirituelle, einen Gottesbund23. Er qualifiziert sich damit für seine Rolle als Verheißungsträger, dem nun der bereits in der Gastfreundschaftsgeschichte angekündigte Sohn auch wirklich geschenkt wird. Es folgt unmittelbar anschließend an die Erzählung von der Zerstörung der Götzen – sehr verknappt und überhaupt das einzige Mal erzählt – die Akedah-Geschichte. Sie hat die emotional ergreifende biblische Geschichte in Gen 22,1–19 von Abrahams Bereitschaft zur Opferung seines Sohnes auf einen gänzlich un­ dramatischen Bericht reduziert (Q 37:99–109):   99 Er sprach (zu seinem Vater): Ich gehe hin zu meinem Herrn, Er wird mich leiten. 100 Herr, schenk mir einen von den Frommen! 101 Da verkündigten wir ihm einen sanften Knaben. 102 Als er mit ihm soweit gekommen war, den Lauf zu vollziehen, sprach er: Mein Sohn, ich sah im Traum, dass ich dich opfern soll. So sieh, was du dazu meinst. Er sprach: Mein Vater, tu was dir befohlen wird, du wirst mich, so Gott will, geduldig finden.

23 

Vgl. Neuwirth 2014a.

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103 Als sich die beiden (in Gottes Willen) ergeben hatten,    und er ihn auf die Schläfe geworfen hatte, 104 da riefen wir ihn an: Abraham, 105 du hast den Traum erfüllt. So lohnen wir denen, die Gutes tun! 106 Dies ist eine deutliche Prüfung. 107 Durch ein gewaltiges Schlachtopfer schafften wir Ersatz für ihn, 108 und wir ließen für die Späteren den Spruch zurück: 109 Segen sei über Abraham!

Die Geschichte sollte den Hörern bekannt gewesen sein, denn sie wird im mekkanischen Kerntext von Q 37, ohne den später hinzugefügten V. 102, narrativ gar nicht voll entfaltet, das Opfer selbst wird nur angedeutet. Auch in dieser Reduktion auf die bloßen Fakten könnte wieder ein Verzicht auf die in der spätantiken Literatur beliebten Erzähldetails zu den psychologischen Verfasstheit der Protagonisten zu sehen sein24. Auffallend ist, dass der Sohn aktiv an der Handlung beteiligt ist (V. 103). Dies entspricht der rabbinischen Deutung25, wo die biblisch hochdramatische Geschichte ebenfalls entschärft wird, Abrahams Unterordnung der elementarsten menschlichen Beziehung zwischen Vater und Kind unter seine persönliche Gottestreue nicht zugelassen wird. Doch ist die jüdische nicht die radikalste Umdeutung, die die biblische Geschichte in der Spätantike erfahren hat: Wirkmächtig war vor allem die christliche Ummünzung des Geschehens in einen Typus des Sohnesopfers Gottes selbst, die sich bei den Kirchenvätern findet26. Hier liegt der Akzent auf der Bereitschaft des Sohnes zur Selbstaufopferung. Der koranische Bericht weist noch weitere deutliche Spuren einer vorausgehenden christologisch orientierten Erzählung auf. Aus der Kennzeichnung des Ersatzopfers als „gewaltig“ (V. 107) geht hervor, dass hier typologisch das Christus-Opfer im Hintergrund steht: Gott hat ein anderes, größeres Opfer vor. Wenn dieser Gedanke im Koran auch theologisch unausgesprochen bleibt, so wird dem Ereignis doch auch in Q 37 wieder eine Verheißungsdimension unterlegt. Kein Wort fällt in der koranischen Geschichte über die biblische Auszeichnung der „Abraham-Abstammung“ als Segnung für alle Völker wie in Gen 22,18: „Durch deine Nachkommen sollen alle Völker der Erde gesegnet werden, weil du auf meine Stimme gehört hast.“ An deren Stelle steht die Einführung einer schlichten Segensformel, die von allen Menschen gesprochen werden kann. Abraham bleibt also Teil der spirituellen „Gegenwelt“, noch ohne unmittelbar historische Aktualität. Gleichwohl ist die Geschichte ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Gemeinde zur Konstruktion einer eigenen Identität. Mit dem Abraham-Zyklus aus Q 51 und 24  Flavius Josephus gibt ausführliche Dialoge zwischen Vater und Sohn wieder (Anti­ quitatum Iudaicarum Epitoma; 222–236 Niese). 25  Zu der aus der Haggadah bekannten Erzählung vgl. Speyer 1931. 26  Z. B. Irenäus von Lyon, Adversus haereses 4,5,4 f. (FC 8/4, 42–45 Brox); siehe für weitere Zeugnisse T homas Hieke, Abraham im frühen Christentum, in: WiBiLex (http://www. bibelwissenschaft.de/stichwort/12288/, letzter Zugriff am 06.03.2018).

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37, der die für Judentum und Christentum paradigmatischen Erzählungen des Heimat-Verlassens, des Verheißungsempfangs und der Opferbereitschaft in den Horizont der koranischen Gemeinde holt, wird ein ganz neuer Zugang zur biblischen Vergangenheit eröffnet. Die bis dahin erzählten Geschichten kreisten zumeist um Moses Auseinandersetzung mit Pharao, bildeten also den in der Welt der Gemeinde aktuellen Machtkampf zwischen Tyrannen bzw. Unterdrückern und dem Propheten ab. Mit Abrahams Eintritt in die koranische Narrative wird nun dieses „einfache“ typologische Muster des Abbildens durchbrochen und die Basis für eine andere Typologie, eine „Verheißungstheologie“, gelegt, die über das Mose-Paradigma hinausgeht.

4. Muhammad und Mose Einige kurze Bemerkungen zu dem konkurrierenden Mose-Paradigma sind erforderlich, um die mit Abrahams Profilierung eintretende Wende zu verdeutlichen. Die Identität der sich herausbildenden Gemeinde wird zunächst in der Nachfolge des Mose-Volkes gesucht. Als Empfänger biblischer Botschaften versteht man sich zunehmend als selbst der biblischen Heilsgeschichte zugehörig, als Fortsetzer der von Mose geführten Israeliten27. Wie ist ein solcher Zeitsprung in die biblische Vergangenheit möglich? – Nur dank der bereits vorausgegangenen Verwandlung der historischen Israeliten in ein spirituelles Gottesvolk, dank einer neuen typologischen Lektüre der Bibel. Denn zwischen der biblisch erzählten Geschichte und der spätantiken Deutung steht die erst in der Spätantike etablierte Instanz der „Schrift“, kitāb. Sie genießt bereits in der mittelmekkanischen Verkündigung höchste Autorität – ein Status, der auch im Religionsvergleich Aufmerksamkeit erregt hat. Guy Stroumsa charakterisiert sie so: „Dieses von Natur aus himmlische Buch kann auf die Erde herniedersteigen und sich sozusagen ‚inkarnieren‘, aber es ist im Wesentlichen ewig und funktioniert wie eine Art platonische Idee des Buches, parallel zur geschaffenen Welt und in gewissem Maße als deren Modell.“28 Herabsteigen kann die „Schrift“ aber nur durch das Wort der Propheten. Die in der himmlischen Schrift erzählten Geschichten werden damit zu prophetischen „Mitteilungen“, nehmen eine a-historisch gottesdienstliche Funktion an. Der narrative Pakt der biblischen Erzählungen hat einem „liturgischen Pakt“ Platz gemacht. Das Wort qur’ān, die Selbstbezeichnung der Verkündigung, meint nichts Anderes als die „Lesung“ aus einer – nur Propheten zugänglichen – Lesevorlage, einer himmlischen Schrift, der auch die anderen Heiligen Schriften, also die mit ihnen geteilten biblischen Geschichten, entstammen.

27  28 

Neuwirth 2010, 453–459, 667–676. Stroumsa 2011, 60 f.

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Man mag sich fragen, wie es zu der Wahrnehmung der – hierarchisch hoch über den übrigen Mitteilungen der Verkündigung rangierenden – himmlischen Schrift gekommen ist. Eine plausible Erklärung könnte die Anschauung der Liturgie der Nachbartraditionen liefern. Die aus der himmlischen Schrift mitgeteilten biblischen Geschichten haben in den gottesdienstlichen Feiern der Juden und Christen einen besonderen Status: Sie stehen bei den zeitgenössischen Juden und Christen, als qeri’at Torah oder als anagnosma, als „Lesung“ aus der Bibel, im Mittelpunkt des Zeremoniells. Mehr noch: Vor Beginn der Schriftlesung werden die irdischen Manifestationen der himmlischen Schrift, Kodizes und Schriftrollen, in Prozessionen feierlich herumgetragen und von den Gläubigen verehrt, so dass der Rang der Bibel-Vergegenwärtigung durch Lesung vor allen anderen Gottesdienstteilen außer Frage steht. Nicht dramatisch inszeniert, aber doch im Textverlauf eindeutig hervorgehoben nehmen die biblischen Geschichten seit den mittelmekkanischen Suren auch in der koranischen Verkündigung die zentrale Position ein. Die Suren dieser Zeit sind eben nicht Predigten29, sondern eher ‚Libretti‘ von vollständigen Gottesdiensten der neuen Gemeinde. Die im Text durch Ein- und Ausleitungen hervorgehobenen biblischen Geschichten30 eröffnen der Gemeinde den Einstieg in die „Parallelwelt“ der israelitischen Heilsgeschichte. Diese mentale Bewegung heraus aus der Realität wird in dem mit dem Surenvortrag eng verbundenen Gottesdienstteil des Gebets durch Körpersprache orchestriert: Die Gemeinde markiert ihre Neuorientierung dadurch, dass sie im Gottesdienst dem lokalen Heiligtum, der Kaaba, den Rücken kehrt und sich zum Zentrum des biblischen Heiligen Landes, nach Jerusalem, hin verneigt. Die reale lokale Kaaba, als Ort eines inneren Exils wahrgenommen, wird also mit einem fernen, spirituellen Heiligtum verbunden. Imaginierte, „verzaubernde“ Wahrnehmung der Topographie als in eine spirituelle Welt einmündend, befreit von der belastenden empirischen Realität31. Der Verkünder erlebt sogar eine Traum-Entrückung von Mekka in das visionäre Jerusalem32. Wenn im Koran auch nur von dem Ausgangs- und dem Zielort, dem Heiligtum in Mekka und dem Zielpunkt in (oder über) Jerusalem die Rede ist, so wird die Versetzung selbst doch eindeutig mit dem arabischen Wort für Moses befreienden Auszug, den Exodus – mit ‚isra‘ – bezeichnet. Beide Heiligtümer, das in Mekka und das in und über Jerusalem, werden dabei – spätantik – als masdjid, als „Gebetsstätte“, d. h. nicht mehr als Tempel, bait, sondern als Ort von Liturgie, wahrgenommen: sie bilden eine „Heiligkeitsachse“, durch die Mekka an der Ausstrahlung Jerusalems als heiliger Ort teilhat.

29 

Reynolds 2010, 586. Neuwirth 2010, 321–327. 31  Siehe dazu jetzt Neuwirth 2017a. 32  Zu dem vom Propheten Muhammad mit seiner visionären Nachtreise nach Jerusalem vollzogenen „transhistorischen Exodus“, Isra‘, siehe Neuwirth 2017a, 181–223. 30 

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5. Abraham als Akteur in der Geschichte Abraham ist mit diesem neuen Raum-Konzept zunächst nicht verbunden. Anders als Mose33 hat Abraham keine kohärente Vita im Koran, seine Person steht symbolisch für „Gottvertrauen“ und beherztes Eintreten für den reinen Gottesdienst. Dennoch wird er, insofern ihm und ihm allein Nachkommen als Fortführer seines Gottesdienstes gewährt sind, als einziger koranischer Prophet mit einer Zukunftsverheißung für die Geschichte verbunden. Sie bleibt zunächst unterschwellig, da er bis in mittelmekkanische Zeit hinein eine Beispielfigur aus der biblischen ‚Schrift-Welt‘ bleibt, die sich nicht direkt mit der Realwelt berührt. Doch kurz vor der Auswanderung der Gemeinde nach Medina tritt Abraham unerwartet in die „reale Geschichte“ ein. In einem Gebet erbittet er eine segensreiche Zukunft für die Gemeinde (Q 14:35–40): 35

Als Abraham sprach, Herr, mach diese Ortschaft sicher! Und lass mich und meine Söhne den Götzendienst meiden! (…) 37 Herr, ich habe Leute aus meiner Nachkommenschaft angesiedelt in einem Tal,    in dem kein Getreide wächst, damit sie das Gebet verrichten.    Mach, dass die Herzen der Menschen sich ihnen zuneigen und beschere    ihnen Früchte, auf dass sie dir dankbar seien! (…) 39 Lob sei Gott, der mir noch im hohen Alter Ismael und Isaak geschenkt hat.    Mein Herr erhört das Gebet. 40 Herr gib, dass ich das Gebet verrichte und Leute aus meiner Nachkommenschaft!    Herr nimm mein Gebet an!

Typologisch gesehen wird damit eine Segnung nachgeholt, die die Israeliten längst erfahren haben: Nachdem ihm in Gen 15 das Vorauswissen um die nationale Zukunft seiner jüdischen Nachkommen anvertraut worden war, erbittet Abraham nun eine Verheißung auch für seine arabische Nachkommenschaft. Mit dieser Bitte um ein historisches Eingreifen Gottes in die Geschicke der arabischen Nachkommen (der nachmaligen Glaubensgemeinde) qualifiziert sich Abraham – wie das von keiner anderen biblischen Gestalt gilt – als Schutzherr der neuen Gemeinde. Sure 14 gehört in die Zeit kurz vor der erzwungenen Auswanderung, in der zwei Selbstbilder, das biblisch geprägte der Gemeinde und das eher autochthon-arabische der Gegner des Propheten auf einander prallen. Mit dem Gebet bietet sich Abraham als eine mögliche Brückenfigur an: Als spirituelles Glaubensvorbild der Gemeinde, konkret: erfahren im Gebet, und gleichzeitig als Stammvater der Araber, nämlich als Garant des Wohlergehens einer Nachkommenschaft, konnte er sich nun auch für seine arabischen Kinder verwenden. Der Text des Gebets ist eine arabische Gegenversion zu Gen 15, wo ihm der Einzug ins verheißene Land für seine Nachkommen über Isaak prophezeit wird. Diesem Einzug soll nun eine 33  Eine Kindheitsgeschichte und Darstellung der Mose-Vita bis zur Idolatrie-Episode bietet Q 20.

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Rolle für seine arabischen Nachkommen entsprechen, aber nicht in einem Land, da Milch und Honig fließt, sondern in einem unfruchtbaren Gebiet, in Mekka, einer Stadt, die nur durch ihr Heiligtum ausgezeichnet ist. Die kurze Versgruppe nimmt typologisch auf die biblische Landverheißung Bezug, die sie invertiert. Wieder wird eine Großverheißung – vorher war es die der zahlreichen Nachkommenschaft, nun ist es die des Einzugs in ein fruchtbares Land – auf minimale Maße zurückgeschnitten. Abraham ist nicht Vater von Nationen, die Anhänger seiner Frömmigkeit sind gerade nicht privilegiert. Mit dem Rückbezug nicht auf christliche, sondern auf biblisch-jüdische Tradition werden zugleich die Grenzen zwischen der ‚Parallel-Welt‘ und der Realwelt aufgehoben. Mit der Politisierung von Abrahams Prophetenrolle, zeichnet sich für Abraham bereits der Sonderstatus eines nicht nur in der Textwelt beheimateten, sondern auch in der Realwelt aktiven Propheten ab, durch die er in medinischer Zeit zur Gründerfigur einer neuen Geschichte werden wird.

6. Medina und die Arabisierung des biblischen Weltbilds Spricht man über Medina, so reicht die einfache, für die mekkanische Zeit gültige Vorstellung von der Gemeinde als einer typologisch an biblischen Vorbildern orientierten Betergemeinschaft, die missionarisch für den Eingottglauben eintritt, nicht mehr aus34. Man hat für diese Situation davon auszugehen, dass der Verkünder und seine Hörerschaft nun (622–632) mit gebildeten Mitgliedern einer jüdischen Gemeinde konfrontiert waren, die über ein ungleich tieferes und breiteres Bibelwissen verfügten als sie selbst. Dieses Wissen war bei ihnen nicht primär Gegenstand frommer Meditation, sondern vor allem gelehrter Verhandlung. Das bekannte rabbinische Prinzip „Nicht im Himmel ist sie (die Torah), sondern auf Erden“ – ein Kürzel für die in der jüdischen Tradition bereits erfolgte „Erdung“ der Torah durch die Exegese ihrer Ausleger35 – kann den hermeneutischen Graben ausleuchten, der sich zwischen der neu entdeckten jüdischen Bibellektüre und der bis dahin spirituell wahrgenommenen biblischen Parallelwelt für die Gemeinde auftat. Denn anders als die Gemeinde besitzen die Juden die Bibel „wörtlich“: Sie sind aus ihrem Gottesdienst mit den biblischen Texten verbatim vertraut36, die sie durch eine eigene, für die jüdische Heils- und Nationalgeschichte relevante Aus34 

Zu den medinischen Suren siehe Neuwirth, 2010, 510–527. Formel formuliert das Fazit aus einer rabbinischen Debatte über den Status von Text vs. Exegese, aus der die Exegese als höherrangig gegenüber dem Text hervorgeht, siehe bBava Metzia 59a–b. Siehe dazu Scholem 1996, 102–104. 36  Eine in Q 7:172–174 den medinischen Juden zugeschriebene Verfälschung eines Torah-­ Verses, der zunächst unentdeckt bleibt, dann aber durchschaut wird, beruht auf einem Wortspiel, das die wörtliche Kenntnis des Bibelverses seitens der jüdischen Gewährsleute voraussetzt, siehe dazu Hartwig 2008, 191–202. 35  Die

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legung verstehen. Von der Gemeinde für verbürgt gehaltene Wissensbestände aus der spirituellen Parallelwelt werden durch die Begegnung mit der jüdischen Exegese, in der diese eine politische Kontextualisierung erfahren haben, notwendig verfremdet. Diese in Medina bei den jüdischen Exegeten vorgefundene politische Lektüre von Schrifttexten bleibt nicht unbeachtet. In der Tat ist das auffallendste Merkmal der „neuen“ Verkündigung ihre politische Dimension. Nicht nur entstehen nun politische Ansprachen, auch einzelne bereits in Mekka verkündete Texte werden in Medina einer Revision unterzogen, die nachträglich politische Konsequenzen aus dem Mitgeteilten zieht37. Unter diesen nachträglich als politisch signifikant erkannten Texten sollte auch und vor allem die für die jüdische Identität zentrale Geschichte von Abrahams Sohnesopfer, die Akedah, gewesen sein. Wir können diese ‚Entdeckung‘ der jüdischen Bedeutungsdimension der Akedah durch die koranische Gemeinde nur aus einigen koranischen Texten erschließen, deren Zeugnis aber insofern relevant ist, als sie nur vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit der jüdischen Deutung Sinn ergeben. Die Akedah, die in Mekka (Q 37:99–108, ohne 102) noch erbaulich, als beispielhafter Treuebeweis der Person Abrahams, dargestellt worden war, muss jetzt in ihrem vollen theologischen Gewicht erkennbar geworden sein: nämlich als Urszene des jüdischen Opferkults38, so wie sie in der Spätantike wahrgenommen wurde. Mit Abrahams Opferaltar, so die rabbinische Auslegung – war das Fundament für den salomonischen Tempel gelegt worden – eine exklusiv jüdische Angelegenheit. Was konnte die Akedah angesichts dieser bereits erfolgten Vereinnahmung als Teil der jüdischen Kultgeschichte für die neue Gemeinde noch bedeuten? Die Frage tangiert den Status des Gebetsrichtungsziels, Jerusalem. Welche Auswirkungen hatte die neue Deutung der Akedah als Gründungsereignis des Tempelkults auf das Bild des ja auch für die Gemeinde als Gebetsrichtung und damit als spirituelle Heimat relevanten Jerusalem? In Mekka hatte der Tempelkult als Institution keine Rolle gespielt, der Jerusalemer Tempel war im Gegenteil bereits nicht mehr räumlich, sondern in seiner spätantiken Sublimierung zu einem kosmischen, spirituellen Heiligtum wahrgenommen worden. Q 17:1 spricht von einem „ferneren Heiligtum“, al-masdjid ­al-a-qs.a, zu dem hin der Prophet in einer visionären Reise versetzt worden sei – eine Vorstellung, die an das christliche „himmlische Jerusalem“ anknüpft. Dennoch wird der physische Tempel für die medinische Gemeinde unerwartet zum neuen Modell des monotheistischen Heiligtums: Am Ende der Entwicklung steht die Realität eines aus Stein gebauten Tempels als Zentrum der rituellen Verrich-

37  Ein frappierendes Beispiel ist die nachträgliche Umdeutung der Geschichte von der Idolatrie des Goldenen Kalbes, siehe Neuwirth 2014b. 38  Siehe dazu Neuwirth 2017a, 225–246.

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tungen. Die Kaaba kommt wieder zu Ehren, sie wird als kultisches Zentrum der sich nun herausbildenden neuen Religion etabliert. Man kann diese Wende nicht einschneidend genug einschätzen, denn mit der neuen Heiligtumsvorstellung wandelt sich der Status des bisher im Mittelpunkt der Gebetsliturgie stehenden Jerusalem. Indem nun der jüdische Opferkult als ‚raison d’être‘ des irdischen Jerusalem in den Blick trat, fiel die Vorstellung von der mit einem transzendenten Jerusalem verbundenen „ferneren Gebetsstätte“, als dem universalen monotheistischen Heiligtum, zu dem hin man seit Jahren seine Gebete ausgerichtet hatte, in sich zusammen. Der Ort war nicht nur als der jü­dische Tempel bereits ‚besetzt‘ mit schwerwiegenden biblischen, exklusiv jü­dischen Verheißungen. Er hatte zusätzlich durch seine Gründung durch den jü­dischen Erzvater Abraham eine genealogisch-politische Bedeutung erhalten39. Dieses auch politisch vereinnahmte Jerusalemer Heiligtum entsprach nicht mehr der ökumenischen, spirituellen Gebetsstätte, dem „entfernten“, d. h. transzendenten Heiligtum, dem masdjid al-aqs. ā. Damit geriet die Heiligkeitsachse Mekka-­ Jerusalem und mit ihr die in der frühen Verkündigung etablierte „spirituelle Parallelwelt“ in Erschütterung.

7. Die qibla-Änderung Die hier wirksamen Irritationen sind im Koran nicht dokumentiert, wir stoßen stattdessen auf ein fait accompli, die Fanal-ähnliche Weisung, die Gebetsrichtung nach Mekka zu verlegen (Q 2:142–145): 142 Die Törichten unter den Menschen werden sprechen: „Was brachte sie von ihrer Richtung ab, in der sie bisher gebetet haben?“ Sprich: „Gottes ist der Osten und der Westen. Er leitet, wen er will, auf einen geraden Weg.“ 143 So machten wir euch zu einer Gemeinde, die in der Mitte steht, auf dass ihr Zeugen für die Menschen seid und der Gesandte für euch Zeuge sei. Wir machten die Richtung, in der du bisher gebetet hast, nur deshalb, um zu unterscheiden, wer dem Gesandten folgt und wer auf dem Absatz kehrtmacht. Wenn es tatsächlich schwer ist, dann nicht für die, die Gott geleitet hat. Es ist Gott nicht gemäß, dass er euch euren Glauben verlieren lässt. Siehe, Gott ist zu den Menschen wahrhaft gütig, barmherzig.

39  Siehe dazu Witztum 2009. Die Übertragung des Abrahamsopfers auf den Tempelberg ist auch Gegenstand von bildlichen Darstellungen, man denke an den Mosaik-Fußboden der Synagoge von Bet Alpha; siehe dazu Kanael 1961, 84.

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144 Wohl sehen wir, wie du dein Angesicht gen Himmel hin- und herbewegst. So wollen wir dir eine Richtung geben, die dein Gefallen findet. So wende nun dein Angesicht zur heiligen Anbetungsstätte! Wo immer ihr auch seid, kehrt euer Angesicht ihr zu! Siehe, denen das Buch gegeben wurde, die wissen wahrlich, dass es die Wahrheit ist von ihrem Herrn. Gott lässt, was sie tun, nicht unbeachtet. 145 Kämst du auch mit einem jeden möglichen Zeichen zu den Buchbesitzern, sie würden deiner Richtung ebenso wenig folgen wie du ihrer, wo doch keiner von ihnen der Richtung des anderen folgt. Und wenn du ihren Neigungen folgen wolltest, nachdem etwas vom Wissen zu dir kam, so wärst du wahrlich einer von den Frevlern.

Dieser frühe Reformschritt der medinischen Gemeinde, traditionell ins Jahr 2 datiert, war als einschneidender Eingriff in das liturgische Leben offenbar eine umstrittene Maßnahme, deren Durchsetzung einer ausführlichen Offenbarung (Q 2:142–145) bedurfte. Wenn die Institution der Gebetsrichtung hin zum Tempel bei den Juden eine nicht nur spirituelle, sondern auch heilsgeschichtlich-politische Dimension besaß, wie dies bereits aus dem in die Exilszeit zu datierenden Tempelweihe-Gebet40 hervorgeht, aber noch konkreter dadurch, dass sich der Tempel symbolisch auf den einzigartigen Treueakt des jüdischen Stammvaters Abraham und seines Sohnes gründete, dann musste auch die neue islamische qibla einem heilsgeschichtlichen Anspruch genügen. Aus der Abraham-Fürbitte für seine arabischen Nachkommen als deren Schutzherr in Q 14:35–40 ging bereits seine besondere Verbindung zu Mekka hervor. Mekka verdankte seine Bestimmung als Heiligtum für die arabischen Nachkommen Abrahams dessen Gebet für die Segnung der Stadt und ihrer Bewohner. Es ist von hier ein kurzer Schritt hin zu der Vorstellung, dass die Kaaba – analog zum Jerusalemer Tempel – auch von ihm errichtet wurde41. Die Gründungsgeschichte der Kaaba wird nicht narrativ entfaltet, sie liegt aber zwei – anders nicht sinnvoll verstehbaren – Texten zugrunde. Der erste ist ein in die mekkanische Akedah-Erzählung eingefügter Zusatzvers zu der bereits zitierten Versgruppe Q 37:102, der das unmittelbare Vorspiel zur mekkanischen Heiligtumsstiftung liefert:

40  Siehe vor allem 1 Kön 8,49 f.: „So wollest du ihr Gebet und Flehen hören im Himmel, an dem Ort, wo du wohnst, und ihnen Recht schaffen und wollest vergeben deinem Volk, das an dir gesündigt hat, alle ihre Übertretungen, mit denen sie gegen dich gesündigt haben, und wollest sie Erbarmen finden lassen bei denen, die sie gefangen halten, sodass sie sich ihrer erbarmen.“ 41  Die von einzelnen Forschern, wie Nagel 2003 angenommene, bereits vorkoranische Verbindung Abrahams zu Mekka ist nicht zu erweisen; sie ist zumindest nicht Teil des Bildungshorizonts der Hörer Muhammads gewesen, siehe dazu Sinai 2009 und Neuwirth 2010, 633–651.

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102 Als er (Abraham) mit ihm (seinem Sohn) soweit gekommen war, den Lauf-Ritus zu vollziehen, sprach er: Mein Sohn, ich sah im Traum, dass ich dich opfern soll. So sieh, was du dazu meinst. Er sprach: Mein Vater, tu was dir befohlen wird, du wirst mich, so Gott will, geduldig finden

Der auf den ersten Blick unauffällige Vers enthält Elemente, die seine biblische Kontextualisierung mit dem Berg Moria unmöglich machen. Das Alter des ­Sohnes – offenbar als mündig – wird festgemacht an seiner Fähigkeit, einen der H.adjdj-Riten, den rituellen Lauf zwischen al-S.afa- und Marwa, zwei kleinen Heiligtümern in der Umgebung Mekkas, mit zu vollziehen. Diese Angabe verlegt die Handlung der Akedah vom Berg Moria (bzw. wenn wir der rabbinischen Interpretation folgen: vom Tempelberg) auf die arabische Halbinsel. Abraham befindet sich mit seinem Sohn auf der Pilgerfahrt, dem H.adjdj, in Mekka, er ist im Begriff, den „Lauf-Ritus“ zu vollziehen, der dem Abschluss-Ritus der Opferung vorausgeht, als er in einem Traum den Auftrag zur Opferung des Sohnes erhält. Er zieht den Sohn zurate und erhält dessen Zustimmung. Wo fand jedoch das Opfer statt? Diese Frage wird in einer Fortsetzung des kurzen Vater-Sohn-Dialogs in Q 2:127– 129 beantwortet, wo die beiden Patriarchen während ihrer Opfervorbereitungen ein Gebet sprechen, das faktisch den Gründungsakt der Kaaba besiegelt: 127 Als Abraham die Grundmauern des Tempels (bait) aufrichtete, sprachen er und Ismael: „Unser Herr nimm (unser Opfer?) von uns an! Du bist der Hörende, der Sehende. 128 (…) Weise uns in unsere Riten ein und wende dich uns zu! Du bist der, der sich zukehrt, der Barmherzige. 129 Unser Herr, lass unter ihnen einen Gesandten aus ihrer Mitte auftreten, der ihnen deine Zeichen (Verse) vorträgt und sie die Schrift und die Weisheit lehrt und sie läutert. Du bist der Mächtige, der Weise“.

Wie Joseph Witztum42 gezeigt hat, liegt hier eine koranische Reinszenierung der Akedah vor, in deren Zentrum die Bauaktivität und das Gebet der beiden Pa­ triarchen steht. Beide sind gemeinsam aktiv. Hier ist es der arabische Sohn, der mitwirkt und damit dem Kaaba-Kult eine gleichzeitig biblische und arabische Genea­logie verschafft. Nachdem Mekka bereits den Rang als Gebetsrichtung, als Sammelpunkt aller im Exil gesprochenen Gebete von Jerusalem geerbt hatte, erbt Mekka mit diesem Gebet (V. 129) noch einen weiteren Ruhmestitel Jerusalems, den des Ausgangsortes von Wortgottesdienst. Mekka ist damit zu einem neuen Jerusalem geworden, das der axialen Verbindung zur „ferneren Gebetsstätte“ nicht mehr bedarf. Sein Heiligtum ist nun ein unabhängig-nationales, ein Tempel, bait, und insofern 42 

Witztum 2009.

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dieses Heiligtum auf Abraham zurückgeht, ist es sogar das ältere gegenüber dem Tempel in Jerusalem (Q 3:96): Der erste Tempel, bait, der den Menschen errichtet wurde, ist der in Bakka (d. h. Mekka) – als Segen und Rechtleitung für die Welten.

Damit hat sich der Blick auf die Heiligtümer gewendet: Sie sind nicht mehr spirituelle Endpunkte einer imaginierten Heiligkeitsachse Mekka-Jerusalem, sondern sind – für die Argumentation „entzaubert“ – zu realen „Tempeln“ innerhalb von Nationalgeschichten geworden. Insofern aber die Heiligkeit der einstigen Achse nun an dem einen Punkt Mekka zusammenfließt, insofern Mekka die Heiligkeitszeichen Jerusalems, Ursprungsort von Prophetie und Schrift zu sein, erbt, bleibt seine besondere Aura des Heiligen – nun mit der Kaaba verbunden – für den Kult erhalten. Der „Typus“ Jerusalem mit seiner Verbindung zu den Israeliten ist durch den „Antitypus“ Mekka, dessen Heiligtum von Abraham gegründet ist, überlagert – oder aus anderer Perspektive: neu verkörpert worden.

8. Millat Ibrahim – die neue „Gastfreundschaft Abrahams“ Mit der Verbindung des Kaaba-Kults mit Abraham beginnt die politische Geschichte Abrahams für den entstehenden Islam. Sie wird in der Forschung oft als einem Kalkül, einem diplomatischen Schachzug verdankt, dargestellt. Die neue politische Errungenschaft der Vereinigung der paganen Araber unter dem nun abrahamitisch verstandenen Kult an der Kaaba ruht aber vor allem auf einem neuen Denken. Die Situation des Verkünders in Medina ähnelt der des Paulus, dem es darum ging, die Abraham-Gastfreundschaft auf die nicht-jüdischen angehenden Christen zu erweitern43. Dies allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass Abraham für Paulus bereits eine „Figur der Exegese“ gewesen war und nicht – wie im Falle der mekkanischen Verkündigung – eine Gestalt aus der zeitenthobenen spirituellen „Parallelwelt“. Wenn die medinische Argumentation an paulinische Muster anknüpft oder ähnliche Muster entwickelt, so vollzieht sie damit den Schritt der anderswo bereits vollzogenen Umdeutung Abrahams nach. Abraham ist in der Spätantike nicht mehr primär eine biblische Gestalt, sondern eine exegetisch verfügbare Sinnfigur. Hier erweist sich nun die anderswo viel diskutierte „Gastfreundschaft“ als tragfähig. Es ging darum, die neue Gemeinde als „Angehörige Abrahams“, „Gastfreunde Abrahams“ (millat 44 Ibrahim) zu erweisen – ein Gedanke, der schon in Abrahams Zusicherung in seinem Gebet für Mekka 43 

Aurelius 2003. Die Etymologie des koranischen Neologismus milla ist umstritten. Die häufig vertretene Ableitung aus aramäisch meltha, „Wort“ steht in keinem direkten Zusammenhang mit der Figur Abrahams. Vielmehr dürfte dessen wichtigste Errungenschaft, der „Bund aus der Beschneidung“, berit mila, hinter dem Kürzel mila, arab. milla stehen, die im Koran für eine weiter reichende Bundeszusammengehörigkeit reklamiert wird. 44 

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in Q 14:36 angesprochen worden war, wo es heißt: „wenn einer mir folgt, so gehört er zu mir“. Es waren nun Argumente für die Inklusivität von Abrahams Gastfreundschaft zu entwickeln, die auch die neue Gemeinde einfassen konnte. Dazu waren neben dem jüdischen Gedanken der Privilegiertheit der jüdischen Abrahamskinder auch christliche Ansprüche zu entkräften: Abrahamskindschaft – so heißt es in Q 3:65.67 f. – ist durch keine Schrift verbrieft, denn seine Frömmigkeit geht der Entstehung der Buch-Religionen voraus. 67

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Ihr Leute der Schrift, was streitet ihr euch über Abraham, wo doch Torah und Evangelium erst nach ihm herabgesandt wurden? //Abraham war nicht Jude, noch Christ. Er war ein gottergebener ḥanīf [d. h. ein Gottesdiener aus den Völkern]. (…)./ Die Menschen, die Abraham am nächsten stehen, sind die, die ihm gefolgt sind und dieser Prophet, und die, die gläubig sind! Gott ist der Freund der Gläubigen.

Offenbar ist der kontrovers wahrgenommene jüdische und gleichzeitig christliche Anspruch auf Abraham nun auch im Bewusstsein der Gemeinde zum Anstoß geworden. In dieser Auseinandersetzung beansprucht die Gemeinde ihren eigenen Platz: nämlich als spirituelle – nicht durch historische Konfessionsentwicklung erst dazu aufgestiegene – Abrahamsgemeinschaft, als millat Ibrahim. Dieser Sinnzuwachs der Gestalt Abrahams, die bereits erfolgte Erfüllung seiner Gebete und seine Präzedenz vor den etablierten Religionen, koinzidiert mit der Herausbildung eines neuen Selbstbilds des Verkünders. Aus dem Apostel, dem „Gesandten“ (rasūl) Muhammad, der in Mekka einen „eschatologischen Ökumenismus“ vertrat, ist in Medina ein „Prophet“ (nabī) mit einer prononciert eigenen religionspolitischen Botschaft geworden. Er ist aber nicht nur ein Prophet aus der biblischen Tradition, er ist gleichzeitig ein Prophet aus einer Gegentradition, der Gemeinschaft der bereits von Paulus geadelten Frommen „aus den Völkern“. Er nimmt zu Ende seiner Laufbahn den Titel eines nabī ummī, eines „Propheten aus den Völkern“ (ein arabischer pun aus hebräisch navi me-ummot ha-‘olam) an (Q 7:157 f.): 157 Ich werde meine Barmherzigkeit gewähren, denen die gottesfürchtig sind … und die dem Gesandten, dem Propheten aus den Völkern (nabī ummī), folgen, den sie bei sich in der Torah und im Evangelium verzeichnet finden, der ihnen gebietet was recht ist und verbietet was verwerflich ist und der die guten Dinge für erlaubt, die schlechten für verboten erklärt und die drückende Verpflichtung und die Fesseln, die auf ihnen lagen, abnimmt. 158 Sprich: Ich bin der Gesandte Gottes, des Herrschers über Himmel und Erde, an euch alle, kein Gott außer ihm!. Er macht lebendig und lässt sterben. Darum glaubt an Gott und den Propheten aus den Völkern und folgt ihm!

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Hier stehen die Nicht-Juden, die „Völker“, beiden, den Juden und den Christen, gegenüber. Umso leichter sind sie selbst zu identifizieren, nämlich als die Bewohner der arabischen Halbinsel, die keiner der beiden großen Religionen angehören. Sie, die am Anfang der koranischen Entwicklung noch uneingeschränkt ihre Vorbilder in Juden und Christen sahen, lassen diese nun hinter sich zurück und behaupten, selbst die neue ideale Gemeinde, nämlich Nacheiferer Abrahams zu sein, seiner Gemeinschaft (milla), seiner Gastfreundschaft, anzugehören – eine Selbsteinschätzung, die an die paulinische erinnert. Die Etablierung einer abrahamitischen „Gemeinde aus den Völkern“ auf der Halbinsel ist dabei kein bloßer Anspruch: Der durch die christliche Exegese der Bibel geprägten „Verzauberung der Welt“ in der mekkanischen Verkündigung folgte ja in Medina eine exegetische „Veralltäglichung“ eine „Entzauberung“, der spirituell besetzten Figuren und Gedankenfiguren, die nun nach dem Vorgang der jüdischen Exegese45 in die empirische Welt hereingeholt wurden. Abraham ist am Ende der Verkündigung gar nicht mehr Teil der biblischen „Parallel-Welt“, sondern vollends Teil der lokalen Geschichte geworden, die nun ihrerseits zu einer parabiblischen Geschichte geworden ist. Er ist zugleich aus einer biblischen zu einer „spätantiken Figur“ geworden, zu einem für die Exegese zur Verfügung stehenden Sinnträger. Es ist diese bereits innerweltlich „verfügbare“, da zu einem exegetischen Faktor abstrahierte Abraham-Figur, die sich durch die Zeiten als Brückenfigur geeignet hat und noch eignet. Nicht mehr wie in den Philoxenie-Geschichten vom Geheimnis des Numinosen umflort, sondern selbst historisch aktiv werdend, kann Abraham nun eine exegetische Funktion übernehmen, nämlich Gastfreundschaft an Nichtjuden leisten, seinen Gottesbund für sie öffnen. Er wird, indem er nun fest für die Realwelt reklamiert wird, zum eigentlichen „Begründer“ der sich herausbildenden neuen Religion, die der Verkünder Muhammad nur vervollkommnet. Er ist damit der Anfangspunkt einer religionshistorischen Achse, deren Endpunkt Muhammad besetzt. Abraham – nicht Mose und nicht Jesus – ist deswegen auch die einzige biblische Referenz im täglichen Gebet der Gemeinde, das eine Litanei enthält, die Abraham und Muhammad, die beiden „Architekten“ der neuen Religion, über ihr vorher aufrechterhaltenes typologisches Verhältnis hinaus in ein Sukzessionsverhältnis stellt, durch das nun Abraham definitiv zu einer innerweltlichen Figur wird: Gott, segne Muhammad und das Haus Muhammad, wie du Abraham und das Haus Abraham gesegnet hast. Und gib Heil Muhammad und dem Haus Muhammad, wie du Abraham und dem Haus Abraham Heil gegeben hast. 45  Sie wird auf eine Formel gebracht in dem talmudischen Verdikt: „Denn nicht im Himmel ist sie (die Torah), sondern auf Erden“, mit dem eine rabbinische Erzählung endet, die die Höherrangigkeit der Exegese gegenüber dem Text vertritt, siehe bBava Metzia 59a–b. Siehe dazu Scholem 1996.

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Hiermit ist der Prozess der Abstoßung von der christlichen Tradition abgeschlossen. Wenngleich mit der Zentralisierung Abrahams noch dem paulinischen Konzept der Rehabilitierung der Gläubigen „aus den Völkern“, der im Koran ummiyun genannten neuen Monotheisten, Rechnung getragen wird, so ist doch die Lokalisierung des neuen Zentrums in das mit dem biblischen Abraham verbundene Arabien ein deutlicher Indikator einer Wende: Die nun erfolgende Verlegung der Topographia sacra nach Arabien, das damit eine Re-Biblisierung erfährt, ist eine Abkehr von Gedächtnisorten der christlichen Bibel, insbesondere dem zwischen Realität und Transzendenz oszillierenden Jerusalem. Obwohl in der Gebetsformel kaum primär an genealogische, sondern an spirituelle Nachkommen gedacht sein sollte, – es geht nicht um den im Koran ganz marginalen Abraham-Sohn Ismael – steht Abraham, der sich ja bereits früh als Schutzherr der neuen mekkanischen Gemeinde qualifiziert hatte und der mit seiner Erneuerung der Hadjdj-Riten zum Gründer des mekkanischen Heiligen Bezirks erkennbar geworden war, auf arabischem Boden. Die Gebetsformel weist den Islam als eine auf den Abrahamsbund gegründete Religion aus. Die Gemeinde hat sich damit definitiv aus ihrer christlich-geprägten Verankerung, der typologisch mit christlichen Sinnfiguren unterlegten Lektüre biblischer Geschichten gelöst. Im Hintergrund steht nicht mehr die von vielen Geschichten unterschwellig mitgetragenen Verheißung einer Erlösung. Vielmehr ist mit der Identifikation des letztgültigen Heilsvermittlers als eines Abraham nachstrebenden Gastfreunds der Völker Muhammad selbst ins Zentrum getreten. Dabei hat sich eine neue – legitime – Genealogie herausgebildet, eine Prophetensukzession. Stellt man diese Gebetsformel ernsthaft in den Kontext des heute viel beschworenen abrahamitischen Dreiecks, so muss auch ihr theologischer Anspruch zur Kenntnis genommen werden: Sie reklamiert unüberhörbar den Einlass auch des Propheten Muhammad in die abrahamitische Gastfreundschaft, also die Aufnahme des Islam zusammen mit seinem Verkünder unter die abrahamitischen Geschwister-Religionen – ein Anspruch, der immer noch auf Respons wartet.

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„Lesen, was nötig ist“ Bildungsideale im christlich-arabischen Kontext

Ute Pietruschka „Lesen, was nötig ist“ – diese Formulierung findet sich häufiger in der hagiographischen Literatur des Christlichen Orients, so auch in der christlich-arabischen Literatur, die als wichtige Quelle für die Untersuchung von Bildungsinhalten und -strukturen herangezogen wird. Die genannte Formulierung impliziert eine Einschränkung der Literatur, die von Christen konsumiert wurde, und steht auch für die immer noch anzutreffende Einordnung der christlich-arabischen Literatur als ein Schrifttum, das oftmals intellektuell als nicht besonders anspruchsvoll gilt. Christlich-arabische Literatur wird in weiten Teilen nur als eine Übersetzungsliteratur begriffen, die entstand, als Sprachen wie das Syrische oder Koptische ihre Rolle als lingua franca für die Christen unter muslimischer Herrschaft verloren; somit haftet dem Christlich-Arabischen auch ein Geruch der „Zweitsprache“ an, die durch die Arabisierung der christlichen Bevölkerung aufgedrängt wurde. Verglichen mit anderen christlich-orientalischen Literaturen, wie z. B. dem Syrischen oder Koptischen, tritt uns das christlich-arabische Schrifttum erst relativ spät, nämlich in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts entgegen. Jedoch ist diese Entwicklung im Vergleich mit der islamisch-arabischen Literatur nichts Ungewöhnliches. Die Herstellung von abschließend redigierten Büchern – sehen wir einmal vom Koran ab –, die für ein breiteres Lesepublikum gedacht waren, beginnt unter den Muslimen erst in der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts und setzt sich Anfang des 9. Jahrhunderts durch.1 Die christlich-arabische Literaturproduktion, die etwas zeitversetzt einsetzt, fügt sich in diese Chronologie gut ein. Diese war von Anfang an apologetisch geprägt und hatte als wesentliches Ziel, der antichristlichen Polemik der Muslime in ihrer Sprache entgegenzutreten, um somit die Christen in ihrer Religion und, damit verbunden, in ihrer Identität zu bestärken.2 Gerade die ersten beiden Jahrhunderte der islamischen Herrschaft sind nicht nur für die Herausbildung der Literatur der Muslime, sondern auch für die der 1 

Latham 1983; Schoeler 2009 und zusammenfassend Schoeler 2010. Charakter der frühen christlich-arabischen Literatur als Übersetzungsliteratur und ihre apologetische Prägung vgl. Griffith 1985, 126 f.: „the Christian apologists did make the Gospel the focal point of their attempts to demonstrate the credibility of the Christian doctrines in Arabic“. 2  Zum

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Christen in einer ‚Islamicate world‘ von besonderer Bedeutung. Wir haben diese formative Phase einer arabischsprachigen Literatur im spätantiken Kontext zu sehen, welcher auch wesentlich die Entwicklung des Bildungsbegriffes mitbestimmen wird. In diesem Beitrag soll nun der ‚functional multilingualism‘3 in Spätantike und frühem Islam angesprochen werden, der im syro-palästinischen Raum eher die Regel als Ausnahme war, sowie die Rolle der Sprache für die Festlegung von Bildungsinhalten, und zwar in oraler wie auch schriftlicher Tradierung. Die Gebiete am östlichen Mittelmeerrand und Nordafrika, die im 7. Jahrhundert von den Muslimen erobert wurden, waren gekennzeichnet durch eine Bevölkerung, welche sowohl ethnisch, religiös als auch sprachlich gesehen, keinesfalls homogen war. Eben diese sprachlichen, ethnischen, religiösen Grenzen überlagern sich, Identitäten bilden sich grenzübergreifend aus und machen deshalb eine Annäherung an die Definition von „Bildung“ auch außerordentlich schwierig. Unter dem umayyadischen Kalifen ‘Abd al-Malik (reg. 685–705) wird das Arabische als Verwaltungssprache eingeführt und diese Politik einer zunehmenden Arabisierung unter seinen Nachfolgern intensiviert. Häufig wird diese „Arabisierung“ aber nur in Verbindung mit der griechisch- und syrischsprachigen Bevölkerung gesehen, die sich nun unter muslimischer Herrschaft befindet; dabei wird vernachlässigt, dass ein Teil der Bevölkerung einen arabischen Dialekt als Umgangssprache benutzte, also gar nicht arabisiert werden musste. Zudem müssen wir davon ausgehen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, welcher ethnischen Herkunft auch immer, die engeren Kontakt zu arabischsprachigen Bewohnern ihrer Umgebung hatten, wenigstens rudimentäre Kenntnisse des Arabischen hatten.4 Für ein genaues Bild über den Prozess der Arabisierung der christlichen Bevölkerung im Kalifat fehlen uns bislang noch viele Mosaiksteine; zeitgenössische Quellen sagen wenig bis gar nichts darüber. Es besteht aber weitgehend Konsens darüber, dass melkitische Kreise, d. h. Anhänger der byzantinischen Reichskirche, als erste der christlichen Konfessionen unter islamischer Herrschaft das Arabische als Schriftsprache einführten.5 Diese gehörten in städtischem Umfeld häufig zu den Eliten, die zweifellos mehrsprachig war und die somit ideal für eine mehr­ sprachig ausgerichtete Verwaltung geeignet war. Bestes Beispiel hierfür ist der Kirchenvater Johannes von Damaskus (gest. um 750), der sein Leben unter der Herrschaft der Umayyaden (661–749) verbrachte. Neben einer arabischen Vita aus dem 11. Jahrhundert sind mehrere griechische Lebensbeschreibungen bekannt, die Aufschluss über die Ausbildung geben, welche Johannes genossen hatte.6 Nach der arabischen Namensform (Yaḥyā ibn 3 

Knauf 2010; Toral-Niehoff 2014, 113–115. Man vergleiche hierzu (psycho-)linguistische Studien zu Zwei- und Mehrsprachigkeit in der Moderne, die sehr wohl auf ältere Gegebenheiten angewendet werden können, so etwa die Beiträge von Myers-Scotton 2005 und Meuter 2005 im Handbook of Biligualism. Psycho­ linguistic Approaches. 5  Griffith 1997; Rubin 1998. 6  Für den Text der arabischen Vita sei verwiesen auf al-Bāšā 1912, Übersetzung von Graf 4 

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Sarǧūn ibn Manṣūr) zu schließen, entstammte Johannes einer aramäisch- oder arabischstämmigen Familie, die bereits seit einigen Generationen zur gehobenen Beamtenschicht in Damaskus zählte. Der Überlieferung zufolge sucht Johannes‘ Vater Sarǧūn nach einem Gelehrten für die Ausbildung seines Sohnes. Er begegnet einem gelehrten griechischen Kriegsgefangenen namens Kosmas, einem „Mönch und Philosophen“, wie in der arabischen Vita betont wird, kauft diesen frei und macht ihn zum Lehrer seines Sohnes. Unter der Anleitung von Kosmas beschäftigt sich Johannes mit „Grammatik, Philosophie, Astronomie und Geometrie und der gesamten auf das Griechische zurückgehenden Bildung“, wobei betont wird, dass er sich neben säkularen auch mit religiösen Bildungsinhalten beschäftigte.7 Gemeinhin schließt man aus diesen Angaben, dass sich auch unter muslimischer Herrschaft im 7./8. Jahrhundert in städtischem Milieu und in der Oberschicht das Ideal der griechischen paideia erhalten hat. Letztlich müssen wir aber konstatieren, dass wir wenig direkte Kenntnis über den genauen Fächerkanon in christlichen Bildungseinrichtungen nach der muslimischen Eroberung im syro-palästinischen Raum haben.8 Aus der hagiographischen Literatur lassen sich einige Rückschlüsse über das vermittelte Wissen ziehen, wenn sich hier auch ein zwiespältiges Bild – und auch so mancher Topos – bietet. Vergleichen wir die Vita des Johannes mit anderen Biographien von Kirchenmännern aus jener Zeit, so stellen wir eine gewisse Stereotypie in der Beschreibung von Bildungsinhalten fest: Wie wir aus anderen Hagiographien wissen, werden häufiger Fächer und Wissenschaften recht detailliert aufgelistet; auffallend ist dabei, dass, wenn mehrere Versionen von Viten vorliegen, in den jüngeren Versionen die Angaben zu Bildungsinhalten (auch zu Lehrern) immer detaillierter werden, was ein Indiz sein kann, dass eher ein Ideal als die Realität beschrieben wird.9 Häufig werden keine genauen Angaben zur Muttersprache gemacht: im Bericht über Andreas von Kreta, geboren um 660 in Damaskus, erwähnt der Hagiograph nur, dass dieser sehr spät zu sprechen begann, was als Wunder gedeutet wird.10 Möglicherweise kann die späte Sprachentwicklung ein Hinweis auf eine zweisprachige (griechisch-arabische) Erziehung sein, die des Öfteren bei mehrsprachig aufgewachsenen Kindern vorkommt. Stephan von Mar Sabas, aus einem Dorf in der Nähe von Askalon stammend, war offenbar dreisprachig (griechisch, ara1913. Eine nützliche Zusammenfassung und Neubewertung der Person des Johannes bei Griffith 2016. Zu den Lebensbeschreibungen s. die Angaben bei Kontouma 2010 und Griffith 2016, 33 Anm. 28. Eine Neuedition der Vita durch Eva Ambros ist in Vorbereitung, s. Grünbart (in Vorbereitung).  7  Kalogeras 2000 speziell zur sozialen Rolle von Bildung in Byzanz.  8  Allgemein Cameron 1998 und Browning 2000. Gute Zusammenfassungen bieten Szabat 2015, Mavroudi 2015a und 2015b. Immer noch lesenswert: Downey 1958. Zu Zentren im syro-palästinischen Raum wie Gaza vgl. Ciccolella 2006, zu Antiochia Cribiore 2007, zum mesopotamischen Nisibis Becker 2006.  9  Pratsch 2005, 92–103. 10  Auzépy 1995.

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bisch und syrisch), wobei wir in seiner Vita nur einmal ausdrücklich den Hinweis auf eine griechische Konversation, bezeichnenderweise mit einem Syrer, haben.11 Die Lebensbeschreibung des Johannes von Damaskus schließt an hagiographische Berichte aus vorislamischer Zeit an. Betrachten wir Viten von Nicht-Griechen, so ist hinsichtlich der griechischen (paganen) paideia eine ambivalente Haltung fassbar, die sich in zwei Modellen von Lebensbeschreibungen manifestiert: So lässt sich einmal eine ablehnende Einstellung zu „den Griechen“ feststellen, während man in dem anderen Modell der Aneignung griechischer Lehrinhalte aufgeschlossen gegenübersteht.12 Die Lebensgeschichte des Johannes von Tella (483–538) ist ein Beispiel für die Griechenfeindlichkeit eines jungen Christen.13 Johannes, aus christlichem Elternhause stammend, wird in seiner Jugend von der verwitweten Mutter angehalten, griechische Studien zu betreiben, und einem paidagogos übergeben. Johannes, eher am mönchischen Leben und christlicher Lehre interessiert, kann jedoch den paidagogos überreden, der Mutter seine Studien und sein mönchisches Leben zu verheimlichen. Auf die Frage der Mutter, ob sein besorgniserregendes Aussehen auf die Lektüre der „Außenseiter“ – sprich: der Griechen – zurückginge, gesteht ihr der Sohn, dass er sich stattdessen den Heiligen Schriften (qeryānē qaddīšē) und den Psalmen zugewandt habe. Jedoch kann das auch ein Topos sein: der allein Gott zugewandte Mönch verachtete natürlich die heidnische Bildung und übernahm davon nur, „was nützlich war“. Die Zurückweisung säkularer Bildung, wie sie in etlichen hagiographischen Texten geschildert wird, ist aber häufig kein Verweis auf eine Dichotomie von säkularer (heidnischer) und christlicher Erziehung, sondern macht eher deutlich, dass christliche Bildung zum Teil auf einem klassischen Ideal aufbaute, das für die Ausbildung eines Kirchenmannes als unerlässlich angesehen wurde. Ein Modell, das christliche Bildung letztlich mit dem Erlernen der griechischen Sprache krönt, wird repräsentiert von der Vita des Mar Aba, Katholikos der Kirche des Ostens (gest. 552). Dieser ist ein junger Zoroastrier, der die Christen verachtet. Ausgebildet in persischer Literatur (sephrā), wird er von einem Lehrer (eskōlāyā) durch dessen Weisheit zum Christentum bekehrt. Er beschließt, Mönch zu werden und begibt sich nach Nisibis, um sich an der dortigen Schule dem Studium der heiligen Bücher zu widmen. „Er lernte die Psalmen in wenigen Tagen und begann über die heiligen Bücher nachzudenken.“ Mar Aba kehrt Nisibis den Rücken, lernt Griechisch in Edessa und begibt sich auf „Studienreise“ nach Alexandria, Athen, Korinth, Konstantinopel sowie Antiochia, wo er überall die Menschen mit seinen Lehren und Wundern in Erstaunen versetzt. In Korinth ist eine Gruppe von Sophisten vom Auftreten des Mar Aba so begeistert, dass sie unverzüglich alle ihre 11 

Lamoreaux 1999, 113. Die Ablehnung griechischer Gelehrsamkeit wird von Becker 2006, 174, in den Kontext der „Ägyptisierung“ des syrischen Mönchtums gestellt. 13  Siehe Brooks 1924; Menze 2011. 12 

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Bücher verbrennen.14 Die Aufzählung der Orte, die Mar Aba bereist, ist fast symbolisch zu nennen: Alle großen Zentren antiker Gelehrsamkeit werden besucht und die Überlegenheit christlicher Lehre über die pagane Bildung herausgestellt. Das ist nun einerseits die Absage an das Studium heidnischer Bildungsinhalte, andererseits zeigen aber beide Lebensbeschreibungen – ähnlich wie die anderer Kirchenmänner –, dass eine pagane Vorbildung existierte, welche zum Beispiel für das Bibelstudium oder theologische Lehrinhalte notwendig war.15 Deutlich wird bei beiden Ausbildungsmodellen, dass griechische Bildung in christlichem Sinne genutzt wird und ihre grundlegende Bedeutung im Rahmen einer christlichen Erziehung erhält. Bildung ebnet den Weg zu intellektueller und moralischer Vollendung und stellt letztlich eine Tugend, nicht nur für Angehörige einer Elite, dar. Dass griechische Bildungsinhalte nach der arabischen Eroberung auch in Klöstern vermittelt werden, zeigt die Biographie des syrisch-orthodoxen Kirchenmannes und Gelehrten Jakob von Edessa (ca. 640–708). Jakobs Familie stammte aus der Gegend von Antiochia, wo er in der Lektüre biblischer und kirchlicher Schriften in Syrisch unterwiesen wurde. Griechisch lernt Jakob erst nach seinem Eintritt in das Kloster von Qenneshre, einem wichtigen Zentrum griechischer Gelehrsamkeit der syrisch-orthodoxen (miaphysitischen) Kirche, das vom 6. bis zum 9. Jahrhundert florierte.16 Qenneshre bildete mit anderen Klöstern dieser Region, wie zum Beispiel Mar Zakai oder Tell ‘Adā, ein intellektuelles Netzwerk, das vermutlich ein miaphysitisches Curriculum vermittelte, in dem das Griechische eine grundlegende Rolle spielte. Doch nicht nur für eine Karriere in kirchlichem Dienst war diese Ausbildung erwünscht und notwendig, sondern auch als Vorbereitung auf administrative Aufgaben, welche häufig in den jeweiligen Familien der Oberschicht „vererbt“ wurden. Die durch eine erstklassige Ausbildung erworbenen Kompetenzen waren die Voraussetzung, um in der Administration der jeweiligen Herrscher zu reüssieren, was auch für die Weiterbeschäftigung von Beamten christlicher Herkunft unter umayyadischer Herrschaft galt. Wie oben schon angedeutet, war die melkitische Manṣūr-Familie in Damaskus das wohl bekannteste Beispiel für die Weitergabe von administrativen Positionen innerhalb einer Familie;17 in gleicher Funktion (als Steuerbeamte) war die ursprünglich aus Edessa stammende Familie der Gūmōyē tätig.18 Athanasius Bar Gūmōyē wurde vom Kalifen ‘Abd al-Malik als Sekretär und Lehrer für den Emir ‘Abd al-‘Azīz in Ägypten berufen und blieb dort für 21 Jahre. Seine Sprachkenntnisse werden neben Syrisch und Griechisch auch Arabisch umfasst haben. Für eine Tätigkeit in der muslimischen Administration 14 

Text in Bedjan 1895, 216 f. Erwähnung der Lektüre von Kirchenmännern wie Rabban Bar ‘Edta oder Maruta in: Budge 1902, 179 f. und Nau 1905, 70. 16  Debié 2010, 142–145. 17  Griffith 2016. 18  Ausführlicher hierzu Debié 2016, 60–65. 15 

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waren Arabischkenntnisse unerlässlich, besonders nach Einführung des Arabischen als Verwaltungssprache unter dem eben genannten Kalifen ‘Abd al-Malik. Jedoch ist Mehrsprachigkeit in Syrien und Palästina nicht nur bei einer gebildeten Elite anzunehmen, sondern auch bei breiteren Bevölkerungsschichten, die neben ihrer Muttersprache wenigstens rudimentäre Kenntnisse einer anderen Sprache hatten. Eine solche Diglossie entsteht zumeist aus ökonomischen oder sozialen Anreizen, wie auch Untersuchungen von Mehrsprachigkeit in modernen Gesellschaften zeigen.19 In einem Gemeinwesen, in dem zwei oder mehr Sprachen (oder Sprachvarietäten) verbreitet sind, existiert eine klare funktionale Differenzierung zwischen sozial oder religiös unterschiedlich gewerteten Sprachen oder Sprachvarietäten. Dabei handelt es sich bei der Wahl der Sprache um eine sehr komplexe Situation: sie ist keineswegs zufällig, und wir haben die Frage zu stellen, in welchem Kontext und für welche Zwecke eine Sprache genutzt wird.20 In bestimmten sozialen, ethnischen, administrativen oder religiösen Kontexten gelten jeweils andere Prestigesprachen; Code-Switching ist deshalb ein häufig anzutreffendes Phänomen in mehrsprachigen Gesellschaften.21 Eine Unterscheidung zwischen dem Sprachgebrauch abhängig von Konfessionen oder der ethnischen und sozialen Herkunft ist in dem von uns betrachteten Raum keineswegs eindeutig.22 Schöne Beispiele für die Verwendung von Prestigesprachen23 (sowie Prestigeschriften) – und damit Hinweise auf die Sprachbeherrschung – liefern die Papyrusfunde aus Nessana, einer byzantinischen Grenzsiedlung, an der Handelsstraße Beer Sheba – Sinai gelegen, die zur Wende vom 8./9. Jahrhundert aufgegeben ­wurde.24 Hier existierten zwei Klöster und mehrere Kirchen, deren Größe für eine Siedlung von etwa 4000 Bewohnern beträchtlich war und die darauf schließen lassen, dass das Einzugsgebiet von Nessana recht groß gewesen sein muss. Archäologische Befunde lassen uns zu dem Schluss kommen, dass noch im 7. und 8. Jahrhundert Bautätigkeiten in den Kirchen vorgenommen wurden, die Religionsausübung also nicht wesentlich beschränkt wurde. Wir können demnach davon ausgehen, dass der christliche Bevölkerungsanteil auch in den ersten Jahrzehnten nach der muslimischen Eroberung relativ stabil blieb.25 Die Papyri wur19 

Bratt Paulston 1988, 4–7. Vgl. die Untersuchung des Code-Switching in modernen Gesellschaften: Myers-Scotton 2005, 326 f. 21  Bratt Paulston 1988, 9. 22  Hoyland 2004, 189; zum Vergleich das Koptische: Papaconstantinou 2009 und Richter 2009, 403.412 f. 23  Zu einer Typologie von Prestigesprachen s. Kahane 1986. 24  Im Vergleich mit Ägypten sind wir für die Levante hinsichtlich der Papyrusfunde, die hervorragende Quellen für die Entwicklung der sprachlichen Situation nach der arabischen Eroberung darstellen, in einer ungleich schlechteren Situation: Die Papyrusfunde von Petra reichen nur bis ins 6. Jahrhundert und sind so für unsere Betrachtungen nicht relevant; allein die Funde von Nessana können die Sprachsituation in frühislamischer Zeit beleuchten. Beobachtungen zur Sprachsituation in Ägypten können nicht ohne weiteres zum Vergleich herangezogen werden, s. Clackson/Papaconstantinou 2010. 25  Trombley 2014. 20 

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den in den Ruinen der beiden Kirchen gefunden und können vom 6. Jahrhundert bis zum Jahr 689 datiert werden. R. Stroumsa hat sich mit der Verwendung von Griechisch und Arabisch anhand der Papyri und Inschriften beschäftigt; sie weist darauf hin, dass es eine autochthone arabische Bevölkerung gab, die einen arabischen Dialekt als Umgangssprache nutzte, was man an Namen und topographischen Gegebenheiten festmachen kann, die in den Papyri erwähnt werden, so die Bezeichnung von Feldern u.ä. in Verträgen.26 Prestigesprache der Gegend war in administrativer und religiöser Hinsicht das Griechische; diese Sprache wurde für offizielle Briefe und Verträge27, Inschriften und Bibeltexte28 gewählt. Doch wie steht es mit der Beherrschung des Griechischen in dieser Gegend ab dem 7. Jahrhundert? Besonders gern wird der Papyrus Ness. 145 herangezogen, um den „Niedergang“ der griechischen Bildung in der Siedlung zu dokumentieren. Sieben Zeilen des Briefes sind erhalten. Der Schreiber versucht einen offiziellen Brief zu schreiben, beginnt mit Grußformeln und bricht dann ab, um mit Varianten von „Im Namen Gottes, des Herrn und Gebieters Jesus Christus“ fortzufahren, wobei verschiedene Schreibweisen ausprobiert werden.29 Jedoch kann man das Dokument auch anders interpretieren als den vergeblichen Versuch eines Nicht-Griechen, einen simplen Brief zu verfassen. Zum einen dürfen wir nicht davon ausgehen, dass jeder in der Lage war, fehlerfrei in seiner Muttersprache schriftlich zu kommunizieren. Zum anderen kann es sich bei dem zitierten Brief auch um ein Übungsstück handeln. Gerade aus Ägypten sind Beispiele bekannt, die kurze Versatzstücke aus Briefformularen in unterschiedlichen orthographischen Varianten wiedergeben. So wurde von den Angestellten eines Schreiberbüros erwartet, dass sie sich einem bestimmten, charakteristischen Stil des Büros anpassten. Die erhaltenen Stücke stellen also Übungsbriefe dar, die von professionellen Schreibern angefertigt wurden.30 Wer immer den besagten Brief in Nessana auch verfasst haben mag – dass jemand nicht fähig war, einen griechischen Brief fehlerlos zu verfassen, heißt nicht, dass er nicht in der Lage war, Griechisch zu verstehen oder mündlich – mehr oder weniger korrekt – zu kommunizieren, war es doch die Sprache, die er im Gottesdienst und bei offiziellen Gelegenheiten hörte. Wenn später unter den Papyri, die in islamische Zeit zu datieren sind, zunehmend auch arabischsprachige Textzeugen auftauchen, dann bedeutet das ebenfalls nicht unbedingt, dass die Bevölkerung bereits zu einer neuen Umgangssprache umgeschwenkt ist: In den schriftlichen Quellen wird eben die neue Prestigesprache für administrative Zwecke, also die Sprache der herrschenden Muslime benutzt, welche in vorislamischer Zeit Umgangssprache für einen Teil der Bevölkerung war. 26 

Stroumsa 2015, 147 f. Ediert von Kraemer 1958. 28  Erhalten u. a. in Pap. Ness. 59 (Johannesevangelium) und Pap. Ness. 61 (Paulusbriefe). 29  Vgl. die Edition des Briefes bei Kraemer 1958, 319. 30  Ein Beispiel dafür bei Berkes 2014. 27 

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Damit sehen wir uns auch einem Problem gegenüber, das für die Analyse der sprachlichen Situation vergangener Epochen, für die wir auf schriftliche Textzeugnisse angewiesen sind, nicht einfach zu lösen ist: Wie sah es mit der münd­ lichen Kenntnis des Arabischen bei den verschiedenen Bevölkerungsgruppen aus? Wie wurde das Arabische in frühislamischer Zeit im religiösen Kontext unter den Christen verwendet? Diese Fragen können für den syro-palästinischen Raum nicht pauschal beantwortet werden.31 Letztlich wissen wir bislang noch sehr wenig über Bildungsinhalte bei arabischen christlichen Stämmen, die wohl vorrangig oral vermittelt wurden. Hier sind wir in erster Linie auf Berichte mit einer Außensicht angewiesen. Ein bekanntes Beispiel ist das Wirken des syrischen Missionars Aḥudemmeh (gest. 575) unter arabischen Stämmen: Es gab viele Völker zwischen Tigris und Euphrat in der Region, die als Gezīrtā gekannt war, welche in Zelten lebten und Barbaren (barbaryā) und Mörder waren. Sie hingen dem Aberglauben an und gehörten zu den unwissendsten Völkern, bis zu dem Moment, wo das Licht Christi sie erleuchtete. Seit langem brannte Aḥudemmeh vor heiligem Eifer ihretwegen […] Er sah, dass sie schlecht waren, ihre Sprache schwierig; sie waren Barbaren und Mörder […] Er widmete sich ihnen mit großer Geduld an all ihren Lagerplätzen; er unterwies und unterrichtete sie durch zahlreiche Gespräche […] Er gründete Kirchen und gab ihnen den Namen der Anführer ihrer Stämme (šarbutā) […] Sie [die Nomaden] machten große Schenkungen, welche zu hohen Preisen (weiter)verkauft wurden; sie beschränkten sich nicht darauf, Spenden an die Kirche, an Mönche, Arme und Fremde zu geben, sondern sie liebten das Fasten und das asketische Leben mehr als alle Christen […] Sie waren eifrig und glühend in ihrem orthodoxen Glauben.32

Einen ähnlichen Bericht lesen wir über Euthymius, der einen „sarazenischen“ Stamm unterrichtet, tauft und sogar eine Kirche für die neugewonnenen Christen errichtet.33 Aus dieser Passage können wir schließen, dass sich der Missionar einen arabischen Dialekt aneignete, in dem er seine Lehren verbreitete. Zudem müssen wir davon ausgehen, dass die Nomaden immer in Kontakt – im Guten wie im Schlechten – mit der sesshaften Bevölkerung des fruchtbaren Halbmonds waren, weshalb wir wenigstens für einige Angehörige der jeweiligen Stämme eine gewisse Beherrschung z. B. des Syrischen voraussetzen können. Missionierung bedarf nicht unbedingt des geschriebenen Wortes (das ist eine eher moderne Vorstellung); die für den Gottesdienst notwendigen Begriffe und Texte (in Griechisch, Syrisch oder auch schon übersetzt ins Arabische) können eben auch oral tradiert werden. Anders können wir die Kenntnis biblischer Texte unter der arabischen Bevölkerung und Anspielungen auf biblische Passagen im Koran sowie in anderen frühen arabischen Schriftzeugnissen nicht erklären.

31  Zu der komplexen Sprachsituation s. Knauf 2009, konkreter für das christliche Zentrum al-Ḥīra: Toral-Niehoff 2014, 113–124, bes. 123. 32  Nau 1905. 33  Kyrill von Skythopolis, Vita Euthymii (6–85 Schwartz), Kap. 15.

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So gehören die Psalmen offensichtlich zu den Stücken, die früh ins Arabische übersetzt und oral tradiert wurden. Das hat natürlich mit der Bedeutung der Psalmen in liturgischem Rahmen zu tun, andererseits boten sie sich durch ihre sprachliche Form geradezu zum Memorieren an und fanden durch ihre bildhafte und symbolische Sprache weite Verbreitung nicht nur in christlichen Kreisen. Es nimmt nicht Wunder, dass auch muslimische Autoren wie Wahb ibn Munabbih (gest. nach 728) schon um die Wende zum 8. Jahrhundert Material aus den Psalmen in ihren Kompilationen verwendeten.34 Sehr wahrscheinlich verfügten arabischsprachige Christen über private Aufzeichnungen mit Bibeltexten,35 die sie ins Arabische übertragen hatten und als Gedankenstützen dienten, jedoch haben sich keine dieser schriftlichen Aufzeichnungen erhalten.36 Zwar erwähnt Michael Syrus (1126–1199) in seiner Chronik, dass der syrische Patriarch Johannes (II., 631– 648) im 7. Jahrhundert die erste Übersetzung der Evangelien ins Arabische in Auftrag gab, und dabei Angehörige der arabischen Stämme Tanūḫāye, ‘Aqūlāye und Ṭu‘āye zu Rate gezogen hatte,37 aber man muss zu Recht skeptisch sein, ob das als Nachweis einer frühen arabischen Bibelübersetzung in schriftlicher Form gelten kann, die zudem „organisiert“ abgelaufen sein soll. Eher handelt es sich hier um eine Rückprojizierung; allein der angebliche Zeitpunkt scheint verdächtig, der noch vor der Erstellung schriftlicher Koranexemplare liegt, und das höhere Alter einer arabischen Bibel zeigen soll. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Passage aber auch um eine Reflexion des Umstandes, dass mindestens Ad-hoc-Übersetzungen von Bibelpassagen in arabischen Dialekten existierten. Ein interessantes Beispiel für die Verschriftlichung von Psalmen stellt ein griechisch-arabisches Fragment dar, das Ps 78:20–31.51–61 enthält. Es wurde im Jahre 1900 in der Umayyaden-Moschee in Damaskus gefunden und kann, basierend auf paläographischen und kodikologischen Untersuchungen, ins frühe 9./10. Jahrhundert datiert werden.38 Das Besondere an diesem zweisprachigen Fragment ist der Umstand, dass die arabische Kolumne in griechischer Schrift ausgeführt ist. Bei genauerer Untersuchung des arabischen Textes kann man feststellen, dass die Übersetzung syntaktisch eng dem griechischen Vorbild folgt, also eine Übersetzungsstrategie darstellt, die für biblische Schriften häufig zu beobachten ist. So setzten sich im 7. Jahrhundert bei der Übersetzung von griechischen Texten ins Syrische sogenannte ‚mirror translations‘ durch, die dem Wortlaut der Vorlage sklavisch folgten.39 Warum aber die Niederschrift mit griechischen Schriftzeichen? Sie war nicht für einen Leser gedacht, dem das Arabische fremd war; eher 34 

Erwähnung eines K. Zabūr Dawūd, s. Khoury 1972, 207. Schoeler 2010. 36  Zur Frage der Bibelübersetzungen ins Arabische s. Griffith 1985. 37  Chabot 1901, 432. 38  Violet 1901; s. auch D’Ottone 2013. Vollandt (im Druck) weist auf Ähnlichkeiten mit griechisch-arabischen Handschriften vom Sinai hin, die aus dem 9. oder vom Anfang des 10. Jahrhunderts stammen. 39  Brock 1983, 12. 35 

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stellte sie ein aide-mémoire für die Wiedergabe des Griechischen in der neuen lingua franca der Christen im Kalifat dar, das auch für Übungszwecke genutzt werden konnte, denn die wortwörtliche Übersetzung funktionierte quasi wie eine Vokabelliste. Oder zögerte der Schreiber, die „Prestigeschrift“ der muslimischen Eroberer, in der der Koran abgefasst war, für einen christlichen Text zu benutzen? Die Klöster als intellektuelle Zentren spielten die wichtigste Rolle bei der Produktion christlich-arabischen Schrifttums.40 Ab Mitte des 8. Jahrhunderts entstehen christlich-arabische Schriften, zumeist Übersetzungen, wie auch die ältesten Handschriften zeigen, die aus melkitischen Klöstern stammen: Wir kennen aus diesen Klöstern etwa 60 arabische Handschriften, die ins 9. und 10. Jahrhundert zurückreichen, von denen nur wenige original arabische Schriften darstellen, die allesamt apologetischen Inhalts sind. Die Notwendigkeit für die apologetischen Schriften ist klar: Hier sollten die christlichen Glaubensgenossen mit Argumenten ausgestattet werden, um in religiösen Streitgesprächen fundiert den eigenen Glauben zu verteidigen. Die übrigen Handschriften sind Übersetzungen, welche für den Gottesdienst notwendig waren (35 Homilien, Heiligenleben und patristische Schriften sowie 21 Übersetzungen biblischer Texte).41 Aus diesem Befund wird traditionellerweise geschlossen, dass gegen Ende des 8. Jahrhunderts die Kenntnis des Griechischen unter Mönchen wie Laien schon soweit zurückgegangen war, dass man sich bemüßigt gefühlt hatte, Schriften religiösen Inhalts in die neue lin­ gua franca zu übertragen. Wir können diese Beobachtung aber auch anders interpretieren: Es handelt sich bei den erwähnten Übersetzungen um arabische Texte, die gut bekannt waren (z. B. aus der Liturgie) und bereits oral kursierten, aber nun erstmals in schriftlicher Form dargelegt wurden, was mit dem Beginn der schriftlichen Überlieferung durch muslimische Sekretäre und Gelehrte korreliert.42 Daneben – und auch das zeigt Übereinstimmungen mit der muslimischen Bildungstradition – wird auf das gesprochene Wort gesetzt. Die Viten von Kirchenmännern erwähnen immer wieder als Grundlage einer christlichen Erziehung das Auswendiglernen der Psalmen, biblischer Texte und liturgischer Gesänge. Am Beginn einer griechisch geprägten Erziehung standen stets die Psalmen, die auswendig gelernt und abgeschrieben wurden. Viele Schultexte, die auf uns gekommen sind, stellen Psalmenabschnitte dar. Aus der Lebensbeschreibung des bereits erwähnten Johannes von Tella erfahren wir, dass er sich weigerte, einen Priester zu ordinieren, der nicht in der Lage war, die Psalmen auswendig vorzutragen.43 Auf orale Wissensvermittlung, die wir ansonsten schlecht fassen können, deuten auch bestimmte Genres hin, die in frühislamischer Zeit eine besondere Popularität erlangten, so Spruch- und Weisheitsliteratur, wie z. B. die asketischen 40  Sidney Griffith hat eine ganze Reihe von Artikeln diesem T hema gewidmet; s. zusammenfassend Griffith 2008, 48–53. 41  Griffith 2008, 50 f. 42  Vgl. oben Anm. 1. S. auch Arbache 2007, 46 f. 43  Brooks 1924, II, 518.

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Ermahnungen des Isaak von Niniveh (gest. ca. 700)44, die leicht einzuprägen waren und auch einen gewissen „Unterhaltungswert“ besaßen. Auffallend ist, dass diese nicht nur in christlichen Kreisen zirkulierten, sondern aufgrund ihrer allgemeingültigen ethisch-moralischen Wertvorstellungen auch in islamischem Umfeld rezipiert wurden. So findet sich Material aus den Apophthegmata Patrum, mehr oder weniger islamisch umgeformt, schließlich bei frühen muslimischen Asketen.45 Bereits in vorislamischer Zeit waren Sprichwörter, Sinnsprüche und Dichtung im arabischen Kontext nur zur mündlichen Verbreitung gedacht, was sich schließlich unter islamischen und christlichen Vorzeichen fortsetzt.46 Wir können vermuten, dass dieses Spruchmaterial eine längere Zeit mündlich umlief, bevor es im 9. Jahrhundert auch im Arabischen verschriftlicht wurde.47 Mehrsprachigkeit wird in den palästinischen Klöstern wie Mar Sabas die Regel gewesen sein. Jedoch müssen wir davon ausgehen, dass die Level der Sprachbeherrschung bei den Mönchen sehr unterschiedlich sein konnten: es wird von Gesprächen mit syrischen Heilkundigen in Griechisch berichtet,48 aber auch Syrer werden erwähnt, die Schwierigkeiten hatten, die Psalmen in Griechisch zu lernen; ein griechischer Autor bemerkt mit Erstaunen einen Mönch, der die Psalmen in Arabisch rezitiert.49 Griechisch blieb aber für die Liturgie wie auch für Bildungszwecke bis in die 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts die Prestigesprache, wie wir auch am Beispiel des Johannes von Damaskus sehen, der seine Schriften noch ausschließlich in Griechisch verfasste. In der hagiographischen Literatur finden wir, wie bereits festgestellt wurde, wenig Hinweise auf die Mehrsprachigkeit ihrer Protagonisten. In der arabischen Vita des Johannes von Damaskus werden seine Fortschritte in der griechischsprachigen Ausbildung mitgeteilt, aber die Mutter- oder Umgangssprache des Johannes findet keine Erwähnung. Offensichtlich stellte die Kenntnis des Arabischen für einen Bewohner der Region keine Besonderheit dar, so dass der Autor diese Information beiseitelassen konnte. Zudem müssen wir in Betracht ziehen, dass die arabische Vita gut drei Jahrhunderte nach dem Tode von Johannes abgefasst wurde, als das Arabische längst die lingua franca der Christen dieser Region geworden war. Allein die griechische Vita nennt die „Bücher der Sarazenen“, mit denen sich der kleine Johannes zunächst beschäftigte, um dann den Wunsch zu äußern, auch eine Unterweisung in den griechischen Wissenschaften zu erhalten. In einem griechischsprachigen Kontext ist diese Bemerkung angebracht, erklärt sie doch die intime Kenntnis der Glaubenslehren der neuen Religion, die Johannes

44 

Brock 2003. Beispiele bei Pietruschka 2015. 46  Schoeler 2010, 121. 47  Rubenson 2011. 48  Lamoreaux 1999, 113. 49  Bollandus 1865, 176. 45 S. die

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in Kapitel 100 seines um das Jahr 743 fertiggestellten Buches der Häresien (Liber de Haeresibus) einer scharfen Kritik unterzieht.50 Die genaue Auflistung der Fächer des Triviums und Quadriviums, die Johannes nun studiert („auswendig lernt“), soll die hohe Qualität seiner Schriften erklären: Wenn er [der Leser] nämlich die von ihnen verfassten Gesänge und Kanones und Schriften liest, so weiß er, wie weit sie [d. h. Johannes und sein Adoptivbruder Kosmas] in der Wissenschaft und Gottesfurcht (vorangeschritten) waren.51

Auch hier können wir wieder die Beobachtung machen, dass die Aneignung der säkularen Wissenschaften nicht zum Selbstzweck erfolgte, sondern einem höheren Ziel untergeordnet war, nämlich nach einer „Lebensweise (adab) von erhabenster Weise und höchster Tugend“ 52 zu streben, was ein Leben als Mönch meinte. In diesem Zusammenhang ist die Apostrophierung des Lehrers Kosmas als „Mönch und Philosoph“ erwähnenswert. Die Verwendung beider Begriffe quasi als Synonyme findet sich besonders in der griechischen Literatur in mittelbyzantinischer Zeit und zeigt die Aufwertung der Bezeichnung „Philosoph“ in einem christlichen Sinne und einer Umwertung im Sinne christlicher Spiritualität. Zum einen war die Bedeutung der φιλοσοφία verbunden mit dem Bereich der Wissenschaft und Erkenntnis, zum anderen mit dem Ideal des Mönchtums verknüpft. Diese „Doppelgleisigkeit“ wird von einem profanen Autor, Johannes Tzetzes (um 1110–1180), erläutert: Eine falsche Philosophie ist die mit Gelehrsamkeit prunkende, die wirkliche Philosophie ist die der Mönche.53

Die Verschmelzung der Begriffe „Mönch“ und „Philosoph“ und das Verständnis von φιλοσοφία als „mönchische Lebensweise, Askese“ war in der theologischen Literatur ebenso gebräuchlich wie in der profanen.54 In der christlich-arabischen Literatur ist also dasselbe Verständnis von Philosoph und Philosophie nachweisbar, was sich auch in der arabischen Vita des Johannes von Damaskus niederschlägt. Ausführlich wird hier die „Erziehung“ des Johannes im Kloster von Mar Sabas geschildert, in das er um 700, nachdem er den Staatsdienst quittiert hatte, eintritt. Der geistige Mentor von Johannes, ein alter Mönch, macht ihn gleich zu Beginn seines Aufenthaltes darauf aufmerksam, dass „die monastische und aszetische Wissenschaft (‘ilm) […] nicht unter jenem Wissen [steht], sondern […] in ihrer Art und ihrer Philosophie viel erhabener als jenes“ ist. Schreibe an niemanden einen Brief, und was du von den weltlichen Wissenschaften gelernt hast, davon rede nicht und daran erinnere unter keinen Umständen!55 50 Glei/Khoury

1995, 38–46. Graf 1913, 174 f. 52  Graf 1913, 175. 53  Zitiert nach Hunger 1978, 9. 54  Hunger 1978, 7 f. mit Verweis auf Dölgers kurzen Festschrift-Artikel von 1940. 55  Graf 1913, 181. 51 

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Nachdem sich Johannes eine Zeit lang in demütigem Dienen ausgezeichnet hat, erscheint eines Nachts dem Alten die Jungfrau Maria im Traum und fordert ihn auf, Johannes nicht länger am Abfassen gelehrter Schriften und geistlicher Poesie zu hindern, denn Johannes ist bereit, die Kirchen zu schmücken und die Feste der Heiligen mit seinen Gesängen zu verschönern und die Gemeinde der Gläubigen mit der Süßigkeit seiner Worte zu ergötzen.56

Diese Passagen sollten nun nicht als ein Zeichen des Niederganges der Kenntnis des Griechischen und der griechischen Studien interpretiert werden; die Schilderung des Widerstandes „bildungsfeindlicher“ Mönche gegen das Verfassen von Büchern ist wohl eher ein Topos, der die wiederholten Diskussionen in monastischen Kreisen zu den Werten paganer Bildung widerspiegelt. Hier eine pauschale Ablehnung der alten „säkularen“ Bildungsinhalte und eine Selbstbeschränkung auf rein religiöse Literatur herauslesen zu wollen – eben der für den Mönch „notwendigen“ Lektüre – geht vermutlich zu weit. Eine Lösung wird ja in der Vita angeboten: Das säkulare Wissen wird in einem christlichen Sinne zum Verfassen religiöser Literatur genutzt und bekommt so eine neue, spirituelle Bedeutung. In Byzanz können wir zur selben Zeit ganz ähnlich einen Trend zu einer intensivierten Literaturproduktion mit religiösen Inhalten beobachten.57 Die Genres, die hier bevorzugt werden, deuten auf eine wachsende Bedeutung der oralen Wissensvermittlung hin. Lehrinhalte, die in gereimter Form vorgetragen und/oder gesungen werden, können wesentlich besser memoriert werden. In dieses Bild fügt sich das vehemente Eintreten des Johannes von Damaskus für die Verehrung der Ikonen ein, sprich das Visualisieren von Wissen. Vor dem Hintergrund, dass christlich geprägter Unterricht in islamischer Zeit privat oder in kirchlichem Umfeld organisiert werden musste, ist dieser Ansatz, Bildung durch Bilder anzubieten, ein von Schrift unabhängiger Versuch, breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen und zu erreichen. Die Christen unter islamischer Herrschaft mussten sich unter den neuen sozio-politischen Bedingungen neu positionieren und ihre Identität in einer zunehmend islamisch geprägten Welt neu definieren. Sprache spielt eine große Rolle bei der Identitätsfindung. Zu den alten Prestigesprachen gesellt sich die Sprache der neuen Machthaber, das Arabische, das bereits in der Generation nach Johannes von Damaskus von Christen als Schriftsprache genutzt wird. Aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit entwickeln sie sich zu gefragten Mittlern zwischen antiken und arabisch-muslimischen Bildungsidealen, die noch zu formulieren waren. Die Christen wollen und müssen sich mit den Muslimen, die sich die Kultur und das Schrifttum von Griechen und Persern zu Eigen machen, auseinandersetzen, wobei 56 

Graf 1913, 184. Hatlie 2007, 434–436. Auch auf islamischer Seite waren in der Frühzeit die Aktivitäten zur Sammlung von Hadithen (Prophetentraditionen) von heftigen Diskussionen darüber begleitet, ob eine Niederschrift derselben erlaubt sei. Vgl. Schoeler 2009. 57 

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ihre traditionelle Ausbildung und ihre Sprachkenntnisse eine soziokulturelle Teilhabe an einem arabischsprachigen Gemeinwesen ermöglichen, was sich schließlich in einem neuen Selbstbewusstsein äußert. Dass dieses Selbstbewusstsein so manchem Muslim missfiel, zeigt sich nachdrücklich in der Schrift Widerlegung der Christen von al-Ǧāḥiz (gest. 868), der die Aufmüpfigkeit der Christen beklagt, wo sie doch den Muslimen untergeordnet seien.58 Die Aneignung des Arabischen als Literatursprache für die Christen, die mit einer Übersetzertätigkeit aus dem Griechischen, Syrischen und Mittelpersischen einhergeht, zeigt, dass an alte Bildungstraditionen angeknüpft wird und sich eine neue Bildungstradition in einer ‚Islamicate World‘ eröffnet.

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Pellat 1967, 143 f.

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„Wissen ist besser als materieller Besitz“ Grundsätze und Grenzen der Bildung im Klassischen Islam

Sebastian Günther* Der Soziologe Max Weber (1864–1920) schreibt zu Beginn seines wegweisenden und bis heute unter seinen Schriften wohl meistzitierten Werkes Die protestanti­ sche Ethik und der Geist des Kapitalismus: „Nur im Okzident gibt es ‚Wissenschaft‘ in dem Entwicklungsstadium, welches wir heute als ‚gültig‘ anerkennen.“ Er stellt weiterhin fest, dass es „empirische Kenntnisse, Nachdenken über Welt- und Lebensprobleme, philosophische und auch … theologische Lebensweisheit tiefster Art, Wissen und Beobachtung von außerordentlicher Sublimierung … [zwar] auch anderwärts, vor allem: in Indien, China, Babylon und Ägypten, gegeben“ habe. Doch sei „die Vollentwicklung einer systematischen T heologie [allein] dem hellenistisch beeinflussten Christentum“ zu eigen, selbst wenn „Ansätze“ hierzu „im Islam und einigen indischen Sekten“ zu verzeichnen seien. Weber notiert ­zudem: Hochschulen aller möglichen Art, auch solche, die unseren Universitäten oder doch unsern Akademien äußerlich ähnlich sahen, gab es auch anderwärts (China, Islam). Aber rationalen und systematischen Fachbetrieb der Wissenschaft: das eingeschulte ‚Fachmenschentum‘ gab es in irgendeinem an seine heutige kulturbeherrschende Bedeutung heranreichenden Sinn nur im Okzident.1

Webers Aussagen zum Islam und zu anderen Religionen und Kulturen sind im Wissenschaftsdiskurs bis in die jüngere Gegenwart präsent und vor allem in den Sozial- und Religionswissenschaften intensiv reflektiert und auch kritisch beurteilt worden.2 Gleichzeitig ist im Kontext der von Weber auch thematisierten Wis*  Das Zitat im Titel ist in Anm. 23 nachgewiesen. Koranzitate sind (mitunter leicht modifiziert) in der Übersetzung von R. Paret 2015 wiedergegeben. Alle anderen Übersetzungen aus dem Arabischen sind meine eigenen, wenn nicht anders vermerkt. Nachweise zu konsultierten deutschen und englischen Übertragungen sind entsprechend gekennzeichnet. – Der vorliegende Aufsatz entstand im Kontext des DFG-geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion“ an der Universität Göttingen, Teilprojekt D 03 „Ethische Unterweisung als Bildungsdiskurs: Der islamische Moralphilosoph und Historiker Miskawaih (gest. 1030) zwischen Rezeption und Transformation“. 1  Weber 1922–1923, Bd. 1, 1–3. 2  Lenhart 1986 hat beispielsweise versucht, eine Soziologie der Bildung und Kultivierung bei Max Weber herauszuarbeiten. Weber verwendet Erziehung zumeist in einem umfassen-

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senschaftsgeschichte des Islams festzustellen, dass gerade die historischen Entwicklungen und Charakteristika der islamischen Bildungstheorien und -praktiken in der jüngeren Vergangenheit zwar verstärkt in den Fokus der „westlichen“ Arabistik und Islamwissenschaft gerückt sind,3 dass diese aber dennoch einen immer noch nicht ausreichend erschlossenen Bereich der islamischen Geistesgeschichte darstellen. Letzterer Negativbefund ist zum einen bemerkenswert, da die Bildungskonzeptionen muslimischer Gelehrter gerade aus der klassischen Periode des Islams (vom 8. bis 15. Jahrhundert) in einem hohen Maße Fragen betreffen, die den Islam – als Religion, Kultur und Lebensweise – insgesamt kennzeichnen und die deshalb für dessen Verständnis zentral sind. Zum anderen ist dieses Forschungsdefizit in der Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte nicht zuletzt dann hinderlich, wenn es zu ergründen gilt, ob bzw. inwieweit die – im Kontext der religiösen, kulturellen und ethnischen Vielfalt des Mittelmeerraumes entstandenen – islamischen Vorstellungen zu Wissen und Wissenstransfer für Bildungskonzeptionen in unseren gegenwärtigen, multikulturell geprägten Gesellschaften von Belang sind. Unter diesen Voraussetzungen sind unsere folgenden Ausführungen bestimmten Charakteristika und Fragestellungen zur islamischen Bildung gewidmet, die drei besonders prominente und wirkmächtige muslimische Denker entwickelten.4 Es sind dies der Religionsgelehrte und Literat Ibn Qutaiba im 9. Jahrhunderen, heute oft als Sozialisation bezeichneten Sinne. Das ungebrochene Interesse (und die Kritik) an Webers Analysen der Wirtschaftsethik von Weltreligionen als Kernbereichen seiner Soziologie generell sowie das Interesse an Webers Auffassungen zum Islam im Besonderen wird in den 1987 von Wolfgang Schluchter auf Deutsch und 1999 in englischer Übersetzung (mit ergänzter Bibliographie und stark erweiterten Einleitung) von Toby E. Huff und Wolfgang Schluchter herausgegeben Sammelbänden einmal mehr deutlich. Bryan S. Tuner (1998, 2016) wiederum zeigt, dass Webers Kenntnis des Islams, den er weniger tiefgreifend studiert hatte als den Konfuzianismus und Taoismus, den Hinduismus, den Buddhismus, das alte Judentum und das Christentum, eher lückenhaft war. Die Kritikpunkte betreffen vor allem die Tatsache, dass Weber die Vielfalt der religiösen und kulturellen Traditionen, die den Islam ebenso wie andere Weltreligion ausmacht, nicht ausreichend in seine Betrachtungen einbezog. Vgl. dazu Turner 2016, 213–229. Es ist ebenfalls bemerkenswert, dass Webers T hesen in der Islamwissenschaft bislang eher wenig rezipiert wurden. Eine Ausnahme bildet allerdings der US-amerikanische Historiker und Islamwissenschaftler Marshall G. S. Hodgson (1922–1968), der sich in seinem bahnbrechenden dreibändigen Werk T he Venture of Islam (1974) intensiv mit Weber befasste. 3  Siehe zur Problematik und einer Zusammenschau der diesbezüglichen jüngeren Fachliteratur meinen Eintrag Education general (until 1500), in EI-T hree, http://dx.doi. org/10.1163/1573-3912_ei3_COM_26134 (letzter Zugriff am 27. August 2018). 4  Vgl. zur Frage der „Wirkmächtigkeit“ von Bildungsauffassungen auch den Beitrag von Bernd Schröder in diesem Band (S. 67–88). Bürgel 1988, 2 f. hat speziell auf das Spannungsfeld hingewiesen, das Wirkmächtigkeit (‚mightiness‘) im orthodoxen Islam erzeugt, wenn diese von einem Künstler oder Gelehrten reklamiert wird, ohne „Gottes Allmacht“ als die Quelle dieser Wirkmächtigkeit ausdrücklich zu identifizieren. Nach Bürgels Auffassung kann im orthodoxen Islam künstlerische oder gelehrte Wirkmächtigkeit nicht im Gegensatz zu, sondern nur in den festen Grenzen legitimierter göttlicher Inspiration beansprucht bzw. genutzt werden.

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dert mit seinem historisch-literarischen Bildungsansatz, der Rechtsgelehrte und Staats­theoretiker al-Māwardī im 11. Jahrhundert mit seiner rechtswissenschaftlich und gesellschaftlich orientierten Perspektive sowie der T heologe und Mystiker al-­Ġazālī am Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts mit seinem theologisch-spirituellen Zugang zu Bildung und Erziehung. Jeder dieser von Muslimen bis heute hochgeschätzten Gelehrten zeichnet sich durch einen individuellen und mithin spezifischen Zugang zum Generalthema „Bildung und Religion“ aus. Insofern wird uns das Spektrum ihrer Ideen ermöglichen, einen zwar punktuellen, aber dennoch vielschichtigen und in gewisser Weise auch exemplarischen Einblick in das facettenreiche Tableau islamischer Bildungstheorien im Klassischen Islam zu gewinnen. Die hier vorgestellten Repräsentanten gewähren somit einige aufschlussreiche Einblicke in die historische Bildungswelt des Islams, die Max Weber – wenn er mit ihren Werken und Auffassungen vertraut gewesen wäre – wahrscheinlich doch als Vertreter eines „rationalen und systematischen Fachbetrieb[s]“ der Wissenschaft hätte charakterisieren müssen.

1. Ibn Qutaiba (828–889) Der erste muslimische Gelehrte, der uns hier beschäftigen soll, ist Ibn Qutaiba. Ibn Qutaiba wurde im irakischen Kufa in eine iranisch-stämmige Familie geboren, verbrachte den größten Teil seines aktiven Lebens dann aber in Bagdad, wo er auch lehrte. Dieser produktive Autor ist vornehmlich durch seine Werke zur Koranexegese, zur islamischen Prophetentradition und Geschichte sowie zur arabischen Literaturkritik bekannt. Vor allem aber genießt er als adab-Autor, das heißt als Verfasser schöngeistiger Bildungsliteratur, bis heute hohe Anerkennung in der arabischen Welt. Besondere Merkmale seiner Werke sind die sprachlich klare, sorgfältig systematisierte und um wissenschaftliche Neutralität bemühte Darstellung der Materialien und Ideen – eine Tatsache, die wohl vor allem aus der Notwendigkeit, die behandelten T hemen seinen Studenten im Unterricht in gut organisierter Form vorzutragen, erwachsen ist.5 Ibn Qutaiba verfasste mehrere Bücher, in denen er sich intensiv einem inklusiven Bildungsbegriff widmete. Hervorzuheben ist dabei der Versuch Ibn Qutaibas, (a) den Erwerb religiöser und weltlicher Bildung eng miteinander zu verbinden, und dabei gleichzeitig (b) das Idealbild eines vollkommenen Menschen (arabisch: insān kāmil) zu zeichnen. Dem Verfasser geht es in dieser letzteren Hinsicht um ein Individuum, das sich den alltäglichen Belangen des Diesseits sowie jenen der Gotteserkenntnis, der Gottesnähe und des Jenseits mit Herz und Verstand widmet. Damit begegnet uns in den Werken dieses arabischen Literaten des 9. Jahrhunderts bereits ein Grundgedanke, den im 10. und 11. Jahrhundert dann insbesondere islamische Philosophen wie al-Fārābī und Ibn Sīnā in ausdrücklicher 5 

Ḥuseinī 1950, 49.74–77.83–85.

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Auseinandersetzung mit aristotelischen Konzeptionen thematisierten. Der Kern dieses Bildungskonzepts besteht vorzugsweise darin, dass sich ein Mensch – im weiteren Sinne auch ein Staatswesen – der „Perfektion“ nähere, wenn einerseits die menschliche Natur in ihrer Unvollkommenheit akzeptiert wird und andererseits eine kultivierte, tugendhafte Lebensweise und Staatsführung als Mittel und Weg zur Perfektion erkannt und dann auch umgesetzt werden.6 Ibn Qutaiba weist dabei einen Weg zur Vervollkommnung des Individuums und des Gemeinwesens, der teils durch die anthologische Vermittlung von historischem, literarischem und sprachlichem Wissen, teils aber auch durch die thematisch fokussierte Unterweisung in politischen, theologischen und gesellschaftlichen Fragen ermöglicht werden soll. Diesen weitreichenden Anspruch bringt der Autor bereits in den Titeln seiner Hauptwerke zum Ausdruck. So nennt er sein wohl bekanntestes und von späteren Gelehrten oft kommentiertes Werk – ein Handbuch zum arabischen Sprachgebrauch – Bildungs- und Verhaltenscodex für Sekretäre (Adab al-kātib) und seine Enzyklopädie über Wissenswertes zur Geschichte und zu herausragenden Persönlichkeiten Das Buch der Kenntnisse (Kitāb al-Ma‘ārif). In der Einleitung zu seinem Opus Magnum,7 der zehnbändigen Enzyklopädie Die Erlesensten unter den Nachrichten (‘Uyūn al-aḫbār), behandelt Ibn Qutaiba 6 Al-Fārābī entwickelte seine T heorie vom „perfekten Philosophen“ (al-failasūf al-­kāmil) u. a. im Taḥṣīl as-sa‘āda (Erlangung der Glückseligkeit), 89 f. Danach sei ein Philosoph bzw. ein Mensch im Allgemeinen „perfekt“, wenn er sein intellektuelles Wissen vervollständigt und theoretische Tugenden sowie im Weiteren praktische, ethische Tugenden erworben hat. Die höchste Stufe in der Herausbildung theoretischer und praktischer Tugenden ist nach alFārābī erreicht, wenn der Mensch diese zum Wohle der Gemeinschaft und des Individuums aktiv und verantwortlich einsetzt. Letztere Einsicht sei insbesondere für politische Führer zentral. Siehe dazu detailliert auch al-Fārābīs Musterstaat, 94–97, sowie Günther 2013, 363 f. Unter den islamischen Mystikern war es al-Ḥusain b. Manṣūr al-Hallāǧ (ca. 858–922; berühmt geworden durch seinen Ausspruch „Anā l-ḥaqq – Ich bin die Wahrheit“ –, der von der orthodoxen Gelehrten als frevlerische Anmaßung und Gleichsetzung mit Gott gedeutet wurde und letztlich zu seiner Hinrichtung führte), welcher die Grundlage für eine T heorie legte, die in den einflussreichen Schriften des Muḥyī ad-Dīn Ibn ‘Arabī (1165–1240) und des ‘Abd al-Karīm al-Ǧīlī (1365–1424) zu einer „T heorie vom perfekten Menschen“ entwickelt wurde. Nach dieser Auffassung werde der Mensch im Allgemeinen und der „perfekte Mensch“ im Besonderen als „perfekte Manifestation Gottes“ erachtet. Für al-Hallāǧs Vorstellung grundlegend war hierbei offenbar die biblische Aussage: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau“ (Gen 1,27; Übers. nach der Elberfelder Bibel). Diese Vorstellung applizierten die muslimischen Mystiker auf den Propheten Muḥammad, „den perfekten Menschen“ im besten Wortsinn. Vgl. dazu u. a. Affifi 1966, 415 f. 7  Ibn Qutaiba schreibt in der Einleitung zu den Erlesensten unter den Nachrichten ausdrücklich, dass er bereits in jungen Jahren damit begonnen habe, Informationen für diese Enzyklopädie zu sammeln, und dass er diese Tätigkeit bis zur Fertigstellung dieses Werkes im Alter weitergeführt habe. Er habe hierfür sowohl arabische Quellen als auch Übersetzungen von Schriften aus fremden Kulturen genutzt. Insbesondere eingeflossen seien vor allem Beispiele eloquenter Schreibkunst von klugen Menschen und ganze Abschnitte aus entsprechenden Briefen und Episteln. Vgl. u. a. Ibn Qutaiba, ‘Uyūn, Bd. 1, K. Siehe auch Fleischhammer 1991, 251 f.; Horovitz 1930, 179.

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unter anderem die Frage, in welchem Verhältnis der Koran zur weltlichen ethischen Literatur im arabischen Schrifttum steht. Interessanterweise löst er dieses Spannungsfeld auf, indem er feststellt, dass der Koran zwar die höchste moralische Autorität in Fragen der Religion sei, gleichzeitig aber auf die Tatsache hinweist, dass die arabische Weisheitsliteratur ebenso wie das historische und literarische arabische Schrifttum eine entscheidende Bedeutung für die arabisch-islamische Zivilisation besäßen. Es seien deshalb insbesondere die Schriften zur Bildung und Ethik, welche im Islam eine Schnittstelle zwischen literarischem Geschmack und gesellschaftlichem Handeln bildeten.8 Hierzu schreibt Ibn Qutaiba: Obwohl dieses Buch (Die Erlesensten unter den Nachrichten) nicht dem Koran und den von dem Propheten Muḥammad überlieferten Handlungsweisen und Normen (Sunna) und auch nicht dem religiösen Recht und der Lehre vom Erlaubten und Verbotenen gewidmet ist, – führt es doch zu hohen Dingen, – weist den Weg zu edlen Charaktereigenschaften; – hält von Gemeinheiten fern, – wendet von hässlichen Dingen ab und – ermuntert zu richtigem Verhalten und gutem Handeln sowie zu einer wohlmeinenden Führung [des Gemeinwesens] und zur Entwicklung eines [blühenden] Landes. Denn der Weg zu Gott ist nicht nur einer. Noch ist alles Gute auf freiwillige nächtliche Gebete, ständiges Fasten und die Lehre vom Erlaubten und Verbotenen beschränkt. Im Gegenteil! Die Wege zu Gott sind zahlreich, und die Türen zum Guten sind weit [geöffnet]…9

Besonderen Wert legt der Autor auf den doppelten Nutzen von Wissen. Dieser entstehe einerseits dadurch, Wissen praktisch anzuwenden und es für die menschliche Entwicklung dienstbar zu machen; und andererseits durch die Lehre bzw. die Weitergabe von Kenntnissen.10 In diesem Zusammenhang verdient auch die Auffassung Ibn Qutaibas unsere Aufmerksamkeit, dass Wissen, welches Wahrheit reflektiert, seinen Wert ganz unabhängig davon besitze, ob es von Un- oder Andersgläubigen, einem jungen oder älteren Menschen, jemandem, den man persönlich nicht mag oder auch jemandem in schäbiger Kleidung vermittelt werde. Denn das Wissen sei immer dann hilfreich, wenn man es aufgreift und nutzt. Ibn Qutaiba schreibt dazu: Wisse, dass wir all diese Geschichten immerfort in der Jugend und im reifen Alter gesammelt haben von Leuten, die uns an Jahren und Kenntnis überlegen waren, von unseren Tischgenossen und Freunden, aus den Büchern der Nichtaraber, ihren Historien und den Mitteilungen der Sekretäre in einzelnen Abschnitten ihrer Bücher, wie auch von Leuten, die geringer waren als wir, wobei wir nicht verschmähten, etwas von einem jungen Mann wegen seiner Jugendlichkeit aufzunehmen, von einem Manne geringen Ansehens wegen seiner Niedrigkeit, und von einer törichten Magd wegen ihrer Unwissenheit, geschweige denn von einer anderen. Denn das Wissen wird beharrlich durch den Gläubigen gesucht; von wo er es auch nimmt, es nützt ihm.  8 

Gutas 1990, 348. Ibn Qutaiba, ‘Uyūn, Bd. 1, J. Siehe auch Fleischhammer 1991, 251 f.; Horovitz 1930, 178. 10  Ibn Qutaiba, ‘Uyūn, Bd. 1, Ṭ. Siehe auch Fleischhammer 1991, 250; Horovitz 1930, 172.  9 

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Die Wahrheit wird nicht dadurch verächtlich werden, dass du sie von Ungläubigen hörst, der gute Rat nicht dadurch, dass man ihn von geheimen Feinden erhält. Einer Schönen schadet nicht ihr verschlissenes Kleid, den Perlen nicht die Muscheln und dem lauteren Gold nicht, wenn es aus dem Kehricht hervorkommt. Wer es unterlässt, das Schöne und Gute von dort zu nehmen, wo es ist, lässt eine gute Gelegenheit verstreichen. Und gute Gelegenheiten ziehen vorüber gleich den Wolken!11

Allerdings solle Wissen in religiösen Belangen und in Dingen, die vom religiösen Gesetz her als erlaubt bzw. verboten geregelt sind, nur von Autoritäten der eigenen Religionsgemeinschaft oder von Personen, denen man vollkommen vertraue, erworben werden.12 Es ist bemerkenswert, dass Ibn Qutaiba ausdrücklich einen egalitären Bildungsanspruch vertrat. Einmal mehr wird dieser deutlich, wenn Ibn Qutaiba schreibt, dass er seine große Enzyklopädie Die Erlesensten unter den Nachrichten sowohl für jene Menschen verfasste, deren Lebenssinn auf weltliche Dinge gerichtet ist, als auch für die Frommen, die sich auf das Jenseits vorbereiten. Auch wolle er mit diesem Buch nicht nur die Führer und Herrscher, sondern gleichermaßen die Mehrheit der Bevölkerung und auch die einfachen Menschen ansprechen und bilden.13 Was bestimmte Wissenslücken und Grenzen im Wissenserwerb betrifft, so beklagt Ibn Qutaiba explizit einen in seiner Zeit sichtbaren Rückgang der allgemeinen Bildung bis hin zum völligen Vergessen von Wissensbeständen. Ausdrücklich in der Verantwortung für diese missliche Situation sieht er die Regierenden, die es versäumt hätten, ihrer Verpflichtung, für die Allgemeinheit geeignete Bildungsangebote zu erarbeiten und bereitzustellen, nachzukommen, so dass Bildung – adab – „ausgelöscht und getilgt“ wurde.14 Besonders brisant sei die Frage der mangelhaften Bildung in der Oberschicht. Der Autor äußert sich hierzu mit einer gewissen Ironie in dem in Reimprosa verfassten Vorwort seines Buches der Kenntnisse, wenn er schreibt, dass viele hochstehende und als gebildet geltende Personen doch recht peinliche Wissenslücken aufweisen.15 Diesem misslichen Umstand wolle er mit dem vorliegenden Werk begegnen und jenen, „denen hoher Rang verliehen wurde, die durch Bildungsbeflissenheit aus der Unterklasse herausgehoben und durch das Privileg von Wissenschaft und klarer Sprache über die große Masse erhoben wurden,“16 dabei helfen, ihre Wissenslücken zu schließen. Noch deutlicher wird Ibn Qutaiba im Bildungsund Verhaltenscodex für Sekretäre, wo er feststellt:

11  Übers. Fleischhammer 1991, 258. Vgl. Ibn Qutaiba, ‘Uyūn, Bd. 1, S; Horovitz 1930, 179 f. 12  Ibn Qutaiba, ‘Uyūn, Bd. 1, ‘Ain. Fleischhammer 1991, 258–259; Horovitz 1930, 179 f. 13  Ibn Qutaiba, ‘Uyūn, Bd. 1, L-K. Fleischhammer 1991, 253–254; Horovitz 1930, 175. 14  Ibn Qutaiba, ‘Uyūn, Bd. 1, J. Fleischhammer 1991, 251; Horovitz 1930, 173. 15  Ibn Qutaiba, Kitāb al-Ma‘ārif, 2. 16  Übers. Walther 2004, 136. Vgl. auch Ibn Qutaiba, Kitāb al-Ma‘ārif, 1.

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So sehe ich, dass die Meisten in unserer Zeit vom Weg des adab abweichen, ihm gegenüber negativ eingestellt sind und seine Vertreter verabscheuen. Diejenigen unter ihnen, die zur jungen Generation gehören, haben eine Abneigung gegen das Lernen; der Sprachkundige will nicht mehr dazulernen und der Gebildete in der vollen Kraft der Jugend ist vergesslich bzw. zu nachlässig, als dass er in den Kreis der vom Glück Begünstigen eintrete und aus dem Kreis der Beschränkten herauskomme.17

Ibn Qutaiba macht in diesem Zusammenhang aber auch deutlich, dass er die Haupthindernisse für den zivilisatorischen Fortschritt nicht in religiös definierten Beschränkungen für den Wissenserwerb oder fehlenden gesellschaftlichen Bildungsmöglichkeiten sieht. (Die ökonomische und kulturelle Blüte zur Zeit der Abbasiden-Dynastie (r. 750–1258) mit ihrer Hauptstadt und Wissenschaftsmetropole Bagdad bot in jener Zeit äußerst fruchtbare Rahmenbedingungen für Bildung und Forschung.) Vielmehr seien mangelndes Interesse der Einzelnen an geistiger Arbeit und subjektive Behäbigkeit verantwortlich für eine unzureichende menschliche Entwicklung. Letztere, so wird von Ibn Qutaiba postuliert, gelte es durch individuelle Initiative und ein bewusstes Lernverhalten zu überwinden.18

2. Al-Māwardī (972–1058) Einen anderen Zugang zu Fragen der Bildung eröffnet der Rechtsgelehrte Abū l-Ḥasan al-Māwardī. Al-Māwardī stammte aus der irakischen Stadt Basra. Hier studierte er auch, bevor er seinen Bildungsweg in Bagdad fortsetzte. Schon als junger Mann trat er in den Dienst des abbasidischen Kalifen und wurde mit wichtigen innenpolitischen Verhandlungen betraut. Auch war er in verschiedenen Städten – u. a. im iranischen Nischapur – als Richter tätig. In theologischer Hinsicht bekannte sich al-Māwardī zur Mu‘tazila, d. h. einer rationalistischen theologischen Schule im Islam, die stark von der peripatetischen griechischen Philosophie beeinflusst war und die ihre Blütezeit zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert erlebte. AlMāwardī sah sich zudem als muǧtahid, also als einen selbstständig forschenden Gelehrten, und nicht als Vertreter des taqlīd, der kritiklosen Annahme und Weitergabe überlieferten Wissens. Neben seiner außergewöhnlichen Gelehrsamkeit, seiner Beredsamkeit und seinem diplomatischen Geschick wurde al-Māwardī auch für seine Bescheidenheit und sein ethisches Verhalten gerühmt.19 Ein umfangreiches Werk al-Māwardīs trägt den anspruchsvollen Titel Bil­ dungs- und Verhaltenskodex für die Welt und die Religion (Adab ad-dunyā wa-­ddīn). Dabei handelt es sich um ein Kompendium, in dem der Autor zum Zwecke einer guten Allgemeinbildung überreiches Material aus den Gebieten der Koranexegese, Prophetentradition, Ethik, Poesie und Prosa sowie einer Reihe von Spruchweisheiten zusammengebracht hat. In fünf Kapiteln widmet er sich den Ibn Qutaiba, Adab al-kātib, 5 f. Ibn Qutaiba, Adab al-kātib, 9 f. 19  Brockelmann 1991, 869; Vogel 2000, 333 f. 17  18 

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Vorzügen des Verstandes sowie der wissenschaftlichen, der religiösen, der welt­ lichen und schließlich der moralischen Bildung. In der arabischen Welt erfreute sich dieses Werk schon im Mittelalter großer Beliebtheit, wovon die zahlreichen Handschriften in orientalischen Bibliotheken zeugen. Die wiederholten neuzeitlichen Editionen bekräftigen zudem das bis in unsere Tage ungebrochene Interesse an dieser Schrift zur „richtigen Lebensart in praktischen und moralischen Dingen“, wie der Arabist und Turkologe Oskar Rescher (1883–1972) den Titel dieses Werkes wiedergibt.20 Im einleitenden Paragraphen des Bildungs- und Verhaltenskodex für die Welt und die Religion stellt al-Māwardī fest, dass der Sinn und Zweck der Gottesverehrung vor allem darin bestehe, dass der Mensch Wohlergehen und Glückseligkeit im Diesseits und im Jenseits finde. Den rechten Weg zur Erreichung dieses Ziels vermittelten der Koran und die islamische Prophetentradition. Allerdings weist der Autor in diesem Zusammenhang auch auf gewisse Grenzen hin, denn der Koran unterweise in diesen Belangen lediglich in „summarischer“ Manier ­(muǧmalan) und enthalte Informationen, deren Erläuterung (tafsīr) – und mithin Verständnis – schwierig (muškilan) ist. Die koranischen Direktiven bedürften deshalb der Auslegung und der Interpretation in jenen Bereichen, die für die Mehrheit der Bevölkerung mit einer durchschnittlichen Bildung nicht sofort zu verstehen sind. Diese schwierigen Stellen im Koran erforderten zusätzliche Erläuterung, um den Menschen als Leitlinien zum rechten Handeln zu dienen.21 Solche verstandesorientierten, erklärenden Zusatzinstruktionen zu bestimmten koranischen Aussagen erteilte, wie der Autor schreibt, zunächst der Prophet Muḥammad. Nach dem Tode des Propheten obläge die Aufgabe der Auslegung und Erläuterung der Heiligen Schrift den Gelehrten. Diesen komme dabei ausdrücklich die Aufgabe zu, den Sinn der in der Offenbarungsschrift niedergelegten Maximen und Prinzipien verstandesmäßig zu eruieren und durch die Nutzung ihrer Geisteskraft zum Ziel des von Gott Intendierten vorzudringen.22 Ohnehin sei zu sagen: Wissen ist besser als materieller Besitz, denn das Wissen beschützt dich, während du den Besitz beschützen mußt. […] Die Hüter des Besitzes sterben, während die Hüter des Wissens [für die Nachwelt erhalten] bleiben. Man gedenkt ihrer Koryphäen und ihre Namen sind in den Herzen der Menschen aufgezeichnet.23 Māwārdī, Das kitâb, 1932–33. Adab, 78 f. Siehe auch Rescher 1932, Bd. 1, 129, mit Bezugnahme auf K 16:44: „Und wir haben [nunmehr] die Mahnung zu dir [Muḥammad] hinabgesandt, damit du den Menschen klarmachst, was [schon früher] zu ihnen hinabgesandt worden ist, und damit sie vielleicht nachdenken würden.“ 22 Al-Māwardī, Adab, 79. Siehe auch Rescher 1932, Bd. 1, 129 f. mit Bezugnahme auf K 58:11: „Gott wird diejenigen von euch, die glauben, und denen das Wissen gegeben worden ist, [dereinst] um Rangstufen erhöhen.“ 23  Ein Ausspruch des ‘Alī b. Abī Ṭālib (gest. 661), Schwiegersohn des Propheten Muḥammad und vierter Kalif. Übers. Rescher 1932 (leicht modifiziert), Bd. 1, 43. Vgl. auch alMāwardī, Adab 32. 20  Vgl.

21 Al-Māwardī,

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Vor allem durch ihre intellektuellen Bemühungen in der Forschungs- und Lehrtätigkeit im Dienst der religiösen Bildung verdienten sich die Gelehrten das im Koran verbriefte Privileg einer Auszeichnung im Diesseits und im Jenseits. Die härteste Strafe am Tag des Jüngsten Gericht hätten hingegen jene zu erwarten, so der Autor in wörtlicher Bezugnahme auf einen Ausspruch des Propheten Muḥammad, die den Leuten glauben machen wollten, sie seien in religiöser und moralischer Hinsicht beispielhaft, obgleich sie in Wirklichkeit nichts taugten.24 Wenngleich die Motivation, sich in Sachen der Religion respektive um der Religion willen zu bilden, der vorzüglichste Antrieb zum Lernen sei, besitze das Ansinnen eines Lernenden, durch Wissen Rang und Würden in dieser Welt zu erlangen, ebenfalls Legitimität und sei der Unterstützung wert. Verwerflich hingegen und zu verhindern sei es allerdings, wenn Wissensbeflissene – von „geheimen bösen Neigungen getrieben“ – „das Wissen zu religiös zweifelhaften Dingen oder [unmoralischen] Kunstkniffen in Rechtsangelegenheiten zu missbrauchen“ suchten, deren sich die guten Menschen nicht zu erwehren wissen. Wenn ein Lehrer von derlei Absichten einer seiner Schüler bzw. Studenten erfahre, müsse er diesen Grenzen setzen. Er dürfe die betreffende Person nicht bei der Durchführung derartiger Ambitionen unterstützen und müsse diese vielmehr davon abbringen. 25

3. Al-Ġazālī (1058–1111) Der philosophische T heologe, Rechtsgelehrte und Mystiker Abū Ḥāmid al-Ġazālī gilt bis heute als einer der bedeutendsten religiösen Denker des Islams. Er stammte aus dem iranischen Tus (nahe der heutigen Großstadt Maschhad), verbrachte jedoch die meiste Zeit seines aktiven Lebens in Bagdad – unter anderem als Professor und gewissermaßen „Rektor“ der Niẓāmīya-Hochschule, d. h. der größten und berühmtesten höheren Lehranstalt des Islams in jener Zeit. Al-Ġazālīs besonderes Interesse an Fragen der Bildung und seine reiche Lehrerfahrung spiegeln sich in nahezu allen seinen Werken wider. So befasst sich al-Ġazālī vor allem in seinem theologischen Hauptwerk zu den religiösen Grundsätzen und Praktiken des Islams, Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften (Iḥyāʾ ‘ulūm ad-dīn), in mehreren Kapiteln ausdrücklich mit Fragen der Bildung. Unter anderem thematisiert er hier ausführlich die Ziele und die Methoden der Wissensaneignung, mit denen sich die Gläubigen im Diesseits auf das Jenseits vorbereiten sollen, um der Hölle zu entgehen und ein ewiges Leben im Paradies zu gewinnen. Die von al-Ġazālī in Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften formulierten – zwar stark von der islamischen Mystik geprägten, aber rational argumentierten – pädagogisch-ethischen Ratschläge beziehen sich sowohl auf das Adab, 70. 79. Siehe auch Rescher 1932, Bd. 1, 124.129. Übers. Rescher 1932, Bd. 1, 120. Vgl. al-Māwardī, Adab, 57.

24 Al-Māwardī, 25 

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intellektuelle Lernen als auch auf die Herzensbildung und die spirituelle Vervollkommnung des Menschen. Für viele Muslime besitzen diese Bildungsgrundsätze al-Ġazālīs bis heute autoritativen Charakter.26 Doch auch ein anderes, von al-­Ġazālī im Alter verfasstes Werk ist im Kontext der klassischen islamischen Bildung wichtig. Es trägt den Titel Der Erretter aus dem Irrtum (al-Munqiḏ min ­aḍ-ḍalāl). Es ist dies eine Schrift mit stark autobiographischen Zügen, in der der Autor eine Zusammenschau seiner eigenen intellektuellen und spirituellen Entwicklung bietet und diese tiefgründig reflektiert. Dabei thematisiert er auch Schwierigkeiten und Grenzen der Bildung, mit denen al-Ġazālī in seinem Leben konfrontiert war – und denen sich Wissenssuchende generell auf ihrem Bildungsweg gegenübersehen – sowie die Problematik, wie diese Herausforderungen zu erkennen und zu meistern seien. Insbesondere geht al-Ġazālī hier auf das Studium der T heologie (‘ilm al-kalām) und der Philosophie (falsafa) ein. Zur Philosophie zählt er zudem sechs Teildisziplinen, d. h. die 1. mathematischen (riyāḍīya), 2. logischen (manṭiqīya), 3. naturwissenschaftlichen/physikalischen (ṭabī‘ īya), 4. metaphysischen (ilāhīya), 5. politischen (siyāsīya) und die 6. ethischen (ḫuluqīya) Wissenschaften.27 Über die T heologie zum Beispiel sagt al-Ġazālī, dass die tatsächlichen Studien- und Forschungsaktivitäten vieler ihrer Vertreter nicht den eigentlichen Forschungszielen dieser Fachdisziplin entsprächen. So beschäftigten sich bestimmte muslimische T heologen in ihren Diskursen mit den Eigenheiten der Dinge, während Ziel und Zweck der T heologie doch die Bewahrung des Glaubens und der vom Propheten Muḥammad beispielhaft vorgelebten Tradition sowie die Verteidigung des „orthodoxen“ Weges zur Frömmigkeit seien. Die Auseinandersetzung mit den „Wesenheiten (ǧawāhir), Akzidenzien (a‘rāḍ ) und [Natur-] Gesetzen (aḥkām)“ der Dinge hingegen zählten nicht zu den prioritären Aufgaben von T heologen.28 Mit Blick auf die Philosophie warnt al-Ġazālī davor, dass ein nur oberflächliches Verständnis dieser Wissenschaft – zumal sich dieses Wissen nur auf eine einzelne Fachdisziplin beziehe – es unmöglich mache, Schwierigkeiten oder gar Deformationen innerhalb dieser Fachrichtung zu erkennen. Ein tiefgreifendes Wissen fördere zudem bei der Philosophie wie in anderen Wissenschaften den Erkenntniszuwachs. Auch helfe ein fundiertes Wissen generell dabei, Schwierigkeiten im Wissenserwerb zu überwinden.29 26 

Siehe dazu Günther 2006b, 380–385 und 2015, 118–121. al-Munqiḏ, 79. Siehe auch Elschazlī 1988, 19. 28 Al-Ġazālī, al-Munqiḏ, 72 f. Siehe auch Elschazlī 1988, 14. 29 Al-Ġazālī, al-Munqiḏ, 74. Siehe auch Elschazlī 1988, 15. 27 Al-Ġazālī,

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Interessanterweise befürwortet al-Ġazālī in diesem Zusammenhang, dass ein im Lernprozess bereits fortgeschrittener Student „Widersprüchlichkeiten und Falschheiten“ einer Wissenschaftsdisziplin eigenständig erkundet, selbst wenn sein Lehrer diese im Unterricht nicht ausdrücklich angesprochen hat. Diesen Weg dürfe ein Student aber nur dann beschreiten, wenn er gleichzeitig die Primärquellen der betreffenden Fachdisziplin tiefgründig studiere.30 Ausdrücklich gewarnt wird der Wissenssuchende vor religiösen Risiken, die dem Studium bestimmter mathematischer Disziplinen innewohnten. Die Gefahren, die sich bei der Beschäftigung mit der Mathematik (inklusive der Arithmetik, Geometrie und Astronomie) auftun können, hingen vor allem mit dem hohen Grad an „Klarheit“ sowie der „Exaktheit und Vortrefflichkeit ihrer Beweise“ zusammen.31 Diese stellten ein Problem insofern dar, als die der Mathematik inhärente Präzision einen zu nachhaltigen Eindruck auf den Glauben eines noch unerfahrenen Lernenden ausüben könnte. Mathematische Studien schadeten der islamischen Religion aber vor allem dann, wie al-Ġazālī weiter ausführt, wenn man beginne, offensichtliche Naturerscheinungen wie etwa die Sonnen- und die Mondfinsternis zu leugnen oder zu behaupten, dass Naturphänomene dieser Art und ihre wissenschaftliche Erklärung dem Glauben widersprächen. Ein derartiges Vorgehen könne vielleicht bei einfältigen Menschen seinen Zweck erfüllen. Intelligente Personen würden hingegen eher nicht an der wissenschaftlichen Begründung eines Naturphänomens zweifeln, sondern womöglich die Grundlagen des Islams selbst infrage stellen. Mehr noch, es bestünde die Gefahr, dass diese Personen beginnen könnten zu folgern, der Islam beruhe auf Unwissenheit und der Leugnung der Wahrheit – was den Islam letztlich schwächen und seine Gegner stärken würde. Insofern sei es für unerfahrene Studenten nützlicher, sich erst gar nicht mit der Mathematik zu beschäftigen und sich ganz auf die religiösen Studien zu konzentrieren.32 Die Logik berge ebenfalls gewisse Risiken, obgleich bei dieser Fachdisziplin, wie al-Ġazālī ausführt, die Methoden der Demonstration, der Syllogismen und der Argumentation durch Analogie im Vordergrund stehen. Als solche habe die Logik eigentlich nicht direkt etwas mit dem Glauben zu tun. „Warum dann“, fragt al-Ġazālī, „müsse man die Logik ablehnen?“ Seine Antwort mag überraschen, da er anempfiehlt: Wer [die Logik ohne einen logischen Beweis] verurteilt, würde nichts als einen schlechten Ruf unter den Logikern (ahl al-manṭiq) gewinnen. [Dieser schlechte Ruf] beträfe einerseits den armseligen Verstand (‘aql) desjenigen, der dies tut, und andererseits das Ansehen seiner Religion (dīn), von der er faktisch behaupten würde, dass diese auf der Ablehnung der Logik beruhe.33 al-Munqiḏ, 74 f. Siehe auch Elschazlī 1988, 5–16. Übers. Elschazlī 1988, 19. Vgl. al-Ġazālī, al-Munqiḏ, 79 f. 32 Al-Ġazālī, al-Munqiḏ, 79 f. Siehe auch Elschazlī 1988, 1. 33 Al-Ġazālī, al-Munqiḏ, 82. Siehe auch Elschazlī 1988, 22. 30 Al-Ġazālī, 31 

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Deshalb sei es um der Religion willen notwendig, Studienanfänger über die Gefahren im Umgang mit der Logik aufzuklären und sie darauf hinzuweisen, dass man sich damit nur nach ausreichender intellektueller Vorbereitung beschäftigen dürfe. Aussagen dieser Art erhalten natürlich zusätzliches Gewicht vor dem Hintergrund, dass al-Ġazālī für mehrere Jahre die Niẓāmīya-Hochschule in Bagdad leitete, wo er Vorlesungen vor nicht weniger als dreihundert Studenten hielt und mithin auf eine reiche Lehrerfahrung zurückgreifen konnte. In diesem Licht verwundert es nicht, dass al-Ġazālī auch über die Auseinandersetzung mit ganzen Denksystemen nachsann. So stellt er unter anderem fest, dass für die Widerlegung einer Disziplin zwei Dinge wichtig seien: Erstens sind dies ein umfassendes Studium und ein tiefgreifendes Verständnis des gesamten betreffenden Gedankensystems. Alles Geringere käme jemandem gleich, der mit „verbundenen Augen“ urteilt. Zweitens spricht der Autor davon, die Bücher einer bestimmten Fachdisziplin ggf. auch „ohne die Hilfe eines Lehrers“ zu studieren. Diese Art des Übergangs von direktiver Unterweisung im ‚Hörsaal‘ hin zum ‚Selbststudium‘ sei für einen im Studium schon fortgeschrittenen Studenten dann möglich und notwendig, wenn er seinen Geist für neue Informationen öffnen und sich dabei von der Lehrmeinung und der Autorität seines Lehrers nicht zu sehr beeinflussen lassen wolle. Diese Studienmethode, in deren Mittelpunkt stehe, Bücher in Klausur ungestört zu lesen und die betreffenden T hemen zu reflektieren, sei für al-Ġazālī selbst, wie er aus eigener Erfahrung mitteilt, am erfolgreichsten gewesen. Das Wiederholen des betreffenden Studiengegenstands diene im Weiteren der erneuten Vergegenwärtigung und Überprüfung der Komplexität eines T hemas und seiner möglicherweise verborgenen Schwierigkeiten. Dieser Lernprozess sei damit abzurunden, dass der Studierende die betreffende T hematik für sich noch einmal zusammenfasst. Dadurch erreiche man Gewissheit und Schlüssigkeit sowohl im Verständnis eines Studiengegenstandes als auch darüber, was zweckdienliche Einsicht oder aber einen abstrakten Denkfehler darstellt.34 Für al-Ġazālī trägt diese individuelle Studienmethode nicht zuletzt dazu bei, den Geist von unnötigen, „weltlichen“ Dingen zu befreien und auf dem mystischen Weg voranzuschreiten. Auf seine eigene, bis ins Alter fortgesetzte Studienund Lehrtätigkeit bezogen, bekräftigt er diesen Grundsatz mit den Worten, „Dies ist jetzt meine Absicht, mein Ziel und mein Wunsch. Gott weiß, dass dies bei mir so ist. Ich strebe danach, mich und andere zu bessern.“35

al-Munqiḏ, 74 f. Siehe auch Elschazlī 1988, 15 f. Übers. Elschazlī 1988, 63. Vgl. al-Ġazālī, al-Munqiḏ, 123.

34 Al-Ġazālī, 35 

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4. Schlussfolgerungen Die drei hier vorgestellten autoritativen muslimischen Gelehrten machen mit ihren Aussagen exemplarisch deutlich, dass es im Klassischen Islam – anders als dies Max Weber postulierte – durchaus ein tiefsinniges Nachdenken in theologischen und philosophischen Belangen gegeben hat. Dies trifft zu, wenngleich – oder gerade, weil – für den Klassischen Islam im Bereich der Bildung eine bemerkenswerte Vielfalt empirischer und methodologischer Zugänge im Nachdenken über Welt- und Lebensprobleme zu verzeichnen ist. Ibn Qutaiba als T heologie und Literat hebt in diesem Zusammenhang sowohl die Bedeutung der allgemeinen als auch der religiösen Bildung hervor. Er vertritt die Auffassung, dass zur Bildung sowohl das Wissen des Herzens – und hierzu gehört die verfeinerte Charakterbildung – als auch die durch den Verstand erworbenen Kenntnisse gehören. Der Jurist und Staatstheoretiker al-Māwardī wiederum propagiert die Idee eines möglichst weiten Wissenshorizontes, der es dem Menschen ermöglicht, Erfüllung und Glück sowohl für die Gemeinschaft als auch für sich als Einzelperson bereits im Diesseits zu finden. Für al-Māwardī stellen Wissen und Bildung ohnehin den einzig wahren und beständigen Reichtum des Menschen dar, der allen vergänglichen materiellen Gütern vorzuziehen sei. Der T heologe und Mystiker al-Ġazālī schließlich sieht die Bildung im Diesseits in erster Linie als Mittel und Weg zum ­Seelenheil und zu einem ewigen Leben im Paradies. Dabei warnt er den Wissenssuchenden vor Klippen und Gefahren, die sich aus orthodoxer Sicht in der Auseinandersetzung mit diskursiven und apodiktischen Wissenschaften auftun können. Doch die Beschäftigung mit diesen Fachdisziplinen ist auch aus strenggläubiger Sicht nicht grundsätzlich abzulehnen. Allerdings seien ein gefestigter Glaube sowie eine sorgfältige Vorbereitung Grundvoraussetzungen für das Studium dieser theologischen und philosophischen Wissensbereiche. Obgleich die Geisteshaltungen und fachlichen Spezialisierungen der hier zitierten klassischen muslimischen Gelehrten deutlich verschieden sind, lassen sich dennoch bestimmte Gemeinsamkeiten in ihren Aussagen zum Spannungsfeld von Bildung und Religion – bzw. ihrem von der islamischen Religion geprägten Verständnis von Bildung – herausarbeiten: Erstens ist mit Blick auf die Grundauffassung dieser Gelehrten festzustellen, dass der Erwerb von Wissen und Bildung im Islam eine im Koran verankerte religiöse, individuelle und gemeinschaftliche Pflicht darstellt. Während die Propheten bis hin zum Propheten Muḥammad (als dem islamischen „Siegel der Propheten“, Koran 33:40) in der Verantwortung standen, Gottes Botschaften zu verkünden und darin – göttlich inspiriert – zu unterweisen, sei es Aufgabe und Pflicht der Gelehrten, die Menschen anzuleiten und zu befähigen, diese Botschaft zu verstehen, ihre Inhalte zu begreifen sowie daraus für sich als Individuen und als Gemeinschaft Nutzen zu ziehen.

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Zweitens sind Wissen und Bildung auch im Islam wichtige Bindeglieder der Menschen zu Gott. Die im Koran formulierte Verpflichtung, die Menschen sollten ihre spirituelle Vervollkommnung durch eine rationale Erfassung der Welt ergänzen und vorantreiben,36 führte allerdings unter bestimmten klassischen muslimischen Gelehrten, wie die hier genannten Beispiele zeigen, zu einem unterschiedlichen Verständnis von (bzw. Zugängen zu) Bildung. Während der Literat Ibn Qutaiba und der Rechtsgelehrte al-Māwardī (in schöpferischer Rezeption der aristotelisch-philosophischen paideia) den „vollkommenen Menschen“ als das Ideal und Ziel individueller und gesellschaftlicher Bildung erachteten – eines Menschen also, der bereits im Diesseits Erfüllung und Glück erlangen kann und soll –, sieht der Mystiker al-Ġazālī den Sinn und Zweck allen irdischen Lernens auf das Jenseits ausgerichtet. Doch dabei ist die menschliche Vernunft für al-Ġazālī weder die alleinige noch die vornehmliche Quelle der Erkenntnis. Im Gegenteil, für al-Ġazālī – wie interessanterweise ausdrücklich auch schon für Ibn Qutaiba – besitzen die spirituelle Bildung respektive die Herzensbildung in dieser Hinsicht Priorität. Doch gleichzeitig, um zum Schluss al-Ġazālī noch einmal das Wort zu geben, stellt er fest:

… Die Vernunft (‘aql) ist eine angeborene Fähigkeit (ġarīza), durch die die theoretischen Wissenschaften erfasst und verstanden werden. Sie gleicht einem Licht (nūr), das ins Herz (qalb) dringt, wodurch das Herz zum Erfassen und Begreifen der Dinge befähigt wird. Derjenige ist im Unrecht, der dies leugnet und die Vernunft auf bloße notwendige Erkenntnisse reduziert.37

36  Es gibt zahlreiche Stellen im Koran, die das verstandesmäßige Erfassen und Lernen thematisieren. So wird etwa der Prophet Muḥammad im Koran als derjenige bezeichnet, der seinen Mitmenschen Gottes „Verse verliest … und sie die Schrift und die Weisheit lehrt“ (K 62:2). Auch den Schriftgelehrten wird im Koran geboten: „Seid Meister indem ihr [euren Glaubensgenossen] die Schrift lehrt und [gleichzeitig weiterhin (darin)] studiert“ (kūnū rab­ bāniyyīna bi-mā kuntum tu‘allimūna l-kitāba wa-bi-mā kuntum tadrusūna, K 3:79). Vgl. auch Günther 2006a, 200–205 und ders. 2006b, 367. Zu Aussagen über rationale Kontemplation auf Grundlage des Verstandes bzw. Intellekts (‘aql; als Nomen kommt der Ausdruck im Koran nicht vor, wohl aber 49 Mal als Verb in der Bedeutung von „aktiv denken,“ „reflektieren,“ „rational erschließen“) vgl. Kermani 2002, 547–549 sowie Walker 2003, 100–104. Zu diskursiven Modi der Kommunikation, vor denen im Koran zumeist gewarnt wird, da sie Gottes „Zeichen“ in Frage stellen, siehe McAuliffe 2001, 511–514. 37 Al-Ġazālī, Iḥyāʾ, Bd. 1, 312, zitiert hier den einflussreichen basrischen Mystiker und T heologen al-Ḥārtih ibn Asad al-Muḥāsibī (ca. 781–857), der als Vorläufer der Doktorin der islamischen Orthodoxie gilt.

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Selbsterkenntnis als Weg zur Gotteserkenntnis – Gotteserkenntnis als Weg zur Selbsterkenntnis Über Erziehungs- und Bildungsdiskurse religiöser Eliten des Hochmittelalters

Hedwig Röckelein* Seit dem 10. Jahrhundert wurden im christlichen Westen vermehrt Schriften produziert, in denen über Bildung als Weg zur Selbstbildung wie zur Selbsterkenntnis reflektiert wurde, in die Gedanken über die Beziehung zwischen dem Selbst und dem Göttlichen sowie dem Selbst und der Gesellschaft einflossen. Dieses Selbst, Ego, Individuum, diese Person1 inszeniert in Texten, die in der modernen Forschung als Autobiographien, Selbstzeugnisse, Ego-Dokumente bezeichnet werden2, ihren Lebenslauf, seine persönliche Entwicklung, seine (nicht intentionale) Sozialisation, ihre (intentionale) Erziehung und Bildung – um hier die Begrifflichkeit aus dem Beitrag von Peter Gemeinhardt zu diesem Band aufzugreifen.3 Diese *  Der vorliegende Aufsatz entstand im Kontext des DFG-geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion“ an der Universität Göttingen, Teilprojekt A 04: „Religiöse Rezeption und christliche Transformation antiken nicht-religiösen Wissens in der Karolingerzeit“. 1  Zum Begriff der Person und seiner Abgrenzung vom „Selbst“, dem „Individuum“ vgl. zuletzt die Frühjahrstagung 2017 der Mediävisten auf der Reichenau zum T hema „Die Person im Mittelalter: Formen, Zeichen und Prozesse“ (wird in der Reihe „Vorträge und Forschungen“ erscheinen). 2  Der Begriff „Selbstbiographie“ oder „Autobiographie“ entstand erst im 18. Jahrhundert. Georg Misch hat ihn in seinem Monumentalwerk auch für das Mittelalter eingeführt. Zur Genese der Gattung vgl. auch den Artikel „Autobiographie“ im Lexikon des Mittelalters, verfasst von diversen Autoren, zitiert als: Schulze 1983, 1262–1269. Zur neueren Entwicklung in der Selbstzeugnis-Forschung vgl. Schmolinsky 2012. 3  S.o. S. 19–26. Diese Selbstdarstellungen unterscheiden sich fundamental von den hagiographischen Biographien, die seit dem 3. Jahrhundert ihren Ausgang von den Märtyrerakten nehmen und deren Ziel es war, ein idealisiertes Leben einer verehrungswürdigen Person darzustellen. Walter Berschin, der sich in seinem mehrbändigen Werk mit der Notwendigkeit einer Bestimmung des Begriffs „Biographie“ konfrontiert sah, subsumierte darunter alles, „was es an mittelalterlicher Lebensbeschreibung gibt: vita, passio, gesta, legenda, teilweise auch historiae, translationes und miracula“ (Berschin 1986, 21). Es schien ihm unmöglich, zwischen den Gattungen des „Wunders“ und denen der „Wahrheit“ zu unterscheiden. Zur Genese der Gattung seit der Antike vgl. auch den Artikel „Biographie“ im Lexikon des Mittelalters, verfasst von diversen Autoren, zitiert als: Gruber 1983, 199–212. Zum Begriff der Person und seiner Abgrenzung vom „Selbst“, dem „Individuum“ vgl.

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inszenierte Person schildert und kommentiert in diesen Texten aufgrund ihrer vorgeblich eigenen Erfahrung Lehrer-Schüler-Beziehungen, das Verhältnis zu Autoritäten ganz allgemein, Sozialisationsziele und Erziehungs- wie Unterrichtsmethoden – hier vor allem die umstrittenen Körperstrafen –, ebenso Lehrmaterialien – insbesondere die tabuisierten paganen Autoren der Antike – und das Schreiben als handwerkliche Technik wie als literarisches Gestalten, als Medium der Selbstwie der Gotteserkenntnis. Diese selbstreflexiven Schriften sind ausschließlich von Männern verfasst, und zwar von gebildeten Klerikern und Mönchen. Sie sind somit keineswegs repräsentativ, sondern charakteristisch für Lebens- und Konfliktsituationen einer männlichen Elite, die – ausgehend von alternativen Optionen der Lebensgestaltung – nach der für sie richtigen forma vivendi 4 suchte. Einem Knaben von adeliger Geburt standen im Hochmittelalter drei Karrierewege offen: Er konnte Ritter, Kleriker oder Mönch werden. Von einem ritterlichen Krieger wurde erwartet, dass er heiratete, männliche Erben zeugte, die die Linie für die Zukunft sicherten, dass er – nicht zuletzt durch militärische Erfolge – die Macht und den Besitz seines Clans stabilisierte oder besser noch mehrte. In Nordfrankreich hatte sich zu dieser Zeit bereits der Usus durchgesetzt, das Erbe der Familie und damit die ritterliche Karriere dem Erstgeborenen zu reservieren, sofern er physisch dazu in der Lage war.5 Die Laufbahn des Klerikers und des Mönchs blieb für die nachgeborenen Söhne. Da das kanonische Recht für Kleriker ebenfalls die körperliche Integrität als Bedingung stellte, wurden physisch beeinträchtigte junge Männer bevorzugt in die Klöster gegeben. Ulrich von Cluny klagte gegenüber Wilhelm von Hirsau, dass es vielen Adeligen, die ein Haus voller Kinder, Söhne und Töchter hätten, leicht fiele, diejenigen, die lahm, verstümmelt, taub, blind, buckelig, aussätzig oder aus sonst einem anderen Grund für das weltliche Leben weniger tauglich seien, als Mönche Gott zu weihen.6 Manchmal verraten die Beinamen, die man ihnen gab, ihr Handicap.7 Notker der Stammler (Notker Balbulus)8 und Hermann der Lahme (Hermannus Contractus)9 kompensierten ihre körperlichen Gebrechen mehr als reichlich durch herausragende Leistungen als Schriftsteller, Komponisten und Naturwissenschaftler. Im Rahmen der Suche nach dem richtigen Lebensweg reflektierten die Autoren über ihr Verhältnis zur Welt der Laien, zur Familie und den Verwandten, über die Erwartungshaltungen und Konventionen ihrer sozialen Umgebung sowie über die zuletzt die Frühjahrstagung 2017 der Mediävisten auf der Reichenau zum Thema „Die Person im Mittelalter: Formen, Zeichen und Prozesse“ (wird in der Reihe „Vorträge und Forschungen“ erscheinen). 4  Zu den Begriffen „Lebensform“ und forma vivendi vgl. Borst 1979, 14–20. 5  Über die begrenzten finanziellen und materiellen Möglichkeiten des nordfranzösischen Adels zur Versorgung der Söhne und Töchter im 11. und 12. Jahrhundert vgl. Duby 1964. 6  PL 149, 635A–636A. 7  Weitere Beispiele von Mönchen mit Handicap bei Arnold 1980, 22 f. 8  Vgl. Ochsenbein/Schmuki 1992. 9  Zu ihm vgl. Borgolte 1979, 1–15; Heinzer/Zotz 2016; Berschin/Hellmann 2005.

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ethischen Normen und Werte ihres Standes und der Gesellschaft im Allgemeinen. Viele stilisierten sich zu Außenseitern – in der Familie, in der Schule und in ihrem Karriereverlauf –, die gegen die Fremdbestimmung durch das Elternhaus und gegen überkommene Lehr- und Schultraditionen rebellierten. In ihren Schriften agierten sie als selbstbestimmte, autonome Subjekte, die ihre moralischen Positionen und ihre Legitimation für das eigene Tun und die eigenen Entscheidungen aus dem Zweifel beziehen; ihr Verhalten und ihren Widerstand begründeten sie mit der Vernunft, die sie zur Selbstflexion sowie zur Erkenntnis Gottes befähigt habe. Typisch für ihr Narrativ des Lebenslaufs ist ein Konversionserlebnis, ausgelöst durch den Akt der Selbst- und Gotteserkenntnis. Vielfach berufen sie sich auch auf die Inspiration a Deo durch Visionen, Auditionen und Prophetien, die ihnen direkten Zugang zum göttlichen Wissen und Willen ermöglichten und vice versa eine gewisse Unabhängigkeit von der Kirche als Institution und deren Autoritäten sicherten. Als Individuen meinten sie ihre Selbsterkenntnis aus der göttlichen Eingebung zu beziehen, wenngleich ihnen natürlich bewusst war, dass ihre Vernunftbegabung erst durch den traditionellen Lehr- und Unterrichtsbetrieb gefördert und entwickelt worden war. In der mediävistischen Forschung wird der Individuationsprozess, der sich in diesen Schriften widerspiegelt, in das 12./13. Jahrhundert datiert.10 Diese Form der Selbstreflexion – so die Annahme – setze das scholastische Denken voraus11, das an den französischen Kathedralschulen und an den Universitäten gelehrt wurde. Der früheste dieser Texte, das Selbstzeugnis des Rather von Verona (um 890–974), ist jedoch deutlich älter als die genannten Institutionen. Auch Otloh von S. Emmeram (1010 – um 1070) kann allenfalls als „Vorscholastiker“ durchgehen, Guibert von Nogent (1055? – um 1125) als „Frühscholastiker“. Erst mit den Selbstdarstellungen des Petrus Abaelardus (1079–1142), des Markward von Fulda (1150–1165), des Suger von St. Denis (um 1080–1151) und des Gerhard von Cambrai (1147–1223) erreicht man die Blütezeit der Scholastik. Daher muss es andere Gründe für die Entstehung dieser neuen Form der Selbstäußerung gegeben haben als das dialektische Denken unter dem Einfluss der aristotelischen Philosophie, die sich im 12./13. Jahrhundert im Westen Bahn brach. Diese Schriften entstanden nicht erst während des sog. Investiturstreits und nach dem Aufkommen der neuen Schulen, sondern bereits im Umfeld der monastischen Reformbewegungen von Gorze und vor allem Cluny. Die Autoren argumentierten keineswegs nur selbstbezüglich, sondern sie verknüpften die Deutung des eigenen Lebenslaufs aufs Engste mit der Kritik an kirchlichen und monastischen Praktiken sowie mit Vorschlägen zu deren Behebung. Ihren Bildungskanon bezogen sie aus dem Boethianischen System der sieben freien Künste. Zumindest die frühen Vertreter dieser Selbstäußerungen orientierten sich eher am platoni10  Die Debatte über die „Entstehung des Individuums im Hochmittelalter“ wurde in der Mediävistik ausgelöst durch Morris 1987. 11  Vgl. dazu jetzt umfassend Rexroth 2018.

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schen als am aristotelischen Gedankengut. Sie standen damit der spätantiken Philosophie12 näher als derjenigen der Domschulen und Universitäten. Sie rezipieren antike Anthropologien, etwa das Wachs-Bildnis (Ps.-)Plutarchs13 und die ausgewogene Erziehungslehre des Johannes Chrysostomos14. Ihren Konfessionsschriften dienten die Confessiones Augustins als Vorbild.15 Diese Hypothesen will ich im Folgenden an zwei Fällen aus der oben genannten Gruppe exemplifizieren, und zwar an dem Mönch Otloh aus dem Benediktinerkloster S. Emmeram in Regensburg und dem Kleriker und späteren Mönch Guibert aus Nogent.16 Das Meiste, was wir über die beiden wissen, verdanken wir ihren eigenen Werken, darunter ihren Selbstzeugnissen.17 Guiberts De vita sua sive Monodiarum libri tres ist nach Auffassung Georg Mischs „die erste umfassende Autobiographie, die uns aus der mittellateinischen Literatur überkommen ist, ‚umfassend‘ in dem Sinne, dass darin das Leben des Autors in seiner Breite sowohl wie in seinem zeitlichen Verlauf von Abstammung und Geburt an behandelt ist“18. Das erste Buch, eine Bekenntnisschrift, folgt in Stil und Struktur den Konfessionen Augustins.19 Guibert hat seine Mutter er nach dem Vorbild Monikas, der Mutter Augustins, modelliert.20 Ins Zentrum des zweiten Buchs stellt Guibert die Geschichte der Klostergemeinschaft von Nogent. Im dritten Buch versammelt er eine Reihe von Mirakeln und erzählt die Geschichte der kommunalen Bewegung von Laon. An die Stelle seiner eigenen Geschichte treten hier zeitgenössische Ereignisse, die Autobiographie geht nun über in Historiographie. Guibert, der sich zunächst selbst bespiegelte, wandelt sich nun zum Beobachter und kritischen Kommentator seiner Lebenswelt. Otloh streute die Reflexionen über das eigene Leben in die unterschiedlichsten literarischen Gattungen ein, in didaktische, moralische und visionäre Werke, verfasst in Prosa und Reimen. Die moderne Literaturwissenschaft bezeichnet sol12  Vgl. dazu den Beitrag über die Philosophie in der Spätantike von Matthias Becker in diesem Band (S. 205–228). 13  Vgl. dazu unten S. 438. 14  Johannes Chrysostomos, De inani gloria et de educandis liberis 16 ff. (übers. von Glagla 1968). Vgl. auch den Beitrag von Jan Stenger in diesem Band (S. 343–347). 15  Augustinus, Confessiones 1,6 f. 16  Unter Betonung der literaturwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Aspekte dazu Röckelein 1994a und Röckelein 1994b. 17  Zu den Selbstzeugnissen von Otloh v. S. Emmeram vgl. Misch 1959, 57–107; zu den Selbstzeugnissen von Guibert de Nogent vgl. Misch 1959, 108–162. Zu Otloh von S. Emmeram (Lebensdaten, Werk und Überlieferung) vgl. Brunhölzl 1992, 473–483; Röckelein 1993; Schauwecker 1964; Vollmann 2003. Die autobiographischen Werke Otlohs sind überwiegend gedruckt in PL 146. Der Liber visionum wurde von Schmidt 1989 neu ediert. Zu Guibert von Nogent vgl. Bulst 1989, 1768 f., und Chaurand 1967, 1135–1139. Zu De vita sua vgl. die lateinisch-französische Ausgabe von Labande 1981 (die Einleitung enthält auch wichtige Angaben zur Biographie und zum sonstigen literarischen Werk) sowie die englische Übersetzung von Benton 1970. 18  Misch 1959, 109. 19  Vgl. Courcelle 1963, zu Guibert de Nogent bes. 272–276, und Hallenstein 1935. 20  Vgl. Röckelein 1990, 101–105.

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chermaßen strukturierte Werke als „beiläufige Selbstzeugnisse“21. Otlohs Selbstmitteilungen verdichten sich in dem „Büchlein der Versuchungen“ (Libellus de temptationibus), das er vermutlich um 1075 verfasste.22 Der erste Teil des Buches steht in der Tradition der Versuchungen des hl. Antonius, die Otloh vermutlich in der Version des Athanasius aus den Vitas Patrum kannte.23 Der zweite Teil enthält eine Kurzfassung von Otlohs Leben sowie ein Verzeichnis seiner eigenen Werke und der von ihm kopierten Schriften. Dieser Teil ist nach dem Vorbild der bereits in der Antike eingeführten literarischen Gattung De viris illustribus gestaltet. Der Libellus de temptationibus Otlohs ist ein Alterswerk. Er bündelte darin verstreute Aufzeichnungen aus früheren Werken, schmückte sie aus und interpretierte sie zum Teil neu aus der Distanz des Alters. Eingebaute moralisch-theologische Exkurse reklamieren eine gewisse Allgemeingültigkeit der Schlussfolgerungen, die er aus seinem eigenen Leben zog. Grundlage für das Versuchungsbuch waren seine Doctrina spiritualis24 (entstanden kurz nach 1032), sein Liber visionum (1062–1066)25, sein Dialogus de tribus quaestionibus26 (1066?) und sein Liber de cursu spirituali27 (verfasst 1068 oder später). Den Plan, die Doctrina, das Visionsbuch und den Dia­logus zu einer Trilogie zu vereinen und darin den eigenen stufenweisen Aufstieg zur Gotteserkenntnis in einem irdischen Abbild der göttlichen Trinität nachzugestalten28, konnte er nicht mehr verwirklichen. Seine Konfessionsschrift (De confessione actuum meorum), aus der sicher noch mehr über sein Leben zu erfahren gewesen wäre, ist nicht erhalten.29 Im Visionsbuch fügt Otloh seine eigenen transzendentalen Erfahrungen in ein Set von Erfahrungen anderer Individuen, die er persönlich kennengelernt hatte, und in gleichartige Erzählungen, die ihm andere zugetragen hatten. Wie in Guiberts drittem Buch des eigenen Lebens, so geht auch Otloh im Buch der Visionen vom „Eigenen“ in das „Andere“ über. Während er die ersten vier Kapitel seinem eigenen Werdegang widmet, beschreibt er in den restlichen 19 Kapiteln Visionen anderer zeitgenössischer Mönche, Kleriker und Laien, und er fügt diesen Visionserzählungen aus der literarischen Gattungstradition bei. Indem er das Ganze mit Bibelzitaten dekoriert, erhöht er die Autorität und Glaubhaftigkeit der visionären 21  Brunhölzl 1980, 1262. Müller 1976, 300 f., unterscheidet Autobiographien als „selbständige Text[e] […], in denen ein Autor die ausdrücklich ausgesprochene oder aber deutlich feststellbare Absicht hat, sein eigenes Leben in dessen Verlauf oder in einem bzw. mehreren Abschnitten darzustellen“ von der „formal unselbständige[n] autobiographische[n] Mitteilung im Zusammenhang eines grösseren Textes“. 22  PL 146, 23A–58C. Der erste Teil des Libellus de temptationibus wurde von Blum 1977 ins Deutsche übersetzt. 23  So zumindest die Vermutung von Schauwecker 1964, 90. 24  PL 146, 263A–300A. 25  Schmidt 1989. 26  PL 146, 61A–136D. 27  PL 146, 139D–242C. 28  Otloh, Libellus de temptationibus 2 (PL 146, 51B–54D). Vgl. Misch 1959, 106 f. 29  Er erwähnt sie im Libellus de temptationibus 2 (PL 146,56B).

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Erzählungen, unterlegt er diese mit christlicher Ethik und verleiht ihnen dadurch normative Gültigkeit. Was schreiben Guibert und Otloh nun über ihre Erziehung, ihre Sozialisation und ihre Bildung? Wir erfahren, dass beide aus adeligen Familien stammten: Der Erstgenannte kam 1010 in Baiern zur Welt, der Letztgenannte vermutlich 105530 in Nordfrankreich. Beide waren nach dem Willen ihrer Eltern für die Klerikerlaufbahn vorgesehen: Otloh aus unbekannten Gründen31, Guibert aufgrund eines Gelübdes, das die Eltern bei seiner Geburt abgelegt hatten, um das Leben des kränkelnden Säuglings zu retten. Beiden ließen die Eltern eine sorgfältige Erziehung zuteilwerden, beide genossen eine umfassende Schulbildung.32 Otloh besuchte seit dem 6. oder 7. Lebensjahr die Klosterschule in Tegernsee. Guibert wurde, nachdem er bei seiner Mutter lesen gelernt hatte, im vierten Lebensjahr, am Festtag des hl. Gregor33, des Kirchenvaters und Patrons der Schüler, den Guibert später sehr verehrte34, einem Privatlehrer zur Ausbildung und Erziehung übergeben. Dieser sollte ihn ausdrücklich nicht nur die lateinische Sprache und Literatur lehren35, sondern ihm außerdem den Habitus, das Auftreten und die Verhaltensweisen einers Klerikers beibringen. Dazu gehörte es, ihm die Tugenden der Bescheidenheit (modestia) und der Sittsamkeit (puditia) sowie gute Manieren (elegantia exterior) zu vermitteln.36 Doch unsere beiden Helden entwickelten sich ganz gegen die Erwartungen und Ansprüche der Eltern. Zunächst erlagen sie der Faszination des Lebens ihrer ritterlichen Altersgenossen. Sie gebärdeten sich wie diese, schwelgten in Kleider­luxus und gaben sich sexuellen Ausschweifungen hin. Diese Phase durchlebte Otloh, nachdem er das Kloster Tegernsee verlassen hatte und bevor er in S. Emmeram eintrat.37 Der Lehrer Guiberts führte über dessen Lebensführung so heftige Klage, dass die Mutter mit dem Gedanken spielte, das Gelübde zu brechen und ihren Sohn dem ritterlichen Leben zu überlassen. Als der Lehrer seinen Schüler wieder einmal geschlagen hatte, versprach die Mutter ihrem Sohn: „‚Von nun an sollst du nimmermehr ein Kleriker werden und dich nicht länger strafen lassen müssen, um Latein zu lernen.‘… Sie hatte mir nämlich versprochen, wenn ich Ritter werden wollte, würde sie mir, sobald ich das Alter dazu hätte, die Ausrüstung eines Kriegers und Waffen geben“38. Guibert vermutet, dass sein Vater – wäre er noch 30  Das Geburtsjahr Guiberts ist umstritten, die Diskussion zusammengefasst bei Labande 1981, IX.XI. 31  Schauwecker 1964, 7 f. 32  Zur Erziehung Guiberts vgl. Halphen 1939. 33  Guibert de Nogent, De vita sua 1,4 (Labande 1981, 26). 34  Zu Gregor d.Gr. als Patron der Schüler vgl. Bächthold-Stäubli 1927/1987, 1128 f. Guibert schrieb einen Kommentar zu Gregors Moralia (Guibert de Nogent, Moralium Geneseos libri decem, PL 156, 9–181). 35  Guibert de Nogent, De vita sua 1,4 (Labande 1981, 26). 36  Guibert de Nogent, De vita sua 1,5 (Labande 1981, 32). 37  So Otloh, Liber visionum 2 und 3; vgl. dazu Schauwecker 1964, 10. 38  Guibert de Nogent, De vita sua 1,6 (Labande 1981, 40). Vgl. dazu Misch 1959, 125.

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am Leben gewesen – diesen Entschluss unterstützt hätte.39 Guibert wandte sich endgültig dem ritterlichen Leben zu, als sich seine Mutter zusammen mit dem Lehrer in die Einsamkeit zurückzog und das vaterlose Kind in der Gesellschaft ju­gend­licher Verwandter zurückließ: „Ich begann über alles, was Kirche heißt, zu spotten, die Schule zu verabscheuen, mich an den Gelagen meiner Vettern, die ritterliche Übungen trieben, zu beteiligen, die Zeichen geistlicher Würde zu verhöhnen, auf Sünden-Ablaß zu vertrauen und mich dem Schlaf, von dem mir vordem nur ein geringes Maß erlaubt worden war, ungehemmt hinzugeben, so dass ich durch das ungewohnte Zuviel erschlaffte.“40 Als die beiden zur Genüge über die Stränge geschlagen hatten, entschlossen sie sich zum religiösen Leben und verfielen nun in das andere Extrem. Sie entschieden sich nicht für die Klerikerlaufbahn, die ihnen immerhin ein eheähnliches Verhältnis mit einer Konkubine ermöglicht hätte, sondern für die absolute Weltflucht und Askese im Kloster. Die eigene Erfahrung eines ausschweifenden Lebens war gewissermaßen die Voraussetzung für ihre Konversion zur vita religiosa. Otloh gelobte gegen den Willen und ohne das Wissen seiner Eltern schon als Schüler, sich später ganz dem Klosterleben zu weihen. Möglicherweise hatten die positiven Lernerfahrungen und die Bestätigung seiner intellektuellen Fähigkeiten an der Klosterschule von Tegernsee zu dieser Entscheidung geführt.41 Dieses Kloster hatte sich dank des Wirkens von Froumund († 1006/12) im 11. Jahrhundert zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit und der Antikenrezeption entwickelt, in dem die Mönche nicht nur Latein, sondern auch Griechisch lernten und sich – wie Otloh später selbst – darin übten, lateinische Texte ins Althochdeutsche zu übersetzen.42 Bei Guibert ging offenbar die Saat auf, die sein Lehrer lange Zeit zu säen versucht hatte. Er hatte seinem Zögling nämlich – trotz seines anderslautenden Auftrags – nicht das Verhalten eines künftigen Klerikers, sondern das eines Mönchs antrainiert.43 Er verbot ihm, mit anderen Kindern zu spielen, außer Hauses zu essen und Geschenke anzunehmen. Der Lehrer behielt ihn ständig unter seiner Aufsicht. Vom Unterricht war er nicht einmal an Sonn- und Feiertagen befreit. Trotz der grundsätzlichen Entscheidung zum monastischen Leben bedurfte es bei beiden eines einschneidenden Erlebnisses für die Konversion. Guibert behauptet, er sei nach dem Eintritt in das Kloster St.-Germer-en-Fly, wo er erneut der Obhut seines früheren Lehrers unterstellt werden sollte, von der Atmosphäre der klösterlichen Abgeschlossenheit und Kontemplation derart beeindruckt gewesen, dass er sich spontan für die Kutte entschieden habe.44 Otloh gibt an, sich nach einem Streit mit einem Kleriker und aufgrund einer Krankheit, die tödlich Guibert de Nogent, De vita sua 1,4 (Labande 1981, 24). Guibert de Nogent, De vita sua 1,15 (Labande 1981, 106.108). Vgl. dazu Misch 1959, 131. 41  Röckelein 1986, 34–37. 42  Hellgardt 2009; Berschin 2005; Aerts 1995; Schwenk 1995/99. 43  Guibert de Nogent, De vita sua 1,5 (Labande 1981, 30). 44  Guibert de Nogent, De vita sua 1,16 (Labande 1981, 130). 39  40 

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zu enden drohte, vom klerikal-weltlichen Leben abgewendet zu haben.45 Doch beide Mönche gingen nicht nur einfach ins Kloster, sondern schlossen sich später geistlichen Reformbewegungen ihrer Zeit an.46 Otloh wurde ein Freund des Emmeramer Mönchs und späteren Abtes Wilhelm von Hirsau, eines der wichtigsten Propagandisten der cluniazensischen Bewegung in Deutschland;47 Guibert finden wir unter den Verehrern des Eremiten Bruno des Kartäusers und unter den Verfechtern der Gregorianischen Reform.48 Wie bereits angedeutet, reflektieren Otloh und Guibert in ihren Bekenntnissen ausführlich über die Erziehung, Sozialisation, die Lehrmethoden und das Lehrer-Schüler-Verhältnis. Beide Mönche sahen als Erwachsene die Beziehung zu ihren Lehrern ambivalent. Otloh kritisierte die harten Erziehungsmethoden seiner Tegernseer Lehrer und bemängelte, dass den Schülern und Kindern in S. Emmeram zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Dafür rügte er die Verantwortlichen, den Abt und den Bischof.49 Guibert, der sich im Rückblick für einen begabten Schüler hielt, glaubte durch die falschen Erziehungsmethoden seines unfähigen Lehrers vom Lernen eher abgehalten als gefördert worden zu sein.50 Die mangelnden Latein- und Grammatikkenntnisse sah er ihm nach51, da er ein typisches Produkt des allgemeinen Bildungsnotstands seiner Zeit gewesen sei.52 Er hält seinem Privatlehrer zugute, dass er dieses Defizit durch honestas, Bescheidenheit, ausgeglichen habe.53 Zugleich konstatiert er, dass sich die Quantität und Qualität der Lehrer durch die vagierenden Kleriker, die in den Domschulen oder von Wandergelehrten ausgebildet worden waren, nun (1114/15) merklich gebessert habe.54 Trotz vielfacher Kritik an ihren Lehrern erkennen Otloh und Guibert die Rolle der Erzieher für die Entwicklung der Persönlichkeit des Zöglings vorbehaltlos an. Der Lehrer war – gerade wenn der leibliche Vater fehlte – die wichtigste Autori45  Otloh, Liber visionum 3 (Schmidt 1989, 42–44). Krankheit als Motiv für die Konversion vom weltlichen zum geistlichen Leben ist indes ein gängiges Motiv hochmittelalterlicher Hagio­graphien, etwa in Bezug auf den Reformabt von Cluny um 930: Vita Odonis auctore Johanne 1,5 (PL 133, 45). 46  Vgl. dazu ausführlicher Röckelein 1994b, 38. 47  Otloh schenkte Wilhelm mehrere, von eigener Hand geschriebene Bücher, vgl. Otloh, Libellus de temptationibus 2 (PL 146, 58B) und Misch 1959, 67 Anm. 32. Wilhelm von Hirsau wählte Otloh zum Dialogpartner in seinen Traktaten De astronomia und De musica (Bischoff 1967, 94 f.). 48  Vgl. dazu vor allem den dritten Teil der Monodiae Guiberts. 49  Otloh, Liber visionum 19 (Schmidt 1989, 72): sub eo tempore tam ob abbatis quam epis­ copi incuriam omnia discipline vincula in cenobio eodem laxata sunt. 50  Guibert de Nogent, De vita sua 1,5 (Labande 1981, 32). Zur Kritik Guiberts an den Lehrern und Erziehungsmethoden der Zeit vgl. Rexroth 2018, 62–65. 51  Nach Guiberts Angaben besaß der Lehrer nicht die geringste Kenntnis der Rhetorik und Verskunst: Guibert de Nogent, De vita sua 1,5 (Labande 1981, 32). 52  Guibert de Nogent, De vita sua 1,4 (Labande 1981, 26). 53  Guibert de Nogent, De vita sua 1,4 (Labande 1981, 26). 54  Guibert de Nogent, De vita sua 1,4 (Labande 1981, 26).

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tätsperson für sie, eine Art Vaterersatz.55 Guiberts Lehrer war – trotz der strengen Zucht, der Schläge, der Paukerei – eine Vertrauensperson, bei der der Junge Trost und Zuflucht fand, wenn er aus den Alpträumen erwachte, in denen er von kriegerischem Gemetzel und den Grausamkeiten des ritterlichen Lebens verfolgt wurde.56 Den Nährboden seiner Alpträume stellten die Turniere, Jagden und Kämpfe jugendlicher Ritter dar, bei denen sich junge Adelige häufig verletzten oder zu Tode kamen.57 Zum idealen Lehrer und zum Gegenstück seines Privatlehrers stilisierte Guibert Anselm von Bec, von dem er in späteren Jahren unterrichtet wurde. „Da ich mich – sowohl alters- als auch wissensmäßig – noch im Kindesalter befand, bot er sich an, mich zu lehren, wie ich mich innerlich verhalten sollte, wie ich die Gesetze der Vernunft für die Beherrschung meines Körpers nutzen konnte. […] Er lehrte mich, meinen Verstand nach der dreifachen bzw. vierfachen Methode zu üben58 […]. Er erwies mir mit solchem Eifer die Wohltat seiner Unterweisung, bemühte sich darum mit solcher Beharrlichkeit, dass ich vornehmlich, ja allein der einzige Anlaß seiner häufigen Besuche in unserem Kloster zu sein schien.“59 Guiberts überschwängliches Lob darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Anselm streng zu seinen Schülern sein konnte. Die Idealisierung Anselms durch Guibert hängt vermutlich damit zusammen, dass dieser alles, was er in seinem Leben je erreicht hatte, auf seine exegetischen und literarischen Fähigkeiten zurückführte, und sich damit von den Zeitgenossen abzuheben suchte, die ihre Ämter dem gängigen System aus Patronage und Simonie verdankten.60 Ein Dauerthema der Erziehungsdebatte war im Mittelalter – wie schon in der Antike – die Prügelstrafe. Auch Otloh und Guibert setzen sich intensiv damit auseinander.61 Guibert hatte bei seinem Privatlehrer die Rute mehr als einmal zu spüren bekommen: Als sie [= die Mutter] mich nun wie gewöhnlich fragte, ob ich an dem Tage Schläge bekommen hätte und ich das, was geschehen war, ableugnete, denn ich wollte nicht als Angeber meines Lehrers erscheinen, streifte sie mir, ob ich nun wollte oder nicht, das Unterkleid, das man Hemd nennt, zurück, sah meine blauen Ärmchen und die Haut am Rücken überall geschwollen von den Rutenschlägen.62 55  Den vertrauten Umgang zwischen Lehrer und Schüler schildert Otloh, der sich, als er aus dem Züchtigungstraum erwachte, von dem Knaben, der sein Zimmer teilte, auf eventuelle Spuren der Schläge hin untersuchen ließ (Otloh, Liber visionum 3; Schmidt 1989, 46 f.). 56  Guibert de Nogent, De vita sua 1,15 (Labande 1981, 114.116). 57  Zum aggressiven Potential dieser Jugendlichen vgl. Duby 1964, 839 f. 58  Gemeint ist die Auslegung der Bibel nach dem dreifachen bzw. vierfachen Schriftsinn, vgl. de Lubac 1959, 190 no. 1. 59  Guibert de Nogent, De vita sua 1,17 (Labande 1981, 140), vgl. Misch 1959, 113. 60  Guibert de Nogent, De vita sua 1,19 (Labande 1981, 166). 61  Über Kindererziehung im Kloster vgl. allgemein Riché 1975. Zur kontroversen Debatte über die körperliche Züchtigung vgl. Arnold 1980, 80–86. Die Befürworter der Körperstrafen verwiesen darauf, dass es sich um Reinigungsrituale handele, mit deren Hilfe man Dämonen austreiben könne. 62  Guibert de Nogent, De vita sua 1,6 (Labande 1981, 32); vgl. Misch 1959, 125.

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Otloh erinnert noch im Erwachsenenalter die Schläge, die die Klosterschüler in Tegernsee erdulden mussten. Und obgleich er selbst – dank göttlicher Hilfe, wie er betont – wegen seiner schnellen Auffassungsgabe, seiner Lernbereitschaft und seines guten Gedächtnisses63 meist von der verhassten Rute verschont wurde, sollte auch bei ihm der autoritäre Erziehungsstil bleibende Spuren hinterlassen. Lohn und Strafe prägten seine Vorstellungen vom Jenseits und von Gott bis ins Erwachsenenalter. Sollte er den Einflüsterungen und Verführungskünsten der Dämonen, die ihn ständig heimsuchten, erliegen, drohten ihm Krankheit und ewige Höllenqualen: Ich verkünde dir […], dass du, wenn du den Gottesstreit standhaft durchkämpfst, künftighin ewigen Lohn empfangen wirst und in dieser Welt dein Ruhm sich verbreiten wird.64

Virulent wurden die Körperstrafen, sei es realiter, sei es in den Phantasien der Schüler, auch im Kontext der umstrittenen Lektüre heidnischer paganer Klassiker.65 Diese Werke, ideale Übungsstoffe für das Erlernen der lateinischen Grammatik und Rhetorik, waren einerseits aus dem mittelalterlichen Unterricht nicht wegzudenken, ließen sich andererseits jedoch nur bedingt mit den Wertevorstellungen der christlichen Doktrin vereinbaren. Als besonders „jugendgefährdend“ galten die Werke des Vergil und des Ovid sowie die Dramen des Terenz und des Plautus. Anstoß nahmen die christlichen Moraltheologen vor allem an den Schilderungen sexueller Freizügigkeit dieser Autoren. Doch die Schüler des Mittelalters ließen sich von den Verboten nicht abhalten und lasen die heidnischen Autoren heimlich. Guibert, der später die Wortspielereien der Klassiker beklagte, gesteht, er habe sich bei seinen ersten schriftstellerischen Versuchen die obszönen Gedichte Ovids und der Bukolik zum Vorbild genommen.66 In Otlohs Werken haben die Schriften von Cicero, Plato, Aristoteles, Vergil, Horaz, Juvenal, Terenz und Phaedrus Spuren hinterlassen.67 Es ist seit langem bekannt, dass die großen historiographischen Werke des Hochmittelalters gespickt sind mit direkten oder aus dem Gedächtnis zitierten Klassikerreferenzen. Die Klassiker können also auch aus dem offiziellen Unterricht nicht vollständig verbannt gewesen sein.68 Manche Schüler, die die Zensur umgingen, entwickelten allerdings Schuldgefühle wegen ihres heimlichen Tuns und wurden in nächtlichen Träumen von Prügelstrafen und Strafphantasien heimgesucht. Otloh verfiel in eine schwere Libellus de temptationibus I (Blum 1977, 46): „Du hattest nicht nur jene Gesänge und Lesestücke, die dein Lehrer schon vorerklärt hatte, sondern auch diejenigen, die noch gar nicht aufgeschlüsselt worden waren, so schnell und so gut gelernt, dass du deinen Mitschülern als ein großes Wunderkind erschienst.“ 64  Otloh, Liber visionum 4 (Schmidt 1989, 59). Vgl. dazu Misch 1959, 69. 65  Die Diskussion um den Einsatz heidnischer Klassiker im Unterricht setzt bereits in der Kirchenväterzeit ein. Vgl. dazu Curtius 1969, 443–461; Kristeller 1980, 69–86. 66  Guibert de Nogent, De vita sua 1,17 (Labande 1981, 134). 67  Vgl. Schauwecker 1964, 179–182.192 f. 68  Zum Kanon der Schullektüre vgl. Glauche 1970. 63 

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Krankheit, als er während der Fastenzeit heimlich Lucan, den martialischsten aller römischen Dichter, anstelle der Bibel gelesen hatte.69 Modell für die literarische Verarbeitung nächtlicher Prügelträume nach der Lektüre paganer Klassiker stand der Prügeltraum des Hieronymus.70 Otloh erkannte, dass sich das Problem nicht allein durch Verbote lösen ließ, sondern dass man den Schülern für die Grammatik und Rhetorik neues Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellen musste, das mit dem christlichen Wertekanon konform ging. Um Abhilfe zu schaffen, stellte er in der Tradition der Proverbien des Seneca zwischen 1062 und 106671 Bibelsprüche, Verse und Sentenzen zusammen, die von Obszönitäten und heidnischen Glaubensinhalten frei waren und bedenkenlos im Elementarunterricht verwendet werden konnten. Die Pro­ verbia, die sich an discipuli und magistri richten, sollten die Fabeln des Avian und die für Anfängerübungen beliebten Disticha Catonis ersetzen. Doch trotz aller Bemühungen kam auch Otloh nicht gänzlich ohne die heidnischen Vorbilder aus. Unter die christlichen Sprüche mischte er einzelne Sätze aus Cato, Horaz, Lukan, Phaedrus und Seneca.72 Otloh und Guibert lehnten die strenge Disziplin und die körperliche Züchtigung, die sie im Privatunterricht und in der Klosterschule kennengelernt hatten, einhellig ab. Sie teilten diese Auffassung mit Egbert von Lüttich, Anselm von Canterbury, Alanus von Lille und Richard von St. Viktor. Anselm von Canterbury, der während seines Priorats im nordfranzösischen Bec auch Guibert von Nogent unterrichtete, sprach offen über die Langzeitfolgen der harten Zucht. Einem anderen Abt, der sich darüber beklagte, dass seine Schüler trotz permanenter Schläge immer dümmer und wilder würden, soll er – nach Angaben seines Biographen Eadmer – erklärt haben: Weil sie [die Schüler] keine Liebe, kein Mitleid, kein Wohlwollen und keine Zuneigung in eurer Haltung erkennen können, haben sie auch in Zukunft kein Vertrauen in eure Güte, sondern glauben, dass sämtliche eurer Taten nur aus Haß und Mißgunst ihnen gegenüber resultieren. Die beklagenswerte Folge ist, dass mit ihnen und in ihnen Haß, Mißtrauen und die Neigung zum Laster wachsen. Und weil sie im Verlauf ihrer Erziehung keinerlei wahre Liebe erfahren haben, vermögen sie allen Menschen nur mit Mißtrauen und Mißgunst zu begegnen […].73

Anselms Lerntheorie setzt auf Imitation: das Verhalten des Lehrers solle dem Schüler ein Leitbild sein. Anselm verglich die Jugendlichen mit einem Stück warmem Wachs, das man prägen könne und müsse. Er greift hier eine Metapher 69  Otloh, Liber visionum 3 (Schmidt 1989, 45–47). Zur Ambivalenz und Bedeutungsvielfalt von Schlägen in Verbindung mit dem Hieronymus-Prügeltraum Otlohs vgl. Röckelein 1986, 41–57. 70  Vgl. dazu Maaz 1990, 998; Schreiner 1994. Weitere Beispiele für Strafvisionen nach verbotener Klassikerlektüre bei Röckelein 1986, 43–45. 71  Korfmacher 1936. 72  Vgl. die Belege bei Schauwecker 1964, 202–205. 73  Eadmer, Vita S. Anselmi 22 (Southern 1972, 37 f.). Vgl. Arnold 1980, No. 14, 102 f.

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­ lu­tarchs auf, wonach das Kind (puer) wie flüssiges Wachs sei, dem man sein SieP gel aufdrücken könne.74 Der Erwachsene (homo) dagegen sei wie hart gewordenes Wachs, das man nicht mehr modellieren könne. Nach Auffassung Anselms verspreche die Arbeit des Erziehers beim Jugendlichen (adolescens) und beim jungen Mann (iuvenis) den größten Erfolg.75 Wie sein Lehrer Anselm, so plädierte auch Guibert für ein altersgerechtes Unterrichtskonzept.76 Gott habe schließlich die Welt nicht uniform geschaffen, sondern erfreue die Menschen durch die Abwechslung in der Natur, durch die Unterschiede von Tag und Nacht und die Jahreszeiten. So müsse sich jeder Lehrer überlegen, wie er den Unterricht von Kindern und Jugendlichen abwechslungsreich gestalten könne, denn für sie müsse ein anderer Unterricht gehalten werden als für die ernsten Alten. Otloh und Guibert sahen im Kind mehr als nur ein Objekt von Erziehung und Bildung. Es verkörperte nach ihrer Ansicht in seiner Naivität, seiner Unwissenheit das Ideal eines Menschen gemäß dem Wort der Schrift (Mt 18,3): „Wenn ihr euch nicht bekehrt und nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“77 Johannes Homo Dei lieferte dazu die eigenwillige Etymologie des Wortes puer: Pueri a puritate dicti sunt 78. Eine solchermaßen positive Sicht auf das Kind vermittelt auch die Regula S. Benedicti.79 Andere mittelalterliche T heologen wie Wilhelm von St. T hierry sahen hingegen – in Anlehnung an Augustin – in der Unerfahrenheit und Unwissenheit des Kindes das „Teuflische“, das Lasterhafte, das Sündige. Manch einer der Gelehrten des 11. und 12. Jahrhunderts – zu nennen wären hier Abaelard, Petrus Damiani, Ulrich von Hirsau und Petrus Venerabilis – empfanden Kinder – wie schon der Kirchenvater Hieronymus – als Störenfriede, die sie durch ihr Geplärre und Gezänke nur am Philosophieren hinderten. Das Bild des unschuldigen, weil unwissenden und vom Zweifel unberührten Kindes stellten Otloh und Guibert dem Zweifel und der Verzweiflung des Erwachsenen gegenüber. Den Zustand der Unschuld, Reinheit und Vollkommenheit des Kindes konnte der Erwachsene jedoch nie mehr erreichen:80

74  Ps.-Plutarch, De liberis educandis 5,15–19. Die Erziehungsfähigkeit verglichen andere Autoren mit der Modellierbarkeit von Ton. Vgl. die Beispiele bei Arnold 1980, 85. 75  Eadmer, Vita S. Anselmi 21 (Southern 1972, 20 f.). Diese Altersangaben lassen sich nicht exakt in Jahre umsetzen, da die Spannen bei einzelnen Autoren stark schwanken. Vgl. dazu Hofmeister 1926 und Arnold 1980, 20. Anders als Anselm vertraten Guibert und Otloh jedoch die Auffassung, dass auch der Erwachsene noch bildungsfähig sei. Vgl. dazu Röckelein 1994b, 42. 76  Guibert de Nogent, De vita sua 1,5 (Labande 1981, 32–34). 77  Vgl. Voeltzel 1973, 32–39 und Legasse 1969. 78  Vgl. Riché 1975, 696 mit weiteren Beispielen in dieser Richtung. 79  Quellenbelege bei Riché 1975, 698 ff. 80  Vorbild für die Spiritualität des Kindes war die Kindheit Jesu. Vgl. dazu Wentzel 1960, Landolt-Wegener 1961, Bonney 1980.

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So will ich denn beweisen, dass du das, was du in deinem Erwachsenendasein trotz der vielzähligen Fingerzeige nicht mehr kennst, einst in deiner Jugendzeit ziemlich genau gewußt hast.81 Was für ein Mann, der, während er als Knabe auf dem rechten Wege vorwärtsschritt, im Mannesalter richtungslos sich hin und herwendet! 82 Wenn ich doch jetzt, o Herrgott, Dein Gericht so fürchten und die schwersten Sünden so verabscheuen würde, wie ich damals die kleinsten, ja nichtigen verabscheute! Ich eiferte glühend denen nach, die ich über ihre Vergehen weinen sah … und während ich jetzt in den Schriften nur Prahlerei und eitle Worte suche und sogar die schändlichen Aussprüche der Heiden aus Geschwätzigkeit vorbringe, fand ich damals in ihnen nur Grund zu Schmerz und Trauer und meinte überhaupt nichts gelesen zu haben, wenn mir das Gelesene nicht Anlaß zur Beschauung und Zerknirschung gegeben hatte.83

Das Kind besitzt – nach ihrer Auffassung – den natürlichen Glauben, das natürliche Gottvertrauen, sofern es eine beschützte Kindheit erlebt und ein positives Vaterbild entwickeln kann. Dass dies gelingt, dazu kann der Erzieher, der Lehrer entscheidend beitragen. Der Erwachsene hingegen, der durch seinen Verstand, die Ratio, das kritische Urteil, den Widerspruch zwischen Glauben und Intellekt permanent erfährt, verliert das natürliche Gottvertrauen und muss sich die Gottesgewissheit erst durch harte intellektuelle Arbeit, die Beseitigung der Widersprüche, neu erarbeiten. Das Leben verläuft nach Otlohs und Guiberts Vorstellungen in einer dialektischen Spiralbewegung, die vom kindlichen Gottvertrauen ausgeht, durch die Vernunft den Widerspruch zwischen Erfahrung und Erkenntnis erfährt und dadurch zum Zweifel gelangt, um am Ende zur Gottesgewissheit, nun aus Erfahrung und rationaler Erkenntnis gespeist, zurückzukehren. Dass der Mensch, bevor er das Erwachsenenalter erreicht, der Erziehung und Bildung bedarf, stand für Guibert und Otloh außer Frage.84 Beide hatten präzise Vorstellungen von der stufenweisen Entwicklung, die der Mensch von der Kindheit zum Erwachsenenalter durchläuft, und von einer altersspezifischen Didaxe sowie einem optimalen Lernalter. Otloh bedient sich eines Vergleichs aus der Natur, um den menschlichen Entwicklungsprozess zu beschreiben: Wie ich an mir selber erfahren und oft von anderen gehört habe, kann niemand schnell in dem, worum er sich bemüht, zur Vollkommenheit gelangen, sondern alles fängt im Kleinen an wie das Korn, das aus dem in die Erde geworfenen Samen entsteht, heranwachsend zuerst zum Halm, dann zur Ähre und schließlich zur vollen Frucht sich wandelt. Das be-

Otloh, Libellus de temptationibus I (Blum 1977, 45). Otloh, Liber de cursu spirituali 23 (PL 146, 223BC); vgl. Misch 1959, 80. Ähnlich in Li­ bellus de temptationibus I (Blum 1977, 46). 83  Guibert de Nogent, De vita sua 1,15 (Labande 1981, 114 und ähnlich 116); vgl. Misch 1959, 133 f. 84  Aus dem hohen Mittelalter sind aus monastischen Kreisen nur wenige Traktate über Erziehung erhalten. Vgl. Leclercq 1957, 1963 und 1975. Die Consuetudines der Klöster geben – als Ausführungsbestimmungen der Regel – genauere Auskunft über die Lebensumstände der Kinder in den Klöstern. 81  82 

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deutet, dass alle Hochstrebenden in vielen Versuchungen erprobt werden müssen, ehe sie zu der Frucht der Vollkommenheit gelangen.85

Da dieser langsame Entwicklungs- und Reifungsprozess den Gesetzen der Natur und dem Willen Gottes gehorche, müsse jede übereilte, hochmütige, übereifrige Beschleunigung des natürlichen Ablaufs als Vergehen wider die Natur, wider den göttlichen Plan, und somit als Sünde betrachtet werden. Das Elementarste und zugleich Wichtigste, was Otloh und Guibert aus dem Unterricht mitnahmen, war jenseits aller intellektuellen Schulung und exegetischen Übung indes das Schreiben, und zwar in einem doppelten Sinn, zum einen als Kulturtechnik86, zum anderen als schriftstellerische Tätigkeit. Obwohl Otloh das Schreibenlernen als schmerzhaften Prozess der Anpassung an vorgegebene Normen erlebte, denen er sich Zeit seines Lebens nicht beugen mochte87, war er dennoch stolz auf seine Leistungen als Kopist. Er führt in seinem Werkverzeichnis nicht nur die von ihm geschaffenen Werke auf, sondern auch die Werke, die er „nur“ kopiert hat.88 Und er ehrte seinen Freund Wilhelm, indem er ihm von eigener Hand kopierte Werke schenkte.89 Das Schreiben als literarische Tätigkeit erlaubte es Otloh und Guibert, Normen zu überschreiten und darüber öffentlich Bekenntnis abzulegen. In ihren Selbstaussagen schreiben sie sich alle Zweifel und Bedrängnisse von der Seele, vergewissern sie sich ihrer selbst als „Ich“ oder „Selbst“ und finden schließlich den Glauben an Gott wieder. Die Niederschrift der eigenen Zweifel und Irrtümer trug wesentlich zur Katharsis Otlohs und Guiberts bei. Schreiben wurde für sie zum Medium der Selbstfindung, der Selbstvergewisserung und Selbstaufklärung, aber auch zum Medium der Gotteserkenntnis.90 Guibert reflektiert dies unmittelbar: Da somit dies beides feststeht: dass ich, indem ich mich erkenne, Dich zu kennen trachte und im Genuß des Wissens von Dir mich nicht verkennen kann, so ist angemessen und besonders heilsam, durch Konfessionen dieser Art in ständigem Forschen nach Deinem Licht meinen Verstand von der Dunkelheit zu befreien, auf dass er, für immerdar erleuchtet, fortan niemals von sich selbst nicht wisse.91 Otloh, Liber de cursu spirituali 20 (PL 146, 214A); vgl. Misch 1959, 64. Zu den Autographen Otlohs vgl. dessen Werkverzeichnis (s. o. S. 430). Guiberts ­Moralia in Genesim haben sich in einem Autograph erhalten: Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 2500, fol. 2r (Praefatio). 87  „Als kleiner Knabe in die Schulzucht gegeben, habe ich schnell lesen gelernt und begann dann weit früher als üblich und ohne Geheiß des Lehrers die Schreibkunst zu erlernen. In ungewöhnlicher Weise, heimlich, ohne Leitung mühte ich mich ab mit der Erlernung dieser Kunst“ (Otloh, Libellus de temptationibus 2; PL 146, 56D). Vgl. Misch 1959, 98. Den individuellen Schreibstil Otlohs kann man an seinem Autographen des Liber visionum nachvollziehen (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14673, fol. 3r mit eigenhändigen Korrekturen Otlohs). 88  S.o. S. 431. 89  S.o. Anm. 47. 90  Dezidiert in der Confessio Guiberts (Lib. 1,1–4) und im Dialog Otlohs mit Gott im ­Libellus de temptationibus I. 91  Guibert de Nogent, De vita sua 1,1 (Labande 1981, 6–8); vgl. Misch 1959, 119. 85  86 

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C. Abschließende Bemerkungen

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Potenziale von Bildung – damals und heute Peter Gemeinhardt* 1. Einleitung: Bildung (und anderes) in der Vormoderne Was Bildung in der Vormoderne sei – das fragt der vorliegende Band. Von Bildung wird gerne als einem „Megathema“ der Moderne, Spätmoderne oder Postmoderne gesprochen. Aber auch schon in Kulturen der Vormoderne – von der Frühen Neuzeit über Mittelalter und Spätantike bis zur klassischen Antike und zum Alten Orient – sind Prozesse der Sozialisation, der Formation und der Initiation zu beobachten, einschließlich ihrer theoretischen Reflexion. Der Begriff „Vormoderne“ dient als Kürzel dafür, dass sich die Beiträge des vorliegenden Bandes chronologisch vor der zumal durch den Buchdruck bewirkten Medienrevolution der Frühen Neuzeit1 bewegen, die sozialen und systemischen Differenzierungen moderner Gesellschaften nicht voraussetzen und den Begriff „Bildung“ nicht quellensprachlich, sondern durchgehend analytisch verwenden. Die in den Quellen zu findenden Termini für diese Prozesse sind vielfältig und bedürfen eines begrifflichen Instrumentariums, um je für sich erschlossen und zueinander in Beziehung gesetzt werden zu können. Daher zieht der vorliegende Band den modernen Begriff „Bildung“ heran, um eine differenzierte Perspektive für vergleichende Analysen vormoderner Kulturen zu entwickeln. Damit steht der eine Aspekt der Ellipse im Vordergrund, in der das Leitthema des Göttinger Sonderforschungsbereichs „Bildung und Religion“ besteht, ohne dabei den anderen Aspekt – „Religion“ – aus dem Blick zu verlieren.2 In vormodernen Kulturen sind gesellschaftliche Vollzüge wie Bildung und Religion, aber auch Kultur und Politik, Wirtschaft und Recht, nicht – jedenfalls nicht von vorneherein – funktional ausdifferenzierte und voneinander abgegrenzte soziale Systeme, sondern eng miteinander verwoben. Sie können heuristisch unterschieden, aber im *  Der vorliegende Aufsatz entstand im Kontext des DFG-geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion“ an der Universität Göttingen, Teilprojekte C 04: „Vermittler von Bildung im spätantiken Christentum: Lehrerrollen in Gemeinde, Familie und asketischer Gemeinschaft“ und C 05: „Der christliche Katechumenat von der Spätantike zum Frühmittelalter und seine religionspädagogische Rezeption“. 1  Hierzu vgl. jetzt ausführlich Kaufmann 2019. 2 Zum Religionsbegriff und zum Forschungsprogramm des SFB insgesamt vgl. Ge­ meinhardt 2017.

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Blick auf die Praxis kaum voneinander getrennt werden; beide Dimensionen – Nähe und Distanz – zeigt die Kopula „und“ an. Doch lassen sich in vormodernen Kulturen durchaus spezifische Diskurse über „Bildung“ identifizieren, die z. B. in Postulaten einer Rezeption von Bildungsgütern, Kompetenzen und Wissensbeständen über die Grenzen religiöser Traditionen hinaus resultieren können, aber auch in der Ablehnung solcher Aneignungen oder in der Forderung, die entsprechenden Bildungsgegenstände einer Transformation, ja sogar Dekontamination zu unterziehen, um falsche religiöse Eierschalen gründlich abzustreifen. All diese diskursiven Postulate setzen voraus, dass Bildung als ein besonderer Bereich im Leben, Handeln und Denken von Individuen und Gesellschaften identifiziert werden konnte – und dass, wenn dies erfolgte, die Verhältnisbestimmung zu religiösen Praktiken und Deutungen in besonderer Weise zu bedenken und auszuhandeln war. Die Verwendung des Bildungsbegriffs, wie sie der einleitende Beitrag entfaltete3, umfasst unthematische und reflektierte, beiläufige und intendierte, affirmative und nichtaffirmative, transitive und reflexive Vollzüge von Bildung. Mithin bezeichnet „Bildung“ ein Kontinuum, das lebensgeschichtlich mit basalen Prozessen der Sozialisation innerhalb der Familie und des mikrosozialen Umfelds beginnt und sich im Laufe der Zeit – keineswegs selbstverständlich – auf strukturierte Lehr-Lern-Prozesse in institutionalisierten Bildungseinrichtungen erweitern kann, die wiederum – nicht immer in einer präzise rekonstruierbaren Weise  – zur „Selbst-Bildung“, zur Herausbildung eines reflektierten Blicks auf Selbst, Welt, Götter oder Gott führt. Dies ist nicht im Sinne einer linearen, regelmäßig zu beobachtenden Entwicklung zu verstehen: Vormoderne Gesellschaften waren in der Regel stark stratifiziert, Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs waren meist limitiert, von „Bildungsaufsteigern“ erfahren wir nur selten, und auch ostentative Bildungsablehnung bestätigt in aller Regel nur, dass Bildung erstrebt wurde, aber einem restriktiven Ressourcenregime unterlag, dem sich nur einzelne verweigerten. Und doch ist es wichtig, alle genannten Komponenten gemeinsam in den Blick zu nehmen: Die Rede von Bildung im Sinne eines reflexiven Selbstverhältnisses hält präsent, dass auch in der Vormoderne formative Prozesse mit einem Menschenbild unterlegt sind, das sich nicht in operationalisierbaren Erziehungszielen erschöpft, sondern die Vorstellung mit sich führt, dass die Realisierung des Menschseins jedem und jeder Einzelnen aufgegeben ist. Die jüdisch-christliche Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit ist dafür das wohl bekannteste, aber nicht das einzige Beispiel. Auch in nichtchristlichen philosophischen und in islamischen Denktraditionen ist eine solche Entfaltung des im Menschsein Angelegten zu finden. Unter dieser Voraussetzung ist schon für die Vormoderne von „Individualisierung“ zu sprechen – allerdings nicht im Sinne des autonomen Selbstentwurfs des denkenden Subjekts, sondern primär in der Zumutung der Selbst-Reflexion in Verbindung mit einer bewussten Übernahme (und durchaus 3  Peter Gemeinhardt, Bildung in der Vormoderne – zwischen Norm und Praxis (oben S. 3–38).

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auch Umgestaltung) zugedachter sozialer Rollen und Profile. Von „Bildung“ wird gesprochen, um dieses anthropologische Gestaltungspotenzial festzuhalten, das sich der Einsicht in die Unverfügbarkeit des Menschseins verdankt.4 Damit ist – wie nochmals betont sei – nicht behauptet, dass ein solches reflektiertes Selbstverhältnis in jedem Moment von vormodernem Bildungshandeln, das uns quellenmäßig zugänglich ist, aufscheint. Die T hese lautet aber, dass ein solches umfassendes Verständnis von Bildung auch für die Vormoderne einen sinnvollen Horizont bildet, um die Vielfalt von Phänomenen identifizieren, ordnen und klassifizieren zu können. Dabei kommt religiöses Bildungshandeln nicht nur in beiläufiger, sondern in konstitutiver Hinsicht in den Blick: Wie werden Menschen in kultische und gemeindliche Vollzüge sozialisiert, welche Ziele verfolgt religiöse Erziehung, und wie gelangen Individuen zu einer gebildeten Sicht von Selbst, Welt, Göttern oder Gott? Die in der Arbeit des Göttinger SFB bewährte Einsicht in spezifische Beziehungen von Bildungsprozessen einerseits sowie religiöser Praxis und Identitätsstiftung andererseits legitimiert die Privilegierung von Konstellationen von Bildung und Religion als Forschungsfokus, ohne damit anderen Perspektiven auf vormoderne Kulturen ihr Recht zu bestreiten. Angesichts der beschriebenen Komplexität der T hematik wäre es vermessen, in Aussicht zu stellen, auf die Frage, was denn Bildung in der Vormoderne sei, durch die hier gesammelten Beiträge und die folgende zusammenfassende Auswertung eine definitive Antwort zu geben. Die Frage ist aber auch nicht völlig offen. Im Gegenteil ergeben sich beim näheren Hinsehen in den behandelten Religionskulturen durchlaufende Linien, was unter Bildung zu verstehen ist. Indem in den einzelnen Beiträgen je kontextspezifisch beschrieben wird, was mit dem Begriff „Bildung“ bezeichnet wird, ergeben sich auch kontextübergreifend Schlüsse auf Analogien, Verbindungen und Interdependenzen zwischen Formen, Inhalten und Prozessen von Bildung über kulturelle, gesellschaftliche und religiöse Distanzen hinweg. Das bezieht sich nicht nur darauf, was Bildung ist, sondern auch, wozu sie dient, was sie nützt, wer unter welchen Umständen von ihrem Erwerb und Gebrauch profitiert. Nach dem Nutzen von Bildung zu fragen bedeutet dabei nicht, einer Verzweckung von Bildung das Wort zu reden oder sie auf ihren Gebrauchswert zu reduzieren. Wenn aber im beschriebenen Sinne Bildung ein Kontinuum lebensgeschichtlich verorteter Prozesse, Kompetenzen und Kenntnisse umfasst, liegt es nahe zu fragen, woraufhin sich in vormodernem Verständnis Menschen bilden sollten: „Education is always education for something.“5 Zu welchem Zweck sollten also Eltern in einer antiken Polis in die Ausbildung ihres Kindes beim Grammatiker oder gar beim Rhetor investieren, andere Menschen einen Ausbildungsberuf wie den des Arztes ergreifen oder wieder andere die ihnen zur Verfügung stehende Muße darauf verwenden, sich einem Philosophenzirkel anzuschließen? Die Resultate solcher Entscheidungen – soziales Standing, berufliche 4 

5 

Schröder 2012, 221. Morgan 1998, 4.

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Positionierung, Weitung des geistigen Horizontes – konnten sehr unterschiedlich sein; sie spiegeln verschiedene Formen sozialen, kulturellen und professionsspezifischen Kapitals, das durch Bildungsprozesse erworben werden konnte und an dem die jeweilige Gesellschaft Interesse hatte (schon damals eher an fähigen Kommunalpolitikern und an erfahrenen Ärzten als an freischaffenden Philosophen!). Erst ein solch weiter Gebrauch des Bildungsbegriffs macht erkennbar, dass es sich hier um Optionen auf einer Skala handelt, die eine große Spannbreite an konkreten Bildungsidealen und -erfolgen beinhaltet. Dabei fragt sich dann auch, wie die Teilhabe an religiösen Vollzügen auf dieser Skala möglicher Bildungsausprägungen einzuordnen ist; es ist bemerkenswert, dass mit dem Aufkommen monotheistischer Religionen zwar keine allgemeine Schulpflicht, aber doch – etwa im christlichen Katechumenat der Spätantike – ein umfassender Aufruf zur religiösen Bildung vor und auch nach dem formellen Beitritt zum Christentum eta­ bliert wurde, was Menschen aller Geschlechter, Altersstufen und sozialen Zugehörigkeiten betraf.6 Hier – und in vergleichbarer Weise im Judentum und im Islam – erscheint Bildung als durch die jeweiligen religiösen Grundprinzipien gefordert, auch wenn das faktische religiöse Wissen aufseiten der Initianden und bisweilen auch ihrer Lehrer moderat sein mochte.7 Im Folgenden (Abschnitt 2.) sollen einige Linien rekonstruiert werden, ausgehend von den in diesem Band abgedruckten Studien. Die jeweils exemplarisch geleistete fachspezifische Arbeit an Begriffen, Konzepten und Praktiken eröffnet die Möglichkeit, Beobachtungen von der klassischen Antike bis zum Hochmittelalter zu vergleichen und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit hinreichender Trennschärfe festzustellen. Gefragt wird zunächst nach einem Bildungsbegriff, mithilfe dessen die Vielfalt der Phänomene geordnet werden kann (2.1), sodann nach unterschiedlichen Dimensionen von Bildungshandeln und seiner Reflexion (2.2). Die dabei herangezogenen sachlichen und begrifflichen Leitdifferenzen verstehen sich als Vorschlag zur Strukturierung des Materials. Das Gegenstandsfeld „Bildung“ wird dabei nicht, wie sonst oft, aus einer dominierenden und damit präfigurierenden Perspektive (z. B. der hellenistischen paideia), rekonstruiert. Vielmehr stehen terminologische und konzeptionelle Aspekte im Vordergrund, um zu untersuchen, inwieweit für die jeweils zu beobachtenden Lern- und Lehrvorgänge und die sie tragenden Institutionen der Begriff „Bildung“ heuristisch fruchtbar gemacht werden kann.8 Ein solcher Blick in die Geschichte kann auch zur geschärften Wahrnehmung gegenwärtiger Probleme, Herausforderungen und Chancen von Bildung beitragen. Während die Erhebung und Untersuchung historischer Befunde das primäre T hema des Göttinger SFB ist und auch bei der Jahrestagung, die hier dokumen6 

Dazu Gemeinhardt / Georges 2018. Für das spätantike und frühmittelalterliche Christentum vgl. jetzt Kinzig 2019. 8 Zur institutionellen Perspektive vgl. Gemeinhardt 2018 (unter Rückgriff auf die kategorialen und begrifflichen Klärungen des Dresdner SFB 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“, 1997–2008). 7 

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tiert wird, im Vordergrund stand, spielt die Frage nach Rezeptionen, Wirkungen und Analogien in Bezug auf die Gegenwart9 bewusst eine sekundäre Rolle – gemeint ist dabei nicht „zweitrangig“ oder gar „entbehrlich“, sondern „nachfolgend“, und zwar mit innerer Logik. Das ergibt sich nicht nur aus der langen Geschichte des Rückgriffs auf vormoderne Bildungsideale und -güter seit der Renaissance, wobei explizit oder implizit immer wieder auch normative Ansprüche erhoben wurden, dass eine historische Formation von Bildung die wahre, hilfreiche, maßgebliche sei; es gilt auch für moderne Debatten, in denen solche Rekurse weiterhin präsent sind: im Modus der Berufung auf ein Erbe oder einen Kanon des Wissens10, im Modus der Ablehnung überkommener Vorstellungen von Bildung oder – gerade im Blick auf religiöse Bildung – im Modus der (An-) Erkenntnis, dass in gegenwärtigen Problemlagen geschichtlich verwurzelte Optionen und Affinitäten wirksam sind, die man kennen muss, um sich kritisch und konstruktiv dazu zu verhalten. Solchen „Potenzialen von Bildung damals und heute“ wird im Schlussabschnitt (3.) nachgegangen. Es ist klar, dass Potenziale nicht mit Patentrezepten zu verwechseln sind, zumal die auf der Jahrestagung thematisierten vormodernen – bis ins hohe Mittelalter reichenden – Konstellationen von Bildung und Religion nur einen Ausschnitt von Potenzialen bieten, denen weitere aus der frühneuzeitlichen, aufklärerischen und modernen Geschichte der Bildungsdebatte zur Seite zu stellen wären. Der historischen Selbstaufklärung in modernen Debatten über Bildung dürfte es aber an Tiefenschärfe verleihen, nicht nur auf naheliegende, sondern auch auf entferntere Bildungskonzeptionen und -praktiken zu blicken. Daher werden daher am Ende dieses Beitrags einige Überlegungen angestellt, wie die Erforschung von vormodernen Bildungskonstellationen von heutigen Perspektiven profitieren kann und ob und inwieweit der Blick in die Geschichte gegenwärtige Debatten zu bereichern vermag.11

 9  Vgl. den Beitrag von Bernd Schröder in diesem Band (S. 67–88) sowie Schröder / Gemeinhardt / Simon 2018. 10  Ein Beispiel ist der von Henri-Irénée Marrou postulierte „christliche Humanismus“, mit dem er das katholisch-klerikale Bildungsideal seiner Zeit kontrastierte; vgl. den Beitrag von Christoph Auffarth (S. 39–65 in diesem Band). 11  Während mein einleitender Beitrag ein kategoriales Raster vorstellte, geht es im hier um die materiale Füllung dieser Kategorien und den darauf aufbauenden Brückenschlag zur Gegenwart; beide Beiträge rahmen die Untersuchungen des vorliegenden Bandes. Punktuelle Überschneidungen wurden in Kauf genommen.

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2. Bildung in der Vormoderne – Beobachtungen und Erträge12 2.1 Definition und Begriffsumfang von Bildung Um mit einer Trivialität zu beginnen: „Den“ Begriff von Bildung in „der“ Vormoderne gibt es – natürlich – nicht. Es gibt quellensprachliche Begriffe, die als Äquivalente dessen dienen, was moderne Bildungsbegriffe (auf deren Pluralität Bernd Schröder hinweist) umfassen. Neuzeitliche und moderne europäische Konstellationen von Bildung verdanken sich ja sowohl christlichen und jüdischen, also religiösen Traditionen, als auch Humanismus und Aufklärung, mithin nicht religiösen Wurzeln. Zudem haben weder christlich-jüdische oder auch islamische Bildungsimpulse nur unter religiösen Vorzeichen gewirkt oder wären heute lediglich in dieser Hinsicht rezipierbar, noch waren Humanismus und Aufklärung per se nicht- oder antireligiös. Vielmehr haben diese unterschiedlichen Stränge auf je ihre Weise zu der Entwicklung dessen beigetragen, was seit dem späten 18. Jahrhundert weithin als „Bildung“ bezeichnet wurde – wie auch immer man die Reichweite des ersten Auftretens dieses Begriffs im Spätmittelalter einschätzen mag.13 „Der“ moderne Bildungsbegriff partizipiert an antiken Menschenbildern, in denen sich die biblisch begründete Gottebenbildlichkeit wie auch die platonisch inspirierte Verähnlichung des Menschen mit Gott niederschlugen und die teils als konvergierende, teils als konkurrierende Beschreibungen des Verhältnisses des Menschen zu Gott und zum Göttlichen aufgefasst wurden. Er weist damit eine innere Spannung zwischen der Bezogenheit auf ein personal gedachtes Gegenüber und auf eine weniger distinkt verstandene Instanz auf, die aber in beiden Perspektiven die Unverfügbarkeit des Menschseins impliziert. Zwischen monotheistischen und polytheistischen (im spätantiken Neuplatonismus zum Henotheismus tendierenden) Denkhorizonten herrschte kein Neben- oder Nacheinander, sondern vielmehr ein Mit- und Ineinander; die gängige, obgleich nicht unproblematische Rede von „Renaissancen“14 verweist darauf, dass (auch) auf Bildung vielfach im Modus des Rückgriffs Bezug genommen wurde, im Sinne von Re-Formationen, seien sie an der Bibel, den Kirchenvätern oder dem klassischen Altertum orientiert. Die hier verfolgte Fragestellung muss daher als offene Frage verfolgt werden; trotz aller Linien, die in bestimmten Situationen retrospektiv gezogen wurden und in der Forschung bis heute gezogen werden, bleibt die Pluralität von Bildungsbegriffen unhintergehbar. 12  Auf die Beiträge dieses Bandes wird mit Nennung der Autorinnen und Autoren Bezug genommen, bei direkten Zitaten mit der Seitenangabe. Die jeweiligen Quellenbelege werden nicht ausführlich wiederholt. 13 Zur Kritik der in vielen begriffsgeschichtlichen Untersuchungen vorzufindenden Vorstellung einer direkten Linie von Meister Eckhart bis zum aufklärerischen Bildungsdiskurs s.o. S. 10. 14  Dazu (ausgehend von Charles Homer Haskins’ T hese von einer „Renaissance des 12. Jahrhunderts“) Rexroth 2018, 25–27.264–266.

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Der Begriff „Bildung“ vermag erstaunlich viele Aspekte zu vereinen, umso mehr, wenn er im oben beschriebenen Sinne nicht nur für das reflexive Selbstund Weltverhältnis, sondern als Oberbegriff für das Kontinuum von Sozialisation, Erziehung und Bildung verwendet wird. Schon das verbietet die Privilegierung eines bestimmten quellensprachlichen Begriffs, dem andere zuzuordnen wären. Der geborene Kandidat hierfür wäre, der Forschungsgeschichte nach zu urteilen, das griechische Wort παιδεία. Was aber – so müsste man dann in Umformung des Bandtitels fragen – ist paideia in der Vormoderne? Vielfältiges und Unterschiedliches, das vom unspezifischen intellektuellen Ideal über die Beherrschung bestimmter Techniken bis zur an harte Zucht grenzenden Erziehung durch Gott reicht. Dadurch sind nicht nur verschiedene inhaltliche Belegungen des Begriffs angesprochen, sondern auch unterschiedliche Praktiken und Ziele von Bildung, wie Christoph Auffarth an den Bildungshistorikern Werner Jaeger und Henri-­ Irénée Marrou zeigt: Jener verstand unter Bildung vor allem die geistige Formung des griechischen Menschen, dieser bezog in seiner Geschichte der „Erziehung“ (sic!) die auf politisches Wirken gerichtete römische educatio ein, von der sich das seit Cicero geläufige Ideal der humanitas durchaus unterschied. Wie Peter Scholz deutlich macht, reicherte sich erst in der späten römischen Republik das Ideal eines Bildungsprozesses, der „körperliche, soziale und militärische Erfahrungen und Erlebnisse“ auf konkrete „kollektive wie auch individuelle Verhaltens- und Umgangsformen“ zielte, durch eine stärker intellektualisierte Dimension an, nämlich um „die e-ruditio, wörtlich die ‚Ent-rohung‘, die fortwährende Bemühung um eine gepflegte Sprache, um eine umfassende griechische Bildung, um Höflichkeit und Eleganz“, die im Bild des vir humanus resultierte (oben S. 201). Das ist aber nur ein Ausschnitt aus dem weiten Feld von Bildungsmöglichkeiten im ersten Jahrtausend v. Chr., das Irene Salvo (oben S. 167–183) anhand der im klassischen Griechenland verwendeten Begriffe kartiert, beginnend mit παιδεία („a process of guiding the children“) und ἀγωγή (deren härterer, spartanischer Variante) sowie τροφή („Aufziehen durch Nähren“); hinzu kommen Begriffe wie τέχνη (eine praktisch erlernbare „Kunstfertigkeit“), σοφία (die auf jenseits der Lebenswelt Befindliches gerichtete Weisheit), ἐπιστήμη (die Vertrautheit mit einem Sachverhalt) und δόξα (das subjektive Meinen). Diese Verlaufsformen und Resultate von Bildung beziehen nicht nur die Elite ein, sondern setzen am unteren Ende der Skala an, bei der Erziehung von Kindern – die auch schiefgehen kann; dann landen die zu Bildenden bei ἀπαιδευσία (Ungebildetheit), ἀμαθία (Unbelehrtheit) und ἀγνωσία (Unwissenheit). All diese positiven und negativen Qualifikationen und Zuschreibungen sind also auf die jeweilige Gesellschaft und auf das in Rede stehende Bildungsnivau zu beziehen. Entsprechend kann auch ein illiteratus vieles sein: jemand, der nicht zu schreiben gelernt hat, oder einer, der dies zwar kann, aber keinen Sinn für Literatur und Poesie besitzt. „Bildung“ ist damit sowohl im griechischen als auch im römischen Kontext stets mehr als ein Wissensvorrat, sie beinhaltet – modern gesprochen – „soft skills“, d. h. die Kompetenzen, die nötig sind, um sich erfolgreich in bestimm-

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ten sozialen Gruppen zu bewegen; das ist, nebenbei erwähnt, ein entscheidender Grund, weshalb christliche T heologen sich mit diesem Ideal von Bildung oft schwer taten15: Die unterschiedslose Unterweisung und Initiation von Menschen beiderlei Geschlechts, aller Altersstufen und verschiedener sozialer Strata vertrug sich nicht mit dem in hellenistischen poleis und römischen civitates vorherrschenden Verständnis von Bildung als Medium sozialer Distinktion, verstanden als ein Set von sozialen Kompetenzen, kulturellen Codes und gesellschaftlich distinguierenden habitus.16 Gerade das Christentum in der Spätantike durchlief allerdings eine bemerkenswerte Entwicklung, indem solche Kritik an der „paganen“, also durch die Präsenz von nichtchristlichen Göttern in den Schultexten kontaminierten Bildung immer auch in deren konditionierte Rezeption umgemünzt werden konnte, so etwa – wie Jan Stenger zeigt – bei Basilius von Caesarea durch die Aufwertung der Dichterlektüre der Schule zum „höheren Zwecke… einer umfassenden ethischen Selbstbildung“ (s. o. S. 334). Diese Einsicht ist an sich nicht neu, sie verweist aber auf die Notwendigkeit, in der Analyse historischer Sachverhalte konsequent zwischen verschiedenen Dimensionen von Bildung zu differenzieren – und genau darum ist es hilfreich, moderne Füllungen des Bildungsbegriffs heuristisch anzuwenden. Samuel Vollenweider schlägt dafür ein Quartett vor: Kompetenzen, Institutionen, Medien und Projekte. Dieses analytische Raster scheint m. E. grundsätzlich für vormoderne religionskulturelle Kontexte anwendbar: Bei Kompetenzen… wird vorausgesetzt, dass Bildung auf die Entwicklung von Fertigkeiten setzt, die vor allem im sprachlichen Bereich anfallen, aber, wie das Septett der artes libe­ rales zeigt, auch solche anderer Art umschließt. Bei Institutionen ist namentlich an schulische Einrichtungen auf allen Ebenen zu denken… Medien sind anzusprechen als Mittler in Lehr- und Lernprozessen, sie leisten Informationsvermittlung und sind zugleich Träger von Interaktionsprozessen… Schließlich ist von Projekten auszugehen: Bildung dient der Persönlichkeitsformung, sie ermöglicht die Übernahme von gesellschaftlichen und politischen Rollen. Es gibt aber auch philosophische Projekte. Hier ist namentlich zu denken an die Selbstbildung, d. h. das methodisch vorgehende Bilden des Selbst im Hinblick auf das Göttliche als ein Prozess, der das ganze Leben begleitet und in Gestalt einer ars mori­ endi sogar über seine Grenzen hinausführt.17

Eine solche kategoriale Beschreibung hat den Vorteil, nicht von einem fixen Lehrprogramm auszugehen, sondern gewissermaßen vier Lichtkegel auf den Komplex „Bildung“ zu werfen. Ein solcher Zugang zum Bildungsbegriff ergänzt die im einleitenden Beitrag vorgestellten Differenzierungen (religiös / nichtreligiös konnotierter Bildungsbegriff, Sozialisation / Erziehung / Selbst-Bildung, formale / 15  Vgl. hierzu etwa die Ausführungen von Stenger zu Johannes Chrysostomus (oben S. 343–347). 16  Dazu vgl. die Beiträge von Hartmut Leppin und Irene Salvo in diesem Band (S. 167–183, 305–329), letztere auch zum Begriffshintergrund von „Habitus“ als soziologisches T heorem bei Pierre Bourdieu; ausführlich zur sozialen Distinktion durch Bildung Vössing 1997, 595– 613; ders. 2003, 481–483. 17  Vollenweider (S. 287).

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materiale Bildung) um die plausible Unterscheidung von Komponenten, die in jedem Lehr-Lern-Prozess von der familiären Unterweisung bis zur philosophischen Reflexion von Selbst, Welt, Gott und Göttern begegnen. Man könnte statt von „Projekten“ wohl auch von „Zielen“ sprechen, dies freilich nicht im Sinne überprüfbarer Zugewinne an Wissen, die einer „Lernzielkontrolle“ zugänglich wären, sondern des selbst bzw. von der soziokulturellen Umgebung gesteckten τέλος, des „Woraufhin“ von Bildung – was die Einführung in bestimmte Funktionsrollen ebenso umfasst wie die Verwirklichung des Menschseins durch Verähnlichung mit Gott (womit sich der Kreis zur christlichen Mystik des Spätmittelalters schließt). Und man sollte auch den Bereich des Wissens einbeziehen: Die in der Kaiserzeit entstehende und in der Spätantike zum festen Kanon werdende Siebenzahl von „freien Künsten“ (artes liberales) zielt ja sowohl auf Können als auch auf Wissen.18 Das Zusammenspiel von „Vermittlung materialer Bildung“ und „Habituierung, der Einübung von Werten und Verhaltensweisen“ (Stenger, S. 344) geht über den unmittelbaren Bereich der hellenistischen paideia hinaus, im abendländischen Mittelalter, wo Boethius’ Fassung des aristotelischen Organon in Verbindung mit der platonisch-augustinischen Anthropologie wirksam wurde (so Hedwig Röckelein), aber auch andernorts: Nach Sebastian Günther beinhaltet al-Māwardīs Werk Bildungs- und Verhaltenskodex für die Welt und die Religion „Material aus den Gebieten der Koranexegese, Prophetentradition, Ethik, Poesie und Prosa“ (S. 417), das aber über eine enzyklopädische Belesenheit hinaus – ähnlich wie bereits bei Ibn Qutaiba – auf die „Vervollkommnung des Individuums und des Gemeinwesens“ zielt (S. 414). Wenn Bildung, wie gesagt, immer Bildung für etwas ist, also ein „Woraufhin“ hat, lässt sich ein Set von Fähigkeiten und Wissensbeständen angeben, vermittels dessen Aneignung in einem je gegebenen Kontext ein Bildungserfolg attestiert werden kann. Solcherart erworbene Bildung nannte man in der Antike eine „runde Sache“ (ἐγκύκλιος παιδεία).19 „Abgerundete“ Bildung ist nicht quantitativ, sondern qualitativ erschöpfend, sie vermittelt also nicht alles mögliche Wissen, sondern das für einen bestimmten Kontext erforderliche Orien­tie­rungs­wissen und zugleich die dafür maßgeblichen Praktiken seiner Anwendung. „Bildung in der Vormoderne“ ist daher nicht primär die Umsetzung eines Kanons von sieben (oder neun, wie bei Martianus Capella) „freien Künsten“, sondern ein kontextbezogenes Zusammenspiel von Kompetenzen, Institutionen, Medien und Projekten (so Vollenweider). Durch diese oder analoge Kombinationen analytischer Perspektiven (z.B. Autorisierungsstrategien, Formen diskursiver 18  Eine abstrakte Kompetenzorientierung des schulischen oder akademischen Unterrichts ohne Ansehen der T hemen, an denen diese Kompetenzen erworben werden, könnte sich demnach nicht auf Erziehungspraktiken in der Vormoderne berufen! 19 Als „Kreis“ (κύκλος) von sieben ‚Wissenschaften‘ (μαθήματα) in der später kanonischen Unterteilung in ein trivium (Grammatik, Rhetorik, Philosophie) und ein Quadrivium (Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie) erstmals bei Porphyrios belegt, so Matthias Becker (S. 208); ähnlich aber auch schon bei Philo, so Roland Deines (S. 258).

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Kommunikation, soziale Verortungen und medialen Vermittlungen) – ergibt sich ein differenzierter Bildungsbegriff, der auf die Vormoderne in fruchtbarer Weise angewendet werden kann, aber auch darüber hinaus vergleichende Untersuchungen ermöglicht. 2.2 Aspekte vormodernen Bildungshandelns und seiner Reflexion Bildung entlang der Lebensgeschichte Zur Dynamik eines solchen Bildungsbegriffs gehört es, der Prozessualität der „Bildsamkeit des Menschen“ (Johann Friedrich Herbart)20 entsprechend den unterschiedlichen Stadien und Niveaus, aber auch auf der Zeitachse gerecht werden zu können. Hedwig Röckelein zeigt, wie in den Autobiographien Otlohs von St. Emmeram und Guiberts von Nogent Bildung nicht als unidirektionale Aufwärtsbewegung, sondern als „dialektische Spiralbewegung“ beschrieben wird, „die vom kindlichen Gottvertrauen ausgeht, durch die Vernunft den Widerspruch zwischen Erfahrung und Erkenntnis erfährt und dadurch zum Zweifel gelangt, um am Ende zur Gottesgewissheit, nun aus Erfahrung und rationaler Erkenntnis gespeist, zurückzukehren“ (oben S. 439). Der notwendige Schritt, sich vom Einfluss der Erziehungsperson freizumachen, führt dabei mit innerer Logik in eine Krisenerfahrung, ähnlich wie in den hier Pate stehenden Confessiones Augustins. Verschärft wird die Herausforderung der Gestaltung des Selbst durch das Gegenüber zu Gott, d. h. durch die eschatologische Perspektive, die die Lebensgeschichte gewissermaßen bis in die Ewigkeit verlängert und entsprechend gesteigerte Anforderungen an die individuelle bildungsbiographische Verantwortung impliziert. Neben einer derart explizit religiösen, spätantik-neuplatonischen Bildungsidealen verwandten Auslegung des Bildungsbegriffs stehen auch ganz „innerwelt­ liche“ Bildungsprozesse. Nimmt man „das in der römischen Sozialisation dominant auftretende Prinzip der ‚Nachahmung des väterlichen Vorbilds‘ (imitatio patris)“ in den Blick, so erweist sich, dass es „in der römischen Antike keine Jugendzeit im Sinne einer Lebensphase mit einer eigenen Wertewelt [gab], die von der Kindheit und vom Erwachsenenalter abgegrenzt war“ (Peter Scholz, S. 199), auch wenn offenbar bei Jugendlichen höheren Standes und mit dezidierten Karriereerwartungen seitens der Eltern Flegelphasen an der Tagesordnung waren.21 Das oben beschriebene Zusammenspiel von Wissen und Kompetenzen wird daran anschaulich, dass nicht nur die Sozialisation durch „learning by doing“ funktionierte, indem sich Söhne von Vätern und Töchter von Müttern das sozial an20 

Vgl. den Beitrag von Bernd Schröder (oben S. 72). denke an die rüpelhaften Rhetorikschüler in Karthago nach dem Bericht Augustins (Confessiones V 8,14), oder an den ebenfalls für Karthago bezeugten Spott über einen Lehrer, der seine Schüler nicht unter Kontrolle zu bringen vermag, in dem aus vandalischen Zeit stammenden Gedicht De magistro ludi neglegenti. Hierzu (mit weiteren Hinweisen auf Quellen und Literatur) Gemeinhardt 2007, 51. 21 Man

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gemessene Verhalten abschauten. Auch institutionalisierte Erziehungsprozesse basierten auf dem Prinzip der „pädagogischen Mimesis“ (Stenger, S. 337): Lehrer waren Leitbilder, die es nachzuahmen galt, und forcierten diese imitatio, eingedenk der pseudo-plutarchischen Metapher vom Wachs, das im Kindesalter noch gut, im Erwachsenenalter dagegen nur schwer zu modellieren sei.22 Schlägt man von hier aus den Bogen zur Selbst-Bildung erwachsener Menschen, erweist sich die Nicht-Formbarkeit jenseits des Jugendalters nicht ausschließlich als „Verhärtung“, sondern als Implikat des Übergangs in eine Lebensphase, die sowohl die Möglichkeit als auch die Zumutung eben einer Selbst-Bildung beinhaltet. Dabei sind die Autobiographien hochmittelalterlicher Mönche oder Augustins Confessiones „keineswegs repräsentativ, sondern charakteristisch für Lebens- und Konfliktsituationen einer männlichen Elite, die – ausgehend von alternativen Optionen der Lebensgestaltung – nach der für sie richtigen forma vivendi suchten“ (Röckelein, oben S. 428). Doch wird damit der Horizont deutlich, in den der traditionelle Schulbetrieb eingelassen war, dem – in der klassischen und hellenistischen Antike wie in der christlichen Spätantike und dem Mittelalter sowie im Klassischen Islam – eine Offenheit für Selbst-Bildung eignete. Eliten- und Habitusbildung Diesem verallgemeinerbaren Erkenntnis steht gegenüber, dass die Quellen im überwiegenden Fall Erziehungs- und Bildungsprozesse der Eliten thematisieren, während die Sozialisation von breiten Bevölkerungsschichten in den hier thematisierten Gesellschaften weithin ohne literarische, bildliche oder inschriftliche Dokumentation bleibt. Es liegt einerseits in der Natur der Sache, dass Sozialisation sich beiläufig ergibt und nicht geordnet oder reflektiert werden muss; es spiegelt andererseits die (geringe) Verbreitung schriftsprachlicher Kompetenzen und die damit einhergehende Interessenlage gebildeter Gruppen und Schichten. Das ist nicht zuletzt da zu beachten, wo Bildung als Modus der Verwirklichung vollen Menschseins beschrieben wird, wie bei dem römischen Literaten Aulus Gellius (2. Jahrhundert n. Chr.): „Man kann es beinahe als Mensch-Sein bezeichnen, was die Griechen paideia nennen, wir aber Erziehung und Unterweisung in den guten Künsten.“23 Das scheinbar allgemeine anthropologische Ideal wird tatsächlich auf eine kleine Elite enggeführt. Damit geht einher, dass auch der für die huma­ nitas zuständige Lehrer dieser Schicht entstammt, die Elite sich also selbst reproduziert. Das gilt auch für das (neu-) platonischen Streben nach „Verähnlichung mit Gott“ (ὁμοίωσις θεῷ), dessen Ort der schulphilosophische Unterricht in einer kleinen Gemeinschaft ist, für die anhand des (selbst für einen Virtuosen wie Plotin schwer erreichbaren) Ideals philosophisch-religiöse Identität und GemeinSo Hedwig Röckelein unter Verweis auf Ps.-Plutarch, De liberis educandis 5,15–19. Aulus Gellius, Noctes atticae 13,17,1: humanitatem appellarunt id propemodum, quod Graeci παιδείαν; zit. bereits oben bei Gemeinhardt (S. 24). 22 

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schaft gestiftet und stabilisiert wird.24 Antike Bildung hat nicht nur auf der Ebene schulischer Unterweisung die Einzelnen „als Repräsentanten ihrer Schicht“ im Blick, auch philosophische Lerngemeinschaften zielen „nicht auf die unverwechselbare Individualität und Persönlichkeit, sondern auf den Menschen als Träger des überpersönlichen Logos“ (Vollenweider, S. 296). Der Unterschied liegt dann darin, ob eine soziale Rolle innerhalb oder jenseits der Lebenswelt eingenommen werden soll. Für die Mehrheit wird in vormodernen Gesellschaften das erste Moment überwogen haben25, während das eine darüber hinaus führende Bildung nur einer Minderheit zugänglich sein konnte. Eine gesteigerte Form dieses Prinzips ist die gnostischen Gruppen zugeschriebene Lehre von „Menschenklassen“, wonach der Aufstieg zu Gott durch Erkenntnis nur der erwählten Elite (den „Pneumatikern“) uneingeschränkt möglich ist, während sich ein weiterer Teil der Menschheit (die „Psychiker“) dieser intellektuellen Erkenntnis immerhin mit Aussicht auf Erfolg nähern kann, die meisten Menschen („Sarkiker“) aber verloren sind.26 Ein Unternehmen wie die frühchristliche Mission und der Katechumenat hatte dagegen eine egalitäre, nicht rein intellektuelle Ausrichtung (vgl. Leppin, S. 324), wobei das angezielte geistliche Bildungsniveau dann natürlich auch moderater angesetzt wurde. Diesem Befund zur elitären Ausrichtung von Bildung entspricht im hellenisierten Judentum das Buch Sirach, an dessen Ende Weisheit nur scheinbar für alle zugänglich ist: Erziehung zu Verständnis und Wissen habe ich in diesem Buch aufgeschrieben… Selig, der nach diesen Dingen leben wird und der – sie auf sein Herz legend – weise gemacht werden wird. Denn wenn er sie tut, wird er zu allem Kraft haben, weil das Licht [die Furcht] des Herrn seine Spur ist (Sir 50,27–29).

Nach Roland Deines vertritt Sirach tatsächlich „ein elitäres Bildungsideal, das an die jungen Männer der Jerusalemer Elite appelliert, die ihre Zukunft in der Verwaltung des Staates sehen“ und die sich ihren Lebensunterhalt nicht verdienen müssen, denn „wie kann sich der Weisheit erwerben, der den Pflug hält?“ (Sir 38,25; S. 254). Eine analoge Grundstruktur beobachtet Gerhard Langer anhand von Texten der Mishnah für das rabbinische Judentum: „Lernen hat demnach zuallererst auch einen sozial-integrativen Effekt“ (S. 277), es führt den Schüler in die Gemeinschaft mit dem Lehrer und mit anderen Lernenden ein, was diese Gemeinschaft wiederum in ihrer Exklusivität bestätigt. Im Talmud-Traktat bQid­ duschin 49ab identifiziert Langer „einen Bildungskanon, der vollständig auf 24 

Dazu vgl. den Beitrag von Becker (S. 224). Vgl. dazu die pointierte Stellungnahme von Irene Salvo (S. 179): „Education, however, was not just a feather in somebody’s cap, a proud achievement to show off together with the best qualities of a person. Knowledge and culture were greatly functionalized in pragmatic terms.“ 26  Vgl. hierzu Dunderberg 2013; der locus classicus ist Irenaeus von Lyon, Adversus haereses 1,5,6. 25 

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die rabbinische Bewegung hin konzentriert ist. Er ist damit Ausdruck eines Sollzustandes, der in einer rabbinisch geprägten Gesellschaft herrschen soll“ (S. 281). In anderer Weise zeigt die römisch-republikanische Praxis der Sozialisation und Erziehung, „dass Bildung niemals als Selbstzweck verstanden wurde, sondern der Behauptung und Verbesserung des sozialen und politischen Status der väterlichen domus diente“ (Peter Scholz, S. 185). Bildungsträger und Autoritäten Unter der Hinsicht auf die Akteure und Akteurinnen von Bildungsprozessen kommt zuerst die Familie in den Blick, sowohl als Ort der Sozialisation als auch als Kontext der Erziehung zu einem Mitglied dieser begrenzten Gemeinschaft sowie des sie umgebenden Gemeinwesens. Bisweilen – so Deines zum nachexilischen Israel – basierte das herrschende Bildungsideal insgesamt auf „starken familien- und gruppenspezifischen Bildungstraditionen, in denen Texte und interpretative Traditionen geschrieben, gelesen, ausgelegt und weitergegeben wurden“ (S. 248). Weniger im Blick auf literarische Tätigkeiten als auf die Vermittlung des dominanten, erfolgversprechenden Habitus lassen sich Parallelen zur Rolle des Pater familias in Rom ziehen, der seine leiblichen oder politischen (Zieh-) Söhne auf das Agieren in der civitas vorbereitete, indem er ihnen das Ideal des vir bonus, dicendi peritus öffentlich vorlebte. Diese Praxis unterschied nach Scholz die pädagogischen Akteure der römischen Senatsaristokratie von denen den griechischen poleis, „die weitaus stärker in ihrem Aufwachsen von ‚kundigen‘ Lehrkräften (σοφοί), von der Unterrichtung in öffentlichen Institutionen wie dem Gymnasion und von Erziehungskonzepten und -programmen geprägt waren“ (S. 200). Wann und warum solche Professionalisierungsschübe einsetzten, was zu ihrem Erfolg beitrug und unter welchen Umständen Bildungsträger in die Kritik gerieten, ist eine wichtige Frage, die die Dynamik von Bildungssystemen, -idealen und -institutionen zu erhellen vermag, insofern Bildung in aller Regel personal vermittelt wurde (selbst im Grenzfall der geistigen Selbst-Bildung, wie oben gesehen). Umgekehrt wurden immer wieder auch egalitäre Bildungsansprüche erhoben, wie Sebastian Günther anhand von Ibn Qutaiba zeigt, demzufolge „Wissen, welches Wahrheit reflektiert, seinen Wert ganz unabhängig davon besitze, ob es von Un- oder Andersgläubigen, einem jungen oder älteren Menschen, jemandem, den man persönlich nicht mag oder auch jemandem in schäbiger Kleidung vermittelt werde. Denn das Wissen sei immer dann hilfreich, wenn man es aufgreift und nutzt“ (S. 415). Überzeugendes Bildungshandeln hat mit Autoritäten zu tun27, d. h. mit der Anerkennung einer Person als Lehrer/in, Erzieher/in, Psychagog/in oder auch 27  Vgl. zum Folgenden auch den Sammelband zur SFB-Jahrestagung 2018 „Autorität im Spannungsfeld von Bildung und Religion“ in der Reihe SERAPHIM (in Vorbereitung für 2020), hg. von Peter Gemeinhardt und Tanja Scheer, mit Beiträgen der beiden Genannten sowie von Ulrike Egelhaaf-Gaiser, Reinhard G. Kratz, Peter Kuhlmann, Heinz-Günther Nesselrath, Steffen Patzold und Florian Wilk.

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Mystagog/in. Dem widmet sich im vorliegenden Band zumal Hartmut Leppin28, der „Amtsautorität“ und „Autorität aufgrund von Herkunft“, weiterhin „charismatische Autorität“ als „spirituelle“, „geistige“ oder „asketische Autorität“ sowie „soziale Autorität“ differenziert (S. 306) und für das frühe Christentum die „intellektuelle Autorität“ hervorhebt, deren Träger „auf das Argument, auf ihre Fähigkeit, den ‚zwanglosen Zwang des besseren Arguments‘ auszuüben, setzen“ (S. 307). Die Autorität des Trägers von Bildung wird in diesem Fall nicht durch formale Beauftragung oder Herkommen konstituiert, sondern erweist sich durch Bildung selbst, also kommunikativ – weshalb sie prekär bleibt – und kann in Gruppenbildung resultieren, wie in Philosophenzirkeln, denen die Schülerkreise um christliche Apologeten glichen, oder in Gruppen um monastische Lehrer (die ein geistlich-praktisch, teils ausdrücklich antiintellektuelles, faktisch aber an Praktiken der klassischen Bildung angelehntes Ideal frommer Unterweisung vertraten; vgl. Schroeder, S. 355). Autoritäten implizieren Hierarchien, wie Gerhard Langer für das rabbinische Judentum feststellt: Über dem talmid als einem „Studenten im umfassenden Sinn des Bildungsideals der rabbinischen Spätantike“ steht der jachid, „der herausragende Toragelehrter“, von dem der ch­ akham (der „Weise“) zu unterscheiden ist, der „auf alle Fragen, die man an ihn richtet, eine Antwort haben“ soll (S. 275). Ebenso betont Sebastian Günther, dass man im Klassischen Islam den „muǧtahid, einen selbstständig forschenden Gelehrten“, vom „Vertreter des taqlīd, der kritiklosen Annahme und Weitergabe überlieferten Wissens“ zu unterscheiden pflegte (S. 404), wobei gesellschaftlich sicher beides nötig war. Die Untersuchung von solchen nicht formal, sondern intellektuell konstituierten Autorisierungen stellt eine Ergänzung zu bereits vorliegenden Studien zu Lehrerrollen und -hierarchien dar, insofern sie deutlich macht, wie selbst in stark stratifizierten vormodernen Gesellschaften der Bildungsbereich in Bewegung geraten konnte: Die frühe Kaiserzeit erlebte, so Leppin, eine „Pluralisierung von Autoritäten innerhalb der Römischen Welt“ (S. 324), die zur Etablierung von Christen in Bildungskreisen beitrug.29 Aber auch darüber hinaus verdient der Sachverhalt Aufmerksamkeit, dass sukzessive das Judentum, das Christentum und der Islam an Boden im Bildungsdiskurs gewannen, und zwar als Religionsgemeinschaften, die sich um Texte zentrierten und aus der Logik ihrer Identität heraus schulisch erworbene Kompetenzen einsetzen mussten, um sich über Gott und die Welt zu verständigen. Das führte allerdings in allen drei Religionen im Laufe der Zeit dazu, rein intellektuelle Autorität zu einem Sonderfall zu erklären und die gebildete Kommunikation besonderen Trägern von Bildung zu überlassen, die als Experten angesehen wurden und es im günstigen 28 

Vgl. dazu auch Leppin 2018, 172–186. Vgl. die im Anschluss daran (S. 325) formulierte T hese: „Vieles von dem, was als ‚Hel­ lenisierung des Christentums‘ bezeichnet worden ist, würde auch ein an Max Weber angelehnter Begriff der ‚Intellektualisierung des Christentums‘ erfassen, aber anders perspektivieren.“ 29 

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Fall auch waren, deren formale Autorisierung sich jedoch in jüdischen, christlichen und muslimischen Gemeinschaften durchaus unterschied – ganz abgesehen davon, dass diese „Großreligionen“ selbst jeweils Konglomerate aus zahlreichen, keineswegs deckungsgleichen Einzelgruppen und Traditionen darstellten, die nicht zuletzt durch spontane Inanspruchnahme von intellektueller Autorität neue Differenzierungen und Restrukturierungen er­fuhren.30 Bildung und Wissen Bildung umfasst, wie oben (S. 453 f.) schon betont wurde, Kompetenzen und Wis­ sen. Kompetenzen sind diejenigen Fähigkeiten, die es ermöglichen, unter gegebenen sozialstrukturellen Bedingungen als Mann oder Frau, Expert/in oder Laie, Angehörige/r unterschiedlicher Schichten oder Milieus an gesellschaftlichen Prozessen zu partizipieren, angemessen zu agieren und das eigene Verhalten zu reflektieren und zu rechtfertigen. Das schließt auch das richtige Verhalten in kultischen Kontexten ein: Reden und Schweigen im Angesicht des Göttlichen, korrekte Bewegungen, Beachtung von Reinheitsregeln. Kompetenzen spielen mit Wissen zusammen, da letzteres die Verfügung über Wissensbestände, aber auch den kompetenten Umgang damit betrifft.31 Von propositionalem Wissen ließe sich mit einer an Aristoteles’ Nikomachische Ethik angelehnten Einteilung prozedurales Wissen, Unterscheidungs- und Erfahrungswissen abgrenzen.32 Kompetenzen und Wissen fügen sich also in den handlungsorientierten Rahmen ein, in dem der Bildungsbegriff in vormodernen Religionsstrukturen verortet werden muss. Bildungsprozesse können weiterhin auf sozial elementare oder auf elitäre Kompetenzen und Wissensbestände zielen, einem expliziten Kanon an Verhaltensnormen oder dem Postulat der Konstruktion des Selbst folgen – sie sind aber in aller Regel sozial eingebettet, d. h. auf eine Traditionen und Werte vermittelnde Gruppe oder Gemeinschaft bezogen. Dem widerspricht nicht, dass solche Traditionen und Werte je individuell angeeignet werden sollen und dass die Aneignung auch verweigert werden kann (s. o.). Gerade Verstöße gegen Verhaltensnormen sind erhellend, die Quellen müssen allerdings auf ihre kommunikativen Strategien befragt werden: Sollten christliche Heiligenviten mit ostentativer Bildungsskepsis soziokulturelle Ideale von Bildung im Sinne von Kompetenzen und Wissen unterminieren – oder diese nicht vielmehr sub contrario durch narrative Strategien stabi30 

Dieser Sachverhalt kann hier nur notiert, nicht aber weiter verfolgt werden. Ob man analog zu der sich im angloamerikanischen Bereich gängigen Rede von „Christentümern“ („Christianities“) von „Judentümern“ ausgehen sollte und was die semantische Entsprechung im Islam wäre, müsste gesondert diskutiert werden, auch unter der Hinsicht, wie sich religionsinterne Differenzen zu signifikanten Familienähnlichkeiten verhalten. 31 Vgl. aus literaturtheoretischer, aber auch wissenssoziologisch anschlussfähiger Perspektive Köppe 2011. 32  Albrecht 2011, 141 f.; vgl. auch Fried 2009; gemäß dem hier zugrunde gelegten Bildungsbegriff zu eng gefasst wäre dagegen eine Leitdifferenz von „Bildungs- und Handlungswissen“, so bei Kintzinger 2003, 25–30.

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lisieren, weil allen Rezipient/innen klar sein musste, dass Devianz risikoreich und insofern gerade kein allgemeines Leitbild war?33 Eine interessante Perspektive auf die Distribution und Limitation von Wissen bietet Charlotte Hempel anhand des Begriffs der „Wissenswirtschaft“ (knowledge economy)34. Mit Blick auf die Qumran-Schriften hält sie fest, dass „der Erwerb höherer Bildung, Sachkenntnis und Expertise nicht ökonomisch neutral“ ist (S. 233), vielmehr stellen „das hohe Niveau und die Bandbreite des Wissenskapitals, das uns aus der Judäischen Wüste erhalten ist, … das kulturelle und intellektuelle Guthaben einer Wüstengemeinschaft von Kapitalisten dar“ (S. 234). Solches Wissen wollte vermittelt, konnte aber auch restringiert werden, zumal wenn es als Geheimwissen angesehen wurde, das nur einer bestimmten Gruppe zugänglich sein durfte und besondere Vorbereitung dessen erforderte, der damit hantierte. Gleichzeitig musste jedoch die ökonomische Maschinerie, um im Bild zu bleiben, weiterhin unter Dampf stehen, so dass ein Textkomplex wie 4QInstruction, wie Hempel zeigt, ein Wechselspiel von Mystifizierung und Erschließung des geheimen, überlegenen Wissens offenbart: „Das ständige Streben nach Einsicht in das Geheimnis des Werdens ist begleitet von einer unterschwelligen Einsicht, dass der Text und seine Autoren die Adressaten und Leser mit einem impliziten überlegenen Blickpunkt plagen“ (S. 233). In weniger esoterischer Gestalt kehrt diese Unterscheidung in einem Hera­ klit-Fragment wieder: „Vielwisserei lehrt nicht Vernunft“ (πολυμαθίη νόον οὐ διδάσκει; zit. bei Matthias Becker, S. 205).35 Wissen ist nicht nur auf einen spezifischen Umgang, sondern darüber hinaus auf intellektuelle Durchdringung angewiesen, die über die Alltagswelt hinaus zu Einsicht in Wahres führt. Das konkretisiert sich in der „Gemeinschaft der Vernunftgeleiteten“, die Leppin im Philosophenzirkel um den christlichen Apologeten Justin erkennt (S. 317), aber auch in der von Gerhard Langer prägnant skizzierten Hierarchie zwischen dem „Lehren von Bibel und Mischna“ und der „‚Spitzenforschung‘, dem Pilpul“, wonach „nur ein über das bloße Lernen hinausgehendes und den Verstand beanspruchendes intellektuelles Durchdringen einer Sache die Tora vor dem Vergessen bewahren könne“ (S. 273). Roland Deines verweist dafür auf die Differenz zwischen der Vorstellung, dass Gott den „Geist des Verstehens“ geben müsse (Sir 39,5–8), und der später im Prolog des Sirachbuches niedergelegten Konzeption, wonach die Bildungsquellen des Volkes Israel – die Torah, die Propheten und die Schriften – „von den ‚Lernliebenden‘ (τοὺς φιλομαθοῦντας), die des Lesens und Schreibens mächtig sind, also den literarisch Gebildeten, auch den Draußenstehenden χρήσιμος (nützlich) gemacht werden“ sollen (S. 256). Wer sich für das „Leben im Gesetz“ (ἔννομος βίωσις) entscheiden soll, muss das Gesetz kennen – darin kann man den Ansatz eines breiten Bildungsstrebens in Bezug auf die ganze jüdische Ge33 

Dazu (mit zahlreichen Beispielen) Gemeinhardt 2007, 244–306. Eingeführt von Powell / Snellman 2004. 35  Zit. n. Diogenes Laertios, Vitae philosophorum 9,1 (= Heraklit, Fragment 22 B 40 DielsKranz). 34 

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meinschaft sehen, ähnlich dem missionarischen und katechetischen Impetus des frühen Christentums, dessen Wissensökonomie nicht in einer Verknappung, sondern in der möglichst weiten Verbreitung lag. Mündlichkeit und Schriftlichkeit Diese Verbreitung erfolgte selbstverständlich nicht nur schriftlich, sondern auch – und aller Wahrscheinlichkeit nach in den meisten Fällen – durch mündliche Weitergabe. Das Problem von Mündlichkeit und Schriftlichkeit stellt sich in besonders drängender Weise in von Oralität geprägten Kulturen, deren alltägliche Kommunikation uns in indirekter, nämlich schriftlicher, inschriftlicher oder bildlicher Form, gewissermaßen nur im Spiegel, überliefert ist. Wiederum sind es tendenziell die Eliten, deren mündliche Kommunikation rekonstruiert werden kann, sei es durch Handbücher für den Rhetorikunterricht, die eine Praxis normieren, indem sie die Probleme und Herausforderungen dieser Praxis reflektieren, sei es durch Dialoge, die Oralität literarisch inszenieren, oder durch Predigten, die die mündliche Vortragssituation einschließlich der Interaktion des Predigers mit den Hörenden spiegeln (können). Die Frage nach Mündlichkeit ist durch die dokumentierten oder zu unterstellenden Kommunikationssituationen in der Vormoderne unabweisbar: So vollzog sich die christliche Mission in ihren Anfängen durch mündliche Ansprache, aber auch noch später beim Übergang in neue kulturelle und sprachliche Kontexte, wie Ute Pietruschka anhand der Entwicklung des Syrisch und Arabisch sprechenden Christentums zeigt. Dabei ist aus didaktischer Perspektive zu beachten, welche Rolle „das Auswendiglernen der Psalmen, biblischer Texte und liturgischer Gesänge“ für Mission und religiöse Initiation spielte (S. 402), was sich auch in literarischen Genres niederschlug: Nach Pietruschka wurden spruchartige Weisheitstexte „nicht nur in christlichen Kreisen zirkulierten, sondern aufgrund ihrer allgemeinen ethisch-moralischen Wertvorstellungen auch in islamischem Umfeld rezipiert“ (S. 403). Solche kleinformatigen Genres – die Sextussprüche, Hadithe oder Apophthegmata Patrum36 –, verdienen als Medien mündlicher Bildungstradition Beachtung, mitsamt des Phänomens, dass sie später in schriftlichen Corpora gesammelt wurden. Die Schriftwerdung einer genuin oralen Kommunikationsform wirft die Frage auf, ob damit immer noch die gleichen Bildungsziele verfolgt wurden – oder (wahrscheinlich) andere Ziele für andere Rezipientenschaften. Umgekehrt gilt es, auch Kalenderweisheiten von scheinbar universeller Gültigkeit auf ihre Kontextualisierung zu befragen. Irene Salvo (S. 179) weist auf Aeschylos hin, der den Chor singen lässt, Leiden (παθήματα) seien Lehren (μαθήματα)37; in der Spätantike seufzte der christliche Dichter Prudentius: „Lästig scheint stets 36 Vgl. mit Beispielen für die Rückwirkung der Neusituierung der Apophthegmata ­Patrum im arabisch-islamischen Kontext auf den Text selbst Zaborowski 2018. 37  Aeschylos, Agamemnon 176–178.

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der Lehrer dem Jüngling, der lernt!“38 Wie solche Einsichten in den hier thematisierten Kulturen von ihrem Ursprungskontext entkoppelt werden und als Sinnsprüche durch didaktische und andere Texte vagabundieren konnten, ist für die Vermittlung lebenspraktischer Erfahrungen und handlungsleitender Wissensbestände an breite Schichten der Bevölkerung nicht zu unterschätzen. Das schließt die häufig belegte herablassende Haltung von Gebildeten gegenüber dem schulischen Bildungsbetrieb und seinen Akteuren ein: „Der ewig wieder aufgewärmte Kohl erstickt die Lehrer, die erbärmlichen“, spottete der römische Satiriker Juvenal39, dessen eigener literarischer und damit auch sozialer Erfolg doch darauf beruhte, dass es eine hinreichende Menge von Rezipienten gab, die erst bei eben diesen Lehrern in die Schule gegangen sein mussten, um sich später über sie erheben zu können. Damit ist allerdings auch ein spezifischer Bildungsdiskurs angesprochen, in dem Lehrer als verachtenswerte Berufsgruppe gelten konnten, so nötig sie letztlich auch waren – ohne die bei Aeschylos beklagten „Leiden des Lernens“ ließ sich in der griechischen polis keine gehobene soziale Stellung behaupten. Im Vergleich dazu erweist sich die Hochschätzung von Lehrern in den jüdischen und christlichen Gemeinschaften der Spätantike als bemerkenswert, wobei es hier um andere Zielstellungen ging als um den Erwerb sozialer Codes. Ob man im christlichen Katechumenat genauso über einen strengen und vielleicht langweiligen Lehrer schimpfte, der unerbittlich das auswendig zu lernende Glaubensbekenntnis einschärfte, ist eine andere Frage; die Unkonzentriertheit von Schülern ist jedenfalls, wie z. B. die um 350 n. Chr. entstandenen Taufkatechesen des Kyrill von Jerusalem belegen, kein modernes Phänomen! (Multi-) Medialität von Bildung Ein anderer Aspekt der Multiformität von Bildung ist deren Niederschlag in der materiellen Kultur. Dem lange vorherrschenden Bild einer „illiteraten“ monastischen Bewegung ist durch die Neuinterpretation bekannter Texte, vor allem aber durch einen „material turn“ mehr als nur eine neue Facette, sondern ein ganz neues Gesamtbild hinzugefügt worden, wie Caroline Schroeder am Beispiel von Papyri, Ostraka, Wachstafeln und anderen schulischen Utensilien zeigt, Dabei überschneiden sich traditionelle Lehrformen und monastische Bedürfnisse; man konnte mit denselben Materialien und Übungen die Kompetenzen erwerben, die man sodann für die Lektüre der Heiligen Schrift einsetzte. Das Mönchtum Ägyptens trug damit, vor allem durch die Übersetzung der Bibel ins Koptische, zur Verbreitung und Fortentwicklung dieser Schriftsprache bei.40 Schroeder folgert, dass das koptische Mönchtum – zumindest im Umfeld des „Weißen Klosters“ des Abtes Schenute († 465) – als „book culture“ anzusehen sei, als „communities immersed in books and book production“ (S. 360). Peristephanon 9,27: doctor amarus enim discenti semper ephebo. Saturae 7,154: occidit miseros crambe repetita magistros. 40  Vgl. dazu diverse Arbeiten von Lillian Larsen, zuletzt 2016 und 2018. 38 Prudentius, 39 Juvenal,

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Analog zu textbasierten kulturellen Codes, die im Rahmen der kaiserzeitlichen Bildungswelt Inklusion oder Exklusion markierten, galt es auch in Bezug auf Bilder, Statuen und bauliche Strukturen, den jeweiligen Code zu kennen, um sich der dadurch konstituierten Gemeinschaft zugehörig fühlen zu können. Gerade die im mediterranen Raum omnipräsenten Bilder trugen zur religiösen Bildung bei (so Johannes Bergemann), sie konnten Bildungsprozesse initiieren und zugleich als deren Gegenstände fungieren. Entsprechend verweist Peter Scholz auf die visuelle Präsenz „moralischer und traditionsstiftender Botschaften“ im Kontext der domus durch „Gemälde, Statuen und Reliefs, Ahnenschreine, aufgemalte Stammbäume, Inschriften, persönliche Beutestücke, aufgehängte Waffen – also auf Dinge, die an die Ämter (honores) und die sie begründenden Taten der Ahnen (maiores) erinnerten, und in denen sich die familiäre Leistungsbereitschaft widerspiegelte“. Durch mündliche Erzählungen, in denen diese Artefakte erläutert und mit Werten versehen wurden, avancierten sie „zu Symbolen der Tatkraft und Tapferkeit (virtutes) der Vorväter“ (S. 188). Entsprechendes kann für die öffentliche Präsenz von Kunstwerken, Inschriften und Monumenten veranschlagt werden, die so zu Orten kultureller, politischer, aber auch religiöser Bildung werden konnten – freilich im Modus vorwiegend mündlicher Kommunikation und damit der historischen Wahrnehmung nicht oder nur partiell zugänglich.41 Ute Pietruschka zufolge ist auch „das vehemente Eintreten des Johannes von Damaskus für die Verehrung der Ikonen“ als Initiative zum „Visualisieren von Wissen“ zu verstehen, d. h. als Versuch, in islamischem und damit tendenziell bilderskeptischem Umfeld „Bildung durch Bilder“ für „breitere Bevölkerungsschichten“ anzubieten (S. 405). Darstellungen von Bildungsszenen und -akteuren reproduzierten die literarischen Ideale der Zweiten Sophistik – „an understanding of philosophy and culture as a means of guidance and self-cultivation“ (Björn Ewald, S. 110). Im Unterschied zur auf Distinktion setzenden Praxis zeitgenössischen Philosophen (-schulen) legten bildliche Darstellungen allerdings Wert auf ein weit gefasstes, inklusives Bildungsideal und damit auf die Zugehörigkeit des oder der Dargestellten zum kulturellen Kosmos der Stadt oder Gruppe, in der eine Rolle oder Funktion eingenommen wurde. In Übereinstimmung mit Bergemann sieht Ewald dabei das Ende der römischen Republik und den Beginn der Kaiserzeit als eine ikonographische Wasserscheide, und dies aus politik- und sozialgeschichtlichen Gründen: T he emergence of a rich and differentiated iconography for intellectual and musical pursuits is itself a result of the profound socio-historical changes brought about by the political neutralization of large parts of the Roman aristocracy in the power struggles of the late Republic, and the subsequent advent of the imperial system. It is, in other words, a symptom 41  Einen Sonderfall bildet die T hematisierung von Bildern in Texten; zum T hema Schule sei pars pro toto auf die Beschreibung des gebildeten Christen Prudentius von einem Bild vom Martyrium des Lehrers Cassianus in Imola (Peristephanon 9,13–16.21–24) hingewiesen (dazu Krasser 2010, 218–221; Gemeinhardt 2013, 2 f.), wobei die Szene noch an Komplexität gewinnt, indem innerhalb des literarischen Berichts ein Erzähler auftritt, der dem Pilger Prudentius das Bild durch Mitteilung der dahinter stehenden Geschichte erschließt.

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of a process whereby an increasingly de-politicized and de-militarized aristocracy claims new realms of self-definition and self-realization, which now prominently include the thematic fields of educated leisure, poetry and music (S. •••).

Vollends machen spätantike Mosaike nach Ewald deutlich, dass Bildung nun als „zweckfrei“ verstanden wurde und vor allem der Selbstidentifikation und -reproduktion einer Elite diente, aus denen sich die Kandidaten für hochrangige Ämter rekrutierten, für die Bildung als Teil des otium vom negotium streng unterschieden war (S. 117). Davon zu unterscheiden sind Darstellungen von Philosophen und intellektuellen Ratgebern, an deren Ikonographie sich bald auch Christen anschlossen, um Christus und die Apostel zu visualisieren – der in Texten zu beobachtende Disklurs über Nähe und Distanz von paganen und christlichen Idealen und Konkretionen von Bildung setzte sich damit ikonographisch fort, bis dahin, dass Tertullian sogar ein materielles Kleidungsstück, das pallium, für die Christen sprechen ließ.42 Vermeintliche Äußerlichkeiten galten also bildlich und textlich als Indikatoren des inneren Habitus, also der Geistesbildung und der Verähnlichung mit Gott oder Göttlichem. Bildungstransfers In alledem wird deutlich, dass die Konstruktion von Religionskulturen – wie oben erwähnt – zwar heuristisch eine wichtige Hilfestellung zur Rekonstruktion vormoderner Phänomene und Reflexionen von Bildung leistet, dabei aber auch den Blick auf Kontinuitäten und Übergänge zwischen „dem“ Judentum, „dem“ Christentum, „dem“ Islam oder gar „der“ griechischen und römischen Religion lenkt. Dabei geht es um Genealogien, aber auch um Interdependenzen, wie Roland Deines im Blick auf das hellenistische Judentum zeigt, das „durch den intensi­ ven und kontinuierlichen Kontakt… mit der griechischen Sprache und Zivilisation seit Alexander eine intellektuelle Blütezeit erlebt“ (S. 247), die aber auf Voraussetzungen in vorhellenistischer Zeit aufbauen konnte, was den gelehrten Umgang mit Schriften angeht, und die keineswegs in einer unidirektionalen „Hellenisierung“, sondern vielmehr in der „Entwicklung eines eigenen, praktisch die Gesamtwelt des Volkes erfassenden Bildungssystems“43 resultiert. Auch für das Judentum späterer Jahrhunderte beobachtet Gerhard Langer eine signifikante Verbreitung von griechischen und sogar lateinischen Sprachkenntnissen, die für das alltägliche Leben in einer nicht rein jüdischen Umwelt erforderlich waren, aus religiöser und politischer Sicht jedoch kritisch diskutiert wurden. Die „Gravitationskraft der überkommenen paideia“ blieb nach Samuel Vollenweider (S. 290) bei Juden und Christen erhalten, wo der Monotheismus als (die einzige) vernünftige Philosophie vertreten wurde. „Die Formung des Selbst ganz an die Gottesbeziehung zurückzubinden“ (S. 298) erscheint zwar als jüdisch-christliches Spezifikum, hat 42  43 

Hierzu vgl. Urbano 2014. Hengel 1988, 143.

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aber gewichtige Parallelen in der kaiserzeitlichen und spätantiken Philosophie, so dass von Abgrenzungen, aber ebenso von einer gemeinsamen Entwicklung die Rede sein muss, an die in späteren Zeiten islamische Denker anschließen konnten. In gewisser Weise kann man den Mittelmeerraum vom Hellenismus und der späten römischen Republik bis zur Differenzierung der Welt durch die Auseinanderentwicklung von Ost und West in der Spätantike als Spielfeld eines intensiven Bildungsdiskurses betrachten, in dem sich Konvergenzen – wie die „Intellektualisierung der Erziehung“ im spätrepublikanischen Rom durch die „Kultivierung griechischer Bildung“ (Scholz, S. 201) –, aber auch Distanzierungen – wie das Postulat einer christlichen philosophia als strikter Alternative zur hellenistischen paideia bei Johannes Chrysostomos – zu beobachten sind. Diese diametrale Entgegensetzung von Christlichem und „Heidnischem“ spiegelte nicht die Realität, denn die traditionellen Bildungswege und -ziele behielten im Vorderen Orient bis in islamische Zeit ihre Attraktivität bei; in ihrer christlichen Rezeption prägte der gebildete Umgang mit heiligen Texten sogar den emergenten Islam, wie Angelika Neuwirth an den frühesten Teilen des Koran und der mekkanischen Verkündigung Muhammads demonstriert (S. 375–378). Eine andere Situation ergab sich erst in Medina, als „der Verkünder und seine Hörerschaft nun mit gebildeten Mitgliedern einer jüdischen Gemeinde konfrontiert waren, die über ein ungleich tieferes und breiteres Bibelwissen verfügten als sie selbst“ (S. 381), so dass die ursprünglich rezipierten typologischen hermeneutischen Muster nicht mehr trugen. Die zunehmend exklusiv ausformulierten Grenzziehungen zwischen der eigenen und den jeweils anderen Religionskulturen und Bildungsidealen sind also als dynamische und diskursive Setzungen zu interpretieren, die Bildung in Anspruch nahmen, um überzeugend zu sein – sei es zur Stiftung von Identität ad intra oder zur Verteidigung ad extra. Dabei war die Partizipation an zwei sprachlichen und inhaltlichen Bezugssystemen in bestimmten Kontexten möglich, ja notwendig, wie Ute Pietruschka an der „funktionale[n] Differenzierung zwischen sozial oder religiös unterschiedlich gewerteten Sprachen oder Sprachvarietäten“ in christlich-arabischem Umfeld argumentiert, wo sie ein durchaus virtuoses „Code-Switching“ beobachtet (S. 398). Der „Denkraum Spätantike“44 erweist sich als Diskursraum, aber auch als Raum unterschiedlicher Praktiken und Deutungen, in denen religiöse Identität kontinuierlich (auch) im Modus von Bildungshandeln stabilisiert, kritisiert und neu konfiguriert wurde. Kulturen – Subkulturen – Leitkultur(en) Gab es aber innerhalb dieses mediterranen Denk-, Diskurs- und Praxisraums, der von zahlreichen (Religions-) Kulturen bevölkert wurde, eine „Leitkultur“? Samuel Vollenweider bejaht dies (aus schweizerischer Distanz zur innerdeutschen Debatte über diesen Begriff)45 mit dem Hinweis darauf, „wie ungemein stark die 44  45 

Dazu Schmidt / Schmid / Neuwirth 2016. Ich schließe mich im Folgenden dieser rein deskriptiven Begriffsverwendung an.

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Gravitationskraft der hellenistisch-römischen Bildung die Menschen der damaligen globalisierten Mittelmeerwelt, insbesondere ihre urbanen Eliten, bestimmt hat“ (S. 289). In ihrem Bann habe auch die christliche „Partialkultur“ gestanden, die in ihren Anfängen – zum Leidwesen der Apologeten – nicht den Rezeptionserwartungen der Gebildeten entsprach, sich diesen aber allmählich angenähert und schließlich internalisiert habe: „Die Christen werden im Lauf dieses Prozesses selber zu Trägern der hegemonialen Kultur“ (S. 295). Vollenweider folgert daraus: „Unbeschadet ihrer Kontrapositionierung sind Subkulturen eben doch Teil der Globalkultur. So haben die antiken Christen gar nicht erst ein eigenes Schulsystem etabliert“ (S. 290). Er weist damit auf den signifikanten Tatbestand hin, dass eine solche „Globalkultur“ nicht nur ein diskursives Postulat war, sondern sich auch in den institutionellen Formen des Bildungswesens niederschlug – was nicht heißt, dass eine solche „Global-“ oder „Leitkultur“ an allen Orten in gleicher Weise oder an einem Orten in vorbildhafter Reinform zu finden wäre. Eine „Einheitskultur“ zu postulieren heißt vielmehr immer (und zwar damals wie heute!), mit ihren vielfältigen Brechungen in der Praxis zu rechnen. Umso bemerkenswerter ist es, dass im Mittelmeerraum die Charakterisierung einer Person als litteratus oder πεπαιδευμένος überregional als Qualitätsmerkmal galt, sogar in Gruppen, die nicht zu den primären Trägern der hellenistischen paideia zählten. Die in den vorigen Abschnitten beschriebenen Konvergenzen von Gruppen, Kulturen und Religionsgemeinschaften im vormodernen Mittelmeerraum zeigen, dass im Blick auf Ziele von Sozialisation, Erziehung und Bildung einschließlich der zuständigen Autoritäten, der angestrebten Kompetenzen und der verwendeten Medien zweifellos ein übergreifendes Leitbild zu identifizieren, das Europa, Afrika und Asien, die drei damals zumeist genannten Erdteile, verbindet, ungeachtet vielfältiger Differenzen in Bezug auf Sprachen, urbane und rurale Kontexte und politische Herrschaftsformen. Und doch sollte nur mit Vorsicht und sehr konditioniert von einer „Global-“ oder „Leitkultur“ gesprochen werden. Die Rezeption der hellenistischen paideia in Rom, die – nur nebenbei bemerkt – mit politischen Umwälzungen, Sklavenhaltung und Migration zu tun hatte46, führte gewiss zu einer „Intellektualisierung der Erziehung“ in Rom (Scholz) und zu einer koiné der Gebildeten im Imperium Romanum, die erst durch die im Westen seit dem 4. Jahrhundert abnehmenden Griechischkenntnisse einen Rückgang erfuhr. Und doch ist der Blick auf diese „Globalkultur“ durch seinen Fokus auf Eliten eingeschränkt: Nimmt man den Ausgang der Betrachtung nicht bei den wenigen, die sich gegenseitig als πεπαιδευμένοι oder litterati akzeptierten, sondern bei den vielen, die sich unterhalb dieser Diskursebene bewegten, erscheint die Rede von einer „Leitkultur“ allzu optimistisch – wenn man mit diesem Begriff mehr als die Verwendung einer gemeinsamen Sprache bezeichnen will, also auch geteilte ethische 46  Vgl. das pointierte Diktum von Horaz, Epistula II 1,156f.: „Hellas, im Kampfe bezwungen, besiegte den wilden Sieger und brachte dem bäurischen Latium die Künste“ (Graecia capta ferum victorem cepit et artes intulit agresti Latio; Übers. Manfred Simon).

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Werte, politische Ziele oder kulturelle Errungenschaften. Es stellt eine bemerkenswerte Analogie zu gegenwärtigen politischen Diskussionen dar, dass der suggestive Begriff „Leitkultur“, je schärfer man ihn zu profilieren versucht, angesichts der real existierenden Pluralität von soziokulturellen Settings zerfasert. Wenn, wie oben betont, der Begriff paideia in sich polyvalent ist, dann kann er auch nur in allgemeinem Sinne hegemonial verstanden werden; es gilt, kontextspezifisch zu bestimmen, was in einer Region, einer Stadt oder einem literarischen Kommunikationszusammenhang darunter verstanden wird. Dass Junkturen wie „die hellenistische paideia“ konstruiert sind, verliert dann den Charakter der Binsenweisheit, wenn man berücksichtigt, dass zwar manche Elemente dieser paideia weite Verbreitung fanden – rhetorische Lehrbücher, Leittexte oder personale Vorbilder –, diese Verbreitung aber faktischen und prinzipiellen Einschränkungen unterlag und die Rezeption einer solchen Leitkultur auch verweigert werden konnte; man denke nur an die Gemeinschaft, die sich um die Texte von Qumran zentrierte, in denen sich zwar auch Spuren hellenistischer Bildung finden, deren Autoren und Leser sich dennoch als eine „Gegenkultur“ verstanden, wie später die rabbinische Bewegung, aber auch große Teile des christlichen Mönchtums. Findet man nun, wie oben erwähnt, Elemente der verbreiteten Bildungskultur in diesen Kontexten, sollte das weniger zum Gestus des Entlarvens führen als zu differenzierten Beschreibungen von Nähe und Distanz zu (konstruierten) Leitbildern. Die in der Literatur oft beschworene Konstanz der Lehrpläne, Leittexte und Normautoren im griechischen und lateinischen Schulwesen vom Hellenismus bis zum Ausgang der Spätantike ist nicht falsch, muss aber zu ihren zahllosen kontextuellen Brechungen ins Verhältnis gesetzt werden, die erst ein hinreichend trennscharfes Bild von „Kulturen (!) des Mittelmeerraums in der Vormoderne“ ergeben. In einem solchen Bild spielt dann auch Religion eine Rolle, und dies nicht nur als eine von vielen möglichen Dimensionen, die zu Bildung in Beziehung stehen, sondern – wie bereits oben ausgeführt wurde – als zweiter Brennpunkt einer fest miteinander verbundenen Ellipse. Das gilt jedenfalls, wenn der moderne Bildungsbegriff auf die Vormoderne übertragen wird, der selbst offen für Religiöses ist und auf ein Moment der Unverfügbarkeit verweist, das nicht mit Religion verbunden werden muss, aber oft genau so interpretiert worden ist. So ist in der erwähnten platonischen Traditionslinie – so Matthias Becker – Bildung „auf das Engste mit Religion verquickt“, „weil in ihr vorgegebene Bildungsansprüche, tradierte Unterrichtsinhalte und eine praktizierte Religiosität zu dem Zweck verschmelzen, das von Platon formulierte Ziel der Philosophie zu erreichen, welches in der Angleichung an Gott besteht“ (S. 207). Nicht zufällig formulierte bereits Platon das Ziel der ὁμοίωσις θεῷ κατὰ δυνατόν in Verbindung mit der Erwartung, dass man so „gerecht und fromm mit Einsicht wird“ (δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι).47 Im selben sprachlichen Rahmen, den die ἐγκύκλιος παιδεία definiert, aber unter den Vorzeichen des biblischen Monotheismus nimmt sich die Ellipse 47 Platon,

T heaetetus 176ab; zit. oben S. 209.

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bei Philo von Alexandrien anders aus, denn Bildung ist hier klar auf eine normative („heilige“) Schrift „und ein durch sie begründetes Gottes- und Geschichtsverhältnis des Einzelnen wie des Volkes“ bezogen (Deines, S. 249). Führt Bildung auf dieses Gottesverhältnis hin, ist sie von vorneherein religiöse Bildung, d. h. „eine gesetzmäßige Bildung, die das Potenzial hat, nützlich zu sein“48, und diese „besteht näherhin in der Erziehung durch das Gesetz (ἡ τοῦ νόμου παιδεία), durch die wir ehrfürchtig die göttlichen Dinge und zu unserem Nutzen die menschlichen erlernen“ (4 Makk 1,17). Liegen hier Bildung und Religion eng ineinander, zeichnet sich dagegen das Christentum durch eine Differenzierung aus, wonach, so Jan Stenger, „die Reflexion über paideia bei Basileios [von Caesarea] zu einer klaren Scheidung in zwei Bereiche der Bildung [führt], die funktionell aufeinander bezogen werden. Die überkommene Bildung wird als Propädeutik der religiösen untergeordnet und erhält somit auch für das Leben des Christen eine wichtige Funktion“ (S. 338). Stenger erläutert weiter im Anschluss an Augustin: „Der Bildungsprozess erhält somit einen theologischen Rahmen, der es erlaubt, die materiale Bildung der Schule soweit wie möglich zu nutzen, deren formale Seite hingegen zu verbannen. Während in der weltlichen Schule größter Wert auf die (sprachliche) Form gelegt wird, dominiert in der christlichen Bildung die Sache“ (S. 343). Es mag dahin gestellt bleiben, wie repräsentativ Augustins T heorie für die christliche Praxis war. Interesse verdient aber die Unterscheidung verschiedener Ebenen von Bildung, die Stenger im Folgenden vornimmt: Religion konnte zwar auch in der paganen Antike Bestandteil von Bildungsprozessen sein – man denke etwa an das Einüben von Kulthandlungen, Götterdarstellungen in der Literatur oder theologische Spekulationen in der Philosophie –, aber es fehlte ein formulierbares Konzept rein religiöser Bildung, das heißt von menschlicher Bildung als unbedingt religiöser Praxis (S. 349).

Man könnte vielleicht vorsichtiger formulieren, dass eine andere Art von Religion (nämlich das Gegenüber zu einem personalen Gott) auch eine andere Art religiöser Bildung bedingte. Das führte in der T heorie zu einer Unterscheidung von Bildung und Religion, die sich im Laufe der Zeit in der mediterranen Welt durchsetzen sollte. Freilich darf diese Geschichte nicht teleologisch erzählt werden, als hätte es keine Alternative gegeben und als wäre das Christentum an allen Orten und zu allen Zeiten seinem umfassenden Bildungsanspruch gerecht geworden, ist doch nicht nur eine Pluralität von christlichen Gemeinschaften, sondern auch innerhalb dieser eine Pluralität von Partizipationsstrategien, Glaubensweisen, ethischen Handlungsformen und „Synkretismen“ zu beobachten, was nichts anderes heißt, als dass keineswegs alle Christen in ihre Gemeindekirche – und nur in diese! – und nicht etwa auch in die benachbarten Tempel gingen, solange diese in Funktion waren. Solche Exklusivität einzuschärfen war Ziel der christlichen Katechese; aber gerade weil diese „unterschiedslos alle Menschen, gleich welcher Herkunft und welchen Bildungsstands, an den Glauben und die göttliche 48 

Philo von Alexandrien, De congressu 88: νομίμου παιδείας τῆς ὠφελεῖν δυναμένης.

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Wahrheit heranführ[en]“ sollte (Stenger, S. 342), war und blieb sie de facto offen für individuelle Gestaltungen des religiösen Lebens, die durch Bildungshandeln doch eingehegt werden sollten. Pointiert gesagt: Sich der christlichen „Leitkultur“ zu verschreiben hinderte viele Zeitgenossen nicht daran, ihrer familiär oder regional bedingten „Partialkultur“ treu zu bleiben – und dabei ein gutes Gewissen zu haben. Das galt für den Besuch von Kultstätten, aber auch für den Erwerb und die Nutzung von Bildungsgütern und Kompetenzen. Erst das Verschwinden von Alternativen führte zur Vereindeutigung religiöser und kultureller Optionen – eine Entwicklung, die sich mutatis mutandis im rabbinischen Judentum und im Klassischen Islam beobachten lässt. Bildung war in der Vormoderne, so lässt sich zusammenfassen, ebenso plural wie die sozial, politisch, ökonomisch, kulturell und religiös bestimmten Situationen, in denen sie konkret in Anspruch genommen, vermittelt und reflektiert wurde. Die Identifizierung von Leitkulturen erübrigt nicht die Suche nach Partialund Subkulturen, in denen sich gebildetes Menschsein, ja gebildete Religiösität äußerte. Bildung besaß offensichtlich in der Vormoderne wie auch heute das Potenzial zur individuellen Gestaltung. Das konnte sich in bewusster Annäherung an sozial vermittelte Leitbilder äußern, aber auch in gezielter Distanzierung zu diesen – beide Varianten sind insbesondere in philosophischen Kreisen belegt, sei es die ausdrückliche Wahl (προαίρεσις) eines Lebens in Harmonie mit Gott und der Welt bei kaiserzeitlichen Stoikern, sei es zeitgleich das sozial deviante Verhalten von Kynikern. Zumal im letztgenannten Fall ergaben sich unabweisbare Spannungen zu normativen Vorgaben – dies ist die andere Seite der Individualisierung. Je mehr der Aspekt der Individualität in den Vordergrund trat, desto reflexionsaffiner wurde Bildung; aber von religiöser Bildung ist ebenso da zu sprechen, wo die beiläufige oder intendierte Einweisung in traditional verankerte Praktiken im Vordergrund stand. In dieser sozial-, kultur- und religionsgeschichtlichen Spannbreite steht uns „Bildung in der Vormoderne“ vor Augen.

3. Potenziale von Bildung – damals und heute Es bleibt zu überlegen, ob dieser plurale vormoderne Bildungsbegriff einschließlich seiner Konkretionen in praktischem Bildungshandeln und dessen Reflexion Potenziale für das Gespräch über Bildung (und Religion) mit moderne- und gegenwartsbezogener Forschung birgt und wie diese ggf. zu heben wären. Überleitend sei daran erinnert, wie Bernd Schröder in seinem Beitrag das Verhältnis von moderne- und vormodernebezogenem Fragen nach dem Bildungsbegriff beschreibt.49 Zurecht problematisiert er die pauschalisierende Rede von „dem“ modernen Bildungsbegriff, der „als vielgestaltig und seinerseits einer geschichtlichen 49 Ich orientiere mich im Folgenden an den fünf im Verlauf seiner Argumentation entfalteten T hesen.

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Entwicklung unterworfen beschrieben werden muss“ (S. 73). Dies entspricht, wie gesehen, präzise „dem“ vormodernen Bildungsbegriff in seiner nach Zeiten, Regionen, Sprachen und Kontexten differenzierten Gestalt. Insofern eröffnen beide Singulare aus heuristischer Sicht Einblicke in gegenwärtige und vergangene Bildungs-Welten. Die Herausforderung besteht aber nicht nur in einer konzeptionellen Unifizierung „des“ modernen Bildungsbegriffs: Dessen Pluralität ist auch gegenüber Verkürzungen aus der Perspektive empirischer Untersuchungen bewusst zu halten, und dies kann eine Leistung des Rekurses auf vormoderne Bildungsformationen sein. Freilich gilt dies – so Schröder – nur unter der Voraussetzung, „dass es einen Konnex zwischen den Praxen und Konzepten von Bildung im ‚Mittelmeerraum und seiner Umwelt‘ des ersten Jahrtausends und denjenigen der Gegenwart gibt und sie (sc. die historische Bildungsforschung) ihrerseits hermeneutische Muster für das (fiktive) interdisziplinäre Gespräch mit der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung entwickelt“ (S. 77). Ein solcher Konnex kann durch die Frage nach der Wirkungsgeschichte historischer Bildungspraktiken und -konzepte hergestellt werden, was aus moderner Sicht zur rezeptionsgeschichtlichen Frage führt, „wie und warum moderne Bildungstheorien welche geschichtlichen Bildungspraxen und -konzepte rezipiert haben“ (S. 81) – und, so ist sofort zu ergänzen, welche nicht, und warum. Das Ziel dieses Vorgehens ist nicht die Legitimation moderner Bildungskonzeptionen durch Rückgriff auf geschichtliche Vorläufer, sondern eine geschärfte Sensibilität für Wirkungen über lange Zeiträume hinweg, für Kontinuitäten, aber auch für Diskontinuitäten im Bildungsdenken und -handeln und damit für die Vernetzung und Einbettung, Entflechtung und Separierung von Bildung und anderen gesellschaftlichen Bereichen unter je konkreten geschichtlichen Umständen. Bernd Schröders Argumentation zuspitzend ließe sich damit vorläufig festhalten: Der Blick in die Geschichte erinnert zunächst daran, dass es Bildung nur im Plural gab, und zwar sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch im kulturübergreifenden Vergleich. Man sollte dies im Zeitalter weltweiter Vergleichsstudien zu Schülerleistungen und gesteigerter Kompetitivität akademischer Systeme nicht für trivial halten; die Frage, ob man hier nicht Äpfel mit Birnen vergleicht, ohne sich über das zugrunde liegende Konzept von Obst im Klaren zu sein (s. o. S. 8), kehrt dabei mit großer Dringlichkeit wieder. Umgekehrt ist es aber auch für den Blick in die Geschichte hilfreich, von einer Pluralität von Bildungsbegriffe auszugehen; das verhindert, ein kulturspezifisches Leitbild – und sei es nur implizit – zu privilegieren: das platonische Ideal des Weisen, die hellenistische paideia, die Vorstellung einer „Wieder-Einbildung“ des Bildes Gottes im Menschen in der spätmittelalterlichen Mystik. Die im vorliegenden Band z. B. von Sebastian Günther in Bezug auf den Klassischen Islam und von Ute Pietruschka anhand der Überblendungen von spätantiken, christlichen und muslimischen Bildungsidealen bei den christlichen Arabern skizzierten Bildungskonzepte erinnern daran, dass die von der Antike und dem Hellenismus über das spätantike und abendländische

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Christentum bis zur Renaissance und Aufklärung reichende Bildungsgenealogie keineswegs alternativlos war; so stehen verschiedene historische Konzepte von Bildung einschließlich der dafür maßgeblichen Texte und Autoren auch heute in Geltung, und es stellt sich die Frage nach der Vermittlung traditioneller Ideale mit ihrer gegenwärtigen Kontextualisierung in vielfältiger Hinsicht.50 Der Frage nach dem Verhältnis von vormodernen und modernen Bildungsbegriffen wurde am Ende der SFB-Jahrestagung in Form einer Podiumsdiskussion nachgegangen, an der sich mit Ilinca Tanaseanu-Döbler (Religionswissenschaft) und Florian Wilk (Neues Testament) zwei Mitglieder des Göttinger SFB, mit Hartmut Leppin (Universität Frankfurt, Alte Geschichte) ein Hauptvortragender und mit Bernhard Dressler (Universität Marburg) ein Bildungsforscher aus dem disziplinären Feld der Religionspädagogik beteiligten. Gefragt wurde, ob und wie der moderne Bildungsdiskurs vom Blick in seine eigene Geschichte lernen kann, und ob und wie die Erforschung von Bildungsprozessen und -konzeptionen in der Vormoderne von heutigen Debatten profitieren kann. Einige Erträge der einleitend vorgetragenen Statements und der daran anschließenden Diskussion seien im Folgenden zusammengefasst.51 Antworten auf beide Fragen – das wurde in der Diskussion schnell deutlich – hängen ganz entscheidend von einem sorgsam differenzierenden Gebrauch des Bildungsbegriffs ab. Das machte Bernhard Dressler im Blick auf die Gegenwart deutlich52: „Bildungseinrichtungen werden zu Sozialisationsinstanzen und / oder zu Ausbildungsinstitutionen, wenn zwischen Bildung, Ausbildung und Erziehung nicht mehr deutlich unterschieden wird.“ Daher ist die Beachtung der Differenz zwischen Aussagen wie „Ich bilde dich aus“ und „Ich bilde dich“ entscheidend, von der die erste Form sich auf eine intersubjektive, aber unidirektionale und intentionale Form von Bildung bezieht und insofern sinnvoll aussagbar ist, während dies für die zweite Form nicht gilt, da eine gesteuerte und affirmative Bildungspraxis die „Reflexivität der lernenden Subjekte“ unterläuft, die für Bildung im eigentlichen Sinne maßgeblich ist, d. h. die „wechselseitige Erschließung von Individuen und Welt“, die initiiert und begleitet, aber nicht extern gesteuert werden kann. Eine solche Unterscheidung ist aber auch für vormoderne Gegebenheiten notwendig und fruchtbar, ist doch auch in der griechischen und römischen Kultur, im Judentum, im Christentum und im Islam – in je spezifischer Form – der 50  So hält Sebastian Günther (S. 419) pointiert fest: „Die von al-Ġazālī in Die Wie­der­ belebung der Religionswissenschaften formulierten – zwar stark von der islamischen Mystik geprägten, aber rational argumentierten – pädagogisch-ethischen Ratschläge beziehen sich sowohl auf das intellektuelle Lernen als auch auf die Herzensbildung und die spirituelle Vervollkommnung des Menschen. Für viele Muslime besitzen diese Bildungsgrundsätze alĠazālīs bis heute autoritativen Charakter.“ 51  Ich danke den Beteiligten ausdrücklich für die Einwilligung, in diesen abschließenden Reflexionen ihre Voten und Diskussionsbeiträge auswerten zu dürfen, ohne sie in jedem Fall namentlich zuzuordnen. Besonderer Dank gilt dabei den Kollegen Dressler und Wilk, die mir ihre Eingangsstatements in schriftlicher Form zugeleitet haben. 52  Vgl. als Hintergrund des Folgenden Dressler 2006.

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Aufruf zur Bildung des Selbst zu finden, der von (beiläufiger) Sozialisation, der (intentional gesteuerter) Erziehung und (fachbezogener) Ausbildung mindestens idealtypisch abzugrenzen ist. Dabei ist die Rede vom „Selbst“ – einer klassischen Definition Platons folgend „das, was ein jeder von uns wirklich ist“53 – bereits als solche voraussetzungsvoll und weder für Moderne und Vormoderne noch für die jeweils betrachteten Religionskulturen in gleicher Weise als Angelpunkt des Denkens zu veranschlagen. Das bedeutet, dass für die Fragerichtung nach möglichen Impulsen der Geschichte für die Gegenwart et vice versa die anthropologische Dimension eine zentrale Rolle spielen muss, worauf in der Diskussion insbesondere Ilinca Tana­seanuDöbler hinwies. Bildung richtet sich auf die Gesamtheit des Subjekts in seinen Lebensbezügen, geht also über den Erwerb konkreter Kompetenzen hinaus. Das ist aber nicht nur in Bezug auf eine moderne Verzweckung des Bildungsbegriffs bzw. seine Reduktion auf „employability“ zu berücksichtigen, sondern könnte – so ihre Beobachtung – auch erklären, warum in der Spätantike pagane und christliche Autoren wechselseitig plakative Kritiken der je anderen Bildungskonzeptionen formulierten, die sich möglicherweise zwar in konkreten Vollzügen gar nicht grundlegend unterschieden, wohl aber andere Bilder von Mensch, Welt und Gott oder Göttern als Grundlage hatten. Wenn nun seit der Aufklärung – so Dressler – das Individuum ins Zentrum rückt, das in sich selbst die Herausforderungen, Ansprüche und Zumutungen vielfältiger Rationalitätsdifferenzen in der Lebenswelt vermitteln muss, um die ihm neu eröffnete Chance zur individuellen Gestaltung seiner selbst wahrzunehmen, ist zu klären, was dieses Subjekt konstituiert, woraufhin es lebt und sich entwirft. Anders gesagt: Wenn unter modernen Vorzeichen die „Bildsamkeit“ ein grundlegendes Charakteristikum des Menschseins ist, dann fragt sich, woraus sie resultiert, woraufhin sie angelegt ist und woraus sie als Selbst-Bildsamkeit ihre Widerständigkeit gegenüber externen Einflüssen gewinnt. Hier besteht das Deutungsangebot der monotheistischen Religionen eines Gegenübers als Grund und Ziel von subjektiven Bildungsprozessen und damit als Widerlager gegen Übergriffe durch andere Subjekte: „Der Mensch ist nicht nur der Bildung fähig, sondern auf sie hin angelegt – trägt also das Ziel der Bildung so in sich, dass es ihm gleichsam eingestiftet ist. Damit ist ja der Mensch auf etwas ihm Vorgegebenes bezogen, das er sich nicht selbst ein-zu-bilden vermag, das er sich nicht selbst verdankt“, so Florian Wilk mit Verweis auf 1 Kor 4,7 („Was hast du, das du nicht empfangen hast?“). Die Frage nach dem Menschenbild führt also zurück auf das Gottesbild. Hierin (und nicht in der recht schmalen Traditionslinie zu Meister Eckhart) ist das bleibende religiöse Erbe des modernen Bildungsbegriffs zu suchen, unabhängig von der je individuellen Religiosität des einzelnen Menschen, im Moment der Unverfügbarkeit als dem Grund der Selbst-Bildsamkeit.54 53 Platon, Leges X (959b3): τὸν δὲ ὄντα ἡμῶν ἕκαστον ὄντως. Vgl. zum Vergleich antiker und moderner Reflexionen über Konzeptionen des Selbst Sorabji 2006. 54  Schröder 2012, 221.

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Zwischen Vormoderne und Moderne besteht jedoch insofern eine grundlegende Differenz, als in Kulturen der Antike und des Mittelalters – pauschal gesagt  – der Entwurf des Selbst sich in sozial vermittelten Rollen mit klaren Erwartungen, Spielräumen und Limitationen vollzog. Die von Ernst Troeltsch so genannte „Zusammenbestehbarkeit“ unterschiedlicher Formen von Handlungsrationalitäten, die – so Dressler – in der Moderne eine Herausforderung an das sich bildende Subjekt darstellen, wurde durch Vollzüge garantiert oder mindestens suggeriert, bei denen sich eine Gesellschaft oder Gruppe ihrer Zusammengehörigkeit versicherte, z. B. durch Rituale, Prozessionen oder Feste, aber auch durch die öffentliche und private Inszenierung von Werten in Form von Inschriften, Skulpturen und Bildern, wie im vorliegenden Band die Beiträge von Björn Ewald und Johannes Bergemann zeigen. Eine solche Funktion nahm in der Antike – so Hartmut Leppin – aber auch Bildung wahr, nicht im visuell-haptischen Sinne, sondern in intellektueller Form, nämlich als Integration durch kulturelle Codes, mit denen man Zugang zu den „Quellen der Gemeinsamkeit“ erlangt. Leppin warf damit die Frage nach der Funktion von Bildung auf, damit aber auch nach dem Zusammenhang von Sozialisation, Erziehung und Bildung: Bildung im Vollsinne kostet Zeit, ihr eignet ein „meritokratisches Element“, sie dient daher auch der Sta­ tusdistinktion – nicht jeder kann es sich leisten, seine Zeit mit Bildungsvollzügen zu verbringen! Die geringe Partizipation breiter Schichten an Bildung gewährleistete gerade den Erhalt der Stratifikation einer Gesellschaft durch Betonung der Statusdistinktion. Anders als in der Moderne war Partizipation aller Menschen an Bildung in traditioneller griechischer und römischer Sicht kein Ideal; im jüdischen und christlichen Bereich findet sich allerdings – bezogen auf religiöse Bildung – die Idee der Möglichkeit und Notwendigkeit, alle Mitglieder der eigenen Gruppe zu bilden und – im Christentum – dies als Modus der Initiation in Form des Katechumenats zu institutionalisieren. Doch weist Leppin auf das Moment der Integra­ tion (im Sinne der oben genannten Versicherung der Quellen der Gemeinsamkeit) hin, das wiederum für die Breite einer Gesellschaft maßgeblich war. Mit den drei genannten Aspekten – Statusdistinktion, Partizipation, Integration – lassen sich demnach unterschiedliche Funktionen von Bildung beschreiben, die zugleich verschiedene Vollzüge – Sozialisation, Erziehung, Selbst-Bildung – zu einer soziokulturellen Gesamtpraxis vereinen. In diesem Sinne widerspricht die Rede von Funktionalität, wie oben schon bemerkt, nicht der Absichtslosigkeit von Bildung, vielmehr ist – so Leppin in der Diskussion – nach deren „Zweckhaftigkeit“ zu fragen. Anders formuliert, ist Selbst-Bildung in der Vormoderne nicht l’art pour l’art, sondern die individuell gewählte und vollzogene Einfügung in soziale Rollen, die zwar im Laufe der Zeit durchaus Entwicklungen unterlaufen, mit einer autonomen Selbstentfaltung des Individuums in modernem Sinne aber nicht einfach kompatibel sind.55 Daraus ergibt sich allerdings die Frage, wie autonom 55  Vgl. die Mahnung von Irene Salvo am Ende ihres Beitrags zum vorliegenden Band (S. 180): „Historians of knowledge and education should not miss the opportunity to

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das moderne Subjekt wirklich ist56, und weiterhin die Überlegung, ob nicht gerade das religiöse Moment des Bildungsbegriffs die Diastase von Autonomie und Heteronomie in Richtung einer „T heonomie“ aufzubrechen vermag. Die T hese, „dass nicht nur das Wort, sondern… das gesamte Konzept ‚Bildung‘ eine religiöse Grundierung aufweist und nicht zuletzt einer ‚interpretatio Christiana‘ offensteht“ (Florian Wilk), korrespondiert mit einer Beobachtung, die Samuel Vollenweider in seinem Beitrag formuliert: Aufgrund ihrer Herkunft sind Christenmenschen offenbar beides zugleich, Bildungsfreunde und Bildungskritiker. Dass sie sich heute dezidiert für das erstere engagieren, in einer Zeit, in der es nicht nur zu markanten Transformationen im Bildungsverständnis kommt, sondern auch zu einem massiven Abbruch der Traditionsweitergabe, leuchtet spontan ein. Auch an diesem Punkt lassen sich die Vorgänge im frühen 21. Jahrhundert mit denen in der späten Antike durchaus vergleichen (S. 299).

Es ist deutlich, dass durch dezidierte Inanspruchnahme einer religiösen Bildungstradition die Anschlussfähigkeit eines derart grundierten Bildungsverständnisses in anders oder gar nicht religiös musikalischen Kontexten durchaus nicht erleichtert wird. Gerade daher ist aber – wie Hartmut Leppin erklärt – die Frage nach der Genese von Bildungskonzepten in vormodernen oder modernen Diskurszusammenhängen von ihrer Geltung zu unterscheiden57: „Bildsamkeit“ lässt sich auf unterschiedliche Weise beschreiben; doch scheinen die Fragen, die beantwortet werden müssen, um ein interkulturell und -religiös vergleichbares Verständnis von Bildung zu erarbeiten, durchaus analog zu sein. Vom frühen Christentum als einer „Bildungsreligion“ zu sprechen58 heißt nicht, Unterschiede zwischen der vorkonstantinischen Zeit und der Epoche der Romantik und des Historismus zu nivellieren, aber zu überlegen, worin die vergleichbaren Herausforderungen einst und später lagen, und dafür Kategorien zu entwickeln. Das Menschenbild, das Zusammenspiel von Individualität und Sozialität, das Verhältnis von Funktionalität und Selbstzwecklichkeit ergeben sich damit als Aspekte, an denen Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen modernen und vormodernen Bildungsbegriffen diskutiert werden können. Hinzu kommt, worauf fruitfully contribute to the contemporary debate on the value of informed knowledge versus void information, finding fresh inspirations from antiquity on how education can shape individual and collective socio-cultural identities.“ 56  Das Phänomen der Statusdistinktion im Sinne der Abhängigkeit schulischer Wege und Erfolge vom familiär-sozialen Bildungshintergrund ist auch heute in Deutschland bekanntlich keineswegs überwunden! 57  Vgl. auch Dressler 2018. 58  Skeptisch dazu äußert sich Vollenweider (S. 297): „Die frühchristliche Literatur dokumentiert ein breites Spektrum von Bildungsphänomenen. Dennoch lässt sie sich nicht für eine ‚Bildungsreligion‘ in Anspruch nehmen. Ihr fehlt ein Bildungsprogramm, d. h. eine explizite Bezugnahme auf das von der hellenistisch-römischen Globalkultur entworfene Bildungssystem, das seinerseits auch am Ursprung unserer neuzeitlichen Bildungskonzeptionen steht.“ In der Spätantike ändert sich das allerdings. Einen Versuch, das Christentum von den Apologeten bis zum reichskirchlichen Katechumenat in differenzierter Weise als Bildungsreligion zu beschreiben, habe ich in Gemeinhardt 2020 [im Druck] vorgelegt.

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Florian Wilk hinwies, das Moment der personalen Vermittlung, des „Lernens am konkreten Gegenüber“ im Spannungsfeld von Nachahmung des Vorbilds, von „learning by doing“ durch Beobachtung der Kompetenz von anderen und von krea­ tivem Selbstentwurf im Verhältnis zu Praktiken und Idealen in der Lebenswelt, vermittelt durch Menschen, Texte und Bilder. Dieses Stichwort ruft noch einmal die ganze Breite der Bildungsdimensionen auf und macht zugleich klar, dass der Zugang zu diesen Dimensionen nicht nur über Texte und T heorien, sondern vor allem über Praktiken und Interaktionen zu suchen ist – die freilich, was schlicht in der Quellenlage begründet ist, wiederum vor allem in textlicher und bildlicher Gestalt aus der Vormoderne überliefert sind. Diese Binsenweisheit verdient deshalb festgehalten zu werden, weil in der Unmöglichkeit empirischer Studien zu vormodernen Bildungsprozessen naturgemäß ein bleibender Unterschied zur Moderne liegt, so dass der Bildungsbegriff – auch wo er fruchtbar anwendbar scheint – nur höchst vermittelt mit sozialen Realitäten abgeglichen werden kann. Umso notwendiger ist der differenzierende Umgang mit diesem Begriffsfeld. Sollte aber, so die kritische Rückfrage von Bernhard Dressler, für die Vormoderne überhaupt von Bildung gesprochen werden? Seiner Beobachtung nach ist bereits für die Gegenwart eine „semantische Entgrenzung des Bildungsbegriffs“ festzustellen, wodurch „der kritische Sinn von ‚Bildung‘ verloren geht“. Auch wenn Dressler zugesteht, „dass mit ‚Bildung‘ ein Begriff im Spiel ist, den man auch in Bezug auf vormoderne Phänomene schwer substituieren kann“, mahnt er, dass mit dessen „allgemeinem (um nicht zu sagen: inflationärem) Gebrauch seine Distinktionskraft verloren“ gehe. Hinzu kommt die inhaltliche Anfrage, ob es „in ­diachroner Perspektive… nicht eher um Formen der Gelehrsamkeit oder Gelehrtheit, wenn nicht gar ‚nur‘ um Erziehung oder um Unterweisung“ gehe – also gerade nicht um Bildung im Sinne eigenständiger, kritischer Formung des Selbst im Gegenüber zu Gott, Göttern oder anderen Instanzen vorgegebener Weltdeutungen. Die Frage, ob es in den Kulturen der Vormoderne überhaupt so etwas wie Bildung im modernen Vollsinne gebe, wird aus der Perspektive der historischen Forschung komplementiert, indem Samuel Vollenweider zu bedenken gibt: Die heutigen Anwälte eines bildungsfreundlichen Urchristentums [sc. die in seinem Aufsatz zitierten T homas Söding und Udo Schnelle] arbeiten mit einem sehr großzügig entworfenen Bildungsverständnis. Was immer in den frühchristlichen Schriften an Lehren und Lernen, an Textproduktion und Textrezeption in Erscheinung tritt, wird unter diesem Label verhandelt. Das ist natürlich möglich. Aber die Kehrseite dieser Sprachregelung besteht darin, dass die Kategorie selber nicht mehr wirklich griffig ist (S. 285).

Dem ließe sich dadurch begegnen, dass der polyvalente Begriff nicht vorschnell vereindeutigt, sondern im Blick auf das Zusammenspiel seiner Komponenten, d. h. prozessorientiert in den Blick genommen wird, wie Florian Wilk vorschlug: Der Bildungsbegriff „erlaubt es, den Zusammenhang zwischen drei Aspekten eines Bildungsvollzuges als Zusammenhang in den Blick zunehmen: zwischen

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– der einer Lehrergestalt eigenen Bildung, also seiner Gelehrsamkeit und Lebenserfahrung, – der auf Seiten des Gegenübers angestrebten Bildung, also der anzueignenden Kenntnisse, Einsichten, Fertigkeiten und Haltungen, und – der in der Begegnung der einen mit dem anderen sich vollziehenden Bildung, also dem kommunikativ vermittelten Lehr- und Lernprozess.“ Damit ist noch nicht das sprachliche Problem gelöst, dass derselbe Begriff in verschiedenen zeitlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontexten dasselbe – bei genauer Betrachtung vielmehr sehr Unterschiedliches – bezeichnet. Aber wie schon im Zusammenhang mit der religiösen Grundierung des Bildungsbegriffs betont, könnte sich die Frage nach konkreten Kontexten, Akteuren, Medien und Komponenten von Bildung als hinreichende Rasterung für eine kulturübergreifende Analyse erweisen, die sowohl synchron als auch diachron fruchtbar ist. Ein sensibler Umgang mit dem Bildungsbegriff, wie ihn Bernhard Dressler anmahnt, würde dann nicht nur dessen Distinktionskraft bewahren, sondern sie sogar stärken, indem auf die geschichtliche Dynamik all dessen verwiesen wird, was unter „Bildung“ subsummiert werden kann – damit aber auch auf die Einbettung des eminenten modernen Bildungsbegriffs in seine Traditionsgeschichte. Die Frage, wie der moderne Bildungsdiskurs vom Blick in seine eigene Geschichte lernen kann, wäre dann so zu beantworten, dass dieser Blick vor der Isolierung eines bestimmten Bildungsbegriffs, aber eben auch vor der Überbetonung des sich bildenden Subjekts zu Lasten seiner sozialen Vernetzung warnen und auf die vielfältigen Kontinuitäten hinweisen kann, die über die ebenfalls nur konstruierte Schwelle zwischen Vormoderne und Moderne hinweg reichen. Dass, wie oben erwähnt, gerade die religiöse Bildung sich ihrer geschichtlichen Tiefenschärfe zu vergewissern geneigt ist und innerhalb des Fächerkanons der Erziehungswissenschaften gerade die Religionspädagogik an der Erforschung ihrer jüngeren und auch älteren Geschichte interessiert ist, führt zur Frage der Einordnung von Religion in die gegenwärtige Bildungsdebatte, was hier nicht mehr vertieft werden kann. Fragt man umgekehrt, ob die Erforschung von Bildungsprozessen und -konzeptionen in der Vormoderne vom Rekurs auf gegenwärtig vertretene Bildungsbegriffe profitieren kann, bleibt nach dem in den Beiträgen zu diesem Band Ausgeführten nur ein eindeutiges „Ja“. Florian Wilk verwendet das Bild eines „Resonanzraums“ für den Gebrauch des Bildungsbegriffs, verstanden als ein Raum, „der manche Zusammenhänge verdeutlicht, manche Aspekte in ihrer Bedeutung verstärkt, aber auch manche Missverständnisse zu erzeugen droht – und der schließlich selbst in seinen Klangmöglichkeiten erweitert oder doch von seinen eigenen Wurzeln her verwandelt wird.“ Damit wäre die Frage „Was ist Bildung in der Vormoderne?“ nicht im Sinne des einen, universal anwendbaren Bildungsbegriffs zu beantworten; stellte man die Frage mit bestimmtem Artikel nach „der Bildung in der Vormoderne“, müsste jede Antwort aporetisch bleiben. Fragt man jedoch ohne bestimmten Artikel nach „Bildung in der Vormoderne“, eröffnet sich

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der beschriebene Raum, in dem Prozesse, Akteure, Gehalte und Resultate von Bildung anhand konkreter Vollzüge thematisiert werden können. Schon dies impliziert die anthropologische Voraussetzung, dass der Mensch – so fragmentarisch dies lebensgeschichtlicher auch realisiert werden mag – für das Bildungshandeln anderer und auch seiner selbst offen ist. Erst wo diese Voraussetzung grundsätzlich bestritten wird, wäre die Frage „Was ist Bildung in der Vormoderne?“ endgültig – und dann negativ – beantwortet. Bis auf Weiteres ist sie in positivem Sinne offen und harrt kreativer Antwortversuche.

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– / Georges, Tobias (2018), Vom philosophischen Schulbetrieb zum kirchlichen Katechumenat: Institutionalisierungen religiöser Bildung im spätantiken Christentum: „Das Paradies ist ein Hörsaal für die Seelen“. Institutionen religiöser Bildung in historischer Perspektive (hg. von Peter Gemeinhardt / Ilinca Tanaseanu-Döbler; SERAPHIM 1; Tübingen: Mohr Siebeck) 153–177. Hengel, Martin (31988), Judentum und Hellenismus (WUNT 10; Tübingen: Mohr Siebeck). Kaufmann, T homas (2019), Die Mitte der Reformation. Eine Studie zu Buchdruck und Pub­ lizistik im deutschen Sprachgebiet, zu ihren Akteuren und deren Strategien, Inszenie­ rungs- und Ausdrucksformen (BHTh 187; Tübingen: Mohr Siebeck). Kintzinger, Martin (2003), Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter (Ostfildern: T horbecke). Kinzig, Wolfram (2019), Formation des Glaubens. Didaktische und liturgische Aspekte der Rezeption altkirchlicher Symbole in der lateinischen Kirche der Spätantike und des Frühmittelalters: Das Christentum im frühen Europa. Diskurse – Tendenzen – Enschei­ dungen (hg. von Uta Heil; Millennium Studies 75; Berlin / Boston: de Gruyter) 389–432. Köppe, Tilmann (2011, Hg.), Literatur und Wissen: T heoretisch-methodische Zugänge (Berlin / New York: de Gruyter). Krasser, Helmut (2010), Pilgerreisen im Text. Das Peristephanon des Prudentius als reli­ giös-performativer Erfahrungsraum: Millennium 7, 205–222. Larsen, Lillian I. (2016), Early Monasticism and the Rhetorical Tradition: Sayings and ­Stories as School Texts: Education and Religion in Late Antique Christianity. Reflections, Social Contexts, and Genres (hg. von Peter Gemeinhardt / Lieve Van Hoof / Peter Van Nuffelen; London / New York: Routledge) 13–33. – (2018), „Excavating the Excavations“ of Early Monastic Education: Monastic Education in Late Antiquity: T he Transformation of Classical Paideia (hg. von ders. / Samuel Rubenson; Cambridge: Cambridge University Press) 101–124. Leppin, Hartmut (2018), Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin (München: C. H. Beck). Morgan, Teresa (1998), Literate Education in the Hellenistic and Roman World (Cambridge: Cambridge University Press). Powell, Walter / Snellman, Kaisa (2004), T he Knowledge Economy: Annual Review of So­ ciology 30, 199–220. Schmidt, Nora / Schmid, Nora K. / Neuwirth, Angelika (2016, Hgg.), Denkraum Spätan­ tike. Reflexionen von Antiken im Umfeld des Koran (Episteme in Bewegung. Beiträge zu einer transdiziplinären Wissensgeschichte 5; Wiesbaden: Harrassowitz). Schröder, Bernd (2012), Religionspädagogik (Tübingen: Mohr Siebeck). – / Gemeinhardt, Peter / Simon, Werner (2018, Hgg.), „Rezeption“ und „Wirkung“ als Phänomene religiöser Bildung. Forschungsperspektiven und historiographische Fallstu­ dien (StRB 18; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt). Sorabji, Richard (2006), Self. Ancient and Modern Insights about Individuality, Life, and Death (Oxford: Clarendon Press). Urbano, Arthur P. (2014), Sizing up the Philosopher’s Cloak: Christian Verbal and Visual Representation of the Tribōn: Dressing Judeans and Christians in Antiquity (hg. von Kristi Upson-Saia / Carly Daniel-Hughes / Alicia J. Batten; Farnham, Surrey / Burlington VT: Ashgate) 175–194. Vössing, Konrad (1997), Schule und Bildung im Nordafrika der römischen Kaiserzeit (Collection Latomus 238; Brüssel: Latomus). Vössing, Konrad (2003), Die Geschichte der römischen Schule – ein Abriß vor dem Hintergrund der neueren Forschung: Gymnasium 110 (2003) 455–497.

Potenziale von Bildung – damals und heute

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Zaborowski, Jason (2018), Greek T hought, Arabic Culture: Approaching Arabic Recen­ sions of the Apophthegmata Patrum: Monastic Education in Late Antiquity. T he Trans­ formation of Classical Paideia (hg. von Lillian I. Larsen / Samuel Rubenson; Cambridge: Cambridge University Press) 326–342.

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Autorinnen und Autoren Christoph Auffarth: Studium der Altertumswissenschaften (Griechisch, Latein, Alte Geschich­te, Archäologie, Papyrologie, Münzkunde), der Geschichte, der Religionswissenschaft und der T heologie an den Universitäten Heidelberg, Athen, Tübingen. Gymnasiallehrer. Promotionsstudium zum Dr. phil. 1987 in Tübingen zur Odyssee vor dem altorientalischen Hintergrund (Ezechielbuch). Habilitation zur lokalen Religion im frühen Griechenland. Promotion zum Dr. theol. in Groningen, NL über die Eschatologie der Kreuzfahrer. Professor em. für Religionswissenschaft an der Universität Bremen. Neuere Veröffentlichungen: Die Ketzer (München: C.H. Beck, ³2016). Drittes Reich: Handbuch Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachi­gen Raum (hg. von Lucian Hölscher / Volkhard Krech; Pader­born: Schöningh, 2015) 113–134; 435–449. Matthias Becker: Studium der Ev. T heologie und Klassischen Philologie an den Universitäten Heidelberg und Tübingen. 2011 Promotion in Griechischer Philologie, Universität Tübingen. 2011–2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“ (Universität Tübingen). 2015–2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 1136 „Bildung und Religion“ (Universität Göttingen). 2016 Feodor-Lynen-Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am University College Oxford (UK). 2017 Promotion in Ev. T heologie, Universität Göttingen. 2019 Forschungsaufenthalt an der Yale Divinity School (New Haven, USA). Seit 07/2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der T heologischen Fakultät der Universität Göttingen. Neuere Veröffentlichungen: A Template for Picturing Rivals? Paul’s Depictions of Opponents and the Elements of Anti-Sophistic Polemic: Biblische Notizen NF 180 (2019) 105–129; Jesus als unfähiger Exorzist. Die Kritik des anonymen Griechen bei Makarios Magnes, Apokritikos 3,4: Verzwecktes Heil? Studien zur Rezeption neutestamentlicher Heilungserzählungen (hg. von Markus Schiefer Ferrari  / Judith Distelrath / Wolfgang Grünstäudl; BTS 30; Leuven: Peeters, 2017) 117–141; Por­ phyrios: Contra Christianos. Neue Sammlung der Fragmente, Testimonien und Dubia mit Einleitung, Übersetzung und Anmerkun­gen (TuK 52; Berlin/Boston: De Gruyter, 2016).     Johannes Bergemann: Studium der Klassischen Archäologie, Alten Geschichte und Christlichen Archäologie in Göttingen, Bonn, München und Rom. Promotion München 1987. 1987–1995 Wissenschaftlicher Assistent in Göttingen. 1987/88 Reisestipendiat des Deutschen Archäologischen Instituts. 1991–1992 Guest Scholar an der Universität Princeton. Habilitation Göttingen 1994. Heisenbergprofessur, Göttingen 1995–1998. Hochschuldozentur Leipzig 1998–2000. Professor für Klassische Archäologie, Ruhr-Universität Bochum 2000–2009. Dekan der Fakultät für Geschichtswissenschaft 2003–2005. Seit 2009 Professor für Klassische Archäologie, Göttingen. 2012–2016 Dekan der Philosophischen Fakultät. Neuere Veröffentlichungen: Der Gela-Survey. 3000 Jahre Siedlungsgeschichte in Sizilien (München: Biering & Brinkmann, 2010); Griechen in Übersee und der historische Raum (Hg.; Göttinger Studien zur Mediterranen Archäologie 3; Rahden/Westf.: Leidorf,

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Autorinnen und Autoren

2012); Survey-Archäologie: Naturwissenschaftlich-technische und historische Methode in Italien und Deutschland, Villa Vigoni Gespräch, Loveno di Menaggio 2015 (Hg., mit Oscar Belvedere; Göttinger Studien zur Mediterranen Archäologie 8; Rahden/Westf.: Leidorf, 2017). Roland Deines: Studium der Evangelischen T heologie in Basel und Tübingen. 1990/91 Studienjahr an der Hebräischen Universität in Jerusalem, danach Mitarbeiter am Institutum Judaicum der T heologischen Fakultät der Universität Tübingen. 1995–1997 Vikariat in der Württembergischen Landeskirche. 1997/98 Assistent am Deutschen Evangelischen Institut für die Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem. Habilitationsstipendium der DFG, danach von 2001–2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der T heologischen Fakultät der Universität Jena am Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti. Während dieser Zeit Habilitation in Tübingen (2004) und Adjunct Associate Professor an Ben Gurion-University in Beer Sheva (Israel). 2006 Lecturer for New Testament an der Universität von Nottingham, ab 2009 Full Professor. Seit 2017 Professor für Biblische T heologie und Antikes Judentum an der Internationalen Hochschule Liebenzell. Neuere Veröffentlichungen: Jakobus – Im Schatten des Größeren, BG 30 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2017); Der Messiasanspruch Jesu im Kontext frühjüdischer Messiaserwartungen: Der jüdische Messias Jesus und sein jüdischer Apostel Paulus (hg. von Armin D. Baum / Detlef Häußer / Emmanuel L. Rehfeld; WUNT II/425; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016), 49–106; Acts of God in History. Studies Towards Recovering a T heological Historio­ graphy (WUNT 317; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013). Björn Christian Ewald: Studium der Klassischen Archäologie, Alten Geschichte und Philosophie in Göttingen, Florenz und München; dort Magister 1993, Promotion 1996 über die Ikonographie von Philosophen, Dichtern und ‚Gebildeten’ auf römischen Sarkophagen. Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts 1997/98. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Archäologischen Institut in Rom (1996–2000) und am Center for Advanced Study der National Gallery of Art in Washington, DC (2000–2001). dann Assistant Professor of Classics and Art History an der Yale University (2001–2006). Seitdem Associate Professor of Art History (‚cross-appointed’ in Classics und Religious Studies) an der University of Toronto. Veröffentlichungen zu verschiedenen Aspekten antiker Kunst und Kultur, insbesondere Grabkunst und Mythenbildern, u.a.: Mit Mythen le­ ben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage (mit Paul Zanker, München: Hirmer, 2004; englische Übers. 2012); T he Emperor and Rome. Space, Representation, and Ritual (Hg., mit Carlos F. Noreña; Cambridge: Cambridge University Press, 2010); Attic Sarcophagi: Myth Selection and the Heroising Tradition: Wandering Myths in Antiquity. Transcultural Uses of Myth in the Ancient World (hg. von Lucy Audley-Miller / Beate Dignas; Berlin / Boston: de Gruyter, 2018) 209–262. Peter Gemeinhardt: Studium der Evangelischen T heologie an den Universitäten Marburg und Göttingen. 2001 Promotion zum Dr. theol. an der Universität Marburg. 2006 Habilitation an der Universität Jena. Seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte (Schwerpunkt: Alte Kirche) an der Universität Göttingen; seit 2015 Sprecher des SFB 1136 „Bildung und Religion“. Neuere Veröffentlichungen: Die Kirche und ihre Heiligen. Studien zu Ekklesiologie und Hagiographie in der Spätantike (STAC 90; Tübingen: Mohr Siebeck, 2014); Education and Religion in Late Antique Christianity. Reflections, Social Contexts, and Genres (Hg., mit Peter Van Nuffelen und Lieve Van Hoof; London / New York: Routledge, 2016); Was ist Kirche in der Spätantike? (Hg.; Leuven: Peeters, 2017); Athanasius von

Autorinnen und Autoren

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Alexandrien: Vita Antonii. Das Leben des Antonius (Hg. und Übers.; Fontes Christiani 69; Freiburg u.a.: Herder, 2018). Sebastian Günther: Studium der Arabistik und Islamwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; 1989 Promotion und danach wissenschaftlicher Mitarbeiter. 1998–2008 Assistant und Associate Professor of Arabic Language and Literature, University of Toronto, Kanada. Seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Arabistik und Islamwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen. Neuere Veröffentlichungen: Roads to Paradise. Eschatology and Concepts of the Hereafter in Islam (Hg., mit Todd Lawson; 2 Bde.; Leiden: Brill, 2016); Representations and Visions of Homeland in Modern Arabic Literature (Hg., mit Stephan Milich; Hildesheim: Olms, 2016). Mitherausgeber der Reihe Islamic History and Civilization (Leiden: Brill, mit Hinrich Biesterfeldt und Wadad Kadi). Charlotte Hempel: Studium der Evangelischen T heologie an der Universität Mainz und Biblcial Studies am King’s College London. 1995 Promotion KCL. 1995-1997 Edward Cadbury Post-Doctoral Fellow, University of Birmingham UK. 1997-1999 Sutasoma Research Fellow, Lucy Cavendish College, University of Cambridge. 1999-2004 Karrierepause. 2004 University of Birmingham zunächst als Birmingham Fellow, 2008 Senior Fellow, 2010 Senior Lecturer, 2013 Reader und seit 2016 Professor of Hebrew Bible and Second Temple Judaism. Neuere Veröffentlichungen: T he Qumran Rule Texts in Context (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013); T he T&T Clark Companion to the Dead Sea Scrolls (Hg., mit George J. Brooke; London: T&T Clark, 2018). Is T here a Text in this Cave? Studies in the Textuality of the Dead Sea Scrolls in Honour of George J. Brooke (Hg., mit Maria Cioată und Ariel Feldman; Leiden: Brill, 2017). Gerhard Langer: Studien der Katholischen T heologie und Judaistik in Salzburg und Wien. 1984-2010 Wissenschaftler an der T heologischen Fakultät Salzburg. Ebendort Promotion und Habilitation. 2000-2002 Gastprofessuren in Luzern und Freiburg i.Br. 20042010 Leiter des Interfakultären Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte in Salzburg. Seit 2010 Professor für Judaistik am gleichnamigen Institut in Wien. Neuere Veröffentlichungen: Midrasch: Ein Lehrbuch (Lehrbuchreihe Jüdische Studien; UTB; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016); Menschen-Bildung. Rabbinisches zu Lernen und Lehren jenseits von PISA (Stabwechsel 3; Wien / Köln / Weimar: Böhlau, 2012); „Let the Wise Listen and Add to T heir Learning” (Prov 1:5). Festschrift for Günter Stemberger on the Occasion of his 75th Birthday (Hg., mit Constanza Cordoni; Studia Judaica 90; Berlin / Boston: de Gruyter, 2016). Hartmut Leppin: Studium von Geschichte, Klassischer Philologie und Erziehungswissenschaften in Marburg, Heidelberg, Pavia und Rom. 1990 Promotion in Marburg, 1995 Habilitation an der FU Berlin. Verschiedene wissenschaftliche Tätigkeiten in Greifswald, Nottingham und Göttingen, seit 2001 Professor für Alte Geschichte in Frankfurt / Main. Neuere Veröffentlichungen: Juden – Christen – Heiden. Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius (Hg., mit Stefan Alkier; WUNT 400; Tübingen: Mohr Siebeck, 2018); Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin (München: C. H. Beck, 2018). Angelika Neuwirth: Studium der Klassischen Philologie Arabistik und Semitistik an den Universitäten FU Berlin, Göttingen, Jerusalem und München (M.A. 1970). Promotion in Göttingen 1972, Habilitation in München 1977, Ehrendoktorwürden 2007 in Bamberg, 2011 in Yale, 2012 in Basel und Salzburg. Gastprofessur an University of Jordan (197783); Heisenberg-Dozentur an Universität München 1984; Professur an Universität Bam-

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Autorinnen und Autoren

berg 1984-91; Lehrstuhl an FU Berlin  seit 1991; Direktorentätigkeit am Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Beirut und Istanbul 1994-1999. Seit 2007 Leiterin des Akademieprojekts „Corpus Coranicum: Textdokumentation und historisch-literaturwissenschaftlicher Kommentar“. Publikationen: Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang (Berlin: Suhrkamp, 2010; engl. T he Qur’an and Late Antiquity, Oxford: Oxford University Press, 2019); Der Koran. Handkommentar mit Übersetzung, Bd. I (Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2011); Bd. II (Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2017); Bde. III, IV in Vorbereitung; Scripture, Poetry and the Making of a Community. Reading the Qurʾan as a Literary Text (Qur’anic studies series; Oxford: Oxford University Press, 2014); Koranforschung – eine politische Philologie? Bibel, Koran und Islamentstehung im Spiegel spätantiker Textpolitik und moderner Philologie (Berlin: De Gruyter, 2016); Die koranische Verzauberung der Welt (Freiburg: Herder, 2017). Ute Pietruschka: Studium der Arabistik/Islamwissenschaft, Sprachen des Christlichen Orients an der Universität Halle. 1986 Promotion auf dem Gebiet der Äthiopistik. Nach Assistenten-/Oberassistentenzeit an der Universität Halle Lecturer für Islamkunde und Arabisch an der University of Queensland (Brisbane), Hochschulassistentin an der Universität Marburg, Teilprojektleiterin im SFB 586 (Nomadismusforschung) in Halle. Seit 2009 Leitung des Datenbankprojektes „Corpus der arabischen und syrischen Gnomologien“. Seit 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Langzeitprojekt „Katalogisierung der orientalischen Handschriften in Deutschland“ an der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Seit 2001 Lehrbeauftragte für christlich-orientalische Sprachen an der Universität Halle. Neuere Veröffentlichungen: Präsentation und Umformung biblischen Materials in den ‘Uyūn al-Aḫbār des Ibn Qutayba (828-889 AD): Journal of Eastern Christian Studies 70 (2018) 105–122; Eine Karšūnī-Handschrift und ihr historischer und religiöser Kontext: Ägypten und der Christliche Orient. Peter Nagel zum 80. Geburtstag (hg. von Heike Behlmer / Ute Pietruschka / Frank Feder; Wiesbaden: Harrassowitz, 2018) 213–226; Die Handschriften aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Bohairi­ sche und bohairisch-arabische Handschriften (mit Ina Hegenbarth-Reichardt; Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2018). Hedwig Röckelein: Studium der Geschichte, Germanistik, Politik und ur- und frühgeschichtlichen Archäologie an den Universitäten Würzburg und Freiburg, Promotion Freiburg i.Br. 1985. 1985–1989 Erstellung eines Kataloges der lateinischen Handschriften der Universitätsbibliothek Tübingen im Rahmen des Katalogisierungsprogramms der DFG. 1990–1998 Hochschulassistentin am Historischen Seminar der Universität Hamburg, Habilitation 1998. Seit 1999 Professorin für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen, seit 2007 Leiterin des Diplomatischen Apparates der Universität Göttingen, seit 2008 Leiterin der Arbeitsstelle „Germania Sacra“ bei der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neuere Veröffentlichungen: 100 Jahre Germania Sacra. Kirchengeschichte Schreiben vom 16. bis zum 21. Jahrhundert (Hg.; Studien zur Germania Sacra N.F. 8; Berlin / Boston: de Gruyter, 2018); Reliquienbesitz und Heiligenkult. Methodologische Fragen diskutiert anhand der Vredener Stiftskirche: Fragen, Perspek­ tiven und Aspekte der Erforschung mittelalterlicher Frauenstifte. Beiträge der Abschluss­ tagung des Essener Arbeitskreises für die Erforschung des Frauenstifts (hg. von Klaus Gereon Beuckers / T homas Schilp; Essener Forschungen zum Frauenstift 15; Essen: Klartext, 2018) 291–309; Heilige Texte im Mittelalter zwischen Exegese und religiöser Praxis oder: Wie lasen Frauen die Bibel?: Zwischen Exegese und religiöser Praxis. Heilige Texte von der

Autorinnen und Autoren

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Spätantike bis zum Klassischen Islam (hg. von Peter Gemeinhardt; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016) 205–226. Irene Salvo: Studium der Altertumswissenschaften an der Universität Pisa und der Scuola Normale Superiore. 2011 Promotion an der Scuola Normale Superiore di Pisa. 2009–2011 Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Oxford, ERC-Projekt „Emotions: the Greek Paradigm“. 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Scuola Normale Supe­riore. 2013–2015 Gerda-Henkel-Forschungsstipendiatin an der Royal Holloway University, London. 2015–2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 1136 „Bildung und Religion“ an der Universität Göttingen. Seit 2019 Leventis Postdoktorandin in Griechischer Geschichte an der Universität Exeter. Neuere Veröffentlichungen: Gender: T heorizing ‘Religion’ in Antiquity (hg. von Nickolas P. Roubekas; Sheffield: Equinox, 2019) 398–413; Blood Pollution and Macedonian Rulers: Narratives between Character and Belief: Purity and Purification in the Ancient Greek World. Texts, ­Rituals, and Norms (hg. von Jan-Mathieu Carbon / Saskia Peels; Liège: Presses universitaires de Liège, 2018) 157–169; Owners of their Own Bodies: Women’s Magic and Reproduction in Greek Inscriptions: Women’s Ritual Competence in the Ancient Mediterra­ nean (hg. von Matthew Dillon / Esther Eidinow / Lisa Maurizio; Farnham: Ashgate, 2017) 131–148; Emotions, Persuasion, and Gender in Greek Erotic Curses: Emotion and Persua­ sion in Classical Antiquity (hg. von Ed Sanders / Matthew Johncock; Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2016) 263–280. Peter Scholz: Studium der Alten Geschichte, Griechischen Philologie und Klassischen Archäologie an den Universitäten Frankfurt am Main und Marburg. 1996 Promotion. 1999–2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 435 Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel an der Universität Frankfurt am Main. 2003–2004 Stipendiat des Center for Hellenic Studies in Washington D.C. und des Historischen Kollegs in München. 2005 Habilitation an der Universität Frankfurt am Main. Seit 2008 Lehrstuhl für Antike Geschichte und Kultur an der Universität Stuttgart. Neuere Veröffentlichungen: Die römi­ schen Memoiren – Text, Übersetzung und Kommentar (mit Uwe Walter / Christian Winkle; Berlin: Verlag Antike, 2013); (Hg., mit Dirk Wiegandt), Das kaiserzeitliche Gymnasion (Berlin / Boston: de Gruyter, 2015); Der Hellenismus. Der Hof und die Welt (München: C. H. Beck, 2015). Bernd Schröder: Studium der Evangelischen T heologie und der Judaistik an den Universitäten Münster, Heidelberg, Jerusalem („Studium in Israel“) und Berlin. 1995–2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den T heologischen Fakultäten der Universitäten Halle/s. und Münster. Promotion im Fach Judaistik 1995 und Habilitation im Fach Praktische T heologie 2000. 2001–2011 Professor für Religionspädagogik an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Seit 2011 Lehrstuhl für Praktische T heologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Universität Göttingen, seit 2017 Vorsitzender des Evangelisch-T heologischen Fakultätentages. Neuere Veröffentlichungen: Religionspädagogik (NT hG; Tübingen: Mohr Siebeck, 2012); Göttinger Religionspädagogik (PT hGG 25; Tübingen: Mohr Siebeck, 2018), (Hg., mit Peter Gemeinhardt und Werner Simon), „Rezeption“ und „Wirkung“ als Phänomene religiöser Bildung (StRB 18; Leipzig: EVA, 2018).

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Autorinnen und Autoren

Caroline T. Schroeder: Brown University Religious Studies A.B. 1993; Duke University Religion Ph.D. 2002; Cornell University and Ithaca College, Woodrow Wilson Foundation Postdoctoral Fellow 2002–2004; Stanford University Introduction to the Humanities Program Fellow 2004–2007; Professor of Religious Studies, University of the Pacific 2007–2019 (Assistant Professor 2007–2010, Associate Professor 2010–2016, Professor 2016–2019). Professor in the Department of Classics and Letters at the University of Oklahoma (since 2019). Humboldt Fellow Georg-August University 2011–2012. ACLS Fellow 2018–2019. Author of Monastic Bodies: Discipline and Salvation in Shenoute of Atripe (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2007). Melania: Early Christianity as Viewed through the Life, Networks, and Legacy of One Family (Co-editor with Catherine M. Chin; Oakland: University of California Press, 2016). PI and co-PI of Coptic SCRIPTORIUM. Jan R. Stenger: Studium der Klassischen Philologie und der Geschichte an den Universitäten Heidelberg und Tübingen. 2000–2008 wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Klassische Altertumskunde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ebendort 2003 Promotion und 2008 Habilitation. 2008–2012 Juniorprofessor für Klassische Philologie am Exzellenzcluster Topoi der FU Berlin. Seit 2012 MacDowell Chair of Greek an der Universität Glasgow. 2015/16 EURIAS Senior Fellow am Helsinki Collegium for Advanced Studies und 2017/18 Fellow am Swedish Collegium for Advanced Study. Neuere Veröffentlichungen: Spätantike Konzeptionen von Literatur (Hg.; Heidelberg: Winter, 2015); T he Public Intellectual according to Choricius of Gaza, or How to Circumvent the Totalizing Christian Discourse: Journal of Late Antiquity 10.2 (2017) 454–472. Samuel Vollenweider: Studium der T heologie und Religionsgeschichte in Zürich, Tübingen und Heidelberg. 1980–1987 Assistent in Zürich. 1983 Promotion; 1987 Habilitation. 1988/89 Gastdozent in Kyoto und Nishinomiya (Japan). 1989–2000 Professor für Neues Testament an der Ev.-theol. Fakultät der Universität Bern. Seit 2000 Professor für Neues Testament an der T heologischen Fakultät der Universität Zürich (Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissenschaft mit dem Schwerpunkt Geschichte und T heologie der urchristlichen Literatur im Rahmen der spätantiken Religionen). Neuere Veröffentlichungen: Epiktet. Was ist wahre Freiheit? (Hg.; SAPERE 22; Tübingen: Mohr Siebeck, 2011); Exe­ gese – ökumenisch engagiert. Der “Evangelisch-Katholische Kommentar” in der Diskussion über 500 Jahre Reformation (Hg., mit Ulrich Luz / T homas Söding; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2016).

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Vormoderne Personen und Werke Abbahu 279 ‘Abd al-‘Azīz 397 ‘Abd al-Karīm al-Ǧīlī 414 ‘Abd al-Malik  370, 394, 397, 398 Abel 262 Abgar VIII. von Osrhoene  318 Abraham  258–260, 344–346, 372–378, 380–389 Aculeo 191 T. Aelius Alcibiades  20 Aeschines 177 Aeschylus 171, 464 Agamemnon  179, 463 Ahiqar 249 Aḥudemmeh 400 Aidesios  210, 211, 215–217, 220 Alanus von Lille  437 Alcibiades 20 Alcman  146, 147 al-Djāḥiẓ 32 Alexander der Große  39, 168, 246, 247, 249, 366, 466 Alexander von Abonoteichos  152 Alexander von Aphrodisias  212 Alexandros  132, 133, 134 al-Fārābī 413 Kitāb Arā’ ahl al-madīna al-fāḍila [Musterstaat] 414 Taḥṣīl as-sa‘āda [Erlangung der Glückseligkeit] 414 al-Ǧāḥiz Widerlegung der Christen  406 al-Ġazālī  413, 419–424, 473 al-Munqiḏ min aḍ-ḍalāl [Der Erretter aus dem Irrtum] 420–422 Iḥyā’ ‘ulūm ad-dīn [Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften]  419, 424 al-Ḥārtih ibn Asad al-Muḥāsibī 424 al-Ḥusain b. Manṣūr al-Hallāǧ 414 ‘Alī b. Abī Ṭālib 418

Alkaios 208 Alkinoos  210, 211, 220 Didaskalikos  210, 219 Alkuin von York  82 al-Māwardī  413, 417–419, 423, 424, 455 Adab ad-dunyā wa-d-dīn [Bildungsund Verhaltenskodex für die Welt und die Religion] 417, 418, 455 Ammon Epistula  355 Amphilochius von Ikonion Iambi ad Seleucum  335, 336 Anakreon  92, 146, 148, 208 Anaximander  146, 147 Andreas von Kreta  395 Anselm von Canterbury  435, 437, 438 Antiochos von Askalon  198 Antiochus IV. 250, 263 Antonius Aristides Euander  20 Antonius Eremita  353, 354, 364, 431 Apelles 314 Aphthonia  358, 360 Apophthegmata Patrum  148, 354, 403, 463 Apothecia 358 Apuleius 111 R. Akiva  5, 274, 276 Aratus  138, 146, 147, 291 Archias  195, 196, 198 Ariovist 56 Aristeasbrief  258 Aristobulos 258 Aristophanes Ranae  171, 337 Aristoteles  30, 55, 146, 147, 211, 212, 221, 325, 414, 424, 429, 436, 455 Ethica Nicomachea  170, 461 Aspasios von Aphrodisias  212 Athanasius von Alexandrien  353, 431 Vita Antonii  26, 333, 346, 353, 354 Athanasius Bar Gūmōyē 397

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Vormoderne Personen und Werke

Athenaeus 27 Deipnosophistae  27, 143 Atticus Nepos  193, 212 Atticus 193 Augustinus von Hippo  17, 18, 23, 25, 39– 44, 49, 52, 54, 81, 82, 118, 120, 134, 333, 338–343, 348, 438, 470 Confessiones  21, 23, 25, 333, 342, 343, 430, 470 Contra Cresconium  343 De catechizandis rudibus 340–342 De civitate dei  25, 120, 342 De disciplina christiana  339 De doctrina christiana  43, 334, 339, 340, 348 De musica  339 De ordine  339 De quantitate animae  25 Retractationes  339 Aulus Gellius Noctes atticae  24, 192, 195, 197, 457 Aurelius Victor De viris illustribus  195, 431 Auslegung der Erkenntnis (NHC XI,1)  312 Ausonius 332 Avian 437 Babylonischer Talmud  5, 269, 273–276 Avoda Zara  271, 276 Chagiga  276, 277 Bava Batra  276 Bava Metzia  273, 381, 388 Berakhot  274, 275 Gittin  277, 280 Megilla  270, 273, 277 Menachot  278 Nedarim  275 Pesachim  278, 279 Qidduschin  5, 269, 273, 275, 276, 278, 280, 458 Sanhedrin  275 Schabbat  275, 278 Schevuot 273 Bakchylides 208 Bannus 261 Bardaiṣan 319 Buch der Gesetze der Länder  318 Barnabasbrief  314

Basilius von Caesarea  333–339, 341, 343– 345, 348, 454, 470 De legendis libris gentilium 334–338 Basilius von Seleukia  331 Basilides 317 Ben Sira s. Jesus Sirach Besa  358–360, 364 Vita Sinuthii  357, 366 Bias  148, 149, 338 Boethius 455 Cadmus 146 Caecilia Metella  197 Caecilius Metellus  192, 194, 197 Caelius 193 Gaius Julius Caesar  56 Caesarius von Arles  333 Caracalla 319 Cassiodor Institutiones  331 Variae  332 Marcus Porcius Cato  28, 29, 190–193, 437 Ad filium  29, 190 Cato Licinianus  190 Celsus 283 Chananel ben Chuschiel  275 Chanina 273 Cheilon  146, 147, 149 R. Chijja  273 Chizkijja  271, 272 Choricius von Gaza  332 Chrysanthios  210, 211, 215, 217 Chrysipp 211 Cicero  7, 24, 25, 30, 49, 92, 146, 187, 191– 194, 197, 198, 216, 436, 453 Academica posteriora  198 Academica priora  197 Ad Atticum  192, 193, 196, 197 Ad familiares  198 Ad Quintum  192, 193 Brutus  193, 196, 197 Commentariolum petitionis  192 De finibus bonorum et malorum  206 De legibus  191 De natura deorum 195 De officiis  190 De oratore  24, 191, 194, 258 De republica  187, 188

Vormoderne Personen und Werke

Hortensius  197 Philippica  192 Pro Archia  195, 197 Pro Balbo  192, 195 Pro Fonteio  198 Pro lege Manilia de imperio Cn. Pompeii  198 Pro Milone  192 Pro Murena  192 Pro Plancio  189 Somnium Scipionis 195 Tusculanae disputationes  216 Cleobulos 146 (Ps.-) Clemens von Rom Ad Corinthios epistula  20 Clemens von Alexandrien  27, 321, 336, 338, 347 Paedagogus  321 Stromata  27, 309, 338 Commodian Carmen apologeticum  18 Consentius Carmen  129 Constantin 159 Cornelia  188, 196 Cornelius Sisenna  197 Cornificia 140 Publius Crassus  191, 192 Cyprian von Karthago  18, 308, 323, 325 Ad Quirinum  307 M. Damatius Urbanus  24 Daniel  247, 262 Dareios I. 249 David  229, 262 De magistro ludi neglegenti  456 Decius 320 Demetrios von Alexandrien  319 Demetrios von Herakleia  175, 176, 258 Demosthenes  177, 208, 209 Deogratias 339–341 Didache  312, 313, 314, 322 Didymus der Blinde  362 Diodorus Siculus  168, 172 Diogenes  138, 146, 147, 150, 152 Diogenes Laertios Vitae philosophorum  205, 206, 212, 462 Diokletian 24

491

Dion Chrysostomus (von Prusa) 111, 117, 205, 218, 291 Orationes 208 Dionysius von Alexandria  308 Dionysius von Halikarnassus  5, 34 Antiquitates romanae  5 Dios  132, 133 Dioscorus 355 Domitian 3 Eadmer von Canterbury Vita S. Anselmi  437, 438 Egbert von Lüttich  437 Elazar b. Azaria  275 Eleazar  254, 262 Eliezer 277 Elischa ben Avuja  276 Ennius 146 Ephraem der Syrer In Genesim et in Exodum Commentarii  373 Ephrem von Nisibis  373, 374 Epikrates 176 Epiktet  14, 152, 211, 212, 218 Dissertationes  118, 206, 218, 224 Epikur  27, 138, 146, 148, 205, 206 Epiphanius von Salamis  357, 360 Erasmus von Rotterdam  11, 24, 54 De pueris statim ac liberaliter instituendis  11 Esra  247, 248, 253, 275 Esther 247 Eugenios  209, 216, 217, 221 Eunapios von Sardes  213, 216, 220 Vitae philosophorum et sophistarum 209, 211, 213, 215, 216, 217, 220 Euripides  138, 209, 263, 291, 337 Hecuba  170 Euseb von Caesarea  293 Historia ecclesiastica  313, 314, 319, 320, 321 Praeparatio evangelica  3, 4 Eustochium 333 Euthymius 400 Ezechiel 262 Fabius aus Sagunt  195 Favorinus 111

492

Vormoderne Personen und Werke

Froumund 433 Frontin Strategemata  194 Furius Antias  196 Gaius 212 Gerhard von Cambrai  429 Gracchus  188, 192 Gregor von Nazianz  336, 337 Orationes  337 Gregor von Nyssa  54 348 De instituto Christiano  54 Vita Macrinae  348 Vita Mosis  335 Gregor I. von Rom  432, 434 Guibert von Nogent  429–440, 456 De vita sua sive Monodiarum libri tres  430 Moralium Geneseos libri decem  432 Hadrian  92, 100, 121 Hagar 258 Haggai 247 Hanna 345 Hecataeus 179 Herakleon  309, 317 Heraklit  179, 205, 462 Hermann der Lahme  428 Hermias Commentarius in Platonis Phaedrum  217–219 Herodotus 179 Hesiod  48, 146, 179, 208, 209, 214, 334, 337 Hieronymus  333, 335, 348, 437, 438 De viris illustribus  315, 431 Epistulae  333, 348, 349 Tractatus in Marci euangelium  18 Himerios Orationes  208 R. Hinnena  271 Hiob 255 Hippias 218 Hippolyt  309, 321 Refutatio omnium haeresium  260 Homer  43, 49, 138, 145–147, 168, 171, 172, 208, 209, 213, 214, 258, 261, 263, 294, 331, 334, 336, 337, 356, 357, 452 Ilias 171

Horaz  193, 436, 437 Epistulae  468 Hortensius 197 Hypatia  211, 362 Ibn Hishām ‘Abd al-Malik, al-Sira al-nabawīya li-bni Hishām  370 Ibn Isḥāq 370 Ibn Qutaiba  413–417, 423, 424, 455, 459 Adab al-kātib [Bildungs- und Verhaltenscodex für Sekretäre] 414, 416, 417 Kitāb al-Ma‘ārif [Das Buch der Kenntnisse] 414, 416 ‘Uyūn al-aḫbār [Die Erlesensten unter den Nachrichten] 414–416 Ignatios von Antiochien  322 Irenäus von Lyon  322, 323 Adversus Haereses  323, 377 Isaak  262, 373, 380 Isaak von Niniveh  403 Isaeus 177 Isidor von Sevilla Etymologiae  30, 40 Ismael  380, 385, 389 Isokrates  49, 209 Iugurtha 194 Iulius Africanus  315, 317–321 Chronographiae  318 Kestoi  317, 318 Jakob, Herrenbruder  306 Jakob von Edessa  397 Jakobusbrief  324 Jamblich  208, 210, 212–215, 220 De vita Pythagorica  209, 214–217, 219, 220 Protrepticus  220 R. Jehuda  270, 272, 276 Jerusalemer Talmud  269 Schabbat  275, 278 Jesaja  262, 346 Jesus Christus  32, 283–285, 291–293, 296, 297, 299, 305, 307, 308, 310, 311, 323, 370, 373, 377, 388, 399, 466 Jesus Sirach  253, 254, 255, 258, 458, 462 Jochanan  271, 272, 277, 279 Johannes (Evangelist) 260, 371, 399

Vormoderne Personen und Werke

Johannes II. 401 Johannes Cassian  156, 348, 465 Conlationes  348 De institutis coenobiorum  348 Johannes Chrysostomos  337, 343–349, 430, 454, 465, 467 Catecheses 343 De inani gloria et educandis liberis 344, 345 Homiliae in epistulam ad Ephesios 343– 347 Homiliae in epistulam ad Romanos  344 Homiliae in Genesim  343 Johannes Tzetzes  208 Johannes von Damaskus  369–371, 394– 396, 403–405 Liber de Haeresibus  404 Johannes von Tella  402, 404 Jonatan aus Bet Guvrin  278 Flavius Josephus  3–6, 231, 257, 260, 261, 293, 377 Antiquitates Judaicae  251, 257, 260 Bellum Judaicum  260 Contra Apionem  3, 4, 257, 293 De Iudaeorum vetustate 3 Julia Balbilla  140 Julia Felix  118, 119, 135 Julia Mamaea  320 Julian (Kaiser) 208, 216, 293–295, 334 Contra Galilaeos  283, 293 Epistulae  209, 212, 213, 216 Julian von Tarsos  346 Junius Bassus  129, 130, 159 Justin  290, 292, 315–319, 322, 462 Apologia prima  317, 322 Dialogus cum Tryphone  311, 316 Justinian I. 207 Juvenal 436 Saturae  464 Kain 262 Kalla Rabbati  275 Kallikleas 179 Karneades 194 Kebes 146 Kimbros  120, 130–134 Kosmas  395, 404 Kronios 212

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Kyrill von Alexandrien  14 Contra Julianum  283, 294 Kyrill von Jerusalem  464 Kyrill von Skythopolis Vita Euthymii  400 Kyros II. 229 Libanius 362 Epistulae  134 Licentius 17 Licinius Lucullus  196–198 Livius 146 Livius Drusus  192, 195 Longinos  133, 134, 212, 294 Ps.-Longinos De sublimitate  294 Lucius Verus  316 Lukan 437 Lukas (Evangelist) 39, 55, 205, 291, 295 Lukian von Samosata  152 De mercede conductis  150 Imagines  113, 114 Lutatius Catulus  195, 196, 198 De consulatu et de rebus gestis suis  195 Luther, Martin  39, 54, 77 Lysias  208, 209 Macrobius 295 Saturnalia  295 Makrina 348 Maleachi 247 Mar Aba  396, 397 Marc Aurel  100, 134, 316 Marcus Cornelius Statius  120 Marianos  131, 133, 134 Marinos Vita Procli  208, 209, 211, 216, 221 Marius  195, 196 Marius Victorinus  341 Markianos  133, 134 Markion  310, 323 Markward von Fulda  429 Martianus Capella  455 Maruta 397 Maximus 210 Maximus von Tyros  111 Menander  137, 138, 146, 156, 209 Menandri Sententia  357

494

Vormoderne Personen und Werke

R. Meir  270, 272 Meister Eckhart  9–11, 22, 69, 287, 297, 452, 474 Metellus Calvus  194 Metellus Pius  195 Metrodoros  94, 146 Michael Syrus  401 Mischna  32, 231, 269, 272, 273, 276–278, 280, 310, 462 Avot de-Rabbi Natan  276 Keritot  277 Megilla  270, 273, 277 Miskawaih 411 Mithridates  196, 198 Monika 430 Monimos 133 Mose  3–5, 248, 255, 257, 260, 262, 293, 294, 335, 346, 370, 378, 379, 380, 388 Muhammad  370, 378, 379, 384, 387–389, 414, 415, 418, 420, 423, 424, 467 Muḥyī ad-Dīn Ibn ‘Arabī 414 Musonius Rufus  150 Nachman 274 Naevius Palliatarum fragmenta  193 Natan ha-Bavli  275 Nebukadnezar 229 Nehemia  247, 248, 253 Nemesian 152 Nero 277 Noah 375 Notker der Stammler  428 Numenios 212 Odo von Cluny  434 Oracula Chaldaica  213 Origenes  3, 27, 211, 309, 313, 315, 319–322, 347, 371 Contra Celsum  283 Otloh von S. Emmeram  429–440 De confessione actuum meorum  431 Dialogus de tribus quaestionibus  431 Doctrina spiritualis  431 Libellus de temptationibus  431 Liber de cursu spirituali  431, 439, 440 Liber visionum  430–434, 436, 437, 440

Ovid  113, 140, 436 Ars amatoria  113 Pachomius  355, 358, 360 Vita prima  355 Vita sahidice scripta decima  355, 356 Panaitios 194 Paulinus von Nola Epistulae  17 Paulus von Samosata  323 Paulus von Tarsus  55, 284, 291, 292, 295, 305, 307, 309, 311, 315, 336, 343, 347, 348, 374, 386, 387 Römerbrief  291, 294, 332, 371, 374 1. Korintherbrief  18, 55, 283, 288, 291, 292, 295, 298, 299, 304, 309, 311, 332, 347, 348, 474 2. Korintherbrief  297 Epheserbrief  343–347 Kolosserbrief  314 1. Timotheusbrief  313, 314 2. Timotheusbrief  257, 290, 294, 303 Pausanias  91, 101, 103–105 Peregrinus Proteus  146, 152 Periander  146, 148 Perikles 26 Pesiqta Rabbati  273 Petronius Satyricon  116, 117, 149 Petrus Abaelardus  429 Petrus Canisius  81 Petrus Damiani  438 Petrus Venerabilis  438 Phaedrus  436, 437 Philippus 55 Philo von Alexandrien  231, 251, 257–260, 262, 376, 455 De Abrahamo  374, 375 De congressu quaerendae eruditionis causae  27, 251, 258–260, 262, 470 Legatio ad Gaium  257 Philo von Byzanz Polyorcetica  175 Philostratos 152 Phoibammon 357 Pindar  208, 209 Pirqe Avot  276

Vormoderne Personen und Werke

Pirqe de-Rabbi Eliezer  277 Pittakos 146 Platon  11, 26, 48, 49, 52, 55, 59, 138, 145– 147, 170, 171, 206, 207, 209, 211–213, 215–219, 221, 222, 287, 294, 297, 334, 336, 337, 348, 436, 469 Apologia  213 Charmides  218 Alkibiades primus  212 Gorgias  212, 218 Kratylos  212 Leges  13, 170, 171, 209, 212, 213, 347, 474 Parmenides  212 Phaedrus  170, 212, 215,218, 219, 222, 223, 347, 436, 437 Phaedo  146, 212, 213 Philebos  212 Politikos  212 Protagoras  25, 26, 218 Respublica  171, 178, 207–209, 212, 213, 215, 221, 222, 288, 334, 336–338, 347 Sophistes  212 Symposium  212, 219 Timaeus  209, 212, 213, 293, 347 Ps.-Platon Axiochus  215 Plautus 436 Trinummus 190 Plinius der Ältere  324 Historia naturalis  29, 40 Plinius der Jüngere Epistulae  113, 193 Plotinus  153, 159, 208, 210–212, 216, 220– 224, 457 Enneaden  209, 220, 223, 224 Plutarch  14, 21, 143, 197, 205, 211, 218, 337, 338 Caius Gracchus  188 Cato  28 De audiendis poetis  118, 336, 337 Lucullus  197, 198 Marius  194, 195 Moralia  336, 337 Platonicae quaestiones  218 Ps.-Plutarch 430 De liberis educandis  205, 438, 457

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Polybios 188 Polythros 173 Pompeius Magnus  196 Pompeius Quartinus  20 Pompeius 245 Pontius Vita Cypriani  18 Popilia 196 Porphyrius  18, 206, 208, 211–213, 215–217, 224, 319, 455 Ad Marcellam  209, 219 Contra Christianos  18 De abstinentia  209, 215, 216 De antro nympharum  213 De philosophia ex oraculis haurienda  213 De simulacris  213 Historia philosophica  206, 208, 216 Vita Plotini  208, 211, 212, 216 Vita Pythagorae 215 Possidius Vita Augustini  17 Portonaccio 126 Priskos 133 Prodikos 218 Proklos  208, 210–213, 216, 221 Elementatio theologica  213 T heologia Platonica  213 Prokop von Gaza  332 Protagoras  25, 26, 218 Prudentius Peristephanon  463–465 Ptolemaios II. 250 Pullius Peregrinus  158 Pythagoras  179, 214, 215, 217, 219, 220, 221 Qohelet Rabba  278 Quintilian  5, 24, 33 Institutio oratoria  5, 20, 24, 120, 156, 205, 208 Quintus 191 Rabban Bar ‘Edta  397 Rabban Gamliel  275 Raschi 272 Rather von Verona  429

496

Vormoderne Personen und Werke

Rav 271 Regula Benedicti  438 Rhodon  314, 315 Richard von St. Viktor  437 Romulus 5 Roscius 196 Rufus of Shotep  111, 358 Rufius Probianus  127 Sacharja 247 Sallust 196 De bello Iugurthino  194, 196, 198 Sallustios De dis et mundo  213 Salomo  229, 255, 262, 293, 382 Samuel 345 Sarah, Sarah, Sara  258, 259, 373 Sarǧūn 385 Saturninus 195 Sapientia Salomonis  293 Sappho  138, 146, 208, 209 Schenute  355–364, 464 Canones  356, 359–361 R. Scheschet  274 Schimon ben Azzai  274 Schimon ben Zoma  274 Schmuel 271 Scipio  187, 193, 194 Scribonius Curio  193 Seder Elijahu Rabba  277 Seleukos IV. Philopator  262 Sempronius Nikokrates  158 Seneca  11, 24, 27, 32, 118, 324, 437 De beneficiis  192 De ira  11 Epistulae ad Lucilium  27, 32, 205, 206 Sertorius 195 Servius Sulpicius Rufus  111 Severus Alexander  318, 320 Severus 212 Sextus 307 Sidonius Apollinaris  129, 332 Epistulae  156, 332 Simmias 146 Simonides 208 Simplikios 212 Sokrates  25, 26, 92, 109, 146, 147, 150, 151, 206, 207, 209, 211, 215–219, 222, 336

Solon  146, 148, 149, 337 Sophocles  146, 147 Sosipatra  209, 210, 211 Statius  113, 120 Silvae  113 Stephan von Mar Saba  395 Stesichoros  146, 208 Stilicho 56 Strabon Geographica  29 Sueton Divus Augustus  191 Suger von St. Denis  429 Sulla  197, 198 Synesios von Kyrene  295, 332 Syrian 211 Syrische Didaskalia  324 Taanit  275 Tanchuma  374 Tatian  289, 315, 322 Oratio ad Graecos  315 Terenz  146, 156, 436 Tertullian  7, 11, 14, 16, 18, 19, 24, 289, 317, 318, 321, 332, 333, 354, 466 Adversus Valentinianos  316 Apologeticum  11, 349 De idololatria  16, 18 De pallio  159 De praescriptione haereticorum  332 Testamentum Levi  257 T hales  146, 148, 149 T hekla  311 T hemistios  208, 216, 211 Orationes 209, 212, 217, 221 T heodas  315 T heoderich  56 T heodoret von Kyros Historia religiosa  20 T heon von Smyrna  211 T heophilos von Antiochia  315 T homas von Aquin  41, 81 T hrasyllos  212 T hukydides  146, 174, 208, 209 Tosefta  269, 270, 273, 274, 276–278 Megilla  270, 273, 277 Trimalchio  116, 117, 149 Tryphon  5, 311, 316

Vormoderne Personen und Werke

Ulrich von Cluny  428 Ulrich von Hirsau  438 ‘Uthman 369 Valentinus 315–317 Valerius Herma  116 Valerius Maximus  195 Velleius Paterculus Historia Romana  196 Vergil  43, 141, 146, 147, 436 Vita Caesarii Arelatensis  333 Vita des Mar Aba  396 Vita Odonis auctore Johanne  434 Vitas Patrum  431 Vitruv De architectura  24, 29, 205

Wahb ibn Munabbih  401 Wilhelm von Hirsau  428, 434, 440 De astronomia  434 De musica  434 Wilhelm von St. T hierry  438 Xenarchis  331, 332 Xenophanes 179 Xenophon 146 Cyropaedia  177, 347 Respublica Lacedaemoniorum  172 Xerxes 196 Zabūr Dawūd 401 Zadok 237 Zeno  138, 211

497

498

499

Antike und mittelalterliche Orte Agrigent 120 Alexandria  27, 207, 218, 249, 258, 289, 308–310, 315, 319–321, 325, 336, 338, 347, 353–355, 396, 470 al-Ḥīra 400 al-Safa 385 Antiochia  130, 195, 196, 198, 315, 320, 322, 323, 395–397 Apameia  207, 210 Aphrodisias 212 Arles  159, 333 Arpinum 196 Askalon  198, 395 Athen  3, 5, 26–28, 55, 92, 94, 101, 104, 167, 168, 171–173, 175, 177, 178, 190, 194, 200, 207, 210, 293, 299, 315, 332, 396 Augustodunum 148 Babylon  5, 229, 246, 269, 273, 275, 411 Bagdad  36, 329, 370, 413, 417, 419, 422 Bec  435, 437 Beer Sheba  398 Beroia 178 Bet Alpha  383 Bet Guvrin  278 Boscoreale  116, 138 Byzanz  395, 405 Caesarea  3, 4, 211, 313, 314, 319–321, 333, 334, 354, 370 Cambrai 429 Canterbury 437 Cyrene 172 Delphi  14, 15, 21, 31, 32 Edessa  318, 319, 396, 397 Elephantine 249 Ephesus  117, 207, 210, 292

Florenz 159 Fulda 429 Gaza  332, 395 Halikarnassus 5 Haran 375 Herakleia 176 Herculaneum 140 Hippo  39, 44 Hirsau  428, 434, 438 Ikonion 335 Imola 465 Javne  274, 275 Jerash 147 Jerusalem  3, 14, 233, 248, 251, 253, 254, 277, 332, 370, 379, 382–386, 389, 458, 464 Karthago  18, 187, 308, 323, 456 Köln  143, 147 Konstantinopel 196 Korinth  311, 313, 396 Kufa 413 Kyrene  295, 332 Kyros 20 Laon 430 Lille 437 Lud (Lydda) 5 Lüttich 437 Lyon  44, 50, 322, 323, 377, 458 Madinat al-Zahra  157 Madrid 105 Mamre 373 Mar Saba  370, 395, 403, 404

500

Antike und mittelalterliche Orte

Marseille  41, 43, 175 Marwa 385 Maschhad 419 Medina  371, 380–382, 386–388, 467 Mekka  371, 372, 375, 377–389, 467 Murecine  136, 140 Mycalessus 174 Mytilene 146

Rhodos  194, 195, 200 Rom  3, 5, 41–44, 51, 53, 91, 98, 100, 109, 111, 113, 114, 116, 117, 120–128, 130, 134, 135, 140, 142, 143, 145–147, 149–158, 178, 181, 185, 188, 191, 194–196, 198, 200, 207, 210, 211, 315, 316, 319–321, 341, 459, 467, 468

Osrhoene 318 Ostia  111, 117, 142, 145, 148, 149

Sabratha 115 Sagunt 195 Samaria 247 Samos 175 Samosata 323 Sardes  107, 210 Seleukeia 331 Sevilla  30, 40 Sichem 318 Sparta  49, 50, 147, 168, 170, 172 St. Denis  429 St. Viktor  437

Panopolis 354 Paris  41, 43–45, 116, 121, 122, 128, 135, 141, 151, 175, 440 Pergamon  104, 207, 210, 217 Petra 398 Pompeij  92, 110, 111, 118–121, 133–141, 198 Prusa  111, 205, 218, 291

Tarsus 346 Tella  396, 402 Teos 173 Tralleis 195 Trier  146, 147 Troia  103, 104 Tunis  141, 147 Tus 419

Qumran  229–235, 237–240, 462, 469

Vercelli 195 Verona 429

Nag Hammadi  312, 361 Neapel  43, 53, 91, 100, 112, 139, 145 Nessana  398, 399 Niniveh 403 Nischapur 417 Nisibis  373, 395, 396 Nogent  429, 430, 432–440, 456 Nola 17

Regensburg 430

501

Moderne Autorinnen und Autoren Adams, A. Sean  291 Adams, Samuel L.  253 Adler, William  318, 319 Adorno, T heodor W.  70 Aerts, Willem J.  433 al-Bāšā, Qusṭanṭīn 394 Affifi, Abul Ela  414 Albrecht, Andrea  461 Alexander, Loveday  253 Alexander, Philip S.  232, 237, 246 Amedick, Rita  120, 121, 124, 126, 127, 129 Ameling, Walter  245 Andrei, Osvalda  318 Andresen, Carl  283 Angel, Joseph L.  236, 237 Arbache, Samir  402 Arnold, Klaus  428, 435, 437, 438 Asad, Talal  7 Astin, Alan Edgar  194 Auffarth, Christoph  10, 23, 39, 48, 51, 53, 54, 109, 168, 288, 353, 451, 453 Aurelius, Erik  386 Auzépy, Marie-France  395 Backes, Julian R.  291 Badian, Ernst  197 Bächthold-Stäubli, Hanns  432 Bagnall, Roger  356, 359, 361 Balensiefen, Lilian  138 Barclay, John M.G.  293 Barton, Carlin A.  4, 5, 7 Bauer, Daniel Tobias  69 Bauer, T homas  374 Baumert, Jürgen  70, 71 Beard, Mary  119, 120, 149 Becchi, Egle  129 Beck, Hans  186 Becker, Adam H.  395, 396 Becker, Eve-Marie  254

Becker, Matthias  18, 205–208, 210, 211, 213, 216, 217, 222, 291, 430, 455, 458, 462, 469 Behlmer, Heike  356, 358 Behzadi, Lale  32 Ben-Dov, Jonathan  232 Benner, Dietrich  9, 14, 15, 28, 73 Berczelly, Laszlo  111, 121, 127 Berdjaew, Nikolai  42 Bergemann, Johannes  91, 92, 97, 109, 465, 475 Bergmeier, Roland  231 Berkes, Lajos  399 Bernhardt, Johann Christian  246, 251, 260 Berschin, Walter  427, 428, 433 Berve, Helmut  50 Berzon, Todd  354 Beßlich, Barbara  48 Bestebreurtje, Frank  286 Betz, Hans Dieter  294 Beumann, Charlotte  40 Beyer, Immo  103 Biehl, Peter  77 Bielstein, Johannes  222, 223 Billerbeck, Margarethe  152 Birt, T heodor  138, 156, 157 Blanchard, Alain  148 Blankertz, Herwig  69 Blomenkamp, Paul  21 Bloomer, W. Martin  6, 169, 172 Bohak, Gideon  232 Bollandus, Joannes  403 Bonafoux-Verrax, Corinne  41 Bonner, Stanley F.  118–120, 212, 133, 142, 185, 188 Booth, Alan  118, 120, 121, 134 Bordt, Michael  213 Borg, Barbara  150 Borgolte, Michael  428

502

Moderne Autorinnen und Autoren

Bormann, Diana  118 Borst, Arno  40, 428 Borst, Eva  9, 20, 30, 68 Boschung, Dietrich  94 Bourdieu, Pierre  175, 234, 306, 454 Boyarin, Daniel  4, 5, 7, 371 Boyte, Harry  174 Bradley, Keith R.  185 Brakke, David  353, 355 Bremmer, Jan N.  42 Brennecke, Hanns Christof  325 Brock, Sebastian  401, 403 Brockelmann, Carl  417 Brooks, Ernest Walter  396, 402 Brown, Peter  150 Browne, Eleanor  193 Browning, Robert  395 Brunhölzl, Franz  430, 431 Bucking, Scott  357 Buckley, Ann  118 Buecheler, Franz  114 Bulst, Neithart  430 Bultmann, Rudolf  58 Bürgel, Johann Christoph  412 Burke, Peter  172, 175, 177, 179 Burkert, Walter  14, 168, 175 Burnet, John  179 Calder, William M.  48, 50, 51, 55 Calza, Guido  148 Cameron, Alan  295 Cameron, Averil  333, 395 Camplani, Alberto  319 Cancik, Hubert  57, 286 Cancik-Lindemaier, Hildegard  286 Caner, Daniel  318 Caputo, Giacomo  115 Caragounis, Chrys C.  294 Carcopino, Jerôme  46, 48 Cavallo, Guido  138, 156 Chabot, Jean-Baptiste  401 Chalcraft, David  231 Chang, Samantha  118 Chaniotis, Angelos  177 Chankowski, Andrzej S. 173 Chantraine, Heinrich  171 Chaurand, Jacques  430 Choreme-Spetsiere, Alkestis  103 Christ, Karl  50

Christes, Johannes  7, 21, 28, 91, 140, 147, 284 Ciccolella, Federica  395 Clarke, John R.  148, 149 Clarke, Martin L.  147, 194 Clay, Diskin  138, 146 Coarelli, Filippo  105 Cohen, Barak S.  274 Coler, Johann  190 Collins, John J.  230 Collins, Matthew  232 Comenius, Jan Amos  77, 82 Cook, John Granger  283, 294 Courcelle, Pierre  430 Couzin, Robert  159 Crawford, Sidnie White  230 Cribiore, Raffaella  116, 118, 120, 121, 134, 140–142, 174, 354–359, 362, 395 Crislip, Andrew  355 Cristea, Hans-Joachim  355 Cromwell, Jennifer  357 Cross, Frank More  230 Crotty, Kevin  179 Crum, Walter E.  355 Cumont, Franz  48 Curtius, Ernst Robert  70, 127, 436 Dahrendorf, Ralf  69 Dana, Madalina  175, 176, 177 Dandrow, Edward  169 Danguillier, Claudia  109, 145, 150 De Vos, Marietta  116 Debié, Muriel  397 Deckers, Johannes  158, 159 Deines, Roland  16, 245, 247, 248, 260, 290, 293, 455, 458, 459, 462, 466, 470 Deissmann, Marie-Luise  188 Del Mastro, Gianluca  100 Delattre, Daniel  100 Delivorrias, Angelos  104 Delkurt, Holger  15 Demargne, Pierre  104 Demon, Paul  48 Demont, Paul  47, 52, 168 DeSilva, David A.  263, 264 Diederich, Silke  147 Dieterich, Veit-Jakobus  82 Digeser, Elisabeth DePalma  310 Dihle, Albrecht  23, 27, 29

Moderne Autorinnen und Autoren

Dilley, Paul  355, 358 Dillon, John  171, 210, 220 Dimas, Stephanie  121, 126 Dix, T. Keith  198 Dixon, Suzanne  185 Döbler, Marvin  8, 22, 48, 349 Dohmen, Günther  68 Dolch, Josef  79 Döring, Klaus  147, 150, 215, 216 Dorival, Gilles  320 Dörrie, Heinrich  22 D’Ottone, Arianna  401 Dougherty, Carol  289 Douglas, Mary  232, 233–235, 237–239 Downey, Glanville  395 Draper, Jonathan A.  305 Dressler, Bernhard  9, 10, 20, 473–475, 477, 478 Drexler, Hans  47, 51, 53, 55–57 Dreyer, Boris  287 Duby, Georges  428, 435 Ducat, Jean  172 Dunbabin, Katherine  110, 115, 116, 138, 142, 145, 146 Dunderberg, Ismo  458 Dzielska, Maria  207 Eco, Umberto  169 Ego, Beate  9, 247, 292 Ehling, Kay  43 Ehrenkrook, Jason von  299 Ehrensperger, Kathy  299 Eidinow, Esther  13 Eisele, Wilfried  291, 294 Elm, Susanna  361 Elschazlī, ‘Abd-Elṣamad ‘Abd Elḥamīd 420–422 Elsner, Jas  109 Emmelius, Johann-Christoph  285, 286 Egelhaaf-Gaiser, Ulrike  459 Engels, David  251 Engemann, Josef  129, 158, 159 Erler, Michael  212, 217 Eshleman, Kendra  310 Evans, Sara  174 Ewald, Björn Christian  92, 100, 101, 109, 111, 113, 114, 116–118, 121, 123, 126, 127, 129, 138, 140–142, 150, 152–154, 156, 158, 159, 465, 466, 475

503

Eyben, Emiel  185, 188, 191 Fabricius, Johanna  138, 140 Faedo, Lucia  116, 135 Fatke, Reinhard  75 Faure, Edgar  72 Fehr, Burkhard  104, 105 Fend, Helmut  75 Fickermann, Detlef  75 Finley, Moses I.  167 Fishbane, Michael  247 Flaig, Egon  194 Flashar, Hellmuth  51, 55 Flashar, Martin  94 Fleischhammer, Manfred  414–416 Flower, Michael A.  171 Follak, Andrea  51, 52 Fonrobert, Charlotte E. 311 Foucault, Michel  118, 150, 158 Fowden, Garth  206, 207 Fowler, Ryan C.  295 Fox, Robin Lane  118, 120, 130, 134 Fraade, Steven  234, 272 Fraenkel, Eduard  179, 180 Frasca, Rosella I.  188 Frazer, James George  45 Fried, Johannes  461 Friedlaender, Ludwig  115, 116, 121, 140 Fröhling, Christian  10 Fuchs, Harald  21, 75, 76, 205, 208 Fündling, Jörg  134 Fürst, Alfons  289, 307, 309, 319 Gaedtke-Eckardt, Dagmar-Beatrice  91 Gagarin, Michael  167 Gaiser, Konrad  145 Gane, Jennifer Helen  334 Gardner, Gregg E.  280 Gemeinhardt, Peter  3, 6, 8–10, 14, 16–18, 20, 23, 24, 26, 28, 31, 78, 80, 109, 118, 121, 129, 134, 158, 258, 288, 290, 293, 313, 332, 339, 341, 354, 427, 447, 448, 450, 451, 456, 457, 459, 462, 465, 476 George, Michele  185 Georges, Tobias  11, 292, 450 Gerstenberger, Erhard S. 247 Gerth, Matthias  156 Gigon, Olof  287 Glauche, Günter  436

504

Moderne Autorinnen und Autoren

Glessmer, Uwe  232 Goehring, James E.  355 Goethe, Johann Wolfgang von  55, 91 Goff, Matthew  230, 238, 239 Goodblatt, David M.  246 Goulet, Richard  209, 211 Grabbe, Lester L.  229 Grabmann, Martin  41 Graf, Fritz  308 Graf, Georg  404, 405 Graves, Michael  270 Grieb, Volker  100 Griffith, Mark  168, 174 Griffith, Sidney H.  393–395, 397, 401, 402 Griffith, Tom  170 Gruber, Joachim  427 Grundmann, Matthias  185 Gryson, Roger  313 Günther, Sebastian  9, 411, 414, 420, 424, 455, 459, 460, 472, 473 Guerra, Tupa  237 Gunkel, Hermann  286 Gutas, Dimitri  415 Gzella, Holger  245 Haake, Matthias  175, 176 Habicht, Christian  92, 105 Hadas-Lebel, Mireille  278 Hadot, Ilsetraud  25, 207, 208, 210, 211 Hadot, Pierre  296 Hahn, Johannes  110, 111, 146, 150, 152 Hall, Jonathan M.  167 Hall, Robert William  171 Hallenstein, Suse  430 Halphen, Louis  432 Hankins, Davis  239 Hansen, Inge Lyse  150 Harder, Richard  59 Hardwick, Michael  293 Harmless, William  339, 341 Harnack, Adolf von  18, 47, 54, 286, 299, 325 Harris, William V.  121, 172, 173 Hartmann, Udo  211, 213 Hartung, Michael J.  67, 68 Hartwig, Dirk  381 Hatlie, Peter  405 Heidegger, Martin  170

Heinrici, Carl Friedrich Georg  294 Heiss, Gernot  189 Helleman, Wendy E.  337 Hellgardt, Ernst  433 Hemelrijk, Emily Ann  111, 140, 188 Hempel, Charlotte  229–232, 235–238, 462 Hengel, Martin  245–247, 249–253, 255, 466 Herbart, Johann Friedrich  14, 72, 456 Herder, Johann Gottfried  69 Herrmann, Ulrich  69 Heuss, Alfred  191 Heydorn, Heinz Joachim  70 Hezser, Catherine  24, 279 Hidary, Richard  298 Hieke, T homas  377 Himmelmann, Nikolaus  152 Hirscher, Johann Baptist  81 Hirshman, Marc  28, 273, 278 Hodgson, Marshall G. S. 412 Hodske, Jürgen  140 Hoff, Ralf von den  94, 145 Hofmeister, Adolf  438 Hölscher, Tonio  150 Horn, Christoph  296 Horovitz, Josef  414–416 Howes, David  118 Hoyland, Robert  398 Hübinger, Gangolf  307 Humboldt, Wilhelm von  67–69, 71, 73, 80 Hunger, Herbert  404 Ḥuseinī, Isḥaq Mūsā 413 Huskinson, Janet  121 Immerwahr, Henry R.  178 Isler-Kerényi, Cornelia  104 Jacob, Christian  174 Jadzewska, Katarzyna  116 Jaeger, Werner  39, 41, 47–59, 109, 168, 288, 296, 335, 337, 338, 453 Jenkins, Ian  103 Jenott, Lance  361 Johnson, Aaron P.  206 Johnson, Scott Fitzgerald  331 Joho, Tobias  49 Jokiranta, Jutta  231 Joosten, Jan  250

Moderne Autorinnen und Autoren

Judge, Edwin A.  292, 313 Julia, Dominique  47 Kabiersch, Jürgen  216 Kahane, Henry  398 Kalmin, Richard  275 Kalogeras, Nikolaos M.  395 Kampen, John  230 Kanael, Baruch  383 Kanarfogel, Ephraim  271 Kant, Immanuel  69 Kany, Roland  313, 321, 322 Kaster, Robert  172 Kaufmann, T homas  447 Keaveney, Arthur  196, 197 Kennel, Nigel M.  173, 174 Kermani, Navid  424 Kertzer, David  46 Keyser, Paul T.  58 Khoury, Raif Georges  401, 404 Kieweler, Hans Volker  250 Kintzinger, Martin  30, 461 Kinzig, Wolfram  450 Kipf, Stefan  51 Kippenberg, Hans G.  307 Kirbihler, François  41 Kister, Menahem  238 Klafki, Wolfgang  30 Kleijwegt, Marc  185 Klieme, Eckhard  70 Klingenstein, Grete  193 Klopstock, Friedrich Gottlieb  58 Klostergaard Petersen, Anders  293 Knauf, Ernst Axel  394, 400 Knell, Heiner  92 Kobusch, T heo  11, 14 Koerrenz, Ralf  70 König, Jason  168, 169 Konradt, Matthias  291 Kontouma, Vassa  395 Köppe, Tilmann  461 Korenjak, Martin  111, 115, 127, 146 Korfmacher, Wilhelm Karl  437 Koselleck, Reinhart  10, 67, 69 Kosmala, Hans  236 Kotsifou, Chrysi  361 Kranz, Peter  92 Krasser, Helmut  9, 465

505

Kratz, Reinhard G.  230, 247–249, 251, 255, 375, 459 Kraul, Margret  74 Krause, Jens-Uwe  185 Kreuzer, Bettina  104 Krieck, Ernst  50, 51, 52 Kristeller, Paul Oskar  436 Kron, Friedrich  71 Kron, Uta  104 Krüger, Heinz-Hermann  75 Krumeich, Christa  92, 118 Krumeich, Ralf  92, 118 Kruse-Berdolt, Veronika  94 Küchler, Max  251 Kühnert, Friedmar  29, 205, 206, 208 Kugler, Robert A.  237 Kuhlmann, Peter  62 Kuhn, Karl Heinz  358 Künzer, Isabelle  324 Kurke, Leslie  289 Kyle, Donald G.  174 Labande, Edmond-René  430, 432–436, 438 Lachmann, Rainer  10 Laes, Christian  134, 142 Lamberton, Robert  211, 213 Lamoreaux, John C.  396, 403 Lancha, Janine  144, 145 Landfester, Manfred  50, 51 Landolt-Wegener, Elisabeth  438 Lanfrey, André  46 Lang, Jörn  92, 107, 110, 116, 150 Lange, Armin  230 Langer, Gerhard  19, 24, 28, 30, 269, 272, 458, 460, 462, 466 Lapatin, Kenneth  105 Lapin, Hayim  233 Larsen, Lillian I. 28, 333, 353, 357, 464 Latham, John D.  393 Laube, Martin  77 Lausberg, Heinrich  205 Layton, Bentley  359–362 Leclercq, Jean  439 Leege, Oliver  57 Legasse, Simon  438 Lehberger, Carolin  74 Lemerle, Paul  49

506

Moderne Autorinnen und Autoren

Lenhart, Volker  411 Lennert, Rudolf  21 Leone, Silvio  92 Leppin, Hartmut  43, 59, 109, 289, 305, 306, 308, 311, 313, 316, 324, 454, 458, 460, 462, 473, 475, 476 Levinson, Bernard M.  247 Lichtenstein, Ernst  9, 12, 14, 68, 287 Lind, Levi Robert  189 Lindner, Heike  79 Ling, Roger  138 Linguiti, Alessandro  210 Livingstone, Elizabeth A.  175 Lloyd, Geoffrey E.R.  172, 179 Lohfink, Gerhard  289 Loisy, Alfred  47 Lona, Horacio E.  283 Lopez, Ariel G.  363 López Monteagudo, Guadalupe  148 Lorenz, Katharina  140 Lorgeoux, Olga  14 Losemann, Volker  50, 51 Lubac, Henri de  435 Lubomierski, Nina  358 Luchner, Katharina  218 Lüth, Christoph  7 Luhmann, Niklas  13, 186 Lundhaug, Hugo  361 Lurje, Michael  214 Maaz, Wolfgang  437 MacDonald, Dennis R.  291 MacDonald, Nathan  237 Männlein-Robert, Irmgard  207, 209, 213 Magnes, Jodi  230 Maier, Johann  229, 230 Malingrey, Anne-Marie  346 Malkin, Irad  175 Manetti, Giovanni  171 Maravela, Anastasia  357 Marböck, Johannes  258 Markschies, Christoph  47, 54, 58, 286, 290, 292, 307, 317, 321, 325 Marquardt, Joachim  118, 119, 134 Marrou, Henri-Irénée  22, 23, 39–50, 52– 54, 58, 59, 109, 114, 116, 118–121, 123, 126, 129, 134, 150, 158, 167, 168, 173, 252, 296, 353, 364, 451, 453

Mars, Gerald  232–235, 237–239 Martin, Jochen  185, 186, 188, 190 Marx-Wolf, Heidi  310 Mason, Steve  231 Massar, Natacha  175, 177 Mathews, Martin Reginald  129 Maurer, Wilhelm  73 Mavroudi, Maria  395 McAuliffe, Jane Dammen  424 Meier, Mischa  206 Meier, T heodor  50 Melsbach, Detlef  9 Mendelssohn, Moses  69 Mensching, Eckart  59 Menze, Clemens  73, 396 Metso, Sarianna  230 Metzger, Marcel  83, 321 Meuter, Renata F. I.  394 Meyer, Elizabeth  111, 121, 135, 138, 140, 141 Meyer, Kirsten  287 Meyer, Marion  104 Mielsch, Harald  92, 100 Milik, Józef T.  230, 238 Millar, Fergus  249 Misch, Georg  427, 430–436, 439, 440 Mitterauer, Michael  188, 191 Mizzi, Dennis  230 Morgan, Teresa  205, 252, 449 Morris, Colin  429 Müller, Frank G. J. M.  138 Müller, Hildegund  40, 339 Müller, Ulrich  431 Münzer, Friedrich  194, 195, 197 Musgrove, Frank  289 Muth, Susanne  125 Mutschler, Fritz-Heiner  57 Myers-Scotton, Carol  394, 398 Näf, Beat  48, 50–52 Naerebout, Frederick G.  289 Nagel, Tilman  384 Nappo, Ciro Salvatore  136 Nau, François  397, 400 Naumann-Steckner, Friederike  105 Neschke-Hentschke, Ada  212 Nesselrath, Heinz-Günther  14, 315, 459 Nestle, Wilhelm  283 Neudecker, Richard  100, 109, 148, 149

Moderne Autorinnen und Autoren

Neuschäfer, Bernhard  309, 320 Neuwirth, Angelika  206, 369, 371, 372, 374–376, 378, 379, 381, 382, 384, 467 Newman, Judith  236, 237 Newsom, Carol A.  236 Neymeyr, Ulrich  313, 314 Nick, Gabriele  105 Niehoff, Maren  258, 311 Nietzsche, Friedrich  57, 285 Nipkow, Karl Ernst  21, 76, 77, 81 Nipperdey, T homas  69 Noack, Christian  292 Noam, Vered  230 Nöldeke, T heodor  372 Norden, Eduard  294 Obermayer, Hans Peter  48, 51 Oelkers, Jürgen  75 Önnerfors, Alf  193 Oexle, Otto Gerhard  58, 59 Ohst, Martin  69 Ollier, François  50 Opelt, Ilona  336 Orlandi, Tito  358, 360 Osada, Toshihiro  104 Otto, Walter F.  57 Overbeck, Franz  285, 286, 290, 294, 298 O’Meara, Dominic J.  206, 212 Palagia, Olga  103 Papaconstantinou, Arietta  398 Pappalardo, Umberto  136, 138 Paradiso, Annalisa  50 Parlasca, Klaus  143, 146, 147 Patterson, Cynthia  170 Patzold, Steffen  459 Paulston, Christina  398 Pedraz, San Nicolás  141, 145, 147, 148 Peek, Werner  113 Pellat, Charles  406 Pernot, Laurent  295 Perrin, Michel-Yves  43, 47 Perrin-Saminadayar, Éric  177 Peter, Niklaus  285 Pevarello, Daniele  307 Pfann, Stephen  232, 238 Pfeiffer, Rudolf  47 Picht, Georg  70, 287, 288 Piepenbrink, Karen  332, 343

507

Pietruschka, Ute  393, 403, 463, 465, 467, 472 Pietzner, Katrin  110, 150, 152, 158, 210, 211, 294, 313, 319 Pina Polo, Francisco  187 Platzbecker, Paul  81 Pöschl, Viktor  57 Pohle, Richard  50, 51, 52 Polinskaya, Irene  167 Pollmann, Karla  43, 339 Popović, Mladen  232, 233, 238 Popper, Karl Raimund  52 Porsche-Ludwig, Markus  70 Possekel, Ute  319 Pouchelle, Patrick  257 Powell, Walter  233, 462 Pratsch, T homas  395 Prenzel, Manfred  75 Prestel, Peter  250 Preul, Reiner  77 Preuße, Ute  50 Prost, Antoine  44, 46 Prostmeier, Ferdinand R.  305, 315 Puech, Émile  238 Qimron, Elisha  238 Quiroga Puertas, Alberto J.  295 Rabbow, Paul  296 Radke-Uhlmann, Gyburg  212 Raeck, Wulf  111 Rajak, Tessa  293 Ramelli, Ilaria  319 Rathenau, Walter  41 Rawson, Beryl  185 Rawson, Elizabeth  197 Reed, Annette Yoshiko  237 Regev, Eyal  231 Reinhardt, Karl  47 Reinsberg, Carola  125, 126, 150, 158 Reis, Burkhardt  211, 212 Reiser, Marius  294 Rendtorff, Trutz  77 Rescher, Oskar  418, 419 Rexroth, Frank  27, 429, 434, 452 Reynolds, Gabriel  373, 379 Richter, Gisela  109, 138, 145 Richter, Tonio Sebastian  398 Riché, Pierre  41–44, 49, 435, 438

508

Moderne Autorinnen und Autoren

Riedweg, Christoph  219, 283, 294 Riesebrodt, Martin  8 Robinsohn, Saul B. 71 Röckelein, Hedwig  427, 430, 433, 434, 437, 438, 455–457 Rösler, Wolfgang  51 Rössler, Dietrich  77 Roloff, Dietrich  209 Rommel, Christoph von  193 Roszak, T heodore  288 Roth, Heinrich  74 Rousselle, Aline  141 Rubenson, Samuel  28, 333, 353, 403 Rubenstein, Jeffrey L.  275 Rubin, Milka  394 Rünzler, Dieter  191 Rüpke, Jörg  8, 16, 306 Saffrey, Henri-Dominique  209, 210, 211 Salvo, Irene  28, 167, 174, 453, 454, 458, 463, 475 Samely, Alexander  298 Sauer, Georg  257 Schaarschmidt, Ilse  68 Schadewaldt, Wolfgang  51 Schaerer, René  171 Schauwecker, Helga  430–432, 436, 437 Scheer, Tanja  14, 167, 459 Scheibler, Ingeborg  92 Schiffman, Lawrence H.  230 Schlag, T homas  297 Schleiermacher, Friedrich  13, 69, 77 Schluchter, Wolfgang  305, 412 Schmalzriedt, Egidius  57 Schmeller, T homas  292 Schmidt, Bernhard  73, 74, 76 Schmidt, Ernst A.  47, 50, 59 Schmitz, T homas  20, 310 Schmolinsky, Sabine  427 Schneider, Lambert  104 Schnelle, Udo  284, 285, 291, 292, 308, 325, 331, 477 Schniedewind, William M.  245 Schoeler, Gregor  393, 401, 403, 405 Schofield, Alison  230 Schofield, Malcolm  170 Scholem, Gershom  381, 388 Scholl, Andreas  94, 105

Scholz, Peter  109, 167, 168, 173, 175, 176, 185, 186, 193–196, 453, 456, 459, 465, 467, 468 Schramm, Michael  208, 212, 213, 216, 221 Schreiner, Klaus  437 Schreiner, Peter  79 Schröder, Bernd  9, 12, 20, 22, 67, 68, 76, 78, 80, 81, 84, 255, 412, 449, 451, 452, 456, 471, 472, 474 Schroeder, Caroline T.  353, 358, 359, 362– 364, 460, 464 Schubert, Kurt  230 Schucan, Luzi  334 Schütz, Günter  196, 198 Schütz, Roman  233 Schulte, Christoph  57 Schulze, Harald  121, 133, 178 Schulze, Ursula  427 Schwab, Andreas  336 Schwab, Dieter  188 Schwanitz, Dietrich  29 Schweitzer, Friedrich  9, 12, 68, 76, 77, 79, 81 Schwenk, Peter  433 Schwinden, Lothar  119 Segal, Michael  247 Segonds, Alain-Philippe  209, 210, 211 Seilars, John  296 Selinger, Reinhard  120 Sexl, Martin  289 Shapiro, Alan  92 Shapiro, Helen A.  188 Shemesh, Aharon  230 Sheridan, Mark  358 Sider, David  100 Siegert, Folker  3–5, 247, 250, 261 Singor, Henk W.  289 Skiera, Ehrenhard  70 Smith, Claire S.  292, 313 Smith, Mark  118 Smith, Roland Ralph Redfern  109, 138, 145 Snell, Bruno  47, 49 Snellman, Kaisa  233, 462 Söding, T homas  284, 285, 291, 294, 298, 308, 477 Sommerstein, Alan  179 Sorabji, Richard  474

Moderne Autorinnen und Autoren

Spaeth, Barbette Stanley  104 Spengler, Oswald  42 Speyer, Heinrich  375, 377 Spieckermann, Hermann  297, 372 Spranger, Eduard  70 Staab, Gregor  214, 220 Staats, Reinhart  10, 54, 68 Stein, Ernest  42 Stein-Hölkeskamp, Elke  324 Stemberger, Günter  4, 28, 32, 231, 269, 275 Stenger, Jan R. 208, 209, 216, 217, 290, 331, 333, 335, 338, 344, 430, 454, 455, 457, 470, 471 Sterling, Gregory E.  293 Sterling, Gregory L.  250, 258 Steudel, Annette  235 Stiewe, Barbara  50, 58 Stökl Ben Ezra, Daniel  229, 231 Stone, Michael E.  231, 232, 235 Strasburger, Hermann  187 Strauss, Barry S.  188 Strocka, Volker Michael  105 Stroumsa, Guy G.  372, 378 Stroumsa, Rahel  399 Studer, Basil  339 Studer-Karlen, Manuela  150 Stückelberger, Alfred  206 Swain, Simon  295 Szabat, Elzbieta  179, 395 Taeger, Fritz  51 Talabardon, Susanne  19 Tanaseanu-Döbler, Ilinca  8, 20, 22, 48, 211, 213, 349, 473 Tarrant, Harold  212 Taylor, Joan  231 Tenorth, Heinz-Elmar  50, 67, 68, 74–76 Tetz, Martin  285, 286 T heobald, Michael  299 T heophilidou, Eleni  145, 147 T hiemeyer, T homas  289 T homas, Samuel  232 T homas, Yan  188 T homé, Gabriele  57 T hum, Tobias  14 Tibi, Bassam  289 Tigchelaar, Eibert J. C.  238 Timbie, Janet  357

509

Tloka, Jutta  344, 345, 347 Too, Yun Lee  169, 185 Toral-Niehoff, Isabel  394, 400 Tornau, Christian  333, 339, 342 Tov, Emanuel  230, 233, 238 Toynbee, Arthur  42 Troeltsch, Ernst  475 Trombley, Frank R.  398 Tropper, Veronika  293 Trouillet, Bernard  46 Tuner, Bryan S.  412 Tykwer, Jörg  308 Ueberschaer, Frank  253–255 Ulrich, Eugene  230 Ulrich, Jörg  292 Urban, Hugh  239 Urbano, Arthur  466 Usher, Mark D.  294 Uusimäki, Elisa  253 Valladares, Hérica  141 VanderKam, James C.  232 Van Oorschot, Jürgen  15 Varone, Antonio  141 Vegge, Tor  252–254, 291, 295 Veltri, Giuseppe  270 Vermes, Geza  230, 231, 238 Verter, Bradford  306 Veyne, Paul  150 Vielhauer, Philipp  286 Vierhaus, Rudolf  9, 10 Vinzent, Markus  207 Violet, Bruno  401 Visotzky, Burton L.  278 Vlassopoulos, Kostas  174 Voeltzel, René  438 Vogel, Frank E.  417 Vollandt, Ronny  401 Vollenweider, Samuel  283, 288, 295, 298, 454, 455, 458, 466–468, 476, 477 Vollmann, Benedikt Konrad  430 Vössing, Konrad  18, 23, 25, 28, 29, 31, 118– 120, 127, 134, 146, 147, 333, 354 Voutiras, Emmanuel  92 Walker, Paul E.  424 Wallraff, Martin  318

510

Moderne Autorinnen und Autoren

Walter, Uwe  191, 192, 195, 196 Watts, Edward J.  211 Weber, Martha  105 Weber, Max  59, 305–307, 311, 325, 372, 411–413, 423, 460 Wegeler, Cornelia  51 Wegner, Max  111, 116, 150 Wehrli, Fritz  218 Weidauer, Liselotte  104 Weinert, Franz E.  82 Wendt, Heidi  317 Wentzel, Hans  438 Wesseling, Klaus-Gunther  48 Westrem, Scott D.  39 White, Devin L.  291, 299 Wiarda, Jan-Martin  74 Wiersing, Erhard  68 Wildberger, Jula  14 Wilfong, Terry G.  360 Wilk, Florian  459, 473, 474, 476–478

Willi, T homas  248 Willmann, Otto  81 Wilson, Walter T.  307 Wischmeyer, Johannes  78 Witztum, Joseph  383, 385 Wlosok, Antonie  188, 193 Wolf, Hubert  54 Wrede, Henning  94, 158 Wrenhaven, Kelly L.  177, 178 Yinger, John Milton  288 Zaborowski, Jason  463 Zander, Helmut  9, 17 Zanker, Paul  92, 94, 100, 101, 109, 111, 116, 117, 126, 129, 140, 142, 145, 150, 158, 159 Zenkert, Georg  68 Zimmermann, Laila  287 Zurawski, Jason M.  16, 253