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German Pages 384 [385] Year 2022
Amrei Bahr
Was ist eine Kopie ?
Meiner
Bahr Was ist eine Kopie ?
Amrei Bahr
Was ist eine Kopie?
Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliog raphische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-7873-4056-9 ISBN eBook 978-3-7873-4057-6
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Inhalt
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Inhaltliche Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.1.1 Zur Vielschichtigkeit der Klasse der Kopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.1.2 Eine grundlegende Einteilung der Klasse der Kopien auf der Basis der Unterscheidung zwischen Artefakten und NichtArtefakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.1.3 Der Gegenstandsbereich dieser Studie: Artefakte und Artefaktkopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.2 Methodologische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1.2.1 Das Definieren von Begriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.2.2 Die explikative Definition des Begriffs Artefakt und die analytische Definition des Begriffs Artefaktkopie . . . . . . . . . . . . 47 2.
Was ist ein Artefakt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2
Zur Definition von Artefakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Eine Schnittmenge philosophischer Artefaktdefinitionen . . . . . . . 55 Weitere Kandidatinnen für notwendige Bedingungen . . . . . . . . . . 81 Meine Definition von Artefakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Zur Ontologie der Artefakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Abstrakte Artefakte: Design-Pläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Konkrete Artefakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten . . . . . . . . . . . 179 Der generelle Anspruch der_des Design-Plan-Urhebenden . . . . . . . 180 Zwei moralische Bestimmungsrechte der_des Design-PlanUrhebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
3.
Was ist eine Artefaktkopie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
3.1 3.1.1 3.1.2 3.2
Zur Definition von Artefaktkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Anforderungen an eine Definition von Artefaktkopie . . . . . . . . 205 Meine viergliedrige Definition von Artefaktkopie . . . . . . . . . . . . 274 Zur Ontologie der Artefaktkopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
6 Inhalt
3.2.1 Abstrakte Artefaktkopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3.2.2 Konkrete Artefaktkopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 3.3 Die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von Artefaktkopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3.3.1 Die moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung konkreter Schwarzkopien, konkreter Plagiate und konkreter Kopiefälschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3.3.2 Die moralisch legitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung abstrakter Artefaktkopien . . . . . . . . . . . . . 359 Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Einleitung Einleitung Kopien sind omnipräsent – in allen Bereichen unseres Lebens sind wir mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Kopierpraktiken und ihren Resultaten konfrontiert. Zu unserem Alltag gehören mit einem Fotokopiergerät hergestellte Fotokopien von Schriftstücken, Kopien von Computerdateien, von Kopist_innen mit Farben und Pinseln manuell hergestellte Kopien von Gemälden (bei denen es sich mitunter um Fälschungen handeln mag), Vervielfältigungen von Film- oder Tonträgern (etwa in Form von gebrannten CDs, CDRoms und DVDs), Generika von Medikamenten und Kopien anderer Produkte, Kopien von Spielzügen im Sport und in Spielen (im Fußball1 etwa oder auch im Schach) sowie Phänomene, die uns als integrale Elemente der Popkultur vertraut sind, wie Coverversionen von Songs, Remixes bereits vorhandener Tonspuren oder auch aus Aufnahmen extrahierte Samples und Mashups, bei denen ein DJ zwei oder mehr Lieder miteinander verschmilzt. Dass Kopien uns in so großer, wachsender Anzahl umgeben, kommt nicht von ungefähr: Es ist keineswegs verwunderlich, dass sich eine Vielzahl absichtsvoller menschlicher Anstrengungen auf das Kopieren von Entitäten unterschiedlichster Art richtet. Denn das Anfertigen von Kopien bringt im Allgemeinen viele Vorteile für die Kopierenden und/oder die Nutzer_innen der Kopien mit sich. Kopierhandlungen können (vor allem den Nutzer_innen digitaler Medien) zur Identitätsfindung und zur Selbstverwirklichung dienen – etwa, wenn Memes2, Reaction GIFs, Fotos oder Statusmeldungen kopiert und über Soziale Netzwerke wie Twitter, Instagram, Facebook, Tumblr o. ä. geteilt werden. Kopien verfügen aber auch über das Potenzial, ihre Nutzer_ innen und Rezipient_innen zu bilden: Durch sie werden Kulturgüter, Informationen und Nachrichten einer großen Zahl von Menschen zugänglich, denen so Wissen vermittelt und Bildung ermöglicht wird. Auch für das Sichern von Informationen stellen Kopien ein geeignetes, mitunter sogar unverzichtbares Mittel dar: Printversionen von raren Büchern, deren Fortbestand aufgrund der Brüchigkeit des alternden Papiers gefährdet ist, können heute etwa dank digitaler Kopien für die Nachwelt erhalten werden. Die Beiträge, die Kopien zur Verwirklichung konservatorischer Vorhaben leisten können, beschränken sich jedoch keineswegs auf Bücher: Auch viele Kunstobjekte verdanken 1 Dirk
von Gehlen erinnert zum Beispiel daran, dass ein berühmter Spielzug von Diego Maradona, mit dem dieser eindrucksvoll ein Tor erzielte, 21 Jahre später von Lionel Messi kopiert wurde (vgl. von Gehlen 2011, 9 ff.). 2 Vgl. von Gehlen 2020.
8 Einleitung
ihre Erhaltung speziell zu diesem Zweck angefertigten Kopien, die an ihrer Stelle ausgestellt werden, um die Originale vor den Strapazen der Ausstellung zu bewahren.3 Die Kontexte, in denen Kopien ihre vielgestaltigen Funktionen entfalten, beschränken sich also bei Weitem nicht auf die digitale Welt. Auch im Analogen spielen Kopien und die diversen Praktiken ihrer Herstellung für Kopierende, Rezipierende und Nutzende eine entscheidende Rolle. Das künstlerische Anfertigen von Kopien zu Übungszwecken kann eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen: Kopieren kann der Verbesserung der malerischen, zeichnerischen und bildhauerischen, aber auch der musikalischen Technik, der Förderung der Kreativität und der Inspiration dienen und auf diese Weise sogar zur Schöpfung neuer Werke führen. Insofern dienen Praktiken des Kopierens nicht nur der Vermittlung propositionalen Wissens – auch praktisches Wissen kann durch das Anfertigen von Kopien erworben und erweitert werden. Jenseits von (Pop-)Kultur, Bildung und Informationsübermittlung kommt dem Kopieren mitunter sogar eine existenzielle Rolle zu: Dank günstiger Kopien von Medikamenten, sogenannter Generika, kann auch Menschen, die sich teure Pharmazeutika nicht leisten können, die Medikation ermöglicht werden, auf die sie zur Genesung oder zur Erhaltung und Förderung ihrer Gesundheit angewiesen sind. Insofern kann das Anfertigen von Kopien sogar Leben retten. In Anbetracht des vielfältigen Nutzens, den Kopien für uns haben, überrascht es nicht, dass Menschen diverse, immer komplexere und präzisere Kopiertechniken entwickelt haben, deren Resultate mitunter eine solche Treue zu ihren Vorlagen aufweisen, dass häufig selbst Expert_innen die Kopie nicht mehr von ihrer Vorlage zu unterscheiden vermögen. Die technischen Möglichkeiten der Reproduzierbarkeit sind schon heute immens – mit der Erfindung von 3D-Druckern, die längst auch für Privatpersonen bezahlbar sind, hat die Entwicklung der Reproduktionstechnik eine weitere Stufe erklommen. Aber das Anfertigen von Kopien wirft zugleich eine Reihe von Problemen auf, deren Lösung mit der Zunahme der Kopiermöglichkeiten sowohl der Art als auch dem Umfang nach immer drängender gefordert ist. Denn es ist 3 In
der Albertina findet sich etwa eine Kopie von Dürers Aquarell Feldhase, die anstelle des Originals ausgestellt wird, um dieses zu schonen. Damit gelegentlich auch das Original von den Besucher_innen der Albertina bewundert werden kann, wird das lichtempfindliche Aquarell alle paar Jahre hervorgeholt und jeweils für kurze Zeit ausgestellt. Eine Analyse der zahlreichen Formen und Funktionen von Ausstellungskopien bietet Tietenberg 2015.
Einleitung
anzunehmen, dass sich jedenfalls in vielen Fällen mit den Gegenständen, die kopiert werden, Bestimmungsrechte von Urheber_innen verbinden, die, unabhängig davon, ob bzw. wie das jeweils geltende Recht ihnen Rechnung trägt, von einem moralischen Standpunkt aus Respekt und Anerkennung verdienen: Mit den industriell gefertigten Produkten, den wissenschaftlichen Abhandlungen, den Kunstobjekten, den musikalischen Werken und den vielfältigen anderen durch Menschen hervorgebrachten Entitäten, die als Vorlagen von Kopien dienen, scheinen zumeist gewisse Rechte ihrer Urheber_innen verknüpft zu sein, die durch die Anfertigung der Kopien verletzt werden können. Dabei geht es weniger um die Rechte an konkreten Hervorbringungen als um die Rechte an geistigen Schöpfungen: Die Rede vom geistigen Eigentum der Urheber_innen sucht dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Urheber_innen von Artefakten billigerweise ein Bestimmungsrecht in Bezug auf ihre geistigen Schöpfungen zuerkannt werden muss, das in gewisser Weise den Rechten vergleichbar ist, die sich dem materiellen Sacheigentum verdanken. Analog zu Eigentümer_innen einer konkreten Sache, die »mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen [können]«4, scheinen wir Urheber_innen etwa das Recht zuzubilligen, darüber zu entscheiden, ob und wie Dritte sich ihre Schöpfungen zunutze machen dürfen. So können Urheber_innen diesen Dritten die Verwertung ihrer Schöpfungen zu eigenen Zwecken teilweise oder vollständig einräumen oder untersagen. In der nicht durch die Urheber_innen autorisierten Anfertigung von Kopien durch Dritte können wir insofern eine Verletzung der Urheber_innen-Bestimmungsrechte erblicken, als Kopieren eine Form des Verwertens sein kann: Wer kopiert, macht sich oftmals die geistigen Schöpfungen Dritter zunutze. Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen, die das Anfertigen von Kopien in der Wirtschaft, der Kultur, der Wissenschaft und anderen Lebensbereichen für die Urheber_innen, aber auch für die Kopist_innen sowie die Nutzer_innen und Rezipient_innen von Kopien mit sich bringt, ist die Frage nach der Legitimität von Kopierhandlungen in den letzten Jahrzehnten immer wieder zum Gegenstand breiter öffentlicher Debatten geworden. Darüber, woran sich im Einzelnen ermessen lässt, ob eine in einer Kopie resultierende Handlung moralisch erlaubt, verboten oder sogar geboten ist, ließ sich im Rahmen dieser Debatten jedoch bisher kein Konsens erzielen. Auch die einschlägige Gesetzgebung und Rechtsprechung halten nicht in jedem Fall eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Legalität einer Kopierhandlung bereit. Zudem stehen die Erlaubnisse und Verbote von Kopierhandlungen, die gegenwärtig in Gesetz und Rechtsprechung Geltung für sich beanspruchen, 4
§ 903 BGB.
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10 Einleitung
zu den moralischen Intuitionen der Hersteller_innen sowie der Nutzer_innen und Rezipient_innen von Kopien oftmals in einem prekären Spannungsverhältnis. Davon zeugt etwa die Selbstverständlichkeit, mit der viele Nutzer_ innen digitaler Medien gegen das geltende Urheberrecht verstoßen, indem sie Fotografien, Filme, Musik und Software kopieren und verbreiten. Aber auch die generellen Zweifel an der Legitimität urheberrechtlicher Regelungen, die einige Kopist_innen, Nutzer_innen und Rezipient_innen von Kopien hegen, lassen die Diskrepanzen zwischen geltendem Recht und moralischen Überzeugungen erkennen. Diese komplexe Sachlage lädt dazu ein, zu erwägen, inwieweit sich die aufgeworfenen Schwierigkeiten mit den Mitteln der Philosophie bewältigen lassen. Denn als Disziplin mit Klärungs- und Ordnungspotenzial hält die Philosophie die Möglichkeit bereit, das Feld der Gegenstände von Urheber_ innen-Bestimmungsrechten und der Resultate womöglich diese Rechte verletzender Kopierhandlungen zu strukturieren und so eine Grundlage für die Lösung einschlägiger Probleme zu schaffen. Will die Philosophie auf diese Weise einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten, die die Gesellschaft im Hinblick auf Kopien und die durch ihre Anfertigung potenziell gefährdeten Rechte von Urheber_innen umtreiben, so stellt sich ihr eine Reihe von Fragen begrifflicher und ontologischer, aber auch normativer Art: Welche Begriffe vermögen die Phänomene, um die sich die Probleme drehen, angemessen zu erfassen? Unter welche Begriffe also fallen Gegenstände, mit denen sich Urheber_innen-Bestimmungsrechte verbinden, und Kopien, deren Herstellung diese Rechte verletzen mag? Wie lassen sich die entsprechenden Begriffe definieren? Welche Einsichten hinsichtlich der Ontologie der unter sie fallenden Gegenstände lassen sich gewinnen? Inwiefern erscheint die Annahme, dass Urheber_innen moralische, von der Rechtslage in einem bestimmten Staat unabhängige Bestimmungsrechte zukommen, die durch Kopierhandlungen verletzt werden können, überhaupt als plausibel? In Anbetracht der Tatsache, dass eine philosophische Beschäftigung mit dem skizzierten Themenkomplex prima facie als äußerst aussichtsreich erscheint, ist es durchaus verwunderlich, dass die Zahl der philosophischen Forschungsbeiträge, die sich dieses Themenkomplexes annehmen, bis dato sehr überschaubar ist. Die Beiträge, die bis zu diesem Tage vorgelegt worden sind, widmen sich vor allem Teilfragen und -problemen5 – eine umfassende 5
Die bis dato vorliegenden Beiträge, die die Thematik aus der Perspektive der theoretischen Philosophie beleuchten, beschränken sich auf die Ontologie der Gegenstände von Urheber_innen-Bestimmungsrechten, ohne zugleich die Ontologie der Kopien einzubeziehen (vgl. Hick 2011; Reicher 2016). Auch gibt es jenseits der umfangreichen, auf geltendes Recht beschränkten Literatur zum Urheberrecht bzw. Copyright nur wenige
Einleitung
philosophische Studie, die die Gegenstände von Bestimmungsrechten ebenso würdigt wie die Kopien, deren Anfertigung diese Bestimmungsrechte zu verletzen vermag, liegt bislang hingegen nicht vor. Die vorliegende Studie sucht diese Lücke zu füllen. Sie zielt auf die Entwicklung einer philosophischen Theorie der Gegenstände von Urheber_innen-Bestimmungsrechten sowie der basalen Kopierphänomene, deren Genese diese Bestimmungsrechte poten ziell verletzt. Der erste Teil der Studie ist einer Reihe von Vorüberlegungen inhaltlicher und methodologischer Art gewidmet. Im Rahmen der inhaltlichen Vorüberlegungen (1.1) gebe ich zunächst anhand von Beispielen einen Überblick über die Vielschichtigkeit der Gesamtklasse der Kopien (1.1.1). Die Gesamtklasse teile ich dann auf der Basis der Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten, die ich sowohl auf die Kopien selbst als auch auf deren Vorlagen anwende, in vier Unterklassen ein: Kopien von Artefakten, die selbst Artefakte sind, Kopien von Artefakten, die selbst keine Artefakte sind, Kopien von Nicht-Artefakten, die selbst Artefakte sind, und Kopien von NichtArtefakten, die selbst keine Artefakte sind (1.1.2). Eine grundlegende Theorie der Artefakte und ihrer Kopien, wie sie hier intendiert ist, muss von den Kopien, die selbst Artefakte sind und Artefakte zur Vorlage haben, zunächst diejenigen erster Ordnung in den Blick nehmen – diese Kopien bezeichne ich als Artefaktkopien. Da Artefakte diejenigen Gegenstände sind, mit denen sich die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verbinden können, und die Genese von Artefaktkopien über das Potenzial verfügt, diese Bestimmungsrechte zu verletzen, liegt es nahe, die Untersuchung auf die Klasse der Artefakte im Allgemeinen und die Klasse der Artefaktkopien im Speziellen zu fokussieren (1.1.3). Aus den inhaltlichen Vorüberlegungen ergibt sich, dass für die nachfolgenden Überlegungen zwei Begriffe von zentraler Bedeutung sind, nämlich ein bestimmter Begriff des Artefakts und ein bestimmter Begriff der Artefaktkopie – Begriffe, die einer Definition bedürfen. Im Rahmen der methodologischen Vorüberlegungen (1.2) lege ich zunächst dar, was ich im Rahmen dieser Studie unter einer Definition verstehe (1.2.1). Anschließend begründe ich, warum ich den dieser Studie zugrunde liegenden Artefakt Arbeiten, die normative Aspekte der Thematik betreffen. Diese beschränken sich allerdings großenteils auf generelle Überlegungen im Hinblick auf digitale Medien bzw. geistiges Eigentum im Allgemeinen (vgl. u. a. Moore 2009, Ess 2009) oder diskutieren lediglich spezielle normative Fragen, die das Kopieren bestimmter Artefakte betreffen, etwa das Kopieren von Texten (vgl. Theisohn 2009) oder das Kopieren geliehener Filme (vgl. Bringsjord 1989). Erst in jüngerer Zeit sind Vorschläge zu einer Ethik des Kopierens mit allgemeinerem Fokus erschienen (vgl. Schmücker 2016; Giblin und Weatherall 2017; Bahr 2016, 2018, 2020).
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12 Einleitung
begriff explikativ definiere, während ich den Artefaktkopiebegriff, auf den die Studie aufbaut, einer analytischen Definition unterziehe (1.2.2). Der zweite Teil der Studie ist den Artefakten gewidmet, denen im Rahmen dieser Studie ein allgemeines Erkenntnisinteresse gilt, insofern es sich bei ihnen um Gegenstände handelt, mit denen sich Bestimmungsrechte von Urheber_innen verbinden können. Leitend für meine Überlegungen ist die Frage »Was ist ein Artefakt?«, die der zweite Teil in dreifacher Hinsicht entfaltet: erstens als Frage nach der Definition des Begriffs Artefakt, zweitens als Frage nach dem ontologischen Status der Gegenstände, die unter den Begriff Artefakt fallen, und drittens als Frage danach, was Artefakte auszeichnet, insofern es sich bei ihnen um Gegenstände von Urheber_innenBestimmungsrechten handelt. Der Beantwortung der Frage in ihrer ersten Lesart dient Kapitel 2.1. Zunächst lege ich eine Schnittmenge philosophischer Artefaktdefinitionen aus vier gemeinhin als für Artefaktizität notwendig aufgefassten Bedingungen zugrunde (2.1.1), die ich anschließend um weitere aussichtsreiche Kandidatinnen für notwendige Bedingungen ergänze (2.1.2). Die so gewonnenen Erkenntnisse führe ich schließlich zusammen und entwickle daraus eine viergliedrige Definition des Begriffs Artefakt (2.1.3). Im Kapitel 2.2 lege ich eine Antwort auf die Frage in ihrer zweiten Lesart vor; dazu unterscheide ich abstrakte von konkreten Artefakten. Den Ausgangspunkt meiner ontologischen Erwägungen bilden die abstrakten Artefakte, deren Existenz ich zunächst gegen skeptische Argumente verteidige, um dann die Besonderheiten ihrer Entstehung und ihrer Beziehungen zu geschaffenen Konkreta zu beleuchten (2.2.1). Anschließend lege ich dar, warum es als plausibel erscheint, von der Existenz geschaffener Konkreta auszugehen, und komme auf die Charakteristika ihrer Herstellung sowie ihre Beziehungen zu abstrakten Artefakten zu sprechen (2.2.2). Das Kapitel 2.3 dient der Beantwortung der Frage in ihrer dritten Lesart: Unter Bezugnahme auf die Entlohnungswürdigkeit von Leistungen begründe ich, warum die Urheber_innen abstrakter Artefakte üblicherweise einen generellen Anspruch auf das von ihnen Geschaffene haben (2.3.1). Aus diesem generellen Anspruch leite ich zwei spezielle Bestimmungsrechte ab, die das Anfertigen von Kopien betreffen (2.3.2). Im dritten Teil wende ich mich den Artefaktkopien zu, auf die sich ein spezielles Erkenntnisinteresse dieser Studie richtet, insofern ihre Genese mit der Verletzung von Bestimmungsrechten einhergehen kann, die an abstrakten Artefakten bestehen können. Analog zum zweiten Teil wird auch dieser Teil durch eine leitende Frage strukturiert – sie lautet: »Was ist eine Artefakt kopie?« Auch diese Frage lässt drei Lesarten zu: In ihrer ersten Lesart betrifft sie den Begriff Artefaktkopie und seine Definition; in ihrer zweiten Lesart
Einleitung
erfragt sie die Seinsweise der Artefaktkopien; die dritte Lesart schließlich zielt darauf ab, die Charakteristika offenzulegen, die Artefaktkopien eignen, insofern es sich bei ihnen um Kopien handelt, deren Genese potenziell Bestimmungsrechte verletzt. Das Kapitel 3.1 dient der Beantwortung der Frage in ihrer ersten Lesart: Den Begriff Artefaktkopie bestimme ich als Teilbegriff des alltäglichen Begriffs Kopie, unter den Kopierresultate fallen, die keine Originale sind, wobei die Genese von Artefaktkopien damit potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzt (3.1.1). Auf der Grundlage dieser Bestimmung erarbeite ich eine Definition des Begriffs Artefaktkopie (3.1.2). Die Überlegungen in Kapitel 3.2 leitet die Frage in ihrer zweiten Lesart: Um die Ontologie der Artefaktkopien zu erhellen, unterscheide ich zunächst abstrakte von konkreten Artefaktkopien. Mithilfe der Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien arbeite ich die je spezifischen Relatio nen heraus, die abstrakte Artefaktkopien mit ihren Vorlagen verbinden; zudem erfahren die Beziehungen zwischen abstrakten Artefaktkopien und den sie realisierenden konkreten Artefakten eine Würdigung (3.2.1). Auch zum Verständnis der Relationen zwischen konkreten Artefaktkopien und ihren Vorlagen greife ich auf die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien zurück. Den Beziehungen zwischen konkreten Artefaktkopien und den durch sie realisierten abstrakten Artefakten gilt ebenfalls besondere Aufmerksamkeit (3.2.2). Kapitel 3.3 ist schließlich der Beantwortung der Frage in ihrer dritten Lesart gewidmet: Ich zeige auf, was Artefaktkopien als Entitäten auszeichnet, deren Produktion mit der Verletzung von Bestimmungsrechten einhergehen kann, und unterscheide moralisch illegitime und moralisch legitime Verletzungen von Bestimmungsrechten. Dabei zeigt sich, dass die Herstellung konkreter Kopiefälschungen, konkreter Plagiate und konkreter Schwarzkopien mit einer illegitimen Verletzung von Bestimmungsrechten einhergeht (3.3.1), während die Herstellung abstrakter Artefaktkopien allenfalls eine legitime Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt (3.3.2). Den Schluss dieser Studie bildet ein Resümee, das die Pointen der im Rahmen der Studie entfalteten Gesamtargumentation auf den Begriff bringt. Daraus entwickle ich eine Reihe von weiterführenden Fragen theoretischer und normativer Art und zeige auf, inwiefern die vorgelegten Überlegungen als Grundlage zur Beantwortung dieser Fragen dienen können. Eine Vorbemerkung sei der nachfolgenden Untersuchung noch vorangestellt. Sie betrifft die Vernachlässigung von Teilkopien, die keine Artefakt kopien im Sinne des dieser Studie zugrunde liegenden Begriffs Artefaktkopie sind. Einige Teilkopien fallen unter diesen Begriff, da es sich bei den Teilen selbst um Artefakte handelt. So mag ein innovativer Motor zwar Teil eines Autos sein, aber er ist zugleich selbst ein Artefakt. Eine Kopie eines
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14 Einleitung
Motors kann also durchaus eine Artefaktkopie sein. Aber nicht jede Teilkopie ist auch eine Artefaktkopie: Fertigt ein Kopist eine Kopie eines 2x2cm großen Ausschnitts aus einem Gemälde an – oder übernimmt er einen 30-sekündigen Ausschnitt aus einem Musikstück –, so mögen die Ausschnitte zwar Teile sein; jedoch dürfte es sich bei diesen Teilen für gewöhnlich nicht um Artefakte handeln. Wie ich in dieser Studie darlegen werde, bestehen Bestimmungsrechte nur an vollständigen Artefakten. Die Frage, inwiefern auch das Kopieren von Teilen, die keine Artefakte sind, mit der Verletzung solcher Bestimmungsrechte einhergehen kann, verdient eine umfassende Untersuchung, die jedoch hier nicht geleistet werden kann: Die vorliegende Studie gilt ausschließlich der Untersuchung von Ganzkopien.
1. Vorüberlegungen Der erste Teil dieser Studie entfaltet inhaltliche und methodologische Vorüberlegungen, die für mein Vorgehen in den beiden folgenden Teilen maßgeblich sind. Die inhaltlichen Vorüberlegungen dienen der Eingrenzung des Gegenstandsbereichs der Studie – dabei geht es zunächst darum, die Kopien herauszugreifen, die in diesen Gegenstandsbereich fallen: Die Klasse der Kopien ist komplex und vielschichtig, und nicht alle Entitäten, die dieser Klasse angehören, sind Gegenstand der nachfolgenden Analyse. Die philosophische Erschließung einer derart heterogenen Klasse setzt erst einmal deren Untergliederung in handhabbare Kategorien voraus. Meine inhaltlichen Vorüberlegungen zielen entsprechend darauf ab, die Klasse der Kopien grundlegend einzuteilen, um auf der Basis dieser Einteilung den Gegenstandsbereich zu umgrenzen, den es im Rahmen der Studie zu erfassen und zu verstehen gilt. Wie sich zeigen wird, erscheint es als sinnvoll, den Gegenstandsbereich der Studie nicht allein auf eine Teilklasse der Klasse der Kopien zu beschränken, obgleich es eine solche Teilklasse ist, die einen Teil des Gegenstandsbereichs ausmacht und auch für dessen restliche Extension maßgeblich ist. Grundlegend für die Einteilung, die ich vorschlage, ist die Unterscheidung von Kopien, deren Genese potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_ innen an ihren geistigen Schöpfungen verletzt, und solchen Kopien, deren Genese dieses Potenzial nicht eignet. In den Gegenstandsbereich der Studie fallen zum einen die basalen Kopierphänomene des ersten Typs. Für ein umfassendes Verständnis dieser Kopien bedürfen wir allerdings auch einer Theorie über die geistigen Schöpfungen, die Gegenstände von Bestimmungsrechten sein können. Daher fallen in den Gegenstandsbereich zum anderen auch diese Entitäten. Aber es sind nicht allein inhaltliche Grundlagen, denen ich mich im Rahmen der Vorüberlegungen widmen möchte: Meine inhaltlichen Vorüberlegungen betreffen die Frage, worüber ich im Folgenden sprechen werde, was also der Gegenstandsbereich dieser Studie ist. Darüber hinaus ist mir daran gelegen, auch eine Antwort auf die Frage vorzulegen, wie ich über diesen Gegenstandsbereich sprechen werde. Denn zu welchen Ergebnissen uns die philosophische Untersuchung eines Gegenstandsbereichs führt, wird von der Wahl der Untersuchungsmethoden wesentlich mitbeeinflusst. Daher beschränke ich mich nicht auf die inhaltliche Auswahl des Gegenstandsbereichs, sondern motiviere im Folgenden auch die Wahl der definitorischen
16 Vorüberlegungen
Methoden, deren ich mich bei der Untersuchung des Gegenstandsbereichs bediene.
1.1 Inhaltliche Vorüberlegungen
Zur Eingrenzung des Gegenstandsbereichs dieser Studie gehe ich wie folgt vor: In Abschnitt 1.1.1 illustriere ich die Vielschichtigkeit der Klasse der Kopien anhand verschiedener Beispiele. Um dieser Vielschichtigkeit in zielführender Weise zu begegnen, bietet es sich an, eine Unterscheidung heranzuziehen, die eine grundlegende Einteilung der Klasse der Kopien erlaubt und so als Basis zur Beschränkung des Gegenstandsbereichs dieser Studie dienen kann. Nun können wir offenkundig auf verschiedene Unterscheidungen zurückgreifen, um die Klasse der Kopien einer grundlegenden Einteilung zu unterziehen. Zu Beginn von Abschnitt 1.1.2 etabliere ich daher zunächst ein Kriterium, dass mich bei der Suche nach einer Unterscheidung zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien leitet: Kopien, deren Genese das Potenzial hat, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen zu verletzen, sollen gemäß diesem Kriterium von solchen Kopien unterschieden werden, deren Genese dieses Potenzial nicht aufweist. Sodann lege ich dar, warum die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem, die im Hinblick auf dieses Kriterium prima facie als gleichermaßen naheliegend und geeignet erscheint, eine entsprechende grundlegende Einteilung der Klasse der Kopien wider Erwarten gerade nicht zu leisten vermag. Die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten hingegen ermöglicht eine elementare Aufgliederung der Klasse entsprechend dem zuvor etablierten Kriterium, wie sich im Rahmen der Diskussion dieser Unterscheidung zeigen wird.1 Aus diesem Grunde fällt meine Wahl auf die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten, mit deren Hilfe ich die Klasse der Kopien einer Einteilung unterziehe. Dazu beziehe ich die Unterscheidung nicht nur auf die Kopien selbst, sondern auch auf ihre Vorlagen, und nehme so zunächst eine viergliedrige Kategorisierung der Klasse der Kopien vor. Mithilfe dieser viergliedrigen Kategorisierung grenze ich in Abschnitt 1.1.3 schließlich den Gegenstandsbereich der Studie ein: Er umfasst zunächst solche Kopien, die einer der vier Unterarten von Kopien zuzuordnen sind, nämlich diejenigen Kopien, die ich als »Artefaktkopien« bezeichne – Artefaktkopien sind 1
Auch, wenn es auf den ersten Blick anders erscheinen mag, halte ich die Annahme, dass die Unterscheidung zwischen Künstlichem und Natürlichem und die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten zusammenfallen, nicht für überzeugend. Auf diesen Umstand komme ich im Folgenden ausführlich zu sprechen.
Inhaltliche Vorüberlegungen
Kopien erster Ordnung, die sowohl selbst Artefakte sind als auch Artefakte zur Vorlage haben. Für ein Verständnis dessen, was diese Kopien auszeichnet, spielen Artefakte somit in doppelter Hinsicht eine Rolle. Da die Vorlagen von Artefaktkopien potenziell Gegenstände der Bestimmungsrechte von Urheber_innen sind – es sind abstrakte Artefakte, an denen Urheber_innen Bestimmungsrechte haben, und konkrete Artefakte, deren Produktion durch diese Bestimmungsrechte reguliert wird –, kann die Genese von Artefakt kopien mit einer Verletzung von Bestimmungsrechten einhergehen. Insofern erscheint es als zwingend, in den Gegenstandsbereich der Studie auch Artefakte generell einzubeziehen.
1.1.1 Zur Vielschichtigkeit der Klasse der Kopien
Die Klasse der Kopien umfasst eine Vielzahl ausgesprochen disparater Entitäten2, die sich etwa im Hinblick auf ihren ontologischen Status oder auch das Maß ihrer Ähnlichkeit zur Vorlage3 stark voneinander unterscheiden und die ihre Existenz ganz unterschiedlichen Entstehungsgeschichten verdan2 Bei
den im Folgenden genannten Beispielen für Kopien unterschiedlichster Art handelt es sich um Entitäten, die als »Kopie« zu bezeichnen mir in der Alltagssprache (bzw. z. T. auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch) etabliert zu sein scheint: Ich gehe davon aus, dass im Hinblick auf die hier genannten Beispiele ein weitreichender Konsens darüber besteht, dass sie sich gerechtfertigterweise als Kopien bezeichnen lassen. Freilich ließe sich auch an dieser Stelle schon eine Einschränkung vornehmen, etwa, indem Entitäten, die überwiegend natürlich bzw. ohne das Vorliegen von Absichten entstanden sind, von vornherein aus der Klasse der Kopien herausgenommen werden (so beschränken sich etwa Massimiliano Carrara und Marzia Soavi bei den in ihrem Artikel unter dem Label »copy« verhandelten Entitäten auf Kopien, für deren Entstehungsprozess Absichten maßgeblich sind, vgl. Carrara und Soavi 2010). Bereits an dieser Stelle Entitäten aus der Klasse der Kopien auszuschließen, etwa, weil sie keine Produkte menschlicher Einwirkung sind o. ä., erscheint mir allerdings vor dem Hintergrund des Sprachgebrauchs inzwischen als eine ad hoc vorgenommene Einschränkung, die im Hinblick auf die diesem Abschnitt zugrunde liegende Zielsetzung, die Klasse der Kopien zunächst möglichst in ihrer Ganzheit und Diversität zu erfassen, auch nicht zielführend wäre. In Bahr 2013 habe ich noch einen engeren Kopiebegriff zugrunde gelegt, der ausschließlich Artefakte einschließt (vgl. Bahr 2013, 284). Die Einsicht, dass ein solcher Kopiebegriff eine Vielzahl von Gegenständen – darunter DNA-Kopien – ungerechtfertigterweise nicht erfasst, obgleich über den Kopiestatus dieser Gegenstände ein weitreichender Konsens besteht, der sich auch im Sprachgebrauch widerspiegelt, verdanke ich Ulrich Krohs. 3 Es erscheint allerdings als plausibel (und entspricht daher auch unserer alltäglichen Auffassung von Kopien), dass eine Entität ein gewisses Mindestmaß an Ähnlichkeit zur Vorlage aufweisen muss, um überhaupt als Kopie gelten zu können; vgl. dazu Abschnitt 3.1.1.
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18 Vorüberlegungen
ken. So gibt es eine Reihe von Kopien, bei deren Genese die Handlungen von Akteur_innen sowie ggf. technische Hilfsmittel eine wesentliche Rolle spielen: Einige der Vorgänge, die Kopien hervorbringen, finden unter Beteiligung komplexer technischer Geräte statt – etwa, wenn Kopiergeräte bei der Duplikation eines Originaldokuments zum Einsatz kommen oder wenn digitale Kopien einer Software mithilfe eines Computers angefertigt werden. Andere Kopiervorgänge kommen mit der Nutzung weniger, simpler Werkzeuge aus; ihre Resultate bezeugen oftmals die handwerklichen Fähigkeiten der Kopist_ innen. Einige Kopien kommen ganz ohne menschliches Zutun in die Welt. So lassen sich etwa innerhalb von Organismen Vorgänge ausmachen, deren Resultate Kopien sind – dies ist zum Beispiel bei der DNA-Replikation der Fall. Unter den Entitäten, die wir als Kopien bezeichnen, finden sich auch in ontologischer Hinsicht ganz unterschiedliche Dinge: Kopien können konkrete Gegenstände sein, wie im Falle des Duplikats einer Wagenfeld-Leuchte4 oder der Kopie einer Jacke des Designers Balmain, produziert für die Mode4
Die Firma Tecnolumen, die gegenwärtig laut eigener Auskunft alleinig zur Produktion autorisierter Wagenfeld-Leuchten berechtigt ist, warnt auf ihrer Website unter der Überschrift »Original und Fälschung der Wagenfeld[-]Leuchte« ausdrücklich vor »(unerlaubten) Billig-Kopien« (vgl. https://tecnolumen.de/original, abgerufen am 2.8.2021). Es ist allerdings nicht klar, ob es sich nicht auch bei den von Tecnolumen produzierten Leuchten, die von der Firma mit dem Terminus »Reeditionen« bezeichnet werden, um (freilich keineswegs billige) Kopien handelt. Auf meine per E-Mail an die Firma Tecnolumen gerichtete Nachfrage hin, ob es sich bei den sogenannten Reeditionen um Kopien oder Originale handle, wurde mir mitgeteilt, dass es sich »bei der von [Tecnolumen] produzierten Leuchte […] um ein Original, jedoch nicht um ein Original aus den 20igern« handle – eine Feststellung, die angesichts des offensichtlich späteren Herstellungsdatums der in Frage stehenden Leuchten kaum zu überraschen vermag. Die firmeninterne Einschätzung, dass es sich bei den von Tecnolumen produzierten Leuchten aber dennoch um Originale handle, gründet allerdings offenbar auf einer fragwürdigen und nicht sehr differenzierten Auffassung hinsichtlich der Rolle von Autorisierungen für die Frage, ob etwas eine Kopie oder ein Original ist – so teilte mir der Mitarbeiter der Firma ferner Folgendes mit: »[W]enn die Herstellung der Leuchte autorisiert ist[,] kann es sich nicht um eine Kopie handeln.« Diese Behauptung lässt vermuten, dass Tecnolumen nicht zwischen autorisierten Originalen und autorisierten Kopien unterscheidet. Die Vielfalt von Fällen autorisierter Kopien, die als Kopien, nicht aber als Originale autorisiert wurden und die sich etwa in der Industrie, aber auch in der Kunst (man betrachte etwa Kunstdrucke oder andere Fälle nicht-genuiner, autorisierter Duplikate von Kunst) finden, zeigt jedoch, dass die Behauptung, jegliche Autorisierung sei hinreichend dafür, dass eine Entität zum Original wird, nicht zutreffend ist. Ausschlaggebend für die Frage nach dem Status der Reeditionen ist vielmehr, ob der Urheber des Design-Plans für die Wagenfeld-Leuchte, Wilhelm Wagenfeld, bzw. der Rechteinhaber an besagtem Design-Plan die Firma Tecnolumen zur Herstellung von Kopien oder zur Herstellung von Originalen autorisiert hat. Zum Konzept des Design-Plans und den Rechten, die Urheber_innen bzw. Rechteinhaber_innen daran haben, vgl. Abschnitt 2.2.1, in dem ich ausführlich darlege, was einen
Inhaltliche Vorüberlegungen
kette Zara, oder auch im Falle einer Zahnprothese, die fehlende Zähne nachbildet und ersetzt. Ereignisse oder Prozesse können ebenfalls kopiert werden – etwa, wenn durch die Verabreichung eines aktiven Impfstoffs die Infektion mit einer Krankheit in abgeschwächter Form nachgeahmt wird. Aber auch Kopien von kulturellen Ereignissen lassen sich ausmachen, bspw. die seit einigen Jahren nicht nur in Deutschland zunehmend verbreiteten Kopien des Münchener Oktoberfests an diversen Orten außerhalb Bayerns5 oder die Holi-Festivals, Kopien des indischen Frühlingsfests, bei dem sich die Besucher_innen mit Farbpulver bewerfen.6 Zudem können Kopien auch abstrakter Natur sein, etwa, wenn sich Hacker_innen über Spionage-Programme in die Server von Firmen einloggen, dort Baupläne ausspähen und auf der Grundlage dieser Baupläne eigene Baupläne anfertigen, um mithilfe dieser Pläne Produktfälschungen herzustellen. So ist es etwa der bayrischen Firma clearaudio electronic ergangen, der die Baupläne für ein innovatives Plattenspielerlager bei einem Hackerangriff gestohlen wurden.7 Auch bei dem Plan zur Anfertigung der im Rahmen der Donaugartenschau 2014 in Deggendorf gezeigten Nachbildung eines Auwaldes handelt es sich um eine abstrakte Kopie, die eine bestimmte, tatsächlich existierende Landschaft zur Vorlage hat.8 Kopien können zudem ganz unterschiedliche Grade von Originaltreue aufweisen. Mitunter ist die exakte Ähnlichkeit zur Vorlage gar nicht angezielt und es werden bewusst nur einzelne Aspekte einer Vorlage kopiert; so etwa im Falle der in diversen Social-Media-Kanälen kursierenden Kopien des 1939 Design-Plan auszeichnet, und Abschnitt 2.3.2, in dem ich auf zwei moralische Bestimmungsrechte von Design-Plan-Urheber_innen zu sprechen komme. 5 Auf der Internetpräsenz der Augsburger Allgemeinen erschien bereits im Jahr 2007 ein Artikel zum Oktoberfest mit dem Titel »Es gibt schon 3000 Kopien« (Krawinkel 2007). Diese Angabe geht auf eine Auskunft der damaligen Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupl zurück; in dem Artikel ist die Rede von Oktoberfest-Kopien in Brasilien, China und Russland. 6 Festivals dieser Art gibt es inzwischen in vielen Ländern Europas, etwa auch in Deutschland und der Schweiz. Obwohl auch die in der Schweiz stattfindenden Festivals klarerweise nach dem indischen Vorbild gestaltet sind, treten offenbar einige Organisator_innen mit einem gewissen Originalitätsanspruch im Hinblick auf das von ihnen organisierte Festival auf. So finden sich auf der Website students.ch unter der Überschrift »Zwei Holi-Festivals in Zürich: Original oder Kopie?« Interviews mit zwei Veranstaltern, die beide für ihr Holi-Festival beanspruchen, dass es sich dabei um das »Original aus der Schweiz« handle (vgl. https://www.students.ch/magazin/details/69602/Zwei-Holi-Festivals-in-Zuerich-Original-und-Kopie, abgerufen am 2.8.2021). 7 Vgl. Vielmeier 2016. 8 Vgl. https://www.wochenblatt.de/archiv/ein-auwald-entsteht-61639, abgerufen am 12.8.2021.
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entworfenen und bis zum Jahre 2000 unveröffentlichten britischen Propaganda-Posters mit der Aufschrift »Keep Calm and Carry On«, die zwar die Gestaltung des Posters übernehmen, den Slogan aber ersetzen, etwa durch »Now Panik and Freak Out« oder auch »Keep Calm and Copy on«. Aber auch in der Bionik werden die Eigenschaften einer Vorlage absichtlich nur in Teilen übernommen, etwa wenn bei der Gestaltung von Flugzeugflügeln bestimmte Merkmale von Vogelflügeln adaptiert werden.9 Auch in der Tierwelt findet sich Kopierverhalten, bei dem nicht angestrebt wird, dass sein Ergebnis der Vorlage genau entspricht: Angehörige der Delfinart Tursiops truncatus (Atlantischer Großer Tümmler) etwa kopieren die Signaturpfiffe ihrer Artgenossen, bauen dabei aber gezielt bestimmte, mit signifikanter Häufigkeit auftretende Abweichungen ein.10 Andere Kopien gleichen der Vorlage zunächst exakt, werden aber durch weitere Bearbeitung so verändert, dass sie zusätzliche Eigenschaften erhalten, die die Vorlage nicht aufweist. Dazu zählt etwa Duchamps Ready-made L.H.O.O.Q., bei dem es sich um eine Reproduktion der Mona Lisa von Leonardo da Vinci handelt, der Duchamp mit einem Bleistift einen Schnurrbart sowie einen Spitzbart gemalt hat. Auch den (häufig nicht legalen) digitalen Kopien von Spielfilmen, mit denen in Internet-Tauschbörsen gehandelt wird, werden mitunter weitere Merkmale hinzugefügt, z. B. Untertitel.11 Einige Kopien haben nicht nur einen einzelnen Gegenstand zur Vorlage, sondern zwei oder mehr Gegenstände. Solche sogenannten Mashups12 sind vor allem in der Musik, besonders im Bereich der DJ- und Clubmusik, verbrei9
Einigen Autor_innen ist offenbar sehr daran gelegen, klarzustellen, dass in der Bionik gerade keine Kopien erzeugt würden. So betonen etwa Werner Nachtigall und Göran Pohl, dass die Natur lediglich Anregungen liefere, »die der Ingenieur nicht kopiert (das wäre unwissenschaftlich), sondern in die konstruktive Gestaltung […] einbringt« (Nachtigall und Pohl 2013, 4). Bionik stehe unter dem Motto »Lernen von der Natur für eigenständiges ingenieurmäßiges Gestalten« (Nachtigall und Pohl 2013, 4); es wird zudem betont, dass die »direkte Kopie […] nie zum Ziel führ[e]« (Nachtigall und Pohl 2013, 4). Ein Argument dafür, dass in der Bionik nicht kopiert wird, liefert Nachtigall an anderer Stelle: Bionik zeichne sich dadurch aus, dass nicht einfach äußerliche Ähnlichkeiten übertragen, sondern dass Prinzipien abstrahiert und übertragen werden (vgl. Nachtigall und Quitter 2009). Zu der Frage, inwiefern sich diesem Argument zum Trotz auch in der Bionik von Kopien sprechen lässt, vgl. Abschnitt 3.1.1. 10 Vgl. King et al. 2013. 11 Laut Entscheidung eines Gerichts in Norwegen stellt es sogar eine Urheberrechtsverletzung dar, wenn nur die (selbst erstellten) Untertitel – ohne die Kopien der Filme, die sie untertiteln – im Internet zugänglich gemacht werden: Im Jahre 2012 wurde ein Student aus Norwegen für das Zurverfügungstellen von Untertiteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 2.000 Euro verurteilt (vgl. Mühlbauer 2012). 12 Vgl. von Gehlen 2011, 206.
Inhaltliche Vorüberlegungen
tet; zu den Mashups zählt etwa The Coltrane Influence, für das der Bostoner DJ DJ BC den Blues Mr. Day des Jazz-Saxophonisten John Coltrane mit dem Song The Influence der Hip-Hop-Gruppe Jurassic 5 gemischt hat. Aber auch in anderen Bereichen sind Mashups etabliert – z. B. in Form von MedikamentenMashups, wie den zumeist aus Indien stammenden Kombinationstabletten zur Therapie von HIV.13 Andere Kopien imitieren nicht eine Instanziierung (oder auch mehrere Instanziierungen) eines einzelnen Werks, sondern einen bestimmten Stil; das berühmteste und in philosophischen Arbeiten zur Thematik der Kunstfälschung vermutlich meistgenannte Beispiel aus der Kunstgeschichte dürfte hier das Gemälde Christus und die Jünger in Emmaus des niederländischen Künstlers Han van Meegeren sein, das im Stile des alten Meisters Vermeer gemalt und von van Meegeren als Original-Vermeer ausgegeben wurde.14 Im Gegensatz zu Werkkopien, die ein bereits bestehendes Werk (oder auch mehrere bestehende Werke) zur Vorlage haben, zeichnen sich Stilkopien wie van Meegerens Christus und die Jünger in Emmaus dadurch aus, dass ihnen durchaus ein originäres Element zu eigen ist: Die_der Kopist_in schafft unter Einbeziehung zentraler Merkmale des von ihr_ihm kopierten Stils ein neues Werk. Auch was das Maß der Gelungenheit von Kopien betrifft, gibt es große Unterschiede. Sofern sich die Gelungenheit an der größtmöglichen Ähnlichkeit zum Original ermisst, lassen sich einige Beispiele für weniger gelungene Kopien finden: Obwohl sie dies beabsichtigen, scheitern einige Kopist_innen daran, Objekte mit großer Ähnlichkeit zum Original herzustellen, da ihnen die erforderlichen handwerklichen oder technischen Möglichkeiten fehlen oder ihnen während des Herstellungsprozesses Fehler unterlaufen. Aber auch beim Kopieren von DNA können Fehler passieren. Allerdings kann mangelnde Gelungenheit nicht nur aus einer als zu gering erscheinenden Ähnlichkeit der Kopie zum Original resultieren. Auch wenn Kopien lediglich im Hinblick auf einige wenige relevante Eigenschaften von der Vorlage abweichen, kann ihre Gelungenheit mitunter in Frage stehen. So weisen einige Kopien ein geringes Maß an Gelungenheit in diesem Sinne auf, weil im Interesse des Profits die Nähe zum Original nebensächlich wird. Zu diesen Kopien zählen etwa Medikamentenfälschungen, die oft zwar die Wirkstoffe der Originale enthalten, aber in zu hohen oder zu niedrigen 13 Zur
Relevanz von Medikamenten-Mashups in der Behandlung von HIV und Aids insbesondere in ärmeren Ländern vgl. von Gehlen 2011, 94 ff. 14 Mit dem Kunstfälscher Beltracchi ist ein weiterer Meister der Stilkopie in Erscheinung getreten: Beltracchi gelang es, mit seinen Kunstfälschungen im Stil von Künstlern wie Heinrich Campendonk, Max Ernst oder Max Pechstein zahlreiche Kunstexpert_ innen hinters Licht zu führen.
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22 Vorüberlegungen
Dosierungen, und die zudem vielfach durch im Original nicht vorkommende, bedenkliche Stoffe verunreinigt sind – wie etwa die diversen z. T. mit krebserregenden Substanzen wie Chloroform, Benzol und Safrol versetzten Fälschungen von Malaria-Medikamenten, die in Südostasien im Umlauf sind.15 Aber auch viele Kopien von PKW-Ersatzteilen, etwa Billig-Duplikate von Bremsen, Ölfiltern oder Felgen, gehören dieser Kategorie an: Auch in diesen Fällen sind die Kopien gegenüber ihren Vorlagen oft defizitär und stellen eine Gefahr für die Verbraucher_innen dar. Auch lässt sich die Gelungenheit einer Kopie bisweilen gerade an dem Umstand festmachen, dass sie hinsichtlich einiger Eigenschaften von ihrer Vorlage abweicht und aus diesem Grunde einen funktionalen, ästhetischen oder anders gearteten Mehrwert gegenüber der Vorlage bietet. Dies lässt sich etwa für das bereits genannte Beispiel aus der Bionik behaupten: Dass die Flugzeugflügel hinsichtlich vieler Eigenschaften von den ihnen als Vorlage dienenden Vogelflügeln abweichen – dass etwa das Material der Flugzeugflügel stabiler und beständiger ist als die Federn und Knochen der Vogelflügel –, trägt wesentlich zur Gelungenheit der Flugzeugflügel bei. Außerdem gibt es unter denjenigen Kopien, die Urheber_innen haben und Vorlagen duplizieren, die ihre Existenz ebenfalls Urheber_innen verdanken, neben solchen Kopien, bei denen die_der Urheber_in der Kopie und die_der Urheber_in der Vorlage voneinander verschieden sind, auch Kopien, deren Urheber_in zugleich auch Urheber_in der Vorlage ist; diese Selbstkopien werfen mitunter rechtliche Probleme auf, nämlich etwa dann, wenn die_der Urheber_in der Vorlage die Rechte an der Vorlage (bzw. dem der Vorlage zugrunde liegenden Design-Plan) an eine_n Dritte_n verkauft hat, nun aber selbst Kopien der Vorlage herstellt.16 Die meisten Kopien, die Urheber_innen haben und deren Vorlagen ebenfalls von Urheber_innen geschaffen wurden, sind allerdings keine Selbstkopien, sondern Fremdkopien17: Zumeist sind die_der Urheber_in einer Kopie und die_der Urheber_in der dieser Kopie zugrunde liegenden Vorlage voneinander verschieden. Von den Kopien dieser Art werfen einige eine Reihe ethischer und ggf. auch rechtlicher Probleme auf, etwa, wenn es sich bei ihnen um Fälschungen oder Plagiate handelt oder wenn die_der Kopist_in nicht zur Herstellung der Kopien befugt ist.18 15 https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/medikamentenfaelschungen-
auf-der-spur-der-falschen-pillen-a-535016.html, abgerufen am 2.8.2021. 16 Eine Reihe von Beispielen solcher Fälle findet sich in Bently 2016. 17 Der Unterscheidung zwischen Selbstkopien und Fremdkopien kommt in Kapitel 3.2 eine entscheidende Rolle zu. 18 Zu solchen Fällen illegitimen Kopierens vgl. Bahr 2013, 293 ff., Bahr 2020 sowie Ab schnitt 3.3.1 dieser Studie.
Inhaltliche Vorüberlegungen
Die soeben genannten Beispiele dürften einen ersten Eindruck von der Vielfältigkeit der Klasse der Kopien vermitteln. Um dieser Vielfältigkeit in theoretisch fruchtbarer Weise zu begegnen, werde ich die Klasse im folgenden Abschnitt grundlegend einteilen, um auf dieser Basis den Gegenstandsbereich dieser Studie zu bestimmen.
1.1.2 Eine grundlegende Einteilung der Klasse der Kopien auf der Basis der Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten
Im vorhergehenden Abschnitt ist bereits eine Reihe von Unterscheidungen angeklungen, mit deren Hilfe sich die komplexe Klasse der Kopien auf je unterschiedliche Weise einteilen lässt, darunter etwa die Unterscheidung zwischen konkreten und abstrakten Kopien oder die Unterscheidung zwischen Kopien mit nur einer Vorlage und Kopien mit mehreren Vorlagen. Auch darüber hinaus gibt es diverse Optionen, Kopien voneinander zu unterscheiden. Damit bietet sich zugleich eine Reihe von Möglichkeiten, eine grund legende Einteilung der Klasse der Kopien vorzunehmen. Aus diesem Grunde werde ich im Folgenden zunächst auf das Kriterium zu sprechen kommen, das meine Auswahl der Unterscheidung zur Einteilung der Klasse leitet: das Kriterium nämlich, dass die Unterscheidung diese Klasse derart einteilt, dass Kopien, deren Genese das Potenzial hat, die Bestimmungsrechte von Urheber_ innen an ihren geistigen Schöpfungen zu verletzen, von Kopien unterschieden werden, deren Genese dieses Potenzial nicht aufweist. Das Kriterium für die Auswahl einer Unterscheidung zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien: Die potenzielle Verletzung der Bestimmungsrechte von Urheber_innen durch die Genese von Kopien
Das Kriterium (K), das mich bei der Auswahl einer Unterscheidung zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien leitet, betrifft die potenziellen negativen Auswirkungen der Genese von Kopien auf die Bestimmungsrechte von Urheber_innen. Es lautet wie folgt: (K) Eine Unterscheidung sollte die Klasse der Kopien so aufteilen, dass Kopien, deren Genese potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen verletzt, von Kopien unterschieden werden, deren Genese dieses Potenzial nicht zukommt.
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24 Vorüberlegungen
Das Kriterium (K) dient dazu, eine Unterscheidung auszuwählen, mit deren Hilfe sich der Gegenstandsbereich dieser Studie in überzeugender und theoretisch fruchtbarer Weise begrenzen lässt. Für die Auswahl des Gegenstandsbereichs einer anwendungsorientierten und problembewussten philosophischen Studie über Kopien bietet es sich in besonderer Weise an, ein Augenmerk auf Kopien zu richten, deren Herstellung potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen verletzt. Dies liegt in der außerordentlichen Brisanz der Herstellung von Kopien begründet, die das Potenzial besitzen, moralische und ggf. auch juridische Rechte zu verletzen: Kopien, deren Genese potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzt, sind Gegenstand vielfältiger normativer Konflikte. Um sie drehen sich deshalb auch wesentliche Teile urheberrechtlicher Gesetzgebung und urheberrechtsbezogener Rechtsprechung. Darüber hinaus sind es diese Kopien, die im Mittelpunkt einer Ethik des Kopierens stehen.19 Um zu den einschlägigen urheberrechtlichen sowie ethischen Fragen qualifiziert Stellung beziehen zu können, bedürfen wir zunächst der Klärung, was solche Kopien auszeichnet. Diese Klärung stellt aus mehreren Gründen eine notwendige Vorbedingung für die überzeugende Beantwortung der entsprechenden urheberrechtlichen sowie kopierethischen Fragen dar: Zunächst einmal bedarf es der Klärung, welche Objekte überhaupt in den fraglichen Bereich fallen. Das heißt zum einen, dass in Erfahrung gebracht werden muss, welche Kopien es sind, deren Herstellung potenziell urheberrechtliche oder kopierethische Fragen aufwirft, und zum anderen, dass es zu eruieren gilt, was diese Kopien als Kopien auszeichnet, d. h. welche Bedingungen ein Objekt jeweils erfüllen muss, um als Kopie der fraglichen Sorte gelten zu können. Eine Theorie dieser Kopien muss insbesondere mit der enormen Vielfalt urheberrechtlich und kopierethisch relevanter Kopien rechnen. Denn es dürfte als offensichtlich erscheinen, dass auch innerhalb dieser Klasse eine große Diversität der Objekte vorherrscht. Dies zeigt sich schon allein an den ganz unterschiedlichen Fällen, die in den letzten Jahren zum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden sind und leidenschaftlich geführte Debatten auf zahlreichen Online-Plattformen, in Sozialen Netzwerken oder im Feuilleton ausgelöst haben, darunter die vielfältigen Diskussionen um das Anfertigen (digitaler) Kopien von Büchern – etwa im Zusammenhang mit Google Books oder der Frage, welche Bücher Bibliotheken unter welchen Umständen digitalisieren dürfen 20. Aber auch Kopien von Musik geraten immer wieder in 19
Vgl. Bahr 2013. der Verabschiedung des Gesetzes zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke ist Bibliotheken jedenfalls die Digitalisierung solcher Werke erlaubt, deren Autor_ in unbekannt oder nicht mehr auffindbar ist. 20 Seit
Inhaltliche Vorüberlegungen
den Fokus, wie der Konflikt zwischen der Video-Plattform YouTube und der Verwertungsgesellschaft Gema eindrücklich gezeigt hat. Kopien von Bildern wurden u. a. mit der Frage nach dem urheberrechtlichen Status von Vorschaubildern zum Gegenstand öffentlichen Interesses. Unter den Kopien, deren Entstehung in der hier einschlägigen Weise in moralischer oder rechtlicher Sicht als diskussionswürdig erscheint, finden sich also ganz unterschiedliche Objekte, und auch die Vorlagen der umstrittenen Kopien entstammen verschiedenen Bereichen. Um ermitteln zu können, ob ein Objekt eine Kopie eines anderen Objektes ist, bedürfen wir daher zunächst eines umfassenden Verständnisses sowohl der unterschiedlichen Arten von Kopien als auch der unterschiedlichen Arten von Gegenständen, die als Kopiervorlagen in Frage kommen. Denn nicht alles, was als Kopie ausgegeben wird, lässt sich tatsächlich gerechtfertigterweise als Kopie auffassen: Von einer Kopie wird oft auch dann gesprochen, wenn der Kopiestatus eines Objekts umstritten ist – Urheber_innen bedienen sich dieser Zuschreibung in vielen Fällen, um einen (vermeintlichen) Anspruch auf Entschädigung für eine Verletzung ihrer Bestimmungsrechte geltend zu machen. Die Behauptung, dass es sich bei einem Objekt um eine Kopie handle, dient also mitunter zur moralischen Diskreditierung der Handlung, aus der dieses Objekt resultiert. Dies zeigt sich etwa in den leidenschaftlichen und vor allem in den Internetmedien umfangreich geführten Debatten, die der Rechtsstreit um den Song Blurred Lines ausgelöst hat21 – dass wir es hier tatsächlich mit einer Kopie zu tun haben, erscheint zumindest als fraglich. Ob die Objekte, die als Kopien apostrophiert werden, tatsächlich solche sind, ist somit keineswegs immer völlig klar. Da sich an der Frage, ob wir es bei einem Objekt mit einer Kopie zu tun haben, häufig entscheidet, wie die Herstellung dieses Objekts sowohl moralisch als auch rechtlich zu bewerten ist, ist die Frage danach, ob ein Objekt eine Kopie und die es hervorbringende Handlung somit eine Kopierhandlung darstellt, also von großer Relevanz. Um eine moralische oder rechtliche Bewertung einer Handlung vornehmen zu können, genügt es freilich nicht, zu ermitteln, ob sich die fragliche Handlung als Kopierhandlung und das aus ihr resultierende Objekt damit als Kopie charakterisieren lässt – denn es gibt offensichtlich auch Kopierhandlungen, die in moralischer und rechtlicher Hinsicht vollkommen unschuldig sind. Daher gilt es, die Umstände zu benennen, unter denen die Genese einer Kopie (nicht mehr nur potenziell, sondern tatsächlich) die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzt: Wodurch sind Kopien gekennzeichnet, deren Genese eine (unerlaubte) Verletzung solcher Bestimmungsrechte dar21
Für eine eingehende philosophische Würdigung dieses Falles vgl. Ortland 2016.
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26 Vorüberlegungen
stellt? Was zeichnet die Gegenstände aus, an denen diese Bestimmungsrechte bestehen bzw. deren Produktion diese Bestimmungsrechte betreffen? Um diesen Fragen nachgehen zu können, bedarf es auch der Klärung, auf welcher normativen Grundlage wir gerechtfertigterweise von einer Rechtsverletzung durch die Genese von Kopien sprechen können. Das Kriterium (K) enthält eine Voraussetzung, deren Status keineswegs unumstritten ist, die Voraussetzung nämlich, dass Urheber_innen Bestimmungsrechte über ihre Schöpfungen zukommen bzw. dass wir ihnen derartige Rechte zubilligen sollten.22 Eine ausführliche Begründung dafür, dass Urheber_innen über Bestimmungsrechte verfügen, kann an dieser Stelle noch nicht geleistet werden – sie folgt im Kapitel 2.3. Vorerst muss es genügen, kursorisch auf die in diesem Kapitel ausführlich dargelegte Überlegung zu sprechen zu kommen – dies dürfte ausreichen, um der Annahme, dass Urheber_innen Rechte zur Bestimmung über ihre geistigen Schöpfungen zukommen, eine hinreichende Ausgangsplausibilität zu verleihen. Die Überlegung, die ich zur Begründung dieser Annahme heranziehen werde, betrifft die Entlohnungswürdigkeit von Leistungen: Es dürfte weitgehend unumstritten sein, dass Leistende für ihre Leistungen entlohnt werden sollten. Im Falle von Leistungen, deren Resultat ein Gegenstand ist, erscheint es als gerecht, der_dem Leistenden – jedenfalls unter der Bedingung, dass keine angemessenen alternativen Entlohnungen gegeben sind 23 – zuzubilligen, dass sie_er als Entlohnung für ihre_seine Leistung mit dem Gegenstand verfahren darf, wie es ihr_ihm beliebt: Der_dem Leistenden kommen insofern hinsichtlich des Gegenstandes ihrer_seiner Leistung Bestimmungsrechte zu. Da sich das Kriterium (K) auf die potenzielle Verletzung der Bestimmungsrechte von Urheber_innen durch die Genese von Kopien bezieht, bietet es sich für die Suche nach einer es erfüllenden Unterscheidung an, solche Unterscheidungen in den Blick zu nehmen, für die eine begründete Vermutung besteht, dass sie der Genese von Kopien in geeigneter Weise Rechnung tragen. Im Folgenden werde ich daher auf zwei Unterscheidungen zu sprechen kommen, die die Genese von Kopien betreffen, und zunächst jeweils darlegen, 22
Für eine Kritik an dieser Voraussetzung vgl. statt vieler Kinsella 2001. Eine denkbare Möglichkeit der alternativen Entlohnung bestünde etwa darin, dass ein_e Auftraggeber_in die_den Leistende_n für ihre_seine kreative Tätigkeit entschädigt. Entlohnungen könnten aber auch durch ein alternatives Entlohnungssystem gesichert werden – etwa, indem die Entlohnung von Leistenden mittels finanzieller Unterstützung durch den Staat (bspw. in Form eines Grundeinkommens) erfolgt. Für ein alternatives Entlohnungssystem in Bezug auf geistige Leistungen plädieren u. a. Steve P. Calandrillo (vgl. Calandrillo 1998) sowie Steven Shavell und Tanguy van Ypersele (vgl. Shavell und van Ypersele 2001). 23
Inhaltliche Vorüberlegungen
warum sie prima facie als geeignet erscheinen. Dabei wird sich die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem bedenkenswerten Gründen für die Annahme ihrer Brauchbarkeit zum Trotz als zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien ungeeignete Unterscheidung erweisen. Die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten hingegen vermag die Klasse der Kopien gemäß dem Kriterium (K) einzuteilen. Die mangelnde Eignung der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien
Eine Unterscheidung, die zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien gemäß (K) prima facie sowohl naheliegend als auch geeignet zu sein scheint, ist die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem.24 Im Alltag unterteilen wir unsere gesamte Welt mit einer unbekümmerten Selbstverständlichkeit in Gewordenes, d. h. Natürliches, und Gemachtes, d. h. Künstliches. Die Hinsicht der Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit, die dabei zumeist zum Tragen kommt, nimmt auf die Genese der in Frage stehenden Entitäten Bezug; unterschieden werden demgemäß natürlich entstandene und künstlich hervorgebrachte Entitäten.25 Für die hier einschlägige Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem gilt es also, die Genese von Gegenständen in den Blick zu nehmen, wobei es einen guten Grund für die Annahme gibt, dass diese Unterscheidung den Spezifika der Genese in einer Weise 24
Diese Unterscheidung findet sich schon bei Aristoteles (Physik II 1, 192b). und Künstlichkeit bezüglich der Entstehungsgeschichte sind nicht die einzigen Hinsichten von Natürlichkeit und Künstlichkeit, die in philosophischen Debatten (insbesondere der Ethik) zur Sprache kommen. In den ethischen Debatten um Natürlichkeit und Künstlichkeit geht es vor allem um die Frage, ob der Bezug auf eine Kategorie des Natürlichen oder eine Kategorie des Künstlichen in ethischen Argumenten eine argumentative Tragkraft hat oder nicht: Hat Natürlichkeit einen Wert, der es etwa zu rechtfertigen vermag, ihre Erhaltung einzufordern oder die Eingriffe in Natürliches einzuschränken oder zu verbieten (vgl. Birnbacher 2006)? In diesem Zusammenhang erfolgt die Differenzierung zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit nicht ausschließlich in Bezug auf die Entstehungsgeschichte. So zieht Dieter Birnbacher neben dieser Unterscheidung zwischen genetischer Natürlichkeit und genetischer Künstlichkeit auch die Unterscheidung zwischen qualitativer Natürlichkeit und qualitativer Künstlichkeit in Betracht – qualitative Natürlichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass etwas eine natürliche Beschaffenheit oder Erscheinungsweise hat, wobei qualitative Künstlichkeit genau dann vorliegt, wenn die Beschaffenheit oder Erscheinungsweise von etwas künstlich ist (vgl. Birnbacher 2006, 7 ff.). Mit der Unterscheidung zwischen qualitativ Natürlichem und qualitativ Künstlichem ist somit noch nichts über die Genese der unterschiedenen Entitäten ausgesagt – aus diesem Grunde werde ich die Unterscheidung zwischen qualitativer Natürlichkeit und qualitativer Künstlichkeit an dieser Stelle vernachlässigen. 25 Natürlichkeit
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Rechnung trägt, die mit (K) zusammenstimmt: Von einem rein natürlichen Vorgang zu behaupten, er verletze Rechte, und das im wörtlichen und nicht etwa im übertragenen Sinne, wäre ein Kategorienfehler. Denn nur Akteur_ innen können sich einer Verletzung von Rechten schuldig machen. Dies wird etwa deutlich, wenn wir einen Fall betrachten, in dem jemand durch natürliche Umstände und ohne jegliches Zutun von Akteur_innen, etwa durch eine Erkrankung, körperliche Schädigungen erleidet: Wir würden in diesem Falle nicht davon sprechen, dass durch die schädigende Erkrankung ein Recht der_des Geschädigten auf körperliche Unversehrtheit verletzt worden ist, da es keine_n Akteur_in gibt, die_der für die Schädigung verantwortlich zeichnet. Analog verhält es sich mit Fällen, in denen Urheber_innen aufgrund rein natürlicher Prozesse Schäden entstehen, die ihre Bestimmungsrechte über diejenigen Gegenstände betreffen, für die sie als Urheber_innen verantwortlich zeichnen – beispielsweise, wenn durch ein Erdbeben ein Gegenstand so stark beschädigt wird, dass die Möglichkeiten seiner Nutzung durch seine_n Urheber_in oder Dritte hernach stark eingeschränkt sind. Auch in solchen Fällen erschiene die Behauptung, das Erdbeben habe die Rechte der Urheber_ innen verletzt, offenkundig als inadäquat. Beinhaltet die Entstehung einer Kopie hingegen künstliche Anteile, so sind Akteur_innen involviert, denen potenziell eine Verletzung von Rechten angelastet werden kann. Insofern erscheint die Annahme, dass die Unterscheidung zwischen natürlich entstandenen und künstlich hervorgebrachten Kopien das Kriterium (K) erfüllt, zunächst durchaus als naheliegend: Während die rein natürliche Genese von Kopien offenbar prinzipiell keine Rechte zu verletzen vermag, geht die künstliche Genese von Kopien auf Akteur_innen zurück, die sich durchaus einer Verletzung von Rechten schuldig machen können. Diesen Überlegungen zum Trotz eignet sich die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem jedoch keineswegs zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien. Eine grundlegende Einteilung anhand dieser Unterscheidung scheitert nämlich erstens daran, dass das Natürliche und das Künstliche keine klar voneinander abgegrenzten Kategorien darstellen.26 Die zweite Problematik, die einer grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien mithilfe der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künst26
Semantisch gewendet zeigt sich diese Problematik in der Vagheit der Prädikate »ist natürlich« und »ist künstlich«. Vage sind Prädikate genau dann, wenn es absolute Grenzfälle gibt, für die gänzlich unklar ist, ob ihnen das Prädikat zuzuschreiben ist oder nicht (vgl. Sorensen 2013). Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Grenzfällen stammt von Roy Sorensen (vgl. Sorensen 2001, Kapitel 1) und zielt darauf ab, Fälle, bei denen die Problematik der Grenzfälle prinzipiell unauflösbar ist, von solchen Fällen zu unterscheiden, bei denen sich mit den richtigen Mitteln eine Entscheidung im Hinblick
Inhaltliche Vorüberlegungen
lichem entgegensteht, liegt in der Multidimensionalität von Natürlichkeit und Künstlichkeit begründet, die in einer Inkommensurabilität resultiert: Die meisten Gegenstände lassen sich hinsichtlich des Maßes ihrer Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit nicht miteinander vergleichen, sodass unklar ist, ob sie in dieselbe Kategorie fallen. Kommen wir zunächst zur ersten Problematik: Der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem mangelt es am für eine grundlegende Einteilung der Klasse wesentlichen Potenzial, trennscharfe Kategorien zu bilden, denen die Elemente der Klasse eindeutig zuordenbar sind. Dies zeigt sich am Vorhandensein diverser Entitäten, die weder vollständig natürlich noch gänzlich künstlich entstanden sind, sondern in ihrer Entstehungsgeschichte sowohl natürliche als auch künstliche Anteile vereinen.27 Dass es eine Vielzahl solcher Entitäten gibt, wird deutlich, wenn wir die Gegenstände, die uns im Alltag begegnen, einmal im Hinblick auf ihre Zuordenbarkeit zu einer der beiden Kategorien prüfen. Dann zeigt sich nämlich, dass für einen Großteil der uns umgebenden Dinge eine eindeutige Zuordnung gar nicht möglich ist. Dieser Umstand tritt beispielsweise zutage, wenn wir uns fragen, ob die Bäume in einem von Menschen angelegten Wald natürlich oder künstlich sind: Zwar sind sie in gewisser Weise natürlich gewachsen, aber es sind von Menschenhand gepflanzte Bäume, und als solche waren sie Gegenstand diverser Entscheidungsprozesse; viele ihrer (relationalen) Eigenschaften verdanken sich menschlichen Handlungen. Die fraglichen Bäume sind also keineswegs gänzlich natürlich, denn dass Bäume dieser Art an genau diesem Ort zu finden sind, ist auch das Resultat absichtsvoller Akte. Somit lassen sich die in Frage stehenden Bäume nicht eindeutig unter eine der beiden Kategorien subsumieren. Beispiele wie dieses finden sich in großer Zahl, wenn wir die Gegenstände in den Blick nehmen, mit denen wir im Alltag zu tun haben. So lassen sich auch in der Klasse der Kopien viele Beispiele finden, die sich einer eindeutigen Zuordnung zum Natürlichen oder Künstlichen verweigern. An dieser Stelle sei exemplarisch auf drei solcher Beispiele verwiesen. Das erste Beispiel betrifft lebende Klone: Handelt es sich bei den Lebewesen, die Resultate des Klonierens sind, um natürliche oder um künstliche Entitäten?28 Für ihre Klassifikation als natürliche Entitäten spricht etwa, dass diese Klone leben und wachsen29 – dagegen spricht aber, dass sie ihre Existenz und einige auf die Zuschreibung der Prädikate fällen lässt: Absolute Grenzfälle sind inquiry resistant, relative Grenzfälle hingegen nicht (vgl. Sorensen 2013). 27 Vgl. Birnbacher 2006, 9. 28 Nicole Karafyllis hat zur Bezeichnung dieser Gegenstände den Ausdruck »Biofakte« geprägt, vgl. Karafyllis 2003. 29 Vgl. Karafyllis 2003.
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ihrer Merkmale tiefen menschlichen Eingriffen verdanken. Es erscheint als fraglich, wie diese Gründe zu gewichten sind, und auch eine intuitive Einordnung dürfte uns schwerfallen – lebende Klone changieren zwischen Natürlichem und Künstlichem. Wie verhält es sich nun mit der Nachbildung des Auwaldes, die den abstrakten Plan zum Bau einer Auwald-Nachbildung realisiert, auf den ich oben bereits zu sprechen gekommen bin? Die Bäume selbst erscheinen uns sicherlich eher als natürliche Entitäten, aber ihre minuziös geplante Anordnung geht auf einen hochgradig künstlichen Prozess zurück. Auch hier fällt es schwer, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob wir es mit einer künstlichen oder einer natürlichen Kopie zu tun haben, denn die fragliche Kopie vereint in sich ebenfalls sowohl künstliche als auch natürliche Aspekte und ist daher weder dem Natürlichen noch dem Künstlichen eindeutig zuordenbar. Betrachten wir schließlich als drittes Beispiel eine Kopie des Kunstobjekts the witness des niederländischen Künstlers Herman de Vries.30 Bei the witness handelt es sich um den Stamm eines Olivenbaums, den der Künstler – ohne jegliche vorherige Modifikation – als Kunstobjekt ausgestellt hat. Stellen wir uns nun eine Kopie dieses Kunstobjekts vor, die auch aus dem Stamm eines Olivenbaums besteht, wobei dieser Stamm allenfalls geringfügig bearbeitet wurde, um eine hinreichende Ähnlichkeit zu the witness zu gewährleisten. Denkbar wäre sogar, dass an dem Stamm, der als Ausgangsobjekt der Kopie herangezogen wird, ebenfalls keine Modifikation vorgenommen wird und dass die_der Kopist_in das erforderliche Maß der Ähnlichkeit zur Vorlage sicherstellt, indem sie_er einen Baumstamm auswählt und ausstellt, der dem Kunstobjekt von vornherein zum Verwechseln ähnlich sieht. Haben wir es nun mit einer künstlichen oder einer natürlichen Kopie zu tun? Fraglos ist die menschliche Einflussnahme auf den Stamm sowohl im Falle der Vorlage als auch im Falle der Kopie äußerst gering. Der Akt des Ausstellens aber scheint die Ausgangsobjekte auch ohne physische Eingriffe einer bedeutsamen Transformation zu unterziehen. Der Künstler de Vries transformiert den Olivenbaumstamm zum Kunstobjekt. Selbst, wenn wir der Kopie keinen Kunststatus zuerkennen wollen, so lässt sich wohl sagen, dass auch der Olivenbaumstamm, der die Kopie bildet, eine Wandlung erfahren hat. Diese Neukontextualisierung ist ein künstlicher (oder gar künstlerischer) Akt. Auch die Kopie von the witness lässt sich also nicht eindeutig als natürlicher oder als künstlicher Gegenstand kennzeichnen.31 30
Den Hinweis auf die Arbeiten von Herman de Vries verdanke ich Johannes Grave. die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem hier keine Einteilung zu leisten vermag, ordnet die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten, auf die ich im Folgenden zu sprechen kommen werde, die drei Beispiele 31 Während
Inhaltliche Vorüberlegungen
Die drei Beispiele illustrieren, was sich über eine große Zahl von Kopien sagen lässt: Sie würden zwar ohne menschliche Eingriffe nicht existieren, setzen sich aber andererseits aus Ausgangsmaterialien zusammen, deren Ursprung sich als mehr oder minder natürlich charakterisieren lässt – etwa aus Farben mit pflanzlichen Inhaltsstoffen, aus Holz oder Papier. Rein künstliche Kopien lassen sich hingegen kaum finden.32 Stellen wir darüber hinaus die Einflüsse in Rechnung, die Menschen mit oder ohne Absicht auf ihre Lebenswelt nehmen, so reduziert sich auch die Zahl der Kopien, die sich als rein natürlich bezeichnen lassen. Für Kopien gilt, was sich auch über andere Objekte sagen lässt: Die meisten fallen in einen Graubereich zwischen Natürlichem und Künstlichem. Ist aber aufgrund der Problematik der mangelnden Trennschärfe eine Einteilung der Klasse der Kopien mithilfe der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem ausgeschlossen? Zwar hat sich gezeigt, dass die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem aus sich heraus keine trennscharf voneinander abgegrenzten Kategorien bildet – aber daraus, so ließe sich einwenden, folge ja noch nicht, dass die Unterscheidung zum Kategorisieren nutzlos sei: Es könnte schließlich aufschlussreich sein, Kopien hinsichtlich ihres Maßes an Natürlichkeit oder Künstlichkeit miteinander zu vergleichen und so in mehreren Kategorien zusammenzugruppieren, um dann auf dieser Grundlage zu prüfen, ob sich zwischen den Kategorien eine (K) entsprechende, sinnvolle Grenzziehung vornehmen lässt. Allerdings ist auch eine solche Einteilung mittels der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem zum Scheitern verurteilt. Denn ihr steht eine zweite Problematik im Wege, die Problematik der Inkommensurabilität33: Wir haben es bei der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem mit einer eindeutig Kategorien zu: Bei den Klonen und der Reproduktion des Auwaldes handelt es sich jeweils um Kopien einer nicht-artifiziellen Vorlage, die selbst Artefakte sind. Die Kopie von the witness hingegen ist eine Kopie, die selbst ein Artefakt ist und ein Artefakt zur Vorlage hat. 32 Eine Ausnahme bilden abstrakte Kopien, die sich insofern als rein künstlich bezeichnen lassen, als sie überhaupt keine materiellen und damit offenbar auch keine natürlichen Bestandteile enthalten – denn es erscheint als sinnvolle Annahme, dass Natürlichkeit Materialität voraussetzt (vgl. dazu auch Birnbacher 2006, 9). Möglicherweise bilden digitale Kopien eine weitere Ausnahme – zwar mögen auch die für ihre Speicherung notwendigen Datenträger natürliche Bestandteile haben, allerdings lässt sich annehmen, dass die digitalen Entitäten selbst von ihren Speichermedien verschieden sind. 33 »Inkommensurabilität« ist ursprünglich ein Fachterminus aus der Mathematik und bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die mathematische Irrationalität des Längenverhältnisses von Strecken: Zwei Strecken a und b sind genau dann inkommensurabel, wenn es keine Einheitsstrecke c gibt, mit deren Hilfe a und b zugleich gemessen werden können.
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Unterscheidung zwischen Inkommensurablem zu tun, da es sich bei den Prädikaten »ist natürlich« und »ist künstlich« um multidimensionale34 Prädikate handelt, deren Dimensionen sich nicht gegeneinander abwägen lassen. Birnbacher unterscheidet in seiner Monographie über Natürlichkeit drei verschiedene Dimensionen menschlichen Eingreifens, nämlich die Eingriffstiefe, die Dichte der Wechselwirkungen und das Ausmaß der Intentionalität.35 Angesichts dieser Mehrdimensionalität menschlichen Eingreifens und des Mangels an einhelligen Intuitionen, wie diese Dimensionen miteinander zu verrechnen sind, zieht Birnbacher in Zweifel, dass die Entwicklung eines einheitlichen Maßstabs für die genetische Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit überhaupt möglich ist: »[E]s erscheint fraglich, ob man diese Dimensionen in einer intersubjektiv konsensfähigen Weise gewichten und in ein umgreifendes Maß der relativen Natürlichkeit und Künstlichkeit aggregieren kann«36. In Ermangelung eines einheitlichen Maßstabs verfügen wir aber über keinerlei Anhaltspunkte, wann wir zwei Gegenstände gerechtfertigterweise derselben Kategorie zuordnen dürfen. Ist ein Holzhaus im selben Maß 34 Viele
vage Prädikate sind eindimensional, wie z. B. die Prädikate »ist groß« und »ist klein«. Diese Prädikate zeichnen sich dadurch aus, dass Entitäten anhand eines einzelnen Kriteriums und damit aufgrund einer einzigen Dimension hinsichtlich der Eigenschaft, die im Prädikat zum Ausdruck kommt, geordnet werden; so ordnet das Prädikat »ist groß« Entitäten einzig und allein gemäß ihrer Größe (vgl. dazu auch McNally und Stojanovic 2017). Vagheit kommt aber nicht nur eindimensionalen Prädikaten zu, sondern auch multidimensionalen Prädikaten wie »ist gesund«: Ob jemand gesund ist, ermisst sich an ganz unterschiedlichen Kriterien bzw. Dimensionen, darunter etwa Blutdruck, Cholesterinspiegel, Blutzucker, dem Vorliegen von Erkältungen, Krebserkrankungen usw. – damit ist das Prädikat »ist gesund« ein typisches Beispiel für ein multidimensionales Prädikat (vgl. dazu auch Sassoon 2013, 335). Viele multidimensionale Prädikate – so auch das Prädikat »ist gesund« – weisen über die Vagheit hinaus ein weiteres Problem auf, nämlich das Problem, dass unklar ist, wie die einzelnen Dimensionen zu gewichten sind, wenn mehrere Entitäten geordnet werden sollen: Im Falle des Prädikats »ist gesund« ist bspw. unklar, ob jemand, der gute Blutzuckerwerte hat, aber eine schwere Erkältung, gesünder ist als jemand mit schlechten Blutzuckerwerten, der nicht erkältet ist. Die Entitäten, denen wir Gesundheit zuschreiben können, sind hinsichtlich des Grades an Gesundheit also miteinander inkommensurabel – sie lassen sich nicht in einer Weise vergleichen, die es ermöglichen würde, zu ermitteln, welcher Entität mehr Gesundheit zukommt und welcher weniger. Einige Unterscheidungen, die multidimen sionale Prädikate enthalten, bringen also über das Vagheitsproblem hinaus ein Inkommensurabilitätsproblem mit sich – so auch die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem. Da Multidimensionalität, sofern sie mit Inkommensurabilität einhergeht, Vagheit logisch impliziert (vgl. Asgeirsson 2015, 427), ist auch die zweite Problematik hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem aus semantischer Perspektive letztlich eine Problematik der Vagheit. 35 Vgl. Birnbacher 2006, 9 ff. 36 Birnbacher 2006, 9.
Inhaltliche Vorüberlegungen
natürlich wie der Inhalt einer Schale mit Gurkensalat oder eine Perücke aus Naturhaar? Alle drei Gegenstände sind ohne Frage durch die Bearbeitung von Substanzen entstanden, die eher natürlich als künstlich sind. Wie aber sollte es uns gelingen, zu durch einen Konsens intersubjektiv beglaubigten prozentualen Angaben wie »alle drei Gegenstände weisen 33 % Künstlichkeit und 67 % Natürlichkeit auf« o. ä. zu gelangen? Wir entbehren einer Grundlage, auf der sich ermitteln ließe, ob zwei Gegenstände gleichermaßen natürlich oder künstlich sind. Wir können daher von einer Inkommensurabilität im Hinblick auf die Natürlichkeit bzw. die Künstlichkeit von Gegenständen sprechen: Es gibt keinen Maßstab c, mit dessen Hilfe die Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit von zwei Gegenständen a und b zugleich gemessen werden kann. Selbst eine Einteilung, die Gegenstände hinsichtlich ihres Maßes an Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit zusammengruppiert und auf diese Weise mehrere Kategorien erzeugt, lässt sich daher nicht vornehmen. Kopien bilden hier keine Ausnahme – so lässt sich nicht sagen, wie die oben genannten Beispiele für Kopien mit unklarem Status miteinander zu vergleichen wären: Ist der lebende Klon natürlicher oder künstlicher als die Kopie des Auwaldes oder die Kopie von the witness? Oder weisen die drei Beispiele das gleiche Maß an Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit auf? Es ist vollkommen unklar, wie diese Fragen zu beantworten sind: Es lässt sich keine Einteilung der Klasse der Kopien mithilfe von Vergleichen des Maßes der Natürlichkeit oder Künstlichkeit der in der Klasse enthaltenen Objekte vornehmen. Die Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem erweist sich somit aufgrund der Problematiken der mangelnden Trennschärfe und der Inkommensurabilität als ungeeignet, eine sinnvolle Einteilung der Klasse der Kopien zu leisten. Die Unterscheidung vermag Objekte der Klasse somit auch nicht entsprechend dem Kriterium (K) einzuteilen. Nun ist sie aber keineswegs die einzige Unterscheidung, die Entitäten anhand der Frage unterscheidet, ob Akteur_innen bei ihrer Entstehung eine Rolle zukommt oder nicht – so differenziert die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten Gegenstände danach, ob für ihr Entstehen Akteur_innen in besonderer Weise verantwortlich zeichnen. Ich werde daher nun auf diese Unterscheidung zu sprechen kommen und zeigen, warum sie sich im Gegensatz zur Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem zur hier angezielten grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien eignet.
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34 Vorüberlegungen
Die Eignung der Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten zur grundlegenden Einteilung der Klasse der Kopien
Ein erster Zugriff darauf, was Artefakte ausmacht, nimmt ebenfalls wesentlich auf deren Genese Bezug: Ein Artefakt ist ein absichtsvoll hergestellter Gegenstand, wobei sich die Absicht auf die Herstellung des Gegenstands sowie auf einige Aspekte seiner Ausgestaltung richtet.37 Für die Genese von Artefakten spielen Akteur_innen somit eine entscheidende Rolle – ohne die Einwirkung durch Akteur_innen entsteht kein Artefakt.38 Damit erscheint auch die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten prima facie als aussichtsreiche Kandidatin zur Einteilung der Klasse der Kopien gemäß (K): Wie ich bereits im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem dargelegt habe, setzt eine Verletzung von Rechten voraus, dass es eine_n Akteur_in gibt, die_der sich einer solchen Verletzung schuldig machen kann. Nun zeichnet für die Entstehung von Kopien, die Artefakte sind, ein_e Akteur_in verantwortlich: Die Herstellung durch eine_n Akteur_in ist eine conditio sine qua non dafür, dass diese Kopien zur Existenz kommen. Kopien, die keine Artefakte sind, kommen hingegen auch dann zur Existenz, wenn keinerlei Einwirkung durch eine_n Akteur_in erfolgt.39 Es 37
Vgl. Bahr 2013, 284. In der Einwirkung durch Akteur_innen lässt sich gewissermaßen ein Bedeutungskern erblicken, den verschiedene in den wissenschaftlichen Disziplinen gebräuchliche Artefaktbegriffe miteinander teilen. Im Folgenden wird sich jedoch zeigen, dass diejenigen Gegenstände, die Artefakte im Sinne dieser Studie sind, ihre Existenz einzig der absichtsvollen Einwirkung durch Akteur_innen verdanken; es handelt sich hingegen nicht um Artefakte in einem bestimmten archäologischen oder medizinisch-diagnostischen Sinn, die als solche Produkte unabsichtlicher Einwirkungen durch Akteur_innen sind. In Abschnitt 1.2.1 komme ich auch auf Artefaktbegriffe zu sprechen, die Produkte unabsichtlicher Einwirkungen unter sich versammeln – darunter Artefaktbegriffe aus der Archäologie, der Diagnostik und der Mikroskopie –, und zeige auf, warum eine analytische Definition des für diese Studie maßgeblichen Begriffs Artefakt, die auch Artefaktbegriffe aus den entsprechenden Disziplinen berücksichtigt, nicht als sinnvoll erscheint. Nichtsdestotrotz verspricht die Beschäftigung mit Artefaktbegriffen, unter die unbeabsichtigt hervorgebrachte Gegenstände fallen, wichtige Einsichten, wie sich nachfolgend zeigen wird: In Abschnitt 2.1.1 befasse ich mich mit dem Einwand von den nicht beabsichtigten oder unerwünschten Artefakten, der den Ausschluss unbeabsichtigt entstandener Gegenstände aus der Klasse der Artefakte in Frage stellt. Anlässlich dieses Einwands lege ich dar, warum unter den dieser Studie zugrunde liegenden Begriff Artefakt ausschließlich Gegenstände fallen, die Resultate der absichtsvollen Einwirkung durch Akteur_innen sind. 39 Das heißt nicht, dass nicht auch im Falle von Kopien, die keine Artefakte sind, Akteur_innen Einfluss auf ihre Entstehung nehmen können – etwa, indem sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine Kopie entsteht, die kein Artefakt ist. Ohne Frage 38
Inhaltliche Vorüberlegungen
erscheint als plausibel, dass die Verantwortung, die ein_e Akteur_in für die Verletzung von Rechten Dritter durch einen von ihr_ihm initiierten, in einer Kopie resultierenden Kopierprozess trägt, mit ihrer_seiner Verantwortung für das Entstehen der fraglichen Kopie korreliert ist: Für eine Verletzung von Rechten ist die Beteiligung von Akteur_innen notwendig – suchen wir nach Kopien, deren Genese potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzt, so liegt die Annahme nahe, dass es sich bei diesen Kopien um solche handelt, die auch in ihrer Genese notwendig eine_n Akteur_in voraussetzen. Auf der Suche nach Kopien, deren Genese nicht das Potenzial zukommt, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen zu verletzen, erscheint es hingegen als lohnenswert, einen Blick auf solche Kopien zu werfen, die für ihre Entstehung keiner Akteur_innen bedürfen – denn ohne Akteur_in kann es auch nicht zu einer Verletzung von Rechten kommen. Der Rückgriff auf die Unterscheidung zwischen Artefakten und NichtArtefakten kann uns insofern von Nutzen sein, als die Unterscheidung tatsächlich eine grundlegende Einteilung der Klasse der Kopien entsprechend dem Kriterium (K) zu leisten vermag, wie ich im Folgenden darlegen werde. Zunächst aber sei einem Einwand vorgebeugt, der das Verhältnis der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem und der Unterscheidung zwischen Nicht-Artefakten und Artefakten betrifft: Es könnte doch als plausibel erscheinen, so ließe sich einwenden, dass diese beiden Unterscheidungen zusammenfallen – sind Artefakte nicht einfach künstliche Dinge, und umfasst das Natürliche nicht genau diejenigen Dinge, die keine Artefakte sind? Wäre dies tatsächlich der Fall, dann wäre mit dem oben gegebenen Nachweis der mangelnden Eignung der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem für die grundlegende Einteilung der Klasse der Kopien bereits gezeigt, dass auch die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten sich nicht zur Einteilung der Klasse eignet. Jedoch weist die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten so, wie ich sie im Folgenden entfalten werde40, die beiden Probleme der mangelnden Trennschärfe und der Inkommensurabilität gerade nicht auf: Eine Entität ist nach diesem Verständnis entweder ein Artefakt, oder sie ist es eben gibt es Fälle, in denen sich nicht ohne Weiteres entscheiden lässt, ob ein_e Akteur_in lediglich den Weg zur Entstehung einer Kopie geebnet hat oder dessen_deren Eingriff es rechtfertigt, davon zu sprechen, dass die Kopie ein Artefakt ist, weil die Kopie ohne diesen Eingriff nicht entstanden wäre. Es scheint mir jedoch auf der Hand zu liegen, dass dieser Umstand der Leistungsfähigkeit der Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten zur Einteilung der Klasse der Kopien keinen Abbruch tut. 40 Abschnitt 2.1.3 dieser Studie ist der Definition des Artefaktbegriffs gewidmet, der diesem Verständnis zugrunde liegt.
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nicht41 – es gibt keine Grade des Artefaktseins, wohingegen es durchaus Grade des Künstlichen gibt. Damit stellt sich auch nicht die Problematik der Inkommensurabilität, denn da es keine Grade des Artefaktischen gibt, ergibt sich gar nicht erst die Notwendigkeit, Entitäten hinsichtlich des Grades ihrer Artefaktizität42 miteinander zu vergleichen, um sie zu kategorisieren. Der Einwand, die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten falle mit der Unterscheidung zwischen Künstlichem und Natürlichem zusammen und diese sei daher aus den gleichen Gründen ungeeignet für eine Einteilung der Klasse der Kopien wie jene, vermag also im Lichte des hier vorausgesetzten Verständnisses der Unterscheidung zwischen Artefakten und NichtArtefakten nicht zu überzeugen. Kommen wir daher nun auf die Frage nach der Eignung der Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten zur Einteilung der Klasse der Kopien entsprechend dem Kriterium (K) zurück. Ich habe oben bereits dargelegt, warum prima facie die Annahme naheliegt, dass sich die Unterscheidung zu einer derartigen Einteilung eignet. Allerdings fällt bei näherer Betrachtung auf, dass die Unterscheidung zwischen Kopien, die selbst Artefakte sind, und Kopien, die dies nicht sind, (K) noch nicht gerecht zu werden vermag. Denn dass eine Kopie selbst ein Artefakt ist, reicht offensichtlich nicht dafür hin, dass ihre Herstellung potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen verletzt: Eine Verletzung von Rechten setzt schließlich nicht nur eine_n Verletzer_in der Rechte voraus, sondern auch, dass überhaupt entsprechende Rechte vorliegen, die Gegenstand einer Verletzung werden können. Eine Kopie kann ohne Frage selbst ein Artefakt sein, ohne zugleich die Kopie von etwas zu sein, mit dem moralische oder juridische Rechte zusammenhängen. Dies gilt etwa für die absichtsvoll hergestellte Kopie eines ohne menschliches Zutun entstandenen Steins, mit dem keinerlei Rechte von Urheber_innen verknüpft sind. Es ist offen41 Es
mag Grenzfälle geben, bei denen sich nicht ohne Weiteres sagen lässt, ob wir es mit Artefakten zu tun haben oder nicht. Diese Schwierigkeit hängt jedoch nicht etwa damit zusammen, dass die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten nicht trennscharf ist: Es kann mitunter schlicht unklar sein, ob ein Gegenstand die Bedingungen für den Artefaktstatus erfüllt. Daraus folgt aber keineswegs, dass der Gegenstand sowohl ein Artefakt als auch kein Artefakt (bzw. lediglich zu einem bestimmten Grad ein Artefakt) ist. 42 Der artefaktphilosophische terminus technicus »Artefaktizität«, der im Folgenden noch einige Male Verwendung finden wird, bezeichnet das Artefaktsein von etwas – analog etwa zum Ausdruck »Faktizität«, der »das Faktum in seinem Faktum-sein« (Gadamer 1987, 422) erfasst (und der sich prominent in Jürgen Habermas’ Buch Faktizität und Geltung findet). Von Artefaktizität in diesem Sinne ist u. a. bei Maria Reicher (2013, 226) und Reinold Schmücker (2013, 215; 216) die Rede.
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sichtlich, dass nur dann die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen verletzt werden, wenn sich mit der Vorlage der Kopie derartige Rechte verbinden. Aber auch diese Schwierigkeit lässt sich unter Rückgriff auf die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten lösen. Denn wir können die Unterscheidung nicht nur auf die Kopien selbst beziehen, sondern auch auf ihre Vorlagen – und damit genau die Vorlagen herausgreifen, mit denen Bestimmungsrechte von Urheber_innen verknüpft sind: Wie ich in Kapitel 2.3 ausführlich darlegen werde, handelt es sich bei den Schöpfungen, an denen Urheber_innen Bestimmungsrechte haben, um abstrakte Artefakte, nämlich um Design-Pläne – und es sind konkrete Artefakte, die diese Design-Pläne realisieren. Die Bestimmungsrechte von Urheber_innen beziehen sich somit unmittelbar auf abstrakte Artefakte, denn es handelt sich bei den Bestimmungsrechten um Rechte an diesen abstrakten Artefakten. Zudem beziehen sich die Bestimmungsrechte mittelbar auf konkrete Artefakte, denn in den konkreten Artefakten manifestieren sich die geistigen Schöpfungen, an denen Urheber_innen Bestimmungsrechte zukommen. Eine Kopie, die ein konkretes Artefakt zur Vorlage hat, kann daher ebenso die Bestimmungsrechte einer urhebenden Person an ihrer_seiner geis tigen Schöpfung verletzen wie eine Kopie, die von dem abstrakten Artefakt ausgeht, an dem die_der Urheber_in die Rechte hat.43 Wenden wir die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten nun sowohl auf die Kopien selbst als auch auf ihre Vorlagen an, so erhalten wir die folgende, viergliedrige Kategorisierung der Klasse der Kopien: (i) (ii) (iii) (iv)
Kopien von Artefakten, die selbst Artefakte sind, Kopien von Nicht-Artefakten, die selbst Artefakte sind, Kopien von Artefakten, die selbst keine Artefakte sind, Kopien von Nicht-Artefakten, die selbst keine Artefakte sind.
Damit deutlicher wird, was wir uns unter den Phänomenen vorzustellen haben, die in die vier Kategorien (i), (ii), (iii) und (iv) fallen, werde ich im Folgenden für jede Kategorie paradigmatische Beispiele angeben. Zu den Kopien des Typs (i) zählen beispielsweise mit einem Kopierer angefertigte Abzüge eines handschriftlichen Manuskripts, Kunstdrucke von Gemälden, aber auch Fälschungen technischer Geräte wie etwa Smartphones sowie wissenschaft43
Der Unterscheidung zwischen Artefaktkopien, die konkrete Artefakte zur Vorlage haben, und Artefaktkopien, deren Vorlage ein abstraktes Artefakt ist, kommt im Rahmen meiner Theorie der Artefaktkopie eine zentrale Bedeutung zu – sie schlägt sich auch in der viergliedrigen Definition des Begriffs Artefaktkopie nieder, die ich in Abschnitt 3.1.2 vorlege.
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38 Vorüberlegungen
liche Plagiate und Coverversionen von Popsongs. Paradigmatische Beispiele für Kopien des Typs (ii) sind durch Klonieren erzeugte DNA-Fragmente, aber auch Kunstblumen, die solche Blumen imitieren, die selbst keine Artefakte sind, oder Aromastoffe, die nicht-artifizielle Aromen kopieren. Paradigmatische Beispiele für Kopien des Typs (iii) sind weniger leicht zu finden, aber es gibt sie dennoch: Wenn etwa eine künstlich erzeugte Stammzelle, die in einen Organismus zurückinjiziert wird, sich vermehrt, dann ist das Resultat eine Kopie, die zwar selbst kein Artefakt ist, aber ein Artefakt zur Vorlage hat. Paradigmatische Beispiele für Kopien des Typs (iv) finden sich schließlich u. a. im Gegenstandsbereich der Genetik: Lebende Zellen erzeugen Kopien von DNA – diesen Vorgang bezeichnet man als Replikation. Bei den Resultaten dieser Replikation handelt es sich um Kopien, die weder selbst Artefakte sind noch Artefakte zur Vorlage haben. Können wir nun also mithilfe der getroffenen Unterscheidung zwischen den vier Typen von Kopien eine Grenze ziehen, um die Klasse der Kopien entsprechend dem Kriterium (K) einzuteilen? Der Genese von Kopien des Typs (i) kommt offenkundig das Potenzial zu, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen zu verletzen: Da die Vorlage der Kopie ein Artefakt ist, können sich auf sie mittelbar oder unmittelbar Urheber_innen-Bestimmungsrechte beziehen. Auch ist die Kopie selbst ein Artefakt und setzt damit für ihre Genese notwendig eine_n Akteur_in voraus, die_ der als Verletzer_in von Rechten in Frage kommt. Anders verhält es sich aber mit Kopien der Typen (ii), (iii) und (iv): Für Kopierprozesse, die in Kopien des Typs (ii) resultieren, zeichnen zwar Akteur_innen verantwortlich, aber niemandem lassen sich plausiblerweise Rechte zuschreiben, die mit den Vorlagen dieser Kopien in Zusammenhang stehen. Da es keine Rechteinhaber_innen gibt, kommt der Genese von Kopien des Typs (ii) auch nicht das Potenzial zu, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen zu verletzen. In Kopierprozesse, die Kopien der Typen (iii) und (iv) hervorbringen, ist hingegen niemand involviert, die_der sich einer Rechtsverletzung schuldig machen könnte. Im Falle von Kopien des Typs (iv) gibt es sogar weder eine_n Rechteinhaber_in noch jemanden, die_der so in die Genese der Kopie involviert ist, dass sie_er dadurch Rechte verletzen könnte. Eine Einteilung entsprechend dem Kriterium (K) erhalten wir also offenbar, wenn wir Kopien des Typs (i) von Kopien der Typen (ii), (iii) und (iv) unterscheiden. Mithilfe der Unterscheidung zwischen Kopien des Typs (i) und Kopien der Typen (ii), (iii) und (iv) lässt sich nun der Gegenstandsbereich der vorliegenden Studie eingrenzen.
Inhaltliche Vorüberlegungen
1.1.3 Der Gegenstandsbereich dieser Studie: Artefakte und Artefaktkopien
Das Kriterium (K) sollte uns dazu dienen, Kopien herauszugreifen, auf die sich ein primäres Erkenntnisinteresse dieser Studie richtet, und sie von anderen Kopien zu unterscheiden. Dieses Erkenntnisinteresse habe ich zunächst so bestimmt, dass es Kopien betrifft, deren Genese das Potenzial zur Verletzung der Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen hat. Die Unterscheidung zwischen Kopien des Typs (i) und Kopien der Typen (ii), (iii) und (iv) lässt sich somit für die Eingrenzung des Gegenstandsbereichs der vorliegenden Studie fruchtbar machen. Wie ich dargelegt habe, gibt es eine Reihe guter Gründe für die Annahme, dass es Kopien des Typs (i) sind, deren Entstehen das Potenzial zukommt, solche Bestimmungsrechte zu verletzen. Auch hat sich gezeigt, dass denjenigen Kopien, die den Typen (ii), (iii) und (iv) angehören, dieses Potenzial offenbar nicht zukommt. Prima facie bietet es sich also an, auch den Gegenstandsbereich dieser Studie so zu bestimmen, dass alle Kopien des Typs (i) hineinfallen. Bei näherer Betrachtung legt sich allerdings eine Beschränkung nahe. Denn zu den Typ-(i)-Kopien zählen sowohl Kopien erster als auch Kopien zweiter und höherer Ordnung: Kopien erster Ordnung zeichnen sich dadurch aus, dass es sich bei ihnen um Kopien von Gegenständen handelt, die ihrerseits keine Kopien sind. Neben diesen Kopien gibt es aber auch Kopien zweiter und höherer Ordnung, also Kopien von Kopien sowie Kopien von Kopien, deren Vorlagen ebenfalls Kopien sind, usw. Zwar erscheint es als plausibel, dass sowohl Kopien des Typs (i), die Kopien erster Ordnung sind, als auch Kopien des Typs (i), bei denen es sich um Kopien zweiter oder höherer Ordnung handelt, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzen können. Allerdings gestalten sich die Fälle, in denen wir es mit solchen Kopien zweiter und höherer Ordnung zu tun haben, äußerst kompliziert. So muss eine Kopie z, deren Vorlage y eine Kopie eines Originals x ist, mit x nicht sonderlich viel gemein haben – denn die Relation Hat-signifikante-Ähnlichkeit-mit ist nicht transitiv. Wir können uns dies an einem Beispiel44 vor Augen führen: Mein Büro ziert eine seinerzeit im Berliner Kunsthaus Tacheles erworbene Kopie der Mona Lisa, für die die belarussische Künstlerin Ludmila Michailovna Kalmaeva verantwortlich zeichnet. Das Besondere an dieser Kopie ist, dass sie eine Frau zeigt, deren Gesichtszüge, Bekleidung und Pose denen der Frau in Leonardo da Vincis Gemälde unverkennbar ähneln, die jedoch vor einer Kachelwand posiert, vor ihr ein Teller mit einigen Münzen und über ihr ein 44
Dieses Beispiel und die daran anschließenden Überlegungen finden sich ebenso in Bahr 2020.
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40 Vorüberlegungen
Schild mit Piktogrammen und Pfeilen, das den Weg zur Damentoilette und zur Herrentoilette weist: die Mona Lisa als Klofrau. Nun könnte ich ohne Weiteres eine Kopie dieser Kopie anfertigen, indem ich minuziös den Bildaufbau, die Farbgebung und die vielen kleinen Details der Mona-Lisa-Kopie von Kalmaeva – den Teller mit vier Münzen, die einzelnen Kacheln an der Wand, das schwarzweiße Schild mit den Piktogrammen usw. – übernehme. Statt einer Frau könnte meine Kopie der Kopie jedoch einen Toilettenmann zeigen, der zwar die Pose der Frau übernimmt, aber statt eines Gewands einen Pullover und keine langen Haare, sondern eine Kurzhaarfrisur trägt. Es ist durchaus denkbar, dass es mir gelingt, auf diese Weise eine Kopie zu produzieren, die der Mona-Lisa-Kopie von Kalmaeva offenkundig sehr stark ähnelt, ohne jedoch dem Original in nennenswertem Umfang zu gleichen: Beim Anblick des Toilettenmannes, den meine Kopie zeigt, und der mit der Frau auf Leonardo da Vincis Gemälde allenfalls die Pose gemein hat, käme uns nicht in den Sinn, dass meine Kopie etwas mit Leonardo da Vincis Gemälde zu tun hat. Meine Kopie zweiter Ordnung ist zwar eine Kopie der Mona-Lisa-Kopie von Kalmaeva, die dieser signifikant ähnelt, aber sie weist keine signifikante Ähnlichkeit mit Leonardo da Vincis Mona Lisa auf. Nun stellt das Bestehen einer bestimmten signifikanten Ähnlichkeit aber eine unabdingbare Voraussetzung für die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung einer Kopie dar (– auf diesen Umstand komme ich später noch ausführlich zu sprechen): In der signifikanten Ähnlichkeit, die Kopien mit den Gegenständen von Bestimmungsrechten aufweisen, liegt das Potenzial von Kopien zur Verletzung von Bestimmungsrechten begründet. Da signifikante Ähnlichkeit jedoch nicht transitiv ist, kann es Fälle geben, in denen die Herstellung einer Kopie erster Ordnung y aufgrund von ys Ähnlichkeit mit einem Original x die Bestimmungsrechte an x verletzt, während die Genese der Kopie zweiter Ordnung z, die y zur Vorlage hat – trotz der Ähnlichkeit, die y und z zueinander aufweisen – Bestimmungsrechte am Original x gar nicht zu tangieren vermag: Bestünden an Leonardo da Vincis Mona Lisa auch hunderte von Jahren nach Leonardos Tod noch Bestimmungsrechte, so könnten diese durch die Anfertigung der Kopie von Kalmaeva verletzt worden sein. Durch meine Kopie der Kalmaeva-Kopie können jedoch keine Bestimmungsrechte an der Mona Lisa verletzt worden sein, denn meine Kalmaeva-Kopie ist der Mona Lisa nicht signifikant ähnlich. Aber es ist ebenso denkbar, dass die Genese einer Kopie zweiter Ordnung z, die eine Kopie erster Ordnung y zur Vorlage hat, Bestimmungsrechte am Original x aufgrund des Vorliegens einer signifikanten Ähnlichkeit verletzt, während zwischen y und x eine signifikante Ähnlichkeit besteht, ohne dass die Anfertigung von y Bestimmungsrechte an x verletzt. Denn die_der Urhe-
Inhaltliche Vorüberlegungen
ber_in von x könnte die_den Kopierenden, die_der y hervorgebracht hat, zur Produktion von Kopien autorisiert haben, wohingegen die_der Kopist_in, der_dem sich die Existenz von z verdankt, nicht über eine Berechtigung zur Herstellung von Kopien verfügte. Machen wir uns dies mithilfe einer Variante des soeben skizzierten Beispiels klar: Bestünden an der Mona Lisa noch Bestimmungsrechte und hätte die_der Inhaber_in dieser Rechte Kalmaeva dazu autorisiert, ihre Kopie herzustellen, dann hätte die Herstellung dieser Kopie trotz der signifikanten Ähnlichkeit zum Original keine Bestimmungsrechte verletzt. Hätte ich hingegen auf der Grundlage der Kalmaeva-Kopie eine Kopie zweiter Ordnung hervorgebracht, die nicht nur der KalmaevaKopie, sondern auch der Mona Lisa signifikant ähnelt, ohne dass ich vom Inhaber der Bestimmungsrechte zur Produktion dieser Kopie autorisiert war, dann hätte ich mit der Herstellung meiner Kopie zweiter Ordnung diese Bestimmungsrechte sehr wohl verletzt. Damit ist nur angedeutet, wie vielfältig und komplex sich die Konstellationen gestalten, die zu berücksichtigen wären, wenn allen Artefakten, bei denen es sich um Kopien welcher Ordnung auch immer handelt, und deren Vorlagen ebenfalls Artefakte sind, Rechnung getragen werden sollte. Um eine grundlegende Theorie der Artefakte und ihrer Kopien zu erarbeiten, die auch als Basis einer angemessenen Analyse der komplexen Konstellationen, auf die von Kopist_innen hervorgebrachte Kopien zweiter und höherer Ordnung verweisen, notwendig erscheint, beschränke ich mich im Folgenden auf Kopien des Typs (i), die Kopien erster Ordnung sind, und verzichte auf die Berücksichtigung von Kopien höherer Ordnung desselben Typs. Auf Typ-(i)-Kopien erster Ordnung beziehe ich mich mit dem Terminus »Artefaktkopien«. Auf sämtliche Kopien, die den Typen (ii), (iii) und (iv) zuzuordnen sind, sowie auf Kopien zweiter und höherer Ordnung des Typs (i) nehme ich hingegen allgemein mit dem Ausdruck »Kopien, die keine Artefaktkopien sind« Bezug. Den kardinalen Gegenstandsbereich dieser Studie bildet also die Klasse der Artefaktkopien – außerhalb des Gegenstandsbereichs liegen hingegen Kopien, die keine Artefaktkopien sind. Indes erscheint es als sinnvoll, den Gegenstandsbereich der Studie auf die gesamte Klasse der Artefakte zu erweitern. Denn bei Artefakten handelt es sich um die Gegenstände solcher Bestimmungsrechte, die potenziell durch die Entstehung von Artefaktkopien verletzt werden können. Zudem ist jede Artefaktkopie zugleich ein Artefakt – vor diesem Hintergrund ist eine Theorie der Artefakte nicht nur für sich genommen, sondern auch im Hinblick auf Artefaktkopien erhellend für die Fragestellungen und Probleme, denen diese Studie gewidmet ist. Wie leistungsfähig und überzeugend eine Theorie ist, die Artefaktkopien als Kopien begreift, die potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen
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42 Vorüberlegungen
an ihren geistigen Schöpfungen verletzen, muss sich freilich erst noch im Detail erweisen. Auch ein Nachweis der Plausibilität einer Theorie, die Artefakte als Gegenstände der Bestimmungsrechte von Urheber_innen versteht, ist im Folgenden zu erbringen. Dabei bietet sich für das weitere Vorgehen eine bestimmte Reihenfolge an: Während für die Wahl des Gegenstandsbereichs dieser Studie primär ein auf das Phänomen der Kopie fokussiertes Erkenntnisinteresse maßgeblich war, soll die in dieser Studie entwickelte Theorie ihren Anfang bei den Artefakten nehmen. Denn Artefakte sind nicht nur in ontologischer Hinsicht primär, da jeder Artefaktkopie ein Artefakt als Vorlage vorausgeht. Ihnen muss auch insofern ein vorrangiges Interesse gelten, als der gesamte Gegenstandsbereich dieser Studie von Artefakten bevölkert wird – nämlich einerseits von den (möglichen) Vorlagen der Artefaktkopien, an denen Bestimmungsrechte bestehen, und andererseits von den Artefaktkopien selbst. Die Erschließung des Gegenstandsbereichs dieser Studie vollzieht sich also vom Allgemeinen zum Speziellen: Der Entwicklung einer Theorie über die allgemeine Kategorie der Artefakte, die alle Gegenstände unter sich vereint, mit denen diese Studie sich auseinandersetzt, dient der zweite Teil dieser Studie. Diese Artefakttheorie bildet den Hintergrund, vor dem im dritten Teil der Studie eine Theorie entfaltet wird, die die speziellere Kategorie der Artefaktkopien betrifft. Wie wir sehen werden, kann die in dieser Studie ausgearbeitete Theorie der Artefakte uns einen erhellenden Zugriff auf die Gegenstände dieser Studie verschaffen. Nicht nur dient diese Theorie zur präziseren Umgrenzung des Gegenstandsbereichs der Studie – auch die Ontologie der in diesen Bereich fallenden Gegenstände und die Bedingungen ihrer Herstellung werden einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Vor allem aber wird dargelegt, inwiefern sich Artefakte als Gegenstände von Urheber_innen bestimmungsrechten verstehen lassen. Es wird sich zudem zeigen, dass die Theorie der Artefaktkopie, die hier vorgeschlagen wird, in vielerlei Hinsicht ein tieferes Verständnis von urheberrechtsverletzenden Kopierhandlungen und den aus ihnen hervorgehenden Kopien ermöglicht. Denn sie erhellt nicht nur die spezifischen Gemeinsamkeiten von Artefaktkopien, die es rechtfertigen, diese Entitäten trotz all ihrer Disparatheit unter einen Begriff zu fassen. Sie gibt darüber hinaus auch Aufschluss über die Seinsweise von Artefaktkopien und unterscheidet auf der Grundlage artefaktontologischer Erwägungen vier allgemeine Arten von Artefaktkopien. Auf diese Weise würdigt die vorgeschlagene Theorie auch die Verschiedenheiten innerhalb des Gegenstandsbereichs der Artefakt kopien. Schließlich werden mit der Verletzung von Bestimmungsrechten einhergehende Kopierhandlungen sowie ihre Resultate in den Blick genommen,
Methodologische Vorüberlegungen
wobei der Unterscheidung zwischen moralisch illegitimen und moralisch legitimen Verletzungen von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von Kopien eine zentrale Rolle zukommt. Aus den vorhergehenden Überlegungen ergibt sich, dass für diese Studie zwei Begriffe maßgeblich sind: ein Begriff des Artefakts, der unter sich sämtliche Gegenstände dieser Studie – sowohl Artefaktkopien als auch deren (mögliche) Vorlagen – vereint, aber auch ein Begriff der Artefaktkopie, unter den Kopien erster Ordnung fallen, deren Genese das Potenzial zur Verletzung der Bestimmungsrechte von Urheber_innen aufweist und denen innerhalb der Studie insofern ein spezielles Interesse gilt. Um sich dem Gegenstandsbereich dieser Studie zu nähern, bedürfen wir einer Definition dieser beiden Begriffe – die nachfolgenden methodologischen Vorüberlegungen legen die definitorischen Methoden offen, deren ich mich dabei bediene.
1.2 Methodologische Vorüberlegungen
Im Zuge der inhaltlichen Vorüberlegungen ist deutlich geworden, dass die Begriffe Artefakt und Artefaktkopie45 für diese Studie wesentlich sind, denn der Gegenstandsbereich, der einer Untersuchung unterzogen werden soll, umfasst die Klasse der Artefakte im Allgemeinen sowie die Klasse der Artefaktkopien im Speziellen. Um herauszustellen, was diejenigen Entitäten auszeichnet, die in diesen Gegenstandsbereich fallen, werde ich die beiden für die Studie wesentlichen Begriffe definieren – diesem Unterfangen widme ich mich jeweils zu Beginn der noch folgenden Teile über Artefakte (zweiter Teil) und Artefaktkopien (dritter Teil). Allerdings bediene ich mich dazu zweier unterschiedlicher Arten des Definierens: Während ich den Begriff Artefakt 45
Hier und im Folgenden kennzeichne ich die Rede von Begriffen dadurch, dass ich Kapitälchen gebrauche (s. o.); diese Konvention haben u. a. Richard M. Sainsbury und Michael Tye etabliert (vgl. Sainsbury und Tye 2012). Ist hingegen die Rede von Wörtern, so verdeutliche ich dies entsprechend der in der Philosophie verbreiteten Konvention durch doppelte Anführungszeichen (z. B. »Artefakt«; doppelte Anführungszeichen dienen darüber hinaus zur Kennzeichnung von Zitaten). Umgangssprachliche oder metaphorische Rede kennzeichne ich durch einfache Anführungszeichen. »Artefakt« bezieht sich hier und im Folgenden auf den Artefaktbegriff, den ich als Grundlage dieser Studie heranziehe, und »Artefaktkopie« bezeichnet den Begriff der Artefaktkopie, der für diese Studie maßgeblich ist. Wenn ich mich auf andere Artefaktbegriffe oder Kopiebegriffe beziehe, so zeige ich dies durch entsprechende Formulierungen an. Entsprechend beziehe ich mich nachfolgend, sofern es nicht anders angezeigt ist, mit dem sprachlichen Ausdruck »Artefakt« auf diejenigen Entitäten, die unter den Begriff Artefakt fallen, und mit dem sprachlichen Ausdruck »Artefaktkopie« auf diejenigen Entitäten, die unter den Begriff Artefaktkopie fallen.
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44 Vorüberlegungen
explikativ definiere, lege ich für den Begriff Artefaktkopie eine analytische Definition vor. Prima facie erschiene es als angebracht, im Sinne einer einheitlichen Methodik die für die Studie zentralen Begriffe auf dieselbe Weise zu definieren. Allerdings gibt es überzeugende Gründe für die Wahl verschiedener Definitionsmethoden, wie sich im Folgenden zeigen wird: Während eine explikative Definition als angemessen erscheint, um den im Folgenden zugrunde gelegten Artefaktbegriff zu bestimmen, ist eine analytische Definition des für diese Studie grundlegenden Begriffs der Artefaktkopie sinnvoll. In Abschnitt 1.2.1 weise ich zunächst Begriffe als Gegenstände von Defini tionen aus und komme vor diesem Hintergrund auf die drei für diese Studie potenziell relevanten Arten von Begriffsdefinitionen zu sprechen, nämlich analytische, stipulative und explikative Definitionen. Auf dieser Grundlage begründe ich dann in Abschnitt 1.2.2, warum ich den für diese Studie maßgeblichen Artefaktbegriff explikativ definiere und den hier einschlägigen Artefaktkopiebegriff analytisch.
1.2.1 Das Definieren von Begriffen
Den Ausgangspunkt meiner Argumentation für die Divergenz in der Methodenwahl bilden einige allgemeine Bemerkungen über Definitionen, die deutlich machen sollen, was ich überhaupt unter einer Definition verstehe. Denn obgleich das Definieren zum philosophischen Tagesgeschäft gehört, hat sich nicht etwa eine einheitliche Art des Definierens als die genuin philosophische Definitionsart herauskristallisiert – stattdessen findet man in der philosophischen Literatur eine ganze Bandbreite von Definitionsarten, die sich nicht nur bezüglich ihrer Gegenstände46, sondern auch im Hinblick auf ihre Me-
46 Mit
den Gegenständen von Definitionen sind hier diejenigen Entitäten gemeint, die innerhalb einer Definition das Definiendum darstellen. Im Hinblick auf diese Gegenstände lassen sich in der Philosophie drei Auffassungen unterscheiden: Gemäß der ersten Auffassung sind es Dinge, die definiert werden, der zweiten Auffassung zufolge werden Begriffe definiert, und die dritte Auffassung macht Worte als Gegenstände des Definierens aus (vgl. Robinson 1965, 7 ff.). Mir scheint das Wort »Definieren« innerhalb dieser drei Auffassungen äquivok zu sein, da es auf unterschiedliche Tätigkeiten referiert. Die Tatsache, dass Philosoph_innen, die Mehrdeutigkeiten im Allgemeinen zu vermeiden suchen, für alle drei Varianten von Definitionen denselben Terminus verwenden, ist durchaus verwunderlich – so schreibt auch José A. Benardete: »Words, concepts and things […]: these, then, are three items that philosophers have taken to be apt for definition, though one is entitled to wonder how the same word ›define‹ could apply univocally in all these cases« (Benardete 1993, 265). Benardete äußert in diesem Zusammenhang die Vermutung,
Methodologische Vorüberlegungen
thode47 unterscheiden. Es gibt keine Standard-Auffassung darüber, was eine philosophische Definition im Einzelnen auszeichnet, an die ich anschließen könnte. Daher bedarf es zunächst einer Klärung, was ich im Rahmen dieser Studie unter einer Definition verstehen will – diese Klärung möchte ich im Folgenden leisten. Bei den Gegenständen der Definitionen, die ich in dieser Studie vorschlage, handelt es sich um Begriffe. Folgende Gründe motivieren meine Entscheidung, nicht Dinge oder Wörter, sondern Begriffe als Gegenstände von Definitionen zu begreifen: Die Auffassung, dass Dinge definiert werden, lehne ich ab, da mir für das, was im Allgemeinen unter der ›Definition‹ von Dingen verstanden wird, »Beschreibung« oder »Charakterisierung« treffendere Termini zu sein scheinen. Die Auffassung, dass es Wörter sind, die wir definieren, wirft meines Erachtens zwei Probleme auf: Das erste Problem resultiert aus der (potenziellen) Ambiguität, die Wörtern eignet. Wörter können mehrdeutig sein; so hat etwa das deutsche Wort »Bank« zwei vollkommen distinkte Bedeutungen: Zum einen bezieht es sich auf Sitzmöbel einer bestimmten Art, zum anderen auf Geldinstitute. Wir haben es also hier mit zwei distinkten Begriffen zu tun, die jedoch mit demselben Wort verknüpft sind. Somit erscheint es nicht als sinnvoll, zu behaupten, »ein Institut, das Geldgeschäfte betreibt« definiere das Wort »Bank«. Stattdessen wird mittels der Definition lediglich einer von mehreren Begriffen, mit denen dieses Wort verknüpft ist, herausgegriffen, und sein Begriffsinhalt wird auseinandergelegt. Die Rede davon, ein Wort zu definieren, scheint mir im Hinblick auf das, was tatsächlich geschieht – das Auseinanderlegen des Inhalts eines mit dem Wort verbundenen Begriffs – nicht sehr treffend zu sein. Ein zweites Problem hängt damit zusammen, dass eine große Zahl von Wörtern einer bestimmten Sprache entstammt. So sind das Wort »Artefakt« und das Wort »Kopie« Wörter der deutschen Sprache. Es ist mir aber gerade nicht daran gelegen, Wörter einer bestimmten Sprache in den Blick zu nehmen, sondern es geht mir um etwas Allgemeineres, nämlich um die Begriffe Artefakt und Artefaktkopie, die mit Wörtern unterschiedlicher Sprachen verknüpft sein können (– so ist der Begriff Artefakt etwa mit dem deutschen Wort »Artefakt«, dem
dass zwischen den drei Varianten von Definitionen eine Familienähnlichkeit bestehe (vgl. Benardete 1993, 265), die es rechtfertige, auf alle Varianten mit demselben Terminus zu referieren. 47 Zu verschiedenen Methoden der Definition vgl. etwa Robinson 1965, 93 ff. (– wobei Robinsons Bemerkungen zur Definitionsmethodik auf solche Definitionen beschränkt sind, die er »word-thing definitions« nennt, also Definitionen, deren Zweck es ist, »to report that a certain word means a certain thing« (Robinson 1965, 93)).
45
46 Vorüberlegungen
englischen Wort »artefact« bzw. »artifact« und dem portugiesischen Wort »artefacto« verbunden). 48 Das Wort »Definition« bezeichnet in seiner hier relevanten Verwendungsweise49 die Bestimmung eines Begriffs50 mithilfe von Sprache. »Bestimmung« ist allerdings ein mehrdeutiger Terminus: Damit kann in diesem Zusammenhang das stipulative Festlegen eines Begriffsinhalts oder aber das erforschende Ermitteln und Explizieren des Inhalts eines bestehenden Begriffs mittels Intuitionen gemeint sein.51 Bei der ersten Variante können wir von einer stipulativen Definition sprechen, die zweite Variante können wir als analytische Definition bezeichnen.52 Schließlich gibt es noch eine Mischform stipulativen und analytischen Definierens, die Rudolf Carnap prominent gemacht hat 53, nämlich das explikative Definieren. Eine explikative 48 Zu
der Auffassung, dass der Fokus beim Definieren nicht auf einer Sprache liegt, vgl. auch Jackson 2008, 33 f. 49 Es gibt noch weitere Verwendungsweisen des Wortes »Definition« und ihm verwandter Worte – bspw. können wir davon sprechen, dass Grenzen definiert werden, dass wir uns selbst neu definieren wollen, dass sich die Farbe eines Gegenstandes kaum definieren lässt, o. ä. Im Zusammenhang mit der Definition von Begriffen, um die es hier ausschließlich geht, spielen diese Verwendungsweisen jedoch keine Rolle. 50 Bezüglich der Frage, was Begriffe eigentlich sind, besteht in der Philosophie schon seit geraumer Zeit ein bis heute andauernder Disput. Schon bei Frege finden wir einen Hinweis auf die mangelnde Einheitlichkeit der Auffassungen, was Begriffe auszeichnet: »Das Wort ›Begriff‹ wird verschieden gebraucht, teils in einem psychologischen, teils in einem logischen Sinne, teils vielleicht in einer unklaren Mischung aus beidem« (Frege 1994, 66). Ich schließe mich hier einer prominenten philosophischen Position im Hinblick auf die Frage nach der Seinsweise von Begriffen an, nämlich der Position, dass Begriffe Abstrakta sind (und nicht etwa mentale Repräsentationen oder Fähigkeiten), vgl. hierzu auch Margolis und Laurence 2014. 51 Dies sind die zwei hier einschlägigen Bedeutungsdimensionen des Definitionsbegriffs. Auf diese Dimensionen kommt auch Eike von Savigny in seinem Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren zu sprechen – allerdings mit Blick auf die Sprachebene und nicht auf die begriffliche Ebene: »Von ›Definition‹ wollen wir nur dann sprechen, wenn wir es mit einer Feststellung über eine Sprache oder einer Festsetzung für die Sprache zu tun haben.« (von Savigny 1970, 30; Herv. A. B.). 52 Ich fasse die Methode des analytischen Definierens und die Methode der Beg riffs analyse als äquivalent auf. Durch Quines Einwände gegen die analytisch/synthetisch-Unterscheidung ist die Begriffsanalyse als philosophische Methode in Misskredit geraten (vgl. Quine 1951). Die Kritik am Rückgriff auf Intuitionen durch die Experimentelle Philosophie hat die Skepsis an dieser Methode erneut befeuert (vgl. Weinberg et al. 2001). Einen m. E. erfolgreichen Versuch zur Rehabilitation der Begriffsanalyse hat Frank Jackson mit seiner Monographie From Metaphysics to Ethics vorgelegt (vgl. Jackson 2008). Zu einer Verteidigung des Rückgriffs auf Intuitionen gegen die Einwände der Experimentellen Philosoph_innen vgl. Bahr et al. 2016. 53 Vgl. Carnap 1956.
Methodologische Vorüberlegungen
Definition vereint in sich sowohl stipulative als auch analytische Elemente:54 Ein bestehender Begriffsinhalt wird teilweise mittels Stipulation modifiziert.
1.2.2 Die explikative Definition des Begriffs Artefakt und die analytische Definition des Begriffs Artefaktkopie
Zu der Entscheidung, den dieser Studie zugrunde liegenden Artefaktbegriff mithilfe einer explikativen Definition zu bestimmen und den für die Studie einschlägigen Begriff der Artefaktkopie analytisch zu definieren, haben mich zwei Gründe bewogen. Der erste Grund betrifft die Zielsetzung, die jeweils mit den Definitionen verbunden ist. Der zweite Grund ergibt sich aus der Tatsache, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt zwar über einen allgemein etablierten Kopiebegriff verfügen, aus dem sich ein Begriff der Artefaktkopie ergibt, aber nicht über einen ähnlich etablierten Artefaktbegriff, auf den sich im Rahmen dieser Studie aufbauen ließe. Ich komme zunächst zum ersten Grund. Welche der drei genannten Varianten des Definierens wir wählen, hängt maßgeblich mit den Zielen und Ansprüchen zusammen, die mit dem definitorischen Projekt verbunden sind bzw. die das Projekt als solches motivieren. Geht es uns darum, in Erfahrung zu bringen, was der Inhalt eines bestimmten, bereits etablierten Begriffs ist und damit zugleich festzustellen, was die Dinge auszeichnet, die unter diesen üblichen Begriff fallen, so sind die definitorischen Bemühungen auf das Aufstellen einer analytischen Definition dieses Begriffs zu richten. Ist uns hingegen daran gelegen, uns im Rahmen bestimmter (etwa wissenschaftlicher) Praktiken auf einen gänzlich neuen Begriff zu verständigen, so ist einer stipulativen Definition der Vorzug zu geben. Ist es schließlich unser Anliegen, einen bereits vorhandenen Begriff zum Ausgangspunkt zu nehmen und zu präzisieren oder in anderer Weise zu optimieren, um seinem Inhalt teilweise Rechnung zu tragen, aber einen für unsere (wissenschaftlichen) Zwecke sinnvolleren Begriff zu erhalten, so ist die explikative Definition die Methode der Wahl. Nun ist es das Ziel dieser Studie, bestimmte Entitäten in den Blick zu nehmen, die wir in alltäglichen oder auch wissenschaftlichen Kontexten tatsächlich unter einen von uns geteilten Kopiebegriff subsumieren, und zwar die jenigen Entitäten, die im oben ausgeführten Sinne Artefaktkopien sind. Daher 54 Neben
der Unterscheidung zwischen stipulativen, analytischen und explikativen Definitionen haben Philosoph_innen eine ganze Reihe anderer Unterscheidungen getroffen, um verschiedene Arten von Definitionen zu differenzieren (vgl. dazu etwa Gupta 2015). Diese Unterscheidungen vernachlässige ich hier, da sie für meine Zwecke nicht entscheidend sind.
47
48 Vorüberlegungen
erscheint es als sinnvoll, zu ermitteln, wie sich dieser etablierte Kopiebegriff bestimmen lässt, soweit er Artefaktkopien erfasst: Es dürfte plausibel sein, dass unter den von uns geteilten Kopiebegriff nicht allein Artefaktkopien fallen, sondern auch Kopien anderer Arten, etwa DNA-Replikationen u. ä. Im Rahmen dieser Studie geht es jedoch einzig um die Erkenntnisse, die der von uns geteilte Kopiebegriff bereithält, insofern er auf Artefaktkopien bezogen ist; was der Begriff für das Verständnis von Kopien austrägt, die keine Artefaktkopien sind, ist in diesem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung. Es geht also um die analytische Definition des Begriffs Artefaktkopie, der sich als Teilbegriff unseres umfassenderen alltäglichen Kopiebegriffs verstehen lässt. Es ist hingegen nicht das Ziel der Untersuchung, zu ermitteln, was der Begriffsinhalt eines bereits bestehenden Artefaktbegriffs ist, und diesen Artefaktbegriff möglichst zutreffend zu bestimmen. Der im Rahmen dieser Studie in Anspruch genommene Artefaktbegriff dient bestimmten Zwecken, nämlich der Beschränkung des Gegenstandsbereichs dieser Studie sowie dem Herausgreifen der Teilklasse der Artefaktkopien, deren Erforschung die Studie im Besonderen gewidmet ist. Die im zweiten Teil der Studie vorgelegte explikative Definition folgt dieser Zwecksetzung: Indem ich an einige prominente Artefaktdefinitionen aus der philosophischen Debatte um Artefakte und damit an die entsprechenden philosophischen Artefaktbegriffe55 anschließe und daraus mittels Explikation einen mir als sinnvoll erscheinenden Artefaktbegriff destilliere, schaffe ich eine Grundlage für die genauere Eingrenzung des Gegenstandsbereichs dieser Studie in seinen vielfältigen Ausprägungen.56 55 Für
meine Annahme, dass wir es in der philosophischen Debatte mit mehreren Artefaktbegriffen zu tun haben und nicht etwa mit einem einzigen Artefaktbegriff, dessen Inhalt unterschiedlich gefasst wird, ist meine Auffassung darüber entscheidend, wie Begriffe zu individuieren sind: Ich gehe der klassischen Begriffstheorie entsprechend davon aus, dass Begriffe über die notwendigen und hinreichenden Bedingungen individuiert sind, die ihren Inhalt ausmachen und festlegen, wann etwas unter sie fällt. Einer alternativen Beschreibung gemäß ließe sich stattdessen sagen, dass alle philosophischen Definitionen letztlich darauf abzielen, einen allgemein geteilten Artefaktbegriff explizit zu machen, und dabei mehr oder weniger erfolgreich sind. Diese Beschreibung halte ich jedoch für falsch, da es einen solchen allgemein geteilten Artefaktbegriff m. E. weder im Alltag noch in der Wissenschaft gibt. Ich komme im Folgenden auf diesen Umstand zu sprechen. 56 Selbstverständlich ließe sich der dieser Studie zugrunde liegende Artefaktbegriff auch rein stipulativ definieren, statt im Rahmen einer explikativen Definition auf bereits vorliegende philosophische Definitionen von Artefaktbegriffen Bezug zu nehmen. Eine stipulative Definition hätte allerdings den Nachteil, dass die Erkenntnisse und Einsichten, die sich aus den philosophischen Artefaktdefinitionen gewinnen lassen, unberücksichtigt blieben.
Methodologische Vorüberlegungen
Von diesem ersten Grund einmal abgesehen besteht ohnehin nicht die Möglichkeit, analog zum allgemein geteilten Kopiebegriff einen bestehenden Artefaktbegriff heranzuziehen und seinen Inhalt mittels einer analytischen Definition explizit zu machen. Dies hängt mit dem zweiten Grund für die Wahl zweier unterschiedlicher Arten von Definitionen zusammen. Dieser Grund ergibt sich aus der Tatsache, dass es gegenwärtig zwar (mindestens) einen allgemein und über wissenschaftliche Kontexte hinaus auch im Alltag etablierten Kopiebegriff gibt57, den wir zum Gegenstand einer analytischen Definition machen können: Zur Erörterung der Frage, ob etwas unter diesen Kopiebegriff fällt oder nicht, können wir uns unserer Intuitionen bedienen. So können wir auch im Hinblick auf sämtliche Kandidatinnen für Artefaktkopien fragen, ob sie sich unter diesen Begriff subsumieren lassen, um so zu einer analytischen Definition des Begriffs Artefaktkopie zu gelangen. Einen in ähnlicher Weise oder in ähnlichem Umfang allgemein etablierten Artefaktbegriff, dessen Begriffsinhalt mittels der Überprüfung unserer Intuitionen erforscht werden könnte, gibt es bis dato jedoch nicht.58 Dies zeigt sich auch an der Verbreitung der beiden deutschen Wörter, die vorrangig mit Artefakt- und Kopiebegriffen verknüpft sind: Während das Wort »Kopie«59 ein fester Bestandteil der deutschen (Alltags-)Sprache ist, wird das Wort »Artefakt« deutlich seltener verwendet.60 Begeben wir uns auf die Suche nach Artefaktbegriffen, so sind wir an die Wissenschaft verwiesen: Artefaktbegriffe sind vor allem in wissenschaftlichen Kontexten vorfindlich – neben der Philosophie verfügen beispielsweise auch die Archäologie und die Medizin über Artefaktbegriffe. Allerdings han57
Mit den Worten Jacksons könnten wir auch sagen: Es ist sinnvoll, zu fragen, was eine Kopie ›according to our ordinary concept‹ auszeichnet (vgl. Jackson 2008, 31). 58 So schreibt auch Ludger Jansen: »One of the problems of giving a definition of »artefact« is that it is neither common currency nor unambiguous« (Jansen 2013a, 318, Herv. A. B.). Auf die Ambiguität des Wortes »Artefakt« werde ich im Folgenden noch zu sprechen kommen. Die Tatsache, dass es gegenwärtig keinen etablierten Artefaktbegriff gibt, ist freilich eine kontingente Tatsache – es ist keineswegs ausgeschlossen, dass sich zukünftig ein Artefaktbegriff durchsetzt, der auch über die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen hinweg geteilt wird. 59 Im Folgenden wird neben dem deutschen Ausdruck »Kopie« auch der englische Ausdruck »copy« eine wichtige Rolle spielen – auf dessen Besonderheiten komme ich in Abschnitt 3.1.1 zu sprechen. 60 Es liegt kein umfassendes Frequenzwörterbuch der deutschen Umgangssprache vor, das diese Behauptung belegen könnte. Daher verweise ich hier stellvertretend auf die Häufigkeit der Verwendung der beiden Wörter im Internet, die die Suchmaschine Google wie folgt bemisst: Während die Suche nach dem Wort »Kopie« 118.000.000 Ergebnisse hat, erhält man für die Suche nach dem Wort »Artefakt« nur 6.480.000 Ergebnisse (– beide Ergebnisse wurden am 3.8.2021 erzielt).
49
50 Vorüberlegungen
delt es sich dabei um ganz unterschiedliche Artefaktbegriffe, die allenfalls innerhalb der kleineren Gemeinschaften der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin geteilt werden, wobei nicht einmal das für alle Artefaktbegriffe gilt. Philosophische Artefaktbegriffe stimmen im Allgemeinen darin überein, dass unter sie Gegenstände fallen, die absichtsvoll und für einen bestimmten Zweck bzw. das Erfüllen einer bestimmten Funktion produziert worden sind.61 Der in der Archäologie vorherrschende Artefaktbegriff teilt seinen inhaltlichen Kern mit dem in der Philosophie verbreiteten Artefaktbegriff: Darunter fallen Dinge, die vom Menschen (in der Vergangenheit) hergestellt wurden.62 Allerdings ist dies nicht der einzige Artefaktbegriff, über den die Archäologie verfügt – unter einen weiter gefassten archäologischen Artefaktbegriff fallen auch Dinge, die eine unbeabsichtigte Modifikation durch den Menschen erfahren haben.63 Auch in der Medizin gibt es verschiedene Artefaktbegriffe – so werden unter einen diagnostischen Artefaktbegriff etwa von Menschen unbeabsichtigt verursachte Fehler in der Bilddiagnostik64 subsumiert, und unter einem dermatologischen Artefaktbegriff menschliche Selbstbeschädigungen der Haut zusammengefasst65.66 Wir sind also mit der Tatsache konfrontiert, dass wir Artefaktbegriffe außerhalb wissenschaftlicher Kontexte im Allgemeinen vergeblich suchen und die in den Wissenschaften gebräuchlichen Artefaktbegriffe m itunter sehr unterschiedlich bestimmt sind. Es kristallisiert sich nicht etwa ein Artefaktbegriff als dominanter Begriff heraus, der über die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen hinaus geteilt würde. Wir verfügen daher auch nicht über einen allgemeinen wissenschaftlichen Artefaktbegriff, mit dem wir intuitiv Anwendungsbedingungen verbinden – dieser Umstand macht eine analytische Definition unmöglich.
61 Auf
philosophische Artefaktbegriffe komme ich noch einmal ausführlich in den Abschnitten 2.1.1 und 2.1.2 zu sprechen. 62 Vgl. Yesilyurt 2014, 7. 63 Vgl. etwa Schick und Toth 1993. 64 Vgl. Jecker 2010, 181. 65 Vgl. Janus 1972, 21. 66 Artefaktbegriffe, die anderen wissenschaftlichen Disziplinen als der Philosophie entstammen, sind für die nachfolgende Entwicklung der explikativen Definition von Artefakt nicht zwangsläufig irrelevant, denn auch ihnen könnten sich wichtige Einsichten verdanken. In Abschnitt 2.1.1 komme ich daher noch einmal auf den soeben skizzierten archäologischen Artefaktbegriff und den gerade in den Blick genommenen diagnostischen Artefaktbegriff zurück und werfe die Frage auf, ob eine explikative Definition von Artefakt ihnen insofern Rechnung tragen sollte, als sie auf Intentionen als notwendige Erfordernisse bei der Entstehung von Artefakten verzichtet.
Methodologische Vorüberlegungen
Auf diese Überlegung ließe sich freilich antworten, dass ja zumindest eine analytische Definition der einzelnen wissenschaftlichen Artefaktbegriffe fruchtbar sein könnte. Allerdings möchte ich die Fruchtbarkeit dieses Unterfangens in Frage stellen, und zwar aus dem folgenden Grund: Als wissenschaftliche Fachbegriffe haben die hier in Frage stehenden Artefaktbegriffe genau festgelegte Anwendungskriterien, denn der Inhalt wissenschaftlicher Begriffe ist häufig durch eine (stipulative) Definition im Detail bestimmt. Die Verwendung der Begriffe bewegt sich in dem gesetzten definitorischen Rahmen, deshalb erschiene es nicht nur als künstlich, sondern wäre auch wenig erhellend, die Begriffe auf der Grundlage ihrer Verwendungsweisen in den jeweiligen Wissenschaften analytisch zu definieren. Denn da die Begriffe so verwendet werden, wie sie zuvor definiert worden sind, wird die aus der Analyse dieser Verwendung resultierende, analytische Definition letztlich dieser ursprünglichen Definition entsprechen. Somit wäre mit der analytischen Definition nichts gewonnen. Aus den genannten Gründen werde ich die beiden für diese Studie zentralen Begriffe daher auf unterschiedliche Weise definieren.
51
2. Was ist ein Artefakt? Der zweite Teil dieser Studie ist der Beantwortung der Frage »Was ist ein Artefakt?« gewidmet. Nun sind »Was-ist-x?«-Fragen wie diese (mindestens) doppeldeutig und damit zunächst einmal unterbestimmt1: Sie lassen sich zum einen als Fragen verstehen, die auf die Definition eines Begriffs abzielen, und können zum anderen die Seinsweise von etwas erfragen. Fassen wir die Frage »Was ist ein Artefakt?« als Frage nach der Definition des Begriffs Artefakt auf, so können wir sie zur Frage (FDA) umformulieren: (FDA) Wie sollte der Begriff Artefakt sinnvollerweise definiert werden?
Das Kapitel 2.1 dient der Beantwortung dieser Frage. Unter Rückgriff auf eine Reihe bereits vorliegender philosophischer Definitionen von Artefaktbegriffen arbeite ich Desiderate heraus, auf deren Grundlage ich eine explikative Definition des für diese Studie maßgeblichen Begriffs Artefakt entwickle.2 Dieser Definition kommen im Rahmen der Untersuchung zwei wesentliche Funktionen zu: Zum einen dient sie dazu, den Gegenstandsbereich dieser Studie genauer zu umreißen. Zum anderen gibt sie Aufschluss über spezifische Merkmale, die die Objekte im Gegenstandsbereich dieser Studie als Artefakte notwendigerweise aufweisen, sowie darüber, welche Merkmale gemeinsam hinreichend dafür sind, dass wir es mit Artefakten zu tun haben, und erhellt so den Charakter dieser Objekte. Verstehen wir die Frage »Was ist ein Artefakt?« hingegen als Frage nach der Seinsweise derjenigen Dinge, die unter den Begriff Artefakt fallen, so können wir sie zur Frage (FOA) umformulieren, die auf die Ontologie von Artefakten gerichtet ist: 1
Auf die Unterbestimmtheit von »Was-ist-x?«-Fragen kommt auch Robinson zu sprechen: Sofern sich nicht aus dem Kontext heraus erschließen lasse, worauf die Frage abzielt, sei dies »the vaguest of all forms of questions […]. It indicates less determinately than any other the sort of information the questioner wants« (Robinson 1953, 59; vgl. auch Robinson 1965, 190). Zwar sieht Robinson gewisse Vorteile in der Unterbestimmtheit, die »Was-ist-x?«-Fragen innewohnt (vgl. Robinson 1965, 190; 192); nichtsdestotrotz ist es aus seiner Sicht »useful that, when inclined to use the ›What is x?‛ form, we should consider whether a more definite form would be better« (Robinson 1965, 192, Herv. i. O.). Die Fragen (FBA) und (FOA) sind als in diesem Sinne bestimmtere Frageformen gedacht. 2 Diese Herangehensweise ist inspiriert vom Vorgehen von Houkes und Vermaas in ihrer Monographie Technical Functions: Zur Entwicklung ihrer Theorie der Funktionen technischer Artefakte formulieren die beiden Autoren zunächst Desiderate, die eine solche Theorie erfüllen sollte (vgl. Houkes und Vermaas 2010, 5).
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Was ist ein Artefakt?
(FOA) Welchen ontologischen Status haben Artefakte?3
Im Kapitel 2.2 lege ich eine Antwort auf diese Frage vor. Sie dient mir nicht nur dazu, den ontologischen Status der Gegenstände zu beleuchten, die in den Gegenstandsbereich dieser Studie fallen – darüber hinaus bilden die im Rahmen dieses Kapitels ausgearbeiteten Thesen zur Ontologie der Artefakte die Basis der viergliedrigen Definition des Begriffs Artefaktkopie, die ich im Abschnitt 3.1.2 entwickeln werde. Die Definition des Begriffs Artefakt und die Überlegungen zur Ontologie der Artefakte bedürfen jedoch noch einer Ergänzung, denn für die Zwecke dieser Studie erschöpft sich die Beantwortung der Frage »Was ist ein Artefakt?« nicht in der Beantwortung der spezifischeren Fragen (FDA) und (FOA): Wie ich bereits im Rahmen der inhaltlichen Vorüberlegungen dargelegt habe, verstehe ich Artefakte in dieser Studie als Gegenstände, mit denen Bestimmungsrechte von Urheber_innen verknüpft sein können. Um dieser Perspektive auf Artefakte mehr Kontur zu verleihen, komme ich daher im Kapitel 2.3 auf das Verhältnis von Artefakten und Bestimmungsrechten zu sprechen.
2.1 Zur Definition von Artefakt
Ziel dieses Kapitels ist es, eine sinnvolle explikative Definition des Begriffs Artefakt vorzulegen. Als Ausgangspunkt meiner Suche nach einer sinnvollen Definition dient mir in Abschnitt 2.1.1 eine Reihe prominenter philosophischer Artefaktdefinitionen, aus denen ich eine vier Bedingungen umfassende Schnittmenge bilde, wobei die vier Bedingungen jeweils mit dem Anspruch vorgebracht werden, dass es sich bei ihnen um notwendige Bedingungen dafür handelt, dass etwas ein Artefakt ist. Anschließend wende ich mich in Abschnitt 2.1.2 weiteren Vorschlägen für notwendige Bedingungen zu, die aus der Schnittmenge herausfallen, aber dennoch bedenkenswert sind. Die Ergebnisse meiner Diskussionen der Bedingungen aus der Schnittmenge sowie der Bedingungen, die darüber hinaus als notwendige Bedingungen vorgeschlagen worden sind und als aussichtsreich erscheinen, fasse ich jeweils in Desiderate zusammen. Diese Desiderate dienen mir in Abschnitt 2.1.3 dazu, meine Definition von Artefakt zu entwickeln.
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Diese Frage soll keineswegs die Präsupposition nahelegen, dass alle Artefakte denselben ontologischen Status haben.
Zur Definition
2.1.1 Eine Schnittmenge philosophischer Artefaktdefinitionen
Einer großen Zahl der bis dato vorgelegten philosophischen Definitionsvorschläge für Artefaktbegriffe zufolge zeichnen sich Artefakte (ggf. neben anderen Charakteristika, die in den Vorschlägen z. T. ganz unterschiedlich bestimmt werden und auf die ich teilweise im Abschnitt 2.1.2 ausführlich zu sprechen komme) jedenfalls dadurch aus, dass es sich bei ihnen um Gegenstände handelt, die absichtsvoll und für einen bestimmten Zweck bzw. das Erfüllen einer bestimmten Funktion produziert worden sind.4 Die vier notwendigen Bedingungen, die in dieser Charakterisierung enthalten sind, bilden einen ersten Ausgangspunkt meiner Überlegungen zur Definition von Artefakt: Erstens muss es sich gemäß der Charakterisierung bei einem Artefakt um ein Produkt, ein Gemachtes, ein Hergestelltes, oder allgemeiner: um ein Ergebnis menschlicher (oder ggf. von anderen, in einer noch zu spezifizierenden Weise5 Menschen ähnelnden Akteur_innen vollbrachter) Anstrengungen handeln. Da es hier – allgemein gesprochen – um Resultate von Arbeit geht, bezeichne ich diese Bedingung als Arbeitsresultatbedingung (AB). Zweitens muss es sich der Charakterisierung zufolge bei der in Rede stehenden Entität um einen Gegenstand handeln; diese Bedingung nenne ich Gegenstandsbedingung (GB). Drittens, so besagt die Charakterisierung weiter, muss die Herstellung der Entität absichtsvoll erfolgt sein, d. h. es muss dabei eine Intention vorgelegen haben – diese dritte Bedingung bezeichne ich als Intentionsbedingung (IB). Viertens muss die Entität entsprechend der Charakterisierung schließlich für das Erfüllen eines bestimmten Zwecks, einer Funktion oder für einen bestimmten Nutzen hergestellt worden sein; diese Bedingung bezeichne ich als Funktionsbedingung (FB). 6 Daraus ergibt sich 4
Zu den Definitionsvorschlägen, die diese Schnittmenge bilden, zählen u. a. die Vorschläge von Hilpinen (1993), Dipert (1995, 129), Baker (2007, 52 f.), Houkes und Vermaas (2010, 158) und Jansen (2013a, 321). Die Gemeinsamkeit dieser Vorschläge besteht darin, dass sie alle vier Bedingungen der Definitionen-Schnittmenge enthalten. Dabei weichen die Formulierungen der Bedingungen in den einzelnen Vorschlägen zwar von den Formulierungen der Bedingungen in der Definitionen-Schnittmenge ab, es lässt sich aber nachweisen, dass sich die unterschiedlichen Formulierungen jeweils auf die Formulierungen der Definitionen-Schnittmenge zurückführen lassen; inwiefern die vier Bedingungen sich in den genannten Vorschlägen wiederfinden, werde ich in einer entsprechenden Fußnote für jede Bedingung und jeden der Definitionsvorschläge zeigen. Nur die ersten drei Bedingungen – nicht aber die vierte – finden sich im Definitionsvorschlag von Reicher (2013, 225). 5 Vgl. meine Überlegungen zu den für das Schaffen von Artefakten notwendigen Arten von Absichten in den Abschnitten 2.2.1 und 2.2.2. 6 Wie sich nachfolgend zeigen wird, sind einige bedenkenswerte Alternativen zur
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die folgende Konjunktion notwendiger Bedingungen, die ich als Definitionen-Schnittmenge (DS) bezeichne:
(DS) Wenn x ein Artefakt ist, dann gilt: (AB) x ist ein Resultat von Arbeit und (GB) x ist ein Gegenstand und (IB) bei der Entstehung von x waren Intentionen maßgeblich und (FB) x wurde zur Erfüllung einer bestimmten Funktion hergestellt.
Wie in der Formulierung der Definitionen-Schnittmenge (DS) deutlich wird, geht es zunächst einmal nicht um die Frage, ob die vier Bedingungen zusammen hinreichend dafür sind, dass etwas ein Artefakt ist, sondern nur um die Behauptung, diese Bedingungen seien jeweils notwendig für den Artefaktstatus von Entitäten. Denn die Definitionsvorschläge, die in (DS) Eingang gefunden haben, stimmen zunächst einmal nur in der Behauptung überein, dass es sich bei den vier Bedingungen um notwendige Bedingungen für Artefaktizität handelt – welche Bedingungen darüber hinaus notwendig und welche Bedingungen zusammengenommen hinreichend für Artefaktizität sind, wird jedoch unterschiedlich bestimmt. Daher widme ich mich in der Diskussion der vier Bedingungen jeweils zuerst der Frage, ob es sinnvoll ist, sie als notwendige Bedingungen in eine Definition von Artefakt zu integrieren. Dazu gehe ich in vier Schritten vor: In einem ersten Schritt zeige ich auf, warum es als sinnvoll erscheint, die in Rede stehende Bedingung als notwendige Bedingung in eine solche Definition aufzunehmen. Dann formuliere ich in einem zweiten Schritt mögliche Einwände dagegen, dass ihre Aufnahme als notwendige Bedingung Sinn hat. In einem dritten Schritt folgt eine Prüfung dieser Einwände auf ihre Überzeugungskraft hin. In einem vierten und letzten Schritt ziehe ich schließlich eingedenk der Prüfung der Einwände ein Fazit hinsichtlich des Sinns der Annahme der Notwendigkeit der in Frage stehenden Bedingung für den Artefaktstatus. Es wird sich zeigen, dass es als sinnvoll erscheint, (AB), (GB) und (IB) als notwendige Bedingungen dafür vorauszusetzen, dass etwas unter den Begriff Artefakt fällt, während die Annahme der Notwendigkeit von (FB) nicht sinnvoll ist. Die Überlegungen zum Sinn der Notwendigkeit der ersten drei Bedingungen geben außerdem Anlass dazu, eine Präzisierung dieser Bedingungen zu fordern, und aus den Überlegungen zum Sinn der Notwendigkeit der vierten Bedingung wird deutlich, dass statt dieser Bedingung eine allgemeinere Bedingung gefordert ist. Bedingung (FB) vorgeschlagen worden – in Abschnitt 2.1.2 komme ich ausführlich auf diese Alternativen zu sprechen.
Zur Definition
Die Resultate meiner Überlegungen hinsichtlich des Sinns der Annahme der Notwendigkeit der einzelnen Bedingungen sowie des Erfordernisses ihrer Präzisierung bzw. Verallgemeinerung bringe ich in die Form von vier Desideraten für eine Definition des Begriffs Artefakt. Die Frage danach, ob es sinnvoll ist, die Bedingungen aus (DS) als notwendige Bedingungen in eine Definition des Begriffs Artefakt zu integrieren, ist jedoch offenkundig nicht die einzige Frage, die im Hinblick auf die Bedingungen von Interesse ist. Eine weitere wichtige Frage ist, ob wir die Bedingungen als hinreichend dafür auffassen sollten, dass etwas unter den Begriff Artefakt fällt. Um dieser Frage nachzugehen, verzahne ich die Diskussionen der einzelnen Bedingungen über die Frage nach dem Sinn der Annahme, dass sie hinreichend sind. Daraus, dass es nicht als sinnvoll erscheint, eine Bedingung bzw. eine Kombination von Bedingungen als hinreichend dafür aufzufassen, dass etwas ein Artefakt ist, leite ich jeweils ab, dass es einer weiteren Bedingung bedarf, und schaffe so eine Verbindung zur jeweils nächsten Bedingung. Abschließend lege ich dar, warum es nicht sinnvoll ist, den Begriff Artefakt so zu definieren, dass alle vier Bedingungen gemeinsam hinreichend für den Artefaktstatus sind. Meine Argumentation gibt Anlass dazu, eine weitere Bedingung in die Definition aufzunehmen, eine Bedingung nämlich, die eine gewisse Abgeschlossenheit fordert – dies bringt ein fünftes Desiderat zum Ausdruck. Auf die fünf Desiderate komme ich in Abschnitt 2.1.3 zurück, um auf ihrer Grundlage die Definition des Begriffs Artefakt zu entwickeln. Die Arbeitsresultatbedingung als notwendige Bedingung für Artefaktizität
So umstritten es in der einschlägigen philosophischen Debatte ist, wie sich ein überzeugender Artefaktbegriff definieren lässt, einen weitreichenden Konsens können wir fraglos konstatieren: Die artefaktphilosophischen Arbeiten stimmen darin überein, dass Artefakte gemacht, d. h. gefertigt, hergestellt, produziert oder – allgemeiner gesprochen – durch (menschliche) Anstrengungen, etwa auch in Form des Arrangierens, Modifizierens oder Selektierens, entstanden sind. Um diese verschiedenen Tätigkeitsformen unter einen gemeinsamen Begriff zu bringen, schlage ich vor, davon zu sprechen, dass Artefakte Resultate von Arbeit sind.7 Wir können also zunächst die Bedin7
Wenn ich an dieser Stelle von Arbeit spreche, verstehe ich darunter schlicht eine zielgerichtete Anstrengung, eine persönliche Leistung einer_eines Akteurs_Akteurin. Arbeit und Freude schließen sich nach diesem Verständnis keineswegs aus: Ein spielendes Kind, das vergnügt eine Sandburg baut, kann ebenso Arbeit verrichten wie eine Philosophin, der die Leitung einer Seminarsitzung Freude macht. Beide Tätigkeiten kön-
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gung (AB) formulieren, die ganz allgemein das Vorliegen von Arbeit voraussetzt, ohne bereits genau zu spezifizieren, in welcher Art und welchem Umfang Arbeit vorliegen muss, damit ein Artefakt hervorgebracht wird: Wenn x ein Artefakt ist, dann (AB) ist x ein Ergebnis von Arbeit.8
Dass es Arbeit bedarf, um Artefakte hervorzubringen, erscheint zunächst nicht als abwegige Annahme, da uns eine Vielzahl von Entitäten einfallen dürfte, deren Urheber_innen für ihr Entstehen Arbeit investiert haben und nen sich nach meinem Verständnis durchaus als Arbeit apostrophieren lassen, obgleich sie Freude bereiten – ich sehe nicht, warum sich Arbeit und Freude ausschließen sollten. Martin Hoffmann und Reinold Schmücker danke ich für die Hinweise, die mir vor Augen geführt haben, dass der hier eingeführte Arbeitsbegriff einer entsprechenden Explikation bedarf, um Einwänden wie dem vom spielenden Kind vorzubeugen. 8 Inwiefern Artefakte aus Arbeit resultieren, wird von den Autor_innen ganz unterschiedlich ausbuchstabiert: Laut Ludger Jansen erfordert die Entstehung von Artefakten eine »intentional activity […] aimed at producing this very object« (Jansen 2013a, 321) seitens der_des Artefaktproduzierenden. In Risto Hilpinens Definition ist nicht explizit die Rede von Produktion (vgl. Hilpinen 1993, 156 ff.). Der Produktionsaspekt ist aber dennoch implizit in Hilpinens Definition enthalten, da Hilpinen es als notwendige und hinreichende Bedingung für den Artefaktstatus eines Gegenstands bestimmt, dass dieser Gegenstand eine_n Autor_in hat. Um Autor_in eines Gegenstandes zu sein, muss der Gegenstand aber, so Hilpinen, von dieser Person »intentionally produced« (Hilpinen 1993, 157; Herv. A. B.) sein. Artefakte sind demzufolge laut Hilpinen notwendigerweise absichtsvoll produziert; in der Artefaktdefinition von Wybo Houkes und Pieter Vermaas findet sich dieselbe Formulierung (vgl. Houkes und Vermaas 2010, 158). Maria Reicher spricht von Schaffensakten, die am Ende von Schaffensprozessen stehen und denen Artefakte ihre Entstehung verdanken (vgl. Reicher 2013, 225; dass dem Schaffensakt ein Schaffensprozess vorausgeht, findet nicht explizit Eingang in die Definition (A5), die Reichers Artefaktbegriff definiert; Reicher führt dies jedoch im Anschluss an ihre Definition aus, vgl. Reicher 2013, 226). Bei Lynne Rudder Baker ist die Rede von der Abhängigkeit der Existenz von Artefakten von den Intentionen der Urheber_innen und »the execution of those intentions« (Baker 2007, 53; Herv. A. B.) sowie der Konstitution der Artefakte durch Aggregate, die die Urheber_innen (für die Erfüllung bestimmter Funktionen) »arranged or selected« (Baker 2007, 53; Herv. A. B.) haben. Laut Dipert muss ein Artefakt »intentionally modified« (Dipert 1995, 129; Herv. A. B.) sein durch Zufügung oder absichtliche Beibehaltung von Eigenschaften. Bei der Betrachtung dieser Formulierungen wird deutlich, dass Baker und Dipert einen anderen Schwerpunkt setzen als die zuvor genannten Autor_innen, bei denen es um das Zur-Existenz-Bringen, Schaffen oder Produzieren geht: Bei Baker steht das Arrangieren oder Selektieren von Aggregaten im Vordergrund, bei Dipert die Modifikation. Baker und Dipert setzen somit Arbeit in einem schwächeren Sinne voraus als die anderen Autor_innen. Nichtsdestotrotz erscheint mir die Rede von Arbeit auch im Zusammenhang mit den von Dipert und Baker beschriebenen Tätigkeiten als gerechtfertigt.
Zur Definition
die sich sinnvoll als Artefakte apostrophieren lassen: Nehmen wir etwa den Tisch, für den die_der Tischler_in Holz zurechtsägt, abschleift und zusammenleimt, oder den Roman, für dessen Fertigstellung die_der Schriftsteller_in nächtelang am Plot, den Charakteren und den sprachlichen Feinheiten feilt. Bei manchen Artefakten ist ein verhältnismäßig geringes Maß an Arbeit im Spiel, etwa beim Herstellen einer Steinschleuder aus einer Astgabel und einem Gummiband. Aber dass etwas, das wir als Artefakt bezeichnen wollen, gänzlich ohne Arbeit entstehen kann, erscheint erst einmal nicht als sinnvolle Auffassung. Der Einwand von den arbeitsscheuen Artefakturheber_innen, den ich nachfolgend mithilfe dreier Beispiele vorbringen werde, zielt allerdings darauf ab, zu erfragen, ob nicht auch die Annahme einer Artefaktentstehung ohne Arbeit plausibel sein könnte. Betrachten wir zunächst ein Readymade von Duchamp, den Flaschentrockner. Es dürfte unstreitig sein, dass der Flaschentrockner, der die Grundlage dieses Readymades bildete, als in Massen industriell gefertigter Gebrauchsgegenstand als Artefakt bezeichnet werden sollte. Aber Duchamp unterzieht diesen Gebrauchsgegenstand einer Wandlung, er transformiert ihn zum Kunstobjekt. Das Kunstobjekt Flaschentrockner und der Flaschentrockner, der für das Kunstobjekt verwendet wurde, sind nicht identisch. Auch diesbezüglich dürfte ein Konsens bestehen. Allerdings hat Duchamp sich allem Anschein nach nicht sonderlich angestrengt, um die Transformation zu bewirken und damit einen neuen Gegenstand zur Existenz zur bringen: Er hat allenfalls einen handelsüblichen Flaschentrockner mit einer Signatur versehen9, sonst aber nichts daran verändert.10 Ist das nicht ein bisschen wenig, um ein ganz neues Objekt zu schaffen? Und: Wollen wir wirklich behaupten, Duchamps Flaschentrockner sei ein Resultat von Arbeit? Beispiele, die den Sinn der Annahme einer Notwendigkeit der Arbeitsresultatbedingung in Zweifel ziehen, finden sich aber nicht nur in der Kunstwelt, die ja bekanntlich ihre eigenen Regeln hat, sondern auch in alltäglichen Kontexten. Angenommen, in meinem Garten fällt aufgrund eines Sturms ein 9
Das Signieren von Alltagsgegenständen, um sie zu Kunstobjekten zu transformieren, ist nicht nur von Duchamp praktiziert worden: Von Mai bis August 2011 stellte das Kunsthaus Zürich den umfangreichen Werkkomplex Difesa Della Natura des Künstlers Joseph Beuys aus; die Ausstellung enthielt eine unüberschaubar große Anzahl von Gebrauchsgegenständen wie bspw. Schaufeln, die Beuys zwischen 1972 und 1985 bei seinen Besuchen des befreundeten Ehepaars Durini in Bolognano signiert und anschließend dem Ehepaar geschenkt hatte, das sämtliche signierten Gegenstände aufbewahrt hat. 10 Vermutlich wäre es sogar denkbar gewesen, dass Duchamp auf die Signatur verzichtet hätte. Andere Readymades von Duchamp – wie Trap, der Kleiderhaken – wiesen keine Signatur auf, allerdings erfuhren sie eine geringfügige Bearbeitung. Trap etwa wurde mit Nägeln auf dem Boden von Duchamps Atelier befestigt.
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Baum um und ich entschließe mich, das Beste daraus zu machen und den Baumstamm als Gartenbank zu nutzen. Vielleicht stelle ich einen Tisch vor den Stamm, um auf dem Baum sitzend am Tisch essen zu können; oder ich setze mich einfach so auf den Stamm, um mich nach anstrengender Gartenarbeit auszuruhen. Auch in diesen Fällen hat das in Frage stehende Objekt, der Baumstamm, keine Modifikation erfahren – ich habe den Stamm nicht angemalt, habe kein Brett darauf befestigt, um eine ebene Sitzfläche zu schaffen oder Ähnliches. Im ersten Fall habe ich lediglich einen Tisch dazugestellt, den Stamm also neu kontextualisiert11; im zweiten Fall ist nicht einmal das geschehen. Ein ganz ähnliches Beispiel findet sich bei Peter McLaughlin, der verschiedene Varianten diskutiert, in denen eine Akteurin, die durch einen Wald spaziert, einen Ast zum Spazierstock macht. In der letzten Variante fasst die Akteurin lediglich den Entschluss, den Ast (der bereits abgebrochen ist oder sogar noch am Baum hängt) als Spazierstock zu verwenden. Laut McLaugh lin ist dieser Entschluss bereits ausreichend, um den Ast zum Spazierstock zu machen; die Akteurin muss ihn weder aufheben bzw. abbrechen noch in irgendeiner Weise bearbeiten.12 In allen drei Beispielen haben wir es mit Objekten zu tun, die nur eine sehr geringfügige oder sogar gar keine Modifikation zu erfahren scheinen. Es liegt also – sofern wir konzedieren, dass wir über die Objekte sagen sollten, dass sie Artefakte sind – die Vermutung nahe, dass es doch Gegenstände geben kann, die ohne Arbeit zustande kommen und dennoch sinnvollerweise als Artefakte bezeichnet werden sollten. In der Tat ist es auffällig, dass alle genannten Gegenstände nur eine sehr geringe oder gar keine physische Bearbeitung erfahren. Nichtsdestotrotz gehe ich davon aus, dass wir es in allen Fällen mit Gegenständen zu tun haben, die wir als Artefakte bezeichnen sollten: Es ist offensichtlich, dass physische Arbeit nicht die einzige Form von Arbeit ist; das dürfte vor allem Philosoph_innen einleuchten, die einen Großteil ihrer Zeit mit geistiger Arbeit13 11
Selbst, wenn wir diese Neukontextualisierung als Modifikation des Stamms anerkennten – was mir nicht als plausibel erschiene, da wir ja, wenn wir einen neugekauften Esstisch und ein paar neugekaufte Stühle zusammenstellen, dadurch auch weder die Stühle noch den Esstisch modifizieren –, so bleibt die zweite Variante des BaumstammBeispiels, die ohne das Hinzustellen eines Tisches auskommt, dennoch problematisch. 12 Vgl. McLaughlin 2001, 44. 13 Geistige Arbeit fasse ich keineswegs als Arbeit im metaphorischen Sinne auf: Unter Arbeit verstehe ich eine zielgerichtete Tätigkeit, bei der sich die_der Arbeitende selbst einbringt. Eine ähnliche Bestimmung findet sich bereits in Eislers Handwörterbuch der Philosophie – dort wird Arbeit zunächst allgemein als »eine mehr oder minder Kraft erfordernde, Hindernisse überwindende, auf ein Ziel gerichtete Tätigkeit« (Eisler 1922,
Zur Definition
zubringen. Dass wir es bei den Beispielen kaum oder gar nicht mit durch physische Arbeit bewirkten Modifikationen des Ausgangsmaterials bzw. der Ausgangsgegenstände zu tun haben, heißt also noch nicht, dass hier keine Arbeit im Spiel war. Denn die diskutierten Fälle lassen sich plausibel wie folgt beschreiben: Zunächst haben die Urheber_innen der fraglichen Objekte im Geiste einen Plan für ein konkretes Artefakt angefertigt, einen sogenannten Design-Plan.14 Dann haben sie eine Instanziierung ausgewählt, die den Vorgaben dieses Design-Plans entspricht. Bei vielen Gegenständen, die wir sinnvollerweise als Artefakte auffassen, läuft dieser Prozess etwas anders ab: Erst wird ein Design-Plan entwickelt, dann werden durch physische Modifikation und Kombination von Ausgangsmaterialien Instanziierungen geschaffen. Aber auch die Auswahl einer Instanziierung lässt sich plausibel als Arbeit charakterisieren; es handelt sich dann eben um geistige Arbeit, die verrichtet wird. Weil diese Arbeit mentaler Natur ist, ist sie weniger offensichtlich als physische Arbeit – aber es ist offensichtlich dennoch Arbeit.15 Daher halte ich es für sinnvoll, Duchamps Flaschentrockner, den Baumstamm in meinem Garten und den Spazierstock der von McLaughlin erdachten Akteurin als Artefakte aufzufassen, die Resultate von Arbeit sind. Der Einwand vermag also den Sinn der Notwendigkeit von (AB) nicht in Frage zu stellen. Die vorhergehenden Überlegungen geben außerdem Anlass dazu, unter »Arbeit« im Rahmen einer Definition von Artefakt explizit auch Formen rein geistiger Arbeit zu subsumieren. Dies liegt auch insofern nahe, als die Design-Pläne, die die Grundlage für Artefakte bilden, selbst Artefakte sind und wesentlich auf geistige Arbeit zurückgehen. Daraus ergibt sich das erste Desiderat.
53) definiert. Ferner wird ebenfalls zwischen physischer und geistiger Arbeit unterschieden (wobei letztere z. T. auch als »psychische Arbeit« bezeichnet wird) und auch die Frage beantwortet, wie sich geistige Arbeit messen lässt: »Insbesondere wird in den intellektuellen Prozessen geistige A[rbeit] verrichtet (»Denkarbeit«) [...]; bei der Messung der psychischen A[rbeit] ist das Verhältnis zwischen Qualität (Wert) und Quantität des Geleis teten zu beachten. Eine psychische A[rbeit] ist umso größer, je größer der überwundene Widerstand oder die dafür verbrauchte Energie und je größer die Anzahl der überwundenen Hemmungen [...] ist.« (Eisler 1922, 53). Entsprechend verwundert es nicht, dass wir Architekt_innen, die zur Gestaltung eines Hauses ein kompliziertes statisches Problem lösen, mehr Anerkennung für ihre geistige Arbeit zuteil werden lassen (und oftmals auch eine sehr viel höhere Bezahlung dafür zudenken) als Architekt_innen, die zur Gestaltung eines simplen Gebäudes nur wenige intellektuelle Hindernisse überwinden müssen. 14 Design-Pläne sind selbst Artefakte, vgl. Abschnitt 2.2.1. 15 Auch McLaughlin ist der Auffassung, dass die Arbeit, die zum Schaffen eines Artefakts führt, »entirely mental« (McLaughlin 2001, 44) sein kann.
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Desiderat A1 Eine Definition von Artefakt sollte als notwendige Bedingung eine präzisierte Variante der Arbeitsresultatbedingung beinhalten, die explizit sowohl physische als auch geistige Arbeit einschließt. Die Arbeitsresultatbedingung als nicht hinreichende Bedingung für Artefaktizität
Die Bedingung (AB) nicht nur als notwendig, sondern als hinreichend dafür aufzufassen, dass etwas ein Artefakt ist, scheint hingegen nicht sinnvoll zu sein. Dies zeigt sich etwa, wenn wir uns klar machen, dass die Annahme, jede Arbeit resultiere in der Entstehung eines Artefakts, nicht besonders überzeugend ist: Ein_e Maler_in, die_der einen Zaun streicht16, verrichtet offensichtlich eine Art von Arbeit, ohne dass dadurch etwas Zusätzliches zum Zaun entstünde, was sich sinnvoll unter den Begriff Artefakt subsumieren ließe. Denn das Resultat dieser Arbeit lässt sich nicht sinnvoll als Artefakt apostrophieren, das zusätzlich zum Zaun zur Existenz kommt, sondern es erscheint als plausibel, die Situation vielmehr so zu beschreiben, dass die_der Maler_in lediglich ein bereits vorliegendes Artefakt (den Zaun) durch ihre_seine Arbeit verändert hat: Die auf einen Zaun gestrichene Farbe werten wir im Allgemeinen nicht als ein vom Zaun distinktes Artefakt.17 Das Streichen des Zauns ist zwar ein Beispiel für eine Aktivität, die eine Form von Arbeit darstellt – ich 16
Es geht mir hier nicht um einen Fall, in dem die_der Maler_in ein_e Künstler_in ist und durch ihre_seine Tätigkeit den Zaun in ein Kunstwerk transformiert. In Fn. 17 lege ich dar, worin die Unterschiede zwischen dem nicht-künstlerischen Anstreichen eines Zauns und dem Bemalen einer Wand mit einem Graffiti bestehen. 17 Hier drängt sich freilich ein weiteres Beispiel auf, das dem Beispiel vom Streichen des Zauns zunächst signifikant zu ähneln scheint, nämlich das Beispiel des Bemalens einer Wand mit einem Graffiti. Graffitis sind spätestens mit der zunehmenden Prominenz des Streetart-Künstlers Banksy weitgehend als Kunst akzeptiert. Sollten wir das Beispiel des Bemalens einer Wand mit einem Graffiti nun analog zum Beispiel des Streichens eines Zauns auffassen und auch in diesem Falle sagen, dass das Ergebnis – das Graffiti an der Wand – nicht unter den Begriff Artefakt fallen sollte, oder sollten wir das Graffiti als Vorkommnis von Kunst und damit als Artefakt auffassen? (Zur weit geteilten Annahme, dass Vorkommnisse von Kunst Artefakte sind, vgl. etwa Iseminger 1973.) Die zweite Lösung scheint mir für viele Graffitis naheliegender zu sein, wobei der Unterschied zwischen dem Ergebnis des Zaunstreichens und dem Ergebnis des Graffiti-Malens m. E. nicht nur darin besteht, dass das Ergebnis des Graffiti-Malens sich als Gegenstand auffassen lässt, sondern auch darin, dass für die Aktivität des Zaunstreichens zumeist andere Arten von Absichten maßgeblich sind als für die Aktivität des Graffiti-Malens: Für das Graffiti-Malen bedarf es in den meisten Fällen der Ausbildung von Absichten, die einen Design-Plan konstituieren.
Zur Definition
fasse das Resultat dieser Aktivität jedoch zugleich als Beispiel für etwas auf, das gerade nicht unter den Begriff Artefakt fällt: Die Annahme, dass das Resultat des Zaunstreichens selbst ein Artefakt ist, erscheint nicht als sinnvoll, weil durch diese Aktivität kein neuer Gegenstand zur Existenz gebracht, sondern lediglich ein bereits bestehender Gegenstand verändert wird. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die philosophischen Definitionsvorschläge, aus denen ich die Schnittmenge (DS) gewonnen habe, darin übereinstimmen, dass Artefakte Gegenstände sind – der Gegenstandsbedingung, die dies zum Ausdruck bringt, widme ich mich im folgenden Abschnitt. Die Gegenstandsbedingung als notwendige Bedingung für Artefaktizität
Wie sich gezeigt hat, erscheint es mit Blick auf die Arbeitsresultatbedingung als sinnvoll, Artefakte als spezielle Resultate von Arbeit aufzufassen, nämlich als Resultate von Arbeit, die Gegenstände sind. Die Voraussetzung des Gegenstandseins für den Artefaktstatus findet ihren Ausdruck in der Bedingung (GB): Wenn x ein Artefakt ist, dann (GB) ist x ein Gegenstand.18
Prima facie erscheint die Annahme einer Notwendigkeit der Gegenstandsbedingung für den Artefaktstatus als ausgesprochen unkontrovers, denn die 18
Dass es sich bei Artefakten um Gegenstände handelt, nehmen einige Autor_innen als gegeben an und führen dazu keine gesonderte Bedingung in ihre Definitionen ein. So ist etwa bei Dipert die Rede davon, dass »an object o is an artifact«, sofern die Bedingungen seines Definitionsvorschlags erfüllt sind (Dipert 1995, 129, Herv. A. B.). Es wird also der Gegenstandsbereich, in den Artefakte fallen, von vornherein auf Gegenstände beschränkt. Eine analoge Formulierung findet sich bei Hilpinen (Hilpinen 1993, 156) und bei Houkes und Vermaas (Houkes und Vermaas 2010, 158 – hier ist lediglich von »x« statt von »o« die Rede). Analog dazu ist in Jansens Definition davon die Rede, dass »[a]n artifact is an object that« (Jansen 2013a, 321) bestimmte Bedingungen erfüllt. Bei Baker ist zwar im Rahmen ihrer Definition von »artifact« im Kapitel über Artefakte in ihrem Buch The Metaphysics of Everyday Life nicht explizit die Rede davon, dass Artefakte Gegenstände sind; dass sie davon überzeugt ist, zeigen jedoch verschiedene Bemerkungen im Rahmen des Kapitels (etwa »artifacts are ontologically on a par with other material objects« (Baker 2007, 49; Herv. A. B.)), sowie die kurze Definition, die sie an anderer Stelle zum Ausgangspunkt der Diskussion anderer Aspekte von Artefakten nimmt (»[a]rtifacts are objects intentionally made to serve a given purpose« (Baker 2004, 99; 2008, 2; Herv. A. B.)). Auch Reicher spricht in ihrer Definition nicht explizit davon, dass Artefakte Gegenstände sind, ihre Ausführungen lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass sie dieser Auffassung ist (vgl. Reicher 2013, besonders auch die zu Beginn des Aufsatzes aufgeworfene Frage »Bilden Artefakte eine eigene Kategorie von Gegenständen?« (Reicher 2013, 220; Herv. A. B.)).
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Kategorie der Gegenstände ist denkbar allgemein – so schreibt etwa Laycock: »the concept of object – that concept of object which is of fundamental interest within philosophy – is among the most general concepts (or categories) which we possess«19. Wenn wir einen weiten Gegenstandsbegriff voraussetzen, der nicht auf materielle Entitäten beschränkt ist und stattdessen alle Referent_ innen singulärer Terme umfasst, fallen unter den Begriff auch abstrakte Objekte.20 Dies ist im Zusammenhang mit der Definition von Artefakt durchaus von Vorteil, denn als paradigmatische Beispiele für Artefakte sollten uns nicht nur Tische, Stühle, Wasserkocher und Gemälde gelten, sondern auch Romane oder Musikstücke, also abstrakte Entitäten.21 Lassen sich nun also alle Entitäten, die als Artefakte zu bezeichnen uns als sinnvoll erscheint, unter diesen weiten Gegenstandsbegriff subsumieren? Oder anders gefragt: Sollten wir das Gegenstandsein als notwendig für das Artefaktsein auffassen? Der Coca-Cola-Einwand weckt daran Zweifel. Der firmeneigenen Homepage coke.de ist zu entnehmen, dass der Arzt und Apotheker John S. Pemberton »die Formel für Coca Cola« im Jahr 1886 erfand.22 Pemberton schuf also einen Design-Plan für ein Erfrischungsgetränk, der seit 1886 immer wieder instanziiert wurde und bis heute instanziiert wird. Aber handelt es sich bei den Instanziierungen des Design-Plans tatsächlich um Gegenstände in dem hier relevanten Sinn? Es erscheint durchaus als plausibel, dass eine Flasche Coca Cola ein Gegenstand ist. Dies ist aber nicht der entscheidende Punkt, 19
Laycock 2014, 1 (Herv. i. O.). Da die meisten Autor_innen die Gegenstandsbedingung nicht einmal explizit einführen, verwundert es nicht, dass man Bestimmungen dessen, was Gegenstände im Einzelnen auszeichnet, in ihren Ausführungen zu Artefakten zumeist vergeblich sucht. Lediglich Reicher führt aus, dass »Gegenstand« im hier einschlägigen Sinn sowohl konkrete als auch abstrakte Artefakte umfasse (vgl. Reicher 2013, 226 f.). Ich schlage daher vor, hier zunächst an die weite Bestimmung des Gegenstandsbegriffs bei Künne anzuschließen: »Den Ausdruck ›Gegenstand‹ verwende ich (wie Frege) im denkbar allgemeinsten Sinne: Wenn ›a‹ ein singulärer Term ist, dann ist a ein Gegenstand« (Künne 2007, 43, Herv. i. O.; ebenso auch Tugendhat 1982, 23). Es wird sich im weiteren Verlauf zeigen, dass diese weite Bestimmung im Hinblick auf Artefakte ausgesprochen sinnvoll ist, da sie auch abstrakte Artefakte wie musikalische Werke, Design-Pläne für technische Artefakte usw. einzuschließen vermag. Zu beachten ist ferner, dass zu den Gegenständen nicht nur Entitäten zählen, die in der (formalen) Ontologie als Enduranten bezeichnet werden, sondern auch sogenannte Perduranten: »Endurants and perdurants are distinct regarding their behavior in time. Endurants are wholly present at any time they exist, whereas perdurants extend in time by accumulating different temporal parts« (Babitzki et al. 2009, 111). Zu den Enduranten zählen u. a. Gebäude; zu den Perduranten sind u. a. Ereignisse zu rechnen (vgl. Babitzki et al. 2009, 111). 21 Eine ausführliche Begründung für die Plausibilität der Annahme, dass es geschaffene Abstrakta geben kann, gebe ich in Abschnitt 2.2.1. 22 Vgl. https://www.coca-cola-deutschland.de/uber-uns, abgerufen am 3.8.2021. 20
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denn bei Flaschen, die mit Coca Cola gefüllt sind, handelt es sich nicht um Instanziierungen des in Frage stehenden Design-Plans: Instanziiert wird dieser Design-Plan durch das Getränk selbst. Lässt sich aber das Getränk selbst überzeugend als Gegenstand auffassen? Mit einer solchen Auffassung scheint es eine Reihe von Problemen zu geben. So ist Coca Cola beispielsweise nicht zählbar, während Gegenstände zählbar sind: Ich kann zwar in der Kneipe »zwei Cola« bestellen – damit meine ich aber zwei Gläser oder Flaschen, die mit Cola gefüllt sind. Wenn ich ein Glas mit Cola leertrinke, scheint die Behauptung, dass es nun einen Gegenstand weniger in der Welt gibt, nicht angemessen zu sein. Wenn ich den Inhalt eines Glases Cola in zwei Gläser aufteile, sodass beide Gläser die Hälfte der ursprünglichen Menge enthalten, dann habe ich nach wie vor Cola, während ein materieller Gegenstand wie bspw. ein Tisch die Teilung in zwei Hälften nicht unbeschadet übersteht. Coca Cola ist das, was einige Ontolog_innen als stuff bezeichnen. Ist Coca Cola nun kein Gegenstand und gibt es Gründe, das Getränk dennoch als Artefakt aufzufassen, ist also die Gegenstandsbedingung hinfällig? Dass wir Coca Cola als Artefakt auffassen sollten, scheint mir unstreitig zu sein. Daher dient mir das Getränk hier als Beispiel für eine bestimmte Art von Artefakten, die sich dadurch auszeichnet, dass diese Artefakte zugleich stuff sind. Allerdings sind die Probleme, die die Auffassung mit sich bringt, dass es sich bei Coca Cola und anderen Artefakten dieser Art um Gegenstände handelt, durchaus ernstzunehmen. In der Ontologie finden sich verschiedene Strategien, um mit sogenanntem stuff wie Coca Cola umzugehen: Einige dieser Strategien zielen darauf ab, stuff auf Gegenstände zurückzuführen. Dies lässt sich machen, indem man stuff als mereologische Summe, als Klasse oder aber als Pluralität auffasst. Die erste Variante erscheint als besonders aussichtsreich: Ihr zufolge referiert der Ausdruck »Coca Cola« auf die mereologische Summe aus allen Tropfen Coca Cola.23 23
Mark Steen fasst die dieser Variante zugrunde liegende Idee unter Bezug auf Quine (1960, Kapitel 20) wie folgt zusammen: »Concrete mass expressions refer to mereological sums. So, a sentence such as ›Snow is white‹ is, for example, understood to mean that there is a sum of all the snow (flakes, bits, balls, etc.), and that this sum is part of the fusion of all the white things« (Steen 2016, 10). Fassen wir Coca Cola als mereologische Summe auf, so birgt dies den Vorteil, dass wir Coca Cola als Konkretum verstehen können: »Unlike set theory, mereology is not committed to the existence of abstracta: the whole can be as concrete as the parts« (Varzi 2016, 7). Dies ist ein entscheidender Vorteil gegenüber einer Theorie, die stuff wie Coca Cola als Abstraktum begreift. Denn die Auffassung, dass es sich bei Coca Cola um ein Abstraktum handelt, ließe sich im Rahmen dieser Studie zwar konsistent vertreten: In Abschnitt 2.2.1 wird sich die Annahme abstrakter Artefakte als äußerst überzeugend erweisen. Insofern besteht keine generelle Skepsis an der Existenz abstrakter Entitäten, die der Annahme entgegenstünde, dass
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Im Lichte der Strategie, stuff als mereologische Summe zu verstehen, stellt es kein Problem dar, Coca Cola als Gegenstand aufzufassen. Der Coca-ColaEinwand gibt also keinen Anlass dazu, die Notwendigkeit der Gegenstandsbedingung aufzugeben, weshalb es als sinnvoll erscheint, dass eine Definition von Artefakt der Notwendigkeit der Gegenstandsbedingung Rechnung trägt. Es bietet sich allerdings – vor dem Hintergrund der vielen Beispiele abstrakter Entitäten, die wir als Artefakte auffassen sollten – zugunsten einer größeren Präzision an, den weiten Gegenstandsbegriff in der entsprechenden Bedingung explizit zu machen. Damit ergibt sich das Desiderat A2. Desiderat A2 Eine Definition von Artefakt sollte als notwendige Bedingung eine präzisierte Variante der Gegenstandsbedingung enthalten, die explizit sowohl konkrete als auch abstrakte Gegenstände einschließt. Die Artefaktresultatbedingung und die Gegenstandsbedingung als zusammen nicht hinreichende Bedingungen für Artefaktizität
Wäre die Kombination der Bedingungen (AB) und (GB) hinreichend für Artefaktizität, dann wäre jeder Gegenstand, der ein Resultat von Arbeit ist, auch ein Artefakt. Dies ist jedoch wenig überzeugend, wie das folgende Beispiel zeigt: Ein_e Tischler_in fertigt einen Computertisch an und sägt, um Kabel dort hindurchleiten zu können, mit einer Stichsäge ein kreisrundes Loch aus der Tischplatte aus. Das Stückchen Holz, das sie_er aus der Platte ausgesägt hat, ist ein Nebenprodukt des Aussägens, das die_der Tischler_in auf einen Haufen mit anderem Holzmüll wirft und später entsorgt. Nun erscheint es als offensichtlich, dass das kreisrunde Holzstück ein Gegenstand ist. Auch veres sich bei Coca Cola u. ä. um Abstrakta handelt. Allerdings erscheint diese Annahme aus einem anderen Grund als problematisch – Steen verdeutlicht dies am Beispiel der ›masses-as-sets view‹: »One stark problem for the masses-as-sets view [...] is that it identifies paradigmatically concrete stuffs with what are usually regarded as paradigmatically abstract objects – sets. How could some gold be a set? Suppose we can pick out a definite portion of gold which makes up a ring. If sets are abstract, then the set theorist must say that the gold is abstract. This is pretty hard to swallow. [S]ets are not identical to their members. But the gold in the ring does seem identical to the members of the set of gold atoms, not the set itself« (Steen 2016, 18; Herv. i. O.). Die Auffassung, dass stuff wie Coca Cola als mereologische Summe zu verstehen ist, wird mitunter mit einer vierdimensionalistischen Metaphysik in Verbindung gebracht, wie sie etwa Sider (2001) vertritt. Nichtsdestotrotz ist diese Auffassung auch mit einer dreidimensionalistischen Metaphysik vereinbar, wie sich in einer Reihe von Beiträgen zu Haslanger und Kurtz (2006, Teil III) zeigt.
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dankt sich die Existenz dieses Gegenstands der Arbeit der_des Tischlernden. Allerdings ist es nicht sinnvoll, das kreisrunde Stück Holz unter den Begriff Artefakt zu subsumieren, denn ein sinnvoller Artefaktbegriff sollte zwischen Artefakten und Nebenprodukten der Artefaktherstellung unterscheiden – aus diesem Grunde fasse ich das kreisrunde Holzstück als Gegenstand auf, der gerade kein Artefakt ist. Auf welcher Grundlage aber können wir sicherstellen, dass unser Artefaktbegriff dieser Unterscheidung Rechnung trägt? Es erscheint als naheliegend, hier auf Intentionen Bezug zu nehmen: Es war die Intention der_des Tischlernden, einen Tisch mit einer bestimmten Eigenschaft zu bauen, einen Tisch nämlich, der in der Tischplatte ein Loch zum Hindurchleiten von Kabeln aufweist. Es war hingegen keineswegs die Intention der_des Tischlernden, ein kreisrundes Holzstück herzustellen. Um den Unterschied zwischen Artefakten und Neben- bzw. Abfallprodukten zu erfassen, liegt es also nahe, die Definition eines Artefaktbegriffs um eine weitere Bedingung zu ergänzen, die auf Intentionen abzielt – die Intentionsbedingung, die dies leistet, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts. Die Intentionsbedingung als notwendige Bedingung für Artefaktizität
Die Tatsache, dass sich die Konjunktion der Bedingungen (AB) und (GB) nicht sinnvollerweise als hinreichend für Artefaktizität auffassen lässt, gibt uns Anlass dazu, den Sinn der Notwendigkeit einer Bedingung in Betracht zu ziehen, die auf Intentionen abhebt. Die Intentionsbedingung (IB) betont die zentrale Rolle von Intentionen bei der Artefaktentstehung: Wenn x ein Artefakt ist, dann (IB) waren bei der Entstehung von x Intentionen maßgeblich.24 24
Der Verweis auf Intentionen findet sich in den philosophischen Definitionsvorschlägen in ganz ähnlichen Formulierungen, die auf die Korrelation zwischen Intentionen und der Existenz bzw. den Merkmalen von Artefakten Bezug nehmen: Bei Jansen ist die Rede von einer »intentional activity« (Jansen 2013a, 321), die das Zur-ExistenzKommen von Artefakten nach sich zieht. Hilpinen verweist auf die »intentional production« (Hilpinen 1993, 157) von Artefakten und die Abhängigkeit der Existenz sowie einiger Eigenschaften der Artefakte von Intentionen (vgl. Hilpinen 1993, 159). Houkes und Vermaas setzen ebenfalls voraus, dass Artefakte »intentionally produced« (Houkes und Vermaas 2010, 158) sind. Laut Baker ist die Existenz (und teilweise auch die primäre Art) eines Artefakts von Intentionen abhängig (Baker 2004, 53). Diperts Definition beinhaltet die Voraussetzung, dass Artefakte »intentionally modified« werden (Dipert 1995, 129). Reicher geht in ihrer Definition zwar nicht explizit auf Intentionen ein, jedoch setzt sie für die Entstehung von Artefakten Schaffensakte voraus, die sie zuvor als spezielle Art intentionaler Akte charakterisiert hat (vgl. Reicher 2013, 223 f.).
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Für die Annahme der Notwendigkeit von (IB) spricht, dass sie mit unseren eigenen Erfahrungen zusammenstimmt: Wenn wir selbst Gegenstände schaffen, von denen wir annehmen können, dass sie sinnvollerweise unter einen Artefaktbegriff subsumiert werden sollten, dann erleben wir, dass Intentionen dabei eine wichtige Rolle zukommt. Wenn ich mich etwa dazu entschließe, am Wochenende einen Kuchen zu backen, dann habe ich zunächst eine Absicht, die die Tätigkeit des Kuchenbackens einleitet – die Absicht, einen Kuchen zu backen –, sowie anschließend verschiedene Absichten, die die Etappen des Kuchenbackens steuern und bestimmen, wie das Resultat, der fertige Kuchen, am Ende beschaffen ist – darunter die Absicht, dem Rezept folgend 200g Mehl abzuwiegen, oder die Absicht, die im Rezept vorgesehenen Kirschen durch Himbeeren zu ersetzen. In dieser oder ähnlicher Weise sind die Prozesse der Artefaktherstellung, die wir erleben, von Intentionen geleitet – ein Vorgang, bei dem keinerlei Intentionen im Spiel sind, der aber dennoch in etwas resultiert, das wir als Artefakt würden bezeichnen wollen, scheint schwer vorstellbar. Allerdings lassen sich drei Einwände vorbringen, die nahelegen, dass es auch nicht-intendierte Artefakte gibt. Der erste bedenkenswerte Einwand ist der Einwand von den nicht beabsichtigten oder unerwünschten Artefakten: Wie bereits in Abschnitt 1.2.1 angeklungen ist, gibt es Wissenschaftler_innen unterschiedlicher Fachrichtungen, die auch (oder sogar ausschließlich) solche Gegenstände als Artefakte bezeichnen, die zwar Resultate menschlichen Einwirkens, aber keineswegs intendiert und ggf. sogar unerwünscht sind. Dazu zählen etwa manche Archäolog_innen, die über einen Artefaktbegriff verfügen, unter den auch Entitäten fallen, die eine unbeabsichtigte Modifikation durch den Menschen erfahren haben: Artefakte sind ihrer Auffassung nach Dinge, die menschliche Einflussnahme erkennen lassen – unabhängig davon, ob die Einflussnahme beabsichtigt war oder nicht. Unter diese weite Auffassung dessen, was ein Artefakt ist, fallen also sowohl Gegenstände, die beabsichtigt und deren Entstehen erwünscht ist, als auch nicht erwünschte Gegenstände wie Müll. Zudem ist es unter Mediziner_innen üblich, unbeabsichtigte, künstlich herbeigeführte Auffälligkeiten in der Diagnostik unter einen medizinischen Artefaktbegriff zu subsumieren (etwa Bildfehler in der Ultraschalldiagnose), die Diagnoseergebnisse verfälschen und zu Fehldiagnosen führen können. Für die Gegenstände, die unter diesen Begriff fallen, zeichnen Menschen zwar ebenfalls verantwortlich, aber die Entstehung der Gegenstände ist gerade nicht beabsichtigt und eindeutig unerwünscht. Die hier zugrunde liegenden Artefaktbegriffe könnten nahelegen, die Intentionsbedingung abzuschwächen oder gar gänzlich aufzugeben, um mit der Definition von Arte-
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fakt auch den soeben skizzierten Artefaktbegriffen der Archäolog_innen und Mediziner_innen gerecht zu werden. Den zweiten Einwand will ich hier als Einwand von der wildgewordenen Fa brik25 in der moderaten Version bezeichnen. Stellen wir uns eine Fabrik vor, die Haushaltsscheren produziert. Die Fabrik verfügt über eine Transferstraße, die die für die Produktion der Scheren erforderten Bearbeitungsmaschinen mit einem Fließband zu einer großen Produktionsanlage verbindet. Die Produktion der Scheren erfolgt vollautomatisch: Durch einen einzigen Knopfdruck werden alle Maschinen und das Fließband in Betrieb gesetzt und die Produktion der Scheren eingeleitet. Die Fabrik beschäftigt nur eine Arbeiterin, die dafür zuständig ist, Rohstoffe für die Scherenproduktion nachzufüllen und jeweils morgens den Knopf zu drücken, um den Produktionsprozess in Gang zu bringen, und abends erneut den Knopf zu betätigen, um die Produktion zu beenden. Über Nacht bleiben die Maschinen ausgeschaltet, da sie nicht darauf ausgelegt sind, länger als zehn Stunden am Stück in Betrieb zu sein. Eines Nachts, als die Arbeiterin, die die Produktion wie jeden Abend gestoppt und vor ihrem Feierabend die Rohstoffe nachgefüllt hat, längst weg ist, schlägt ein Blitz in die Fabrik ein und löst einen Kurzschluss aus, der den Produktionsprozess in Gang bringt. Infolgedessen werden 356 Objekte produziert, die von den tagsüber regulär hergestellten Scheren aufgrund ihrer physischen Merkmale nicht zu unterscheiden sind. Wie aber ist nun der Status dieser 356 Objekte? Sollten wir sie als Artefakte bezeichnen? Ihr Entstehen hat ja nicht etwa jemand mit der Absicht angestoßen, Scheren zu produzieren, wie es tagsüber der Fall ist, wenn die Arbeiterin den Knopf betätigt. Stattdessen sind sie durch den zufälligen Blitzeinschlag entstanden. Sofern wir die Objekte als Artefakte anerkennen, scheint es also Artefakte zu geben, die ohne Intentionen in die Welt kommen. Der dritte Einwand, der Einwand von der wildgewordenen Fabrik in der extremen Version, stellt eine Variante des zweiten dar. Er stimmt mit der moderaten Version insofern überein, als auch hier ein Blitz einschlägt und die Produktion in der Fabrik in Gang bringt. Stellen wir uns nun aber – im Unterschied zur Situation in der moderaten Version – vor, dass die Maschinen nicht einfach 356 Objekte produzieren, die den tagsüber produzierten Scheren hinsichtlich ihrer physischen Merkmale zum Verwechseln ähneln: Da die Maschinen von der Produktion, die tagsüber stattgefunden hat, noch überhitzt sind und keine Gelegenheit hatten, abzukühlen, erleiden mehrere der Maschinen einen massiven Defekt. Betroffen ist u. a. die Maschine, die eigentlich die Klingen der Schere produziert: Durch den Defekt haben die Objekte, die entstehen, 25
Die Bezeichnung »Die wildgewordene Fabrik« verdanke ich Niko Strobach.
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keine einander kreuzenden Klingen mehr, sondern zwei aufeinanderliegende Flächen – die Objekte ähneln nun nicht mehr den tagsüber hergestellten Scheren, sondern handelsüblichen Zangen, wie man sie im Baumarkt kaufen kann. Auch andere Merkmale der Objekte unterscheiden sich aufgrund weiterer Maschinendefekte von den Scheren: Die Plastikgriffe sind nicht mehr oval, sondern eckig, und statt grün zu sein, sind sie – wegen eines Fehlers in der Maschine, die gelbes und blaues Plastik mischt – gelb. Aufgrund der Defekte der Maschinen, die nicht mehr gemäß ihren Voreinstellungen arbeiten, weichen alle Merkmale der in der wildgewordenen Fabrik entstandenen Objekte vom Konstruktionsplan ab, der sonst die Herstellung der Scheren in der Fabrik geleitetet hat. Wenn wir bei den entstandenen Objekten von Artefakten sprechen wollen, dann gibt es Artefakte, die vollkommen ohne Absichten entstanden sind, da sie weder ihre Existenz noch ihre Merkmale Intentionen verdanken. Der erste Einwand ist nicht sonderlich überzeugend, da es als intuitiv einleuchtend erscheint, absichtsvoll entstandene Entitäten von absichtslos oder unbeabsichtigt entstandenen Entitäten zu unterscheiden. Eine Klasse aus absichtlich produzierten Objekten zu bilden ist wesentlich naheliegender als absichtlich und unabsichtlich produzierte Objekte in einer Klasse zusammenzufassen. Auch lässt die Beschränkung auf absichtsvoll hergestellte Gegenstände deutlich mehr philosophisch fruchtbare Verallgemeinerungen und Erläuterungen zu. Ich halte es daher für sinnvoll, die Definition von Artefakt so zu gestalten, dass die ohne solche Absichten entstandenen Objekte, die bspw. Archäolog_innen und Mediziner_innen unter ihre Artefaktbegriffe fassen, nicht von dieser Definition eingeschlossen werden. Entitäten, die ohne eine auf ihre Entstehung gerichtete Absicht zur Existenz kommen, stellen somit Beispiele für Dinge dar, die nicht unter den Begriff Artefakt fallen. Der zweite Einwand hingegen betrifft Objekte, die ebenfalls zur Klasse der absichtsvoll entstandenen Objekte zu gehören scheinen. Zu bestreiten, dass es Sinn hat, sie als Artefakte anzuerkennen, ist meines Erachtens nicht mit der Tatsache vereinbar, dass die Maschinen, deren Tätigkeit nach dem Blitz einschlag im Entstehen der 356 Objekte resultierte, selbst unstreitig als Artefakte zu werten sind, deren Urheber_innen sie dazu angelegt haben, Gegenstände zu produzieren, die den 356 Objekten hinsichtlich ihrer physischen Eigenschaften genau gleichen. Wenn wir uns fragen, wer die_der Urheber_in der regulär in der Fabrik produzierten Scheren ist, dann kommt die Arbeiterin, die den Knopf betätigt, wohl kaum als einzige Urheberin in Frage. Zwar ist sie sicherlich am Entstehen der Scheren wesentlich mitbeteiligt, aber es sind fraglos auch diejenigen Personen als Urheber_innen anzusehen, die den
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Design-Plan für die Scheren entwickelt und ihm entsprechend die Maschinen hergestellt oder eingestellt haben. So schreibt auch Hilpinen: It is obvious that the objects which are produced automatically, by machines and procedures which have been designed for their production, should be regarded as intended (or ,intentionalʻ) products; such objects are authored by the persons who designed the machines or control their operations.26 Selbst, wenn nicht die Arbeiterin die Produktion durch Knopfdruck einleitet, sondern ein Blitzschlag die Maschinen einschaltet, bleibt die Rolle der Maschinenhersteller_innen (oder auch der Maschineneinsteller_innen) sowie der Design-Plan-Urheber_innen bestehen. Somit ist eine Beschreibung des Szenarios, in der behauptet wird, es seien bei der Produktion der 356 Objekte keine Intentionen im Spiel, offensichtlich falsch. Die 356 Objekte, die in diesem ersten Szenario zur Existenz kommen, fasse ich somit als Beispiele für Entitäten auf, die unter den Begriff Artefakt fallen. Um auch solche Objekte in einer Definition des Begriffs Artefakt berücksichtigen zu können, schlage ich daher vor, die Bedingung (IB) derart zu erweitern, dass nicht nur direkte Intentionen (wie die der Arbeiterin) darin Erwähnung finden, sondern auch abgeleitete Intentionen (wie die von Maschinenhersteller_innen bzw. Maschineneinsteller_innen und Design-Plan-Urheber_innen). Was den dritten Einwand betrifft, möchte ich allerdings dafür plädieren, dass die 356 Objekte in diesem Fall nicht als Artefakte zu charakterisieren sind: Sie scheinen mir von den Gegenständen, die ich bisher als Beispiele für Artefakte angeführt habe, grundlegend verschieden zu sein. Die Merkmale, die sie aufweisen, haben offenbar nichts mit den Entscheidungen zu tun, die die Hersteller_innen oder Einsteller_innen der Maschinen oder der bzw. die Design-Plan-Urheber_innen hinsichtlich der Merkmale der Scheren getroffen haben; dass die Objekte so beschaffen sind, wie sie sind, ist reiner Zufall. Wenn aber ein Gegenstand weder im Hinblick auf seine Existenz noch auf seine Merkmale eine Relation zu irgendeiner Person oder einer Gruppe von Personen aufweist und seine Entstehung und Ausgestaltung rein zufällig bedingt sind, lässt sich dem Objekt offensichtlich kein_e Urheber_in zuordnen; und dass es Artefakte ohne Urheber_in sollte geben können, scheint keine überzeugende Annahme zu sein.27 Daher stellen die 356 Objekte aus der wildgewordenen Fabrik in der extremen Variante Beispiele für Dinge dar, die wir nicht unter den Begriff Artefakt subsumieren sollten.
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Hilpinen 1993, 157. Die Überzeugung, dass es keinen Sinn ergibt, Artefakte ohne Urheber anzunehmen, teilt auch Hilpinen (vgl. Hilpinen 1993, 156). 27
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Es erscheint somit als sinnvoll, das Vorliegen von Absichten als für Artefakte notwendig zu erachten, wobei nicht nur direkte, sondern auch abgeleitete Intentionen zum Entstehen von Artefakten führen können. Daher bietet es sich an, zugunsten größerer Präzision in der Definition explizit auch auf abgeleitete Intentionen Bezug zu nehmen. Dass eine Definition des Begriffs Artefakt diese Feststellungen berücksichtigen sollte, ist dem dritten Desiderat zu entnehmen. Darüber hinaus weisen die Überlegungen zum dritten Einwand darauf hin, dass bei der Artefaktherstellung zumindest einige Merkmale durch eine_n Urheber_in festgelegt werden müssen; auf diese Annahme gehe ich nachfolgend ausführlich ein. Desiderat A3 Eine Definition von Artefakt sollte als notwendige Bedingung eine präzisierte Variante der Intentionsbedingung beinhalten, die explizit sowohl direkte als auch abgeleitete Intentionen einschließt. Die Artefaktresultatbedingung, die Gegenstandsbedingung und die Intentionsbedingung als zusammen nicht hinreichende Bedingungen für Artefaktizität
Auf (IB) bin ich zu sprechen gekommen, weil es nicht als sinnvoll erschien, (AB) und (GB) gemeinsam als hinreichend für Artefaktizität zu akzeptieren. Sollten wir nun aber (AB), (GB) und (IB) zusammen als hinreichend für Artefaktizität auffassen? Sollten wir Artefakt also so definieren, dass alle Gegenstände, die aus Arbeit resultieren und bei deren Entstehung Intentio nen im Spiel waren, unter den Begriff fallen? Betrachten wir zur Klärung dieser Frage das folgende Beispiel. Angenommen, ich kaufe mir wegen meines Faibles für Jazzmusik ein Saxophon und versuche, mir autodidaktisch die Fähigkeit anzueignen, dem Instrument einen klaren, deutlichen Ton zu entlocken – was ausgesprochen schwierig ist. Da ich nicht über musiktheoretische Kenntnisse verfüge und mir diese auch nicht aneigne, besteht mein Umgang mit dem Instrument aus reinem Ausprobieren – so weiß ich auch nicht, welche Klappen ich zur Erzeugung bestimmter Töne drücken muss, ich drücke also einfach beliebige Klappen. Auch hinsichtlich des Ansatzes habe ich keinerlei Kenntnisse. Ich übe nun mehrere Wochen, mit dem Instru ment einen Ton zu spielen, was lange nicht gelingen will. Eines Tages aber schaffe ich es, einen Ton hervorzubringen. In Ermangelung der entsprechenden musiktheoretischen Kenntnisse weiß ich nicht, um welchen Ton es sich handelt, und ich habe auch keinerlei Einfluss darauf, wie laut und wie lange der Ton erklingt – nichtsdestotrotz freue ich mich, dass es mir gelungen ist,
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überhaupt einen Ton aus dem Instrument herauszubekommen. Nun erscheint es mir als offenkundig, dass der Ton ein Resultat von Arbeit ist – schließlich habe ich wochenlang viel Mühe investiert, bis es mir gelungen ist, endlich einen Ton zu spielen. Auch Intentionen waren bei der Entstehung des Tons maßgeblich: Ich hatte die feste Absicht, mit meinem neuen Instrument einen Ton zu erzeugen. Schließlich ist der Ton auch ein Gegenstand – wir können auf ihn mit einem singulären Term Bezug nehmen, etwa mit der Kennzeichnung »der Ton, den ich am 26.8.2021 um 11.34 Uhr mit meinem Saxophon erzeugt habe«. Sollten wir den Ton jedoch als Artefakt bezeichnen? Diesbezüglich hege ich gravierende Zweifel. Woraus aber resultieren diese Zweifel? Im Rahmen der Prüfung des Einwands von der wildgewordenen Fabrik in der extremen Version bin ich bereits darauf zu sprechen gekommen, dass Artefaktherstellung der Festlegung einiger Merkmale durch die_den Urheber_in bedarf. Denn die Merkmale der Objekte, die die wildgewordene Fabrik in der extremen Variante hervorgebracht hat, verdankten sich nicht den Absichten und Entscheidungen einer_eines Urhebenden. Nun ist der Fall des von mir auf dem Saxophon gespielten Tons aber offensichtlich anders gelagert: Hier lag ja eine Intention vor, nämlich die Intention, einen Ton zu spielen. Nichtsdestotrotz sind auch in diesem Falle die meisten Merkmale nicht durch meine Absichten festgelegt worden: Lediglich die Merkmale, dass es sich um einen Ton handelt, dass ich die Erzeugerin des Tons bin und dass der Ton mit meinem Saxophon erzeugt wird, habe ich absichtsvoll festgelegt. Aber die Frequenz des Tons, seine Lautstärke und seine Dauer habe ich nicht absichtsvoll bestimmt – und auch nicht den Zeitpunkt seines Erklingens, denn der war ja davon abhängig, wann es mir gelang, mit dem Instrument einen Ton zu erzeugen. Mir scheint, dass dies nicht ausreichen sollte, um ein Artefakt zu schaffen: Den von mir gespielten Ton fasse ich als Beispiel für ein Phänomen auf, das nicht unter den Begriff Artefakt fällt. Denn mittels meiner Absichten habe ich nicht differenziert genug festgelegt – und aufgrund eines Mangels an entsprechenden Fähigkeiten habe ich auch nicht differenziert genug festlegen können –, welche Merkmale das Ergebnis meiner Anstrengungen aufweisen soll. Das bloße Spielen eines unbestimmten Tons – so hartnäckig ich auch daran gearbeitet und genau dies beabsichtigt habe – sollte nicht ausreichen, damit das Ergebnis, der besagte Ton, als Artefakt gelten kann. Es liegt also nahe, für den Artefaktstatus eines Gegenstands vorauszusetzen, dass der Gegenstand nicht nur aus Arbeit resultiert und bei seiner Entstehung Intentionen maßgeblich waren, sondern darüber hinaus auch die Festlegung von Merkmalen durch die_den Urheber_in zu fordern, und zwar von Merkmalen einer noch zu spezifizierenden Art bzw. in einem noch zu
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spezifizierenden Umfang. Ich werde (AB), (GB) und (IB) daher nicht als zusammen hinreichend für Artefaktizität auffassen. Auch in philosophischen Artefaktdefinitionen findet sich der Verweis auf die erforderliche Festlegung von Merkmalen durch die_den Urheber_in bei der Artefaktherstellung – dabei sind vor allem Merkmale einer bestimmten Art in den Fokus geraten, nämlich Funktionen. Dies verwundert nicht, da viele Artefakte sich in besonderem Maße durch ihre Funktionen auszuzeichnen scheinen. Ich prüfe daher im Folgenden eine Bedingung, die es erfordert, dass Urheber_innen die von ihnen hergestellten Artefakte so gestalten, dass in ihnen Funktionen angelegt sind. Die Funktionsbedingung als nicht notwendige Bedingung für Artefaktizität
Im Vorhergehenden hat sich gezeigt, dass es gute Gründe gibt, in die Definition von Artefakt eine Bedingung aufzunehmen, die die Festlegung von Merkmalen des Artefakts durch die_den Urheber_in verlangt. Betrachten wir daher nun eine Bedingung, die die Festlegung von Merkmalen einer bestimmten Art fordert und zugleich die letzte der vier Bedingungen innerhalb der Definitionen-Schnittmenge ist, nämlich die Funktionsbedingung (FB) – sie lautet folgendermaßen: Wenn x ein Artefakt ist, dann (FB) wurde x zur Erfüllung einer bestimmten Funktion hergestellt.28
Es ist offensichtlich, dass viele Artefakte, mit denen wir im Alltag zu tun haben, zur Erfüllung von Funktionen hergestellt werden.29 Dies wird beson28
Baker trägt dieser Bedingung mit der Rede von »proper functions« (Baker 2007, 53) Rechnung, die Artefakte ihr zufolge notwendig aufweisen, Jansen bezieht sich auf »functions« (Jansen 2013a, 321). Dipert spricht von »tool properties« (Dipert 1995, 129), die funktional sind – seiner Auffassung nach ist es erforderlich, dass diese oder weitere Eigenschaften eines Artefakts über dessen »tool properties« und damit über die Funktionen des Artefakts Auskunft zu geben vermögen: »[A]rtifacts have a form which indicates […] their (tool) function« (Dipert 1995, 130; vgl. dazu auch Dipert 1995, 129). Auf Diperts Überlegung, dass Artefakte kommunikative Eigenschaften aufweisen müssen, die Aufschluss über ihre funktionalen Eigenschaften geben, komme ich noch einmal im Zusammenhang mit der Bedingung der Festlegung selbstexplikativer kommunikativer Merkmale in Abschnitt 2.1.2 zu sprechen. In der Definition von Houkes und Vermaas erfolgt der Bezug auf die Funktionalität von Artefakten relativ auf die sogenannten use plans (vgl. Houkes und Vermaas 2010, 158; zur Rolle der use plans vgl. Houkes und Vermaas 2010, 78). Bei Hilpinen sind es »intended functions« (Hilpinen 1993, 161), die über die Typ-Beschreibung in die Definition Eingang finden. 29 Zur Analyse solcher Artefaktfunktionen vgl. Bahr 2019.
Zur Definition
ders deutlich, wenn wir einen Blick auf Artefaktbezeichnungen werfen, die uns Aufschluss über Funktionen geben, zu deren Erfüllung das jeweilige Artefakt angefertigt wurde (z. B. »Wasserkocher«, »Staubsauger«, »Schraubendreher« usw.). Bei der Kategorisierung vieler Artefakte spielen die Funktionen oder Zwecke, die den Artefakten bei der Herstellung zugedacht wurden, also eine zentrale Rolle.30 Allerdings lassen sich gegen den Sinn der Annahme, dass Artefakten notwendigerweise von Urheber_innen zugewiesene Funktio nen eignen, durchaus Einwände vorbringen. Da wäre zunächst der Einwand vom Töpfern zur Entspannung: Angenommen, ich besuche einen Töpferkurs mit der Absicht, eine entspannende Tätigkeit auszuüben. Mir ist nicht daran gelegen, eine Tasse, eine Vase oder auch nur ein Dekorationsobjekt für meine Wohnung herzustellen – ich möchte beim Töpfern einfach nur ausspannen. Während des Töpferns treffe ich verschiedene Entscheidungen, wie das Objekt beschaffen sein soll, das ich töpfere, da die dabei entstehende ergonomische Form meiner Entspannung dienlich ist und meinen ästhetischen Vorlieben entspricht. Diese Entscheidungen setze ich sogleich um; das Resultat ist ein bauchiges, oben flaches Objekt mit einer umlaufenden Einkerbung. Nach einer Weile beschließe ich, dass das Objekt auf der Töpferscheibe jetzt fertig ist. Im Anschluss an den Kurs nehme ich das Objekt mit nach Hause, ohne recht zu wissen, was ich damit anfangen soll. Dem Objekt habe ich als seine Urheberin keinerlei Funktion zugeschrieben, weil ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, die entspannende Tätigkeit mit der Herstellung eines funktionalen Gegenstands zu verbinden. Sofern wir es als Artefakt charakterisieren wollen, spricht dies also gegen die Funktionsbedingung. Ein zweiter Einwand ist der Einwand von den Funktionszuweisungsverweigernden: Es sind Beispiele denkbar, in denen ein_e Urheber_in bei der Schöpfung eines Artefakts bewusst und absichtlich keine Funktion anlegt, die das Artefakt erfüllen soll. Stellen wir uns etwa eine_n Urheber_in vor, die_der ein gänzlich von vorgesehenen Funktionen freies Objekt schafft. Es soll weder ästhetisch ansprechend sein noch einen bestimmten Eindruck in seiner_seinem Rezipient_in hervorrufen o. ä., und man kann (und soll) es auch sonst zu nichts gebrauchen. Die_der Urheber_in des Objekts gibt sich dennoch große Mühe bei der Ausgestaltung: Sie_er entscheidet u. a., dass das Objekt rot und 30
Es gibt in der philosophischen Debatte einige Ansätze, die für die Kategorisierung von Artefakten auf Funktionen zurückgreifen; so argumentiert etwa Soavi dafür, dass Arten von Artefakten als functional kinds aufzufassen sind (vgl. Soavi 2009). Ich halte diese Auffassung u. a. deshalb für problematisch, weil es mir evident zu sein scheint, dass nicht alle Artefakte (urheber_innenintendierte) Funktionen haben, wie ich im Folgenden ausführen werde.
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viereckig ist und 203 Gramm wiegt. Nur eine Funktion weist sie_er dem Objekt bewusst nicht zu. Auch die_der Funktionszuweisungsverweigernde wirft die Frage auf, ob es sinnvoll ist, anzunehmen, dass Artefakte notwendigerweise für die Erfüllung bestimmter Funktionen hergestellt werden. Auf den Töpfereinwand ließe sich zunächst entgegnen, dass das von mir angefertigte Objekt sehr wohl eine Funktion habe, nämlich eine Entspannungsfunktion – dies sei ja der Grund, aus dem ich es hergestellt habe. Dieser Entgegnung liegt allerdings eine Verwechslung der Funktion der Tätigkeit des Töpferns und der Funktion des Töpferresultats zugrunde: Es ist die Aktivität des Töpferns, der die Entspannungsfunktion zukommt, nicht das dabei entstandene Objekt. Sollten wir diesem Objekt und dem Objekt des_ der Funktionszuweisungsverweigernden den Artefaktstatus allein aufgrund ihres Mangels an einer urheber_innenintendierten Funktion absprechen? Dies scheint wenig plausibel, wenn wir annehmen, dass Artefakturheber_ innen die Merkmale der von ihnen geschaffenen Objekte frei wählen und damit auch darüber entscheiden können, ob die Objekte Funktionen haben sollen oder nicht.31 Die Möglichkeiten der Ausgestaltung eines Artefakts sind äußerst vielfältig – aber es besteht kein erkennbarer Grund für die Forderung, dass eine Funktion darunter sein muss. Das Resultat des Töpferns und das Objekt, das die_der Funktionszuweisungsverweigernde zur Existenz gebracht hat, fasse ich als Artefakte auf – obwohl sie (FB) nicht zu erfüllen vermögen. Denn es scheint sinnvoller, die Definition von Artefakt so zu gestalten, dass sie derartige Objekte einschließt, als an der Notwendigkeit von (FB) festzuhalten. Allerdings erscheint es vor dem Hintergrund der Überlegungen zur extremen Version des Einwands von der wildgewordenen Fabrik als geboten, nicht gänzlich auf eine Bedingung zu verzichten, die die Festlegung von Merkmalen erfordert. Daher schlage ich für die Suche nach einem Ersatz für (FB) das Desiderat A4 vor, das gewissermaßen eine Verallgemeinerung von (FB) fordert. Desiderat A4 Eine Definition von Artefakt sollte eine notwendige Bedingung beinhalten, die eine Festlegung der Merkmale von Artefakten durch ihre Urheber_ innen erfordert, ohne dass es sich dabei um die Festlegung oder Zuweisung von Funktionen handeln muss.
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Vgl. zu dieser Auffassung auch Thomasson 2014, 47.
Zur Definition
Die Arbeitsresultatbedingung, die Gegenstandsbedingung, die Intentions bedingung und die Funktionsbedingung als zusammen nicht hinreichende Bedingungen für Artefaktizität
Während es sich als sinnvoll erwiesen hat, (AB), (GB) und (IB) jeweils als für Artefaktizität notwendig zu erachten, haben die vorhergehenden Überlegungen gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, von einer Notwendigkeit der Bedingung (FB) auszugehen. Nichtsdestotrotz könnte es sinnvoll sein, (FB) – zusammen mit den drei Bedingungen, bzgl. deren sich der Sinn einer Annahme ihrer Notwendigkeit bereits erwiesen hat – als hinreichend dafür aufzufassen, dass etwas unter den Begriff Artefakt fällt. Werfen wir, um zu klären, ob dem so ist, einen Blick in eine Fabrik, in der Messer herstellt werden, und zwar folgendermaßen: Aus einem weichen Metallrohling wird zunächst eine Messerklinge ausgestanzt, die einen Erl aufweist, eine Verlängerung, an der später mit Schrauben der Messergriff befestigt wird. Zuvor aber wird die ausgestanzte Messerklinge gehärtet. Dann wird die Klinge geschliffen. Mit dem abschließenden Anschrauben des Messergriffs ist das Messer fertiggestellt. Die Herstellung besteht also aus vier Schritten: Ausstanzen, Härten, Schleifen, Zusammenschrauben. Das fertige Messer, darüber dürfte Einigkeit bestehen, sollte unter einen sinnvollen Artefaktbegriff fallen. Damit ist der Sinn der Annahme, dass unsere vier fraglichen Bedingungen gemeinsam hinreichend sind, freilich noch nicht in Frage gestellt. Wie aber verhält es sich mit den Vorstufen32, der Messerklinge ohne Griff, der ungeschliffenen Klinge, der ungehärteten Klinge und dem Rohling, aus dem nichts ausgestanzt wurde? Mir scheint, dass wir mindestens im Falle der Messerklinge ohne Griff, wahrscheinlich aber auch im Falle der anderen drei Vorstufen davon ausgehen müssen, dass die vier fraglichen Bedingungen sämtlich erfüllt sind. Dass die Klinge ein Resultat von Arbeit ist, dürfte unmittelbar einleuchten – ihre gegenwärtige Form verdankt sie schließlich drei Arbeitsschritten.33 Ebenso 32
Vorstufen wie die im Folgenden genannten sind nicht etwa fertige Teile von Artefakten, die selbst Artefakte sind, wie es bei den Teilen der Fall ist, aus denen sich ein Auto zusammensetzt (darunter der Motor, die Räder und die Karosserie): Bei Vorstufen handelt es sich um unfertige Artefakte (oder deren unfertige Teile). 33 Nun könnte man an dieser Stelle freilich einwenden, dass es sich bei den Vorstufen noch gar nicht um Resultate von Arbeit handle, da im Begriff des Resultats eine gewisse Abgeschlossenheit enthalten sei, während die Vorstufen gerade nicht als abgeschlossen aufgefasst werden sollten, da sie ja noch nicht das Messer bilden, auf dessen Herstellung sämtliche Bearbeitungsprozesse abzielen. Allerdings erscheint es mir als unproblematisch, davon auszugehen, dass die Vorstufen jeweils für sich genommen in einer Weise als abgeschlossen gelten können, dass die Rede von Resultaten berechtigt ist. Dies wird etwa deutlich, wenn wir bedenken, dass wir, falls für die Herstellung jeder Vorstufe ein_e
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haben wir es bei der Klinge mit einem Gegenstand zu tun – dies lässt sich offenkundig nicht bezweifeln. Wir können darüber hinaus annehmen, dass bei der Entstehung der Klinge Intentionen der_des Messerherstellenden maßgeblich waren. Und schließlich erfüllt die Messerklinge durchaus eine Funktion, die ihr von ihrer_ihrem Hersteller_in zugedacht worden ist: Die Klinge ist zum Schneiden gemacht, und wenn ich mit der Klinge eine Salatgurke zerschneiden möchte, so ist dies zwar sicherlich nicht der komfortabelste Weg, das zu tun – schließlich fehlt ein Griff, der dafür sorgt, dass die Klinge gut und angenehm in der Hand liegt –, aber die Klinge kann die ihr zugedachte Funktion durchaus erfüllen. Ähnliches lässt sich nun auch über die anderen drei Vorstufen des Messers sagen: Nehmen wir an, die gehärtete, aber noch ungeschliffene Klinge ist auch vor dem Schleifen schon recht scharfkantig – dann vermag sie die Salatgurke ebenfalls zu zerschneiden. Eine Salatgurke in Stücke zu schneiden sollte selbst für die ungehärtete Klinge kein Problem darstellen – auch, wenn sie mangels Härtung weniger stabil und widerständig ist. Und schließlich kann sogar der Rohling eine Schneidefunktion erfüllen, obwohl er noch nicht die Form einer Klinge hat (und das Schneiden mit ihm sehr umständlich sein dürfte), wenn er hinreichend scharfkantig ist. Also gilt auch in den genannten Fällen: Uns liegt jeweils ein Gegenstand vor, der ein Resultat von Arbeit ist (dies gilt auch für den Rohling, bei dem Metall in ein passendes Format gebracht wurde), bei dessen Entstehung Intentionen maßgeblich waren und der eine von seiner_seinem Urheber_in zugewiesene Funktion hat. Wären (AB), (GB), (IB) und (FB) gemeinsam hinreichend dafür, dass etwas durch den Begriff Artefakt erfasst wird, dann wären auch sämtliche Vorstufen des Messers als Artefakte zu werten (und auch viele – wenngleich sicherlich nicht alle – Vorstufen anderer Gebrauchsgegenstände müssten als Artefakte gelten). Dies erscheint aber nicht als sinnvoll, da ein Artefaktbegriff dem Unterschied zwischen Artefakten und ihren Vorstufen Rechnung tragen sollte. Denn sofern wir auch Vorstufen unter unseren Artefaktbegriff subsumieren wollten, gäbe es im Hinblick auf die Frage, ob die Vorstufen und der fertiggestellte Gegenstand miteinander identisch sind, zwei mögliche Antworten: Entweder sind der Rohling, die ungehärtete Klinge, die gehärtete Klinge, die geschliffene Klinge und das fertige Messer mit Griff allesamt identisch, d. h. sie sind ein und dasselbe Artefakt, das in unterschiedlichen Stadien andere_r Arbeiter_in zuständig wäre, jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt davon ausgehen würden, dass die_der Arbeiter_in ihren_seinen Arbeitsschritt beendet hat – im Falle des Arbeitsschritts, der im Schleifen der zukünftigen Messerklinge besteht, würden wir etwa davon ausgehen, dass der Schritt abgeschlossen ist, wenn das Metall hinreichend geschärft ist, und dass das nun hinreichend geschärfte Metallstück ein Resultat des Schleifens ist.
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verschieden beschaffen ist – oder jedes dieser Dinge ist für sich genommen ein Artefakt, das nicht mit den anderen identisch ist. Die erste Antwort vermag nicht zu überzeugen, denn es erscheint als offensichtlich, dass wir im Alltag einen grundlegenden Unterschied zwischen den Vorstufen und dem fertigen Produkt machen. Dies zeigt sich etwa in den Bezeichnungen, die wir für die fraglichen Gegenstände verwenden: Von einem Messer sprechen wir erst, wenn wir das fertige Produkt vor uns haben – die Vorstufen sind eben noch kein Messer. Zum anderen unterscheidet sich das Interesse, das wir am Endprodukt haben, erheblich vom Interesse, dass wir an den Vorstufen haben: Unser Interesse richtet sich in erster Linie auf das fertige Produkt. Fertige Produkte sind es zumeist, für die wir Geld ausgeben – das gilt im Übrigen nicht nur für Gebrauchsgegenstände, die wir uns im Allgemeinen u. a. deshalb anschaffen, weil sie eine bestimmte Funktion zu erfüllen vermögen, die ihre Vorstufen häufig weniger gut oder noch gar nicht erfüllen können, sondern etwa auch für Vorkommnisse von Kunst: Sofern uns nicht ein besonderes Interesse am Unfertigen eignet, werden wir das fertige Gemälde wohl der erst zur Hälfte bemalten Leinwand vorziehen und lieber den abgeschlossenen Roman lesen als dessen noch unfertiges erstes Drittel, das diverse Leerstellen aufweist. Insofern, als sie weder dem Unterschied Rechnung zu tragen vermag, der sich in unserer Bezeichnungsweise niederschlägt, noch die soeben dargelegte Differenz hinsichtlich unseres Interesses an Vorstufen und fertigen Produkten berücksichtigt, halte ich die erste Antwort für nicht akzeptabel. Denn es erscheint mir als angebracht, dass eine Theorie der Artefakte den im Alltag getroffenen Unterscheidungen im Umgang mit Gegenständen Rechnung trägt. Die zweite Antwort erscheint mir hingegen ebenfalls nicht als überzeugend, da wir uns, sofern wir diese Antwort akzeptieren, mit einer Unzahl von Artefakten konfrontiert sähen. Zwar habe ich in meinem Beispiel nur vier Vorstufen aufgezählt – zusammen mit dem Messer hätten wir es lediglich mit fünf Artefakten zu tun. Die Herstellungsprozesse anderer Gebrauchsgegenstände sind jedoch ungleich komplexer und aufwändiger – so sind für die Herstellung technischer Geräte oft viel mehr Schritte nötig. Sollten wir nun alle Vorstufen, die die vier Bedingungen erfüllen, als Artefakte bezeichnen? Im Hinblick auf die zweite Antwort reicht die Problematik jedoch noch weiter. Denn es leuchtet nicht ein, warum wir uns auf die Ergebnisse jeweils abgeschlossener Arbeitsschritte – wie den Rohling, die ungehärtete Klinge, die gehärtete Klinge, die geschliffene Klinge und schließlich das Messer mit Griff – beschränken sollten. Wenn die Fertigstellung von etwas kein Kriterium dafür darstellt, ob es ein Artefakt ist oder nicht – dies legt ja das Einschließen von Vorstufen in die Klasse der Artefakte nahe –, dann müss-
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ten wir nicht nur die vier Vorstufen, die jeweils einen Arbeitsschritt zum Abschluss bringen und somit sozusagen fertige Vorstufen sind, und das fertige Messer als Artefakt werten, sondern auch alle Stufen dazwischen. Damit würde zu jedem beliebigen Zeitpunkt t ein neues Artefakt entstehen – allein die Herstellung eines einzelnen Messers würde die Entstehung einer schieren Unzahl von Artefakten nach sich ziehen. Aufgrund dieser offenkundig wenig sinnvollen ontologischen Konsequenzen halte ich die zweite Antwort ebenfalls für inakzeptabel.34 Darin, dass keine der beiden Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis der Vorstufen zum fertigen Produkt überzeugen kann, sofern wir auch Vorstufen als Artefakte auffassen, zeigt sich, dass wir daran festhalten sollten, einen Unterschied zwischen Vorstufen und Artefakten zu machen. Da, wie sich gezeigt hat, jedenfalls einige (wenn auch nicht alle) Vorstufen unter den Begriff Artefakt fielen, wenn wir (AB), (GB), (IB) und (FB) als zusammen hinreichend betrachten würden, erscheint es also nicht als sinnvoll, die vier Bedingungen als gemeinsam hinreichend aufzufassen und entsprechend in die Definition von Artefakt einzutragen. Dass es sich als sinnvoll erwiesen hat, einen Unterschied zwischen den Vorstufen und den fertigen Produkten zu machen, gibt uns darüber hinaus Anlass dazu, den Sinn der Aufnahme einer weiteren notwendigen Bedingung in die Definition von Artefakt zu erwägen, einer Bedingung nämlich, die fordert, dass etwas, das unter den Begriff fällt, bereits abgeschlossen ist. Die Forderung nach einer solchen Bedingung kommt im Desiderat A5 zum Ausdruck: Desiderat A5 Eine Definition von Artefakt sollte eine notwendige Bedingung beinhalten, die eine gewisse Abgeschlossenheit von Artefakten erfordert. Wie sich gezeigt hat, erscheint es als sinnvoll, (AB), (GB) und (IB) als notwendige Bedingungen in eine Definition von Artefakt aufzunehmen, allerdings nicht, ohne sie zuvor gemäß den Desideraten A1, A2 und A3 zu präzisieren: Die präzisierte Artefaktresultatbedingung sollte entsprechend des ersten Desiderats explizit sowohl physische als auch geistige Arbeit einschließen. Wie im Desiderat A2 gefordert, sollte die präzisierte Variante der Gegenstands bedingung ausdrücklich konkrete und abstrakte Gegenstände gleichermaßen 34
Nach van Inwagens Auffassung ist jede_r, die_der die Existenz von konkreten Artefakten annimmt, auf derartige ontologische Konsequenzen verpflichtet, vgl. van Inwagen 2013. In Abschnitt 2.2.2 lege ich dar, wie genau van Inwagen für diese Auffassung argumentiert, und zeige auf, warum die Argumentation nicht überzeugen kann.
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berücksichtigen. Die präzisierte Version der Intentionsbedingung sollte schließlich auch abgeleitete Intentionen einbeziehen, wie es das Desiderat A3 vorgibt. Die Bedingungen (AB), (GB) und (IB) können nun also anhand der ersten drei Desiderate präzisiert und dann als notwendige Bedingungen in die Definition von Artefakt aufgenommen werden – diesem Unterfangen widme ich mich in Abschnitt 2.1.3. Es hat sich außerdem gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, die Bedingung (FB) als notwendig für den Artefaktstatus zu aufzufassen – stattdessen sollten wir, wie das Desiderat A4 nahelegt, die Notwendigkeit einer allgemeineren Bedingung in Betracht ziehen, die eine Festlegung von Merkmalen durch die_den Artefakturheber_in fordert. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass wir Artefakt nicht so definieren sollten, dass eine Kombination der bislang geprüften Bedingungen zusammen hinreichend für Artefaktizität ist. Somit sind wir noch immer auf der Suche nach einem Katalog von Bedingungen, die sich sinnvollerweise als jeweils notwendig und zusammen hinreichend für den Artefaktstatus auffassen lassen – diese Suche werde ich im nachfolgenden Abschnitt fortsetzen, indem ich weitere Kandidatinnen für notwendige Bedingungen in Betracht ziehe. Dabei lege ich einen Fokus auf Bedingungen, die als geeignet erscheinen, den Forderungen zu entsprechen, die in den Desideraten A4 und A5 zum Ausdruck gebracht werden. Denn während die ersten drei Desiderate klare Anleitungen geben, wie die bestehenden Bedingungen (AB), (GB) und (IB) für die Definition von Artefakt zu präzisieren sind, um als sinnvolle notwendige Bedingungen in die Definition aufgenommen werden zu können, nehmen die Desiderate A4 und A5 nicht etwa Bezug auf bereits bestehende Bedingungen, sondern deuten lediglich an, was Bedingungen leisten müssen, um ihnen gerecht zu werden. Im nachfolgenden Abschnitt werde ich daher jeweils Bedingungen, die prima facie als geeignet erscheinen, die Forderungen der beiden letzten Desiderate zu erfüllen, dahingehend prüfen, ob sie als sinnvolle notwendige Bedingungen in die Definition von Artefakt integriert werden sollten.
2.1.2 Weitere Kandidatinnen für notwendige Bedingungen
Die Überlegungen im vorhergehenden Abschnitt legen nahe, dass eine sinnvolle Definition von Artefakt über (AB), (GB) und (IB) hinaus um zwei zusätzliche notwendige Bedingungen ergänzt werden sollte, die die Festlegung von Merkmalen der Artefakte durch ihre Urheber_innen (Desiderat A4) und die Abgeschlossenheit (Desiderat A5) betreffen. Dieser Abschnitt verfolgt das Ziel, Bedingungen zu finden, die die Definition von Artefakt auf sinnvolle
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Weise vervollständigen. Dazu werde ich die beiden noch offenen Desiderate aufgreifen, indem ich weitere Kandidatinnen für notwendige Bedingungen diskutiere, die ebenfalls philosophischen Definitionen von Artefaktbegriffen entlehnt sind und die jeweils prima facie als geeignet erscheinen, entweder das Desiderat A4 oder das Desiderat A5 zu erfüllen. Für jede dieser Bedingungen zeige ich zunächst auf, warum es als sinnvoll erscheint, sie als notwendige Bedingung in eine Definition von Artefakt aufzunehmen, um dann auf mögliche Einwände dagegen zu sprechen zu kommen. Diese Einwände unterziehe ich einer Prüfung, die die Grundlage für mein Fazit bildet, in dem ich zu der Frage, ob die Bedingung als notwendige Bedingung in eine Definition von Artefakt Eingang finden sollte, abschließend Stellung beziehe. Aus den Erkenntnissen dieses Abschnitts entwickle ich schließlich modifizierte Varianten der Desiderate A4 und A5, denen eine überzeugende Definition des Begriffs Artefakt Rechnung tragen sollte. Bedingungen, die die Festlegung von Merkmalen betreffen
Das Desiderat A4 fordert, dass eine Definition von Artefakt eine notwendige Bedingung enthält, gemäß der es erforderlich ist, dass Urheber_innen Merkmale von Artefakten festlegen. Es gibt allerdings zunächst keinerlei Aufschluss darüber, welcher Art die Merkmale sein sollten, die Urheber_innen festlegen, und auch hinsichtlich des erforderlichen Umfangs der Merkmale, die von den Urheber_innen bestimmt werden müssen, beinhaltet es keine Angabe. Dass es sich bei den fraglichen Merkmalen nicht um Funktionen handeln muss, hat sich bereits im vorhergehenden Abschnitt gezeigt. Im Folgenden werde ich drei weitere Bedingungen prüfen, die beide ebenfalls die Festlegung von Merkmalen betreffen und daher prima facie als geeignet erscheinen, das Desiderat A4 zu erfüllen, nämlich die Bedingung der Festlegung selbstexplikativer kommunikativer Merkmale, die Bedingung der Festlegung artzugehörigkeitsbestimmender Merkmale sowie die allgemeine Bedingung der Festlegung von Merkmalen. Es wird sich zeigen, dass die ersten beiden nicht als notwendige Bedingungen in eine Definition von Artefakt aufgenommen werden sollten, die dritte hingegen schon. Die Bedingung der Festlegung selbstexplikativer kommunikativer Merkmale als nicht notwendige Bedingung für Artefaktizität
Die erste zu prüfende potenziell notwendige Bedingung für Artefaktizität, die bei der Artefaktentstehung die Festlegung bestimmter Merkmale durch die_den Urheber_in fordert, geht auf die Tool-Communicating Condi-
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tion35 und die Communicative Success Condition36 zurück, die einem Defini tionsvorschlag von Dipert entstammen.37 Bei den Merkmalen, deren Festlegung Dipert fordert, handelt es sich um selbstexplikative kommunikative38 Merkmale: Dipert zufolge liegt das Spezifikum, das Artefakte von bloßen Werkzeugen unterscheidet 39, darin, dass Artefakte ihren Urheber_innen 35
Vgl. Dipert 1995, 129. In (TCC) stehen die selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften von Artefakten im Mittelpunkt: Diese Eigenschaften müssen dem Artefakt zukommen (»O has properties P1«), wobei ein_e von der_dem Urheber_in verschiedene_r Dritte_r zu zwei Überzeugungen hinsichtlich dieser Eigenschaften gelangen muss: Diese_r Dritte muss zum einen glauben, dass das Artefakt die fraglichen Eigenschaften aufweist. Zum anderen muss sie_er eine Art Meta-Überzeugung haben: Sie_er muss glauben, dass die_der Urheber_in des Artefakts dafür Sorge getragen hat, dass das Artefakt diese Eigenschaften aufweist, und zwar, damit ein_e Dritte_r zu der Überzeugung kommt, dass das Artefakt hinsichtlich seiner werkzeugspezifischen Eigenschaften und eines bestimmten Ziels ein Werkzeug für eine_n Akteur_in darstellt. 36 Vgl. Dipert 1995, 129. Die Bedingung (CSC) greift die Überzeugung, die Gegenstand der in (TCC) geforderten Meta-Überzeugung ist, wieder auf, die Überzeugung nämlich, dass das Artefakt hinsichtlich seiner werkzeugspezifischen Eigenschaften und eines bestimmten Ziels ein Werkzeug für eine_n Akteur_in darstellt. 37 An dieser Stelle klammere ich die Relativierung, die in der Formulierung »O is an artifact with respect to property-set P1 for agent A1 and goal G« zum Ausdruck kommt, aus, um den Sinn der Aufnahme einer notwendigen Bedingung, die einen kommunikativen Aspekt von Artefakten betont, isoliert prüfen zu können. In dieser Weise eine Relativierung in das Definiendum einzutragen, halte ich nicht für zielführend, da unklar ist, was diese Relativierung austragen soll: Geht es lediglich darum, die Variablen (hier »P1«, »A1« und »G«) einzuführen, so gelänge dies auch im Definiens. Soll damit hingegen zum Ausdruck gebracht werden, dass die Eigenschaft der Artefaktizität eine komplexe Eigenschaft ist, die Gegenständen lediglich relativ auf ein Set von Eigenschaften, eine_n Akteur_in und ein Ziel zukommt, so entspricht dies nicht meinem Anliegen, Artefaktizität als nicht-relationale Eigenschaft zu bestimmen. 38 Die Bezeichnung dieser Eigenschaften verdanke ich Reinold Schmücker – sie sucht zwei zentralen Aspekten Rechnung zu tragen: zum einen dem Aspekt, dass Gegenstände mittels der fraglichen Eigenschaften eine Selbstauskunft erteilen können – daher bezeichne ich die Eigenschaften als »selbstexplikativ« –, und zum anderen dem Aspekt, dass ein_e Nutzer_in oder Rezipient_in dieser Selbstauskunft muss gewahr werden können, deshalb der Zusatz »kommunikativ«. 39 Dipert unterscheidet von den Artefakten drei weitere Arten künstlicher Dinge, die er als »near-artifacts« bezeichnet, nämlich »instruments«, »tools« und »waste products from intentional activity« (Dipert 1995, 121). Das Charakteristikum von instruments ist Dipert zufolge, dass sie aufgrund mindestens einer ihrer Eigenschaften von jemandem (zu Recht) als Mittel zu einem Zweck aufgefasst und dementsprechend absichtsvoll genutzt werden (vgl. Dipert 1995, 121). Als tools fasst Dipert hingegen Objekte auf, deren Eigenschaften absichtlich modifiziert (oder beibehalten) werden, um einem Zweck zu dienen, und von denen zudem jemand glaubt, dass ihnen ihre Eigenschaften absichtlich verliehen wurden, damit sie Mittel zu einem Zweck sein können (vgl. Dipert 1995, 123). Die Klasse der waste products from intentional activity umfasst schließlich Dinge, die »in some sense artificial« (Dipert 1995, 121), aber weder tools noch instruments sind.
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»self-communicative properties« verdanken40, Eigenschaften also, mittels deren Artefakte eine Art Selbstauskunft über sich erteilen. Bei Dipert bezieht sich die Selbstauskunft auf die »tool properties« des Artefakts und damit auf seine von der_dem Urheber_in zugewiesenen Funktionen.41 Da sich im vorhergehenden Abschnitt allerdings erwiesen hat, dass wir es nicht als für Artefaktizität notwendig erachten sollten, dass Artefakte von Urheber_innen zugewiesene Funktionen aufweisen, wäre es wenig zielführend, den Bezug auf die funktionalen »tool properties« in einer Bedingung beizubehalten, die den kommunikativen Aspekt im Sinne Diperts erfasst. Ich werde daher in Anlehnung an Diperts Vorschlag eine allgemeinere Bedingung formulieren, die ich Bedingung der Festlegung selbstexplikativer kommunikativer Merkmale nenne, und die fordert, dass Artefakte von Urheber_innen festgelegte selbstexplikative kommunikative Eigenschaften aufweisen, die Auskunft über bestimmte, relevante Eigenschaften der Artefakte geben – dies können funktion ale Eigenschaften sein, aber auch Eigenschaften anderer Art. Ich diskutiere im Folgenden zwei Varianten der Bedingung der Festlegung selbstexplikativer kommunikativer Merkmale. Die erste Variante (BSKM) ist insofern näher am Vorschlag Diperts, als sie – wie die Tool-Communicating Condition – die Forderung nach einer Meta-Überzeugung einschließt: Dritte müssen nicht nur aufgrund der von der_dem Urheber_in zugewiesenen selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften eines Artefakts zu der Überzeugung gelangen, dass das Artefakt bestimmte relevante Eigenschaften aufweist, sondern sie müssen darüber hinaus auch die Meta-Überzeugung ausbilden, dass das Artefakt die selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften aufweist, um auf die relevanten Eigenschaften hinzudeuten. Die zweite Variante hingegen verzichtet auf den Bezug zu einer Meta-Überzeugung und beschränkt sich stattdessen auf die Forderung, dass Dritte aufgrund der von der_dem Urheber_in angelegten selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften eines Artefakts zu der Überzeugung kommen, dass das Artefakt bestimmte relevante Eigenschaften aufweist. Die Bedingung (BSKM) fasse ich wie folgt: 40
Dass auch die selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften von Urheber_ innen intendiert sind, geht aus Diperts Definition nicht hervor: In (TCC) und (CSC) ist lediglich verlangt, dass ein_e vom Urheber verschiedene_r Dritte_r die Überzeugung ausbilden muss, dass die_der Urheber_in die kommunikativen Eigenschaften mit dem Ziel angelegt haben muss, über die tool properties Auskunft zu geben (vgl. Dipert 1995, 129). Allerdings macht Dipert an einigen Stellen deutlich, das auch die kommunikativen Eigenschaften intendiert sein müssen (vgl. etwa Dipert 1995, 127; 130). 41 »[Artifacts] have a form which indicates […] their (tool) function« (Dipert 1995, 130). Dass die funktionalen Eigenschaften von Artefakten durch die_den Urheber_in festgelegt werden müssen, bringt Dipert in der Tool Condition zum Ausdruck (vgl. Dipert 1995, 129).
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Wenn x ein Artefakt ist, dann (BSKM) h at x selbstexplikative kommunikative Eigenschaften K, die die_der Urheber_in von x festgelegt hat, damit sie auf relevante Eigenschaften R von x verweisen, und aufgrund deren Dritte regelmäßig42 zu den Überzeugungen gelangen, dass x R hat, und dass x K hat, um auf R zu verweisen.
Für die Annahme einer Notwendigkeit der Bedingung (BSKM) spricht zunächst einmal, dass vielen Gegenständen, deren Subsumption unter den Begriff Artefakt als sinnvoll erscheint, von ihren Urheber_innen tatsächlich selbstexplikative kommunikative Eigenschaften verliehen werden, die auf relevante Merkmale der Gegenstände verweisen. Dass Artefakte selbstexpli kative kommunikative Eigenschaften in diesem Sinne aufweisen, lässt sich auch designtheoretisch fundieren. Mit dem Offenbacher Ansatz, der Design erstmals auch als Produktsprache auffasst43, wurde in die Designtheorie der Ausdruck »Anzeichenfunktion« eingeführt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass gestaltete Objekte von ihren Urheber_innen zugewiesene Merkmale aufweisen, die auf ihre (anderen) Merkmale verweisen: Anzeichenfunktionen sind zeichenhafte Funktionen44; die Anzeichen »beziehen sich […] auf die praktischen Funktionen oder geben über technische oder andere Produktmerkmale Auskunft«45. In der Designtheorie werden verschiedene Kategorien von Anzeichen unterschieden, darunter etwa Anzeichen, die auf Möglichkeiten der Veränderbarkeit oder der Einstellbarkeit von Produkten aufmerksam machen, Anzeichen, die auf die Anwendbarkeit und die Bedienung von Produkten hindeuten, Anzeichen, die über die Zugehörigkeit eines Artefakts zu einer bestimmten Kategorie Aufschluss geben46, oder auch Anzeichen, die insofern einen Bezug zum menschlichen Körper haben, als sie – etwa durch eine ergonomische Form – assoziativ auf die Anpassung an anthropometri42
In Diperts Definition ist bezüglich der relevanten Dritten keine Einschränkung enthalten: Es finden sich keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung des universe of discourse auf Akteur_innen einer bestimmten Gruppe o. ä. Die Voraussetzung, dass jede_r beliebige Akteur_in faktisch zu der Überzeugung gelangen muss, dass die selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften auf relevante Eigenschaften verweisen sollen, erscheint allerdings als zu stark. Dies ergibt sich allein schon aus der unleugbaren Kulturrelativität selbstexplikativer kommunikativer Eigenschaften. 43 Vgl. Steffen 2000. 44 Von den Anzeichenfunktionen werden im Offenbacher Ansatz die Symbolfunktionen als weitere Varianten zeichenhafter (oder auch semantischer) Funktionen unterschieden, vgl. etwa Steffen 2000, 34. 45 Gros 1983, 68. 46 Vgl. Steffen 2000, 63.
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sche Bedingungen hinweisen.47 Insofern trägt der Offenbacher Ansatz dem Vorhandensein selbstexplikativer kommunikativer Artefakteigenschaften mit dem Begriff des Anzeichens Rechnung. Die Bedingung (BSKM) verlangt allerdings mehr als das bloße Vorliegen urheber_innenintendierter, selbstexplikativer kommunikativer Eigenschaften. Diese Eigenschaften müssen darüber hinaus von Nutzer_innen oder Rezipient_innen als solche erkannt und zutreffend gedeutet werden. Die Beziehung der selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften zu den relevanten Eigenschaften muss für Dritte insofern transparent sein, als ihnen klar ersichtlich ist, dass die selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften K des Artefakts darauf abzielen, auf relevante Eigenschaften R des Artefakts hinzudeuten. Nun lassen sich einige Gegenstände finden, denen von ihren Urheber_innen selbstexplikative kommunikative Eigenschaften zugedacht wurden, damit diese die Aufmerksamkeit ostensiv auf sich selbst oder weitere Merkmale lenken, und die wir fraglos als Artefakte werden bezeichnen wollen: Es gibt zum einen Fälle, in denen die selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften zugleich die relevanten Eigenschaften sind und auf sich selbst verweisen.48 Viele dieser selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften betreffen die Bedienung, die Anwendbarkeit oder die Handhabbarkeit von Produkten. So gibt sich die Stapelbarkeit vieler Artefakte häufig durch dieselben Merkmale zu erkennen, die die Stapelbarkeit überhaupt erst ermöglichen, etwa eine Verjüngung bestimmter Teile oder entsprechende Einkerbungen.49 Dabei dürfte vielen Nutzer_innen unmittelbar auffallen, dass die Gestaltung der entsprechenden stapelbaren Gegenstände nicht nur ihre Stapelbarkeit ermöglichen, sondern zugleich auch unmittelbar auf die Stapelbarkeit verweisen soll: Bei der Betrachtung von Gläsern aus der Reihe Reko des schwedischen Möbelhauses Ikea etwa drängt sich förmlich die Einsicht auf, dass die Verjüngung des unteren Teils der Gläser ihre Stapelbarkeit nicht nur ermöglicht, sondern diese den (potenziellen) Nutzer_innen gewissermaßen unweigerlich vor Augen führt. 47
Vgl. Bürdek 2015, 166. Auch Dipert verweist auf die Möglichkeit, dass selbstexplikative kommunikative Eigenschaften und tool properties zusammenfallen: »It is possible that these self-communicative properties are simultaneously the very tool properties being advertised« (Dipert 1995, 128; Herv. i. O.). 49 Freilich müssen Eigenschaften, die das Stapeln von Gegenständen ermöglichen, nicht zwingend zugleich kommunikative Eigenschaften sein, die auf sich selbst verweisen: Stapelbarkeit lässt sich auch gewährleisten, ohne dass die Gestaltung die Stapelbarkeit zugleich in den Fokus rückt, wie etwa im Falle vieler Getränkekästen, die sich zwar stapeln lassen, deren Stapelbarkeit aber nicht offensichtlich ist. 48
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Aber wir können zum anderen auch Fälle ausmachen, in denen die offenkundigen selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften eines Gegenstands auf von ihnen verschiedene, relevante Eigenschaften hindeuten. Dies gilt etwa für die rote Signalfarbe von Feuerlöschern, Brandmeldern und Nothämmern: Anhand der Farbe lässt sich erkennen, dass diesen Gegenständen in Gefahrensituationen ein Nutzen zukommt – die Farbe selbst jedoch trägt nicht zu diesem Nutzen bei. Mit der Erkenntnis der_des Nutzenden, dass die genannten Gegenstände in Gefahrensituationen bestimmte Zwecke erfüllen, hängt aller Wahrscheinlichkeit nach in vielen Fällen auch die Meta-Überzeugung zusammen, dass die Farbe von den Gestalter_innen der Gegenstände eingedenk ihrer Signalwirkung bewusst ausgewählt wurde, um die Aufmerksamkeit auf diese Zwecke zu richten.50 Im Lichte dieser Beispiele erscheint es als bedenkenswert, (BSKM) als notwendige Bedingung in eine Definition von Artefakt zu integrieren. Nichtsdestotrotz lässt sich gegen den Sinn der Aufnahme von (BSKM) als notwendige Bedingung in die Definition von Artefakt ein gewichtiger Einwand erheben, nämlich der Einwand der Intellektualisierung51 – dieser Einwand richtet sich auf die in (BSKM) geforderte Meta-Überzeugung. Tatsächlich erscheint es doch als sehr starke Forderung, dass Nutzer_innen oder Rezipient_innen von Artefakten nicht nur aufgrund der kommunikativen Eigenschaften zu der Überzeugung gelangen müssen, 50
Es dürfte auf der Hand liegen, dass es sich bei Farbcodes wie diesem um Konventionen handelt, die kulturrelativ sein können. Zur Kontext- und Kulturabhängigkeit von Anzeichen vgl. auch Steffen 2000, 64 f. 51 Dipert nimmt den hier skizzierten Einwand der Intellektualisierung bereits selbst vorweg: »I could also be said to be open to the charge that I have over-intellectualized and overcomplicated the phenomenon« (Dipert 1995, 131). Um diesem Einwand vorzubeugen, vertritt Dipert eine ,großzügigeʻ Auffassung davon, was es heißt, dass wir es mit einem kommunikativen Phänomen zu tun haben: »[W]e must be generous in what counts as a communicative phenomenon. There is a tendency to assimilate habitual or ›intuitive‹ reactions – such as stopping vehicles at stop signs – to non-communicative, hence non-conceptual/non-intentional behavioral responses. Instead, I see certain such habits, if they arose in certain ways, as no less communicative, just less consciously so« (Dipert 1995, 130; vgl. auch Dipert 1995, 128). Diese ,großzügigeʻ Auffassung ist Teil von Diperts allgemeinem Anliegen »to de-intellectualize our philosophical conception of what human life is, or what it ideally should be, without losing rationality and other normative features in the process« (Dipert 1995, 130). Mir scheint jedoch, dass Dipert mit seiner weiten Auffassung kommunikativer Phänomene gewissermaßen die Pointe seiner Artefaktdefinition verwässert. Denn es scheint ja für seinen Ansatz gerade wesentlich zu sein, auf eine Meta-Überzeugung zu verweisen. Sofern dies nicht wesentlich sein sollte, leuchtet mir nicht ein, warum Dipert in seiner Definition überhaupt auf eine Meta-Überzeugung Bezug nimmt und nicht stattdessen eine schwächere Bedingung entsprechend der im Folgenden diskutierten Bedingung (BSKM') formuliert, die auf die Forderung einer Meta-Überzeugung verzichtet.
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dass die jeweiligen Artefakte bestimmte relevante Eigenschaften aufweisen, sondern darüber hinaus auch stets die Meta-Überzeugung ausbilden müssen, dass den Artefakten die kommunikativen Eigenschaften zukommen, um auf relevante Eigenschaften aufmerksam zu machen. Werfen wir einen Blick auf einige Beispiele, so erscheint diese Form der Intellektualisierung als wenig überzeugend: Zum einen wären Gegenstände, die selbstexplikative kommunikative Eigenschaften aufweisen, die uns subtil auf relevante Eigenschaften hinweisen, sodass wir die relevanten Eigenschaften zwar erkennen, dies aber, ohne zugleich zu durchschauen, welche Rolle den selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften zukommt, dann keine Artefakte. Subtile Hinweise auf die Bedienbarkeit sind beispielsweise bei technischen Geräten wie Tabletcomputern und Smartphones gang und gäbe.52 Aber auch mit typographischen Feinheiten wird die Aufmerksamkeit von Nutzer_innen und Rezipient_innen oft subtil auf relevante Eigenschaften von Artefakten gelenkt, ohne dass die Nutzer_innen oder Rezipient_innen der Mittel gewahr werden müssten, die zur Lenkung ihrer Aufmerksamkeit eingesetzt werden: Bestimmte Schriftarten können auf subtile Weise auf ein Unternehmen oder eine Marke verweisen, aber auch relevante Eigenschaften wie Seriosität oder Eleganz vermitteln. Sofern wir Smartphones, typographisch gestalteten Texten und anderen mit subtilen Anzeichen versehenen Objekten den Artefaktstatus nicht aberkennen wollen, steht der Sinn einer Aufnahme von (BSKM) als notwendiger Bedingung in eine Definition von Artefakt in Frage. Zum anderen stünde eine Definition von Artefakt, in die (BSKM) als für Artefaktizität notwendige Bedingung Eingang fände, in einer deutlichen Spannung dazu, wie wir tatsächlich mit einer großen Zahl von Gebrauchsgegenständen umgehen – selbst mit solchen, deren relevante Eigenschaften mit weniger subtilen Mitteln in unseren Fokus gerückt werden: Ein offensichtlich ergonomisch geformter Schraubendreher mag zwar durch seine Form erkennen lassen, dass er dazu konzipiert wurde, in der Hand gehalten zu werden (wobei die ergonomische Form nicht nur zeigt, wie man den Schraubendreher halten kann, sondern darüber hinaus auch dazu führt, dass man den Schraubendreher auf diese Weise halten kann). Nichtsdestotrotz wird ein_e Nutzer_ in vermutlich eher selten die Überzeugung ausbilden, dass die ergonomische Form zusätzlich auf sich selbst verweisen soll, auch wenn dies tatsächlich der Fall ist: Die_der Nutzer_in mag zwar durchaus auf die Idee kommen, dass der Schraubendreher die ergonomische Form nicht zufällig hat – die Annahme, 52
Zur zunehmenden Relevanz solcher sich möglichst leicht erschließender Anzeichen bei technischen Geräten im Lichte des technischen Fortschritts vgl. auch Steffen 2000, 65 f.
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dass die_der Gestaltende dem Schraubendreher diese Form einzig deshalb verliehen hat, weil sie die Handhabbarkeit und Funktionalität steigert, liegt für eine_n Nutzer_in ohne entsprechende designtheoretische Vorbildung jedoch deutlich näher als die Annahme, dass die ergonomische Form zusätzlich zu ihren funktionalen Vorteilen auch noch auf sich selbst verweisen soll. Wie ist der Einwand der Intellektualisierung nun zu bewerten? Zwar hat sich gezeigt, dass es einige Artefakte gibt, die selbstexplikative kommunikative Merkmale aufweisen, die von Nutzer_innen oder Rezipient_innen regelmäßig als solche erkannt werden. Der Einwand der Intellektualisierung macht jedoch zu Recht darauf aufmerksam, dass viele Artefakte ihren Nutzer_innen gleichsam unbemerkt über ihre relevanten Eigenschaften Auskunft geben: Unser Umgang mit Artefakten erfolgt häufig intuitiv – dies gilt insbesondere für Artefakte, die einem gängigen Typ von Gebrauchsgegenständen angehören. Oft erfassen wir schon aus reiner Gewohnheit ihre relevanten Eigenschaften, ohne zugleich darüber zu reflektieren, ob dieselben oder auch andere Eigenschaften den Zweck haben, unsere Aufmerksamkeit gezielt auf relevante Eigenschaften zu lenken.53 Es erscheint daher nicht als sinnvoll, die Definition des Begriffs Artefakt um eine Bedingung zu erweitern, die sowohl das Vorliegen selbstexplikativer kommunikativer Merkmale als auch ihr Erkennen durch (potenzielle) Nutzer_innen oder Rezipient_innen notwendig voraussetzt: Ein Artefaktbegriff, unter den ausschließlich Gegenstände fallen, denen als solche erkennbare selbstexplikative kommunikative Eigenschaften eignen, deren Rolle sich (potenziellen) Nutzer_innen regelmäßig erschließt, wäre offenkundig zu eng. Er schlösse eine Vielzahl von Gebrauchsgegenständen und Gegenständen des täglichen Bedarfs aus, darunter mit subtilen Anzeichen versehene Objekte wie Smartphones und typographisch gestaltete Texte, aber auch der intuitiv verwendbare Schraubendreher. So unterschiedlich diese Gegenstände erscheinen mögen – eines haben sie gemeinsam: Wir kommen wohl kaum umhin, sie als Beispiele für etwas aufzufassen, was unter den Begriff Artefakt fallen sollte. Der Einwand der Intellektualisierung weist zu Recht auf eine zu starke Betonung von Meta-Überzeugungen innerhalb der Bedingung (BSKM) hin. Daher erscheint es nicht als sinnvoll, (BSKM) als notwendige Bedingung in eine Definition von Artefakt aufzunehmen. Der Einwand der Intellektualisierung spricht jedoch nur gegen eine Bedingung, die die Forderung nach einer 53
Dies gilt auch für das Verständnis einzelner Details von Artefakten wie etwa hervorstehender oder durch Farben hervorgehobener Knöpfe: Das Verständnis, dass diese Knöpfe sich drücken lassen, wird vielfach nicht mit der Ausbildung der Meta-Überzeugung einhergehen, dass die Knöpfe hervorstehen oder farblich hervorgehoben werden, um darauf aufmerksam zu machen, dass man sie drücken kann.
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Meta-Überzeugung enthält. Sofern die Bedingung allein auf das Vorliegen kommunikativer Eigenschaften bezogen ist, ohne es zugleich zur Voraussetzung zu machen, dass die kommunikativen Eigenschaften von Nutzer_innen oder Rezipient_innen auch als solche aufgefasst werden, greift der Einwand hingegen nicht. Eine abgeschwächte Variante der Bedingung (BSKM), die die Forderung nach einer Meta-Überzeugung ausklammert und damit gegen den Einwand der Intellektualisierung immun ist, ist die Bedingung (BSKM'): Wenn x ein Artefakt ist, dann (BSKM') h at x selbstexplikative kommunikative Eigenschaften K, die die_der Urheber_in von x festgelegt hat, damit sie auf relevante Eigenschaften R von x verweisen, und aufgrund deren Dritte regelmäßig zu der Überzeugung gelangen, dass x R hat.
Im Zusammenhang mit (BSKM) bin ich bereits auf eine überzeugende design theoretische Grundlage für die Annahme zu sprechen gekommen, dass Artefakte kommunikative Eigenschaften aufweisen. Gestützt wird diese Annahme außerdem durch die Beispiele, die ich zur Illustration des Einwands der Intellektualisierung angeführt habe: Sämtliche Beispiele weisen kommunikative Funktionen auf (auch, wenn Nutzer_innen und Rezipient_innen sie gerade nicht als solche erkennen). Vor diesem Hintergrund erscheint die Aufnahme von (BSKM') als notwendige Bedingung in eine Definition von Artefakt zunächst durchaus als bedenkenswert. Allerdings lassen sich auch gegen (BSKM') zwei Einwände vorbringen, nämlich der Einwand der Nutzer_innenExpertise und der Einwand der gestalterischen Freiheit. Der Einwand der Nutzer_innen-Expertise trägt der Tatsache Rechnung, dass keineswegs alle Artefakte für die Nutzung durch eine breite Allgemeinheit gestaltet werden: HiFi-Anlagen, Laborgeräte, aber etwa auch Kunstwerke sowie ihre Aufführungen und Instanziierungen sind häufig gerade nicht dazu gemacht, dass sich ihre relevanten Eigenschaften jeder_jedem potenziellen Nutzer_in unabhängig von deren_dessen Expertise erschließen. Artefakte dieser Art weisen nicht zwangsläufig kommunikative Eigenschaften auf, die über ihre relevanten Eigenschaften Auskunft zu geben vermöchten. Dies ist auch gar nicht notwendig, da solche Artefakte überwiegend von Expert_innen genutzt bzw. rezipiert werden, die mit der Nutzung oder Rezeption in besonderer Weise vertraut sind54: Wer ein HiFi-Gerät im höheren 54
Entsprechend weist auch Steffen darauf hin, dass die zu erwartende Nutzer_innengruppe bei der Anzeichengestaltung insofern zu bedenken ist, als bei Geräten, deren Nutzer_innen eine gewisse Expertise mitbringen, Anzeichen oftmals eine eher untergeordenete Rolle spielen: »Bei einem Profigerät ist es sicherlich vertretbar, eine anzei-
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Preissegment erwirbt, kennt sich im Allgemeinen so gut mit dessen Bedienung aus, dass er nicht auf eine Produktgestaltung angewiesen ist, die die Bedienung anleitet. Aber auch Laborgeräte und andere in wissenschaftlichen Kontexten zur Verwendung kommende Apparaturen sind im Allgemeinen nicht so gestaltet, dass man ihnen ihre Nutzungsmöglichkeiten und andere relevante Eigenschaften (wie etwa ihre Funktionsweise) unmittelbar ansieht. Denn ihre Nutzer_innen sind für den Gebrauch dieser Geräte geschult und daher nicht auf eine anzeichenhafte Gestaltung angewiesen. In den Künsten schließlich erscheint es oftmals ebenfalls als plausibel, dass die Zielgruppe, für die eine Instanziierung konzipiert ist, eine Gruppe von Expert_innen ist. Wir können hier etwa an Aufführungen im Jazz denken, bei denen selbstexplikative kommunikative Merkmale auf Bezüge zu anderen Stücken oder Musiker_innen aufmerksam machen, wobei diese Hinweise nur von einem Publikum verstanden werden können, das mit diesen anderen Stücken oder der Arbeit der entsprechenden Musiker_innen vertraut ist. Der Einwand der gestalterischen Freiheit hebt darauf ab, dass die Urheber_ innen von Artefakten sich auch ganz bewusst dagegen entscheiden können, ihren Artefakten im Rahmen des Gestaltungsprozesses selbstexplikative kommunikative Eigenschaften zu verleihen, die Aufschluss über relevante Eigenschaften des Artefakts geben.55 Betrachten wir etwa die Saftpresse Juicy Salif von Alessi: Obgleich Philippe Starck sie zum Auspressen von Zitrusfrüchten entworfen hat, sieht man der futuristisch anmutenden Saftpresse diese urheberintendierte Funktion keineswegs an. Es ist nun durchaus denkbar, dass Philippe Starck die Saftpresse absichtlich so gestaltet hat, dass sich ihre urheberintendierte Funktion und damit eine wohl durchaus als relevant zu beschreibende Eigenschaft seiner Schöpfung (potenziellen) Nutzer_innen gerade nicht ohne Weiteres erschließt. Denn eine gestalterische Pointe kann gerade darin bestehen, die Funktionalität oder andere wesentliche Merkmale eines Objekts nicht klar hervortreten zu lassen. Sofern wir auch solche Objekte als Artefakte auffassen wollen, die eine Selbstauskunft verweigern, chenhafte Gestaltung praktischer Funktionen teilweise zurückzunehmen, da hier ein bestimmtes Erfahrungspotenzial und Nutzungsroutinen vorausgesetzt werden können« (Steffen 2000, 66). 55 Das heißt freilich nicht, dass Urheber_innen in der Gestaltung vollkommen frei wären. Neben den offenkundigen Einschränkungen durch die Naturgesetze stellt sich ein weiteres Problem, das Norman als Legacy Problem bezeichnet (vgl. Norman 2013, 127): Viele Artefakte sind auf die Berücksichtigung existierender Standards angewiesen – so ist es etwa eine Voraussetzung bei der Herstellung batteriebetriebener Geräte, den exis tierenden Standards für Batterien (die etwa deren Abmessungen, ihre Spannungen u. ä. betreffen) Rechnung zu tragen.
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ergibt sich also ein Problem für die Aufnahme von (BSKM') als notwendiger Bedingung in eine Definition des Begriffs Artefakt. Zudem lassen sich Beispiele für vermeintlich selbstexplikative kommunikative Eigenschaften finden, die auf scheinbar vorliegende relevante Eigenschaften von Gegenständen hinweisen, die diesen Gegenständen jedoch tatsächlich gar nicht zukommen. Betrachten wir einen Tisch aus Pressspan, auf dessen Oberflächen Holzfurnier aufgeklebt ist: Die Eigenschaft, eine Holz oberfläche zu haben, verweist hier offenbar auf die Eigenschaft, aus Vollholz zu sein – eine Eigenschaft, die dem Tisch faktisch gar nicht eignet.56 Auch wurde bei der Gestaltung alter Sekretäre zumeist bewusst auf Merkmale verzichtet, die darüber Aufschluss geben, dass diese Möbelstücke über ein Geheimfach verfügen.57 An diesen Beispielen zeigt sich, dass die gestalterische Freiheit auch nicht durch ein Erfordernis der Aufrichtigkeit eingeschränkt wird. Wollen wir furnierte Tische und Sekretäre mit verborgenen Geheimfächern als Artefakte auffassen, ergibt sich ein Problem für die Aufnahme von (BSKM') als notwendiger Bedingung in die Definition des Begriffs Artefakt. Denn im Falle eines solchen Möbelstücks verweist eine vermeintlich selbstexplikative kommunikative Eigenschaft K auf eine Eigenschaft R, die dem Möbelstück jedoch gar nicht zukommt. Sofern dem fraglichen Objekt darüber hinaus keine weiteren selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften eignen, ist (BSKM') nicht erfüllt – und es ist nicht ersichtlich, warum es nicht auch Tische, Sekretäre und andere Gegenstände geben sollte, deren scheinbare selbstexplikative kommunikative Merkmale sich bei näherer Betrachtung sämtlich als gleichsam unaufrichtig herausstellen. Mir scheint, dass wir nicht umhinkommen, HiFi-Anlagen, Laborgeräte und musikalische Aufführungen als Beispiele für Artefakte aufzufassen. Im Falle der Saftpresse Juicy Salif ist es ohne Weiteres denkbar, dass ihr Urheber absichtlich darauf verzichtet hat, seiner Schöpfung irgendwelche selbstexplikativen kommunikativen Eigenschaften zuzudenken – und es leuchtet nicht ein, dass ein Objekt allein aufgrund einer solchen Entscheidung seiner_seines Urhebenden den Artefaktstatus einbüßen sollte. Schließlich stellen sich vermeintlich selbstexplikative kommunikative Eigenschaften von Objekten mitunter als unaufrichtig heraus, wie die Beispiele der furnierten Tische und der Sekretäre mit Geheimfach gezeigt haben. Da unter den genannten Gegenständen einige sein dürften, die keinerlei selbstexplikative kommunikative Eigenschaften aufweisen und die sich dennoch plausibel als Artefakte auffas56
Für weitere Beispiele solcher Anzeichen, die das Vorliegen einer Eigenschaft lediglich vortäuschen, vgl. Steffen 2000, 81. 57 Vgl. Steffen 2000, 81 f.
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sen lassen, erscheint es im Lichte der Einwände nicht als sinnvoll, (BSKM') als notwendige Bedingung in die Definition von Artefakt aufzunehmen. Denn die Bestimmung der Merkmale, die Urheber_innen laut (BSKM') festzulegen haben, ist zu speziell: Urheber_innen steht es frei, bei der Gestaltung vollständig auf die Festlegung selbstexplikativer kommunikativer Merkmale zu verzichten. Daher wende ich mich nun einer Bedingung zu, die die in Desiderat A4 zum Ausdruck kommende Forderung nach einer die Festlegung von Merkmalen erfordernden Bedingung in weniger spezieller Weise zu erfüllen sucht. Die Bedingung der Festlegung artzugehörigkeitsbestimmender Merkmale als nicht notwendige Bedingung für Artefaktizität
Die Bedingung der Festlegung artzugehörigkeitsbestimmender Merkmale bestimmt die Merkmale, die Artefakturheber_innen festlegen müssen, allgemeiner als die beiden Varianten der Bedingung der Festlegung selbstexplikativer kommunikativer Merkmale: Ihr zufolge müssen durch die_den Urheber_in eines Artefakts dessen Merkmale gezielt derart festgelegt werden, dass sich aus diesen Merkmalen die Zugehörigkeit des Artefakts zu einer Art von Artefakten ergibt. Die Bedingung ist eine Abwandlung der Bedingung (A2), die einer Artefaktdefinition Hilpinens entstammt.58 Aus der in Abschnitt 2.1.1 gewonnenen Erkenntnis, dass Artefakten nicht notwendig urheber_innenintendierte Funktionen zukommen müssen, ergibt sich auch für die Bedingung der Festlegung artzugehörigkeitsbestimmender Merkmale eine wichtige Konsequenz: In die Bedingung eine Einschränkung auf funktional bestimmte Arten von Artefakten einzutragen erscheint nicht als zielführend.59 Die Bedingung der Festlegung artzugehörigkeitsbestimmender Merkmale sollte also nicht auf Funktionen Bezug nehmen. Wir können die Bedingung wie folgt formulieren: Wenn x ein Artefakt ist, dann (BAM) hat x Merkmale Z, die die_der Urheber_in von x festgelegt hat, um die Zugehörigkeit von x zu einer Artefaktart A zu erwirken, und aus denen sich die Zugehörigkeit von x zu A ergibt.
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Hilpinen führt (A2) als eine von zwei dependence conditions ein und erachtet sie als notwendige Bedingung für Artefaktizität, vgl. Hilpinen 1993, 159. 59 Auch Thomasson argumentiert überzeugend gegen die Auffassung, dass allein urheber_innenintendierte Funktionen Artefaktarten konstituieren (vgl. Thomasson 2014, 47 f.).
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(BAM) wirft zunächst die Frage auf, was unter einer Artefaktart zu verstehen ist: Ein Artbegriff, unter den jede beliebige Klasse von Artefakten fiele, wäre offenkundig zu weit und würde sich selbst entbehrlich machen. Da wir uns aus den o. g. Gründen nicht auf Arten beschränken können, die durch die urheber_innenintendierten Funktionen der ihnen zugehörigen Artefakte bestimmt sind, kann sich eine Antwort auf die Frage, was Artefaktarten auszeichnet, auch nicht den Bezug auf solche Funktionen zu Nutze machen. Meine Auffassung60 dessen, was eine Artefaktart auszeichnet, ist von LaPortes Theorie natürlicher Arten inspiriert. LaPorte schlägt vor, als Maßgabe für die Natürlichkeit einer Art ihren Erklärungswert heranzuziehen61: Während die Zugehörigkeit eines Artefakts zur Art der Dinge, denen an einem Dienstag ein Name gegeben wurde, nahezu keine Erklärungen hinsichtlich ihrer Exemplare erlaubt62, eröffnet uns der Umstand, dass ein Artefakt der Art Wasserkocher angehört, eine ganze Reihe von Erklärungen: Wissen wir, dass ein Artefakt ein Exemplar der Art Wasserkocher ist, so können wir uns auf der Grundlage dieses Wissens u. a. erklären, warum Akteur_innen ein Interesse an der Herstellung oder dem Kauf des Artefakts hegen (nämlich, weil sie ein Gerät produzieren oder besitzen wollen, das schnell, unkompliziert und energiesparend Wasser erhitzt), welche Nutzungsmöglichkeiten das Artefakt bietet (das Erhitzen von Wasser auf Kochtemperatur), welche Kriterien für seine Güte herangezogen werden können (vermag das Artefakt in einer angemessenen Zeitspanne mit vergleichsweise geringem Energieeinsatz Wasser zum Kochen zu bringen?) usw.63 Aber nicht nur die Zugehörigkeit zu einer funk 60
Die skizzenhafte Darstellung der hier zum Tragen kommenden Auffassung dient einzig der Prüfung, ob eine Ergänzung der Definition des Begriffs Artefakt um (BAM) als sinnvoll erscheint. Wie sich im Folgenden zeigen wird, erscheint eine Aufnahme von (BAM) in die Definition von Artefakt nicht als sinnvoll – eine ausgearbeitete Theorie dessen, was Artefaktarten auszeichnet, ist im Rahmen dieser Studie mithin verzichtbar. 61 Dieser Vorschlag steht im Kontrast zu der Auffassung, natürliche Arten seien Arten, die in der Natur vorfindlich sind (vgl. LaPorte 2009, 18). Von Natürlichkeit ist hier in einem völlig anderen Sinne die Rede als im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem, auf die ich in Abschnitt 1.1.2 zu sprechen gekommen bin: Bei den im LaPorteschen Sinne natürlichen Arten geht es nicht um deren natürliche Genese oder Qualität, sondern einzig darum, dass die Einteilung in diese Arten uns als natürlich (im Sinne von naheliegend bzw. selbstverständlich) erscheint. 62 Vgl. LaPorte 2009, 19. 63 In Bezug auf funktional bestimmte Artefaktarten sind Erklärungen wie diese bereits seit geraumer Zeit Gegenstand der Diskussion. Die populärste Theorie, die die Persistenz von Artefaktarten auf die Funktionen ihrer Exemplare zurückführt, ist fraglos Millikans ätiologische Theorie der eigentümlichen Funktionen (vgl. Millikan 1984, Kapitel 1). Elder greift auf diese Theorie zurück, um einen Ansatz zu entwickeln, dem zufolge Artefaktarten durch ihre Funktionen definiert sind, wobei die Funktionen erklä-
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tional bestimmten Artefaktart wie Wasserkocher verspricht Erklärungen über die entsprechenden Exemplare. Dies wird deutlich, wenn wir die Artefaktart Bildungsroman in den Blick nehmen: Wissen wir, dass ein Artefakt dieser Art zuzuordnen ist, so ergeben sich daraus Erklärungen hinsichtlich seiner Grundstruktur (nämlich, dass diese Struktur sich als einsträngige Erzählung in Romanform darstellt, die auf die Lebensgeschichte eines Einzelhelden bezogen ist64), aber etwa auch in Bezug auf sein erzählerisches Thema (das in diesem Falle zuvorderst die Bildung des Helden betrifft65) sowie seine historischen Wurzeln (die u. a. in der Autobiographie als wichtiger Vorläuferin des Bildungsromans erkennbar sind66). In Anlehnung an LaPortes Theorie der natürlichen Arten67 fasse ich eine Artefaktart als Klasse auf, für die gilt, dass das Wissen um die Zugehörigkeit eines Artefakts zur fraglichen Klasse – wie im Falle der soeben genannten Beispiele – einen explanatorischen Mehrwert mit sich bringt.68 Daraus ergibt sich, dass ein Artefakt durchaus mehreren Arten zugleich zugeordnet werden kann, sofern sich aus dem Wissen um die Zugehörigkeit des Artefakts zu jeder Art eine Erklärung ableiten lässt. Nun lassen sich ohne Schwierigkeiten Fälle ausmachen, in denen Urheber_innen die Eigenschaften der von ihnen geschaffenen Gegenstände gezielt ren, warum bestimmte Artefakte kontinuierlich produziert und reproduziert werden (vgl. Elder 2014). 64 Selbmann 1994, 31. 65 Selbmann 1994, 32. 66 Selbmann 1994, 35. 67 LaPorte selbst fasst Artefaktarten wie Zahnpasta nicht als in seinem Sinne natürliche Arten auf, da sie seiner Auffassung nach zwar Eingang in Erklärungen finden können, wobei diese Erklärungen jedoch von geringerem wissenschaftlichem Interesse sind als Erklärungen im Zusammenhang mit paradigmatischen Beispielen für natürliche Arten wie der Art Eisbär (vgl. LaPorte 2009, 26). Mir scheint jedoch, dass es sich hierbei allenfalls um einen graduellen, nicht aber um einen kategorialen Unterschied handelt, zumal LaPorte die Erklärungskraft von Artefaktarten grundsätzlich konzediert. Insofern hielte ich es für gerechtfertigt, auch Artefaktarten als – ggf. in einem schwächeren Sinne – natürliche Arten zu bezeichnen. In jedem Fall aber spricht der Umstand, dass wir es lediglich mit einem graduellen Unterschied zu tun haben, für die Übertragbarkeit von LaPortes Überlegungen zu natürlichen Arten auf Arten von Artefakten. 68 Anstelle der hier skizzierten Auffassung dessen, was eine Artefaktart auszeichnet, ließen sich freilich auch andere Auffassungen vertreten. Thomasson etwa vertritt in Anlehnung an Hilpinen (1993) die These, dass Arten von Artefakten durch urheber_ innenintendierte Eigenschaften bestimmt sind, wobei Urheber_innen beabsichtigen müssen, ein Objekt der fraglichen Art zu schaffen, von der sie genaue Vorstellungen haben müssen: »something is a member of an essentially artifactual kind K only if it is the product of a largely successfully executed intention to make a K, where the maker must have a substantive concept of the nature of Ks« (Thomasson 2014, 48 f.). Im Lichte des Einwands der artignoranten Urhebenden, auf den ich im Folgenden zu sprechen komme, vermag diese Auffassung jedoch nicht zu überzeugen.
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so festlegen, dass sich daraus die gewünschte Zugehörigkeit der Gegenstände zu einer bestimmten Art ergibt. Viele industriell gefertigte Produkte sind als Exemplare funktional bestimmter Arten angelegt, darunter etwa Staubsauger: Die Produzierenden von Staubsaugern dürften im Allgemeinen die Absicht verfolgen, Gegenstände herzustellen, die der Artefaktart Staubsauger angehören. Dementsprechend werden die fraglichen Gegenstände so gestaltet, dass sie über die funktionale Eigenschaft des Staubsaugens verfügen. Aber durch urheber_innenintendierte Funktionen definierte Arten wie diese sind bei Weitem nicht die einzigen Arten, die bei der Herstellung von Artefakten eine Rolle spielen: Fraglos zielen Urheber_innen oftmals auch die Zugehörigkeit ihrer Schöpfungen zu Artefaktarten an, die nicht funktional, sondern durch andere Eigenschaften bestimmt sind. In der Kunst etwa gestalten Urheber_innen ihre Schöpfungen häufig bewusst so, dass sich daraus die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung, einem Genre oder einem Stil ergibt. Mit der gezielten Wahl der Materialien kann ein_e Künstler_in diesbezüglich bereits erste Festlegungen treffen: Greift sie_er zu Leinwand und Farben, dann fällt das Ergebnis ihrer_seiner künstlerischen Anstrengungen in einer großen Zahl der Fälle der Artefaktart Gemälde zu. Indem ein_e Musiker_ in in ihrem_seinem Song im Satz spielende Bläser und eine synkopische Basslinie zum Einsatz kommen lässt, ordnet sie_er ihn oftmals der musikalischen Artefaktart Funk zu. Ein_e Maler_in, die_der sich für ein Gemälde bewusst die formale Strenge des Kubismus zu eigen macht, vermag dadurch die Zugehörigkeit des Gemäldes zur stilistischen Artefaktart Kubismus sicherzustellen. Wie die Beispiele zeigen, treffen Urheber_innen bei der Gestaltung ihrer Schöpfungen oftmals bewusste Entscheidungen, die die Zugehörigkeit ihrer Schöpfungen zu einer bestimmten Art von Artefakten bewirken, wobei diese Entscheidungen für den spezifischen Charakter der Artefakte alles andere als unerheblich zu sein scheinen. Aus diesem Grunde sollten wir die Forderung erwägen, dass Artefakturheber_innen grundsätzlich artzugehörigkeitsbestimmende Merkmale festlegen müssen, um entscheiden zu können, ob (BAM) als notwendige Bedingung Eingang in die Definition des Begriffs Artefakt finden sollte. Gegen den Sinn der Aufnahme von (BAM) als notwendiger Bedingung für Artefaktizität lassen sich jedoch zwei Einwände mit je unterschiedlicher Stoßrichtung vorbringen. Der erste Einwand betrifft die Absichten der Urheber_innen: Er legt nahe, dass es Artefakte geben kann, die zwar von Urheber_innen bewusst gewählte Merkmale Z aufweisen, aus denen sich die Zuordnung zu einer Artefaktart A ergibt, wobei diese Zuordnung selbst jedoch von Seiten der Urheber_innen gar nicht intendiert wurde. Der zweite Einwand wirft die Frage auf, ob nicht Fälle des Irrtums denkbar sind, in
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denen ein_e Artefakturheber_in Merkmale Z eines von ihr_ihm geschaffenen Artefakts mit Absicht bestimmt, in der falschen Annahme, dass sich daraus die Zugehörigkeit zu einer Artefaktart A ergebe – wobei sich aus den Merkmalen Z diese Zugehörigkeit tatsächlich gar nicht zu ergeben vermag. Betrachten wir zunächst den ersten Einwand, den ich als Einwand der art ignoranten Urhebenden bezeichne: Es scheint durchaus denkbar zu sein, dass ein_e Urheber_in im Zuge des Schaffensprozesses gar keine bestimmte Art vor Augen hat, der sie_er ihre_seine Schöpfung zuordnen will. Dies kann verschiedene Gründe haben. Erstens bilden sich viele Arten von Artefakten erst nachträglich heraus, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem die Entstehung der diese Arten vornehmlich prägenden Objekte bereits einige Zeit zurück liegt. Aus diesem Grunde dürfte vielen Urheber_innen zum Schaffenszeitpunkt die Art gar nicht bekannt sein, der ihre Schöpfungen später einmal mit großer Selbstverständlichkeit zugeordnet werden: So scheint es möglich zu sein, dass ein_e Urheber_in ein neuartiges Artefakt entwickelt, das sich erst nachträglich als das erste seiner Art charakterisieren lässt, wobei die Art jedoch erst mit der Fertigstellung des fraglichen Artefakts zur Existenz kommt.69 Insofern kann die_der Urheber_in des Artefakts allenfalls eine erste Ahnung davon haben, was die Art auszeichnen wird, die mit der Fertigstellung ihres_seines Artefakts begründet wird. Monet wird heute zu den Begründern des Impressionismus in der Malerei gezählt – dass er beim Malen seines Gemäldes Impression, soleil levant gezielt die Absicht verfolgt hat, ein Artefakt der Artefaktart Impressionismus zu schaffen, ist allerdings zweifelhaft, zumal der Journalist Louis Leroy die Bezeichnung »Impressionismus« erst nach der Fertigstellung des Gemäldes prägte. Aus Leonardo da Vincis Feder stammt eine ganze Reihe von Entwürfen für Flugmaschinen, die wir heute wohl zum Teil als Flugzeuge bezeichnen würden – aber es ist fraglich, ob er beim Planen dieser Maschinen die Absicht verfolgt hat, Exemplare der Artefaktart Flugzeug zu entwerfen.70 Sofern wir die Möglichkeit einräumen wollen, dass die Schöpfung eines Artefakts seiner Zuordnung zu einer Artefaktart vorausgeht, liegt es nahe, diese Möglichkeit für alle Arten von Artefakten anzuerkennen: Für alle Artefaktarten gilt dann gleichermaßen, dass ihr Erstfall produziert werden kann, auch wenn sich die Zugehörigkeit zur Art bei dessen Produktion noch nicht anzielen lässt. Es leuchtet daher nicht ein, warum es nicht auch ein Artefakt sollte geben können, das der Erstfall aller Arten ist, denen es nachträglich zugeordnet wird, und bei dessen Entstehung die_der Urheber_in keinerlei Artzugehörigkeit beabsichtigt 69 70
Zu Fällen wie diesem vgl. auch Vega-Encabo und Lawler 2014. Vgl. zu diesem Beispiel Vega-Escabo und Lawler 2014, 119.
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hat. Im Lichte dieser Überlegungen erscheint eine Aufnahme von (BAM) als notwendige Bedingung in die Definition von Artefakt also als problematisch. Aber nicht nur neuartige Artefakte werfen für die Akzeptanz von (BAM) als notwendiger Bedingung für Artefaktizität Probleme auf. Denn wir können uns zweitens vorstellen, dass ein_e Künstler_in, der_dem gar nicht bewusst ist, dass sie_er gerade einen Beitrag zu einem bereits bestehenden Stil oder einem etablierten Genre leistet, ihre_seine Schöpfung dennoch mit Eigenschaften versieht, die deren Zugehörigkeit zur entsprechenden Art von Artefakten determinieren: Die_der Künstler_in mag die Eigenschaften ihrer_ seiner Schöpfung in voller Absicht wählen, ohne jedoch mittels dieser Auswahl zugleich die Zugehörigkeit zu der fraglichen Artefaktart sicherstellen zu wollen, da ihr_ihm das Vorhandensein dieser Art gar nicht bewusst ist. Goethe muss sich beim Schreiben seines Romans Wilhelm Meisters Lehrjahre nicht zwangsläufig darüber im Klaren gewesen sein, dass es bereits die Artefaktart Bildungsroman gab, um einem Exemplar dieser Art zur Existenz zu verhelfen (und konnte mit dem Roman dennoch den Prototyp der Gattung schaffen). Auch hier gilt: Wenn es vorstellbar ist, dass ein_e Urheber_in von einer bestehenden Art, der ihre_seine Schöpfung zugeordnet werden kann, keinerlei Kenntnis hat, warum sollte es dann nicht auch möglich sein, dass der_dem Urheber_in zum Schaffenszeitpunkt sämtliche Arten unbekannt sind, denen ihre_seine Schöpfung zuordenbar ist? Sofern wir ein solches Szenario für denkbar halten, spricht dies ebenfalls dagegen, (BAM) als notwendige Bedingung in die Definition von Artefakt zu integrieren. Schließlich fragt sich drittens, warum wir uns nicht eine_n Urheber_in sollten vorstellen können, die_der sich gar nicht erst bewusst macht, dass es überhaupt so etwas wie Arten von Artefakten gibt: Angenommen, ein_e Akteur_in ist aufgrund eines kognitiven Defekts nicht in der Lage, Gegenstände in Arten zusammenzufassen – ihr_ihm fehlt das Bewusstsein dafür, dass sich Gegenstände zu Arten gruppieren lassen. Diese_r Akteur_in entwirft nun einen Gegenstand und legt gewissenhaft und sehr gezielt dessen Eigenschaften fest: U. a. bestimmt sie_er, dass der Gegenstand einen Griff aus einer bestimmten Holzart und einen Aufsatz aus einem bestimmten Metall mit genau festgelegten Maßen hat, und weist dem Gegenstand die urheberintendierte Funktion zu, Nägel in die Wand zu schlagen. Aufgrund ihrer_seiner kognitiven Verfassung ist der_dem Akteur_in nicht bewusst, dass es Artefaktarten gibt, deren einer – der Artefaktart Hammer – sich das Resultat ihrer_seiner Anstrengungen offenkundig zuordnen lässt. Sofern wir den aus den Anstrengungen resultierenden Gegenstand als Artefakt auffassen wollen, scheint somit nicht einmal vorausgesetzt zu sein, dass ein_e Urheber_in
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sich darüber im Klaren ist, dass es überhaupt so etwas wie Arten von Artefakten gibt. Den zweiten Einwand gegen die Aufnahme von (BAM) als notwendiger Bedingung in die Definition des Begriffs Artefakt nenne ich Einwand der gescheiterten Artzuordnung. Diesem Einwand zufolge ist es denkbar, dass ein_e Urheber_in bei der Schöpfung eines Artefakts im Sinn hat, mit diesem Artefakt ein Exemplar einer bestimmten, bereits etablierten Artefaktart herzustellen, wobei das Artefakt dieser Art jedoch faktisch gar nicht zugeordnet werden kann, weil die von der_dem Urheber_in festgelegten Merkmale nicht in der Zugehörigkeit zur fraglichen Art resultieren: Wir können uns vorstellen, dass ein_e Urheber_in irrtümlich glaubt, durch die Festlegung bestimmter Merkmale sicherstellen zu können, dass ihre_seine Schöpfung einer bestimmten Art angehört. Angenommen, ein_e Musiker_in glaubt, die Artefaktart Drum and Bass zeichne sich dadurch aus, dass Streichinstrumente unplugged und in einem möglichst langsamen Tempo unterhalb von 100 BPM gespielt werden. Auf der Grundlage dieser Annahme schreibt sie_er den Song s, den sie_er u. a. mit den entsprechenden Merkmalen versieht. Da das Vorhandensein dieser Merkmale jedoch gerade nicht dazu führt, dass s der Artefaktart Drum and Bass angehört – diese Artefaktart zeichnet sich dadurch aus, dass sie elektronische Elemente und schnelle Beats ab 160 BPM vereint –, ist das Anliegen, ein Exemplar dieser Art zu schaffen, offensichtlich gescheitert. Sollten wir nun s den Artefaktstatus absprechen, weil es der_dem Musiker_ in nicht gelungen ist, ihrer_seiner Absicht entsprechend mit s ein Exemplar der Artefaktart Drum and Bass zu schaffen? Sofern wir den Song ungeachtet der gescheiterten Zuordnung zur von der_dem Urheber_in angezielten Artefaktart als Artefakt auffassen wollen, zieht auch dieses Beispiel den Sinn der Aufnahme von (BAM) als notwendiger Bedingung in eine Definition von Artefakt in Zweifel. Die Forderung einer erfolgreichen, absichtsvollen Festlegung artzugehörigkeitsbestimmender Merkmale durch die_den Artefakturheber_in erscheint vor dem Hintergrund der Einwände als zu stark: Bestünde eine Voraussetzung für den Artefaktstatus eines Gegenstands tatsächlich darin, dass sein_e Urheber_in die Auswahl seiner Merkmale mit der Absicht getroffen hat, seine Zugehörigkeit zu einer Artefaktart zu sichern, dann könnten wir die soeben genannten Beispiele nicht als Artefakte auffassen. Mir scheint jedoch, dass wir Monets Gemälde Impression, soleil levant, Leonardo da Vincis Flugmaschinen, Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre und den Hammer der_des kognitiv eingeschränkten Urhebenden auch dann als Beispiele für Artefakte auffassen sollten, wenn von der_dem Urheber_in keinerlei Zuordnungen dieser Gegenstände zu Arten von Artefakten beabsichtigt werden: Artefakte werden regel-
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mäßig Artefaktarten zugeordnet, von denen die Urheber_innen der Artefakte zum Zeitpunkt der Schöpfung (noch) keine Kenntnis haben. Die Zuordnung wird oftmals nachträglich von Dritten vorgenommen – im Falle von Gemälden etwa übernehmen meist Kunsthistoriker_innen deren Zuordnung zu unterschiedlichen Artefaktarten. Insofern stellt sich die Zuordnung zu Artefaktarten als eine Praxis dar, die gemessen am Schöpfungszeitpunkt oft erst nachträglich sowie durch von der_dem Urheber_in verschiedene Dritte vollzogen wird. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ersichtlich, warum die_der Urheber_in eines Artefakts bereits die Zuordnung zu einer Artefaktart sollte beabsichtigen müssen – zumal es ohne Weiteres als denkbar erscheint, dass selbst ein_e Urheber_in, die_der keine Artefaktarten kennt, dazu imstande ist, Artefakte herzustellen. Wäre es hingegen eine Voraussetzung, dass die Absicht der_des Urhebenden insofern erfolgreich ist, als sich aus der Festlegung der Merkmale tatsächlich die Art ergibt, die der_die Urhebende angezielt hat, so könnten wir den Song s nicht als Artefakt auffassen. Allerdings vermag auch diese Voraussetzung nicht recht zu überzeugen: Warum sollte sich aus dem Irrtum der_des Urhebenden hinsichtlich der Charakteristika des von ihr_ihm angezielten Genres Drum and Bass zugleich die weitreichende Konsequenz ergeben, dass ihre_seine Schöpfung ihren Status als Artefakt einbüßt? Dies erschiene nicht als überzeugend. Dass Urheber_innen Irrtümern hinsichtlich der Charakteristika von ihnen angezielter Genres erliegen, lässt sich nicht ausschließen. Ein solcher Irrtum allein sollte jedoch für die Frage, ob es sich bei einem Gegenstand um ein Artefakt handelt, nicht den Ausschlag geben. Davon einmal abgesehen besteht über die Charakteristika einiger Artefaktarten (wie etwa Genres) nicht zwangsläufig ein umfassender Konsens. Infolgedessen können Urheber_innen eine Zuordnung ihrer Schöpfungen zu einer Artefaktart vornehmen, die mit den Zuordnungen von anderen Urheber_innen, Nutzer_innen oder Rezipient_innen konkurriert. In einem Fernsehinterview äußerte die Musikerin Sophie Hunger, dass ihre Musik der Artefaktart Pop zuzuordnen sei – eine Äußerung, der Anke Engelke, die das Interview führte, mit großer Verwunderung entgegenhielt: »Ich fand das so Unpop […]. Ich fand das alles, nur nicht Pop.«71 An diesem Beispiel zeigt sich, dass mitunter ganz unterschiedliche Charakterisierungen einer Artefaktart aufeinanderprallen können. Sophie Hunger selbst bestimmt die Art Pop gewissermaßen ex negativo – »[a]lles, was nicht klassische Musik ist und nicht Jazz ist und nicht Volksmusik, ist Popmusik«. Anke Engelke zufolge ist Popmusik hingegen »beim ersten Mal eingängig, alle schwingen mit«. Urhe71
Fernsehinterview in der Sendung Anke hat Zeit vom 27.7.2013.
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ber_innen und Rezipient_innen legen also für den Erfolg der Zuordnung eines Artefakts zu einer Artefaktart mitunter ganz unterschiedliche Kriterien an. Insofern kann es umstritten und ggf. sogar unklar sein, ob die Zuordnung eines Artefakts zu einer Artefaktart geglückt ist oder nicht. Wollen wir eine Pluralität der Bestimmungen von Artefaktarten zulassen, da unterschiedliche Bestimmungen einer Art ggf. unterschiedliche Erklärungen ermöglichen können, so ist die Erfolgsfrage mitunter nicht eindeutig zu entscheiden: Wir können nicht genau sagen, ob wir es überhaupt mit einem Irrtum seitens der_des Urhebenden zu tun haben – oder nur mit einer eigenwilligen Bestimmung der angezielten Artefaktart. (Und selbst, wenn wir geneigt sein sollten, der Einschätzung von Anke Engelke zuzustimmen, ließe sich daraus kaum ableiten, dass Sophie Hungers Songs keine Artefakte sind.) Auch die Bedingung (BAM) bestimmt die durch die_den Artefakturheber_ in festzulegenden Merkmale also in einer Weise, die zu speziell ist. Urheber_ innen von Artefakten müssen die Merkmale ihrer Schöpfungen keineswegs so wählen, dass sie damit gezielt deren Zuordnung zu einer Art von Artefakten erwirken. Das spricht gegen eine Aufnahme von (BAM) als notwendige Bedingung in die Definition des Begriffs Artefakt. Nun hat es sich bereits in den Diskussionen von (FB), (BSKM) und (BSKM') als problematisch erwiesen, hinsichtlich der Art der festzulegenden Merkmale eine Einschränkung zu machen – (BAM) wirft dieses Problem erneut auf. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum eine Bedingung, die die Festlegung von Merkmalen fordert, überhaupt eine Restriktion auf bestimmte Merkmalsarten beinhalten sollte. Dieser kritischen Rückfrage sucht die allgemeine Bedingung der Festlegung von Merkmalen zu begegnen. Die allgemeine Bedingung der Festlegung von Merkmalen als notwendige Bedingung für Artefaktizität
Eine Bedingung, die ebenfalls die Festlegung von Merkmalen voraussetzt, ohne aber bereits irgendeine Einschränkung hinsichtlich der Art der Eigenschaften vorzunehmen, die einer Festlegung bedürfen, ist die allgemeine Merkmalsbedingung – sie findet sich etwa bei Thomasson und Reicher72. Wir können die Bedingung wie folgt fassen: 72 So
weist Thomasson darauf hin, dass die von der_dem Urheber_in festzulegenden Merkmale ganz unterschiedlicher Art sein können – auch, um deutlich zu machen, dass sich die urheber_innenintendierten Merkmale gerade nicht auf Funktionen beschränken müssen: »While artifacts must have certain intended features, […] these need not be limited to (or even include) an intended function – they may also include structural, perceptible, or other features« (Thomasson 2014, 46; Herv. i. O.). – Bei Reicher ist die Rede
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Wenn x ein Artefakt ist, dann (AMB) hat die_der Urheber_in von x Merkmale von x festgelegt.
Im Lichte der Überlegungen zu den spezielleren Bedingungen, die eine Festlegung von Eigenschaften durch die_den Urheber_in erfordern, gewinnt die Bedingung (AMB) unmittelbar an Plausibilität: Der Einwand von den Funktionszuweisungsverweigernden hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass es jedenfalls keine Funktionen sein müssen, die durch die_den Urheber_in festgelegt werden. Dem Einwand der artignoranten Urhebenden verdankt sich die Einsicht, dass Urheber_innen bei der Festlegung der Merkmale ihrer Schöpfungen gar nicht so weit denken müssen, dass sich daraus bereits die Zugehörigkeit ihrer Schöpfungen zu einer Art von Artefakten ergibt. Der Einwand der gestalterischen Freiheit schließlich legt sogar nahe, dass Urheber_innen sich in keiner Weise vorschreiben lassen müssen, welche Arten von Merkmalen sie ihren Schöpfungen zudenken. Die Bedingung (AMB) scheint diesen Erkenntnissen Rechnung zu tragen, indem sie hinsichtlich der festzulegenden Merkmale keine Restriktionen enthält. Gegen den Sinn der Aufnahme von (AMB) als notwendiger Bedingung in eine Definition von Artefakt sprechen allerdings zwei Einwände. Der erste Einwand ergibt sich aus einer strengen Lesart der Bedingung und zieht in Zweifel, dass alle Artefakte über Merkmale verfügen, die in einem starken Sinne von Urheber_innen festgelegt wurden – ich bezeichne den Einwand als Einwand der virtuellen Einflussnahme. Der zweite Einwand hingegen setzt eine weniger strenge Lesart von (AMB) voraus und zielt darauf ab, zu zeigen, dass (AMB) zu unspezifisch formuliert ist und dadurch gewisse Fälle nicht auszuschließen vermag, die auszuschließen sich jedoch als sinnvoll erweist. Dies ist der Einwand der mangelnden Spezifik. Der Einwand der virtuellen Einflussnahme greift, wenn wir die Bedingung (AMB) so auffassen, dass jedenfalls einige Merkmale eines Artefakts im strengen Sinne durch eine direkte Einflussnahme der_des Urhebenden bestimmt werden müssen. Diesem Einwand zufolge gibt es zumindest einige Artefakte, deren Merkmale überwiegend nicht auf Aktivitäten ihrer Urheber_innen zurückführbar sind und die sich vielmehr im Gegenteil dadurch auszeichnen, dass die Urheber_innen ihre Merkmale gerade nicht verändert haben. Betrachten wir zur Illustration des Einwands einige Beispiele. Die Kunstobjekte des Künstlers Herman de Vries, auf die ich bereits in Kapitel davon, dass (zumindest) einige Eigenschaften eines Artefakts durch seine_n Urheber_in festgelegt werden (vgl. Reicher 2013, 224 f.).
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1.1 zu sprechen gekommen bin, zeichnen sich vielfach dadurch aus, dass in der Natur Vorgefundenes ohne physische Modifikation durch den Künstler in einen Ausstellungskontext gestellt wird. Für sein Kunstobjekt the witness hat der Künstler den Stamm eines Olivenbaums ausgestellt, ohne irgendeine Modifikation vorzunehmen. Bis auf die relationale Eigenschaft, die sich aus der Neukontextualisierung ergibt, hat de Vries keine Merkmale festgelegt – jedenfalls dann, wenn die hier geforderte Art des Festlegens darin besteht, dass der Urheber in einer Weise eingreift, die physische Änderungen des Gegenstands nach sich ziehen muss. Analog verhält es sich mit einem am Strand gefundenen Stein, den ich als Briefbeschwerer benutze, jedoch ohne ihn in der einen oder anderen Weise physisch zu verändern (etwa durch Bemalen o. ä.): Von seiner Neukontextualisierung einmal abgesehen habe ich seine Merkmale nicht festgelegt. Wollen wir (AMB) so lesen, dass für Artefaktizität die Festlegung mehrerer Merkmale durch eine_n Urheber_in erfolgen muss, wobei das Ändern einer relationalen Eigenschaft mittels einer Neukontextualisierung nicht ausreicht, um von der Festlegung von Merkmalen sprechen zu können, so müssten die Kunstobjekte von Herman de Vries und mein Briefbeschwerer aus der Klasse der Artefakte herausfallen. Der Einwand der virtuellen Einflussnahme setzt freilich eine sehr starke Auffassung dessen voraus, was es heißt, dass ein_e Urheber_in Merkmale festlegt. Wäre eine schwächere Lesart nicht wesentlich überzeugender? Wollen wir die Bedingung (AMB) nun aber so schwach lesen, dass die Kunstobjekte von Herman de Vries und mein Briefbeschwerer-Stein ohne Weiteres durch sie erfasst werden, so erwächst aus dieser schwachen Lesart offenkundig ein anderes Problem, das bereits in Abschnitt 2.1.1 angeklungen ist, nämlich im Zusammenhang mit der Frage, ob wir (AB), (GB) und (IB) als zusammen hinreichend für Artefaktizität auffassen sollten: In diesem Zusammenhang bin ich auf das Beispiel des Tons zu sprechen gekommen, den ich nach wochenlangem Üben mit einem Saxophon erzeuge – jedoch ohne seine Frequenz, seine Lautstärke, seine Dauer oder auch den Zeitpunkt seines Erklingens bestimmt zu haben. An diesem Beispiel hatte sich überhaupt erst das Erfordernis einer Bedingung gezeigt, die eine Festlegung von Merkmalen durch die_den Urheber_in verlangt. Denn sofern die durch mich festgelegten Merkmale des von mir erzeugten Tons sich darauf beschränken, dass es sich um einen Ton handelt, der von mir auf dem Saxophon erzeugt wird, ohne dass ich jedoch weitere Merkmale des Tons bestimmt hätte oder hätte bestimmen können, erscheint es nicht als überzeugend, den Ton als Artefakt zu charakterisieren. Wenn wir die Bedingung (AMB) so lesen, dass sie keinerlei Einschränkung im Hinblick auf die Art oder den Umfang der durch die_den Urheber_in festzulegenden Merkmale vornimmt, so wird der von mir erzeugte Ton von
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der Bedingung erfasst: Die Bedingung ist offenbar nicht dazu geeignet, den Ton aus der Klasse der Artefakte auszuschließen, denn sie ist schlicht zu unspezifisch formuliert – dies ist der Einwand der mangelnden Spezifik. Die starke Lesart der Bedingung (AMB) halte ich nicht für überzeugend: Wollen wir die Vielfalt der Artefakte anerkennen, so kommen wir nicht umhin, auch solche Gegenstände als Artefakte zu würdigen, deren Merkmale sich nicht im starken Sinne einer Festlegung durch ihre_n Urheber_in verdanken. Eine Festlegung kann dann auch darin bestehen, Merkmale so zu belassen, wie sie vorgefunden werden.73 Denn ich halte es für naheliegend, auch Herman de Vriesʼ Kunstobjekte und meinen Briefbeschwerer als Artefakte zu begreifen. Insofern legt der Einwand der virtuellen Einflussnahme eine Lesart von (AMB) nahe, die eine weite Auffassung dessen beinhaltet, was als Festlegung durch die_den Urheber_in in Frage kommt. Aus einer weiten Auffassung dessen, was als Festlegung durch die_den Urheber_in gelten kann, ergibt sich dann allerdings die Problematik der mangelnden Spezifik von (AMB): Entscheiden wir uns für die schwache Lesart von (AMB), so birgt dies die Gefahr, dass auch der von mir auf dem Saxophon erzeugte Ton zu den Artefakten gezählt werden muss – schließlich habe ich ggf. sogar mehr Merkmale des Tons festgelegt als Herman de Vries im Hinblick auf seine Kunstobjekte. Allerdings scheint es mir wenig überzeugend zu sein, den Ton zu den Artefakten zu rechnen – wie ich bereits in Abschnitt 2.1.1 ausgeführt habe, fasse ich den Ton vielmehr als Phänomen auf, das gerade nicht unter einen überzeugenden Artefaktbegriff fallen sollte. Nun spricht der Einwand der mangelnden Spezifik nicht in gleicher Weise gegen die Aufnahme von (AMB) als notwendiger Bedingung in eine Definition von Artefakt wie der Einwand der virtuellen Einflussnahme. Schließlich präsentiert der Einwand keine Gegenbeispiele, die dagegen sprächen, eine Notwendigkeit von (AMB) für Artefaktizität anzunehmen. Mir scheint allerdings, dass der Einwand der mangelnden Spezifik für eine Ergänzung der Bedingung spricht, damit die Bedingung den von mir mit dem Saxophon erzeugten Ton und ähnliche Phänomene auszuschließen vermag: Welche Bedingung sollte dies sonst leisten, wenn nicht die auf Merkmale bezogene Bedingung? In welcher Weise aber lässt sich (AMB) spezifischer formulieren, um den Saxophon-Ton und ähnliches ausschließen zu können? Das Kunstobjekt the witness von Herman de Vries und mein Briefbeschwerer-Stein haben uns vor Augen geführt, dass es nicht so sehr darum zu gehen scheint, wie 73
Dem Umstand, dass Urheber_innen Merkmale auch so belassen können, trägt auch Dipert in seiner Artefaktdefinition Rechnung: Dipert lässt zu, dass die selbstexplikativen kommunikativen Merkmale nicht nur von Urheber_innen hinzugefügt, sondern auch »deliberately left alone« sein können (Dipert 1995, 129).
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viele Merkmale die_der Urheber_in eines Artefakts faktisch verändert: Dass der Saxophon-Ton sich nicht unter einen überzeugenden Artefaktbegriff subsumieren lässt, hängt nicht mit der Anzahl der von mir gezielt bestimmten Merkmale zusammen. Das Beispiel des Saxophon-Tons scheint mir stattdessen auf einen anderen, entscheidenden Aspekt hinzuweisen: Im Falle des Saxophon-Tons war ich schlicht nicht in der Lage, einen Großteil seiner Merkmale zu bestimmen, weil es mir an den dafür notwendigen Fähigkeiten mangelt. Ich hätte also an der Frequenz, der Lautstärke, der Dauer und dem Zeitpunkt, zu dem der Ton erklingt, nicht gezielt etwas ändern können. Wenn es aber nicht in meiner Macht liegt, über hinreichend viele Merkmale eines Gegenstands zu entscheiden – und sie entweder zu belassen, wie sie sind, oder eine Änderung vorzunehmen –, dann erscheint es offensichtlich nicht als sinnvoll, den Gegenstand als Artefakt und mich als dessen Urheberin zu verstehen.74 Aus diesem Grunde kann ich auch den Mond nicht durch die bloße Entscheidung, seine Merkmale so zu belassen, wie sie sind, zu meinem Artefakt machen: An den Eigenschaften des Mondes hätte ich allenfalls minimale Änderungen vornehmen können – mir fällt also nur eine äußerst marginale Entscheidungsmacht hinsichtlich seiner Eigenschaften zu. Eine ausreichende Entscheidungsmacht aber ist es, um die es uns gehen muss: Was den Mond von Herman de Vriesʼ Kunstobjekt the witness unterscheidet, ist der Umstand, dass Herman de Vries eine Vielzahl der Merkmale des Olivenbaums auch hätte ändern können, wenn er es denn gewollt hätte – eine umfangreiche Änderung hätte durchaus in seiner Macht gelegen. Nur in einem solchen Fall lässt sich das Belassen von Merkmalen sinnvoll als Festlegen durch die_ den Urheber_in begreifen: Wenn ich – wie im Falle des Mondes – die meisten Merkmale gar nicht ändern kann, dann wäre es wenig überzeugend, zu behaupten, ich hätte die Merkmale des Mondes festgelegt. Zusammengenommen ergibt sich aus den beiden Einwänden also die Erkenntnis, dass es offenbar nicht darum geht, wie viele Merkmale eines Gegenstands sich faktisch dem Eingriff einer_eines Urhebenden verdanken. Vielmehr spielt auch die Entscheidungsmacht der_des Urhebenden eine wichtige Rolle: Wenn wir es bei einem Gegenstand mit einem Artefakt zu tun haben, dann muss für hinreichend viele Merkmale des Gegenstands gelten, dass es in der Macht seiner_seines Urhebenden steht, diese Merkmale nach ihrem_seinem Gusto zu belassen oder zu ändern. Das heißt, dass die_der Urheber_in in Bezug auf die fraglichen Merkmale auch eine andere als die 74
McLaughlin äußert einen ähnlichen Gedanken, wenn er darauf verweist, dass sich die Alpen nicht allein dadurch in ein Artefakt in Form einer Skipiste verwandeln lassen, dass ich die Kollision zweier subkontinentaler Platten begrüße (vgl. McLaughlin 2001, 46).
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getroffene Entscheidung hätte fällen können.75 Dies gilt genau dann für hinreichend viele Merkmale, wenn der Charakter eines Gegenstands durch eine Änderung all dieser Merkmale wesentlich hätte verändert werden können: Solange ein_e mögliche_r Urheber_in prinzipiell in der Lage gewesen wäre, aus dem Ausgangsmaterial auch einen Gegenstand mit anderem Charakter herzustellen, können wir davon ausgehen, dass sie_er über ein ausreichendes Maß an Entscheidungsmacht verfügt hat, um ihr_ihm auch das Belassen von Eigenschaften als Resultat ihrer_seiner Festlegung zuerkennen zu können. Diese Erkenntnisse finden ihren Ausdruck in einer modifizierten Variante des Desiderats A4: Desiderat A4' Eine Definition von Artefakt sollte eine notwendige Bedingung beinhalten, die eine Festlegung der Merkmale von Artefakten durch ihre_n Urheber_in erfordert, wobei die Festlegung auch im Belassen von Merkmalen des Ausgangsmaterials oder -gegenstands bestehen kann. Aus der Bedingung sollte hervorgehen, dass das Belassen von Merkmalen genau dann als Festlegung durch eine_n Urheber_in gelten kann, wenn es in der Macht der_des Urhebenden gelegen hätte, die entsprechenden Merkmale zu ändern. Die Bedingung sollte das erforderliche Maß der durch die_den Urheber_in festgelegten Merkmale so bestimmen, dass die_der Urheber_in genau dann hinreichend viele Merkmale festgelegt hat, wenn der Charakter des Gegenstands durch eine Änderung aller von ihr_ihm festgelegten Merkmale wesentlich verändert worden wäre. Bedingungen, die die Abgeschlossenheit betreffen
Das fünfte Desiderat zielt darauf ab, Artefakte von ihren Vorstufen zu unterscheiden, indem auf eine gewisse Abgeschlossenheit Bezug genommen wird. Zu den Bedingungen, die zur Erfüllung dieses Desiderats in Frage kommen, zählen die Erfolgsbedingung und die Akzeptanzbedingung. In der Erfolgsbedingung ist ein objektives Element enthalten, das prima facie als geeignet 75
In Hilpinens Bedingung (A5) ist ein ähnlicher Gedanke enthalten – die Bedingung ist kontrafaktisch formuliert und fordert, dass ein Artefakt gewisse Eigenschaften gehabt hätte, sofern diese von der_dem Urhebenden intendiert worden wären: »A is an author of o only if there are families of properties G={G 1, G 2,…, G i,…} such that if I A (o) hat included G i, o would have satisfied G i (i =1,2,…)« (Hilpinen 1993, 160; Herv. i. O.). (Die Bedingung erweckt zunächst den Anschein, Autor_innenschaft zu definieren und nicht Artefaktizität – tatsächlich leistet sie aber beides, da Hilpinen die Auffassung vertritt, dass author und artifact korrelative Begriffe sind, vgl. Hilpinen 1993, 156.)
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erscheint, dem Aspekt der Abgeschlossenheit angemessen Rechnung zu tragen: Lässt sich das fragliche Objekt objektiv als erfolgreiche Realisierung der Intentionen einer_eines Urhebenden und in diesem Sinne als abgeschlossen auffassen? Im Gegensatz dazu betont die Akzeptanzbedingung ein subjektives Element, nämlich die Akzeptanz durch die_den Urheber_in selbst: Betrachtet die_der Urheber_in das fragliche Objekt als zufriedenstellende, abgeschlossene Realisierung ihrer_seiner Absichten? Im Folgenden lege ich zunächst dar, warum es nicht als überzeugend erscheint, die Erfolgsbedingung als notwendige Bedingung für Artefaktizität aufzufassen. Anschließend zeige ich auf, warum es sinnvoll ist, die Akzeptanzbedingung als notwendige Bedingung für Artefaktizität zu begreifen. Aus meinen Überlegungen leite ich schließlich das Desiderat A5' ab, in dem eine weitere Anforderung an eine plausible Definition des Begriffs Artefakt zum Ausdruck kommt. Die Erfolgsbedingung als nicht notwendige Bedingung für Artefaktizität
Die Erfolgsbedingung (EB) geht auf Überlegungen Hilpinens zurück76: Wenn x ein Artefakt ist, dann (EB) ist x eine erfolgreiche Realisierung einiger Intentionen seiner_seines Urhebenden.
Die Forderung, dass lediglich einige, nicht aber alle Intentionen erfolgreich realisiert sind, stimmt mit den Überlegungen zur Bedingung (BAM) zusammen. Denn im Rahmen der Diskussion dieser Bedingung hat sich bereits anhand des Einwands der gescheiterten Artzuordnung gezeigt, dass ein Artefakt keineswegs alle Intentionen seiner_seines Urhebenden erfolgreich realisieren 76
Hilpinens Artefaktdefinition enthält die Bedingungen (A4) und (A5), die er als Success Conditions bezeichnet – allerdings ist in keiner der beiden Bedingungen explizit von Erfolg die Rede: Die Bedingung (A4) fordert, dass ein Artefakt einer Typ-Beschreibung entsprechen muss, die Teil der Urheber_innenintention ist: »o is an artifact authored by A only if o satisfies some type-description included in I A (o)« (Hilpinen 1993, 160; Herv. i. O.). Dass diese Bedingung nicht zu überzeugen vermag, ergibt sich aus den Argumenten gegen die Bedingung (BAM). Auf die Bedingung (A5) bin ich bereits im Zusammenhang mit meinen Überlegungen zur Bedingung (AMB) in der Fn. 75 zu sprechen gekommen. Die Bedingung (EB) geht allerdings nicht direkt auf (A4) und (A5) zurück, sondern auf eine Formulierung, mit der Hilpinen die beiden Bedingungen beschreibt: »(A4) and (A5) are Success Conditions: they state that an agent produces a genuine artifact only if his activity is successful in some respect and to some degree; in other words, proper authorship requires that the character of the object produced should fit the author’s intentions (to some degree)« (Hilpinen 1993, 160; Herv. i. O.).
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muss: Die Zuweisung zu einer Artefaktart kann bspw. auch fehlgehen, ohne dass ein Gegenstand zugleich seinen Artefaktstatus einbüßen müsste. Um als eine erfolgreiche Realisierung der Intentionen seiner_seines Urhebenden gelten zu können, müssen also nicht alle Urheber_innenintentionen erfolgreich umgesetzt werden. Wo aber verläuft dann die Grenze zwischen Erfolg und Misserfolg? Es dürfte schwierig sein, eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage zu geben. Stattdessen liegt es nahe, die Frage als Ermessensfrage aufzufassen, die im Einzelfall zu klären ist. Wir sollten daher erwägen, wer dafür zuständig ist, über den Erfolg oder den Misserfolg zu entscheiden: Wer soll darüber urteilen, ob es sich bei einem Gegenstand um eine erfolgreiche Realisierung der Intentionen seiner_seines Urhebenden handelt? Im Interesse der Abgrenzung zur nachfolgend diskutierten Akzeptanzbedingung sollte diese Entscheidung nicht bei dem_der Urheber_in selbst liegen, da (EB) dann mit der Akzeptanzbedingung zusammenfiele. Wer aber soll stattdessen darüber entscheiden, ob ein Erfolg im Sinne von (EB) vorliegt? Wenn die_der Urheber_in nicht als Urteilende_r in Frage kommt, dann kann es nur im Ermessen Dritter liegen, ob wir es bei einem Gegenstand mit einer erfolgreichen Realisierung der Intentionen der_des Urhebenden zu tun haben oder nicht. Wie aber sollen diese Dritten darüber entscheiden können, wenn ihnen der Zugang zu den Intentionen der Urhebenden in vielen Fällen verwehrt bleibt? Erinnern wir uns an das Beispiel des unfertigen Messers aus Abschnitt 2.1.1 – in diesem Zusammenhang ist bereits zur Sprache gekommen, dass Nutzer_innen und Rezipient_innen erfolgreich fertiggestellte Artefakte im Allgemeinen ihren Vorstufen vorziehen. Wir können nun davon ausgehen, dass Nutzer_innen und Rezipient_innen im Allgemeinen eine gewisse Vorstellung davon haben, was eine erfolgreiche Realisierung jeweils auszeichnet. Dies hängt ohne Frage auch mit den Interessen der Nutzer_innen und Rezipient_innen zusammen: Das Messer werden die Nutzer_innen vermutlich erst dann als erfolgreiche Realisierung der Urheber_innenintentionen auffassen, wenn es seine Funktion aus ihrer Sicht in zufriedenstellender Weise zu erfüllen vermag. Im praktischen Umgang mit Artefakten spielt die tatsächliche Kenntnis der Urheber_innenintentionen allenfalls eine untergeordnete Rolle: Nutzer_innen und Rezipient_innen beziehen zur Frage nach dem Erfolg mitunter auch dann Stellung, wenn ihnen über die Intentionen der_des Urhebenden nichts bekannt ist – und sei es, indem sie ein Objekt erwerben, das sie als erfolgreiche und in diesem Sinne abgeschlossene Realisierung einiger Urheber_innenintentionen auffassen. Die Bedingung (EB) entsprechend dem soeben skizzierten Verständnis als notwendige Bedingung für Artefaktizität aufzufassen kann somit prima facie durchaus als sinnvoll erscheinen. Denn die Praxis des Umgangs mit
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Artefakten scheint geprägt von Einschätzungen der Nutzer_innen und Rezipient_innen hinsichtlich der Gelungenheit, wobei die Nutzer_innen und Rezipient_innen zumeist nicht über die Intentionen der_des Urhebenden Bescheid wissen. Stattdessen schließen Nutzer_innen und Rezipient_innen häufig auf die Urheber_innenintentionen, indem sie ihre Interessen und Erfahrungen als Maßstab heranziehen. So gibt es bei Gebrauchsgegenständen, aber auch bei Objekten der Kunst Anzeichen, die dafür sprechen, dass ein Objekt erfolgreich die Intentionen seiner_seines Urhebenden realisiert und in diesem Sinne als abgeschlossen gelten kann: Ein fertiger Text – etwa ein Zeitungsartikel oder ein wissenschaftlicher Aufsatz – zeichnet sich im Allgemeinen dadurch aus, dass die Sätze vollständig sind und so miteinander zusammenhängen, dass sie eine Sinneinheit bilden. Fertige technische Artefakte sind zumeist u. a. daran zu erkennen, dass sie über alle Einzelteile verfügen, die zur Erfüllung ihrer Funktion(en) erfordert werden, und dass diese Teile so zusammengesetzt und eingestellt sind, dass sie ihre Funktionen zu erfüllen vermögen. Gemälde erscheinen uns meist erst dann als fertig, wenn Leerstellen beseitigt sind und sie das Skizzenhafte überwunden haben. Wir haben also gewisse Vorstellungen davon, an welchen Merkmalen Gegenständen einer bestimmten Art ihre Fertigstellung auch in Unkenntnis der Urheber_innenintentionen anzusehen ist. Gegen die Aufnahme von (EB) als notwendiger Bedingung in eine Definition des Begriffs Artefakt drängt sich allerdings ein gewichtiger Einwand auf, der einer Debatte aus der Archäologie entlehnt ist77, nämlich der Einwand des Fehlschlusses vom fertiggestellten Artefakt. Die entsprechende archäologische Debatte dreht sich um den sogenannten finished artifact fallacy, der gleich mehrere wichtige Pointen hat78 – zwei dieser Pointen sind in unserem 77
Die Debatte entstammt der sogenannten kognitiven Archäologie und dreht sich im Kern darum, ab wann sich anhand der Beschaffenheit von Gegenständen, die Zeichen der Einwirkung durch Hominiden zeigen, auf die Entwicklung einer Sprache schließen lässt (vgl. Davidson 2002, 180 f.). 78 Über die beiden hier einschlägigen Pointen hinaus scheint mir noch eine weitere Pointe wesentlich zu sein: Der finished artifact fallacy lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass es bei vorgefundenen Gegenständen, die menschliche Einwirkungen erkennen lassen, oftmals keineswegs klar ist, ob die Gegenstände selbst im Fokus des Interesses standen oder ob es sich bei ihnen lediglich um ein Nebenprodukt der Herstellung eines anderen, gewünschten Gegenstands handelt: Im Falle der als AcheuléenFaustkeile aufgefassten Steinkerne etwa ist nicht völlig klar, ob es den Bearbeitenden tatsächlich um diese Steinkerne ging oder um die abgeschlagenen Splitter, die sich gleich einem Messer zum Schneiden von Häuten und Ähnlichem nutzen ließen und offenbar tatsächlich entsprechende Nutzungsspuren aufweisen (vgl. Davidson 2002, 183 ff.). Selbst diese dritte Pointe ließe sich für die Beantwortung der Frage nach dem Sinn einer Aufnahme von (EB) als notwendige Bedingung in eine Definition von Artefakt fruchtbar
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Zusammenhang von Belang: Die erste Pointe betrifft die Fragwürdigkeit der Annahme, dass sich in Unkenntnis möglicher Urheber_innenintentionen von der Form eines uns vorliegenden, von Menschenhand modifizierten materiellen Gegenstands tatsächlich darauf schließen lässt, dass es sich dabei um ein fertiges Artefakt handelt: »the form in which archaeologists find artefacts does not, in all cases, represent a form designed by intention prior to use«79. Stattdessen kann die Form eines Gegenstands etwa stark von Abnutzungen oder auch Spuren des Verfalls gezeichnet sein – oder der Gegenstand ist gar in seiner gegenwärtigen Form belassen worden, weil diejenige_derjenige, die_ der ihn bearbeitet hat, die Arbeit an ihm als gescheitert aufgefasst und sie deshalb bereits vor der Vollendung eingestellt hat. Dies betrifft keineswegs ausschließlich Gegenstände, mit denen sich Archäolog_innen befassen: Auch die Form jüngst einer Modifikation unterzogener Gegenstände kann sich aufgrund äußerer, nicht von der_dem Urheber_in zu verantwortender Einflüsse verändern – auch entstehen ohne Frage nach wie vor Objekte, die ihr_e Urheber_in unvollendet zurücklässt. Die zweite Pointe, die hier von Interesse ist, betrifft die Einteilung von Gegenständen in Kategorien. Der finished artifact fallacy stellt die Kategorisierungen in Frage, die Archäolog_innen vornehmen, da sie in gewisser Weise selektionsabhängig sind: »Hand-axes look alike because archaeologists select for analysis objects that look like hand-axes.«80 Im Interesse von Standardisierungen werden bestimmte Gegenstände aus Kategorien exkludiert, weil sie als den paradigmatischen Gegenständen innerhalb der Kategorie nicht hinreichend ähnlich aufgefasst werden. Selbstverständlich sind nicht nur archäologische Kategorisierungen von dieser Problematik der Selektionsabhängigkeit betroffen – im Interesse klar begrenzter, handhabbarer Kategorien müssen wir relevante Merkmale selegieren und Standards bilden. In Kombination ergeben diese beiden Pointen nun den Einwand des Fehlschlusses vom fertiggestellten Artefakt: Um die Kategorie der Dinge zu bestimmen, die erfolgreich Urheber_innenintentionen realisieren und in diesem Sinne als fertig gelten können, sind wir darauf angewiesen, gewisse Standards festzulegen. Dazu greifen wir auf unsere Erfahrungen und Vorlieben im Umgang mit Artefakten zurück, die uns Aufschluss über übliche Formen fertiger Artefakte geben (etwa vollständige, eine Sinneinheit bildende Sätze machen. Denn dass Archäolog_innen von zwei Gegenständen nicht einmal mit Sicherheit sagen können, welcher das Artefakt und welcher das Nebenprodukt ist, lässt vermuten, dass subtilere Differenzierungen – etwa in fertige Artefakte und unfertige Vorstufen – ebenfalls äußerst fehleranfällig sind. 79 Davidson 2002, 185. 80 Davidson 2002, 193
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im Falle von Texten). Allerdings ist das Aufweisen einer entsprechenden Standard-Form weder notwendig noch hinreichend dafür, dass es sich bei einem fraglichen Gegenstand tatsächlich um eine erfolgreiche Realisierung von Urheber_innenintentionen handelt. Das Besitzen einer Standard-Form ist nicht notwendig, da die im Zuge der Kategorisierung festgelegten Standards nicht alle Formen erfassen müssen, die Gegenstände haben können, die erfolgreich Urheber_innenintentionen realisieren. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Non-finito 81 – ein Kunstobjekt, das absichtlich in einer Form belassen wurde, die uns als unfertig erscheint: Rodins Skulptur La pensée etwa zeichnet sich dadurch aus, dass der Steinblock zu großen Teilen unbearbeitet bleibt, wobei der roh belassene Marmor im Kontrast zum filigran herausgearbeiteten Gesicht steht. Rodin etablierte das derart unfertig Erscheinende gezielt als Kunstform. Wir können davon ausgehen, dass es sich bei Skulpturen wie La pensée durchaus um erfolgreiche Realisierungen der Intentionen ihrer Urheber_innen handelt; dass sie als unvollendet erscheinen, ist dabei mitbeabsichtigt: Erst die Anmutung der Unfertigkeit verhilft den Objekten zu ihrer Vollendung. Ein Gegenstand kann also durchaus den Anschein des Unvollendeten erwecken, obwohl er die Intentionen seiner_seines Urhebenden erfolgreich realisiert und in diesem Sinne vollendet ist. Auch ist das Vorliegen einer Standard-Form nicht hinreichend für eine erfolgreiche Realisierung von Urheber_innenintentionen. Denn von der Form, in der ein Gegenstand uns gegeben ist, können wir nicht zwangsläufig darauf schließen, dass sich in dieser Form eine erfolgreiche Umsetzung von Urheber_ innenintentionen manifestiert – selbst, wenn die Form unseren Standards entsprechen mag: Dass der Gegenstand uns in dieser Form vorliegt, könnte schließlich auch eine Reihe anderer Ursachen haben als die Absichten einer_ eines Urhebenden. So können Glasscherben, die eine Weile im Meer gelegen haben, mit ihren abgerundeten Kanten und der satinierten Oberfläche durchaus den Eindruck erwecken, in ihrer Form manifestierten sich erfolgreich die Intentionen einer_eines Urhebenden. Die Entscheidung über den Erfolg der Umsetzung von Urheber_innenintentionen und damit über die Frage nach der Fertigstellung von Artefakten Nutzer_innen und Rezipient_innen zu überlassen, ist also im doppelten Sinne fehleranfällig: Fertiges mag mitunter unfertig erscheinen, und Unfertiges mutet bisweilen fertig an. 81
Ich danke Antonia Putzger für den Hinweis auf dieses Phänomen. Unter den Begriff des Non-finito fallen nach meinem Verständnis Objekte, die gezielt in einer Form belassen wurden, die uns unvollendet zu sein scheint. Davon zu unterscheiden sind Objekte, die unabsichtlich unvollendet bleiben. Das unabsichtlich unfertig Zurückgelassene subsumiere ich unter den Begriff des Fragments – auf das Fragment komme ich im Zusammenhang mit der Akzeptanzbedingung noch einmal ausführlich zu sprechen.
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Die Skepsis hinsichtlich der Aufnahme von (EB) als notwendiger Bedingung in die Definition von Artefakt ist somit durchaus berechtigt: Rodins Skulptur und vergleichbare Phänomene spielen zwar mit den Erwartungen der Rezipient_innen, indem sie Unfertigkeit suggerieren. Aber es erscheint nicht als angebracht, sie deshalb aus der Klasse der Artefakte auszuschließen, zumal es naheliegt, dass gerade in der vorgegebenen Unfertigkeit die Intentionen der_des Urhebenden erfolgreich realisiert sind: Auch ein Non- finito fasse ich als Beispiel für etwas auf, was klarerweise unter den Begriff Artefakt fallen sollte. Vom Meerwasser geschliffene Glasscherben hingegen mögen so wirken, als sei ihre Gestalt auf Absichten einer_eines Urhebenden zurückzuführen. Dennoch werden wir sie wohl kaum als Artefakte auffassen wollen: Sie sind Beispiele für Gegenstände, die der Begriff Artefakt nicht erfassen sollte. Nun kommt eine Kategorisierung nicht ohne Standards aus; in diesem Zusammenhang aber können die Standards sich letztlich nur an paradigmatischen Fällen erfolgreich die Intentionen ihrer Urheber_innen realisierender und in diesem Sinne fertiger Gegenstände orientieren. Wäre mit der Bedingung (EB) die Konvergenz von Artefakten mit diesen Standards notwendig vorausgesetzt, so wären durch die Bedingung einerseits Beispiele ausgeschlossen, die als Artefakte aufzufassen naheliegt, und es wäre andererseits die Inklusion von Beispielen begünstigt, deren Artefaktstatus fraglich ist. Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, von der Form eines Gegenstands verlässlich darauf zu schließen, dass der Gegenstand erfolgreich die Intentionen einer_eines Urhebenden realisiert und insofern vollendet ist, erscheint es also nicht als sinnvoll, die Bedingung (EB) als notwendige Bedingung in die Definition von Artefakt zu integrieren. Diese Schwierigkeiten ergeben sich freilich erst aus der epistemischen Unzugänglichkeit der Urheber_innenintentionen, die Dritte dazu nötigt, von der Form auf die erfolgreiche Realisierung dieser Intentionen zu schließen. Das Problem eines mangelnden Zugangs zu den Urheber_innenintentionen stellt sich aber offensichtlich nur für Dritte, nicht aber für die_den Urheber_in selbst. Insofern verwundert es nicht, dass Hilpinen zur Ergänzung seiner Erfolgsbedingungen zwei weitere Bedingungen einführt, die die Akzeptanz durch die_den Urheber_in voraussetzen.82 Im Folgenden komme ich auf die Akzeptanzbedingung zu sprechen, die auf eine dieser beiden Bedingungen Hilpinens zurückgeht und die ebenfalls als geeignet erscheint, das Desiderat A5 zu erfüllen.
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Es handelt sich dabei um die Bedingungen (A6) und (A7) (vgl. Hilpinen 1993, 161).
Zur Definition
Die Akzeptanzbedingung als notwendige Bedingung für Artefaktizität
Im Gegensatz zur Erfolgsbedingung, bei der die Entscheidung darüber, ob wir es bei einem Objekt mit einer erfolgreichen und in diesem Sinne abgeschlossenen Realisierung der Urheber_innenintention zu tun haben, die Sache Dritter ist, legt die Akzeptanzbedingung die Entscheidung über die Abgeschlossenheit in die Hände der_des Urhebenden selbst: Wenn x ein Artefakt ist, dann (AKB) a kzeptiert die_der Urheber_in von x x als zufriedenstellende Reali sierung ihrer_seiner Intentionen.83
Die Überzeugungskraft der Annahme einer Notwendigkeit der Bedingung (AKB) für Artefaktizität erschließt sich uns unmittelbar, wenn wir uns vor Augen führen, dass wir auf von Urheber_innen vollzogene Akzeptanzakte im Allgemeinen großen Wert legen: Wenn uns ein_e Urheber_in darüber in Kenntnis setzt, dass die Arbeit an einem Gegenstand abgeschlossen ist, dann neigen wir dazu, darauf zu vertrauen. Darüber hinaus erscheint eine Bedingung, die die Entscheidung über die Abgeschlossenheit der_dem Urheber_in überlässt, vor dem Hintergrund der Probleme einer Verlagerung der Entscheidungsgewalt auf Dritte als eine aussichtsreiche Alternative zu (EB). Gegen die Akzeptanz von (AKB) als notwendiger Bedingung für Artefaktizität spricht allerdings ein Einwand, der die Macht der Urheber_innen hinsichtlich der Fertigstellung von Artefakten massiv in Zweifel zieht, nämlich der Einwand vom Fragment84. Fragmente finden sich in vielen Bereichen der 83
Die Bedingung (AKB) geht auf Hilpinens Bedingung (A7) zurück, die fordert, dass die_der Urheber_in einen Gegenstand als zufriedenstellende Realisierung ihrer_seiner Intentionen akzeptiert: »o is an artifact authored by A only if A accepts o as a satisfactory realization of (the content of) I A (o)« (Hilpinen 1993, 161; Herv. i. O.). Analog spricht Reicher von der Akzeptanz der_des Urhebenden als notwendiger Voraussetzung für die Entstehung von Werken (vgl. Reicher 1998, 244), wobei diese Akzeptanz sich in einem Schaffensakt manifestiert: »Ein Schaffensakt ist […] eine Entscheidung. Man könnte sie etwa mit den Worten ausdrücken: ›So und nicht anders soll es sein!‹« (Reicher 2013, 225; Herv. i. O.). Die Bedingung (A6), die Hilpinen ebenfalls als Acceptance Condition bezeichnet, nimmt – wie schon die Bedingung (A4) – auf eine Typ-Beschreibung Bezug: »o is an artifact authored by A only if A accepts o as satisfying some type-description K in I A (o)« (Hilpinen 1993, 161; Herv. i. O.). (A6) kann daher in unserem Zusammenhang vernachlässigt werden, denn die gegen (BAM) angeführten Argumente greifen auch hier. 84 Mit dem Ausdruck »Fragment« wird auf unterschiedliche Phänomene Bezug genommen, deren Gemeinsamkeit in ihrer Unvollständigkeit besteht: Ein Fragment kann ein Gegenstand sein, der, obwohl er zur Fertigstellung bestimmt war, nicht fertiggeworden ist und uns aus diesem Grunde lediglich unvollständig vorliegt, es kann sich dabei
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kulturellen Welt. Vertraut sind uns insbesondere Fragmente aus der Literatur: Tatsächlich gilt für viele der uns heute vorliegenden literarischen Texte, dass es gerade keinen Akt der Akzeptanz von Seiten ihrer Verfasser_innen gab, der geeignet gewesen wäre, ihre Fertigstellung gleichsam zu beglaubigen. Dabei lassen sich Fragmente, zu deren Fertigstellung auch Dritte keine nennenswerten Anstrengungen unternommen haben, von solchen Fragmenten unterscheiden, die (mitunter maßgebliche) nachträgliche Bearbeitungen durch Dritte zum Zwecke ihrer Vollendung erfahren haben. Ein Beispiel eines literarischen Fragments, das als solches belassen wurde, ist der Fragment gebliebene Roman Heinrich von Ofterdingen von Novalis, der aus Gründen, die in der Biographie des Verfassers liegen, nicht fertiggestellt werden konnte und der auch keine Bearbeitungen durch Dritte erhielt. Anders verhält es sich mit dem aus einem Romanfragment entstandenen Roman Der Prozess, herausgegeben von Kafkas Nachlassverwalter Max Brod. Zwar gab es gerade keinen Akt der Akzeptanz von Seiten Kafkas, da Kafka selbst sein Romanprojekt als gescheitert aufgefasst und die Arbeit daran aus diesem Grunde eingestellt hatte. Stattdessen verdankt sich Der Prozess in der uns vorliegenden Form wesentlich den z. T. massiven Eingriffen des Herausgebers Brod 85, der das um einen beschädigten Gegenstand handeln, der nur noch unvollständig erhalten ist, und schließlich kann mit dem Ausdruck ein Gegenstand bezeichnet werden, der absichtlich in einem unvollständig erscheinenden Zustand belassen wird – wie das im Zuge der Diskussion der Bedingung (EB) erwähnte Non-finito. Für den Einwand des Fragments spielen lediglich Gegenstände der ersten Art eine Rolle, da diese Gegenstände die Frage aufwerfen, ob sie sich nicht doch als Artefakte auffassen lassen, obwohl es keinen Akt der Akzeptanz von Seiten der_des Urhebenden gab, der ihre Fertigstellung hätte sicherstellen können. Zum Begriff des Fragments vgl. auch Burdorf 2020. 85 Dass massive Eingriffe nötig waren, war letztlich dem Zustand geschuldet, in dem Brod das Material gegeben war – so weist Andreas Breitenstein anlässlich der Ausstellung der Handschrift im Deutschen Literaturarchiv Marbach darauf hin, dass Brod »es mit einem Konvolut von losen, meist beidseitig beschriebenen und aus verschiedenen Quartheften herausgerissenen Blättern zu tun [hatte], bei dem eigentlich nur feststand, was der Anfang und was das Ende war. Zwar hatte Kafka das Material rudimentär in Bündel geordnet – jene mit fertigen »Kapiteln« hatte er mit Deckblättern und jene mit unfertigen »Kapiteln« mit Einschlagblättern (aus dem Typoskript des »Heizers«!) versehen, wobei er auf jedes der Blätter stichwortartig Inhaltsangabe bzw. »Titel« notierte. Indes ging aus dem Sammelsurium von Fertigem, Halbfertigem und Angerissenem weder die Abfolge der Handlung klar hervor noch, was genau als Teil oder Fragment zu werten war« (Breitenstein 2013). Insofern hatte Brod einen entscheidenden Anteil an der Gestalt des uns heute vorliegenden Romans: »Brod setzte die Stücke nach Bauchgefühl zusammen, wobei er nicht eben zimperlich verfuhr, was Ergänzungen (von Kommas und Punkten), Vereinheitlichungen (von Namen), Weglassungen, Verschiebungen sowie Korrekturen von (wirklichen – »ich« statt »er« – und vermeintlichen) Fehlern betraf. Was nicht passte, liess er zunächst weg und verbannte er später in einen Anhang mit Bruchstücken« (Breitenstein 2013).
Zur Definition
Resultat seiner Einwirkungen schließlich selbst mit einem Akt der Akzeptanz abschloss und veröffentlichte. In diesem Falle gibt es also einen Akzeptanzakt, der den Abschluss der Bearbeitung des Fragments zufolge hat, allerdings wird dieser Akt von einem Dritten vollzogen und nicht vom Verfasser des Fragments. Sofern wir an einer Notwendigkeit der Bedingung (AKB) für Artefaktizität festhalten wollen, scheinen wir in Kauf nehmen zu müssen, dass Phänomene wie Novalisʼ Heinrich von Ofterdingen und der Prozess aus der Klasse der Artefakte exkludiert werden – denn in beiden Fällen fehlt ein Akt der Akzeptanz durch den Verfasser des Fragments. Mir scheint es nun zunächst unproblematisch zu sein, Fragmente, die als solche belassen wurden, aus der Klasse der Artefakte auszuschließen, denn sie gleichen letzten Endes anderen Vorstufen von Artefakten, die ebenfalls aus der Klasse herausfallen – etwa den bereits diskutierten Vorstufen des Messers. Aus diesem Grunde halte ich es nicht für abwegig, im Falle fragmentarisch gebliebener Objekte davon zu sprechen, dass es sich bei ihnen um (ggf. potenziellen Nutzer_innen oder Rezipient_innen etwa durch Veröffentlichung zugänglich gemachte) Vorstufen handelt – nicht aber um Artefakte. Erwägt man Gegengründe, die dieser Auffassung widerstreiten, so wird man beinahe unweigerlich auf ästhetische Maßstäbe verwiesen: Einen ästhetisch wertvollen Text wie Heinrich von Ofterdingen als bloße Vorstufe zu bezeichnen käme, so ließe sich einwenden, einer Degradierung gleich. Ein solcher Einwand könnte gegen die Aufnahme von (AKB) als notwendige Bedingung in die Definition von Artefakt sprechen. Allerdings sehe ich nicht, warum nicht auch Vorstufen einen großen ästhetischen Wert sollten haben können – insofern erscheint mir diese Überlegung dem Ausschluss von unbearbeiteten Fragmenten aus der Klasse der Artefakte nicht zu widersprechen: Heinrich von Ofterdingen und ähnliche Phänomene gelten mir als Beispiele für Entitäten, die nicht zu den Artefakten zu zählen sind, und sprechen daher nicht gegen den Sinn der Aufnahme von (AKB) als notwendiger Bedingung in eine Definition von Artefakt. Analog ließe sich auch im Hinblick auf den Prozess argumentieren – spricht nicht sein ästhetischer Wert gegen einen Ausschluss des Romans aus der Klasse der Artefakte? Aber auch ein Argument, das sich auf den ästhetischen Wert beruft, um Entitäten wie den Prozess in die Klasse der Artefakte aufzunehmen, erscheint als wenig überzeugend. Allerdings scheinen mir die Dinge im Falle des Prozesses dennoch etwas anders zu liegen als im Falle des Fragments Heinrich von Ofterdingen. Denn gemessen am Umfang des Einflusses, den die_der Herausgeber_in bzw. die_der Veröffentlichende auf das fragmentarische Material ausübt, kann unter Umständen auch von einer (ggf. von der_dem für das Fragment verantwortlich Zeichnenden unerwünschten)
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Koautor_innenschaft ausgegangen werden. So ließe sich Der Prozess als Artefakt auffassen, ohne dass wir zugleich die Notwendigkeit der Bedingung (AKB) aufgeben müssten: Der Akt der Akzeptanz wäre dann eben durch Brod als Miturheber vollzogen worden. Es erscheint also durchaus als sinnvoll, zur Sicherstellung der Abgeschlossenheit eines Artefakts einen Akt der Akzeptanz durch eine_n Urheber_in zu fordern. Dem Festhalten dieser wichtigen Erkenntnis dient eine modifizierte Variante des fünften Desiderats, die die Abgeschlossenheit von Artefakten daran festmacht, dass es einen Akt der Akzeptanz von Seiten der_des Urhebenden gegeben hat – sie lautet folgendermaßen: Desiderat A5' Eine Definition von Artefakt sollte eine notwendige Bedingung beinhalten, die erfordert, dass Artefakte mittels eines Aktes der Akzeptanz von Seiten der_des Urhebenden abgeschlossen werden. Mit dem Desiderat A5' ist nun auch dem Aspekt der Abgeschlossenheit Rechnung getragen. Zusammen mit dem anderen im Rahmen dieses Abschnitts durch Modifikation verfeinerten Desiderat A4' sowie den im vorhergehenden Abschnitt erarbeiteten Desideraten A1, A2 und A3 dient mir das Desiderat A5' im folgenden Abschnitt zur Entwicklung meiner Definition des Begriffs Artefakt.
2.1.3 Meine Definition von Artefakt
Meinem Vorschlag zur Definition des Begriffs Artefakt liegen die Erkenntnisse aus den Abschnitten 2.1.1 und 2.1.2 zugrunde, die in den Desideraten A1, A2, A3, A4' und A5' Ausdruck finden: Artefakte sind erstens sinnvollerweise als Resultate geistiger oder physischer Arbeit aufzufassen. Zweitens erscheint es als vernünftig, Artefakte als Gegenstände abstrakter oder konkreter Art zu begreifen. Drittens hat sich die Plausibilität der Auffassung erwiesen, dass Artefakte für ihre Entstehung direkter oder indirekter Intentionen bedürfen. Viertens hat es sich als plausibel herausgestellt, zu fordern, dass hinreichend viele Merkmale eines Artefakts durch seine_n Urheber_in festzulegen sind, wobei von einer Festlegung auch dann gesprochen werden kann, wenn die_der Urheber_in Merkmale, deren Änderung in ihrer_seiner Macht gelegen hätte, so belassen hat, wie sie waren. Eine Festlegung hinreichend vieler Merkmale ist genau dann gegeben, wenn die_der Urheber_in den Charakter des Gegenstands durch eine Änderung aller von ihr_ihm fest-
Zur Definition
gelegten Merkmale wesentlich hätte verändern können. Schließlich hat sich fünftens gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Abgeschlossenheit von Artefakten durch einen Akt der Akzeptanz von Seiten der_des Urhebenden zu fordern. Ich komme nacheinander auf diese fünf Erkenntnisse zu sprechen und formuliere mithilfe der entsprechenden Desiderate Bedingungen für Artefaktizität. Die Gesamtheit dieser jeweils notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen bildet meine Definition des Begriffs Artefakt, der im Weiteren zugrunde gelegt wird. Artefakte sind Resultate geistiger oder physischer Arbeit
Die Erkenntnis, dass Artefakte sinnvollerweise als Resultate physischer oder geistiger Arbeit aufgefasst werden sollten, drückt sich im Desiderat A1 aus. Die zu modifizierende Arbeitsresultatbedingung, die den Ausgangspunkt meiner Überlegungen zur Rolle von Arbeit bei der Artefaktentstehung gebildet hat, lässt zunächst offen, welche Arten von Arbeit dazu geeignet sind, ein Artefakt hervorzubringen. Die Bedingung (AB) lässt sich jedoch ohne Schwierigkeiten entsprechend der Forderung präzisieren, der A1 Ausdruck verleiht – das Ergebnis dieser Präzisierung lautet wie folgt: Wenn x ein Artefakt ist, dann (AB') ist x ein Resultat geistiger oder physischer Arbeit.
Das »oder« in der Bedingung (AB') ist als einschließendes »oder« zu verstehen: Es erscheint als plausibel, dass die Arbeit, die in Artefakten resultiert, sich oft als Wechselspiel aus geistigen und physischen Tätigkeiten ereignet. Es wäre allerdings vorschnell, wenn wir annähmen, dass geistige Arbeit allein für die Entstehung abstrakter Artefakte maßgeblich ist und physische Arbeit ausschließlich der Hervorbringung konkreter Artefakte dient.86 Im nachfolgenden Kapitel 2.2 zur Artefaktontologie komme ich daher noch einmal gesondert auf die Rollen zu sprechen, die geistige und physische Arbeit bei der Entstehung abstrakter und konkreter Artefakte jeweils spielen können. Auch für Artefaktkopien gilt, dass sie oftmals Resultate sowohl geistiger als auch physischer Anstrengungen sind: Zu einem tieferen Verständnis von Kopierpraktiken trägt die Erkenntnis bei, dass Akte des Kopierens sowohl geistige als auch physische Formen der Arbeit einschließen können. 86
In Bahr 2013 habe ich noch die Auffassung vertreten, dass abstrakten Artefakten geistige Arbeit vorausgeht, während konkrete Artefakte aus physischer Arbeit resultieren. In Kapitel 2.2 lege ich dar, warum mir diese Auffassung inzwischen als unterkomplex erscheint.
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Was ist ein Artefakt?
Artefakte sind abstrakte oder konkrete Gegenstände
Die Erkenntnis, dass wir Artefakte sinnvollerweise als Gegenstände begreifen sollten, wobei der Gegenstandsbegriff in einem derart weiten Sinne zu verstehen ist, dass sowohl konkrete als auch abstrakte Entitäten durch ihn erfasst werden, manifestiert sich im Desiderat A2. Ähnlich der ursprünglichen Arbeitsresultatbedingung ist auch die im Abschnitt 2.1.1 zugrunde gelegte Gegenstandsbedingung unterbestimmt, denn sie ist im Hinblick auf die in Frage kommenden Arten von Gegenständen, die Artefakte sein könnten, ebenso wenig aufschlussreich wie (AB) bezüglich der möglichen Arten von Arbeit, die zur Entstehung von Artefakten führen können. Diese Proble matik der Uneindeutigkeit lässt sich jedoch ohne Weiteres auflösen, indem (GB) um den expliziten Bezug auf Abstrakta und Konkreta ergänzt wird – wir erhalten somit die präzisierte Variante (GB') der Gegenstandsbedingung, die A2 Rechnung trägt: Wenn x ein Artefakt ist, dann (GB') ist x ein konkreter oder abstrakter Gegenstand bzw. lässt sich als solcher auffassen.
Die in der Bedingung (GB') zum Ausdruck kommende Auffassung, dass Artefakte sowohl konkret als auch abstrakt sein können, gibt bereits den Aufbau des an dieses Kapitel anschließenden Kapitels 2.2 zur Artefaktontologie vor, das einen Abschnitt über abstrakte Artefakte und einen Abschnitt über konkrete Artefakte beinhaltet. Das Kapitel 2.2 dient nicht nur dazu, die Charakteristika dieser zwei Arten von Artefakten zu erhellen – ihm kommt darüber hinaus auch die Funktion zu, die Existenz von Artefakten beider Arten gegen skeptische Einwände zu verteidigen. Denn wie sich zeigen wird, ist die in (GB') zum Ausdruck kommende Annahme, dass es sowohl konkrete als auch abstrakte Artefakte gibt, nicht unkontrovers. Darüber hinaus ergibt sich aus der ontologischen Dualität von Artefakten auch schon eine Typologie der Artefaktkopien, die sich in meiner viergliedrigen Definition des Begriffs Artefaktkopie niederschlägt, die ich in Abschnitt 3.1.2 vorlege: Da Artefakte sowohl abstrakt als auch konkret sein können, ergibt sich für Artefaktkopien, dass sowohl ihre Vorlagen als auch sie selbst jeweils abstrakt oder konkret sein können.
Zur Definition
Die Entstehung von Artefakten setzt direkte oder indirekte Intentionen voraus
Für die Entstehung von Artefakten sind direkte oder abgeleitete Intentionen vorausgesetzt – dieser Erkenntnis trägt das Desiderat A3 Rechnung. Die Variante der Intentionsbedingung (IB), von der wir zunächst ausgegangen sind, enthält noch keinen expliziten Verweis auf die beiden Arten von Intentionen, die in die Artefaktentstehung involviert sein können. Wir können (IB) dem Desiderat A3 entsprechend folgendermaßen präzisieren: Wenn x ein Artefakt ist, dann (IB') waren bei der Entstehung von x direkte oder abgeleitete Intentionen maßgeblich.
Je nachdem, ob wir es mit abstrakten oder konkreten Artefakten zu tun haben, unterscheiden sich auch die Intentionen, die für ihre Genese maßgeblich sind: Im Falle abstrakter Artefakte, die ich nachfolgend als Design-Pläne bezeichne, zielen die Intentionen auf die Erstellung eines Design-Plans ab – in Abschnitt 2.2.1 führe ich aus, was dies im Einzelnen heißt. Im Falle konkreter Artefakte hingegen richten sich die Intentionen auf die Realisierung eines Design-Plans – darauf komme ich in Abschnitt 2.2.2 ausführlich zu sprechen. Da Artefaktkopien selbst Artefakte sind, liegt es auf der Hand, dass Intentionen auch für die Entstehung von Artefaktkopien eine wesentliche Rolle spielen. Wie ich in Abschnitt 3.1.1 darlegen werde, ist in die Entstehung von Artefaktkopien stets eine bestimmte Art von Intention involviert, eine Intention nämlich, etwas der Vorlage Ähnelndes zu schaffen. Artefakte weisen hinreichend viele vom Urheber festgelegte Merkmale auf
Was die Merkmale von Artefakten betrifft, so hat sich im vorhergehenden Abschnitt gezeigt, dass hinreichend viele Merkmale durch die_den Urheber_in festgelegt werden müssen. Ein hinreichendes Maß an Merkmalen hat die_der Urheber_in festgelegt, wenn der Charakter des Gegenstands durch eine Änderung aller von ihr_ihm festgelegten Merkmale wesentlich verändert worden wäre. Dabei hat es sich als sinnvoll erwiesen, auch das Belassen von Merkmalen als Festlegung zu begreifen, sofern die_der Urheber_in die belassenen Merkmale hätte ändern können. Diese Erkenntnisse kommen im Desiderat A4' zum Ausdruck. Es bietet sich an, als Ausgangspunkt einer das Desiderat A4' erfüllenden Bedingung die Bedingung (AMB) heranzuziehen. Nun fordert (AMB) zwar eine Festlegung von Merkmalen durch die_den Urheber_in –
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allerdings lässt die Bedingung einen Bezug auf das erforderliche Maß der von der_dem Urheber_in festgelegten Merkmale vermissen und gibt zudem keine Auskunft darüber, dass auch das Belassen von Merkmalen als Festlegung gelten kann, sofern die_der Urheber_in die Merkmale hätte ändern können. Um dem Desiderat A4' gerecht werden zu können, bedarf die Bedingung (AMB) daher entsprechender Ergänzungen: Wenn x ein Artefakt ist, dann (AMB') hat die_der Urheber_in von x hinreichend viele Merkmale von x festgelegt, d. h. dass der Charakter von x durch eine Änderung aller festgelegten Merkmale wesentlich verändert worden wäre, wobei auch das Belassen von Merkmalen des Ausgangsmaterials oder -gegenstands als Festlegung gilt, sofern es in der Macht der_des Urhebenden gelegen hätte, die Merkmale zu ändern.
Als Artefakte sind auch Artefaktkopien auf eine Festlegung ihrer Merkmale durch die_den Kopierenden angewiesen. Allerdings erfolgt die Festlegung von Merkmalen weniger frei als bei vielen anderen Artefakten: Wie ich in Abschnitt 3.1.1 ausführen werde, wird die Auswahl der festzulegenden Merkmale im Falle von Artefaktkopien zumindest zum Teil durch das Bestreben geleitet, einen Gegenstand zu schaffen, der einem anderen Gegenstand signi fikant ähnelt. Die Abgeschlossenheit von Artefakten ergibt sich aus Akten der Akzeptanz, die von ihren Urheber_innen vollzogen werden
Schließlich hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, eine Abgeschlossenheit von Artefakten zu fordern, die sich aus von der_dem Urheber_in vollzogenen Akten der Akzeptanz ergibt. Diese Erkenntnis kommt im Desiderat A5' zum Ausdruck. Die Bedingung (AKB) fordert, dass ein_e Urheber_in das von ihr_ihm hervorgebrachte Artefakt als zufriedenstellende Realisierung ihrer_ seiner Intentionen akzeptiert – sie bietet sich damit als Grundlage einer das Desiderat A5' erfüllenden Bedingung an. Allerdings wird in der Bedingung (AKB) nicht explizit auf die Abgeschlossenheit des Artefakts verwiesen, die der Akzeptanzakt der_des Urhebenden nach sich zieht. Das Desiderat A5' gibt somit Anlass dazu, die Bedingung (AKB) geringfügig zu verändern, und zwar insofern, als sie um den Bezug zur Abgeschlossenheit ergänzt wird, die der von der_dem Urheber_in vollzogene Akzeptanzakt bewirkt:
Zur Definition
Wenn x ein Artefakt ist, dann (AKB') hat die_der Urheber_in von x x als zufriedenstellende Realisierung ihrer_seiner Intentionen akzeptiert und x dadurch abgeschlossen.
Wie sich im Rahmen der Diskussion von (AKB) gezeigt hat, kann es möglich sein, dass ein Akt der Akzeptanz von einer_einem Dritten vollzogen wird, die_der nicht für das gesamte Material verantwortlich zeichnet, aus dem ein Artefakt entstanden ist. Solche Fälle (ggf. nicht von allen Miturheber_innen erwünschter) Koautor_innenschaft können im Zusammenhang mit den Bestimmungsrechten über Artefakte virulent werden. Aus diesem Grunde komme ich im Zusammenhang mit der Erörterung dieser Bestimmungsrechte in Kapitel 2.3 noch einmal auf entsprechende Problemfälle zu sprechen. Der Begriff Artefakt – meine Definition
Fassen wir die soeben mithilfe der Desiderate formulierten Bedingungen zusammen, so ergibt sich die folgende Definition des für diese Studie zentralen Begriffs Artefakt: Für alle x gilt: x ist ein Artefakt gdw. (AB') x ein Resultat geistiger oder physischer Arbeit ist und (GB') x ein konkreter oder abstrakter Gegenstand ist bzw. sich als solcher auffassen lässt und (IB') bei der Entstehung von x direkte oder abgeleitete Intentionen maßgeblich waren und (AMB') d ie_der Urheber_in von x hinreichend viele Merkmale von x festgelegt hat, d. h. dass der Charakter von x durch eine Änderung aller festgelegten Merkmale wesentlich verändert worden wäre, wobei auch das Belassen von Merkmalen des Ausgangsmaterials oder -gegenstands als Festlegung gilt, sofern es in der Macht der_des Urhebenden gelegen hätte, die Merkmale zu ändern und (AKB') d ie_der Urheber_in von x x als zufriedenstellende Realisierung ihrer_seiner Intentionen akzeptiert und x dadurch abgeschlossen hat.87
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Wenn ich im Folgenden von Artefakten rede, so meine ich damit diejenigen und nur diejenigen Gegenstände, die durch diese Definition erfasst werden.
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Mit der Definition des Begriffs Artefakt ist der Gegenstandsbereich dieser Studie klar umrissen: Sämtliche Gegenstände, denen diese Studie gewidmet ist, werden durch die Definition erfasst. Gegenstände, die eine der fünf notwendigen Bedingungen nicht erfüllen, fallen hingegen klarerweise aus dem Gegenstandsbereich der Studie heraus. Die Klasse der Artefaktkopien, auf die die Studie ein besonderes Augenmerk richtet, ist damit jedoch noch nicht genau bestimmt: Dazu fehlen weitere Bedingungen, die Artefaktkopien von anderen Artefakten zu scheiden vermögen und die ich in Kapitel 3.1 erarbeiten werde. Die soeben gegebene Definition von Artefakt dient mir dabei als Basis. Auch verhilft uns die Definition des Begriffs Artefakt zu einem tieferen Verständnis des Charakters der Gegenstände, mit denen diese Studie befasst ist: Uns sind nun zentrale Merkmale bekannt, die von allen Artefakten und damit auch von allen Artefaktkopien sowie ihren (möglichen) Vorlagen geteilt werden. Eine Definition des Begriffs Artefakt allein reicht allerdings für ein umfassendes Verständnis der unter diesen Begriff fallenden Gegenstände noch nicht hin. Denn ein solches Verständnis setzt darüber hinaus genauere Überlegungen zur Ontologie der Artefakte voraus. Im folgenden Abschnitt stelle ich entsprechende Überlegungen an, indem ich die bereits in der Definition zum Ausdruck kommende ontologische Dualität der Artefakte einer genaueren Untersuchung unterziehe.
2.2 Zur Ontologie der Artefakte
Was zeichnet die Dinge, die der Begriff Artefakt unter sich versammelt, in ontologischer Hinsicht aus? Aus meiner Definition des Begriffs Artefakt ergibt sich bereits eine erste, tentative Antwort auf diese Frage: Gemäß der Bedingung (GB') finden sich unter den Artefakten sowohl abstrakte als auch konkrete Gegenstände. Der (GB') zugrunde liegenden dualistischen Auffassung der Ontologie der Artefakte Kontur zu verleihen ist Ziel dieses Kapitels.88 Denn die Klärung der Frage, was abstrakte und konkrete Artefakte 88
Wenn ich hier und im Folgenden von einer dualistischen artefaktontologischen Auffassung spreche, so meine ich damit eine andere Dualität als die in den Debatten um die »dual nature of technical artefacts« zur Sprache kommende Dualität, die jedes technische Artefakt auszeichnet: Ein technisches Artefakt ist ein physischer Gegenstand, aber aufgrund seiner Funktionalität ist ihm auch ein intentionales Element zu eigen (vgl. Kroes und Meijers 2002). Die Dualität, von der ich an dieser Stelle spreche, bezieht sich jedoch nicht auf einzelne Artefakte, sondern auf die Klasse aller Artefakte, die sich dualistisch in konkrete und abstrakte Entitäten aufgliedern lässt.
Zur Ontologie der Artefakte
jeweils auszeichnet, stellt ein unabdingbares Erfordernis für das Verständnis der in dieser Studie entwickelten Theorien der Artefakte und der Artefaktkopien dar. Die Frage lässt sich allerdings nicht unter Rückgriff auf eine philosophische Standardauffassung beantworten. Denn obgleich die Unterscheidung zwischen Abstrakta und Konkreta in der Philosophie immer wieder Anwendung findet, hat sich bis jetzt keine Auffassung darüber durchgesetzt, worin diese Unterscheidung eigentlich im Einzelnen besteht bzw. wie sie sich sinnvoll fassen lässt: The abstract/concrete distinction has a curious status in contemporary philosophy. It is widely agreed that the distinction is of fundamental importance. And yet there is no standard account of how it should be drawn.89
In Ermangelung einer philosophischen Standard-Auffassung darüber, was Abstrakta und Konkreta jeweils auszeichnet, ist somit eine Antwort gefordert, die zugleich eine plausible Auffassung dessen skizziert, was Abstrakta und Konkreta jeweils ausmacht. Dieses Kapitel stellt daher erstens die für eine Theorie der Artefakte und der Artefaktkopien relevanten Charakteristika abstrakter und konkreter Artefakte heraus und zeigt auf, warum wir davon ausgehen sollten, dass solche Entitäten existieren. Denn sowohl gegen die Existenz abstrakter als auch gegen die Existenz konkreter Artefakte sind philosophische Argumente vorgebracht worden. Könnten diese Argumente überzeugen, so hätte dies weitreichende Konsequenzen für die vorliegende Studie: Die Objekte, die ich als Gegenstände der Studie ausgewählt habe, wären gar nicht existent – der Gegenstandsbereich der Studie bliebe folglich leer. Zweitens zeichnet das Kapitel nach, auf welche Weise abstrakte und konkrete Artefakte miteinander verbunden sind. Drittens legt es offen, wie abstrakte und konkrete Artefakte jeweils in die Welt kommen, indem es der Rolle von Arbeit und Intentionen bei der Artefaktentstehung Rechnung trägt. Da jedem konkreten Artefakt ein Design-Plan vorausgeht, bedürfen zunächst die geschaffenen Abstrakta einer Untersuchung, denn sie sind die in diesem Sinne primären Entitäten. Der Abschnitt 2.2.1 ist daher den abstrakten Entitäten gewidmet, die wir unter den Begriff Artefakt subsumieren können. In Abschnitt 2.2.2 wende ich mich dann den konkreten Entitäten zu, die unter den Begriff Artefakt fallen.
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2.2.1 Abstrakte Artefakte: Design-Pläne
Der von mir eingeführte Terminus »Design-Plan«90 dient mir als Bezeichnung für abstrakte Artefakte, die konkrete Artefakte als Realisierungen haben (können). Einen ersten Anhaltspunkt dafür, was ich unter Design-Plänen verstehen möchte, gibt die Bezeichnung der fraglichen Entitäten als Design-Pläne: Der Ausdruck »Design-Plan« ist ein terminus technicus, mit dem keineswegs der Anspruch verbunden ist, unsere alltagssprachlichen Assoziationen zu den Ausdrücken »Design« und »Plan« in Gänze zu erfassen. Nichtsdestotrotz sind es einzelne Bedeutungskomponenten der alltagssprachlichen Ausdrücke »Design« und »Plan«, denen sich die Bezeichung »Design-Plan« verdankt: Laut duden.de bezeichnet das Wort »Design« die »formgerechte und funktionale Gestaltgebung und daraus sich ergebende Form eines Gebrauchsgegenstandes o. Ä.«91. Ich möchte mit der ersten Komponente des Kompositums »Design-Plan« an den Aspekt der Gestaltgebung, aus der sich die Beschaffenheit konkreter Gegenstände ergibt, anknüpfen, dies jedoch nicht nur auf die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen beziehen, sondern auf die Gestaltung konkreter Artefakte generell, sodass etwa auch Kunstobjekte eingeschlossen werden (die wir im Allgemeinen wohl eher nicht als Gebrauchsgegenstände auffassen dürften): Ein Design-Plan legt wesentliche Aspekte der Beschaffenheit der konkreten Artefakte fest, die ihn realisieren.92 Er stellt insofern 90
Den Terminus habe ich in Bahr 2013 erstmals verwendet – vgl. auch Bahr 2016, Bahr 2020. 91 http://www.duden.de/rechtschreibung/Design, abgerufen am 5.8.2021. 92 Bei den durch den Design-Plan festgelegten Aspekten kann es sich etwa um die Typen der Komponenten handeln, aus denen sich ein konkretes Artefakt zusammensetzt und die im Design-Plan fixiert werden. Die hier zugrunde liegende Auffassung des Designs ist insofern durch den Designbegriff inspiriert, den Ulrich Krohs (vgl. Krohs 2004, 81 ff.) so expliziert hat, dass er nicht nur natürliches, sondern auch intentionales Design umfasst (vgl. Krohs 2004, 77) und Typfixiertheit ein wesentliches Merkmal von Design ist: »Die Komponenten einer Entität mit Design sind typfixiert« (Krohs 2004, 80). Im Unterschied zu Krohs gehe ich jedoch nicht davon aus, dass in der (bildenden) Kunst statt einer Auswahl der Teile eines Kunstobjekts nach ihrem Typ »jedes Teil des Objektes als individuelles Teil gestaltet oder ausgewählt« (Krohs 2004, 79) wird. Auch in der bildenden Kunst lässt sich nämlich ein identitätserhaltender Austausch typgleicher Teile beobachten, wie etwa das Beispiel vom Austausch des Hais in Damian Hirsts The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living belegt, auf das ich in Abschnitt 2.2.2 zu sprechen komme. Dass es oftmals auch bei klassischen Werken der bildenden Kunst um die Typen der Komponenten geht und nicht darum, dass es sich bei den Komponenten um individuelle Teile mit bestimmten Eigenschaften handelt, scheinen mir im Übrigen auch die gängigen Restaurierungspraktiken und unser Umgang mit beschädigten oder verfallenden Werken der bildenden Kunst zu belegen: Wird ein klassisches Kunstobjekt beschädigt, so werden fehlende Komponenten häufig durch typgleiche Komponenten
Zur Ontologie der Artefakte
einen Entwurf für konkrete Artefakte dar. Dieser Entwurf wird aber selten um seiner selbst willen angefertigt – im Allgemeinen zielt er darauf ab, realisiert zu werden, in jedem Falle aber ist er realisierbar. Diesem Umstand trägt die zweite Komponente des Kompositums »Design-Plan« Rechnung: duden.de zufolge referiert der alltagssprachliche Ausdruck »Plan« auf einen »Entwurf in Form einer Zeichnung oder grafischen Darstellung, in dem festgelegt ist, wie etwas, was geschaffen oder getan werden soll, aussehen, durchgeführt werden soll«93. Insofern es sich bei ihnen um die primären Entitäten handelt, verdienen Design-Pläne eine eingehende Betrachtung, bevor die sie realisierenden konkreten Artefakte sinnvoll in den Blick genommen werden können. Um einen ersten Eindruck davon zu erhalten, was unter einem Design-Plan zu verstehen ist, können wir uns allerdings unsere Vertrautheit mit konkreten Artefakten zunutze machen: Nehmen wir ein Beispiel für eine konkrete Entität, die unter den Begriff Artefakt fällt, nämlich meinen Schreibtisch. Mit diesem konkreten Artefakt korrespondiert nun ein abstraktes Artefakt, nämlich ein bestimmter Artefakt-Typ – Artefakt-Typen dieser Art sind es, die ich als Design-Pläne bezeichne. So ist der Schreibtisch-Typ, dem mein Schreibtisch als Exemplar angehört, eine abstrakte Entität, die zugleich ein Artefakt ist – es handelt sich dabei um einen absichtsvoll hergestellten Design-Plan für einen Schreibtisch, auf dessen Grundlage mein konkretes Exemplar hergestellt wurde. Das Beispiel des Design-Plans für meinen Schreibtisch sollte einen ersten Eindruck davon vermitteln, auf welche Art von Gegenständen ich mit dem Terminus »Design-Plan« Bezug nehmen möchte. Im Folgenden unterziehe ich diese Gegenstände einer genaueren Untersuchung, um ihre für die Zielsetzung dieser Studie wesentlichen Merkmale herauszuarbeiten. Bevor ich mich diesem Unterfangen widme, bedarf die Auffassung, dass es Design-Pläne gibt, allerdings einer argumentativen Verteidigung: Zunächst einmal gilt es, die Zweifel auszuräumen, die in der Philosophie im Hinblick auf die Existenz abstrakter Artefakte94 bestehen: Diese Annahme ruft bei vielen Philoersetzt. Da dieser Austausch typgleicher Teile jedenfalls in vielen Fällen im Sinne der Urheber_innen sein dürfte, die für die Design-Pläne verantwortlich zeichnen, die diese Objekte realisieren, dürften wir im Allgemeinen – sofern also dieser Annahme nicht im Einzelfall zwingende Gründe entgegenstehen –, davon ausgehen, dass wir es auch nach dem Austausch mit demselben Kunstobjekt zu tun haben. 93 http://www.duden.de/rechtschreibung/Plan_Vorhaben_Entwurf_Karte, abgerufen am 10.4. 2022. 94 Im Folgenden verwende ich die Ausdrücke »abstrakte Artefakte« und »geschaffene Abstrakta« synonym, da ich davon ausgehe, dass alle geschaffenen Abstrakta Artefakte sind.
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soph_innen einen immensen Widerstand hervor. Dass es überhaupt abstrakte Entitäten gibt, wird von einigen Philosoph_innen vehement bestritten.95 Aber auch diejenigen Philosoph_innen, die grundsätzlich von der Existenz abstrakter Gegenstände überzeugt sind, hegen oftmals Zweifel daran, dass unter diesen Gegenständen solche sind, die ihre Existenz einem Schöpfungsakt verdanken: Gemäß einer weit verbreiteten Auffassung können abstrakte Gegenstände nicht geschaffen werden. Daher beginne ich zunächst damit, die Gründe darzulegen, die Philosoph_innen dazu veranlassen, die Existenz abstrakter Artefakte zu bezweifeln, und unterziehe diese Gründe einer kritischen Prüfung. Dabei wird sich zeigen, dass die strikte Ablehnung der Existenz geschaffener Abstrakta auf tönernen Füßen steht. Damit ist jedoch erst einmal nur gezeigt, dass der Annahme, dass es so etwas wie abstrakte Artefakte gibt, keine überzeugenden Gründe entgegenstehen. Daraus, dass die Existenz geschaffener Abstrakta prinzipiell als denkbar erscheint, folgt aber freilich noch nicht, dass die Annahme der Existenz dieser Gegenstände überzeugend oder theoretisch fruchtbar ist. In einem zweiten Schritt lege ich deshalb dar, warum eine plausible und philosophisch ertragreiche Theorie der Artefakte auch abstrakte Artefakte einbeziehen sollte: Ich führe zwei artefaktphilosophische Gründe für die Annahme der Existenz von Design-Plänen an. An diesen Gründen orientiert sich auch meine Bestimmung dieser speziellen Art abstrakter Gegenstände, die ich anschließend vornehme. Nachdem ich dargelegt habe, warum die Annahme der Existenz von Design-Plänen auf guten Gründen beruht, komme ich näher auf die Spezifika dieser Artefakte und ihrer Entstehung zu sprechen. Zunächst wende ich mich der Herstellung von Design-Plänen zu: Zum tieferen Verständnis dessen, was Design-Pläne als abstrakte, realisierbare Artefakte ausmacht und wie sie zu ihren Merkmalen kommen, verhilft eine Betrachtung des Entstehungsprozesses dieser Artefakte. Die in Abschnitt 2.1.3 vorgelegte Definition des Begriffs Artefakt trägt bereits zwei wichtigen Bedingungen der Artefaktentstehung Rechnung, nämlich der Notwendigkeit des Investierens von Arbeit zur Hervorbringung eines Artefakts sowie dem Erfordernis, dass Intentionen der_des Urhebenden den Entstehungsprozess eines Artefakts in bestimmter Weise leiten. Um die Besonderheiten der Entstehung von Design-Plänen zu erhellen, lege ich dar, in welcher Weise diese beiden Bedingungen im Falle von Design-Plänen erfüllt werden können: Ich zeige auf, inwiefern geistige Arbeit 95
Die wohl populärste Position, die mit einer Bestreitung der Existenz abstrakter Entitäten einhergeht, ist eine Variante des ontologischen Nominalismus, auf die ich im Folgenden noch zu sprechen kommen werde.
Zur Ontologie der Artefakte
eine notwendige Voraussetzung für die Hervorbringung von Design-Plänen ist, und komme auf die Rolle zu sprechen, die physische Arbeit im Rahmen des Entstehungsprozesses dieser Artefakte spielen kann. Auch lege ich offen, welche Rolle den Intentionen der_des Design-Plan-Urhebenden innerhalb dieses Prozesses zukommt. Design-Pläne sind nicht nur durch die Besonderheiten ihres Entstehungsprozesses und der auf diesen Prozess zurückgehenden Festlegung ihrer Merkmale charakterisiert, sondern wesentlich auch durch ihre (mögliche) Relation zu konkreten Artefakten: Design-Pläne sind zum einen manifestierbar – das heißt, sie können etwa in Form von Skizzen, Beschreibungen, Partituren o. ä. niedergeschrieben und auf diese Weise etwa von ihrer_ihrem Urheber_in verschiedenen Dritten veranschaulicht werden. Zum anderen sind DesignPläne realisierbar, wobei ihre Realisierungen in ganz unterschiedlichen Formen gegeben sein können, bspw. als musikalische Aufführungen, technische Artefakte, Bücher usw. Realisierungen von Design-Plänen können sowohl autorisiert als auch nicht autorisiert sein. Autorisierte Realisierungen kommen in zwei Varianten daher: Einerseits als Originale bzw. genuine Exemplare, andererseits als zur Verbreitung bestimmte und als solche autorisierte Kopien.96 Ob eine Realisierung in der einen oder anderen Weise autorisiert ist, liegt in der Hand der_des Urhebenden eines Design-Plans (bzw. der_des Inhabenden der Rechte an einem solchen Plan): Dieser_diesem kommen zwei Befähigungen zu, und zwar die Befähigung zur Festlegung potenzieller Exemplar-Urheber_innen und die Befähigung zur Autorisierung von Kopist_innen mit Verbreitungsabsicht. Meine Erläuterung, was es mit diesen Befähigungen auf sich hat, bildet den Abschluss dieses Abschnitts. Kann es Design-Pläne überhaupt geben? – Gründe für die Zweifel an der Existenz geschaffener Abstrakta
Design-Pläne habe ich als abstrakte Artefakte charakterisiert. Sollte sich herausstellen, dass die Zweifel an der Existenz solcher Entitäten gerechtfertigt sind, so erweist sich eine Theorie der Artefakte – ebenso wie eine Theorie der Artefaktkopien – als unhaltbar, wenn sie die Existenz von Design-Plänen voraussetzt. Um die in dieser Studie entwickelte Theorie der Artefakte sowie die im Rahmen der Studie ausgearbeitete Theorie der Artefaktkopien gegen diesen Einwand abzusichern, gilt es, die Gründe für die Zweifel an der 96
Eine Kopie, die nicht zur Verbreitung bestimmt ist, bedarf keiner Autorisierung – ich begründe dies in Abschnitt 2.3.2.
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Existenz abstrakter Artefakte offenzulegen und zu zeigen, warum sie nicht überzeugend sind. Um diese Gründe zu verstehen, müssen wir uns zunächst einmal klar machen, welche Auffassung von Abstrakta es jeweils ist, die im Lichte der entsprechenden Gründe als problematisch erscheint. Eine etablierte Auffassung dessen, was Abstrakta auszeichnet, sucht man in der Philosophie vergeblich97: Obgleich sich viele philosophische Debatten um Abstrakta drehen98, hat sich bisher keine allgemein anerkannte Bestimmung abstrakter Gegenstände herausgebildet. Häufig erfolgt eine erste Annäherung an den fraglichen Gegenstandsbereich mittels einer Aufzählung von als paradigmatisch geltenden Beispielen für Abstrakta.99 Oftmals werden diese von als paradigmatisch erachteten Beispielen für Konkreta abgegrenzt. Zumindest im Hinblick auf die Frage, welche Gegenstände jeweils als paradigmatische Beispiele für Abstrakta und Konkreta zählen, lässt sich ein recht breiter Konsens erkennen: Zu den abstrakten Entitäten werden zumeist Zahlen, Mengen, Propositionen, Begriffe und Eigenschaften gerechnet, sowie mitunter auch Werke der Kunst. Eine Liste konkreter Entitäten umfasst hingegen üblicherweise physische Objekte, etwa Steine, Stühle, Katzen u. ä. Viele Theoretiker_innen belassen es bei der Aufzählung von Beispielen und scheinen gewissermaßen vorauszusetzen, dass damit bereits hinreichend geklärt ist, was Abstrakta (und Konkreta) auszeichnet.100 Die Beispiele allein vermö97
Vgl. Burgess und Rosen 1999, 13. Dazu zählen sowohl die Platonismus-Nominalismus-Debatte, in der es explizit um die grundsätzliche Frage nach der Existenz abstrakter Entitäten geht und auf die ich nachfolgend eingehe, als auch Debatten, die sich um die Frage drehen, ob bestimmte Gegenstände als Abstrakta zu charakterisieren sind – etwa die Diskussion um den ontologischen Status musikalischer Werke. 99 Lewis hat für diese Annäherung an den Gegenstandsbereich der Abstrakta die Bezeichnung »Way of Example« geprägt (vgl. Lewis 1986, §1.7). Eine Erläuterung und Diskussion des »Way of Example« geben Burgess und Rosen (1999, 13 ff). 100 Es scheint, als setzten die Autor_innen, die den »Way of Example« einschlagen, voraus, dass uns eigentlich längst klar ist, was die Unterscheidung zwischen Abstrakta und Konkreta ausmacht: »[O]ne might think that the authors are supposing that their readers only need to be reminded of a distinction with which they are already familiar from some generally received standard explanation« (Burgess und Rosen 1999, 13). Hier ergibt sich ein Problem, das dem im Zusammenhang mit der rein kausalen Referenz fixierung von Artausdrücken diskutierten Qua-Problem ähnelt. Das Qua-Problem besteht darin, dass bei der ostentativen Fixierung der Referenz eines Artausdrucks durch das Zeigen auf einen bestimmten, konkreten Gegenstand unklar ist, welche Art ich herauszugreifen und mit dem Ausdruck zu bezeichnen beabsichtige: Ein Gegenstand gehört zumeist unterschiedlichen Arten zugleich an. So ist jedes Exemplar der Art Dackel zugleich ein Säugetier und ein Hund. Zeige ich auf ein Exemplar und sage »Nennen wir Tiere dieser Art zukünftig ›Dackel‹«, so ist unklar, ob der Artausdruck »Dackel« auf die Art Dackel, die Art Säugetier oder die Art Hund referiert (vgl. zum Qua-Problem Bahr 98
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gen jedoch kaum Aufschluss darüber zu geben, was Abstrakta eigentlich sind. Um die Zweifel an der Existenz geschaffener Abstrakta zu begreifen, kommen wir aber nicht umhin, einen Blick auf die Vorschläge zur Charakterisierung von Abstrakta zu werfen. Die Charakterisierung von Abstrakta erfolgt beinahe immer101 ex negativo, nämlich unter Bezug auf bestimmte Mängel, d. h. Eigenschaften, die diesen Entitäten abgesprochen werden. Zum Verständnis der von einigen Philosoph_ innen gehegten Zweifel an der Existenz geschaffener Abstrakta ist ein Blick auf diese Mängel erforderlich – darunter lassen sich nämlich die Gründe für diese Zweifel ausmachen. Die Mängel, die am Häufigsten102 zur Bestimmung von Abstrakta herangezogen werden, sind die Folgenden: (MR) Mangelnde Räumlichkeit: Abstrakta existieren nicht innerhalb des Raums. (MZ) Mangelnde Zeitlichkeit: Abstrakta sind nicht-zeitlich oder ewig – sie kommen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Existenz, und hören auch nicht auf zu existieren. (MEK) Mangelnde Empfänglichkeit für kausale Kräfte: Abstrakta sind nicht empfänglich für kausale Kräfte. (MKW) Mangelnde kausale Wirksamkeit: Abstrakta können nicht kausal wirken.103
Für die Zweifel an der Existenz abstrakter Artefakte sind lediglich drei der vier Mängel von Belang. Im Folgenden gehe ich daher ausschließlich auf die drei Mängel ein, die die Zweifel an der Existenz abstrakter Artefakte begründen, nämlich (MZ), (MEK) und (MKW). Wir können grundsätzlich zwei Arten von Zweifeln unterscheiden: Zweifel der ersten Art richten sich gegen die Existenz abstrakter Gegenstände tout court; Zweifel der zweiten Art hingegen betreffen einzig die Existenz geschaffener Abstrakta. Wie sich nachfolgend et al. 2013, 92 ff.). Analog dazu erscheint es als plausibel, dass auch die als Beispiele für Abstrakta genannten Gegenstände unterschiedlichen Arten zugleich angehören. Ohne zusätzliche Erläuterungen oder Beschreibungen, was die Art auszeichnet, für die etwa die Zahl 6 als exemplarisch gelten soll, erscheint es als problematisch, allein durch die Nennung dieser Zahl die Art, die gemeint sein soll, eindeutig herauszugreifen. 101 Vgl. Rosen 2014, 5. 102 Vgl. Burgess und Rosen 1999, 20. 103 Die Mängel (MEK) und (MKW) könnten wir auch als einen Mangel zusammenfassen, indem wir sagen, dass es Abstrakta am Potenzial mangelt, Relata einer Kausalrelation zu sein (vgl. van Inwagen 2009). Im Interesse einer präziseren Exposition der Zweifel an der Existenz abstrakter Artefakte halte ich es allerdings für sinnvoll, beide Mängel getrennt voneinander zu behandeln.
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zeigen wird, liegen die Zweifel an der Existenz abstrakter Gegenstände tout court in erster Linie im Mangel (MKW) begründet, während die Mängel (MZ) und (MEK) die Zweifel an der Existenz geschaffener Abstrakta begründen. Diejenigen Theoretiker_innen, die die Existenz von Abstrakta grundsätzlich bestreiten, vertreten eine Variante104 des Nominalismus und wenden sich damit gegen den Platonismus, demzufolge Abstrakta existieren. Obgleich sich der Nominalismus wesentlich durch die Negation der Existenz von Abstrakta auszeichnet, finden sich keine bedenkenswerten Argumente, die sich direkt gegen die Existenz dieser Gegenstände richten. Stattdessen nimmt die aussichtsreichste Strategie zur Argumentation gegen die Existenz abstrakter Gegenstände gewissermaßen einen epistemologischen Umweg105: Bemerkenswerterweise ist das einflussreichste Argument zur Stärkung der nominalistischen Intuition ein epistemologisches Argument, das die Existenz abstrakter Gegenstände streng genommen gar nicht in Frage stellt, sondern einzig unseren epistemischen Zugang zu diesen Entitäten problematisiert. Das epistemologische Argument in seiner ursprünglichen Version geht auf Überlegungen Paul Benacerrafs zurück106 und setzt sich aus zwei Prämissen zusammen, nämlich aus der Prämisse (KW), die eine kausale Auffassung von Wissen zum Ausdruck bringt, sowie der Prämisse (MKW), die den Mangel abstrakter Gegenstände an kausaler Wirksamkeit expliziert. Aus den beiden Prämissen folgt die epistemische Unzugänglichkeit von Abstrakta, die in (EAU) zum Ausdruck kommt. Das Argument lässt sich wie folgt halbformal rekonstruieren107: 104 In
der Philosophie wird noch eine weitere Variante des Nominalismus vertreten, der zufolge es keine Universalien gibt – die Gegenposition zu dieser NominalismusVariante ist ein Realismus bezüglich Universalien. Diese Variante des Nominalismus ist jedoch hier nicht von Belang. 105 Eine weitere bedenkenswerte Strategie zur Argumentation für den Nominalismus nimmt ebenfalls einen Umweg – jedoch handelt es sich dabei nicht um einen epistemologischen, sondern um einen methodologischen oder auch wissenschaftstheoretischen Umweg, der Ockhams Rasiermesser zum Ausgangspunkt nimmt: Als ontologisches Sparsamkeitsprinzip verstanden, hält es uns an, nicht mehr Entitäten anzunehmen als notwendig. Es wird sich allerdings im Rahmen dieses Kapitels zeigen, dass eine Artefakttheorie nicht ohne die Annahme abstrakter Entitäten auskommt: Ein Verzicht auf Abstrakta zugunsten einer schmaleren Ontologie ist nur um den Preis einer unplausiblen Artefakttheorie zu haben. 106 Vgl. Benacerraf 1973. Benacerrafs Überlegungen beziehen sich primär auf eine bestimmte Art abstrakter Objekte, nämlich auf mathematische Entitäten – seine Überlegungen sind aber ohne Weiteres auf andere Abstrakta übertragbar. 107 Diese Rekonstruktion orientiert sich grob an der kurzen, syllogistischen Darstellung des Arguments, wie sie Burgess und Rosen vorlegen (vgl. Burgess & Rosen 1999, 29). Allerdings formulieren Burgess und Rosen die zweite Prämisse etwas anders: »We have
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(KW) Wissen bezüglich einer Entität setzt notwendig voraus, dass die fragliche Entität kausal auf die_den Wissenden wirkt. (MKW) Abstrakta können nicht kausal wirken.108 (EUA) Wir können bezüglich Abstrakta kein Wissen haben. (aus (KW) und (MKW))
Selbst, wenn das epistemologische Argument überzeugen sollte, ist die Existenz von Abstrakta damit noch nicht ausgeschlossen: Abstrakta könnten dennoch existieren – dies allerdings, ohne dass wir von ihnen oder über sie je etwas wissen könnten.109 Obgleich es nicht direkt gegen die Existenz von Ab no causal connection with abstract entities.« (Burgess und Rosen 1999, 29). Im Interesse der Trennung der Mängel (MEK) und (MKW) (vgl. Fn. 103) nehme ich stattdessen (MKW) als Prämisse in das Argument auf. Denn ich halte es für offenkundig, dass für eine kausale Theorie des Wissens ausschließlich kausale Verbindungen von Belang sind, bei denen ein Gegenstand des Wissens auf ein wissendes Subjekt wirkt (und die laut (MKW) im Falle von Abstrakta ausgeschlossen sind), und nicht etwa Verbindungen, bei denen ein wissendes Subjekt kausal auf einen Gegenstand des Wissens einwirkt (was laut (MEK) für abstrakte Gegenstände nicht möglich ist). Burgess und Rosen formulieren in ihrer Darstellung des epistemologischen Arguments zudem die Prämisse (KW) nicht explizit aus, sondern sprechen stattdessen von »some kind of causal theory of knowledge« (Burgess & Rosen 1999, 29, Herv. d. O. getilgt). In ihrer nachfolgenden ausführlichen Diskussion des epistemologischen Arguments greifen Burgess und Rosen dann die kausale Theorie des Wissens von Alvin Goldman auf (vgl. Burgess & Rosen 1999, 35 ff.). Dies ist insofern verwunderlich, als ein Argument, das auf Goldmans kausale Theorie Bezug nimmt, wesentlich komplexer ist als der von Burgess und Rosen skizzierte Syllogismus; vgl. hierzu Fn. 113. 108 Streng genommen wirft diese Formulierung des epistemologischen Arguments im Lichte der Standard-Auffassung von Kausalität ein Problem auf, da der Standard-Auffassung zufolge die Relata von Kausalrelationen nicht etwa Gegenstände – wie etwa Abstrakta oder Konkreta – sind, sondern vielmehr Ereignisse oder Tatsachen (vgl. Schaffer 2016, 2). Ein Argument, das voraussetzt, dass Objekte als Relata von Kausalrelationen in Frage kommen, ist somit dem Verdacht ausgesetzt, dass es auf einem Kategorienfehler beruht. Das epistemologische Argument auf dieser Grundlage zurückzuweisen erschiene allerdings als vorschnell: Zum Einen gibt es Theoretiker_innen, die mit der Möglichkeit rechnen, dass auch Objekte kausal wirken können (für einen Überblick zu dieser Auffassung vgl. Ehring 2009). Zum Anderen erscheint es als denkbar, Sätze, in denen Objekte als kausal wirksam beschrieben werden, als elliptische Sätze zu verstehen. Der Satz »Der Stein hat das Zerbrechen der Fensterscheibe verursacht« etwa wäre dann in den folgenden Satz zu übersetzen: »Die Tatsache, dass der Stein die Fensterscheibe getroffen hat, hat die Tatsache verursacht, dass die Scheibe zerbrochen ist«. Eine Variante des epistemologischen Arguments, die nicht auf Objekte, sondern allein auf Tatsachen Bezug nimmt, müsste also nicht die kausale Wirkungslosigkeit von Abstrakta behaupten, sondern stattdessen die kausale Wirkungslosigkeit von Tatsachen, die Abstrakta betreffen (also die Prämisse (4) des Arguments in Fn. 113 enthalten, diese aber nicht aus der kausalen Wirkungslosigkeit von Abstrakta ableiten). 109 An dieser Stelle drängt sich der Verdacht des Selbstwiderspruchs auf. Denn wenn wir nichts über Abstrakta wissen können, dann können wir freilich auch nicht wis-
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strakta spricht, taugt das epistemologische Argument dennoch dazu, Nominalist_innen in die Karten zu spielen. Denn Platonist_innen wird es aller Voraussicht nach nicht reichen, dass es abstrakte Objekte gibt, von denen wir keinerlei Kenntnis erlangen können: Platonist_innen gehen im Allgemeinen nicht nur davon aus, dass es Abstrakta gibt, sondern nehmen darüber hinaus auch an, dass Abstrakta uns in irgendeiner Weise epistemisch zugänglich sind. Wäre dies nicht der Fall, so wären alle Aussagen über Abstrakta – etwa Aussagen über mathematische Entitäten – nichts als unbegründete Fanta sien.110 Dies erscheint allerdings als unhaltbare Konsequenz. Platonist_innen sind Nominalist_innen – und letztlich auch sich selbst – somit eine Erklärung schuldig: Wie ist es uns möglich, Wissen über Abstrakta zu erlangen? Für die in dieser Studie entwickelten Theorien der Artefakte und der Artefaktkopien stellt das epistemologische Argument eine ernstzunehmende Herausforderung dar. Denn für die im Vorhergehenden skizzierte Auffassung von Design-Plänen wirft es ein gravierendes Problem auf: Wenn uns Design-Pläne als Abstrakta epistemisch unzugänglich sind, wie können wir sie dann realisieren oder manifestieren? Sollte das epistemologische Argument überzeugen, so erwiese es sich als unhaltbar, Design-Pläne als Entitäten aufzufassen, die zugleich abstrakt und realisierbar sowie manifestierbar sind: Entitäten, die diese Eigenschaften in sich vereinen, könnte es dann gar nicht geben – unter den Begriff des Design-Plans fiele nichts. Dies ist die ontologische Pointe des epistemologischen Arguments im Hinblick auf Design-Pläne. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass das epistemologische Argument keine sonderlich große Überzeugungskraft für sich beanspruchen kann. Denn es lässt sich ohne Weiteres entkräften, da die Prämisse (KW) nicht plausibel ist: Gegen die Annahme, Wissen setze voraus, dass dasjenige, über das Wissen erworben wird, kausal auf den Wissenden wirkt, lassen sich verschiedene Gegenbeispiele vorbringen, deren Status als Fälle von Wissen sich kaum bestreiten lässt, obgleich keine kausale Verknüpfung zwischen der_ dem Wissenden und dem Gegenstand des Wissens besteht. Diese Gegenbeispiele lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Bei Gegenbeispielen des ersten Typs handelt es sich um Fälle von Wissen über die Zukunft111: Mein Wissen, dass der Weihnachtsbaum, den meine Eltern in diesem Jahr kaufen werden, eine Nordmann-Tanne sein wird, setzt keineswegs voraus, dass der fragliche sen, dass es ihnen an kausaler Wirksamkeit mangelt. Dann allerdings haben wir bereits akzeptiert, dass wir nichts über Abstrakta wissen können, und stehen damit dennoch vor dem Problem, das das epistemologische Argument aufwirft. 110 Wenn ich nichts über Abstrakta wissen kann, dann sind Aussagen über sie dazu verdammt, nicht mehr als »idle fancies« (Cheyne 2001, 3) zu sein. 111 Vgl. Burgess und Rosen 2005, 521.
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Baum kausal auf mich wirkt – es reicht hin, dass mir die Vorlieben meiner Eltern im Hinblick auf Weihnachtsbäume bekannt sind.112 Gegenbeispiele des zweiten Typs sind Fälle des Wissens universaler Wahrheiten: Für mein Wissen, dass alle Menschen sterblich sind, muss ich nicht mit allen Menschen in einer kausalen Verbindung stehen. Der Erwerb von Wissen setzt also keineswegs notwendig voraus, dass dasjenige, über das etwas gewusst wird, eine kausale Wirkung auf die_den Wissenden entfaltet. Eine Auffassung von Wissen, die diese Voraussetzung macht, greift offenkundig zu kurz.113 Damit ist aber zunächst einmal nur 112 Wissen
über die Zukunft erfordert nicht, dass Irrtümer ausgeschlossen sind: Es ist grundsätzlich möglich, dass mein Vater in diesem Jahr seine Idee in die Tat umsetzt, einen Plastik-Weihnachtsbaum zu erwerben. Irrtümer sind aber auch bei Wissen über die Gegenwart nicht ausgeschlossen – im Interesse der Vermeidung eines generellen Skeptizismus sollten die Voraussetzungen für Wissen über die Zukunft daher nicht zu stark sein. 113 An dieser Stelle ließe sich einwenden, dass das epistemologische Argument in der hier rekonstruierten Variante nicht auf einer überzeugenden kausalen Auffassung von Wissen aufbaut. Die Prämisse (KW) fordert eine kausale Verbindung zwischen der_dem Wissenden und dem Objekt des Wissens, wie Benacerraf sie voraussetzt: »I favor a causal account of knowledge on which for X to know that S is true requires some causal relation to obtain between X and the referents of the names, predicates, and quantifiers of S« (Benacerraf 1973, 671). In Goldmans vieldiskutierter kausaler Theorie des Wissens hingegen geht es um eine völlig andere Art der Kausalverbindung: Goldmans Auffassung nach müssen die Überzeugung, dass p und die Tatsache, dass p kausal miteinander verknüpft sein (vgl. Goldman 1967). Eine Variante des epistemologischen Arguments für den Nominalismus, die auf Goldmans kausaler Theorie des Wissens gründet, ließe sich wie folgt rekonstruieren (wobei die Prämisse (3) der Prämisse (MKW) entspricht und die Konklusion (5) der Konklusion (EUA)): (1) Wissen, dass p setzt voraus, dass zwischen der Überzeugung, dass p und der Tatsache, dass p eine kausale Verbindung besteht. (2) Tatsachen, die Entitäten betreffen, die nicht kausal wirksam sind, können selbst keine kausale Verbindung eingehen. (3) Abstrakta sind nicht kausal wirksam. (4) Tatsachen, die Abstrakta betreffen, können keine kausale Verbindung eingehen. (aus (2) und (3)) (5) Wir können bezüglich Abstrakta kein Wissen haben. (aus (1) und (4)) Goldmans kausale Theorie des Wissens mag plausibler erscheinen als die in der Prämisse (KW) zum Ausdruck kommende Auffassung – es wird jedoch aus guten Gründen bestritten, dass sie alle Formen von Wissen angemessen berücksichtigt, da sie auf empirisches Wissen zugeschnitten ist (vgl. Burgess und Rosen 1999, 36). Zudem ist die Prämisse (2) nicht sonderlich überzeugend. Dies zeigt sich etwa, wenn wir Tatsachen betrachten, die fiktionale Entitäten betreffen. Es erscheint als plausibel, fiktionale Entitäten (anders als ihre Repräsentationen) als Entitäten aufzufassen, die keine kausale Wirkung entfalten. Die Tatsache, dass ein Greif ein Fabelwesen ist, betrifft eine fiktionale Entität, die als solche keine kausale Kraft hat. Es erscheint aber nicht als einleuchtend, warum diese Tatsache ihrerseits nicht als Relatum einer Kausalrelation in Frage kommen sollte: Zwischen
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gezeigt, dass in der Prämisse (KW) eine zu enge Auffassung von Wissen zum Ausdruck kommt. Es ist allerdings noch nichts darüber gesagt, wie es uns möglich ist, Wissen über Abstrakta zu erlangen. Diesbezüglich bleibt somit eine Erklärungslücke bestehen.114 Vor diesem Hintergrund mag es nicht verwundern, dass eine Weiterentwicklung des epistemologischen Arguments bei dieser Erklärungslücke ansetzt, und zwar gänzlich ohne Bezug auf eine Konzeption des Wissens, die sich bestreiten ließe: Hartry Fields Reformulierung der epistemologischen Herausforderung für den Platonismus kommt gänzlich ohne eine Analyse von Wissen aus – stattdessen erschöpft sie sich in der Frage, wie sich erklären lässt, dass wir zu verlässlichen, wahren Überzeugungen über Abstrakta gelangen können.115 Die Bedrohung für die hier vorgelegten Theorien der Artefakte und der Artefaktkopien bleibt freilich auch bei dieser weiterentwickelten Variante des epistemologischen Arguments bestehen. Denn ohne eine Erklärung, wie wir etwas über Design-Pläne wissen können, bleibt es fragwürdig, wie wir ihre Realisierungen oder Manifestationen sollten anfertigen können. Im Folgenden gilt es daher, die nach wie vor bestehende Erklärungslücke jedenfalls im Hinblick auf Design-Pläne zu füllen.116 Meine Erklärung, wie der Erwerb von Wissen über Design-Pläne möglich ist, rechnet damit, dass dieser Wissenserwerb über zwei Wege erfolgen kann: Zum einen lässt sich Wissen über einen Design-Plan mittels des direkten epistemischen Zugangs erlangen, der der_dem Urheber_in eines Design-Plans vorbehalten ist. Denn die_der Urheber_in eines Design-Plans legt die Merkmale des Plans mithilfe ihrer_seiner Intentionen fest. Intentionen sind als intentionale Zustände auf Inhalte bezogen – in diesem Falle handelt es sich bei den Inhalten um die Merkmale, die den Design-Plan ausmachen. Aber nicht nur die_der Urheber_in kann Wissen über ihren_seinen Design-Plan meiner Überzeugung, dass Greife Fabelwesen sind, und der Tatsache, dass Greife Fabelwesen sind, kann durchaus eine Kausalverbindung bestehen. Aus diesem Grunde vermag auch diese Variante des epistemologischen Arguments selbst dann nicht zu überzeugen, wenn man Goldmans kausale Theorie als eine generelle Theorie des Wissens akzeptiert. 114 Laut Künne handelt es sich bei dieser Erklärungslücke um »die Achilles-Ferse des Platonismus« (Künne 2007, 136). 115 Vgl. Field 1988, 62. Wie Benacerraf befasst sich auch Field nicht mit dem Wissen über Abstrakta generell, sondern mit dem Wissen über mathematische Entitäten. Die Erklärungslücke lässt sich aber fraglos auch im Hinblick auf andere Arten von Abstrakta konstatieren. 116 Es ist nicht das Ziel dieses Kapitels, eine allgemein gültige Erklärung dafür vorzulegen, wie der Wissenserwerb im Hinblick auf Abstrakta möglich ist – ich beschränke mich an dieser Stelle auf den Erwerb von Wissen über Design-Pläne, da meine Theorien der Artefakte und der Artefaktkopien einzig dieser Erklärung bedürfen.
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haben: Dritte, die selbst nicht die Urheber_innen des Design-Plans sind, können über Manifestationen des Plans ebenfalls Kenntnis von ihm erlangen. So kann die_der Urheber_in Dritten Wissen über ihren_seinen Design-Plan verschaffen, indem sie_er den Plan in einer Zeichnung, einer Beschreibung o. ä. niederlegt. Die epistemologische Erklärungslücke ist somit im Hinblick auf Design-Pläne gefüllt. Damit aber sind die Bedenken, die Philosoph_innen im Hinblick auf geschaffene Abstrakta haben, freilich noch nicht aus der Welt geschafft. Kommen wir daher nun zu den Zweifeln der zweiten Art, die sich auf die Annahme beziehen, dass abstrakte Gegenstände geschaffen sein können. Diese Annahme wird im Wesentlichen aus zwei Gründen angezweifelt: Der erste Grund liegt im Mangel (MZ), der zweite im Mangel (MEK).117 Kommen wir zunächst zum ersten Grund: Die mangelnde Zeitlichkeit von Abstrakta scheint im Kontrast zur offensichtlichen Zeitlichkeit geschaffener Entitäten zu stehen. Während Abstrakta als immerwährend existierende Entitäten gelten, deren Dasein weder beginnt noch endet, kommen Artefakte zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Existenz und können zu einem späteren Zeitpunkt auch wieder vergehen. Der zweite Grund betrifft den Mangel (MEK): Abstrakta gelten vielen Philosoph_innen als Gegenstände, auf die kausale Kräfte nicht wirken können. Geschaffene Entitäten jedoch verdanken ihre Existenz einem kausalen Akt, dem Schöpfungsakt. Wenn Abstrakta für kausale Kräfte nicht empfänglich sind, so erscheint es als unmöglich, sie zu schaffen. Wie also lässt sich die Auffassung, dass die Klasse der Artefakte Design-Pläne umfasst, die geschaffene Abstrakta sind, vor diesem Hintergrund verteidigen? Um die Zweifel an der Möglichkeit geschaffener Abstrakta auf ihre Plausibilität hin zu prüfen, sollten wir nach der Überzeugungskraft einer Charakterisierung von Abstrakta fragen, die die Mängel (MZ) und (MEK) als notwendige Bedingungen umfasst. Denn dass (MZ) und (MEK) in eine überzeugende Charakterisierung Eingang finden sollten, lässt sich durchaus mit 117
Man könnte meinen, dass auch der Mangel an kausaler Wirksamkeit Zweifel an der Existenz abstrakter Artefakte weckt, sofern man diese Artefakte – wie DesignPläne – als instanziierbare Entitäten auffasst. Denn es ließe sich fragen, ob ein DesignPlan, der instanziiert wird, sich als Ursache seiner Instanziierung verstehen lässt, ob also das Instanziieren ein kausaler Vorgang ist. Allerdings erscheint eine solche Auffassung von Instanziierungen als Effekten kausaler Kräfte als äußerst unplausibel: Wir würden wohl nicht sagen wollen, dass der Buchstaben-Typ A das konkrete Vorkommis »A« verursacht hat, obgleich dieses Vorkommnis den Buchstaben-Typ instanziiert. Auch von der Instanziierung eines Naturgesetzes lässt sich wohl kaum behaupten, dass das Gesetz sie verursacht hat. Insofern kann ein Zweifel an der Existenz geschaffener Abstrakta, der sich auf (MKW) gründet und Abstrakta als Ursachen ihrer Instanziierungen versteht, von vornherein zurückgewiesen werden.
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guten Gründen in Frage stellen: Obgleich sich Abstrakta vielen Charakterisierungen zufolge auch und gerade durch die beiden Mängel (MZ) und (MEK) auszeichnen, finden sich nämlich unter denjenigen Gegenständen, deren Status als abstrakte Gegenstände weitgehend unbestritten ist, solche, die diese beiden Mängel überhaupt nicht aufweisen. Mengen etwa gelten als Standard-Beispiele für Abstrakta. Betrachten wir nun impure sets, Mengen also, deren Elemente selbst keine abstrakten Gegenstände sind, sondern Konkreta. Im Hinblick auf diese Mengen erscheint die Annahme plausibel, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Welt kommen. Dies gilt etwa für die Menge, die den Eiffelturm und die Freiheitsstatue umfasst, und von der wir annehmen können, dass sie erst mit der Fertigstellung des Eiffelturms zur Existenz gekommen ist. Zudem kann die Existenz von impure sets offenbar zu einem Ende kommen, dann nämlich, wenn eines ihrer Elemente vergeht – so existierte die Menge {Fürstbischöfliches Schloss Münster, Jenaer Schloss} nur bis zum Abriss des Jenaer Schlosses im Jahre 1905.118 Die Notwendigkeit des Mangels (MZ) für Abstraktheit erscheint im Lichte dieser Beispiele also durchaus als fragwürdig. Aber auch die Notwendigkeit von (MEK) für Ab straktheit wird durch impure sets in Frage gestellt. Denn es lässt sich mit einer gewissen Plausibilität behaupten, dass das Zur-Existenz-Kommen der einzelnen Elemente einer solchen Menge das Zur-Existenz-Kommen der Menge selbst verursacht.119 So können wir die Entstehung der Menge {Eiffelturm} als Resultat der Entstehung des Eiffelturms verstehen. Impure sets erzeugen also eine Spannung zwischen dem Zugriff auf die Klasse der Abstrakta unter Bezugnahme auf als paradigmatisch geltende Beispiele und dem Zugriff auf diese Klasse mittels einer Charakterisierung, die die Mängel (MZ) und (MEK) umfasst. Zwei Reaktionen auf diese Spannung sind möglich: Entweder privilegieren wir die Charakterisierung von Abstrakta als Entitäten, die notwendigerweise die Mängel (MZ) und (MEK) aufweisen, und akzeptieren die sich daraus ergebende Konsequenz, dass impure sets – und sämtliche Artefakte – keine abstrakten Gegenstände sind. Oder wir räumen den als paradigmatisch geltenden Beispielen für Abstrakta ein Privileg ein und passen unsere Charakterisierung von Abstrakta entsprechend an, sodass (MZ) und (MEK) nicht mehr als notwendige Voraussetzungen für die Abstraktheit eines Gegenstands gelten. Wollen wir nun also 118 Auch
Rosen zufolge ist es plausibel, »that an impure set exists at a time only when its members exist at that time« (Rosen 2014, 7). Nichtsdestotrotz rechnet Rosen damit, dass ein impure set »also presumably an abstract entity« ist (Rosen 2014, 7). 119 Diese Auffassung vertritt auch Rosen: »[I]mpure sets [...] come into being when their concrete urelements are created. These items are clearly effects in some good sense; yet they remain abstract if they exist at all« (Rosen 2014, 13; Herv. i. O.).
Zur Ontologie der Artefakte
eine bestimmte Charakterisierung priorisieren oder die als paradigmatisch geltenden Beispiele? Geben wir einer Charakterisierung abstrakter Gegenstände den Vorzug, die Entitäten ausschließt, deren Status als Abstrakta allgemein anerkannt ist, so ist fraglich, wie sich dies begründen lässt. Wir können nicht einmal darauf verweisen, dass diese Charakterisierung unter Philosoph_innen unumstritten ist, denn dies ist keineswegs der Fall – die fragliche Charakterisierung steht neben einer Reihe von anderen Charakterisierungen, von denen keine für sich beanspruchen kann, die philosophische Standard-Auffassung von Abstrakta zu sein. Selbst wenn die Charakterisierung den Status einer unumstrittenen Standard-Auffassung hätte, wäre sie im Übrigen keineswegs unanfechtbar – dies hat uns der Einfluss der Gettier-Fälle auf den Status der damaligen Standard-Konzeption des Wissens eindrücklich vor Augen geführt. Ein Festhalten an einer Charakterisierung, die (MZ) und (MEK) einschließt, wäre allenfalls mit einem theoretischen Mehrwert der Charakterisierung zu rechtfertigen. Worin der Mehrwert einer Charakterisierung bestehen sollte, die an (MZ) und (MEK) festhält, ist jedoch nicht ersichtlich. Meinem Verständnis nach zielt das Projekt der philosophischen Erforschung abstrakter Gegenstände vielmehr darauf ab, eine Unterscheidung, die wir intuitiv treffen, indem wir Gegenstände der Kategorie des Abstrakten oder der Kategorie des Konkreten zuordnen, in einer einleuchtenden und theoretisch fruchtbaren Weise explizit zu machen, ohne dabei die unstrittige Zuordnung der Beispiele zu den beiden Kategorien zu unterwandern (und sei es auch nur teilweise).120 Denn unser Erkenntnisinteresse richtet sich ja gerade auf diejenigen Gegenstände, die uns als paradigmatische Beispiele für Abstrakta gelten: Wir suchen nach den Gemeinsamkeiten von Zahlen, Mengen, Propositionen, Begriffen und Eigenschaften. Wenn wir die Charakterisierungsversuche als Annäherungen an diese Gegenstände verstehen, so sollte uns eine Charakterisierung, die paradigmatische Beispiele ausschließt und deren theoretischer Mehrwert nicht klar ersichtlich ist, als suspekt erscheinen. Aus diesem Grunde ist die zweite Reaktion der ersten vorzuziehen: Die zweite Reaktion trägt dem Umstand Rechnung, dass einige der uns interessierenden Gegenstände – darunter impure sets – durchaus in der Zeit existieren und (evtl. indirekt121) für kausale Kräfte empfänglich sind, 120 Die
Relevanz der Beispiele für die Plausibilität einer Explikation der Unterscheidung zwischen Abstrakta und Konkreta hebt auch Rosen hervor: »Any plausible account will classify the paradigm cases in the standard way, and any interesting account will draw a clear and philosophically significant line in the domain of objects« (Rosen 2014, 2). 121 Eine schöne Beschreibung, wie Entitäten, die sich schwerlich zu den Konkreta rechnen lassen, jedenfalls indirekt für kausale Kräfte empfänglich sein können, gibt
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ohne uns zu zwingen, diese Gegenstände in die Kategorie der Konkreta einzuordnen.122 Die Existenz geschaffener Abstrakta anzuzweifeln, weil ihre Annahme mit einer Charakterisierung konfligiert, die (MZ) und (MEK) voraussetzt, erscheint somit im Lichte der mangelnden Überzeugungskraft einer solchen Charakterisierung nicht als plausibel. Sind (MZ) und (MEK) jedoch nicht notwendig für Abstraktheit, so besteht kein Problem mehr damit, von der Existenz von Design-Plänen als geschaffenen Abstrakta auszugehen. Gottlob Frege zum Schluss seiner Studie Der Gedanke (Frege 1993, 53): »Freilich ist der Gedanke nicht etwas, was man wirklich zu nennen gewohnt ist. Die Welt des Wirklichen ist eine Welt, in der dieses auf jenes wirkt es verändert und selbst wieder Gegenwirkungen erfährt und dadurch verändert wird. Alles das ist ein Geschehen in der Zeit. Was zeitlos und unveränderlich ist, werden wir schwerlich als wirklich anerkennen. [...] Und doch! Welchen Wert könnte das ewig Unveränderliche für uns haben, das Wirkungen weder erfahren noch auf uns haben könnte? Etwas ganz und in jeder Hinsicht Unwirksames wäre auch ganz unwirklich und für uns nicht vorhanden. Selbst das Zeitlose muß irgendwie mit der Zeitlichkeit verflochten sein, wenn es uns etwas sein soll. Was wäre ein Gedanke für mich, der nie von mir gefaßt würde! Dadurch aber, daß ich einen Gedanken fasse, trete ich zu ihm in eine Beziehung und er zu mir. [...] Wie wirkt ein Gedanke? Dadurch, daß er gefaßt und für wahr gehalten wird. Das ist ein Vorgang in der Innenwelt eines Denkenden, der weitere Folgen in dieser Innenwelt haben kann, die, auf das Gebiet des Willens übergreifend, sich auch in der Außenwelt bemerkbar machen. Wenn ich z. B. den Gedanken fasse, den wir im pythagoreischen Lehrsatze aussprechen, so kann die Folge sein, daß ich ihn als wahr anerkenne, und weiter, daß ich ihn anwende, einen Beschluß fassend, der Beschleunigung von Massen bewirkt. [...] Man teilt einen Gedanken mit. Wie geschieht das? Man bewirkt Veränderungen in der gemeinsamen Außenwelt, die, von dem andern wahrgenommen, ihn veranlassen sollen, einen Gedanken zu fassen und ihn für wahr zu halten. [...] Und doch sind wir geneigt, die Gedanken für unwirklich zu halten, weil sie bei den Vorgängen untätig erscheinen, während das Denken, Urteilen, Aussprechen, Verstehen, alles Tun dabei Sache der Menschen ist. Wie ganz anders wirklich erscheint doch ein Hammer, verglichen mit einem Gedanken! Wie anders ist der Vorgang beim Überreichen eines Hammers als bei der Mitteilung eines Gedankens! Der Hammer geht aus einem Machtbereich in einen andern über, er wird ergriffen, erfährt dabei einen Druck, dadurch wird seine Dichte, die Lagerung seiner Teile stellenweise geändert. Von alledem hat man beim Gedanken eigentlich nichts. Der Gedanke verläßt bei der Mitteilung das Machtgebiet des Mitteilenden nicht; denn im Grunde hat der Mensch keine Macht über ihn. Indem der Gedanke gefaßt wird, bewirkt er Veränderungen zunächst nur in der Innenwelt des Fassenden; doch bleibt er selbst im Kerne seines Wesens davon unberührt [...] Die Gedanken sind nicht durchaus unwirklich, aber ihre Wirklichkeit ist ganz anderer Art als die der Dinge. Und ihr Wirken wird ausgelöst durch ein Tun der Denkenden, ohne das sie wirkungslos wären [...].« 122 Denn »it is widely supposed that sets and classes are abstract entities – even the impure sets whose urelements are concrete objects. Any account of the abstract/concrete distinction that places set-theoretic constructions like {Alfred, {Betty, {Charlie, Deborah}}} on the concrete side of the line will be seriously at odds with standard usage« (Rosen 2014, 7).
Zur Ontologie der Artefakte
Wie sich gezeigt hat, vermögen die Gründe für beide Arten von Zweifeln, die Philosoph_innen an der Existenz geschaffener Abstrakta hegen, nicht zu überzeugen. Die Annahme, dass es Design-Pläne geben kann, wird also durch diese Zweifel nicht gefährdet. Daraus, dass dieser Annahme keine zwingenden Gründe entgegenstehen, folgt aber freilich noch nicht, dass es theoretisch zielführend und fruchtbar ist, sie zu machen. Daher werde ich im Folgenden darlegen, warum wir um die Annahme der Existenz abstrakter Artefakte nicht herumkommen, wenn wir eine überzeugende Theorie der Artefakte entwickeln wollen. Artefaktphilosophische Gründe für die Annahme der Existenz abstrakter Artefakte
Der Auffassung, dass einige Artefakte abstrakt sind, ist gegenüber der Auffassung, dass es keine geschaffenen Abstrakta gibt, der Vorzug zu geben – dafür werde ich nachfolgend zwei artefaktphilosophische Gründe anführen. Beiden Gründen liegt die Auffassung zugrunde, dass eine angemessene und überzeugende Artefaktphilosophie unserer Praxis im Umgang mit Artefakten, unserer Rede von Artefakten und unseren Intuitionen im Hinblick auf diese Entitäten, ihre Entstehung und ihr Verhältnis zueinander Rechnung tragen sollte. Aus meiner Begründung der artefaktphilosophischen Vorteile der Auffassung, dass es abstrakte Artefakte gibt, sowie den im Vorhergehenden vorgelegten Argumenten gegen die Zweifel an der Existenz dieser Gegenstände ergeben sich zugleich die Bausteine meines Verständnisses dessen, was Design-Pläne als abstrakte Artefakte auszeichnet. Um dieses Verständnis explizit zu machen, trage ich die Resultate meiner Überlegungen abschließend in einer Charakterisierung von Design-Plänen als abstrakten Artefakten zusammen. Der erste artefaktphilosophische Grund, der für die Annahme der Existenz von Design-Plänen als geschaffenen Abstrakta spricht, betrifft den Status dieser Objekte als Abstrakta. Betrachten wir etwa Werke der Musik oder der Literatur, aber auch Kochbücher oder Konstruktionspläne: Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass es sich bei diesen Gegenständen um realisierbare Entitäten handelt, deren Realisierungen konkrete Artefakte sind. So besteht die Realisierung eines Werks der Literatur wie Der Spiegel im Spiegel von Michael Ende in einem konkreten Artefakt, einem Buch. Realisierbare Artefakte können prinzipiell mehrfach realisiert werden: Von Der Spiegel im Spiegel gibt es mein Exemplar, das Exemplar, das ich an einen Freund verschenkt habe, usw. Dass wir es bei dem Buch, das in meinem Besitz ist, und bei dem Buch, das sich im Besitz meines Freundes befindet, mit Exemplaren ein und desselben
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literarischen Werks zu tun haben, zeigt sich in unserem Umgang mit diesen Büchern: Wollen wir Der Spiegel im Spiegel lesen, halten wir es zu Recht für unerheblich, zu welchem der beiden Bücher wir greifen (– dies freilich unter dem Vorbehalt, dass es sich um dieselbe Ausgabe handelt). Denn wir gehen gerechtfertigterweise davon aus, dass beide Bücher notational identisch sind. Diese notationale Identität ist kein Zufall: Haben wir es mit zwei Exemplaren von Der Spiegel im Spiegel in deutscher Sprache und derselben Ausgabe zu tun, so ist die notationale Identität zwingend – eine Abweichung, die etwa durch einen Druckfehler zustande kommt, lässt sich zu Recht als Fehler kennzeichnen.123 Alle Exemplare von Der Spiegel im Spiegel verbindet etwas miteinander, nämlich die Abhängigkeit von einem gemeinsamen Nenner – einem Design-Plan, der das Werk Der Spiegel im Spiegel ausmacht. Wollen wir den soeben getroffenen Feststellungen gerecht werden, so erscheint es prima facie als angemessen, Design-Pläne als abstrakte Gegenstände aufzufassen, die in konkreten Artefakten realisiert sind. Gibt es eine Alternative zu der Auffassung, dass alle Design-Pläne Ab strakta und alle konkreten Artefakte ihre Realisierungen sind? Ganz auf Abstrakta zu verzichten erscheint nicht als aussichtsreiche artefaktphilosophische Strategie: Es ist nicht ersichtlich, wie eine Artefaktphilosophie, die allein Konkreta einschließt, dem Umstand sollte gerecht werden können, dass zwei Exemplare von Der Spiegel im Spiegel oder auch zwei Exemplare der Saftpresse Juicy Salif von Philippe Starck jeweils einen gemeinsamen Nenner haben, der sie untrennbar miteinander verbindet. Dies zeigt sich, wenn wir drei der vier Varianten124 des kunstontologischen Physizismus, die Reinold Schmücker unterscheidet125, auf Artefakte generell erweitern und Schmückers Kritik daran ernstnehmen: Gemäß der ersten Variante, die Schmücker als pluralischen Physizismus bezeichnet, besteht zwischen den 123 In
diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie viele Fehler, d. h. wie viele Abweichungen vom Design-Plan ein konkretes Objekt haben darf, um noch als Exemplar zu zählen, das diesen Design-Plan realisiert. Auf diese Frage gehe ich in Abschnitt 2.2.2 ein. 124 Diese drei Varianten des kunstontologischen Physizismus stimmen darin überein, dass ihnen zufolge »Kunstwerke physische Objekte sind« (Schmücker 2014, 171), wobei jede Variante auf andere Weise ausbuchstabiert, wie diese These zu verstehen ist. Ich verstehe den Ausdruck »physisch« an dieser Stelle als Synonym des Ausdrucks »konkret«. Auf die vierte Variante (die Schmücker an zweiter Stelle diskutiert, vgl. Schmücker 2014, 174 f.) komme ich im Folgenden zu sprechen, wenn es um die Frage geht, ob sich DesignPläne nicht auch als Klassen statt als Typen auffassen lassen – diese Variante ist nämlich, wie Schmücker einräumt, »gar keine physizistische Auffassung im strikten Sinn« (Schmücker 2014, 174), da sie auf Klassen Bezug nimmt, die selbst keine konkreten bzw. physischen Entitäten sind. 125 Vgl. Schmücker 2014, 172.
Zur Ontologie der Artefakte
vermeintlichen Exemplaren126 eines Kunstwerks und dem Kunstwerk selbst eine Identitätsrelation – sowohl mein Buch als auch das meines Freundes wären demzufolge mit dem literarischen Werk Der Spiegel im Spiegel identisch. Erweitern wir diese Position auf Artefakte insgesamt, so müssen wir außerdem sagen, dass die in diversen Design-Fachgeschäften angebotenen, von Philippe Starck gestalteten Saftpressen mit Juicy Salif identisch sind. Was ich als Design-Plan bezeichnet habe, wäre somit mit einem jeden Gegenstand identisch, der sich als Exemplar dieses Design-Plans auffassen lässt. Dieser artefaktontologische pluralische Physizismus ist jedoch alles andere als überzeugend, denn aus der Transitivität und Symmetrie der Identitäts relation folgt, dass auch zwei Gegenstände, die sich als Exemplare desselben Werks auffassen lassen, miteinander identisch sind – dies allerdings ist ohne Frage eine unhaltbare Schlussfolgerung, denn zwei physische Gegenstände mit unterschiedlichen raumzeitlichen Koordinaten können nicht miteinander identisch sein127: Zwischen meinem Buch und dem meines Freundes besteht klarerweise keine Identität, und die in meinem Besitz befindliche Saftpresse Juicy Salif ist offenkundig auch nicht identisch mit derjenigen Saftpresse, die man im Rahmen der Ausstellung »Classic/Fantastic: Selections from the Modern Design Collection« vom 21. Dezember 2007 bis zum 5. April 2009 im Metropolitan Museum of Modern Art bewundern konnte. Der artefaktontologische pluralische Physizismus stellt also keine sonderlich aussichtsreiche Möglichkeit dar, um einer auf Konkreta beschränkten Artefaktphilosophie das Wort zu reden. Gemäß der zweiten Variante, dem mereologischen Physizismus, ist ein Kunstwerk die mereologische Summe derjenigen Gegenstände, die uns als seine Exemplare gelten. Mein Buch und das meines Freundes gehören also beide zum literarischen Werk Der Spiegel im Spiegel, das sich jedoch nicht in diesen beiden Büchern erschöpft, sondern auch eine ganze Reihe von Büchern mit einschließt, die sich im Besitz anderer Leser_innen, in Buchhandlungen und in Antiquariaten befinden. Übertragen wir diese Auffassung auf Artefakte insgesamt, so können wir sagen, dass es die mereologische Summe aus meiner Saftpresse, der seinerzeit im Met ausgestellten Saftpresse sowie allerlei Saftpressen in diversen Design-Fachgeschäften ist, die wir als Juicy Salif bezeichnen. Aber auch ein artefaktontologischer Physizismus mit mereologischer Ausrichtung vermag nicht zu überzeugen. Denn es dürfte unstreitig 126 Ich
spreche hier und im Folgenden von »vermeintlichen Exemplaren«, weil die Rede von Exemplaren nach meinem Verständnis bereits voraussetzt, dass es sich um ein Exemplar von etwas handelt, sodass diese Redeweise eine duale Artefaktontologie präsupponiert. 127 Vgl. Schmücker 2014, 173.
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sein, dass eines der Bücher, die vermeintlich das Werk Der Spiegel im Spiegel konstituieren, vernichtet werden kann, ohne dass dadurch zugleich die Inte grität des literarischen Werks Der Spiegel im Spiegel in Mitleidenschaft gezogen würde128: Wenn mein Buch beim Lesen in der Badewanne ins Wasser fällt und die Seiten so stark aufweichen, dass sie zusammenkleben, sodass vom Buch am Ende nichts übrig bleibt als ein Klumpen aus verklebtem Papier, dann trägt das literarische Werk Der Spiegel im Spiegel dadurch keinerlei Schaden davon.129 Ebenso könnte ich meine Saftpresse einschmelzen, ohne dass Juicy Salif dadurch einen Schaden nähme.130 Ein artefaktontologischer mereologischer Physizimus bringt also unplausible Konsequenzen mit sich und eignet sich daher nicht als Fundament einer allein auf konkrete Artefakte beschränkten Artefaktphilosophie. 128 Vgl.
Schmücker 2014, 175. den ersten Blick drängt sich ein weiteres Argument gegen den mereologischen Physizimus auf, das die Pointe der teilweisen Zerstörung eines Werks durch die Zerstörung seiner Exemplare weiterdenkt: Einer Auffassung zufolge, die in der Philosophie weit verbreitet zu sein scheint (vgl. van Inwagen 2006, 614) zeichnen sich mereologische Summen dadurch aus, dass ihre Teile für sie konstitutiv sind. Wird ein Teil vernichtet oder kommt ein weiterer Teil hinzu, so haben wir es fortan mit einer anderen mereologischen Summe zu tun. Träfe diese Auffassung zu, so wäre es ein Resultat der Zerstörung meines Buchs, dass das Werk Der Spiegel im Spiegel nicht mehr existierte – an seine Stelle träte ein neues Werk. Auch das Drucken einer neuen Auflage hätte die Folge, dass ein neues Werk entstünde. So bestechend dieses Argument auf den ersten Blick erscheint, kann es jedoch im Letzten nicht überzeugen, denn die These, dass mereologische Summen eine Änderung ihrer Teile nicht überstehen, erweist sich bei näherer Betrachtung als zweifelhaft. Dies wird deutlich, wenn wir uns klar machen, dass wir jedes Objekt, das Teile hat, als merelogische Summe auffassen können: »[I]f every object (every object that has parts, that has even itself as a part) is a mereological sum, every object that can change its parts is a mereological sum that can change its parts. And, since the statement ›Some objects can change their parts‹ involves no conceptual confusion, neither does the statement ›Some mereological sums can change their parts‹« (van Inwagen 2006, 618). 130 Schmücker führt noch ein weiteres Argument gegen den mereologischen Physizismus an: Es sei möglich, Urteile über einzelne Exemplare zu fällen, die nicht das Werk selbst beträfen. So könne ich etwa eine Aufführung der Eroica verreißen, ohne dass dies zugleich ein Verriss der Eroica selbst sei (vgl. Schmücker 2014, 175). Dieses Argument halte ich jedoch nicht für überzeugend, denn mir leuchtet nicht ein, warum mereologische Physizist_innen sollte behaupten müssen, dass »jedes Urteil, das eine Kunstmanifestation provoziert, zugleich das Werk [trifft], das sich in ihr manifestiert« (Schmücker 2014, 175): Schließlich verstehen mereologische Physizist_innen die Aufführung der Eroica als Teil des Kunstwerks Eroica. Warum aber sollten sie gezwungen sein, mit einem Urteil über einen Teil des Werks zugleich über das Werk selbst in toto zu urteilen? Ein Verriss einer einzelnen Aufführung wäre lediglich der Verriss eines Teils dieses Werks, der für die Gesamtbewertung des Werks nicht signifikant ins Gewicht fallen muss: Wenn es von der Eroica 1000 Aufführungen gibt, von denen zwei verrissen und 998 gefeiert werden, so sind die beiden Verrisse für die Bewertung des Gesamtwerks nicht erheblich. 129 Auf
Zur Ontologie der Artefakte
Mehrere physische Objekte als ein Werk oder Artefakt aufzufassen erweist sich somit als schwieriges Unterfangen. Aber könnte die Klasse der Artefakte nicht auch aus einzelnen physischen Objekten bestehen? Dies erschiene nur als aussichtsreich, wenn damit der Bedingung genüge getan werden könnte, die zu Anfang formuliert worden ist: Eine Auffassung, die ausschließlich einzelne Konkreta als Werke bzw. Artefakte identifiziert, müsste dennoch den Verbindungen gerecht werden, die mein Buch und das meines Freundes sowie meine Saftpresse und die im Met ausgestellte Saftpresse jeweils zueinander haben. Eine dritte Variante des Physizismus scheint diesen Verbindungen auf den ersten Blick Rechnung zu tragen – betrachten wir diese Variante einmal genauer: Die von Schmücker als originalistischer Physizismus bezeichnete Position macht als Kunstwerk dasjenige konkrete Objekt aus, das »als Original des Kunstwerks angesehen werden kann«131. Zu den Originalen im hier einschlägigen Sinne zählt Schmücker »Autographen, Erstdrucke, Originalgemälde, Uraufführungen, Premieren usw.«132. Wie aber erklärt die_der originalistische Physizist_in die besondere Verbindung zwischen meinem Buch und dem meines Freundes? Die Antwort liegt in der Relation der vermeintlichen Exemplare eines Werks zum Original: Es muss sich bei ihnen um Kopien des Originals handeln.133 Dies lässt sich am Beispiel der Bücher von mir und meinem Freund illustrieren: Beim Kunstwerk Der Spiegel im Spiegel dürfte es sich aus der Sicht der originalistischen Physizist_innen um das von Michael Ende verfasste Originalmanuskript handeln. Dass mein Buch und das meines Freundes etwas Entscheidendes miteinander verbindet, soll sich nun dadurch erklären lassen, dass uns beide Bücher aufgrund ihres Status als Kopien des originalen Kunstwerks einen vermittelten Zugriff auf das Kunstwerk selbst erlauben: Es ist unerheblich, ob ich das Originalmanuskript lese oder das in meinem Besitz befindliche Buch – in beiden Fällen kann ich gerechtfertigterweise behaupten, das literarische Werk Der Spiegel im Spiegel rezipiert zu haben. Ein originalistischer Physizismus, der auf Artefakte generell bezogen ist, steht vor der Herausforderung, jeweils zu identifizieren, welcher Gegenstand das Original ist. Nehmen wir einmal an, dass im Falle von Juicy Salif das Original der Prototyp der Saftpresse ist. Die Verbindung zwischen meiner Saftpresse und der im Met ausgestellten Saftpresse erklärt sich also durch die Kopierelation, die beide Pressen jeweils zu diesem Prototyp haben. Der originalistische Physizimus kann jedoch aus zwei Gründen nicht überzeugen. Denn zum einen ist nicht immer klar, was uns als Original gelten 131 Schmücker
2014, 176. 2014, 176. 133 Vgl. Schmücker 2014, 177. 132 Schmücker
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sollte: Was ist etwa das Original, das wir mit dem zweiten Teil der Suite von A Love Supreme des Jazz-Saxophonisten John Coltrane zu identifizieren haben? Die vierteilige Suite wurde im Rahmen einer eintägigen Session aufgenommen, allerdings wurde der erste Take dieses zweiten Teils, Resolution, nicht für das Album verwendet. Ist nun dieser Take, der die Erstaufführung des Stücks darstellt, das Original? Oder ist der Take, der es auf das Album geschafft hat und dessen Autorisierung durch Coltrane damit offenkundig ist, das Original? Beide Antworten scheinen denkbar, und es fällt schwer, eine Entscheidung für eine der beiden zu fällen.134 Aber selbst, wenn wir das Original stets eindeutig identifizieren könnten, wäre mit dem originalistischen Physizimus dennoch nicht allzu viel gewonnen. Denn zum anderen müssen nicht alle Gegenstände, die wir als Exemplare eines Werks begreifen, tatsächlich Kopien des – oder eines – Originals sein: So wäre es »abwegig, in allen weiteren Aufführungen einer Komposition Duplikate oder Wiederholungen ihrer Uraufführung zu erblicken«135. Selbst das stark abgeschwächte Kriterium, dass ein Objekt als Kopie aufgefasst werden könnte, hilft nicht weiter. Denn es ist denkbar, dass ein Gegenstand als Kopie von einem Original durchgeht, ohne mit dem Original auch nur das Geringste zu tun zu haben. Die signifikante Ähnlichkeit eines Gegenstands zu einem Original könnte nämlich bloßer Zufall sein. Eine solche Ähnlichkeit kann prinzipiell sogar ohne intentionales Handeln zustande kommen: Gemäß dem Infinite Monkey Theorem ist es möglich, dass ein Affe, der unendlich lange ziellos auf einer Schreibmaschine herumtippt, dabei Buchstabe für Buchstabe etwas erzeugt, das der gesamten Weltliteratur entspricht.136 Die vom Affen erzeugten Buchstaben mögen sich zwar auf einem Stapel von Papieren zu etwas anordnen, das mit Lessings Nathan der Weise notational identisch ist. Das vom Affen hervorgebrachte Schriftstück könnte somit sehr wohl eine Kopie des Originalmanuskripts von Nathan der Weise sein – allerdings besteht zwischen ihm und dem Exemplar des Dramas in meinem Bücherregal ein entscheiden134 Schmücker
diskutiert im Hinblick auf Musikwerke noch eine weitere Kandidatin für das Original, nämlich die Partitur, die er – ebenso wie die Aufführung – als Exemplar des musikalischen Werks versteht (vgl. Schmücker 2014, 178). Allerdings leuchtet mir nicht ein, warum die Partitur sich als Exemplar oder Original eines musikalischen Werks sollte verstehen lassen. Denn Partitur und Aufführung sind offenkundig zwei völlig unterschiedliche Entitäten, die sich allenfalls in einem je grundlegend unterschiedlichen Wortsinn beide als Exemplare bezeichnen lassen: Partituren veranschaulichen eine Komposition; Aufführungen hingegen realisieren sie. Aus diesem Grunde spreche ich bezüglich Musikwerken nur von Aufführungen als Exemplaren, von Partituren aber als Manifestationen eines Design-Plans. 135 Schmücker 2014, 180. 136 Vgl. Milbrodt 2010, 179 f.
Zur Ontologie der Artefakte
der Unterschied: Während mein Exemplar das Werk realisiert und aus diesem Grund eine wesentliche Eigenschaft mit dem Originalmanuskript teilt, hat das Schriftstück des Affen keinerlei kausale Beziehung zum Werk und mit dem Originalmanuskript nichts zu tun. Aber es sind nicht nur Zufälle denkbar, bei denen Intentionen keine Rolle spielen – wir könnten es außerdem mit dem zu tun haben, was Urheberrechtler_innen mit dem Terminus »Doppelschöpfung« bezeichnen: Ein konkretes Artefakt könnte einem anderen konkreten Artefakt signifikant ähneln, ohne dass beide auf die schöpferische Tätigkeit ein und der_desselben Urhebenden zurückzuführen sind; stattdessen könnte es sich bei den beiden Artefakten um Exemplare unterschiedlicher, je eigenständiger Design-Pläne handeln, die ihre Urheber_innen in Unkenntnis des jeweils anderen Design-Plans angefertigt haben.137 Mit dem Bezug auf eine – tatsächlich oder fiktiv bestehende – Kopierelation lässt sich also der Verbindung, die Exemplare eines Werks oder abstrakten Artefakts zueinander haben, nicht Rechnung tragen. Auch der artefaktontologische originalistische Physizimus taugt somit nicht dazu, eine Artefaktphilosophie zu plausibilisieren, in deren Gegenstandsbereich einzig Konkreta fallen. Wollen wir die Verbindungen erklären, die die zwei Bücher in meinem Bücherregal und dem meines Freundes oder die zwei Saftpressen in meiner Küche und im Met jeweils haben, so ist der Weg über abstrakte Gegenstände als tertium comparationis also vorgezeichnet.138 Damit ist jedoch noch nicht genauer gesagt, welcher Art von Abstrakta Design-Pläne angehören. In Anlehnung an Wollheim139 und Margolis140, die von abstrakten Artefakten als Typen ausgehen, schlage ich vor, Design-Pläne als Typen zu verstehen und die konkreten Artefakte, die sie realisieren, als ihre Token. Dies ist freilich nicht die einzige Möglichkeit – einer alternativen Auffassung gemäß, die
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die Doppelschöpfung keine juristische Fiktion ist, zeigt sich an den Kunst installationen ALIAS der Künstlerin Karina Smigla-Bobinski sowie Under Scan des Künstlers Rafael Lozano-Hemmer: Bei beiden Kunstinstallationen handelt es sich um interaktive Video-Installationen, bei denen die Besucher einen Schatten werfen. Laut Auskunft von Karina Smigla-Bobinski sind sie und Rafael Lozano-Hemmer sich einig, von der Installation des jeweils anderen nichts gewusst zu haben und etwa zeitgleich völlig unabhängig voneinander auf die Idee für ihre Installationen gekommen zu sein. 138 Dies ist jedenfalls der Fall, sofern es keine weitere Variante des Physizimus gibt, die es zu prüfen gälte – ich wüsste allerdings nicht, welche andere aussichtsreiche Variante des Physizismus über die hier diskutierten Varianten hinaus sollte denkbar sein können. 139 Vgl. Wollheim 1980, 50 ff. 140 Vgl. Margolis 1980.
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etwa Nelson Goodman vertritt141, sollten wir abstrakte Artefakte stattdessen als Klassen begreifen, deren Objekte konkrete Artefakte sind. Der DesignPlan Juicy Salif wäre somit diejenige Klasse, die sämtliche auf die Gestaltung von Philippe Starck zurückgehenden Saftpressen als Objekte umfasst – und der Design-Plan Der Spiegel im Spiegel wäre eine Klasse, deren Objekte einige Bücher wären, darunter meines und das meines Freundes. Diese Auffassung entspricht der Position, die Schmücker als distributiven Physizismus bezeichnet – und die streng genommen insofern »unter falscher Flagge [segelt]«142, als sie Werke als Klassen und damit gar nicht als konkrete Entitäten begreift: Der distributive Physikalismus besagt, dass ein Werk mit der Klasse derjenigen konkreten Gegenstände identisch ist, die sich als Exemplare des Werks auffassen lassen.143 Gegen den distributiven Physikalismus spricht, dass sich aus ihm absurde Konsequenzen ergeben: Ein Werk wäre erst dann vollendet, wenn garantiert ist, dass zukünftig keine weiteren Realisierungen von ihm entstehen. Denn »bis dahin wäre es ein Potentiell-Unendliches, das niemandem in toto gegeben sein kann«144. Design-Pläne als Klassen zu begreifen kommt im Lichte dieser Erwägung somit nicht in Frage. Eine plausible Artefaktphilosophie muss ihren Gegenstandsbereich somit so bestimmen, dass er neben konkreten auch abstrakte Gegenstände umfasst. Wir können zudem aus guten Gründen davon ausgehen, dass es sich bei diesen abstrakten Gegenständen um Typen handelt. Damit ist jedoch die Plausibilität der Annahme, dass es Design-Pläne als geschaffene Abstrakta gibt, noch nicht erwiesen. Denn Philosoph_innen vertreten nicht selten die Auffassung, dass die plausibelste Beschreibung von musikalischen Werken u. ä. diese zwar tatsächlich als abstrakte Gegenstände charakterisiert, dass diese Gegenstände aber gerade nicht geschaffen sind, sondern stattdessen entdeckt werden.145 Träfe dies zu, so wären Design-Pläne keine Artefakte im hier einschlägigen Sinne, denn um unter den Begriff Artefakt zu fallen, muss ein Gegenstand die Bedingung (AB') erfüllen, d. h. ein Resultat geistiger oder physischer Arbeit sein. 141
Goodman geht davon aus, dass zumindest einige Werke – nämlich Werke der Musik – als Klassen aufzufassen sind: »In music, the work is the class of performances compliant with a character« (Goodman 1976, 210). Als Nominalist muss Goodman freilich davon ausgehen, dass Klassen keine abstrakten Objekte sind. Dies erscheint allerdings nicht gerade als aussichtsreiche Auffassung: Was sonst sollten Klassen sein, wenn nicht abstrakte Entitäten? 142 Schmücker 2014, 174. 143 Vgl. Schmücker 2014, 172. 144 Schmücker 2014, 174. 145 Vgl. Woltersdorff 1980, Kivy 1987.
Zur Ontologie der Artefakte
Ein Vorteil der Auffassung, dass Abstrakta wie musikalische Werke nicht geschaffen, sondern entdeckt werden, wird oftmals darin gesehen, dass diese Auffassung auch mit Charakterisierungen von Abstrakta kompatibel ist, die die Mängel (MEK) oder (MZ) als notwendige Bedingungen für Abstraktheit beinhalten: Ein Akt der Entdeckung setzt im Gegensatz zu einem Schöpfungsakt nicht voraus, dass kausale Kräfte auf diese Abstrakta wirken können. Auch ist die Auffassung, dass diese Abstrakta entdeckt werden, mit der Annahme kompatibel, dass es sich bei ihnen um ewige Entitäten handelt, die zu jeder Zeit existieren. Im Vorhergehenden hat sich zwar gezeigt, dass wir Abstrakta nicht zwingend sämtlich als nicht geschaffene Entitäten betrachten müssen. Die Frage ist nun allerdings, ob wir einige von ihnen als geschaffene Entitäten auffassen sollten. Sie als entdeckte Entitäten zu begreifen hätte den Vorteil, auch mit strikteren Charakterisierungen von Abstrakta kompatibel zu sein. Insofern ist dieses Verständnis zumindest bedenkenswert. Betrachten wir ein Werk des Musikers Kristian Matsson, der unter dem Künstlernamen »The Tallest Man on Earth« Singer-Songwriter-Musik macht. Anzunehmen, dass sein Song Love Is All von ihm entdeckt und nicht geschaffen wurde, steht im Widerspruch zu der vielfach geteilten starken Intuition, dass das Werk allererst durch einen von Matsson vollzogenen Schöpfungsakt zur Existenz gekommen ist. Aber es ist nicht allein diese Intuition, die gegen die Auffassung spricht, dass Love Is All und ähnliche Entitäten entdeckt und nicht geschaffen werden. Denn wer die Auffassung vertritt, dass diese Entitäten entdeckt werden, kann darüber hinaus einem schwerwiegenden ontologischen Problem nicht entgehen: Nehmen wir an, dass Love Is All ewig existiert und von Matsson zu einem Zeitpunkt vor dem Jahr 2010, dem Erscheinungsjahr des Albums, auf dem der Song zu finden ist, entdeckt wurde. Wenn wir Matsson schon nicht zubilligen wollen, dass er Love Is All geschaffen hat, so werden wir ihm zumindest nicht absprechen, dass er sich für eine ganz bestimmte Version des Songs entschieden hat: Es erscheint als plausibel, dass der Song auch anders hätte sein können, etwa in einer anderen Tonart, er hätte schneller oder langsamer sein oder noch eine weitere Strophe haben können. Für jede einzelne Eigenschaft des Songs dürfte gelten, dass er sie ebenso gut nicht hätte aufweisen können. Die Ausgangssituation Matssons vor der Entdeckung von Love Is All wäre somit so zu beschreiben, dass er inmitten einer Unzahl möglicher Versionen von Love Is All die Version entdeckt und ausgewählt hat, die jetzt auf dem Album The Wild Hunt zu finden ist. Wenn alle diese möglichen Versionen aber ewig existieren, dann ergibt sich daraus förmlich eine ontologische Explosion: Allein die ewig und damit auch in diesem Augenblick existierenden verschiedenen möglichen Versionen von Love Is All wären äußerst zahlreich – zusammengenommen dürften
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Was ist ein Artefakt?
die möglichen Versionen der Gesamtheit aller Werke bzw. Artefakte jeden denkbaren ontologischen Rahmen sprengen. Daraus ergibt sich der zweite artefaktphilosophische Grund für die Annahme, dass es geschaffene Abstrakta gibt: Es ist im Lichte der vorgebrachten Argumente kaum zu leugnen, dass die aufgeführten Gegenstände – Werke der Musik und der Literatur sowie Kochbücher und Konstruktionspläne – nicht entdeckt sind, sondern geschaffen. Damit kommen wir zu folgender Charakterisierung von Design-Plänen: Design-Pläne sind abstrakte Artefakte, d. h. Entitäten, die von einer_einem Urheber_in geschaffen werden, und die manifestiert sowie in Form konkreter Artefakte realisiert werden können. Mit anderen Abstrakta – wie etwa Zahlen – haben sie gemein, dass sie nicht im Raum existieren und selbst keine kausalen Kräfte entfalten können. Anders als andere abstrakte Objekte – wie bspw. Zahlen – existieren sie jedoch als geschaffene Objekte in der Zeit und können Empfänger kausaler Kräfte sein. Die Herstellung realisierbarer abstrakter Artefakte: Das Entwerfen von Design-Plänen
Wie bei Artefakten generell spielen bei der Herstellung von Design-Plänen die Arbeit und die Intentionen ihrer Urheber_innen eine wesentliche Rolle. Dabei ist es vor allem geistige Arbeit, die für die Entstehung dieser Entitäten relevant ist: Für die Herstellung von Design-Plänen sind stets geistige Anstrengungen erforderlich. Betrachten wir zur Illustration meine Gitarre sowie den Design-Plan, den sie instanziiert. Während die Herstellung meiner Gitarre physische Arbeit voraussetzt – das Zuschneiden und Zusammenfügen einzelner Teile aus Holz, das Anschrauben der Mechanik, Aufziehen der Saiten usw. –, ist für die Herstellung des Design-Plans, den meine Gitarre instanziiert, in erster Linie geistige Arbeit vonnöten, etwa in Form des Nachdenkens über mögliche Eigenschaften der zu bauenden Gitarre, darunter die Größe, die Form, die Art des zu verwendenden Holzes u. ä., des Abwägens, welche dieser Eigenschaften für die Gitarre sinnvoll wären und des Entscheidens, welche Eigenschaften die Gitarre letzten Endes haben soll.146 Die Eigenschaften des Design-Plans werden durch die Intentionen ihres_seines Urhebenden festgelegt: Die_der Urheber_in entscheidet darüber, welche Voraussetzungen ein Design-Plan an seine Realisierungen stellt. Aber auch physische Arbeit kann bei der Entstehung eines Design-Plans eine Rolle spielen: Viele Design146 Die
Entscheidung, die am Ende dieses Prozesses steht, bezeichnet Reicher als Schaf fensakt (vgl. Reicher 2013, 225).
Zur Ontologie der Artefakte
Pläne entstehen nicht im Lehnstuhl oder am Reißbrett, sondern im Rahmen eines Prozesses, der die physische Einwirkung auf Materialien einschließt, etwa in Form des Herumprobierens, welches Material als geeignet erscheint o. ä. Im Falle meiner Gitarre kann bspw. zunächst ein anderes Holz gewählt und zugeschnitten, dann aber verworfen werden, und auf der Grundlage verschiedener Versuche kann die_der Gitarrenbauer_in letztlich die Eigenschaften des Design-Plans für die Gitarre intentional festlegen. Ist durch die geistigen – und ggf. physischen – Anstrengungen einer_eines Urhebenden erst einmal ein Design-Plan entstanden, so steht seiner Manifestation sowie seiner Realisierung nichts mehr entgegen. Das Verhältnis von Design-Plänen zu ihren Manifestationen und Realisierungen147
Design-Pläne können in konkreten Gegenständen manifestiert sein, dies ist aber für die Herstellung sie realisierender Exemplare keine notwendige Voraussetzung: Angenommen, ich möchte einen Tisch bauen. Damit mir dies gelingt, muss ich zuvor nicht unbedingt eine Zeichnung anfertigen, in der sich mein Design-Plan für den Tisch niederschlägt. Sofern ich über die nötige Vorstellungskraft und das entsprechende handwerkliche Wissen verfüge, kann ich den Tisch auch ›aus dem Kopf‹ bauen. Viele Design-Pläne sind uns allerdings durchaus in konkreter Gestalt zugänglich, etwa als Zeichnungen, Beschreibungen, Anleitungen, Partituren, Prototypen, Muster o. ä. Zu beachten ist hierbei, dass etwas nur dann als Manifestation gelten kann, wenn es den abstrakten Design-Plan in aller Vollständigkeit wiedergibt. Das Verhältnis des Design-Plans zu seinen materiellen Manifestationen sollte allerdings nicht mit dem Verhältnis des Design-Plans zu seinen Exemplaren verwechselt werden. Außer im Falle von Prototypen, die einen Sonderfall darstellen und auf die ich daher gleich noch einmal zu sprechen kommen werde, fallen Manifestation und Instanziierung nicht zusammen – handelt es sich bei ihm nicht um einen Prototypen, so ist ein materieller Gegenstand entweder eine Manifestation oder eine Instanziierung eines Design-Plans (oder keines von beidem), aber nicht beides zugleich. Das Verhältnis des DesignPlans zu seinen materiellen Manifestationen ist ein Verhältnis der Veranschaulichung: Pläne, schriftlich verfasste Anleitungen, Partituren usw. veranschaulichen den abstrakten Design-Plan. Das Verhältnis des Design-Plans zu den Exemplaren lässt sich hingegen als Instanziierungs- oder auch Realisie147
Ich spreche im Rahmen dieser Studie abwechselnd von »Realisierungen« und »Instanziierungen« – damit ist dasselbe gemeint.
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rungs-Verhältnis beschreiben: Die Exemplare instanziieren den Design-Plan, wobei es sich bei Exemplaren nicht nur um berechtigte Instanziierungen handelt, sondern zudem um genuine Instanziierungen, d. h. um Originale. Bei Prototypen handelt es sich um besondere Manifestationen von Design-Plänen, da sie zugleich Exemplare sind. Prototypen leisten somit eine spezielle Art der Veranschaulichung des Design-Plans, die Exemplifikation148: Ein Prototyp exemplifiziert die im Design-Plan als notwendig festgelegten Eigenschaften der Exemplare. Allerdings können uns keineswegs alle Exemplare als Prototypen dienen, denn Exemplare können ganz unterschiedliche Grade von Gelungenheit aufweisen. Auf ihren Status als Exemplare hat das Maß der Gelungenheit zwar keinerlei Einfluss, denn es kann auch nicht-wohlgeformte Exemplare geben: Um ein Exemplar zu sein, das einen bestimmten Design-Plan instanziiert, muss ein Gegenstand nicht unbedingt alle Eigenschaften aufweisen, die dieser Design-Plan als notwendige Eigenschaften gelungener Exemplare festlegt.149 Jedoch sind nicht-wohlgeformte Exemplare (für sich genommen150) keine Manifestationen des Design-Plans. Zudem lassen sich die im Design-Plan festgelegten notwendigen Eigenschaften zumeist nicht von den kontingenten Eigenschaften eines Exemplars unterscheiden. Ein Exemplar allein kann daher nur dann als Prototyp dienen, wenn es alle für Exemplare notwendigen Eigenschaften aufweist und diese zugleich als solche erkennen lässt. Die zwei Befähigungen151 von Design-Plan-Urheber_innen
Urheber_innen von Design-Plänen kommen zwei Befähigungen zu, die die Realisierungen der Design-Pläne, für die sie verantwortlich zeichnen, betreffen, nämlich die Befähigung zur Festlegung potenzieller Exemplar-Urheber_innen 148 Zum
Begriff der Exemplifikation vgl. Goodman 1976, 52 ff. sind also norm kinds (vgl. Wolterstorff 1980, 56). In Abschnitt 2.2.2 lege ich dar, wo die Grenze verläuft, die nicht-wohlgeformte Exemplare von solchen Gegenständen scheidet, die so wenige der im Design-Plan festgelegten Eigenschaften aufweisen, dass sie nicht mehr als Exemplare betrachtet werden können. 150 Es wäre allenfalls denkbar, dass diese nicht-wohlgeformten Exemplare als Manifestationen dienen könnten, wenn sie eine Ergänzung durch entsprechende Hinweise, Anweisungen o. ä. erhielten, die Aufschluss über sämtliche im Design-Plan festgelegten Eigenschaften zu geben vermöchte. 151 An anderer Stelle habe ich in diesem Zusammenhang noch von zwei Rechten der Design-Plan-Urhebenden gesprochen (vgl. Bahr 2013, 286) – stattdessen von Befähigungen zu sprechen, scheint mir allerdings inzwischen treffender zu sein, da Rechte von Dritten verletzt oder eingeschränkt werden können, während Befähigungen wie diese gegen die Eingriffe Dritter immun sind. 149 Design-Pläne
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und die Befähigung zur Autorisierung von Kopist_innen mit Verbreitungsabsicht. Im Folgenden werde ich jeweils darlegen, worin diese Befähigungen bestehen. Vorab sei jedoch noch darauf hingewiesen, dass Urheber_innen die beiden Befähigungen auch an Dritte übertragen können. So gibt etwa die_der Urheber_in eines Design-Plans für ein neuartiges Werkzeug mit dem Verkauf aller Rechte an diesem Werkzeug-Design-Plan auch die Befähigung an die_den Käufer_in weiter, potenzielle Exemplar-Urheber_innen zu bestimmen: Die_der Käufer_in der Rechte kann verschiedene Dritte in einer Werkstatt beschäftigen, die gemeinsam genuine Exemplare des Werkzeugs produzieren. Aber auch die Befähigung, Kopist_innen mit Verbreitungsabsicht zu autorisieren, geht auf die_den Käufer_in über: Die_der Käufer_in der Rechte am fraglichen Werkzeug-Design-Plan kann bestimmen, wer Kopien des Werkzeugs anfertigen darf, um sie zu verbreiten. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Übertragbarkeit der Rechte und damit auch der in Rede stehenden Befähigungen sich allein dem Umstand verdankt, dass Urheber_innen nur unter dieser Voraussetzung alle Möglichkeiten ausschöpfen können, von ihren Hervorbringungen in angemessener Weise zu profitieren. Die Käufer_innen der Rechte, auf die die Befähigungen übergehen, können für die Wahrung ihrer Rechte darüber hinaus keine Gründe geltend machen und erwerben diese Rechte aus diesem Grunde auch nur in eingeschränkter Form, wie sich in Abschnitt 2.3.1 zeigen wird. Die Befähigung zur Festlegung potenzieller Exemplar-Urheber_innen
Es erscheint erstens als plausibel, dass allein die_der Urheber_in eines DesignPlans (bzw. die_der Inhaber_in der Rechte daran) dazu befähigt ist, darüber zu entscheiden, wer wann und unter welchen Umständen potenziell Exemplare des fraglichen Design-Plans anfertigen kann. Ich bezeichne diese Befähigung als Befähigung zur Festlegung potenzieller Exemplar-Urheber_innen. Der Befähigung, über potenzielle Exemplar-Urheber_innen zu entscheiden, verdankt sich der Umstand, dass etwa die_der Urheber_in des Design-Plans einer innovativen Kaffeemaschine eine Reihe von Fabrikarbeiter_innen einstellen kann, die unter Berücksichtigung des Design-Plans in gemeinschaftlicher Arbeit Kaffeemaschinen herstellen, die genuine Instanziierungen dieses Plans sind. Die_der Urheber_in des Design-Plans muss somit nicht jede genuine Instanziierung ihres_seines Plans selbst herstellen. Unsere implizite Akzeptanz dieser Befähigung erklärt auch, warum Gemälde, die in Werkstätten von mehreren Personen gemalt wurden – wie bspw. einige Gemälde, die Rubens zugeschrieben werden – als Originale gelten: Solange die_der Urheber_in des Design-Plans erlaubt, dass (unter gewissen Umständen) am Produktionspro-
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zess genuiner Instanziierungen (bestimmte) Dritte beteiligt sind oder dass diese Dritten die Produktion gar alleinig ausführen, zählen auch Artefakte, die ihre Existenz wesentlich oder sogar gänzlich den Anstrengungen Dritter verdanken, als genuine Instanziierungen.152 Falls die_der Design-Plan-Urheber_in (bzw. die_der Inhaber_in der Rechte am Design-Plan) hingegen keine Dritten als potenzielle Exemplar-Urheber_innen bestimmt, so ist sie_er selbst die_der einzige, die_der genuine Instanziierungen des von ihr_ihm entwickelten Plans herstellen kann. Die Befähigung zur Autorisierung von Kopist_innen mit Verbreitungsabsicht
Die zweite Befähigung der_des Design-Plan-Urhebenden umfasst die Autorisierung solcher Kopist_innen, deren Kopien nicht nur den in Rede stehenden Design-Plan instanziieren sondern auch zur Verbreitung bestimmt sind. Diese Befähigung bezeichne ich als Befähigung zur Autorisierung von Kopist_ innen mit Verbreitungsabsicht. Auch diese Befähigung von Design-Plan-Urheber_innen erkennen wir faktisch an; so geben etwa die Creative-Commons- Lizenzverträge Urheber_innen verschiedene Möglichkeiten zur Festlegung, wer unter welchen Umständen zur Verbreitung bestimmte Kopien der von ihnen hervorgebrachten Design-Pläne anfertigen darf. Erfolgt hingegen keine Autorisierung, so können wir im Allgemeinen annehmen, dass die_der Urheber_in das Anfertigen zur Verbreitung bestimmter Kopien durch Dritte nicht duldet. Die Autorisierung von Kopist_innen mit Verbreitungsabsicht durch die_den Urheber_in muss in den meisten Fällen explizit erfolgen. Es gibt allerdings Sonderfälle, die aber auf Teilkopien beschränkt sind: In einigen Kontexten stimmt die_der Urheber_in eines Design-Plans mit der Veröffentlichung des Plans oder ihn realisierender Exemplare dem Kopieren einzelner Teile des Plans oder der Exemplare mit der Absicht, die Resultate des Kopierens zu verbreiten, konkludent zu. Wer bspw. im wissenschaftlichen Kontext etwas veröffentlicht, erteilt stillschweigend sein Einverständnis zum Kopieren und Verbreiten zumindest einzelner Teile seiner Veröffentlichung: Publiziert ein_e Wissenschaftler_in einen Text, so ist es anderen Wissenschaftler_innen erlaubt, Teile des Textes zu übernehmen, sofern sie diese 152 Ein
Beispiel für die Realisierung eines Design-Plans, die allein von vom DesignPlan-Urheber verschiedenen Dritten angefertigt wurde, ist die im Jahre 1993 angefertigte Skulptur Zusammenleben, die sich am Aasee in Münster findet. Wie der zur Information über diese Skulptur angebrachten Plakette zu entnehmen ist, wurde die Skulptur »nach dem Entwurf von Gerd Röser durch den makedonischen Künstler Demir Demiroski und den münsteraner Künstler Martin Hermanns realisiert«.
Zur Ontologie der Artefakte
Teile als Zitate und somit als Kopien kennzeichnen und auf die_den Urheber_ in des entsprechenden Originals verweisen. Diese Besonderheit erklärt sich dadurch, dass es eine Voraussetzung für den wissenschaftlichen Fortschritt darstellt, dass Wissenschaftler_innen im Rahmen ihrer zur Veröffentlichung bestimmten, eigenen Werke Teile der Werke Dritter kopieren dürfen. Denn eine Praxis, bei der die Inhaber_innen der Rechte an den kopierten Teilen der Herstellung dieser Teilkopien mit Verbreitungsabsicht stets explizit zustimmen müssten, würde den wissenschaftlichen Austausch massiv erschweren. Lässt eine legitime Kopie, die mit der Absicht zur Verbreitung angefertigt wurde, jedoch einen Verweis auf das Original vermissen, dann haben wir es meist mit einer illegitimen Kopie zu tun: Es handelt sich dann um eine Täuschungskopie153. Die Anfertigung nicht-autorisierter Kopien kann allerdings dennoch moralisch legitim sein, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird.
2.2.2 Konkrete Artefakte
Im vorhergehenden Abschnitt sind die Charakteristika von abstrakten Artefakten zur Sprache gekommen, die ich als Design-Pläne bezeichnet habe – im Mittelpunkt dieses Abschnitts stehen nun die Realisierungen dieser Pläne, Artefakte nämlich, die konkreter Natur sind. Im Gegensatz zu den Design-Plänen, die sie realisieren, sind uns konkrete Artefakte ungleich vertrauter: Wir sind beinahe immer von einer Vielzahl dieser Artefakte umgeben. Sehe ich mich um, so kann ich durch das Fenster Häuser, Straßen und Autos erblicken, und um mich herum finde ich Stühle, einen Tisch, diverse elektrische Geräte, Bücher usw. Im Alltag kommen wir beinahe unablässig mit diesen Gegenständen in Berührung, und es käme den meisten von uns wohl nicht in den Sinn, an ihrer Existenz zu zweifeln: Dass es Stühle, Tische und Häuser gibt, scheint prima facie eine unbestreitbare Tatsache zu sein. Nichtsdestotrotz sind nicht nur gegen die Existenz abstrakter, sondern auch gegen die Existenz konkreter Artefakte philosophische Argumente vorgebracht worden: Peter van Inwagen argumentiert in seinem Buch Material Beings dafür, dass wir in der Philosophie gänzlich auf die Annahme der Existenz konkreter Artefakte verzichten sollten. Seine Argumentation richtet sich nicht nur direkt gegen diese Annahme, sondern auch gegen die philosophische Rede von konkreten 153 Die
Klasse der Täuschungskopien teilt sich auf in Kopiefälschungen auf der einen und Plagiate auf der anderen Seite – Aufschluss über die Charakteristika konkreter Täuschungskopien gibt der Abschnitt 2.3.2.
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Artefakten154: Nehmen wir sprachlich auf diese Entitäten Bezug, so laufen wir laut van Inwagen Gefahr, ein basales logisches Gesetz zu verletzen.155 Wären van Inwagens Argumente triftig, so täten auch philosophische Theorien der Artefakte und der Artefaktkopien gut daran, auf die Annahme der Existenz konkreter Artefakte sowie auf die Rede über diese Gegenstände zu verzichten. Allerdings kann van Inwagens Argumentation nicht überzeugen, wie ich im Folgenden deutlich machen werde. Da die Argumente nicht zu überzeugen vermögen, sprechen keine ersichtlichen Gründe gegen die im Rahmen dieser Studie entwickelten, die Existenz konkreter Artefakte voraussetzenden und explizit sprachlich auf diese Entitäten Bezug nehmenden philosophischen Theorien der Artefakte und der Artefaktkopien. Philosophische Theorien, die Artefakte bzw. Artefaktkopien zum Gegenstand haben, sollten sogar von der Existenz konkreter Artefakte ausgehen. Denn anders als die Annahme der Existenz abstrakter Artefakte bedarf die Annahme, dass es konkrete Artefakte gibt, keiner zusätzlichen argumentativen Plausibilisierung: Dass Gegenstände wie Tische, Häuser und Autos tatsächlich existieren, entspricht dem Common Sense. Wenn wir davon ausgehen, dass wir als Philosoph_innen eine Common-Sense-Auffassung nicht ohne gute Gründe verwerfen sollten156, dann sind wir gehalten, der Existenz konkreter Artefakte im Rahmen unserer Theorien Rechnung zu tragen. 154 Vgl.
van Inwagen 2013. Van Inwagen schlägt vor, dass wir in der Philosophie die Rede von Artefakten gänzlich aufgeben und uns stattdessen eine Paraphrasierungsstrategie zueigen machen sollten, die er als Zufluchtssprache bezeichnet (vgl. van Inwagen 2013, 240). Da sich van Inwagens Bedenken hinsichtlich der Rede von Artefakten im Folgenden als haltlos erweisen, können wir jedoch guten Gewissens an der Rede von Artefakten festhalten und auf die Zufluchtssprache verzichten. 155 Wären van Inwagens Argumente überzeugend, so wäre die philosophische Rede von konkreten Artefakten nicht nur inadäquat, weil sie auf vermeintliche Entitäten Bezug nähme, die es tatsächlich gar nicht gibt, sondern auch insofern schädlich, als sie mit einem solchen Gesetz in Konflikt geriete. Letzteres folgt nicht zwingend aus ersterem: Sprechen wir in einer Weise von Einhörnern, die voraussetzt, dass Einhörner jenseits fiktiver Welten existieren, so mag es sich dabei um eine unangemessene Redeweise handeln – durch diese Redeweise werden jedoch keine logischen Gesetze verletzt. 156 Ohne Frage sind die Annahmen des Common Sense nicht sakrosankt, obgleich dies einige Philosoph_innen anzunehmen scheinen. So sieht etwa David Lewis die Aufgabe der Philosophie gerade nicht darin, diese Annahmen in Frage zu stellen oder auch nur zu rechtfertigen – die Philosophie müsse ihnen vielmehr Rechnung tragen, indem sie sie in eine Ordnung bringt (vgl. Lewis 1973, 88). Die Auffassung, dass sich die Philosophie stets dem Diktat des Common Sense zu beugen hätte, teile ich nicht. Allerdings scheint es mir eine gute Faustregel zu sein, so lange an den Annahmen des Common Sense festzuhalten, bis wir feststellen, dass ihnen stichhaltige philosophische Argumente entgegenstehen. Zu der Auffassung, dass philosophische Argumente Annahmen des Common Sense grundsätzlich stürzen können, vgl. auch Rinard 2013.
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Wir können somit zunächst einmal davon ausgehen, dass konkrete Artefakte existieren – wie aber kommen sie zur Existenz? Um angemessen beschreiben zu können, wie konkrete Artefakte hergestellt werden, müssen wir uns klar machen, inwiefern es sich bei ihrer Herstellung um das Realisieren eines Design-Plans handelt. Bereits im vorhergehenden Abschnitt haben wir uns an die Definition des Begriffs Artefakt erinnert, die auch im Hinblick auf die Entstehung von konkreten Artefakten aufschlussreich ist: Auch für diese Artefakte gilt, dass Intentionen und Arbeit wesentliche Aspekte ihrer Herstellung sind. Wie sich zeigen wird, setzt die Entstehung eines konkreten Artefakts die Intention voraus, einen bestimmten Design-Plan zu realisieren. Zudem setzt die Herstellung konkreter Artefakte – analog zur Herstellung geschaffener Abstrakta – zwingend voraus, dass geistige Arbeit verrichtet wird. Häufig kommt bei der Herstellung konkreter Artefakte auch physische Arbeit zum Einsatz, dies ist jedoch nicht notwendig, wie ich im Folgenden darlegen werde. Als Realisierungen eines Design-Plans können konkrete Artefakte ganz unterschiedliche Grade von Gelungenheit aufweisen. Allerdings erscheint es als plausibel, dass ab einem gewissen Grad der Misslungenheit nicht mehr von einer Realisierung des Design-Plans die Rede sein kann. Klare Fälle sind Entitäten, die einen Design-Plan realisieren sollen, bei deren Entstehung jedoch so viel schief läuft, dass sie keine einzige der im Design-Plan festgelegten Eigenschaften aufweisen. Es ist unstreitig, dass diese Entitäten sich nicht als Realisierungen qualifizieren. Der Status von Entitäten, denen die vom Design-Plan bestimmten Eigenschaften lediglich teilweise zukommen, ist hingegen weit weniger klar. Wo also verläuft die Grenze zwischen Entitäten, die wir gerade noch als Realisierungen eines Design-Plans akzeptieren können, und Entitäten, die sich nicht mehr als Realisierungen des Plans auffassen lassen? Auf den ersten Blick erscheint dies als eine Problematik, die sich allein auf der Grundlage rein quantitativer Maßstäbe lösen lässt: Geringe Abweichungen, die einzelne Eigenschaften betreffen, dürften schließlich in einer Vielzahl der Fälle noch nicht dazu führen, dass der Status einer Entität als Realisierung eines Design-Plans gefährdet ist. Betreffen die Abweichungen jedoch eine größere Zahl von Eigenschaften, so drohen Entitäten nicht mehr als Realisierungen in Frage zu kommen. Wie ich zeigen werde, greift diese auf rein quantitativen Maßstäben beruhende Herangehensweise jedoch zu kurz: Sogar aus der Abweichung hinsichtlich einer einzigen Eigenschaft kann sich ergeben, dass eine konkrete Entität nicht als Realisierung eines Design-Plans gelten kann. Statt eines rein quantitativen Ansatzes stelle ich daher im Folgenden einen Ansatz zur Lösung der Problematik vor, der auch qualitative Gesichtspunkte berücksichtigt.
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Betrachten wir Konkreta, für deren Entstehung die Absicht maßgeblich war, einen bestimmten Design-Plan zu realisieren, die jedoch aufgrund unabsichtlicher Abweichungen von diesem Plan nicht als dessen Realisierungen gelten können. Sofern wir diese Entitäten als Artefakte auffassen wollen157, liegt der Verdacht nahe, dass es konkrete Artefakte geben kann, die nicht mit irgendeinem Design-Plan korrespondieren. Denn diese Artefakte realisieren nicht den Design-Plan, den sie realisieren sollten. Allerdings lässt sich auch nicht überzeugend behaupten, dass sie einen anderen Design-Plan realisieren: Die fehlerhaften Abweichungen kommen kontingenterweise zustande und nicht als Resultate eines alternativen Plans. Aber nicht nur gescheiterte Realisierungen werfen die Frage auf, ob es nicht auch konkrete Artefakte geben kann, die gänzlich unabhängig von Design-Plänen sind. Schließlich finden sich unter den konkreten Artefakten nicht nur Gegenstände, bei denen es sich um je eines von vielen Exemplaren desselben Plans handelt: Einige konkrete Artefakte sind einzigartig. Dies gilt etwa für viele Gemälde und andere Unikate der Kunst sowie eine große Zahl maßgefertigter Kleidungsstücke. Wie wir in Abschnitt 2.2.1 gesehen haben, sind es vor allen Dingen multipel instanziierte Design-Pläne, die nach einer dualen Ontologie verlangen – ohne eine solche Ontologie lässt sich schließlich nicht erklären, was etwa zwei Exemplare des literarischen Werks Der Spiegel im Spiegel miteinander verbindet. Nun könnte man auf die Idee kommen, eine duale Ontologie multipel instanziierten Design-Plänen und ihren Instanziierungen vorzubehalten und für Unikate eine singulare Ontologie zu vertreten, der zufolge Unikaten kein Design-Plan vorausgeht. Ich werde jedoch zeigen, dass tatsächlich alle konkreten Artefakte als Realisierungen eines Design-Plans zu verstehen sind – es gibt keine konkreten Artefakte, die unabhängig von einem Design-Plan zur Existenz kommen. Diese Auffassung verteidige ich schließlich gegen einen rezeptionsästhetischen Einwand. Van Inwagens Skepsis hinsichtlich der Existenz konkreter Artefakte sowie der philosophischen Rede über sie158
Peter van Inwagen fordert mit seiner Skepsis hinsichtlich der Existenz konkreter Artefakte diejenigen Philosoph_innen heraus, die es für eine Selbst157 Nachfolgend
argumentiere ich dafür, dass Entitäten dieser Art nicht als Artefakte aufzufassen sind. 158 Die Überlegungen und Argumente in diesem Abschnitt gründen in Teilen auf der Argumentation in Bahr et al. 2018. Ich verdanke Christoph Fischer, Thomas Kater und Nicolas Kleinschmidt eine Vielzahl wertvoller Einsichten im Hinblick auf van Inwagens Argumentation.
Zur Ontologie der Artefakte
verständlichkeit halten, dass es derartige Gegenstände gibt.159 Er ist sich dessen bewusst, dass die Plausibilität seiner Position im Hinblick auf konkrete Artefakte keineswegs unmittelbar einleuchtend ist: Seine Auffassung, dass es keine konkreten Artefakte gibt, konfligiert nicht nur mit einer unserer basalsten Alltagsüberzeugungen, sondern wird darüber hinaus auch von einer ganzen Reihe philosophischer Theorien in Frage gestellt.160 Daher sucht er seine Leser_innen mithilfe des Arguments zu überzeugen, dass die Auffassung, dass konkrete Artefakte existieren, zu ontologischen Konsequenzen führt, die alles andere als wünschenswert sind. Im Folgenden unterziehe ich dieses Argument, das ich in Anlehnung an das in seinem Rahmen zum Tragen kommende Beispiel vom Golliewoggel als das Golliewoggel-Argument bezeichne, einer eingehenden Betrachtung. Van Inwagen ist jedoch nicht nur die philosophische Annahme der Existenz konkreter Artefakte ein Dorn im Auge, sondern auch die philosophische Rede von Tischen, Stühlen und Co., die in seinen Augen nichts als PseudoEntitäten sind. Zur Problematisierung der Rede von geschaffenen Konkreta bringt er das Argument des Hauses von Schweinchen Schlau vor. Mit diesem Argument will er zeigen, dass, wer über konkrete Artefakte spricht, mit der Verletzung eines logischen Gesetzes rechnen muss – eine Konsequenz, die vielen Philosoph_innen als inakzeptabel erscheinen dürfte. Das Golliewoggel-Argument: Unliebsame ontologische Konsequenzen der Annahme, dass konkrete Artefakte existieren?
Das Golliewoggel-Argument zielt darauf ab, diejenigen, die die Auffassung vertreten, dass konkrete Artefakte existieren, davon zu überzeugen, dass sie sich mit dieser Auffassung auf eine abwegige ontologische Konsequenz verpflichten. Das Golliewoggel-Argument hat die Form einer reductio ad absurdum161: Van Inwagen will zeigen, dass aus der Annahme, dass es kon159 Van
Inwagens radikaler Eliminativismus im Hinblick auf konkrete Artefakte ist nicht die einzige Position, die diesen Gegenständen kritisch gegenübersteht: Andere Autoren bezweifeln zwar nicht, dass es konkrete Artefakte gibt, allerdings sprechen sie Artefakten ab, dass sie autark existieren. Jansen 2013b gibt einen Überblick über Strategien zur ontologischen Marginalisierung konkreter Artefakte (darunter van Inwagens Eliminativismus, sowie Reduktions- und Supervenienzstrategien) und zeigt auf, warum diese Strategien scheitern. 160 Zu nennen sind hier vor allem die diversen philosophischen Artefakttheorien, auf die ich in Kapitel 2.1 zu sprechen gekommen bin. 161 Dies ist freilich nicht die einzige Weise, in der sich das Argument auffassen lässt. Korman etwa fasst das Argument als Willkürargument auf, das darauf abzielt, die Willkür einer Ungleichbehandlung von Gegenständen wie der Statue und Gegenständen wie
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krete Artefakte gibt, die absurde ontologische Konklusion folgt, dass das ontologische Inventar eine Unzahl ephemerer Objekte enthält, da in jedem Augenblick des Herstellungsprozesses eines Artefakts ein neues Objekt entsteht, das im nächsten Augenblick bereits wieder vergangen ist. Wie sich im Folgenden zeigen wird, spricht van Inwagens Argument jedoch keineswegs gegen eine Annahme der Existenz derjenigen konkreten Entitäten, die unter den Begriff Artefakt fallen162 – denn aus der Annahme, dass es diese Entitäten gibt, ergibt sich keineswegs die Verpflichtung, eine derart absurde Ontologie anzunehmen. Betrachten wir, um uns dies deutlich zu machen, zunächst einmal genauer, wie van Inwagen argumentiert. Wer von der Existenz konkreter Artefakte überzeugt ist, geht im Allgemeinen davon aus, dass jemand, die_der absichtlich Ton in eine bestimmte Form knetet, (jedenfalls unter bestimmten Umständen) eine Statue schafft, die es zuvor nicht gab. Das Beispiel des Tonklumpens, der durch Bearbeitung zur Statue wird, nimmt van Inwagen nun zum Ausgangspunkt, um zu zeigen, dass die Annahme, Artefakte könnten zur Existenz gebracht werden, eine absurde ontologische Konsequenz nach sich zieht: Nehmen Sie einen Tonklumpen und kneten Sie ihn in eine beliebige komplizierte Form. Nennen Sie alles, was im Wesentlichen diese Form hat, einen Golliewoggel. Haben Sie einen Golliewoggel zur Existenz gebracht? Wenn unser Bildhauer eine Statue zur Existenz gebracht hat, dann würde ich meinen, dass Sie auch einen Golliewoggel zur Existenz gebracht haben. »Statuenförmig« ist ein weniger bestimmtes Formprädikat als »golliewoggel-förmig« dem Golliewoggel offenzulegen. Entsprechend rekonstruiert Korman das Argument wie folgt: (AR33) There is no ontologically significant difference between statues and gollyswoggles. (AR34) If so, then: if there are statues then there are gollyswoggles. (AR35) There are no gollyswoggles. (AR36) So, there are no statues. (Korman 2015, 153.) Mir scheint jedoch die Auffassung des Arguments als reductio insofern angemessener zu sein, als mir in der Darstellung Kormans die Pointe von van Inwagens Argument verwässert zu werden scheint: So wie ich ihn verstehe, geht es van Inwagen nicht darum, etwas plump gegen die Existenz von Statuen zu argumentieren – er möchte vielmehr zeigen, dass jemand, der die Existenz von Statuen anerkennt, mit unerfreulichen ontologischen Folgen zu kämpfen hat und dass es deshalb empfehlenswert ist, die Annahme der Exis tenz von Statuen aufzugeben. 162 Auch die Existenz derjenigen Entitäten, die durch die meisten anderen philosophischen Artefaktbegriffe erfasst werden, wird durch van Inwagens Argument nicht in Frage gestellt, da das Vorliegen von Intentionen ebenfalls eine Voraussetzung dafür darstellt, dass etwas unter diese Begriffe fällt; vgl. hierzu auch Abschnitt 2.1.1.
Zur Ontologie der Artefakte
und zudem eines, mit dem wir etwas anfangen können; außerdem hatte unser Bildhauer die Absicht, etwas Statuen-Förmiges herzustellen, während Sie vermutlich nicht die Absicht hatten, etwas Golliewoggel-Förmiges herzustellen. Aber all dies dürfte für die Frage nach der Existenz der produzierten Dinge irrelevant sein: Wenn man durch das Kneten von Ton absichtlich eine Statue herstellen kann, dann kann man durch das Kneten von Ton auch zufälligerweise einen Golliewoggel herstellen. Wenn man aber durch das Kneten von Ton zufälligerweise einen Golliewoggel herstellen kann, dann muss es auch so sein, dass man, während man absichtslos mit den Fingern den Ton bearbeitet, die Entstehung und den Untergang einer Menge von einander in einem fort ablösenden Objekten von unendlich kurzer Dauer bewirkt. Das ist es, was mir abwegig erscheint.163
Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass die ontologische Konsequenz, auf die uns die Annahme der Existenz von Artefakten laut van Inwagen verpflichtet, alles andere als wünschenswert ist: Wenn schon das Kneten eines einzelnen Tonklumpens eine Unzahl von Objekten erzeugt, die jeweils nur für den Bruchteil einer Sekunde existieren, dann zieht nicht nur jeder Herstellungsprozess eines Artefakts, sondern auch jedes ziellose Bearbeiten von Materialien (sei es etwa das Spielen eines Kindes im Sandkasten) die Existenz einer riesigen Menge von Objekten nach sich. Diese Konsequenz ist aus zwei Gründen unattraktiv: Erstens wäre die Menge der existierenden Objekte zu jedem Zeitpunkt schier erschlagend – denn zu jedem erdenklichen Zeitpunkt ereignen sich auf der Welt diverse Vorgänge, die dem Tonkneten vergleichbar sind, aber andere Materialien betreffen, wie etwa das Bearbeiten von Holz, Glas oder Stein. Wenn zu einem Zeitpunkt t1 bei jedem der sich gerade ereignenden Vorgänge ein Objekt entsteht, dann hätten wir es mit einer außerordentlich großen Zahl von Objekten zu tun, die – zusätzlich zu Artefakten, Lebewesen und anderen Objekten, die wir von vorn herein als solche akzeptieren – zu t1 zeitgleich existieren würden. Zweitens gibt die kurze Lebensdauer der bei diesen Vorgängen vermeintlich entstehenden Gegenstände zu denken: Ein ständiges Entstehen und Vergehen einer überaus großen Anzahl ephemerer Gegenstände annehmen zu müssen erscheint nicht gerade als wünschenswert. Allerdings vermag das Golliewoggel-Argument nicht zu überzeugen, wenn es darum geht, die Annahme der Existenz konkreter Artefakte zu diskreditieren: Van Inwagens Argument sucht die Perspektive der Philosoph_innen vorauszusetzen, die von der Existenz konkreter Artefakte überzeugt sind. 163 Van
Inwagen 2013, 235.
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Allerdings verfehlt seine Argumentation ihr Ziel, da van Inwagen an einer entscheidenden Stelle einen Perspektivwechsel vornimmt, den keiner der Apologet_innen der Existenz konkreter Artefakte dürfte nachvollziehen können. Denn Intentionen sind nach ihrer Auffassung keineswegs irrelevant, wenn es darum geht, Artefakte zur Existenz zu bringen: Die Hervorbringung von Artefakten setzt Intentionen notwendig voraus – dies bringt auch die Bedingung (IB') innerhalb der Definition des Begriffs Artefakt zum Ausdruck. Es sind gerade die Intentionen, die einen wesentlichen Unterschied zwischen Statuen und Golliewoggeln ausmachen. Woraus sollte sich nun für die Apologet_innen der Existenz konkreter Artefakte eine Verpflichtung ergeben, alle Zwischenresultate innerhalb des Entstehungsprozesses eines Artefakts als neu entstandene Objekte zu würdigen? Wie sich in Abschnitt 2.1.1 gezeigt hat, ist eine Artefaktentstehung ohne Intentionen nicht denkbar. Wir können also nicht davon ausgehen, dass Intentionen für die Hervorbringung von Artefakten irrelevant sind, und sind daher keineswegs zu der Annahme verpflichtet, dass das ontologische Inventar durch jede unabsichtliche Modifikation von Materialien um ein zusätzliches Objekt erweitert wird.164 Das Golliewoggel-Argument verfehlt somit sein Ziel – Verfechter_innen der Annahme, dass es konkrete Artefakte gibt, müssen nicht die unliebsame ontologische Konsequenz fürchten, die van Inwagen ihnen unterzujubeln versucht.165 164 Nun
ließe sich freilich einwenden, dass durch das unabsichtliche Kneten durchaus ein Gegenstand zur Existenz gekommen ist, nämlich ein Golliewoggel. Bezieht sich der Name »Golliewoggel« nicht tatsächlich auf ein Objekt, das es vorher nicht gab? Und ist dieses Objekt nicht ganz ohne Intentionen in die Welt gekommen? Dieser Einwand lässt sich jedoch leicht entkräften – schließlich sind bei der Auswahl und der Benennung des unachtsam bearbeiteten Tonklumpens mit der speziellen Form durchaus Intentionen im Spiel: Es ist denkbar, dass mit der Bezeichnung des geformten Tons als »Golliewoggel« ein neues Objekt in die Welt kommt. Dies ist jedoch kein Resultat des ziel- und absichtslosen Bearbeitens des ursprünglichen Tonklumpens, sondern liegt in der absichtsvollen Auswahl und der gezielten Taufe des nämlichen Objekts begründet. An die Stelle des bearbeiteten Tonklumpens könnte auch etwas gänzlich Unbearbeitetes treten – dass sich die Form des Tons dem achtlosen Kneten verdankt, ist unerheblich, entscheidend sind allein die anschließend erfolgten absichtsvollen Akte der Auswahl und der Benennung. Auf Fälle des Schaffens konkreter Artefakte, die nicht mit physischer Modifikation von Materialien einhergehen, sondern allein im Auswählen bestehen, komme ich im Folgenden noch einmal ausführlicher zu sprechen. 165 Für den Fall, dass er die von der Existenz konkreter Artefakte Überzeugten mit dem Golliewoggel-Argument nicht umstimmen kann, hat van Inwagen Vorsorge getroffen: »Wer, dieser Überlegung zum Trotz, weiterhin geneigt ist zu glauben, dass die Statue vom Tonklumpen verschieden ist« (van Inwagen 2013, 235), dass also mit der Statue ein vom Tonklumpen verschiedenes Objekt zur Existenz kommt, den hält van Inwagen an, sich einen Fall vor Augen zu führen, in dem eine Schlange zu einer Hängematte gefloch-
Zur Ontologie der Artefakte
Van Inwagen argumentiert jedoch nicht nur auf der ontologischen Ebene, um konkrete Artefakte bei Philosoph_innen unbeliebt zu machen: Er führt außerdem ein Argument ins Feld, das die philosophische Rede von konkreten Artefakten betrifft. Könnte dieses Argument überzeugen, so wäre es Anlass genug, in der Philosophie auf die Rede von konkreten Artefakten zu ver zichten. Das Argument von Schweinchen Schlaus Haus – verletzt die Rede von konkreten Artefakten den Satz vom ausgeschlossenen Dritten?
Das Argument von Schweinchen Schlaus Haus zielt darauf ab, Philosoph_ innen davon zu überzeugen, dass die Rede von konkreten Artefakten mit der Verletzung eines basalen logischen Gesetzes – des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten – einhergeht. Da Philosoph_innen im Allgemeinen um die Wahrung solcher basalen logischen Gesetze bemüht sind, gäbe die Verletzung des Satzes von ausgeschlossenen Dritten Anlass dazu, auf die Rede von konkreten Artefakten zu verzichten – jedenfalls, sofern wir über konkrete Artefakte nicht sprechen können, ohne systematisch oder zumindest regelmäßig dieses logische Gesetz zu verletzen. Das Argument von Schweinchen Schlaus Haus nimmt ein Gedankenexperiment zum Ausgangspunkt: ten wird. Dieser Fall soll illustrieren, dass das vermeintliche Schaffen von Artefakten tatsächlich nichts als eine Neuordnung bestehender Simpla ist: Wenn wir die Schlange zur Hängematte flechten, dann haben wir »das Mobiliar der Welt nicht vermehrt, sondern es lediglich neu angeordnet« (van Inwagen 2013, 235). Stellt sich die Schlange die Frage, ob »es ein Objekt – eine Hängematte – [gibt], das numerisch von [ihr] verschieden ist, aber gegenwärtig räumlich mit [ihr] zusammenfällt« (van Inwagen 2013, 236), so kann sie, sofern sie intelligent ist, diese Frage nur mit Nein beantworten (vgl. van Inwagen 2013, 236). Laut van Inwagen täten wir gut daran, es der Schlange gleich zu tun. Dies wird jedoch von van Inwagen nicht begründet – stattdessen unternimmt er den Versuch, die Beweislast zu verschieben: »Wenn wir dem aber zustimmen, dass die Schlange vorübergehend eine Hängematte wird, dann sollten wir [...] auch der Annahme zustimmen, dass der Tonklumpen vorübergehend eine Statue […] wird. Warum aber sollten wir irgendetwas Derartiges annehmen?« (van Inwagen 2013, 236). Wie oben bereits ausgeführt, scheint mir die Antwort auf diese Frage auf der Hand zu liegen: Wir sollten etwas Derartiges annehmen, weil es der Common Sense gebietet. Sofern wir keinen Anlass haben, davon auszugehen, dass unserer Annahme triftige Gründe entgegenstehen – wie sich gezeigt hat, gibt uns das Golliewoggel-Argument jedenfalls keinen Anlass dazu –, so liegt die Beweislast nach wie vor bei van Inwagen. Kurios ist im Übrigen, dass van Inwagen im Folgenden den Status der Hängematte als Artefakt doch anzuerkennen scheint: »Es gibt also keine Tische und Stühle, und es gibt auch keine anderen Artefakte – mit der unwahrscheinlichen Ausnahme einiger weniger solcher Dinge wie unserer lebenden Hängematte« (van Inwagen 2013, 236); vgl. zu dieser überraschenden Wendung Bahr et al. 2018.
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Schweinchen Schlau hat ein Haus ganz aus Backsteinen (Simpla ehrenhalber) erbaut, aus Zehntausenden davon. Das war vor drei Generationen. Über die Jahre tauschten seine fleißigen Nachkommen zweitausend dieser Backsteine aus. Wenn man annimmt, es gebe ein solches Ding wie das Haus, das von Schweinchen Schlau erbaut wurde, und es gebe jetzt und hier ein Haus, dann ist das Haus, welches jetzt und hier steht, entweder ebendas Haus, das Schweinchen Schlau erbaute, oder es ist nicht dieses Haus oder der Satz vom ausgeschlossenen Dritten bedarf irgendeiner Art von Korrektur.166
Wir sind also mit einem Identitätsproblem konfrontiert, das mit dem Problem vom Schiff des Theseus vergleichbar ist. Handelt es sich bei dem in Frage stehenden Haus – nennen wir es »h« – nun um das Haus von Schweinchen Schlau oder nicht? Van Inwagen scheint davon auszugehen, dass es unmöglich ist, in dieser Frage eine Entscheidung zu treffen: Er vertritt offenbar die Auffassung, dass sich unmöglich entscheiden lässt, ob die Proposition »h ist das Haus von Schweinchen Schlau« wahr oder falsch ist.167 In diesem Umstand erblickt van Inwagen nun eine Verletzung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, demzufolge für jede Proposition gilt, dass entweder die Proposition oder ihre Negation wahr ist. Statt an der alltäglichen Rede von konkreten Artefakten festzuhalten und damit regelmäßig168 die Verletzung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten in Kauf zu nehmen, sollten wir daher laut van Inwagen die von ihm vorgeschlagene Zufluchtssprache wählen, »die fähig ist, das Gewicht einer kompletten und umfassenden Beachtung des Gesetzes des ausgeschlossenen Dritten zu tragen«169. 166 Van
Inwagen 2013, 239. Inwagen selbst spricht zwar nicht davon, dass es unmöglich ist, eine Entscheidung hinsichtlich der Wahrheit der fraglichen Proposition zu treffen. Er weist zunächst einmal nur auf ein Entscheidungsproblem hin: Wenn wir daran festhalten wollen, dass es Häuser gibt, »dann stehen [wir] vor dem Problem, eine dieser Alternativen wählen zu müssen« (van Inwagen 2013, 239). Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum der bloße Umstand, dass es schwerfällt, im genannten Fall eine der Alternativen zu wählen, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten verletzen sollte: Eine Verletzung ergibt sich schließlich nur, wenn eine Proposition weder wahr noch falsch ist. Dies lässt sich von einer Proposition jedoch nur dann behaupten, wenn prinzipiell unentscheidbar ist, ob sie zutrifft oder nicht. Eine bloße Schwierigkeit, zu entscheiden, reicht also nicht hin – van Inwagen muss behaupten, dass eine Entscheidung darüber, ob das Haus h das Haus von Schweinchen Schlau ist oder nicht, schlicht unmöglich ist. 168 Von mehr als einer regelmäßigen Verletzung wird van Inwagen nicht ausgehen können, denn die Rede von konkreten Artefakten wirft schließlich nicht per se Probleme auf – problematisch ist sie lediglich in einigen Fällen, in denen es um Identitätsfragen geht. 169 Van Inwagen 2013, 239. 167 Van
Zur Ontologie der Artefakte
Van Inwagen rechnet damit, dass wir als Philosoph_innen »darauf bestehen, dass die Dinge, über die wir reden, im strengen Sinn und in jeder Hinsicht mit solchen allgemeinen logischen Prinzipien wie dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten im Einklang stehen«170. Dem dürfte eine große Zahl von Philosoph_innen aus guten Gründen beipflichten. Schon bei Frege ist zu lesen: »Dass die logischen Gesetze Richtschnuren für das Denken sein sollen zur Erreichung der Wahrheit, wird […] allgemein zugegeben.«171 Logische Gesetze als Maßstab für die philosophische Sprache heranzuziehen erscheint grundsätzlich als einleuchtende Maßnahme. Dies gilt besonders für basale Gesetze wie den Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der – zusammen mit dem Satz der Identität und dem Satz vom Widerspruch – zu den sogenannten Denkgesetzen gezählt wird.172 Frege fasst diese Gesetze als Leitlinien auf, die für das Denken allgemein Gültigkeit haben: »Diese verdienen den Namen ›Denkgesetze‹ […], wenn damit gesagt sein soll, dass sie die allgemeinsten sind, die überall da vorschreiben, wie gedacht werden soll, wo überhaupt gedacht wird.«173 Stellen wir fest, dass durch unsere Redeweise eines der Denkgesetze verletzt wird, so gibt dies Anlass zur Sorge. Van Inwagen stärkt diese Auffassung, indem er auf drei Fälle verweist, die er als analog zum Fall von Schweinchen Schlaus Haus erachtet – der eindrucksvollste dieser Fälle betrifft ebenfalls ein grundlegendes Denkgesetz: Auf die Frage »Regnet es?« sollten wir im Interesse der Berücksichtigung des Satzes vom Widerspruch nicht mit den Worten »Es regnet, und es regnet nicht« antworten, sondern vielmehr sagen, dass es neblig ist.174 In Anbetracht der von van Inwagen heraufbeschworenen Gefahr, analog zu diesem Fall auch durch Äußerungen 170
Van Inwagen 2013, 239. Frege 1893, XV. 172 Vgl. Russell 1997, 72. Jessica Leech klärt, was es heißt, logische Gesetze als Denk gesetze zu verstehen, und legt eine Argumentation dafür vor, dass es plausibel ist, dies zu tun (vgl. Leech 2015). 173 Frege 1893, XV. 174 Die anderen beiden Fälle setzen sehr viel speziellere Prinzipien voraus: Das erste Prinzip besagt, »dass jeder Teil der Sprache, der die syntaktische Form eines referierenden Ausdrucks im Singular hat, ein Objekt bezeichnet und jeder mit einem solchen referierenden Ausdruck verknüpfte Prädikatausdruck eine mögliche Eigenschaft ausdrückt« (van Inwagen 2013, 240). Berücksichtigen wir dieses Prinzip, so sollten wir statt des Satzes »›Der Durchschnittsvater hat 1,3 Kinder‹ […] stattdessen sagen, dass die Anzahl der Kinder geteilt durch die Anzahl der Väter 1,3 ist« (van Inwagen 2013, 240). Das zweite Prinzip wird von van Inwagen nicht expliziert – er beschränkt sich darauf, zu behaupten, dass wir es »ablehnen [sollten], das zählbare Substantiv ›Bliger‹ zu nutzen« (van Inwagen 2013, 240), um über als ein Tier erscheinende Gruppen mehrerer Tiere zu sprechen, um stattdessen »vielmehr über Tiere [zu] reden, die derart angeordnet sind, dass sie wie Bliger aussehen« (van Inwagen 2013, 240). 171
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über konkrete Artefakte ein fundamentales Denkgesetz zu verletzen, sollten wir uns das Argument von Schweinchen Schlaus Haus einmal genauer ansehen – sind wir tatsächlich gehalten, die Rede von konkreten Artefakten aufzugeben, wenn wir sicher gehen wollen, dass unsere Ausdrucksweise nicht mit der Verletzung eines Denkgesetzes einhergeht? Selbst, wenn die Rede von konkreten Artefakten mitunter mit der Verletzung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten einherginge – nämlich in manchen Fällen, in denen es um Identitätsfragen geht –, so wäre die Reaktion, fortan ganz auf die Rede von Artefakten zu verzichten, vollkommen unverhältnismäßig. Sogar ein eingeschränkter Verzicht auf Identitätsaussagen über Artefakte erschiene als übertrieben, wenn man bedenkt, dass lediglich ein Bruchteil solcher Aussagen dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten Probleme bereiten könnte. Die meisten Identitätsaussagen über Artefakte sind vollkommen unschuldig – ich kann beispielsweise ohne Schwierigkeiten von meiner Gitarre behaupten, dass es dieselbe Gitarre ist wie die, auf der ich schon 2013 gespielt habe, obwohl ich zwischendurch die Saiten und einen Teil der Mechanik ausgetauscht habe. Dass die Rede von konkreten Artefakten tatsächlich mit dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten in Konflikt gerät, ist jedoch nicht einmal im von van Inwagen gewählten Fall von Schweinchen Schlaus Haus evident: Es mag zwar sein, dass die Frage, ob es sich bei Haus h um das Haus von Schweinchen Schlau handelt, nicht ohne Weiteres zu beantworten ist. Dass es aber unmöglich sein soll, diese Frage zu beantworten, erscheint nicht als einleuchtend. Denn es gibt durchaus mögliche Antworten auf die Frage. Betrachten wir zwei grundsätzliche Antwort-Optionen, die sich sogar jeweils mit einem der von Thomas Hobbes175 diskutierten Prinzipien der Individuierung untermauern lassen: Verfechter_innen des Individuationsprinzips der unity of form beantworten die Frage so, dass es sich bei dem Haus h durchaus um das Haus von Schweinchen Schlau handelt, da die Form gewahrt bleibt und sich lediglich einige Backsteine ändern. Apologet_innen des Individuationsprinzips der unity of matter hingegen antworten auf die Frage, dass es sich bei Haus h nicht um das Haus von Schweinchen Schlau handelt, da ein großer Teil der Backsteine ausgetauscht wurde. Es gibt jedoch noch eine dritte Möglichkeit zur Beantwortung der Frage, die besondere Überzeugungskraft für sich beanspruchen kann. Es handelt sich dabei um eine Antwort, die den Design-Plan des Hauses von Schweinchen Schlau mit einbezieht: Sieht dieser Design-Plan vor – oder erlaubt er es zumindest –, dass einzelne Backsteine der Realisierung des Plans nachträg175
Vgl. Hobbes 1999, Teil 2, Kapitel 11, Sektion 7.
Zur Ontologie der Artefakte
lich ausgetauscht werden? Dann ist das Haus h das Haus von Schweinchen Schlau. Verbietet der Plan einen Austausch der Backsteine seiner Realisierung? Dann handelt es sich bei Haus h nicht um das Haus von Schweinchen Schlau. Da nicht alle Design-Pläne uns in Form einer Manifestation zugänglich und selbst die manifestierten Pläne hinsichtlich der Frage nach der Substituierbarkeit einzelner Teile ihrer Realisierungen oftmals nicht aufschlussreich sind, sind wir in vielen Fällen an die_den Urheber_in verwiesen, um zu klären, ob das Ersetzen einzelner Teile durch Teile des je gleichen Typs in identitätserhaltender Weise möglich ist.176 Dass diese dritte Antwort im Lichte unseres Umgangs mit konkreten Artefakten besonders plausibel ist, lässt sich an den beiden folgenden Beispielen aus der Kunstwelt festmachen. Die Beispiele illustrieren, dass wir uns bei der Frage nach der Zulässigkeit des Austauschs typgleicher Teile eines konkreten Artefakts im Allgemeinen auf die Einschätzung der_des Urhebenden verlassen, die_der für den durch dieses konkrete Artefakt realisierten Design-Plan verantwortlich zeichnet. Im ersten Beispiel stimmt der Urheber dem Austausch eines Teils seines Kunstobjekts durch ein typgleiches Teil zu – und führt diesen Austausch sogar selbst durch: Damien Hirst tauschte den Tigerhai, der seit 1991 für sein Kunstobjekt The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living in einer Vitrine voll mit Formaldehyd konserviert war und sich allmählich auflöste, durch einen neuen Tigerhai aus. Dass wir auf Hirsts Einschätzung in dieser Sache vertrauen, zeigt der Umgang mit dem Kunstobjekt nach dem Austausch des Hais: Es wird gemeinhin angenommen, dass der Austausch erfolgte, ohne die Integrität des Kunstobjekts in irgend einer Weise zu verletzen, sodass wir es also heute mit demselben Objekt zu tun haben wie vor dem Austausch.177 176
Ich beschränke mich an dieser Stelle auf reine Rekonstruktionsfälle, in denen Teile durch typgleiche Teile ersetzt werden – den Fall von Schweinchen Schlaus Haus verstehe ich als einen solchen Fall. Auch das in der Philosophie viel diskutierte Beispiel vom Schiff des Theseus scheint mir entsprechend konstruiert zu sein. Fälle, in denen Teile eines anderen Typs als Ersatz dienen, werfen zusätzliche Komplikationen auf: Hätte Damien Hirst in dem nachfolgend diskutierten Fall den ersten Hai seines Kunstobjekts The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living durch ein anderes Tier – etwa eine Schildkröte – oder gar einen völlig anderen Gegenstand – z. B. einen Staubsauger – ersetzt, so wäre nicht nur fragwürdig, ob wir es noch mit demselben Objekt zu tun haben, sondern es wäre außerdem zu fragen, ob es sich bei dem Objekt überhaupt um eine (ggf. neue) Realisierung des ursprünglichen Design-Plans handelt. 177 Entsprechend vergleicht der Galerist Larry Gagosian den Austausch des Hais mit dem Austausch einer Neonröhre bei einem Lichtobjekt von Dan Flavin: »The shark is a conceptual piece and to substitute a shark of equal size and appearance, in my opinion, does not alter the piece. […] It’s not a direct analogy but if you have a work by Dan Flavin
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Aber die Kunstwelt kennt auch umgekehrte Fälle, in denen Künstler_innen den Austausch typgleicher Teile explizit untersagen: Viele Kunstobjekte des Künstlers Dieter Roth bestehen aus leicht verderblichen Materialien, etwa aus Schokolade – wie das Kunstobjekt Schokoladenlöwenturm, für das Roth Schokoladenplastiken in ein Holzgestell auf Rädern stellte.178 Roth sprach sich bekanntermaßen explizit gegen die Restaurierung seiner Kunstobjekte aus: »nur nie was restaurieren! bitte nicht!«179 Das Ersetzen der mit der Zeit immer stärker zersetzten Schokoladenplastiken durch Plastiken desselben Typs stellt also keine Option dar, wenn die Integrität des Objekts Schokoladenlöwenturm erhalten werden soll. Beim Schokoladenlöwenturm haben wir es mit einem konkreten Artefakt zu tun, bei dem sich jedenfalls bestimmte Teile nicht durch typgleiche Teile austauschen lassen, ohne das Artefakt zu zerstören.180 Wir können also festhalten, dass sich sehr wohl entscheiden lässt, ob Haus h das Haus von Schweinchen Schlau ist oder nicht. Wie sich gezeigt hat, ist es plausibel, davon auszugehen, dass für die Entscheidung darüber der DesignPlan ausschlaggebend ist. Sofern uns der Plan nicht anderweitig zugänglich ist, sind wir auf die Auskunft der_des Design-Plan-Urhebenden angewiesen. Will oder kann uns die_der Design-Plan-Urhebende keine Auskunft (mehr) geben und ist auch keine Explikation ihrer_seiner Intentionen anderweitig zugänglich oder überliefert, so bedarf es einer Rekonstruktion der Urheber_ innenintention, um die Frage zu klären, ob es sich bei Haus h um das Haus von Schweinchen Schlau handelt.181 Aber am Design-Plan ermisst sich nicht and one of the lights goes out and you substitute it, it doesn’t matter« (zitiert nach Ruiz und Harris 2006). 178 Für den Hinweis auf die Arbeiten von Dieter Roth danke ich Johannes Grave. 179 Vgl. Luz 2000. 180 Die Kunst der Gegenwart stellt Restaurator_innen vielfach vor das Problem, die Künstler_innenintention und das zumeist nachvollziehbare Interesse der Werkerhaltung von Seiten Dritter (seien es einzelne Sammler_innen, die Verantwortlichen in Museen oder die Gemeinschaft der Kunstinteressierten) gegeneinander abzuwägen. Für die hier in Rede stehende Problematik ist bezeichnend, dass dabei der Künstler_innenintention ein immenser Wert zugesprochen wird. Dies spiegelt sich nicht nur in vielen Selbstauskünften von Restaurator_innen auf ihren Homepages wider – so schreibt etwa die Restauratorin Julia Wimmer: »Die Wahrung der Integrität des Kunstwerks mit Rücksicht auf die Intention des Künstlers ist mein Ziel.« (http://juliawimmer.com, abgerufen am 10.8.2021). Aber auch an konkreten Einzelfällen wird die hohe Gewichtung der Künstler intention deutlich. So gibt das Ludwig Forum Aachen Auskunft über die Restaurierung von Duane Hansons Plastik Supermarket Lady – dieser Auskunft zufolge galt, dass »sich die Restaurierung der ursprünglichen künstlerischen Intention annähern [sollte], so gut es ging« (http://ludwigforum.de/museum/restauratorenwerkstatt/die-restaurierung-dersupermarket-lady-von-duane-hanson/, abgerufen am 10.8.2021). 181 Es gibt fraglos viele Fälle, in denen wir die_den Urheber_in eines Werks nicht mehr
Zur Ontologie der Artefakte
nur, ob eine bereits vorliegende konkrete Realisierung des Plans den Austausch typgleicher Teile übersteht oder nicht: Wie wir im Folgenden sehen werden, spielen Design-Pläne auch eine wichtige Rolle bei der Herstellung neuer Realisierungen – und bei der Frage, ob es sich bei konkreten Artefakten um Realisierungen des Plans handelt oder nicht. Die Herstellung konkreter Artefakte: Das Realisieren von Design-Plänen
Auch bei der Herstellung konkreter Artefakte spielen das Verrichten von Arbeit sowie bestimmte Intentionen eine wichtige Rolle. Auf den ersten Blick dürfte es überraschen, dass die Herstellung konkreter Artefakte – analog zur Herstellung geschaffener Abstrakta – geistige Arbeit zwingend voraussetzt, während physische Arbeit lediglich optional ist. Denn üblicherweise verbinden wir mit der Herstellung konkreter Artefakte die Bearbeitung von Materialien. So wird für einen handelsüblichen Tisch Holz zurechtgesägt, abgeschliffen und zusammengeleimt – es werden also verschiedene Tätigkeiten verrichtet, die sich als physische Arbeit charakterisieren lassen. Ein Verständnis der Herstellung konkreter Artefakte, das physische Arbeit als notwendige Bedingung voraussetzt, verkennt allerdings die vielfältigen Möglichkeiten der Entstehung geschaffener Konkreta: Mitunter beschränkt sich die Arbeit, die das Hervorbringen eines konkreten Artefakts macht, in der Auswahl eines bereits vorliegenden Objekts und der Entscheidung, das Objekt so zu belassen. Darüber, dass es zur Herstellung eines konkreten Artefakts ausreicht, ein Objekt auszuwählen und sich bewusst dafür zu entscheiden, das Objekt trotz diesbezüglich bestehender Möglichkeiten nicht zu verändern, gibt uns bereits die Definition des Begriffs Artefakt Auskunft, nämlich mit der Bedingung (AMB'): Die Bedingung verlangt eine Festlegung hinreichend vieler Merkmale eines Artefakts durch seine_n Urheber_in, wobei auch das Belassen von Merkmalen des Ausgangsmaterials oder -gegenstands als Festlegung gilt, sofern es in der Macht der_des Urhebenden gelegen hätte, die Merkmale zu ändern. Der_dem Leser_in dieser Studie kommt hier vermutlich das bereits an zwei Stellen erwähnte Beispiel des Kunstobjekts the witness in den Sinn: Herman de Vries hätte den Stamm des Olivenbaums durchaus modifizieren können – es wäre ihm etwa möglich gewesen, die Rinde zu bemalen oder den Stamm mit Schnitzereien zu verzieren. Da diese Möglichkeiten bestanden haben, kann auch der Verzicht auf Modifikationen als Festlegung von Merkmalen durch befragen können, weil sie_er bereits verstorben ist. Zur Regelung dieser Fälle im postmortalen (deutschen) Urheberpersönlichkeitsrecht sowie den Schwierigkeiten, die die Regelung potenziell mit sich bringt, vgl. Ortland 2010.
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de Vries gelten. Aber ich muss ein unbearbeitetes Objekt nicht ins Museum tragen, damit es zum Artefakt wird – auch andere Beispiele lassen sich leicht finden: Wähle ich am Meer einen schönen Stein aus, um ihn als Dekorationsobjekt oder auch als Briefbeschwerer zu verwenden, so steht es mir ebenfalls frei, den Stein zu verändern, indem ich ihn lackiere, eine Ecke abschlage o. ä. Verzichte ich bewusst auf solche möglichen Modifikationen, dann lässt sich durchaus davon sprechen, dass ich die Merkmale des Steins festgelegt habe.182 Geistige Arbeit ist ohne Intentionen nicht denkbar. Die ausschlaggebenden Intentionen bei der Herstellung konkreter Artefakte sind die Intentionen der_des Herstellenden183, einen bestimmten Design-Plan zu realisieren – sei es durch Auswahl oder durch die gezielte physische Bearbeitung von Ausgangsmaterialien. Hinsichtlich der Urheber_innenschaft des Design-Plans kommen zwei Möglichkeiten in Frage: Diejenige_derjenige, die_der das konkrete Artefakt herstellt, kann zugleich Urheber_in des Design-Plans sein – der Design-Plan-Urheber kann aber genauso gut auch von der_dem Herstellenden des konkreten Artefakts verschieden sein. Neben der Intention, den jeweiligen Design-Plan zu realisieren, sind mitunter auch noch weitere Intentionen im Spiel, die die Füllung von Leerstellen des Design-Plans betreffen: Wer ein konkretes Artefakt nach einem Design-Plan herstellt, ist frei darin, nicht durch den Design-Plan bestimmte Eigenschaften selbst absichtsvoll festzulegen. Nehmen wir etwa an, ein_e Tischler_in erhält den Auftrag, einen komplizierten Schreibtisch nach einem vom Auftraggeber entwickelten Design-Plan zu bauen – der Design-Plan sieht vor, dass der Schreibtisch aus stabilen, weiß lackierten Elementen zusammengesetzt wird, deren Abmessungen genau vorgegeben sind. Nicht vorgegeben ist im Plan jedoch, ob die Elemente aus Vollholz, Sperrholz oder MDF gefertigt werden.184 Der_dem Tischler_in steht es frei, bezüglich des Materials eine Entscheidung zu treffen. In einem gewis182 Ob
ich bereits mit einem abgeschlossenen Design-Plan am Strand entlanglaufe oder den Plan erst im Angesicht eines bestimmten Steins abschließe, ist dabei unerheblich: So kann ich den Strand betreten mit einem fertigen Design-Plan, der als Eigenschaften meines zukünftigen Briefbeschwerers u. a. festlegt, dass er hellgrau und rund ist und mindestens 300g wiegt. Oder ich mache mich mit einem noch unfertigen Design-Plan auf die Suche, der lediglich enthält, dass das zu findende Objekt ein Stein ist, der die Funktion des Briefbeschwerens haben können soll – sobald ich dann einen Stein finde, der diese beiden Eigenschaften erfüllt, kann ich bestimmte weitere Merkmale dieses Steins begrüßen und meinen Design-Plan um diese Merkmale erweitern. 183 Ich spreche an dieser Stelle von der_dem Herstellenden eines konkreten Artefakts und von der_dem Urheber_in eines Design-Plans, um Verwirrungen zu vermeiden. Wir können aber ebenso gut von der_dem Urheber_in des konkreten Artefakts sprechen. 184 Reicher spricht im Zusammenhang mit Werken von deren Unbestimmtheit (vgl. Reicher 1998, 80 ff.) – wir können hier treffender sagen, dass Design-Pläne unterbestimmt sind.
Zur Ontologie der Artefakte
sen Rahmen sind sogar bewusste Abweichungen vom Design-Plan möglich: Wenn die_der Tischler_in in unserem Beispiel einen Kabelkanal für die Kabel der technischen Geräte, die auf dem Schreibtisch zu stehen kommen sollen, an einer anderen Stelle anbringt als der Design-Plan es vorsieht – etwa, weil dies aus praktischen Gründen als geboten erscheint –, dann werden wir den fertigen Schreibtisch aller Wahrscheinlichkeit nach dennoch als Realisierung des fraglichen Design-Plans auffassen. Sind die Abweichungen vom DesignPlan allerdings zahlreicher, so wird irgendwann einmal der Punkt erreicht sein, an dem wir von einem konkreten Objekt nicht mehr als Realisierung des fraglichen Plans werden sprechen wollen. Wo aber verläuft die Grenze, die Realisierungen von Nicht-Realisierungen eines Design-Plans scheidet? Was macht einen konkreten Gegenstand zu einer Realisierung eines Design-Plans?
Die Auffassung, dass konkrete Artefakte Realisierungen abstrakter DesignPläne sind, geht mit einem nicht unerheblichen Problem einher: Wer diese Auffassung vertritt, muss erklären können, was einen konkreten Gegenstand zu einer Realisierung eines Design-Plans macht185 – was sich bei näherer Betrachtung als weniger leicht darstellt als im ersten Moment angenommen werden könnte. Die Realisierungen eines Design-Plans können mehr oder weniger gelungen sein – der Versuch, einen Design-Plan zu realisieren, kann in einigen Teilaspekten scheitern und dennoch im Ganzen erfolgreich sein. Offenbar ist dies nicht allein eine Sache der Quantität: Es lässt sich keine genaue Anzahl von Eigenschaften angeben, hinsichtlich deren ein Realisierungsversuch scheitern muss, damit das Resultat keine Realisierung mehr ist. Denn es ist denkbar, dass ein konkretes Objekt eine ganze Reihe von Eigenschaften nicht aufweist, die der Design-Plan vorschreibt, dass das Objekt aber dennoch als Realisierung des Plans zählt. So kann die Aufführung eines Musikwerks durch eine_n nervöse_n Pianist_in gleich mehrere falsche Noten enthalten, ohne jedoch ihren Status als Realisierung des Werks einzubüßen.186 185 Entsprechend
stellt Reicher fest, dass jede_r, die_der Werke als Abstrakta auffasst, sich zwingend mit der folgenden, ernstzunehmenden Frage konfrontiert sieht: »Was macht einen konkreten Gegenstand zu einer Realisierung eines bestimmten Werks?« (Reicher 1998, 68) 186 Goodmans Auffassung nach kann eine Aufführung, die gemessen am Design-Plan, den sie realisieren soll, eine falsche Note enthält, keine Realisierung dieses Plans sein. Während selbst die schlechteste Aufführung als Realisierung zähle, könne eine hervorragende Aufführung keine Realisierung sein, sofern sie auch nur eine Note falsch sei: »Since complete compliance with the score is the only requirement for a genuine instance of a work, the most miserable performance without actual mistakes does count as such an instance, while the most brilliant performance with a single wrong note does not«
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Umgekehrt jedoch scheint es Fälle zu geben, in denen bereits das Fehlen einer einzigen vom Design-Plan festgelegten Eigenschaft dafür sorgt, dass ein konkretes Objekt als Realisierung dieses Design-Plans nicht in Frage kommt. Betrachten wir einen Design-Plan für einen Spezialschraubendreher, der sogenannte Pentalob-Schrauben lösen kann – dabei handelt es sich um spezielle Sicherheitsschrauben, die u. a. für Apple-Geräte Verwendung finden. Realisierungen des Plans für diesen Schraubendreher müssen passgenau in das blütenförmige, fünflappige Profil des Schraubenkopfs dieser Schrauben passen. Verformt sich die Klinge bei dem Versuch, diesen Design-Plan zu realisieren, zu einem fünfzackigen Stern und passt folglich nicht in das Profil der Pentalob-Schrauben, so muss der Realisierungsversuch als gescheitert gelten: Das konkrete Objekt, das bei dem Versuch entstanden ist, kann nicht als Realisierung des Design-Plans für den Pentalob-Schraubendreher gelten. Während das Fehlen der geforderten Klingenform dazu führt, dass wir es bei dem fraglichen Objekt nicht mit einer Realisierung des Schraubendreher-Design-Plans zu tun haben, können einer Realisierung einzelne andere in diesem Design-Plan festgelegte Eigenschaften durchaus fehlen, ohne dass dies auf ihren Status als Realisierung einen Einfluss hätte: Wir können uns etwa vorstellen, dass der Design-Plan für den Spezialschraubendreher außerdem bestimmt, dass seine Realisierungen eine silberne Klinge haben. Kommt es durch einen Defekt der die Klingen herstellenden Maschine dazu, dass die Klingen schwarz eingefärbt sind, so erschiene es aller Voraussicht nach (Goodman 1976, 186). Mit diesem Vorschlag zur Lösung des Problems der Unterscheidung von Realisierungen und Nicht-Realisierungen sucht Goodman der unliebsamen Konsequenz zu entgehen, dass wir am Ende eine Aufführung, die keine einzige Note eines Werks trifft, als Realisierung des Werks bezeichnen müssen. Diese Konsequenz ergibt sich seiner Ansicht nach aus der Transitivität der Identitätsrelation – Stephen Davies fasst Goodmans Argument wie folgt zusammen: »Here is a gloss of Goodmanʼs argument. From a performance of Beethovenʼs Fifth with one wrong note, derive a score. Perform that score with one wrong note and extract another score from the latest performance. And so on. If the first of the derived scores specifies the same work as the original, then so do the subsequent ones, even if their realizations would sound more like ›Three Blind Mice‹ than Beethovenʼs Fifth. Unless one accepts the sameness of Beethovenʼs piece and the nursery tune, one must deny that the workʼs identity survives the first note change in its score« (Davies 2001, 155). Mit der im Rahmen dieser Studie vertretenen Auffassung, dass Aufführungen Realisierungen eines Design-Plans sind, lässt sich die von Goodman gefürchtete Konsequenz allerdings ohne Weiteres vermeiden. Denn die Identitätsrelation ist hier nicht ausschlaggebend – weder ist ein Werk mit seinen Realisierungen identisch, noch sind die Realisierungen selbst miteinander identisch. Es geht stattdessen um eine andere Relation, nämlich die Realisierungs-Relation: Alle Aufführungen von Beethovens Fünfter sind Realisierungen desselben Werks. Enthält eine Aufführung einen Fehler, so ist dies unproblematisch – schließlich dient uns auch für zukünftige Aufnahmen als Referenz nach wie vor der Design-Plan bzw. eine seiner Manifestationen.
Zur Ontologie der Artefakte
nicht als überzeugend, den Schraubendrehern mit diesen Klingen ihren Status als Realisierungen des Design-Plans abzusprechen.187 Mitunter scheinen also bestimmte im Design-Plan vorgeschriebene Eigenschaften wichtiger zu sein als andere.188 Wollen wir eruieren, ob ein konkretes Objekt eine Realisierung eines Design-Plans ist oder nicht, dann bietet es sich an, nach Möglichkeit zunächst eine Manifestation des Design-Plans zu konsultieren: Weist diese Manifestation bestimmte Merkmale als notwendige Eigenschaften von Realisierungen des Plans aus, so können wir konkrete Objekte, deren Status als Realisierung dieses Plans fragwürdig ist, hinsichtlich des Vorliegens dieser Eigenschaften prüfen. Für eine Vielzahl der strittigen Fälle bedürfen wir allerdings einer alternativen Vorgehensweise. Denn häufig liegt uns keine Manifestation des Design-Plans vor, die darüber Aufschluss geben könnte, ob bestimmte Eigenschaften als für Realisierungen des Plans notwendige Eigenschaften privilegiert werden. Auch ist denkbar, dass uns zwar eine Manifestation des DesignPlans zur Verfügung steht, dass diese allerdings keine der darin angegebenen Eigenschaften als notwendig ausweist. Wie können wir nun in solchen Fällen wissen, ob wir es bei einem konkreten Objekt mit einer Realisierung eines Design-Plans zu tun haben oder nicht? Es erscheint zunächst als naheliegend, in Ermangelung anderer Anhaltspunkte die_den Urheber_in des Design-Plans zu befragen, sofern dies möglich ist. Schließlich ist anzunehmen, dass diese_r am Besten über den DesignPlan Bescheid weiß. Es kann allerdings nicht allein im Ermessen der_des Design-Plan-Urhebenden liegen, ob es sich bei einem konkreten Artefakt um eine Realisierung des Plans handelt oder nicht. Wäre dies der Fall, so wäre jedwede Urheberrechtsstreitigkeit bereits zugunsten der_des Urhebenden ent187 Dies
kommt freilich auf den Design-Plan an – selbstverständlich ist es prinzipiell denkbar, dass der Design-Plan die Farbe der Klinge als notwendige Bedingung festlegt. 188 Wollen wir herausfinden, ob es sich bei einem konkreten Objekt um eine Realisierung eines Design-Plans handelt oder nicht, so müssen wir zunächst sorgfältig eruieren, welches der Design-Plan ist, der realisiert werden sollte: Wird in einer Fabrik, die den Fiat 500 produziert, der Lack versehentlich falsch zusammengemischt, sodass statt eines dunklen Blaus ein knalliges Pink herauskommt, so erscheint es auch dann als plausibel, das Auto als Realisierung des Design-Plans für den Fiat 500 aufzufassen, wenn die Farbe nicht zu den im Design-Plan vorgesehenen Farbtönen gehört – es ist dann eben ein Fiat 500 mit fehlerhafter Farbe. Handelt es sich bei dem Design-Plan, der realisiert werden sollte, aber um den des Sondermodells Fiat 500 Riva, so liegen die Dinge anders. Denn dieses Sondermodell zeichnet sich insbesondere durch die spezielle blaue Lackierung aus: »Das Sondermodell wird ausschließlich in Sera Blau lackiert« (http://www.auto.de/magazin/der-neue-fiat-500-riva-die-kleinste-yacht-der-welt/, abgerufen am 10.8.2021). Während das fragliche Auto als Realisierung des Fiat 500 hätte gelten können, kommt es als Realisierung des Fiat 500 Riva nicht in Frage.
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Was ist ein Artefakt?
schieden, da diese_r jedes konkrete Artefakt, dessen Status als Realisierung in Frage steht, nach Belieben als Realisierung authentifizieren könnte, um ihre_ seine (finanziellen) Interessen durchzusetzen. Diese Konsequenz erscheint nicht als wünschenswert. Ich schlage daher Folgendes vor: Sofern uns keine Manifestation des DesignPlans vorliegt, die explizit bestimmte Eigenschaften als für Realisierungen des Plans notwendig ausweist, sollten wir uns in strittigen Fällen nach Möglichkeit zuerst an die_den Urheber_in wenden. Besteht der Verdacht, dass die_der Urheber_in durch ihr_sein Votum hinsichtlich des in Frage stehenden Status eines konkreten Artefakts eigene Interessen durchzusetzen sucht und deshalb ein vom ursprünglichen Design-Plan abweichendes Votum abgibt, oder führt ihr_sein Votum zu Konflikten mit Dritten, so ist zusätzlich die Einschätzung einer_eines kundigen Dritten einzuholen. Dasselbe gilt für Fälle, in denen die_der Urheber_in das Erteilen einer Auskunft verweigert oder dazu nicht (mehr) in der Lage ist. Die_der kundige Dritte, die_der seine Einschätzung geben soll, muss hinsichtlich des Bereichs, aus dem der fragliche Design-Plan stammt, als Expert_in ausgewiesen sein: Steht etwa in Frage, ob es sich bei der von einer chromatisch absteigenden Basslinie begleiteten Akkordzerlegung des Akkords A-Moll zu Beginn des Stücks Stairway to Heaven von Led Zeppelin um eine (Teil-)Realisierung des Songs Taurus der Band Spirit handelt, so ist ein_e Expert_in für den Bereich der Rockmusik zu befragen.189 Der Schwierigkeit, zwischen Realisierungen und Nicht-Realisierungen eines Design-Plans zu unterscheiden, ließe sich zumindest teilweise entgehen, wenn wir zuließen, dass nicht jedes konkrete Artefakt eines DesignPlans bedarf: Wäre es nicht ratsam, diese Schwierigkeit zumindest auf Fälle zu limitieren, in denen eine duale Artefaktontologie offenkundig als zwingend erscheint, weil wir sagen wollen, dass mehrere konkrete Artefakte als Realisierungen desselben Design-Plans eng miteinander verbunden sind – auf Fälle also, in denen wir es mit Hervorbringungen von Kunstformen zu tun haben, die mitunter als multiple Künste bezeichnet werden190, darunter Literatur und Musik? Für die Hervorbringungen der Kunstformen, die bisweilen als singuläre Künste apostrophiert werden191 – also etwa Malerei und Bildhauerei –, ließe sich stattdessen behaupten, dass mit ihnen kein Design-Plan korrespondiert. Schließlich gibt es die meisten Gemälde und Skulpturen nur einmal; wir müssen nicht erklären, was sie mit anderen konkreten Artefakten verbindet, weil eine Verbindung wie die zwischen zwei Realisierungen 189 Ein
durch die Klage der Erben des Komponisten von Taurus initiiertes Plagiatsverfahren wurde 2016 zugunsten von Led Zeppelin entschieden. 190 Vgl. Livingston 2016, 14. 191 Vgl. Livingston 2016, 14.
Zur Ontologie der Artefakte
desselben literarischen Werks gar nicht besteht. Wie sich nachfolgend zeigen wird, ist dies jedoch kein gangbarer Weg, da die Hervorbringungen der sogenannten multiplen Künste von denen der sogenannten singulären Künste gar nicht so verschieden sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Geht jedem konkreten Artefakt ein Design-Plan voraus?
Der im Rahmen dieser Studie vertretenen Auffassung zufolge korrespondiert mit jedem konkreten Artefakt notwendigerweise ein Design-Plan192 (wobei es nicht notwendig ist, dass es zu jedem Design-Plan auch ein konkretes Artefakt gibt). Ein einzelner Design-Plan kann dieser Auffassung zufolge durchaus mehrere Realisierungen haben – dies gilt etwa für die Exemplare des Design-Plans, den auch mein Exemplar von Der Spiegel im Spiegel realisiert: Sämtliche Exemplare sind genuine Realisierungen desselben Plans. Es gibt aber auch Design-Pläne, die nur einmal realisiert werden; dies ist z. B. bei vielen Gemälden der Fall, etwa bei der Mona Lisa. Zu dieser Auffassung gibt es jedoch eine Alternative, der zufolge die soeben skizzierte einheitliche Artefaktontologie zugunsten einer Ontologie aufgegeben werden sollte, die einen prinzipiellen Unterschied zwischen multiplen Artefaktformen und singulären Artefaktformen ausmacht: Während die Hervorbringungen multipler Artefaktformen als Realisierungen abstrakter Entitäten aufzufassen seien, gehe den Hervorbringungen singulärer Artefaktformen kein Abstraktum voraus. Diese Auffassung stellt eine Generalisierung einer von einigen Kunstphilosoph_innen vertretenen zweiteiligen Kunstontologie dar.193 Die nämlichen Kunstphilosoph_innen erblicken in der angenommenen Differenz zwischen den sogenannten multiplen Künsten und den als singulär bezeichneten Künsten einen grundlegenden ontologischen Unterschied: Sie vertreten die Auffassung, dass es sich bei einem Kunstwerk je nach Kunstform entweder um ein Abstraktum handelt, das in Form von Konkreta realisiert wird, oder aber um ein Konkretum, mit dem kein Abstraktum korrespondiert. Die Vertreter_innen dieser Auffassung gehen im Allgemeinen davon aus, dass etwa literarische und musikalische Werke abstrakt sind und durch konkrete Entitäten realisiert werden – Werke der Literatur z. B. in Form von Büchern, Werke der Musik als Aufführungen. Wie oben bereits angedeutet, werden solche Kunstformen gern als multiple Künste bezeichnet. Werke anderer Kunstformen, etwa der Malerei oder der Bildhauerei, identifizieren sie jedoch als konkrete 192 Die
Auffassung, dass jedem konkreten Artefakt ein abstraktes Artefakt vorausgeht, wird von Reicher geteilt (vgl. Reicher 2013, 228). 193 Eine ausführliche Diskussion einer solchen zweigeteilten Ontologie der Kunst findet sich in Reicher 1998, 29 ff.
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Objekte: Gemäß ihrer Auffassung handelt es sich bei dem Gemälde selbst um das Kunstwerk und nicht um die Realisierung eines von ihm distinkten, abstrakten Werks. Es sind Kunstformen wie die Malerei, die oftmals den singulären Kunstformen zugerechnet und als solche von den multiplen Kunstformen abgegrenzt werden. Eine zweiteilige kunstontologische Auffassung wie die eben skizzierte scheint eine Reihe von Vorteilen zu bergen. Sie kann bspw. dem Umstand Rechnung tragen, dass musikalische Werke von beliebigen Dritten bei unterschiedlichen Gelegenheiten realisiert werden können, während dies für Gemälde üblicherweise nicht gilt. Überhaupt scheint es auf den ersten Blick intuitiv einzuleuchten, dass Kunstformen wie die Musik von Kunstformen wie der Malerei grundlegend verschieden sind und deshalb auch einer unterschiedlichen ontologischen Behandlung bedürfen: Gemälde scheinen prinzipiell unikal zu sein, während wir uns kaum des Eindrucks erwehren können, dass es von musikalischen Werken grundsätzlich mehrere Realisierungen geben kann. Diesen Überlegungen trägt eine zweiteilige Ontologie der Kunst Rechnung, die Kunstformen mit dualer Ontologie von Kunstformen mit singularer Ontologie scheidet. Übertragen wir diese zweiteilige Kunstontologie auf Artefakte generell, so ergibt sich daraus die Unterscheidung zwischen multiplen und singulären Artefaktformen: Zu den multiplen Artefaktformen wären nicht nur multiple Kunstformen zu zählen, sondern etwa auch solche Artefaktformen, deren Design-Pläne in Form von massengefertigten Gegenständen realisiert werden, wie es etwa für den Design-Plan des iPhone 12 der Fall ist. Die singulären Artefaktformen hingegen umfassten nicht nur die singulären Kunstformen, sondern auch Artefaktformen, deren Hervorbringungen unikal sind – hier kämen prima facie maßgefertigte Kleidungsstücke in Frage. Warum also nicht eine zweiteilige Artefaktontologie vertreten, der zufolge es einerseits multiple Artefaktformen gibt, deren Gegenstandsbereich ontologisch dual ist – d. h., dass er abstrakte Design-Pläne und diese realisierende konkrete Artefakte enthält –, und anderseits singuläre Artefaktformen, in deren Gegenstandsbereich allein konkrete Artefakte fallen, die gänzlich unabhängig von Design-Plänen sind? Ein erster Grund, der für eine einheitliche duale Artefaktontologie spricht, macht eine kunstphilosophische Anleihe: In der Kunstphilosophie finden sich Verfechter_innen einer einheitlichen dualen Ontologie, der zufolge für alle Kunstformen gilt, dass ihre abstrakten Werke konkret realisiert werden. Zu nennen ist hier vor allem Gregory Currie, der davon ausgeht, dass alle Werke der Kunst Typen sind.194 Curries Auffassung 194 Currie
geht davon aus, dass es sich hierbei um action types handelt, also um Typen von Handlungen (vgl. Currie 1989, 7).
Zur Ontologie der Artefakte
nach lässt sich nicht zwischen prinzipiell singulären und prinzipiell multiplen Kunstformen unterscheiden: Jede Kunstform ist potenziell multipel. Entsprechend versteht Currie jedes Kunstwerk als ein abstraktes Artefakt – »capable, in principle, of having multiple instances”195. Dass diese Auffassung der enormen Vielfalt innerhalb der Kunst wesentlich besser gerecht wird als eine zweigeteilte Kunstontologie, lässt sich anhand eines Beispiels illustrieren: Betrachten wir ein paradigmatisches Werk einer Kunstform, die Vertreter_innen einer zweigeteilten Kunstontologie ohne Zögern als singulär einordnen, nämlich der Malerei: das Werk Der Schrei von Edvard Munch. Es erscheint als plausibel, dieses Werk als multipel instanziiertes Werk der Malerei zu betrachten, das in Form von vier Gemälden realisiert ist. Zwei dieser Realisierungen sind mit Tempera auf Pappe gemalt worden – eines im Jahre 1893, eines im Jahre 1910. Für die beiden anderen Realisierungen hat Munch mit Pastell auf Holz gemalt – sie entstanden in den Jahren 1893 und 1895. Zu der Auffassung, dass es sich bei den vier Arbeiten um Realisierungen desselben Werks handelt, führt uns nicht etwa nur der Umstand, dass sie alle denselben Titel tragen: Betrachten wir die vier Gemälde genauer, so fällt unmittelbar ihre enorme Ähnlichkeit ins Auge. Alle vier Arbeiten weisen denselben Bildaufbau auf: Eine schreiende Person, die auf einer Brücke steht, auf der weiter hinten schemenhaft zwei weitere Personen erkennbar sind. Es liegt nahe, hier davon auszugehen, dass den vier Gemälden derselbe DesignPlan zugrunde liegt – der zwar genaue Vorgaben hinsichtlich des Bildaufbaus enthält, die Technik aber insoweit offenlässt, dass sowohl Tempera auf Pappe als auch Pastell auf Holz in Frage kommen.196 Aber nicht nur die als singulär geltende Kunstform der Malerei überrascht mit einem Beispiel, das die prinzipielle Singularität ihrer Hervorbringungen in Zweifel zieht – auch Artefaktformen, die nicht der Kunst zuzuordnen sind, halten derartige Beispiele bereit: Ein maßgefertigtes Brautkleid, das uns als Unikat gegeben ist, kann im Prinzip mehrfach realisiert werden. Ebenso kann der Design-Plan für einen Personalausweis im Falle eines Verlustes noch einmal realisiert werden, obwohl ein Personalausweis einen unikalen Charakter hat. Wir können also festhalten, dass keine Artefaktform prinzipiell singulär ist – stattdessen ist jede Artefaktform potenziell multipel. Eine zweiteilige Artefaktontologie, die die verschiedenen Artefaktformen in die Kategorien »singulär« und »multipel« zwingt, verkennt also die Gemeinsamkeiten, die 195 Currie
1989, 8. wenn den vier Gemälden tatsächlich nicht derselbe Design-Plan zugrunde liegen sollte, so zeigt das Beispiel jedenfalls, dass mehrfach realisierte Werke der Malerei ohne Weiteres denkbar sind. 196 Selbst
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die Artefakte der sogenannten singulären Artefaktformen mit denen der als multipel bezeichneten Artefaktformen teilen. Eine Gemeinsamkeit stellt nicht nur die potenzielle multiple Realisierbarkeit dar – damit kommen wir zum zweiten Grund, der für eine einheitliche duale Artefaktontologie spricht. Dieser Grund liegt in dem Umstand begründet, dass sich die Herstellung konkreter Artefakte der vermeintlich singulären Artefaktformen und die Herstellung konkreter Artefakte der vorgeblich multiplen Artefaktformen bei näherer Betrachtung auf frappierende Weise gleichen. Wir haben oben bereits gesehen, dass die_der Hersteller_in eines konkreten Artefakts entweder von der_dem Design-Plan-Urheber_in verschieden oder zugleich auch die_der Urheber_in des Design-Plans sein kann. Dies gilt nun sowohl für konkrete Artefakte der sogenannten singulären Artefaktformen als auch für konkrete Artefakte der sogenannten multiplen Artefaktformen, also für konkrete Artefakte generell: Die_der Hersteller_in eines konkreten Artefakts kann einerseits einen Design-Plan realisieren, den ein_e Dritte_r geschaffen hat. Wie ein_e Musiker_in, die_der die Komposition einer_eines Dritten realisiert, kann auch ein_e Auftragsmaler_in ein Bild nach dem Design-Plan seiner_seines Auftraggebenden malen oder eine Gruppe von Bauarbeiter_innen ein Haus nach dem Entwurf einer_eines Architekt_in anfertigen. Es ist aber andererseits genauso gut möglich, dass diejenige_derjenige, die_der die konkrete Realisierung herstellt, zugleich auch für den DesignPlan verantwortlich ist. Wie bereits in Abschnitt 2.2.1 ausgeführt, muss ein Design-Plan nicht im Lehnstuhl entstehen – er kann auch das Resultat eines Wechselspiels aus physischer und geistiger Arbeit sein. Dass es sowohl in den vermeintlich singulären Artefaktformen als auch in den gemeinhin als multipel bezeichneten Artefaktformen diese beiden Möglichkeiten zum Schaffen eines Design-Plans gibt, bringt Maria Reicher treffend auf den Punkt, indem sie auf die diesbezüglichen Parallelen zwischen Musik und Malerei verweist: »Nicht alle Komponisten komponieren Werke ›im Kopf‹ oder am Schreibpult; viele komponieren am Klavier. Umgekehrt ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Malerin ihr Werk ›im Kopf‹ kreiert, bevor sie sich vor die Staffelei stellt, um es zu realisieren.«197 Ein wichtiger Unterschied zwischen dem Kreieren eines Design-Plans ›im Kopf‹ und dem Schaffen eines Design-Plans während der Interaktion mit Instrumenten oder Pinsel und Farben liegt in der zeitlichen Abfolge der Entstehung des Design-Plans und des ersten ihn realisierenden konkreten Artefakts begründet: Entsteht der Design-Plan allein ›im Kopf‹, so können zwischen der Entstehung des Plans und seiner ersten 197 Reicher
1998, 57.
Zur Ontologie der Artefakte
Realisierung Jahrhunderte liegen. Ist ein Design-Plan jedoch ein Resultat der Interaktion mit Werkzeugen oder Materialien, so können die Entstehung des Design-Plans und seiner ersten Realisierung zusammenfallen.198 So vielfältig sind die Möglichkeiten der Entstehung konkreter Artefakte – und es ist nicht ersichtlich, warum wir davon ausgehen sollten, dass einige Entstehungsmöglichkeiten bestimmten konkreten Artefakten vorbehalten sein sollten. Es zeigt sich also, dass es gute Gründe dafür gibt, eine einheitliche duale Artefaktontologie zu vertreten, der zufolge es zu jedem konkreten Artefakt auch einen Design-Plan gibt.199 Allerdings wird eine solche Ontologie durch eine Ästhetik herausgefordert, die besonderen Wert darauf legt, den vielen Potenzialen der Rezeption von Kunstobjekten Rechnung zu tragen. Aus einer solchen rezeptionsästhetischen Perspektive200 betrachtet erscheint es als zweifelhaft, ob eine einheitliche duale Kunstontologie – und damit auch eine einheitliche duale Artefaktontologie – den Spezifika bestimmter Vorkommnisse von Kunst gerecht werden kann. Im Folgenden komme ich auf einen entsprechenden rezeptionsästhetischen Einwand zu sprechen, gegen den ich die einheitliche duale Artefaktontologie verteidige.201 Der Einwand bezieht sich exemplarisch auf Gemälde – er ist jedoch ohne Weiteres auf die Hervorbringungen der anderen, vermeintlich singulären Kunstformen übertragbar. 198 Dies
gilt jedenfalls dann, wenn das Resultat der Bearbeitung von Materialien als Realisierung des Design-Plans taugt: Es ist auch denkbar, dass ein_e Design-Plan-Urheber_in beim Herumprobieren mit verschiedenen Materialien die Entscheidung trifft, dass der Design-Plan ganz andere Eigenschaften voraussetzt als die, die sich beim Herumprobieren ergeben haben. So kann ich bspw. beim Grundieren einer Leinwand mit schwarzer Farbe und nachträglichen Malen eines Porträts zu der Entscheidung gelangen, dass der Design-Plan für mein Bild keine schwarze Grundierung voraussetzen soll sondern eine blaue, und im Zuge dessen das Ergebnis meines Herumprobierens verwerfen, d. h. die Leinwand wegwerfen oder die schwarze Grundierung übermalen. 199 In der Einheitlichkeit der Ontologie ist im Übrigen ein weiterer Vorteil zu sehen – dieser Auffassung ist auch Reicher: »[E]ine einheitliche Ontologie [ist] einer zweigeteilten grundsätzlich vorzuziehen […] (solange es keine Argumente dagegen gibt)« (Reicher 1998, 65). Ich teile Reichers Auffassung, sofern hier überzeugende Argumente gemeint sind. 200 Die Rezeptionsästhetik ist eine »Richtung moderner Ästhetik, die in Absetzung oder Ergänzung zur Werk- und Produktionsästhetik den Vorgang und die Problematik der Aneignung eines Kunstwerkes durch den Leser, Hörer oder Betrachter untersucht. Sinn und Bedeutung eines Kunstwerkes, so die grundlegende These, bilden sich erst im Rezeptionsvorgang« (Seubold 2003). 201 Der rezeptionsästhetische Einwand, den ich hier diskutiere, entstammt einer Diskussion mit Johannes Grave, die während unserer Zusammenarbeit in der Forschungsgruppe Ethik des Kopierens am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld stattgefunden hat. Da mir der von Johannes Grave vorgebrachte Einwand nicht in schriftlicher Form vorliegt, habe ich ihn so formuliert, wie ich ihn verstehe.
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Der rezeptionsästhetische Einwand artikuliert das Bedenken, dass im Rahmen der hier in Frage stehenden einheitlichen artefaktontologischen Auffassung gewissen Eigenschaften von Gemälden eine Sonderstellung einzuräumen wäre: Die oben skizzierte Auffassung von Artefakten privilegiere bestimmte Eigenschaften konkreter Artefakte, nämlich diejenigen Eigenschaften, die die_der Urheber_in eines Design-Plans als notwendig dafür bestimmt hat, dass etwas eine Realisierung dieses Design-Plans ist. Dies erscheine mit Blick auf Gemälde aus rezeptionsästhetischer Perspektive als problematisch: Die für die Rezeption eines Gemäldes relevanten Eigenschaften erschöpften sich schließlich nicht in einigen von der_dem Urheber_in festgelegten Eigenschaften. Selbstverständlich wäre eine Einschränkung der Rezeption von Gemälden in der beschriebenen Weise nicht wünschenswert. Der rezeptionsästhetische Einwand beruht jedoch auf einem Missverständnis: Die_der Rezeptionsästhetiker_in, die_der diesen Einwand vorbringt, verwechselt die Eigenschaften, die für eine Realisierung konstitutiv sind, mit den für die Rezeption dieser Realisierung (potenziell) relevanten Eigenschaften. Die von der_dem Urheber_in des Gemälde-Design-Plans für Realisierungen festgelegten Eigenschaften sind einzig für die Frage relevant, ob ein Gemälde eine Realisierung des fraglichen Design-Plans ist oder nicht. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, welche Eigenschaften eines den Design-Plan realisierenden Gemäldes entscheidend für dessen Rezeption sind. Um aus der Festlegung der Eigenschaften durch die_den Urheber_in des Gemälde-Design-Plans eine Privilegierung dieser Eigenschaften auch für die Rezeption abzuleiten, bedarf es einer Zusatzprämisse, der Prämisse nämlich, dass die_der Urheber_in eines Gemälde-Design-Plans darüber bestimmt, wie ein diesen Plan realisierendes Gemälde zu rezipieren ist. Ohne diese Zusatzprämisse bleibt die Frage nach den für die Rezeption relevanten Eigenschaften unbeantwortet. Die oben skizzierte einheitliche Artefaktontologie ist ohne Weiteres kompatibel mit der Auffassung, dass für die Rezeption eines Gemäldes alle Eigenschaften eines Gemäldes relevant sind (bzw. sein können). Wie aber verhält es sich mit den gescheiterten Versuchen, einen DesignPlan zu realisieren? Haben wir es hier nicht mit Artefakten zu tun, die unabhängig von einem Design-Plan zur Existenz kommen? Im Zuge des Scheiterns entsteht schließlich kein neuer Design-Plan, und den Design-Plan, den sie realisieren sollen, realisieren diese Entitäten ja gerade nicht. Die plausibelste Auffassung im Hinblick auf diese Resultate des Scheiterns scheint mir allerdings zu sein, dass es sich bei ihnen nicht um Artefakte handelt. Denn wie sich bereits in Abschnitt 2.1.1 im Zusammenhang mit dem Einwand von der wildgewordenen Fabrik in der extremen Version gezeigt hat, erscheint es nicht
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
als plausibel, Entitäten, deren Eigenschaften allesamt nicht auf das Handeln eines_einer Urheber_in zurückgehen, als Artefakte aufzufassen. Aber selbst eine gescheiterte Realisierung, die zumindest vereinzelte Eigenschaften aufweist, die der zu realisierende Design-Plan vorgibt (nur eben nicht hinreichend viele oder nicht die für Realisierungen notwendigen Eigenschaften), sollten wir nicht als Artefakt auffassen: Zwar kommen der fraglichen Entität in diesem Falle durchaus Eigenschaften zu, die von einer_einem bewussten Akteur_in festgelegt wurden. Allerdings dürfte sich mit gutem Grund bezweifeln lassen, dass hinreichend viele Merkmale der Entität durch eine_n Urheber_in festgelegt wurden, wie es die Bedingung (AMB') innerhalb der Definition des Begriffs Artefakt erfordert. Denn der Anteil der Zufälle, die die Beschaffenheit der fraglichen Entität mit verursacht haben, dürfte in einem solchen Fall zu groß sein.
2.3 Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten202
Für die Auswahl des Gegenstandsbereichs dieser Studie war das Kriterium (K) ausschlaggebend, das wesentlich auf die Bestimmungsrechte von Urheber_ innen Bezug nimmt. Bis dato habe ich im ersten Teil dieser Studie lediglich eine gewisse Anfangsplausibilität der Annahme etabliert, dass Urheber_innen Rechte zur Bestimmung über die von ihnen hervorgebrachten Design-Pläne haben können, die es ihnen erlauben, in einer Vielzahl von Fällen über die Produktion konkreter Artefakte zu entscheiden, die diese Pläne realisieren.203 In diesem Kapitel werde ich nun einlösen, was ich im ersten Teil angekündigt habe, und mich der Begründung dieser Bestimmungsrechte, die dort lediglich kursorisch erfolgt ist, im gebotenen Umfang und Detailreichtum widmen. Dazu lege ich zunächst dar, warum es als sinnvoll erscheint, anzunehmen, dass Urheber_innen üblicherweise einen bestimmten, generellen Anspruch auf das von ihnen Geschaffene haben, indem ich diese Annahme unter Bezugnahme auf die Entlohnungswürdigkeit von Leistungen begründe. Aus diesem generellen Anspruch leite ich zwei spezielle Bestimmungsrechte der_des Design-Plan-Urhebenden ab, die das Anfertigen von konkreten Kopien betreffen, nämlich das Recht, die Produktion vorgeblicher Exemplare zu verhindern, 202 In
diesem Kapitel entwickle ich einige Überlegungen weiter, die ich in Bahr 2013 vorgelegt habe. 203 Einige Fälle sind allerdings von der Entscheidungsgewalt der Design-Plan-Urhebenden ausgenommen: Wie sich im Folgenden zeigen wird, können diese Urhebenden auf die Produktion von ihren Design-Plan realisierenden Privatkopien keinen Einfluss nehmen.
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und das Recht, die Produktion nicht autorisierter konkreter Kopien mit Verbreitungsabsicht zu verhindern. Bevor ich mich aber dem generellen Anspruch der Urheber_innen von Artefakten sowie den beiden sich daraus für Design-Plan-Urheber_innen ergebenden auf Kopien bezogenen Rechten zuwende, sei eine einleitende Bemerkung vorangestellt. Sie betrifft die Art der Rechte, auf die ich im Folgenden zu sprechen kommen werde: Mit dem Ausdruck »Recht« beziehe ich mich hier und im Folgenden auf einen moralisch berechtigten Anspruch, nicht aber auf eine staatlich fixierte Norm.204
2.3.1 Der generelle Anspruch der_des Design-Plan-Urhebenden
Im Folgenden werde ich dafür argumentieren, dass der_dem Urheber_in eines Design-Plans qua Design-Plan-Urheber_in im Allgemeinen ein genereller Anspruch bezüglich des von ihr_ihm geschaffenen Design-Plans zukommt, wobei der Anspruch darin besteht, nach Belieben über den Design-Plan bestimmen zu dürfen. Dieser Anspruch der_des Design-Plan-Urhebenden schließt auch Rechte ein, die die Kontrolle über die Anfertigung von Realisierungen betreffen – auf diese Rechte komme ich in Abschnitt 2.3.2 ausführlich zu sprechen. Im Rahmen dieses Abschnitts ist allerdings zunächst zu klären, wie sich der generelle Anspruch der_des Design-Plan-Urhebenden legitimieren lässt. Meine Begründung dieses Anspruchs stützt sich auf eine These, die mir eine allgemein geteilte Grundüberzeugung zu sein scheint, die These nämlich, dass Leistende für ihre Leistung einer Entlohnung würdig sind. Eine erste, tentative Formulierung dieser These lautet wie folgt: (1) Wer eine Leistung erbringt, soll dafür entlohnt werden.
Auf den ersten Blick erscheint (1) als ausgesprochen überzeugend – betrachten wir die Formulierung genauer, gibt ihr pauschaler Charakter allerdings zu denken. Schließlich dürfte es auf breite Zustimmung stoßen, dass Personen, deren Leistung im Bau einer Massenvernichtungswaffe oder im Entwickeln und Ausführen eines perfiden Mordplans besteht, dafür nicht uneingeschränkt eine Entlohnung verdienen. Wir sollten daher Leistungen, gegen
204 Nichtsdestotrotz
dürfte meine Argumentation auch aus urheberrechtlicher Sicht bedenkenswert sein. Denn es erscheint als vernünftige Forderung, dass moralische Rechte in Gesetzen und Rechtsprechung angemessen Berücksichtigung finden.
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
deren Entlohnung zwingende moralische Gründe sprechen, explizit ausschließen: (1') Wer eine Leistung erbringt, soll dafür entlohnt werden, solange der Entlohnung keine zwingenden moralischen Gründe entgegenstehen.
Leistungen, gegen deren Entlohnung keine zwingenden Gründe sprechen, bezeichne ich im Folgenden als entlohnungswürdige Leistungen. Nun zeichnen sich Leistungen vor allem dadurch aus, dass sie Ergebnisse hervorbringen. Einige Leistungen sind geistiger, andere physischer Art. Zu den Ergebnissen primär physischer Leistungen zählt etwa ein großer Teil der konkreten Artefakte, während Design-Pläne zu den Ergebnissen primär geistiger Leistungen zu rechnen sind. Artefakte sind besondere Ergebnisse menschlicher Leistung – wie aus der Definition des Begriffs Artefakt hervorgeht, handelt es sich bei ihnen um Gegenstände. Dies gilt keineswegs für die Ergebnisse von Leistungen generell, wie ein Beispiel zeigt, auf das ich schon in Abschnitt 2.1.1 zu sprechen gekommen bin: Dass ein Zaun in einer bestimmten Farbe erstrahlt, kann das Ergebnis einer Leistung sein, die darin besteht, den Zaun farbig zu streichen, aber die Farbigkeit des Zauns selbst ist kein Gegenstand. Wie sich im Folgenden zeigen wird, wird ein_e Leistende_r für Leistungen, die in Gegenständen resultieren, grundsätzlich in besonderer Weise entlohnt: Die_der Leistende erhält hinsichtlich dieser Gegenstände ein umfangreiches Bestimmungsrecht. Der Anspruch der_des Leistenden, nach Belieben über einen aus ihrer_seiner Leistung resultierenden Gegenstand zu bestimmen
Auf der Grundlage der Entlohnungswürdigkeit von Leistungen lässt sich für Leistungen, deren Resultat ein Gegenstand ist, nun ein genereller Anspruch der_des Leistenden begründen, der Anspruch nämlich, nach Belieben über den aus der Leistung resultierenden Gegenstand zu bestimmen. Dies gilt, solange die_der Leistende nicht auf andere Weise – etwa durch eine finanzielle Aufwandsentschädigung – für ihre_seine Leistung entlohnt wird. In unserer Gesellschaft sind Leistende oftmals auf das Bestimmungsrecht angewiesen, um für Leistungen, die in einem Gegenstand resultieren, eine Entlohnung zu erhalten. So bleibt einer_einem Musiker_in, die_der einen Song schreibt und dafür nicht von einem Label (oder etwa auch vom Staat) entlohnt wird, nur die Bestimmung über diesen Song, um von ihrer_seiner kreativen Leistung zu profitieren. Freilich wäre ohne Weiteres ein alternatives Entlohnungssystem denkbar, in dem die Entlohnung von Leistenden für die Hervor-
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Was ist ein Artefakt?
bringung von Gegenständen auf andere Weise gesichert wäre, z. B., indem der Staat ihnen finanzielle Unterstützung leistet.205 Wäre ein solches alternatives Entlohnungssystem gegeben, so wäre das Bestimmungsrecht keine Voraussetzung mehr für eine Entlohnung. Solange jedoch alternative Möglichkeiten der Entlohnung nicht gegeben sind, bleibt das Recht der_des Leistenden, die_der einen Gegenstand hervorbringt, erhalten – sie_er darf mit diesem Gegenstand verfahren, wie es ihr_ihm beliebt. Das Bestimmen nach Belieben kann etwa beinhalten, dass die_der Leistende selbst den Gegenstand nutzt, oder aber darin, Dritten durch Verkaufen, Vermieten o. ä. einen Zugang zum Gegenstand zu gewähren (wobei einige Varianten des Zugänglich-Machens damit einhergehen, dass das Recht, über den Gegenstand zu bestimmen, an eine_n Dritte_n übertragen wird). Die_der Leistende darf – unter der Voraussetzung, dass ihre_seine Leistung entlohnungswürdig ist – also nach Belieben über den Gegenstand bestimmen, den sie_er mittels ihrer_seiner Leistung hervorgebracht hat: (2) Im Falle entlohnungswürdiger Leistungen, deren Resultat ein Gegenstand ist, darf die_der Leistende nach Belieben über den aus ihrer_seiner Leistung resultierenden Gegenstand bestimmen.
Wenn der durch die Leistung hervorgebrachte Gegenstand konkreter Natur ist, beinhaltet der Anspruch der_des Leistenden unter anderem die Entscheidung, wo sich der Gegenstand befinden soll, wer zu seiner Nutzung berechtigt ist, wer den Gegenstand modifizieren darf, etc. Ist der Gegenstand, der seine Existenz der Leistung seines Urhebenden verdankt, hingegen abstrakt, d. h. ein Design-Plan, dann ergeben sich andere Möglichkeiten des Umgangs mit und der Einflussnahme auf den Gegenstand. Design-Pläne sind in erster Linie dazu gedacht, instanziiert zu werden. Die_der Urheber_in eines DesignPlans kann dementsprechend darüber entscheiden, ob außer ihr_ihm selbst jemand genuine Realisierungen oder auch nicht-genuine, zur Distribution bestimmte Realisierungen – d. h. zur Verbreitung gedachte Kopien – ihres_ seines Design-Plans herstellen darf und wenn ja, unter welchen Umständen. Auf die Produktion nicht-genuiner Realisierungen ihres_seines Design-Plans hat ein Design-Plan-Urheber somit nur eingeschränkt Einfluss: Die Möglichkeiten der_des Urhebenden zur Bestimmung über die Produktion von Kopien beschränken sich auf solche Kopien, deren Herstellung mit der Absicht einhergeht, sie zu verbreiten. Ein_e Design-Plan-Urheber_in kann hingegen nicht verhindern, dass ihren_seinen Design-Plan realisierende Kopien für den pri205 Vgl.
Calandrillo (1998) sowie Shavell und van Ypersele (2001).
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
vaten Gebrauch angefertigt werden. Denn diese Kopien stellen allenfalls eine minimale Beeinträchtigung für das generelle Bestimmungsrecht der_des Design-Plan-Urhebenden hinsichtlich ihres_seines Design-Plans dar: Sofern sich ein Exemplar der EP breathe der Hamburger Band Lunartree bereits in meinem Besitz befindet, und ich dieses Exemplar benutze, um eine Kopie der EP auf eine CD zu brennen, damit ich eine CD im Auto und eine in meiner Wohnung habe, wird dies die Möglichkeiten von Lunartree, mit dem der EP breathe zugrunde liegenden Design-Plan nach Belieben zu verfahren, wohl kaum beschneiden. Denn anstatt eine weitere CD zu brennen, hätte ich genauso gut mein Exemplar der EP aus meiner Wohnung ins Auto mitnehmen können. In jedem Fall schränkt die Kopie für meinen Privatgebrauch die Bestimmungsmöglichkeiten von Lunartree über ihren Design-Plan nicht nennenswert ein, denn mein Anfertigen der Kopie resultiert nicht in einer Minimierung der Verkaufsoptionen, die die Band für ihre EP hat. Schließlich hätte ich mir für mein Auto ohnehin kein zweites genuines Exemplar der EP gekauft. Wenn ich hingegen diverse Kopien von breathe anfertige, um sie zu einem Spottpreis im Internet zu verkaufen, werden Lunartrees Optionen zum Verkauf ihrer EP durchaus in beträchtlicher Weise eingeschränkt. Aus diesem Grunde kann die_der Design-Plan-Urheber_in nur die Anfertigung von Kopien untersagen, die mit der Absicht zur Verbreitung produziert werden. Im Folgenden bezeichne ich diese Kopien als Verbreitungskopien. Aber nicht nur bei der Anfertigung von Privatkopien kommen die Bestimmungsrechte von Design-Plan-Urheber_innen an ihre Grenzen: Es kann zudem moralisch legitim und sogar geboten sein, das Bestimmungsrecht einer_eines Design-Plan-Urhebenden zugunsten fundamentaler moralischer Güter zu verletzen. Die Verletzung von Bestimmungsrechten zugunsten fundamentaler moralischer Güter kann moralisch legitim sein
In einigen Fällen ist es offenbar erlaubt und sogar geboten, das Bestimmungsrecht einer_eines Design-Plan-Urhebenden zugunsten des Schutzes fundamentaler moralischer Güter zu verletzen. Nehmen wir an, ein Pharmaunternehmen entwickelt einen Design-Plan für ein wirksames Medikament gegen Aids. Es dürfte unstreitig sein, dass diese Leistung einer Entlohnung würdig ist. Da das Resultat der Leistung des Pharmaunternehmens ein Design-Plan ist, besteht die Entlohnung für diese Leistung zunächst in dem Recht, nach Belieben über diesen Design-Plan zu bestimmen. Wenn nun aber das Pharmaunternehmen von seinem Bestimmungsrecht insofern Gebrauch macht, als es das den Design-Plan realisierende Medikament zu einem Wucherpreis anbietet, sodass es nur wenigen Kranken zugänglich ist, und das Anfertigen
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von Generika (d. h. Kopien mit Verbreitungsabsicht) – z. B. mit einem entsprechenden Patent – untersagt, dann kann es zugunsten des Lebens und der Gesundheit der Kranken, die sich das Medikament nicht leisten können, geboten sein, insofern das Bestimmungsrecht des Pharmaunternehmens zu verletzen, als gegen dessen Willen entsprechende Generika hergestellt und den Kranken zugänglich gemacht werden.206 In Einzelfällen kann also nicht nur eine Erlaubnis, sondern sogar ein Gebot bestehen, das Bestimmungsrecht einer_eines Design-Plan-Urhebenden zu verletzen. Gibt es jedoch keine triftigen Gründe, die es im Einzelfall erforderlich machen, das Bestimmungsrecht der_des Leistenden über den Gegenstand zu verletzen, den sie_er mittels einer entlohnungswürdigen Leistung hervorgebracht hat, dann dürfen Dritte dieses Recht nicht mutwillig verletzen. Denn es lassen sich keine generellen Gründe denken, die Ansprüche von Dritten an diesem Gegenstand begründen und die Ansprüche des Leistenden auf Entlohnung stets überwiegen. Also gilt (3). (3) Das Recht einer_eines Design-Plan-Urhebenden, nach Belieben über den von ihr_ihm durch eine entlohnungswürdige Leistung hervorgebrachten Design-Plan zu bestimmen, dürfen Dritte ohne triftigen Grund nicht mutwillig verletzen.
Wäre das Bestimmungsrecht einer_eines Design-Plan-Urhebenden nicht vor mutwilligen Verletzungen durch Dritte geschützt, ginge dies zugleich mit einer Minimierung ihrer_seiner Möglichkeiten zur Bestimmung über den Design-Plan einher: Das Recht, nach Belieben über den Design-Plan zu bestimmen, käme der_dem Urheber_in nicht mehr vollumfänglich zu. Denn bspw. die Möglichkeit, die Rechte am Design-Plan entgeltlich an eine_n Dritte_n zu veräußern, setzt einen Schutz des Bestimmungsrechts voraus; wäre dieser nicht gegeben, dann wäre die Motivation Dritter, die Rechte am DesignPlan zu erwerben, deutlich verringert, da sie nicht sicher gehen könnten, mit dem Erwerb des Rechts eine exklusive Position zu erlangen. Der Schutz des Bestimmungsrechts über einen Design-Plan stellt somit eine Voraussetzung dafür dar, dass das Bestimmungsrecht vollumfänglich erhalten bleibt. Im Interesse dieses Schutzes ist es erforderlich, die Herstellung einiger Kopien zu verbieten. Welcher Art die Kopien sind, für deren Herstellung dies gilt, werde ich in Abschnitt 2.3.2 ausführen. 206 Zur
großen Bedeutung von Generika in der Aids-Therapie vgl. von Gehlen 2011, 94 ff. Eine Ethik des Kopierens sollte Auskunft darüber geben, welche Gründe (bzw. Gründe welcher Art) neben dem hier genannten als triftige moralische Gründe für eine Rechtfertigung der Verletzung von Bestimmungsrechten in Frage kommen.
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung von Bestimmungsrechten an Dritte
Ein_e Design-Plan-Urheber_in kann ihr_sein Recht, nach Belieben über ihren_ seinen Design-Plan zu bestimmen, auf Wunsch auch an eine_n Dritte_n veräußern; erfolgt eine solche Veräußerung, so geht mit dem Recht, nach Belieben über den Design-Plan zu bestimmen, auch der Schutz dieses Rechts gegen die Verletzungen durch Dritte an die_den neue_n Rechteinhaber_in über. Entsprechend können wir (3) zu (3') verallgemeinern: (3') Das Recht der_des Rechteinhabenden, nach Belieben über einen durch eine entlohnungswürdige Leistung hervorgebrachten Design-Plan zu bestimmen, dürfen Dritte ohne triftigen Grund nicht mutwillig verletzen.
Zu beachten ist jedoch, dass die Übertragbarkeit der Rechte einzig in der Wahrung der Möglichkeiten der_des Design-Plan-Urhebenden begründet liegt, von der eigenen Leistung in Form der Hervorbringung des Design-Plans zu profitieren. Im Interesse der angemessenen Berücksichtigung berechtigter Interessen weiterer Dritter zur Nutzung des Design-Plans (etwa den Interessen an Bildung oder kultureller Teilhabe) behalten die Rechte nach ihrer Übertragung auf Dritte deshalb nur für einen begrenzten Zeitraum ihre Geltung. Dieser Zeitraum sollte am Kauf Interessierten einen zureichenden Anreiz geben, in die Rechte zu investieren, ohne zugleich die Nutzung des Design-Plans für andere Dritte unzumutbar zu beschränken.207 Urheber_innen von Design-Plänen können ihre Bestimmungsrechte nicht nur auf einzelne Personen, sondern auch auf Kollektive übertragen. Aber auch eine Urheber_innenschaft im Kollektiv ist möglich. Urheber_innenkollektive und ungewollte Koautor_innenschaft
Nicht alle Design-Pläne kommen durch die Anstrengungen einer_eines einzelnen Urhebenden zur Existenz – einige Design-Pläne gehen auf die Leistungen eines Kollektivs von Urheber_innen zurück. So stammt etwa der Song With a Little Help from My Friends aus der Feder von John Lennon und Paul McCartney. Aber auch wissenschaftliche Publikationen, darunter Aufsätze und Monographien, haben oftmals mehr als einen Autor – wie etwa der Auf207 Wie
umfangreich dieser Zeitraum im Einzelnen zu bemessen ist, ist mithin eine Abwägungsfrage und dürfte zudem für unterschiedliche Artefaktarten divergieren. Zu klären, welche Interessen welcher Akteur_innen dabei wie zu gewichten sind, ist eine zentrale Aufgabe einer Ethik des Kopierens und sollte Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.
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satz Steps toward a constructive nominalism von Nelson Goodman und Willard Van Orman Quine. Ist die Leistung des Urheber_innenkollektivs, aus der der Design-Plan resultiert, einer Entlohnung würdig, so gilt Folgendes: Sofern das Urheber_innenkollektiv für seine Leistung nicht anderweitig entlohnt wird, erwirbt es das gemeinschaftliche Recht zur Bestimmung über den DesignPlan.208 Um von diesem Recht Gebrauch machen zu können, müssen sich die Mitglieder des Urheber_innenkollektivs miteinander abstimmen: Bestimmungen über den Design-Plan können grundsätzlich nur dann vorgenommen werden, wenn alle Mitglieder des Urheber_innenkollektivs einwilligen. Eine Ausnahme bilden Fälle, in denen das Bestimmungsrecht als solches akut gefährdet wird und das Einholen der Einwilligung nicht unmittelbar erfolgen kann. Schließlich ist es möglich, dass Mitglieder eines Urheber_innenkollektivs ihren Anteil am Bestimmungsrecht auf andere Mitglieder des Kollektivs übertragen. Behalten mehrere Mitglieder eines Urheber_innenkollektivs ihren Anteil am Recht zur Bestimmung über den von ihnen hervorgebrachten Design-Plan, so besteht freilich immer die Möglichkeit, dass sich die Mitglieder hinsichtlich der Ausübung ihres Bestimmungsrechts über den von ihnen geschaffenen Design-Plan uneinig sind. Treten derartige Konflikte innerhalb eines Urheber_innenkollektivs auf, so müssen diese Konflikte schlimmstenfalls gerichtlich geklärt werden. Die kollektive Urheber_innenschaft bedarf keineswegs der Zustimmung durch alle am Kollektiv Beteiligten: Üblicherweise dürfte die Hervorbringung von Design-Plänen durch Urheber_innenkollektive zwar einvernehmlich erfolgen, aber es kann auch Fälle geben, in denen wir es mit einer ungewollten Koautor_innenschaft zu tun haben. Betrachten wir noch einmal den Fall des Romans Der Prozess, auf den ich bereits in Abschnitt 2.1.2 zu sprechen gekommen bin. In diesem Zusammenhang habe ich dargelegt, dass in Anbetracht des Umfangs der Einflussnahme des Herausgebers Brod auf das fragmentarische Material die Annahme nahe liegt, dass wir es hier mit einer von Kafka unerwünschten Koautorschaft zu tun haben, aus der ein Artefakt – der Roman Der Prozess – hervorgegangen ist. Auch dann, wenn eines der Mitglieder des Urheber_innenkollektivs der Schöpfung eines Design-Plans nicht zugestimmt hat, darf dieses Mitglied mit über den hervorgebrachten DesignPlan bestimmen. 208 Dies
gilt für konkrete Artefakte gleichermaßen: Wenn mehrere Personen ein konkretes Artefakt herstellen – wenn etwa zwei Tischler_innen zusammen einen Tisch bauen –, dann teilen sie sich als Urheber_innenkollektiv die Bestimmungsrechte über den Tisch und müssen sich etwa darüber verständigen, wo der Tisch stehen soll und wer ihn nutzen darf. Da jedoch die Bestimmungsrechte über konkrete Artefakte für das Thema dieser Studie nachrangig sind, vernachlässige ich sie an dieser Stelle.
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
Hätte aber nun nicht auch Kafka rechtmäßig verhindern können, dass Brod sich des auf ihn zurückgehenden fragmentarischen Materials bedient, um daraus ein Artefakt zu schaffen? Hat er keine Rechte zur Bestimmung über dieses Material? Bisher habe ich lediglich behauptet, dass es allein Design-Pläne sind, an denen Urheber_innen Bestimmungsrechte haben können. Ich komme daher nun auf die Gründe zu sprechen, die dagegensprechen, dass über Design-Pläne hinaus auch abstrakte Gegenstände anderer Art Gegenstände von Urheber_innen-Bestimmungsrechten sein können. Kafka ein Recht zur Bestimmung über die fragmentarisch gebliebenen Elemente des Romans Der Prozess zuzubilligen erscheint in Anbetracht dieser Gründe nicht als sinnvoll. Nur Artefakte kommen als Gegenstände von Urheber_innen-Bestimmungs rechten in Frage
In Abschnitt 1.1.2 habe ich bereits angedeutet, dass es sich bei den Gegenständen, an denen Urheber_innen Bestimmungsrechte haben können, um abstrakte Artefakte handelt, nämlich um Design-Pläne. Im Lichte der obigen Ausführungen ist die Annahme, dass Design-Plan-Urheber_innen im Allgemeinen 209 Bestimmungsrechte über die von ihnen erzeugten Design-Pläne haben, ausgesprochen plausibel: Es dürfte unmittelbar überzeugen, dass die Herstellung eines Design-Plans eine Leistung ist, deren Resultat ein Gegenstand ist, nämlich der Design-Plan. Nun habe ich allerdings behauptet, dass nur Kopien von Artefakten potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_ innen verletzen können: Im Abschnitt 1.1.3 ging es mir darum, den Gegenstandsbereich dieser Studie zu bestimmen, und zwar so, dass in diesen Bereich sowohl Kopien fallen, deren Genese potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen verletzt, als auch die geistigen Schöpfungen selbst, die Objekte dieser Bestimmungsrechte sind. Als geistige Schöpfungen, die als mögliche Objekte dieser Bestimmungsrechte in Frage kommen, habe ich Design-Pläne herausgegriffen. Warum aber sollten wir die geistigen Schöpfungen, an denen Urheber_innen Bestimmungsrechte haben können, so limitieren, dass allein Design-Pläne darunterfallen? Ist es nicht viel plausibler, auch Leistungen zu würdigen, die nicht in einem Design-Plan resultieren, sondern lediglich in einer Vorstufe, einem Fragment, etwas Unfertigem? Auch das deutsche Urheberrecht sieht schließlich vor, dass jedenfalls 209 Dass
Design-Plan-Urheber_innen für ihre Leistung, einen Design-Plan hervorzubringen, eine Entlohnung erhalten sollten, gilt selbstverständlich ebenfalls vorbehaltlich der Entlohnungswürdigkeit der fraglichen Leistung.
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einige Vorstufen von Werken oder Entwürfe genau wie fertige Werke einen urheberrechtlichen Schutz genießen.210 Sollte etwa die_der Verfasser_in eines Romans nicht auch schon für das Verfassen der ersten 200 Seiten des Manuskripts eine Entlohnung erhalten, obgleich das Manuskript noch nicht fertig gestellt ist? Und worin sonst sollte diese Entlohnung bestehen, wenn nicht ebenfalls in dem Recht, über diese 200 Manuskriptseiten nach Belieben zu bestimmen? Das soeben artikulierte Bedenken dagegen, in Design-Plänen die alleinigen Gegenstände von Urheber_innen-Bestimmungsrechten zu erblicken, beruht jedoch auf einem Missverständnis. Denn mit der Behauptung, dass unter den geistigen Hervorbringungen einzig Design-Pläne den Schutz durch Urheber_innen-Bestimmungsrechte verdienen, ist keineswegs gesagt, dass der_dem Verfasser_in der 200 Manuskriptseiten des noch unfertigen Romans kein Recht zur Bestimmung über ihr_sein Manuskript zusteht: Das Manuskript mag zwar selbst (noch) kein fertiges Werk sein – den Status eines Design-Plans kann die Hervorbringung der_des Autorin_Autors jedoch unter Umständen dennoch für sich beanspruchen. Werke und Design-Pläne fallen nämlich nicht zusammen: Zwar sind alle Werke Design-Pläne – DesignPläne jedoch sind nicht zwangsläufig Werke. Auch diejenigen Entitäten, die im Sinne des Urheberrechts (noch) keinen Werkcharakter haben, können sich durchaus als Design-Pläne qualifizieren. Denn auch der erste Teil eines noch nicht vollendeten Romans kann die Bedingungen erfüllen, die die Definition des Begriffs Artefakt umfasst: Es kann sich dabei um einen abstrakten Gegenstand handeln, der ein Resultat von (wohl in erster Linie) geistiger Arbeit unter dem Einsatz von direkten Intentionen ist, und sein_e Urheber_ in kann hinreichend viele seiner Merkmale festgelegt und ihn schließlich als zufriedenstellende Realisierung ihrer_seiner Intentionen akzeptiert und dadurch abgeschlossen haben. Vieles, was das Urheberrecht als unfertiges Werk verstehen mag, ist somit schon ein Design-Plan. Einzelne, abgeschlossene Kapitel oder Teile eines Buchs können ebenso geschützt werden wie mancher Entwurf, der als solcher unter Umständen durchaus die Bedingungen für Artefaktizität erfüllen kann. Allerdings gibt es auch unfertige Design-Pläne, also unausgereifte Vorstufen und bruchstückhafte Fragmente derselben, über die diejenige_derjenige, die_der sie hervorgebracht hat, keine Bestimmungsrechte hat. Dies liegt nicht so sehr darin begründet, dass die Leistung, die in der Hervorbringung solcher Vorstufen und Fragmente besteht, nicht anerkennenswert oder entlohnungswürdig sein kann. Eine Problematik dieser Rudimente kann vielmehr 210 Vgl.
Dreyer et al. 2009, 56.
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
erstens darin bestehen, dass oftmals (noch) nicht genügend Merkmale von ihnen festgelegt wurden. Es handelt sich bei ihnen also nicht um Artefakte, da sie die Bedingung (AMB') nicht zu erfüllen vermögen. Wenn nun aber ein Rudiment derjengen_demjenigen, die_der es hervorgebracht hat, nicht genügend Eigenschaften verdankt, dann leuchtet es nicht ein, der_dem Hervorbringenden zuzubilligen, über dieses Rudiment nach Belieben zu bestimmen: Wenn ein_e Romanautor_in einen neuen Roman zu schreiben beabsichtigt und zunächst einmal nur festlegt, dass der Roman sich um einen Protagonisten drehen soll, der ein griesgrämiger, ehemals in einer Großstadt tätiger und wegen seiner Sturheit gegen seinen Willen aufs Land versetzter Polizist ist, dann ist dieses Roman-Rudiment viel zu unspezifisch – die_der Romanautor_in kann ohne Frage nicht das Recht beanspruchen, darüber nach Belieben zu bestimmen, um etwa anderen Schriftsteller_innen zu untersagen, Romane mit einem Protagonisten wie dem eben beschriebenen zu verfassen. Im Lichte dieses Beispiels verwundert es nicht, dass auch das Urheberrecht für schutzwürdige Entitäten fordert, dass ein hinreichendes Maß an Eigenschaften durch die_den Urheber_in festgelegt wird. Jurist_innen suchen das, was der Skizze des Romanprotagonisten zum Artefaktsein fehlt, mit dem Begriff der Gestaltungshöhe einzufangen: Ein Gegenstand muss ein gewisses Maß an auf die Tätigkeiten der_des Urhebenden zurückgehender Individualität aufweisen, um als Artefakt gelten zu können. Dass ein Gegenstand eine solche Gestaltungshöhe aufweist, stellt eine Voraussetzung dafür dar, dass der_dem Urheber_in Urheberrechte an dem von ihr_ihm geschaffenen Gegenstand zukommen. Aber selbst, wenn schon hinreichend viele Merkmale des Rudiments festgelegt wurden, kann es gute Gründe geben, die dagegen sprechen, der_dem Hervorbringenden des Rudiments das Recht zur Bestimmung über selbiges einzuräumen. Denn es kann zweitens ein Problem darstellen, dass ein Rudiment nicht abgeschlossen ist. Dies führt nicht nur dazu, dass es sich nicht als Artefakt qualifiziert, weil es die Bedingung (AKB') nicht erfüllt. Auch für die Frage, ob es als Gegenstand eines Bestimmungsrechts in Frage kommt, wirft die mangelnde Abgeschlossenheit ein ernstzunehmendes Problem auf. Denn als etwas nicht Abgeschlossenes hat das Rudiment unscharfe Grenzen, während ein Design-Plan ein klar abgegrenzter und durch seine_n Urheber_ in abgeschlossener Gegenstand ist. Handelt es sich bei einem Rudiment um eine Sammlung von Notizen, die ein_e Romanautor_in zur Vorbereitung eines neuen Romans über Monate anfertigt, so kann völlig unklar sein, welche Notizen feste Bestandteile dieser Sammlung sind und welche für das Konzept des späteren Romans gar nichts austragen. Einige Rudimente verfügen nicht über klare Identitätsbedingungen – es ist also in diesen Fällen unklar, was
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überhaupt als Gegenstand eines Bestimmungsrechts in Frage steht. Jemandem ein Bestimmungsrecht über ein amorphes, nicht klar begrenztes Rudiment zu erteilen erscheint nicht als sinnvoll. Nichtsdestotrotz besteht unter Umständen die Möglichkeit, auch unfertige Rudimente davor zu bewahren, dass Dritte sie sich zueigen machen, wie es im Falle von Kafkas Fragment geschehen ist, das Brod sich ohne Zustimmung Kafkas angeeignet hat. Dies ist dann allerdings keine Sache der Bestimmungsrechte über geistige Schöpfungen, sondern vielmehr eine Angelegenheit, in der es eher um die Persönlichkeitsrechte derjenigen_desjenigen geht, die_der das fragliche Rudiment hervorgebracht hat: So sollte jemand, die_der ein Rudiment hervorbringt, das sie_er im gegenwärtigen Zustand nicht für gelungen hält, dieses vor dem Zugriff Dritter schützen können.211 An Design-Plänen, die Kopien sind, hat die_der Kopist_in keine Bestimmungs rechte, sofern ihre_seine Bestimmungsrechte mit den Bestimmungsrechten einer_eines Design-Plan-Urhebenden konfligieren würden
Nicht jede_r, die_der einen Design-Plan hervorbringt, erwirbt Bestimmungsrechte über diesen Plan – dies hat sich bereits im Zusammenhang mit Design-Plänen gezeigt, deren Hervorbringung keine entlohnungswürdige Leistung darstellt. Design-Pläne, die sich einer nicht entlohnungswürdigen Leistung verdanken, bilden jedoch nicht die einzige Ausnahme: Es dürfte auf der Hand liegen, dass Kopist_innen an den von ihnen hervorgebrachten Design-Plänen, die Kopien sind, im Allgemeinen keine Bestimmungsrechte haben. Obgleich es zunächst so scheint, als handle es sich bei diesen Fällen um Unterfälle der bereits diskutierten Ausnahme und als sei die Leistung der Kopist_innen schlicht nicht entlohnungswürdig, ist der Mangel der Entlohnungswürdigkeit der Leistung keineswegs der Grund dafür, dass den Kopist_ innen die Bestimmungsrechte über ihre Hervorbringung verwehrt bleiben. Denn Kopist_innen können durchaus eine beträchtliche Leistung erbringen, die einer Entlohnung würdig ist – es gibt keine generellen moralischen Gründe, die gegen das Kopieren als solches sprechen.212 Haben wir es mit einem Design-Plan und seiner Kopie zu tun, so erscheint es als plausibel, dass beide durch entlohnungswürdige Leistungen hervorgebracht werden können. 211 Das
deutsche Urheberrecht kennt dieses Veröffentlichungsrecht, das persönlichkeits- und vermögensrechtlicher Natur ist und in § 12 UrhG geregelt wird, nur für Werke (vgl. Nordemann et al. 2014) – es erscheint jedoch als überzeugend, es auf Rudimente zu erweitern. 212 Anders verhält es sich freilich mit dem Kopieren, das mit einer Täuschungsabsicht einhergeht und auf das ich im Folgenden noch zu sprechen komme.
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
Ist dies der Fall, so muss eine Abwägung stattfinden: Soll die_der Urheber_in des Original-Design-Plans Bestimmungsrechte darüber haben oder soll der_ dem Kopierenden das Recht zukommen, über ihre_seine Kopie zu bestimmen? Beiden die entsprechenden Rechte zuzubilligen, hätte zur Konsequenz, dass Konflikte äußerst wahrscheinlich sind. Denn die_der Kopist_in könnte etwa gegen den Willen der_des Design-Plan-Urhebenden Realisierungen ihrer_seiner Kopie anfertigen, die zugleich den Original-Design-Plan realisieren und deren Verbreitung die_der Kopist_in beabsichtigt: Fertigt ein_e Kopist_in eine Design-Plan-Kopie des Original-Design-Plans für Apples iPhone 12 an und produziert auf dessen Grundlage zum Verkauf gedachte Smartphones, die auch den Original-Design-Plan realisieren, so stellt dies offenkundig ein großes Problem für Apple dar. Kommen nun sowohl Apple als Urheber des Original-Design-Plans als auch der_dem Kopierenden, die_der die abstrakte Kopie hervorgebracht hat, Bestimmungsrechte über ihre jeweiligen Design-Pläne zu, so wäre die Produktion der fraglichen Smartphones durch die Bestimmungsrechte der_des Kopierenden gedeckt, sie stünde jedoch in Konflikt mit den Bestimmungsrechten von Apple. Da eine Vielzahl vergleichbarer Konfliktsituationen denkbar ist, liegt es nahe, eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen, wie wir mit solchen Situationen umgehen sollten. Es erscheint in diesem Zusammenhang als überzeugend, die_den Urheber_in des Original-Design-Plans zu privilegieren – denn ihre_seine Hervorbringung verfügt über Originalität, während die Kopie derivativ ist213: Obgleich sowohl die_der Urheber_in des Original-Design-Plans als auch die_der Kopist_in eine entlohnungswürdige Leistung erbringen mögen, zeichnet sich die Leistung der_des Design-Plan-Urhebenden dadurch aus, dass sie eigenständig ist. Die Kopie hingegen hätte es ohne das Original nicht gegeben – die_der Kopist_ in profitiert enorm von der Leistung der_des Urhebenden, die_der für das Original verantwortlich zeichnet. Auch um einen Anreiz zu schaffen, derart eigenständige Leistungen zu erbringen – und damit das Schaffen von innovativen Artefakten zu begünstigen –, liegt es nahe, der_dem Urheber_in des Original-Design-Plans Bestimmungsrechte über ihren_seinen DesignPlan zuzubilligen, während der_dem Kopierenden diese Rechte verwehrt bleiben. Jedoch gibt es auch Design-Pläne, die Kopien sind und an denen die_der Kopist_in Bestimmungsrechte hat: Fertigt ein_e Kopist_in auf der Grundlage eines konkreten Exemplars einen Design-Plan an – produziert sie_er also eine Artefaktkopie, auf die ich im Kapitel 3.1 mit der Bezeichnung »Exemplar-basierte Kopie« Bezug nehme –, so kann es sein, dass dieser Design213 Auf
diesen Aspekt gehe ich im Kapitel 3.1 näher ein.
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Plan mit dem Design-Plan, den das als Vorlage dienende Exemplar realisiert, kaum oder sogar gar nicht übereinstimmt. Denn jedes Exemplar weist auch Eigenschaften auf, die nicht im Design-Plan festgelegt werden, den es realisiert. Übernimmt ein_e Kopist_in überwiegend oder sogar ausschließlich diese Eigenschaften, dann konfligieren ihre_seine Bestimmungsrechte über den daraus erwachsenden Design-Plan nicht mit den Bestimmungsrechten, die die_der Urheber_in am Design-Plan hat, den das Vorlage-Exemplar realisiert. Konfliktfälle wie der soeben skizzierte sind in dieser Konstellation nicht denkbar: Da die Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie in einer solchen Konstellation nicht zugleich den Original-Design-Plan realisieren, den das Vorlage-Exemplar realisiert, und mit den Realisierungen des Original-Design-Plans darüber hinaus nichts Nennenswertes gemein haben, kommt es nicht zu einem Konflikt zwischen den Bestimmungsrechten der_ des Urhebenden des Original-Design-Plans und den Bestimmungsrechten der_des Kopierenden. Sofern es nicht mit bestehenden Bestimmungsrechten konfligiert, einer_einem Kopierenden Bestimmungsrechte an einem DesignPlan zuzuschreiben, der eine Kopie ist, erhält die_der Kopierende daher die entsprechenden Bestimmungsrechte an ihrer_seiner Kopie. Exemplar-basierte Kopien, deren Realisierungen nicht zugleich den Original-Design-Plan realisieren, können wir somit wie Original-Design-Pläne behandeln.
2.3.2 Zwei moralische Bestimmungsrechte der_des Design-PlanUrhebenden
Im Abschnitt 2.2.1 bin ich auf zwei Befähigungen der_des Design-Plan-Urhebenden zu sprechen gekommen, die die Produktion von diesen Plan realisierenden konkreten Artefakten betreffen, nämlich die Befähigung, potenzielle Exemplar-Urheber_innen zu bestimmen, und die Befähigung, Kopist_innen mit Verbreitungsabsicht zu autorisieren. Mit diesen beiden Befähigungen, die Urheber_innen eines Design-Plans im Allgemeinen eignet, korrespondieren nun zwei moralische Bestimmungsrechte, die die_der Design-Plan-Urheber_ in beide alleinig innehat, solange sie_er sie nicht an Dritte überträgt, und zwar das Recht, die Produktion vorgeblicher Exemplare zu verhindern, sowie das Recht, die Produktion nicht autorisierter konkreter Kopien mit Verbreitungsabsicht zu verhindern.214 Wie bereits anhand der Bezeichnung der beiden Bestimmungsrechte deutlich wird, handelt es sich dabei um Abwehrrechte: Ein_e 214
Auf diese Rechte und sie potenziell verletzende Kopierhandlungen komme ich analog auch in Bahr 2020 zu sprechen.
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
Design-Plan-Urheber_in ist berechtigt, sich gegen die Produktion bestimmter konkreter Entitäten zur Wehr zu setzen. Wie wir im Folgenden sehen werden, wird die Produktion von Artefaktkopien durch die beiden genannten moralischen Bestimmungsrechte eingeschränkt. Die Artefaktkopien, um deren Herstellung es dabei geht, sind ausschließlich konkreter Natur. In Kapitel 3.1 wird sich zeigen, dass die Klasse der Artefaktkopien mehr als Konkreta enthält: Neben den konkreten Artefaktkopien gibt es auch abstrakte Artefaktkopien. Es gibt allerdings keine analogen, speziellen Bestimmungsrechte, die es einer_einem Design-Plan-Urheber_in erlauben, die Herstellung abstrakter Artefaktkopien zu verhindern. Dies liegt jedoch nicht etwa darin begründet, dass die Herstellung abstrakter Artefaktkopien sich nicht auf die Bestimmungsrechte von Urheber_innen auswirkt: Auch sie kann Urheber_innen-Bestimmungsrechte verletzen – da diese Verletzung der Bestimmungsrechte aber der_dem Urheber_in zumutbar ist, ergeben sich keine gesonderten Bestimmungsrechte zur Abwehr gegen die Produktion abstrakter Artefaktkopien. In Abschnitt 3.3.2 werde ich dies ausführlich begründen. Das Recht, die Produktion vorgeblicher Exemplare zu verhindern
Obgleich es ontologisch unmöglich ist, dass ein_e Dritte_r ohne Berechtigung durch die_den Design-Plan-Urheber_in215 ein genuines Exemplar des von dieser_diesem Urheber_in geschaffenen Design-Plans herstellt, besteht durchaus die ontologische Möglichkeit, dass ein_e Dritte_r eine Realisierung dieses Design-Plans produziert und diese fälschlicherweise als genuines Exemplar ausgibt. Ereignet sich ein solcher Fall, so ist das allgemeine Recht der_des Urhebenden, nach Belieben über den von ihr_ihm hervorgebrachten DesignPlan zu bestimmen, ernsthaft gefährdet. Das erste spezielle Recht, das den generellen Anspruch einer_eines Design-Plan-Urhebenden hinsichtlich des von ihm hervorgebrachten Design-Plans sichert, ist folglich das Recht, die Produktion vorgeblicher Exemplare zu verhindern (RVE): (RVE) Die_der Urheber_in eines Design-Plans hat das Recht, Dritte daran zu hindern, Realisierungen ihres_seines Design-Plans mit der Absicht zu produzieren, sie als Exemplare auszugeben.
215 Sofern
die_der Urheber_in die Fähigkeit zur Bestimmung über mögliche Exemplarurheber_innen einer_einem neuen Rechteinhaber_in übertragen hat, ist es die Berechtigung durch diese_n Rechteinhaber_in, die hier zählt.
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Inwiefern stellt (RVE) eine Voraussetzung dafür dar, dass die_der Autor_in eines Design-Plans nach Belieben über diesen Design-Plan bestimmen kann? Wäre die Produktion vorgeblicher Exemplare erlaubt, so ginge damit eine signifikante Beschränkung der Möglichkeiten im Umgang mit dem Design-Plan einher. Denn die Erlaubnis, vorgebliche Exemplare zu produzieren, zöge eine beträchtliche Erhöhung der Wahrscheinlichkeit nach sich, dass Dritte von der Herstellung dieser vorgeblichen Exemplare in einer Weise profitierten, die mit einem massiven Schaden für die_den Design-Plan-Urheber_in einherginge: Dritte könnten beispielsweise die von ihnen angefertigten vorgeblichen Exemplare zu niedrigen Preisen verkaufen und dadurch die Preise für genuine Exemplare drücken. Darüber hinaus wäre durch die Erlaubnis zur Herstellung vorgeblicher Exemplare der Verkauf der Rechte an einem DesignPlan an Dritte maßgeblich erschwert: Wenn der Kauf der Rechte an einem Design-Plan nicht mit der Gewährung von Privilegien einherginge, dann bestünde für Dritte keinerlei Grund, in die Rechte zu investieren. Solange eine Erlaubnis zur Herstellung vorgeblicher Exemplare besteht, liegt es für Dritte nahe, ebenfalls vorgebliche Exemplare zu produzieren, statt die Rechte am Design-Plan und damit auch das Recht zur Herstellung genuiner Exemplare zu erwerben. (RVE) ist also von großer Relevanz für das allgemeine Bestimmungsrecht der_des Design-Plan-Urhebenden. Nun betrifft das Recht, die Produktion vorgeblicher Exemplare zu verhindern, keineswegs ausschließlich Kopien: Bei vorgeblichen Exemplaren muss es sich nicht zwangsläufig um Kopien handeln. Betrachten wir etwa gefälschte Medikamente: Es lässt sich ohne Frage auch dann von einer Tablette behaupten, sie sei eine genuine Realisierung eines bestimmten Design-Plans für ein Medikament, das Kopfschmerzen beseitigt, wenn die Tablette keine relevanten Ähnlichkeiten mit diesen Design-Plan genuin realisierenden Tabletten aufweist. Die Tablette könnte eine andere Farbe und eine andere Größe haben als die Original-Tablette, sie könnte anders schmecken und sogar völlig andere oder gar überhaupt keine Wirkstoffe enthalten. Eine solche gefälschte Tablette lässt einen für Kopien wesentlichen Aspekt vermissen, und zwar den Aspekt der signifikanten Ähnlichkeit, die in unserem Beispiel zwischen der Tablettenfälschung und genuinen Tabletten bestehen müsste (auf diesen Aspekt komme ich in Kapitel 3.1 ausführlich zu sprechen). Nichtsdestotrotz kann die_der Produzent_in der gefälschten Tablette sie als genuine Realisierung des in Frage stehenden Design-Plans ausgeben – selbst, wenn der Mangel an Ähnlichkeit möglicherweise die Chancen vermindert, die Tablette zu verkaufen: Eine signifikante Ähnlichkeit mit genuinen Instanziierungen erhöht mutmaßlich die Wahrscheinlichkeit, Käufer_innen für die gefälschte Tablette zu finden. Viele Fälschungen sind daher zugleich Kopien, nämlich
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
solche Kopien, die ich im Folgenden als konkrete Kopiefälschungen bezeichnen werde. Konkrete Kopiefälschungen zählen zu den vorgeblichen Exemplaren, die zugleich Kopien sind. Im Folgenden bezeichne ich alle vorgeblichen Exemplare, die auch Kopien sind, als konkrete Täuschungskopien. Mit der konkreten Kopiefälschung ist bereits eine Unterart der konkreten Täuschungskopie benannt – neben der konkreten Kopiefälschung gibt es allerdings noch eine weitere Art der konkreten Täuschungskopie, nämlich das konkrete Plagiat, auf das ich im Folgenden näher eingehe. Konkrete Kopiefälschungen sind solche Kopien, die die_der Kopist_in als genuine Instanziierungen eines Design-Plans ausgibt, obgleich sie nicht genuin sind. Wir können für den Begriff konkrete Kopiefälschung zunächst die folgende vorläufige und allgemeine Definition angeben:
(KKF) y ist eine konkrete Kopiefälschung, die einen Design-Plan x realisiert gdw. (KKF1) y eine Kopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von x auszugeben und (KKF2) y von einer_einem Expert_in für ein genuines Exemplar von x gehalten werden könnte.
Diese Definition soll fürs Erste genügen – in Abschnitt 3.3.1 werde ich sie unter Berücksichtigung meiner in Kapitel 3.1 vorgeschlagenen Unterscheidung der zwei Arten von konkreten Artefaktkopien noch weiter verfeinern. Es gibt dieser vorläufigen Definition zufolge nun also zwei notwendige Bedingungen, die zusammen hinreichend dafür sind, dass etwas eine konkrete Kopiefälschung ist. Die zweite Bedingung zielt darauf ab, sicherzustellen, dass die fragliche Kopie als eine Realisierung des in Rede stehenden Design-Plans gelten kann. Dass eine solche Bedingung erforderlich ist, bedarf einer Erläuterung. Bisher habe ich mich noch nicht im Detail dazu geäußert, wie Kopien in die Welt kommen. Wenn ich eine konkrete Kopie herstellen will, die den Design-Plan von Apples iPhone 12 realisiert, dann habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder ziehe ich ein Exemplar des iPhone 12 heran, unterziehe es einer eingehenden Untersuchung und baue anschließend ein ihm ähnelndes Gerät. Oder ich beschaffe mir eine Manifestation des Design-Plans für das iPhone 12 und baue ein Gerät nach den Vorgaben dieses Plans. Auf diese beiden Herstellungsmöglichkeiten komme ich im dritten Teil dieser Studie noch einmal ausführlich zu sprechen – konkrete Kopien, die eine konkrete Vorlage haben, bezeichne ich dann als »Exemplarkopien«, während ich konkrete Kopien, deren Vorlage ein Design-Plan ist, »Design-Plan-basierte Kopien« nenne. Wenn ich mich für die erste Herstellungsvariante entscheide und eine Exemplarkopie anfertige,
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Was ist ein Artefakt?
dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Exemplarkopie eine ganze Reihe von Eigenschaften aufweist, die auch das zur Vorlage herangezogene iPhone 12 hat. Allerdings besteht dennoch die Möglichkeit, dass meine Exemplarkopie nur wenige oder gar keine einzige der Eigenschaften hat, die der Design-Plan des iPhone 12 vorsieht. So kann ich bspw. ein Objekt herstellen, das dem iPhone 12 hinsichtlich der Größe, des Gewichts und der Farbe gleicht und darüber hinaus noch einige andere Eigenschaften aufweist, die auch dem als Vorlage dienenden Exemplar des iPhone 12 zukommen. Das von mir hergestellte Objekt wird uns fraglos an das iPhone 12 erinnern – es wird eine unverkennbare Ähnlichkeit zu seiner Vorlage haben. Nun ist es aber ohne Weiteres denkbar, dass das von mir hergestellte Objekt kaum Eigenschaften hat, die der Design-Plan des iPhone 12 für seine Realisierungen vorschreibt. Es handelt sich bei meinem Objekt also durchaus um eine Kopie des Exemplars, das ich als Vorlage benutzt habe. Aber es ist keine Kopie, die Apples Design-Plan für das iPhone 12 realisiert, und entsprechend verletzt seine Produktion auch keine Rechte von Apple. Dies liegt darin begründet, dass die_der Urheber_in eines Design-Plans lediglich Rechte am Design-Plan selbst hat und insofern nur die Produktion ihn realisierender Entitäten untersagen kann. Die_der Design-Plan-Urheber_in kann hingegen nicht verhindern, dass Kopien eines diesen Design-Plan realisierenden Exemplars hergestellt werden, die jedoch selbst nicht für ein Exemplar des Plans gehalten werden können. Diese Kopien sind zwar sehr wohl Exemplarkopien des fraglichen Exemplars, aber sie verletzen keinerlei Rechte der_des Design-Plan-Urhebenden, weil sie mit dem Design-Plan verschwindend wenig oder sogar überhaupt nichts zu tun haben. Konkrete Plagiate teilen einen entscheidenden Aspekt mit konkreten Kopiefälschungen: Bei ihnen handelt es sich ebenfalls um Kopien, die von der_dem Kopierenden als Exemplare eines bestimmten Design-Plans ausgegeben werden. Aber sie weisen darüber hinaus eine weitere Besonderheit auf: Damit es sich bei einem Gegenstand um ein einen Design-Plan realisierendes Plagiat handelt, muss die_der Kopist_in, die_der diesen Gegenstand erzeugt, fälschlicherweise behaupten, dass sie_er selbst die_der Urheber_in des nämlichen Design-Plans ist. Entsprechend können wir den Begriff konkretes Plagiat folgendermaßen vorläufig definieren:
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
(KP) y ist ein konkretes Plagiat, das einen Design-Plan x realisiert gdw. (KP1) y eine Kopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von x auszugeben und (KP2) y von einer_einem Expert_in für ein genuines Exemplar von x gehalten werden könnte und (KP3) d ie_der Urheber_in, die_der y hervorbringt, fälschlicherweise behauptet, die_der Urheber_in von x zu sein.
Auch diese vorläufige Definition des Begriffs konkretes Plagiat werde ich im Lichte meiner Unterscheidung der zwei Arten von konkreten Artefaktkopien aus Kapitel 3.1 noch weiter ausarbeiten, und zwar in Abschnitt 3.3.1. Die Bedingungen (KP1) und (KP2), die den Bedingungen (KKF1) und (KKF2) aus der vorläufigen Definition des Begriffs konkrete Kopiefälschung entsprechen, werden in der vorläufigen Definition des Begriffs konkretes Plagiat um eine dritte Bedingung ergänzt, die das Charakteristikum des konkreten Plagiats erfasst, nämlich die falsche Behauptung der_des Kopierenden, auch die_der Autor_in des Design-Plans zu sein, den das Plagiat realisiert. Die Verletzung des Rechts (RVE) durch die Produktion von konkreten Kopiefälschungen und konkreten Plagiaten
Es erscheint nun als offensichtlich, dass sowohl die Produktion von konkreten Kopiefälschungen als auch die Produktion von konkreten Plagiaten in einer Verletzung des Rechts (RVE) resultiert: Durch die Produktion dieser konkreten Täuschungskopien werden die Möglichkeiten der Bestimmung über den Design-Plan, den sie realisieren, massiv eingeschränkt. Dies lässt sich anhand zweier Beispiele illustrieren. Betrachten wir zunächst ein Beispiel, an dem sich das Potenzial einer konkreten Kopiefälschung zeigt, das Bestimmungsrecht einer_eines Urhebenden über ihren_seinen Design-Plan ernsthaft zu verletzen: Die Firma fischer produziert den fischer-Dübel – ein Produkt, das überaus häufig kopiert wird, oft sogar mit großem Aufwand: Selbst der Schriftzug, der sich in einem genuinen Exemplar des Dübels finden lässt, wird regelmäßig von den Kopist_innen reproduziert.216 Es liegt auf der Hand, dass die konkreten Kopiefälschungen des Dübels (RVE) verletzen und somit die Möglichkeiten der Firma fischer einschränken, ihr Originalprodukt zu verkaufen. Dies ist allerdings nicht die einzige Hinsicht, in der das Bestimmungsrecht der Firma fischer in Mitleidenschaft gezogen wird: Die 216 Vgl.
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/NYXLI5ZPORQVAEQXFNCD2V7W ARNUEJ4T, abgerufen am 10.8.2021.
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Was ist ein Artefakt?
konkreten Kopiefälschungen des Dübels sind oftmals billig produziert und von minderer Qualität – die Wahrscheinlichkeit, dass sie zerbrechen, ist sehr hoch. Wir haben es hier ohne Frage mit einem Sicherheitsrisiko zu tun – dies allerdings ist in unserem Zusammenhang nicht von Belang, weil es nichts mit Bestimmungsrechten zu tun hat. Zusätzlich zum Sicherheitsrisiko werfen die konkreten Kopiefälschungen der Dübel jedoch noch ein weiteres Problem auf, das sehr wohl das Bestimmungsrecht der Firma fischer betrifft. Die Minderwertigkeit dieser Kopiefälschungen führt nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Schädigung der Reputation des fischer-Dübels – und dies spielt durchaus eine Rolle für das Bestimmungsrecht der Firma fischer, zumal es sich bei dem Dübel um ein Produkt handelt, das ein_e durchschnittliche_r Kund_in mehrfach erwirbt: Ist ein vermeintlicher Originaldübel der Firma fischer fehlerhaft, so kann sich dies auf zukünftige Kaufentscheidungen der Kund_innen auswirken. Es ist zudem völlig klar, dass konkrete Kopiefälschungen wie die des fischer-Dübels außerdem die Möglichkeiten zum Verkauf des Originalprodukts verringern. Dieses Problem tritt jedoch im Falle von konkreten Plagiaten sogar noch in verschärfter Weise auf, wie das folgende Beispiel zeigt. Die Firma enercon zeichnet für eine spezielle Windenergieturbine verantwortlich, die die Bezeichnung E 40 trägt. Diese Windenergieturbine ist nicht nur kopiert worden – die Kopist_innen aus den USA behaupteten sogar, die Urheber_innen des Design-Plans für diese Turbine zu sein. Dies führte dazu, dass enercon der Export seiner Turbinen in die USA untersagt wurde, da die Behauptung im Raum stand, dass es sich eigentlich um ein Produkt der USA handle.217 Ein konkretes Plagiat erschwert es der_dem tatsächlichen Design-Plan-Urheber_in somit nicht nur, weitere genuine Exemplare ihres_ seines Design-Plans zu veräußern, sondern schränkt unter Umständen auch die Möglichkeiten ein, diese Exemplare erfolgreich als die Originale anzubieten, die sie tatsächlich sind. Konkrete Täuschungskopien werfen somit eine ganze Reihe von Problemen auf. Wie aber verhält es sich nun mit konkreten Kopien, die keine Täuschungskopien sind? Wie sich nachfolgend zeigen wird, haben auch diese Kopien ein gefährdendes Potenzial für das Bestimmungsrecht einer_eines Design-Plan-Urhebenden, und zwar insofern, als sie deren_dessen Recht betreffen, die Produktion nicht autorisierter konkreter Kopien mit Verbreitungsabsicht zu verhindern.
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Vgl. http://www.informatik.uni-oldenburg.de/~iug14/is/aktuell.html, abgerufen am 10.8.2021.
Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten
Das Recht, die Produktion nicht autorisierter konkreter Kopien mit Verbreitungsabsicht zu verhindern
Wie wir in Abschnitt 2.2.1 gesehen haben, hat die_der Urheber_in eines DesignPlans nicht nur die Fähigkeit, festzulegen, wer Exemplare ihres_seines Plans produzieren kann, sondern sie_er kann auch bestimmen, wer dazu autorisiert ist, Kopien mit der Absicht herzustellen, diese zu verbreiten. Auch im Falle dieser Kopien, die ich nachfolgend als Verbreitungskopien bezeichne, ist es ontologisch nicht möglich, sich über die Bestimmung der_des Design-Plan-Urhebenden hinwegzusetzen: Eine Verbreitungskopie, die ohne Erlaubnis der_ des Design-Plan-Urhebenden angefertigt wird, deren_dessen Design-Plan sie realisiert, ist schlicht und ergreifend keine autorisierte Kopie – eine Autorisierung durch die_den Design-Plan-Urheber_in lässt sich nicht erzwingen. Aber eine solche Kopie ist und bleibt dennoch eine Verbreitungskopie, und stellt als solche ein Problem für das Bestimmungsrecht der_des Design-Plan-Urhebenden dar. Dies führt uns zum zweiten Recht, dass die_der Urheber_in eines Design-Plans innehat, dem Recht nämlich, die Produktion nicht autorisierter konkreter Kopien mit Verbreitungsabsicht zu verhindern – kurz (RKV): (RKV) Die_der Urheber_in eines Design-Plans hat das Recht, Dritte daran zu hindern, nicht autorisierte konkrete Verbreitungskopien herzustellen, die ihren_seinen Design-Plan realisieren.
Es erscheint als plausibel, (RKV) als Voraussetzung für das Bestehen des generellen Bestimmungsrechts einer_eines Design-Plan-Urhebenden aufzufassen. Denn die Erlaubnis nicht autorisierter konkreter Verbreitungskopien würde ebenfalls in einer Limitierung der Möglichkeiten der_des Design-Plan-Urhebenden zur Bestimmung über ihren_seinen Plan resultieren: Aus der Produktion nicht autorisierter konkreter Verbreitungskopien können Dritte Profit schlagen, was mit Nachteilen für die Bestimmungsmöglichkeiten der_des Design-Plan-Urhebenden einhergeht. Denn obgleich konkrete Verbreitungskopien, die einen bestimmten Design-Plan realisieren, sich im Allgemeinen nicht so gut verkaufen dürften wie Kopiefälschungen, sind sie dennoch in vielen Fällen dazu geeignet, die Nachfrage zu befriedigen, die anderenfalls durch genuine Exemplare dieses Design-Plans befriedigt würde. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Realisierungen des Design-Plans aus einem Bereich stammen, in dem Originalität irrelevant ist, da Kopien ebenso gut die Funktion von genuinen Exemplaren erfüllen können. Insofern werden die Optionen der_des Design-Plan-Urhebenden zur Bestimmung über den von ihr_ihm hervorgebrachten Plan eingeschränkt.
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Was ist ein Artefakt?
Anders als das Recht (RVE), das sich nicht allein auf das Anfertigen von Kopien bezieht, betrifft das Recht (RKV) allein Prozesse des Kopierens: Es reguliert die Herstellung einer bestimmten Art von Kopien, nämlich nicht autorisierten konkreten Verbreitungskopien. Solche Kopien werden auch als Raubkopien oder – etwas neutraler – als Schwarzkopien bezeichnet. Was aber ist eine konkrete Schwarzkopie? Wir können den Begriff konkrete Schwarzkopie fürs Erste wie folgt definieren:
(KSK) y ist eine konkrete Schwarzkopie, die einen Design-Plan x realisiert gdw. (KSK1) y eine konkrete Kopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie zu verbreiten und (KSK2) d ie_der Urheber_in von x die_den Kopist_in, die_der y hervorbringt, nicht zur Herstellung von konkreten Verbreitungskopien autorisiert hat und (KSK3) y von einer_einem Expert_in für ein genuines Exemplar von x gehalten werden könnte.
In Abschnitt 3.3.1 lege ich eine weiter ausgearbeitete Definition des Begriffs konkrete Schwarzkopie vor, die sich an der Unterscheidung der zwei Arten von konkreten Artefaktkopien orientiert, die ich in Kapitel 3.1 treffe. Auch die Verletzung von Bestimmungsrechten an einem Design-Plan durch die Anfertigung einer nicht autorisierten konkreten Verbreitungskopie lässt sich anhand eines Beispiels deutlich machen: Simon’s Cat ist eine animierte Katze, die aus der Feder des Trickfilmzeichners Simon Tofield stammt. Eine Firma bat Tofield, die erste kurze Animation mit dieser Katze ins Internet stellen zu dürfen, und Tofield willigte ein – die Folge war, dass innerhalb weniger Minuten konkrete Schwarzkopien der Animation auf der Videoplattform YouTube verfügbar waren, die tausende Male angeklickt und angeschaut wurden – wovon Tofield in keiner Weise profitierte.218 An diesem Beispiel zeigt sich, dass eine konkrete Verbreitungskopie auch dann eine Nachfrage befriedigen kann, wenn sie nicht als Original ausgegeben wird – und damit einen Verlust für den Design-Plan-Urheber erzeugt.
218 Vgl.
Warman 2014.
3. Was ist eine Artefaktkopie? Im zweiten Teil dieser Studie standen Artefakte im Mittelpunkt, die deren allgemeinen Gegenstandsbereich ausmachen, da sich mit ihnen Urheber_innen-Bestimmungsrechte verbinden können. Im Folgenden soll es um Gegenstände gehen, die eine Teilklasse der Artefakte ausmachen, nämlich Artefaktkopien. Ihnen gilt im Rahmen dieser Untersuchung ein spezielles Erkenntnisinteresse, insofern ihrer Genese das Potenzial zukommt, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen zu verletzen. Analog zum Teil II wird auch dieser Teil durch eine Frage und deren verschiedene Lesarten strukturiert – in diesem Fall lautet die Frage »Was ist eine Artefaktkopie?«. Als Frage nach der Definition des Begriffs Artefaktkopie lässt sie sich zu (FDAK) umformulieren: (FDAK) Wie sollte der Begriff Artefaktkopie angemessen definiert werden?
Das Kapitel 3.1 zielt auf die Beantwortung der Frage (FDAK). Den Begriff Artefaktkopie bestimme ich als Teilbegriff des alltäglichen Begriffs Kopie, unter den Kopierresultate fallen, die keine Originale sind. Sofern es sich bei diesen Kopierresultaten um Artefaktkopien handelt, verletzt ihre Genese damit potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen. Ausgehend von einer Definition von Ruth G. Millikan erarbeite ich zunächst allgemeine Desiderate für eine analytische Definition des Begriffs Kopie und entwickle daraus spezielle Desiderate für eine analytische Definition von dessen Teilbegriff Artefaktkopie. Mithilfe dieser speziellen Desiderate gelange ich zu meiner viergliedrigen analytischen Definition des Begriffs Artefaktkopie, die der im zweiten Teil dieser Studie gewonnenen Einsicht Rechnung trägt, dass Artefakte – und damit sowohl die Artefaktkopien selbst als auch ihre Vorlagen – entweder konkreter oder abstrakter Natur sind. Verstehen wir »Was ist eine Artefaktkopie?« hingegen als Frage, die auf die Seinsweise von Artefaktkopien gerichtet ist, so können wir sie zu (FOAK) umformulieren: (FOAK) Welchen ontologischen Status haben Artefaktkopien?
Der Beantwortung von (FOAK) ist das Kapitel 3.2 gewidmet. Auf der Grundlage der viergliedrigen Definition des Begriffs Artefaktkopie, die ich in Kapitel 3.1 vorschlage, unterscheide ich zunächst konkrete von abstrakten
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Was ist eine Artefaktkopie?
Artefaktkopien. Zur weiteren Einteilung der Klassen der konkreten und der abstrakten Artefaktkopien dient mir jeweils die Unterscheidung zwischen Artefaktkopien mit konkreten und Artefaktkopien mit abstrakten Vorlagen. Damit sind vier allgemeine Arten von Artefaktkopien benannt, die sich jeweils durch eine bestimmte Kombination des ontologischen Status der Kopie selbst und des ontologischen Status ihrer Vorlage auszeichnen. Wie wir in Kapitel 3.2 sehen werden, ist die Seinsweise der Artefaktkopien allerdings nicht nur dadurch bestimmt, dass sie selbst oder ihre Vorlagen abstrakt oder konkret sind. Vielmehr liegt ein Spezifikum ihrer Seinsweise in der je spezifischen Relation, die sie zu ihren Vorlagen haben – mit der Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdkopien trage ich diesem Umstand Rechnung. Aber auch die Relation zu anderen Artefaktkopien spielt für meine Überlegungen zur Ontologie der Artefaktkopien eine wichtige Rolle. Artefaktkopien habe ich als Kopien erster Ordnung charakterisiert, deren Genese potenziell die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzt. In Kapitel 2.3 bin ich auf diese Rechte zu sprechen gekommen und habe bereits einige Kopien in den Blick genommen, deren Herstellung das Potenzial zur Verletzung von Bestimmungsrechten zukommt: In Bezug auf zwei Arten von konkreten Täuschungskopien – konkrete Kopiefälschungen auf der einen und konkrete Plagiate auf der anderen Seite – sowie im Hinblick auf konkrete Schwarzkopien habe ich dargelegt, inwiefern ihre Genese Bestimmungsrechte verletzen kann. Das spezielle Erkenntnisinteresse, das sich im Rahmen dieser Studie mit Artefaktkopien verbindet, liegt im Potenzial ihrer Genese zur Verletzung solcher Rechte begründet. Insofern sind Artefaktkopien hier auch als Entitäten zu verstehen, deren Herstellung ein derartiges Potenzial zukommt – entsprechend muss die Frage »Was ist eine Artefaktkopie?« in unserem Zusammenhang schließlich als eine im Besonderen auf diesen Aspekt zielende Frage verstanden werden. In Kapitel 3.3 komme ich daher noch einmal ausführlich darauf zu sprechen, was Artefaktkopien als Entitäten auszeichnet, deren Produktion mit der Verletzung von Bestimmungsrechten einhergehen kann. In diesem Zusammenhang führe ich zudem die Unterscheidung zwischen moralisch illegitimen und moralisch legitimen1 Verletzungen von Bestimmungsrechten ein. 1 Die
Rede von legitimen Rechtsverletzungen mag zunächst wie eine contradictio in adiecto anmuten. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, inwiefern sich sinnvoll von legitimen Rechtsverletzungen sprechen lässt – entsprechend wird auch im deutschen Recht die Auffassung vertreten, dass es legitime Rechtsverletzungen geben kann, wie sich u. a. an § 823 I BGB zeigt: Diesem Absatz des Paragraphen lässt sich entnehmen, dass die Verletzung vom Eigentumsrecht und sonstigen Rechten auch nicht widerrechtlich erfolgen kann. Denn der Absatz lautet wie folgt: »Wer vorsätzlich oder fahrlässig das
Zur Definition
3.1 Zur Definition von Artefaktkopie2
Den Begriff Artefaktkopie verstehe ich als Teilbegriff eines alltäglichen allgemeinen Kopiebegriffs unserer Sprachgemeinschaft: Während dieser allgemeine Begriff alle Phänomene unter sich versammelt, über deren Status als Kopien innerhalb der Sprachgemeinschaft ein weitreichender Konsens besteht – also etwa auch die Resultate des Klonierens, DNA-Replikate etc. –, greift der Begriff Artefaktkopie ausschließlich diejenigen durch den allgemeinen Kopiebegriff erfassten Kopien erster Ordnung heraus, für die gilt, dass sowohl sie selbst als auch ihre Vorlagen im Sinne der in Abschnitt 2.1.3 vorgelegten Definition Artefakte sind. Der Teilbegriff Artefaktkopie als solcher wird im Alltag jedoch im Allgemeinen nicht bewusst isoliert verwendet, sodass sich seine Anwendungsbedingungen nicht ohne Weiteres mittels Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.« Setzen wir nun naheliegenderweise voraus, dass die Rede von einer widerrechtlichen Rechtsverletzung nicht pleonastisch ist, so ergibt sich daraus, dass auch nicht widerrechtliche Rechtsverletzungen denkbar sind. Die Verletzung eines Bestimmungsrechts soll hier nun analog der Verletzung eines Eigentumsrechts verstanden werden: »Eigentumsverletzungen sind Einwirkungen auf die Sache […], die den Eigentümer daran hindern, mit ihr seinem Wunsch entspr[echend] zu verfahren« (Teichmann 2015, BGB § 823 Rn. 6). Denn die hier in Rede stehenden Bestimmungsrechte ähneln Eigentumsrechten signifikant: Wer Eigentümer_in einer materiellen Sache ist, der »kann […] mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen« (§ 903 BGB). In Abschnitt 2.3.1 hat sich gezeigt, dass die Bestimmungsrechte von Design-Plan-Urheber_innen darin bestehen, nach Belieben über die von ihnen durch eine entlohnungswürdige Leistung hervorgebrachten Design-Pläne zu bestimmen. Insofern ähneln die hier einschlägigen Bestimmungsrechte den Eigentumsrechten, auf die § 903 BGB Bezug nimmt. Entsprechend lässt sich auch die in urheberrechtlichen Diskursen weit verbreitete Rede vom ›geistigen Eigentum‹ auf Design-Pläne anwenden: Diejenige_derjenige, deren_dessen ›geistiges Eigentum‹ ein Design-Plan ist, verfügt im Hinblick auf diesen Design-Plan über den Design-Plan betreffende Bestimmungsrechte, die in ähnlicher Weise verletzt werden können wie klassische Eigentumsrechte, wobei auch die Verletzungen solcher Bestimmungsrechte in legitimer, d. h. moralisch erlaubter oder sogar gebotener Weise erfolgen können. (Mein Dank gilt Niko Strobach für seinen Hinweis auf § 823 I BGB und die einschlägige Kommentarliteratur.) Auch das deutsche Urheberrecht kennt die legitime Verletzung der Rechte von Urheber_innen: »Ansprüche nach § 97 setzen neben der Rechtsverletzung ausdrücklich auch deren ›Widerrechtlichkeit‹ voraus. Zwar ist bei einer Rechtsverletzung regelmäßig von einer Rechtswidrigkeit auszugehen. Im Einzelfall kann jedoch die Rechtswidrigkeit zu verneinen sein, wenn nach einer Abwägung das Urheberrecht hinter der gegenläufigen Grundrechtsposition des ›Verletzers‹ zurücktreten muss« (von Wolff 2014, UrhG § 97 Rn. 34). 2 Die Überlegungen in diesem Kapitel stellen zum Teil eine Weiterentwicklung der Überlegungen dar, die ich in Bahr 2013 und Bahr 2016 entfaltet habe.
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Was ist eine Artefaktkopie?
der Methode der Begriffsanalyse ermitteln lassen 3 – zunächst gilt es also, ihn aus dem allgemeinen Kopiebegriff zu extrahieren. Als Ausgangspunkt für die Definition des Begriffs Artefaktkopie dient mir daher in Abschnitt 3.1.1 zunächst eine Definition von Ruth G. Millikan, aus der ich Erkenntnisse hinsichtlich dieses allgemeinen Kopiebegriffs gewinne. Mithilfe dieser Erkenntnisse formuliere ich allgemeine Desiderate, an denen sich nicht nur eine Definition des allgemeinen Kopiebegriffs messen lässt, sondern denen auch Definitionen von dessen Teilbegriffen gerecht werden sollten. Um den Teilbegriff Artefaktkopie zu umgrenzen, entwickle ich auf ihrer Grundlage spezielle Desiderate, die eine Definition des Begriffs Artefaktkopie füllen sollte. Im Zuge dessen komme ich auch auf die wenigen philosophischen Definitionen von Kopiebegriffen zu sprechen, die bis dato vorliegen: Anders als im Falle der Definitionen philosophischer Artefaktbegriffe, von denen inzwischen bereits einige vorliegen, wie sich in den Abschnitten 2.1.1 und 2.1.2 gezeigt hat, finden sich in der philosophischen Literatur gegenwärtig nur sehr wenige Vorschläge zur Definition von Kopiebegriffen. Bedenkenswerte Aspekte dieser Vorschläge greife ich im Rahmen der Diskussion der Desiderate auf. In Abschnitt 3.1.2 arbeite ich dann auf der Grundlage der zuvor entwickelten speziellen Desiderate die dieser Studie zugrunde liegende Definition des Begriffs Artefaktkopie aus. Wie sich zeigen wird, bedarf der Begriff einer viergliedrigen Definition: In Kapitel 2.2 dieser Studie hat sich gezeigt, dass die Klasse der Artefakte sowohl abstrakte als auch konkrete Entitäten umfasst. Da Artefaktkopien selbst Artefakte sind, können sie sowohl abstrakter als auch konkreter Natur sein. Aber auch bei den Artefakten, die ihre Vorlagen bilden, können wir es mit Abstrakta oder mit Konkreta zu tun haben. Daraus ergibt sich, dass es sowohl konkrete Artefaktkopien mit abstrakter Vorlage als auch konkrete Artefaktkopien mit konkreter Vorlage geben kann; ebenso können abstrakte Artefaktkopien sowohl konkrete als auch abstrakte Vorla3 Es
ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass Mitglieder unserer Sprachgemeinschaft etwa den Ausdruck »Kopie« so verwenden, dass er ausschließlich auf diejenigen Entitäten Bezug nimmt, die unter den Teilbegriff Artefaktkopie fallen, die also Kopien erster Stufe sind, die selbst zu den Artefakten zählen und Artefakte zur Vorlage haben. Aber der Teilbegriff Artefaktkopie ist für sich genommen kein etablierter Begriff, mit dem unsere Sprachgemeinschaft vertraut ist und dessen Anwendungskriterien sich dementsprechend durch Begriffsanalyse ermitteln ließen. Wir können nicht einfach fragen: »Fällt x unter den von uns geteilten Begriff Artefaktkopie?« Wir können jedoch ohne Weiteres fragen: »Fällt x unter den von uns geteilten Begriff Kopie?« Aus den Überlegungen zum allgemeinen Kopiebegriff lassen sich dann die Bedingungen ableiten, die erfüllt sein müssen, damit ein Artefakt eine Kopie erster Ordnung eines anderen Artefakts ist.
Zur Definition
gen haben. Um diesen vier Varianten von Artefaktkopien gerecht zu werden, entwickle ich eine Definition, die jede der Varianten in einem einzelnen Definitionsteil gesondert berücksichtigt, wobei die vier einzelnen Definitionsteile zusammengenommen eine vollständige Definition des Begriffs Artefaktkopie ergeben.
3.1.1 Anforderungen an eine Definition von Artefaktkopie
Welche Anforderungen stellen sich an eine mit unserem Alltagsverständnis von Kopien im Einklang stehende Definition des Begriffs Artefaktkopie? Da der Teilbegriff4 Artefaktkopie als solcher – anders als der ihm übergeordnete allgemeinere Begriff Kopie – im alltäglichen Begriffsgebrauch nicht etabliert ist, bedürfen wir zunächst eines Blicks auf diesen allgemeinen Begriff, um uns von ihm ausgehend zu erschließen, wie ein mit Alltagsintuitionen kompatibler Artefaktkopiebegriff bestimmt werden kann. Bevor wir diesen allgemeinen Kopiebegriff einer näheren Betrachtung unterziehen können, müssen wir ihn allerdings zunächst seinerseits einmal genauer fassen: Es erscheint als plausibel, dass es nicht nur einen von uns geteilten allgemeinen Kopiebegriff gibt, sondern (mindestens) zwei. Aus diesem Grunde gilt es zuerst, den Begriff, auf den »Kopie« Bezug nehmen soll, herauszugreifen und grob zu umreißen, damit klar ist, welcher Begriff eigentlich gemeint ist. Dazu bestimme ich den Begriff Kopie in einem ersten Zugriff als einen konträren Gegenbegriff zum Begriff des Originals: Etwas, was unter den Begriff Kopie fällt, kann nicht zugleich unter den Begriff Original fallen.5 Insofern 4
Wenn ich hier vom Begriff Artefaktkopie als einem Teilbegriff des übergeordneten Begriffs Kopie spreche, so liegt dieser Redeweise die folgende Auffassung zugrunde: Durch den Teilbegriff Artefaktkopie wird eine Teilklasse der Klasse derjenigen Objekte erfasst, die unter den Begriff Kopie fallen. Wir könnten auch mit Aristoteles sagen: Die übergeordnete Gattung der Art Artefaktkopie ist die Gattung der Kopie – auf den artbildenden Unterschied, der Artefaktkopien von Nicht-Artefaktkopien scheidet, komme ich im Folgenden noch zu sprechen. Meine Verwendung des Terminus »Teilbegriff« unterscheidet sich insofern von der Verwendung dieses Terminus, wie sie sich bei Kant findet: Kant versteht unter einem Teilbegriff eines übergeordneten Begriffs ein Merkmal, das jedem Gegenstand zukommt, der unter den übergeordneten Begriff fällt. In diesem Sinne enthält etwa der Begriff Junggeselle die Teilbegriffe »ist ein Mann«, »ist unverheiratet« und »ist erwachsen« (vgl. Hauswald 2010, 304). 5 Das heißt jedoch nicht, dass alles, was nicht unter den Begriff Kopie fällt, durch den Begriff Original erfasst wird: Die beiden Begriffe sind konträr, nicht kontradiktorisch. Denn es gibt neben den Gegenständen, die unter die Begriffe Original und Kopie fallen, zudem eine Reihe von Fälschungen, die als solche zwar keine Originale sind, aber eben auch keine Kopien. Dabei handelt es sich etwa um Fälschungen, von denen behaup-
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Was ist eine Artefaktkopie?
fällt der Begriff Kopie nicht mit einem Kopiebegriff zusammen, der jedes Resultat eines Kopierprozesses erfasst, denn unter einen solchen Begriff kann ohne Weiteres auch ein Original fallen, wie wir im Folgenden sehen werden. Um beide Begriffe besser voneinander unterscheiden zu können, beziehe ich mich auf den beliebige Resultate von Kopierprozessen erfassenden Begriff mit dem Ausdruck »Kopierresultat«. Wie sich zeigen wird, sind für diese Studie primär der Begriff Kopie und die unter ihn fallenden Artefakte, die in diesem Sinne Kopien erster Ordnung von anderen Artefakten sind, von Interesse. Denn während die Kopierprozesse, die Kopierresultate hervorbringen, sich vielfach in Übereinstimmung mit den Bestimmungsrechten von Urheber_innen vollziehen, weist die Genese der Artefakte, die im engen Sinne Kopien erster Ordnung von anderen Artefakten sind und insofern unter den Begriff Kopie fallen, ein besonderes Potenzial zur Verletzung der Bestimmungsrechte von Urheber_innen auf. Nichtsdestotrotz spielt auch der Begriff Kopierresultat im Folgenden eine Rolle. Denn wie sich zeigen wird, lassen sich von ihm ausgehend wertvolle Einsichten im Hinblick auf den Begriff Kopie und damit auch den Begriff Artefaktkopie gewinnen, da die Gegenstände, die unter den Begriff Kopie fallen, zwingend auch unter den Begriff Kopierresultat fallen: Ein Gegenstand, der unter den Begriff Kopie fällt, zeichnet sich dadurch aus, dass er ein Kopierresultat mit einer zusätzlichen Eigenschaft ist, der Eigenschaft nämlich, kein Original zu sein. Der Begriff Kopie wird so genauer umrissen, jedoch verfügen wir damit lediglich über erste Anhaltspunkte dafür, was die unter ihn fallenden Gegenstände auszeichnet. Um vom Begriff Kopie ausgehend eine Definition von Artefaktkopie entwickeln zu können, ist mehr erforderlich: Wollen wir den Begriff Kopie zum Ausgangspunkt nehmen, um zu einer überzeugenden Definition von dessen Teilbegriff Artefaktkopie zu gelangen, so setzt dies zunächst die Kenntnis der Charakteristika voraus, die die Gegenstände, die unter den Begriff Kopie fallen, notwendig aufweisen. Sind diese Charakteristika bekannt, so lassen sich daraus die allgemeinen Anforderungen ableiten, denen nicht nur eine Definition von Kopie, sondern auch eine Definition eines jeden Teilbegriffs von Kopie – und damit auch eine Definition von Artefaktkopie – gerecht werden muss. tet wird, es handle sich um Originale einer_eines bestimmten Künstlerin_Künstlers, die jedoch weder ein bereits vorliegendes Werk dieser_dieses Künstlerin_Künstlers zum Vorbild haben noch deren_dessen Stil adaptieren und somit keinen Bezug zu deren_dessen Arbeiten aufweisen. So kann bspw. jemand von einem Gemälde behaupten, es handle sich um einen Picasso, obgleich das Gemälde weder zu einem bestimmten Werk bzw. Instanziierungen eines bestimmten Werks von Picasso Ähnlichkeiten aufweist noch den Stil Picassos aufgreift. Zu Fälschungen dieses Typs vgl. Reicher 2011, 53.
Zur Definition
Meine Suche nach Anforderungen, die sich an eine Definition von Artefaktkopie stellen, nimmt ihren Ausgangspunkt daher bei einer Definition von Ruth G. Millikan – diese Definition ermöglicht eine erste Annäherung an den Begriff Kopie über den Begriff Kopierresultat. Aus der Definition lassen sich zunächst einmal drei Bedingungen gewinnen, die als Kandidaten für notwendige Bedingungen dafür in Frage kommen, dass etwas unter den Begriff Kopierresultat fällt. Aus den Überlegungen bezüglich des Verhältnisses des Begriffs Kopierresultat zum Begriff Kopie lässt sich zudem eine vierte Bedingung ableiten, die darauf abzielt, die hier primär interessierenden Entitäten, die Kopien im engen Sinn sind, von den bloßen Kopierresultaten zu scheiden. Die Auseinandersetzung mit den vier Bedingungen dient dazu, Anforderungen herauszuarbeiten, die sich an die Definition des Begriffs Kopie – und entsprechend auch an die Definition von dessen Teilbegriff Artefaktkopie – stellen. Um zu diesen Anforderungen zu gelangen, unterziehe ich die vier genannten Bedingungen zunächst einer eingehenden Prüfung. Dazu gehe ich in vier Schritten vor. Im Unterschied zum Abschnitt 2.1.1, in dem das Vorgehen durch die Frage bestimmt war, wie ein sinnvoller Artefaktbegriff charakterisiert werden sollte, ist für das Vorgehen in diesem Abschnitt die Frage maßgeblich, wie sich unser alltäglicher Kopiebegriff angemessen definieren lässt, das heißt unter Berücksichtigung seiner faktischen Verwendung und unserer diese Verwendung leitenden Intuitionen. Entsprechend gestaltet sich das Vorgehen in diesem Abschnitt wie folgt: In einem ersten Schritt zeige ich für jede Bedingung auf, warum es mit Blick auf unsere Begriffsverwendung prima facie als adäquat erscheint, sie als notwendige Bedingung in eine Definition von Kopie aufzunehmen. Dann komme ich in einem zweiten Schritt auf Einwände zu sprechen, die der Aufnahme als notwendige Bedingung in eine Definition von Kopie entgegenstehen könnten. In einem dritten Schritt gehe ich der Frage nach, ob wir die Bedingung im Lichte der Einwände als notwendige Bedingung aufgeben oder anpassen sollten. In einem vierten und letzten Schritt ziehe ich schließlich ein Fazit, aus dem hervorgeht, ob die in Frage stehende Bedingung – ggf. in modifizierter Form – dafür notwendig ist, dass etwas unter den von uns geteilten Begriff Kopie fällt oder nicht. Das Ergebnis dieses Fazits halte ich jeweils in Form eines Desiderats fest. Die Diskussion der vier Bedingungen legt nahe, dass eine Definition des Begriffs Kopie – und damit auch eine Definition von dessen Teilbegriff Artefaktkopie – drei Desideraten genügen muss: Erstens muss eine Definition dem Umstand Rechnung tragen, dass Kopien und ihre Vorlagen einander aus der Sicht einschlägiger Expert_innen signifikant ähneln. Zweitens sollte eine Definition berücksichtigen, dass die signifikante Ähnlichkeit einer Kopie
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Was ist eine Artefaktkopie?
und ihrer Vorlage sich einer Ursache verdankt, die darauf gerichtet ist, dass die Kopie der Vorlage signifikant ähnelt. Drittens sollte eine Definition diejenigen Kopierresultate ausschließen, die Originale sind. Mit der Begründung der Plausibilität dieser Desiderate ist es jedoch nicht getan: Im Anschluss an deren Erarbeitung stellt sich die Frage, ob damit bereits alle Anforderungen benannt sind, die sich an unseren alltäglichen Begriff Kopie stellen. Bei näherer Betrachtung wird sich zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Denn der Kopiebegriff, der den Desideraten genügt, ist ein ontologisch einseitiger Begriff: Er versammelt unter sich nur konkrete Kopien, deren Vorlagen ebenfalls konkret sind. Ein solcher Kopiebegriff vernachlässigt jedoch eine Reihe von Gegenständen, die wir im Alltag ebenfalls als Kopien auffassen – und die damit unter den Begriff Kopie fallen und von einer Definition des Begriffs erfasst werden sollten –, die aber ontologisch vielseitiger sind: Wie sich zeigen wird, können sowohl Kopien selbst als auch ihre Vorlagen sowohl konkret als auch abstrakt sein. Es gibt somit – neben den konkreten Kopien mit konkreter Vorlage – auch konkrete Kopien mit abstrakter Vorlage sowie abstrakte Kopien mit konkreter oder abstrakter Vorlage. Um der ontologischen Vielseitigkeit der Klasse der Kopien Rechnung zu tragen, braucht es also ergänzende Desiderate, die die angemessene Berücksichtigung derjenigen Phänomene fordern, für die gilt, dass sie selbst oder ihre Vorlagen abstrakter Natur sind. Der Begriff Kopie : Konträr zum Begriff des Originals und nicht deckungsgleich mit dem Begriff Kopierresultat
Bevor wir uns näher damit auseinandersetzen können, was den Begriff Kopie auszeichnet, müssen wir uns zunächst genauer vor Augen führen, welchen Begriff wir nun eigentlich in den Blick nehmen wollen: Welcher Begriff soll durch »Kopie« bezeichnet werden? Die Antwort auf diese Frage ist keineswegs trivial, denn es gibt (mindestens) zwei im Alltag gebräuchliche Kopiebegriffe, die in Frage kommen.6 Diese beiden Kopiebegriffe überschneiden sich zwar, allerdings reicht einer der Begriffe deutlich weiter als der andere. Kommen wir zunächst zum weiten alltäglichen Kopiebegriff: Dieser Kopiebegriff versammelt unter sich sämtliche Resultate von Kopierprozessen. Dazu zählen zum einen Kunstdrucke, mit einem Kopiergerät angefertigte Kopien von Dokumenten, durch Klonieren erzeugte DNA-Fragmente, ohne mensch6
Auf die Notwendigkeit der Unterscheidung dieser beiden Begriffe bin ich im Rahmen der Diskussionen der Forschungsgruppe Ethik des Kopierens am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld aufmerksam geworden.
Zur Definition
liches Zutun entstandene DNA-Replikationen usw. Darüber hinaus zählen dazu jedoch zum anderen auch genuine Musik-CDs, die Vervielfältigungen eines Glasmasters sind, massengefertigte Exemplare, die auf der Grundlage eines Prototyps angefertigt werden, und die Original-Fotos (d. h. Abzüge von Dias oder Negativen) einer Auflage. Denn die drei letztgenannten Beispiele sind ebenfalls Resultate von Kopierprozessen. Sie unterscheiden sich jedoch in einer wichtigen Hinsicht von den erstgenannten Beispielen: Während Kunstdrucke, Kopien von Dokumenten und DNA-Kopien allesamt keine Originale sind7, handelt es sich bei den Musik-CDs, den auf einen Prototyp zurückgehenden Exemplaren und den Fotos einer Auflage sehr wohl um Originale, d. h. um als solche autorisierte genuine Realisierungen eines Design-Plans.8 Der weite Kopiebegriff differenziert nicht zwischen Originalen und Nicht-Originalen: Ob eine Entität ein genuines Exemplar ist oder nicht, spielt für die Frage, ob die Entität unter den Begriff fällt, keine Rolle – es geht allein darum, ob sich die Genese des fraglichen Gegenstands als Kopierprozess und der Gegenstand selbst folglich als Resultat eines Kopierprozesses apostrophieren lässt. Die Gegenstände, die unter diesen Begriff fallen, sind also vor allem dadurch charakterisiert, dass es sich dabei um Kopierresultate handelt – entsprechend nehme ich auf diesen weiten Kopiebegriff mit »Kopierresultat« Bezug. Für den engen im Alltag gebräuchlichen Kopiebegriff hingegen spielt es eine entscheidende Rolle, ob etwas ein Original ist oder nicht: Mein genuines Exemplar von Sophie Hungers Album Supermoon, bei dem es sich um die Vervielfältigung eines Glasmasters des Albums handelt, mag zwar ein Kopierresultat sein, aber es ist keine Kopie im Sinne dieses engen Begriffs. Nutze ich mein genuines Exemplar hingegen, um eine weitere CD zu brennen, so ist die gebrannte CD durchaus eine Kopie in diesem engen Sinn, denn sie ist nicht als genuines Exemplar autorisiert. Auf den engen Kopiebegriff, der ausschließlich Nicht-Originale unter sich versammelt, nehme ich mit »Kopie« Bezug.9 Da das Verhältnis der Begriffe Kopierresultat und Kopie im Folgenden eine wichtige Rolle spielen wird, sollten wir diesbezüglich festhalten, dass die Klasse der Gegenstände, die unter den Begriff Kopie fallen, eine 7
Anders als man vermuten könnte, beschränkt sich die Rede von Originalen keineswegs auf den Gegenstandsbereich der Artefakte – so wird in biologischen Fachpublikationen durchaus von der »Original-DNA und ihre[r] Kopie« (Müller und Hassel 2012, 10) gesprochen. 8 Darauf, dass die Bezeichnung »Original« im Falle von Artefakten dazu dienen kann, zum Ausdruck zu bringen, dass diese Gegenstände als Originale autorisiert worden sind, komme ich im Zusammenhang mit der Diskussion der allgemeinen Bedingung des Ausschlusses des Originalstatus (ABAOS) noch ausführlich zu sprechen. 9 Unter den Begriff Kopie fallen auch die Entitäten, auf die ich in Abschnitt 1.1.1 zur Illustration der Vielschichtigkeit der Klasse der Kopien zu sprechen gekommen bin.
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Was ist eine Artefaktkopie?
Teilklasse der Klasse der Gegenstände ist, die unter den Begriff Kopierresultat fallen: Jede Kopie im engen Sinn ist ein Kopierresultat, aber nicht jedes Kopierresultat ist eine Kopie im engen Sinn. Um eine Kopie im engen Sinn zu sein, muss ein Kopierresultat eine zusätzliche Bedingung erfüllen, die Bedingung nämlich, kein Original zu sein. Wie oben bereits angedeutet, fasse ich den Begriff Artefaktkopie, auf den sich ein spezielles Erkenntnisinteresse dieser Studie richtet, als Teilbegriff des Begriffs Kopie auf. Da mit dem Begriff Kopierresultat zumindest ein alternativer Bezugspunkt für den Begriff Artefaktkopie gegeben wäre, ist diese Auffassung begründungsbedürftig. Warum also sollten wir von Artefaktkopien als Kopien im engen Sinne ausgehen, statt sie als Unterfälle von Kopien im weiten Sinn zu begreifen? Ein erster Grund, der für den Begriff Kopie als Ausgangspunkt spricht, betrifft die Tatsache, dass der Begriff Kopie deutlich geläufiger sein dürfte als der Begriff Kopierresultat und insofern eher unserem Alltagsverständnis dessen entspricht, was eine Kopie auszeichnet. Grundsätzlich finden zwar beide Begriffe sowohl im Alltag als auch in wissenschaftlichen und technischen Kontexten Verwendung. Dieser Umstand spiegelt sich auch im deutschen Sprachgebrauch wider: Beide Begriffe werden faktisch mit dem deutschen Ausdruck »Kopie« verknüpft. So werden Kopierresultate bisweilen als »Kopie« bezeichnet – auch solche, die zugleich Originale sind. Dass die Ausdrücke »Original« und »Kopie« mitunter zugleich auf ein solches Kopierresultat referieren, zeigt sich eindrücklich am Titel des 2004 erschienenen Sammelbandes Originalkopie. Praktiken des Sekundären10: Die Erkenntnis, dass etwas zugleich ein Original und eine Kopie – im Sinne eines Kopierresultats – sein kann, kulminiert im Kompositum »Originalkopie«. Die Herausgeber_innen machen in der Einleitung des besagten Bandes deutlich, was eine Originalkopie in diesem technischen Sinne auszeichnet, indem sie auf mithilfe eines Glasmasters bzw. einer Kupferfolie erstellte CDs und Schallplatten zu sprechen kommen11: »Im Handel erhältliche Schallplat10
Fehrmann et al. 2004. Schallplattenherstellungsverfahren DMM (Direct Metal Mastering), das 1981 von der Firma Teldec erfunden wurde, dient eine auf eine Edelstahlplatte aufgebrachte Kupferfolie als Vorlage für seriell hergestellte Schallplatten: Die Schallrille wird bei diesem Verfahren direkt in die Kupferfolie geschnitten, mit der dann die Pressmatrize zur Herstellung der Schallplatten erzeugt wird. Die Kupferfolie ist also die Vorlage, die mithilfe der Matrize kopiert wird. Im Falle der seriellen Produktion von CDs ist das Verfahren ähnlich: Die Daten werden zunächst auf eine beschichtete Glasplatte, den Glasmaster, geschrieben. Dieser Glasmaster dient – wie die Kupferfolie im Falle der Produktion der Schallplatte – dazu, eine Matrize herzustellen, den sogenannten Stamper. Die Vorlage der seriell hergestellten CD ist also der Glasmaster, von dem mithilfe des Stampers Kopien hergestellt werden. Bei den aus den soeben beschriebenen Prozessen resultieren11 Beim
Zur Definition
ten und CDs, im technischen Sinn Originalkopien, werden in der Kontrastierung zu Privat- oder Raubkopien […] als Originale begriffen, die vor dem Zugriff ›sekundärer‹ Verwertungen geschützt werden müssen.«12 In diesem Zitat klingt zugleich die Vielfalt der Kopien im Sinne von Kopierresultaten an: Neben den Originalkopien zählen dazu auch Privat- und Schwarzkopien (hier als Raubkopien bezeichnet), die keine Originale sind.13 Mit dieser Originale einschließenden Verwendungsweise des deutschen Ausdrucks »Kopie« korrespondiert auch der englische Alltagssprachgebrauch: Im Englischen spricht man von einer »copy« nicht nur dann, wenn man einen Gegenstand von einem Original abgrenzen möchte, sondern mitunter auch dann, wenn es sich dabei um ein genuines Exemplar handelt. Uwe Wirth kommt am Beispiel des Buchs auf diesen Umstand zu sprechen: Das ›Buch‹ als zum Druck gegebenes Manuskript, das in eine Druckvorlage moduliert wird, ist ein Type, von dem im Prinzip unendlich viele Exemplare als Replica-Token hergestellt werden können. Dabei ist jedes Replica-Token zugleich als Kopie (im Englischen heißt das Buch-Exemplar copy) und als Original zu werten.14
An den Beispielen zeigt sich, dass vom Begriff Kopierresultat durchaus Gebrauch gemacht und auf die unter ihn fallenden Entitäten mit dem Ausdruck »Kopie« Bezug genommen wird. Allerdings dürfte außer Frage stehen, dass wir uns mit dem Ausdruck »Kopie« in den meisten Fällen ausschließlich auf diejenigen Gegenstände beziehen, die unter den Begriff Kopie fallen. Dass wir von Kopien zumeist in diesem engen Sinn sprechen, ist kein Zufall: Es dürfte evident sein, dass der Begriff Kopie wesentlich etablierter ist als der Begriff Kopierresultat. Dieser Umstand zeigt sich unter anderem darin, dass der deutsche Ausdruck »Kopie« zumeist mit dem Begriff Kopie verbunden Tonträgern, die von der Musikindustrie für den Handel produziert werden, handelt es sich insofern um Kopierresultate, die zumeist außerdem Originale sind, nämlich Original-CDs und -Schallplatten. 12 Fehrmann et al. 2004, 8. 13 Eine vierte Klasse der Kopierresultate wird allerdings im Zitat u nterschlagen: Es gibt außerdem zur Verbreitung bestimmte Kopien, die als solche von der_dem Design-Plan-Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) autorisiert worden sind (vgl. Abschnitt 2.2.1). Diese Kopien haben nicht den Status von Originalen, da sie ja gerade als Kopien und nicht als genuine Exemplare autorisiert wurden. Als von der_dem Design-Plan-Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) autorisierte Kopien sind diese Entitäten zudem keine Raubkopien. Da sie zur Verbreitung bestimmt sind, handelt es sich bei ihnen außerdem nicht um Privatkopien. 14 Wirth 2004, 27, Herv. i. O.
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den ist.15 Ist die Rede von Kopien im engen Sinn, so wird die Abgrenzung zu den Originalen oftmals dadurch deutlich gemacht, dass von den Kopien gesagt wird, sie seien »nur eine Kopie«. Entsprechend schildert Frank Patalong auf Spiegel Online die Diskussion um Dippy, den Diplodocus, das Dinosaurier-Skelett, das seit 1905 im Londoner Naturkundemuseum zu bewundern ist und über dessen Entfernung aus der Eingangshalle debattiert wird: Dass diese »Ikone der Paläontologie«16 »nur eine Kopie«17 sei, interessiere ihre Fans nicht.18 Analoge Formulierungen finden sich oftmals, wenn es um Kunst geht – so auch in einem FAZ-Artikel über das in Berlin sichergestellte und zunächst Caravaggio zugeschriebene Gemälde Judaskuss: Barbara Junge, die Autorin des Artikels, mutmaßt unter Berufung auf Roberto Contini, der als Kurator für italienische und spanische Malerei im 16. bis 18. Jahrhundert an der Berliner Gemäldegalerie tätig ist, dass das Gemälde »wohl nur eine Kopie«19 sei. Prüfen wir die Fälle, in denen von Kopien die Rede ist, so werden wir aller Voraussicht nach feststellen, dass in der überwiegenden Zahl dieser Fälle der ubiquitäre Begriff Kopie im Hintergrund steht. Da dieser Begriff deutlich stärker verbreitet ist als der Begriff Kopierresultat, bietet er sich als Bezugspunkt für den Begriff Artefaktkopie in besonderer Weise an. Ein noch bedeutsamerer Grund dafür, den Begriff Artefaktkopie als Teilbegriff des Begriffs Kopie zu bestimmen, liegt allerdings im speziellen Interesse dieser Studie begründet, das Kopien betrifft, deren Genese das Potenzial hat, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren geistigen Schöpfungen zu verletzen. Mithilfe des Kriteriums (K), das diesem Interesse Rechnung trägt, habe ich im Kapitel 1.1 als speziellen Gegenstandsbereich dieser Studie zunächst vorläufig die Klasse derjenigen Gegenstände bestimmt, bei denen es sich um Artefakte handelt, die Kopien erster Ordnung von anderen Artefakten sind. In welchem Sinne die fraglichen Gegenstände Kopien sind, ist jedoch nach wie vor eine offene Frage. Allerdings gibt das Kriterium (K) auch darüber Aufschluss – wie ich im Folgenden darlegen werde, kommt 15
Dass der Begriff Kopie etablierter ist als der Begriff Kopierresultat, zeigt sich freilich nicht allein daran, dass der Ausdruck »Kopie« häufiger mit dem Begriff Kopie verknüpft wird als mit dem Begriff Kopierresultat. Denn es wäre denkbar, dass der Begriff Kopierresultat primär mit einem anderen, häufig Verwendung findenden sprachlichen Ausdruck verknüpft wird und wir daraus ersehen könnten, dass auch der Begriff Kopierresultat häufig im Gebrauch und weit verbreitet ist. Allerdings besteht kein Anlass dazu, davon auszugehen, dass es einen sprachlichen Ausdruck gibt, dessen Verwendung zu dieser Annahme führen könnte. 16 Patalong 2015. 17 Patalong 2015. 18 Vgl. Patalong 2015. 19 Junge 2010.
Zur Definition
das Potenzial zur Verletzung von Bestimmungsrechten nur Artefakten zu, die im engen Sinne Kopien anderer Artefakte und damit gerade keine Originale sind: Einzig die Produktion von Artefakten, die andere Artefakte im engen Sinne kopieren und insofern durch den Begriff Kopie erfasst werden, birgt grundsätzlich das Potenzial, die an Design-Plänen bestehenden Bestimmungsrechte zu verletzen. Die Herstellung einer Vielzahl der Artefakte, die im weiten Sinn Kopien anderer Artefakte sind und dementsprechend unter den Begriff Kopierresultat fallen, weist dieses Potenzial hingegen nicht auf. Im Abschnitt 2.2.1 hat sich gezeigt, dass genuine Exemplare eines DesignPlans nur mit der Zustimmung der_des Design-Plan-Urhebenden zur Existenz kommen können.20 Es ist nicht möglich, gegen den Willen der_des Design-Plan-Urhebenden ein genuines Exemplar zu schaffen, das den fraglichen Design-Plan realisiert. Die Produktion einer Realisierung des DesignPlans durch die_den Design-Plan-Urheber_in selbst wird ebenso wie die Herstellung einer Realisierung durch eine_n von der_dem Design-Plan-Urheber_in dazu autorisierten Dritte_n durch das allgemeine Bestimmungsrecht der_des Design-Plan-Urhebenden über ihren_seinen Design-Plan gedeckt: Die Fähigkeit der_des Design-Plan-Urhebenden, über die Produktion genuiner Exemplare zu entscheiden, ergibt sich daraus, dass sie_er nach Belieben über den aus ihrer_seiner Leistung resultierenden Design-Plan bestimmen darf. Ein genuines Exemplar eines Design-Plans kann also die an diesem Plan bestehenden Bestimmungsrechte prinzipiell nicht verletzen, da es nur in Übereinstimmung mit diesen Rechten entstehen kann. Die Herstellung einer Vielzahl der Artefakte, die im weiten Sinn Kopien anderer Artefakte sind und insofern unter den weiten Begriff Kopierresultat fallen, steht also prinzipiell im Einklang mit den Bestimmungsrechten über den Design-Plan, den die fraglichen Artefakte realisieren. Anders verhält es sich jedoch mit der Genese von Artefakten, die im engen Sinn Kopien anderer Artefakte sind und insofern unter den Begriff Kopie fallen: Wir können annehmen, dass die Genese solcher Artefakte grundsätzlich das Potenzial aufweist, die Bestimmungsrechte an durch sie realisierten Design-Plänen zu verletzen. Denn es kann sich dabei erstens um Kopien handeln, die den fraglichen Design-Plan realisieren, ohne dass die_der Design-Plan-Urheber_in ihrer Herstellung zugestimmt hätte. Offenkundig verletzen diese Kopien prinzipiell die Bestimmungsrechte am DesignPlan, den sie realisieren – wie sich in Abschnitt 2.3.2 gezeigt hat, kommt 20
Hat die_der Design-Plan-Urheber_in die Rechte an ihrem_seinem Plan vollumfänglich an eine_n Dritte_n übertragen, so gilt dies und das im Folgenden Gesagte analog für diese_n Dritte_n, welche_r die_der neue Inhaber_in der Rechte am Design-Plan ist.
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der_dem Design-Plan-Urheber_in daher mit dem Recht (RKV) das Recht zur Abwehr der Produktion dieser Kopien zu.21 Es kann sich dabei aber zweitens auch um Kopien handeln, deren Herstellung als solche von der_dem Design-Plan-Urheber_in autorisiert wurde. Dem ersten Anschein nach scheint für diese Kopien dasselbe zu gelten wie für die eben besprochenen Originale, die unter den Begriff Kopierresultat fallen: Sie scheinen prinzipiell keine Bestimmungsrechte am Design-Plan zu verletzen, den sie realisieren. Schließlich sind sie doch von der_dem Design-Plan-Urheber_in autorisiert. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass diese Kopien sehr wohl über das Potenzial verfügen, Bestimmungsrechte am fraglichen Design-Plan zu verletzen. Denn autorisiert sind sie als Kopien, nicht aber als Exemplare. Kopien dieser Art können mit der Absicht produziert werden, sie fälschlicherweise als Exemplare auszugeben – und insofern potenziell die Bestimmungsrechte an Design-Plänen verletzen. Aus diesem Grunde kommt der_dem Design-Plan-Urheber_in auch das Recht zu, Dritte daran zu hindern, dass sie ihren_seinen Design-Plan realisierende Kopien mit der Absicht produzieren, sie als Exemplare auszugeben – wie in Abschnitt 2.3.2 dargelegt, ist dieses Recht ein Teil des allgemeineren Rechts (RVE).22 Die Herstellung solcher autorisierten Kopien verletzt zwar nicht zwingend die Bestimmungsrechte an den Design-Plänen, die diese Kopien realisieren – aber im Gegensatz zu den genuinen Exemplaren besteht durchaus die Möglichkeit, dass ihre Herstellung mit einer Verletzung der Bestimmungsrechte einhergeht. Es erscheint somit als plausibel, dass die Herstellung von Artefakten, die im engen Sinne Kopien anderer Artefakte sind und somit unter den Begriff Kopie fallen, potenziell die Bestimmungsrechte an den Design-Plänen verletzt, die diese Kopien realisieren.23 Daher fasse ich den Begriff Artefakt21
Wie bereits in Abschnitt 2.3.1 dargelegt, bilden Privatkopien hier eine Ausnahme, da ihre Anfertigung lediglich einen minimalen Eingriff in die Bestimmungsrechte von Design-Plan-Urheber_innen darstellt: Das Recht (RKV) ist kein Recht zur Abwehr der Herstellung von Privatkopien – es ist auf die Abwehr von Kopien beschränkt, die mit der Absicht zur Verbreitung hergestellt werden. 22 Wie sich in Abschnitt 2.3.2 gezeigt hat, ist das Recht (RVE) insofern allgemeiner, als es die Produktion vorgeblicher Exemplare betrifft – vorgebliche Exemplare aber müssen nicht zwingend Kopien sein, wie das Beispiel der Medikamentenfälschungen gezeigt hat. 23 Im Folgenden wird sich zeigen, dass die Bestimmungsrechte an einem Design-Plan nicht allein durch die Genese von Artefaktkopien verletzt werden können, die diesen Design-Plan realisieren. Denn neben diesen Artefaktkopien gibt es auch solche Artefaktkopien, die selbst Design-Pläne sind: Die Klasse der Artefaktkopien ist ontologisch vielfältig. Die hier getroffene Entscheidung, den Begriff Artefaktkopie als direkten Teilbegriff des Begriffs Kopie aufzufassen, lässt sich mit dieser Tatsache allerdings ohne Weiteres vereinbaren. Denn wie wir sehen werden, gilt auch für die Anfertigung von Artefaktkopien, die selbst Design-Pläne sind, dass sie über ein Potenzial zur Ver-
Zur Definition
kopie als direkten Teilbegriff des Begriffs Kopie auf und nicht als direkten Teilbegriff des Begriffs Kopierresultat24: Der Kategorie der Artefaktkopien ist die Kategorie der Kopien direkt übergeordnet. Wollen wir etwas über Artefaktkopien in Erfahrung bringen, so sollten wir also ein besonderes Augenmerk auf den Begriff Kopie richten. Der Begriff Kopierresultat ist jedoch für die nachfolgenden Überlegungen dennoch keineswegs irrelevant. Denn es soll in diesem dritten Teil der Studie schließlich nicht allein um die Besonderheiten von bestimmten Gegenständen gehen, die diese in ihrer Eigenschaft als Nicht-Originale aufweisen, sondern vor allem auch um die Spezifika, die die fraglichen Nicht-Originale als durch Kopierprozesse entstandene Gegenstände, also als Kopierresultate, auszeichnen.25 Daher vollzieht sich die Suche nach einer überzeugenden Definition des Begriffs Artefaktkopie in drei Schritten vom Allgemeinen zum Speziellen: Im ersten Schritt vom Begriff Kopierresultat ausgehend, der in unserem Zusammenhang den höchsten Allgemeinheitsgrad hat, erfolgt im zweiten Schritt eine Zuspitzung auf den spezielleren Begriff Kopie, um auf der Grundlage dieses Begriffs in einem dritten Schritt zum noch spezielleren Begriff Artefaktkopie fortzuschreiten. Das Vorbild für dieses Vorgehen zum Definieren von Begriffen findet sich bereits bei Aristoteles: Gemäß der traditionellen Regel definitio fit per genus proximum et differentiam specificam26 sollte die Definition eines Begriffs zwei Elemente umfassen: erstens die Angabe des nächsthöheren Oberbegriffs bzw. der nächsthöheren Gattung, der die durch den zu definierenden Begriff erfasste Art zuzuordnen ist (genus proximum); und zweitens die Nennung der spezifischen, artbildenden Differenz, die den zu definierenden Begriff von anderen unter den Oberbegriff fallenden Begriffen bzw. die zu bestimmende Art von den anderen unter der nächsthöheren Gattung versammelten Arten abzugrenzen vermag (differentia letzung von Bestimmungsrechten verfügt. Zu beachten ist jedoch, dass die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Herstellung abstrakter Artefaktkopien – im Gegensatz zur Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Produktion konkreter Artefakt kopien – als solche grundsätzlich moralisch legitim ist; vgl. dazu Abschnitt 3.3.2. 24 In gewisser Weise lässt sich der Begriff Artefaktkopie auch als Teilbegriff des Begriffs Kopierresultat verstehen, insofern jede Artefaktkopie zugleich eine Kopie und damit auch ein Kopierresultat ist. Daher spreche ich an dieser Stelle von einem direkten Teilbegriff, um deutlicher zu machen, was gemeint ist. 25 Wie im Vorhergehenden bereits angeklungen ist, müssen Nicht-Originale nicht zwingend durch Kopierprozesse entstanden sein – einige Fälschungen sind weder Originale noch Kopien. 26 Die so überlieferte Formulierung findet sich allerdings nicht wörtlich bei Aristoteles. In der lateinischen Standardübersetzung heißt es vielmehr: »definitio fiat per genus proximum et differentias specificas« (vgl. Aristoteles, Topik VI 5, 143a15).
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specifica). Das Vorgehen in diesem Abschnitt orientiert sich an dieser traditionellen Definitionsmethodik: Der Begriff Kopie wird unter Heranziehung des nächsthöheren Oberbegriffs Kopierresultat und unter Angabe des artbildenden Spezifikums bestimmt. Wir haben oben bereits gesehen, dass dieses Spezifikum darin besteht, dass die Gegenstände, die unter den Begriff Kopie fallen, keine Originale sind. Was aber den Oberbegriff Kopierresultat im Einzelnen auszeichnet, ist bisher noch unklar – der folgende Abschnitt soll der Klärung dieser Frage dienen und die Erkenntnisse hinsichtlich der Charakterisierung des Begriffs Kopierresultat für die Bestimmung des Begriffs Kopie fruchtbar machen. Anschließend gehe ich zur Definition des Begriffs Artefaktkopie – unter Berücksichtigung des diese Art von Kopien bildenden Spezifikums – vom Begriff Kopie als dem nächsthöheren Oberbegriff aus. Eine Annäherung an den Begriff Kopie über den Begriff Kopierresultat mithilfe von Millikans Definition des Begriffs Reproduktion
Welche Merkmale muss ein Gegenstand haben, um unter den von uns geteilten allgemeinen Begriff Kopie zu fallen? Als Ausgangspunkt zur Beantwortung der Frage, was die unter den Begriff Kopie fallenden Gegenstände auszeichnet, dient mir Ruth G. Millikans Definition des Begriffs Reproduktion, die sie im Rahmen ihrer Überlegungen zu eigentümlichen Funktionen vorgelegt hat27. Es mag zunächst überraschen, dass ausgerechnet diese Definition die Grundlage für eine erste Annäherung an den Begriff Kopie bilden soll. Schließlich definiert Millikan weder den Begriff Kopie noch den ihm direkt übergeordneten Begriff Kopierresultat, sondern stattdessen den Begriff Reproduktion. Wir können jedoch mit guten Gründen davon ausgehen, dass die Definition von Millikans Reproduktionsbegriff auch für den von uns geteilten Begriff Kopie aufschlussreich ist, denn wie sich nachfolgend zeigen wird, erscheint es als plausibel, dass der Reproduktionsbegriff, auf den Millikans Definition zielt, mit dem Begriff Kopierresultat zusammenfällt – und vom Begriff Kopierresultat können wir Wichtiges über den Begriff Kopie lernen, da jede Kopie zugleich ein Kopierresultat ist.28 Millikan selbst 27
Zur Rolle des Reproduktionsbegriffs als Grundlage des Funktionsbegriffs bei Millikan vgl. Toepfer 2004, 3.5.3. 28 Dies gilt auch dann, wenn Millikans Definition nicht als analytische Definition zu verstehen ist, sondern als stipulative oder explikative Definition, die nicht oder nur zum Teil auf die Analyse eines bestehenden, alltäglichen Begriffs abzielt: Solange es gute Gründe dafür gibt, anzunehmen, dass der von Millikan definierte Begriff sich mit einem solchen alltäglichen Begriff überschneidet oder gar mit ihm zusammenfällt, erscheint es nicht als problematisch, die Definition für ein Verständnis der unter diesen Begriff fal-
Zur Definition
weist explizit darauf hin, dass zur Bezeichnung der Phänomene, die unter den Reproduktionsbegriff fallen, den sie definieren will, der oftmals mit dem Begriff Kopierresultat verknüpfte englische Ausdruck »copy« eigentlich sogar treffender wäre: »The ordinary word ›copy‹ probably expresses what I will define somewhat better, but that term has problems of its own; so I have settled on ›reproduction‹.«29 Wie wir im Folgenden sehen werden, ist die Unterscheidung zwischen Originalen und Nicht-Originalen für Millikans Reproduktionsbegriff unerheblich – auch Originale können Reproduktionen in Millikans Sinne sein, weshalb es nicht als plausibel erscheint, dass Millikan den Ausdruck »copy« hier im engen Sinn versteht, also im Sinn des Begriffs Kopie. Im Lichte ihrer Einlassung, dass der Ausdruck »copy« eigentlich treffender wäre, um die sie interessierenden Entitäten zu bezeichnen, können wir also annehmen, dass es Millikan hier um Kopierresultate geht.30 Sofern sich diese Annahme bestätigen lässt, können wir mit guten Gründen davon ausgehen, dass Millikans Begriff Reproduktion dem von uns geteilten Begriff Kopierresultat entspricht und ihre Definition insofern wichtige Rückschlüsse auf den Begriff Kopie zulässt. Betrachten wir Millikans Überlegungen genauer, so wird die Annahme bekräftigt, dass Millikans Reproduktionsbegriff mit dem Begriff Kopierresultat übereinstimmt: Die Phänomene, die Millikan als Reproduktionen auffasst, sind enorm vielfältig und entstammen zudem ganz unterschiedlichen Bereichen. Da sich auch unser alltäglicher Begriff Kopierresultat durch die Vielfalt und Heterogenität der unter ihn fallenden Phänomene auszeichnet und die von Millikan genannten Phänomene zudem (von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werde) auch von diesem Begriff erfasst werden, bietet sich Millikans Definition als Ausgangspunkt für die Analyse des Begriffs Kopie über den Begriff Kopierresultat in besonderer Weise an. Als Beispiele für Reproduktionen nennt lenden Phänomene fruchtbar zu machen. Allein darauf zielen die nachfolgenden Überlegungen – sie zielen hingegen nicht darauf, die Definition von Millikan für sich genommen zu kritisieren oder nahezulegen, dass sie in dem Kontext, in dem sie bei Millikan zum Tragen kommt, einer Überarbeitung bedarf. 29 Millikan 1984, 19. 30 Eine weitere Möglichkeit wäre freilich, dass Millikan an einen dritten Begriff denkt, der mit dem englischen Ausdruck »copy« verknüpft ist. Ich sehe jedoch auch nach einer eingehenden Recherche bezüglich des englischen Sprachgebrauchs nicht, dass es abgesehen von den Begriffen Kopie und Kopierresultat einen weiteren etablierten Begriff gäbe, der mit dem Ausdruck »copy« verknüpft ist und den Millikan statt den beiden genannten Begriffen vor Augen haben könnte. Auf einen nicht etablierten Begriff hinzuweisen wäre im Übrigen nicht besonders sinnvoll – dann wäre die fragliche Einlassung schließlich nicht sehr erhellend für die_den Leser_in.
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Millikan nämlich u. a. die Kopien von Dokumenten, die unter Einsatz von Kopiergeräten angefertigt werden 31, silberne Kettenanhänger, die zugleich das christliche Symbol des Kreuzes und einen kreuzförmigen Zweig mit Olivenblättern kopieren32, durch Aufnahmen erzeugte Geräusche33, Viren, Gene und Artefakte, die »not of original design«34 sind, sowie Verhalten, das aus Imitation resultiert.35 Die genannten Phänomene lassen sich fraglos auch unter den alltäglichen Begriff Kopierresultat fassen. Aber nicht nur in Bezug auf die Entitäten, die Millikans Reproduktionsbegriff und der Begriff Kopierresultat einschließen, können wir eine Kongruenz feststellen – auch gibt es Parallelen bzgl. der Entitäten, die von den Begriffen nicht erfasst werden. So fallen die Beispiele, die Millikan explizit aus der Klasse der Reproduktionen ausschließt, auch aus der Klasse der Kopierresultate in unserem alltäglichen Sinne heraus: Millikan nennt als solche zum einen massengefertigte Gegenstände – »items coming off an assembly line are not reproductions of one another«36. Denn diese Gegenstände ähneln einander zwar – jedoch hängt der Charakter eines Gegenstands, der auf diese Weise produziert wird, nicht vom Charakter eines anderen auf diese Weise produzierten Gegenstands ab37: Die Gegenstände auf dem Fließband sind keine Kopierresultate eines Kopierprozesses, bei dem Gegenstände von ebendiesem Fließband als Vorlage dienen. Gleichwohl konstatiert Millikan, dass diese Gegenstände aus einer anderen Perspektive heraus sehr wohl als Reproduktionen aufgefasst werden können, nämlich als Reproduktionen 31
Vgl. Millikan 1984, 20. Vgl. Millikan 1984, 21. 33 Vgl. Millikan 1984, 21. 34 Millikan 1984, 21. Die Formulierung »not of original design« erweckt zunächst den Anschein, dass es Millikan doch um die Gegenstände geht, die unter den engeren Begriff Kopie fallen – dass also die Unterscheidung zwischen Originalen und Nicht-Originalen für Millikans Reproduktionsbegriff durchaus relevant ist. Betrachten wir das Gesamtprojekt, in das Millikans Definition eingebettet ist, so wird jedoch deutlich, dass hier nicht die Unterscheidung zwischen Originalen und Nicht-Originalen im Hintergrund steht: Der Reproduktionsbegriff dient Millikan als Basis ihrer ätiologischen Funktionstheorie, der zufolge sich eine eigentümliche Funktion einer Entität aus deren Reproduktionsgeschichte ergibt (vgl. Toepfer 2004, 268). Die Formulierung »not of original design« zielt also an dieser Stelle nicht darauf ab, Originale auszuschließen, sondern innovative Erstfälle von Artefakten, die keine Reproduktionsgeschichte haben. Denn der allererste Schraubendreher in der Weltgeschichte war eben keine Reproduktion eines bereits bestehenden Gegenstands der Artefaktart Schraubendreher – und ebenso wenig ein Kopier resultat –, sondern »of original design«, also der erste seiner Artefaktart. 35 Vgl. Millikan 1984, 21. 36 Millikan 1984, 21. 37 Vgl. Millikan 1984, 21. 32
Zur Definition
eines Prototyps: »On the other hand, items produced by mass production are usually reproductions of some prototype not produced on the line«38. In diesem Sinne sind die fraglichen Gegenstände also Reproduktionen – und lassen sich zudem auch ohne Weiteres als Resultate eines Kopierprozesses auffassen, bei dem der Prototyp als Vorlage diente. Außerdem nennt Millikan einige biologische Entitäten, die sie aus der Klasse der Reproduktionen ausschließt, nämlich Hunde, menschliche Herzen und den Paarungstanz der Stichlinge – denn auch für diese Entitäten gilt, dass sie »not reproductions of one another«39 sind. Diese Entitäten fallen ebenso aus der Klasse der Kopierresultate heraus: Im Allgemeinen sind Hunde keine Resultate von Kopierprozessen40, denen andere Hunde als Vorlage dienen, und menschliche Herzen entstehen nicht durch das Kopieren anderer menschlicher Herzen. Auch kopieren Stichlinge mit ihrem Paarungstanz nicht den Tanz anderer Stichlinge. Der Begriff Reproduktion und der Begriff Kopierresultat stimmen also auch darin überein, dass die soeben aufgezählten Beispiele nicht unter sie fallen. Überwiegend lassen sich die von Millikan genannten Beispiele für Repro duktionen somit ohne Weiteres auch als Kopierresultate auffassen, während die Entitäten, die Millikan nicht zu den Reproduktionen zählt, auch nicht den Kopierresultaten angehören. Bis jetzt spricht also viel dafür und nichts dagegen, dass der Begriff Reproduktion und der Begriff Kopierresultat einander entsprechen. Allerdings findet sich in Millikans Liste von Beispielen an einer Stelle eine Abweichung, die nahelegen könnte, dass die beiden Begriffe Reproduktion und Kopierresultat doch nicht zusammenfallen – sollte dies der Fall sein, so ließe sich der Nutzen von Millikans Definition für unsere Überlegungen anzweifeln. Denn Millikan nennt als Beispiele für Reproduktionen neben den bereits genannten Entitäten auch Fußabdrücke, Abdrücke von Fossilien, Spiegelbilder und Schatten. Im Hinblick auf diese Entitäten lässt sich allerdings mit guten Gründen bestreiten, dass sie unter den Begriff Kopierresultat fallen. Denn das Verursachen von Abdrücken, das Erzeugen eines Spiegelbilds und das Werfen eines Schattens dürften sich nicht überzeugend als Kopierprozesse apostrophieren lassen: Der Abdruck 38
Millikan 1984, 21. Diese Sichtweise auf das Beispiel bekräftigt noch einmal die Auffassung, dass es Millikan hier um Kopierresultate geht und nicht um Kopien – denn massengefertigte Gegenstände, die einen Prototyp kopieren, sind oftmals sehr wohl Originale und fallen daher nicht unter den Begriff Kopie, wohl aber unter den Begriff Kopierresultat. 39 Millikan 1984, 21. 40 Eine Ausnahme könnten Hunde sein, die durch Klonieren in die Welt kommen – es ist jedoch anzunehmen, dass Millikan hier nicht an Klon-Hunde denkt, sondern an Hunde, die auf natürlichem Wege gezeugt werden.
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eines dreidimensionalen Gegenstands ist kein Kopierresultat, sondern ein Negativ desjenigen Gegenstands, der den Abdruck erzeugt.41 So ist der Fußabdruck kein Kopierresultat eines Kopierprozesses, der den Fuß zur Vorlage hat; ebenso wenig ist der Abdruck des Fossils ein Kopierresultat eines Kopiervorgangs, der vom Fossil ausgeht. Ein Spiegelbild ist ein Abbild eines bestehenden Gegenstands, aber kein Kopierresultat, denn zu dem sich spiegelnden Gegenstand kommt keine neue Entität hinzu, die als Kopierresultat in Frage käme – stattdessen haben wir es mit nur einem Gegenstand zu tun, der im Spiegel ein weiteres Mal zu sehen ist. Auch ein Schatten ist kein Resultat eines Kopierprozesses – denn wie im Falle des Spiegelbilds kommt auch mit dem Schatten kein zusätzlicher Gegenstand in die Welt, der aus einem Kopiervorgang hervorgeht: Ein Schatten ist nichts als der unbeleuchtete Raum hinter einem Gegenstand, auf den Licht fällt. Für die genannten Beispiele lässt sich also mit guten Gründen bestreiten, dass sie unter den Begriff Kopierresultat fallen. Spricht der Umstand, dass Millikan sie als Beispiele für Reproduktionen nennt, aber gegen die Annahme, dass Millikans Reproduktionsbegriff mit dem Begriff Kopierresultat zusammenfällt – und damit gegen das Vorgehen, Millikans Definition als Ausgangspunkt für die Überlegungen zu den Anforderungen an eine Definition von Kopie (und damit auch an eine Definition von Artefaktkopie) zu nehmen? Es mag zwar sein, dass der Reproduktionsbegriff, den Millikan eigentlich definieren will, tatsächlich insofern vom Begriff Kopierresultat abweicht, als er im Gegensatz zum Begriff Kopierresultat die genannten Beispiele einschließt. Allerdings schlägt sich dies nicht in ihrer Definition nieder, wie sich eindrücklich zeigt, wenn wir einen Blick vorauswerfen und Millikans Definition einer ersten Betrachtung unterziehen. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern die genannten Entitäten von Milli kans Definition erfasst werden sollten: Millikan sucht zu definieren, was ein Einzelding y zu einer Reproduktion eines Einzeldings x macht. Spiegelbilder und Schatten kommen damit von vornherein nicht als Reproduktionen in Frage, da sie für sich genommen keine Gegenstände sind, sondern lediglich 41
Bei den beiden Beispielen für Abdrücke, die Millikan hier nennt, handelt es sich um Abdrücke dreidimensionaler Entitäten in einer formbaren Materie, für die nicht ersichtlich ist, warum sie als Kopierresultate gelten sollten. Anders verhält es sich allerdings mit Abdrücken in einem etwas anderen Sinne, solchen Abdrücken nämlich, die als Resultate von Drucktechniken (z. B. Lithographie, Holzschnitt oder Bleisatz) als Wiedergabe einer Druckvorlage zustande kommen: Diese Abdrücke können offenkundig sehr wohl Kopierresultate sein. Mithilfe des Bleisatzes lassen sich etwa Manuskripte vervielfältigen, und mittels der Lithographie können Zeichnungen und sogar farbige Bilder kopiert werden. Um diese Arten von Abdrücken scheint es Millikan hier jedoch nicht zu gehen.
Zur Definition
Abbilder von Gegenständen bzw. unbeleuchtete Flächen hinter einem Gegenstand. Aber auch in Bezug auf die Abdrücke ist gänzlich unklar, inwiefern sie unter Millikans Definition fallen sollten. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich bei Abdrücken um klar begrenzte, geformte Materie handelt, so spricht zwar nichts dagegen, sie als Gegenstände zu begreifen – wir können also für die Variable »y« auch Abdrücke einsetzen. Allerdings ergibt sich aus der Bedingung (1) der Definition von Reproduktion dennoch ein Problem für Millikans Auffassung, dass auch Abdrücke Reproduktionen im Sinne ihres Reproduktionsbegriffs sind. Auf die Bedingung (1) und ihre Details komme ich gleich noch ausführlich zu sprechen – an dieser Stelle reicht es hin, das Folgende festzuhalten: Millikan fordert in ihrer Bedingung (1), dass eine Reproduktion y und ihre Vorlage x einige Eigenschaften miteinander teilen. Ein Abdruck aber teilt mit dem Fuß, der ihn erzeugt, allenfalls die Umrisse – und das auch nur, wenn es sich um einen vollständigen Abdruck des Fußes handelt. Für einen Fußabdruck, bei dem diejenige_derjenige, zu der_dem der Fuß gehört, nur mit dem Fußballen auftritt, gilt nicht einmal, dass Fuß und Fußabdruck denselben Umriss teilen. Ansonsten finden wir die Merkmale des Fußes in einem gut erkennbaren Fußabdruck gewissermaßen in invertierter Form vor: Wölbt sich ein Zeh des Fußes nach außen, so korrespondiert damit beim Fußabdruck eine Wölbung nach innen usw. Selbst ein idealer Fußabdruck teilt also mit dem Fuß, der ihn erzeugt hat, nur die Umrisse (und damit die Länge und Breite sowie die Form). Über weniger ideale Fußabdrücke – etwa Abdrücke im Matsch – lässt sich auch das nicht sagen. In überzeugender Weise davon zu sprechen, dass einige Eigenschaften des Fußabdrucks auch der Fuß aufweist, der den Abdruck erzeugt hat, erscheint somit sogar im Falle idealer Fußabdrücke als problematisch, im Falle nicht idealer Fußabdrücke aber schlicht als undenkbar.42 Insofern ist weder ersichtlich, warum Spiegelbilder und Schatten von Millikans Definition des Begriffs Reproduktion erfasst werden sollten – noch vermag es einzuleuchten, dass die Definition auch Fußabdrücke u. ä. einschließt. Millikan müsste ihre Definition einer Modifikation unterziehen, wenn sie auch diese Entitäten berücksichtigen soll.43 Für unsere Zwecke allerdings 42
Hier sind nicht etwa Eigenschaften gemeint wie die Eigenschaft, mit sich selbst identisch zu sein – Eigenschaften wie diese teilen selbstverständlich auch der Fuß und sein Abdruck im Matsch. Um solche Eigenschaften, die trivialerweise alle Gegenstände miteinander gemein haben, dürfte es Millikan in ihrer Bedingung (1) allerdings nicht gehen. 43 Aller Wahrscheinlichkeit nach liegt die Berücksichtigung der fraglichen Entitäten jedoch ohnehin nicht in Millikans Interesse: Es ist nicht klar, warum Millikan diese Entitäten überhaupt nennt – schließlich konstatiert sie, diese seien »not reproductions that will turn out to be of any interest, for they do not have proper functions« (Millikan 1984, 21).
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lässt sich festhalten, dass die vier von Millikan genannten Beispiele, die einer Identifikation des von Millikan definierten Begriffs Reproduktion mit dem Begriff Kopierresultat entgegenzustehen schienen, von Millikans Definition gar nicht erfasst werden. Es spricht somit bis auf Weiteres nichts gegen die Annahme, dass der Begriff Reproduktion, wie Millikan ihn definiert, dem Begriff Kopierresultat entspricht. Betrachten wir zur ersten Annäherung an den Begriff Kopie über den Begriff Kopierresultat also zunächst die Definition, die Millikan vorlegt – sie enthält drei Bedingungen, wobei die erste Bedingung auf die zweite Bedingung Bezug nimmt und die dritte Bedingung zur Spezifikation einer Variante der in der zweiten Bedingung zur Sprache kommenden Gesetze dient: (R) Ein Einzelding y ist eine Reproduktion eines Einzeldings x gdw. gilt: (1) y hat einige determinierte Eigenschaften P1, P2 , P3 etc. mit x gemeinsam und (2) ist erfüllt. (2) Dass x und y die Eigenschaften P1, P2 , P3 etc. gemeinsam haben, kann mithilfe eines Naturgesetzes oder mit Gesetzen, die lokal wirksam sind und (3) erfüllen, erklärt werden. (3) Für jede Eigenschaft P1, P2 , P3 etc. sind die lokal wirksamen Gesetze, die erklären, warum y in der Hinsicht P x ähnelt, solche Gesetze, die eine angebbare Auswahl von determinierten Eigenschaften einer determinablen Eigenschaft zuordnen, unter die P fällt, sodass welche determinierte Eigenschaft auch immer x charakterisiert, auch y charakterisiert, wobei die Richtung der Kausalität unmittelbar von x zu y zeigt.44
Millikans Definition des Begriffs Reproduktion ist aufgrund der ineinander verwobenen Bedingungen einigermaßen komplex und durch den Bezug auf die verschiedenen Arten von Eigenschaften recht voraussetzungsreich – daher bietet es sich an, zunächst einmal jede Bedingung für sich genommen eingehend zu betrachten, um sie besser zu verstehen. Da es uns darum geht, aus Millikans Definition Einsichten in Bezug auf den Begriff Kopie zu gewinnen, liegt es nahe, die aus der Diskussion der Bedingungen gewonnenen Erkenntnisse direkt auf Kopien zu beziehen: Wir haben im Vorhergehenden gesehen, dass eine Reihe von guten Gründen für die Annahme spricht, 44
Vgl. Millikan 1984, 19 f.; meine Übersetzung. Damit die Variablen im Rahmen dieser Studie einheitlich sind, habe ich die ursprünglich von Millikan verwendeten Variablen »A« und »B« gegen »x« und »y« getauscht. Millikan schreibt zudem die Prädikatbuchstaben klein; ich habe mich für die üblichere Großschreibung entschieden. Überdies habe ich die distanzierenden Anführungszeichen um »Reproduktion« getilgt.
Zur Definition
dass Millikans Definition im Hinblick auf Kopierresultate aufschlussreich ist. Wie sich außerdem gezeigt hat, sind Kopien nichts anderes als Kopierresultate, die keine Originale sind. Sofern wir uns im Rahmen unserer Überlegungen zur Frage nach den Anforderungen an eine angemessene Definition des Begriffs Kopie an diese spezifische Differenz erinnern, ist es unbedenklich, die Einsichten aus Millikans Definition direkt auf Kopien zu beziehen. Daher leite ich in einem ersten Schritt aus jeder von Millikans drei Bedingungen je eine Bedingung ab, die prima facie als notwendige Bedingung dafür in Frage kommt, dass etwas eine Kopie ist. So gelange ich von Millikans Bedingung (1) zur allgemeinen Ähnlichkeitsbedingung, ausgehend von Millikans Bedingung (2) entwickle ich die allgemeine Erklärbarkeitsbedingung, und aus ihrer Bedingung (3) ergibt sich die allgemeine Kontrafaktizitätsbedingung.45 Jede der drei Bedingungen, die ich aus Millikans Definition gewinne, dient mir dann in einem zweiten Schritt dazu, Voraussetzungen dafür zu erarbeiten, dass es sich bei einem Gegenstand um eine Kopie handelt. Mit der allgemeinen Bedingung des Ausschlusses des Originalstatus komme ich anschließend auf eine vierte Bedingung zu sprechen, die der spezifischen Differenz Rechnung zu tragen sucht, die Kopien von anderen Kopierresultaten unterscheidet. Aus der Diskussion dieser Bedingung ergibt sich eine weitere Voraussetzung für 45
Millikan selbst hat sich 29 Jahre nach dem Erscheinen ihrer Definition gegen eine kontrafaktische Lesart der dritten Bedingung verwehrt, vgl. Millikan 2013 – was nicht verwundert, da eine solche Lesart in einer Spannung zum von ihr vertretenen naturalistischen Ansatz steht. Ein kontrafaktisches Verständnis von Millikans Formulierung der dritten Bedingung findet sich nichtsdestotrotz bei einer Reihe von Autor_innen. So schreibt etwa Robert Brandom: »In fact, all of Millikan’s fundamental technical terms from the notion of «reproduction” with which she begins, through the definitions of the various sorts of «direct proper function« and of «Normal explanations” are (and must be) specified in a modally rich vocabulary, in terms of laws and counterfactual conditionals« (Brandom 2001, 595; Herv. A. B.). Bei Hilary Putnam heißt es: »The definition of ›reproduction‹ (p. 20) involves counterfactuals (»had A been different with respect to […])« (Putnam 1992, 206, Endnote 10; Herv. A. B.). Auch Peter Godfrey Smith teilt die kontrafaktische Lesart: »Understand »copy« as a causal matter involving common properties and counterfactuals. The copy is like the copied in certain respects, though it is physically distinct, and if the copied had been different in certain ways, then, as a consequence of causal links from copied to copy, the copy would have been different in those ways too« (Godfrey Smith 1994, 346; Herv. A. B.). Matthias Vogel spricht im Zusammenhang mit Millikans dritter Bedingung von »kontrafaktischen Analysen« (Vogel 2010, Fn. 40); bei Marzia Soavi ist die Rede von »local laws governing the transmission or copying of the determinate characters in such a way that counterfactuals can be warranted« (Soavi 2009, 189; Herv. A. B.). Da Millikans Definition hier nicht im Kontext ihres eigenen Ansatzes steht, sondern lediglich als eigenständiger Ausgangspunkt einer Definition des Begriffs Kopie dienen soll, bedarf die Spannung zwischen einer solchen kontrafaktischen Lesart von Millikans dritter Bedingung und ihrem Naturalismus hier keiner Auflösung.
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den Kopiestatus. Unter Berücksichtigung der Voraussetzungen, die sich an eine Kopie stellen, entwickle ich jeweils Desiderate, denen eine Definition des Begriffs Kopie – und damit auch eine Definition von dessen Teilbegriff Artefaktkopie – gerecht werden muss. Von Millikans Bedingung (1) zur allgemeinen Ähnlichkeitsbedingung
Kommen wir zuerst zur Bedingung (1) der Definition Millikans, die die Übereinstimmung einer Reproduktion und ihrer Vorlage im Hinblick auf bestimmte Eigenschaften betrifft: Die Bedingung fordert, dass die Reproduktion y einige Eigenschaften P1, P2 , P3 … Pn mit ihrer Vorlage x teilt – es geht also um eine bestimmte Ähnlichkeit zwischen der Reproduktion y und ihrer Vorlage x, und zwar eine Ähnlichkeit im Hinblick auf die Eigenschaften P2 , P3 … Pn . Millikan kennzeichnet diese Eigenschaften in der Bedingung (1) als determinierte Eigenschaften, also als Eigenschaften, die im Hinblick auf eine determinable Eigenschaft näher bestimmt sind.46 Die Relation zwischen determinierten Eigenschaften und determinablen Eigenschaften ist relativ: So ist die Eigenschaft Röte eine determinierte Eigenschaft relativ zur determinablen Eigenschaft Farbigkeit – die determinable Eigenschaft Farbigkeit wird durch die determinierte Eigenschaft Röte näher bestimmt. Allerdings kann auch Röte eine determinable Eigenschaft sein, der unter anderem die determinierten Eigenschaften Scharlachröte und Weinröte zugeordnet werden können. Es geht also zunächst einmal nur darum, dass die hier fraglichen determinierten Eigenschaften einer Oberkategorie von Eigenschaften zuordenbar sind, ohne dass bereits der Grad der Allgemeinheit dieser Oberkategorie oder der Bestimmtheitsgrad der determinierten Eigenschaften festgelegt wäre. Was aber ist mit dem Bezug auf die determinierten Eigenschaften gewonnen? Wäre es nicht ausreichend, einfach zu fordern, dass die Reproduktion und die Vorlage einander ähneln? Ein Vorteil der Bezugnahme auf die determinierten Eigenschaften liegt darin, dass dadurch die Bedingung (1) im Hinblick auf die geforderte Ähnlichkeit weniger unbestimmt ist. Denn die Behauptung, dass zwei Dinge einander ähneln, ist für sich genommen noch nicht besonders informativ. Schließlich besteht zwischen jedem beliebigen Paar aus zwei Gegenständen irgendeine Ähnlichkeit – so stellt auch Putnam treffend fest: »Everything is similar to everything else in infinitely many re46 Die
Unterscheidung zwischen determinierten Eigenschaften und determinablen Eigenschaften geht auf William E. Johnson zurück (vgl. Johnson 1921); für eine bis heute einflussreiche Explikation der Relation zwischen determinierten Eigenschaften und determinablen Eigenschaften, auf die ich nachfolgend zu sprechen komme, vgl. Körner und Searle 1959.
Zur Definition
spects.«47 John R. Searle zufolge handelt es sich bei der Behauptung, zwei Dinge seien einander ähnlich, gar um eine unvollständige Behauptung, die der Vervollständigung bedarf – wahlweise durch die genaue Angabe der determinierten Eigenschaft oder durch die Angabe der determinablen Eigenschaft: The most important and the most frequent observation made about »resemblance« (and its brother notions, »likeness« and »similarity«) is that they are in some sense incomplete predicates. One has not been given any information, or at any rate only very minimal information, about two entities if one is merely told that they resemble each other. For to be told that two objects resemble each other is to be told that they have some property in common, but it is not so far to be told what property they have in common, and since any two entities will have some property in common, it is not so far to be told anything. The statement [»]A resembles B[«] thus invites the question »how?« – it invites completion. What has been less frequently noticed is that it admits of at least two distinct kinds of completion. These two kinds are marked grammatically by such locutions as »resembles in that« and »resembles with respect to«. Two red objects resemble each other in that they are both red, but that they are both red entails that they resemble each other (are alike, are exactly alike) with respect to (in respect of) colour.48
Durch den Bezug auf die determinierten Eigenschaften ist die Anforderung an Reproduktionen klarer bestimmt – und zwar im Sinne der beiden von Searle genannten Optionen zur Vervollständigung einer Behauptung der Ähnlichkeit zweier Entitäten: Es wird nicht bloß gefordert, dass Reproduktionen ihren Vorlagen ähneln, sondern die Ähnlichkeit muss in angebbaren determinierten Eigenschaften bestehen, die sich einer determinablen Eigenschaft zuordnen lassen. Dies lässt sich an einem von Millikans Beispielen für Reproduktionen trefflich illustrieren: Betrachten wir den silbernen Ketten anhänger in Form eines Kreuzes, der einem Zweig mit Olivenblättern nachempfunden ist. Der Anhänger und der Zweig mit Olivenblättern teilen eine determinierte Eigenschaft, die unter die determinable Eigenschaft Form fällt: Beide ähneln einander insofern, als sie eine längliche, schmale Basis haben, 47
Putnam 1981, 64. und Searle 1959, 151; Herv. i. O. Der gemeinsame Beitrag von Körner und Searle, aus dem ich hier zitiere und der anlässlich eines Symposiums der Aristotelian Society und der Mind Association im Jahre 1959 entstand, besteht aus zwei Teilen, für die jeweils einer der beiden Autoren verantwortlich zeichnet. Da die hier zitierten Passagen aus dem Teil stammen, den Searle verfasst hat, beziehe ich mich hier und im Folgenden nur auf Searle als Autor, nicht aber auf Körner. 48 Körner
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an der in Büscheln an beiden Seiten spitz zulaufende, ebenfalls längliche blattförmige Elemente zu finden sind. Diese Beschreibung ist offenkundig wesentlich erhellender als die bloße Behauptung einer Ähnlichkeit zwischen dem Kettenanhänger und dem Ast mit den Blättern. Gilt nun aber für die Dinge, die unter unseren Begriff Kopie fallen, dass sie ihren Vorlagen in Bezug auf einige determinierte Eigenschaften ähneln? Um dies zu prüfen, können wir zunächst tentativ die allgemeine Ähnlichkeitsbedingung formulieren, wobei der Zusatz »allgemein« in der Bezeichnung der Bedingung anzeigt, dass die Bedingung für Kopien allgemein Gültigkeit beansprucht, da es sich dabei um eine Bedingung dafür handeln soll, dass etwas unter unseren allgemeinen Begriff Kopie fällt. Die Bedingung orientiert sich stark an der Bedingung (1) aus Millikans Definition49 – sie lautet wie folgt: Wenn y eine Kopie von x ist, dann (AÄB) ä hneln y und x einander im Hinblick auf einige determinierte Eigenschaften P1, P2 , P3 … Pn. Von der allgemeinen Ähnlichkeitsbedingung zur Voraussetzung einer signifikanten Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage aus Expert_innensicht
Ist die Bedingung (AÄB) nun notwendig für den Kopiestatus? Die in der Bedingung zum Ausdruck kommende Forderung erscheint zunächst als äußerst einleuchtend: Dass eine gewisse Ähnlichkeit zwischen x und y eine notwendige Voraussetzung dafür darstellt, dass y eine auf x zurückgehende Kopie ist, dürfte sich kaum bestreiten lassen. Auch die Forderung, dass diese Ähnlichkeit in Bezug auf bestimmte determinierte Eigenschaften besteht, die jeweils determinablen Eigenschaften zuordenbar sind, scheint durchaus berechtigt zu sein: Dass Kopien ihren Vorlagen in der einen oder anderen Weise hinsichtlich solcher determinierten Eigenschaften ähneln, zeigt sich an einer Vielzahl von Beispielen. Eine mit einem Kopiergerät hergestellte Kopie einer Zeichnung etwa dürfte ihrer Vorlage – der Originalzeichnung – zumeist im Hinblick auf die Anzahl, Länge und Form der Linien ähneln, die auf der Originalzeichnung zu sehen sind: In Bezug auf die determinablen Eigenschaften Anzahl der Linien, Länge der Linien und Form der Linien weisen Originalzeichnung und Kopie dann dieselben determinierten Eigenschaften auf. Auch die Kopie einer mit dem Smartphone angefertigten Aufnahme der Auf49 Anders
gung.
als (1) referiert die Bedingung (AÄB) jedoch nicht auf eine weitere Bedin-
Zur Definition
führung eines Songs ähnelt der Aufnahme hinsichtlich vieler determinierter Eigenschaften, die sich jeweils einer determinablen Eigenschaft zuordnen lassen. So entspricht etwa die Dauer der Aufnahme der Dauer der Aufführung. Im Allgemeinen stimmen eine Aufführung und ihre Aufnahme zudem auch hinsichtlich anderer determinabler Eigenschaften überein, darunter die determinablen Eigenschaften Tempo und Tonart. Auch für einen durch Replikation entstandenen DNA-Strang gilt in der Regel, dass er mit seiner Vorlage determinierte Eigenschaften teilt, die unter der determinablen Eigenschaft Erbinformation zusammengefasst werden können. Eine gewisse Ähnlichkeit hinsichtlich einiger determinierter Eigenschaften weist jede Kopie zu ihrer Vorlage auf – dieser Aspekt scheint ein integraler Bestandteil unseres alltäglichen Kopiebegriffs zu sein, sodass die Notwendigkeit des Vorliegens einer solchen Ähnlichkeit zwischen der Kopie und ihrer Vorlage intuitiv einleuchten dürfte. Auf den ersten Blick erscheint die Bedingung (AÄB) zudem als unwiderlegbar, da keine Gegenbeispiele denkbar sind, die sich gegen die Bedingung ins Feld führen ließen. Denn trotz der Bezugnahme auf bestimmte determinierte Eigenschaften ist die Bedingung (AÄB) hinsichtlich der geforderten Ähnlichkeit nach wie vor sehr unspezifisch gehalten: Die Bedingung trifft trivialerweise auf alles zu, da jeder Gegenstand mit jedem anderen eine ganze Reihe von determinierten Eigenschaften teilt. Da die Bedingung (AÄB) auf alle beliebigen aus zwei Gegenständen bestehenden Paare zutrifft, ist es somit gar nicht erst möglich, einen Gegenstand zu finden, der eine Kopie ist und die Bedingung nicht erfüllt und der somit als Beispiel gegen die Aufnahme von (AÄB) in eine Definition von Kopie spricht. Dies scheint auf den ersten Blick ein Vorteil der Bedingung zu sein. Die Immunität der Bedingung (AÄB) gegen Gegenbeispiele stellt sich allerdings bei genauerem Hinsehen als lediglich vermeintlicher Vorteil heraus. Denn eine Bedingung, die stets erfüllt ist, ist offenkundig nutzlos: Die Funktion, die einer Bedingung im Rahmen einer Definition zukommt, ist das Selektieren bestimmter Gegenstände, die durch den zu definierenden Begriff erfasst werden, um den durch den Begriff erfassten Gegenstandsbereich näher einzugrenzen. Greift nun eine Bedingung jeden beliebigen Gegenstand heraus, so ist sie für eine Definition ungeeignet, da sie keinen Beitrag dazu leisten kann, Gegenstände, die unter den Begriff fallen, von Gegenständen abzugrenzen, die nicht darunterfallen. Gerade aus der Unanfechtbarkeit der Bedingung mittels Gegenbeispielen ergibt sich also ein Einwand gegen sie, den ich den Einwand der mangelnden Beschränkung nennen möchte, da die Bedingung in Bezug auf die Gegenstände, die sie einschließt, nicht beschränkt ist und damit ihren Zweck nicht erfüllen kann.
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Tatsächlich ist die Bedingung (AÄB) in der obigen Formulierung nutzlos, da sie schlicht zu unspezifisch und deshalb viel zu weit ist. Denn letzten Endes fordert die Bedingung nichts anderes als eine Ähnlichkeit zweier Entitäten hinsichtlich einiger Eigenschaften. Zwar sind diese Eigenschaften als determinierte Eigenschaften unter einer determinablen Eigenschaft genauer charakterisiert, sodass wir mit Searle sagen können, dass die Ähnlichkeit der beiden fraglichen Entitäten zumindest nicht unbestimmt bleibt. Aber auch der Bezug auf die determinierten Eigenschaften trägt nicht dazu bei, das Problem der mangelnden Beschränkung der Bedingung zu beheben: Bei der Relation zwischen determinierten Eigenschaften und determinablen Eigenschaften handelt es sich um eine relative Relation, wobei die meisten Eigenschaften sowohl als determinierte Eigenschaften als auch als determinable Eigenschaften in Frage kommen – lediglich einige wenige Eigenschaften gelten als sogenannte Superdeterminanten, unter die keine weitere determinierte Eigenschaft fällt, bzw. als sogenannte Superdeterminablen, denen keine weitere determinable Eigenschaft übergeordnet ist.50 Daher ergibt sich im Hinblick auf zwei Gegenstände stets eine sehr große Zahl möglicher Kombinationen von determinierten Eigenschaften, die unter je unterschiedliche determinable Eigenschaften fallen: So können zwei Gegenstände a und b miteinander die determinierte Eigenschaft Röte teilen, die unter die determinable Eigenschaft Farbigkeit fällt; der Gegenstand b kann zudem mit einem Gegenstand c die determinierte Eigenschaft Scharlachröte gemeinsam haben, die unter die determinable Eigenschaft Röte fällt usw. Ontologisch betrachtet bleibt die Bedingung (AÄB) somit trotz des Bezugs auf die determinierten Eigenschaften zu weit: Jedes beliebige Gegenstandspaar teilt einige determinierte Eigenschaften miteinander, die unter irgendwelche determinablen Eigenschaften fallen, und erfüllt so die Bedingung – die problematische Offenheit einer Bedingung, die die Ähnlichkeit zweier Entitäten zueinander fordert, kann durch die Spezifikation dieser Ähnlichkeit als Übereinstimmung der zwei Entitäten hinsichtlich einiger determinierter Eigenschaften nicht geheilt werden. Tatsächlich bringt die explizite Referenz auf die determinierten Eigenschaften sogar eine zusätzliche Schwierigkeit für die Bedingung (AÄB) mit sich: Wie sich zeigen wird, provoziert der Bezug auf determinierte Eigenschaften einen weiteren Einwand, der mit der Frage zusammenhängt, ob die Bedingung (AÄB) auf ein Gegenstandspaar zutrifft oder nicht – diesen Einwand bezeichne ich als Einwand der mangelnden Anwendbarkeit. Ich komme im Folgenden auf diesen Einwand zu sprechen.
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Vgl. Funkhouser 2006.
Zur Definition
Vorab ist jedoch noch eine wichtige Frage zu klären, um die Überlegungen zum Einwand der mangelnden Beschränkung in einer für unser Vorhaben zielführenden Weise zum Abschluss zu bringen: Welche Beschränkung sollte eine Bedingung enthalten, die die Ähnlichkeit von Kopien und ihren Vorlagen fordert, damit sie unter all den Gegenstandspaaren, die einige determinierte Eigenschaften miteinander teilen, die Kopien und ihre Vorlagen herausgreifen kann? Da die nicht weiter qualifizierte Forderung der Übereinstimmung hinsichtlich einiger determinierter Eigenschaften uns nicht zum gewünschten Ziel führt, erscheint es als sinnvoll, die geforderte Ähnlichkeit zwischen einer Kopie und einem Original auf andere Weise genauer zu spezifizieren. Prima facie erscheint es als plausible Annahme, dass Kopien und ihre Vorlagen einander derart ähneln, dass uns ihre Ähnlichkeit zueinander gleichsam ins Auge springt. Greifen wir noch einmal auf einige Beispiele zurück, die in Kapitel 1.1 zur Illustration der Vielfalt der Klasse der Kopien gedient haben, so gewinnt diese Annahme weiter an Plausibilität: Digitale Kopien weisen zu ihren Vorlagen im Allgemeinen eine so beträchtliche Ähnlichkeit auf, dass sie von den Vorlagen nicht unterscheidbar sind. Dasselbe gilt für DNAKopien, die ohne Mutationen zustande kommen. Auch für die Nachahmung einer Infektion mit einer Krankheit mittels eines Impfstoffs gilt, dass sie einer tatsächlichen Infektion stark ähnelt (– anderenfalls könnte sie ihren Zweck, das körpereigene Immunsystem zur Produktion von Antikörpern zur Abwehr gegen die fragliche Krankheit anzuregen, gar nicht erfüllen). Aber selbst diejenigen Kopien, deren Nähe zu ihren Vorlagen weniger groß ist als die der bisher genannten Beispiele, sind ihren Vorlagen nichtsdestotrotz auffällig ähnlich. Duchamps L.H.O.O.Q. etwa weist trotz der von Duchamp hinzugefügten, die Vorlage entfremdenden Details – Schnurrbart und Spitzbart – eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der Mona Lisa auf. Aber auch die Signaturpfiffe, die die Atlantischen Großen Tümmler aussenden, enthalten zwar gezielt vorgenommene Abweichungen zu den Pfiffen der Artgenossen, die sie kopieren – die Ähnlichkeit mit den Pfiffen der Artgenossen ist aber dennoch offenkundig. Im Lichte der Beispiele erscheint es als sinnvoll, von der erforderlichen Ähnlichkeit als einer signifikanten Ähnlichkeit auszugehen. Wir können also das folgende Zwischenfazit festhalten: Eine Definition des Begriffs Kopie – und damit auch eine Definition des Begriffs Artefaktkopie – sollte es erfordern, dass eine Kopie ihrer Vorlage in signifikanter Weise ähnelt. Lässt sich die geforderte signifikante Ähnlichkeit jedoch noch näher spezifizieren? Eine Möglichkeit zur Spezifikation der Signifikanz der Ähnlichkeit be stünde darin, den Bezug auf einige der Kopie und der Vorlage gleichermaßen zukommende determinierte Eigenschaften beizubehalten, die Forderung dar-
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über hinaus jedoch noch weiter zu qualifizieren. Äußerst naheliegend schiene auf den ersten Blick etwa eine Spezifikation der geforderten Anzahl von determinierten Eigenschaften, die zwei Gegenstände miteinander teilen müssen, um als Kopie und Vorlage in Frage zu kommen: Erscheinen uns Gegenstände nicht gerade dann als einander signifikant ähnelnd, wenn sie eine große Zahl von Eigenschaften miteinander teilen? Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass zwei Gegenstände eine Vielzahl von determinierten Eigenschaften miteinander teilen können, ohne dass wir eine signifikante Ähnlichkeit zwischen ihnen feststellen: Mein Reiskocher und mein Fön etwa haben eine ganze Reihe von Eigenschaften gemein – sie haben beide ein Kabel und einen Stecker, man kann beide ein- und ausschalten, sie wiegen beide mehr als 100g, sie wiegen beide mehr als 200g, sie sind beide dunkelgrau, beide enthalten Plastikteile, beide können Wärme erzeugen usw. – es ließe sich mühelos eine Vielzahl weiterer determinierter Eigenschaften ergänzen, die beide Gegenstände aufweisen. Nichtsdestotrotz besteht zwischen den beiden Gegenständen offensichtlich keine signifikante Ähnlichkeit im gesuchten Sinn: Mein Fön käme niemals als Kopie meines Reiskochers in Frage und umgekehrt – wäre eines von beiden als Kopie des anderen gedacht gewesen, so könnten wir allenfalls von einem misslungenen Kopierversuch sprechen. Die Anzahl der determinierten Eigenschaften scheint also für die Signifikanz der Ähnlichkeit nicht den Ausschlag zu geben: Zwar erscheint es als plausibel, dass eine signifikante Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen zwingend eine Übereinstimmung dieser Gegenstände bezüglich einiger determinierter Eigenschaften erfordert, die genauer zu bestimmen wäre. Die geforderte Übereinstimmung kann jedoch nicht allein in der Kongruenz der fraglichen Gegenstände hinsichtlich einer großen Anzahl von determinierten Eigenschaften bestehen, da eine solche Kongruenz für sich genommen offensichtlich nicht hinreichend für das Bestehen einer signifikanten Ähnlichkeit ist. Damit ist jedoch nur eine Variante der Forderung verworfen, die explizit und ausschließlich auf eine bestimmte Anzahl von determinierten Eigenschaften abhebt. Nun ließen sich freilich weitere Varianten in Betracht ziehen, die die geforderten determinierten Eigenschaften noch weiter oder auch auf ganz andere Weise qualifizieren. Am expliziten Bezug auf determinierte Eigenschaften festzuhalten erscheint jedoch nicht als gangbarer Weg, wie sich zeigt, wenn wir eine andere Perspektive auf eine Bedingung einnehmen, die einen solchen Bezug enthält: Die oben skizzierte ontologische Perspektive, der zufolge die Bedingung (AÄB) zu weit ist, ist nämlich nicht die einzige lohnenswerte Perspektive, die wir einnehmen können, um zu erörtern, ob eine Bedingung, die eine Übereinstimmung zwischen Kopie und Vorlage bezüg-
Zur Definition
lich einiger determinierter Eigenschaften fordert, als notwendige Bedingung Eingang in die Definition des Begriffs Kopie – und damit auch (ggf. in modifizierter Form) in die Definition von Artefaktkopie – finden sollte. Denn die Nützlichkeit einer solchen Bedingung innerhalb einer Definition ermisst sich nicht nur an ihrer Adäquatheit auf ontologischer Ebene, sondern auch an ihrer Anwendbarkeit. Was die Anwendbarkeit einer Bedingung betrifft, die explizit auf determinierte Eigenschaften Bezug nimmt, gibt es allerdings zwei schwerwiegende Probleme – zusammen bilden sie den Einwand der mangelnden Anwendbarkeit. Das erste Problem stellt sich insbesondere für Lai_innen auf einem Gebiet: Zwei Gegenstände können determinierte Eigenschaften miteinander teilen, ohne dass jemand, die_der ein_e Lai_in auf dem Gebiet ist, dem die fraglichen Gegenstände entstammen, dies überhaupt bemerkt. So ist es durchaus denkbar, dass es jemandem, die_der nicht mit Jazz vertraut ist, gar nicht auffällt, dass eine Aufführung von Dizzy Gillespies Bebop-Stück Salt Peanuts und eine Aufführung von Duke Ellingtons Swing-Stück Cotton Tail dieselbe klassische, auf Gershwins Jazzstandard I Got Rhythm zurückgehende Akkordfolge miteinander teilen, die sogenannten Rhythm Changes. Obgleich der_dem Lai_in dies nicht bewusst sein muss, weisen beide Aufführungen faktisch eine Übereinstimmung hinsichtlich einer determinierten Eigenschaft – der Rhythm Changes – auf, die einer determinablen Eigenschaft – der Akkordfolge – zuordenbar ist. Ähnliche Beispiele finden sich unter den Gegenständen, die nicht in den Bereich der Artefakte fallen: Auch zur Entscheidung der Frage, ob ein nicht-artifizieller Gegenstand mit einem anderen nicht-artifiziellen Gegenstand eine determinierte Eigenschaft teilt, sind wir vielfach auf das Urteil einer_eines Expert_in angewiesen. Dass etwa Zellen der Leber und bestimmte Zellen des Darms offenbar die Eigenschaft miteinander teilen, zur Regeneration mittels Zellteilung fähig zu sein51, ist eine Einsicht, zu der jemand ohne eine spezielle Expertise kaum gelangen kann. Die Beispiele zeigen jeweils exemplarisch anhand einer einzelnen determinierten Eigenschaft, dass ein Gegenstand diese Eigenschaft aufweisen kann, ohne dass dies für die_den Lai_in ohne Weiteres ersichtlich wäre. Greifen wir die Überlegung von oben auf, dass eine Kopie ihrer Vorlage signifikant ähneln muss, so ließe sich einwenden, dass die Übereinstimmung hinsichtlich einer einzelnen Eigenschaft im Allgemeinen noch keine signifikante Ähnlichkeit mit sich bringt. Was für die einzelne determinierte Eigenschaft gilt, könnte nun aber ohne Weiteres auch für mehrere determinierte Eigenschaften zugleich gelten: Es ist denkbar, dass eine Ähnlichkeit, die sich an einigen 51
Vgl. Zipori 2009, 52.
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übereinstimmenden determinierten Eigenschaften festmachen lässt und deren Signifikanz aus der Sicht einer_eines Expert_in unstreitig ist, einer_ einem Lai_in gerade nicht ins Auge springt. Aus diesem Grunde werden oftmals Expert_innen hinzugezogen, wenn der Kopiestatus einer Entität in Frage steht: Im Rahmen von Gerichtsverfahren etwa werden regelmäßig Gutachter_innen mit entsprechender Expertise zu Rate gezogen, damit diese über den strittigen Kopiestatus eines Artefakts – und damit über die Frage nach dem Bestehen einer signifikanten Ähnlichkeit zur möglichen Vorlage – befinden. Diese Überlegungen führen uns die erste von zwei Dimensionen des Einwands der mangelnden Anwendbarkeit vor Augen: Selbst, wenn eine Bedingung, die die Übereinstimmung hinsichtlich einiger determinierter Eigenschaften fordert, tatsächlich erfüllt ist, kann einer_einem Lai_in der Umstand, dass sie erfüllt ist, dennoch verborgen bleiben. Diese Schwierigkeit geht zu Lasten der Anwendbarkeit einer Bedingung, die die notwendige Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage in deren Übereinstimmung hinsichtlich einiger determinierter Eigenschaften verortet: Ob ein Gegenstandspaar eine solche Bedingung erfüllt, ist mitunter nur für diejenigen ersichtlich, die Expert_ innen für das Gebiet sind, dem die fraglichen Gegenstände angehören.52 Der Einwand der mangelnden Anwendbarkeit reicht jedoch noch weiter: Selbst, wenn die_der Lai_in eine große Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen feststellt, kann sie_er bei dem Versuch, eine Bedingung mit explizitem Bezug auf determinierte Eigenschaften auf diese Gegenstände anzuwenden, mit Schwierigkeiten konfrontiert sein. Denn ein weiteres Problem für die Anwendbarkeit einer solchen Bedingung besteht darin, dass selbst eine große Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen aus der Sicht einer_eines Lai_in lediglich auf eine diffuse, nicht genau benennbare Weise gegeben sein kann. Wie wir im Folgenden sehen werden, stellt sich dieses Problem nicht einmal nur für Lai_innen – auch Expert_innen können Schwierigkeiten haben, die 52 Es
erscheint als plausibel, dass sich für eine Kopie und ihre Vorlage stets ein gemeinsames Gebiet finden lässt, dem beide zugeordnet werden können – jedenfalls, sofern es sich um ein Gebiet mit hohem Allgemeinheitsgrad handelt, wie im Falle des Gebiets Musik: Ist die Vorlage eine musikalische Entität, so scheint auch die Kopie zwingend eine musikalische Entität zu sein. An dieser Stelle soll es zunächst genügen, auf die unmittelbar einleuchtende Plausibilität der Annahme zu verweisen, dass eine Kopie und ihre Vorlage demselben Gebiet entstammen. Im Rahmen der Übertragung der Erkenntnisse aus diesem Abschnitt auf Artefaktkopien befasse ich mich im nächsten Abschnitt mit der nachfolgend weiter an Relevanz gewinnenden Frage, wie ein Gebiet jeweils zu bestimmen ist, wenn wir eruieren wollen, wer als Expert_in herangezogen werden kann, um darüber zu befinden, ob zwei Gegenstände eine signifikante Ähnlichkeit zueinander aufweisen oder nicht.
Zur Definition
Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen auf den Punkt zu bringen. Bleiben wir jedoch zunächst einmal bei dem Problem, wie es sich der_dem Lai_in stellt: Selbst, wenn zwei Gegenstände a und b einander tatsächlich im Hinblick auf einige determinierte Eigenschaften ähneln, so ist es denkbar, dass ein_e Lai_in, die_der mit der Art, der die Gegenstände angehören, nicht vertraut ist, die nämlichen Eigenschaften weder im Einzelnen benennen noch den ihnen übergeordneten determinablen Eigenschaften zuordnen kann. Eine Person, die keinerlei Ahnung von Musik hat, mag zwar feststellen, dass zwei musikalische Aufführungen einander in gewissen Aspekten gleichen, ohne jedoch zugleich präzise angeben zu können, welche Aspekte dies sind. Dabei geht es nicht nur darum, dass der_dem Lai_in die Fachtermini fehlen, um die fraglichen Aspekte korrekt zu bezeichnen – dieser Schwierigkeit ließe sich schließlich durch Umschreibungen oder ein Benennen der fraglichen determinierten Eigenschaften mit eigenen Bezeichnungen entgehen. Das Problem besteht vielmehr darin, dass sich diese Eigenschaften von der_dem Lai_in gar nicht erst fassen lassen: Ein_e Lai_in im Bereich der Musik mag einen Eindruck oder ein Gefühl schildern können – etwa, dass eine musikalische Aufführung fröhlich wirkt und zur Bewegung einlädt –, aber welchen Eigenschaften sich sein Eindruck oder sein Gefühl im Einzelnen verdankt – etwa den Eigenschaften, in C-Dur zu sein und einen Swing-Rhythmus zu haben –, kann sie_er nicht zwangsläufig angeben. Insofern mag die_der Lai_in zwar zu der diffusen Auffassung gelangen, dass zwischen zwei Gegenständen eine Ähnlichkeit besteht, die ihr_ihm als signifikant erscheint, da beide Gegenstände bei ihr_ihm einen ähnlichen Eindruck oder das gleiche Gefühl erzeugen. Jedoch muss die_der Lai_in diese Ähnlichkeit nicht zwingend an konkreten Eigenschaften festmachen können. Allerdings stehen auch Expert_innen manchmal vor demselben Problem: Selbst für eine_n Expert_in auf einem Gebiet kann es sich mitunter als problematisch erweisen, zu artikulieren, worin die signifikante Ähnlichkeit eines diesem Gebiet entstammenden Gegenstands zu einem anderen Gegenstand aus demselben Gebiet eigentlich besteht. Besonders deutlich wird dieser Umstand in einem Kontext, in dem signifikante Ähnlichkeiten bei der Entscheidung über den Wert eines Gegenstands eine zentrale Rolle spielen können, nämlich in der Kunstwelt: Oftmals werden Gemälde einer_einem Künstler_in zugeschrieben, weil sie anderen Gemälden aus deren_dessen Œuvre sehr ähnlich sind. Ein_e Expert_in, die_der die Zuschreibung vornimmt, muss die Eigenschaften, die diese signifikante Ähnlichkeit ausmachen, keineswegs alle explizit benennen. Stattdessen erfolgt die Zuschreibung oftmals als intuitiver Akt: Im Kern der kunstgeschichtlichen Praxis der Kennerschaft stehen bis heute die von der_dem Kenner_in erworbenen Erfahrungen innerhalb
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eines Gebiets bzw. im Hinblick auf das Œuvre einer_eines Künstler_in, die ihr_ihm zu intuitiv gefällten Urteilen über Kunstobjekte verhelfen. Insofern überrascht es nicht, dass die erste von 13 Thesen des Kunsthistorikers Felix Thürlemann zur kritischen Neubegründung der kennerschaftlichen Praxis wie folgt lautet: »Das kennerschaftliche Urteil beruht auf der synthetischen Intuition des einzelnen Kenners im Erfassen der sogenannten persönlichen ›Handschrift‹ eines Künstlers. Dieser spezifische kognitive Prozess kann analytisch nicht begründet werden.«53 Auf die signifikante Ähnlichkeit, die die verschiedenen Arbeiten einer_eines Künstler_in im Allgemeinen zueinander aufweisen, nimmt Thürlemann mit dem Terminus »Handschrift« Bezug – worin die individuelle künstlerische ›Handschrift‹ jeweils besteht, lässt sich intuitiv erfassen, aber nicht an konkreten Eigenschaften festmachen. So betont auch Max J. Friedländer, dass für die geforderte Ähnlichkeit keine objektiven Kriterien ausschlaggebend sind, sondern etwas, das sich der Diskussion entzieht: Wenn auch alle jene Kriterien, die mit mehr oder weniger Recht als die ›objektiven‹, scheinbar wissenschaftlichen, bezeichnet werden und im Schriftwesen einen übermäßigen Raum einnehmen, beachtet zu werden verdienen, entscheidend bleibt am Ende doch etwas, worüber nicht diskutiert werden kann.54
Selbst, wenn ein_e Expert_in davon überzeugt ist, dass eine signifikante Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen besteht, ist es also denkbar, dass die_der Expert_in eine Bedingung, die die explizite Angabe von beiden Gegenständen zukommenden determinierten Eigenschaften erfordert, nicht zur Anwendung bringen kann. Denn die signifikante Ähnlichkeit zweier Gegenstände muss sich nicht in den angebbaren Eigenschaften erschöpfen, hinsichtlich deren eine Übereinstimmung besteht – dies gilt auch für die signifikante Ähnlichkeit einer Kopie mit ihrer Vorlage.55 Dies ist die zweite Dimension des Einwands der mangelnden Anwendbarkeit. Wir können die zweifache Pointe des Einwands der mangelnden Anwendbarkeit somit wie folgt zusammenfassen: Die Anwendbarkeit einer Bedingung, die es erforderlich macht, explizit determinierte Eigenschaften anzugeben, 53
Thürlemann 2005, 227. Friedländer 1946, 153. 55 Entsprechend konstatiert auch Lars Blunck, dass der Kopiestatus eines Gegenstands sich »nicht zwangsläufig und allein den äußeren, materiellen Eigenschaften eines Gegenstandes [verdankt], die man visuell erfassen oder messen könnte, sondern einer Bewertung, einem Dafürhalten, einer An-Sicht« (Blunck 2011, 17). 54
Zur Definition
die zwei Gegenstände miteinander teilen, damit sich diese Gegenstände als Kopie und Vorlage zueinander in Beziehung setzen lassen, erscheint in doppelter Hinsicht als problematisch. Denn der Anwendung einer solchen Bedingung steht einerseits entgegen, dass Nicht-Expert_innen auf einem Gebiet oft vollkommen unklar ist, ob zwei aus diesem Gebiet stammende Gegenstände überhaupt einige determinierte Eigenschaften miteinander teilen. Selbst, wenn sich die signifikante Ähnlichkeit einer Kopie und ihrer Vorlage stets an deren Übereinstimmung hinsichtlich einiger determinierter Eigenschaften festmachen ließe, so sind viele Fälle denkbar, in denen ein_e Lai_in die Bedingung dennoch nicht zur Anwendung bringen kann, weil ihr_ihm diese Übereinstimmung teilweise oder sogar vollständig entgeht. Die geforderte signifikante Ähnlichkeit lässt sich allerdings vielfach ohnehin nicht durch die bloße Angabe einiger übereinstimmender determinierter Eigenschaften erfassen, womit wir zur zweiten Problematik kommen: Andererseits kann die Anwendung der Bedingung nämlich dadurch erschwert werden, dass sowohl Lai_innen als auch Expert_innen die signifikante Ähnlichkeit, die eine Kopie mit ihrer Vorlage haben muss, auch dann feststellen können, wenn es ihnen nicht möglich ist, die für diese Ähnlichkeit verantwortlichen gemeinsamen Eigenschaften von Kopie und Vorlage in vollem Umfang zu benennen. Wie ist der Einwand der mangelnden Anwendbarkeit zu bewerten? Es er scheint erstens als plausibel, dass eine Definition unseres alltäglichen Be griffs Kopie – ebenso wie eine Definition von dessen Teilbegriff Artefaktkopie – keine Bedingung enthalten sollte, deren Anwendbarkeit für die_den Einzelne_n stark eingeschränkt, d. h. jeweils nur relativ zu deren_dessen Expertise gegeben ist. Denn eine derart beschränkte Anwendbarkeit würde dazu führen, dass bezüglich der Frage, ob ein Gegenstandspaar von der Bedingung erfasst wird oder nicht, für die_den Einzelne_n auf vielen Gebieten eine immense Unsicherheit bestünde. Mit einer Definition, die eine solche Bedingung enthält, ist daher wenig anzufangen. Wenn nun zweitens sogar ein_e Expert_in an der Anwendung einer solchen Bedingung scheitert, weil sie_er zwei Gegenstände zwar als einander signifikant ähnelnd erkennt, die für diese Ähnlichkeit verantwortlichen Eigenschaften aber nicht vollständig angeben kann, so ist der Nutzen der Bedingung äußerst zweifelhaft. Der Einwand der mangelnden Anwendbarkeit hält allerdings zwei wichtige Einsichten für das definitorische Projekt in diesem Kapitel bereit: Zum einen erscheint es nicht als sinnvoll, das Urteil darüber, ob zwischen einer potenziellen Kopie und ihrer möglichen Vorlage eine signifikante Ähnlichkeit besteht, einer_einem Lai_in zu überlassen, die_der sich mit dem Gebiet, dem die Gegenstände entstammen, nicht auskennt. Denn selbst dann, wenn ein Gegenstand mit einem anderen einige determinierte Eigenschaften teilt, die
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eine signifikante Ähnlichkeit erzeugen, kann einer_einem Lai_in auf dem entsprechenden Gebiet dies verborgen bleiben. Stattdessen sollten wir das Urteilen daher an einschlägige Expert_innen delegieren, die sich auf dem fraglichen Gebiet auskennen. Zum anderen aber können wir selbst von diesen Expert_innen nicht verlangen, dass sie alle determinierten Eigenschaften ausdrücklich benennen können, denen sich die signifikante Ähnlichkeit verdankt. Es erscheint somit nicht als sinnvoll, die Forderung nach einer signifikanten Ähnlichkeit so zu spezifizieren, dass darin das explizite Angeben von determinierten Eigenschaften verlangt wird. Nichtsdestotrotz sollten die Forderung nach einer signifikanten Ähnlichkeit und die zentrale Rolle von Expert_innenurteilen über das Bestehen einer solchen Ähnlichkeit in einer Definition von Kopie Berücksichtigung finden. Wir können somit das allgemeine Desiderat K1 formulieren: Desiderat K1 Eine Definition des Begriffs Kopie und damit auch jede Definition seiner Teilbegriffe sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass eine Kopie ihrer Vorlage in signifikanter Weise ähnelt, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem Kopie und Vorlage entstammen. Im Folgenden gilt es, das Desiderat so zu spezifizieren, dass es die darin zum Ausdruck kommende Anforderung im Hinblick auf eine Definition von Artefaktkopie näher bestimmt. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, wie sich im Falle von Artefaktkopien jeweils das Gebiet eingrenzen lässt, dem Kopie und Vorlage entstammen. Prima facie erscheint es als plausibel, dass Kopien und ihre Vorlagen zwingend einem gemeinsamen Gebiet mit hohem Allgemeinheitsgrad zugeordnet werden können – ein Gemälde etwa kann keine Kopie eines Musikstücks sein usw. Diese Annahme bedarf allerdings einer Begründung, die ich im Rahmen der Spezifikation dieses Desiderats nachliefern werde. Damit ist freilich das fragliche Gebiet zunächst nur sehr allgemein bestimmt; im nächsten Abschnitt komme ich daher noch einmal im Detail darauf zu sprechen, wie sich das Gebiet genauer bestimmen lässt. Eine von Expert_innen beglaubigte signifikante Ähnlichkeit zweier Gegenstände allein reicht nun allerdings fraglos noch nicht hin, damit wir es bei den beiden Gegenständen mit einer Kopie und ihrer Vorlage zu tun haben. Denn Expert_innen können etwa auch eine signifikante Ähnlichkeit zwischen zwei genuinen Exemplaren desselben Design-Plans oder zwei Kopien mit derselben Vorlage ausmachen. Dass allerdings Kopie und Vorlage einander signifikant ähneln, erklärt sich in anderer Weise als die Ähnlichkeit
Zur Definition
zwischen zwei Exemplaren oder zwei Kopien mit einer gemeinsamen Vorlage. Dass sich die Übereinstimmungen zwischen Kopie und Vorlage anders erklären lassen als die Übereinstimmungen, die andere Entitäten zueinander aufweisen, nimmt auch Millikan an: Mit der Bedingung (2) sucht sie der spezifischen Erklärbarkeit der Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage Rechnung zu tragen. Von Millikans Bedingung (2) zur allgemeinen Erklärbarkeitsbedingung
Die Bedingung (2) erfordert, dass die Ähnlichkeit, die zwischen einer Kopie y und ihrer Vorlage x besteht, auf eine bestimmte Weise erklärbar ist. In der geforderten Weise erklärbar ist die Ähnlichkeit, wenn sie unter Rückgriff auf Naturgesetze oder auf bestimmte, lokal wirksame Gesetze erklärbar ist, die in Millikans Bedingung (3) näher bestimmt werden. Die genaue Spezifikation der Gesetze, die laut der Bedingung (3) zur Erklärung der Ähnlichkeit herangezogen werden können, soll uns jedoch vorerst nicht interessieren. Zunächst einmal sollten wir uns auf die Prüfung der Voraussetzung beschränken, dass die Ähnlichkeit zwischen Kopien und ihren Vorlagen durch bestimmte Gesetze erklärbar sein muss: Ist es plausibel, eine solche spezifische Erklärbarkeit der Ähnlichkeit zwischen einer Kopie und ihrer Vorlage zu fordern? Um dieser Frage nachzugehen, können wir zunächst auf der Grundlage der Bedingung (2) eine Bedingung formulieren, die den bereits gewonnenen Erkenntnissen Rechnung trägt: Ausgehend von Milli kans Bedingung (1) sind wir im Vorhergehenden zu der Einsicht gelangt, dass eine Definition des Begriffs Kopie nicht explizit Bezug auf determinierte Eigenschaften nehmen sollte, um die geforderte Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage zu fassen. Um aus Millikans Bedingung (2) eine überzeugende Bedingung dafür gewinnen zu können, dass es sich bei einem Gegenstand um eine Kopie handelt, sollte daher zunächst der Bezug auf die determinierten Eigenschaften entfallen. Bei der Formulierung der an Millikans Bedingung (2) angelehnten allgemeinen Erklärbarkeitsbedingung (AEB) können wir unter Berücksichtigung der Überlegungen zur Bedingung (AÄB) stattdessen auf die signifikante Ähnlichkeit zwischen einer Kopie und ihrer Vorlage abheben, die einer Erklärung bedarf: Wenn y eine Kopie von x ist, dann (AEB) k ann die signifikante Ähnlichkeit zwischen x und y mithilfe eines Naturgesetzes oder eines lokal wirksamen Gesetzes erklärt werden.
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Von der allgemeinen Erklärbarkeitsbedingung zur Voraussetzung des Vorliegens einer kopiespezifischen Ursache für die signifikante Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage
Sollten wir nun davon ausgehen, dass die Bedingung (AEB) notwendig für den Kopiestatus ist? Die Plausibilität einer Bedingung, die es erfordert, dass die Ähnlichkeit zwischen einer Kopie und ihrer Vorlage unter Rückgriff auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten erklärbar ist, liegt zunächst auf der Hand: Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass diverse Paare von Gegenständen eine signifikante Ähnlichkeit aufweisen, ohne dass einer der Gegenstände eine Kopie des anderen wäre. Dieser Umstand ist oben bereits angeklungen: Auch zwei genuine Exemplare, die denselben Design-Plan realisieren, können einander signifikant ähneln. Ebenso können zwei Sanddünen an unterschiedlichen Stränden in unterschiedlichen Ländern eine signifikante Ähnlichkeit zueinander aufweisen. Schließlich kann eine signifikante Ähnlichkeit sogar durch bloßen Zufall zustande kommen: Zu den Entitäten, die einander zufällig signifikant ähneln, zählen etwa Doppelschöpfungen. Fälle wie diese sollen nun von denjenigen Fällen unterschieden werden, in denen die signifikante Ähnlichkeit zwischen x und y aus dem Umstand resultiert, dass y eine Kopie von x ist. Prima facie liegt es nahe, dazu nach den Erklärungen zu fragen, die sich jeweils für das Zustandekommen der signifikanten Ähnlichkeiten anführen lassen. Denn es erscheint unmittelbar als plausibel, dass die Erklärungen für die signifikante Ähnlichkeit einer Kopie mit ihrer Vorlage sich von den Erklärungen unterscheiden, die sich für die signifikanten Ähnlichkeiten der anderen Gegenstandspaare anführen lassen: Die signifikante Ähnlichkeit zwischen den zwei genuinen Exemplaren lässt sich damit erklären, dass die einander ähnelnden Entitäten Realisierungen desselben Design-Plans sind. Die signifikante Ähnlichkeit der beiden Sanddünen verdankt sich den gleichen Prozessen und Gesetzmäßigkeiten, die den Sand beim Anwehen so anlagern, dass beide Dünen eine signifikant ähnliche Form aufweisen. Die signifikante Ähnlichkeit der Doppelschöpfungen schließlich lässt sich weder auf einen gemeinsamen Bezug zu einer dritten Entität zurückführen, noch auf ähnliche Prozesse bzw. Gesetzmäßigkeiten, die bei der Genese der beiden Entitäten eine Rolle gespielt hätten – dass die Entitäten eine solche Ähnlichkeit verbindet, ist nichts als Zufall und somit gar nicht erklärbar. Die signifikante Ähnlichkeit einer Kopie und ihrer Vorlage können wir nun weder dadurch erklären, dass beide Entitäten denselben Design-Plan reali sieren, noch dadurch, dass bei der Genese der beiden Entitäten ähnliche Prozesse und Gesetzmäßigkeiten wirksam geworden sind. Auch erscheint es
Zur Definition
nicht als überzeugend, dass die signifikante Ähnlichkeit durch reinen Zufall zustande kommt. Insofern liegt es durchaus nahe, danach zu fragen, wie sich nun eigentlich erklären lässt, dass Kopie und Vorlage einander signifikant ähneln. Denn sofern es eine spezifische Erklärung dafür gibt, können wir darin möglicherweise das Distinktionsmerkmal ausmachen, das Kopien und ihre Vorlagen von anderen Paaren einander signifikant ähnelnder Gegenstände zu differenzieren vermag. Nun müssen wir allerdings befürchten, dass es ein Problem darstellt, wenn eine Definition des Begriffs Kopie auf einen epistemischen Begriff wie den der Erklärung Bezug nimmt. Denn es spricht einiges für die Annahme, dass der Begriff Kopie ein ontologischer Begriff ist, der als solcher einen objektiven Status hat: Im Alltag gehen wir im Allgemeinen davon aus, dass es möglich ist, durch Untersuchungen verschiedener Art herauszufinden, ob ein Gegenstand eine Kopie eines anderen Gegenstands ist oder nicht. Sofern zwei Expert_innen im Hinblick auf einen Gegenstand y zu einander widerstreitenden Antworten auf diese Frage kommen, würden wir wohl nicht sagen wollen, dass beide Expert_innen Recht haben. Stattdessen gehen wir davon aus, dass nur eine_r der beiden Expert_innen Recht haben kann: Entweder ist das fragliche Objekt tatsächlich eine Kopie, oder eben nicht. Dies legt nahe, dass Kopien im Sinne Searles ontologisch objektiv sind, da ihre Seinsweise unabhängig von einem wahrnehmenden Subjekt oder einem mentalen Zustand ist.56 Die Definition des Begriffs Kopie ist demnach als ontologische Definition aufzufassen – und es dürfte unmittelbar einleuchten, dass in eine solche Definition keine subjektrelativen Elemente Eingang finden sollten. Benjamin Schnieder diskutiert eine ganz ähnliche Befürchtung im Zusammenhang mit der Frage, ob der Erklärungsbegriff in eine Definition des Begriffs Abhängigkeit Eingang finden darf57: »Ein [epistemischer Begriff], könnte man meinen, darf nun keine Rolle in einer ontologischen […] Definition spielen«58. So formuliert, ist die Annahme zunächst eine begründungsbedürftige Behauptung – »man ist allemal gerechtfertigt, weiter zu fragen, wieso ein epistemischer Begriff partout nichts in einer [ontologischen] Definition zu suchen hat«59. Schnieder schlägt die folgende mögliche Antwort auf diese Frage vor: Etwas ist nicht schlechthin eine Erklärung, sondern nur relativ zu epistemischen Subjekten. Dieselbe Aussage mag dem einen etwas erklären, während sie den anderen in dem Dunkel beläßt, in dem er sich befindet. 56
Searle 1995, 8. Vgl. Schnieder 2004, 316 ff. 58 Schnieder 2004, 317. 59 Schnieder 2004, 317; Herv. i. O. 57
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Daher kann unter Einbezug des Erklärungsbegriffs keine Definition eines nicht subjektrelativen Begriffs gewonnen werden.60
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lässt sich also gegen die Aufnahme der Bedingung (AEB) in eine Definition von Kopie Folgendes einwenden: Da die Bedingung einen subjektiven Begriff beinhaltet – den Begriff Erklärung –, es sich bei der Definition des Begriffs Kopie aber um eine Definition eines objektiven Begriffs handelt, sollte die Bedingung nicht in die Definition aufgenommen werden. Diesen Einwand bezeichne ich als Einwand der Objektivität des Kopiebegriffs. Sollte uns der Einwand der Objektivität des Kopiebegriffs dazu veranlassen, die in der Bedingung (AEB) zum Ausdruck kommende Anforderung an Kopien zurückzuweisen bzw. die Anforderung so zu modifizieren, dass der darin enthaltene Bezug auf Erklärungen entfällt? Tatsächlich erschiene eine epistemische Dimension der Bedingung (AEB) als ernstzunehmendes Pro blem, sofern es sich bei dem Begriff Kopie tatsächlich um einen ontologischen Begriff mit objektivem Status handelte, dessen Definition von subjektiven Elementen freizuhalten wäre. Allerdings ist die Auffassung des Begriffs Kopie als eines in diesem Sinne objektiven Begriffs bei näherer Betrachtung weit weniger überzeugend, als der Einwand es zunächst vermuten lässt. Denn es liegt wesentlich näher, den Begriff als einen Begriff aufzufassen, dessen Charakter intersubjektiv ist: In Anlehnung an Reinold Schmückers Auffassung des Kunstbegriffs können wir den Begriff Kopie ebenfalls als intersubjektiven Begriff verstehen – entsprechend beruht die Zuschreibung des Kopiestatus zu einer Entität »auf einem weitreichenden, unter Umständen jedoch auf bestimmte Sprachgemeinschaften, Kulturtraditionen oder historische Epochen begrenzten evaluativen Konsens«61. Den Begriff Kopie als intersubjektiven Begriff zu verstehen birgt nicht nur den Vorteil, dass sich so dem begrifflichen Wandel Rechnung tragen lässt.62 Denn auch mit einem solchen Verständnis des Begriffs Kopie lässt sich der Überzeugung Rechnung tragen, dass in einer Meinungsverschiedenheit, die zwei Expert_innen bezüglich des Kopiestatus einer Entität haben, nicht etwa beide Expert_innen Recht haben: Können zwei einschlägige Expert_innen in der Frage, ob es sich bei y um eine Kopie von x handelt, keine Einigkeit erzielen, so verpflichtet uns dieses 60
Schnieder 2004, 318. Schmücker 2014, 263. 62 Denn »Original und Kopie sind keine fixen Entitäten, sondern […] verdanken ihren Status zuallererst jeweiligen Zuschreibungen, die gleichwohl ihrerseits – und dies ist entscheidend – keineswegs beständig sein müssen, sondern durchaus oszillieren können« (Blunck 2011, 10). 61
Zur Definition
Verständnis des Begriffs keineswegs auf die Behauptung, dass beide Expert_ innen Recht haben. Wir können weiterhin davon ausgehen, dass nur eine_r der beiden Expert_innen Recht hat – und zwar relativ zu dem Kopieverständnis, das unserer Gemeinschaft gegenwärtig eignet. Expert_innen verfügen als Teil dieser Gemeinschaft über den Begriff Kopie – dies allein vermag sie offenkundig nicht als Expert_innen auszuweisen. Aber sie verfügen darüber hinaus auch über Expertise auf dem Gebiet, dem die mutmaßliche Kopie und ihre Vorlage entstammen. Damit eignen Expert_innen besondere Kompetenzen dafür, den intersubjektiven Begriff Kopie auf Entitäten aus diesem Gebiet anzuwenden: Um herauszufinden, ob zwei Entitäten aus dem Gebiet die zur Subsumption unter den Begriff erforderliche signifikante Ähnlichkeit zuein ander aufweisen, kann die_der Expert_in die beiden Entitäten anhand des intersubjektiv gebildeten Maßstabs der erforderlichen signifikanten Ähnlichkeit prüfen. Im Lichte dieser Auffassung des Begriffs Kopie gewinnt somit auch die Rolle der Expert_innen und ihrer Urteile über die signifikante Ähnlichkeit zwischen einer Kopie und ihrer Vorlage weiter an Kontur. Es gibt jedoch noch einen weiteren bedeutsamen Einwand gegen den Bezug auf Erklärungen, wie er sich in der Bedingung (AEB) findet. Denn wie sich zeigen wird, bleibt völlig unklar, wie Millikan sich die Erklärung durch Gesetze eigentlich im Einzelnen vorstellt. Millikans Ausführungen zu dieser Frage bewegen sich auf einem derart abstrakten Niveau, dass nicht ersichtlich ist, welche Gesetze eigentlich genau in Frage kommen, um die Übereinstimmungen zwischen einer Kopie und ihrer Vorlage zu erklären, und sie gibt uns auch keinen Anhaltspunkt dafür, wie eine Erklärung der Übereinstimmungen mittels eines solchen Gesetzes aussehen könnte. Aus dieser Feststellung ergibt sich der Einwand der Unklarheit der geforderten Erklärung durch Gesetze, den ich im Folgenden weiter ausführen werde. Der Einwand betrifft sowohl die Unklarheit der Rolle der Naturgesetze als auch die Unklarheit der Rolle der sogenannten lokal wirksamen Gesetze im Rahmen von möglichen Erklärungen der Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage und richtet sich insofern gegen die Bedingung (AEB) als Ganze. Zunächst einmal können wir feststellen, dass Millikan uns im Hinblick auf die Naturgesetze, die eine Erklärung der bestehenden Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage sollen leisten können, gänzlich im Dunkeln lässt: An keiner Stelle in ihren Ausführungen nennt Millikan auch nur ein einziges Naturgesetz – entsprechend suchen wir vergeblich nach einem Beispiel für eine Erklärung mittels eines solchen Gesetzes. Welche Gesetze zu den Naturgesetzen zählen, kann allerdings keineswegs als ausgemacht gelten – denn »was […] Naturgesetze sind, ist unabhängig von Beispielen, die als solche gelten, schwer zu sa-
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gen«63. Zudem ist keineswegs offensichtlich, welchen Beitrag diejenigen Gesetze, die im Allgemeinen als Naturgesetze aufgefasst werden, für sich genommen zu einer Erklärung der Ähnlichkeit zwischen der Kopie und ihrer Vorlage leisten sollen. So mag es nicht gerade unmittelbar einleuchten, inwiefern sich unter Rückgriff auf das newtonsche Gravitationsgesetz die Ähnlichkeit einer Kopie und ihrer Vorlage sollte erklären lassen. Darauf ließe sich erwidern, dass aus dem Gravitationsgesetz zuallererst ein lokal wirksames Gesetz im Sinne Millikans abgeleitet werden sollte – könnte das Gravitationsgesetz nicht als Grundlage eines solchen lokalen Gesetzes dienen und als solche mittelbar zur Erklärung der Ähnlichkeit beitragen? Denkbar wäre etwa, dass ein Fotokopierer sich das Gravitationsgesetz zunutze macht und es ein lokal wirksames Gesetz gibt, das sich u. a. aus dem Gravitationsgesetz ergibt und die Aktivitäten des Fotokopierers steuert. Aber auch der Bezug auf lokal wirksame Gesetze hilft in dieser Frage nicht weiter, wie sich zeigt, wenn wir uns Millikans Auffassung dessen, was diese Gesetze auszeichnet, einmal näher ansehen: Unter einem lokal wirksamen Gesetz versteht Millikan schlicht ein spezielles Gesetz, das unter Hinzunahme von Umgebungsbedingungen aus universell gültigen Naturgesetzen abgeleitet werden kann. Was genau es mit einem solchen Gesetz auf sich haben soll, sucht sie tatsächlich am Beispiel eines Fotokopierers zu illustrieren: By a law operative in situ I mean a special law that can be derived from universal natural laws by adding reference to the actual surrounding conditions, in this case the conditions surrounding the production of [y]. For example, given the presence of a certain kind of properly constructed copying machine, a paper with black marks on it placed in the appropriate spot, presence of paper of the right sort in the machine’s paper-supply box, a force of appropriate magnitude and direction applied to the machine’s »copy« button, etc. […] and given the laws of physics and chemistry, a natural law in situ can be derived that correlates the configuration of black marks on the paper with the configuration of marks that will be produced on the copy that comes out.64
Im genannten Beispiel korreliert das lokal wirksame Gesetz also die Anordnung der schwarzen Markierungen, wie sie auf dem Papier zu finden sind, das als Vorlage gedient hat, mit der Anordnung der schwarzen Markierungen auf der Kopie. Das lokal wirksame Gesetz soll sich laut Millikan aus den Gesetzen 63
64
Hampe 2005, 11. Millikan 1984, 20.
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der Physik und der Chemie in Kombination mit den Umgebungsbedingungen ergeben – dem Vorliegen einer »properly constructed copying machine« sowie der ordnungsgemäßen Nutzung dieser Maschine, die darin besteht, das zu kopierende Blatt Papier richtig zu platzieren und den Knopf zum Auslösen des Kopiervorgangs auf die richtige Weise zu betätigen. Die Erklärung dafür, dass die schwarzen Markierungen auf der Kopie genauso angeordnet sind wie auf der Vorlage, liegt laut Millikan in diesem lokal wirksamen Gesetz. Allerdings verrät uns Millikan an keiner Stelle, wie ein solches lokales Gesetz lauten könnte, das sich aus der Kombination von Naturgesetzen und Umgebungsbedingungen ergibt und das wir zur Erklärung der Übereinstimmung zwischen Kopie und Vorlage heranziehen könnten: Wir erfahren nicht, welche Gesetze der Physik und der Chemie es eigentlich sein sollen, aus denen sich das hier einschlägige lokal wirksame Gesetz ergibt. Sofern das Gravitationsgesetz eine Rolle spielt, wird nicht deutlich, welche Rolle es spielt – und aus welchen anderen Gesetzen (etwa der Chemie) das lokal wirksame Gesetz außerdem abzuleiten ist. Es entsteht der Verdacht, dass die lokal wirksamen Gesetze, die Millikan vorschweben, einen außerordentlich großen Komplexitätsgrad haben. Mit der Forderung, dass der Fotokopierer »properly constructed« sein müsse, entzieht sich Millikan der Explikation des mutmaßlich sehr komplexen lokal wirksamen Gesetzes, das den Betrieb des Fotokopierers reguliert: Millikans »properly constructed copying machine« ist nichts als eine black box, von deren Funktionsweise wir keinerlei Kenntnis haben. Welche inneren Vorgänge im Fotokopierer dazu geführt haben, dass die schwarzen Markierungen auf der Kopie denen der Vorlage ähneln, bleibt unklar. Die Chance, an dieser Stelle das lokal wirksame Gesetz namhaft zu machen und damit ihre Überlegungen zu konkretisieren, lässt Millikan ungenutzt verstreichen. Zumindest im Hinblick auf die Umgebungsbedingungen, aus denen sich das lokal wirksame Gesetz in diesem konkreten Beispiel außerdem ableiten soll, ist das Beispiel allerdings etwas aufschlussreicher. Offenbar zählt dazu neben dem Vorhandensein des »properly constructed« Fotokopierers auch die ordnungsgemäße Bedienung dieses Geräts: Wird ein Blatt Papier mit schwarzen Markierungen an die dafür vorgesehene Stelle im Fotokopierer gelegt und der Knopf zum Auslösen des Kopiervorgangs mit einem angemessenen Kraftaufwand betätigt, so resultiert daraus eine Kopie. Wie sich aus der Kombination dieser Umgebungsbedingungen und irgendwelcher Naturgesetze ein lokal wirksames Gesetz ergeben sollte, bleibt zwar unklar – zumindest aber findet sich unter den Umgebungsbedingungen ein Anhaltspunkt für eine Alternative zur geforderten Erklärung durch Gesetze, wie wir nachfolgend sehen werden.
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Zuvor aber sollten wir den Einwand der Unklarheit der geforderten Erklärung durch Gesetze prüfen. Sollte er uns dazu veranlassen, die Bedingung (AEB) aufzugeben? Da Millikan keinerlei Auskunft darüber gibt, wie eine Erklärung der Ähnlichkeit von Kopie und Vorlage durch ein Gesetz (oder ggf. auch mehrere Gesetze) aussehen könnte, bleibt uns kaum etwas anderes übrig: Die Bedingung (AEB) nützt uns wenig, solange wir nicht genau wissen, ob sie erfüllt ist oder nicht. Bei den Naturgesetzen, die Millikan zur Erklärung heranziehen will – oder die gemeinsam mit den Umgebungsbedingungen lokal wirksame Gesetze bilden –, soll es sich um universell gültige Naturgesetze handeln.65 Wir dürfen also annehmen, dass alle diese Naturgesetze zugleich gelten, während sich ein beliebiger Kopierprozess vollzieht. Allerdings werden wohl kaum alle Gesetze einen Anteil an der Erklärung der Ähnlichkeit der durch den Kopierprozess hervorgebrachten Entität zu ihrer Vorlage haben. Lediglich zu behaupten, dass es Gesetze gibt, die die gewünschte Erklärung leisten, erscheint nun offenkundig als wenig zielführend. Dies spricht dagegen, die in der Bedingung (AEB) zum Ausdruck kommende Forderung in eine Definition des Begriffs Kopie zu übernehmen. Statt des unklaren Bezugs auf Gesetze zur Erklärung der Ähnlichkeit zwischen der Kopie und ihrer Vorlage lässt sich jedoch ein anderes Element aus Millikans Überlegungen aufgreifen: Unter den Umgebungsbedingungen, die Millikan in ihrem Beispiel vom Fotokopierer skizziert, findet sich ein beachtenswerter Aspekt, der offenkundig einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass die Kopie eine signifikante Ähnlichkeit mit ihrer Vorlage aufweist. Es handelt sich um die zielgerichtete Nutzung des Fotokopierers: Das gezielte Einlegen der Kopiervorlage in den Fotokopierer und das Auslösen des Kopiervorgangs durch das Betätigen des entsprechenden Knopfs scheinen nicht nur eine wichtige Rolle für die Entstehung der Kopie zu spielen, sondern wirken sich auch auf das Zustandekommen der signifikanten Ähnlichkeit mit ihrer Vorlage aus. Es ist kein Zufall, dass die_der Kopierende eine »properly constructed copying machine« wählt und gewisse Vorkehrungen dafür trifft, dass das Ergebnis des Kopiervorgangs der Kopiervorlage ähnelt. Das Gelten der Naturgesetze – oder lokal wirksamer Gesetze – allein reicht nämlich offenkundig nicht hin, damit es zum Entstehen eines der Vorlage signifikant ähnelnden Gegenstands kommt. Denn die Gesetze könnten gelten, ohne dass je jemand den Fotokopierer benutzt. Damit der Fotokopierer eine der Vorlage signifikant ähnelnde Kopie hervorbringt, bedarf es vielmehr der gezielten Inbetriebnahme dieses Apparats – darin liegt eine wesentliche Ursache der signifikanten Ähnlichkeit begründet. Dies legt nahe, nicht nach den während 65
Vgl. Millikan 1984, 20.
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des Kopiervorgangs wirksamen Gesetzen zu fragen, sondern danach, was den Kopiervorgang ausgelöst und insofern einen Anteil an der Verursachung der signifikanten Ähnlichkeit hat: Statt nach Gesetzen zu suchen, die die signifikante Ähnlichkeit zwischen der Kopie und ihrer Vorlage erklären, können wir auch schlicht nach der Ursache dieser Ähnlichkeit fragen. Denn es liegt nahe, dass es letzten Endes eine bestimmte Ursache dieser Ähnlichkeit ist, die einen Gegenstand zur Kopie einer Vorlage macht, und nicht etwa der Umstand, dass die Ähnlichkeit unter Rückgriff auf ein Gesetz erklärbar ist. Als Distinktionsmerkmal zur Unterscheidung von den eingangs erwähnten anderen Fällen einander ähnelnder Paare von Gegenständen dürfte die je spezifische Ursache allemal taugen. Denn im Falle der Kopie scheint eine Ursache ihrer signifikanten Ähnlichkeit mit ihrer Vorlage darin zu liegen, dass mit dieser Vorlage etwas Bestimmtes geschieht bzw. in bestimmter Weise mit ihr verfahren wird, wobei hinsichtlich des Zustandekommens der Beschaffenheiten von Kopie und Vorlage, in denen sich die Ähnlichkeit manifestiert, eine gewisse Asymmetrie besteht: Die Beschaffenheit der Kopie liegt immer auch in der Beschaffenheit der Vorlage begründet. Damit ergibt sich offenkundig ein Unterschied zu den drei anderen Paaren einander signifikant ähnelnder Gegenstände. Schließlich sind sich unsere beiden genuinen Exemplare derart ähnlich, weil sie denselben Design-Plan realisieren. Analog kommt die starke Ähnlichkeit der beiden Sanddünen dadurch zustande, dass jeweils ähnliche Prozesse und Gesetzmäßigkeiten für ihre Entstehung ursächlich waren. In beiden Fällen hat die Beschaffenheit beider Gegenstände eine gemeinsame Ursache – im einen Fall liegt sie in der Realisierung des Design-Plans, im anderen Fall im Wirksamwerden ähnlicher Prozesse und Gesetzmäßigkeiten. Es ist hingegen nicht der Fall, dass die Beschaffenheit eines Gegenstandes von der Beschaffenheit des jeweils anderen Gegenstand abhängt. Die Doppelschöpfungen schließlich wirken sich hinsichtlich der Beschaffenheit weder aufeinander aus, noch kommt ihre ähnliche Beschaffenheit durch eine Ursache zustande. Prima facie erscheint die Suche nach einer kopiespezifischen Ursache der Ähnlichkeit somit als aussichtsreiches Unterfangen – wir können daher vorerst das Desiderat K2 formulieren: Desiderat K2 Eine Definition des Begriffs Kopie und damit auch jede Definition seiner Teilbegriffe sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die signifikante Ähnlichkeit einer Kopie und ihrer Vorlage auf einer Ursache einer noch näher zu spezifizierenden Art beruht, wobei der Vorlage insofern eine Rolle zukommt, als ihre Beschaffenheit sich auf die Beschaffenheit der Kopie auswirkt.
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Von Millikans Bedingung (3) zur allgemeinen Kontrafaktizitätsbedingung
Um genauer herauszustellen, welcher Art die spezifische Ursache der signifikanten Ähnlichkeit zwischen einer Kopie und ihrer Vorlage sein könnte, bietet es sich an, Millikans Bedingung (3) zu konsultieren. Schließlich enthält die Bedingung einen Vorschlag dafür, wie die fraglichen lokal wirksamen Gesetze zu spezifizieren sind, die das Zustandekommen einer Übereinstimmung zwischen Kopie und Vorlage erklären. Dieser Vorschlag schreibt der Vorlage eine Rolle zu, die der soeben im Zusammenhang mit der Ursache der Ähnlichkeit skizzierten Rolle sehr nahekommt: Laut (3) »[zeigt] die Richtung der Kausalität unmittelbar von x zu y« – aus der Beschaffenheit der Vorlage x ergibt sich in asymmetrischer Abhängigkeit die Beschaffenheit der Kopie y. Daher sollten wir prüfen, ob sich Millikans Vorschlag auch für eine Anforderung an Kopien fruchtbar machen lässt, die weder die Erklärung durch Gesetze fordert noch explizit auf übereinstimmende determinierte Eigenschaften Bezug nimmt, sondern auf die signifikante Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage und eine entsprechende Ursache dieser Ähnlichkeit abhebt. Werfen wir, um dies zu prüfen, zunächst einen Blick auf die Bedingung (3): Die Bedingung verlangt, dass die lokal wirksamen Gesetze, mit denen die Ähnlichkeit zwischen x und y erklärt werden kann, dergestalt sind, dass, wenn x im Hinblick auf die determinierte Eigenschaft P anders gewesen wäre, auch y in dieser Hinsicht anders gewesen wäre.66 Hat x also faktisch die Farbe Gelb, dann ist y ebenfalls gelb, hätte x aber in Bezug auf die determinable Eigenschaft Farbe eine andere Eigenschaft, z. B. Röte, dann wäre auch y rot. Mit der Bedingung (3) sucht Millikan also gewissermaßen eine »asymmetrische naturgesetzlich-kausale Abhängigkeit«67 der Beschaffenheit von y von der Beschaffenheit von x zu erfassen: »For [y] to be a reproduction of [x] it is necessary […] that there be some way of describing [y’s] causal history […] such that it is explained why [y] had to be like [x]«68. Um sicherzustellen, dass zwischen der Beschaffenheit von x und der Beschaffenheit von y tatsächlich ein solcher kausaler Zusammenhang besteht, fordert die Bedingung (3), dass die Beziehung zwischen x und y eine kontrafaktische Erwägung zulässt: Wäre x nicht gelb gewesen, sondern rot, wäre dann auch y rot gewesen?69 Wie 66
Vgl. Millikan 1984, 20. Toepfer 2004, 268. 68 Millikan 1984, 20, Herv. i. O. 69 Eine enge Verbindung zwischen Kausalaussagen und kontrafaktischen Konditionalen wird insbesondere in den auf David Lewis (1973) zurückgehenden kontrafaktischen Kausalitätstheorien vorausgesetzt. Diesen Theorien zufolge lassen sich Kausalaussagen mithilfe von kontrafaktischen Konditionalaussagen analysieren: Die Aussage »Ereignis 67
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aber können wir Millikans Überlegung auf eine Forderung übertragen, die nicht auf Erklärungen des Vorliegens bestimmter determinierter Eigenschaften mittels bestimmter Gesetze Bezug nimmt, sondern auf Ursachen für die signifikante Ähnlichkeit zwischen der Kopie und ihrer Vorlage? Millikans Bedingung (3) fordert, dass aufgrund der die Übereinstimmung zwischen Kopie und Vorlage erklärenden Gesetze eine Änderung der Beschaffenheit der Vorlage in einer bestimmten Hinsicht sich auch auf die Beschaffenheit der Kopie in dieser Hinsicht auswirken müsste, sofern in der fraglichen Hinsicht tatsächlich eine Übereinstimmung der Kopie zur Vorlage gegeben ist. Auf den ersten Blick erscheint es als plausibel, diese Einschränkung auf bestimmte Hinsichten zu übernehmen – auch, wenn der Bezug auf determinierte Eigenschaften und ihnen übergeordnete determinable Eigenschaften entfällt und statt von die Ähnlichkeit erklärenden Gesetzen von den Ursachen dieser Ähnlichkeit die Rede ist: Die Forderung, dass die Ursache der signifikanten Ähnlichkeit der Kopie und ihrer Vorlage bewirken müsste, dass jede beliebige Änderung einer Eigenschaft der Vorlage auch in einer Änderung der Kopie in Bezug auf diese Eigenschaft resultiert, ist offenkundig zu stark. Schließlich muss eine Kopie keineswegs alle Eigenschaften ihrer Vorlage übernehmen. Änderte sich eine Eigenschaft der Vorlage, die die Kopie ohnehin nicht aufweist, so wäre es daher abwegig, zu fordern, dass die Kopie unter diesen Umständen auch in Bezug auf die fragliche Eigenschaft mit der Vorlage übereinstimmte. Relevant scheinen hingegen die Merkmale zu sein, die die Kopie und ihre Vorlage tatsächlich miteinander teilen: Hätte die Mona Lisa statt glattem Haar einen Lockenkopf gehabt, so würden wir aller Voraussicht nach auch von Duchamps L.H.O.O.Q. erwarten, dass darauf eine Frau mit Lockenkopf zu sehen ist. Hätte die Mona Lisa hingegen andere Abmessungen gehabt – hätten die Abmessungen etwa 158 × 106 cm betragen und nicht 77 × 53 cm –, so hätte sich daraus wohl kaum die Forderung ergeben, dass sich auch die Abmessungen von L.H.O.O.Q. ändern. Denn hinsichtlich der Abmessungen besteht zwischen der Mona Lisa und L.H.O.O.Q. keine Übereinstimmung: Die Abmessungen von L.H.O.O.Q. betragen 19,7 × 12,4 cm. Sollten wir nun also fordern, dass für eine Ursache der Ähnlichkeit einer Kopie und ihrer Vorlage gelten muss, dass sie in einer jeden Hinsicht, in der die Kopie a hat Ereignis b verursacht« wäre etwa durch die kontrafaktische Konditionalaussage »Wenn Ereignis a nicht stattgefunden hätte, dann hätte auch Ereignis b nicht stattgefunden« analysierbar. Die Verbindung, die Millikan zwischen Kausalaussagen und kontrafaktischen Konditionalen sieht, ist allerdings anders geartet. Die Aussage »y ist eine Reproduktion von x« setzt nach Millikans Auffassung voraus, dass sich Folgendes sagen lässt: »Wenn x in einer bestimmten Hinsicht anders gewesen wäre, dann wäre auch y in dieser Hinsicht anders gewesen.«
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und ihre Vorlage einander faktisch ähneln, bei einer Änderung der Vorlage auch eine Änderung der Kopie bewirkt hätte? So überzeugend es prima facie erscheinen mag, dass sich aus der Ursache der Übereinstimmung der Kopie mit der Vorlage ergeben muss, dass eine Veränderung der Vorlage in einer bestimmten Hinsicht, in der die Kopie faktisch mit ihr übereinstimmt – etwa in der Hinsicht der Farbe – auch in einer Veränderung der Kopie in ebendieser Hinsicht resultieren müsste: Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass eine Bedingung, die dies fordert, ein schwerwiegendes Problem aufweist. Denn eine Entität könnte auch dann weiterhin eine Kopie einer Vorlage sein, wenn die Veränderung der Vorlage in einer Hinsicht, in der faktisch eine Übereinstimmung zwischen Kopie und Vorlage besteht, keine Veränderung der Kopie in dieser Hinsicht nach sich zöge. Betrachten wir ein Beispiel, das dies illustriert: Angenommen, ich fertige eine Kopie des Gemäldes Der Tiger von Franz Marc an. Auf meiner Kopie findet sich nun ebenfalls ein Tiger, der dem Tiger, den die Vorlage zeigt, im Hinblick auf die Farbe signifikant ähnelt: Er ist ebenfalls gelb. Auch stimmen die Proportionen und Formen meiner Kopie mit denen der Vorlage überein. Jedoch ersetze ich in der Kopie die den Tiger umgebende bunte Landschaft des Originals, die u. a. Rot-, Grün- und Violetttöne aufweist, durch eine Landschaft in Grautönen. Wäre nun der Tiger auf dem Originalgemälde rot statt gelb gewesen, hätte dann auf meiner Kopie auch ein roter statt eines gelben Tigers zu finden sein müssen, wie es die Bedingung (3) nahelegt? Dies ist offensichtlich nicht der Fall: Der Tiger hätte dennoch gelb sein können. Um sicherzustellen, dass eine signifikante Ähnlichkeit zwischen meiner Kopie und dem Gemälde besteht, hätte ich stattdessen aber andere Aspekte der Vorlage übernehmen können, als ich es für meine Kopie mit gelbem Tiger und grauer Umgebung getan habe – z. B. hätte ich für eine alternative Kopie die bunte Landschaft des Originals übernehmen können. Trotzdem wäre meine Hervorbringung eine Kopie gewesen, denn den Mangel an Ähnlichkeit hinsichtlich der Farbe des Tigers hätte ich dadurch ausgeglichen, dass ich meine Kopie der Vorlage in anderer Hinsicht – nämlich in Bezug auf die Farben der Landschaft – ähnlich gemacht hätte. Anders als Millikan es behauptet, hätte eine Kopie, die in einer Hinsicht tatsächlich die Eigenschaft P1 hat, also in dieser Hinsicht nicht zwingend die Eigenschaft P2 haben müssen, wenn die Vorlage in der fraglichen Hinsicht statt der Eigenschaft P1 die Eigenschaft P2 aufgewiesen hätte. Denn wir hätten es in dieser alternativen Situation auch dann mit einer Kopie zu tun haben können, wenn die Kopie zwar nicht P2 aufgegriffen hätte, dafür aber andere Eigenschaften der Vorlage – und dadurch eine signifikante Ähnlichkeit zwischen der Kopie und der Vorlage hergestellt worden wäre. Von der Ursache der signifikanten Ähnlichkeit zwischen Kopie
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und Vorlage zu fordern, dass sie sich dadurch auszeichnet, dass sie bei einer Änderung der Vorlage stets auch eine Änderung des Originals bewirkt hätte, sofern die Änderung eine Hinsicht betrifft, in der die Kopie tatsächlich mit der Vorlage übereinstimmt, erscheint somit nicht als sinnvoll. Dieses offenkundige Problem, das eine solche Forderung aufweist, lässt sich allerdings lösen, wenn wir statt auf determinierte Eigenschaften oder Hinsichten ausschließlich auf die signifikante Ähnlichkeit zwischen der Kopie und ihrer Vorlage Bezug nehmen. Ausgehend von Millikans Bedingung (3) können wir entsprechend die allgemeine Kontrafaktizitätsbedingung (AKB) formulieren: Wenn y eine Kopie von x ist, dann (AKB) kommen für die signifikante Ähnlichkeit von x und y nur Ursachen in Frage, die auch dann eine signifikante Ähnlichkeit zwischen x und y bewirkt hätten, wenn x anders beschaffen gewesen wäre.
Im Lichte des eingangs skizzierten Beispiels der Kopie von Franz Marcs Gemälde Der Tiger erscheint die Bedingung (AKB) zunächst als äußerst plausibel: Wenn wir einmal davon ausgehen, dass eine Ursache für die signifikante Ähnlichkeit meiner Kopie mit dem Gemälde darin liegt, dass ich die Kopie gezielt so gestaltet habe, dass eine solche Ähnlichkeit zustande kommt, dann können wir annehmen, dass ich auch bei einer Veränderung der Vorlage darauf hingewirkt hätte, dass meine Hervorbringung der Vorlage insgesamt signifikant ähnelt. Selbiges scheint für Kopien zu gelten, die keine Artefakte sind: Bei der Replikation können wir die signifikante Ähnlichkeit der DNA-Kopie auf die Aktivität von DNA-Polymerasen zurückführen – »DNA-Polymerasen kopieren die ursprüngliche Basensequenz äußerst exakt«70. Wären die Vorlagen anders gewesen, so hätte sich aufgrund der Exaktheit der Kopierprozesse aller Voraussicht nach dennoch eine signifikante Ähnlichkeit mit der Vorlage ergeben. Gegen die Bedingung (AKB) lässt sich allerdings einwenden, dass Kopierprozesse aller Arten grundsätzlich fehleranfällig sind und das Potenzial des Scheiterns bergen: Bei der Kopie von DNA passieren durchaus Fehler; ebenso kann der Versuch der Anfertigung einer Kopie durch eine_n bewusste_n Akteur_in schiefgehen. So kann etwa ein Fotokopierer, mit dem eine Kopie angefertigt werden soll, defekt sein und etwas hervorbringen, das der in den Fotokopierer eingelegten Vorlage keineswegs signifikant ähnelt. 70
Wink 2011, 69.
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Ebenso kann der Versuch scheitern, manuell eine Kopie hervorzubringen. So könnte ich zwar bei der Anfertigung eines Gemäldes eine signifikante Ähnlichkeit mit Marcs Tiger anzielen, ohne jedoch erfolgreich zu sein – etwa, weil es mir an den entsprechenden malerischen Fähigkeiten mangelt, die erforderlich wären, um ein dem Tiger ähnelndes Gemälde zustande zu bringen. Die hier in Rede stehenden Ursachen für die Ähnlichkeit – die Aktivität der DNA-Polymerasen im Falle genetischer Kopien ebenso wie die gezielte Tätigkeit einer_eines Kopierenden – halten also der in (AKB) angedeuteten kontrafaktischen Erwägung nicht stand: Sie hätten nicht zwingend sichergestellt, dass etwas entsteht, das der Vorlage signifikant ähnelt, wenn die Vorlage anders beschaffen gewesen wäre. Da dieser Einwand das Potenzial des Scheiterns betrifft, das Kopierprozessen grundsätzlich innewohnt, bezeichne ich ihn als Einwand der Möglichkeit des Scheiterns von Kopierprozessen. Was ist nun vom Einwand der Möglichkeit des Scheiterns von Kopierprozessen zu halten? Der Einwand führt uns unweigerlich vor Augen, dass die Ursachen der signifikanten Ähnlichkeiten zwischen Kopie und Vorlage der Forderung, auch bei Änderungen der Vorlage zu derartigen Ähnlichkeiten zu führen, nicht standhalten müssen. Auch diese Forderung erscheint damit noch als zu stark. Festhalten können wir aber, dass die jeweiligen Ursachen die signifikante Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage nicht nur (mit)erzeugen, sondern in gewisser Weise auch auf das Erzeugen dieser Ähnlichkeit gerichtet sind71: Die Tätigkeit der_des Kopierenden ist darauf gerichtet, etwas herzustellen, das eine signifikante Ähnlichkeit mit der Vorlage aufweist. Analog dazu ist auch die Aktivität der DNA-Polymerase auf die Erzeugung einer möglichst exakten Kopie gerichtet.72 Wir können also das Desiderat K2 wie folgt modifizieren, um den gewonnenen Erkenntnissen Rechnung zu tragen: 71
Dass sie auf das zielen, was sie verursachen, ist offenkundig keineswegs bei allen Ursachen der Fall: Meine Erkältung mag eine Ursache dafür sein, dass ich nicht schlafen kann, aber sie zielt keineswegs darauf ab, mich wach zu halten. Ebenso kann der Umstand, dass die Sonne einen Autofahrer blendet, in einem Unfall resultieren, ohne dass das Blenden der Sonne auf den Unfall gerichtet gewesen wäre. 72 Viele Philosoph_innen halten es für problematisch, wenn teleologische Ausdrücke wie »auf etwas gerichtet sein« auf biologische Entitäten Anwendung finden. Denn zwar ist die Verwendung solcher Ausdrücke im biologischen Fachdiskurs weit verbreitet (vgl. Toepfer 2005, 39), auch im Zusammenhang mit DNA-Polymerasen – so ist etwa die Rede von der Aufgabe, die diese Polymerasen übernehmen: »Die Aufgabe der DNA-Replikation besteht darin, die Reihenfolge der Nukleotidbausteine in DNA-Molekülen nach dem Prinzip der komplementären Basenpaarung exakt zu kopieren. Diese Aufgabe wird von speziellen Enzymen, den DNA-Polymerasen, erledigt« (Eitinger 2007, 444). Aber es ist fraglich, inwieweit die Verwendung teleologischer Ausdrücke im Bereich der Biologie mit einem nicht-theistischen Weltbild vereinbar ist (vgl. Toepfer 2005, 37). Dies hat zu einer Vielzahl von Vorschlägen zur Naturalisierung der Teleologie geführt, die u. a. darin bestehen,
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Desiderat K2' Eine Definition des Begriffs Kopie und damit auch jede Definition seiner Teilbegriffe sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die signifikante Ähnlichkeit einer Kopie und ihrer Vorlage auf einer Ursache beruht, die darauf gerichtet ist, dass die Kopie der Vorlage signifikant ähnelt. Die allgemeine Bedingung des Ausschlusses des Originalstatus: Kopien als Nicht-Originale
Die bisher erarbeiteten Desiderate können auch als Anforderungen an eine Definition des Begriffs Kopierresultat Gültigkeit beanspruchen – denn in ihnen hat der Umstand, dass Kopien im Gegensatz zu Kopierresultaten prinzipiell keine Originale sind, noch keine Berücksichtigung gefunden: Oben hat sich gezeigt, dass der spezifische artbildende Unterschied, der Kopien von anderen Kopierresultaten scheidet, darin besteht, dass Kopien keine Originale sind. Damit eine Definition des Begriffs Kopie diejenigen Kopierresultate ausschließt, die selbst Originale sind, bedarf es somit einer vierten Bedingung, die sich aus der zuvor gewonnenen Einsicht ergibt, dass Kopien im engen Sinn keine Originale sind – ich nenne sie die allgemeine Bedingung des Ausschlusses des Originalstatus (ABAOS): Wenn y eine Kopie von x ist, dann (ABAOS) ist y kein Original.
Nun hat sich die Plausibilität der Bedingung (ABAOS) oben bereits im Detail erwiesen. Allerdings lässt sich gegen die Bedingung dennoch ein Einwand vorbringen, der den Begriff des Originals betrifft, der der Bedingung zugrunde teleologische Ausdrücke auf Ausdrücke aus der Evolutionstheorie oder der Kybernetik/ Systemtheorie zu reduzieren (vgl. Bedau 1991, 647). Die Rede davon, dass die Aktivität der DNA-Polymerase auf die Erzeugung einer möglichst exakten Kopie gerichtet ist, soll hier so verstanden werden, dass sie mit vielen dieser Vorschläge kompatibel ist. Diese Redeweise beizubehalten macht es keineswegs erforderlich, alle teleologischen Ausdrücke zu naturalisieren, die in biologischen Kontexten Verwendung finden: Ein Naturalisierungsprogramm ist ausschließlich für solche Aussagen vonnöten, denen zufolge Ursachen in ihren Wirkungen resultieren sollen, insofern sich diese Aussagen nicht allein auf statistische Erwägungen stützen. Allerdings soll hier nicht für einen speziellen Vorschlag optiert werden: Keiner der bislang vorgelegten Vorschläge kann als allgemein akzeptierter Ansatz zur Bewahrung des hier in Rede stehenden teleologischen Aspekts der Biologie gelten – sowohl evolutionistische als auch systemtheoretische Ansätze gehen mit einer Reihe von allgemein anerkannten Vor- und Nachteilen einher. An dieser Stelle einen speziellen Vorschlag zu verteidigen oder zu entwickeln, führte über die Zielsetzung dieser Studie hinaus.
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liegt. Denn es erscheint als unbestreitbar, dass etwa von DNA-Originalen und Originalen, die Artefakte sind, als Originalen in je unterschiedlichem Sinne die Rede sein kann: Im Falle der DNA-Kopien bezeichnet der Ausdruck »Original« stets einen Ursprung – etwas, auf das eine Kopie zurückgeht. So ist von einer Original-DNA immer nur relativ zu einer Kopie die Rede – dabei geht es vor allem darum, die Original-DNA und die Replikation sprachlich auseinanderzuhalten.73 Bei vielen Originalen, die Artefakte sind – darunter Gemälde, Fotografien, Smartphones o. ä. – handelt es sich zwar ebenfalls um die Ursprünge von Kopien. Im Falle von Artefakten hat der Ausdruck »Original« jedoch auch noch eine andere Konnotation. Denn bei Artefakten dient die Bezeichnung »Original« auch dazu, zum Ausdruck zu bringen, dass diese Gegenstände als Originale autorisiert worden sind: Wie sich in Abschnitt 2.2.1 gezeigt hat, hat die_der Urheber_in eines Design-Plans (bzw. die_der Inhaber_in der Rechte an diesem Plan) die Befähigung, potenzielle Exemplar-Urheber_innen festzulegen. Ist diejenige_derjenige, die_der ein Artefakt hervorbringt, das einen bestimmten Design-Plan realisiert, von der_dem Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) dieses Design-Plans zum Zeitpunkt und im Kontext74 der Entstehung des Artefakts als Exemplar-Urheber_in autorisiert, so handelt es sich bei dem hervorgebrachten Artefakt um ein Original – unabhängig davon, ob es den Ursprung einer Kopie bildet oder nicht. Grundsätzlich kann ein Artefakt also ohne Weiteres ein Original sein, ohne zugleich der Ursprung sein zu müssen, auf den sich eine weitere Entität zurückführen lässt: Für den Originalstatus eines Artefakts ist es offenbar nicht notwendig, dass das Artefakt einen ursprünglichen Charakter hat. Von einem DNA-Original sprechen wir hingegen nur, wenn die DNA zum Ursprung einer Replikation wird.75 Im Falle von Artefakten scheint für den Status des Originals also die Autorisierung entscheidend zu sein und nicht die Frage, ob der Gegenstand sich 73
Vgl. etwa Westman 2006, 52 oder Bromham 2016, 103. Dass der Zeitpunkt und der Kontext wichtig sind, zeigt sich daran, dass auch autorisierte Exemplar-Urheber_innen mitunter in sogenannten ghost shifts, also außerhalb der Zeiten oder Kontexte, in denen sie zur Produktion von Exemplaren autorisiert sind, Waren produzieren, die dann als Fälschungen auf den Markt gelangen: »factories that produce ›originals‹ under outsourcing contracts from international businesses may also produce the same goods illegally on the ›ghost shift‹ at night, which are then sold as fakes or counterfeits« (Boon 2010, 14; vgl. auch Phillips 2005, 25 ff.). 75 Für DNA könnte somit die These Gültigkeit haben, die gelegentlich in Bezug auf Artefakte vertreten wird und im Slogan »No copies, no original« (Latour und Lowe 2011, 278) zum Ausdruck kommt, die allerdings im Hinblick auf Artefakte eine wesentlich geringere Plausibilität für sich beanspruchen kann als im Hinblick auf DNA: »Etwas, das nie kopiert wurde […], ist […] kein Original« (Ortland 2015, 250). 74
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als Ursprung von etwas anderem beschreiben lässt. Im Falle von DNA scheint es für die Zuschreibung des Originalstatus hingegen zwingend zu sein, dass die DNA den Ursprung einer DNA-Replikation bildet. Dies, so ließe sich nun einwenden, stellt für die Bedingung (ABAOS) ein Problem dar: Werden in der Bedingung nicht ganz unterschiedliche Arten von Entitäten in einen Topf geworfen und wird nicht deren Verschiedenheit dadurch kaschiert, dass sie vermeintlich unter denselben Begriff gebracht werden – obwohl der Ausdruck »Original« tatsächlich mit zwei völlig unterschiedlichen Originalbegriffen verknüpft ist? Diesem Einwand zufolge wird der Ausdruck »Original« in der Bedingung (ABAOS) also in problematischer Weise äquivok verwendet – den Einwand bezeichne ich daher als Einwand der äquivoken Verwendung des Ausdrucks »Original«. Sollte uns dieser Einwand dazu veranlassen, die Bedingung (ABAOS) zu modifizieren? Sie gänzlich aufzugeben, erschiene im Lichte der vorhergehenden Überlegungen nicht als sinnvoll – schließlich ist im Rahmen dieser Überlegungen deutlich geworden, dass es einer Bedingung bedarf, die Kopien im engen Sinn von anderen Kopierresultaten scheidet. Möglicherweise aber muss diese Bedingung einer Präzisierung oder einer Modifikation unterzogen werden, um dem Verdacht vorzubeugen, dass hier Dinge über einen Kamm geschoren werden, die eigentlich gar nichts miteinander verbindet. Ist es aber wirklich so, dass die soeben genannten Entitäten nichts Substanzielles miteinander gemein haben? Tatsächlich lässt sich nicht bestreiten, dass es sich bei den Phänomenen, die im Sinne der Bedingung (ABAOS) Originale sind, um recht verschiedenartige Entitäten handelt. Allerdings verbindet alle diese Entitäten dennoch eine wichtige Gemeinsamkeit: Sie alle sind in einer gewissen Weise eigenständig, während die Kopien, die von ihnen abzugrenzen sind, derivativ sind. Diese Feststellung bedarf freilich der Erläuterung. Im Falle des Original-DNA-Strangs dürfte unmittelbar einleuchten, warum man ihn als eigenständige Entität bezeichnen kann: Wir sprechen von Original-DNA, um klarzumachen, dass ihnen eine Eigenständigkeit innewohnt, die ihre Kopien als Derivate gerade nicht aufweisen.76 Aber auch über die Original-Artefakte lässt sich sinnvoll sagen, dass sie eigenständig sind. Denn als Originale sind 76 Gleichwohl
ist diese Eigenständigkeit relativ, da auch der Original-DNA-Strang, dem im hier in Rede stehenden Kontext die Rolle des Originals zukommt, einst als Kopierresultat entstanden ist und insofern in einem anderen Kontext schon einmal selbst die Rolle der Kopie gespielt hat. Im Hinblick auf Artefaktkopien, denen unter den Kopien das hauptsächliche Interesse dieser Studie gilt, spielt diese Kontextrelativität jedoch keine Rolle. Denn wie in Abschnitt 1.1.3 dargelegt, handelt es sich bei Artefaktkopien um Kopien erster Ordnung – um Kopien also, deren Vorlagen selbst keine Kopien sind.
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sie entweder selbst eigenständige Design-Pläne oder als solche autorisierte Realisierungen eines eigenständigen Design-Plans, die insofern an der Eigenständigkeit des Design-Plans teilhaben. Artefaktkopien hingegen sind in diesem Sinne nicht eigenständig – sie greifen etwas schon Bestehendes auf, sind also insofern ebenfalls derivativ. Die Diversität der Entitäten, die die Bedingung (ABAOS) zu erfassen sucht, erscheint bei näherem Hinsehen also nicht als problematisch: Wir können davon ausgehen, dass alle fraglichen Entitäten unter denselben weiten Begriff des Originals fallen, für den es charakteristisch ist, dass er Gegenstände unter sich vereint, die in der beschriebenen Weise eigenständig – und als solche nicht derivativ – sind. Damit können wir im Hinblick auf den Einwand der äquivoken Verwendung des Ausdrucks »Original« Folgendes festhalten: Obgleich die unter ihm versammelten Entitäten äußerst divers sind, lässt sich dennoch an einem weiten Begriff des Originals festhalten, der sich für die Abgrenzung der Kopien von den Kopierresultaten fruchtbar machen lässt. Daraus ergibt sich das dritte Desiderat, dem eine Definition des Begriffs Kopie – ebenso wie eine Definition seines Teilbegriffs Artefaktkopie – genügen muss: Desiderat K3 Eine Definition des Begriffs Kopie und damit auch jede Definition seiner Teilbegriffe sollte diejenigen Kopierresultate ausschließen, die Originale sind. So unproblematisch der Bezug auf einen weiten Originalbegriff im Desiderat K3 sein mag, eine Problematik ergibt sich aus der Formulierung des Desiderats selbst: Dass Kopien im engen Sinne keine Originale sind, ist eine Feststellung, die regelrecht trivial anmutet. Insofern wird im Folgenden zu klären sein, wie die im Desiderat zum Ausdruck kommende Forderung sich so spezifizieren lässt, dass die Definition des Begriffs Artefaktkopie sich nicht dem Verdacht der Trivialität ausgesetzt sieht. Die Desiderate K1, K2' und K3 zielen auf die Definition eines ontologisch einseitigen Kopiebegriffs – der Begriff Kopie ist jedoch ontologisch vielseitig
Im Vorhergehenden hat sich gezeigt, dass wir gute Gründe dafür haben, die Desiderate K1, K2' und K3 als Anforderungen an eine Definition des Begriffs Kopie zu akzeptieren. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob mit den drei Desideraten eine vollständige Liste der Anforderungen gegeben ist, denen eine Definition des Begriffs Kopie gerecht werden sollte. Werfen wir einen genaueren Blick auf die Desiderate, so fällt auf, dass sie zwar der Vielfalt der
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Kopien insofern Rechnung tragen, als sie sowohl Kopien betreffen, die selbst oder deren Vorlagen Artefakte sind, als auch Kopien, die keine Artefakte sind bzw. deren Vorlagen nicht den Artefaktstatus haben. In einer anderen Hinsicht jedoch sind die drei Desiderate in problematischer Weise einseitig – denn sie beziehen sich bisher ausschließlich auf konkrete Kopien mit konkreten Vorlagen: Bei sämtlichen Beispielen, mit deren Hilfe wir die Desiderate entwickelt und geschärft haben, handelt es sich um konkrete Kopien, deren Vorlage ebenfalls konkret ist. Kopien, die selbst abstrakt sind oder abstrakte Vorlagen haben, sind bisher gänzlich vernachlässigt worden. Wollen wir der ontologischen Vielfalt der Gegenstände Rechnung tragen, die unter den alltäglichen Begriff Kopie fallen, sollten wir also erwägen, wie sich die drei bisher entwickelten Desiderate auf zielführende Weise ergänzen lassen.77 Zunächst einmal gilt es jedoch zu zeigen, dass unter den Begriff Kopie tatsächlich nicht nur konkrete Kopien mit konkreten Vorlagen fallen, sondern auch Kopien, die selbst abstrakt sind oder abstrakte Vorlagen haben. Denn nur dann erscheint eine Ergänzung der Desiderate K1, K2' und K3 als berechtigtes Vorhaben. Prima facie mag die Annahme, dass es auch abstrakte Kopien bzw. ab strakte Kopiervorlagen gibt, suspekt anmuten: Betrachten wir Abstrakta, die keine Artefakte sind, so scheint es zu ihrem Ausschluss aus der Klasse der Kopien sowie aus der Klasse der möglichen Kopiervorlagen zunächst keine Alternative zu geben. Denn für Abstrakta, die keine Artefakte sind, gilt grundsätzlich, dass es nicht als sinnvoll erscheint, sie als Kopien oder auch als Originale zu bezeichnen: Betrachten wir noch einmal die üblicherweise als paradigmatische Beispiele für Abstrakta aufgefassten Entitäten, die schon in Abschnitt 2.2.1 zur Sprache gekommen sind, nämlich Zahlen, Mengen, Propositionen, Begriffe und Eigenschaften. In welcher Weise sollten wir von einer Menge behaupten können, dass es sich dabei um eine Kopie handelt? Wie sollte sich eine Eigenschaft oder auch ein Begriff kopieren lassen? Was sollte es bedeuten, von einer Zahl zu behaupten, es handle sich dabei um ein Original? Im Hinblick auf diese Entitäten erscheint die Rede von Originalen 77
Auch für die bisherigen Erwägungen zum Begriff Kopierresultat gilt, dass sie in dieser problematischen Weise ontologisch einseitig sind – abstrakte Kopierresultate bzw. Kopierresultate mit abstrakten Vorlagen sind darin nicht zum Tragen gekommen. Allerdings erscheint es nicht als sinnvoll, hier der Frage nachzugehen, wie sich dieses Defizit im Einzelnen beheben ließe: Den Überlegungen zum Begriff Kopierresultat im Rahmen dieses Abschnitts kam einzig der Zweck zu, den Begriff Kopie zu erhellen. Es ist nach wie vor dieser Begriff, um den es uns hier geht – daher erscheint es nicht als zielführend, in diesem Rahmen gesondert der Frage nachzugehen, wie eine Definition des Begriffs Kopierresultat gestaltet sein müsste, die Abstrakta einschließt.
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Was ist eine Artefaktkopie?
und Kopien schlicht als sinnlos. Denn Zahlen, Mengen, Eigenschaften usw. kommen offenbar weder als Vorlagen noch als Resultate von Kopierprozessen in Frage. Anders verhält es sich jedoch mit Abstrakta, die zugleich Artefakte sind: Diese Entitäten können sehr wohl Kopien oder auch Vorlagen von Kopien sein – dies lässt sich mithilfe einiger Beispiele eindrücklich zeigen. Betrachten wir dazu zunächst ein Beispiel für ein abstraktes Artefakt, das als Vorlage einer konkreten Kopie dient: Hacker_innen könnten sich Zugang zu den Daten der Firma Apple verschaffen und auf der Grundlage des Design-Plans für das iPhone 14, von dem sie unter diesen Daten eine Manifestation finden, ein Smartphone bauen (– es ist sogar denkbar, dass dies geschieht, noch bevor Apple den Design-Plan selbst realisiert hat). Dies ist ein Beispiel, bei dem offenkundig ein abstraktes Artefakt – Apples Design-Plan für das iPhone 14 – die Vorlage einer konkreten Kopie bildet. Variieren wir das Beispiel, so zeigt sich, dass es auch Kopien geben kann, die eine abstrakte Vorlage haben und zugleich selbst abstrakt sind. So könnten Dritte den abstrakten Design-Plan von Apple, der ihnen mittels der Manifestation zugänglich ist, zudem als Grundlage für die Entwicklung eines eigenen Design-Plans für ein Smartphone heranziehen. Schließlich besteht die Möglichkeit, auf der Grundlage eines konkreten Artefakts – eines Exemplars des iPhone 14 – einen abstrakten Design-Plan für ein Smartphone zu entwickeln. In diesem Fall wäre die Vorlage konkret und die Kopie abstrakt. An dieser Stelle ließe sich freilich einwenden, dass die soeben genannten Entitäten gar keine Kopien im alltäglichen Sinne sind. Denn anders als bei den konkreten Kopien mit konkreten Vorlagen, deren Status als Kopien uns unmittelbar einleuchten dürfte, mögen die Intuitionen im Falle der genannten Entitäten weniger eindeutig sein. Ohne Frage sind uns konkrete Kopien mit konkreter Vorlage in gewisser Weise vertrauter als Kopien, die abstrakt sind bzw. eine abstrakte Vorlage haben: Bei einer Vielzahl der Kopien, mit denen wir es im Alltag zu tun haben, handelt es sich um konkrete Entitäten mit einer konkreten Vorlage. Dies gilt etwa für Kunstdrucke, die ein Gemälde zur Vorlage haben, für Kopien, die wir mit dem Fotokopierer herstellen, aber auch für DNA-Replikationen. Dieser Umstand legt aber nicht zwingend den Schluss nahe, dass unserem alltäglichen Verständnis zufolge ausschließlich Konkreta mit konkreten Vorlagen als Kopien in Frage kommen. Denn es gibt gute Gründe für die Annahme, dass unter unseren alltäglichen Begriff Kopie auch Abstrakta bzw. Entitäten mit abstrakter Vorlage fallen. Betrachten wir eine konkrete Kopie des iPhone 14. Ob die_der Kopist_in, die_der für die Kopie verantwortlich zeichnet, diese auf der Grundlage eines Exemplars des iPhone 14 herstellt oder auf der Grundlage (einer Kopie) von Apples Design-
Zur Definition
Plan für das iPhone 14, scheint für dessen Status als Kopie gänzlich unerheblich zu sein. Weitere Beispiele finden sich unter den vielfältigen Hervorbringungen von Produktpirat_innen, die ausdrücklich als Kopien apostrophiert werden: Unter dem Stichwort »Produktpiraterie« werden Fälle der widerrechtlichen Anfertigung von Kopien verhandelt – darüber, dass es sich dabei um Kopien handelt, lässt sich im Alltag fraglos ein Konsens feststellen.78 Nun beschränkt sich Produktpiraterie keineswegs auf das Anfertigen konkreter Kopien mit konkreter Vorlage. Stattdessen machen sich Produktpirat_innen sämtliche Möglichkeiten des Kopierens zu eigen: Erstens fertigen sie abstrakte Kopien auf der Grundlage konkreter Vorlagen. Dient ein konkretes Artefakt zur Anfertigung einer abstrakten Kopie, also eines Design-Plans, so spricht man üblicherweise von Reverse Engineering – dass dies eine Kopiertechnik ist, wird durchaus explizit gemacht: »Reverse Engineering can be defined as copying a competitor’s technology by dismantling an existing product«79. Die im Rahmen des Reverse Engineering erstellten Pläne werden im Allgemeinen mit dem Ziel angefertigt, sie anschließend in Form konkreter Artefakte zu realisieren – in der Industrie, insbesondere in der Informationstechnologie, ist diese Art des Kopierens sogar äußerst geläufig: »Eine der verbreitetsten Methoden für das Erlangen der notwendigen Daten für die Fertigung einer Kopie ist das Reverse Engineering«80. Insofern stellt das Anfertigen einer abstrakten Kopie – eines Design-Plans – auf der Grundlage eines konkreten Artefakts mittels Reverse Engineering einen ersten Schritt dar, um im zweiten Schritt auf der Grundlage dieses Design-Plans eine konkrete Kopie herzustellen. Zweitens verschaffen sich Produktpirat_innen häufig einen über Manifestationen vermittelten Zugang zu abstrakten Artefakten – den Design-Plänen für Produkte –, um auf ihrer Grundlage ihrerseits abstrakte Kopien – d. h. neue Design-Pläne – anzufertigen. Wenn sich Produktpirat_innen zu diesem Zweck Design-Pläne zugänglich machen, spricht man von Industriespionage. Obgleich sich in Zeiten des Internets ganz neue Möglichkeiten zur auf die 78 Dies
zeigt sich etwa am Schmähpreis Plagiarius, der laut eigener Website dazu dient, »öffentlich die Einfallslosigkeit und Dreistigkeit von Nachahmern an[zuprangern], die kreative Ideen und innovative Produkte anderer 1:1 kopieren und Profit daraus schlagen« (http://www.plagiarius.de/index.php?ID=2, abgerufen am 11.8.2021; Herv. A. B.). Auf Spiegel Online findet sich ein Artikel über die Träger des Preises im Jahre 2016 mit der Überschrift »Ungeniert kopiert« (vgl. Kollenbroich 2016). 79 http://www.managingip.com/Article/1409008/When-reverse-engineering-becomes-copying. html, abgerufen am 11.8.2021. 80 https://www.ict-channel.com/software-services/reverse-engineering-produktpiraterie-und-jailbreaks.105213.html, abgerufen am 11.8.2018; Herv. A. B.
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Anfertigung von solchen Design-Plan-Kopien gerichteten Industriespionage bieten, ist das Phänomen keineswegs neu: Bereits 1795 unternahm z. B. der Hofkammerreferent für Berg- und Münzwesen und Professor an der Schemnitzer Bergakademie Karl Haidinger eine halbjährige Englandreise »in Sachen Fabriken, Manufakturen und Steinkohlengewinnung«, und konnte hier dank glücklicher Umstände Maschinenpläne kopieren.81
Dabei geht es keineswegs immer darum, die Design-Pläne exakt zu kopieren. Mitunter werden die Pläne auch verändert, was sogar dazu führen kann, dass die Produkte, die den kopierten Plan realisieren, besser sind als die Realisierungen des Design-Plans, der zur Vorlage des kopierten Plans gedient hat: »[T]ake the case of Francis Cabot Lowell. He didn’t just copy plans for the Cartwright loom; he improved it«82. Drittens machen sich Produktpirat_ innen oftmals ein abstraktes Artefakt – einen Design-Plan – zunutze, um auf dessen Grundlage eine konkrete Kopie herzustellen. So gelangten chinesische Architekturpirat_innen offenbar an die Baupläne der Stararchitektin Zaha Hadid für einen Komplex in Peking, die sie kurzerhand dazu nutzten, in Chonqing eine konkrete Kopie zu errichten. Im Zusammenhang mit diesem Fall kam immer wieder zur Sprache, dass die Kopie schneller fertig gestellt sein könnte als das Original: »Hinzu kommt, dass man in Chongqing offenbar noch schneller baut als in Peking: Die Kopie könnte vor dem Original fertig sein«83. An den Beispielen zeigt sich, dass wir durchaus davon ausgehen können, dass es abstrakte Kopien mit konkreter Vorlage, abstrakte Kopien mit ab strakter Vorlage und konkrete Kopien mit abstrakter Vorlage gibt, die allesamt unter unseren alltäglichen Begriff Kopie fallen. Bei den Beispielen handelt es sich allerdings ausnahmslos um Kopien von Artefakten, die selbst Artefakte sind. In Bezug auf Kopien mit abstrakter Vorlage ist dies im Lichte der vorhergehenden Überlegungen nicht verwunderlich: Kopien mit abstrakter Vorlage zählen zwingend zu dieser Art von Kopien. Denn Kopien anderer Art können offenbar keine abstrakte Vorlage haben: Kopien mit abstrakter Vorlage können zum einen selbst abstrakt sein. In diesem Fall müssen die Vorlage und die Kopie beide Artefakte sein, denn nur Abstrakta, die auch 81
Matis 2010, 50. Surowiecki 2014. 83 Schulze 2013. Wie schon das Beispiel des von Hacker_innen realisierten DesignPlans für das iPhone 14 macht auch dieses Beispiel deutlich, dass im Falle von Artefakten ein Erstfall nicht zwingend ein Original ist. 82
Zur Definition
Artefakte sind, kommen als Kopie und Vorlage in Frage. Zum anderen können Kopien mit abstrakter Vorlage selbst konkret sein. Auch dann haben wir es mit Kopien zu tun, die Artefakte sind und Artefakte zur Vorlage haben, denn es ist nicht ersichtlich, wie ein abstraktes Artefakt die Vorlage eines konkreten Nicht-Artefakts sollte bilden können – und ein abstraktes Nicht-Artefakt kommt als Vorlage auch hier nicht in Frage. Einzig im Falle abstrakter Kopien mit konkreter Vorlage ist es nicht zwingend, dass es sich dabei um Kopien handelt, die Artefakte sind und Artefakte zur Vorlage haben: Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich auch unter den Kopien, die nicht zu den Kopien zählen, die Artefakte sind und Artefakte zur Vorlage haben, eine Unterart findet, deren Mitglieder selbst abstrakt sein können. Kopien von Nicht-Artefakten, die selbst Artefakte sind, können selbst nämlich sowohl konkret als auch abstrakt sein. Denn Abstrakta, die Artefakte sind, können schließlich durchaus Kopien sein, wie sich oben gezeigt hat. Zudem kann eine konkrete Vorlage ebenso gut ein Nicht-Artefakt sein. Entsprechend kann es Kopien geben, deren Vorlagen konkrete Nicht-Artefakte sind, während es sich bei ihnen selbst um abstrakte Artefakte handelt. Dass die Existenz dieser Kopien keine reine Fiktion ist, zeigt sich am Beispiel der Bionik: In der Bionik betreibt man etwas, das dem Reverse Engineering in gewisser Weise sehr nahekommt. Denn man entwickelt auf der Grundlage von Nicht-Artefakten Design-Pläne für Artefakte, die sich die Besonderheiten dieser Nicht-Artefakte zunutze machen: »In bionics, man carefully examines how nature works, and then tries to improve his own technology by copying nature«84. In Abschnitt 1.1.2 habe ich eine viergliedrige Kategorisierung der Klasse der Kopien entfaltet, indem ich die Unterscheidung zwischen Artefakten und Nicht-Artefakten sowohl auf die Kopien selbst als auch auf ihre Vorlagen angewendet habe. Von den Kopien, die Artefakte zur Vorlage haben und selbst Artefakte sind (Typ (i)), habe ich zunächst drei andere Arten von Kopien unterschieden: Kopien von Nicht-Artefakten, die selbst Artefakte sind (Typ (ii)), Kopien von Artefakten, die selbst keine Artefakte sind (Typ (iii)), und schließlich Kopien von Nicht-Artefakten, die selbst keine Artefakte sind (Typ (iv)). Auf der Grundlage dieser Unterscheidung habe ich in Abschnitt 1.1.3 diejenigen Kopien herausgegriffen, die in den Gegenstandsbereich dieser Studie fallen, nämlich Kopien erster Ordnung des Typs (i), die wir als Artefaktkopien bezeichnet haben. Die soeben gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen nun eine noch differenziertere Sichtweise auf die Klasse der Kopien, die die Tabelle 1 wiedergibt: Unter den Kopien, die nicht zum Typ (i) gehören, finden 84
Callahan 2001, 90.
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sich erstens abstrakte Kopien mit konkreter Vorlage, wobei im Falle dieser Kopien die Vorlage ein Nicht-Artefakt sein muss und die Kopie selbst ein Artefakt (– denn als Abstraktum kann die Kopie nur ein Artefakt sein, und somit muss die Vorlage ein Nicht-Artefakt sein, sonst hätten wir es mit einer Kopie des Typs (i) zu tun). Unter den Kopien, die nicht zum Typ (i) gehören, finden sich zweitens konkrete Kopien mit konkreter Vorlage, wobei entweder nur die Kopien selbst oder nur ihre Vorlagen oder sowohl die Kopien als auch ihre Vorlagen zu den Nicht-Artefakten zählen müssen (– wären beide Artefakte, dann lägen auch hier Kopien des Typs (i) vor). Unter den Kopien des Typs (i) hingegen finden wir alle möglichen ontologischen Kombinationen. Typ-(i)-Kopien können zunächst selbst konkret sein und eine konkrete Vorlage haben. Diejenigen Artefaktkopien, für die dies gilt, bezeichne ich im Folgenden als Exemplarkopien: Als Kopien erster Ordnung haben diese Kopien keine Kopie zur Vorlage, sondern ein konkretes Original, ein Exemplar. Kopien des Typs (i) können aber auch konkret sein und eine abstrakte Vorlage haben – dies gilt für die konkreten Artefaktkopien mit ab strakter Vorlage, die ich nachfolgend als Design-Plan-basierte Kopien bezeichne, da diese Kopien erster Ordnung sich dadurch auszeichnen, dass sie auf Original-Design-Plänen basieren. Außerdem gibt es Kopien des Typs (i), die eine konkrete Vorlage haben, selbst aber abstrakt sind. Die Artefaktkopien, auf die dies zutrifft, apostrophiere ich als Exemplar-basierte Kopien: Wie die Exem plarkopien nehmen auch diese Kopien erster Ordnung genuine Exemplare zum Ausgangspunkt. Schließlich können Kopien des Typs (i) selbst abstrakt sein und eine abstrakte Vorlage haben. Den abstrakten Artefaktkopien, die eine abstrakte Vorlage haben, ist die Bezeichnung Design-Plan-Kopie vorbehalten: Als Kopien erster Ordnung dienen ihnen Original-Design-Pläne als Vorlage. Tabelle 1 (rechte Seite) gibt einen Überblick über die Klasse der Kopien, von denen die zuletzt genannten vier Arten den kardinalen Gegenstandsbereich dieser Studie bilden: Exemplarkopien, Design-Plan-basierte Kopien, Exemplar-basierte Kopien und Design-Plan-Kopien. Bisher habe ich lediglich Desiderate entwickelt, die sicherstellen, dass eine Definition von Kopie konkrete Kopien mit konkreten Vorlagen berücksichtigt. Die anderen Arten von Kopien sind hingegen unberücksichtigt geblieben. Die Desiderate K1, K2' und K3 sind deshalb zunächst so zu präzisieren, dass ihr Bezug auf konkrete Kopien mit konkreter Vorlage klar ersichtlich wird. Im nächsten Schritt lassen sich die drei präzisierten Desiderate für eine Definition des Begriffs Artefaktkopie weiter spezifizieren, indem erwogen wird, wie sie sich auf Exemplarkopien – konkrete Artefaktkopien mit konkreten Vorlagen – beziehen lassen. Ausgehend von den resultierenden Deside-
Tabelle 1
konkrete oder abstrakte Kopien mit konkreter Vorlage
Kopien von NichtArtefakten, die sebst Artefakte sind
Kopien von NichtArtefakten, die sebst NichtArtefakte sind
Exemplar kopien
Kopien erster Ordnung:
Kopien zweiter und höherer Ordnung
konkrete Kopien mit konkreter Vorlage
Kopien von Artefakten, die sebst NichtArtefakte sind
Kopien zweiter und höherer Ordnung Exemplar basierte Kopien
Kopien erster Ordnung:
Kopien zweiter und höherer Ordnung
abstrakte Kopien mit konkreter Vorlage
ARTEFAK TKOPIEN
Design Plan basierte Kopien
Kopien erster Ordnung:
konkrete Kopien mit abstrakter Vorlage
Kopien von Artefakten, die sebst Artefakte sind
K O P I E N
Design Plan Kopien
Kopien erster Ordnung:
Kopien zweiter und höherer Ordnung
abstrakte Kopien mit abstrakter Vorlage
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Was ist eine Artefaktkopie?
raten lassen sich dann jeweils weitere Desiderate für die anderen drei Arten von Artefaktkopien ableiten. Zwei Arten von Kopien erfahren damit keine Berücksichtigung, nämlich zum einen Kopien des Typs (ii), die sich dadurch auszeichnen, dass die ihr angehörenden Entitäten selbst abstrakte Artefakte sind und eine nicht- artifizielle konkrete Vorlage haben, und zum anderen Kopien des Typs (i), bei denen es sich um Kopien zweiter und höherer Ordnung handelt. Da es hier nicht darum geht, abschließende Desiderate für eine Definition von Kopie zu entwickeln, sondern die Desiderate allein dem Zweck dienen sollen, zu einer überzeugenden Definition des Begriffs Artefaktkopie zu gelangen, können wir diese beiden Arten von Kopien hier vernachlässigen. Denn die Desiderate, die ihre Berücksichtigung in einer Definition des Begriffs Kopie sicherstellen könnten, wären für den Begriff Artefaktkopie offenkundig nicht aufschlussreich, da diese Kopien in einer solchen Definition ja gerade keine Berücksichtigung finden sollen.85 Die notwendige Präzisierung der Desiderate K1, K2' und K3: Der Bezug auf konkrete Kopien mit konkreten Vorlagen
Mit den Desideraten K1, K2' und K3 habe ich drei Desiderate erarbeitet, denen eine Definition des Begriffs Kopie – ebenso wie jede Definition von dessen Teilbegriffen – genügen sollte. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Desiderate zunächst einmal nur die Berücksichtigung konkreter Kopien mit konkreter Vorlage betreffen. Die Desiderate bedürfen somit einer entsprechenden Präzisierung, damit deutlich wird, dass die in ihnen zum Ausdruck kommenden Anforderungen sich in einer Definition des Begriffs Kopie nicht als Anforderungen an Kopien generell niederschlagen dürfen, sondern lediglich als Anforderungen an konkrete Kopien mit konkreter Vorlage. Aus dieser Präzisierung ergeben sich die Desiderate K1', K2" und K3':
85
Nichtsdestotrotz erscheint es als plausibel, dass die nachfolgend entwickelten speziellen Desiderate, die der Ausarbeitung einer Definition des Begriffs Artefaktkopie dienen, sich (in modifizierter Form) auch für eine Definition fruchtbar machen lassen, unter die sämtliche Kopien des Typs (i) fallen – auch die komplexeren Phänomene, also die Kopien zweiter und höherer Ordnung, die diesem Typ angehören. Da denjenigen Kopien des Typs (i), die ich als Artefaktkopien bezeichnet habe, im Interesse der Entwicklung einer grundlegenden Theorie der Kopien, deren Genese ein Potenzial zur Verletzung von Bestimmungsrechten aufweist, ein Hauptinteresse dieser Studie gilt, kann hier allerdings dahinstehen, inwieweit diese Desiderate auch Aufschluss über die komplexeren Kopien des Typs (i) zu geben vermögen.
Zur Definition
Desiderat K1' Eine Definition des Begriffs Kopie und damit auch jede Definition seiner Teilbegriffe sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass eine konkrete Kopie ihrer konkreten Vorlage in signifikanter Weise ähnelt, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem Kopie und Vorlage entstammen. Desiderat K2" Eine Definition des Begriffs Kopie und damit auch jede Definition seiner Teilbegriffe sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die signifikante Ähnlichkeit einer konkreten Kopie und ihrer konkreten Vorlage auf einer Ursache beruht, die darauf gerichtet ist, dass die Kopie der Vorlage signifikant ähnelt. Desiderat K3' Eine Definition des Begriffs Kopie und damit auch jede Definition seiner Teilbegriffe sollte diejenigen konkreten Kopierresultate ausschließen, die Originale sind. Von den konkreten Kopien mit konkreter Vorlage zu den Exemplarkopien
Damit sie der Entwicklung einer Definition des Teilbegriffs Artefaktkopie dienen können, sollten die Desiderate K1', K2" und K3' so spezifiziert werden, dass sie die Berücksichtigung von Exemplarkopien – konkreten Artefaktkopien mit konkreter Vorlage – sicherstellen. Folgende Erkenntnisse haben sich aus der vorhergehenden Diskussion ergeben und sollen im Folgenden auf Exemplarkopien zugespitzt werden: Erstens hat sich gezeigt, dass eine konkrete Kopie ihrer konkreten Vorlage in signifikanter Weise ähneln muss, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich sein muss, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem Kopie und Vorlage entstammen. Im Hinblick auf Exemplarkopien lässt sich die geforderte signifikante Ähnlichkeit mit der Vorlage nun noch genauer bestimmen: Diese Ähnlichkeit muss unter anderem insofern gegeben sein, als eine Exemplarkopie und ihre Vorlage demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören müssen. Zweitens hat sich gezeigt, dass die signifikante Ähnlichkeit, die eine konkrete Kopie zu ihrer konkreten Vorlage aufweist, einer Ursache geschuldet sein muss, die darauf gerichtet ist, dass die Kopie der Vorlage signifikant ähnelt. Im Folgenden wird ersichtlich werden, wie sich eine Ursache der signifikanten Ähnlichkeit zwischen einer Exemplarkopie und ihrer Vorlage in diesem Sinne näher bestimmen lässt. Mit Blick auf die Definition des
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Begriffs Artefakt aus Abschnitt 2.1.3 liegt es nahe, Intentionen als Ursachen dieser Ähnlichkeit heranzuziehen86: Die signifikante Ähnlichkeit zwischen Exemplarkopien und ihren Vorlagen lässt sich auf eine bestimmte Art von Intentionen zurückführen. Drittens sollte eine Definition des Begriffs Kopie diejenigen konkreten Kopierresultate ausschließen, die Originale sind. Im Hinblick auf Exemplarkopien lässt sich dies durch einen Bezug auf den Status der Kopist_innen leisten, die die Exemplarkopien hervorbringen. Beginnen wir mit der Spezifikation des Desiderats K1': Es fordert zunächst allgemein für Definitionen des Begriffs Kopie und seiner Teilbegriffe, dass darin eine Bedingung enthalten ist, die eine signifikante Ähnlichkeit zwischen einer konkreten Kopie und ihrer konkreten Vorlage voraussetzt, wobei diese Ähnlichkeit für einschlägige Expert_innen ersichtlich sein muss. Wollen wir diese Forderung für eine Definition des Teilbegriffs Artefaktkopie präzisieren, so sollten wir die folgende Erwägung nicht außer Acht lassen: Signi fikante Ähnlichkeiten werden einschlägige Expert_innen aller Voraussicht nach auch zwischen einer Fotografie und einem darauf abgebildeten, klar erkennbaren konkreten dreidimensionalen Artefakt feststellen. Entsprechend käme auch eine Fotografie der Skulptur Kirschensäule von Thomas Schütte als Exemplarkopie des konkreten Artefakts Kirschensäule in Frage – jedenfalls, sofern die Fotografie die anderen Bedingungen für den Exemplarkopiestatus erfüllt, was durchaus der Fall sein kann.87 Die Differenz zwischen Fotografien und Exemplarkopien liegt also nicht etwa schon darin, dass Fotografien eine andere notwendige Bedingung für den Exemplarkopiestatus nicht erfüllen. Dass Fotografien prinzipiell keine Exemplarkopien sein können, wäre zwar offenkundig eine zu starke Behauptung: Fotografien als Exem plarkopien aufzufassen, mag mitunter überzeugend sein – etwa, wenn es sich dabei um Kunstdrucke handelt oder um die Abbildungen von Gemälden oder Zeichnungen, mit denen Kunsthistoriker_innen arbeiten. Insofern vermag die pauschale These des Kunsthistorikers Richard Hamann, der zufolge wir »Fotografien […] nicht als Kopien zu bezeichnen [pflegen]«88, nicht recht zu überzeugen. Im Falle der Fotografie der Kirschensäule allerdings erschiene es 86
Dass Intentionen Ursachen sein können, ist eine etablierte handlungstheoretische Auffassung – vgl. dazu auch Fn. 96. 87 Wir wollen hier davon ausgehen, dass die in Rede stehende Fotografie auch die anderen Bedingungen für Exemplarkopien erfüllt, die sich in den Desideraten AK2 und AK3 andeuten: Unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit der Fotografie und der darauf abgebildeten Skulptur findet sich die Intention, einen der Skulptur signifikant ähnelnden Gegenstand zu schaffen. Zudem hat die Fotografie nicht den Status eines Originals. 88 Hamann 1949, 135.
Zur Definition
doch als reichlich kontraintuitiv, von einer Exemplarkopie zu sprechen. Wie also können wir die signifikante Ähnlichkeit einer Exemplarkopie und ihrer Vorlage näher bestimmen, um Fotografien, die bloß Abbildungen sind und nicht zugleich Kopien, aus der Klasse der Artefaktkopien auszuschließen? Oder anders gefragt: Welches ist der für Exemplarkopien charakteristische Aspekt der signifikanten Ähnlichkeit? Ein Unterschied zwischen der fotografischen Abbildung der Kirschensäule und einem mittels Fotografie erzeugten Kunstdruck eines Gemäldes ist augenfällig – und tatsächlich aufschlussreich für unsere Fragestellung: Während die Abbildung des Gemäldes ebenso wie das abgebildete Gemälde selbst zweidimensional ist89, unterscheidet sich die Abbildung der Kirschensäule wesentlich von der abgebildeten Skulptur. Auch diese Abbildung ist zweidimensional – für die Skulptur, die sie zeigt, gilt dies aber nicht: Sie ist dreidimensional. Es liegt nahe, hier die gesuchte Differenz zu verorten: Die Abbildung der dreidimensionalen Kirschensäule ist ebenso wenig eine Exemplarkopie der Kirschensäule wie die nach Dürers Aquarell Feldhase angefertigte dreidimensionale Hasenskulptur Dürer-Hase von Ottmar Hörl eine Exemplarkopie des Aquarells ist. Es erscheint somit als plausibel, dass eine Exemplarkopie und ihre Vorlage demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören müssen: Handelt es sich bei der Vorlage um einen auditiv rezipierbaren Gegenstand (z. B. um die Aufführung eines Musikstücks), dann muss auch die Exemplarkopie ein auditiv rezipierbarer Gegenstand sein, um als Exemplarkopie gelten zu können.90 Haben wir es, wie bei der Kirschensäule, mit einem Gegenstand zu tun, der dreidimensional visuell rezipierbar ist, dann muss auch eine Exemplarkopie dieses Gegenstands dreidimensional visuell rezipierbar sein usw. Entsprechend können wir das Desiderat K1 ergänzen und erhalten AK1:
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Diese Sichtweise auf Gemälde vernachlässigt freilich die Tatsache, dass insbesondere viele Ölgemälde sich durch einen pastosen Farbauftrag auszeichnen, bei dem die Farbe einem Relief gleich auf den Malgrund gebracht wird. 90 Laut Goodman (1976, 112 ff.) ist alles, was als korrekte Realisierung eines allographischen Werks gelten kann, auch eine genuine Realisierung. Tatsächlich gilt für einige musikalische Werke (insbesondere die der Klassik), dass viele ihrer korrekten Realisierungen genuin (und somit keine Kopien) sind; dies hängt jedoch m. E. damit zusammen, dass die Urheber_innen der Werke von ihrem Recht zur Festlegung potenzieller Exem plarurheber_innen insofern Gebrauch gemacht haben, als sie jede_n, die_der das Werk realisiert, als potenzielle_n Exemplarurheber_in festgelegt haben. Das ist jedoch nicht bei allen musikalischen Genres üblich: In der Popmusik bspw. gelten Realisierungen, die nicht von den Originalinterpret_innen stammen, als Coverversionen (und damit als Artefakt kopien).
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Desiderat AK1 Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass eine Exemplarkopie ihrer Vorlage in signifikanter Weise ähnelt, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem Exemplarkopie und Vorlage entstammen, und die Exemplarkopie und ihre Vorlage demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören müssen. Wie lässt sich nun das Desiderat K2" spezifizieren? Das Desiderat fordert, dass die Definitionen des Begriffs Kopie und seiner Teilbegriffe jeweils eine Ursache der signifikanten Ähnlichkeit zwischen Kopie und Vorlage voraussetzen, die auf ebendiese signifikante Ähnlichkeit gerichtet ist. Um zu erwägen, wie wir das Desiderat so spezifizieren können, dass darin eine Anforderung an die Definition des Teilbegriffs Artefaktkopie zum Ausdruck kommt, die die Berücksichtigung von Exemplarkopien in der Definition gewährleistet, sollten wir einen Blick auf die in Abschnitt 2.1.3 vorgelegte Definition des Begriffs Artefakt werfen. Denn die Definition vermag uns einen Anhaltspunkt zu geben, wie sich eine Ursache der signifikanten Ähnlichkeit einer Artefaktkopie und ihrer Vorlage im Sinne des Desiderats K2" genauer bestimmen lässt: Der Bedingung (IB') können wir entnehmen, dass bei der Entstehung von Artefakten Intentionen maßgeblich sind. Die Bedingung (AMB') besagt zudem, dass Artefakte hinreichend viele ihrer Merkmale einer Festlegung durch ihre_n Urheber_in verdanken. Vor diesem Hintergrund können wir die Herstellung einer Exemplarkopie wie folgt beschreiben: Unter den Intentionen der_des Kopierenden, die_der die Exemplarkopie erzeugt, ist zwingend eine Intention, die darauf gerichtet ist, etwas zu produzieren, das dem Exemplar, das als Vorlage dient, signifikant ähnelt. Entsprechend sind die Merkmale, die die_der Kopist_in festlegt, von dieser Intention bestimmt. Wichtig ist nun allerdings, dass die fragliche Intention tatsächlich eine Ursache der Ähnlichkeit zwischen einer Exemplarkopie und ihrer Vorlage sein muss, wie K2" nahelegt. Denn das Bestehen einer solchen Intention auf Seiten der_des Kopierenden und das Vorliegen einer signifikanten Ähnlichkeit zwischen dem von der_dem Kopierenden erzeugten Gegenstand und dem als Vorlage dienenden Gegenstand allein reichen nicht hin, damit der Gegenstand, den die_der Kopierende hervorbringt, eine Exemplarkopie ist: Zwischen der Intention der_des Kopierenden, einen dem Original ähnelnden Gegenstand anzufertigen, und der faktisch vorliegenden Ähnlichkeit muss ein kausaler Zusammenhang bestehen. In der Vernachlässigung dieses Umstands besteht ein wesentliches Pro
Zur Definition
blem91 des Definitionsvorschlags (C5) von Massimiliano Carrara und Marzia Soavi, der als Vorschlag zur Definition des Begriffs Artefaktkopie verstanden werden kann: Carrara und Soavi geht es um Kopien von Kunstwerken und Artefakten, wie schon dem Titel ihres Aufsatzes zu entnehmen ist – er lautet »Copies, Replicas, and Counterfeits of Artworks and Artifacts«. Die Vorlagen der Kopien, um die sich der Aufsatz dreht, sind somit Artefakte. Zudem vertreten Carrara und Soavi die Auffassung, dass alle Kopien Artefakte sind: »In general, a copy is an artefact produced with the intention to reproduce some relevant features of an object taken as a model called the original object«92. Die fraglichen Kopien haben also nicht nur Artefakte zur Vorlage, sondern sind auch selbst Artefakte, und es sind zudem Kopien erster Ordnung, da ihnen ein »original object« als Vorlage dient – es handelt sich um Artefaktkopien. Der Definitionsvorschlag lautet wie folgt: (C5) [y] is a copy of [x] if and only if [(a)] [y] has been produced with the intention of making something similar to [x] and [(b)] [y] actually resembles [x].93
Wäre dies eine zufriedenstellende Definition des Begriffs Artefaktkopie, so müssten darin hinreichende Bedingungen für den Artefaktkopiestatus zum Ausdruck kommen, die für alle Arten von Artefaktkopien gleichermaßen gelten, so auch für Exemplarkopien. Die beiden Bedingungen (a) und (b) der Definition (C5) sind nun aber keineswegs hinreichend dafür, dass etwas eine Exemplarkopie ist. Dass die Intention, einen der Vorlage signifikant ähnelnden Gegenstand zu produzieren, und die tatsächlich bestehende Ähnlichkeit zwischen diesem Gegenstand und der Vorlage zusammen nicht hinreichend dafür sind, dass der Gegenstand eine Exemplarkopie ist, zeigt das folgende 91 Ein
weiteres Problem dürfte darin bestehen, dass der Definitionsvorschlag allenfalls einem einseitigen Artefaktkopiebegriff gerecht werden könnte, der auf Exemplarkopien zugeschnitten ist. Denn wie sich im Folgenden zeigen wird, ist die erforderliche Ähnlichkeit im Falle anderer Artefaktkopien wesentlich komplexer, als der Definitionsvorschlag vermuten lässt. 92 Carrara und Soavi 2010, 421, Herv. i. O. 93 Carrara und Soavi 2010, 426. Um Verwirrungen zu vermeiden, habe ich die Reihenfolge der Variablen angepasst, sodass die Kopie – wie auch sonst in diesem Kapitel – mit der Variable »y« bezeichnet wird und die Vorlage mit der Variable »x«. Zudem habe ich die beiden in der Definition enthaltenen jeweils notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen getrennt voneinander notiert und mit den Bezeichnungen »(a)« und »(b)« versehen, um im Folgenden besser auf die beiden Bedingungen Bezug nehmen zu können.
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Was ist eine Artefaktkopie?
Gedankenexperiment94: Nehmen wir an, Peter hat die Absicht, eine Exemplarkopie der Kunstinstallation Shibboleth der kolumbianischen Bildhauerin Doris Salcedo herzustellen. Für ihre Installation, die von Oktober 2007 bis April 2008 in der Tate Modern in London zu sehen war, versah Salcedo den Fußboden der Eingangshalle der Tate Modern mit einem 167 Meter langen Riss.95 Zur Verwirklichung seiner Absicht baut Peter eine Halle mit Betonfußboden, die der Eingangshalle exakt gleicht, und bemächtigt sich verschiedener Werkzeuge, um dem Fußboden einen Riss zuzufügen, der dem eindrucksvollen Riss der Kunstinstallation Shibboleth gleicht. All seinen Bemühungen zum Trotz gelingt es ihm jedoch nicht, einen solchen Riss zu erzeugen. Plötzlich wird die Halle von einem Erdbeben erschüttert, das im Boden der Halle einen Riss erzeugt, der dem Shibboleth-Riss stark ähnelt. Gemäß dem Definitionsvorschlag (C5) haben wir es nun mit einer Artefaktkopie zu tun: Peter hatte die Absicht, eine mit einem Riss versehene Halle herzustellen, die der Kunst installation Shibboleth ähnelt, daher ist die Bedingung (a) erfüllt. Zudem weisen Peters Halle, die nun auch über einen Riss verfügt, und die Kunstinstallation mit dem von Salcedo erzeugten Riss eine signifikante Ähnlichkeit auf, also ist auch (b) erfüllt. Jedoch hat die Tatsache, dass diese Ähnlichkeit gegeben ist, nichts mit Peters Intention zu tun, denn die Ähnlichkeit verdankt sich zwei Zufällen: dem Zufall, dass überhaupt ein Erdbeben stattfindet, das einen Riss entstehen lässt, und dem Zufall, dass dieser Riss dem Shibboleth-Riss stark ähnelt. Peters Intention war für das Entstehen einer Halle, deren Boden einen solchen Riss aufweist, nicht kausal wirksam. Sollen wir in diesem Fall nun von einer Artefaktkopie – oder genauer: von einer Exemplarkopie – sprechen? Dies erscheint nicht als sinnvoll: Zwar liegen sowohl die geforderte signifikante Ähnlichkeit mit der Vorlage als auch eine Intention zur Herstellung dieser Ähnlichkeit mit der Vorlage vor, aber beide Aspekte stehen miteinander nicht in der Verbindung, die für Exemplarkopien zwingend ist, nämlich in der kausalen Verbindung, die ich als Aspekt des kausalen Zusammenhangs bezeichnen möchte. Wir kommen, wenn wir den Begriff Artefaktkopie definieren wollen, um die Integration dieses Aspekts des kausalen Zusammenhangs also nicht herum, wenn wir Fälle ausschließen wollen, in denen die signifikante Ähnlichkeit zwischen einer vermeintlichen Exemplarkopie und ihrer vermeintlichen Vorlage rein zufällig zustande kommt. Entsprechend können wir das Desiderat AK2 formulieren: 94
Vgl. auch Bahr 2013, 2016. Vgl. Pietsch (2007). Ich gehe hier davon aus, dass die Kunstinstallation nicht allein aus dem Riss oder dem Fußboden mit dem Riss besteht, sondern dass die Eingangshalle als Ganze Teil der Installation ist. 95
Zur Definition
Desiderat AK2 Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit einer Exemplarkopie und ihrer Vorlage die Intention findet, einen der Vorlage signifikant ähnelnden Gegenstand zu schaffen. Damit eine Definition des Begriffs Artefaktkopie diejenigen Artefakte ausschließt, die zwar konkrete Kopierresultate sind, deren Vorlage ein konkretes Original ist, aber zugleich selbst Originale, bedarf zudem das Desiderat K3' einer Modifikation. Der Ausschluss von konkreten Kopierresultaten mit Originalstatus lässt sich für Artefakte durch einen Bezug auf die mangelnde Autorisierung der Kopierenden zur Herstellung von Originalen leisten: Wie sich bereits im Rahmen der Überlegungen zum dem Desiderat K3 zugrunde liegenden Originalbegriff gezeigt hat, hängt der Originalstatus eines konkreten Artefakts davon ab, ob diejenige_derjenige, die_der dieses Artefakt hervorbringt, zum Zeitpunkt und im Kontext der Hervorbringung dazu autorisiert ist, ein genuines Exemplar zu schaffen. Ist der Kopierprozess durch eine solche Autorisierung gedeckt, dann ist das Resultat keine Artefaktkopie. Diese Einsicht verhilft uns zur Formulierung des Desiderats AK3: Desiderat AK3 Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte diejenigen konkreten Kopierresultate ausschließen, deren Urheber_in zum Zeitpunkt und im Kontext ihrer Entstehung ein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist. Von den Exemplarkopien zu den Design-Plan-basierten Kopien
Von den Exemplarkopien, bei denen sowohl die Vorlage als auch die Kopie selbst konkreter Natur ist, kommen wir nun zu den Design-Plan-basierten Kopien, die ebenfalls konkret sind, jedoch auf eine abstrakte Vorlage – einen Original-Design-Plan – zurückgehen. Um die Berücksichtigung der Design-Plan-basierten Kopien in einer Definition von Artefaktkopie sicherzustellen, bedürfen wir zusätzlicher Desiderate, die sich aus den Desideraten AK1 und AK2 gewinnen lassen. Das Desiderat AK3 können wir ohne Modifikation übernehmen, wie sich gleich zeigen wird. Zunächst einmal ist die geforderte Ähnlichkeit im Falle von Design-Plan- basierten Kopien eine andere als im Falle von Exemplarkopien: Eine DesignPlan-basierte Kopie muss nicht der Vorlage selbst aus Expert_innensicht signifikant ähneln, sondern den genuinen Exemplaren, die ihre Vorlage realisieren. Zudem ist eine gewisse Kongruenz der Design-Plan-basierten Kopien und
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Was ist eine Artefaktkopie?
der genuinen, die Vorlage realisierenden Exemplare gefordert: Die DesignPlan-basierte Kopie und genuine, die Vorlage realisierende Exemplare müssen demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören. Entsprechend können wir mittels einer entsprechenden Modifikation des Desiderats AK1 das Desiderat AK1' formulieren: Desiderat AK1' Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass eine Design-Plan-basierte Kopie den genuinen ihre Vorlage realisierenden Exemplaren in signifikanter Weise ähnelt, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem die Design-Plan-basierte Kopie und die Vorlage realisierende genuine Exemplare entstammen, und die Design-Planbasierte Kopie und ihre Vorlage realisierende genuine Exemplare demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören müssen. Entsprechend sind nun auch die Intentionen, die für die fragliche Ähnlichkeit ursächlich sind, im Falle von Design-Plan-basierten Kopien nicht auf die Ähnlichkeit mit der Vorlage gerichtet, sondern darauf, die Vorlage zu realisieren – und zwar so, dass die Realisierungen eine signifikante Ähnlichkeit mit genuinen die Vorlage realisierenden Exemplaren aufweisen. Wir können also das Desiderat AK2 wie folgt modifizieren, um diesem Umstand Rechnung zu tragen: Desiderat AK2' Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit einer Design-Plan-basierten Kopie und den genuinen die Vorlage realisierenden Exemplaren die Intention findet, die Vorlage zu realisieren, sodass diese Realisierung und genuine die Vorlage realisierende Exemplare einander signifikant ähneln. Das Desiderat AK3 schließlich behält auch für Design-Plan-basierte Kopien seine Gültigkeit: Autorisierte Exemplar-Urheber_innen produzieren genuine Exemplare statt Design-Plan-basierten Kopien. Um sicherzustellen, dass Design-Plan-basierte Kopien in einer Definition von Artefaktkopie Berücksichtigung finden, können wir uns also die Desiderate AK1', AK2' und AK3 zunutze machen.
Zur Definition
Von den Exemplarkopien zu den Design-Plan-Kopien
Design-Plan-Kopien zeichnen sich im Gegensatz zu den beiden zuvor betrachteten Arten von Artefaktkopien dadurch aus, dass sie selbst nicht konkret sind, sondern abstrakt. Damit ist zugleich ihre Gemeinsamkeit zu ihren Vorlagen benannt, die ebenfalls abstrakt sind. Um der Besonderheit Rechnung zu tragen, dass die Design-Plan-Kopie und ihre Vorlage abstrakt sind, müssen wir zunächst das Desiderat AK1 so modifizieren, dass Expert_innen anhand einer Manifestation der Design-Plan-Kopie und einer Manifestation der Vorlage die signifikante Ähnlichkeit zwischen Design-Plan-Kopie und Vorlage feststellen. Zum Vergleich Manifestationen des Design-Plans und der Vorlage heranzuziehen ist insofern erforderlich, als Abstrakta als solche nicht direkt wahrnehmbar sind. Aus diesem Grunde sollten wir außerdem den Bezug auf die generellen Typen perzeptiv zugänglicher Gegenstände streichen – denn der Design-Plan und seine Vorlage sind für sich genommen nicht perzeptiv zugänglich. Daraus ergibt sich das Desiderat AK1": Desiderat AK1" Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass eine Design-Plan-Kopie ihrer Vorlage in signifikanter Weise ähnelt, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit anhand von Manifestationen des Design-Plans und der Vorlage für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem Design-Plan-Kopie und Vorlage entstammen. Was das Desiderat AK2 betrifft, so bleibt es im Falle der Design-Plan-Kopien bestehen: Um eine Design-Plan-Kopie eines Design-Plans anzufertigen, muss die_der Kopist_in die Intention haben, etwas der Vorlage signifikant Ähnelndes zu schaffen, wobei zwischen der Design-Plan-Kopie und ihrer Vorlage tatsächlich eine solche Ähnlichkeit bestehen muss und sich unter den Ursachen für die Ähnlichkeit diese Intention der_des Kopierenden finden muss. Schließlich bedarf das Desiderat AK3 einer Modifikation: Da wir es im Falle von Design-Plan-Kopien und ihren Vorlagen gar nicht mit Exemplaren zu tun haben, sondern nur mit Design-Plänen, ist es unerheblich, ob es sich bei der_dem Kopierenden um eine_n autorisierte_n Exemplar-Urheber_in handelt oder nicht. Stattdessen kann ein_e Kopist_in weder zugleich die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in des als Vorlage dienenden Design-Plans sein noch nur die Rechte daran haben. Denn wenn diejenige_derjenige, die_der für den als Vorlage dienenden Design-Plan verantwortlich zeichnet und die Rechte daran innehat, auf der Grundlage dieses Design-Plans einen weiteren
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Was ist eine Artefaktkopie?
Design-Plan schafft, dann haben wir es nicht mit einer Design-Plan-Kopie zu tun, sondern mit einer Weiterentwicklung des ursprünglichen Design-Plans, die ebenfalls den Status eines Originals hat. Dasselbe gilt, wenn jemand, die_ der nicht die_der Urheber_in eines Design-Plans ist, aber die Rechte daran innehat, auf der Grundlage dieses Design-Plans einen weiteren Design-Plan schafft: Bei diesem Design-Plan handelt es sich ebenfalls um eine Weiterentwicklung, denn die_der Rechteinhaber_in hat als solche_r auch das Recht, Weiterentwicklungen des Design-Plans anzufertigen. Entsprechend können wir das Desiderat AK3' formulieren: Desiderat AK3' Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte diejenigen abstrakten Kopierresultate ausschließen, deren Urheber_innen zugleich die Urheber_ innen und Rechteinhaber_innen der abstrakten Vorlagen der Kopierresultate sind bzw. deren Urheber_innen zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopierresultate die Rechte an deren abstrakten Vorlagen innehaben. Design-Plan-Kopien finden somit Berücksichtigung in einer Definition von Artefaktkopie, sofern die Desiderate AK1", AK2 und AK3' erfüllt sind. Von den Exemplarkopien zu den Exemplar-basierten Kopien
Die letzte Art der Artefaktkopien, deren Berücksichtigung in einer Definition des Begriffs Artefaktkopie es sicherzustellen gilt, zeichnet sich dadurch aus, dass die ihr angehörenden Kopien eine konkrete Vorlage haben, aber selbst abstrakt sind. Um auch diese Exemplar-basierten Kopien unter sich zu versammeln, muss eine Definition zunächst dem Desiderat AK1"' gerecht werden, das fordert, dass die Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie der Vorlage signifikant ähneln. Desiderat AK1"' Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die Realisierungen einer Exemplar-basierten Kopie ihrer Vorlage in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem die Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie und die Vorlage entstammen, und die Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie und ihre Vorlage demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören müssen.
Zur Definition
Auch das Desiderat AK2 bedarf einer Modifikation, wenn es den Besonderheiten Exemplar-basierter Kopien gerecht werden soll: Die geforderte signifikante Ähnlichkeit besteht in diesem Fall zwischen den Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie und der Vorlage. Entsprechend können wir das Desiderat AK2" formulieren: Desiderat AK2" Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit der Realisierungen einer Exemplar-basierten Kopie und ihrer Vorlage die Intention findet, einen Gegenstand zu schaffen, dessen Realisierungen der Vorlage ähneln. Schließlich gilt es, das Desiderat AK3 anzupassen. Denn es sollte sicherstellen, dass Fälle ausgeschlossen werden, in denen jemand, die_der auf der Grundlage eines Exemplars einen Design-Plan schafft, zugleich die_der Urheber_in des Design-Plans ist bzw. die Rechte am Design-Plan hat, den dieses Exem plar realisiert. Denn in diesen Fällen würden wir wohl sagen wollen, dass es sich bei dem auf der Basis des Exemplars geschaffenen Design-Plan um eine Weiterentwicklung des Design-Plans handelt, den dieses Exemplar realisiert. Damit kommen wir zum Desiderat AK3": Desiderat AK3" Eine Definition des Begriffs Artefaktkopie sollte diejenigen abstrakten Kopierresultate ausschließen, deren Urheber_innen zugleich die Urheber_ innen und Rechteinhaber_innen der Design-Pläne sind, die ihre Vorlagen realisieren, bzw. deren Urheber_innen zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopierresultate die Rechte an den Design-Plänen inne haben, die ihre Vorlagen realisieren. Es bedarf also der Erfüllung der Desiderate AK1"', AK2" und AK3", damit eine Definition von Artefaktkopie Exemplar-basierte Kopien erfasst. Die Anforderungen an eine Definition des Begriffs Artefaktkopie erschöpfen sich in den Desideraten AK1, AK2, AK3 und ihren Modifikationen
Sind die Bedingungen, die wir auf der Grundlage der drei Desiderate AK1, AK2, AK3 und ihrer Modifikationen formulieren können, zusammen hinreichend dafür, dass wir es mit einer Artefaktkopie zu tun haben? Oder fehlt eine weitere Bedingung, die zur Formulierung eines weiteren Desiderats Anlass gibt?
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Was ist eine Artefaktkopie?
Um der Frage nachzugehen, ob die Anforderungen an eine überzeugende Definition des Begriffs Artefaktkopie sich in diesen drei Desideraten erschöpfen, könnten wir uns auf die Suche nach Gegenständen begeben, die die in den Desideraten angedeuteten Bedingungen erfüllen, ohne zugleich Artefakt kopien zu sein. Die Suche nach einem Gegenstand, für den dies gelten sollte, gestaltet sich allerdings als äußerst schwierig: Welcher Gegenstand sollte alle Bedingungen erfüllen und dennoch aus der Klasse der Artefaktkopien herausfallen – und damit als Gegenbeispiel für etwas gelten können, das zwar von den Bedingungen erfasst wird, aber trotzdem keine Artefaktkopie ist? Zudem scheinen die drei Desiderate alle Aspekte aufzugreifen, die uns intuitiv als wesentlich für Artefaktkopien erscheinen dürften. Eine gewisse signifikante Ähnlichkeit; eine Intention der_des Kopierenden, die auf diese Ähnlichkeit gerichtet und für sie ursächlich ist; und der spezielle Status der_ des Kopierenden: Es ist nicht ersichtlich, welcher Aspekt in dieser Auflistung noch fehlen sollte. In Ermangelung überzeugender Gegengründe und Gegenbeispiele, die anderes nahelegen, können wir daher bis auf Weiteres davon ausgehen, dass mit den Desideraten AK1, AK2 und AK3 und ihren Modifikationen die Anforderungen an eine plausible, an unsere Alltagsintuitionen anschließende Definition des Begriffs Artefaktkopie erschöpfend dargelegt worden sind. Im Folgenden entwickle ich daher auf der Grundlage dieser Desiderate einen Vorschlag zur Definition dieses Begriffs.
3.1.2 Meine viergliedrige Definition von Artefaktkopie
Allen Artefaktkopien ist gemeinsam, dass für ihre Entstehung eine Intention maßgeblich ist, die auf das Erzeugen einer gewissen signifikanten Ähnlichkeit gerichtet ist, wobei diese Ähnlichkeit tatsächlich gegeben und unter ihren Ursachen eine auf sie gerichtete Intention zu finden sein muss. Zudem muss die_der Urheber_in der Kopie den Status einer_eines Kopierenden haben, sodass sichergestellt ist, dass es sich bei ihrer_seiner Hervorbringung tatsächlich um eine Artefaktkopie handelt und nicht etwa um ein Original. Wie diese Voraussetzungen für die verschiedenen Arten von Artefaktkopien im Einzelnen auszubuchstabieren sind, gestaltet sich allerdings ganz unterschiedlich, wie wir den Desideraten AK1, AK2 und AK3 sowie ihren jeweiligen Modifikationen entnehmen können: Abhängig davon, welcher allgemeinen Art eine Artefaktkopie angehört, kann es sich bei den Entitäten, zwischen denen die signifikante Ähnlichkeit besteht, um die Artefaktkopie und ihre Vorlage, um die Artefaktkopie und genuine Realisierungen ihrer Vorlage oder um genuine Realisierungen der Artefaktkopie und die Vorlage
Zur Definition
handeln. Auch der Kopierendenstatus ist abhängig von der jeweiligen allgemeinen Art unterschiedlich bestimmt: Im Falle der Exemplarkopie und der Design-Plan-basierten Kopie ist jemand ein_e Kopist_in, wenn sie_er kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist. Im Falle der Design-Plan-Kopie ist jemand ein_e Kopist_in, wenn sie_er weder Urheber_in und Rechteinhaber_in der abstrakten Vorlage der Kopie ist noch zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopie die Rechte an der abstrakten Vorlage innehat. Im Falle der Exemplar-basierten Kopie schließlich ist jemand ein_e Kopist_in, wenn sie_er weder Urheber_in und Rechteinhaber_in des Design-Plans ist, den die Vorlage realisiert, noch zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopie die Rechte am Design-Plan innehat, den die Vorlage realisiert. Aus der ontologischen Vielseitigkeit der Artefaktkopien ergibt sich also ein Bedarf für entsprechend differenzierte Bedingungen. Um diesem Bedarf angemessen Rechnung zu tragen, bietet es sich an, zunächst jede der vier allgemeinen Arten von Artefaktkopien einzeln in den Blick zu nehmen: Erst einmal definiere ich die vier Teilbegriffe Exemplarkopie, Design-Plan-basierte Kopie, Design-Plan-Kopie und Exemplar-basierte Kopie anhand der jeweils zur Sicherstellung ihrer Berücksichtigung in einer Definition entwickelten Desiderate. Die sich daraus ergebenden vier Teildefinitionen füge ich anschließend aneinander – zusammengenommen ergeben sie eine vollständige Definition von Artefaktkopie. Damit die Definition von Artefaktkopie, die ich vorschlage, ihren praktischen Nutzen in lebensweltlichen Kontexten möglichst umfänglich entfalten kann, sind abschließend zwei Fragen zu klären, die die Anwendung dieser Definition betreffen und die die Definition für sich genommen nicht zu beantworten vermag. Die erste Frage betrifft die Intentionen, die zur Produktion einer Artefaktkopie in Frage kommen: Unter welchen Umständen können wir davon sprechen, dass unter den Ursachen für die jeweils geforderte signifikante Ähnlichkeit eine Intention zu finden ist? In der Praxis stellt es sich mitunter als schwierig dar, zu entscheiden, ob die signifikante Ähnlichkeit zweier Gegenstände tatsächlich auf Intentionen zurückgeführt werden kann. Dieser Umstand lässt sich exemplarisch an zwei Beispielfällen illus trieren, die zugleich dazu dienen, Anhaltspunkte für die Anwendung der auf Intentionen bezogenen Bedingungen der Definition zu geben. Eine zweite die Anwendung der Definition betreffende Frage dreht sich um die Expert_innen, auf die die Definition (AK) im Zusammenhang mit der jeweils geforderten signifikanten Ähnlichkeit Bezug nimmt: Der Definition ist zu entnehmen, dass Exemplarkopien und Design-Plan-Kopien eine signifikante Ähnlichkeit zu ihren Vorlagen aufweisen müssen, während Design-Plan-basierte Kopien genuinen Realisierungen ihrer Vorlage signifi-
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kant ähneln müssen und zwischen genuinen Realisierungen von Exemplar- basierten Kopien und ihren Vorlagen eine signifikante Ähnlichkeit bestehen muss. Aus der Definition geht weiter hervor, dass Expert_innen die Aufgabe zukommt, darüber zu entscheiden, ob die geforderte signifikante Ähnlichkeit besteht. Wer aber kommt jeweils als Expert_in in Frage, um eine solche Entscheidung zu fällen? In der Praxis ist die Beantwortung diese Frage von unmittelbarer Relevanz – schließlich wollen wir die Entscheidung über die Frage nach dem Bestehen einer signifikanten Ähnlichkeit an eine Person delegieren, die über die jeweils relevanten Kompetenzen verfügt. Um die Frage zu beantworten, bedürfen wir zum einen einer Vorstellung davon, was jemanden überhaupt als Expert_in ausweist. Zum anderen ist zu klären, wie das Gebiet eingegrenzt werden kann, auf dem Expertise gefragt ist. Der erste Schritt zur Definition des Begriffs Artefaktkopie: Die Definition von dessen Teilbegriff Exemplarkopie
An eine Definition des Teilbegriffs Exemplarkopie stellen sich drei Anforderungen, die in den Desideraten AK1, AK2 und AK3 zum Ausdruck kommen und auf deren Grundlage sich eine Definition des Begriffs entwickeln lässt. Mithilfe des Desiderats AK1 lässt sich zunächst eine Bedingung formulieren, in der der Forderung nach einer signifikanten Ähnlichkeit zwischen der Exemplarkopie und ihrer Vorlage Ausdruck verliehen wird. Mit der speziellen Ähnlichkeitsbedingung (SÄB) können wir der Forderung Rechnung tragen, die das Desiderat AK1 an eine Definition des Begriffs Artefaktkopie stellt: Wenn ein Artefakt y eine Exemplarkopie eines Exemplars x ist, dann (SÄB) ä hneln sich x und y in signifikanter Weise, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und y entstammen, und x und y demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände ange hören.
Wie sich gezeigt hat, sollte in einer Definition von Artefaktkopie zudem die Voraussetzung zum Ausdruck kommen, dass unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit zwischen einer Exemplarkopie y und ihrer Vorlage x eine bestimmte Intention ist96, die auf diese Ähnlichkeit gerichtet ist – diese 96 Dass
Intentionen Ursachen sein können, ist eine Grundüberzeugung des handlungstheoretischen Kausalismus, der seit den 1960er Jahren die Handlungstheorie prägt: »Since 1963 and Donald Davidson’s ›Actions, Reasons and Causes‹, the dominant position in action theory has been causalism« (Sneddon 2006, 119); vgl. auch Keil (2000, 13 ff.), der
Zur Definition
Erkenntnis spiegelt sich im Desiderat AK2 wider. Die im Desiderat zum Ausdruck kommende Forderung wird durch die spezielle Bedingung des Vorliegens einer Intention als Ursache der signifikanten Ähnlichkeit (SBIUÄ) erfüllt: Wenn ein Artefakt y eine Exemplarkopie eines Exemplars x ist, dann (SBIUÄ) w urde y mit der Intention hergestellt, einen x signifikant ähnelnden Gegenstand zu produzieren, und unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit findet sich diese Intention.
Schließlich gilt es sicherzustellen, dass y auch tatsächlich eine Kopie im engen Sinn ist und nicht bloß ein Kopierresultat, bei dem es sich auch um ein Original handeln könnte – das Desiderat AK3 gibt einen Anhaltspunkt dafür, wie sich dies für Exemplarkopien gewährleisten lässt. Mit der speziellen Bedingung der Hervorbringung durch eine_n Kopierenden (SBHK) ist dem Desiderat Genüge getan: Wenn ein Artefakt y eine Exemplarkopie eines Exemplars x ist, dann (SBHK) ist die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in.
Zusammengenommen bilden die drei Bedingungen (SÄB), (SBIUÄ) und (SBHK) die Definition des Teilbegriffs Exemplarkopie: (EK) Ein Artefakt y ist eine Exemplarkopie eines Exemplars x gdw. (SÄB) sich x und y in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und y entstammen, und x und y demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören und (SBIUÄ) y mit der Intention hergestellt wurde, einen x signifikant ähnelnden Gegenstand zu produzieren, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit diese Intention findet und (SBHK) d ie_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist. auch auf ältere Versionen seit Hobbes verweist. Kausalist_innen begreifen »intention[s] as the simultaneous, sustaining cause of what one is doing« (Setiya 2015, 12). Ähnlich schon Davidson (1985, 77) und die Bilanz des problemgeschichtlichen Aufrisses von Keil (2000, 47): »Die kausale Handlungstheorie akzeptiert […] die Gleichsetzung von ›handeln‹ und ›absichtlich etwas tun‹.«
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Was ist eine Artefaktkopie?
Mit der Definition des Teilbegriffs Exemplarkopie ist der erste Schritt zur Definition des Begriffs Artefaktkopie getan. Mit den Bedingungen (SBIUÄ) und (SBHK) sind zudem bereits zwei Bedingungen formuliert, die auch bei anderen Definitionen der Teilbegriffe des Begriffs Artefaktkopie zum Tragen kommen: Während (SBIUÄ) auch in die Definition des Teilbegriffs Design-Plan-Kopie Eingang findet, umfasst die Definition von Design-Planbasierte Kopie ebenfalls die Bedingung (SBHK). Im Folgenden komme ich zunächst auf die Definition von Design-Plan-basierte Kopie zu sprechen; anschließend widme ich mich der Definition von Design-Plan-Kopie. Der zweite Schritt zur Definition des Begriffs Artefaktkopie: Die Definition von dessen Teilbegriff Design-Plan-basierte Kopie
Um den Teilbegriff Design-Plan-basierte Kopie zu definieren, können wir uns an den Desideraten AK1', AK2' und AK3 orientieren. Da das Desiderat AK3 auch für Exemplarkopien einschlägig ist, können wir, um ihm gerecht zu werden, die soeben formulierte Bedingung (SBHK) übernehmen. Was die signifikante Ähnlichkeit und die diese Ähnlichkeit (mit)verursachende Intention anbelangt, ist jedoch Anderes gefordert als für die Definition des Begriffs Exemplarkopie – die Desiderate AK1' und AK2' geben darüber Aufschluss. Im Desiderat AK1' kommt die Forderung nach einer signifikanten Ähnlichkeit der Design-Plan-basierten Kopie mit den genuinen Realisierungen der Vorlage zum Ausdruck – es gibt somit Anlass zur folgenden Modifikation der speziellen Ähnlichkeitsbedingung: enn ein Artefakt y eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis eines W Design-Plans x ist, dann (SÄB') ä hneln sich y und genuine x realisierende Exemplare in signifikanter Weise, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_ innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem y und x realisierende genuine Exemplare entstammen, und y und x realisierende genuine Exemplare demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören.
Entsprechend fordert das Desiderat AK2' eine Intention als Ursache der signifikanten Ähnlichkeit zwischen der Design-Plan-basierten Kopie und genuinen Realisierungen der Vorlage. Um ihm gerecht zu werden, können wir die spezielle Bedingung des Vorliegens einer Intention als Ursache der signifikanten Ähnlichkeit wie folgt modifizieren:
Zur Definition
enn ein Artefakt y eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis eines W Design-Plans x ist, dann (SBIUÄ') w urde y mit der Intention hergestellt, x zu realisieren, sodass y x realisierenden genuinen Exemplaren signifikant ähnelt, und unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit findet sich diese Intention.
Schließlich bedarf es der Bedingung (SBHK), um das Desiderat AK3 zu füllen. Nehmen wir die Bedingungen (SÄB'), (SBIUÄ') und (SBHK) zusammen, so erhalten wir die folgende Definition des Teilbegriffs Design-Plan-basierte Kopie: (DPBK) Ein Artefakt y ist eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis eines Design-Plans x gdw. (SÄB') sich y und genuine x realisierende Exemplare in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem y und x realisierende genuine Exemplare entstammen, und y und x realisierende genuine Exemplare demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören und (SBIUÄ') y mit der Intention hergestellt wurde, x zu realisieren, sodass y x realisierenden genuinen Exemplaren signifikant ähnelt, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit diese Intention findet und (SBHK) d ie_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist.
Mit der Definition des Teilbegriffs Design-Plan-basierte Kopie haben wir auf dem Weg zur Definition des Begriffs Artefaktkopie den zweiten Schritt vollzogen. Damit liegen Definitionen der beiden Teilbegriffe vor, unter die Artefaktkopien fallen, die konkret sind – es fehlen die Definitionen der beiden Teilbegriffe, die abstrakte Artefaktkopien unter sich versammeln. Wenden wir uns zunächst der Definition des Teilbegriffs Design-Plan-Kopie zu.
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Was ist eine Artefaktkopie?
Der dritte Schritt zur Definition des Begriffs Artefaktkopie: Die Definition von dessen Teilbegriff Design-Plan-Kopie
Zur Beantwortung der Frage, wie der Teilbegriff Design-Plan-Kopie zu definieren ist, können wir auf die Desiderate AK1", AK2 und AK3' zurückgreifen. AK2 hat uns oben bereits Anlass zur Formulierung der Bedingung (SBIUÄ) gegeben, die wir somit in die Definition von Design-Plan-Kopie aufnehmen können. Damit bleibt jedoch offen, welche Bedingungen den Desideraten AK1" und AK3' Genüge tun können. Das Desiderat AK1" zielt zunächst auf eine Bedingung, die eine signifikante Ähnlichkeit zwischen der Design-Plan-Kopie und ihrer Vorlage fordert, wobei sich das Vorliegen einer solchen Ähnlichkeit von einschlägigen Experten feststellen lässt, die eine Manifestation der Design-Plan-Kopie mit einer Manifestation der Vorlage vergleichen. Es gibt Anlass zu einer weiteren Modifikation der speziellen Ähnlichkeitsbedingung: Wenn ein Artefakt y eine Design-Plan-Kopie eines Design-Plans x ist, dann (SÄB") ä hneln sich x und y in signifikanter Weise, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit anhand einer Manifestation von x und einer Manifestation von y für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und y entstammen.
Da die Bedingung (SBIUÄ) dem Desiderat AK2 Rechnung trägt, bleibt zur Definition des Teilbegriffs Design-Plan-Kopie nur noch die Formulierung einer Bedingung, die dem Desiderat AK3' entspricht. Um dem Desiderat Rechnung zu tragen, können wir die spezielle Bedingung der Hervorbringung durch einen Kopisten wie folgt modifizieren: Wenn ein Artefakt y eine Design-Plan-Kopie eines Design-Plans x ist, dann (SBHK') ist die_der Urheber_in von y nicht zugleich die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in von x bzw. hat die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte an x inne.
Die drei Bedingungen (SÄB"), (SBIUÄ) und (SBHK') bilden zusammengenommen die Definition des Teilbegriffs Design-Plan-Kopie: (DPK) Ein Artefakt y ist eine Design-Plan-Kopie eines Design-Plans x gdw. (SÄB") s ich x und y in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit anhand einer Manifestation von x und
Zur Definition
einer Manifestation von y für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und y entstammen und (SBIUÄ) y mit der Intention hergestellt wurde, einen x signifikant ähnelnden Gegenstand zu produzieren, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit diese Intention findet und (SBHK') d ie_der Urheber_in von y nicht zugleich die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in von x ist bzw. die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte an x innehat.
Drei von vier Teilbegriffen des Begriffs Artefaktkopie sind damit definiert. Um zu einer vollständigen Definition von Artefaktkopie zu gelangen, fehlt nun nur noch ein vierter und letzter Schritt, der in der Definition des noch verbleibenden Teilbegriffs Exemplar-basierte Kopie besteht. Der vierte Schritt zur Definition des Begriffs Artefaktkopie: Die Definition von dessen Teilbegriff Exemplar-basierte Kopie
Um den Teilbegriff Exemplar-basierte Kopie zu definieren, müssen wir uns auf die Suche nach Bedingungen machen, die den Desideraten AK1"', AK2" und AK3" Rechnung tragen. Zunächst sieht das Desiderat AK1"' vor, dass die Definition von Exemplar-basierte Kopie die Forderung nach einer signifikanten Ähnlichkeit zwischen den Realisierungen der Kopie und ihrer Vorlage enthält. Eine modifizierte Variante der speziellen Ähnlichkeitsbedingung vermag dieses Desiderat zu füllen: enn ein Artefakt y eine Exemplar-basierte Kopie eines Exemplars x ist, W dann (SÄB"') ä hneln sich x und die Realisierungen von y in signifikanter Weise, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und die Realisierungen von y entstammen, und x und die Realisierungen von y demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören.
Gemäß dem Desiderat AK2" muss eine Definition, die Exemplar-basierte Kopien einschließt, fordern, dass unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit zwischen den Realisierungen der Kopie und der Vorlage eine auf diese Ähnlichkeit gerichtete Intention zu finden ist. Um der in AK2" zum Ausdruck kommenden Anforderung gerecht zu werden, können wir auf eine modifi-
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Was ist eine Artefaktkopie?
zierte Variante der speziellen Bedingung des Vorliegens einer Intention als Ursache der signifikanten Ähnlichkeit zurückgreifen: enn ein Artefakt y eine Exemplar-basierte Kopie auf der Basis eines ExemW plars x ist, dann (SBIUÄ") w urde y mit der Intention hergestellt, einen Gegenstand zu produzieren, dessen Realisierungen x signifikant ähneln, und unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit der Realisierungen von y und x findet sich diese Intention.
Schließlich muss sichergestellt werden, dass wir es tatsächlich mit einer Kopie zu tun haben und nicht mit einem Original. Das Desiderat AK3" macht explizit, wie sich dies für Exemplar-basierte Kopien sicherstellen lässt. Eine modifizierte Variante der speziellen Bedingung der Hervorbringung durch einen Kopisten, die AK3" Rechnung trägt, lautet wie folgt: enn ein Artefakt y eine Exemplar-basierte Kopie auf der Basis eines ExemW plars x ist, dann (SBHK") ist die_der Urheber_in von y nicht die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in des Design-Plans, den x realisiert, bzw. hat die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte am Design-Plan inne, den x realisiert.
Führen wir die drei mithilfe der Desiderate formulierten Bedingungen (SÄB"'), (SBIUÄ") und (SBHK") zusammen, kommen wir zur folgenden Definition des Teilbegriffs Exemplar-basierte Kopie: (EBK) Ein Artefakt y ist eine Exemplar-basierte Kopie auf der Basis eines Exemplars x gdw. (SÄB"') s ich x und die Realisierungen von y in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und die Realisierungen von y entstammen, und x und die Realisierungen von y demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören und (SBIUÄ") y mit der Intention hergestellt wurde, einen Gegenstand zu produzieren, dessen Realisierungen x signifikant ähneln, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit der Realisierungen von y und x diese Intention findet und
Zur Definition
(SBHK") d ie_der Urheber_in von y nicht die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in des Design-Plans ist, den x realisiert, bzw. die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte am Design-Plan innehat, den x realisiert.
Damit ist nun auch der letzte Teilbegriff des Begriffs Artefaktkopie definiert – der vierte Schritt auf dem Weg zu einer Entwicklung der Definition des Begriffs Artefaktkopie ist somit getan. Die viergliedrige Definition des Begriffs Artefaktkopie
Fassen wir die Definitionen der vier Teilbegriffe des Begriffs Artefaktkopie zusammen, so erhalten wir nun also die folgende viergliedrige Definition dieses Begriffs: (AK) E in Artefakt y ist eine Artefaktkopie eines Artefakts x gdw. y eine Exemplarkopie eines Exemplars x ist, sodass (SÄB) s ich x und y in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und y entstammen, und x und y demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören und (SBIUÄ) y mit der Intention hergestellt wurde, einen x signifikant ähnelnden Gegenstand zu produzieren, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit diese Intention findet und (SBHK) d ie_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist oder y eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis eines DesignPlans x ist, sodass
(SÄB') s ich y und genuine x realisierende Exemplare in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem y und x realisierende genuine Exemplare entstammen, und y und x realisierende genuine Exemplare demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören und (SBIUÄ') y mit der Intention hergestellt wurde, x zu realisieren, sodass y x realisierenden genuinen Exemplaren signifikant ähnelt, und
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Was ist eine Artefaktkopie?
sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit diese Intention findet und (SBHK) die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist
oder y eine Design-Plan-Kopie eines Design-Plans x ist, sodass
(SÄB") s ich x und y in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit anhand einer Manifestation von x und einer Manifestation von y für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und y entstammen und
(SBIUÄ) y mit der Intention hergestellt wurde, einen x signifikant ähnelnden Gegenstand zu produzieren, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit diese Intention findet und (SBHK') d ie_der Urheber_in von y nicht zugleich die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in von x ist bzw. die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte an x innehat
oder y eine Exemplar-basierte Kopie auf der Basis eines Exemplars x ist, sodass
(SÄB"') s ich x und die Realisierungen von y in signifikanter Weise ähneln, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich ist, die sich auf dem Gebiet auskennen, dem x und die Realisierungen von y entstammen, und x und die Realisierungen von y demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören und (SBIUÄ") y mit der Intention hergestellt wurde, einen Gegenstand zu produzieren, dessen Realisierungen x signifikant ähneln, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit der Realisierungen von y und x diese Intention findet und (SBHK") d ie_der Urheber_in von y nicht die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in des`Design-Plans ist, den x realisiert, bzw. die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte am Design-Plan innehat, den x realisiert.
Die Definition (AK) kann uns nun dazu dienen, Artefaktkopien als solche zu erkennen und einer der vier allgemeinen Arten zuzuordnen. Damit wir die Definition allerdings auf diese Weise konkret zur Anwendung bringen kön-
Zur Definition
nen, sollten wir noch zwei offene Fragen beantworten. Die erste Frage zielt darauf ab, Fälle, in denen wir von einer Intention als Ursache der signifikanten Ähnlichkeit ausgehen können, von solchen Fällen zu unterscheiden, bei denen die signifikante Ähnlichkeit nicht auf eine Intention zurückgeht. Die zweite Frage betrifft die Auswahl der Expert_innen, die über das Vorliegen einer signifikanten Ähnlichkeit urteilen: Wie sollen wir darüber entscheiden, wem die Aufgabe zukommt, ein solches Urteil zu fällen? Die versehentlich erzeugte Fotokopie und die doppelte Lolita: Sind Intentionen Ursachen der signifikanten Ähnlichkeiten?
Der Definition (AK) ist zu entnehmen, dass alle vier allgemeinen Arten von Artefaktkopien einer Intention als Ursache der jeweils geforderten signifikanten Ähnlichkeit bedürfen. Allerdings gibt es Fälle, in denen sich nicht genau sagen lässt, ob die signifikante Ähnlichkeit auf eine Intention zurückgeführt werden kann oder nicht. Für die Anwendung der Definition (AK) ergibt sich daraus das Problem, dass nicht immer klar ist, ob ein Gegenstand von der Definition erfasst wird und damit eine Artefaktkopie ist. Im Folgenden soll daher anhand von zwei in dieser Hinsicht strittigen Beispielfällen deutlicher gemacht werden, in welchen Fällen wir von einer Intention als Ursache der signifikanten Ähnlichkeit ausgehen können. Damit soll die praktische Anwendung der Definition (AK) erleichtert werden. Im ersten strittigen Beispielfall wird durch ein technisches Kopiergerät – einen Fotokopierer – ein Gegenstand hervorgebracht, wobei der entsprechende Kopierprozess, der in diesem Gegenstand resultiert, versehentlich, d. h. ohne Absicht, ausgelöst wird. Eine direkte Intention gibt es in diesem Beispielfall also nicht. Der Fall wirft jedoch die Frage auf, ob hier nicht zumindest abgeleitete Intentionen im Spiel sind, die als Ursachen der Ähnlichkeit gelten können – dann nämlich könnte die versehentlich entstandene Entität eine Artefaktkopie sein. Dem zweiten strittigen Beispielfall liegt ein tatsächlicher Fall aus der Literatur zugrunde: Dem Literaturwissenschaftler Michael Maar verdanken wir die Erkenntnis, dass Vladimir Nabokovs Roman Lolita signifikante Ähnlichkeit zu einer lange vor dem Roman erschienenen, gleichnamigen Erzählung des bis zu Maars Entdeckung weitgehend unbekannten Berliner Autors Heinz von Lichberg aufweist. Wir wollen diesen Fall aufgreifen und einmal annehmen, dass Nabokov die Kurzgeschichte gekannt und tatsächlich Elemente aus ihr in seinen Roman übernommen hat, sich dessen aber selbst nicht bewusst war, sondern vielmehr glaubte, er habe sich die ganze Geschichte selbst ausgedacht. Es wird zu fragen sein, ob wir in einem so gearteten Fall davon ausgehen können, dass hier eine Intention die signifikante Ähnlichkeit zwi-
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schen der Erzählung von Lichbergs und dem Roman verursacht hat: Könnte Nabokovs Lolita auch dann eine Artefaktkopie sein, wenn Nabokov gar nicht bewusst war, dass er etwas aus der Erzählung eines Dritten übernahm? Kommen wir zunächst zum ersten strittigen Beispielfall. Der Gegenstand, um den es uns hier gehen soll, findet auch in Maria Reichers Kopiedefinition Berücksichtigung – und zwar dank des zweiten Disjunkts: ([Def.97] K) Eine Kopie eines Kunstwerks ist ein Gegenstand, der mit der Absicht hergestellt wurde, dem (oder einem) Original möglichst ähnlich zu sein, oder eine ohne Absicht entstandene Reproduk tion.98
Zur Erläuterung, warum das zweite Disjunkt Eingang in ihren Definitionsvorschlag gefunden hat, gibt Reicher in der Fußnote 2 die folgende Auskunft: »Das zweite Glied dieser disjunktiven Explikation soll den möglichen Fall des unabsichtlichen Herstellens einer Kopie einschließen (etwa durch versehentliches Betätigen der Start-Taste des Kopierers […]).«99 Ohne Frage werden Kopiergeräte mitunter unabsichtlich bzw. absichtslos100 ausgelöst. Handelt es sich bei den Resultaten der Prozesse, die dadurch in Gang gebracht werden, nun aber um Artefaktkopien? Um die Frage zu klären, können wir zunächst einen Blick auf unsere Definition von Artefaktkopie werfen und die passende Teildefinition herausgreifen: Kopiergeräte produzieren konkrete Gegenstände, deren Vorlagen ebenfalls konkret sind. Es fragt sich also, ob wir es bei einem konkreten Gegenstand, den ein ohne Absichten in Gang gebrachtes Kopiergerät hervorbringt, mit einer Exemplarkopie zu tun haben oder nicht. Nun ist es zunächst offensichtlich, dass die Produkte eines auf diese Weise ausgelösten Kopierprozesses ohne Weiteres die Bedingung (SÄB) erfüllen können. So bringt etwa ein funktionstüchtiger Fotokopierer, der ohne Absicht ausgelöst wird, ein mit 97
Die Hinzufügung »Def.« habe ich hier vorgenommen, damit die Bezeichnung der Definition nicht mit der Bezeichnung des Kriteriums (K) übereinstimmt. 98 Reicher 2011, 52; Herv. A. B. 99 Reicher 2011, Fußnote 2, 70. 100 Unter einem unabsichtlich ausgelösten Kopierprozess verstehe ich einen Prozess, bei dem jemand, der grundsätzlich zum Herausbilden von Absichten fähig ist, versehentlich den Prozess auslöst. Wenn ich etwa beim Abstützen auf dem Fotokopierer versehentlich den Knopf drücke, der einen Kopiervorgang auslöst, so ist dieser Kopiervorgang unabsichtlich ausgelöst worden. Unter einem absichtslos ausgelösten Kopiervorgang verstehe ich hingegen einen Vorgang, bei dessen Auslösung niemand beteiligt ist, der Absichten herausbilden kann. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Kopierprozess durch einen Kurzschluss in Gang gebracht wird.
Zur Definition
Zeichen oder Mustern versehenes Blatt Papier hervor, sofern auf der Glasplatte des Fotokopierers ein Blatt Papier mit Zeichen oder Mustern zu finden ist, wobei die Zeichen oder Muster auf dem Kopierresultat den Zeichen oder Mustern der Vorlage gleichen. Es kann also zwischen dem bedruckten Blatt Papier, das der Prozess hervorbringt, und der auf der Glasplatte des Fotokopierers liegenden Vorlage ohne Frage eine signifikante Ähnlichkeit bestehen. Die Frage ist nun aber, ob wir sagen können, dass diese signifikante Ähnlichkeit in einem solchen Fall auf eine Intention als Ursache zurückgeht – ob (SBIUÄ) also ebenfalls erfüllt ist. Ob (SBHK) erfüllt ist, ermisst sich auch daran, ob wir von einer Intention als Ursache ausgehen können oder nicht: Gibt es eine Intention als Ursache, dann können wir fragen, ob diejenige_derjenige, die_der die Intention hat, ein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist oder nicht. Dafür, dass unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit eine Intention zu finden ist, spricht der Umstand, dass es sich beim Kopiergerät um ein Artefakt handelt, das auf die Produktion von Gegenständen ausgelegt ist, deren Eigenschaften – zumindest relational – sehr genau bestimmt sind: Die Merkmale der Gegenstände, die der unabsichtlich bzw. absichtslos ausgelöste Kopierprozess hervorgebracht hat, kommen nicht etwa rein zufällig zustande. Vielmehr sind viele dieser Merkmale in Abhängigkeit von der Vorlage genau bestimmt: Die_der Hersteller_in des Kopiergeräts hat dieses so gestaltet, dass es automatisch eine Vielzahl der Merkmale übernimmt, die die Vorlage auf der Glasplatte aufweist. Wir könnten uns hier zunächst an das Beispiel der wildgewordenen Fabrik in der moderaten Version aus dem Abschnitt 2.1.1 erinnert fühlen. Anhand dieses Beispiels hat sich gezeigt, dass es zur Artefaktentstehung nicht zwingend direkter Intentionen bedarf: Artefakte können auch entstehen, wenn ausschließlich abgeleitete Intentionen wie die von Maschinenhersteller_innen, Maschineneinsteller_innen und Design-Plan-Urheber_innen im Spiel sind. Da Artefaktkopien selbst Artefakte sind, erscheint es bis auf Weiteres als plausibel, dass auch ihre Entstehung sich ohne direkte Intentionen ereignen kann, sofern zumindest abgeleitete Intentionen im Spiel sind. Auf den ersten Blick scheint dies für unseren Beispielfall zu gelten: Auch die Existenz des Fotokopierers geht auf Maschinenhersteller_innen zurück und seine Einstellungen nehmen Maschineneinsteller_innen vor. Ist nun das Produkt des ohne Absicht ausgelösten Kopierprozesses eine Artefaktkopie, weil seine Merkmale, denen sich die signifikante Ähnlichkeit zur Vorlage verdankt, auf abgeleitete Intentionen zurückgehen? Ist in diesem Fall also eine abgeleitete Intention die Ursache der signifikanten Ähnlichkeit? Ohne Frage kommen die Eigenschaften der Hervorbringung des ohne Absicht angestoßenen Kopiervorgangs nicht allein durch Zufall zustande.
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Allerdings erscheint es dennoch nicht als überzeugend, in diesem Beispielfall eine Variante des Beispiels der wildgewordenen Fabrik in der moderaten Version zu erblicken. Denn obgleich der Fotokopierer so gestaltet ist, dass die Hervorbringung ihre Merkmale nicht durch bloßen Zufall erhält, sind ihre Merkmale dennoch nicht genau genug bestimmt: Im Falle der wildgewordenen Fabrik in der moderaten Version hat sich gezeigt, dass es plausibel ist, die produzierten Gegenstände als Realisierungen eines Design-Plans aufzufassen. Als solche sind sie auf eine_n Urheber_in zurückführbar, die_der über einige ihrer Merkmale entschieden hat. Im Falle der ohne Absicht entstandenen Hervorbringung des Fotokopierers jedoch wäre es offensichtlich alles andere als plausibel, die_den Hersteller_in des Fotokopierers als Urheber_in dieser Hervorbringung zu betrachten. Denn die_der Hersteller_in hat zwar sichergestellt, dass einige Merkmale der Hervorbringung von einer auf der Glasplatte des Fotokopierers platzierten Vorlage abhängen, aber sie_er hat diese Merkmale eben nicht genau bestimmt: Es kann eine beliebige Vorlage auf die Glasplatte gelegt werden. Anders als im Falle der Produkte der wildgewordenen Fabrik in der moderaten Version, die sich mit guten Gründen als Realisierungen des Design-Plans auffassen lassen, den auch die regulär in der Fabrik hergestellten Produkte realisieren, realisiert die ohne Absicht entstandene Hervorbringung des Fotokopierers keinen Design-Plan, zu dessen Realisierung der Fotokopierer gebaut worden wäre. Auch der Umstand, dass jemand gezielt eine Vorlage auf der Glasplatte des Fotokopierers platziert hat, vermag an dieser Einschätzung des Beispielfalls nichts zu ändern. Zwar führt ein gezieltes Auswählen und Auflegen der Vorlage dazu, dass die Merkmale der ohne Absicht entstandenen Hervorbringung recht genau bestimmt werden. Dennoch hat diejenige_derjenige, die_der die Vorlage auswählt und auflegt, im Unterschied zur_zum Herstellenden und Einstellenden der Maschinen der wildgewordenen Fabrik in der moderaten Version nicht die Absicht, die Bedingungen für die Massenproduktion von Gegenständen mit bestimmten Merkmalen zu schaffen. Ihre_seine Absicht beschränkt sich vielmehr auf die Produktion einer bestimmten Anzahl von Exemplarkopien, die bestimmte Merkmale aufweisen. Lässt sie_er nach der Produktion dieser Exemplarkopien, deren Entstehen sie_er direkt intendiert hat, die Vorlage auf der Glasplatte liegen – aus Versehen oder aus Faulheit –, so lässt sich wohl kaum sagen, dass sie_er weiterhin – wenn auch indirekt – die Produktion zusätzlicher der Vorlage ähnelnder Gegenstände intendiert. Stattdessen erscheint es als plausibel, davon auszugehen, dass keine derartigen Intentionen mehr vorliegen. Es ist sogar denkbar, dass die_der Vorlagen-Platzierer_in das Entstehen weiterer der Vorlage ähnelnder Gegenstände vermeiden will – etwa, weil es sich bei der Vorlage um ein streng vertrau-
Zur Definition
liches Dokument handelt. Von der einmaligen Intention zur Produktion einer bestimmten Anzahl der Vorlage ähnelnder Gegenstände auf eine weiterreichende Intention zu schließen erscheint somit im Allgemeinen nicht als plausibel. Anders lägen die Dinge vermutlich, wenn jemand tatsächlich einen Fotokopierer anschafft und entsprechend präpariert, um damit über einen langen Zeitraum genau ein Motiv in sehr großer Zahl zu vervielfältigen. Würde in diesem Zeitraum der Fotokopierer ohne Absichten ausgelöst, so wäre der Fall vergleichbar mit dem Fall eines 3D-Druckers, der allein zur Herstellung von Exemplarkopien des fischer-Dübels dient. Ich komme im Folgenden auf diesen Fall zu sprechen. Zunächst aber können wir festhalten, dass unser strittiger Beispielfall letztlich eher dem Fall der wildgewordenen Fabrik in der extremen Version vergleichbar ist als dem Fall der wildgewordenen Fabrik in der moderaten Version. Denn die Merkmale der versehentlich erzeugten Hervorbringung des Fotokopierers verdanken sich weder einer direkten noch einer abgeleiteten Intention. Entsprechend haben wir es bei der ohne Absicht entstandenen Hervorbringung des Fotokopierers nicht mit einer Exemplarkopie zu tun, denn die Bedingung (SBIUÄ) ist nicht erfüllt. Der soeben diskutierte strittige Beispielfall ist somit kein Fall, in dem abgeleitete Intentionen die signifikante Ähnlichkeit verursachen. Jedoch sind andere Fälle denkbar, in denen abgeleiteten Intentionen bei der Artefaktkopieentstehung eine zentrale Rolle zukommt: Selbstverständlich kann es Kopiergeräte geben, bei denen die Merkmale ihrer Hervorbringungen so präzise bestimmt werden, dass diese Hervorbringungen auch dann Artefaktkopien sind, wenn ihr Herstellungsprozess ohne Absicht ausgelöst wurde. So können wir uns etwa eine Maschine vorstellen, die Artefaktkopien des fischer-Dübels produziert – in Abschnitt 2.3.2 bin ich bereits darauf zu sprechen gekommen, dass dieser Dübel vielfach kopiert wird. Es wäre nun offenkundig ohne Weiteres möglich, dass ein_e Kopist_in eine Maschine konzipiert und baut, die Artefaktkopien dieses Dübels herstellt – etwa, indem die_der Kopist_in sich zuerst mittels Industriespionage Zugang zum DesignPlan des Dübels verschafft und dann auf dessen Grundlage eine Maschine entwirft, die Design-Plan-basierte Kopien produziert, die den genuinen fischer-Dübel-Exemplaren signifikant ähneln. Nun erscheint es als plausibel, dass eine Hervorbringung der durch einen Kurzschluss in Gang gebrachten Maschine ebenso eine Design-Plan-basierte Kopie ist wie ein regulär mithilfe dieser Maschine erzeugtes Produkt. Denn die Hervorbringung und genuine den fischer-Dübel-Design-Plan realisierende Exemplare gehören demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände an und ähneln sich aus Expert_innensicht signifikant – also ist (SÄB') erfüllt. Auch können wir
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sagen, dass bei der Entstehung der Hervorbringung die Intention beteiligt war, den fischer-Dübel-Design-Plan zu realisieren, sodass die Realisierung genuinen Exemplaren des fischer-Dübels signifikant ähnelt, und dass diese Intention unter den Ursachen der Ähnlichkeit ist. Denn die Intention leitet sich aus der Intention ab, eine Maschine herzustellen, die den fischer-DübelExemplaren signifikant ähnelnde Gegenstände hervorbringt. Insofern ist es eine abgeleitete Intention, die die signifikante Ähnlichkeit verursacht – (SBIUÄ') ist damit ebenfalls erfüllt. Schließlich ist auch (SBHK) erfüllt. Denn als Urheber_in der Hervorbringung können wir die_den Maschinenhersteller_ in ausmachen; die_der Maschinenhersteller_in aber ist zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung dieser Hervorbringung kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber,_in sodass es sich bei der Hervorbringung nicht um ein genuines fischer-Dübel-Exemplar handelt, sondern vielmehr um eine Design-Planbasierte Kopie, die einem genuinen fischer-Dübel-Exemplar zum Verwechseln ähnelt. Damit hat sich jedoch nur in Bezug auf Design-Plan-basierte Kopien gezeigt, dass die geforderte signifikante Ähnlichkeit auch auf abgeleitete Intentionen zurückgehen kann. Wie verhält es sich nun mit Artefaktkopien der anderen drei Arten? Bei Exemplarkopien ist es ebenfalls denkbar, dass die geforderte Ähnlichkeit – die in ihrem Fall zwischen ihnen selbst und ihren Vorlagen bestehen muss – auf abgeleitete Intentionen zurückgeführt werden kann. Denn wir können uns vorstellen, dass jemand einen 3D-Kopierer, in den man ein konkretes Exemplar einlegt und der dann eine konkrete Kopie produziert, über einen langen Zeitraum ausschließlich zur Produktion von fischer-Dübel-Exemplarkopien nutzt. Wird in diesem Zeitraum der 3D-Kopierer versehentlich ausgelöst, so erscheint es als plausibel, dass sich aus der direkten Intention, den 3D-Kopierer in diesem Zeitraum zur Produktion von fischer-Dübel-Exemplarkopien zu nutzen, eine abgeleitete Intention ergibt, die die Ähnlichkeit des versehentlich produzierten Gegenstands zu seiner Vorlage verursacht. Im Falle von Exemplarkopien können also bei der Erzeugung der signifikanten Ähnlichkeit mit der Vorlage ebenfalls abgeleitete Intentionen eine prominente Rolle spielen. Wie aber verhält es sich mit Artefaktkopien, die abstrakt sind? Auch im Falle von Design-Plan-Kopien und Exemplar-basierten Kopien können bei der Erzeugung der je geforderten signifikanten Ähnlichkeit abgeleitete Intentionen zum Tragen kommen. Eine Exemplar-basierte Kopie eines bestimmten Exemplars etwa könnte mit einem ausschließlich zu diesem Zweck hergestellten 3D-Scanner erzeugt werden, der das Exemplar scannt und die entsprechenden Daten anschließend an einen Computer sendet. Wird der Scanner durch einen Kurzschluss ausgelöst, so geht die Ähnlichkeit der Realisierungen seiner Hervorbringung zu dem als
Zur Definition
Vorlage dienenden Exemplar auf eine abgeleitete Intention zurück. Auch hier gilt allerdings, dass ein 3D-Scanner, der zum Scannen beliebiger Gegenstände dient, keine Exemplar-basierte Kopie hervorbringt, wenn jemand lediglich irgendeinen Gegenstand im Scanner vergessen hat, der dann durch einen Kurzschluss ein weiteres Mal gescannt wird. Schließlich kann auch eine Design-Plan-Kopie ihre signifikante Ähnlichkeit zur Vorlage abgeleiteten Intentionen verdanken. Denn auch Design-Pläne können technisch – etwa mithilfe von Software – kopiert werden. Zu denken ist etwa an die Software Band-in-a-Box, in die mithilfe einer Manifestation ein Design-Plan für ein Musikstück eingepflegt werden kann, von dem dann nach den Vorgaben der_des Kopierenden (etwa bzgl. des Musikstils oder der Taktart) eine leicht abgewandelte Design-Plan-Kopie erstellt werden kann, von der sich mit dem Programm eine Manifestation erzeugen lässt, etwa in Form eines Leadsheets. Wir könnten uns nun eine Software denken, die darauf ausgelegt ist, einen Design-Plan eines ganz bestimmten Stücks in bestimmter Weise zu kopieren. Wird diese spezielle Software durch einen Software-Defekt in Gang gesetzt, so kann der durch sie hervorgebrachte Design-Plan als Kopie gelten. Greift jedoch Band-in-a-Box aufgrund eines Software-Defekts auf eine beliebige Partitur zu, die auf meinem Computer gespeichert ist, liest die Partitur ein und dupliziert so den in ihr manifestierten Design-Plan, so handelt es sich dabei nicht um eine Design-Plan-Kopie. Für die konkrete Anwendung der Definition von Artefaktkopie ergibt sich damit die folgende Maßgabe: Auch abgeleitete Intentionen können die signifikante Ähnlichkeit verursachen, die für Artefaktkopien jeweils erforderlich ist. Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn es darum geht, Fälle, in denen abgeleitete Intentionen die signifikante Ähnlichkeit verursachen, von Fällen zu unterscheiden, in denen die signifikante Ähnlichkeit nicht auf Intentionen zurückgeführt werden kann. Aus der Diskussion lässt sich zur Unterscheidung dieser Fälle der folgende Anhaltspunkt gewinnen: Sofern der Gegenstand y, dessen Status als Artefaktkopie (auf der Basis) eines Artefakts x in Frage steht, von einem Gerät hervorgebracht wird, das zur Produktion von Artefaktkopien des Artefakts x gebaut wurde oder im Zeitraum der Entstehung des Gegenstands y ausschließlich der Produktion von Artefakt kopien des Artefakts x dient, können wir auch dann davon ausgehen, dass y eine Artefaktkopie (auf der Basis) des Artefakts x ist, wenn das Gerät ohne Absicht ausgelöst wurde. Ist das Gerät hingegen nicht auf die Produktion von Artefaktkopien (auf der Basis) des Artefakts x ausgelegt bzw. wird das Gerät nicht allein dazu genutzt, so ist y keine Artefaktkopie, da keine abgeleiteten Intentionen als Ursachen der jeweils geforderten signifikanten Ähnlichkeit gegeben sind.
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Der zweite strittige Beispielfall, bei dem in Frage steht, ob wir die bestehende signifikante Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen auf eine Intention zurückführen können, ist der Fall der doppelten Lolita. Betrachten wir die folgende Erzählung: Ein kultivierter Mann erzählt die Geschichte eines coup de foudre. Sie beginnt damit, dass er ins Ausland reist, wo er sich in einer Pension einmietet. Als sein Blick die Tochter des Hauses trifft, ist es um ihn geschehen. Sie ist ein blutjunges Mädchen, dessen Reizen er augenblicklich verfällt. Ungeachtet ihres zarten Alters hat er eine intime Beziehung mit ihr. Am Ende stirbt sie, und der Erzähler bleibt, für immer von ihr gezeichnet, alleine zurück. Der Name des Mädchens gibt der Geschichte zugleich den Titel – Lolita.101
Diese Erzählung dürfte so manchem bekannt vorkommen. Die Zeilen, die sie zusammenfassen, stammen aus der Feder des Literaturwissenschaftlers Michael Maar. Entgegen naheliegender anderweitiger Vermutungen handelt es sich dabei jedoch nicht um eine Zusammenfassung des weltberühmten Romans Lolita des russischen Schriftstellers Vladimir Nabokov, sondern vielmehr um das Resümee der neunten von fünfzehn Erzählungen aus dem Sammelband Die verfluchte Gioconda des Berliner Autors Heinz von Lichberg – die Kurzgeschichte erschien 40 Jahre vor Nabokovs Roman Lolita.102 Michael Maar spricht von drei Möglichkeiten, wie die Übereinstimmungen zwischen von Lichbergs Kurzgeschichte und Nabokovs Roman zustande gekommen sein könnten103: Die erste Möglichkeit besteht darin, dass es sich schlicht um einen unwahrscheinlichen Zufall handelt. Die zweite Möglichkeit ist, dass Nabokov die Erzählung zwar kannte, jedoch zwischenzeitlich vergessen hat. Zu einem späteren Zeitpunkt sind ihm dann Elemente der Geschichte in den Sinn gekommen, ohne dass ihm klar war, dass diese Elemente der Geschichte eines Dritten entstammen. Die dritte Möglichkeit schließlich besteht darin, dass Nabokov die Erzählung kannte und bewusst Elemente daraus übernahm. Wir wollen uns hier auf die zweite Möglichkeit konzentrieren: Nehmen wir einmal an, dass Nabokov von Lichbergs Erzählung zwar kannte, dass er die 101
Maar 2005, 12 f. Maar 2005, 13. 103 Vgl. Maar 2005, 35. Es gebe, so Maar, zumindest so lange nur diese drei möglichen Antworten, »bis uns jemand eine vierte zeigt« (Maar 2005, 35). Tatsächlich könnte es durchaus noch eine vierte Antwort geben: Es wäre möglich, dass beide Geschichten auf eine dritte Erzählung zurückgehen. An dieser Stelle soll uns diese Antwort jedoch ebenso wenig interessieren wie die erste und die dritte Antwort Maars, denn für unser Erkenntnisinteresse spielt allein die zweite Antwort eine Rolle. 102 Vgl.
Zur Definition
Elemente, auf die Maar aufmerksam macht, jedoch tatsächlich unbewusst übernommen hat. Dieses Phänomen der unbewussten Übernahme wird in der modernen Psychologie als »Kryptomnesie« bezeichnet104; es ist keineswegs ungewöhnlich. Es ist nun eine Sache, danach zu fragen, ob Nabokov moralisch für die Übernahme verantwortlich gemacht werden kann. Diese Frage fällt jedoch nicht mit der Frage zusammen, ob es sich bei Nabokovs Lolita um eine Artefaktkopie handelt oder nicht. Kann Nabokov tatsächlich eine Artefaktkopie hervorgebracht haben, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein? Stünde dies nicht im Widerspruch zu der Erkenntnis, dass unter den Ursachen der jeweils geforderten signifikanten Ähnlichkeiten bei allen Artefaktkopien Intentionen zu finden sein müssen? Verpflichtet uns die Auffassung, dass Nabokovs Lolita eine Artefaktkopie sei, gar auf die Annahme unbewusster Intentionen? Um feststellen zu können, ob Nabokovs Lolita auch dann eine Artefaktkopie sein kann, wenn er sich nicht bewusst war, dass er einen Kopierakt vollzog, sollten wir zunächst einmal eruieren, mit welcher Art von Artefaktkopie wir es hier überhaupt zu tun haben könnten. Der Roman Lolita selbst, das literarische Werk, ist ein abstraktes Artefakt, ein Design-Plan. Es könnte sich dabei also um eine Exemplar-basierte Kopie oder eine Design-Plan-Kopie handeln. Nun wäre es nicht ausgeschlossen, dass Nabokov Zugang zum Design-Plan hatte, der von Lichbergs Erzählung zugrunde liegt. Er könnte etwa auf einer Parkbank eine Manifestation dieses Design-Plans gefunden haben.105 Sofern sich dies so ereignet hat, könnte es sich bei Lolita unter gewissen Umständen, auf die ich gleich zu sprechen komme, um eine Design-Plan-Kopie handeln, obwohl Nabokov sich nicht bewusst war, dass er kopierte. Kommen wir aber zunächst noch auf die zweite allgemeine Art der Artefaktkopien zu sprechen, der Lolita angehören könnte: Wahrscheinlicher ist ohne Frage, dass Nabokov in den Besitz eines Exemplars der Kurzgeschichte kam und sie las. In diesem Falle wäre die Vorlage konkret und die mögliche Artefaktkopie abstrakt – wir 104 Vgl.
Maar 2005, 36. Bei literarischen Werken erschöpft sich der Design-Plan nicht im Text – eine Realisierung ist damit auch keine Manifestation. Denn der Design-Plan muss angeben, welche Elemente für gelungene Realisierungen notwendig sind. Selbst, wenn der Text Buchstabe für Buchstabe festgelegt ist, so bedarf der Design-Plan also eines Zusatzes, dass eine Realisierung zwingend jeden dieser Buchstaben in der angegebenen Reihenfolge aufweisen muss. Zudem können darüber hinaus weitere Bedingungen für gelungene Realisierungen angegeben werden, etwa typographische Vorgaben. Andererseits muss ein Design-Plan für ein literarisches Werk nicht zwingend einen bestimmten Text seiner Realisierungen vorgeben – er kann sich etwa auch darauf beschränken, den Plot sehr genau anzugeben, ohne zugleich wortwörtlich jede Formulierung festzulegen, mit der dieser Plot wiedergegeben wird. 105
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hätten es mit einer Exemplar-basierten Kopie zu tun. Auch eine solche Kopie könnte Nabokov hervorgebracht haben, ohne zu bemerken, dass er kopierte, wie wir gleich sehen werden. Kommen wir zunächst zum ersten Szenario: Nabokov erlangt über eine Manifestation Zugang zum Design-Plan. Eine Möglichkeit, wie sich dies ereignet haben könnte, ist oben bereits angeklungen: Nabokov findet auf einer Parkbank eine Manifestation des Plans, etwa einen mit Schreibmaschine getippten Zettel, auf dem der Plot der Erzählung von Lichbergs zu finden ist. Aber auch andere Möglichkeiten sind denkbar. Nabokov hätte z. B. über eine mündliche Manifestation Kenntnis vom Design-Plan erlangen können; etwa, indem er im Zug sitzend ein Gespräch von zwei Mitfahrern mithört, wobei der eine – von Lichberg – einem anderen den Design-Plan für seine Kurzgeschichte mündlich auseinanderlegt. Schließlich hätte von Lichberg Nabokov sogar selbst mittels einer solchen mündlichen Manifestation Zugang zum Plan verschaffen können. Wäre es in solchen Fällen denkbar, dass Nabokov unbewusst eine Design-Plan-Kopie anfertigt? Dies ist ganz klar zu bejahen. Wir können uns schließlich ohne Weiteres vorstellen, dass Nabokov vergisst, dass von Lichbergs Design-Plan der Design-Plan eines Dritten ist: Er könnte sich an den Design-Plan erinnern, der ihm seinerzeit über die mündliche Manifestation zugänglich gemacht wurde, und irrtümlich annehmen, er habe diesen Design-Plan selbst entwickelt. Oder er findet die schriftliche Manifestation unter seinen Notizen und hält sie für seine eigene Notiz – wobei ihn auch der Umstand, dass sie nicht seine Handschrift aufweist, nicht weiter irritiert, weil die Notiz mit der Schreibmaschine getippt wurde. In beiden Fällen kann Nabokov nun auf der Grundlage einer Manifestation des Design-Plans der Kurzgeschichte einen neuen Design-Plan entwickeln – den Design-Plan für seine Lolita. In beiden Fällen sind damit die drei Bedingungen für den Design-Plan-Kopie-Status zweifelsohne erfüllt: Von Lichbergs Design-Plan und Nabokovs Design-Plan sind einander in signifikanter Weise ähnlich, wobei die Signifikanz der Ähnlichkeit für Expert_innen ersichtlich sein dürfte, die sich auf dem Gebiet der Literatur auskennen und denen Manifestationen der Design-Pläne zum Vergleich vorliegen. Also ist (SÄB") erfüllt. Auch wurde Nabokovs Design-Plan mit der Intention hergestellt, einen dem Design-Plan von Lichbergs signifikant ähnelnden Plan hervorzubringen, und unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit zwischen den beiden Plänen findet sich diese Intention – damit ist (SBIUÄ) erfüllt. Schließlich ist Nabokov nicht zugleich der Urheber des Design-Plans für die Kurzgeschichte – obwohl er glaubt, es zu sein. Auch ist Nabokov zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung seines Design-Plans nicht der Inhaber der Rechte am Design-Plan der Kurzgeschichte. Somit ist schließlich auch (SBHK')
Zur Definition
erfüllt. Es zeigt sich also, dass Nabokov weder beabsichtigen muss, eine Kopie anzufertigen, noch sich dessen bewusst sein muss, dass er kopiert: Eine Design-Plan-Kopie kann auch entstehen, wenn die_der Kopierende fälschlicherweise glaubt, die_der Urheber_in des als Vorlage dienenden Design-Plans zu sein. Nun könnte Lolita aber ebenso gut auch eine Exemplar-basierte Kopie sein, die Nabokov angefertigt hat, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass er kopiert. Wir können uns schließlich vorstellen, dass Nabokov ein mit der Schreibmaschine getipptes Exemplar der Kurzgeschichte besitzt, das keinerlei Aufschluss über den Autor der Geschichte gibt. Dieses Exemplar könnte Nabokov in seinen Unterlagen entdeckt und für seine eigene Geschichte gehalten haben. Auch in diesem Fall können wir Nabokovs Lolita problemlos als Artefaktkopie auffassen, denn die Bedingungen für den Status einer Exemplar-basierten Kopie sind fraglos erfüllt: Das Exemplar der Kurzgeschichte und die Realisierungen von Nabokovs Lolita ähneln einander in signifikanter Weise, wie Expert_innen auf dem Gebiet der Literatur ohne Weiteres feststellen können, und das Exemplar der Kurzgeschichte und die Realisierungen von Nabokovs Lolita gehören demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände an. Also ist die Bedingung (SÄB"') erfüllt. Auch hat Nabokov seine Lolita mit der Intention hervorgebracht, etwas zu produzieren, dessen Realisierungen dem Exemplar der Kurzgeschichte signifikant ähneln, und unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit der Realisierungen von Nabokovs Lolita und des Exemplars der Kurzgeschichte ist diese Intention, sodass (SBIUÄ") erfüllt ist. Schließlich ist auch (SBHK") erfüllt, da Nabokov nicht der Urheber des Design-Plans ist, den das Exemplar der Kurzgeschichte realisiert, und zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung seiner Lolita auch nicht die Rechte an diesem Design-Plan hat. Auch in diesem Fall gilt: Dass Nabokov sich nicht darüber im Klaren ist, dass der Design-Plan, den sein Exemplar der Kurzgeschichte realisiert, gar nicht aus seiner Feder stammt, ändert nichts daran, dass es sich bei seiner Lolita um eine Artefaktkopie (d. h. in diesem Fall: um eine Exemplar-basierte Kopie) handelt. Wir können also festhalten, dass die Entstehung abstrakter Artefaktkopien nicht voraussetzt, dass die_der Kopist_in sich dessen bewusst ist, dass sie_er kopiert. Wie aber verhält es sich mit Artefaktkopien konkreter Natur? Variieren wir die oben diskutierten Fälle etwas, so wird deutlich, dass auch diese Kopien entstehen können, ohne dass die_der Kopist_in sich darüber im Klaren ist, dass sie_er kopiert. Nabokov hätte etwa sein Exemplar der Kurzgeschichte heranziehen können, um mittels eines der bereits damals verfügbaren Kopiergeräte eine Exemplarkopie herzustellen. Mit der signifikanten Ähnlichkeit zwischen dem Exemplar und der mit dem Kopiergerät erzeugten
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Was ist eine Artefaktkopie?
Hervorbringung Nabokovs, die einschlägige Expert_innen feststellen können, und dem Umstand, dass das Exemplar und die Hervorbringung demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören, ist (SÄB) erfüllt. Da die Hervorbringung mit der Intention hergestellt wurde, einen dem Exemplar signifikant ähnelnden Gegenstand zu produzieren, und sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit diese Intention findet, ist (SBIUÄ) erfüllt. Schließlich ist Nabokov zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung seiner Hervorbringung kein autorisierter Exemplar-Urheber, sodass auch (SBHK) erfüllt ist. Auch Exemplarkopien können somit in die Welt kommen, ohne dass die_der Kopierende weiß, dass sie_er kopiert. Ebenso hätte Nabokov den mündlich überlieferten oder in der Schreibmaschinen-Notiz manifestierten Design-Plan nutzen können, um eine DesignPlan-basierte Kopie zu entwickeln, indem er allein den Vorgaben des DesignPlans Folge geleistet und ihnen nichts hinzugefügt hätte. Denn seine konkrete Hervorbringung hätte den diesen Design-Plan realisierenden Exemplaren aus Expert_innensicht signifikant ähneln und demselben generellen Typ perzeptiv zugänglicher Gegenstände angehören können wie diese Exemplare, sodass (SÄB') erfüllt wäre. Auch hätte Nabokov seine konkrete Hervorbringung mit der Intention herstellen können, den Design-Plan zu realisieren, sodass er genuinen Exemplaren signifikant ähnelt – ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass er selbst kein genuines Exemplar produziert –, und diese Intention hätte sich unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit finden können, womit (SBIUÄ') erfüllt wäre. Da Nabokov kein autorisierter Exemplar-Urheber ist, wäre schließlich auch (SBHK) erfüllt gewesen. Auch eine Design-Plan- basierte Kopie kann also entstehen, ohne dass die_der Kopierende sich dessen bewusst ist, dass sie_er kopiert. Ein_e Kopist_in kann also problemlos eine Artefaktkopie einer beliebigen allgemeinen Art hervorbringen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Denn unter den Ursachen der jeweils geforderten signifikanten Ähnlichkeiten müssen zwar bei allen Artefaktkopien Intentionen zu finden sein – aber diese Intentionen müssen sich nicht auf das Anfertigen einer Kopie richten, sondern nur auf das Erzeugen der jeweils geforderten signifikanten Ähnlichkeit. Daher verpflichtet uns die Auffassung, dass Nabokovs Lolita eine Artefaktkopie ist, auch nicht auf die Annahme unbewusster Intentionen. Die Definition (AK) kann somit auch in Fällen Anwendung finden, in denen ein_e Kopist_in sich über ihren_seinen Status als solche_r nicht im Klaren ist – Artefaktkopien können auch durch unbewusstes Kopieren entstehen.
Zur Definition
Wie lassen sich die einschlägigen Expert_innen ermitteln, die über das Vorliegen einer signifikanten Ähnlichkeit urteilen?
In der Definition des Begriffs Artefaktkopie kommt Expert_innen eine Schlüsselrolle zu: Ihnen obliegt es, darüber zu befinden, ob die entsprechende signifikante Ähnlichkeit vorliegt, die es erlaubt, von einer Artefaktkopie zu sprechen. Wie der Definition zu entnehmen ist, müssen die Expert_innen über Expertise hinsichtlich des gemeinsamen Gebiets verfügen, aus dem die Gegenstände stammen, deren signifikante Ähnlichkeit zueinander in Frage steht: Im Falle von Exemplarkopien und Design-Plan-Kopien geht es um das Gebiet, dem die Kopie und ihre Vorlage angehören; im Falle von Design-Plan-basierten Kopien geht es um das Gebiet, dem die Realisierungen der Vorlage und die Kopie zugeordnet werden können; im Falle Exemplar-basierter Kopien geht es um das Gebiet, dem die Vorlage und die Realisierungen der Kopie zuzurechnen sind. Wie aber lässt sich ermitteln, wer als einschlägige_r Expert_in in Frage kommt, um die Frage nach dem Vorliegen einer signifikanten Ähnlichkeit für das jeweilige Gebiet kompetent zu beantworten? Diese Frage, deren Beantwortung für die praktische Anwendbarkeit der Definition (AK) von äußerster Relevanz ist, lässt sich in zwei Teilfragen unterteilen. Die erste Teilfrage betrifft den Begriff der_des Expert_in: Was zeichnet eine_n Expert_ in überhaupt aus? Die zweite Teilfrage bezieht sich auf das Gebiet, auf dem die Expertise gefragt ist: Wie lässt sich eigentlich ermitteln, welches Gebiet es ist, auf dem Expertise verlangt wird? Ein recht allgemeines Gebiet lässt sich zumeist ohne Weiteres finden. Allerdings ist zu klären, wie spezifisch das gemeinsame Gebiet bestimmt werden sollte. Denn daran, wie das Gebiet im Einzelnen bestimmt wird, entscheidet sich auch, wer überhaupt als Expert_ in herangezogen werden kann, um darüber zu befinden, ob zwischen einer möglichen Artefaktkopie und ihrer potenziellen Vorlage, einer Artefaktkopie und genuinen Realisierungen ihrer Vorlage bzw. genuinen Realisierungen der Artefaktkopie und der Vorlage eine signifikante Ähnlichkeit besteht. Kommen wir zunächst zur Beantwortung der ersten Teilfrage. Wir können dazu auf einen Beitrag zur Philosophie der Expertise von Christian Quast zurückgreifen, in dem sich eine Definition des Expert_innenbegriffs findet, die nicht nur für sich genommen überzeugen kann, sondern für unsere Zwecke zudem als besonders geeignet erscheint. Die Definition lautet wie folgt:
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Was ist eine Artefaktkopie?
(ExpertiseF-C-P) Someone is an expert for a range of products (or tasks) r if and only if she is an authority concerning r and competent enough to reliably and creditably fulfill difficult service- activities within r accurately for which she is particularly responsible.106 Im Lichte dessen, was wir im Alltag unter einer_einem Expert_in verstehen, und der tatsächlichen Aufgaben, die wir Expert_innen in alltäglichen Kontexten übertragen, kann die Definition für sich genommen ohne Frage überzeugen: Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass ein_e Expert_in im Hinblick auf ein Gebiet gegenüber Dritten, die auf dem fraglichen Gebiet nicht über Expertise verfügen, eine Autorität hat.107 Zudem verfügt die_der Expert_in über die nötigen Kompetenzen auf diesem Gebiet, die ihr_ihm dazu verhelfen, die ihr_ihm übertragenen Aufgaben verlässlich zu lösen108, wobei die in der Lösung der Aufgaben bestehenden Leistungen ihr_ihm zugerechnet werden können.109 Ein_e Expert_in muss außerdem ihrer_seiner speziellen Verantwortung gerecht werden.110 Zu den »service activities« von Expert_innen zählt nun auch das Urteilen über das Vorliegen signifikanter Ähnlichkeiten, wenn es darum geht, zu ermitteln, ob ein Artefakt eine Artefaktkopie eines anderen Artefakts ist oder nicht. Insofern lässt sich die Definition für unsere Fragestellung fruchtbar machen: Ob jemand ein_e Expert_in auf einem bestimmten Gebiet – einer »range of products r« – ist, können wir anhand der Definition (ExpertiseF-C-P) feststellen. Dazu müssen wir jedoch offenkundig das Gebiet kennen, auf dem jemand ein_e Expert_in sein muss, um für das Ausführen der gewünschten »service activity« geeignet zu sein. Damit kommen wir zur zweiten Teilfrage, die im Folgenden beantwortet werden soll. Wie können wir die »range of products r«, in Bezug auf die die Expertise gefragt ist, nun im Einzelnen bestimmen, wenn es uns darum geht, in Erfahrung zu bringen, ob die für eine Artefaktkopie geforderte signifikante Ähnlichkeit tatsächlich gegeben ist? Die Beantwortung dieser Frage ist von besonderer praktischer Relevanz, wie sich im Folgenden zeigen wird – und ihre Beantwortung fällt weniger leicht, als es zunächst erscheinen könnte: Muss jemand, die_der über die Frage nach dem Vorliegen einer signifikanten Ähnlichkeit zwischen Marvin Gayes Song Got to Give It Up und dem Song Blurred Lines entscheidet, ein_e Expert_in auf dem Gebiet der Musik sein? Oder 106 Quast
2016, 14. Quast 2016, 11. 108 Vgl. Quast 2016, 12. 109 Vgl. Quast 2016, 13. 110 Vgl. Quast 2016, 14. 107 Vgl.
Zur Definition
auf dem Gebiet der populären Musik? Oder gar auf dem Gebiet der Funkund Soulmusik? Im Hinblick auf Entitäten, deren Status als Artefaktkopie in Frage steht, ist die genaue Bestimmung des Gebiets und die damit einhergehende Auswahl der Expert_innen von hoher Relevanz. Denn die Urteile der Expert_innen über diese Entitäten fallen besonders ins Gewicht: Der Produktion von Artefaktkopien kommt das Potenzial zu, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen zu verletzen. Der_dem Produzierenden eines Artefakts, dessen Artefaktkopiestatus in Frage steht, kann daher daran gelegen sein, abzustreiten, dass das von ihr_ihm produzierte Artefakt eine Artefaktkopie eines anderen Artefakts ist. Denn als Artefaktkopie kann ihr_sein Produkt die Bestimmungsrechte verletzen, die mit dem anderen Artefakt verbunden sind. Eine naheliegende Möglichkeit, den Artefaktkopiestatus zu bestreiten, ist die Zurückweisung der Behauptung, dass ihr_sein Produkt und das andere Artefakt einander signifikant ähneln, wie es für eine Artefaktkopie erforderlich wäre. Entsprechend bestritten auch Robin Thicke und Pharell Williams, dass ihr Song Blurred Lines Marvin Gayes Got to Give It Up signifikant ähnelt: »Pharrell told The Associated Press on Thursday night that the two songs are not similar at all. ›If you read music, all you have to do is read the sheet music. It’s completely different‹«111. Oft sind es Fälle wie dieser, in denen Expert_innen hinzugezogen werden, um in der Frage nach der signifikanten Ähnlichkeit zweier Artefakte ein Urteil zu fällen. An dieser Frage kann sich entscheiden, ob die Herstellung eines Artefakts die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzt hat oder nicht. Insofern kommt Expert_innen, die über die Frage nach der signifikanten Ähnlichkeit einer möglichen Kopie und ihrer potenziellen Vorlage ein Urteil fällen, eine große Verantwortung zu. Aus diesem Grunde sollten wir stets sorgfältig erwägen, für welches Gebiet wir eine_n Expert_in benötigen, die_der über die Frage nach dem Vorliegen einer signifikanten Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen befinden soll. Wie aber können wir das gemeinsame Gebiet bestimmen? Die Maßgabe sollte sein, dass das Gebiet so allgemein wie nötig und so spezifisch wie möglich bestimmt wird: Suchen wir nach dem Gebiet, auf dem Expertise gefragt ist, so sollten wir gewissermaßen nach dem ›kleinsten gemeinsamen Nenner‹ der Gegenstände suchen, deren signifikante Ähnlichkeit zueinander auf dem Prüfstand steht. Dabei können wir bei einem allgemeinen Gebiet anfangen und davon ausgehend Schritt für Schritt nach spezifischeren Gebieten suchen: Im Falle von Got to Give It Up und Blurred Lines können wir zunächst feststellen, dass beide dem sehr allgemeinen Gebiet der Musik angehören. 111 http://www.billboard.com/articles/news/5695041/pharrell-denies-blurred-lines-co-
pies-marvin-gaye-its-completely-different, (abgerufen am 11.8.2021).
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In einem nächsten Schritt können wir das speziellere Gebiet der populären Musik ausmachen, dem ebenfalls beide Entitäten angehören. Wir können das Gebiet dann noch weiter spezifizieren, indem wir feststellen, dass beide Entitäten der Funk- und Soulmusik zuzuordnen sind. Wenn wir allerdings einen weiteren Schritt wagen und beide Entitäten dem Gebiet der klassischen Soulmusik zuordnen, dann gehen wir einen Schritt zu weit: Zwar mag Got to Give It Up diesem Gebiet angehören – Blurred Lines aber ist eher zeitgenössischer R&B als klassischer Soul. An diesem Beispiel zeigt sich nicht nur, wie sich die Suche nach dem Gebiet vollziehen kann, auf dem ein_e Expert_in benötigt wird – es wird auch deutlich, dass mit der Auswahl der_des Expert_in manchmal ebenfalls ein_e Expert_in betraut werden sollte, da Lai_innen mitunter schon die Auswahl des ›kleinsten gemeinsamen Nenners‹ vor Probleme stellen kann: Lai_innen können unter Umständen weder wissen, welcher Schritt der nächste zu einem spezifischeren Gebiet ist, noch, wann das spezifischste Gebiet gefunden ist, dem beide Entitäten angehören. Aus diesem Grunde sollte ggf. auch die Wahl der Expert_innen von Expert_innen vorgenommen werden. Zudem sollten wir Expert_innen die Möglichkeit geben, sich für nicht zuständig zu erklären, wenn sie der Auffassung sind, dass das Gebiet nicht angemessen bestimmt worden ist und die Expert_innen sich aus diesem Grunde nicht für kompetent halten, hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen einer signifikanten Ähnlichkeit eine Entscheidung zu fällen. Schließlich ist es in unserem Interesse, ein möglichst kompetentes Urteil darüber zu erhalten, ob eine signifikante Ähnlichkeit vorliegt oder nicht.
3.2 Zur Ontologie der Artefaktkopien
Die Definition des Begriffs Artefaktkopie lässt bereits erkennen, dass die unter ihn fallenden Entitäten ontologisch vielfältig sind. Das folgende Kapitel zielt darauf ab, diese Vielfalt näher zu beleuchten. Dabei soll vor allem die Relation im Vordergrund stehen, die eine Artefaktkopie als solche zu ihrer Vorlage hat, und weniger der Umstand, dass es sich bei ihr um ein konkretes oder um ein abstraktes Artefakt handelt. Denn darüber, was Exemplarkopien und Design-Plan-basierte Kopien als konkrete Artefakte auszeichnet und was Design-Plan-Kopien sowie Exemplar-basierte Kopien als abstrakte Artefakte ausmacht, gibt bereits das Kapitel 2.2 ausführlich Auskunft. Ein primäres Erkenntnisinteresse dieses Kapitels richtet sich stattdessen auf die je spezifischen Relationen, in denen die Artefaktkopien der vier allgemeinen Arten jeweils zu ihren Vorlagen stehen. Denn Artefaktkopien sind Entitäten, für
Zur Ontologie der Artefaktkopien
deren ontologische Beschaffenheit die Relation zu einer anderen Entität – ihrer Vorlage – entscheidend ist. Aus den Bedingungen (SBHK), (SBHK') und (SBHK") geht hervor, dass das Spezifische der Relation zwischen einer Artefaktkopie und ihrer Vorlage eine Sache der Urheber_innenschaft ist: Damit es sich bei einem Gegenstand um eine Artefaktkopie handelt, muss deren_dessen Urheber_in ein_e Kopist_in sein. Wie sich zeigen wird, ist zur Beantwortung der Frage, ob die_der Urheber_in eines Gegenstands ein_e Kopist_in ist oder nicht, in erster Linie zu prüfen, ob die_der fragliche Urheber_in zugleich die_der Urheber_in der Vorlage und Inhaber_in der Rechte daran bzw. die_der Urheber_in des durch die Vorlage realisierten Design-Plans und Inhaber_in der Rechte daran oder aber die_der Inhaber_in der Rechte an der Vorlage bzw. Inhaber_in der Rechte am durch die Vorlage realisierten Design-Plan ist.112 In diesem Zusammenhang ist die von mir eingeführte Unterscheidung zwischen Fremd- und Selbstkopien aufschlussreich, die ich jeweils individuell für die vier verschiedenen Arten von Artefaktkopien ausbuchstabiere. Die Vorlagen von Artefaktkopien sind jedoch nicht allein für die Einsicht in die artefaktkopiespezifischen Relationen entscheidend: Auch zum Verständnis der Genese von Artefaktkopien bedarf es eines Blicks auf ihre Vorlagen. Um die Seinsweise der Artefaktkopien umfassend zu erfassen, müssen wir auch den Umständen Beachtung schenken, unter denen sie in die Welt kommen können: Die charakteristischen Merkmale von Artefaktkopien ergeben sich insofern auch aus den Besonderheiten ihrer Herstellung, als dabei die Relationen zu den für ihre Seinsweise so maßgeblichen Vorlagen allererst entstehen. Aber es soll in diesem Kapitel nicht nur um Artefaktkopien, ihre Relationen zu ihren Vorlagen und ihre Herstellung gehen, sondern auch um bestimmte Relationen von Artefaktkopien untereinander. Die Relationen, die hier von Interesse sind, sind die Realisierungsrelationen zwischen abstrakten und konkreten Artefaktkopien: Abstrakte Artefaktkopien können durch konkrete Artefaktkopien realisiert werden. Zum Verständnis der Genese von Artefaktkopien ist die Kenntnis dieser Relationen unabdingbar. Aber die Realisierungen abstrakter Artefaktkopien sind nicht zwingend selbst Artefaktkopien, 112 Zur
Beantwortung der Frage, ob wir es bei einem konkreten Gegenstand mit einer Artefaktkopie zu tun haben, müssen wir darüber hinaus noch etwas anderes prüfen, wie wir im Folgenden sehen werden: Ein konkretes Artefakt kann auch dann ein genuines Exemplar sein, wenn sein_e Urheber_in weder die_der Urheber der Vorlage bzw. die_der Urheber_in des durch die Vorlage realisierten Design-Plans ist noch die Rechte an der Vorlage hat bzw. die_der Inhaber_in der Rechte am durch die Vorlage realisierten DesignPlan ist. Denn auch dann kann die_der Urheber_in des konkreten Artefakts ein autorisierter Exemplar-Urheber sein.
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und konkreten Artefaktkopien können auch abstrakte Artefakte vorausgehen, die keine Artefaktkopien sind. Im Kapitel 3.3 wird dies eine zentrale Rolle spielen – aus diesem Grunde gilt es zu klären, unter welchen Umständen es sich bei der Realisierung einer abstrakten Artefaktkopie ebenfalls um eine Artefaktkopie handelt und wann einer konkreten Artefaktkopie eine abstrakte Artefaktkopie vorausgeht. Im Rahmen der nachfolgenden Überlegungen beschränke ich mich auf eine Untersuchung der Relationen zwischen Artefaktkopien und anderen Artefakten, bei deren Erzeugung nicht mehr als ein_e Kopist_in involviert ist113, da bei der Betrachtung dieser Gegenstände und ihrer Genese besonders klar hervortritt, warum die Kopierhandlungen, die in Kapitel 3.3 zur Sprache kommen, jeweils zumutbare oder unzumutbare Verletzungen von Urheber_innen-Bestimmungsrechten darstellen. Analog zum Aufbau des Kapitels 2.2 nimmt auch dieses Kapitel zunächst die abstrakten Entitäten in den Blick: Im Abschnitt 3.2.1 widme ich mich der Ontologie der abstrakten Artefaktkopien, also der Design-Plan-Kopien und der Exemplar-basierten Kopien – der Abschnitt 3.2.2 dient der Untersuchung der Ontologie der konkreten Artefaktkopien, d. h. der Exemplarkopien und der Design-Plan-basierten Kopien.
3.2.1 Abstrakte Artefaktkopien
Zu den abstrakten Artefaktkopien zählen Design-Plan-Kopien auf der einen und Exemplar-basierte Kopien auf der anderen Seite. Abstrakte Artefaktkopien sind zunächst einmal abstrakte Artefakte: Es handelt sich bei ihnen um Design-Pläne. Als solche treffen die Erkenntnisse auf sie zu, die wir im Abschnitt 2.2.1 gewonnen haben. Um die Seinsweise der abstrakten Artefaktkopien zu erhellen, bedarf es jedoch mehr als der Rekapitulation der Erkenntnisse aus Abschnitt 2.2.1: Abstrakte Artefaktkopien zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, dass sie ihre Existenz den Anstrengungen einer_ eines Kopist_in verdanken. Wie wir den Bedingungen (SBHK') und (SBHK") aus der Definition (AK) entnehmen können, ist ein abstraktes Artefakt genau dann die Hervorbringung einer_eines Kopist_in, wenn sein_e Urheber_in nicht zugleich die_der Urheber_in der Vorlage bzw. des der Vorlage zugrunde liegenden Design-Plans ist und zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung 113 Grundsätzlich
kann es sich dabei auch um ein Kopist_innenkollektiv handeln. Wichtig ist lediglich, dass nicht zwei distinkte Kopist_innen beteiligt sind, denn in solchen Fällen kommen bei der moralischen Bewertung Aspekte zum Tragen, die das Kopieren allenfalls indirekt betreffen. In Kapitel 3.3 begründe ich, warum dies der Fall ist.
Zur Ontologie der Artefaktkopien
des in Rede stehenden Artefakts zudem nicht die Rechte an der Vorlage bzw. am der Vorlage zugrunde liegenden Design-Plan innehat. In dieser Charakterisierung klingt bereits an, dass für Design-Plan-Kopien und Exemplar-basierte Kopien je unterschiedlich bestimmt ist, inwiefern ihre Hervorbringung durch eine_n Kopierenden erfolgt. Denn obgleich DesignPlan-Kopien und Exemplar-basierte Kopien miteinander gemein haben, dass es sich bei ihnen um Design-Pläne handelt, unterscheiden sie sich insofern, als die Vorlagen von Design-Plan-Kopien ebenfalls Design-Pläne sind, während die Vorlagen von Exemplar-basierten Kopien Exemplare sind: Bei einer möglichen Design-Plan-Kopie müssen wir den Blick auch auf ihre mutmaßliche Vorlage richten und fragen, ob die_der Urheber_in der möglichen Design-PlanKopie zugleich die_der Urheber_in der mutmaßlichen Vorlage und Inhaber_in der Rechte daran oder zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der möglichen Design-Plan-Kopie die_der Inhaber_in der Rechte an dieser Vorlage ist. Sofern beides nicht der Fall ist, haben wir es – vorbehaltlich der Erfüllung der Bedingungen (SÄB") und (SBIUÄ) – mit einer Design-Plan-Kopie zu tun. Bei einer möglichen Exemplar-basierten Kopie hingegen ist die mutmaßliche Vorlage – das Exemplar – mittelbar von Interesse. Es fragt sich nämlich, ob der Design-Plan, den das mutmaßliche Vorlage-Exemplar realisiert, seine Existenz zugleich der_dem Urheber_in und Rechteinhaber_in der möglichen Exemplar-basierten Kopie verdankt bzw. ob die_der Urheber_in der möglichen Exemplar-basierten Kopie zum Zeitpunkt und im Kontext ihrer Entstehung die Rechte am durch die Vorlage realisierten Design-Plan hat. Trifft beides nicht zu, so handelt es sich bei dem in Rede stehenden abstrakten Artefakt – vorbehaltlich der Erfüllung der Bedingungen (SÄB"') und (SBIUÄ") – um eine Exemplar-basierte Kopie. Um dieser Differenz Rechnung zu tragen, nehme ich Design-Plan-Kopien und Exemplar-basierte Kopien jeweils für sich genommen in den Blick und arbeite die je spezifischen Relationen, die die Artefaktkopien dieser beiden Arten zu ihren Vorlagen aufweisen, genauer heraus. Es ist in erster Linie eine Frage der Urheber_innenschaft, ob zwischen zwei Gegenständen diese spezifischen Relationen bestehen oder nicht. Die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien dient mir dazu, für Design-Plan-Kopien und Exemplar-basierte Kopien jeweils die verschiedenen Varianten dieser Relationen noch deutlicher herauszustellen. Zunächst zeige ich auf, wann eine Design-Plan-Kopie eine Fremdkopie ist und wann wir es bei einer solchen Kopie mit einer Selbstkopie zu tun haben. Dabei spielt die in Abschnitt 2.2.1 gewonnene Erkenntnis, dass Design-Pläne manifestierbar sind, eine zentrale Rolle. Anschließend kläre ich, welche Exemplar-basierten Kopien Fremdkopien sind und bei welchen Exemplar-basierten Kopien es sich um Selbstkopien handelt. Da Exemplar-basierte Kopien ein Exemplar zur
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Vorlage haben, ist die Realisierbarkeit von Design-Plänen – die sich ebenfalls in Abschnitt 2.2.1 erwiesen hat – für diese Kopien entscheidend: Erst eine Realisierung eines Design-Plans ermöglicht es, eine Exemplar-basierte Kopie herzustellen. Kopien eint der Bezug zu anderen Gegenständen: Erst die je spezifische Relation zu einem weiteren Gegenstand macht eine Entität zu einer Kopie – im Falle von Design-Plan-Kopien sind diese anderen Gegenstände selbst Design-Pläne, im Falle von Exemplar-basierten Kopien handelt es sich bei ihnen um Exemplare. Ihre ontologischen Spezifika verdanken Design-PlanKopien und Exemplar-basierte Kopien auch den Besonderheiten ihrer Herstellung, insofern für die Herstellung diese anderen Gegenstände maßgeblich sind. Deshalb widme ich der Herstellung abstrakter Artefaktkopien im Folgenden einige Überlegungen. Im Falle der Herstellung von Design-Plan- Kopien erfolgt der Zugang zu den anderen Gegenständen, den Design-Plänen, in vielen Fällen vermittelt durch Manifestationen: Design-Plan-Kopien, bei denen es sich um Fremdkopien handelt, können nur entstehen, wenn Dritte mithilfe von Manifestationen einen Zugang zu den als Vorlage dienenden Design-Plänen erhalten. Aber auch für die Herstellung von Design-Plan- Kopien, die Selbstkopien sind, werden mitunter Manifestationen herangezogen, wie sich im Folgenden zeigen wird. Bei der Herstellung von Exemplar- basierten Kopien wird direkt auf Exemplare zugegriffen – unabhängig davon, ob es sich um Selbst- oder Fremdkopien handelt. Aufgrund des vielfach problemlos möglichen Zugangs zu Exemplaren kann der Versuch, diese Kopien anzufertigen, gerade für Fremdkopist_innen besonders attraktiv sein – allerdings sind solche Versuche mitunter zum Scheitern verurteilt, wie sich nachfolgend zeigen wird. Wollen wir die Ontologie der abstrakten Artefaktkopien umfassend verstehen, so sind nicht nur die spezifischen Relationen zu den Vorlagen und die Besonderheiten ihrer Entstehung von Belang – wir sollten zudem auch die Beziehungen zu ihren Realisierungen betrachten. Denn als Design-Pläne zeichnen sich sowohl Design-Plan-Kopien als auch Exemplar-basierte Kopien durch ihre Realisierbarkeit aus. Aus diesem Grunde werden wir uns zum Abschluss dieses Abschnitts ein Bild davon verschaffen, wie und durch welche Gegenstände diese beiden Arten von Kopien jeweils realisiert werden. Mit Blick auf das nachfolgende Kapitel 3.3 sind dabei diejenigen Realisierungen von primärem Interesse, die die_der Kopist_in, die_der auch für die jeweils realisierte abstrakte Kopie verantwortlich zeichnet, selbst produziert, ohne dass ein_e weitere_r Kopist_in involviert wäre. Denn wie sich in Kapitel 3.3 zeigen wird, sind Fälle, in denen nur ein_e Kopist_in tätig ist, in besonderer Weise dazu geeignet, die moralisch problematischen Aspekte des Anfertigens
Zur Ontologie der Artefaktkopien
bestimmter Kopien offenzulegen.114 Daher schließt dieser Abschnitt mit einer Untersuchung der Relationen, die Design-Plan-Kopien und Exemplar-basierte Kopien jeweils zu den konkreten Realisierungen aufweisen, die ihre Urheber_ innen selbst erzeugen. Bei der Betrachtung der möglichen Fälle wird sich zeigen, dass die Urheber_innen von Design-Plan-Kopien nicht zwingend selbst Artefaktkopien erzeugen, wenn sie ihre Design-Plan-Kopien realisieren; dies gilt sogar dann, wenn es sich bei den Urheber_innen nicht um autorisierte Exemplar-Urheber_innen handelt. Bei den Realisierungen Exemplar-basierter Kopien, die von den Urheber_innen dieser Kopien hervorgebracht werden, handelt es sich hingegen stets um Artefaktkopien, sofern die Urheber_innen keine autorisierten Exemplar-Urheber_innen sind. Design-Plan-Kopien und Urheber_innenschaft: Fremd- und Selbstkopien
In Abschnitt 2.2.1 hat sich gezeigt, dass Design-Pläne manifestierbar sind: Design-Pläne können Dritten in Form von Skizzen, Bauplänen, Beschreibungen, Partituren o.ä. zugänglich gemacht werden. In der Manifestierbarkeit von Design-Plänen liegt in zweifacher Hinsicht die Bedingung der Möglichkeit zur Anfertigung von Design-Plan-Kopien begründet: Dank der Manifestierbarkeit kann ein Design-Plan zum einen Dritten zugänglich sein, die mithilfe einer Manifestation eine Kopie des Design-Plans anfertigen können, sofern sie nicht zugleich die Rechte am Design-Plan erwerben.115 In Fällen wie diesem können wir die Design-Plan-Kopie als Fremdkopie bezeichnen, da die Kopie nicht von der_dem Urheber_in der Vorlage, sondern von fremder Hand angefertigt wurde. Zum anderen ermöglicht es die Manifestierbarkeit, die Rechte an einem Design-Plan an Dritte zu veräußern, denn das Vorliegen einer Manifestation stellt eine Voraussetzung dafür dar, den Dritten, an die die Rechte verkauft werden, den fraglichen Design-Plan zugänglich zu machen. Werden die Rechte an einem Design-Plan an eine_n Dritte_n verkauft, so bringt die_der Urheber_in dieses Design-Plans eine Design-Plan-Kopie hervor, wenn sie_er den Plan, an dem sie_er die Rechte veräußert hat, 114
Das heißt freilich nicht, dass Fälle, in denen mehrere Kopist_innen involviert sind, nicht moralisch problematisch sind – wie wir in Kapitel 3.3 sehen werden, kommen die moralisch problematischen Aspekte in diesen Fällen allerdings auch aufgrund von Handlungen zustande, die mit dem Kopieren gar nichts zu tun haben. Um das moralisch Problematische am Kopieren herauszuarbeiten, bietet sich daher der Fokus auf Fälle an, in denen die_der Kopist_in, die_der für eine abstrakte Kopie verantwortlich zeichnet, diese auch selbst realisiert. 115 Sofern Dritte die Rechte an einem Design-Plan erworben haben, bringen sie keine Design-Plan-Kopien hervor, sondern Weiterentwicklungen des Design-Plans. Ich komme auf diesen Umstand im Folgenden noch genauer zu sprechen.
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als Vorlage heranzieht, und auf dieser Grundlage einen neuen Design-Plan erstellt. In diesem Fall können wir von einer Selbstkopie sprechen, da die_der Urheber_in der Design-Plan-Kopie auch die_der Urheber_in ihrer Vorlage ist – sie_er kopiert etwas, das sie_er selbst hervorgebracht hat. Für Design-PlanKopien ist die Unterscheidung zwischen Fremd- und Selbstkopien bereits in der Bedingung (SBHK') angelegt, die sich der im Abschnitt 3.1.2 erarbeiteten Definition (AK) entnehmen lässt und die mir im Folgenden als Grundlage dient, diese Unterscheidung für Design-Plan-Kopien genauer auszubuchstabieren: Wenn ein Artefakt y eine Design-Plan-Kopie eines Design-Plans x ist, dann (SBHK') ist die_der Urheber_in von y nicht zugleich die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in von x bzw. hat die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte an x inne.
Was die Urheber_innenschaft betrifft, sind also laut (SBHK') im Falle von Design-Plan-Kopien zwei Konstellationen möglich. Zum einen kann die_der Urheber_in der Design-Plan-Kopie y von der_dem Urheber_in des als Vorlage dienenden Design-Plans x verschieden sein und nicht über die Rechte an x verfügen – dann können wir von der Design-Plan-Kopie als einer Fremdkopie sprechen: Eine Design-Plan-Kopie ist genau dann eine Fremdkopie, wenn die_der Urheber_in der Kopie nicht zugleich die_der Urheber_in ihrer Vorlage ist und auch nicht über die Rechte an der Vorlage verfügt. Um deutlich zu machen, dass eine Design-Plan-Kopie zugleich eine Fremdkopie ist, nutze ich einen Index – eine solche Kopie bezeichne ich im Folgenden als »Design-PlanKopieF«. Design-Plan-Kopien F findet man sehr häufig – etwa, wenn in der Industrie die Design-Pläne für eine Maschine kopiert werden, wie im Falle der von Francis Cabot Lowell angefertigten Design-Plan-KopieF für die von Cartwright erfundene Webmaschine, auf die ich bereits im vorhergehenden Kapitel zu sprechen gekommen bin. Wie ich in diesem Kapitel ausgeführt habe, zielen die Bemühungen von Industriespion_innen oftmals darauf ab, Design-Plan-Kopien F herzustellen. Zum anderen kann die_der Urheber_in der Design-Plan-Kopie y aber zugleich auch die_der Urheber_in des Design-Plans x sein, der als Vorlage gedient hat, sofern sie_er zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte an x innehat: Verdankt eine Design-Plan-Kopie ihre Existenz derselben_demselben Urheber_in, die_der auch für die Vorlage der Design-Plan-Kopie verantwortlich zeichnet, wobei die_der nämliche Urheber_in zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopie nicht die
Zur Ontologie der Artefaktkopien
Rechte an der Vorlage hat, so ist die Design-Plan-Kopie eine Selbstkopie. Denn die_der Urheber_in kopiert etwas, das sie_er selbst hervorgebracht hat – dass es sich dennoch um eine Kopie handelt und nicht um eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Plans, liegt darin begründet, dass zum Zeitpunkt der Entstehung von y ein_e Dritte_r die Rechte an x innehat. Um auf eine solche Design-Plan-Kopie Bezug zu nehmen, können wir ebenfalls auf einen Index zurückgreifen: Eine Design-Plan-Kopie, die eine Selbstkopie ist, bezeichne ich als »Design-Plan-KopieS«. Wie aber sieht eine Design-Plan-KopieS im Einzelnen aus? Betrachten wir den folgenden Fall, um uns davon ein Bild zu machen: Der Computerspiele-Entwickler Jeff Minter ist der Urheber des Design-Plans für das Computerspiel Tempest 2000. Diesen Design-Plan entwickelte er im Jahre 1994 im Auftrag des Spieleherstellers Atari – die Rechte am Design-Plan übertrug er an Atari. Elf Jahre später sah sich Minter einer Klageandrohung durch Atari ausgesetzt. Atari suchte den Verkauf des von Minter entwickelten und 2014 veröffentlichten Spiels TxK zu unterbinden – denn TxK weist signifikante Ähnlichkeit zu Tempest 2000 auf: »The similarities between the two ›tunnel shooters‹ are undeniable, featuring the same neon on black vector graphics, geometric shapes, and gameplay.«116 Wenn wir nun annehmen, dass Minter für TxK auf der Grundlage des Design-Plans für Tempest 2000 einen neuen Design-Plan entwickelt hat, dann haben wir es, sofern dieser neue Design-Plan die Bedingung (SÄB") und die Bedingung (SBIUÄ) erfüllt – was ohne Weiteres denkbar ist –, mit einer Design-Plan-KopieS zu tun. Denn die Rechte am Design-Plan für das Spiel Tempest 2000 liegen bei Atari – die Firma kann vollumfänglich über den Design-Plan bestimmen und hat insofern auch das Privileg, Weiterentwicklungen des Design-Plans anzufertigen (oder ihre Anfertigung zu autorisieren) und ihnen den Status eines Originals zu verleihen.117 Dieses Privileg hat Minter an Atari abgetreten – er schafft mit dem Design-Plan für TxK somit keine Weiterentwicklung des Design-Plans für Tempest 2000, sondern eine Design-Plan-KopieS.118
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Maiberg 2015. gilt jedenfalls, sofern wir annehmen können, dass sich der Zeitraum, in dem die Rechte der Firma Geltung beanspruchen können, nicht erschöpft ist – vgl. dazu Abschnitt 2.3.1. 118 Dass Minter auf der Grundlage des Design-Plans für Tempest 2000 einen DesignPlan angefertigt hat, bei dem es sich um eine Design-Plan-Kopie S handelt, ist für sich genommen noch nicht moralisch problematisch. Auf die Bedingungen, unter denen sich daraus ein moralisches Problem ergeben kann, gehe ich im folgenden Kapitel ein. 117 Das
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Exemplar-basierte Kopien und Urheber_innenschaft: Fremd- und Selbstkopien
Wie sich in Abschnitt 2.2.1 gezeigt hat, sind Design-Pläne nicht nur manifestierbar, sondern auch realisierbar. Die Realisierbarkeit von Design-Plänen spielt für Exemplar-basierte Kopien insofern eine Rolle, als sie auf Realisierungen von Design-Plänen zurückgehen: Exemplar-basierte Kopien haben ein Exemplar zur Vorlage. Ein solches Exemplar kann sich zum einen ein_e Dritte_r, die_der weder die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den es realisiert, noch die Rechte an diesem Design-Plan innehat, zur Anfertigung einer Exemplar-basierten Kopie zunutze machen. Eine derartige Exemplar-basierte Kopie ist eine Fremdkopie. Aber auch die_der Urheber_in eines Design-Plans kann ein diesen Plan realisierendes Exemplar als Vorlage einer Exemplar-basierten Kopie heranziehen, sofern sie_er die Rechte am Design-Plan an eine_n Dritte_n abgetreten hat. In diesem Fall handelt es sich bei der Exemplar-basierten Kopie um eine Selbstkopie. Auch im Hinblick auf die Anwendung der Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien auf Exemplar-basierte Kopien ist die Definition (AK) aufschlussreich: Auf der Grundlage der Bedingung (SBHK") lässt sich die Unterscheidung für Exemplar-basierte Kopien genauer ausformulieren. enn ein Artefakt y eine Exemplar-basierte Kopie auf der Basis eines ExemW plars x ist, dann (SBHK") ist die_der Urheber_in von y nicht die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in des Design-Plans, den x realisiert, bzw. hat die_der Urheber_in von y zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die Rechte am Design-Plan inne, den x realisiert.
Auch im Falle von Exemplar-basierten Kopien ergeben sich somit zwei Möglichkeiten im Hinblick auf die Urheber_innenschaft: Die Exemplar-basierte Kopie kann einerseits eine_n Dritte_n zur_zum Urheber_in haben, die_der nicht die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den das Vorlage-Exemplar realisiert, und die_der zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Exemplar-basierten Kopie auch nicht die Rechte an diesem Design-Plan innehat. Bei einer solchen Exemplar-basierten Kopie haben wir es mit einer Fremdkopie zu tun, da sich ihre Existenz einer_einem fremden Urheber_in verdankt. Auf Exemplar-basierte Kopien, die Fremdkopien sind, nehme ich im Folgenden mit der Bezeichnung »Exemplar-basierte KopieF« Bezug. Um ein Beispiel für eine Exemplar-basierte KopieF dreht sich ein Rechtsstreit in den USA, der sich bereits im Jahre 1959 ereignet hat: Die Firma K & G Oil Tool & Service reichte
Zur Ontologie der Artefaktkopien
Klage ein gegen die Firma G & G Fishing Tool Service, die »ein magnetisches Gerät zur Entfernung metallischer Abfälle aus Ölbohrlöchern zerlegt und analysiert hatte, um kurz darauf ein eigenes Gerät zu entwickeln, das dem Originalprodukt ähnelte«119. Wir können also annehmen, dass hier ein konkretes Exemplar des Geräts als Vorlage diente und mittels Reverse Engineering zunächst einmal ein Design-Plan hergestellt wurde, eine Exemplar-basierte KopieF. Andererseits kann jedoch auch ein_e Urheber_in, die_der für den durch das Vorlage-Exemplar realisierten Design-Plan verantwortlich zeichnet, eine Exemplar-basierte Kopie hervorbringen – dann nämlich, wenn sie_er nicht mehr die Rechte am fraglichen Design-Plan hat. Wir können in diesem Fall von einer Selbstkopie sprechen, da die_der Urheber_in der Exemplar-basierten Kopie auch die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den ihre Vorlage realisiert, ohne jedoch zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Exemplar-basierten Kopie die Rechte an diesem Design-Plan innezuhaben. Auf Exemplar-basierte Kopien, die Selbstkopien sind, beziehe ich mich nachfolgend mit dem Ausdruck »Exemplar-basierte Kopie S«. Variieren wir den oben skizzierten Fall, der sich um die beiden Computerspiele dreht, um uns vor Augen zu führen, was wir uns unter einer Exemplar-basierten Kopie S vorstellen können: Angenommen, Minter verfügt nicht mehr über eine Manifestation des Design-Plans für Tempest 2000 – er hat alle existierenden Manifestationen an Atari ausgehändigt oder vernichtet. Auch kann sich Minter nur noch bruchstückhaft an den Design-Plan für Tempest 2000 erinnern. Um dennoch ein Spiel entwickeln zu können, das Tempest 2000 ähnelt, kann er nun auf ein konkretes Exemplar von Tempest 2000 zurückgreifen und auf dieser Grundlage eine Exemplar-basierte KopieS erstellen – den Design-Plan für das Spiel TxK. Die Herstellung von Design-Plan-Kopien: Als Grundlage dienen entweder Manifestationen der Vorlage oder Erinnerungen an sie
Die Herstellung einer Design-Plan-KopieF setzt stets das Vorliegen einer Manifestation des Original-Design-Plans voraus, der der Kopie als Vorlage dient. Denn ohne eine Manifestation bleibt Kopist_innen der Zugang zu Design-Plänen, die aus der Feder Dritter stammen, verwehrt. Ob es sich bei der Manifestation um eine mündliche Beschreibung, um eine Skizze oder um ein 3D-Modell handelt, ist dabei unerheblich – es geht hauptsächlich darum, dass die_der Kopist_in mittels der Manifestation einen Zugang zum Design119 Schweyer
2012, 581.
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Plan erlangt, der die Vorlage der Design-Plan-KopieF bildet. Anders verhält es sich bei Design-Plan-KopienS: Für ihre Entstehung ist nicht zwingend eine Manifestation vonnöten. Schließlich ist die_der Kopist_in zugleich die_der Urheber_in des Design-Plans, der der Design-Plan-KopieS als Vorlage dient. Es ist somit durchaus denkbar, dass sich die_der Kopist_in so detailliert an den Vorlage-Design-Plan erinnern kann, dass sie_er keiner Manifestation dieses Design-Plans bedarf, um ihn kopieren zu können. Unabhängig davon, ob eine Manifestation oder eine Erinnerung einer Design-Plan-Kopie als Grundlage dient, besteht hinsichtlich der Intentionen der_des Kopierenden, die für die Entstehung der Design-Plan-Kopie maßgeblich sind, eine wichtige Gemeinsamkeit: Bereits in Abschnitt 2.2.1 haben wir gesehen, dass die Eigenschaften eines Design-Plans durch die Intentionen seiner_seines Urhebenden festgelegt werden. In die Definition (AK) hat diese Erkenntnis in speziell auf Design-Plan-Kopien bezogener Form mit der Bedingung (SBIUÄ) Eingang gefunden: Die die Herstellung einer Design-Plan-Kopie leitende Intention besteht in jedem Fall darin, einen dem als Vorlage dienenden Design-Plan signifikant ähnelnden Design-Plan zu produzieren. Die Herstellung von Exemplar-basierten Kopien: Als Grundlage dienen stets Exemplare
Wie bereits aus ihrer Bezeichnung hervorgeht, gehen sowohl Exemplar- basierte Kopien F als auch Exemplar-basierte KopienS auf ein Exemplar zurück. Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, das als Vorlage dienende Exemplar zu zerlegen, um mittels Reverse Engineering die Exemplar-basierten Kopien anzufertigen: Unter Umständen reicht es auch schon, ein Exemplar genauer zu betrachten, um eine Exemplar-basierte Kopie auf seiner Basis anzufertigen – dies gilt etwa für viele Exemplar-basierte Kopien, die auf einem Gemälde basieren. Im Gegensatz zu Original-Design-Plänen sind Exemplare im Allgemeinen leicht zu bekommen – insofern ist es für eine_n Kopist_in oftmals attraktiv, eine Exemplar-basierte KopieF anzufertigen. Allerdings sind Kopist_ innen, die beabsichtigen, eine Exemplar-basierte KopieF hervorzubringen, mit einer anderen Schwierigkeit konfrontiert: Wie sich in Abschnitt 2.2.1 gezeigt hat, lassen sich die im Design-Plan festgelegten notwendigen Eigenschaften eines Exemplars zumeist nicht von den kontingenten Eigenschaften desselben unterscheiden. Damit der Versuch der Produktion einer Exemplar-basierten Kopie erfolgreich ist, müssen deren Realisierungen dem Exemplar, das der Kopie als Vorlage gedient hat, aus Expert_innensicht signifikant ähneln – dies fordert die Bedingung (SÄB"'). Da ein_e Kopist_in nicht zwingend ein_e Expert_in für diejenigen Gegenstände ist, die sie_er als Vorlagen ihrer_seiner
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Kopien heranzieht, birgt dieser Umstand die Gefahr des Scheiterns: Es ist keineswegs unwahrscheinlich, dass ein_e Kopist_in auf der Grundlage eines Exemplars einen Design-Plan anfertigt, dessen Realisierungen aus der Sicht einer_eines Expert_in keine signifikante Ähnlichkeit zu diesem Exemplar aufweisen, weil die_der Kopist_in ihr_sein Augenmerk primär auf Eigenschaften des Exemplars gerichtet hat, die, wenn sie den Realisierungen der versuchten Exemplar-basierten Kopie zukommen, aus Expert_innensicht keine signifikante Ähnlichkeit zum Exemplar konstituieren.120 Auf die in Abschnitt 2.2.1 dargelegte Rolle von Intentionen bei der Entstehung abstrakter Artefakte bin ich oben bereits im Zusammenhang mit Design-Plan-Kopien zu sprechen gekommen – analog zu diesen Kopien ist auch im Falle von Exemplar-basierten Kopien die für ihre Herstellung wesentliche Intention auf das Erzeugen einer gewissen Ähnlichkeit gerichtet. Wie der Bedingung (SBIUÄ") aus der Definition (AK) zu entnehmen ist, betrifft die entsprechende Intention allerdings die Ähnlichkeit der Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie mit der Vorlage. Sofern die Urheber_innen von Design-Plan-Kopien keine autorisierten Exemplar-Urheber_innen sind, sind die durch sie hervorgebrachten Realisierungen ihrer Design-Plan-Kopien entweder Design-Plan-basierte Kopien auf der Basis des Original-Design-Plans oder Original-Exemplare der Design-Plan-Kopie
Wenn die_der Urheber_in einer Design-Plan-Kopie eine Realisierung dieser Kopie anfertigt, sind im Hinblick auf den Status dieser Realisierung drei Varianten möglich: Es kann sich dabei erstens um ein Original-Exemplar des Original-Design-Plans handeln; zweitens können wir es mit einer Design-Plan-basierten Kopie auf der Basis des Original-Design-Plans zu tun haben; und drittens kann die Realisierung ein Original-Exemplar der DesignPlan-Kopie sein. Ich komme im Folgenden jeweils kurz auf diese drei Varianten zu sprechen. 120 Auf
den ersten Blick scheint diese Schwierigkeit nicht bei allen Exemplar-basierten Kopien aufzutreten: In Abschnitt 2.2.1 haben wir gesehen, dass es Exemplare gibt, die zugleich Prototypen sind. Ein Exemplar allein kann jedoch nur dann als Prototyp dienen, wenn es alle für Exemplare notwendigen Eigenschaften aufweist und diese zugleich als solche erkennen lässt. Haben wir es also bei abstrakten Artefaktkopien von Prototypen mit Exemplar-basierten Kopien zu tun, die der beschriebenen Schwierigkeit entgehen? Dies ist nicht der Fall, da das Exemplar hier als Manifestation des Design-Plans fungiert: Es erscheint als naheliegend, eine Kopie, die auf einen Prototyp zurückgeht, nicht als Exemplar-basierte Kopie aufzufassen, sondern als Design-Plan-Kopie auf der Grundlage einer Manifestation, die zugleich ein Exemplar ist.
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Dass es die erste Variante geben kann, dürfte auf der Hand liegen: Es ist durchaus möglich, dass ein_e Kopist_in, die_der für eine Design-Plan-Kopie verantwortlich zeichnet, eine Realisierung dieser Design-Plan-Kopie anfertigt, bei der es sich um ein Original-Exemplar des Original-Design-Plans handelt. Betrachten wir das folgende Beispiel, um dies zu illustrieren: Angenommen, ein_e Kopist_in fertigt eine Design-Plan-Kopie des Design-Plans für die faltbare Kaffeemaschine Nilko »IMO« an. Sofern die_der Urheber_in dieser Design-Plan-Kopie dazu autorisiert ist, genuine Exemplare des Original-Design-Plans für die faltbare Kaffeemaschine herzustellen, kann sie_er durch die Realisierung ihrer_seiner Design-Plan-Kopie durchaus ein Original-Exemplar der Nilko »IMO« hervorbringen: Realisiert sie_er die Design-Plan-Kopie so, dass die Realisierung zugleich den Original-Design-Plan realisiert, so stellt sie_er auch dann ein Original-Exemplar her, wenn sie_er sich dazu seiner Design-Plan-Kopie bedient.121 Mit der zweiten Variante – der Design-Plan-basierten Kopie auf der Basis des Original-Design-Plans – haben wir es zu tun, wenn die_der Kopist_in, die_der für eine Design-Plan-Kopie verantwortlich zeichnet, diese zwar ebenfalls so realisiert, dass sie auch den Original-Design-Plan realisiert, wobei die_der Kopist_in jedoch zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der fraglichen Realisierung nicht dazu autorisiert ist, genuine Exemplare des Original-Design-Plans hervorzubringen. Hierbei ist zu beachten, dass diese Design-Plan-basierten Kopien nicht etwa auf der Design-Plan-Kopie selbst basieren, sondern vielmehr auf dem Original-Design-Plan, der der DesignPlan-Kopie als Vorlage gedient hat.122 Wir können uns dies zunächst mithilfe des Beispiels der Design-Plan-Kopie des Original-Design-Plans der Nilko »IMO« vor Augen führen. Dazu sollten wir uns noch einmal klar machen, was diese Design-Plan-Kopie im Einzelnen auszeichnet: Als Design-Plan-Kopie 121 Wir
haben es in diesem Fall mit einem Gegenstand zu tun, der sowohl die DesignPlan-Kopie als auch den Original-Design-Plan realisiert – eine Konstellation, die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen mag, die sich aber auch jenseits von Kopien tatsächlich häufig finden lässt. So ist es keineswegs abwegig, dass ein konkreter Gegenstand gleich mehrere genuine Design-Pläne realisiert: Ein genuines Exemplar des Sondermodells Fiat 500 Riva etwa realisiert sowohl den Original-Design-Plan für das Sondermodell Riva als auch den Original-Design-Plan für den Fiat 500. 122 Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, auf der Grundlage einer Design-PlanKopie ein Artefakt zu produzieren, bei dem es sich um eine Kopie handelt – dabei hätten wir es allerdings mit einer Kopie zweiter Ordnung zu tun, d. h. einer Kopie, die eine Kopie zur Vorlage hat. Wie bereits dargelegt, sind Artefakte, die Kopien zweiter und höherer Ordnung sind, nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. In Abschnitt 3.2.2 komme ich noch einmal ausführlich darauf zu sprechen, warum Design-Plan-basierte Kopien stets als Kopien auf der Basis des Original-Design-Plans aufzufassen sind.
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weist sie eine signifikante Ähnlichkeit zum Design-Plan der fraglichen Kaffeemaschine auf, die einer_einem einschlägigen Expert_in anhand von Manifestationen beider Design-Pläne ersichtlich ist – dies geht aus der Bedingung (SÄB") hervor. Diese signifikante Ähnlichkeit der Design-Plan-Kopie zu ihrer Vorlage hat die_der Kopist_in intendiert, und ihre_seine entsprechende Intention findet sich unter den Ursachen der Ähnlichkeit – dies besagt die Bedingung (SBIUÄ). Wie sich der Bedingung (SBHK') entnehmen lässt, muss sich die Design-Plan-Kopie zudem den Anstrengungen einer_eines Kopierenden verdanken. Was dies im Einzelnen heißt, haben wir oben gesehen: Im Falle einer Design-Plan-KopieF ist die_der Urheber_in der Kopie nicht zugleich die_der Urheber_in des Design-Plans für die Kaffeemaschine, der als Vorlage gedient hat, und hat an diesem Original-Design-Plan auch nicht die Rechte. Handelt es sich hingegen um eine Design-Plan-KopieS , so zeichnet die_der Urheber_in der Design-Plan-Kopie zwar auch für deren Vorlage verantwortlich, sie_er hat aber die Rechte an der Vorlage nicht mehr inne. Wie verhält es sich nun mit einer Realisierung dieser Design-Plan-Kopie, die unser_e Kopist_in selbst erzeugt, ohne dazu autorisiert zu sein, genuine Exemplare der Nilko »IMO« herzustellen, die aber dennoch auch den Original-Design-Plan der Nilko »IMO« realisiert? Es erscheint plausibel, dass es sich dabei um eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis des Original-DesignPlans für die Nilko »IMO« handelt – die Design-Plan-Kopie dient hier gewissermaßen als Mittel zur Erzeugung der Design-Plan-basierten Kopie auf der Basis dieses Original-Design-Plans. Machen wir uns dies mithilfe der Definition (AK) deutlich: Ob ein Gegenstand eine Design-Plan-basierte Kopie ist oder nicht, ermisst sich laut der Definition an drei Bedingungen, nämlich an den Bedingungen (SÄB'), (SBIUÄ') und (SBHK). In den Bedingungen (SÄB') und (SBIUÄ') ist die Rede von genuinen Exemplaren, die den als Basis dienenden Design-Plan realisieren und denen die Design-Plan-basierte Kopie signifikant ähnelt. Diese genuinen Exemplare dienen gewissermaßen als Referenzgegenstände, an denen sich ermessen lässt, ob ein Gegenstand eine Design-Planbasierte Kopie ist oder nicht. Gemeint sind in unserem Fall die genuinen Exemplare der faltbaren Kaffeemaschine Nilko »IMO«. Dass eine Realisierung einer Design-Plan-Kopie den Exemplaren des Original-Design-Plans signifikant ähnelt, ist grundsätzlich alles andere als unwahrscheinlich (wenn auch nicht zwingend, wie wir im Folgenden noch sehen werden): Auf die signifikante Ähnlichkeit, die zwischen einer Design-Plan-Kopie und dem Original-Design-Plan besteht, bin ich soeben anhand unseres Beispiels zu sprechen gekommen. Wenn nun unsere Design-Plan-Kopie dem Original-Design-Plan für die faltbare Kaffeemaschine signifikant ähnelt, so ist es sehr wahrscheinlich, dass die Realisierung, die unser_e Kopist_in anfertigt, den Exemplaren
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ähnelt, die den Original-Design-Plan realisieren. Ist dies der Fall, so ist (SÄB') erfüllt. Auf den weniger wahrscheinlichen, aber dennoch möglichen Fall, dass die Realisierung den Original-Exemplaren nicht ähnelt, gehe ich gleich noch ein – zunächst aber soll es um den Fall gehen, in dem (SÄB') erfüllt ist. Die Erfüllung von (SÄB') reicht nun freilich noch nicht dafür hin, dass die in Frage stehende Realisierung der Design-Plan-Kopie eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis des Original-Design-Plans für die faltbare Kaffeemaschine ist: Darüber hinaus müssen (SBIUÄ') und (SBHK) erfüllt sein. Dass (SBHK) erfüllt ist, haben wir bereits eingangs festgelegt: Es soll hier um ein Beispiel gehen, bei dem die_der Kopist_in, die_der die Realisierung anfertigt, nicht dazu autorisiert ist, Original-Exemplare der Nilko »IMO« herzustellen. Es bleibt die Bedingung (SBIUÄ'), die erfüllt sein muss, damit die Realisierung, um die es uns hier geht, tatsächlich eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis des Original-Design-Plans ist. Im hier skizzierten Fall können wir davon ausgehen, dass die Bedingung erfüllt ist. Denn wir können zunächst einmal voraussetzen, dass unser_e Kopist_in die signifikante Ähnlichkeit der Design-Plan-Kopie zum Original-Design-Plan für die faltbare Kaffee maschine erfolgreich intendiert hat, da die Bedingung (SBIUÄ) erfüllt ist. Die_der Kopist_in geht also (gerechtfertigterweise) davon aus, dass ihre_seine Design-Plan-Kopie eine immense Nähe zum Original-Design-Plan aufweist. Aus diesem Grunde können wir annehmen, dass die_der Kopist_in in dem Bewusstsein handelt, dass jede Realisierung ihrer_seiner Design-Plan-Kopie mit hoher Wahrscheinlichkeit zugleich den Original-Design-Plan realisiert. Viele Design-Plan-Kopien dürften genau aus diesem Grund angefertigt werden: Sie sollen anschließend realisiert werden, und zwar so, dass die Realisierungen auch Realisierungen des Original-Design-Plans sind. Aber kann die_der Kopist_in in unserem Fall ihre_seine Design-Plan-Kopie nicht auch in der Absicht herstellen, anschließend Realisierungen dieser Kopie zu produzieren, die mit den Original-Exemplaren der faltbaren Kaffeemaschine nicht viel gemein haben? Gemessen daran, dass der_dem Kopierenden die hohe Wahrscheinlichkeit bewusst ist, mit der ihre_seine Realisierung auch den Original-Design-Plan realisiert, wäre eine solche Absicht offenkundig nicht rational: Die_der Kopist_in muss selbst dann, wenn dies nicht ihr_sein primäres Ziel ist, damit rechnen, dass ihre_seine Realisierung zugleich den Original-Design-Plan realisiert. Nun fragt sich freilich, ob wir auch in einer solchen Konstellation davon sprechen können, dass die_der Kopist_in die Realisierung des Original-Design-Plans intendiert hat, wie es zur Erfüllung der Bedingung (SBIUÄ') gefordert ist. Denn daraus, dass die_der Kopist_in nicht rational intendieren kann, dass ihre_seine Realisierung nicht den Original-Design-Plan realisiert,
Zur Ontologie der Artefaktkopien
scheint schließlich noch nicht zu folgen, dass ihren_seinen Anstrengungen die Intention zugrunde liegt, den Original-Design-Plan zu realisieren. Dies gilt jedoch nur, wenn wir hier einen Intentionsbegriff zugrunde legen, der sich mit dem Begriff des direkten Vorsatzes ersten Grades deckt, der im Strafrecht gebräuchlich ist: Liegt ein solcher direkter Vorsatz bzw. eine Intention in diesem engen Sinn vor, dann handelt ein_e Akteur_in bewusst und mit der Absicht, eine Folge herbeizuführen.123 Im Hinblick auf unser Beispiel können wir also Folgendes sagen: Fertigt unser_e Kopist_in ihre_seine DesignPlan-Kopie im Bewusstsein und mit der konkreten Absicht an, dass die Realisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch den Original-Design-Plan realisieren wird, so liegt eine Intention im engen Sinn bzw. ein direkter Vorsatz ersten Grades vor. Jurist_innen unterscheiden von dieser Vorsatzform allerdings noch eine weitere Form des direkten Vorsatzes, und zwar den direkten Vorsatz zweiten Grades, der vorliegt, wenn einer_einem Akteur_in zwar bewusst ist, dass ihr_ sein Handeln eine bestimmte Folge haben wird, sie_er diese Folge aber nicht unbedingt herbeiführen will.124 Im englischen Sprachgebrauch findet sich auch für den direkten Vorsatz zweiten Grades die Bezeichnung »intention«: Der Rechtswissenschaftler Glanville Williams spricht etwa vom direkten Vorsatz zweiten Grades als oblique intention und grenzt diese Form des Vorsatzes vom direkten Vorsatz ersten Grades ab, den er als direct intention bezeichnet. Williams macht sich unter Rückgriff auf ein Beispiel für einen weiten Intentionsbegriff stark: »If I drive over you because I am in a hurry and you will not get out of the way, I drive over you intentionally, and it would be no use my saying that my sole intention was to make progress.«125 Jedenfalls in rechtlichen Kontexten bedürfen wir Williams zufolge eines derart weiten Inten tionsbegriffs: »For legal purposes the meaning of intention has to be widened to this extent.«126 Was aber spricht nun dafür, im Rahmen der hier entwickelten philosophischen Theorie diesen weiten Intentionsbegriff zu akzeptieren? Betrachten wir zunächst noch einmal das Szenario, dass uns überhaupt zu den Überlegungen über den für unsere Zwecke geeigneten Intentionsbegriff 123 Vgl.
Peter und Kramer 2009, 98. Auch Fischer und Tröndle betonen die Relevanz des auf eine Folge bzw. einen Erfolg gerichteten Akteur_innenwillens für den direkten Vorsatz ersten Grades (vgl. Fischer und Tröndle 2004, 107). 124 Vgl. Peter und Kramer 2009, 98. Beim direkten Vorsatz zweiten Grades »weiß [die_ der Akteur_in] oder sieht als sicher voraus« (Fischer und Tröndle 2004, 108), dass sich aus ihrem_seinem Handeln eine bestimmte Folge ergeben wird (vgl. Fischer und Tröndle 2004, 108). 125 Williams 1987, 420. 126 Williams 1987, 420.
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geführt hat: Unser_e Kopist_in fertigt eine Realisierung ihrer_seiner DesignPlan-Kopie an. Sie_er weiß, dass sie_er damit höchstwahrscheinlich zugleich eine Realisierung des Original-Design-Plans anfertigt, den ihre_seine DesignPlan-Kopie zur Vorlage hat, aber das Realisieren dieses Original-Design-Plans ist nicht ihr_sein primäres Ziel: Im engen Sinn intendiert ist nur die Realisierung der Design-Plan-Kopie. Sofern wir an einem engen Intentionsbegriff festhalten, müssen wir in diesem Szenario davon ausgehen, dass der entstehende konkrete Gegenstand keine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis des Original-Design-Plans ist: Er ist nichts als eine Realisierung der DesignPlan-Kopie. Dies erscheint jedoch alles andere als plausibel. Aus diesem Grunde sollten wir auch im soeben beschriebenen Szenario davon ausgehen, dass eine Intention entsprechend der Bedingung (SBIUÄ') vorliegt. Damit ist allerdings noch nicht gezeigt, dass die Bedingung (SBIUÄ') in Fällen wie dem soeben diskutierten stets erfüllt ist, denn die Bedingung fordert schließlich nicht nur die Intention der_des Kopierenden, den Original- Design-Plan zu realisieren: Diese Intention muss darüber hinaus unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit sein, die eine Design-Plan-basierte Kopie mit den genuinen Exemplaren des durch sie realisierten Original- Design-Plans verbindet. Wir können aber davon ausgehen, dass die Intention sich in einem Szenario wie dem beschriebenen immer unter den Ursachen der signifikanten Ähnlichkeit finden lässt, da das fragliche konkrete Objekt die Merkmale, die diese Ähnlichkeit erzeugen, als absichtsvolle Realisierung des Original-Design-Plans erhält. Es bleibt schließlich die dritte Variante, bei der die_der Kopist_in, die_der die Design-Plan-Kopie produziert hat, diese so realisiert, dass sie den Original-Design-Plan für die Nilko »IMO« nicht realisiert: In diesem Fall haben wir es bei der Realisierung mit einem Original-Exemplar der Design-PlanKopie zu tun. Wie ist dies möglich? Machen wir uns anhand unseres Beispiels klar, wie ein solcher Fall zustande kommen kann: Nehmen wir an, dass unser_e Kopist_in eine Design-Plan-Kopie des Original-Design-Plans für die Nilko »IMO« anfertigt, die dem Original-Design-Plan zwar signifikant ähnelt, aber dennoch einige Abweichungen enthält – exakt so viele Abweichungen, dass die signifikante Ähnlichkeit gerade noch gegeben ist. In Abschnitt 2.2.2 haben wir gesehen, dass Realisierungen von Design-Plänen unterschiedliche Grade von Gelungenheit aufweisen können. Nehmen wir nun weiter an, dass unser_e Kopist_in eine nicht sonderlich gelungene Realisierung ihrer_seiner Design-Plan-Kopie anfertigt. Unter diesen Umständen ist es denkbar, dass die entstandene Realisierung keine signifikante Ähnlichkeit zu den Original-Exemplaren der faltbaren Kaffeemaschine aufweist. In diesem Fall handelt es sich bei der Realisierung um ein Original-Exemplar der Design-Plan-Kopie,
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das nicht zugleich den Original-Design-Plan realisiert. Damit erwirbt die_ der Kopist_in zwar nicht etwa die Rechte an ihrer_seiner Design-Plan-Kopie, denn wäre die Realisierung gelungen, so könnte es zu Konfliktsituationen kommen, wie ich sie bereits in Abschnitt 2.3.1 beschrieben habe. Allerdings verletzt das Original-Exemplar der Design-Plan-Kopie keine Rechte der_des Rechteinhabenden am Design-Plan für die Nilko »IMO«, denn dieses konkrete Objekt hat mit den Original-Exemplaren nicht allzu viel zu tun. Sofern die Urheber_innen Exemplar-basierter Kopien keine autorisierten Exemplar-Urheber_innen sind, sind die durch sie hervorgebrachten Realisierungen ihrer Exemplar-basierten Kopien stets Exemplarkopien
Wie verhält es sich nun mit den Realisierungen von Exemplar-basierten Kopien, für die deren Urheber_innen selbst verantwortlich zeichnen? In diesem Fall gibt es zwei Varianten, die näher betrachtet werden sollten: Realisierungen von Exemplar-basierten Kopien können zum einen genuine Exemplare des Original-Design-Plans sein, den auch die Exemplare realisieren, die ihre Vorlagen sind. Zum anderen kann es sich bei diesen Realisierungen um Artefaktkopien handeln, und zwar um Exemplarkopien. Betrachten wir zunächst die erste Variante: Sofern die_der Kopist_in, die_der die Realisierung der Exemplar-basierten Kopie anfertigt, zur Herstellung genuiner Exemplare des Original-Design-Plans autorisiert ist, den auch das als Vorlage seiner Exemplar-basierten Kopie dienende Exemplar realisiert, handelt es sich bei einer Realisierung, die auch den Original-Design-Plan realisiert127, immer um ein Original-Exemplar des Original-Design-Plans. Dass die_der Urheber_in dieses Exemplars sich ihre_seine Exemplar-basierte Kopie zur Hilfe nimmt, um es erzeugen, spielt dabei keine Rolle. Kommen wir zur zweiten Variante: Werden Exemplar-basierte Kopien von ihren Urheber_innen realisiert, ohne dass diese autorisierte Exemplar-Urheber_innen sind, so sind auch die Realisierungen immer Artefaktkopien – dies will ich nachfolgend unter Rückgriff auf die Definition (AK) und eine weitere Version des oben bereits diskutierten Beispiels von der Kaffeemaschine Nilko »IMO« erläutern. Nehmen wir zunächst an, dass uns ein Design-Plan vorliegt, bei dem es sich um eine Exemplar-basierte Kopie auf der Basis eines genuinen Exemplars der Nilko »IMO« handelt. Das heißt, dass Realisierungen des fraglichen Design-Plans 127
Die Realisierung einer Exemplar-basierten Kopie muss nicht zwingend zugleich den Original-Design-Plan realisieren, den auch ihr Vorlage-Exemplar realisiert – auf diesen Umstand komme ich im Folgenden noch ausführlicher zu sprechen. Realisierungen von Exemplar-basierten Kopien, die nicht den Original-Design-Plan des Vorlage-Exemplars realisieren, bezeichne ich in diesem Zusammenhang als eigenständige Exemplarkopien.
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Was ist eine Artefaktkopie?
dem genuinen Exemplar der Nilko »IMO« auf die in der Bedingung (SÄB"') geforderte Weise signifikant ähneln. Auch wurde der fragliche Design-Plan mit der Intention angefertigt, einen Gegenstand zu produzieren, dessen Realisierungen eine solche Ähnlichkeit zum Exemplar der faltbaren Kaffeemaschine aufweisen, und unter den Ursachen des Vorliegens dieser Ähnlichkeit lässt sich die entsprechende Intention finden – dies ergibt sich aus der Bedingung (SBIUÄ"). Schließlich handelt es sich bei der_dem Urheber_in des fraglichen Design-Plans um eine_n Kopierenden – dies wird durch die Bedingung (SBHK") sichergestellt. Wie sich oben gezeigt hat, gilt für eine Exemplar- basierte KopieF, dass ihr_e Urheber_in insofern ein_e Kopist_in ist, als sie_er weder zugleich die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den das Exemplar realisiert, auf dem die Kopie basiert, noch die Rechte an diesem Design-Plan innehat. Die_der Urheber_in einer Exemplar-basierten Kopie S hingegen ist insofern ein_e Kopist_in, als sie_er zwar die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den dieses Exemplar realisiert, aber zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopie nicht die Rechte daran besitzt. Wird eine Exemplar-basierte Kopie nun von ihrer_ihrem Urheber_in realisiert, die_der kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist, so ist die Realisierung stets eine Exemplarkopie – dies gilt auch für eine Realisierung unserer auf der Grundlage eines Exemplars der Nilko »IMO« angefertigten Exemplar-basierten Kopie: Für Exemplarkopien ist es laut (SÄB) notwendig, dass sie den Exemplaren, die ihnen als Vorlage dienen, in bestimmter Weise signifikant ähneln. Dass eine Realisierung unserer Exemplar-basierten Kopie (SÄB) erfüllt, wird offenkundig durch (SÄB"') sichergestellt: (SÄB"') besagt schließlich, dass die Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie dem Exemplar, auf dem die Kopie basiert, in der geforderten Weise ähneln. Im Falle unseres Beispiels heißt dies, dass alle Realisierungen unserer Exemplar-basierten Kopie dem Kaffeemaschinen-Exemplar, das als Grundlage der Exemplar-basierten Kopie herangezogen wurde, signifikant ähneln. Denn Realisierungen setzen die Vorgaben des Design-Plans um, den sie realisieren, und im Falle unserer Exemplar-basierten Kopie sind die Vorgaben dergestalt, dass all ihre Realisierungen dem fraglichen Kaffeemaschinen-Exemplar signifikant ähneln. Laut (SBIUÄ) ist für Exemplarkopien zudem vorausgesetzt, dass sie mit der Intention hergestellt wurden, etwas zu produzieren, das dem Vorlage-Exemplar in der geforderten Weise ähnelt, und dass sich unter den Ursachen der Ähnlichkeit diese Intention findet. (SBIUÄ") können wir entnehmen, dass einer Exemplar-basierten Kopie die Intention zugrunde liegt, einen Gegenstand zu produzieren, dessen Realisierungen dem als Basis dienenden Exemplar signifikant ähneln. Wenn nun die_der Kopist_in, die_der die Exemplar-basierte Kopie angefertigt hat, diese selbst realisiert, kann sie_er dies, sofern sie_er
Zur Ontologie der Artefaktkopien
rational handelt128, nur tun, wenn sie_er zugleich die signifikante Ähnlichkeit der Realisierung zum Exemplar der Nilko »IMO« beabsichtigt, das sie_er als Vorlage ihrer_seiner Exemplar-basierten Kopie herangezogen hat. Dass die Intention eine Ursache der signifikanten Ähnlichkeit ist, wird hier durch den Umstand sichergestellt, dass wir es mit einer Realisierung der Exemplar- basierten Kopie zu tun haben: Die Merkmale, die die signifikante Ähnlichkeit erzeugen, legt die Exemplar-basierte Kopie für ihre Realisierung fest – einer Realisierung kommen diese Merkmale zu, weil sie eine Realisierung der Exemplar-basierten Kopie ist. Eine Realisierung der Art, wie sie hier in Rede steht, erfüllt also stets auch (SBIUÄ). Sofern die Bedingung (SBHK) erfüllt ist – was wir eingangs angenommen haben –, sind die Realisierungen Exemplar-basierter Kopien, die von der_dem Urheber_in dieser Kopien selbst angefertigt werden, somit stets Exemplarkopien. Wie sich im folgenden Abschnitt zeigen wird, müssen diese Exemplarkopien jedoch nicht zwingend auch den Original-Design-Plan realisieren, den das Vorlage-Exemplar der Exemplar- basierten Kopie realisiert: Es gibt auch eigenständige Exemplarkopien, die Realisierungen einer Exemplar-basierten Kopie sind, ohne jedoch zugleich den Original-Design-Plan des Vorlage-Exemplars zu realisieren.
3.2.2 Konkrete Artefaktkopien
Die konkreten Artefaktkopien sind unterteilt in Exemplarkopien einerseits und Design-Plan-basierte Kopien andererseits. Sie alle sind konkrete Artefakte – insofern gilt für sie all das, was im Abschnitt 2.2.2 über diese Artefakte dargelegt wurde. Schon in Bezug auf abstrakter Artefaktkopien haben wir allerdings festgestellt, dass sich ihre Seinsweise nicht darin erschöpft, dass sie abstrakte Artefakte sind. Im Folgenden werden wir in analoger Weise feststellen können, dass die Seinsweise konkreter Artefaktkopien sich durch mehr auszeichnet als dadurch, dass es sich dabei um konkrete Artefakte handelt. Konkrete Artefaktkopien kommen – ebenso wie abstrakte Artefakt kopien – durch die Anstrengungen von Kopist_innen in die Welt. Die Bedingung (SBHK) aus der Definition (AK) gibt für konkrete Artefaktkopien beider Arten an, dass es sich bei ihnen insofern um Hervorbringungen von Kopist_ innen handelt, als ihre Urheber_innen zum Zeitpunkt und im Kontext ihrer Entstehung keine autorisierten Exemplar-Urheber_innen sind. Zunächst 128 Fälle,
in denen die_der Realisierende insofern irrational handelt, als sie_er davon ausgeht, dass das Ergebnis ihrer_seiner Realisierungs-Anstrengungen dem der Kopie als Vorlage dienenden Exemplar nicht signifikant ähneln wird, klammere ich an dieser Stelle aus.
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Was ist eine Artefaktkopie?
einmal scheint also die jeweilige Vorlage einer konkreten Artefaktkopie für ihren Status als Artefaktkopie keinerlei Rolle zu spielen: Ob ein konkretes Artefakt durch eine_n Kopierende_n hervorgebracht wurde, scheint sich unabhängig von einem anderen Objekt allein daran zu entscheiden, ob die_der Urheber_in dieses konkreten Artefakts ein_e autorisierte_r ExemplarUrheber_in ist oder nicht. Sollte die Vorlage für den Artefaktkopiestatus konkreter Artefaktkopien tatsächlich unerheblich sein, so stünden konkrete Kopien insofern im Kontrast zu den abstrakten Artefaktkopien: Wie sich im vorhergehenden Ab schnitt gezeigt hat, ist bei einer abstrakten Artefaktkopie die Vorlage durchaus entscheidend für ihren Status als Artefaktkopie. Denn dieser Status hängt wesentlich davon ab, ob die_der Urheber_in der abstrakten Artefaktkopie auch die_der Urheber_in der Vorlage bzw. des der Vorlage zugrunde liegenden Design-Plans ist, und ob die_der Urheber_in zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopie die Rechte an der Vorlage bzw. am der Vorlage zugrunde liegenden Design-Plan innehat. Ist nun also die Frage danach, ob die_der Urheber_in einer konkreten Artefaktkopie auch die_der Urheber_in der Vorlage bzw. des durch die Vorlage realisierten Design-Plans ist, für ihren Status als Artefaktkopie ebenso unerheblich wie die Frage, ob die_der nämliche Urheber_in zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der konkreten Kopie die_der Inhaber der Rechte an der Vorlage bzw. am durch die Vorlage realisierten Design-Plan ist? Bei näherer Betrachtung wird sich herausstellen, dass die Vorlage einer konkreten Artefaktkopie bzw. der ihrer Vorlage zugrunde liegende Design-Plan und die Frage nach der Urheber_innenschaft bzw. der Inhaber_innenschaft der Rechte durchaus eine Rolle für ihren Status als Artefaktkopie spielen können: Die_der Urheber_in eines durch ein Exemplar realisierten Design-Plans ist auch nach der Entstehung dieses Exemplars weiterhin dazu autorisiert, Exemplare herzustellen, die diesen Design-Plan realisieren, sofern sie_er die Rechte am Design-Plan nicht abgetreten hat. Wer zwar nicht die_der Urheber_in eines durch ein Exemplar realisierten DesignPlans ist, aber die Rechte daran erworben hat, ist ebenfalls dazu berechtigt, Exemplare dieses Design-Plans zu produzieren. Für unsere beiden Arten von konkreten Artefaktkopien heißt dies das Folgende: Exemplarkopien liegen ebenfalls konkrete Artefakte zugrunde, nämlich Exemplare. Wollen wir nun feststellen, ob es sich bei einem konkreten Artefakt um eine Exemplarkopie handelt, so sollten wir zunächst eruieren, ob die_der Urheber_in dieses konkreten Artefakts zugleich die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den das Vorlage-Exemplar realisiert, und ob sie_er die Rechte an diesem Design-Plan hat. Ist die_der Urheber_in des konkreten Artefakts weder die_der Urheber_in des fraglichen Design-Plans noch die_der Inhaber_in der Rechte daran, so
Zur Ontologie der Artefaktkopien
ist schließlich noch zu fragen, ob sie_er zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung des fraglichen konkreten Artefakts dazu autorisiert ist, Exem plare des Design-Plans hervorzubringen, den das Vorlage-Exemplar realisiert. Sofern auch dies nicht der Fall ist, haben wir es bei dem in Frage stehenden konkreten Artefakt – vorbehaltlich der Erfüllung der Bedingungen (SÄB) und (SBIUÄ) – mit einer Exemplarkopie zu tun. Im Gegensatz zu Exemplarkopien, deren Vorlage konkret ist, gehen DesignPlan-basierten Kopien abstrakte Artefakte – Design-Pläne – voraus. Wollen wir ermitteln, ob ein konkretes Artefakt eine Design-Plan-basierte Kopie ist, so sollten wir erst einmal herausfinden, ob die_der Urheber_in des fraglichen konkreten Artefakts zugleich für den Original-Design-Plan verantwortlich zeichnet, den dieses Artefakt realisiert, und ob sie_er zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung die Rechte an diesem Original-Design-Plan hat. Ist beides zu verneinen, so stellt sich auch in dieser Konstellation schließlich noch die Frage, ob es sich bei der_dem Urheber_in des konkreten Artefakts zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung desselben um eine_n autorisierte_n Urheber_in von Exemplaren des Original-Design-Plans handelt. Sofern dies ebenfalls nicht zutrifft, handelt es sich bei dem konkreten Artefakt – vorbehaltlich der Erfüllung der Bedingungen (SÄB') und (SBIUÄ') – um eine Design-Plan-basierte Kopie. Somit zeigt sich, dass auch für den Artefaktkopiestatus konkreter Artefaktkopien beider Arten die Relationen zu ihren Vorlagen durchaus von Relevanz sind. Analog zu den abstrakten Artefaktkopien lassen sich auch bei den konkreten Artefaktkopien die Varianten dieser Relationen mithilfe der Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien herausarbeiten. Zunächst wende ich die Unterscheidung auf Exemplarkopien an. Bei der Anwendung der Unterscheidung wird sich eine wichtige Besonderheit zeigen: Im Gegensatz zu den Artefaktkopien der anderen drei Arten werden Exemplarkopien durch die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien nicht vollständig erfasst, denn es gibt zusätzlich zu den Exemplarkopien, die Fremdkopien sind, und den Exemplarkopien, bei denen es sich um Selbstkopien handelt, noch eine dritte Unterart, die eigenständigen Exemplarkopien. Diese Artefaktkopien haben einen Sonderstatus, da ihre Anfertigung keine Bestimmungsrechte verletzt, solange sie nicht mit einer Täuschungsabsicht einhergeht – ich komme im Kapitel 3.3 noch einmal auf diesen Umstand zu sprechen. Wie schon für das Verständnis der Ontologie der Exemplar-basierten Kopien ist für einen Einblick in die Seinsweise der Exemplarkopien die Realisierbarkeit von Design-Plänen entscheidend, auf die ich in Abschnitt 2.2.1 ausführlich eingegangen bin. Anschließend wende ich die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien auf Design-
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Plan-basierte Kopien an. Wie schon bei den Design-Plan-Kopien ist auch bei den Design-Plan-basierten Kopien für die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien die Erkenntnis aus Abschnitt 2.2.1 bedeutsam, dass Design-Pläne manifestierbar sind. Für ein eingehendes Verständnis der Seinsweise konkreter Artefaktkopien spielen die spezifischen Relationen, die sie mit ihren Vorlagen verbinden, nicht nur insofern eine wichtige Rolle, als sich an diesen Relationen ersehen lässt, was diese Artefaktkopien allererst zu Kopien macht. Auch für die Genese konkreter Artefaktkopien sind die Beziehungen zu ihren Vorlagen maßgeblich. Deshalb dient der vorliegende Abschnitt auch dazu, die Genese konkreter Artefaktkopien zu erhellen. Bei Exemplarkopien liegt hinsichtlich der Genese eine Gemeinsamkeit auf der Hand: Allen Exemplarkopien – Fremdkopien, Selbstkopien und eigenständigen Exemplarkopien – ist gemein, dass zu ihrer Herstellung der Zugang zu einem genuinen Exemplar vorausgesetzt ist. Wie wir sehen werden, dient dieses Exemplar in einem ersten Schritt zunächst als Grundlage zu Erstellung eines Design-Plans, bei dem es sich stets um eine Exemplar-basierte Kopie handelt. Der erstellte Design-Plan wird dann in einem zweiten Schritt realisiert. Es wird sich zeigen, dass der Erzeugung von Exemplarkopien unterschiedliche Absichten zugrunde liegen können: Zum einen kann beabsichtigt werden, eine Realisierung des Original-Design-Plans zu schaffen, den auch das Vorlage-Exemplar realisiert. Zum anderen kann angezielt werden, ein konkretes Artefakt hervorzubringen, das gerade keine Realisierung dieses Original-Design-Plans ist, sondern eine eigenständige Exemplarkopie. Zum Verständnis dessen, wie sich die Herstellung eigenständiger Exemplarkopien ereignen kann, trägt auch die Rekapitulation einer Erkenntnis aus Abschnitt 2.2.2 bei: Da Design-Pläne gewisse Leerstellen aufweisen, können die nicht durch den Design-Plan bestimmten Eigenschaften ihrer Realisierungen durch die_den Realisierende_n festgelegt werden. Auch viele Design-Plan-basierte Kopien bedürfen zur Entstehung eines konkreten Gegenstands, jedoch handelt es sich bei diesem Gegenstand nicht um ein Exemplar, sondern um eine Manifestation. Mit der Herstellung Design-Plan-basierter Kopien verhält es sich ähnlich wie mit der Herstellung von Design-Plan-Kopien. Die Herstellung von Design-Plan-basierten Kopien, die Fremdkopien sind, setzt das Vorliegen einer Manifestation des Original-Design-Plans voraus, mit der Dritte einen Zugang zu diesem Design-Plan erhalten können. Die Herstellung Design-Plan-basierter Kopien, die Selbstkopien sind, kann auch ohne Manifestation des Original-Design-Plans allein aufgrund von Erinnerungen an ihn erfolgen – mitunter werden jedoch auch hier Manifestationen herangezogen. Schließlich können auch Manifestationen von Design-Plan-Kopien bzw. Erinnerungen an diese zur Herstellung von
Zur Ontologie der Artefaktkopien
Design-Plan-basierten Kopien dienen, sofern die Realisierungen der DesignPlan-Kopien zugleich den Original-Design-Plan realisieren. Ich komme nachfolgend ausführlich auf diese Besonderheiten der Genese Design-Plan-basierter Kopien zu sprechen. Mit den speziellen Relationen zu ihren Vorlagen, zu deren Verständnis die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien einen wichtigen Beitrag leistet, und ihrer Entstehung sind jedoch bisher nur zwei wichtige die Seinsweise konkreter Artefaktkopien betreffende Aspekte benannt. Denn wie wir in Abschnitt 2.2.2 gesehen haben, zeichnen sich konkrete Artefakte vor allem auch dadurch aus, dass sie abstrakte Artefakte realisieren. Wollen wir uns die Ontologie konkreter Artefaktkopien umfassend erschließen, so sollten wir diese Kopien also außerdem als Realisierungen abstrakter Artefakte betrachten. Wie schon im vorhergehenden Abschnitt beschränke ich mich hierbei auf Konstellationen, in denen nicht mehr als ein_e Kopist_in involviert ist, da es diese Fälle sind, die uns im Kapitel 3.3 interessieren werden. Dabei wird sich zeigen, dass es sich bei allen Exemplarkopien um Realisierungen Exemplar-basierter Kopien handelt, während Design-Plan-basierte Kopien stets Original-Design-Pläne realisieren. Exemplarkopien und Urheber_innenschaft: Fremdkopien, Selbstkopien und eigenständige Exemplarkopien
Die Realisierbarkeit von Design-Plänen ist nicht nur für Exemplar-basierte Kopien entscheidend, sondern auch für Exemplarkopien, und zwar im doppelten Sinne: Auch Exemplarkopien gehen auf Realisierungen von Design-Plänen zurück, nämlich auf genuine Realisierungen – Exemplare – dieser DesignPläne. Für Exemplarkopien ist die Realisierbarkeit von Design-Plänen darüber hinaus aber noch in einem weiteren Sinn von Bedeutung: Es handelt sich nicht nur bei ihren Vorlagen, sondern auch bei ihnen selbst um Realisierungen von Design-Plänen. Das Exemplar eines Design-Plans kann sich zum einen ein_e Dritte_r zunutze machen, die_der weder die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den es realisiert, noch die Rechte an diesem Design-Plan innehat oder zur Herstellung von Exemplaren des Design-Plans berechtigt ist: Bringt diese_r Dritte auf der Grundlage des Exemplars eine Exemplarkopie hervor, die denselben Design-Plan realisiert wie das Vorlage-Exemplar, so handelt es sich bei der Exemplarkopie um eine Fremdkopie. Aber auch die_der Urheber_in eines Design-Plans kann ein Exemplar, das diesen Design-Plan realisiert, als Vorlage einer Exemplarkopie heranziehen, sofern sie_er die Rechte am DesignPlan an eine_n Dritte_n abgetreten hat und kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist. Realisiert diese Exemplarkopie denselben Design-Plan wie das
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Vorlage-Exemplar, so haben wir es dabei mit einer Selbstkopie zu tun. Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist jedoch nicht jede Exemplarkopie eine Realisierung des Design-Plans, den ihr Vorlage-Exemplar realisiert. Anders als bei den abstrakten Artefaktkopien ist die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien für konkrete Artefaktkopien nicht schon in den für sie einschlägigen Teilen der Definition (AK) angelegt. Denn in (AK) findet sich zwar eine Antwort darauf, inwiefern eine Exemplarkopie ihre Existenz einer_einem Kopierenden verdankt: Laut (SBHK) handelt es sich bei einer_einem Akteur_in um eine_n Kopist_in, die_der eine Exemplarkopie hervorbringt, sofern diese_r Akteur_in zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Exemplarkopie kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist. Um uns klar zu machen, warum die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien nichtsdestotrotz für die Beantwortung der Frage relevant ist, ob ein_e Akteur_in ein_e Kopist_in und ihre_seine Hervorbringung eine Exemplarkopie ist, sollten wir uns zunächst einmal klar machen, welche Gründe dagegen sprechen können, dass es sich bei einer_einem Akteur_in um eine_n Kopist_in handelt: Ein_e Akteur_in kann aus drei Gründen über die Berechtigung verfügen, genuine Exemplare eines Design-Plans hervorzubringen. Erstens kann es sich bei der_dem Akteur_in um die_den Urheber_in dieses Design-Plans sowie die_den Inhaber_in der Rechte an diesem Design-Plan handeln. Zweitens ist es denkbar, dass die_der Akteur_in zwar nicht die_der Urheber_in des fraglichen Design-Plans ist, aber die Rechte daran erworben hat, und damit auch über das Recht verfügt, genuine Exemplare des DesignPlans zu produzieren. Schließlich kann ein_e Akteur_in drittens zur Herstellung von Exemplaren eines Design-Plans autorisiert sein, ohne die_der Urheber_in dieses Design-Plans oder die_der Inhaber_in der Rechte daran zu sein. Dies ist etwa der Fall, wenn die_der Inhaber_in der Rechte an einem DesignPlan Dritte autorisiert und beauftragt, in einer Fabrik Exemplare ihres_seines Design-Plans zu produzieren. Trifft nun keiner der genannten drei Gründe zu, so haben wir es bei einer_ einem Akteur_in, die_der auf der Grundlage eines Exemplars ein konkretes Artefakt produziert, das wie dieses Exemplar den Original-Design-Plan realisiert, mit einer_einem Kopist_in zu tun: Um eine Exemplarkopie hervorbringen zu können, darf ein_e Akteur_in weder die Rechte an dem DesignPlan haben, den das Vorlage-Exemplar und seine Exemplarkopie realisieren, noch zur Herstellung von Exemplaren autorisiert sein, die den Design-Plan realisieren. Als Kopist_in kann die_der Akteur_in allerdings sehr wohl die_ der Urheber_in dieses Design-Plans sein. Denn als solche_r kann sie_er die Rechte daran an einen Dritten abtreten, sodass ihr_ihm die Berechtigung, genuine Exemplare zu produzieren, nicht mehr automatisch zueigen ist, und
Zur Ontologie der Artefaktkopien
es ist denkbar (und dürfte häufig der Fall sein), dass die_der Dritte, die_der die Rechte erworben hat, der_dem Urheber_in diese Berechtigung verwehrt. Wir können also zwei Fälle unterscheiden: Zum einen gibt es Fälle, in denen ein_e Dritte_r eine Exemplarkopie hervorbringt, die_der weder die_der Urheber_in eines durch ein Exemplar realisierten Design-Plans ist, noch die Rechte daran innehat, und die_der auch nicht über eine Berechtigung zur Herstellung genuiner Exemplare dieses Design-Plans verfügt. Zum anderen kann die_der Urheber_in eines Design-Plans anhand eines Exemplars ihres_seines Design-Plans selbst eine Exemplarkopie hervorbringen, die ihren_seinen Design-Plan realisiert, sofern sie_er zum fraglichen Zeitpunkt und im fraglichen Kontext weder die_der Inhaber_in der Rechte an diesem Design-Plan ist noch eine Berechtigung zur Produktion von Exemplaren des Design-Plans hat. Hier kommt also die Unterscheidung zwischen Fremd- und Selbstkopien zum Tragen: Von einer Exemplarkopie lässt sich als Fremdkopie sprechen, sofern die_der Urheber_in der Exemplarkopie nicht die_der Urheber_in des Design-Plans ist, den das Vorlage-Exemplar ebenso wie die Exemplarkopie realisiert, und auch nicht die Rechte am Design-Plan hat. Exemplarkopien, die Fremdkopien sind, bezeichne ich nachfolgend als »ExemplarkopienF«. Beispiele für Exemplarkopien F finden sich vielfach im Bereich der Mode – insbesondere die Exemplare teurer Luxushandtaschen, etwa von Louis Vuitton129, Hermès und Chanel, werden immer wieder als Vorlagen herangezogen, um Exemplarkopien F zu produzieren, die oftmals ebenso hochwertig sind wie die Originale.130 129 Die
Firma Louis Vuitton spielt gern damit, dass ihre Luxuswaren so häufig kopiert werden, dass man sie sogar als »most copied objects in the world« (Boon 2010, 13) bezeichnet hat, wie sich an der Kollaboration mit dem Künstler Takashi Murakami zeigt: »As guests arrived for the opening of an exhibit celebrating the art of Takashi Murakami and his collaboration with Marc Jacobs for Louis Vuitton, they were greeted by an outdoor scene more common on Canal Street: logoed merchandise piled on tables or hung on metal pegs, graffiti-covered walls, stalls closed ›by court order‹, and persistent vendors promising ›best quality‹ and ›best price‹. The difference? Those piles of LV Multicolore bags were real« (http://www.counterfeitchic.com/2008/04/post_13.php, zuletzt abgerufen am 12.8.2021). 130 Dass hochwertige Exemplarkopien oft selbst von Expert_innen nicht als solche F erkannt werden, zeigt der folgende Fall: Im Frühjahr 2016 fanden sich in den Medien Berichte über Praepitcha Smatsorabudh, die bei Online-Händler_innen echte Luxushandtaschen erworben hatte und anschließend Exemplarkopien F dieser Handtaschen retournierte, die den Original-Exemplaren zum Verwechseln ähnlich sahen. Die OriginalExemplare verkaufte Smatsorabudh online und verdiente mit diesem Vorgehen über eine Million US-Dollar (vgl. Gillman 2016). Dabei handelt es sich nicht etwa um ein neues Phänomen – Marcus Boon schreibt bereits 2010 das Folgende über Exemplarkopien von Handtaschen der Firma Louis Vuitton: »Some of these bags, which are sold complete
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Hat hingegen die_der Urheber_in des Design-Plans die Rechte daran an eine_n Dritte_n abgetreten, die_der sie_ihn nicht zur Herstellung von Exemplaren autorisiert hat, und fertigt anschließend mithilfe eines Exemplars ein konkretes Artefakt an, das den Original-Design-Plan realisiert, so handelt es sich bei dieser Exemplarkopie um eine Selbstkopie. Für Exemplarkopien, die Selbstkopien sind, nutze ich im Folgenden die Bezeichnung »Exemplar kopien S«. Um uns klarzumachen, wie eine ExemplarkopieS aussehen kann, können wir ein Beispiel aus dem vorhergehenden Abschnitt weiterdenken: Wir können uns vorstellen, dass der Computerspiele-Entwickler Minter auf ein konkretes Exemplar von Tempest 2000 zurückgreift, um auf dieser Grundlage eine ExemplarkopieS – sein Spiel TxK – hervorzubringen. Die Unterteilung in Fremdkopien und Selbstkopien taugt allerdings nicht dazu, sämtliche Exemplarkopien zu erfassen. Denn es gibt zudem Exemplarkopien einer dritten Art – diese Exemplarkopien zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Realisierungen des Design-Plans sind, den ihr Vorlage-Exemplar realisiert. Ich nutze für Exemplarkopien dieser dritten Art die Bezeichnung »eigenständige Exemplarkopien« bzw. »Exemplarkopiene«. Denn diese Exemplarkopien sind insofern eigenständig, als sie nicht den bereits bestehenden Original-Design-Plan realisieren: Für den Status eines Gegenstands als Exemplarkopie ist nur vorausgesetzt, dass der Gegenstand einem Vorlage-Exemplar signifikant ähnelt (vgl. (SÄB)), nicht aber, dass der Gegenstand denselben Design-Plan realisiert wie das Vorlage-Exemplar. Stattdessen kann auf der Grundlage eines Exemplars auch eine Exemplar-basierte Kopie erstellt werden, die mit dem Original-Design-Plan nur wenige Überschneidungen aufweist. Sofern eine Realisierung dieser Exemplar-basierten Kopie dem Vorlage-Exemplar signifikant ähnelt, ohne zugleich den Design-Plan zu realisieren, den das Vorlage-Exemplar realisiert, handelt es sich bei der Realisierung um eine Exemplarkopiee. Ein Beispiel für eine Exemplarkopiee dürften Andy Warhols Brillo Boxes sein, bei denen es sich um Exemplarkopiene von Seifenverpackungen handelt: Warhol baute auf der Grundlage von Exemplaren der Seifenkartons aus dem Supermarkt seine Brillo Boxes aus Holz, grundierte sie mit Acrylfarbe und bedruckte sie mittels des Siebdruckverfahrens. Zwar ähneln Warhols Brillo Boxes den Exemplaren der Seifenkartons aus dem Supermarkt signifikant. Aber höchstwahrscheinlich realisieren die Brillo Boxes nicht den Original-Design-Plan für die Seifenkartons – u. a., da die Original-Seifenkartons, wie with certificates of authenticity, fake receipts, and logo-stamped wrappings, have been ›returned‹ to stores which sell the real items but which did not detect the replicas« (Boon 2010, 14).
Zur Ontologie der Artefaktkopien
die Bezeichnung bereits verrät, aus Pappe sind und nicht aus Holz. Die Brillo Boxes realisieren also mutmaßlich ausschließlich Warhols Design-Plan – seine Exemplar-basierte Kopie –, und dürften insofern Exemplarkopiene sein. Design-Plan-basierte Kopien und Urheber_innenschaft: Fremd- und Selbstkopien
Die Erkenntnis aus Abschnitt 2.2.1, dass Design-Pläne manifestierbar sind, spielt auch für Design-Plan-basierte Kopien eine Rolle. Denn auch für die Entstehung von Design-Plan-basierten Kopien stellt die Manifestierbarkeit von Design-Plänen eine Voraussetzung dar: Sofern ein_e Dritte_r, die_der nicht die_der Urheber_in eines Design-Plans ist, eine Design-Plan-basierte Kopie auf der Basis dieses Design-Plans anfertigen will, ist sie_er auf den Zugang zu diesem Design-Plan mittels einer Manifestation angewiesen. Insofern ermöglicht die Manifestierbarkeit von Design-Plänen, dass eine Design-Planbasierte Kopie entstehen kann, die nicht auf die_den Urheber_in des DesignPlans zurückgeht. Bei einer Design-Plan-basierten Kopie, die auf eine_n Kopierenden zurückgeht, die_der nicht die_der Urheber_in des Vorlage-Design-Plans ist, handelt es sich um eine Fremdkopie. Die Manifestierbarkeit von Design-Plänen ermöglicht es darüber hinaus, dass auch Urheber_innen von Design-Plänen als Kopist_innen Design-Plan-basierte Kopien auf der Basis ihrer Design-Pläne hervorbringen können. Denn damit Urheber_innen in dieser Weise zu Kopist_innen werden können, müssen sie Dritten die Rechte an ihren Design-Plänen übertragen haben – und dies setzt voraus, dass sie diesen Dritten mithilfe von Manifestationen Zugang zu den Design-Plänen verschafft haben. Geht eine Design-Plan-basierte Kopie auf eine_n Kopierende_n zurück, die_der zugleich die_der Urheber_in des Design-Plans ist, der der Design-Plan-basierten Kopie als Vorlage gedient hat, so handelt es sich um eine Selbstkopie. Auch im Hinblick auf Design-Plan-basierte Kopien ist die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien nicht bereits in der Definition (AK) angelegt. Denn als Antwort auf die Frage, inwiefern die Existenz einer Design-Plan-basierten Kopie auf die Anstrengungen einer_eines Kopierenden zurückgeht, hält (AK) mit der Bedingung (SBHK) dieselbe Antwort bereit, die uns auch schon im Hinblick auf Exemplarkopien beschäftigt hat: Ein_e Akteur_in ist ein_e Kopist_in, die_der für eine Design-Plan-basierte Kopie verantwortlich zeichnet, sofern diese_r Akteur_in zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Design-Plan-basierten Kopie kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in ist. Damit deutlich wird, inwiefern die Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien sich auch für das Verständ-
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nis der unterschiedlichen Relationen fruchtbar machen lässt, die zwischen Design-Plan-basierten Kopien und den ihnen als Basis dienenden Design-Plänen bestehen können, sollten wir uns auch in diesem Zusammenhang zunächst klar machen, welche Gründe dagegensprechen, dass ein_e Akteur_ in ein_e Kopist_in ist. Wie schon im Falle der Exemplarkopien kommen drei Gründe in Frage: Ein_e Akteur_in, die_der die_der Urheber_in eines DesignPlans ist und die Rechte daran innehat, produziert, wenn sie_er diesen DesignPlan realisiert, statt Design-Plan-basierten Kopien genuine Exemplare. Ebenso verhält es sich, wenn ein_e Akteur_in einen Design-Plan realisiert, dessen Urheber_in sie_er zwar nicht ist, an dem sie_er aber nichtsdestotrotz die Rechte besitzt. Schließlich erzeugt auch ein_e Akteur_in, die_der weder Urheber_in eines Design-Plans ist noch die Rechte daran hat, statt Design-Plan-basierten Kopien genuine Exemplare, sofern die_der Akteur_in von der_dem Inhaber_in der Rechte als Exemplar-Urheber_in autorisiert wurde. Ein_e Akteur_in, die_der aus keinem der drei genannten Gründe Exemplare eines Design-Plans herzustellen vermag, ist hingegen ein_e Kopist_in, deren_ dessen Realisierungen des Design-Plans Design-Plan-basierte Kopien sind. Bei der_dem Kopierenden kann es sich also einerseits um jemanden handeln, die_der nicht die_der Urheber_in eines Design-Plans ist und auch nicht die Rechte daran hat, und die_der von der_dem Rechteinhaber_in zudem nicht als Exemplar-Urheber_in autorisiert wurde. Eine Design-Plan-basierte Kopie, die von einer_einem solchen Kopierenden hervorgebracht wird, ist eine Fremdkopie – zur Bezeichnung Design-Plan-basierter Kopien dieser Art dient mir nachfolgend der Ausdruck »Design-Plan-basierte Kopien F«. Ein Beispiel für eine Design-Plan-basierte KopieF ist der in Chonqing nach Bauplänen Zaha Hadids errichtete Komplex, auf den ich bereits in Abschnitt 3.1.1 zu sprechen gekommen bin. Wie schon im Falle der Exemplarkopien kommt zudem die_der Urheber_in eines Design-Plans selbst dazu in Frage, als Kopist_in Design-Plan-basierte Kopien hervorzubringen: Ein_e Urheber_in, die_der die Rechte an ihrem_seinem Design-Plan an eine_n Dritte_n überträgt und die_der von dieser_diesem Dritten keine Berechtigung erhält, Exemplare dieses Design-Plans zu produzieren, bringt als Kopist_in ebenfalls Design-Plan-basierte Kopien hervor. Bei diesen Kopien handelt es sich um Selbstkopien – auf sie beziehe ich mich nachfolgend mit der Bezeichnung »Design-Plan-basierte Kopien S«. Um uns klar zu machen, was wir uns unter einer Design-Plan-basierten KopieS vorzustellen haben, können wir eine weitere mögliche Variante der Entstehung des Computerspiels TxK betrachten: Wenn wir annehmen, dass der Computerspiele-Entwickler Minter eine Manifestation des Design-Plans für das Computerspiel Tempest 2000 behalten hat oder dass er sich bis ins kleinste Detail
Zur Ontologie der Artefaktkopien
an diesen Design-Plan erinnern kann, dann ist es durchaus vorstellbar, dass Minter eine Realisierung dieses Design-Plans anfertigt – das Spiel TxK. In diesem Szenario geht TxK also auf den Original-Design-Plan für Tempest 2000 zurück, dessen Urheber Minter ist – aber Minter hat zum Zeitpunkt und im Kontext des Entstehens von TxK nicht mehr die Rechte an diesem Design-Plan inne. TxK ist in dieser Konstellation somit eine Design-Plan-basierte Kopie S. Die Herstellung von Exemplarkopien: Exemplare dienen zunächst der Erstellung von Exemplar-basierten Kopien, die dann durch Exemplarkopien realisiert werden
Die Herstellung einer Exemplarkopie ist stets ein zweistufiger Prozess: Bei der Herstellung von Exemplarkopien F, ExemplarkopienS und Exemplarkopiene gilt zwar gleichermaßen, dass sie ein Exemplar zum Ausgangspunkt nehmen. Allerdings ist neben den beiden konkreten Gegenständen – dem Vorlage-Exemplar und der Exemplarkopie – stets noch ein weiterer, abstrakter Gegenstand im Spiel: Wer auf der Grundlage eines Exemplars eine Exemplarkopie herstellen will, muss dieses Exemplar zunächst als Grundlage zu Erstellung eines Design-Plans – einer Exemplar-basierten Kopie – heranziehen. Wir haben im vorhergehenden Abschnitt gesehen, wie sich die Erstellung eines solchen Design-Plans ereignen kann – ob dabei Eingriffe in Form eines Reverse Engineering nötig sind oder ob die bloße Betrachtung eines Exemplars ausreicht, um eine entsprechende Exemplar-basierte Kopie hervorzubringen, ist von Fall zu Fall verschieden. Die Exemplar-basierte Kopie wird dann in einem zweiten Schritt realisiert – dabei entsteht eine Exemplarkopie. Ob es sich bei der entstandenen Exemplarkopie nun um eine ExemplarkopieF bzw. eine ExemplarkopieS oder um eine Exemplarkopiee handelt, hängt mitunter davon ab, mit welchen Absichten die_der Kopist_in die Exemplarkopie anfertigt, wobei sich diese Absichten auch in der Ausgestaltung der Exemplar- basierten Kopie niederschlagen: Ein_e Kopist_in kann einerseits beabsichtigen, eine Exemplarkopie zu produzieren, die auch den Design-Plan ihres Vorlage-Exemplars realisiert. Ist die_der Kopist_in erfolgreich, so bringt sie_er zunächst eine Exemplar-basierte Kopie hervor, die wesentliche Überschneidungen mit dem Design-Plan aufweist, den das Vorlage-Exemplar realisiert. Die Realisierung dieser Exemplar-basierten Kopie ist dann – je nach Status der_des Kopierenden – eine ExemplarkopieF oder eine ExemplarkopieS. Aber ein_e Kopist_in kann andererseits auch beabsichtigen, eine Exemplarkopie herzustellen, die keine Realisierung des Design-Plans ist, den ihr Vorlage-Exemplar realisiert: Da nicht alle Eigenschaften eines Exemplars durch den Design-Plan vorgeschrieben sind, bestehen bei der Herstellung genuiner
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Exemplare eines jeden Design-Plans gewisse Spielräume. Jeder Design-Plan weist Leerstellen auf, die von seinen Exemplaren individuell gefüllt werden können. Jedes Exemplar verfügt somit auch über eine Reihe von Merkmalen, die mit dem Design-Plan, den es realisiert, nichts zu tun haben. Ein_e Kopist_ in kann sich dies nun bewusst zunutze machen und zunächst eine Exemplarbasierte Kopie erstellen, die die Merkmale ihrer Realisierungen so festlegt, dass sich nur wenige Überschneidungen mit dem Original-Design-Plan ergeben, den das Vorlage-Exemplar realisiert. Dies kann etwa gelingen, indem die_der Kopist_in primär die kontingenten Eigenschaften des Exemplars in seine Exemplar-basierte Kopie aufnimmt. Aber auch der gezielte Verzicht auf besonders zentrale Merkmale, die der Original-Design-Plan vorgibt, kann die_ den Kopierenden zum Ziel führen. Die Exemplar-basierte Kopie kann die_der Kopist_in dann in Form einer Exemplarkopiee realisieren. Aber es ist ebenso denkbar, dass ein_e Kopist_in beim Versuch der Umsetzung ihrer_seiner Absichten nicht erfolgreich ist. So kann es das Vorhaben der_des Kopierenden sein, eine ExemplarkopieF bzw. eine Exemplarkopie S zu produzieren, aber dieses Vorhaben kann daran scheitern, dass die_der Kopierende die Eigenschaften, die der Original-Design-Plan für das Vorlage-Exemplar (und damit alle seine Realisierungen) vorschreibt, verkennt. Die Exemplar-basierte Kopie, die die_der Kopist_in anfertigt, weist dann entgegen ihrer_seiner Absichten nicht die erforderlichen Überschneidungen mit dem Original-Design-Plan auf. Bei der Realisierung einer solchen Exemplar- basierten Kopie haben wir es mit einer Exemplarkopiee zu tun, obgleich die_ der Kopist_in nicht vorhatte, eine solche hervorzubringen. Aber es ist ebenso auch umgekehrt denkbar, dass das Vorhaben einer_eines Kopierenden scheitert, die_der auf der Grundlage eines Exemplars eine Exemplar-basierte Kopie erstellt, um mit ihrer Hilfe eine Exemplarkopiee anzufertigen: Übernimmt die_der Kopist_in mehrere zentrale Merkmale, die der Original-Design-Plan festlegt, den das Vorlage-Exemplar realisiert, so kann sie_er auch unbeabsichtigt eine Exemplar-basierte Kopie schaffen, deren Realisierungen – je nach Status des Kopisten – Exemplarkopien F oder ExemplarkopienS sind. Die Herstellung von Design-Plan-basierten Kopien: Als Grundlage können unmittelbar Manifestationen von Original-Design-Plänen und Erinnerungen an diese und mittelbar Manifestationen von Design-Plan-Kopien und Erinnerungen an diese dienen
Zur Herstellung einer Design-Plan-basierten Kopie können Kopist_innen zum einen auf den Original-Design-Plan zurückgreifen, der die Basis der Design-Plan-basierten Kopie bildet. Dabei können sowohl Manifestationen
Zur Ontologie der Artefaktkopien
des Original-Design-Plans als auch Erinnerungen an ihn Verwendung finden: Wie sich zeigen wird, ist für die Herstellung von Design-Plan-basierten Kopien F das Verwenden von Manifestationen der Original-Design-Pläne vorausgesetzt, während die Herstellung von Design-Plan-basierten KopienS sowohl mithilfe von Manifestationen der Original-Design-Pläne als auch auf der Grundlage von Erinnerungen an die Original-Design-Pläne erfolgen kann. Aber nicht nur diese unmittelbaren Wege der Herstellung einer Design-Plan-basierten Kopie sind möglich: Darüber hinaus kann eine DesignPlan-Kopie eines Original-Design-Plans als Mittel zur Erzeugung einer Design-Plan-basierten Kopie auf der Basis dieses Original-Design-Plans dienen. Wie wir sehen werden, gilt für Design-Plan-basierte Kopien F und DesignPlan-basierte KopienS gleichermaßen, dass zu ihrer Erzeugung sowohl eine Manifestation einer solchen Design-Plan-Kopie als auch die Erinnerung an sie herangezogen werden kann. Betrachten wir zunächst die beiden Varianten der direkten Herstellung. Je nachdem, ob die Design-Plan-basierte Kopie eine Design-Plan-basierte KopieF oder eine Design-Plan-basierte KopieS ist, ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Herstellung: Die Herstellung einer Design-Plan-basierten KopieF kann nur mithilfe einer Manifestation des jeweiligen Original-Design-Plans, der die Basis der Design-Plan-basierten KopieF bildet, erfolgen: Da die_der Kopist_in, die_der die Design-Plan-basierte KopieF herstellt, nicht zugleich die_der Urheber_in des Design-Plans ist, auf dem die Design-Planbasierte KopieF basiert, ist sie_er auf eine Manifestation des Design-Plans angewiesen. Anders verhält es sich hingegen mit der Herstellung DesignPlan-basierter KopienS: Sie kann auch ohne eine Manifestation erfolgen. Denn die_der Urheber_in der Design-Plan-basierten KopieS kann, da sie_er zugleich die_der Urheber_in des Original-Design-Plans ist, auf dem die Kopie basiert, sich auch ihrer_seiner Erinnerung an diesen Original-Design-Plan bedienen, um die Design-Plan-basierte KopieS anzufertigen. Eine Design-Plan-basierte Kopie kann allerdings auch ohne den direkten Zugriff auf Manifestationen des Original-Design-Plans oder Erinnerungen an ihn entstehen. Denn zur Herstellung einer solchen Kopie lassen sich auch Design-Plan-Kopien als Mittel heranziehen: Im vorhergehenden Abschnitt hat sich gezeigt, dass die Realisierungen von Design-Plan-Kopien vielfach zugleich Realisierungen der Original-Design-Pläne sind, die die Design-PlanKopien zur Vorlage haben. Bei solchen Realisierungen handelt es sich ebenfalls um Design-Plan-basierte Kopien auf der Basis des Original-Design-Plans (– am Ende dieses Abschnitts werde ich erörtern, warum wir es bei Realisierungen dieser Art stets mit Design-Plan-basierten Kopien auf der Basis des Original-Design-Plans zu tun haben und nicht mit Design-Plan-basierten
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Kopien auf der Basis der Design-Plan-Kopie). Um eine Design-Plan-basierte Kopie zu erzeugen, kann sich ein_e Kopist_in also grundsätzlich auch einer Design-Plan-Kopie bedienen. Je nach Art der Design-Plan-basierten Kopie ergeben sich bei ihrer Herstellung verschiedene Möglichkeiten, eine DesignPlan-Kopie zu nutzen: Zum Erzeugen einer Design-Plan-basierten Kopie F mithilfe einer Design-Plan-Kopie muss ein_e Kopist_in bereits Zugriff auf eine Manifestation des Original-Design-Plans gehabt haben, mit deren Hilfe sie_er die Design-Plan-Kopie erzeugt hat. Nun kann die_der Kopist_in eine Manifestation der Design-Plan-Kopie hervorbringen und mit ihrer Hilfe die Design-Plan-Kopie realisieren – handelt es sich bei der daraus resultierenden Realisierung auch um eine Realisierung des Original-Design-Plans, so hat die_der Kopist_in eine Design-Plan-basierte KopieF geschaffen. Aber unser_e Kopist_in muss nicht zwingend den Umweg über eine Manifestation der Design-Plan-Kopie wählen, um eine Design-Plan-basierte KopieF hervorzubringen: Da sie_er die_der Urheber_in der Design-Plan-Kopie ist, kann sie_er diese ebenso aus der Erinnerung an sie – sozusagen ›aus dem Kopf‹ – realisieren. Auch für die Herstellung einer Design-Plan-basierten KopieS kann die_der Kopist_in sich einer Design-Plan-Kopie bedienen. Dazu kann sie_er ebenfalls eine Manifestation der Design-Plan-Kopie heranziehen: Dies bietet sich insbesondere dann an, wenn die_der Kopist_in, die_der ja auch die_der Urheber_in des Original-Design-Plans ist, an den Original-Design-Plan keine Erinnerung mehr hat und auch nicht über eine Manifestation desselben verfügt, ihr_ihm aber eine Manifestation einer von ihr_ihm selbst angefertigten Design-PlanKopie zur Verfügung steht. Realisiert sie_er mit ihrer Hilfe die Design-PlanKopie und handelt es sich bei dieser Realisierung auch um eine Realisierung des Original-Design-Plans, so hat die_der Kopist_in mithilfe der Manifestation ihrer_seiner Design-Plan-Kopie eine Design-Plan-basierte KopieS auf der Basis des Original-Design-Plans geschaffen. Grundsätzlich kann sich ein_e Kopist_ in, die_der auch Urheber_in des Original-Design-Plans ist, auch einer Erinnerung an eine Design-Plan-Kopie bedienen, um eine Design-Plan-basierte KopieS zu schaffen. Dies bietet sich aber nur an, wenn die_der Kopist_in nicht mehr über Erinnerungen an den Original-Design-Plan verfügt, für den sie_er ebenfalls als Urheber_in verantwortlich zeichnet. Denn wie sich im vorhergehenden Abschnitt gezeigt hat, birgt der Umweg über Design-Plan-Kopien die Gefahr, dass der Versuch, eine Design-Plan-basierte Kopie hervorzubringen, scheitert: Es ist möglich, eine Design-Plan-Kopie so zu realisieren, dass ihre Realisierung nicht zugleich den Original-Design-Plan realisiert, der der Design-Plan-Kopie als Vorlage gedient hat.
Zur Ontologie der Artefaktkopien
Alle Exemplarkopien sind Realisierungen Exemplar-basierter Kopien, sofern beide dieselbe_denselben Urheber_in haben
Im vorhergehenden Abschnitt standen die abstrakten Artefaktkopien im Mittelpunkt. Als eines der wesentlichen Charakteristika dieser Artefaktkopien hat sich deren Realisierbarkeit erwiesen. Zum Verständnis der Seinsweise abstrakter Artefaktkopien hat insofern auch ein Blick auf deren Realisierungen beigetragen. Im Hinblick auf Exemplar-basierte Kopien hat sich in diesem Zusammenhang gezeigt, dass alle ihre Realisierungen Exemplarkopien sind – vorausgesetzt ist lediglich, dass die Kopist_innen, die für sie verantwortlich zeichnen, keine autorisierten Exemplar-Urheber_innen sind. Da wir es hier mit Exemplarkopien zu tun haben, ist bereits erwiesen, dass es sich bei ihren Urheber_innen nicht um autorisierte Exemplar-Urheber_innen handelt. Es ist jedoch bisher nicht gezeigt, dass Exemplarkopien stets Realisierungen von Exemplar-basierten Kopien sind. Greifen wir auf die Definition (AK) zurück und betrachten zudem die drei Beispiele für Exemplarkopien F, ExemplarkopienS und Exemplarkopiene, so zeigt sich allerdings, dass dies ebenfalls der Fall ist: Bei allen Exemplarkopien handelt es sich um die Realisierungen Exemplar-basierter Kopien. Um dies nachzuvollziehen, sollten wir uns zunächst noch einmal die zentralen Merkmale von Exemplarkopien vor Augen führen. Wichtig ist zunächst, dass Exemplarkopien ihre Existenz den Anstrengungen einer_eines Kopierenden verdanken – dies wird durch (SBHK) sichergestellt. Exemplarkopien zeichnen sich laut (SÄB) zudem dadurch aus, dass sie den Exemplaren, die ihnen als Vorlage dienen, signifikant ähneln. Dies gilt für die Handtaschen-Kopien ebenso wie für TxK und die Brillo Boxes. Für die DesignPläne, deren Realisierungen Exemplarkopien sind, gilt somit, dass ihre Realisierungen den Vorlage-Exemplaren in der in (SÄB"') geforderten Weise signifikant ähneln – dies belegen die Exemplarkopien selbst: Als Exemplarkopien weisen sie eine signifikante Ähnlichkeit zu ihren Vorlage-Exemplaren auf – da es sich bei ihnen um Realisierungen der fraglichen Design-Pläne handelt, ähneln also die Realisierungen dieser Design-Pläne den Vorlage-Exemplaren, wie es (SÄB"') für Exemplar-basierte Kopien voraussetzt. Für Design-Pläne, deren Realisierungen Exemplarkopien sind, gilt also, dass sie (SÄB"') erfüllen. Die signifikante Ähnlichkeit einer Exemplarkopie mit ihrem Vorlage-Exemplar darf nun kein bloßer Zufall sein: Wie wir (SBIUÄ) entnehmen können, muss diese Ähnlichkeit intendiert sein – auch dies trifft auf die Handtaschen-Kopien, TxK und die Brillo Boxes gleichermaßen zu. Dass die Ähnlichkeit intendiert ist, reicht laut (SBIUÄ) freilich noch nicht hin – die entsprechende Intention muss zudem unter den Ursachen der Ähnlichkeit sein. Dies dürfte bei unseren drei Beispielen durchaus der Fall sein. Wenn nun aber
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die signifikante Ähnlichkeit einer Exemplarkopie mit ihrem Vorlage-Exemplar grundsätzlich intendiert sein muss und das Zustandekommen dieser Ähnlichkeit nicht dem Zufall geschuldet sein darf, so lässt dies einen weiteren Rückschluss auf den Design-Plan zu, den die Exemplarkopie realisiert: In diesem Design-Plan muss festgelegt sein, dass seine Realisierungen eine signifikante Ähnlichkeit zum Vorlage-Exemplar aufweisen, die nicht zufällig zustande kommt, sondern sich einer entsprechenden Intention verdankt. Ein Design-Plan, den eine Exemplarkopie realisiert, erfüllt somit eine weitere Bedingung, die für den Status als Exemplar-basierte Kopie notwendig ist, nämlich (SBIUÄ"). Machen wir uns dies anhand der Beispiele deutlich: Die Handtaschen-Kopien, TxK und die Brillo Boxes ähneln ihren jeweiligen Vorlagen signifikant, weil ihre Urheber_innen diese Ähnlichkeit beabsichtigt haben. Die Design-Pläne, die diese drei Exemplarkopien realisieren, müssen also jeweils mit der Intention hervorgebracht worden sein, einen Gegenstand zu produzieren, dessen Realisierungen dem jeweiligen Vorlage-Exemplar signifikant ähneln: Die Urheber_innen der Handtaschen-Kopien dürften die Absicht gehabt haben, Design-Pläne zu erstellen, deren Realisierungen den Original-Luxus-Handtaschen ähneln. Minter wollte mutmaßlich einen Design-Plan schaffen, dessen Realisierungen eine signifikante Ähnlichkeit zu Tempest 2000 aufweisen. Schließlich war es Warhols Absicht, einen Design-Plan hervorzubringen, dessen Realisierungen mit den Seifenkartons eine signifikante Ähnlichkeit verbindet. Auch ist die entsprechende Ähnlichkeit in allen drei Fällen mehr als bloßer Zufall, denn ihr lag jeweils die Intention zugrunde, einen konkreten Gegenstand zu schaffen, der dem jeweiligen Vorlage-Exemplar signifikant ähnelt. Um dieser Intention Genüge zu tun, wurde in allen drei Fällen zunächst ein Design-Plan erstellt, und zwar mit der Absicht, dass dessen Realisierungen dem jeweiligen Vorlage-Exemplar aufgrund dieser Absicht ähneln sollen. Die drei Design-Pläne, die die Gegenstände jeweils realisieren, erfüllen also (SBIUÄ"). Es bleibt schließlich eine letzte Bedingung übrig, die wir prüfen müssen, um nachzuweisen, dass tatsächlich alle Exemplarkopien Realisierungen Exemplar-basierter Kopien sind: Neben (SÄB"') und (SBIUÄ") ist schließlich noch die Bedingung (SBHK") notwendig dafür, dass wir es bei einem DesignPlan mit einer Exemplar-basierten Kopie zu tun haben. Auch diese Bedingung ist durch alle Design-Pläne erfüllt, deren Realisierungen Exemplarkopien sind: Es ist oben bereits zur Sprache gekommen, dass Exemplarkopien ihre Existenz einer_einem Kopierenden verdanken, bei der_dem es sich nicht um eine_n autorisierte_n Exemplar-Urheber_in handelt. Im Zusammenhang mit der Anwendung der Unterscheidung zwischen Fremdkopien und Selbstkopien auf Exemplarkopien haben wir zuvor gesehen, dass es drei Gründe
Zur Ontologie der Artefaktkopien
gibt, aus denen ein_e Akteur_in ein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in sein kann: Ein_e Akteur_in kann erstens die_der Urheber_in des Design-Plans sein, den das Vorlage-Exemplar realisiert, und außerdem die Rechte daran haben. Zweitens kann ein_e Akteur_in, die_der nicht die_der Urheber_in des fraglichen Design-Plans ist, die Rechte an diesem Design-Plan haben. Drittens kann ein_e Akteur_in, die_der weder die_der Urheber_in des Design-Plans ist, noch die Rechte daran innehat, zur Herstellung genuiner Exemplare autorisiert sein. Über die_den Urheber_in unserer Exemplarkopien wissen wir nun, dass keiner dieser drei Gründe auf sie_ihn zutrifft – anderenfalls wäre sie_er kein_e Kopist_in und (SBHK) würde nicht gelten. Da es uns hier nun einzig um Fälle geht, in denen die Exemplarkopie und der durch sie realisierte DesignPlan auf dieselbe_denselben Urheber_in zurückgehen, wissen wir zudem, dass der Design-Plan, den die Exemplarkopie realisiert, auch (SBHK") erfüllt. Denn diese_r Urheber_in ist, wie wir soeben gesehen haben, weder zugleich die_der Rechteinhaber_in am Design-Plan, den das Vorlage-Exemplar realisiert, und deren_dessen Urheber_in – noch hat sie_er bloß die Rechte an diesem DesignPlan inne, ohne ihr_sein Urheber zu sein. Sonst träfe auf sie_ihn schließlich einer der Gründe zu, die sie_ihn zur_zum autorisierten Exemplar-Urheber_in machen würden – und dies ist nicht der Fall, da sie_er ein_e Kopist_in und ihre_seine Hervorbringung eine Exemplarkopie ist. Für unsere drei Beispielfälle gilt entsprechend, dass den konkreten Exemplarkopien Exemplar-basierte Kopien vorausgegangen sind. Schauen wir uns dies noch einmal im Einzelnen an: Die Produzent_innen, die die Exemplarkopien der Luxushandtaschen angefertigt haben, waren offenkundig nicht dazu autorisiert, genuine Exemplare zu produzieren, die die Design-Pläne für diese Handtaschen realisieren. Sie waren weder die Urheber_innen dieser Design-Pläne, noch besaßen sie die Rechte daran. Die Design-Pläne, auf deren Grundlage die Handtaschen entstanden sind, erfüllen also nicht nur (SÄB"') und (SBIUÄ"), sondern auch (SBHK"). Es handelt sich bei diesen Design-Plänen somit um Exemplar-basierte Kopien. Auch wissen wir, dass Minter zwar der Urheber des Design-Plans für Tempest 2000 war, daran aber zum Zeitpunkt und im Kontext des Entstehens seiner Exemplarkopie TxK nicht mehr die Rechte innehatte. Somit trifft auf Minters Design-Plan für TxK ebenfalls (SBHK") zu – wie auch (SÄB"') und (SBIUÄ"), wie wir bereits gesehen haben. Dieser Design-Plan ist ebenfalls eine Exemplar-basierte Kopie. Schließlich können wir davon ausgehen, dass Warhol nicht der Urheber des Design-Plans für die Seifenkartons war, die ihm als Vorlage seiner Brillo Boxes gedient haben, und an diesem Design-Plan auch nicht die Rechte hatte. Auf seinen eigenen Design-Plan, den er für die Brillo Boxes erstellt hat, trifft also ebenfalls (SBHK") zu. Da dieser Design-Plan auch (SÄB"') und (SBIUÄ") erfüllt,
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haben wir es dabei ebenfalls mit einer Exemplar-basierten Kopie zu tun. Wir können somit festhalten, dass alle Design-Pläne, die durch Exemplarkopien realisiert werden, Exemplar-basierte Kopien sind, sofern die Exemplarkopien ihre Existenz derselben_demselben Kopierenden verdanken, die_der auch für die jeweiligen Exemplar-basierten Kopien verantwortlich zeichnet, deren Realisierungen sie sind. Jede Design-Plan-basierte Kopie basiert auf einem Original-Design-Plan – auch, wenn ihr_e Urheber_in eine Design-Plan-Kopie als Mittel zu ihrer Herstellung verwendet
Im vorhergehenden Abschnitt bin ich bereits darauf zu sprechen gekommen, dass Design-Plan-basierte Kopien, die Design-Plan-Kopien realisieren, stets Design-Plan-basierte Kopien auf der Basis des Original-Design-Plans sind und nicht auf der Basis der Design-Plan-Kopie selbst. Nun liegt allerdings die Frage nahe, warum Design-Plan-basierte Kopien nicht auch auf Design-PlanKopien sollten basieren können. Wir haben oben bereits mehrere Möglichkeiten zur Herstellung Design-Plan-basierter Kopien kennengelernt – darunter auch Varianten, bei denen eine Design-Plan-Kopie zum Tragen kommt. Bisher habe ich lediglich behauptet, dass Design-Plan-basierte Kopien nicht auf den Design-Plan-Kopien selbst basieren, die zu ihrer Herstellung herangezogen werden, sondern stets auf den Original-Design-Plänen, die den Design-PlanKopien als Vorlage dienen. Warum aber ist dies der Fall? Zur Beantwortung dieser Frage bedürfen wir eines weiteren Blicks auf die Definition (AK) und die Gegenstände, auf die diese Definition zugeschnitten ist. Die Definition (AK) ist darauf ausgelegt, die verschiedenen Arten von Artefaktkopien zu erfassen, bei denen es sich um Kopien von Original-Artefakten handelt. Denn mit diesen Artefakten verbinden sich die Bestimmungsrechte von Urheber_ innen.131 Das heißt nicht, dass nicht auch Artefaktkopien eingeschlossen werden, die Realisierungen anderer Artefaktkopien sind oder die durch andere Artefaktkopien realisiert werden. Es geht vielmehr darum, dass die Vorlagen der Kopien – diejenigen Gegenstände, für die in den jeweiligen Teildefinitionen stets die Variable »x« steht – nicht selbst Kopien sind: Artefaktkopien sind 131 Eine
Ausnahme bilden Exemplar-basierte Kopien, deren Realisierungen nicht zugleich den Design-Plan realisieren, den ihr Vorlage-Exemplar realisiert, sodass es sich bei diesen Realisierungen um Exemplarkopiene handelt: Wie wir bereits in Abschnitt 2.3.1 gesehen haben, können Urheber_innen an diesen Kopien tatsächlich ebenfalls Bestimmungsrechte haben. In Abschnitt 2.3.1 hat sich aber auch gezeigt, dass wir diese Exemplar-basierten Kopien wie Original-Design-Pläne behandeln können – deshalb sind sie nicht gesondert zu berücksichtigen.
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
als Kopien erster Ordnung bestimmt. Entsprechend zielt nun auch die Teildefinition des Begriffs »Design-Plan-basierte Kopie« auf die Erfassung solcher Kopien ab, deren Vorlage ein Original-Design-Plan ist: Die Variable »x« steht hier für Original-Design-Pläne. Dies erscheint auch insofern als sinnvoll, als es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung um Kopien geht, deren Anfertigung das Potenzial hat, die Bestimmungsrechte von Urheber_innen an ihren Design-Plänen zu verletzen. Wie sich in Abschnitt 2.3.1 erwiesen hat, bestehen an Design-Plan-Kopien keine Bestimmungsrechte – entsprechend kommen Design-Plan-Kopien nicht als Basis Design-Plan-basierter Kopien in Frage. Betrachten wir jeweils eine Variante der beiden bereits diskutierten Beispiele für Design-Plan-basierte Kopien, um die soeben angestellten Überlegungen konkret zur Anwendung zu bringen: Es erscheint durchaus als denkbar, dass die Urheber_innen des Kopie-Komplexes in Chonqing zur Herstellung dieses Komplexes zunächst eine Design-Plan-Kopie des Original-Design-Plans von Zaha Hadid erstellt haben, die dann in einem zweiten Schritt realisiert wurde. Da nun aber keine gesonderten Rechte an Design-Plan-Kopien bestehen, ist nicht die Frage, ob der Kopie-Komplex genuinen Exemplaren dieser Design-Plan-Kopien ähnelt. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Komplex den genuinen Exemplaren ähnelt, die den Original-Design-Plan realisieren – denn an diesem Original-Design-Plan bestehen Bestimmungsrechte, die durch die Produktion nicht-genuiner Realisierungen in ernstzunehmender Weise verletzt werden können. Wir können zudem ohne Weiteres annehmen, dass auch Minter zur Produktion von TxK auf der Grundlage des Design-Plans für Tempest 2000 zuerst eine Design-Plan-Kopie erstellen und diese dann in Form des Spiels realisieren musste. An dieser Design-Plan-Kopie selbst bestehen ebenfalls keinerlei Bestimmungsrechte. Es kann uns also, wenn wir uns dafür interessieren, ob die Herstellung von TxK Bestimmungsrechte verletzt, nicht darum gehen, ob TxK Ähnlichkeiten zu genuinen Exemplaren der DesignPlan-Kopie aufweist. Es ist vielmehr die Frage, ob TxK genuinen Exemplaren des Design-Plans für Tempest 2000 signifikant ähnelt, weil die Herstellung dieser Exemplare insofern eine ernstzunehmende Verletzung der Bestimmungsrechte am Design-Plan für Tempest 2000 darstellen kann.
3.3 Die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von Artefaktkopien
Im Kapitel 2.3 hat sich gezeigt, warum und inwiefern es als plausibel erscheint, Artefakte als Gegenstände von Bestimmungsrechten zu begreifen. In diesem Zusammenhang sind bereits zwei spezielle Bestimmungsrechte von Urhe-
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Was ist eine Artefaktkopie?
ber_innen zur Sprache gekommen, die durch die Anfertigung von konkreten Artefaktkopien verletzt werden können, nämlich (RVE) – das Recht, die Produktion vorgeblicher Exemplare zu verhindern –, und (RKV) – das Recht, die Produktion nicht autorisierter Kopien mit Verbreitungsabsicht zu verhindern. Im Rahmen von Abschnitt 2.3.2 haben sich diese beiden Rechte als durch die Anfertigung konkreter Kopien gefährdete Urheber_innen-Bestimmungsrechte erwiesen. In diesem Abschnitt ist auch bereits angeklungen, welche Kopien es jeweils sind, deren Produktion mit der Verletzung der beiden Rechte einhergeht: Während das Recht (RVE) durch die Produktion von konkreten Kopiefälschungen und konkreten Plagiaten eine Verletzung erfährt, wird das Recht (RKV) durch die Herstellung konkreter Schwarzkopien verletzt. Was jedoch im Einzelnen unter konkreten Kopiefälschungen, konkreten Plagiaten und konkreten Schwarzkopien zu verstehen ist und inwiefern ihre Herstellung die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzt, habe ich in diesem Kontext zunächst nur vorläufig skizziert. Um die Überlegungen der vorliegenden Studie zum Abschluss zu bringen, ist eine letzte offene Frage zu klären: Wie genau sind die Kopien erster Ordnung charakterisiert, deren Genese Bestimmungsrechte verletzt? Unter Rückgriff auf die in Abschnitt 3.1.2 vorgelegte viergliedrige Definition (AK) lassen sich die skizzenhaften Bestimmungen der Begriffe konkrete Kopiefälschung, konkretes Plagiat und konkrete Schwarzkopie aus dem Abschnitt 2.3.2 weiter ausarbeiten. Das Ergebnis bilden elaborierte Definitionen, die den zuvor gewonnenen Erkenntnissen über Artefaktkopien Rechnung tragen. In Abschnitt 2.3.2 bin ich außerdem darauf zu sprechen gekommen, dass es keine analogen, speziellen Bestimmungsrechte gibt, die es einer_einem Design-Plan-Urheber_in erlauben, die Herstellung abstrakter Artefaktkopien abzuwehren. Dies liegt jedoch nicht etwa darin begründet, dass die Herstellung abstrakter Artefaktkopien sich nicht auf die Bestimmungsrechte von Urheber_innen auswirkt: Auch die Herstellung abstrakter Artefaktkopien kann generelle Urheber_innen-Bestimmungsrechte verletzen – da die Verletzung der Bestimmungsrechte durch die bloße Herstellung abstrakter Artefaktkopien aber der_dem Urheber_in zumutbar ist, ergeben sich keine gesonderten Bestimmungsrechte zur Abwehr der Produktion abstrakter Artefaktkopien. Die Produktion dieser Kopien ist daher moralisch legitim. In Abschnitt 3.3.2 werde ich dies ausführlich begründen. Bevor wir uns den moralisch illegitimen und den moralisch legitimen Verletzungen von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von Artefakt kopien widmen, sei schließlich noch eine Bemerkung vorangestellt: Sofern es in diesem Kapitel um Artefaktkopien geht, die zu anderen Artefaktkopien in einer Realisierungsrelation stehen – die also eine andere Artefaktkopie
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
realisieren oder durch eine andere Artefaktkopie realisiert werden –, so verdanken beide Artefaktkopien ihre Existenz derselben_demselben Urheber_in. Fälle, in denen etwa ein_e Kopist_in eine Exemplar-basierte Kopie anfertigt, die dann von einer_einem weiteren Kopierenden realisiert wird, werden nicht berücksichtigt.132 Denn für die Gesamtbewertung der moralischen Legitimität solcher Kopierhandlungen, bei denen mehrere Kopist_innen involviert sind, können viele zusätzliche Aspekte eine Rolle spielen, die sich auf diese Gesamtbewertung auswirken. So kann etwa die_der Kopist_in, die_der die Exemplar-basierte Kopie hervorbringt, die_den anderen Kopierenden über den Status dieser Kopie täuschen und ihr_ihm die Exemplar-basierte Kopie als Original-Design-Plan andienen. Glaubt nun die_der getäuschte Kopist_in, die Rechte am Original-Design-Plan zu besitzen, und fertigt in diesem Bewusstsein zur Verbreitung gedachte Realisierungen der Exemplar-basierten Kopie an, so dürften wir ihre_seine Handlung anders bewerten als in einer Konstellation, in der sie_er sich des Kopiestatus der Exemplar-basierten Kopie bei der Anfertigung ihrer_seiner zur Verbreitung gedachten Realisierung bewusst ist. Um die Kopierhandlungen im Folgenden isoliert betrachten und moralisch bewerten zu können, beziehe ich mich ausschließlich auf Fälle, in denen eine abstrakte Artefaktkopie und die sie realisierende konkrete Artefaktkopie sich den Anstrengungen derselben_desselben Kopierenden verdanken. Denn in diesen Fällen spielen Täuschungen der_des Kopierenden, dessen Nicht-Wissen u. ä. für die moralische Bewertung der Kopierhandlung keine Rolle.
3.3.1 Die moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung konkreter Schwarzkopien, konkreter Plagiate und konkreter Kopiefälschungen
Im Mittelpunkt dieses Abschnitts stehen Artefaktkopien, deren Anfertigung die Bestimmungsrechte von Urheber_innen und Rechteinhaber_innen in moralisch illegitimer Weise verletzt: konkrete Schwarzkopien, konkrete Plagiate und konkrete Kopiefälschungen. Um zu verstehen, warum gerade die Anfertigung dieser Artefaktkopien eine moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt, müssen wir uns ein genaues Bild von ihnen und den Besonderheiten ihrer Genese verschaffen. Tentative Definitionen 132 Die
Fälle, die hier ausgeschlossen werden sollen, fallen nicht etwa schon aufgrund des Ausschlusses von Kopien zweiter und höherer Ordnung aus dem Skopus dieser Studie heraus. So ist eine Exemplarkopie eine Realisierung einer Exemplar-basierten Kopie, nicht aber eine Kopie dieser Kopie.
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Was ist eine Artefaktkopie?
der Begriffe konkrete Schwarzkopie, konkretes Plagiat und konkrete Kopiefälschung finden sich bereits in Abschnitt 2.3.2. Mithilfe der in Kapitel 3.1 und 3.2 erarbeiteten Unterscheidungen lassen sich diese Definitionen nun präzisieren. Zwei Unterscheidungen tragen zur Präzisierung bei: die in Kapitel 3.1 getroffene Unterscheidung zwischen Exemplarkopien und Design-Plan- basierten Kopien und die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdkopien, die in Abschnitt 3.2.2 jeweils auf Exemplarkopien und Design-Plan-basierte Kopien Anwendung gefunden hat. Wie sich in Abschnitt 3.2.2 gezeigt hat, werden Exemplarkopien von dieser Unterscheidung nicht vollständig erfasst – von Exemplarkopien F und Exemplarkopien S müssen wir Exemplarkopien e unterscheiden, denen ein Sonderstatus zukommt: Ihre Genese geht grundsätzlich nicht mit der Verletzung der Bestimmungsrechte von Urheber_innen und Rechteinhaber_innen einher, sofern ihrer Herstellung keine Täuschungsabsicht zugrunde liegt. Falls ihrer Herstellung eine Täuschungsabsicht zugrunde liegt, ist die Verletzung der Bestimmungsrechte hingegen gänzlich unabhängig von ihrem Status als Artefaktkopien. Wir können Exemplarkopiene daher im Rahmen dieses Kapitels vernachlässigen. Damit deutlicher wird, warum dies der Fall ist, komme ich im Folgenden zunächst genauer auf die Gründe zu sprechen, aus denen Exemplarkopiene einen Sonderstatus genießen. Anschließend wende ich mich den konkreten Artefaktkopien zu, deren Anfertigung eine moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt. Dabei spielen sowohl die beiden verbleibenden Arten von Exem plarkopien als auch die beiden Arten von Design-Plan-basierten Kopien eine Rolle: Die Herstellung von Exemplarkopien F und ExemplarkopienS kann die Bestimmungsrechte von Urheber_innen und Rechteinhaber_innen sehr wohl in moralisch illegitimer Weise verletzen – ebenso wie die Herstellung von Design-Plan-basierten Kopien F und Design-Plan-basierten Kopien S . Denn unter den Artefaktkopien dieser vier Arten kann es sowohl Kopiefälschungen als auch Schwarzkopien geben. Wir können somit vier Arten von konkreten Schwarzkopien unterscheiden, die im Rahmen dieses Abschnitts zu berücksichtigen sind. Außerdem ist zwischen vier Arten von Kopiefälschungen zu differenzieren. Anders als im Falle der konkreten Kopiefälschungen und der konkreten Schwarzkopien gibt es unter den konkreten Plagiaten allerdings keine Selbstkopien, wie sich im Folgenden zeigen wird. Denn konkrete Plagiate setzen voraus, dass ihr_e Urheber_in fälschlicherweise behauptet, auch die_der Urheber_in des Design-Plans zu sein, den das konkrete Plagiat realisiert. Die_der Urheber_in einer Selbstkopie aber ist tatsächlich die_der Urheber_in dieses Design-Plans und kann somit gar nicht fälschlicherweise behaupten, deren_dessen Urheber_in zu sein. Daher gibt es nur zwei Arten von konkreten Plagiaten, die es im Folgenden zu betrachten gilt.
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
Zuerst komme ich auf die vier Arten von konkreten Kopiefälschungen zu sprechen, deren Anfertigung das Recht (RVE) verletzt. In Abschnitt 2.3.2 habe ich bereits dargelegt, inwiefern das Recht (RVE) durch die Produktion konkreter Kopiefälschungen verletzt wird – zunächst fasse ich dies noch einmal kurz zusammen. Anschließend definiere ich die vier Begriffe, unter die konkrete Kopiefälschungen der vier Arten jeweils fallen. Dazu greife ich auf die tentative Definition (KKF) aus Abschnitt 2.3.2, die Definition (AK) und die zuvor gewonnenen Erkenntnisse zur Unterscheidung von Fremdkopien und Selbstkopien zurück. Schließlich komme ich darauf zu sprechen, warum die Herstellung konkreter Kopiefälschungen der vier Arten eine Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt, die moralisch illegitim ist – dabei beziehe ich mich auf die Unzumutbarkeit der Anfertigung dieser Kopien für die_den Design-Plan-Urheber_in bzw. die_den Inhaber_in der Rechte an einem DesignPlan. In einem nächsten Schritt wende ich mich den zwei Arten von konkreten Plagiaten zu, deren Anfertigung ebenfalls eine Verletzung des Rechts (RVE) darstellt. In Abschnitt 2.3.2 bin ich auch darauf zu sprechen gekommen, inwiefern die Anfertigung konkreter Plagiate das Recht (RVE) verletzt – zunächst gebe ich eine kurze Zusammenfassung der in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen. Im Anschluss daran widme ich mich der Definition der beiden Begriffe, unter die die konkreten Plagiate der beiden Arten jeweils fallen, indem ich die tentative Definition (KP) aus Abschnitt 2.3.2, die Definition (AK) und die Bestimmung dessen, was eine Fremdkopie auszeichnet, heranziehe. Dann lege ich dar, inwiefern die Produktion von konkreten Plagiaten der beiden Arten die Bestimmungsrechte von Urheber_innen und Rechteinhaber_innen in moralisch illegitimer Weise verletzt. Dabei wird der Aspekt der Unzumutbarkeit erneut eine zentrale Rolle spielen. Schließlich verdienen die vier Arten von konkreten Schwarzkopien eine genauere Untersuchung. Wie sich in Abschnitt 2.3.2 gezeigt hat, verletzt die Produktion konkreter Schwarzkopien das Recht (RKV) – zunächst bedürfen wir einer Rekapitulation der Gründe für diese Tatsache. Anschließend können wir uns der Definition der vier Begriffe zuwenden, durch die konkrete Schwarzkopien der vier Arten jeweils erfasst werden. Dazu verhelfen uns die tentative Definition (KSK) aus Abschnitt 2.3.2, die Definition (AK) sowie die Überlegungen zu konkreten Fremdkopien und Selbstkopien. Schließlich wird begründet, inwiefern das Anfertigen konkreter Schwarzkopien der vier Arten eine illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt – auch in diesem Zusammenhang kommt dem Aspekt der Unzumutbarkeit eine Schlüsselrolle zu.
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Was ist eine Artefaktkopie?
Die Anfertigung von Exemplarkopiene ohne Täuschungsabsicht verletzt keine Bestimmungsrechte
Im vorhergehenden Kapitel hat sich gezeigt, dass sich Exemplarkopiene durch ihre Eigenständigkeit auszeichnen: Anders als Exemplarkopien F und ExemplarkopienS realisieren sie nicht denselben Design-Plan wie ihr Vorlage-Exemplar. Stattdessen handelt es sich bei diesen Exemplarkopien allein um Realisierungen der Exemplar-basierten Kopien, die auf der Grundlage ihres Vorlage-Exemplars angefertigt worden sind. Da Exemplarkopiene den DesignPlan des Vorlage-Exemplars nicht realisieren, werden durch ihre Anfertigung auch keinerlei Rechte an diesem Design-Plan verletzt – es sei denn, mit ihrer Herstellung geht eine Täuschungsabsicht einher: Wie wir in Abschnitt 2.3.2 gesehen haben, kann das Recht (RVE) auch durch die Produktion konkreter Artefakte verletzt werden, die keinerlei Ähnlichkeit mit genuinen Exemplaren des Design-Plans haben, an dem das Recht besteht. Eine Medikamentenfälschung etwa kann als genuines Exemplar eines Design-Plans für ein Medikament ausgegeben werden, ohne den Exemplaren des Design-Plans signifikant zu ähneln. Insofern kann die Anfertigung einer Exemplarkopiee, sofern sie mit einer Täuschungsabsicht verbunden ist, durchaus Bestimmungsrechte verletzen. Die Verletzung der Bestimmungsrechte ist dann jedoch gänzlich unabhängig vom Artefaktkopiestatus der Exemplarkopiee. Dass die Produktion einer Exemplarkopiee Bestimmungsrechte verletzt, weil sie mit einer Täuschungsabsicht einhergeht, ist alles andere unwahrscheinlich: Wir können uns vorstellen, dass ein_e Kopist_in sich bemüht, eine ExemplarkopieF – oder auch eine ExemplarkopieS – zu produzieren, und dass diese Bemühungen zudem mit der Absicht verbunden sind, das Resultat der Bemühungen fälschlicherweise als genuines Exemplar des DesignPlans auszugeben, der durch das Vorlage-Exemplar realisiert wird. Wie sich in Abschnitt 3.2.2 gezeigt hat, kann das Vorhaben einer_eines Kopierenden, eine ExemplarkopieF bzw. eine ExemplarkopieS zu produzieren, jedoch auch scheitern, und ihre_seine Anstrengungen können stattdessen in einer Exemplarkopiee resultieren. Die_der Kopist_in hat sich in einem solchen Fall bemüht, eine Täuschungskopie hervorzubringen, aber da das Ergebnis ihrer_ seiner Anstrengungen mit genuinen Exemplaren kaum etwas gemein hat, ist dieser Versuch gescheitert.
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
Die moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung konkreter Kopiefälschungen
In Abschnitt 2.3.2 bin ich bereits darauf zu sprechen gekommen, inwiefern die Anfertigung konkreter Kopiefälschungen eine Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt: Die Produktion von konkreten Kopiefälschungen stellt eine Verletzung des Rechts (RVE) dar. (RVE) ist das Recht der_des Urhebenden oder Rechteinhabenden eines Design-Plans, Dritte daran zu hindern, Realisierungen ihres_seines Design-Plans mit der Absicht zu produzieren, sie als Exemplare auszugeben. Dieses Recht stellt eine Voraussetzung dafür dar, dass die_der Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in eines Design-Plans nach Belieben über diesen Design-Plan bestimmen kann. Denn konkrete Kopiefälschungen können etwa die Optionen zum Verkauf von Originalprodukten massiv einschränken und damit die Möglichkeiten der_des Design-Plan-Urhebenden bzw. Rechteinhabenden maßgeblich beschneiden, sodass diese_r nicht mehr vollumfänglich über ihren_seinen Design-Plan bestimmen kann. Bis jetzt liegt uns auf die Frage, was konkrete Kopiefälschungen auszeichnet, lediglich eine vorläufige Antwort in Form der Definition (KKF) vor. Unter Rückgriff auf die Unterscheidungen zwischen Exemplarkopien und Design-Plan-basierten Kopien und zwischen Selbst- und Fremdkopien können wir diese Definition nun präzisieren. Unterscheiden sollten wir dazu also zunächst konkrete Kopiefälschungen, die Exemplarkopien F sind, konkrete Kopiefälschungen, bei denen es sich um ExemplarkopienS handelt, konkrete Kopiefälschungen, bei denen wir es mit Design-Plan-basierten Kopien F zu tun haben, und schließlich konkrete Kopiefälschungen, die Design-Plan-basierte KopienS sind. Als Ausgangspunkt für unsere definitorischen Bemühungen bietet sich die tentative Definition (KKF) an, die bereits die wesentlichen Charakteristika erkennen lässt, die konkreten Kopiefälschungen im Allgemeinen eignen. Betrachten wir zunächst die zwei Arten von konkreten Kopiefälschungen, die Exemplarkopien sind, nämlich konkrete Kopiefälschungen, bei denen es sich um Exemplarkopien F handelt und konkrete Kopiefälschungen, die ExemplarkopienS sind. Um zu erfassen, was diese Kopien auszeichnet, sollten wir zusätzlich zu den beiden in (KKF) Verwendung findenden Variablen noch eine dritte einführen – denn für Kopien beider Arten sind drei Gegenstände entscheidend: Die Exemplarkopie, ihr Vorlage-Exemplar und der Design-Plan, den das Vorlage-Exemplar realisiert. Da im Vorhergehenden die Variable »y« stets für die Kopie stand und die Variable »x« stets für die Vorlage der Kopie, behalte ich dies bei und wähle für den Design-Plan hier eine weitere Variable, und zwar die Variable »z«. Entsprechend können wir die Frage, die unser definitorisches Projekt leitet, wie folgt formulieren: Unter welchen Umstän-
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den ist eine Exemplarkopie y eines Exemplars x eine konkrete Kopiefälschung, die den durch x realisierten Design-Plan z realisiert? Diese Frage soll im Folgenden jeweils individuell für Exemplarkopien F und ExemplarkopienS beantwortet werden. Über Exemplarkopien F wissen wir aus Abschnitt 3.2.2, dass sie denselben Design-Plan realisieren wie ihr Vorlage-Exemplar. Somit ist bereits durch ihren Status als Exemplarkopien F gesichert, dass es sich bei ihnen um Realisierungen desselben Design-Plans handelt, der auch durch ihr Vorlage-Exemplar realisiert wird. Zudem kennen wir die Gründe, aus denen es sich bei Exemplarkopien F um Artefaktkopien handelt: Exemplarkopien F verdanken ihre Existenz einer_einem Urheber_in, die_der nicht zugleich die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in des Design-Plans ist, den das Vorlage-Exemplar realisiert, und die_der auch nicht über eine Berechtigung verfügt, genuine Exemplare dieses Design-Plans anzufertigen. Mithilfe dieser Überlegungen können wir die Bedingung (KKF1) einer Modifikation unterziehen, sodass sie speziell auf Exemplarkopien F Anwendung findet. Bevor wir zu dieser Modifikation kommen, stellt sich allerdings die Frage, wie es sich mit der Bedingung (KKF2) verhält, die für Kopiefälschungen fordert, dass ein_e Expert_in sie für genuine Exemplare des in Frage stehenden Design-Plans halten könnte. Im Hinblick auf diese zweite Bedingung können wir feststellen, dass ihre Erfüllung bereits durch den Umstand sichergestellt ist, dass wir es mit Exemplarkopien F zu tun haben: Wie wir der Definition (AK) entnehmen können, zeichnen sich Exemplarkopien u. a. dadurch aus, dass zwischen ihnen und ihren Vorlagen eine signifikante Ähnlichkeit besteht, die für Expert_innen ersichtlich ist. Wenn nun ein_e Expert_in feststellt, dass eine ExemplarkopieF, die als solche denselben Design-Plan realisiert wie ihr Vorlage-Exemplar, zu diesem Vorlage-Exemplar eine signifikante Ähnlichkeit aufweist, so dürfte es für die_den Expert_in auf der Hand liegen, dass es sich bei der ExemplarkopieF um ein genuines Exemplar des in Frage stehenden Design-Plans handeln könnte: Die ExemplarkopieF könnte von der_dem Expert_in für ein genuines Exemplar dieses Design-Plans gehalten werden. Aus diesem Grunde kann die Bedingung (KKF2) in unserer präzisierten Definition wegfallen. Wir erhalten somit die folgende Definition für den Begriff ExemplarkopiefälschungF: (EKFF ) Eine Exemplarkopie y eines Exemplars x ist eine ExemplarkopiefälschungF, die den durch x realisierten Design-Plan z realisiert gdw. (KKF1') y eine Exemplarkopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von z auszugeben, obwohl die_der Urheber_in von y weder die_der Urheber_in und Rechte
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
inhaber_in von z ist noch dazu autorisiert ist, genuine Exem plare von z zu schaffen.
Beispiele für Kopiefälschungen, die durch die obige Definition erfasst werden, sind etwa die Kopiefälschungen des fischer-Dübels, die mit dem Schriftzug versehen werden, den auch die Original-Exemplare des fischer-Dübels tragen. Der Schriftzug dient dazu, diese Kopiefälschungen als genuine Exemplare auszugeben. Bei den Fälscher_innen handelt es sich nicht um die Urheber_ innen und Rechteinhaber_innen des Design-Plans für den fischer-Dübel, und sie sind auch nicht dazu berechtigt, genuine Exemplare zu produzieren. Auch können wir davon ausgehen, dass die Fälscher_innen ihre Kopiefälschungen auf der Grundlage von Exemplaren des fischer-Dübels angefertigt haben, da sie keinen Zugang zum Design-Plan für den fischer-Dübel gehabt haben dürften. Wir haben es bei den in Rede stehenden Kopiefälschungen mit Exemplar kopiefälschungen F zu tun. Einige der soeben gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf Exemplarkopien F lassen sich nun auch auf ExemplarkopienS übertragen. So gilt auch für ExemplarkopienS , dass sie denselben Design-Plan realisieren wie ihr Vorlage-Exemplar – diese Erkenntnis verdanken wir Abschnitt 3.2.2. Ihr Status als ExemplarkopienS stellt somit bereits sicher, dass sie ebenfalls den DesignPlan des Vorlage-Exemplars realisieren. Allerdings sind die Gründe dafür, dass es sich bei Exemplarkopien S um Artefaktkopien handelt, anders gelagert als im Falle von Exemplarkopien F: Eine Exemplarkopie S verdankt ihre Existenz derselben_demselben Urheber_in, die_der auch für den Design-Plan verantwortlich zeichnet, der durch das Vorlage-Exemplar – und durch sie selbst – realisiert wird. Diese_r Urheber_in verfügt allerdings zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der ExemplarkopieS nicht über die Rechte an diesem Design-Plan und ist auch nicht dazu autorisiert, genuine Exemplare des Design-Plans zu schaffen. Aus diesen Überlegungen ergeben sich Modifikationen der Bedingung (KKF1), die nötig sind, damit die Bedingung sich speziell auf ExemplarkopienS bezieht. Die Bedingung (KKF2) kann aus dem oben genannten Grund auch hier entfallen: Als Realisierungen des durch das Vorlage-Exemplar realisierten Design-Plans, die dem Vorlage-Exemplar aus Expert_innensicht signifikant ähneln, könnten auch ExemplarkopienS ohne Weiteres von Expert_innen für genuine Exemplare des fraglichen DesignPlans gehalten werden. Somit ergibt sich die folgende Definition des Begriffs ExemplarkopiefälschungS: (EKFS) Eine Exemplarkopie y eines Exemplars x ist eine ExemplarkopiefälschungS , die den durch x realisierten Design-Plan z realisiert gdw.
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(KKF1") y eine Exemplarkopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von z auszugeben, obwohl die_der Urheber_in von y zwar die_der Urheber_in von z, aber zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die_ der Rechteinhaber_in von z war und auch nicht dazu autorisiert war, genuine Exemplare von z zu schaffen.
Welche Artefaktkopien fallen nun unter den Begriff Exemplarkopiefälschung S? Betrachten wir das folgende, fiktive Beispiel: Angenommen, ich erfinde einen innovativen Salzstreuer und verkaufe die Rechte am DesignPlan für diesen Salzstreuer an eine_n Dritte_n, um anschließend mithilfe eines genuinen Exemplars des Salzstreuers Realisierungen dieses DesignPlans anzufertigen und als genuine Exemplare des Design-Plans auszugeben. Bei den Salzstreuern, die ich nach dem Verkauf der Rechte auf der Grundlage der genuinen Exemplare produziere, handelt es sich um ExemplarkopiefälschungenS. Neben den konkreten Kopiefälschungen, die Exemplarkopien sind, gibt es außerdem konkrete Kopiefälschungen, bei denen es sich um Design-Planbasierte Kopien handelt. Auch diese Kopien können wir in Fremdkopien und Selbstkopien unterteilen, sodass sich auch hier zwei Arten unterscheiden lassen: Konkrete Kopiefälschungen, die Design-Plan-basierte Kopien F sind, und konkrete Kopiefälschungen, bei denen es sich um Design-Plan-basierte KopienS handelt. Anders als bei den Exemplar-basierten Kopien bedürfen wir keiner weiteren Variable, um zu erfassen, was konkrete Kopiefälschungen auszeichnet, die Design-Plan-basierte Kopien sind – denn die Design-Pläne, um die es hier geht, sind zugleich die Vorlagen dieser Kopien. Entsprechend können wir die Frage, die unsere definitorischen Bemühungen leitet, wie folgt formulieren: Unter welchen Umständen ist eine Design-Plan-basierte Kopie y auf der Basis eines Design-Plans x eine konkrete Kopiefälschung? Im Folgenden lege ich zwei Antworten auf diese Frage vor – eine Antwort, die den Besonderheiten von Design-Plan-basierten Kopien F Rechnung trägt, und eine Antwort, die die speziellen Merkmale von Design-Plan-basierten KopienS berücksichtigt. Wollen wir die unser definitorisches Anliegen leitende Frage im Hinblick auf Design-Plan-basierte Kopien F beantworten und die Definition (KKF) entsprechend auf diese Artefaktkopien zuschneiden, so ist Folgendes zu beachten: Als Design-Plan-basierte Kopien F sind die uns hier interessierenden Kopiefälschungen Realisierungen der Design-Pläne, auf denen sie basieren. Zudem wissen wir, dass Design-Plan-basierte Kopien F Artefaktkopien sind, weil ihre Urheber_innen weder die Urheber_innen und Rechteinhaber_innen
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dieser Design-Pläne sind, noch über eine Berechtigung verfügen, genuine Exemplare der Design-Pläne anzufertigen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen lässt sich die Bedingung (KKF1) nun modifizieren, damit sie speziell auf Design-Plan-basierte Kopien F Anwendung findet. Vorab können wir jedoch feststellen, dass auch in diesem Fall die Bedingung (KKF2) entfallen kann: Da Design-Plan-basierte Kopien F Realisierungen des in Rede stehenden Design-Plans sind, die genuinen Exemplaren dieses Design-Plans aus der Sicht von Expert_innen signifikant ähneln, ist bereits ohne zusätzliche Bedingung sichergestellt, dass sie Expert_innen als genuine Exemplare des Design-Plans gelten könnten. Entsprechend ergibt sich die folgende Definition für den Begriff Design-Plan-basierte KopiefälschungF:
(DPBKFF) E ine Design-Plan-basierte Kopie y auf der Basis eines Design-Plans x ist eine Design-Plan-basierte KopiefälschungF gdw. (KKF1"') y eine Design-Plan-basierte KopieF ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von x auszugeben, obwohl die_der Urheber_in von y weder die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in von x ist noch dazu autorisiert ist, genuine Exemplare von x zu schaffen.
Zu den Design-Plan-basierten Kopiefälschungen F zählen beispielsweise die mithilfe von Bauplänen angefertigten Kopiefälschungen der Klassiker unter den Designermöbeln – vor allem deutsche Möbelhersteller sind von der Anfertigung solcher Fälschungen betroffen: Modelle aus Deutschland stehen […] ganz besonders im Fokus der Fälscher, allen voran die Klassiker. Dazu gehören zum Beispiel der Stahlrohr-Freischwinger von Thonet aus dem hessischen Frankenberg, die Kragstuhl-Serie von Tecta aus dem niedersächsischen Lauenförde, die Wagenfeld-Leuchte von Tecnolumen aus Bremen, der Bigfoot-Tisch von E15 aus Frankfurt oder auch allerlei Design-Ikonen von Marcel Breuer, Walter Gropius und Ludwig Mies von der Rohe, für die der schwäbische Hersteller Walter Knoll die notwendigen Lizenzen besitzt.133
Anders als bei neuen Möbeln lässt sich die Anfertigung von Kopiefälschungen dieser Klassiker kaum verhindern: »Längst sind die Baupläne in den einschlägigen Kreisen bis hin zum letzten Schräubchen bekannt.«134 133 Dierig
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Ebenso wie für Design-Plan-basierte Kopien F gilt auch für Design-Planbasierte Kopien S , dass sie Realisierungen der Design-Pläne sind, auf denen sie basieren. Allerdings handelt es sich bei Design-Plan-basierten KopienS aus anderen Gründen um Artefaktkopien: Der Artefaktkopiestatus Design-Plan- basierter KopienS ist dadurch begründet, dass ihre Urheber_in nen zwar die Urheber_innen der Design-Pläne sind, die die Basis der Design-Plan-basierten KopienS bilden, aber an diesen Design-Plänen zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Design-Plan-basierten Kopien S nicht die Rechte haben und auch keine autorisierten Urheber_innen genuiner Exemplare der entsprechenden Design-Pläne sind. Die Bedingung (KKF2) kann auch hier entfallen, da Design-Plan-basierte KopienS ebenfalls Realisierungen des in Rede stehenden Design-Plans sind, die mit genuinen Exemplaren dieses Design-Plans aus Expert_innensicht eine signifikante Ähnlichkeit verbindet. Somit ist auch im Falle von Design-Plan-basierten KopienS bereits ohne zusätzliche Bedingung sichergestellt, dass sie Expert_innen als genuine Exemplare des Design-Plans erscheinen können. Der Begriff Design-Plan-basierte-KopiefälschungS ist somit wie folgt definiert:
(DPBKFS) Eine Design-Plan-basierte Kopie y auf der Basis eines Design-Plans x ist eine Design-Plan-basierte KopiefälschungS gdw. (KKF1"") y eine Design-Plan-basierte Kopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von x auszugeben, obwohl die_der Urheber_in von y zwar die_der Urheber_in von x, aber zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die_der Rechteinhaber_in von x war und auch nicht dazu autorisiert war, genuine Exemplare von x zu schaffen.
Wollen wir uns klar machen, wie eine Design-Plan-basierte KopiefälschungS aussehen kann, so können wir den oben skizzierten fiktiven Beispielfall variieren: Angenommen, ich verkaufe den Design-Plan für meinen innovativen Salzstreuer, fertige dann aber mithilfe einer Manifestation – oder auf der Grundlage meiner Erinnerungen an den Design-Plan – eine Design-Planbasierte KopieS an. Sofern für die Herstellung dieser Design-Plan-basierten KopieS die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar des Design-Plans auszugeben, an dem ich die Rechte verkauft habe, handelt es sich dabei um eine Design-Plan-basierte KopiefälschungS. Die präzisierten Definitionen (EKFF), (EKFS), (DPBKFF) und (DPBKFS) geben Aufschluss darüber, was Kopiefälschungen der vier Arten jeweils auszeichnet, und geben Hilfestellung bei der Identifikation von Artefaktkopien, die einer der vier Arten angehören. Wir haben uns bereits daran erinnert, warum
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diese Artefaktkopien die Bestimmungsrechte von Urheber_innen verletzen. Allerdings ist bisher noch nicht zur Sprache gekommen, warum die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von konkreten Kopiefälschungen moralisch illegitim ist. Daher sollen nun die Gründe für die moralische Illegitimität der Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung konkreter Kopiefälschungen offengelegt werden. Dass die Produktion konkreter Kopiefälschungen Bestimmungsrechte in moralisch illegitimer Weise verletzt, liegt darin begründet, dass die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung dieser Kopien den Urheber_innen bzw. Rechteinhaber_innen, deren Bestimmungsrechte verletzt werden, unzumutbar ist. Wie wir in Abschnitt 3.3.2 sehen werden, ist keineswegs jede Verletzung von Bestimmungsrechten unzumutbar. Im Falle der Anfertigung konkreter Kopiefälschungen haben wir es jedoch mit einer moralisch illegi timen Verletzung von Bestimmungsrechten zu tun, da sie einen signifikanten Eingriff in das allgemeine, allumfassende Bestimmungsrecht der_des Urhebenden bzw. Rechteinhabenden hinsichtlich ihres_seines Design-Plans darstellt. Dieses allgemeine Bestimmungsrecht autorisiert die_den Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in eines Design-Plans dazu, nach Belieben über diesen Design-Plan zu bestimmen. Das Bestimmen nach Belieben schließt auch das Recht der Entscheidung darüber ein, wer unter welchen Umständen genuine Exemplare des Design-Plans schaffen darf – denn dieses Recht ist Teil der Entlohnung, die ein_e Design-Plan-Urheber_in für ihre_seine Anstrengungen erhält (wobei sie_er dieses aus der Entlohnung erwachsende Recht an eine_n Dritte_n abtritt, sofern sie_er seine Rechte am Design-Plan veräußert). Wie sich in Abschnitt 2.3.2 erwiesen hat, ist (RVE) eine Voraussetzung dafür, dass die_der Urheber_in von ihrem_seinem allgemeinen Bestimmungsrecht Gebrauch machen kann: Mit der Erlaubnis der Produktion konkreter Kopiefälschungen würden die Möglichkeiten zur Bestimmung über den Design-Plan massiv eingeschränkt. Denn diese Erlaubnis ginge mit einer signifikanten Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einher, dass Dritte von der Herstellung der konkreten Kopiefälschungen in einer Weise profitierten, die der_dem DesignPlan-Urheber_in oder Rechteinhaber_in massiv schaden würde: Die Produktion konkreter Kopiefälschungen wirkt sich u. a. auf die Möglichkeiten zum Verkauf genuiner Exemplare sowie zum Verkauf des Design-Plans aus. Diese Problematik trifft Urheber_in und Rechteinhaber_in gleichermaßen. Für die_den Rechteinhaber_in ergibt sich außerdem eine besondere Gefährdung aus der Produktion konkreter Kopiefälschungen, die Selbstkopien sind. Denn im Allgemeinen ist die_der Urheber_in eines Design-Plans gegenüber anderen Fälscher_innen im doppelten Sinne in einer privilegierten Situation: Sie_er hat erstens in vielen Fällen die Möglichkeit, auf der Grundlage von
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Erinnerungen an den Design-Plan oder mithilfe von Manifestationen, die sie_ er beim Verkauf der Rechte am Design-Plan einbehalten hat, Design-Plan-KopiefälschungenS anzufertigen. Zweitens kann sie_er als Urheber_in und ehemalige_r Rechteinhaber_in eines Design-Plans in einer Vielzahl der Fälle glaubhaft behaupten, dass es sich bei den durch sie_ihn hervorgebrachten Exemplarkopiefälschungen S um genuine Exemplare des Design-Plans handelt, indem sie_er den Zeitpunkt der Entstehung der ExemplarkopiefälschungenS falsch angibt: Als Urheber_in des Design-Plans kann sie_er behaupten, dass diese ExemplarkopiefälschungenS zu einem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem sie_er noch die Rechte am Design-Plan besaß. Aufgrund der massiven Gefährdungen und Nachteile für die_den Urheber_ in bzw. Rechteinhaber_in eines Design-Plans, mit denen die Produktion von konkreten Kopiefälschungen einhergeht, ist die Produktion dieser konkreten Artefaktkopien der_dem Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in nicht zumutbar. Aus diesem Grunde besteht das Recht (RVE), das die_den Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in dazu autorisiert, die Produktion konkreter Kopiefälschungen (und anderer vorgeblicher Exemplare) abzuwehren. Wird das Recht (RVE) durch die Anfertigung einer konkreten Kopiefälschung verletzt, so ist diese Verletzung moralisch illegitim. Denn die_der Urheber_in oder Rechteinhaber_in des Design-Plans, den die Kopiefälschung als vorgebliches Exemplar realisiert, wird dadurch in unzumutbarer Weise ihrer_seiner Möglichkeiten beraubt, nach Belieben über ihren_seinen Design-Plan zu bestimmen. Die moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung konkreter Plagiate
In Abschnitt 2.3.2 hat sich gezeigt, dass auch die Anfertigung von konkreten Plagiaten eine Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt: Die Produktion konkreter Plagiate verletzt ebenfalls das Recht (RVE), und zwar aus denselben Gründen, aus denen auch die Produktion konkreter Kopiefälschungen eine Verletzung dieses Rechts darstellt. Wie wir am Beispiel der Windenergieturbine E 40 der Firma Enercon gesehen haben, stellt die Produktion konkreter Plagiate mitunter sogar ein verschärftes Problem dar. Was aber zeichnet konkrete Plagiate im Einzelnen aus? Anders als bei den konkreten Kopiefälschungen und den konkreten Schwarzkopien sind lediglich zwei Arten von konkreten Plagiaten zu unterscheiden: Während es im Hinblick auf konkrete Kopiefälschungen und konkrete Schwarzkopien als sinnvoll erscheint, zwischen Fremdkopien und Selbstkopien zu unterscheiden, ergibt es keinen Sinn, diese Unterscheidung auf konkrete Plagiate anzuwenden. Denn es kann keine Selbstkopien geben, die konkrete Plagiate sind: Konkrete Plagiate zeich-
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nen sich dadurch aus, dass ihre Urheber_innen fälschlicherweise behaupten, zugleich die Urheber_innen der Design-Pläne zu sein, die die konkreten Plagiate realisieren. Die Urheber_innen von konkreten Selbstkopien sind allerdings tatsächlich auch die Urheber_innen der Design-Pläne, die die konkreten Selbstkopien realisieren. Sie können also nicht fälschlicherweise behaupten, die Urheber_innen dieser Design-Pläne zu sein. Aus diesem Grunde können wir uns hier darauf beschränken, die konkreten Plagiate in Exemplarkopien F und Design-Plan-basierte Kopien F zu unterscheiden. Wir haben bereits in Abschnitt 2.3.2 gesehen, dass konkrete Plagiate mit konkreten Kopiefälschungen zwei wichtige Gemeinsamkeiten haben: Erstens liegt der Herstellung von Entitäten beider Arten die Absicht zugrunde, sie als genuine Exemplare eines Design-Plans auszugeben. Zweitens ist vorausgesetzt, dass Expert_innen diese Entitäten auch für genuine Exemplare dieses Design-Plans halten könnten. Damit wir es statt einer konkreten Kopiefälschung mit einem konkreten Plagiat zu tun haben, muss allerdings noch eine dritte Bedingung erfüllt sein: Die_der Kopist_in, die_der für sie verantwortlich zeichnet, muss darüber hinaus behaupten, die_der Urheber_in des in Rede stehenden Design-Plans zu sein. Dies spiegelt sich in der Definition (KP) wider. Wollen wir diese Definition nun so präzisieren, dass die präzisierte Variante Exemplarkopien F erfasst, so können wir – da die Bedingungen (KP1) und (KP2) den Bedingungen (KKF1) und (KKF2) aus der Definition (KKF) entsprechen – zunächst den Wortlaut der Bedingung (KKF1') übernehmen. Denn darin ist bereits allen Erkenntnissen Rechnung getragen, die wir im Hinblick auf die Anwendung der Bedingungen (KKF1) und (KKF2) – und damit auch auf die Anwendung Bedingungen (KP1) und (KP2) – auf Exemplarkopien F gewonnen haben. Die Bedingung (KP3) bedarf schließlich noch einer Anpassung der Variablen, da wir erneut auf drei Entitäten Bezug nehmen müssen, nämlich die ExemplarkopieF, den durch die Exemplarkopie realisierten Design-Plan, und das Vorlage-Exemplar, das ein genuines Exemplar dieses Design-Plans ist. Entsprechend ergibt sich die folgende Definition für den Begriff Exem plarkopieplagiatF: (EKPF) E ine Exemplarkopie y eines Exemplars x ist ein ExemplarkopieplagiatF, das den durch x realisierten Design-Plan z realisiert gdw. (KP1') y eine Exemplarkopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von z auszugeben, obwohl die_der Urheber_in von y weder die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in von z ist noch dazu autorisiert ist, genuine Exemplare von z zu schaffen und
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Was ist eine Artefaktkopie?
(KP3') d ie_der Urheber_in, die_der y hervorbringt, fälschlicherweise behauptet, die_der Urheber_in von z zu sein.
Beispiele für ExemplarkopieplagiateF finden sich in allen erdenklichen Bereichen der Industrie – betroffen ist auch der Maschinen- und Anlagebau: Laut einer Studie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) aus dem Jahre 2014 ist Reverse Engineering die Methode, die bei der Produktion von konkreten Plagiaten am Häufigsten Anwendung findet; über 70 % der Plagiate gehen auf Exemplare und deren genaue Untersuchung mittels Reverse Engineering zurück.135 Neben den konkreten Plagiaten, die Exemplarkopien F sind, gibt es außerdem konkrete Plagiate, bei denen es sich um Design-Plan-basierte Kopien F handelt. Die gewonnenen Einsichten bezüglich der Anwendung der Bedingungen (KKF1) und (KKF2) auf Design-Plan-basierte Kopien F schlagen sich in der Bedingung (KKF1"') nieder. Da die Bedingung (KKF1) der Bedingung (KP1) entspricht und die Bedingung (KKF2) der Bedingung (KP2), können wir den Wortlaut der Bedingung (KKF1"') übernehmen. Die Bedingung (KP3) schließlich bedarf keiner weiteren Modifikation und kann in ihrer Ursprungsformulierung in die Definition des Begriffs Design-Plan-basiertes PlagiatF aufgenommen werden, da zwei Variablen ausreichend sind. Wir erhalten somit die folgende Definition: (DPBPF) Ein Design-Plan-basiertes Plagiat y auf der Basis eines Design-Plans x ist ein Design-Plan-basiertes PlagiatF gdw. (KP1") y eine Design-Plan-basierte Kopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie als genuines Exemplar von x auszugeben, obwohl die_der Urheber_in von y weder die_der Urheber_in und Rechteinhaber_in von x ist noch dazu autorisiert ist, genuine Exemplare von x zu schaffen und (KP3) d ie_der Urheber_in, die_der y hervorbringt, fälschlicherweise behauptet, die_der Urheber_in von x zu sein.
Auf ein Beispiel für ein Design-Plan-basiertes PlagiatF bin ich bereits zu sprechen gekommen: Die Plagiate der Windenergieturbine E 40 wurden von den Plagiator_innen auf der Grundlage von Informationen über den Design-Plan für die Turbine angefertigt. Zu diesen Informationen verschafften sich die Plagiator_innen mithilfe eines Computers Zugang.136 135 Vgl.
http://pks.vdma.org/documents/105628/900795/VDMA+Studie+Produktpiraterie+2014_final.pdf/7debf619-8233-4114-a635-b32d808552b9, abgerufen am 12.8.2021. 136 Vgl. http://www.informatik.uni-oldenburg.de/~iug14/is/aktuell.html (12.8.2021).
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
Da es sich auch bei konkreten Plagiaten um vorgebliche Exemplare handelt, verletzt ihre Produktion ebenfalls das Recht (RVE). Denn die Beschneidung der Möglichkeiten zum Verkauf genuiner Exemplare sowie zum Verkauf des Design-Plans durch die Produktion konkreter Plagiate ist enorm. Der Schaden kann im Falle von konkreten Plagiaten sogar noch schwerer wiegen als im Falle von konkreten Kopiefälschungen, wie sich bereits am Beispiel des Plagiats der Windenergieturbine E 40 gezeigt hat. Denn durch die Behauptung einer_eines Plagiierenden, als Urheber_in für einen Design-Plan verantwortlich zu zeichnen, können die Möglichkeiten der_des Urhebenden, über ihren_seinen Design-Plan zu bestimmen, zusätzlich eingeschränkt werden. So war es der Firma Enercon aufgrund der Plagiatsbehauptung nicht mehr möglich, ihre Ware in die USA zu liefern: Weitere Turbinen konnten nicht nach Amerika exportiert werden, da behauptet wurde, dass die Turbine von Amerikanern entwickelt worden sei. Dies hatte zur Folge, dass eine große Anzahl von Aufträgen nicht mehr erfüllt werden konnte, und Enercon letztlich Einnahmen von 200 Millionen Mark einbüsste.137
Auch die Produktion von konkreten Plagiaten geht mit massiven Gefährdungen und Nachteilen hinsichtlich der Bestimmungsmöglichkeiten über DesignPläne einher. Die Produktion konkreter Plagiate ist der_dem Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in deshalb ebenfalls nicht zumutbar. Entsprechend kommt der_dem Urheber_in oder Rechteinhaber_in mit dem Recht (RVE) auch ein Recht zur Abwehr der Produktion konkreter Plagiate zu. Die Verletzung dieses Rechts durch die Produktion eines konkreten Plagiats stellt – ebenso wie die Verletzung dieses Rechts durch die Herstellung einer konkreten Kopiefälschung – einen moralisch illegitimen Akt dar. Denn der_dem Urheber_in oder Rechteinhaber_in wird auch im Falle der Produktion konkreter Plagiate in unzumutbarer Weise seine Möglichkeit genommen, nach Belieben über seinen Design-Plan zu bestimmen. Die moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung konkreter Schwarzkopien
Auch die Produktion von konkreten Artefaktkopien, die ohne entsprechende Autorisierung mit der Absicht zur Verbreitung erfolgt, stellt eine Verletzung 137 http://www.informatik.uni-oldenburg.de/~iug14/is/aktuell.html,
12.8.2021.
abgerufen am
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von Bestimmungsrechten dar, wie sich in Abschnitt 2.3.2 gezeigt hat. Denn auch diese konkreten Schwarzkopien können die Nachfrage befriedigen, die anderenfalls durch genuine Exemplare befriedigt würde. Obgleich sie nicht als genuine Exemplare ausgegeben werden, birgt die Produktion konkreter Schwarzkopien somit dennoch eine ernstzunehmende Gefahr für die_den Design-Plan-Urheber_in oder Rechteinhaber_in. Deshalb haben Urheber_ innen und Rechteinhaber_innen das Recht (RKV), das sie ermächtigt, die Produktion von konkreten Schwarzkopien zu verhindern. Fertigt ein_e Kopist_in eine konkrete Schwarzkopie an, so verstößt sie_er gegen dieses Recht. Die tentative Definition (KSK) vermittelt uns einen ersten Eindruck davon, was konkrete Schwarzkopien auszeichnet. (KSK) soll im Folgenden für die verschiedenen Arten von konkreten Schwarzkopien präzisiert werden. Greifen wir auf die Unterscheidung zwischen Exemplarkopien und Design-Plan-basierten Kopien zurück und differenzieren noch weiter zwischen Fremdkopien und Selbstkopien, so können wir vier Arten von konkreten Schwarzkopien unterscheiden, nämlich konkrete Schwarzkopien, die Exemplarkopien F sind, konkrete Schwarzkopien, bei denen es sich um Exemplarkopien S handelt, konkrete Schwarzkopien, bei denen wir es mit Design-Plan-basierten Kopien F zu tun haben, und schließlich konkrete Schwarzkopien, die Design-Plan- basierte KopienS sind. Betrachten wir zunächst einmal diejenigen konkreten Schwarzkopien, bei denen es sich um Exemplarkopien handelt. Die Frage, die im Hinblick auf diese konkreten Schwarzkopien von Interesse ist, lässt sich wie folgt formulieren: Unter welchen Umständen ist eine Exemplarkopie y eines Exemplars x eine konkrete Schwarzkopie, die den durch x realisierten Design-Plan z realisiert? Wollen wir die Frage im Hinblick auf Exemplarkopien F beantworten, so können wir die Bedingung (KSK1) zunächst geringfügig anpassen, um den direkten Bezug zu Exemplarkopien F herzustellen. Entsprechend können wir (KSK1') formulieren. Da es um Exemplarkopien F geht, kennen wir den Grund für den Artefaktkopiestatus dieser Entitäten: Exemplarkopien F gehen auf eine_n Urheber_in zurück, bei der_dem es sich nicht zugleich um die_den Urheber_in oder Rechteinhaber_in des Design-Plans handelt, den das Vorlage-Exemplar realisiert, und die_der auch nicht über eine Berechtigung verfügt, genuine Exemplare dieses Design-Plans anzufertigen. Zudem ist im Hinblick auf Schwarzkopien entscheidend, dass die Kopierenden, die diese Kopien produzieren, nicht zur Produktion von Verbreitungskopien autorisiert sind. Wir können die Bedingung daher mithilfe entsprechender Ergänzungen modifizieren und erhalten (KSK2'). Im Hinblick auf die Bedingung (KSK3) können wir uns eine weitere Erkenntnis zunutze machen, die wir bereits im Rahmen der Überlegungen zur Präzisierung der Definition (KKF) gewonnen haben:
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
Dass eine ExemplarkopieF für ein genuines Exemplar des in Rede stehenden Design-Plans gehalten werden könnte, wie es die Bedingung (KSK3) fordert, wird bereits durch ihren Status als Exemplarkopie sichergestellt. Denn wenn ein_e Expert_in feststellt, dass eine ExemplarkopieF, die als solche denselben Design-Plan realisiert wie ihr Vorlage-Exemplar, diesem Vorlage-Exemplar signifikant ähnelt, ist es für die_den Expert_in offensichtlich, dass es sich bei der ExemplarkopieF um ein genuines Exemplar dieses Design-Plans handeln könnte. Aus diesem Grunde kann die Bedingung (KSK3) entfallen. Es ergibt sich damit die Definition (ESKF) des Begriffs Exemplar-schwarzkopieF: (ESKF) Eine Exemplarkopie y ist eine ExemplarschwarzkopieF eines Exem plars x, die einen Design-Plan z realisiert gdw. (KSK1') y eine Exemplarkopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie zu verbreiten und (KSK2') d ie_der Urheber_in von y nicht die_der Urheber_in und Rechte inhaber_in von z ist und weder über eine Autorisierung zur Herstellung genuiner z realisierender Exemplare noch über eine Autorisierung zur Herstellung z realisierender Verbreitungs kopien verfügt.
Klassische Beispiele für Exemplarschwarzkopien F sind die Musik-CDs, Software-CD-Roms und DVDs, die Kopist_innen ohne Erlaubnis brennen, um sie anschließend auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Wie aber ist die Frage, unter welchen Umständen es sich bei einer Exemplarkopie y eines z realisierenden Exemplars x um eine z realisierende konkrete Schwarzkopie handelt, im Hinblick auf ExemplarkopienS zu beantworten? Zunächst können wir die auf Exemplarkopien zugeschnittene Bedingung (KSK1') übernehmen. Dann können wir die Bedingung (KSK2') modifizieren, indem wir statt der für Exemplarkopien F einschlägigen Gründe für den Artefaktkopiestatus der fraglichen Entitäten auf die Gründe zu sprechen kommen, die den Artefaktkopiestatus von ExemplarkopienS ausmachen: Diese Exemplarkopien verdanken ihre Existenz zwar den Urheber_innen der DesignPläne, die die Vorlage-Exemplare realisieren. Aber diese Urheber_innen sind zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Exemplarkopien nicht die Rechteinhaber_innen der fraglichen Design-Pläne und auch nicht zur Produktion genuiner, die Design-Pläne realisierender Exemplare berechtigt. Im Zusammenhang mit konkreten Schwarzkopien ist zudem von Bedeutung, dass die Urheber_innen dieser Artefaktkopien nicht dazu autorisiert sind, Kopien, die die in Rede stehenden Design-Pläne realisieren, mit einer Verbreitungsabsicht hervorzubringen. Die Bedingung (KSK3) schließlich kann aus
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dem bereits genannten Grund erneut entfallen: Als Realisierungen des durch das Vorlage-Exemplar realisierten Design-Plans, die dem Vorlage-Exemplar aus der Sicht von Expert_innen signifikant ähneln, könnten Expert_innen Exemplarkopien S ebenfalls als genuine Exemplare des fraglichen DesignPlans auffassen. Somit können wir den Begriff ExemplarschwarzkopieS wie folgt definieren: (ESKF) Eine Exemplarkopie y ist eine Exemplarschwarzkopie S eines Exem plars x, die einen Design-Plan z realisiert gdw. (KSK1') y eine Exemplarkopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie zu verbreiten und (KSK2") d ie_der Urheber_in von y zwar die_der Urheber_in, aber zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die_der Rechteinhaber_in von z war und weder über eine Autorisierung zur Herstellung genuiner z realisierender Exemplare noch über eine Autorisierung zur Herstellung z realisierender Verbreitungskopien verfügt hat.
Ein Beispiel für eine Artefaktkopie, die von der obigen Definition erfasst wird, habe ich bereits im vorhergehenden Kapitel diskutiert – es handelt sich bei Minters Spiel TxK um eine solche Artefaktkopie, sofern Minter dieses Spiel auf der Grundlage eines konkreten Exemplars des Spiels Tempest 2000 angefertigt hat. Um eine Artefaktkopie, die unter die Definition fallen könnte, drehte sich aber auch der Rechtsstreit Gross v. Seligman. Gegenstand der Verhandlungen in diesem Rechtsstreit war eine Akt-Fotografie mit dem Titel The Grace of Youth.138 Der Fotograf sah sich dem Vorwurf der Urheberrechtsverletzung ausgesetzt, da er, der die Rechte an The Grace of Youth an einen Dritten übertragen hatte, zwei Jahre später mit Cherry Ripe eine Fotografie anfertigte, die The Grace of Youth signifikant ähnelte und die aller Wahrscheinlichkeit nach in Auseinandersetzung mit The Grace of Youth entstanden war. So stellte der Richter Folgendes fest: »[T]he identity of the artist and the many close identities of pose, light, and shade, etc., indicate very strongly that the first picture was used to produce the second«139. Der Richter wies zudem darauf hin, dass es unerheblich sei, ob der Fotograf das Original-Exemplar von The Grace of Youth tatsächlich vor sich hatte, als er Cherry Ripe produzierte, oder ob er sich dabei auf seine Erinnerungen verließ.140 Wenn wir nun annehmen, 138 Vgl.
zu diesem Fall Bently 2016, 278. 2016, 278. 140 Vgl. Bently 2016, 278. 139 Bently
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
dass dem Fotografen das Original-Exemplar vorlag, so haben wir es bei Cherry Ripe mit einer Artefaktkopie zu tun, die unter die obige Definition fällt. Wollen wir die Definition (KSK) hingegen für Design-Plan-basierte Kopien F präzisieren, so können wir zunächst eine Variante der Bedingung (KSK1) formulieren, die explizit auf Design-Plan-basierte Kopien Bezug nimmt. So erhalten wir (KSK1"). Darüber hinaus sollten wir erneut dem Grund Rechnung tragen, aus dem wir es bei Design-Plan-basierten Schwarzkopien F mit Artefaktkopien zu tun haben: Diese Artefaktkopien gehen nicht auf die_den Urheber_in oder Rechteinhaber_in des Design-Plans zurück, den sie realisieren. Auch ist die_der Kopist_in, die_der sie hervorbringt, kein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in. Schließlich darf die_der Kopist_in kein_e autorisierte_r Urheber_in von Verbreitungskopien sein. Diese Erkenntnisse schlagen sich in der Bedingung (KSK2"') nieder. Die Bedingung (KSK3) kann erneut entfallen: Design-Plan-basierte Kopien F sind Realisierungen des in Rede stehenden Design-Plans, die mit genuinen Exemplaren dieses Design-Plans aus Expert_innensicht eine signifikante Ähnlichkeit verbindet. Somit ist bereits ohne zusätzliche Bedingung sichergestellt, dass diese Artefaktkopien Expert_ innen als genuine Exemplare des Design-Plans gelten könnten. Die Definition des Begriffs Design-Plan-basierte SchwarzkopieF lautet somit folgender maßen: (DPBSKF) Eine Design-Plan-basierte Kopie y auf der Basis eines Design-Plans x ist eine Design-Plan-basierte SchwarzkopieF gdw. (KSK1") y eine Design-Plan-basierte Kopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie zu verbreiten und (KSK2"') d ie_der Urheber_in von y nicht die_der Urheber_in und Rechte inhaber_in von x ist und weder über eine Autorisierung zur Herstellung genuiner x realisierender Exemplare noch über eine Autorisierung zur Herstellung x realisierender Verbreitungs kopien verfügt.
Suchen wir nach Beispielen für Design-Plan-basierte Schwarzkopien F, so können wir erneut einen Blick auf Kopien von Designermöbeln werfen: Die Kopien von Design-Klassikern, die auf der Grundlage der Design-Pläne für diese Klassiker hergestellt werden, müssen keine Fälschungen sein, denn mitunter wird über ihren Status als Kopien gar nicht hinweggetäuscht. Sofern die Kopist_innen, die die fraglichen Kopien anfertigen, nicht über entsprechende Lizenzen verfügen, die ihnen die Produktion von mit Verbreitungsabsicht hergestellten Kopien der Möbelklassiker erlauben, haben wir es bei diesen Kopien mit Design-Plan-basierten Schwarzkopien F zu tun.
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Wollen wir die Definition (DPBSKF) so anpassen, dass sie auf Design-Planbasierte SchwarzkopienS Anwendung finden kann, so ist lediglich eine Modifikation vonnöten. Denn im Falle einer Design-Plan-basierten SchwarzkopieS ist die_der Urheber_in der Kopie zugleich die_der Urheber_in des DesignPlans, auf dem die Kopie basiert – allerdings verfügt die_der Urheber_in zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung der Kopie nicht über die Rechte an diesem Design-Plan. Auch ist sie_er weder ein_e autorisierte_r Exemplar-Urheber_in noch ein_e autorisierte_r Urheber_in von Verbreitungskopien. Somit ergibt sich die Definition (DPBSKS) für den Begriff Design-Plan-basierte SchwarzkopieS: (DPBSKS) Eine Design-Plan-basierte Kopie y auf der Basis eines Design-Plans x ist eine Design-Plan-basierte SchwarzkopieS gdw. (KSK1") y eine Design-Plan-basierte Kopie ist, für deren Herstellung die Absicht leitend war, sie zu verbreiten und (KSK2"") d ie_der Urheber_in von y zwar die_der Urheber_in, aber zum Zeitpunkt und im Kontext der Entstehung von y nicht die_der Rechteinhaber_in von x war und weder über eine Autorisierung zur Herstellung genuiner x realisierender Exemplare noch über eine Autorisierung zur Herstellung x realisierender Verbreitungskopien verfügt hat.
Mit einer Design-Plan-basierten SchwarzkopieS haben wir es bei Cherry Ripe zu tun, sofern der Fotograf nicht auf ein Exemplar von The Grace of Youth zurückgegriffen, sondern sich seiner Erinnerungen an den Design-Plan für The Grace of Youth bedient hat, um diesen in Form von Cherry Ripe erneut zu realisieren. Hat Minter für TxK den Design-Plan für Tempest 2000 noch einmal realisiert, so handelt es sich auch bei TxK um eine Design-Plan-basierte SchwarzkopieS. Insbesondere bei vielen Artefakten, die in Massen produziert werden, spielt der Originalstatus für die Kund_innen bzw. Verbraucher_innen oftmals nur eine marginale Rolle. Denn in vielen Fällen können Schwarzkopien die Funktionen der Original-Exemplare ohne Einschränkungen erfüllen. So kann eine unerlaubt gebrannte Musik-CD mit hoher Qualität den Ansprüchen einer_eines Musikliebhabenden meist ebenso genügen wie die Original-CD. Aus diesem Grunde sind Urheber_innen und Rechteinhaber_innen von Design-Plänen, deren genuine Realisierungen ohne Einbußen durch Kopien ersetzt werden können, besonders darauf angewiesen, die Produktion von konkreten Schwarzkopien unterbinden zu können. Den Design-Plan-Urheber_innen bzw. den Inhaber_innen der Rechte an Design-Plänen kommt mit
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
dem Recht (RKV) die Möglichkeit zu, gegen die Produktion von konkreten Schwarzkopien vorzugehen. Dieses Recht dient dem Schutz der Möglichkeiten der_des Urhebenden oder Rechteinhabenden, nach Belieben über ihren_seinen Design-Plan zu bestimmen: Die Anfertigung einer konkreten Schwarzkopie verletzt das Recht (RKV) – eine solche Rechtsverletzung ist der_dem Urheber_in oder Rechteinhaber_in aufgrund der weitreichenden Konsequenzen für ihr_sein allgemeines Bestimmungsrecht über ihren_seinen Design-Plan nicht zumutbar. Insofern mit der Verletzung dieses Rechts durch die Produktion von konkreten Schwarzkopien das allgemeine Recht der_des Urhebenden oder Rechteinhabenden zur Bestimmung über ihren_seinen Design-Plan in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird, stellt die Produktion dieser Artefaktkopien eine moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten dar.
3.3.2 Die moralisch legitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung abstrakter Artefaktkopien
Im vorhergehenden Abschnitt standen konkrete Artefaktkopien im Mittelpunkt, deren Produktion eine moralisch illegitime Verletzung der Bestimmungsrechte an Design-Plänen darstellt. Prima facie liegt die Annahme nahe, dass sich auch unter den abstrakten Artefaktkopien solche Kopien finden, deren Anfertigung in einer moralisch illegitimen Verletzung von Bestimmungsrechten resultiert. Schließlich erscheint es als plausibel, dass auch ab strakte Artefaktkopien mit einer Täuschungs- oder einer Verbreitungsabsicht hervorgebracht werden können. Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist die Anfertigung abstrakter Artefaktkopien allerdings selbst in den Fällen moralisch unproblematisch, in denen dadurch Bestimmungsrechte verletzt werden. Denn die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung dieser Artefaktkopien ist der_dem Urheber_in oder Rechteinhaber_in, deren_dessen Bestimmungsrechte verletzt werden, für sich genommen stets zumutbar. Daher ergeben sich auch keine gesonderten Bestimmungsrechte zur Abwehr der Produktion abstrakter Artefaktkopien: Die Produktion dieser Kopien allein mag zwar Bestimmungsrechte verletzen, dies aber in moralisch legitimer Weise. Nichtsdestotrotz können abstrakte Artefaktkopien einen Beitrag zu einer moralisch illegitimen Verletzung von Bestimmungsrechten leisten – dann nämlich, wenn zur Verbreitung bestimmte Manifestationen von ihnen angefertigt oder Realisierungen von ihnen produziert werden. Wir werden jedoch sehen, dass diejenigen Fälle, in denen die illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch das Anfertigen einer zur Verbreitung bestimmten Manifestation erfolgt, nicht Gegenstand dieser Studie sind, da das Anfertigen
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von Manifestationen keine Kopierhandlung darstellt. Zudem wird sich zeigen, dass sämtliche Fälle, in denen die illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch das Anfertigen der Realisierung einer abstrakten Kopie erfolgt, bereits durch den vorhergehenden Abschnitt erfasst worden sind. Zuerst mache ich deutlich, warum die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von abstrakten Artefaktkopien den Inhaber_innen der Bestimmungsrechte für sich genommen zumutbar und damit moralisch legitim ist. Dazu unterscheide ich zunächst Fälle, in denen es überhaupt zu einer Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Produktion von abstrakten Artefaktkopien kommt, von solchen Fällen, in denen sich die Produktion von abstrakten Artefaktkopien ohne die Verletzung von Bestimmungsrechten ereignet. Anschließend zeige ich auf, warum es in Fällen der ersten Art zu einer Verletzung von Bestimmungsrechten kommt. Schließlich komme ich auf die Gründe zu sprechen, aus denen das Bestimmungsrechte verletzende Anfertigen von abstrakten Artefaktkopien eine für die_den Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in zumutbare Verletzung darstellt. In einem zweiten Schritt gehe ich auf die moralisch illegitimen Verletzungen von Bestimmungsrechten ein, die mit der Anfertigung von Manifestatio nen abstrakter Artefaktkopien einhergehen können. Dazu unterscheide ich zunächst erneut zwischen Fällen, in denen die Anfertigung von Manifestationen einer abstrakten Artefaktkopie eine Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt, und Fällen, in denen die Anfertigung von Manifestationen einer abstrakten Artefaktkopie sich ereignet, ohne dass dadurch Bestimmungsrechte verletzt würden. Anschließend lege ich dar, worin der moralisch illegitime Aspekt der Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von Manifestationen abstrakter Artefaktkopien genau besteht. In diesem Zusammenhang spielt die Zumutbarkeit für die_den Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in erneut eine zentrale Rolle. Dann zeige ich auf, warum die Anfertigung von Manifestationen im Rahmen dieser Studie zu vernachlässigen ist. Schließlich gilt es, in einem dritten Schritt diejenigen Fälle zu beleuchten, in denen sich eine moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Realisierung abstrakter Artefaktkopien ereignet. Auch in diesem Zusammenhang unterscheide ich dazu zunächst Fälle, die eine Rechtsverletzung darstellen, von Fällen, in denen es nicht zu einer Verletzung von Bestimmungsrechten kommt. Für die Fälle, in denen die Realisierung einer abstrakten Artefaktkopie eine Rechtsverletzung darstellt, zeige ich schließlich auf, warum sie alle schon im vorhergehenden Abschnitt Berücksichtigung finden.
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
Sofern das bloße Anfertigen von abstrakten Artefaktkopien Bestimmungsrechte verletzt, ist diese Verletzung der_dem Inhaber_in der Bestimmungsrechte zumutbar und damit moralisch legitim
Wollen wir uns klar machen, warum das bloße Anfertigen von abstrakten Artefaktkopien die Bestimmungsrechte von Urheber_innen bzw. Rechteinhaber_innen an ihren Design-Plänen allenfalls in einer Weise verletzt, die moralisch legitim ist, so müssen wir uns zunächst einmal vor Augen führen, in welchen Fällen der Produktion abstrakter Artefaktkopien wir es überhaupt mit einer Verletzung solcher Bestimmungsrechte zu tun haben. Denn die Anfertigung von abstrakten Artefaktkopien kann sich auch ereignen, ohne dass dadurch Bestimmungsrechte tangiert würden. Werfen wir einen Blick auf Abschnitt 3.2.2, so können wir uns erschließen, in welchen Fällen die Anfertigung von abstrakten Artefaktkopien keine Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt: Es handelt sich dabei um Fälle, in denen Exemplar- basierte Kopien hervorgebracht werden, die mit den Design-Plänen, die ihre Vorlage-Exemplare realisieren, wenig gemein haben. Wie wir in Abschnitt 3.2.2 gesehen haben, kann es solche Exemplar-basierten Kopien durchaus geben – es sind diejenigen Exemplar-basierten Kopien, bei deren Realisierungen es sich um Exemplarkopiene handelt. Da diese Exemplar-basierten Kopien mit dem Original-Design-Plan, den ihr Vorlage-Exemplar realisiert, praktisch nichts zu tun haben, stellt ihre Anfertigung keinerlei Beeinträchtigung für die Bestimmungsmöglichkeiten der_des Inhabenden der Rechte an diesem Original-Design-Plan dar: Diese Möglichkeiten und damit auch die Rechte der_des Urhebenden oder Rechteinhabenden bleiben von der Anfertigung solcher Exemplar-basierten Kopien gänzlich unberührt. Im Gegensatz zur Produktion Exemplar-basierter Kopien, die deutlich vom durch ihr Vorlage-Exemplar realisierten Original-Design-Plan abweichen, stellt jedoch die Anfertigung jeder anderen abstrakten Artefaktkopie eine Verletzung von Bestimmungsrechten dar: Da es sowohl zwischen Exem plar-basierten Kopien anderer Art und den durch ihre Vorlage-Exemplare realisierten Original-Design-Plänen als auch zwischen Design-Plan-Kopien und den ihnen als Vorlage dienenden Original-Design-Plänen signifikante Übereinstimmungen gibt, bleiben die Rechte an den jeweiligen Original-Design-Plänen bei der Anfertigung dieser abstrakten Kopien keineswegs unangetastet. Denn das Bestimmen nach Belieben, zu dem die_der Urheber_in oder Rechteinhaber_in berechtigt ist, umfasst auch die Kontrolle über die Produktion von Design-Plänen, die dem eigenen signifikant ähneln. Die Möglichkeit der Kontrolle über die Produktion dieser Design-Pläne stellt u. a. sicher, dass die_der Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in ihren_seinen Design-Plan nutzen
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und veräußern kann, ohne fürchten zu müssen, dass Dritte einen Design-Plan hervorbringen, der den eigenen ersetzen könnte. Obgleich es zu einer Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung abstrakter Artefaktkopien kommen kann, ist eine solche Verletzung allerdings der_dem Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in zumutbar. Denn die Anfertigung einer abstrakten Artefaktkopie stellt für sich genommen noch keine ernstzunehmende Gefahr für die Möglichkeiten der Bestimmung über den Original-Design-Plan dar: Eine abstrakte Artefaktkopie ist, solange sie nicht manifestiert oder realisiert wird, erst einmal nichts als ein abstraktes Konstrukt, zu dem allein die_der Kopist_in Zugang hat. Solange die_der Kopist_in keinerlei Anstrengungen unternimmt, dieses abstrakte Konstrukt so zu nutzen, dass etwas der Welt Zugängliches entsteht, ergibt sich aus der Existenz dieses Konstrukts noch kein nennenswertes Problem für die_den Urheber_in oder die_den Rechteinhaber_in. Aufgrund der Zumutbarkeit der Rechtsverletzung durch die bloße Anfertigung einer abstrakten Artefaktkopie ist diese Rechtsverletzung somit moralisch legitim. Eine moralisch illegitime Rechtsverletzung kann erst mit der Manifestation oder Realisierung der abstrakten Artefaktkopie zustande kommen. Das Anfertigen von zur Verbreitung bestimmten Manifestationen abstrakter Kopien kann in moralisch illegitimer Weise Bestimmungsrechte verletzen, stellt aber keine Kopierhandlung dar und ist insofern nicht Gegenstand dieser Studie
Während das Anfertigen von abstrakten Artefaktkopien allenfalls mit einer moralisch unproblematischen Verletzung von Bestimmungsrechten einhergeht, können wir es beim Erstellen der Manifestation einer abstrakten Artefaktkopie mit einer moralisch illegitimen Handlung zu tun haben. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass nicht jedes Manifestieren einer abstrakten Artefaktkopie ein moralisches Problem darstellt. Zunächst müssen wir Manifestationen, die zur Verbreitung bestimmt sind, von solchen Manifestationen unterscheiden, die nicht zur Verbreitung gedacht sind. So nutzen etwa Studierende an technischen Hochschulen Reverse Engineering zu Lernzwecken – entsprechende Seminare können beispielsweise an der Technischen Universität Dresden besucht werden.141 Die Anfertigung von Manifestationen der in diesem Rahmen entstandenen Exemplar-basierten Kopien stellt, solange die Manifestationen vertraulich behandelt werden, noch kein nennenswertes Problem für die Urheber_innen oder Rechteinhaber_innen von 141 Vgl.
https://tu-dresden.de/ing/maschinenwesen/imm/ktc/studium/lehrveranstaltungen/ reverse-engineering, abgerufen am 12.8.2021.
Die Verletzung von Bestimmungsrechten
Original-Design-Plänen dar – dies gilt selbst dann, wenn es zwischen den Exemplar-basierten Kopien und den Original-Design-Plänen immense Überschneidungen gibt. Denn mit diesen Manifestationen verhält es sich wie mit Privatkopien: Zwar könnten sie missbraucht werden – etwa, indem sie gegen Geld der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden –, oder sie könnten aus Versehen an die Öffentlichkeit gelangen. Aber das Risiko, dass sich dies ereignet, ist bei nicht zur Verbreitung bestimmten Manifestationen ebenso wie bei Privatkopien so gering, dass die Herstellung solcher Manifestationen analog zur Herstellung von Privatkopien der_dem Urheber_in oder Rechteinhaber_in zumutbar und insofern moralisch legitim ist. Anders verhält es sich jedoch mit zur Verbreitung bestimmten Manifestationen abstrakter Kopien: Ihre Herstellung stellt unter Umständen eine moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten dar. Um zu eruieren, in welchen Konstellationen dies der Fall ist, bedürfen wir zunächst noch einer weiteren Differenzierung: Wie sich oben gezeigt hat, gibt es abstrakte Artefaktkopien, deren Herstellung keinerlei Auswirkungen auf Bestimmungsrechte hat. Es handelt sich dabei um Exemplar-basierte Kopien, deren Realisierungen Exemplarkopiene sind. Haben wir es nun mit der Manifestation einer solchen Exemplar-basierten Kopie zu tun, so stellt ihre Anfertigung auch dann keine Rechtsverletzung dar, wenn die Manifestation zur Verbreitung bestimmt ist. Was zur Verbreitung gedachte Manifestationen abstrakter Artefaktkopien aller anderen Arten anbelangt, können wir jedoch feststellen, dass ihre Anfertigung eine gravierende Rechtsverletzung darstellt. Denn Manifestationen solcher Kopien, die an die Öffentlichkeit gelangen, schädigen die_den Urheber_in oder Rechteinhaber_in offenkundig in massiver Weise: Solche Manifestationen ermöglichen es Kopist_innen, Dritten ihre abstrakten Artefaktkopien zugänglich zu machen. Dadurch erlangen diese Dritten einen Zugriff auf Informationen, die ihnen unverdient einen enormen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Die diversen Nachteile, die dies für die_den Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in des Original-Design-Plans mit sich bringt, dürften auf der Hand liegen. Dass Dritte sich in dieser Weise Vorteile verschaffen, ist daher für Urheber_innen bzw. Rechteinhaber_innen nicht zumutbar. Die Anfertigung von zur Verbreitung bestimmten Manifestationen abstrakter Artefaktkopien, die eine große Nähe zum Original-Design-Plan aufweisen, ist aus diesem Grunde moralisch illegitim. Obgleich es sich dabei um Manifestationen abstrakter Artefaktkopien handelt, sind die hier in Rede stehenden Manifestationen für diese Studie allerdings lediglich am Rande von Interesse. Denn es handelt sich bei den Manifestationen nicht um Artefaktkopien. Aus diesem Grunde können wir es für die Zwecke dieser Studie bei den soeben angestellten Überlegungen belassen.
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Das Anfertigen von Realisierungen einer abstrakten Artefaktkopie stellt nur eine moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten dar, wenn es sich bei den Realisierungen um konkrete Kopiefälschungen, konkrete Plagiate oder konkrete Schwarzkopien handelt
Anders als die Manifestationen, die in moralisch illegitimer Weise Bestimmungsrechte verletzen, sind die Realisierungen abstrakter Artefakte, die uns im Folgenden beschäftigen werden, zum Teil durchaus Artefaktkopien. Betrachten wir aber zunächst diejenigen Realisierungen abstrakter Artefaktkopien, deren Herstellung nicht mit einer Verletzung von Bestimmungsrechten einhergeht. Auf eine solche Art der Realisierungen bin ich bereits im vorhergehenden Abschnitt zu sprechen gekommen: Handelt es sich bei der Realisierung einer Exemplar-basierten Kopie um eine Exemplarkopiee, so werden die Bestimmungsrechte am durch das Vorlage-Exemplar realisierten Design-Plan von der Anfertigung dieser Realisierung nicht angetastet. Es gibt zudem noch weitere Realisierungen, deren Anfertigung keine Bestimmungsrechte verletzt: Wie sich in Abschnitt 3.2.1 gezeigt hat, gibt es auch Realisierungen von Design-Plan-Kopien, die nicht zugleich die Original-Design-Pläne realisieren, die den Kopien als Vorlagen gedient haben. Die Anfertigung dieser Realisierungen stellt ebenfalls keine Verletzung von Bestimmungsrechten dar. Für alle anderen Realisierungen von abstrakten Artefaktkopien gilt, dass ihre Herstellung durchaus Bestimmungsrechte verletzen kann – und dies in moralisch illegitimer Weise. Allerdings finden alle diese Realisierungen bereits im vorhergehenden Abschnitt Berücksichtigung: Wie wir in Abschnitt 3.2.1 gesehen haben, sind Realisierungen von Exemplar-basierten Kopien immer Exemplarkopien – da die Exemplarkopiene bereits ausgeschlossen sind, bleiben Exemplarkopien F und ExemplarkopienS , auf die ich bereits im vorhergehenden Abschnitt zu sprechen gekommen bin. Auch hat sich in Abschnitt 3.2.1 erwiesen, dass die Realisierungen von Design-Plan-Kopien entweder ausschließlich Realisierungen dieser Kopien sind – diese Fälle haben wir auch bereits ausgeschlossen –, oder aber Design-Plan-basierte Kopien auf der Basis des Original-Design-Plans. Auch die Anfertigung dieser Realisierungen ist bereits im vorhergehenden Abschnitt zur Sprache gekommen. Die moralisch problematische Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung von Realisierungen abstrakter Artefaktkopien, die insofern Gegenstand dieser Studie sind, als es sich bei ihnen ebenfalls um Artefaktkopien handelt, ist somit bereits erschöpfend behandelt worden.
Resümee und Ausblick Resümee und Ausblick Bei den Gegenständen, mit denen Bestimmungsrechte von Urheber_innen verbunden sind, handelt es sich um Artefakte, während die Genese von Artefaktkopien diese Bestimmungsrechte potenziell verletzen kann: Es hat sich gezeigt, dass es aufgrund der Entlohnungswürdigkeit von Leistungen als grundsätzlich gerechtfertigt erscheint, Urheber_innen, deren Leistung in der Hervorbringung abstrakter Artefakte besteht, die ich aufgrund ihres planhaften Charakters und der ihnen eigenen Umsetzbarkeit als Design-Pläne bezeichnet habe, moralische Bestimmungsrechte an ihren Schöpfungen zuzubilligen. Zum Verständnis der verschiedenen Weisen, in denen Artefakt kopien diese Bestimmungsrechte im Einzelnen verletzen können, haben sich die Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Artefakten und die Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Artefaktkopien gleichermaßen als hilfreich erwiesen. Obgleich die durch die Anfertigung von Artefaktkopien gefährdeten Bestimmungsrechte der Urheber_innen (oder – im Falle der Weitergabe der Rechte – der Rechteinhaber_innen) einzig an Design-Plänen bestehen, kann auch die Produktion von Artefaktkopien, deren Vorlage ein konkretes Artefakt ist, diese Rechte verletzen. Denn Artefakt kopien, die konkrete Artefakte zur Vorlage haben, können zum einen selbst abstrakt sein – und es hat sich gezeigt, dass die Anfertigung von abstrakten Artefaktkopien die an einem abstrakten Artefakt bestehenden Bestimmungsrechte verletzen kann: Insofern es sich bei den in Rede stehenden Artefakt kopien um abstrakte Entitäten handelt, die signifikante Übereinstimmungen zu dem abstrakten Artefakt aufweisen, das Gegenstand der Bestimmungsrechte ist, kann die Anfertigung dieser Artefaktkopien mit einer Verletzung dieser Bestimmungsrechte einhergehen. Zwei Arten von abstrakten Artefaktkopien sind voneinander zu unterscheiden, wobei Artefaktkopien beider Arten über das Potenzial zur Verletzung von Bestimmungsrechten verfügen: Werden abstrakte Artefaktkopien auf der Grundlage konkreter Artefakte angefertigt, so handelt es sich dabei um Exemplar-basierte Kopien. Als solche zeichnen sich diese Kopien dadurch aus, dass sie auf einem Exemplar basieren. Wie sich gezeigt hat, können abstrakte Artefaktkopien, die geeignet sind, Bestimmungsrechte zu verletzen, aber ebenso auch abstrakte Artefakte zur Vorlage haben – in diesen Fällen haben wir es mit Design-Plan-Kopien zu tun. Die Anfertigung von Exemplar-basierten Kopien und Design-Plan-Kopien kann zwar die an einem abstrakten Artefakt bestehenden Bestimmungsrechte verletzen, wenn diese Kopien eine zu große Nähe zum in Rede stehenden
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Artefakt aufweisen. Jedoch handelt es sich dabei um eine der_dem Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) zumutbare Verletzung dieser Bestimmungsrechte, da dieser_diesem durch die bloße Anfertigung abstrakter Kopien keine nennenswerten Nachteile entstehen: Es hat sich gezeigt, dass erst das Anfertigen von Manifestationen oder Realisierungen abstrakter Kopien eine Verletzung der Bestimmungsrechte von Urheber_innen bzw. Rechteinhaber_innen darstellt, die diesen nicht ohne Weiteres zumutbar ist. Aus diesem Grunde ist die Verletzung von Bestimmungsrechten durch das Anfertigen von Exemplar-basierten Kopien und Design-Plan-Kopien für sich genommen moralisch legitim. Aber auch konkrete Artefaktkopien können die an abstrakten Artefakten bestehenden Bestimmungsrechte verletzen, sofern es sich bei den Kopien um Realisierungen der in Rede stehenden abstrakten Artefakte handelt: Als Design-Pläne zeichnen sich abstrakte Artefakte wesentlich durch ihre Realisierbarkeit aus. Die Bestimmungsrechte an einem Design-Plan betreffen daher nicht nur die Produktion abstrakter Artefaktkopien, sondern auch die Herstellung konkreter Realisierungen eines Design-Plans: Sofern es sich bei ihnen tatsächlich um Realisierungen eines Design-Plans handelt, kann die Herstellung konkreter Artefaktkopien die Bestimmungsrechte an diesem Design-Plan verletzen. Anders als die Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Produktion abstrakter Artefaktkopien, die sich als legitim herausgestellt hat, kann die Herstellung konkreter Artefaktkopien auch mit einer moralisch illegitimen Verletzung von Bestimmungsrechten einhergehen. Dies gilt gleichermaßen für konkrete Artefaktkopien mit abstrakter Vorlage, die ich als Design-Plan-Kopien bezeichnet habe, und für konkrete Artefaktkopien mit konkreter Vorlage, die sogenannten Exemplarkopien. In der Produktion konkreter Artefaktkopien beider Arten können wir eine moralisch illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten an einem Design-Plan erblicken, wenn dieser Design-Plan durch die konkreten Artefaktkopien realisiert wird und mit ihrer Herstellung eine Täuschungsabsicht verbunden ist – dies ist bei der Anfertigung konkreter Kopiefälschungen und konkreter Plagiate der Fall. Wie sich gezeigt hat, ist für eine illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten durch die Anfertigung konkreter Artefaktkopien eine Täuschungsabsicht jedoch nicht zwingend notwendig: Verbindet sich mit der Herstellung einer konkreten Artefaktkopie eine Verbreitungsabsicht, ohne dass die_der für die fragliche Kopie verantwortlich zeichnende Kopist_in zur Herstellung von Verbreitungskopien autorisiert wäre, so stellt die Anfertigung einer solchen konkreten Schwarzkopie ebenfalls eine illegitime Verletzung von Bestimmungsrechten dar. Denn es hat sich gezeigt, dass die Produktion konkreter Schwarzkopien ebenso wie die Herstellung konkreter Kopiefälschungen und konkreter Plagiate im Gegensatz zur Anfertigung abstrakter Artefaktkopien
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mit gravierenden, unzumutbaren Nachteilen für die_den Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) eines Design-Plans einhergeht. Aufgrund dieser Unzumutbarkeit stellt die Anfertigung von konkreten Artefaktkopien der genannten drei Arten eine moralisch illegitime Form der Verletzung von Bestimmungsrechten dar. Die in der vorliegenden Studie entwickelte Theorie vermag mithin Aufschluss darüber zu geben, in welchen Fällen Kopierhandlungen aufgrund der mit ihnen einhergehen Verletzungen von Bestimmungsrechten moralisch legitim bzw. illegitim sind. Denn sie ermöglicht eine Systematisierung von Kopierhandlungen und ihren Resultaten, die zugleich über die je spezifischen Besonderheiten der entstandenen Kopien Aufschluss gibt. Die Analyse der Genese von Artefaktkopien ermöglicht zudem ein eingehendes Verständnis der Handlungen, denen sich Artefaktkopien verdanken. Damit sind zentrale theoretische und normative Grundlagen für den Umgang mit Kopien und Kopierhandlungen gelegt. Die hier entwickelte Theorie der Artefakte und ihrer Kopien kann zugleich als Basis für die weitere Ausarbeitung einer philosophischen Theorie der Artefaktkopie, aber auch einer artefaktbezogenen Ethik des Kopierens dienen. Denn sowohl einer Theorie der Artefaktkopie als auch einer Ethik des Kopierens stellen sich eine Reihe von Anschlussfragen, zu deren Beantwortung die vorgelegte Theorie beitragen kann. Im Folgenden sollen einige dieser Fragen kurz angeschnitten und Möglichkeiten ihrer Beantwortung unter Rückgriff auf diese Theorie skizziert werden. Dazu unterscheide ich zwei Fragenkomplexe, nämlich weiterführende Fragen einer philosophischen Theorie der Artefaktkopie auf der einen und weiterführende Fragen einer Ethik des Kopierens auf der anderen Seite. Die hier exemplarisch thematisierten Fragen aus dem ersten Komplex betreffen zwei Arten von Kopien, denen im Rahmen dieser Studie keine gesonderte Beachtung geschenkt wurde, nämlich Stilkopien und Teilkopien. Dem zweiten Komplex entstammt zum einen die Frage, aus welchen Gründen selbst eine Verletzung von Bestimmungsrechten, die der_dem Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) nicht zumutbar ist, als gerechtfertigt erscheinen kann – in diesem Zusammenhang komme ich auf das Gebot des Nachteilsausgleichs als einen solchen prima facie aussichtsreichen Grund zu sprechen. Zum anderen komme ich noch einmal auf die offene Frage zu sprechen, inwiefern Interessen von Kopist_innen, Nutzer_innen und Rezipient_innen bei der Bemessung des Zeitraums der Geltung von an Dritte übertragenen Rechten an Design-Plänen Berücksichtigung finden sollten.
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Weiterführende Fragen einer philosophischen Theorie der Artefaktkopie
Die weiterführenden Fragen einer philosophischen Theorie der Artefakt kopie betreffen zum einen Phänomene, deren Status als Artefaktkopien nicht unmittelbar evident ist und hinsichtlich deren sich die Frage stellt, ob wir es dabei mit Artefaktkopien zu tun haben oder nicht. Zu diesen Phänomenen zählen Stilkopien – zumindest einige von ihnen lassen sich, so scheint es, als Artefaktkopien auffassen. Aber die weiterführenden Fragen einer philosophischen Theorie der Artefaktkopie beschränken sich nicht auf Entitäten, deren Status als Artefaktkopien umstritten ist: Zu fragen ist nämlich auch, inwiefern die erarbeiteten Grundlagen sich für ein Verständnis angrenzender Phänomene, die klarerweise keine Artefaktkopien im Sinne der hier vorgelegten Definition sind, fruchtbar machen lassen. Zu diesen angrenzenden Phänomenen gehören auch Teilkopien. Im Folgenden deute ich an, inwiefern die hier vorgelegte Theorie auch für derartige Phänomene aufschlussreich sein kann. Mit dem Skandal um den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi sind zu Beginn des letzten Jahrzehnts Objekte in den Fokus der Öffentlichkeit ger ückt, die einer Philosophie der Artefaktkopie äußerst bemerkenswert erscheinen müssen: Mit einer Vielzahl seiner Kunstfälschungen gelang es Beltracchi, sogar ausgewiesene Kunstexpert_innen zu täuschen. Dies allein ist freilich noch nicht sonderlich interessant – von Interesse ist jedoch, dass unter Beltracchis Kunstfälschungen einige Artefaktkopien sein dürften, obwohl ihre Vorlagen keine Artefakte im klassischen Sinn zu sein scheinen. Auf den ersten Blick mag es zwar als abwegig erscheinen, dass es sich bei Kunstfälschungen von Beltracchi um Artefaktkopien sollte handeln können. Denn Beltracchi fertigte keineswegs Kopien bereits bestehender Gemälde an – vielmehr kopierte er meisterhaft den Stil verschiedener Künstler_innen. Handelt es sich bei solchen Stilkopien um Artefaktkopien – sind also Beltracchis Kunstfälschungen konkrete Kopiefälschungen im Sinne dieser Studie? Im Folgenden sei angedeutet, warum diese Idee bei näherer Betrachtung alles andere als abwegig erscheint. Stilkopien können nur dann Artefaktkopien sein, wenn die Stile, die ihnen als Vorlagen dienen, Artefakte sind. Dass es Stile gibt, die zugleich Artefakte sind, ist weniger unplausibel, als man meinen könnte: Zumindest einige Stile sind ihren Urheber_innen klar zurechenbar und von diesen absichtsvoll kreiert worden, indem sie bestimmte Eigenschaften festgelegt haben, die wohlgeformte Instanziierungen ihrer Stile jeweils aufweisen müssen. Im Lichte dieser Überlegung dürfte es unmittelbar einleuchten, dass sich manche Stile als Design-Pläne auffassen lassen. Handelt es sich aber bei einem Stil um einen Design-Plan, so kann es sich bei einer Kopie des betreffenden Stils somit
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durchaus um eine Artefaktkopie handeln. Auch die Anfertigung einer Stilkopie kann somit eine Verletzung von Bestimmungsrechten nach sich ziehen. Hegt die_der Kopist_in, die_der für eine konkrete Stilkopie verantwortlich zeichnet, bei deren Herstellung eine Verbreitungs- oder Täuschungsabsicht, so können wir es dabei sogar mit einer konkreten Schwarzkopie bzw. einer konkreten Kopiefälschung oder einem konkreten Plagiat zu tun haben. Im Falle der Produktion solcher Stilkopien erscheint die Verletzung von Bestimmungsrechten, die diese nach sich zieht, somit als moralisch illegitim. Zumindest einige Stilkopien sind Artefaktkopien – dies erscheint im Lichte der soeben skizzierten Überlegungen als durchaus plausibel. Wie bereits dargelegt, sind auch einige Teilkopien Artefaktkopien, insofern es sich bei den kopierten Teilen selbst um Artefakte handelt. Als Beispiel einer solchen Teilkopie diente uns die Kopie eines innovativen Motors, der zwar Teil eines Autos, zugleich aber selbst ein Artefakt ist. Für viele Teilkopien gilt allerdings, dass es sich bei ihnen nicht um Artefaktkopien im Sinne dieser Untersuchung handelt: Eine Kopie eines 2x2cm großen Ausschnitts aus einem Gemälde ist für gewöhnlich eine Teilkopie, deren Vorlage selbst kein Artefakt ist – wir haben es bei der Kopie somit nicht mit einer Artefakt kopie zu tun. Nichtsdestotrotz fragt sich, ob die Anfertigung von Teilkopien eine Auswirkung auf Bestimmungsrechte haben kann. Offenkundig ähneln Teilkopien nur Teilen von Artefakten, mit denen sich diese Bestimmungsrechte verbinden können, nicht aber den Artefakten als solchen. Insofern sind die hier vorgelegten Überlegungen und Definitionen, die auf Ähnlichkeiten Bezug nehmen, nicht ohne Weiteres auf Teilkopien übertragbar. Ein Gedanke aus dieser Studie, der sich für Teilkopien fruchtbar machen lässt, betrifft jedoch die Nachteile für die_den Urheber_in bzw. Rechteinhaber_in, die aus der Produktion von Kopien erwachsen können: Einer philosophischen Theorie der Teilkopie, die an die hier vorgelegte Theorie der Artefaktkopie anknüpfen will, stellt sich die Frage, inwiefern Urheber_innen (oder Rechteinhaber_innen) durch die Anfertigung von Teilkopien Einschränkungen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zur Bestimmung über ihre Artefakte erleiden, die sich als Verletzungen ihrer Bestimmungsrechte auffassen lassen. Weiterführende Fragen einer artefaktbezogenen Ethik des Kopierens
Da eine artefaktbezogene Ethik des Kopierens damit rechnen muss, dass bei der moralischen Gesamtbewertung einer Kopierhandlung nicht ausschließlich die mit ihr einhergehende Verletzung von Bestimmungsrechten Berücksichtigung finden sollte, fragt sich, welche weiteren Erwägungen in die Gesamtbewertung Eingang finden sollten. Eine wichtige Überlegung in
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diesem Zusammenhang betrifft die Gründe, aus denen womöglich selbst der_dem Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) unzumutbare Verletzungen von Bestimmungsrechten als gerechtfertigt erscheinen können: Im Vorhergehenden hat sich bereits angedeutet, dass es für die moralische Gesamtbewertung einer Kopierhandlung nicht allein eine Rolle spielt, ob diese Kopierhandlung eine der_dem Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) zumutbare Verletzung von Bestimmungsrechten darstellt. In einigen Fällen kann eine der_dem Urheber_ in (oder Rechteinhaber_in) unzumutbare Verletzung von Bestimmungsrechten durch Kopierhandlungen zugunsten des Schutzes fundamentaler moralischer Güter durchaus moralisch erlaubt oder gar geboten sein. Geht es um den Schutz von Leib und Leben, so dürfte unmittelbar einleuchten, dass im Interesse dieser fundamentalen Güter die Interessen der Urheber_innen (oder Rechteinhaber_ innen) zurückstehen müssen. Wenn etwa ein Pharmaunternehmen ein wirksames Medikament gegen Aids entwickelt und dieses Medikament sehr teuer anbietet, sodass es nur wenigen Kranken zugänglich ist, und zugleich das Anfertigen von Generika – z. B. mittels eines entsprechenden Patents – unterbindet, dann kann es zugunsten des Lebens und der Gesundheit Kranker, die sich das Medikament nicht leisten können, geboten sein, Generika des Medikaments anzufertigen und den Kranken zugänglich zu machen. In Fällen wie diesem kommt das Kopieren einem Akt der Nothilfe gleich. Jedoch sind noch weitere Konstellationen denkbar, in denen die unzumutbare Verletzung von Bestimmungsrechten als gerechtfertigt erscheint – hierbei handelt es sich insbesondere um Fälle, in denen durch Kopierhandlungen und nur durch diese übermäßige Benachteiligungen ausgeglichen werden können. Fälle wie diese finden sich u. a. in wissenschaftlichen Kontexten.142 Auf den ersten Blick liegt es keineswegs auf der Hand, dass sich für die Anfertigung von Kopien, die den Zugang zu wissenschaftlichen Werken gewähren, ähnlich zwingende moralische Rechtfertigungsgründe anführen lassen wie für die Herstellung lebensrettender Generika: Prima facie erscheinen die möglichen Situationen, aus denen heraus Kopierende diese Maßnahmen ergreifen, zunächst als weit weniger dramatisch als die Situationen Kranker, deren Leben auf dem Spiel steht. Allerdings kann es Fälle geben, in denen die Situation einer_eines Kopierenden eine Kopierhandlung mit dem Ziel der Zugänglichmachung wissenschaftlicher Werke durchaus moralisch legitimiert. Rechtfertigende Gründe können sich daraus ergeben, dass der_dem Kopierenden massive Nachteile bei seiner Berufsausübung entstehen, wenn sie_er sich nicht mittels einer Kopie Zugang zu einem Werk verschafft, wobei diese Nachteile auf die Wissenschaften selbst zurückwirken können: Wissenschaft142
Vgl. Bahr 2018.
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ler_innen sind zur Ausübung ihrer Profession regelmäßig darauf angewiesen, Artefakte, mit denen sich Bestimmungsrechte verbinden, zu rezipieren und auszuwerten. In einigen Konstellationen wird ihnen der Zugang zu diesen Artefakten jedoch massiv erschwert. Dies gilt etwa für Personen, die in einem Land leben, in dem der Zugang zu wissenschaftlichen Werken – etwa aus finanziellen Gründen oder Gründen der Zensur – stark beschränkt ist. Aber auch auf anderer Grundlage kann Einzelnen der Zugang zu solchen Werken erschwert oder gar verwehrt werden. In solchen Fällen können Kopierhandlungen im Interesse der Wissenschaft moralisch legitimierbar sein – selbst, wenn sie eine für die_den Urheber_in (oder Rechteinhaber_in) unzumutbare Verletzung von Bestimmungsrechten darstellen. Denn zum einen setzt eine Fortentwicklung der Wissenschaft unter den Gesichtspunkten der Wahrung und der Beförderung wissenschaftlicher Diversität und kultureller Vielfalt voraus, dass niemand prinzipiell daran gehindert wird, einen wissenschaftlichen Beitrag zu leisten. Zum anderen erfordert eine gute wissenschaftliche Praxis die Vermeidung von Diskriminierung. Wissenschaftler_innen, denen aus dem mangelnden Zugang zu bestimmten Artefakten ein massiver beruflicher Nachteil erwächst, können sich daher darauf berufen, sich durch die Anfertigung von Kopien einen Zugang zu diesen Werken zu verschaffen, um den Nachteil auszugleichen. Inwieweit die soeben skizzierten Überlegungen letztlich zu überzeugen vermögen, ist freilich im Detail zu prüfen. Allerdings erscheint es zur Erarbeitung einer fairen und ausgewogenen Ethik des Kopierens als sinnvoll, nicht nur mittels der Einräumung von Bestimmungsrechten den Interessen von Urheber_innen und Rechteinhaber_innen Rechnung zu tragen, sondern auch die berechtigten Interessen von Kopist_innen, Nutzer_innen, Rezipient_innen – wie etwa die Interessen der Rezipient_innen wissenschaftlicher Publikationen – zu würdigen. Die Frage, wie diese Interessen gegeneinander abzuwägen sind, ist eine der Hauptfragen, denen sich eine Ethik des Kopierens stellen muss. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zu prüfen, wie sich die Übertragung von Rechten an Design-Plänen auf Dritte derart beschränken lässt, dass den Urheber_innen der Design-Pläne zwar genügend Möglichkeiten zur Verfügung stehen, von einer solchen Übertragung zu profitieren, ohne dass jedoch zugleich berechtigte Interessen weiterer Dritter vernachlässigt werden. Der Zugriff auf Artefakte, die Informationen und Bildung vermitteln, auf kulturelle Güter etc. mittels Kopien kann für Kopist_innen, Nutzer_innen, Rezipient_innen von immensem Wert sein – diesen Zugriff über die Bestimmungsrechte an Design-Plänen, die an Dritte veräußert wurden, ohne eine zeitliche Einschränkung zu verhindern, schiene daher nicht angebracht. Eine weitere Aufgabe einer Ethik des Kopierens liegt
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somit darin, die Interessen, die mit Bestimmungsrechten konfligieren, systematisch zu erfassen und abzuwägen, für welchen zeitlichen Umfang die Geltung übertragener Rechte an Design-Plänen noch als gerechtfertigt erscheinen kann.
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